Rechtsirrtum und Rechtsungewissheit: Eine Untersuchung zu Anspruchsverfolgung und Anspruchsverteidigung unter Berücksichtigung zivilprozessrechtlicher Wertungen. Habilitationsschrift 9783161600456, 9783161602375, 3161600452

Ob die Berufung auf einen Rechtsirrtum vor Rechtsnachteilen schützt, ist eine klassische Frage. Neben echten Irrtümern s

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German Pages 821 [858] Year 2021

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Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Übersichten
1. Teil: Einführung
§ 1 Stand und Lücken der Diskussion
A. Entwicklung und Stand der Diskussion
I. „Error iuris nocet“ als Ausgangspunkt
II. Strafrechtliche Entwicklung
III. Privatrechtliche Diskussion
B. Bestehender Forschungsbedarf
§ 2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung
A. Anspruchsgeltendmachung und -verteidigung als sinnvoll bemessener Untersuchungsbereich – Einteilung in „Quadranten“
B. Einbeziehung des Prozessrechts
C. Methode der Untersuchung
D. Gang der Untersuchung
2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand
§ 3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand
A. Normative und tatsächliche Eigenheiten des Rechts als Erkenntnisgegenstand
I. Potenzielle Existenz mehrerer „richtiger“ Rechtsansichten
II. Rechtserkenntnis durch Gerichte
1. Geltung des Grundsatzes „iura novit curia“
2. Konkretisierung und Entwicklung des objektiven Rechts
3. Stabilität und Vertrauen, Wandel und Vertrauensenttäuschung
III. Rechtserkenntnis durch Rechtsunterworfene
1. Fehlende Verbreitung von rechtlichem (Detail-)Wissen
2. Existenz institutionalisierter Rechtsvermittlung
a) Kammergebundene Rechtsberater
b) Sonstige Intermediäre
B. Abgrenzung zur Tatsachenerkenntnis
I. Rechtsirrtum im engeren und im weiteren Sinne
II. Trennungsbedürfnis und Trennbarkeit
III. Revisibilität
IV. Ermittlung und Feststellung
§ 4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung
A. Rechtslage: Letzte Entscheidung als Referenzpunkt
B. Vorstellung des Rechtssubjekts: Wahrscheinlichkeitsprognose
C. Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung
I. Fehlen jeglicher Vorstellung
II. Rechtsunkenntnis
III. Kunstgerechtes Wahrscheinlichkeitsurteil
IV. Rechtszweifel
D. Fazit
§ 5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht
A. Historische Ausgangslage, insbesondere Genese des BGB
B. Besondere Unerträglichkeit einer Berücksichtigung zugunsten des Irrenden
I. Geltungsanspruch des Rechts
II. Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung
1. Entlastungswirkung als Teil der Rechtsordnung
2. Verhinderung einer „Rechtserstarrung“
III. Durchsetzung des „richtigen“ Rechts
C. Erkennbarkeit des Rechts
I. Fehlende generelle Evidenz des Rechts
II. Entlastung als Gebot der Gerechtigkeit
III. Entlastung als Gebot der Rechtssicherheit
1. Freiraum durch Verzicht auf Nachteilszuweisung
2. Unbeachtlichkeit staatlicher Ingerenz im Privatrecht
3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen
IV. Verfügbarkeit von Rechtsrat
D. Fazit
§ 6 Konsequenzen für den Aufbau der Untersuchung
A. Nachteilsvermeidung als zentrale Fragestellung
B. Aufteilung in die Felder „Erkenntnisgegenstand“, „Erkenntnisgrad“ und „Substitution durch Vorwerfbarkeit“
3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche
§ 7 Nachteil durch Verjährung
A. Nachteilszuweisung
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Abgrenzung zur Anspruchsentstehung als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB
II. Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners als Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn, § 199 Abs 1 Nr. 2 BGB
1. Rechtsirrtum über das Bestehen des Anspruchs
a) Grundsätzliche Unbeachtlichkeit
b) Ausnahme bei (objektiver) Unzumutbarkeit
aa) Kritik an der Zumutbarkeitsprüfung
bb) Anwendungsfeld und Kriterien der Zumutbarkeitsprüfung
2. Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners
a) Anspruchsbegründende Umstände
b) Person des Schuldners
III. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung
1. Früherer Ansatz: „Sekundärverjährung“
2. Heutiger Ansatz: Rechtliche Bewertung als Teil der für Verjährungsbeginn erforderlichen Kenntnis
IV. Hemmung wegen höherer Gewalt, § 206 BGB
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
1. Unbeachtlichkeit der rechtlichen Bewertung der eigenen Anspruchsberechtigung
a) Stütze im Wortlaut
b) Keine gegenteiligen Schlüsse aus der Normgenese
c) Teleologische Begründung
aa) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit
bb) Missbrauchsprävention und Beweiserleichterung
cc) Verfügbarkeit von Rechtsrat
dd) Anreiz zur Klärung von Rechtsfragen
ee) Zwischenfazit
d) Fehlen durchgreifender systematischer Bedenken
aa) §§ 1378 Abs. 4 S. 1, 2332 Abs. 1 Var. 1 BGB a. F
bb) § 33h Abs. 2 Nr. 2 lit. a GWB
cc) § 932 Abs. 2 BGB
2. Erfordernis der rechtlichen „Kontextuierung“
a) Niedrige Anforderungen im Ausgangspunkt
b) Besonderheiten im Bereich des europäischen Verbraucherschutzrechts
3. Ausnahme bei Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage
a) Fehlende Überzeugungskraft der verbreiteten Kritik
aa) Überflüssigkeit wegen Erfordernis der „Kontextuierung“
bb) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit
cc) Gesetzgeberischer Wille
dd) Bevorzugung des späten Klägers
ee) Unzulässige Ausdehnung der Unzumutbarkeitsrechtsprechung über Fallgruppe der zweifelhaften Passivlegitimation hinaus
b) Maßgeblicher Kritikpunkt: Fehlen eines gesetzlichen Bezugspunkts
c) Eigener Begründungsansatz für eine Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage
aa) Weitgehende Kompatibilität mit der Anreizbetrachtung
bb) Normative Zumutbarkeitsgrenze aus dem Prozesskostenhilferecht
cc) Zwischenfazit
d) Anerkennung bei entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung
e) Gebotene Abgrenzung zu anderen Fällen der Unzumutbarkeit
4. Besonderheiten beim Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners
a) Anspruchsbegründende Umstände
b) Person des Schuldners
5. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung
II. Erkenntnisgrad
1. Widersprüchlichkeit und Unklarheit bisher angelegter Maßstäbe
2. Maßstabsbildung
a) Anreizwirkungen des Verjährungsrechts
b) Orientierung an den nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten
aa) Auswirkungen einer Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung
bb) Abwarten von Pilot- oder Parallelverfahren
cc) Zwischenfazit
c) Präzisierung des Maßstabs
aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung
bb) Sonstige rechtliche Zweifel
cc) Zwischenfazit
3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung
III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung
1. Ausreichen hinreichender subjektiver Erkenntnis
2. Maßgeblichkeit der Perspektive eines Rechtskundigen
a) Funktionale Obliegenheit zur Intermediärskonsultation und Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
b) Denkbare Grenzen des Abstellens auf Rechtskundigen
aa) Verbrauchereigenschaft des Gläubigers
bb) „Kontextuierung“ aus Sicht des Gläubigers
cc) Fehlende Wirtschaftlichkeit von Rechtsberatung
3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung
IV. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen
D. Annex: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und Verlust des Verfügungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutz
E. Fazit
§ 8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung
A. Nachteilszuweisung
B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
1. Weitgehende Diskriminierung anspruchsbezogener Rechtsirrtümer
2. Bewertung
II. Erkenntnisgrad
III. Substitution durch Vorwerfbarkeit
D. Annex: Versäumung der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG
I. Nachteilszuweisung
II. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Zulassung verspäteter Klage nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG
III. Analyse
E. Fazit
4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche
§ 9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners
A. Nachteilszuweisung
I. Schadens- und Aufwendungsersatzhaftung
II. Lösungsrechte des Vertragspartners
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Ersatzhaftung
1. Haftung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
2. Deliktische Haftung
3. Vertragliche und vertragsähnliche Haftung
II. Lösungsrechte des Vertragspartners
C. Analyse
I. Verbleibende Diskrepanzen im Meinungsbild und Konsequenzen für die Untersuchung
1. Strengere Behandlung außergerichtlicher Geltendmachung
a) Weitgehende Annäherung der Haftungsregime
b) Vorzugswürdige Gleichbehandlung
aa) Wertung des Prozessrechts: Präferenz für außergerichtliche Beilegung
bb) Fehlen gleichrangiger Gründe für eine Privilegierung gerichtlichen Vorgehens
cc) Weitere Gründe für eine Gleichbehandlung
c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung
2. Begründung und Konturen eines „Rechts auf Irrtum“
a) Partielle Annäherung zwischen Rechtsprechung und Literatur
b) Defizite der bisher vertretenen Ansätze
c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung
II. Erkenntnisgegenstand
1. Pflicht-, Rechts- und Sittenwidrigkeit sowie Verschulden als Einfallstore für Entlastung wegen Rechtsirrtums
2. Ausnahme: Verschuldensunabhängige Haftung nach §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
a) Grundsatz: Unbeachtlichkeit rechtlicher Fehlvorstellungen
b) Fälle der Rechtsprechungsänderung
c) Haftung für Begleitschäden
d) Haftung für Vollstreckung eines Berufungsurteils nach § 717 Abs. 3 ZPO
III. Erkenntnisgrad
1. Weitgehende Anerkennung einer Haftungsfreiheit bei Bestehen rechtlicher Zweifel
2. Eigener Begründungsansatz
a) Komplementäre Ausgestaltung zum Verjährungsrecht
b) Konsequenzen
aa) Keine Differenzierung nach Schadensarten
bb) Mögliche Privilegierung rechtlicher Zweifel gegenüber tatsächlichen Zweifeln
3. Maßstabsbildung
a) Orientierung an den nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten
b) Präzisierung des Maßstabs
aa) Vertretbarkeit
bb) Kein Entgegenstehen höchstrichterlicher Rechtsprechung
4. Reichweite und Grenzen des Maßstabs
a) Anwendung des Maßstabs bei auf Rechtsklärung gerichtetem Vorgehen
aa) Ansprüche aus Sonderbeziehungen
bb) Außergerichtliche Geltendmachung
cc) Verteidigung gegen negatives Feststellungsbegehren
b) Ausnahmen
aa) Zwangsvollstreckung und einstweilige Sicherung
(1) Systemkonformität der Haftung nach §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
(2) Verallgemeinerung der Wertung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
(3) Mögliche Rückausnahmen
(a) Begleitschäden
(b) Vollstreckung aus rechtskräftiger Entscheidung
(c) Entstehen nachteiliger Umstände nach der Entscheidung
(d) Vollstreckung aus nicht rechtskraftfähigen Titeln
(4) Abweichungen bei Haftung nach § 717 Abs. 3 ZPO
(5) Abgrenzung zur Entgegennahme freiwilliger Leistung des Putativschuldners
(6) Abgrenzung zum Zugriff auf bestellte Sicherheiten
(7) Zwischenfazit
bb) Rechtsirrtümliche Selbsthilfe, § 231 BGB
cc) Schutzrechtsverwarnung und -klage
(1) Uneindeutige Linie der Rechtsprechung
(2) Grundsätzlich gebotene Privilegierung des Verwarnenden
(3) Fehlende Privilegierung des Vorgehens gegen Abnehmer
(4) Zwischenfazit
5. Hinweis auf Zweifel als mögliche Voraussetzung der Haftungsfreiheit
6. Ende der Haftungsfreiheit
7. Zwischenfazit
IV. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung
1. Ausgangslage: Ansätze einer Vorwerfbarkeitsprüfung in Rechtsprechung und Literatur
2. Bedarf für Statuierung von Sorgfaltspflichten
a) Vorzugswürdigkeit einer regulären Prüfung auf Ebene der Vorwerfbarkeit
b) Abzulehnende Ausnahme für rechtliche Anspruchsprüfung
3. Vorüberlegungen zu Sorgfaltspflichten betreffend die Rechtserkenntnis
a) Verortung innerhalb der Rechtsirrtumsdogmatik
b) Einbettung in die allgemeine Fahrlässigkeitsdogmatik
4. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation
a) Person des Putativgläubigers
b) Hinweise des Putativschuldners
c) Gerichtliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Putativgläubigers
5. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft
a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs
aa) Meinungsstand
bb) Analyse
(1) Auswirkungen betreffend wirtschaftlich Schwächere
(2) Normativer Einfluss der Regelungen zum Anwaltszwang
(3) Rechtsökonomische Erwägungen
(a) Effizienter Schadensvermeidungsaufwand
(b) Sozialer Nutzen der Anspruchsgeltendmachung
(c) Vereinfachungseffekt
(d) Zwischenfazit
(4) Übergreifende Gründe aus Systematik und Genese
(5) Zwischenfazit
cc) Qualifikation des Intermediärs
dd) Kausalitätserfordernis
ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft
b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
aa) Möglichkeiten und Grenzen der Zurechnung
(1) Haftung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse
(2) Deliktische Haftung
bb) Problematische Haftungslücke
cc) Lösungsansätze
(1) Ausweitung der Annahme von Schuldverhältnissen
(2) Ausweitung eigener Pflichten des Anspruchstellers
(3) Ausweitung der Zurechnung
(4) Deliktische Außenhaftung des Beraters
(a) Meinungsstand
(b) Bewertung
(5) Drittschadensliquidation
(6) Von Zurechnung unabhängige Einstandspflicht
dd) Zwischenfazit
6. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation
a) Fehlende „Kontextuierung“
b) Zeitdruck
c) Verhalten des Putativschuldners
d) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Putativgläubigers
V. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Putativschuldner
1. Dogmatische Anknüpfung
2. Erkenntnisgrad
3. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung
VI. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen
1. Meinungsstand
2. Stellungnahme: Differenzierung zwischen Erkenntnisgrad und Vorwerfbarkeit
D. Fazit
§ 10 Nachteil durch Prozesskostenlast
A. Nachteilszuweisung
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern
II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 3 GKG
III. Gestaltungsinstrumente
1. Erledigungserklärung
2. Klageänderung auf Grundlage materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
1. Unbeachtlichkeit rechtlicher Unsicherheit
a) Wahrung des Klärungsanreizes als Argument für Beachtlichkeit
b) Unbeachtlichkeit als Teil des gesetzgeberischen Plans
aa) Genese
bb) Teleologie
(1) Einfachheit der Kostenentscheidung
(2) Ambivalente Anreiz- bzw. Abschreckungswirkung
(3) Bewusstes Gegengewicht zum Klageanreiz
c) Zwischenfazit
2. Schutz vor Rechtsprechungsänderungen
a) Vorherrschen formaler Betrachtung
b) Diskrepanzen zur Behandlung in anderen Zusammenhängen, insbesondere bei § 927 ZPO
c) Gebotenheit stärkeren Schutzes des Irrenden
aa) Vertrauensschutz
bb) Vereinbarkeit mit der Ratio der Unterliegenshaftung
d) Dogmatische Umsetzung
aa) Privilegierte Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO
bb) Erledigungserklärung
(1) Fehlende Überzeugungskraft der formalen Betrachtung
(2) Mögliche Anpassung der Erledigungsprüfung
(3) Präzisierung der Erledigung bei Rechtsprechungsänderungen
cc) Niederschlagung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 3 GKG
II. Erkenntnisgrad
III. Substitution durch Vorwerfbarkeit
D. Fazit
5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche
§ 11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners
A. Nachteilszuweisung
I. Schadensersatz- und Zinshaftung
II. Lösungsrechte des Vertragspartners
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung
1. Zurückhaltende Berücksichtigung von Rechtsirrtümern
2. Großzügige Berücksichtigung von Rechtsirrtümern
3. Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern
II. Partielle Bedeutung des Verschuldens bei formaler Unabhängigkeit der Nachteilszuweisung von Vertretenmüssen
III. Befreiende Wirkung bzw. Hinterlegungswirkung trotz unterlassener Leistung an Gläubiger
1. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger
2. Hinterlegungswirkung
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
1. Sonderfall des § 291 BGB
2. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung
3. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger
II. Erkenntnisgrad
1. Bestehender Konflikt zwischen strenger und milder Linie
2. Vorzugswürdigkeit der strengen Linie bezüglich Leistungsverweigerung – Haftung auch bei Rechtsungewissheit
a) Fehlende Überzeugungskraft herrschender Begründungsansätze
aa) Geltungsanspruch des Rechts und verwandte Argumentationsfiguren
bb) Ausreichen einfacher statt grober Fahrlässigkeit
cc) Risikozuweisung zum Schuldner
dd) Automatische Gewährung rechtlichen Gehörs für Schuldner
ee) Wertung des § 291 BGB
ff) Gesichtspunkt der Gewinnabschöpfung
b) Vorläufige Zuordnung der streitbefangenen Rechtsposition als entscheidender Gesichtspunkt
aa) Aus fehlendem Zugriff erwachsende Risiken des Gläubigers
bb) Vollstreckung durch Putativgläubiger als Vergleichsfall – maßgebliche Wertung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
cc) Haftungsprivilegierung bei Rückforderung nach vorläufig erbrachter Leistung
dd) Verletzung der Leistungspflicht als dogmatischer Anker
c) Systemkonformität der strengen Linie im Übrigen
aa) Fehlen des Verjährungsdrucks auf Seiten des Schuldners
bb) Kompatibilität mit Anreizerwägungen
d) Zu entkräftende Einwände gegen Ungleichbehandlung von Putativgläubiger und Schuldner
aa) Vergleich der Geltendmachung von Ansprüchen mit Geltendmachung von Einwendungen bzw. Einreden
bb) Zufälligkeit der Rollenverteilung
cc) Vergleich mit staatlicher Berufung auf Rechtsirrtum
dd) Verstoß gegen gesetzgeberische Vorstellungen und Verschuldensprinzip
ee) Hinreichende anderweitige Steuerung des Schuldnerverhaltens
3. Vorzugswürdigkeit der milden Linie bezüglich reiner Verteidigung – Haftung außerhalb von §§ 281, 286 BGB
a) Grundlagen
b) Privilegierung bei Verursachung von Begleitschäden
c) Einordnung von Leistungstreuepflichtverletzungen
4. Keine Unterschiede in der Behandlung von Rechts- und Tatsachenzweifeln
5. Maßstabsbildung
a) Orientierung an den nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten
b) Präzisierung des Maßstabs
aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung
(1) Vertrauensschutz bei Änderung einschlägiger Rechtsprechung
(2) Ende des Vertrauensschutzes bei aufkommenden Zweifeln
(3) Sonstige rechtliche Zweifel
bb) Fehlende Vertretbarkeit einer Anspruchsbejahung
6. Ausnahmen bzw. Abweichungen von der strengen Linie
a) Unanwendbarkeit von § 717 Abs. 2 ZPO im korrespondierenden Fall der Anspruchsverfolgung
b) Rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem
aa) Hinterlegung
(1) Erkenntnisgrad für Versagung der Hinterlegungswirkung
(2) Nachteilszuweisung bei Verzicht auf mögliche Hinterlegung
(3) Konsequenzen bei nicht hinterlegungsfähigem Leistungsgegenstand
(4) Zwischenfazit
bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger
(1) Grundsätzliche Entlastung bei Rechtsungewissheit
(2) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang
c) Privilegierung des Bereicherungsschuldners
aa) Unverklagter Bereicherungsschuldner: Anforderungen an Kenntnis gemäß § 819 Abs. 1 BGB
bb) Verklagter Bereicherungsschuldner
d) Unzumutbarkeit für den Schuldner
aa) Folgen der Nichtleistung, insbesondere Kündigungsrecht der Gegenseite
(1) Meinungsstand
(2) Stellungnahme
(a) Schutz des Schuldners durch weitere Kündigungsvoraussetzungen
(b) Verfassungsrechtliche Aspekte
(c) Übertragbarkeit der Wertung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
(d) Differenzierung zwischen Vertretenmüssen und Verschulden
(e) Klärungsanreize
bb) Besondere Schutzbedürftigkeit des Schuldners
(1) Wohnraummieter
(2) Arbeitnehmer
cc) Besondere Schwierigkeiten bei Bestimmung der Leistungspflicht: Abhängigkeit von Ermessensentscheidung
dd) Besondere Nachteile im Fall der Leistung
(1) Überwiegen der Nachteile des Schuldners
(2) Entlastung über § 275 Abs. 2, 3 BGB
(3) Gefahr des rechts- bzw. pflichtwidrigen Verhaltens – Berücksichtigung der Wertung aus § 372 S. 2 Var. 2 BGB
(4) Fehlende Kondiktionsfähigkeit des Leistungsgegenstands
ee) Zwischenfazit
e) Verantwortlichkeit des Gläubigers für Bestehen objektiver Zweifel
aa) Gestaltung des Rechtsverhältnisses
bb) Dulden der irrigen Rechtsauffassung
f) Zwischenfazit
III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung
1. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation
a) Person des Schuldners
b) Hinweise des Gläubigers
c) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Schuldners
2. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft
a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs
aa) Meinungsstand
bb) Analyse
cc) Qualifikation des Intermediärs
dd) Kausalitätserfordernis
ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft
b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
aa) Meinungsstand
bb) Stellungnahme
3. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation
a) Verhalten des Gläubigers
b) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Schuldners
4. Zeitpunkt der Vorwerfbarkeit: Prüfungsfrist
5. Vorwerfbarkeit in besonderen Konstellationen
a) Rechtsirrtum bezüglich Aktivlegitimiertem
aa) Hinterlegung
(1) Person des Schuldners
(2) Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft
(a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs
(b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger
(1) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis
(2) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung
(3) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang
b) Bereicherungsschuldner
aa) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis
bb) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung
IV. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Gläubiger
V. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen
1. Vorsatz
2. Fahrlässigkeit
3. Sonstiges Vertretenmüssen
D. Fazit
§ 12 Nachteil durch Prozesskostenlast
A. Nachteilszuweisung
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern
II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 3 GKG
III. Gestaltungsinstrument: sofortiges Anerkenntnis, § 93 ZPO
1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Irrtümern des Beklagten
2. Ausnahmen bei Rechts- bzw. Rechtsprechungsänderungen
3. Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit des Klägers
IV. Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem
1. § 94 ZPO als Ergänzung zum materiell-rechtlichen Schuldnerschutz
2. § 75 ZPO als Pendant zur Hinterlegungsmöglichkeit
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern
2. Ausnahmen
a) Schutz vor Rechtsprechungsänderungen
aa) Sofortiges Anerkenntnis
(1) Offenheit des Kriteriums der Klageveranlassung
(2) Präzisierung der Klageveranlassung in Fällen der Rechtsprechungsänderung
(a) Etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung als Vertrauensgrundlage
(b) Unsicherheit über Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung
bb) Niederschlagung der Gerichtskosten nach § 21 Abs 1 S. 3 GKG
b) Verantwortlichkeit des Gegners für Aufklärung der Rechtslage
c) Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem
aa) § 94 ZPO
bb) § 75 ZPO
II. Erkenntnisgrad und Substitution durch Vorwerfbarkeit
1. Allgemeine Grundsätze
2. Besonderheiten bei Rechtsirrtum bzw. rechtlicher Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem
D. Fazit
6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche
§ 13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss
A. Nachteilszuweisung: Kondiktionssperre nach § 814 Var. 1 BGB
B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wissenserfordernis in § 814 Var. 1 BGB
C. Analyse
I. Erkenntnisgegenstand
II. Erkenntnisgrad
1. Begründung
a) Herstellung richtiger Rechtszuordnung
b) Verbot widersprüchlichen Verhaltens
c) Leistung und Rückforderung als Instrument zur Rechtsklärung
d) Vorteile gegenüber Verweis auf Leistung unter Vorbehalt
e) Keine gegensätzliche Wertung aus § 556g Abs. 1 S. 4 BGB
f) Zwischenfazit
2. Präzisierung des Maßstabs
a) Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung
b) Sonderfall: Fehleinschätzung der Minderungsquote im Mietrecht
III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung
1. Keine Obliegenheit zur Konsultation eines Intermediärs
2. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung
a) Rechtfertigung der Beweislastverteilung zulasten des Empfängers
b) Keine Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches Sichverschließen
c) Beweiserleichterungen
aa) Meinungsstand
bb) Bewertung
(1) Keine Gewährung eines Anscheinsbeweises aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten
(2) Weitgehendes Fehlen erforderlicher Typizität
(3) Gegenteiliger Anschein
(4) Denkbarer Anscheinsbeweis bei anspruchsverneinender Äußerung des späteren Empfängers
d) Zwischenfazit
D. Fazit
§ 14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung
A. Nachteilszuweisung
B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums
I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
II. Vollstreckungsabwehrklage
C. Analyse
I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
II. Vollstreckungsabwehrklage
1. Schutz der Rechtskraft
2. Anzuerkennende Ausnahmen
a) Feststellung verfassungswidriger Grundlage der Entscheidung
b) Rechtsprechungsänderung im Fall „zukunftsbezogener“ Titel
D. Fazit
7. Teil: Synthese
§ 15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades
A. Grundsätze und zugrunde liegende Wertungen
I. Schlüssiges Gesamtsystem aus den einzelnen Quadranten
1. Eröffnung jeweils einer zumutbaren Verhaltensoption
2. Verknüpfung bestehender Verbindungslinien
3. Dogmatische Fundierung
II. Zugrunde liegende Wertungen
1. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen
a) Anreizfreundliche Ausgestaltung
aa) Belastung des Gläubigers durch strenge Verjährung
bb) Privilegierung des Putativgläubigers durch milde Behandlung unberechtigter Anspruchsgeltendmachung
cc) Gewährung des Rückforderungsanspruchs zugunsten des Putativschuldners
dd) Begrenzung des Rückgriffs auf prozesskostenvermeidende Erledigungserklärung
b) Anreizkompatible Ausgestaltung der Haftung für Vollstreckung, Sicherung und Leistungsverweigerung
aa) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Putativgläubigers aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
bb) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Schuldners aus §§ 280, 281, 286 BGB
c) Grenzen des Anreizgedankens
aa) Wertung aus § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO
bb) Wertung aus § 93 ZPO und weiteren Normen
cc) Tragung des Prozesskostenrisikos
2. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand
a) Erstreckung auf vergleichbare Vorgehensweisen des Putativgläubigers
b) Erstreckung auf Schuldnerhaftung nach §§ 280, 281, 286 BGB
aa) Übertragbarkeit der Wertung auf Leistungsverweigerung
bb) Zeitgleiches Bestehen des Risikos strenger Haftung für beide Parteien
cc) Grenze des Wertungstransfers bei Streitverhalten ohne Zurückhalten der Leistung
(1) Privilegierung des Streitverhaltens „an sich“
(2) Insbesondere: Unberechtigte Ausübung nicht bestehender Vertragslösungsrechte
(a) Meinungsstand
(b) Analyse und Bewertung
c) Privatautonome Abweichungen
d) Bedeutung von § 717 Abs. 3 ZPO
3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen
a) Partielle Abmilderung der strengen Schuldnerhaftung
b) Verhältnis zur verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit
c) Weitgehend fehlende Bedeutung bei der Putativgläubigerhaftung
d) Partielle Abmilderung der strengen Prozesskostenlast
e) Partielle Abmilderung der strengen Haftung nach §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
III. Denkbare Ausnahmen von den Grundsätzen
1. Abweichungen bei Unklarheit über Person des Gegenübers
2. Keine Abweichungen bei Ermessensentscheidungen
B. „Praktische Gewissheit“ als einheitlicher Maßstab
I. Herleitung des einheitlichen Maßstabs
II. Vorzüge des einheitlichen Maßstabs
III. Überlagerung durch rechtskräftige Entscheidung
C. Präzisierung des Gewissheitsmaßstabs
I. Quellen des einheitlichen Maßstabs
II. Vorliegen einschlägiger, maßgeblicher höchstrichterlicher Rechtsprechung
1. Abstellen auf höchstrichterliche Rechtsprechung
a) Normative Sonderstellung
b) Verhinderung von Fehlanreizen und Rückschaufehlern
c) Anerkennung der Sonderstellung
d) Keine Gleichstellung sonstiger Orientierungspunkte
aa) Herrschende Instanzrechtsprechung, Behördenpraxis bzw. Literatur
bb) Klare Gesetzesnorm
e) Begriff des Höchstgerichts: Verhältnis zu BVerfG und EuGH
2. Anforderungen an die Rechtsprechung
a) Einschlägigkeit
b) Quantität
c) Form und Entscheidungserheblichkeit
d) Zuständigkeit
e) Veröffentlichung
3. Verlust der Maßgeblichkeit
a) Eigene Kategorisierung denkbarer Anhaltspunkte für Rechtsprechungsänderungen
b) Veränderungen des normativen oder tatsächlichen Umfeldes
c) Höchstgerichtliche Äußerungen
d) Äußerungen der Instanzrechtsprechung bzw. der Literatur
aa) Vorüberlegungen zur Kategorisierung
bb) Innovation als Grundvoraussetzung
cc) Weitere Anforderungen
e) Äußerungen von Richtern des Höchstgerichts
f) Verfassungs- oder europarechtliche Kritikpunkte
g) Abhängigkeit von Eigenschaften der höchstrichterlichen Judikatur
4. Rückerlangung der Maßgeblichkeit
5. Zwischenfazit
III. Vertretbarkeitsgrenze
1. Bedarf für Vertretbarkeitsprüfung
2. Prüfungsmaßstab
§ 16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit
A. Weitgehender Ausschluss einer Substitution bei Kenntnistatbeständen
I. Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis
II. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung
1. Anforderungen auf Ebene des Erkenntnisgegenstands und des Erkenntnisgrades
2. Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches Sichverschließen
3. Weitgehendes Ausscheiden eines Anscheinsbeweises
B. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit
I. Verjährung
II. Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung
1. Gründe für Annahme einer generellen Konsultationspflicht
2. Dogmatische Grundlage: Verschuldensunabhängiges Vertretenmüssen
III. Gewissenhafter Rechtsanwalt als maßgeblicher Intermediär
IV. Einschränkungen wegen Zeitnot oder fehlenden Beratungsanlasses
V. Kausalitätserfordernis
C. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
I. Unerheblichkeit im Bereich der Verjährung und des verschuldensunabhängigen Vertretenmüssens
II. Zurechnung nach § 278 BGB
1. Zurechnung von Fehleinschätzungen des Rechtsberaters
2. Keine Zurechnung von Fehleinschätzungen durch Gerichte bzw. Behörden
III. Zurechnungslücke außerhalb des Anwendungsbereichs von § 278 BGB
1. Ausweitung der bzw. Verzicht auf die Zurechnung
2. Deliktische Außenhaftung des Beraters
D. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden
I. Verkehrskreisspezifische Erwartungen an Rechtskenntnis
II. Hinweise durch die Gegenseite bzw. Dritte
III. Erforderliche Intermediärskonsultation
1. Verhältnismäßigkeit des Beratungskostenaufwands
2. Qualifikation des Intermediärs
a) Erfordernis der Konsultation eines Spezialisten
b) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung
aa) Erfordernis der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung
bb) Ausreichen der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung
c) Ausreichen der Konsultation sonstiger Intermediäre
d) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten
aa) Erfordernis der Konsultation einer bestimmten Behörde
bb) Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten
3. Kausalitätserfordernis
4. Kontrolle der Auskunft
§ 17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis
A. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die fremde Rechtserkenntnis
I. Denkbare Anknüpfungspunkte
1. Gestaltung des Rechtsverhältnisses vor Entstehen der Streitsituation
2. Dulden der irrigen Rechtsauffassung
3. Unzutreffende Ausführungen zur Rechtslage
4. Unterlassen von Hinweisen
II. Bestehen einer Aufklärungsverantwortung
1. Prinzipieller Unterschied zur Tatsachenaufklärung: Verfügbarkeit von Rechtsrat
2. Gebotenheit von Ausnahmen
3. Wesentliche Faktoren für Statuierung einer Rechtsaufklärungsverantwortung
a) Hinweisgegenstand: Günstige bzw. ungünstige Umstände
b) Art der Sonderverbindung
aa) Rechtsberatung und Vermögensbetreuung
bb) Sonstige Beziehungen mit typischem Rechtsinformationsgefälle – Schlussfolgerungen aus gesetzlichen Rechtsbelehrungspflichten
(1) Gesetzlich verankerte Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten
(2) Fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit
c) Gestaltungsingerenz
d) Individualwissen
e) Kostenersparnis
f) Zwischenfazit
III. Voraussetzungen für Berücksichtigung zum Nachteil des Gegenübers
IV. Dogmatisches Instrumentarium zur Berücksichtigung
1. Berücksichtigung im Nachteilstatbestand
2. Gewährung eines eigenständigen Ersatzanspruchs
B. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die eigene Rechtserkenntnis
§ 18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum
A. Erforderlichkeit einer Unterscheidung
B. Übergreifende Überlegungen
I. Maßgeblichkeit der Natur des Ausgangsirrtums
II. Keine Trennung zwischen tatbestandsmerkmalsbezogenen und anspruchsbezogenen Rechtsirrtümern
C. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung „klärungswürdiger“ Rechtszweifel
I. „Klärungswürdige“ Rechtszweifel bei Bezug zu revisiblem Gegenstand
II. Erstreckung über revisible Gegenstände hinaus: Gegenstand einer Beurteilung von Amts wegen
D. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung verschuldensunabhängiger Risikozuweisung
I. Orientierung am engen Anwendungsbereich der Vorgabe „iura novit curia“
II. Anwendung des Maßstabs
8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick unter Berücksichtigung technologischer Entwicklungen
§ 19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades
A. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen
B. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen
I. Zustimmungswürdigkeit des Ziels unter besonderer Berücksichtigung künftigen Datenbedarfs
II. Defizite des aktuellen Modells
1. Effektivität
2. Effizienz
3. Lastenverteilung
III. Alternativen zum aktuellen Modell
1. Herbeiführung von Grundsatzentscheidungen
2. Prozesskostenrechtliche Erleichterungen
3. Förderung von Musterverfahren und kollektivem Rechtsschutz
4. Erleichterungen zugunsten des irrenden Schuldners in Fällen der rechtlichen Ungewissheit
5. Sonstige Förderung der Streitaustragung
6. Verstärkte Veröffentlichung von Entscheidungen und Integration nicht staatlicher Streitentscheidung
IV. Schlussfolgerungen
1. Verzichtbarkeit strenger Verjährung und milder Putativgläubigerhaftung unter Anreizgesichtspunkten
2. Denkbare Anpassungen im Gesetzesrecht und Konsequenzen
3. Präferenz für Beibehaltung der geltenden Konzeption unter Flankierung durch weitere Instrumente
C. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand
I. Fehlende Überzeugungskraft der Wertung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO
II. Besondere Gebotenheit einer Anpassung infolge denkbaren Bedeutungszuwachses von „Selbstvollzug“ durch Smart Contracts
III. Konkretisierung des neuen Haftungsmaßstabs
IV. Auswirkungen auf die Schuldnerhaftung
§ 20 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit
A. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit
B. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs
C. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden
I. Erfordernis der Nutzung von Legal Tech
II. Ausreichen der Nutzung von Legal Tech
Zusammenfassung in Thesen
A. Grundlagen
B. Untersuchungsquadranten
I. Quadrant 1: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche
II. Quadrant 2: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche
III. Quadrant 3: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche
IV. Quadrant 4: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche
C. Synthese
I. Ebene des Erkenntnisgrades
II. Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit
III. Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden
IV. Abgrenzung des „Rechts“ als Gegenstand von Zweifel und Irrtum
D. Rechtspolitischer Handlungsbedarf
I. Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades
II. Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Rechtsirrtum und Rechtsungewissheit: Eine Untersuchung zu Anspruchsverfolgung und Anspruchsverteidigung unter Berücksichtigung zivilprozessrechtlicher Wertungen. Habilitationsschrift
 9783161600456, 9783161602375, 3161600452

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band  251

Alexander Scheuch

Rechtsirrtum und Rechtsungewissheit Eine Untersuchung zu Anspruchsverfolgung und Anspruchsverteidigung unter Berücksichtigung zivilprozessrechtlicher Wertungen

Mohr Siebeck

Alexander Scheuch, geboren 1985; Studium der Rechtswissenschaft in Münster; 2010 Erstes Staatsexamen; 2013 Promotion; 2013–2015 Referendariat im Bezirk des OLG Köln; 2015 Zweites Staatsexamen; seit 2015 Akademischer Rat a. Z. am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht der Universität Münster; seit 2017 Mitglied im Jungen Kolleg der Nordrhein-­ Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste; 2020 Habilitation (Lehrbefug­ nis für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht); seit 2020 Professurvertretungen in Osnabrück und Gießen. orcid.org/0000-0001-7038-5012

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 460456840. ISBN  978-3-16-160045-6 / eISBN  978-3-16-160237-5 DOI 10.1628/978-3-16-160237-5 ISSN  0940-9610 / eISSN  2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck aus der Garamond gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript ist im Anschluss aktualisiert worden und spiegelt den Stand von Rechtsprechung und Literatur zum Jahresende 2020 wider. Mein herzlicher Dank gebührt zunächst meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Ingo Saenger. Er hat mich von einer weiteren „Amtszeit“ an seinem Lehrstuhl überzeugt, mich auf dem eingeschlagenen Weg in vielerlei Hinsicht u ­ nterstützt und mir geholfen, die Arbeit unter Pandemiebedingungen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Ebenso danke ich Frau Professorin Dr. Bettina ­Heiderhoff, die das Zweitvotum erstellt hat. Sie hatte schon zuvor stets ein offenes Ohr für meine Anliegen und stand mir bei vielen Gelegenheiten als Gesprächspartnerin zur Verfügung. Gefördert wurde diese Arbeit zum einen in Form einer Publikationsbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, für die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Zum anderen war ich während meiner Zeit als Habilitand vier Jahre lang Mitglied im Jungen Kolleg der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Neben der großzügigen finanziellen Förderung haben sich dort viele inspirierende Begegnungen ergeben, die mir völlig neue Perspektiven eröffnet haben – dafür ein großes Dankeschön an alle Beteiligten! Danke sagen möchte ich ebenfalls der Runde von Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur vielseitigen fachlichen Input geliefert haben, sondern mich auch darüber hinaus auf dem Weg zur Habilitation gestützt und ermutigt haben: Kristin Boosfeld, Konrad Duden, David Kästle-Lamparter, Carsten König und Mareike Schmidt. Die Bürde des Korrekturlesens haben vor allem Andrea Freund und meine Mutter, Ursula Scheuch, auf sich genommen. Beiden danke ich herzlich dafür, sich diese Aufgabe angetan zu haben. Auch im Übrigen konnte ich stets auf die Unterstützung meiner Familie zählen. Mitgefiebert, aber auch mitgelitten hat vor allen Dingen meine Frau, Stefanie Scheuch. Ihr danke ich nicht nur dafür, sehenden Auges einem weiteren Großprojekt zugestimmt zu haben. Vielmehr hat sie mir stets den Rücken freigehalten und mich mit fachkundigem Rat unterstützt. Unser wunderbarer Sohn Jakob hat nahezu zeitgleich mit der Idee zu diesem Werk das Licht der Welt erblickt. Er hat das Voranschreiten der Arbeit seitdem live begleitet und es verstanden, mich selbst in den härtesten Phasen positiv zu stimmen. Lieber Jakob, auch wenn sie Dir etwas zu textlastig geworden ist: Diese Arbeit ist für Dich! Bonn, im Mai 2021

Alexander Scheuch

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V XI XXXIII XXXV

1. Teil: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 §  1 Stand und Lücken der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 A. Entwicklung und Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 B. Bestehender Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 §  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Anspruchsgeltendmachung und -verteidigung als sinnvoll bemessener ­Untersuchungsbereich – Einteilung in „Quadranten“ . . . . . . . . . . . 11 B. Einbeziehung des Prozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 C. Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand 19 §  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand . . . . . . . 21 A. Normative und tatsächliche Eigenheiten des Rechts als Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Abgrenzung zur Tatsachenerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 §  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung . . . . . 55 A. Rechtslage: Letzte Entscheidung als Referenzpunkt . . . . . . . . . . . 55 B. Vorstellung des Rechtssubjekts: Wahrscheinlichkeitsprognose . . . . . 59 C. Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung . . . . . . . . . . . . 61 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 §  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 A. Historische Ausgangslage, insbesondere Genese des BGB . . . . . . . . 69

VIII

Inhaltsübersicht

B. Besondere Unerträglichkeit einer Berücksichtigung zugunsten des Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 C. Erkennbarkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 §  6 Konsequenzen für den Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 83 A. Nachteilsvermeidung als zentrale Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Aufteilung in die Felder „Erkenntnisgegenstand“, „Erkenntnisgrad“ und „Substitution durch Vorwerfbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 §  7 Nachteil durch Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 91 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 D. Annex: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und Verlust des ­Verfügungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . 186 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 §  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung . . . . . . . 191 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 D. Annex: Versäumung der Klagefrist des §  4 S.  1 KSchG . . . . . . . . . . 201 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche . . . 205 §  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 215 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 §  10 Nachteil durch Prozesskostenlast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 325 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Inhaltsübersicht

IX

5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche . . 351 §  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 354 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 §  12 Nachteil durch Prozesskostenlast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 487 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 §  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 A. Nachteilszuweisung: Kondiktionssperre nach §  814 Var.  1 BGB . . . . . 509 B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: ­Wissenserfordernis in §  814 Var.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 §  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung . . . . . . 539 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 539 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

7. Teil: Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 §  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 A. Grundsätze und zugrunde liegende Wertungen . . . . . . . . . . . . . . 553 B. „Praktische Gewissheit“ als einheitlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . 591 C. Präzisierung des Gewissheitsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 §  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . 645 A. Weitgehender Ausschluss einer Substitution bei Kenntnistatbeständen . 646 B. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 C. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 D. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden . . . . . . . 665

X

Inhaltsübersicht

§  17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 A. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die fremde Rechtserkenntnis . . 683 B. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die eigene Rechtserkenntnis . . 709 §  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum . . . . . . . . . . . . 713 A. Erforderlichkeit einer Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 B. Übergreifende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 C. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung „klärungswürdiger“ Rechtszweifel . 716 D. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung verschuldensunabhängiger ­R isikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720

8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick unter Berücksichtigung technologischer Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 §  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . 731 A. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . 731 B. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 C. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 §  20 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . 763 A. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 B. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 C. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden . . . . . . . 765

Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 B. Untersuchungsquadranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 C. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 D. Rechtspolitischer Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V VII XXXIII XXXV

1. Teil: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 §  1 Stand und Lücken der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 A. Entwicklung und Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I. „Error iuris nocet“ als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . 3 II. Strafrechtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Privatrechtliche Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 B. Bestehender Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 §  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Anspruchsgeltendmachung und -verteidigung als sinnvoll bemessener ­Untersuchungsbereich – Einteilung in „Quadranten“ . . . . . . . . . . . 11 B. Einbeziehung des Prozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 C. Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand 19 §  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand . . . . . . . 21 A. Normative und tatsächliche Eigenheiten des Rechts als Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Potenzielle Existenz mehrerer „richtiger“ Rechtsansichten . . . . . 21 II. Rechtserkenntnis durch Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Geltung des Grundsatzes „iura novit curia“ . . . . . . . . . . . . 24 2. Konkretisierung und Entwicklung des objektiven Rechts . . . . 27 3. Stabilität und Vertrauen, Wandel und Vertrauensenttäuschung . 30 III. Rechtserkenntnis durch Rechtsunterworfene . . . . . . . . . . . . . 37 1. Fehlende Verbreitung von rechtlichem (Detail-)Wissen . . . . . . 38 2. Existenz institutionalisierter Rechtsvermittlung . . . . . . . . . . 40 a) Kammergebundene Rechtsberater . . . . . . . . . . . . . . . . 40

XII

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b) Sonstige Intermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Abgrenzung zur Tatsachenerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Rechtsirrtum im engeren und im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . 46 II. Trennungsbedürfnis und Trennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Revisibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Ermittlung und Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 §  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung . . . . . 55 A. Rechtslage: Letzte Entscheidung als Referenzpunkt . . . . . . . . . . . 55 B. Vorstellung des Rechtssubjekts: Wahrscheinlichkeitsprognose . . . . . 59 C. Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung . . . . . . . . . . . . 61 I. Fehlen jeglicher Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Rechtsunkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Kunstgerechtes Wahrscheinlichkeitsurteil . . . . . . . . . . . . . . . 63 IV. Rechtszweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 §  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 A. Historische Ausgangslage, insbesondere Genese des BGB . . . . . . . . 69 B. Besondere Unerträglichkeit einer Berücksichtigung zugunsten des Irrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Geltungsanspruch des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Entlastungswirkung als Teil der Rechtsordnung . . . . . . . . . . 73 2. Verhinderung einer „Rechtserstarrung“ . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Durchsetzung des „richtigen“ Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 C. Erkennbarkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Fehlende generelle Evidenz des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Entlastung als Gebot der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Entlastung als Gebot der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Freiraum durch Verzicht auf Nachteilszuweisung . . . . . . . . . 77 2. Unbeachtlichkeit staatlicher Ingerenz im Privatrecht . . . . . . . 78 3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . 78 IV. Verfügbarkeit von Rechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 §  6 Konsequenzen für den Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 83 A. Nachteilsvermeidung als zentrale Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Aufteilung in die Felder „Erkenntnisgegenstand“, „Erkenntnisgrad“ und „Substitution durch Vorwerfbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

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XIII

3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 §  7 Nachteil durch Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 91 I. Abgrenzung zur Anspruchsentstehung als Voraussetzung für den ­Verjährungsbeginn, §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den ­anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners als Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn, §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Rechtsirrtum über das Bestehen des Anspruchs . . . . . . . . . . 93 a) Grundsätzliche Unbeachtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Ausnahme bei (objektiver) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . 95 aa) Kritik an der Zumutbarkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . 96 bb) Anwendungsfeld und Kriterien der Zumutbarkeitsprüfung 99 2. Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Anspruchsbegründende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 III. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung . . . . . . . . . . . . . 106 1. Früherer Ansatz: „Sekundärverjährung“ . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Heutiger Ansatz: Rechtliche Bewertung als Teil der für ­Verjährungsbeginn erforderlichen Kenntnis . . . . . . . . . . . . 108 IV. Hemmung wegen höherer Gewalt, §  206 BGB . . . . . . . . . . . . 109 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Unbeachtlichkeit der rechtlichen Bewertung der eigenen ­Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Stütze im Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Keine gegenteiligen Schlüsse aus der Normgenese . . . . . . . 113 c) Teleologische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . 114 bb) Missbrauchsprävention und Beweiserleichterung . . . . . 115 cc) Verfügbarkeit von Rechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 dd) Anreiz zur Klärung von Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . 117 ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Fehlen durchgreifender systematischer Bedenken . . . . . . . 122 aa) §§  1378 Abs.  4 S.  1, 2332 Abs.  1 Var.  1 BGB a. F. . . . . . . . 122 bb) §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) §  932 Abs.  2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Erfordernis der rechtlichen „Kontextuierung“ . . . . . . . . . . . 124

XIV

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a) Niedrige Anforderungen im Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 125 b) Besonderheiten im Bereich des europäischen Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Ausnahme bei Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Fehlende Überzeugungskraft der verbreiteten Kritik . . . . . 129 aa) Überflüssigkeit wegen Erfordernis der „Kontextuierung“ 129 bb) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . 129 cc) Gesetzgeberischer Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 dd) Bevorzugung des späten Klägers . . . . . . . . . . . . . . . 132 ee) Unzulässige Ausdehnung der Unzumutbarkeitsrechtsprechung über Fallgruppe der zweifelhaften Passivlegitimation hinaus . . . . . . . . 133 b) Maßgeblicher Kritikpunkt: Fehlen eines gesetzlichen Bezugspunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Eigener Begründungsansatz für eine Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage . . . . . . . . . . 136 aa) Weitgehende Kompatibilität mit der Anreizbetrachtung . 137 bb) Normative Zumutbarkeitsgrenze aus dem Prozesskostenhilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Anerkennung bei entgegenstehender höchstrichterlicher ­Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 e) Gebotene Abgrenzung zu anderen Fällen der Unzumutbarkeit 144 4. Besonderheiten beim Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . 147 a) Anspruchsbegründende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung . . . . . . . . . . . 154 II. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Widersprüchlichkeit und Unklarheit bisher angelegter Maßstäbe 158 2. Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Anreizwirkungen des Verjährungsrechts . . . . . . . . . . . . 159 b) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten ­Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Auswirkungen einer Mutwilligkeit der beabsichtigten ­Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Abwarten von Pilot- oder Parallelverfahren . . . . . . . . 165 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Präzisierung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung . 167 bb) Sonstige rechtliche Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

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XV

3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung . . . . . . . . . . . 172 III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung . . . . . . 173 1. Ausreichen hinreichender subjektiver Erkenntnis . . . . . . . . . 173 2. Maßgeblichkeit der Perspektive eines Rechtskundigen . . . . . . 174 a) Funktionale Obliegenheit zur Intermediärskonsultation und ­Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . 175 b) Denkbare Grenzen des Abstellens auf Rechtskundigen . . . . 176 aa) Verbrauchereigenschaft des Gläubigers . . . . . . . . . . . 176 bb) „Kontextuierung“ aus Sicht des Gläubigers . . . . . . . . . 177 cc) Fehlende Wirtschaftlichkeit von Rechtsberatung . . . . . 178 3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung . . . . . . . . . . . 178 IV. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 D. Annex: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und Verlust des ­Verfügungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . 186 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 §  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung . . . . . . . 191 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Weitgehende Diskriminierung anspruchsbezogener Rechtsirrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 D. Annex: Versäumung der Klagefrist des §  4 S.  1 KSchG . . . . . . . . . . 201 I. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Zulassung verspäteter Klage nach §  5 Abs.  1 S.  1 KSchG . . . . . . . 201 III. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche . . . 205 §  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Schadens- und Aufwendungsersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 215

XVI

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I. Ersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Vertragliche und vertragsähnliche Haftung . . . . . . . . . . . . 221 II. Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Verbleibende Diskrepanzen im Meinungsbild und Konsequenzen für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Strengere Behandlung außergerichtlicher Geltendmachung . . . 224 a) Weitgehende Annäherung der Haftungsregime . . . . . . . . . 224 b) Vorzugswürdige Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Wertung des Prozessrechts: Präferenz für außergerichtliche Beilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Fehlen gleichrangiger Gründe für eine Privilegierung ­gerichtlichen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Weitere Gründe für eine Gleichbehandlung . . . . . . . . 228 c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung . . . . . . . . 229 2. Begründung und Konturen eines „Rechts auf Irrtum“ . . . . . . 229 a) Partielle Annäherung zwischen Rechtsprechung und Literatur 229 b) Defizite der bisher vertretenen Ansätze . . . . . . . . . . . . . 230 c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung . . . . . . . . 231 II. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Pflicht-, Rechts- und Sittenwidrigkeit sowie Verschulden als Einfallstore für Entlastung wegen Rechtsirrtums . . . . . . . . . 232 2. Ausnahme: Verschuldensunabhängige Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Grundsatz: Unbeachtlichkeit rechtlicher Fehlvorstellungen . . 232 b) Fälle der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Haftung für Begleitschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Haftung für Vollstreckung eines Berufungsurteils nach §  717 Abs.  3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Weitgehende Anerkennung einer Haftungsfreiheit bei Bestehen rechtlicher Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Eigener Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Komplementäre Ausgestaltung zum Verjährungsrecht . . . . 238 b) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Keine Differenzierung nach Schadensarten . . . . . . . . . 241 bb) Mögliche Privilegierung rechtlicher Zweifel gegenüber ­tatsächlichen Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten ­Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

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b) Präzisierung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Vertretbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Kein Entgegenstehen höchstrichterlicher Rechtsprechung 247 4. Reichweite und Grenzen des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Anwendung des Maßstabs bei auf Rechtsklärung gerichtetem Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Ansprüche aus Sonderbeziehungen . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Außergerichtliche Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Verteidigung gegen negatives Feststellungsbegehren . . . 250 b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Zwangsvollstreckung und einstweilige Sicherung . . . . . 251 (1) Systemkonformität der Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Verallgemeinerung der Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (3) Mögliche Rückausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (a) Begleitschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (b) Vollstreckung aus rechtskräftiger Entscheidung . . 254 (c) Entstehen nachteiliger Umstände nach der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (d) Vollstreckung aus nicht rechtskraftfähigen Titeln . 256 (4) Abweichungen bei Haftung nach §  717 Abs.  3 ZPO . . 257 (5) Abgrenzung zur Entgegennahme freiwilliger Leistung des Putativschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (6) Abgrenzung zum Zugriff auf bestellte Sicherheiten . . 259 (7) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 bb) Rechtsirrtümliche Selbsthilfe, §  231 BGB . . . . . . . . . . 260 cc) Schutzrechtsverwarnung und -klage . . . . . . . . . . . . . 261 (1) Uneindeutige Linie der Rechtsprechung . . . . . . . . . 261 (2) Grundsätzlich gebotene Privilegierung des Verwarnenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (3) Fehlende Privilegierung des Vorgehens gegen Abnehmer 264 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 5. Hinweis auf Zweifel als mögliche Voraussetzung der Haftungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 6. Ende der Haftungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 7. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 IV. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung . . . . . . 270 1. Ausgangslage: Ansätze einer Vorwerfbarkeitsprüfung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Bedarf für Statuierung von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . 272 a) Vorzugswürdigkeit einer regulären Prüfung auf Ebene der Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

XVIII

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b) Abzulehnende Ausnahme für rechtliche Anspruchsprüfung . 274 3. Vorüberlegungen zu Sorgfaltspflichten betreffend die Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Verortung innerhalb der Rechtsirrtumsdogmatik . . . . . . . 277 b) Einbettung in die allgemeine Fahrlässigkeitsdogmatik . . . . . 278 4. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Person des Putativgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Hinweise des Putativschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Gerichtliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Putativgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs . . . . . . . . . . . 282 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 bb) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (1) Auswirkungen betreffend wirtschaftlich Schwächere . 284 (2) Normativer Einfluss der Regelungen zum Anwaltszwang 285 (3) Rechtsökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . 286 (a) Effizienter Schadensvermeidungsaufwand . . . . . 287 (b) Sozialer Nutzen der Anspruchsgeltendmachung . . 288 (c) Vereinfachungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (4) Übergreifende Gründe aus Systematik und Genese . . 292 (5) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 cc) Qualifikation des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . 293 dd) Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft . . . . . . . . . . . . . 296 b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . 297 aa) Möglichkeiten und Grenzen der Zurechnung . . . . . . . 297 (1) Haftung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse . . 297 (2) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Problematische Haftungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . 298 cc) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Ausweitung der Annahme von Schuldverhältnissen . . 299 (2) Ausweitung eigener Pflichten des Anspruchstellers . . 300 (3) Ausweitung der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 300 (4) Deliktische Außenhaftung des Beraters . . . . . . . . . 301 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (5) Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (6) Von Zurechnung unabhängige Einstandspflicht . . . . 307 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

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XIX

6. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation . . . . . 308 a) Fehlende „Kontextuierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Zeitdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 c) Verhalten des Putativschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 d) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Putativgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 V. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Putativschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung . . . . 316 VI. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Stellungnahme: Differenzierung zwischen Erkenntnisgrad und Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 §  10 Nachteil durch Prozesskostenlast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 325 I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern . . . . . . . 325 II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG . . 326 III. Gestaltungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Klageänderung auf Grundlage materiell-rechtlichen ­Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 1. Unbeachtlichkeit rechtlicher Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . 330 a) Wahrung des Klärungsanreizes als Argument für Beachtlichkeit 330 b) Unbeachtlichkeit als Teil des gesetzgeberischen Plans . . . . . 331 aa) Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (1) Einfachheit der Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . 332 (2) Ambivalente Anreiz- bzw. Abschreckungswirkung . . 333 (3) Bewusstes Gegengewicht zum Klageanreiz . . . . . . . 334 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 2. Schutz vor Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Vorherrschen formaler Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Diskrepanzen zur Behandlung in anderen Zusammenhängen, insbesondere bei §  927 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 c) Gebotenheit stärkeren Schutzes des Irrenden . . . . . . . . . . 338

XX

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aa) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 bb) Vereinbarkeit mit der Ratio der Unterliegenshaftung . . . 340 d) Dogmatische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Privilegierte Klagerücknahme nach §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO 341 bb) Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (1) Fehlende Überzeugungskraft der formalen Betrachtung 341 (2) Mögliche Anpassung der Erledigungsprüfung . . . . . 343 (3) Präzisierung der Erledigung bei Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . 343 cc) Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 III. Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche . . 351 §  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 I. Schadensersatz- und Zinshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Lösungsrechte des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 354 I. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung . . . . . 355 1. Zurückhaltende Berücksichtigung von Rechtsirrtümern . . . . . 355 2. Großzügige Berücksichtigung von Rechtsirrtümern . . . . . . . 359 3. Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern . . . . . . . . . . . . . . . 361 II. Partielle Bedeutung des Verschuldens bei formaler Unabhängigkeit der Nachteilszuweisung von Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . 362 III. Befreiende Wirkung bzw. Hinterlegungswirkung trotz unterlassener Leistung an Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 1. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . 364 2. Hinterlegungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Sonderfall des §  291 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung . . . . 372 3. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . 375 II. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 1. Bestehender Konflikt zwischen strenger und milder Linie . . . . 377 2. Vorzugswürdigkeit der strengen Linie bezüglich ­ Leistungsverweigerung – Haftung auch bei Rechtsungewissheit 378

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XXI

a) Fehlende Überzeugungskraft herrschender Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 aa) Geltungsanspruch des Rechts und verwandte ­Argumentationsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 bb) Ausreichen einfacher statt grober Fahrlässigkeit . . . . . . 380 cc) Risikozuweisung zum Schuldner . . . . . . . . . . . . . . 381 dd) Automatische Gewährung rechtlichen Gehörs für Schuldner 381 ee) Wertung des §  291 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 ff) Gesichtspunkt der Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . 382 b) Vorläufige Zuordnung der streitbefangenen Rechtsposition als entscheidender Gesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 aa) Aus fehlendem Zugriff erwachsende Risiken des Gläubigers 383 bb) Vollstreckung durch Putativgläubiger als Vergleichsfall – maßgebliche Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . 384 cc) Haftungsprivilegierung bei Rückforderung nach vorläufig erbrachter Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 dd) Verletzung der Leistungspflicht als dogmatischer Anker . 390 c) Systemkonformität der strengen Linie im Übrigen . . . . . . . 391 aa) Fehlen des Verjährungsdrucks auf Seiten des Schuldners . 391 bb) Kompatibilität mit Anreizerwägungen . . . . . . . . . . . 391 d) Zu entkräftende Einwände gegen Ungleichbehandlung von ­Putativgläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 aa) Vergleich der Geltendmachung von Ansprüchen mit ­Geltendmachung von Einwendungen bzw. Einreden . . . 394 bb) Zufälligkeit der Rollenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . 395 cc) Vergleich mit staatlicher Berufung auf Rechtsirrtum . . . 395 dd) Verstoß gegen gesetzgeberische Vorstellungen und ­Verschuldensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 ee) Hinreichende anderweitige Steuerung des Schuldnerverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 3. Vorzugswürdigkeit der milden Linie bezüglich reiner Verteidigung – Haftung außerhalb von §§  281, 286 BGB . . . . . 398 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 b) Privilegierung bei Verursachung von Begleitschäden . . . . . 400 c) Einordnung von Leistungstreuepflichtverletzungen . . . . . . 401 4. Keine Unterschiede in der Behandlung von Rechts- und ­Tatsachenzweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 5. Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 a) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten ­Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 b) Präzisierung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung . 406

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(1) Vertrauensschutz bei Änderung einschlägiger Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 (2) Ende des Vertrauensschutzes bei aufkommenden Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (3) Sonstige rechtliche Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . 410 bb) Fehlende Vertretbarkeit einer Anspruchsbejahung . . . . . 411 6. Ausnahmen bzw. Abweichungen von der strengen Linie . . . . . 412 a) Unanwendbarkeit von §  717 Abs.  2 ZPO im korrespondierenden Fall der Anspruchsverfolgung . . . . . . 413 b) Rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem . . . . 414 aa) Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (1) Erkenntnisgrad für Versagung der Hinterlegungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (2) Nachteilszuweisung bei Verzicht auf mögliche Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 (3) Konsequenzen bei nicht hinterlegungsfähigem ­Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger . . . . . . . . . . . 418 (1) Grundsätzliche Entlastung bei Rechtsungewissheit . . 418 (2) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang . . . . . 419 c) Privilegierung des Bereicherungsschuldners . . . . . . . . . . 421 aa) Unverklagter Bereicherungsschuldner: Anforderungen an Kenntnis gemäß §  819 Abs.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . . 422 bb) Verklagter Bereicherungsschuldner . . . . . . . . . . . . . 425 d) Unzumutbarkeit für den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . 426 aa) Folgen der Nichtleistung, insbesondere Kündigungsrecht der Gegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 (a) Schutz des Schuldners durch weitere ­Kündigungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 427 (b) Verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . 428 (c) Übertragbarkeit der Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (d) Differenzierung zwischen Vertretenmüssen und ­Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 (e) Klärungsanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 bb) Besondere Schutzbedürftigkeit des Schuldners . . . . . . . 431 (1) Wohnraummieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (2) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 cc) Besondere Schwierigkeiten bei Bestimmung der Leistungspflicht: Abhängigkeit von Ermessensentscheidung 434

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dd) Besondere Nachteile im Fall der Leistung . . . . . . . . . . 435 (1) Überwiegen der Nachteile des Schuldners . . . . . . . 436 (2) Entlastung über §  275 Abs.  2, 3 BGB . . . . . . . . . . . 438 (3) Gefahr des rechts- bzw. pflichtwidrigen Verhaltens – Berücksichtigung der Wertung aus §  372 S.  2 Var.  2 BGB 439 (4) Fehlende Kondiktionsfähigkeit des Leistungsgegenstands 442 ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 e) Verantwortlichkeit des Gläubigers für Bestehen objektiver Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 aa) Gestaltung des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 446 bb) Dulden der irrigen Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . 447 f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung . . . . . . 448 1. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 a) Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 b) Hinweise des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 c) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs . . . . . . . . . . . 451 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 bb) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 cc) Qualifikation des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . 454 dd) Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft . . . . . . . . . . . . . 456 b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . 456 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 3. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation . . . . . 460 a) Verhalten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 b) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 4. Zeitpunkt der Vorwerfbarkeit: Prüfungsfrist . . . . . . . . . . . 465 5. Vorwerfbarkeit in besonderen Konstellationen . . . . . . . . . . 466 a) Rechtsirrtum bezüglich Aktivlegitimiertem . . . . . . . . . . 466 aa) Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 (1) Person des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (2) Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs . . . . . 467 (b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . 470

XXIV

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bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger . . . . . . . . . . . 471 (1) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis 471 (2) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung . . . . . . . . 472 (3) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang . . . . . 474 b) Bereicherungsschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 aa) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis . 475 bb) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung . . . . . . . . . . 476 IV. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Gläubiger . 477 V. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 1. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 2. Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 3. Sonstiges Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 §  12 Nachteil durch Prozesskostenlast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 487 I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern . . . . . . . 487 II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG . . 487 III. Gestaltungsinstrument: sofortiges Anerkenntnis, §  93 ZPO . . . . 488 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Irrtümern des Beklagten . 488 2. Ausnahmen bei Rechts- bzw. Rechtsprechungsänderungen . . . 488 3. Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit des Klägers . . . . . . 489 IV. Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich ­Aktivlegitimiertem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 1. §  94 ZPO als Ergänzung zum materiell-rechtlichen Schuldnerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. §  75 ZPO als Pendant zur Hinterlegungsmöglichkeit . . . . . . . 492 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern . . . . . 493 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 a) Schutz vor Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . 493 aa) Sofortiges Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 (1) Offenheit des Kriteriums der Klageveranlassung . . . . 494 (2) Präzisierung der Klageveranlassung in Fällen der Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . 497 (a) Etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung als ­Vertrauensgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 (b) Unsicherheit über Fortbestand der bisherigen ­Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

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XXV

bb) Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 b) Verantwortlichkeit des Gegners für Aufklärung der Rechtslage 501 c) Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 aa) §  94 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 bb) §  75 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 II. Erkenntnisgrad und Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . . . . 503 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 2. Besonderheiten bei Rechtsirrtum bzw. rechtlicher Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 §  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 A. Nachteilszuweisung: Kondiktionssperre nach §  814 Var.  1 BGB . . . . . 509 B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: ­Wissenserfordernis in §  814 Var.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 I. Erkenntnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 II. Erkenntnisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 1. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 a) Herstellung richtiger Rechtszuordnung . . . . . . . . . . . . . 515 b) Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . 516 c) Leistung und Rückforderung als Instrument zur Rechtsklärung 517 d) Vorteile gegenüber Verweis auf Leistung unter Vorbehalt . . . 518 e) Keine gegensätzliche Wertung aus §  556g Abs.  1 S.  4 BGB . . . 520 f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 2. Präzisierung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 a) Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung . . . . . . . . 521 b) Sonderfall: Fehleinschätzung der Minderungsquote im Mietrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung . . . . . . 524 1. Keine Obliegenheit zur Konsultation eines Intermediärs . . . . . 524 2. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung . . . . . . . . . . . . . . 526 a) Rechtfertigung der Beweislastverteilung zulasten des Empfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 b) Keine Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches ­Sichverschließen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 c) Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

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bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 (1) Keine Gewährung eines Anscheinsbeweises aus ­Zumutbarkeitsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . 531 (2) Weitgehendes Fehlen erforderlicher Typizität . . . . . . 531 (3) Gegenteiliger Anschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 (4) Denkbarer Anscheinsbeweis bei anspruchsverneinender Äußerung des späteren Empfängers . . . . . . . . . . . 535 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 §  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung . . . . . . 539 A. Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums . . . . . 539 I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . 540 II. Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 C. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . 543 II. Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 1. Schutz der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 2. Anzuerkennende Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 a) Feststellung verfassungswidriger Grundlage der Entscheidung 545 b) Rechtsprechungsänderung im Fall „zukunftsbezogener“ Titel 546 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

7. Teil: Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 §  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 A. Grundsätze und zugrunde liegende Wertungen . . . . . . . . . . . . . . 553 I. Schlüssiges Gesamtsystem aus den einzelnen Quadranten . . . . . 553 1. Eröffnung jeweils einer zumutbaren Verhaltensoption . . . . . . 554 2. Verknüpfung bestehender Verbindungslinien . . . . . . . . . . . 555 3. Dogmatische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 II. Zugrunde liegende Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 1. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . 557 a) Anreizfreundliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 558 aa) Belastung des Gläubigers durch strenge Verjährung . . . . 558 bb) Privilegierung des Putativgläubigers durch milde Behandlung unberechtigter Anspruchsgeltendmachung . 558 cc) Gewährung des Rückforderungsanspruchs zugunsten des Putativschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 dd) Begrenzung des Rückgriffs auf prozesskostenvermeidende Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560

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b) Anreizkompatible Ausgestaltung der Haftung für Vollstreckung, Sicherung und Leistungsverweigerung . . . . 560 aa) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Putativgläubigers aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . 560 bb) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Schuldners aus §§  280, 281, 286 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 c) Grenzen des Anreizgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 aa) Wertung aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 562 bb) Wertung aus §  93 ZPO und weiteren Normen . . . . . . . 563 cc) Tragung des Prozesskostenrisikos . . . . . . . . . . . . . . 563 2. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 a) Erstreckung auf vergleichbare Vorgehensweisen des Putativgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 b) Erstreckung auf Schuldnerhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB 566 aa) Übertragbarkeit der Wertung auf Leistungsverweigerung 566 bb) Zeitgleiches Bestehen des Risikos strenger Haftung für beide Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 cc) Grenze des Wertungstransfers bei Streitverhalten ohne ­Zurückhalten der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 (1) Privilegierung des Streitverhaltens „an sich“ . . . . . . 567 (2) Insbesondere: Unberechtigte Ausübung nicht bestehender Vertragslösungsrechte . . . . . . . . 568 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 (b) Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 570 c) Privatautonome Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 d) Bedeutung von §  717 Abs.  3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . 578 a) Partielle Abmilderung der strengen Schuldnerhaftung . . . . 578 b) Verhältnis zur verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit . . . . 579 c) Weitgehend fehlende Bedeutung bei der Putativgläubigerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 d) Partielle Abmilderung der strengen Prozesskostenlast . . . . . 580 e) Partielle Abmilderung der strengen Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 III. Denkbare Ausnahmen von den Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . 587 1. Abweichungen bei Unklarheit über Person des Gegenübers . . . 587 2. Keine Abweichungen bei Ermessensentscheidungen . . . . . . . 590 B. „Praktische Gewissheit“ als einheitlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . 591 I. Herleitung des einheitlichen Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 II. Vorzüge des einheitlichen Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 III. Überlagerung durch rechtskräftige Entscheidung . . . . . . . . . . 596 C. Präzisierung des Gewissheitsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

XXVIII

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I. Quellen des einheitlichen Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 II. Vorliegen einschlägiger, maßgeblicher höchstrichterlicher Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 1. Abstellen auf höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . 600 a) Normative Sonderstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 b) Verhinderung von Fehlanreizen und Rückschaufehlern . . . . 600 c) Anerkennung der Sonderstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 d) Keine Gleichstellung sonstiger Orientierungspunkte . . . . . 602 aa) Herrschende Instanzrechtsprechung, Behördenpraxis bzw. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 bb) Klare Gesetzesnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 e) Begriff des Höchstgerichts: Verhältnis zu BVerfG und EuGH 608 2. Anforderungen an die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 609 a) Einschlägigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 b) Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 c) Form und Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . 612 d) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 e) Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 3. Verlust der Maßgeblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 a) Eigene Kategorisierung denkbarer Anhaltspunkte für Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 b) Veränderungen des normativen oder tatsächlichen Umfeldes . 620 c) Höchstgerichtliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 d) Äußerungen der Instanzrechtsprechung bzw. der Literatur . . 626 aa) Vorüberlegungen zur Kategorisierung . . . . . . . . . . . 627 bb) Innovation als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . 629 cc) Weitere Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 e) Äußerungen von Richtern des Höchstgerichts . . . . . . . . . 633 f) Verfassungs- oder europarechtliche Kritikpunkte . . . . . . . 635 g) Abhängigkeit von Eigenschaften der höchstrichterlichen Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 4. Rückerlangung der Maßgeblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 III. Vertretbarkeitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 1. Bedarf für Vertretbarkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 2. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 §  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . 645 A. Weitgehender Ausschluss einer Substitution bei Kenntnistatbeständen . 646 I. Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis . . . . . . 646 II. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . 648 1. Anforderungen auf Ebene des Erkenntnisgegenstands und des Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

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XXIX

2. Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches Sichverschließen 649 3. Weitgehendes Ausscheiden eines Anscheinsbeweises . . . . . . . 649 B. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 I. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 II. Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . 652 1. Gründe für Annahme einer generellen Konsultationspflicht . . . 652 2. Dogmatische Grundlage: Verschuldensunabhängiges Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 III. Gewissenhafter Rechtsanwalt als maßgeblicher Intermediär . . . . 656 IV. Einschränkungen wegen Zeitnot oder fehlenden Beratungsanlasses 657 V. Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 C. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 I. Unerheblichkeit im Bereich der Verjährung und des ­verschuldensunabhängigen Vertretenmüssens . . . . . . . . . . . . 659 II. Zurechnung nach §  278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 1. Zurechnung von Fehleinschätzungen des Rechtsberaters . . . . . 660 2. Keine Zurechnung von Fehleinschätzungen durch Gerichte bzw. Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 III. Zurechnungslücke außerhalb des Anwendungsbereichs von §  278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 1. Ausweitung der bzw. Verzicht auf die Zurechnung . . . . . . . . 663 2. Deliktische Außenhaftung des Beraters . . . . . . . . . . . . . . . 663 D. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden . . . . . . . 665 I. Verkehrskreisspezifische Erwartungen an Rechtskenntnis . . . . . 665 II. Hinweise durch die Gegenseite bzw. Dritte . . . . . . . . . . . . . . 668 III. Erforderliche Intermediärskonsultation . . . . . . . . . . . . . . . . 669 1. Verhältnismäßigkeit des Beratungskostenaufwands . . . . . . . . 669 2. Qualifikation des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 a) Erfordernis der Konsultation eines Spezialisten . . . . . . . . 671 b) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation der eigenen ­Rechtsabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 aa) Erfordernis der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung 674 bb) Ausreichen der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung 674 c) Ausreichen der Konsultation sonstiger Intermediäre . . . . . . 675 d) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 aa) Erfordernis der Konsultation einer bestimmten Behörde . 676 bb) Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten 677 3. Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 4. Kontrolle der Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681

XXX

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§  17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 A. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die fremde Rechtserkenntnis . . 683 I. Denkbare Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 1. Gestaltung des Rechtsverhältnisses vor Entstehen der Streitsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 2. Dulden der irrigen Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . 686 3. Unzutreffende Ausführungen zur Rechtslage . . . . . . . . . . . 687 4. Unterlassen von Hinweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 II. Bestehen einer Aufklärungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . 690 1. Prinzipieller Unterschied zur Tatsachenaufklärung: Verfügbarkeit von Rechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 2. Gebotenheit von Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 3. Wesentliche Faktoren für Statuierung einer ­Rechtsaufklärungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 a) Hinweisgegenstand: Günstige bzw. ungünstige Umstände . . 694 b) Art der Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 aa) Rechtsberatung und Vermögensbetreuung . . . . . . . . . 695 bb) Sonstige Beziehungen mit typischem Rechtsinformationsgefälle – Schlussfolgerungen aus gesetzlichen Rechtsbelehrungspflichten . . . . . . . . . . . 698 (1) Gesetzlich verankerte Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 (2) Fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit . . . . . . . . . 700 c) Gestaltungsingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 d) Individualwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 e) Kostenersparnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 III. Voraussetzungen für Berücksichtigung zum Nachteil des Gegenübers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 IV. Dogmatisches Instrumentarium zur Berücksichtigung . . . . . . . 707 1. Berücksichtigung im Nachteilstatbestand . . . . . . . . . . . . . 708 2. Gewährung eines eigenständigen Ersatzanspruchs . . . . . . . . 708 B. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die eigene Rechtserkenntnis . . 709 §  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum . . . . . . . . . . . . 713 A. Erforderlichkeit einer Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 B. Übergreifende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 I. Maßgeblichkeit der Natur des Ausgangsirrtums . . . . . . . . . . . 714 II. Keine Trennung zwischen tatbestandsmerkmalsbezogenen und ­anspruchsbezogenen Rechtsirrtümern . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 C. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung „klärungswürdiger“ Rechtszweifel . 716

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I. „Klärungswürdige“ Rechtszweifel bei Bezug zu revisiblem Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 II. Erstreckung über revisible Gegenstände hinaus: Gegenstand einer ­Beurteilung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 D. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung verschuldensunabhängiger ­R isikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 I. Orientierung am engen Anwendungsbereich der Vorgabe „iura novit curia“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 II. Anwendung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722

8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick unter Berücksichtigung technologischer Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 §  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . 731 A. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen . . . . . . . . . . . . 731 B. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 I. Zustimmungswürdigkeit des Ziels unter besonderer Berücksichtigung künftigen Datenbedarfs . . . . . . . . . . . . . . 732 II. Defizite des aktuellen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 1. Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 2. Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 3. Lastenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 III. Alternativen zum aktuellen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 1. Herbeiführung von Grundsatzentscheidungen . . . . . . . . . . 738 2. Prozesskostenrechtliche Erleichterungen . . . . . . . . . . . . . . 739 3. Förderung von Musterverfahren und kollektivem Rechtsschutz . 742 4. Erleichterungen zugunsten des irrenden Schuldners in Fällen der rechtlichen Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 5. Sonstige Förderung der Streitaustragung . . . . . . . . . . . . . . 748 6. Verstärkte Veröffentlichung von Entscheidungen und Integration nicht staatlicher Streitentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 IV. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 1. Verzichtbarkeit strenger Verjährung und milder ­ Putativgläubigerhaftung unter Anreizgesichtspunkten . . . . . . 750 2. Denkbare Anpassungen im Gesetzesrecht und Konsequenzen . . 751 3. Präferenz für Beibehaltung der geltenden Konzeption unter ­Flankierung durch weitere Instrumente . . . . . . . . . . . . . . 753 C. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 I. Fehlende Überzeugungskraft der Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 II. Besondere Gebotenheit einer Anpassung infolge denkbaren ­Bedeutungszuwachses von „Selbstvollzug“ durch Smart Contracts 758

XXXII

Inhaltsverzeichnis

III. Konkretisierung des neuen Haftungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . 760 IV. Auswirkungen auf die Schuldnerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . 761 §  20 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . 763 A. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 B. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 C. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden . . . . . . . 765 I. Erfordernis der Nutzung von Legal Tech . . . . . . . . . . . . . . . 765 II. Ausreichen der Nutzung von Legal Tech . . . . . . . . . . . . . . . 767

Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 B. Untersuchungsquadranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 I. Quadrant 1: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 II. Quadrant 2: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche 773 III. Quadrant 3: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche 775 IV. Quadrant 4: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777 C. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 I. Ebene des Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 II. Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . 781 III. Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden . . . . . . . . . . . 782 IV. Abgrenzung des „Rechts“ als Gegenstand von Zweifel und Irrtum 783 D. Rechtspolitischer Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 I. Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades . . . . . . . . . . . . 784 II. Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit . . 785

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811

Abkürzungsverzeichnis Zu den verwendeten Abkürzungen siehe: Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9.  Aufl., Berlin 2018. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: 3. FMFG

Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes ­Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz) v. 24.3.1998 (BGBl. I S.  529) AC Law Reports, Appeal Cases BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BeckRS beck-online Rechtsprechung (Datenbank) BeschlE Beschlussempfehlung BR-Drs. Bundesrats-Drucksache BR-E Entwurf des Bundesrates BT-Drs. Bundestags-Drucksache Colum. L. Rev. Columbia Law Review CPO Civilprozeßordnung D. Digesten Justinians DCFR Draft Common Frame of Reference (zu den zitierten Vorschriften: v. Bar/Clive/Schulte-Nölke, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR), Outline Edition, München 2009) ER English Reports ERPL European Review of Private Law ErwGrd. Erwägungsgrund GEKR Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht v. 11.10.2011, KOM(2011) 635 endg. GKG-KV Gerichtskostengesetz, Anlage 1 (zu §  3 Abs.  2) – Kostenverzeichnis GVRZ Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht Iowa L. Rev. Iowa Law Review J. Legal Stud. Journal of Legal Studies jM juris – Die Monatszeitschrift jurisPR-BGHZivilR juris PraxisReport BGH-Zivilrecht jurisPR-MietR juris PraxisReport Miet- und Wohnungseigentumsrecht KartSE-RL Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatz­k lagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhand-

XXXIV

Abkürzungsverzeichnis

lungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 349, S.  1) Klausel-RL Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95 S.  29) KostRÄG 2021 Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwalts­ vergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – ­KostRÄG 2021) v. 21.12.2020 (BGBl. I S.  3229) Mot. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1888 N.Y.U. L. Rev. New York University Law Review PECL Principles of European Contract Law (zu den zitierten Vorschriften: Lando/Clive/Prüm/R. Zimmermann, Principles of European Contract Law – Part III, Den Haag 2003) PICC UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, 4.  Aufl. 2016 (zu den zitierten Vorschriften: https://www.unidroit.org/ instruments/­commercial-contracts/unidroit-principles-2016, abgerufen am 31.12.2020) PiG Partner im Gespräch – Schriftenreihe des Evangelischen Bundes­ verbandes für Immobilienwesen in Wissenschaft und Praxis ProdHaftRL Richtlinie 85/374/EWG des Rates v. 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210 S.  29) Prot. Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Berlin 1897 ff. RefE Referentenentwurf RpflEntlG Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993 (BGBl. I S.  50) RT-Drs. Reichstags-Drucksache SSRN Social Science Research Network Verbandsklagen-RL Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 S.  1) Verbraucherrechte-RL Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304 S.  64) Warenkauf-RL Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richt­linie 1999/44/EG (ABl. L 136 S.  28) WKRS Wolters Kluwer Rechtsprechung (Datenbank) WoVermRG Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung v. 4.11.1971 (BGBl. I S.  1745, 1747) ZphF Zeitschrift für philosophische Forschung

Verzeichnis der Übersichten Übersicht 1: Auswirkungen anspruchsbezogener Rechtsirrtümer – ­Untersuchungsquadranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Übersicht 2: Voraussetzungen der Nachteilszuweisung . . . . . . . . . . . . 85 Übersicht 3: Funktionen des Maßstabs „praktische Gewissheit“ . . . . . . 592 Übersicht 4: Anhaltspunkte für eine anstehende Rechtsprechungsänderung 620

1. Teil

Einführung Der Rechtsirrtum fasziniert Juristen seit Generationen. Wo es Recht gibt, gibt es auch Fehleinschätzungen hinsichtlich des Rechts.1 Deren Behandlung durch das Recht ist Gegenstand intensiver rechtswissenschaftlicher Diskussion. Der Rechts­ irrtum wird dabei als „klassische[s] dogmatische[s] Problem[]“2 eingeordnet, ja gar zu den „Schlüsselthemen der Jurisprudenz“3 gezählt. Das überrascht nicht, scheint doch die Behandlung von Rechtsirrtümern die Grundfesten der Rechtsordnung zu berühren: Untergräbt das Recht nicht sein eigenes Fundament, wo es Rechtssub­ jekte, die über das Recht irren, von Rechtsnachteilen freistellt?4 Diese Vorstellung irritiert.5

1 Vergleiche

J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  1. Engert, in: GS Unberath, S.  91, 92. 3  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 905. 4 Vergleiche Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 905: Es sei „offenkundig eine Frage von existentieller Bedeutung, in welchem Umfang eine Rechtsordnung Devianz aus Unkenntnis er­ tragen kann, ohne sich selbst aufzugeben“. 5  Engert, in: GS Unberath, S.  91, 91. 2 

§  1 Stand und Lücken der Diskussion Um aufzuzeigen, warum die Untersuchung dieses klassischen Problems aus heuti­ ger Sicht Gewinn verspricht, sollen die Entwicklung der Diskussion (A.) und der bestehende Forschungsbedarf (B.) kurz skizziert werden.

A. Entwicklung und Stand der Diskussion Die Rechtsirrtumsdiskussion lässt sich auf einen gemeinsamen Ursprung zurück­ führen (I.). Sie verzweigt sich im Wesentlichen in eine strafrechtliche (II.) und eine privatrechtliche Dimension (dazu III.).

I. „Error iuris nocet“ als Ausgangspunkt Den eingangs angerissenen Bedenken gegen eine Berücksichtigung von rechtlichen Fehlvorstellungen zugunsten des Irrenden trägt die bekannte Parömie „error iuris nocet“ Rechnung: „Der Rechtsirrtum schadet.“ Dieser Grundsatz bildet zugleich den traditionellen Ausgangspunkt des rechtswissenschaftlichen Diskurses zu dem Thema.1 Entsprechende Ansätze fanden sich schon in den Digesten.2 Diese römisch-­ rechtlichen Hintergründe der Figur des Rechtsirrtums wirkten in den Rechtsord­ nungen der deutschen Staaten bis ins 19.  Jahrhundert,3 teils gar noch weiter fort.4 Sie sind in der Literatur intensiv ausgeleuchtet worden.5

1 Exemplarisch

S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  24 m. w. N. V. a. in D. 22, 6, 9 pr.; näher unten §  5 A. 3 Vergleiche etwa Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 913, unter Verweis auf die Ansicht Thibauts; siehe auch zur Bedeutung im gemeinen Recht H. Koch, Bereicherung, S.  119–123. 4  Vergleiche etwa zum (außerhalb des hier gewählten Untersuchungsbereichs liegenden, dazu §  2 A.) §  779 BGB: RG, Urt. v. 12.4.1938 – VII 220/37, RGZ 157, 266, 270: Es erscheine gerecht, „daß jede Partei die durch ihre Rechtsunkenntnis hervorgerufenen Nachteile ebenso trage wie in allen Fällen, in denen jemand aus einem Rechtsirrtum Schaden erwächst“. 5  Auf die entsprechenden Werke kann verwiesen werden. Zu nennen ist v. a. Winkel, Error iuris, passim; unter dem Blickwinkel des Bereicherungsrechts auch H. Koch, Bereicherung, ­ S.  110–116, 119–125. Ein Abriss zur Dogmengeschichte findet sich auch bei J. Mayer, Rechtsirr­ tum, S.  28–65, ein historischer und rechtsvergleichender Überblick bei Bolgar, Iowa L. Rev. 52 (1966/67), 626 ff. 2 

4

1. Teil: Einführung

II. Strafrechtliche Entwicklung Auch in der frühen Auslegung des deutschen Strafrechts durch das Reichsgericht stellte der Grundsatz „error iuris nocet“ die Weichen:6 Fehlendes Unrechtsbe­ wusstsein bzw. ein Irrtum über strafrechtliche Normen sollten den Vorsatz nicht ausschließen können.7 Mehr noch: Strafrechtliche Ge- und Verbote müsse jeder­ mann kennen, ein Irrtum darüber sei stets schuldhaft.8 Einen entscheidenden Schritt in der Emanzipation von dieser einseitigen Sichtweise markierte eine Ent­ scheidung des Großen Senats für Strafsachen aus dem Jahr 1952. Diese konstatier­ te  – offenbar auch unter dem Eindruck der gewaltigen gesellschaftlichen und recht­ lichen Umwälzungen der vorangegangen Jahrhunderthälfte –, unverschuldete Ver­ botsirrtümer seien, gerade außerhalb des Kernstrafrechts, sehr wohl denkbar.9 An­ dererseits schließe nicht jeder Verbotsirrtum die Schuld aus; solange der Irrtum „behebbar“ sei, gereiche dies dem Täter zum Vorwurf.10 Der Große Senat wollte aber Verbotsirrtümer bewusst nicht schon auf der Ebene des Vorsatzes berücksich­ tigen. Dies hätte „eine kriminalpolitisch höchst unerwünschte und sachlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der Strafbarkeit“ zur Folge.11 Daran zeigt sich, dass die Behandlung des Rechtsirrtums im Strafrecht eng verknüpft ist mit Präventions­ gedanken,12 die im Privatrecht nicht gleichermaßen Bedeutung haben. Der Gesetz­ geber schloss sich den Erwägungen des Großen Senats im Grundsatz an, als er im Jahr 1969 die Vorschrift des §  17 StGB in ihrer aktuellen Fassung schuf: Der unver­ meidbare Verbotsirrtum lässt den Vorsatz unberührt, beseitigt aber die Schuld. Die Existenz einer solchen ausdrücklichen Regelung unterscheidet wiederum die Rechtsirrtumsdiskussion im Strafrecht von ihrem privatrechtlichen Pendant. Sie verengt die Debatte zugleich auf zwei wesentliche, „strafrechtstypische“ Teil­fragen. Erstens gilt es, Maßstäbe dazu zu entwickeln, wann ein Verbotsirrtum als ver­ meidbar anzusehen ist. Vor dieser Aufgabe steht zwar auch das Privatrecht.13 Im Strafrecht sind indes zweierlei Besonderheiten zu berücksichtigen: Einerseits wird jedenfalls im Kernstrafrecht an der Vorstellung festgehalten, aus der Kenntnis der Tatumstände folge das Wissen um die soziale Bedeutung des eigenen Verhaltens; dieses wiederum erlaube jedermann den Schluss auf die Rechtswidrigkeit.14 Ande­ 6  Ausdrücklich auf diese Parömie verweisend etwa Kindhäuser, JuS 2019, 953, 953; zur straf­ rechtlichen Entwicklung vergleiche auch den Abriss bei Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  155– 187 m. w. N. 7  Exemplarisch RG, Urt. v. 19.2.1885 – 3196/84, RGSt 12, 275, 276–277; RG, Urt. v. 2.2.1923  – IV 659/22, RGSt 57, 205, 206; RG, Urt. v. 15.11.1923 – II 579/23, RGSt 58, 10, 11. 8  So die zusammenfassende Deutung durch BGH (GrSSt), Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 594. 9  BGH (GrSSt), Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 594–595. 10  BGH (GrSSt), Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 594. 11  BGH (GrSSt), Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 595. 12  Siehe etwa Christoph Wolf, Error facti, S.  680, 683. 13  Siehe unten §  6 A. und zusammenfassend §  16. 14  Siehe etwa Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  9 0 m. w. N.; zur umstrittenen Lage im Neben­ straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht näher Neumann, a. a. O., Rn.  9 0–95. EuGH (Große Kam­

§  1 Stand und Lücken der Diskussion

5

rerseits ist zu bedenken, dass die Verhängung staatlicher Sanktionen in Rede steht. Für nicht unmittelbar einsichtige Straftatbestände trägt der Staat selbst die Verant­ wortung. In solchen Fällen lässt sich das Gebot einer hinreichenden Entlastung des Bürgers durch §  17 StGB aus dem Gesichtspunkt staatlicher Ingerenz ableiten.15 Zweitens bedarf es vorgelagert der Einordnung, ob der mögliche Täter einem Verbots- oder vielmehr einem (vorsatzausschließenden) normativen Tatbestandsbzw. Tatumstandsirrtum16 erlegen ist.17 Diese Abgrenzungsfrage prägt die straf­ rechtliche Rechtsirrtumsdiskussion.18 Eine allseits befriedigende Lösung ist bislang nicht gefunden.19 Die Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahr 1952 hatte zumindest die reichsgerichtliche Differenzierung in straf- und außerstrafrechtliche Irrtümer als nicht überzeugend und logisch undurchführbar verworfen.20 Zuletzt hat der BGH seiner eigenen Rechtsprechung attestiert, Abgrenzungsschwierigkei­ ten zu provozieren, sich aber zugleich in einen „Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen“ geflüchtet.21 Die beschriebene Problematik findet ihren Grund in der strafrechtlichen Deliktsstruktur.22 Es fehlt ihr deshalb im Privatrecht an einem echten Pendant.23 Jedenfalls stehen vergleichbare Abgren­ zungsfragen dort nicht gleichermaßen im Fokus der Rechtsirrtumsdebatte.24 Echte mer), Urt. v. 18.6.2013 – C-681/11, NJW 2013, 3083, 3084 Rn.  37–39 – Schenker, hält einen Verbots­ irrtum für die Verhängung einer Kartellbuße für unbeachtlich, sofern das Unternehmen ange­ sichts der Tatsachenkenntnis nicht im Unklaren über die Wettbewerbswidrigkeit sein konnte. 15 Näher Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  268–271. 16 Dazu etwa Kindhäuser, JuS 2019, 953, 959 („Die Besonderheit normativer Eigenschaften liegt darin, dass sie ohne das Regelsystem, in dem sie bestehen, nicht existent sind.“). 17  Diese zweite Frage ist teils mit der ersten verflochten: Die Einstufung als Tatumstandsirr­ tum vermag bei wenig evidenten Normen die Annahme einer Strafbarkeit zu vermeiden, wie sich beispielsweise bei Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  95, zeigt. 18  Eingehend zuletzt Christoph Wolf, Error facti, passim. Überblick bei Harnos, Geschäftsleiter­ haftung, S.  155–187; Kindhäuser, JuS 2019, 953, 959 Fn.  25–26; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, §  17 Rn.  12 (jeweils m. w. N.). 19  Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.   178; Christoph Wolf, Error facti, S.  683 („massive Un­ schärfen“). 20  BGH (GrSSt), Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 595. 21  So BGH, Urt. v. 18.7.2018 – 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467, 3468 Rn.  10, zum Betreiben er­ laubnispflichtiger Tätigkeiten. Siehe auch die Rechtsprechungsänderung des 1. Strafsenats, der beim unterlassenen Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen (§  266a StGB) nunmehr Irrtümer über die arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung als (vorsatzausschließende) Tat­ umstandsirrtümer qualifiziert, BGH, Beschl. v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, NJW 2019, 3532. 22 Anschaulich Kindhäuser, JuS 2019, 953, 954–955. 23  Zumindest auf Grundlage der im Zivilrecht herrschenden Ansicht lässt der Irrtum über die Rechtswidrigkeit, selbst wenn er vermeidbar war, den Vorsatz entfallen (zum Streit um die Vor­ zugswürdigkeit der Schuld- oder der Vorsatztheorie im Zivilrecht Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  26; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  158–159 – jeweils m. w. N.). Auf Basis dessen kommt es auf eine Trennung in verschiedene Rechtsirrtumskategorien nicht an. Selbst wenn man der Gegenauffassung folgte und nur bei Unvermeidbarkeit des Irrtums die Schuld entfallen lassen wollte, blieben die Auswirkungen auf die praktischen Ergebnisse gering; schließlich wird zivil­ rechtliches Verschulden nach §  276 Abs.  1 BGB im Regelfall auch durch Fahrlässigkeit begründet (siehe bereits Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 45, 46–47). 24  Siehe zur Gleichbehandlung von tatbestandsmerkmal- und anspruchsbezogenen Rechtsirr­ tümern noch §  7 C. I. 4., §  18 B. II.

6

1. Teil: Einführung

Überschneidungen ergeben sich lediglich, wo die Zivilgerichte im Rahmen von §  823 Abs.  2 BGB explizit die strafrechtlichen Maßstäbe – mitsamt den einschlägi­ gen Abgrenzungsfragen – heranziehen.25

III. Privatrechtliche Diskussion Die Befassung mit dem Rechtsirrtum im Privatrecht lässt gewisse Konjunkturwel­ len erkennen. Jedenfalls seit Ende der 1960er-Jahre ist die Diskussion aber nicht mehr abgerissen. Das Verdienst, die Debatte wiederbelebt zu haben, wird mit Recht den Beiträgen von Rittner (1967) 26 und Mayer-Maly (1970) 27 zugeschrieben.28 Schon der Letztgenannte attestierte dem Rechtsirrtum eine „nouvelle jeunesse“.29 Knapp zwanzig Jahre später erkannte Jörg Mayer eine „Renaissance“30 der Thematik. ­Ihren fortdauernden Reiz bezieht diese vor allem aus der Verbindung der reich­ haltigen Dogmengeschichte mit „rechtspolitischer Aktualität“.31 An vielen Stellen hat sich in den letzten Jahren eine erhebliche praktische Bedeutung gezeigt.32 Die Rechtsirrtumsproblematik hat es auf diesem Weg in den privatrechtlichen „Main­ stream“ geschafft. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass das Privatrecht für das Phänomen des Rechtsirrtums keine gleichförmigen, schematischen Lösungen be­ reithalten kann.33 Schon im römischen Recht war der Grundsatz „error iuris nocet“ keineswegs als holzschnittartige Entscheidungsregel zu verstehen, sondern von Ausnahmen durchsetzt.34 Von einer pauschalen Nachteilszuweisung zum Rechts­

25  Siehe exemplarisch BGH, Urt. v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250, 1252–1254 Rn.  23–39, zum Verbotsirrtum bei unerlaubten Bankgeschäften; BGH, Urt. v. 30.7.2019 – VI ZR 486/18, NJW-RR 2019, 1524, 1526–1527 Rn.  23–29, zum Verbotsirrtum bei unerlaubten Rechts­ dienstleistungen. 26  Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391 ff. 27  Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133 ff. Mayer-Maly hat sich in weiteren Werken dem Rechts­ irrtum und verwandten Fragen gewidmet, siehe neben den später noch zitierten Beiträgen in FS Bötticher, S.  243 ff. (Arbeitsrecht), und in FS Lange, S.  293 ff. (Bereicherungsrecht), auch Werke wie Rechtskenntnis und Gesetzesflut, Salzburg 1969, und Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, Karlsruhe 1971. 28  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  3. 29  Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 133. 30  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  3. 31 Diese Verbindung beschreibend Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 133–134; siehe auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906. 32  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906, sehen gar eine für die Praxis „überragende Bedeu­ tung“. Dies gilt beispielsweise für die Frage eines Hinausschiebens des Verjährungsbeginns bei unsicherer bzw. aussichtsloser Rechtslage (dazu bei §  7), die Haftung für eine unberechtigte Rechtsverfolgung (dazu bei §  9) oder für die Folgen des rechtsirrtumsbedingten Verzugs von Wohnraummietern (dazu bei §  11). Die Diskussion zur Binnenhaftung von Geschäftsleitern für Rechtsanwendungsfehler wird v. a. bei §  16 aufgegriffen. 33  Siehe bereits Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 420: Es verböten sich „Einheitslösungen“. 34  Die Ausnahmen betonend etwa schon RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 98–99; auch Bolgar, Iowa L. Rev. 52 (1966/67), 626, 636, 640; siehe näher §  5 A. mit Fn.  6.

§  1 Stand und Lücken der Diskussion

7

irrenden haben sich nicht zuletzt die Verfasser des BGB distanziert.35 Eine grund­ sätzliche Offenheit gegenüber differenzierenden Lösungen gebietet schon der Um­ stand, dass Rechtsirrtümer in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen Relevanz erlangen können.36 So kann die Berufung auf einen Rechtsirrtum etwa zu Exkul­ pationszwecken erfolgen,37 die Anfechtung einer Willenserklärung zu begründen versuchen 38 oder dazu dienen, den guten Glauben im Rahmen eines Erwerbstat­ bestands zu manifestieren.39 Die Kontextvielfalt prägt den Diskurs inzwischen stärker als das im Kern identi­ sche Ausgangsphänomen. Dies spiegelt sich in den bisherigen Untersuchungsansät­ zen wider. Eine erste Gruppe befragt einzelne Rechtsgebiete nach ihrem jeweiligen Umgang mit Rechtsirrtümern. So liegen beispielsweise für das Bereicherungsrecht oder das Arbeitsrecht entsprechende Abhandlungen vor.40 Eine zweite Herange­ hensweise nähert sich von konkreten Tatbestandsmerkmalen her. So wurde zuletzt die Bedeutung des Rechtsirrtums für die Verschuldenshaftung – auch unter Inte­ gration rechtsökonomischer Ansätze – intensiv untersucht.41 Auch am Kenntnis­ begriff ist bereits angesetzt worden.42 Schließlich finden sich Kombinationen aus beiden Ansätzen. Diese Abhandlungen untersuchen die Bedeutung des Rechts­ irrtums auf das Verschulden in einem bestimmten rechtlichen Kontext. Neben Be­ reichen wie dem Kartellrecht43 stand insoweit besonders die gesellschaftsrechtliche Binnenhaftung von Geschäftsleitern im Fokus. Zu dieser wurden zahlreiche Mo­ nografien und längere Abhandlungen verfasst.44 Wenngleich die genannten Beiträge teils beachtliche grundlegende Überlegun­ gen zum Rechtsirrtum anstellen, bleiben solche doch Hilfsmittel zur Erhellung ei­ nes begrenzten Teilbereichs. Umfassendere Untersuchungen, die sowohl verschie­ dene Rechtsgebiete als auch unterschiedliche Tatbestandsmerkmale adressieren, 35 

Siehe unten §  5 A. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 911, betonen, dass „es kaum ein zweites juristisches Phänomen geben dürfte, das vielfältiger, heterogener, normen- und kontextabhängiger ist“; siehe auch Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  233. 37  So etwa durch den Verzugsschuldner (dazu unten §  11) oder einen Geschäftsleiter (dazu§  16). 38  Dazu eingehend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  157–212; Musielak, JZ 2014, 64 ff. 39  Exemplarisch RG, Urt. v. 20.11.1937 – V 307/36, RGZ 156, 122, 128: Artz, in: Erman, §  892 Rn.  28; Kindl, in: BeckOK-BGB, §  932 Rn.  15; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  228–238. 40  Zum Bereicherungsrecht Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293 ff., daneben auch H. Koch, Berei­ cherung (u. a. zum Rechtsirrtum); zum Arbeitsrecht Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243 ff. und in jüngerer Zeit eingehend Zedler, Rechtsrisiko. 41 Allgemein Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905 ff. (unter bewusster Begrenzung auf die Ver­ schuldenshaftung, a. a. O., 911); mit besonderem Fokus auf die ökonomische Analyse Engert, in: FS Kirchner, S.  735 ff.; Engert, in: GS Unberath, S.  91 ff. 42  Dazu v. a. Bauer, in: GS Schultz, S.  21 ff. 43  Jeweils unter Einbeziehung des Ordnungswidrigkeitenrechts Fabian Dietrich, Der Rechts­ irrtum im Kartellrecht, Diss. Bonn 2006; Harnos, Geschäftsleiterhaftung (der das Kartellrecht als „Referenzmodell“ wählt, a. a. O., S.  27); siehe zudem Ackermann, in: FS Köhler, S.  1 ff. 44  Siehe – neben dem bereits erwähnten Werk von Harnos, Geschäftsleiterhaftung, und dem später zitierten Kaulich, Haftung – zu weiteren Monografien die Nachweise bei Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35 in Fn.  106; als Beispiele aus der vielfältigen übrigen Literatur siehe J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413 ff.; Thole, ZHR 173 (2009), 504 ff.; Verse, ZGR 2017, 174, 192 ff. 36 

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1. Teil: Einführung

sind deutlich seltener.45 Aufzuführen ist hier neben den soeben schon erwähnten Abhandlungen Rittners und Mayer-Malys vor allem die Dissertation Jörg Mayers aus dem Jahr 198946 . Vor allem der Beitrag Mayer-Malys und die Schrift Mayers sind zweifellos diskursprägend. In ihrer Herangehensweise unterscheiden sie sich indes deutlich. Mayer-Malys Kernanliegen besteht darin, auf Grundlage der Quel­ len zur Genese des BGB ein grundsätzliches Postulat der Gleichbehandlung von Rechts- und Tatsachenirrtümern zu entwickeln und dies der teilweise praktizierten „Diskriminierung“47 des Rechtsirrtums entgegenzusetzen. Dieser von Mayer-­Maly geprägte Terminus wird trotz des Umstands, dass der Begriff heutzutage vornehm­ lich anders konnotiert sein dürfte, in der Rechtsirrtumsdiskussion (und auch im Folgenden) weiterhin verwendet.48 Anders als Mayer-Maly hat sich Jörg Mayer hingegen explizit zum Ziel gesetzt, eine bis dato fehlende „möglichst umfassende Übersicht über die Behandlung des Rechtsirrtums im deutschen bürgerlichen Recht zu geben“49 und so „zu einer Bestandsaufnahme und Systematisierung des vielschichtigen Problems“ beizutragen.50

B. Bestehender Forschungsbedarf Die Lösung von einem streng verstandenen Grundsatz „error iuris nocet“ und die Auffächerung des Problemkreises bleiben nicht folgenlos. Trotz der vorhandenen wissenschaftlichen Annäherungsversuche wird die derzeitige Rechtsirrtumsdok­ trin als „fast konturenlos“ kritisiert.51 Der Vorwurf richtet sich auch und gerade an die Adresse der Rechtsprechung. Diese übe sich in sämtlichen Gerichtsbarkeiten „bei Fragen des Rechtsirrtums in kaum systematisierbarer Einzelfalljudikatur“.52 Irritationen ruft vor allem das Schwanken zwischen Nachsicht und Strenge bei der Behandlung von Rechtsirrtümern hervor.53 Dieses Störgefühl erscheint im Ansatz nachvollziehbar, muss aber nicht zwingend begründet sein. Dass pauschale Lösun­ gen der Problematik ebenso wenig gerecht würden, ist bereits betont worden.54 Es besteht also offensichtlich Bedarf für die weitere dogmatische Durchdringung und Ordnung des Problemkomplexes. Die wissenschaftliche Herausforderung lautet: Gelingt es, die inkonsequent oder gar willkürlich scheinenden Unterschiede bei der 45  Ein frühes Werk, das einen solchen übergreifenden Ansatz wählte, ist Frede, Rechtsirrtum (1933). 46  J. Mayer, Rechtsirrtum. 47  Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, u. a. 145, 147, 153. 48  Siehe etwa Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  277; J. Mayer, Rechtsirrtum, u. a. S.  32, 33, 39; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  24. 49  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  4. 50  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  5. 51 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 929. 52  Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 357. 53  Siehe etwa Ackermann, in: FS Köhler, S.  2–4, 6; Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 909; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  287. 54  Siehe oben A. III. mit Fn.  33.

§  1 Stand und Lücken der Diskussion

9

privatrechtlichen Behandlung von Rechtsirrtümern auf ein schlüssiges System zu­ rückzuführen, das einzelne Teilbereiche überspannt? Die folgende Untersuchung versucht diese Herausforderung zu bewältigen und hierzu offene Flanken der bis­ herigen Forschung zu schließen. Soweit sich die vorhandenen Betrachtungen bewusst auf einzelne Rechtsgebiete oder Tatbestandsmerkmale konzentrieren, fällt es naturgemäß schwer, Verbin­ dungslinien zwischen den Teilbereichen der Thematik zu ziehen und wertend zu berücksichtigen. Eine zu starke Parzellierung droht übergreifende Erklärungsmus­ ter zu verdecken. Der Status quo der Rechtsirrtumsdogmatik mag dann vorschnell als widersprüchlich und unbefriedigend erscheinen. Zugleich belegt die vorhande­ ne Literatur, dass auch eine übermäßige Ausweitung des Blickwinkels mit Schwie­ rigkeiten zu kämpfen hat. So lässt sich dem Werk Jörg Mayers zweifelsohne attes­ tieren, eine bis dahin in dieser Breite nicht vorhandene Darstellung der privatrecht­ lichen Rechtsirrtumsproblematik geliefert zu haben. Mayer ist dabei auch durchaus bemüht, auf verbindende Topoi und gemeinsame Erklärungsansätze einzugehen.55 Die nahezu enzyklopädische Herangehensweise lässt aber, gepaart mit der schieren Weite des Untersuchungsgegenstands, kaum Raum für die Ausformung eines greif­ baren Systems. Auch die Untersuchung Mayer-Malys setzt übergreifend an. Sie fokussiert dabei jedoch die Frage, ob Tatsachen- und Rechtsirrtum gleichzubehandeln sind. Die Frage nach Sachgründen für eine Diskriminierung ist fraglos berechtigt. Die Prob­ lematik bleibt dadurch aber zwangsläufig akzessorisch zur Behandlung sonstiger Irrtümer. Einem eigenen System für die Behandlung von Rechtsirrtümern wird nicht nachgespürt. Die Gefahren einer zu weiten Perspektive zeigen sich zum Teil sogar in den Beiträgen, in denen Mayer-Maly die Behandlung des Rechtsirrtums in konkreten Rechtsgebieten untersucht. Wenn etwa im Kontext des Arbeitsrechts unvermittelt BAG-Rechtsprechung zum Einfluss des Rechtsirrtums bei der Wil­ lensbildung bzw. Auslegung zitiert wird, nachdem sich die Betrachtung zuvor aus­ schließlich der Verschuldensfrage gewidmet hat,56 ist dieser Ansatz mit Blick auf das Ziel einer Systembildung sowohl zu eng (nämlich beschränkt auf das Arbeits­ recht) als auch zu weit (ohne Rücksicht auf den jeweiligen Zweck, den die Berufung auf den Irrtum verfolgt). Die vorliegende Untersuchung setzt sich zum Ziel, auf dem verbleibenden Grat zu wandeln. Sie möchte den privatrechtlichen Rechtsirrtum einerseits stärker als letzthin üblich aus seiner Kontextabhängigkeit lösen. Sie hat, bildlich gesprochen, den Anspruch, in der Landschaft der Rechtsirrtumsproblematik nicht nur einzelne Ortschaften zu kartieren, sondern sie in solcher Höhe zu überfliegen, dass durch die Gesamtschau neue Erkenntnisse zur Topografie gewonnen werden können. Grundbedingung dafür ist es andererseits, solche „Flughöhen“ zu meiden, aus de­ nen nur noch das unscharfe Bild einer weiten Fläche erkennbar ist. 55 

56 

Siehe v. a. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  26–64. So bei Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 250–251.

§  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung Wie das soeben abstrakt bezeichnete Vorhaben konkret umgesetzt werden soll, ist im Folgenden zu skizzieren.

A. Anspruchsgeltendmachung und -verteidigung als sinnvoll bemessener Untersuchungsbereich – Einteilung in „Quadranten“ Als Anknüpfungspunkt bei der Bestimmung des für das Unterfangen tauglichen Untersuchungsgebiets drängt sich der materiell-rechtliche Anspruch im Sinne von §  194 Abs.  1 BGB auf. Es handelt sich dabei schließlich um einen Zentralbegriff des deutschen Privatrechts.1 Setzt man an der Anspruchsbeziehung zwischen zwei Pri­ vatrechtsubjekten an, ermöglicht dies zugleich, vier klar konturierte Dimensionen zu identifizieren, in denen Rechtsirrtümer potenziell wirken können. Auf einer ers­ ten Stufe lässt sich danach unterscheiden, ob die Situation der Anspruchsverfolgung oder die der Anspruchsverteidigung betroffen ist. Auf einer zweiten Ebene kann danach differenziert werden, ob der Irrende seine (Angriffs- oder Verteidigungs-) Position über- oder unterschätzt. Es ergibt sich die folgende Matrixstruktur: Übersicht 1: Auswirkungen anspruchsbezogener Rechtsirrtümer – ­Untersuchungsquadranten Unterschätzen der eigenen Position

Überschätzen der eigenen Position

Anspruchs­ verfolgung

rechtsirrtümliches Unterlassen der Anspruchsverfolgung

rechtsirrtümliche Anspruchs­ verfolgung

Anspruchs­ verteidigung

rechtsirrtümliches Unterlassen der Anspruchsverteidigung

rechtsirrtümliche Anspruchs­ verteidigung

Möchte man im oben bemühten Bild der Kartografie bleiben, lassen sich die vier Teilkomplexe als „Quadranten“ bezeichnen. Mit dieser Unterteilung ist nicht nur eine logische Struktur für die folgende Un­ tersuchung gewonnen. Vielmehr birgt sie angesichts der gemeinsamen Wurzel in der Anspruchsbeziehung hinreichendes Potenzial für systematische „quadranten­ 1  Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  194 Rn.  1, die in einem historischen Abriss (a. a. O., Rn.  2–3 m.N.) v. a. auf die Grundlegung durch Windscheid hinweisen.

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1. Teil: Einführung

übergreifende“ Schlussfolgerungen. Zugleich erscheint ein tragfähiger Kompro­ miss gefunden zwischen einer hinreichenden Weite der Untersuchung und der ­notwendigen Konzentration auf einen noch überschaubaren Komplex, in dem sich relevante Verbindungslinien ergeben. Vor allem erfasst die Betrachtung auch ­ Rechts­folgen außerhalb der Verschuldenshaftung: So kann das rechtsirrtümliche Unterlassen der Anspruchsverfolgung im Eintritt der Verjährung resultieren, und nach einem rechtsirrtümlichen Verzicht auf eine Verteidigung stellt sich die Frage, ob eine Kondiktion möglich ist. Durch das Anknüpfen an Anspruchsverfolgung und -verteidigung wird zudem auch solche Literatur erschlossen, die nicht explizit den Rechtsirrtum in den Fokus nimmt, die Problematik aber miterfasst.2 Der ge­ wählte Zuschnitt gewährleistet die Anschlussfähigkeit an derlei Werke. Mit der positiven Bestimmung der vier Quadranten gelingt zugleich eine Aus­ grenzung bestimmter Teilbereiche der Rechtsirrtumsdiskussion, für die besondere, nicht ohne Weiteres „transferfähig“ erscheinende Erwägungen und Wertungen ausschlaggebend sind. Das gilt besonders für die strafrechtliche Dimension des Themas. Auf die speziellen Schwerpunkte und Wertungen, die dort den Diskurs prägen, ist bereits hingewiesen worden.3 Vergleichbares gilt für das öffentliche Recht insgesamt – auch in der Ausprägung als Amts- bzw. Staatshaftungsrecht. Zwar hat insbesondere Jörg Mayer diesen Bereich in seine Untersuchung einbezo­ gen.4 Er erkennt jedoch selbst, dass die Behandlung des Rechtsirrtums in diesem Kontext „ganz entscheidend von den dort herrschenden Strukturprinzipien und vorhandenen Sonderproblemen beherrscht“ wird.5 Ulrich Huber spricht gleich­s­in­ nig von den „eigenen Regeln“6 des Amtshaftungsrechts. Die vorliegende Untersuchung lässt auch im Privatrecht bestimmte Teilbereiche der Rechtsirrtumsproblematik außen vor. Dies betrifft vor allem die Frage, inwie­ weit sich Rechtsirrtümer auf den Fortbestand rechtsgeschäftlicher Bindungen aus­ wirken.7 In diesem Kontext erweisen sich Eigenheiten der Willenslehre, insbeson­ dere solche der kompromisshaft formulierten §§  119 ff. BGB, als maßgeblich. 8 Die 2  So etwa weite Teile der Literatur zur unberechtigten Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung, siehe insb. K.-J. Götz, Ersatzansprüche; Haertlein, Exekutionsintervention; Häsemeyer, Scha­ denshaftung; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531 ff.; Thole, AcP 209 (2009), 498 ff. 3  Siehe oben §  1 A. II. 4  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  122–133. 5  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  128. Hinzu kommt auch hier der Ingerenzgedanke (dazu schon oben zum Strafrecht §  1 A. II.), J. Mayer, a. a. O., S.  129. 6  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  720. 7  Dazu eingehend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  157–227; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  86–142. Eine Bedeutung für die Anspruchsverfolgung und -verteidigung ergibt sich allenfalls mittelbar, näm­ lich wenn gerade aufgrund eines Irrtums über das Bestehen eines Anspruchs eine rechtsgeschäft­ liche Bindung eingegangen wird, die fortan die Anspruchsverfolgung bzw. -verteidigung aus­ schließt. Paradebeispiel ist der Prozessvergleich. Ein weiterer Anwendungsfall ist der Abschluss einer Unterlassungsvereinbarung in der irrtümlichen Annahme, unterlassungsverpflichtet zu sein, vergleiche dazu z. B. Chudziak, GRUR 2012, 133, 137–140. 8  Vordergründig ist zu ermitteln, welche rechtlichen Vorstellungen sich als Inhalt der Willens­ erklärung (im Sinne des §  119 Abs.  1 Var.  1 BGB) wiederfinden, BAG, Urt. v. 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, NJW 1983, 2958, 2958; Musielak, JZ 2014, 64, 65; so auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  167

§  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung

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Auswirkungen von Rechtsirrtümern auf die Wirksamkeit von Vergleichen nach §  779 Abs.  1 BGB9 sind ebenso in diesen Kontext einzuordnen wie die Folgen, die sich im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage (§  313 BGB) ergeben.10 Die Wahl des Anspruchs als Ausgangspunkt gewährleistet auch im Übrigen eine Gleichförmigkeit der Problemstellung in den verschiedenen Abschnitten der Un­ tersuchung. Eine solche erscheint als Grundbedingung für übergreifende, aber gleichwohl fassbare Erkenntnisse. Erstens wird grundsätzlich nicht an den Irrtum über sonstige subjektive Rechte (vor allem Gestaltungsrechte) angeknüpft.11 Zwei­ tens wird versucht, das sich ergebende Bild möglichst klar zu halten, indem auf die nähere Betrachtung solcher Rechtsirrtümer verzichtet wird, die – nach zutreffend erkanntem „Ob“ des Anspruchs – erst das „Wie“ der Geltendmachung bzw. Vertei­ digung betreffen. In dieser Kategorie mischen sich so divergente Fehlvorstellungen wie die über die gerichtliche Zuständigkeit bzw. die Länge gesetzlicher Fristen mit Irrtümern über die Zulässigkeit eines bestimmten Angriffs- oder Verteidigungs­ verhaltens. All dies bedeutet nicht, dass Berührungspunkte und Wechselbeziehungen mit außerhalb der Untersuchung liegenden Bereichen kategorisch ausgeschlossen wä­ ren. Doch brächte eine Einbeziehung die Gefahr mit sich, den oben beschriebenen Grat zu verlassen: zugunsten formal umfassenderer Ergebnisse, aber zulasten des Erkenntnisgewinns.

m. w. N. Hinter diesem Qualifikationsproblem steht allerdings die (auch bezüglich Tatsachen­ irrtümern relevante) Frage, wie die Balance zwischen Privatautonomie und Verkehrsschutz her­ zustellen ist, vergleiche Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 170; Thomale, in: Unsicherheiten, S.  269, 274–276 (der a. a. O., S.  271, treffend beobachtet, der Irrtumsbegriff des Anfechtungsrechts sei „stark funktionalisiert“). 9  §  7 79 Abs.  1 BGB soll einen besonderen Fall des gemeinsamen Motivirrtums betreffen, siehe Bork, in: jurisPK-BGB, §  779 Rn.  14. Die höchstrichterliche Rechtsprechung lehnt eine Anwen­ dung der Vorschrift auf reine Rechtsirrtümer im Ausgangspunkt ab, grundlegend RG, Urt. v. 12.4.­1938 – VII 220/37, RGZ 157, 266, 269–271; siehe auch BGH, Urt. v. 24.9.1959 – VIII ZR 189/58, NJW 1959, 2109, 2109; BGH, Urt. v. 7.6.1961 – VIII ZR 69/60, NJW 1961, 1460; anders OLG Nürnberg, Urt. v. 23.8.2005 – 3 U 991/05, NJW 2005, 3000, 3001; Habersack, in: MüKo-­ BGB, §  779 Rn.  65. Allerdings hat es auch die höchstrichterliche Judikatur mehrfach als relevanten Irrtum eingestuft, wenn die Parteien eine unzutreffende Vorstellung über das Bestehen eines An­ spruchs bzw. eines Rechtsverhältnisses hatten, unabhängig davon, ob dieser Irrtum (ausschließ­ lich) durch eine falsche rechtliche Beurteilung bedingt ist, siehe ansatzweise RG, Urt. v. 11.12.­ 1925  – VI 417/25, RGZ 112, 215, 218; eindeutig BGH, Urt. v. 13.5.1954 – IV ZR 27/54, BeckRS 1954, 31397922; BGH, Urt. v. 13.12.1962 – III ZR 127/61, WM 1963, 594, 597. 10  Auch Fehlvorstellungen zur Rechtslage kann Relevanz zukommen, siehe BAG, Urt. v. 9.7.­ 1986 – 5 AZR 44/85, BAGE 52, 273 = NJW 1987, 918, 918; BGH, Urt. v. 23.10.1957 – V ZR 219/55, BGHZ 25, 390 = NJW 1958, 297, 298; BGH, Urt. v. 5.9.2001 – XII ZR 108/00, NJW 2001, 3618, 3620; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  313 Rn.  66; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  215–216. 11  Der Irrtum über einen Anspruch kann allerdings aus einer rechtlichen Fehleinschätzung hinsichtlich der Ausübung eines Gestaltungsrechts resultieren, etwa wenn die Wirksamkeit einer Kündigung verkannt und vom Fortbestehen der Ansprüche ausgegangen wird.

14

1. Teil: Einführung

B. Einbeziehung des Prozessrechts Die Fokussierung der Anspruchsbeziehung bringt mittelbar einen weiteren, zu­ nächst weniger offensichtlichen Vorteil mit sich. Die Verwirklichung von Ansprü­ chen stellt das typische Rechtsschutzziel im Zivilprozess dar.12 Die Zusammenhän­ ge mit der gegebenenfalls erforderlichen gerichtlichen Durchsetzung treten daher besonders deutlich zutage.13 Die zivilprozessrechtliche Dimension des anspruchs­ bezogenen Rechtsirrtums wird jedoch in der bisherigen Diskussion stiefmütterlich behandelt. Die vorliegende Behandlung des Themas möchte diesen weißen Fleck tilgen. Das Motiv besteht dabei nicht darin, dem Rechtsirrtumsdiskurs schlicht ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Entscheidend ist vielmehr die Erwartung, im Zivil­ prozessrecht auf Wertungen zu stoßen, die sich auch für die übrige Behandlung von anspruchsbezogenen Rechtsirrtümern fruchtbar machen lassen. Das gilt für die Aufdeckung und Entwicklung genereller wie spezieller Wertungen und Bewer­ tungsmaßstäbe, aber ebenso für die vorgelagerte Suche nach den Umständen, die das Recht zu einem besonderen Irrtumsgegenstand machen.14 In den Blick genommen wird hier das Recht als Gegenstand der Rechtsfindung im Erkenntnisverfahren und der Rechtsdurchsetzung im Vollstreckungsverfahren. Einen ersten Eindruck von denkbaren Verbindungslinien vermittelt die Gegen­ überstellung des hergebrachten Grundsatzes „error iuris nocet“ – im Sinne einer umfassenden Belastung des Rechtsirrenden – mit dem prozessrechtlichen Grund­ satz „iura novit curia“. Letzterer steht gerade für eine weitgehende Entlastung der Parteien vom Rechtsirrtumsrisiko.15 Der Blick auf dieses Spannungsfeld verspricht Erkenntnisse, die über die bisher erzielten hinausgehen. Gerade die Gesamtschau von materiellem Recht und Prozessrecht erscheint geeignet, neue Einsichten zutage zu fördern.16 Zustimmung verdient insoweit die pragmatische Prämisse, dass auch Streit, Streitentscheidung und -beilegung für die praktisch geltende Privatrechts­ ordnung von elementarer Bedeutung sind.17

12  Vergleiche zum Verhältnis zwischen Anspruch und „Klaganspruch“ Peters/Jacoby, in: Stau­ dinger, §  194 Rn.  5. 13  Zum fortbestehenden Zusammenhang mit dem Prozessrecht siehe Peters/Jacoby, in: Stau­ dinger, §  194 Rn.  4. 14  Dazu sogleich §  3. 15  Dazu näher §  3 A. II. 1. sowie das Werk von Meier, Iura. Siehe als Beispiel für das sich bilden­ de Spannungsfeld etwa die Ansicht von Sturm, JR 1972, 43, 44, den in rechtlicher Hinsicht irren­ den Kläger treffe gegenüber dem Beklagten keine Schadensersatzhaftung, weil sonst der Satz „iura novit curia“ pervertiert werde, wonach die rechtliche Bewertung dem Gericht obliege (Kri­ tik daran bei §  9 C. III. 2. [vor a)]). 16  Vergleiche etwa die Kritik an der Inkonsequenz des Systems der Streithaftung, zu der es durch die Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht gekommen sei, bei Häsemeyer, Scha­ denshaftung, S.  2, 9. 17 Treffend Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 80.

§  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung

15

C. Methode der Untersuchung Die oben geschilderte Kritik an der vorherrschenden Behandlung des Rechtsirr­ tums im Privatrecht erhebt vor allem den Vorwurf der Inkohärenz bzw. Wider­ sprüchlichkeit.18 Damit wird ein überzeugender Bewertungsmaßstab angedeutet: Es geht um die Folgerichtigkeit der Rechtsordnung.19 Bestehende Wertungswider­ sprüche mögen nicht immer die Schwelle zum Verfassungsverstoß (Art.  3 GG) überschreiten.20 Die Widerspruchsfreiheit lässt sich aber als (auch mit Blick auf die Verfassung gebotenes) Idealziel der Rechtsanwendung formulieren.21 Die Kritik, die Rechtsirrtumsbehandlung entbehre der Folgerichtigkeit, kann mithilfe einer dogmatischen Untersuchung auf den Prüfstand gestellt werden.22 Eine solche Her­ angehensweise verspricht nicht bloß, sachgerechte Vorgaben für die Rechtsanwen­ dung zu entwickeln, sondern zugleich den betroffenen privatrechtlichen Fragen­ kreis zu ordnen – zu systematisieren – und so der künftigen Befassung mit dem Thema eine Vorlage zu verschaffen.23 Teil eines solchen Vorhabens muss eine sorg­ fältige und umfassende Darstellung, Zuordnung und Analyse der einschlägigen Rechtsprechung sein. Die Entscheidung für eine im Kern „konventionelle“ dogmatische Arbeitsweise bedeutet nicht Blindheit für Grundlagenbezüge.24 Zum Beispiel nimmt die Dog­ mengeschichte bei der Identifizierung der gesetzlichen Wertungen zum Rechts­ irrtum eine nicht unbedeutende Rolle ein.25 Rechtssoziologische Aspekte werden relevant, wenn es um die tatsächlich vorhandenen Rechtskenntnisse der Bevölke­ rung und Barrieren auf dem Weg zur Rechtsverfolgung geht.26 Stellenweise ist auch auf rechtsökonomische Einsichten zurückzugreifen. Deren Einsatz im Bereich der bloßen Folgenanalyse27 – insbesondere mit Blick auf die Anreizstrukturen des Pri­ vatrechts28 – erscheint so geboten wie unproblematisch.29 Das gilt zumindest, so­ 18 

Dazu oben §  1 B. m. w. N. dazu Canaris, Systemdenken, passim, insb. S.  13 ff., 40 ff.; vergleiche auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  145, 278; exemplarisch zur Anwendung eines solchen Ansatzes im einem Untergebiet des hier gewählten Untersuchungsbereichs Konzen, Rechtsver­ hältnisse, S.  99. 20  Treffend – gerade auch in der Auseinandersetzung mit dem in der vorstehenden Fn. zitierten grundlegenden Werk von Canaris – Höpfner, Auslegung, S.  40–50, insb. S.  50. 21  Wiederum treffend Höpfner, Auslegung, S.  5 4. 22  Die Daseinsberechtigung der rechtsdogmatischen Arbeit ist bereits hinreichend verteidigt worden, siehe etwa Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  100–102; Kotsoglou, JZ 2014, 451, 454–455; ­L orenz, JZ 2013, 704, 706–707. 23  Zu dieser Doppelfunktion von Dogmatik Kotsoglou, JZ 2014, 451, 455. 24 Vergleiche Lepsius, JZ 2019, 793, 795: „Gute Dogmatik reflektiert natürlich die sozialen, politischen und ökonomischen Anwendungsbedingungen“. 25  Siehe dazu unten §  5, insb. A. 26  Siehe z. B. §  5 C. I., §  19 B. II. 1. 27  Zur Unterscheidung von der Folgenbewertung siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  4. 28 Siehe G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 425: „Das Privatrecht erscheint dabei als ein System von Anreizen, das das Verhalten der Individuen in teils subtilster Weise zu steuern vermag“. 29  G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 424–425. 19 Grundlegend

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1. Teil: Einführung

weit man sich der durch die Verhaltensforschung aufgezeigten Grenzen eines am nutzenmaximierenden homo oeconomicus orientierten Modells30 und der Schwie­ rigkeiten bei der Nutzenbewertung31 bewusst ist. Eher diskutabel ist die Frage, ob Effizienz im Sinne einer Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt32 als Vorgabe für die Folgenbewertung zu berücksichtigen ist.33 Für die hier verfolg­ ten Zwecke erscheint es ausreichend festzuhalten, dass das Privatrecht in vielen Be­ reichen implizit auf Effizienzsteigerungen ausgelegt ist.34 Der Gesetzgeber darf ebenso rechtsökonomisch begründete Steuerungsmotive verfolgen, wie er umge­ kehrt zu ineffizienten Regelungen greifen darf – jeweils mit der Folge der Bindung des Richters an diese Zielvorgaben.35 Für den Rechtsanwender geht es insoweit schlicht um eine zweckgeleitete, teleologische Auslegung von Normen.36 Doch auch wo der Gesetzgeber zu der Frage schweigt, spricht wenig dagegen, die Effi­ zienzausrichtung als einen von zahlreichen zulässigen methodischen Ansätzen an­ zusehen.37 Mit dem vorgestellten Instrumentarium sollen die herrschenden Ansätze der Be­ handlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht einer kritischen Kontrolle unter­ zogen werden. In den Blick genommen wird also primär die lex lata. Die Unter­ suchung versteht sich insoweit als Mosaikstein für ein besseres Verständnis der Rechtsirrtumsproblematik insgesamt. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, Im­ pulse für den weiteren Diskurs zu dem Thema auch außerhalb des hier gewählten Untersuchungsfeldes setzen zu können. Sinnreich erscheint es daher in jedem Fall, im Anschluss an die Analyse des geltenden Rechts dazu Stellung zu beziehen, ob aus rechtspolitischer Sicht bereits die optimale Gestaltung erreicht ist oder ob de lege ferenda Korrekturen ratsam erscheinen.38

30  Zu systematischen Verzerrungen (biases) z. B. Korch, Haftung, S.  29–57, sowie näher §  19 B. II. 1. 31  Das mag den Wert der ökonomischen Analyse schmälern, beseitigt ihn aber nicht, siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  41, sowie das Beispiel bei S.  507; G. Wagner, in: FS Canaris II, S.  281, 302. 32 Dazu Schäfer/Ott, Analyse, S.  11 ff., insb. 14–24. 33  Siehe näher §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (d) mit Fn.  635. 34 Siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  42. G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 425, stellt fest, dass „die ökonomische Analyse in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu Ergebnissen kommt, die mit den herkömmlichen juristischen Lösungen übereinstimmen oder zumindest kompatibel sind“; für ein Beispiel siehe G. Wagner, in: FS Canaris II, S.  281, 297–303; zur Bestimmung von Sorgfaltsanforderungen auf Grundlage der Learned-Hand-Formel unten §  9 C. IV. 3. b). 35  G. Wagner, in: FS Canaris II, S.  281, 294–295, 313 m. w. N. 36  So auch G. Wagner, in: FS Canaris II, S.  281, 297 sowie 313 („im Grunde so trivial, dass da­ rüber nicht diskutiert zu werden braucht“). 37  G. Wagner, in: FS Canaris II, S.  281, 303–304, 313–314. 38  Dazu §§  19, 20.

§  2 Zuschnitt und Methode der Neubetrachtung

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D. Gang der Untersuchung Die bis hierhin angestellten Überlegungen zeichnen den Gang der Untersuchung bereits vor. Insbesondere erscheint eine Neuordnung und -betrachtung der privat­ rechtlichen Rechtsirrtumsdogmatik nur dann lohnend, wenn sich Unterschiede zu Tatsachenirrtümern herausschälen lassen. Ansonsten bestünde kein Bedarf für eine eigenständige Betrachtung. Vielmehr könnte man sich – in Zuspitzung der Gleich­ stellungsthese Mayer-Malys 39 – stets akzessorisch an der Behandlung von Tatsa­ chenirrtümern orientieren und müsste allenfalls diese einer kritischen Betrachtung unterziehen. In einem vorgelagerten Teil ist deshalb der Rechtsirrtum als Phäno­ men zunächst auf seine Eigenständigkeit hin zu untersuchen und zu definieren (§§  3, 4). Aus den identifizierten Eigenheiten lassen sich zugleich denkbare norma­ tive Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern ableiten (dazu §  5). Darü­ ber hinaus ergeben sich Konsequenzen für die Anlage und Struktur der Untersu­ chung (§  6). Der eigentliche Kern der Untersuchung ist durch die Aufteilung in Quadranten40 vorgezeichnet. Zu beantworten bleibt lediglich die Frage, in welcher Reihenfolge die vier Teilausschnitte sinnvollerweise abzuhandeln sind. Es verspricht Erfolg, mit dem irrtümlichen Verzicht auf die Anspruchsgeltendmachung zu beginnen (3.  Teil). Ein solcher kann sich insbesondere im Eintritt der Anspruchsverjährung nieder­ schlagen. In diesem Kontext enthält §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB eine (zumindest dem Wortlaut nach) deutliche Diskriminierung von Rechtsirrtümern: Der Verjährungs­ beginn setzt nur die Kenntnis „von den den Anspruch begründenden Umständen“ voraus. Diese Ausgangslage lässt es als aussichtsreich erscheinen, dort auf besonde­ re Vorgaben zur Behandlung von Rechtsirrtümern zu stoßen, die auch für die wei­ tere Untersuchung von Belang sein können. Kontrastieren lassen sich die gewonne­ nen Erkenntnisse sodann mit der spiegelverkehrten Situation einer irrtümlichen Anspruchsverfolgung (4.  Teil). Bleibt man dabei, nur eine Variable zu verändern, gelangt man von der irrtümlichen Anspruchsverfolgung sodann zur irrtümlichen Verteidigung (5.  Teil). Durch den abermaligen Austausch eines Elements befindet man sich schließlich in der Konstellation des irrtümlichen Verzichts auf die Vertei­ digung (6.  Teil). In einem 7.  Teil sind die erzielten Untersuchungsergebnisse zusammenzuführen. Es wird zu untersuchen sein, ob sich ein schlüssiges Gesamtsystem ergibt und in­ wieweit sich übergreifende Lösungen für Probleme entwickeln lassen, die sich in mehreren oder sämtlichen Quadranten offenbaren. Anschließend können in einem 8.  Teil die Ergebnisse zur lex lata auf rechtspolitisches Optimierungspotenzial hin untersucht werden. Nicht zuletzt im Licht aktueller technischer Entwicklungen erscheint es geboten, das geltende System mit Blick auf seine Zukunftsfestigkeit zu überprüfen. 39 

40 

Dazu oben §  1 A. III. Siehe oben A.

2. Teil

Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand Für den Rechtsirrtum fehlt es an einer gesetzlichen Definition ebenso wie an einer allgemein anerkannten Begriffsbestimmung in der Lehre.1 Darin muss man nicht zwingend ein Manko erblicken.2 Der Umstand lässt sich als Ausdruck der oben beschriebenen Kontextvielfalt begreifen. Solange das Gesetz den Begriff nicht als Tatbestandsmerkmal mit dem Anspruch einheitlicher Auslegung verwendet, muss es den einen Rechtsirrtum nicht geben. Am Versuch einer Definition führt vorlie­ gend gleichwohl kein Weg vorbei, da der Gegenstand der Untersuchung festzulegen ist. Dabei bietet sich eine Aufspaltung in die beiden Begriffselemente „Recht“ (dazu §  3) und „Irrtum“ (dazu §  4) an.

1  Siehe nur Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  233; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  5 –9; ebenso zum Schweizer Recht S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  4 –5. 2  In diese Richtung indes Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  233.

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand Das „Recht“ als Irrtumsgegenstand ist zunächst von seinem Konterpart, den „Tat­ sachen“, abzugrenzen. Zu diesem Zweck sind Besonderheiten herauszuarbeiten, die das Recht als Erkenntnisgegenstand auszeichnen (A.). Anschließend kann über taugliche Abgrenzungskriterien nachgedacht werden (B.).

A. Normative und tatsächliche Eigenheiten des Rechts als Erkenntnisgegenstand Besonderheiten des Rechts als Erkenntnisgegenstand lassen sich zumindest aus drei verschiedenen Perspektiven feststellen. Die erste interessiert sich abstrakt für die Frage der Richtigkeit rechtlicher Beurteilungen, gleich wer diese fällt (dazu I.). Zweitens lässt sich die Rechtserkenntnis unter dem Blickwinkel der richterlichen Befassung mit dem Recht betrachten (II.). Zum Abschluss ist, drittens, die Perspek­ tive der Rechtsunterworfenen (im Privatrecht vor allem die der Bürger) einzuneh­ men (dazu III.).

I. Potenzielle Existenz mehrerer „richtiger“ Rechtsansichten Die Rechtserkenntnis zeichnet sich wesentlich durch ihre Relativität aus.1 Genauer: Als „richtig“ lässt sich mit Blick auf denselben Sachverhalt oft mehr als eine Lösung bezeichnen.2 Schon das Reichsgericht hielt fest, dass „auch bei gewissenhaftester Prüfung Rechtskundige bezüglich derselben Rechtsfrage zu abweichenden Ergeb­ nissen gelangen“ könnten.3 Um die beschriebene Relativität als Phänomen anzu­ erkennen, ist man nicht gezwungen, „den juristischen Wahrheitsanspruch zu Gra­ be zu tragen“.4 Die Annahme Dworkins, es existiere stets die eine richtige Lösung (one right answer thesis) 5 verliert ihre Schärfe, wenn man sie nicht als ontologische Aussage versteht, sondern bloß als „regulative Idee“. 6 Der Richter ist demnach auf­ 1 

Dies im Kontext der Rechtsirrtumsproblematik ansprechend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  4. Siehe wiederum J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  24; vergleiche auch Derkum, Folgen, S.  46; Soffner, Haftung, S.  46; Staake, JURA 2018, 661, 663; Zedler, Rechtsrisiko, S.  25, 159. 3  RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 98. 4  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 925. 5  Siehe z. B. Dworkin, N.Y.U. L. Rev. 53 (1978), 1 ff. 6  Alexy, ZphF 43 (1989), 81, 90–91; Neumann, Wahrheit, S.  39–41; zustimmend Damler/­Z eyher, 2 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

gefordert, nicht bloß eine von mehreren vertretbaren Lösungen zu finden (sodass sein Urteil ebenso gut anders hätte ausfallen können), sondern die richtige.7 Pas­ send hierzu formuliert beispielsweise das BVerwG: „Eindeutig in dem Sinn, daß es nur eine richtige Lösung gibt, sind letztlich alle rechtlichen Regelungen, auch wenn im Einzelfall […] mehrere Auffassungen vertretbar erscheinen.“8 Hier wird die re­ gulative Idee deutlich. Zudem zeigt sich die „Kontingenz des Rechts“ – und zwar darin, „dass sich jede Rechtsentscheidung als einzig richtige darstellen muss, auch wenn sie sich nicht als die einzig richtige darstellen kann.“9 Das Ziel, die eine richtige Lösung zu finden, bleibt dabei notwendigerweise illu­ sionär.10 Denkbar erscheint aber immerhin eine negative Überprüfung der Rich­ tigkeit einer Rechtseinschätzung: Es „ist das durch einen gewissenhaften Richter gefundene Recht ‚richtig‘ im Vergleich zu einem offenkundig durch sachfremde Interessen oder Denkfehler des Rechtsanwenders deformierten Recht“.11 Es kön­ nen also gegebenenfalls mehrere miteinander unvereinbare Lösungen verschiede­ ner12 Entscheider zumindest diesem „relativen prozeduralen Begriff der Richtig­ keit“13 entsprechen.14 Diese Betrachtungsweise hat zur Konsequenz, dass ein Richter zwar bei der Rechtsfindung nicht von mehreren gleich richtigen Lösungen ausgehen darf, er aber berücksichtigen kann, dass ein anderer Rechtsanwender zu einer anderen, ebenfalls (relativ) richtigen Erkenntnis gelangen könnte. Besonders offensichtlich werden die bestehenden „Richtigkeitskorridore“ bei Ermessensent­ scheidungen.15 Damit ist noch nicht gesagt, welche Anforderungen eine Entscheidung erfüllen muss, um als „relativ richtig“ qualifiziert zu werden. In der zitierten Entscheidung des BVerwG klingt der einschlägige Maßstab bereits an: Es könne mehrere vertret­ bare Auffassungen geben.16 Die Aussonderung relativ falscher Lösungen erfolgt demnach grundsätzlich anhand des Merkmals der Vertretbarkeit. Die Vertretbar­ keitsprüfung macht die Rechtsanwendung rational(er) und stellt die fachspezifisch juristische Antwort auf das allgemeine erkenntnistheoretische Problem der Rich­ AcP 218 (2018), 905, 921 (siehe zudem 922, 925); selbst dagegen aber Rüthers/Fischer/Birk, Rechts­ theorie, Rn.  491c. 7  Neumann, Wahrheit, S.  40–41; zustimmend Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 921–922. 8  BVerwG, Beschl. v. 26.11.1973 – VI B 36/73, DVBl 1974, 353, 353. 9  Guski, JZ 2020, 129, 132. 10  Das verkennen auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 923, nicht. 11  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 923 (mit weiteren Ausführungen bei 923–925). 12 Vergleiche Alexy, ZphF 43 (1989), 81, 90. 13  Alexy, ZphF 43 (1989), 81, 91. 14 Siehe Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 923, 925. Auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  89, spricht der von der „relativen Richtigkeit“ der Entscheidung; siehe ferner Zedler, Rechtsrisi­ ko, S.  163. Gleichsinnig formuliert BVerfG, Beschl. v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88, BVerfGE 82, 30 = NJW 1990, 2457, 2458: „Die Auslegung […] hat den Charakter eines Diskurses, in dem auch bei methodisch einwandfreier Arbeit nicht absolut richtige, unter Fachkundigen nicht bezweifelbare Aussagen dargeboten werden.“ 15  Vergleiche etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  31 m. w. N. 16  BVerwG, Beschl. v. 26.11.1973 – VI B 36/73, DVBl 1974, 353, 353; ähnlich J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  24; Soffner, Haftung, S.  46; Zedler, Rechtsrisiko, insb. S.  157, 163.

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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tigkeit dar.17 Auch die Rechtsordnung selbst erhebt verschiedentlich die Vertret­ barkeit zur positiven bzw. negativen Tatbestandsvoraussetzung.18 So soll eine Amtshaftung für Rechtsanwendung und Gesetzesauslegung (zum Beispiel durch Staatsanwälte, Rechtspfleger oder Richter außerhalb des Spruchrichterprivilegs) ausgeschlossen sein, wenn diese im jeweiligen Fall als vertretbar angesehen werden konnte.19 Die Vertretbarkeit rechtlicher Ansichten muss beispielsweise auch dort beurteilt werden, wo die Ergebnisse juristischer Prüfungen angefochten werden: Hier kann es darauf ankommen, ob die vom Prüfungsteilnehmer geäußerte Rechts­ auffassung vertretbar ist.20 Der Maßstab der Vertretbarkeit bedarf der Präzisierung. Er beinhaltet in erster Linie die Befolgung der juristischen Methodenlehre.21 Eine erhebliche Schwierig­ keit liegt indes darin, dass die Methodenlehre in ihren Inhalten keineswegs un­ umstritten ist und deshalb als Instrument zur Kontrolle der Entscheidungsfindung an Grenzen stößt. Probleme bereiten neben dem Fehlen von Metaregeln zur An­ wendung der einzelnen Methoden (etwa zur Hierarchie) auch die Bestimmung des Kreises zulässiger Auslegungsmethoden und die Falsifizierbarkeit der objektiv-­ teleologischen Methode.22 Diese Schwierigkeiten betreffen allerdings die Rechts­ wissenschaft insgesamt und sind der Rechtsirrtumsproblematik vorgelagert. Die vorliegende Abhandlung kann keinen eigenen Beitrag zur Bewältigung dieser Pro­ bleme leisten. Soweit im Folgenden auf die Vertretbarkeit bzw. die Befolgung der juristischen Methodik Bezug genommen wird, ist dies daher stets als „Blankett­ verweisung“ zu verstehen. Zu erwägen ist zudem, ob Vertretbarkeit neben methodisch sauberer Arbeit Wei­ teres voraussetzt. So wird geäußert, Entscheidungen seien nur dann vertretbar, wenn sie sich in das vorhandene Mosaik „aus Gesetzestexten, Präjudizien und wis­ 17  Neupert, JuS 2016, 489, 492. Das Problem lässt sich hiermit allerdings nicht abschließend lösen, siehe dazu §  15 C. III. 2. mit Fn.  628. 18  Siehe zu Beispielen außerhalb der sogleich aufgeführten auch Neumann, Wahrheit, S.  55–56. 19  Siehe zur gängigen Formel z. B. BGH, Urt. v. 9.12.2004 – III ZR 263/04, BGHZ 161, 305 = NJW 2005, 748, 749; BGH, Urt. v. 4.11.2010 − III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 = NJW 2011, 1072, 1074 Rn.  14; BGH, Urt. v. 4.7.2013 – III ZR 342/12, BGHZ 198, 1 = NJW 2013, 3176, 3177 Rn.  10. Wenn in diesem Rahmen von einer „zwar unrichtigen“, aber vertretbaren Lösung die Rede ist (siehe BGH, Urt. v. 23.10.2003 – III ZR 9/03, NJW 2003, 3693, 3696–3697), dann beruht dies ge­ rade auf dem geschilderten Perspektivendualismus. Auf der einen Seite steht eine Konzeption absoluter Richtigkeit, wie sie der Richter für das eigene Urteil zugrunde legen muss, auf der ande­ ren Seite die relative Richtigkeit als Maßstab für die bloße Überprüfung einer fremden Entschei­ dung (vergleiche zu diesem Unterschied Neumann, Wahrheit, S.  57–58). 20  Siehe BVerwG, Beschl. v. 17.12.1997 – 6 B 55/97, NVwZ 1998, 738; BVerwG, Beschl. v. 5.3.­ 2018  – 6 B 71/17, NJW 2018, 2142, 2143 Rn.  9; ferner BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, BVerfGE 84, 34 = NJW 1991, 2005, 2008. Damit ist keineswegs gesagt, dass eine „Hörsaalvertretbarkeit“ ( J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 429; dazu noch §  15 C. II. 3. Fn.  468) der zutreffende Maßstab für die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums sein muss. 21  Neupert, JuS 2016, 489, 493; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  25; Stöhr, in: Unsicher­ heiten, S.  295, 296–297. Auch BVerfG, Beschl. v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88, BVerfGE 82, 30 = NJW 1990, 2457, 2458 (siehe oben Fn.  14), verknüpft offenbar die Vertretbarkeit mit „methodisch ein­ wandfreier Arbeit“. 22  Zum Ganzen Hassemer, ZRP 2007, 213, 215–216 m. w. N.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

senschaftlichen Lehrmeinungen“ einfügten.23 Damit soll nicht einer starren Aus­ richtung am case law oder an einer herrschenden Meinung das Wort geredet wer­ den.24 Die Rolle des „dogmatischen Gerüsts“25 sollte indes nicht unterschätzt werden. So wird konstatiert, „dass die dogmatischen Regelwerke der juristischen Methodenlehre hinsichtlich der normativen Verbindlichkeit für [die] richterliche Praxis in nichts nachstehen, ihr hinsichtlich Konkretheit, Vielfalt und Differenzie­ rung der Regeln aber weit vorausliegen“.26 Festzuhalten bleibt somit zunächst: Die Frage nach der „Richtigkeit“ ist ein er­ kenntnistheoretisches Grundsatzproblem. Um die Rechtserkenntnis in diesem Zu­ sammenhang als besonderes Feld zu charakterisieren, muss man nicht zwingend eine Dichotomie zwischen Tatsachenbehauptungen – objektiv stets wahr oder falsch – und dem Recht, das nicht verifizierbar sei, betonen.27 Der Rechtserkennt­ nis eigen ist neben dem praktischen Ausmaß des Problems28 zumindest der Ansatz zu dessen Lösung: die Vertretbarkeitsprüfung. Zwar lässt sich die Vertretbarkeit auch mit Blick auf die Erklärung faktischer Zusammenhänge feststellen (etwa in der Medizin 29). Zumindest die Inhalte dieser Prüfung sind aber im juristischen Kontext spezifisch ausgestaltet, vor allem der Rückgriff auf die eigene Methoden­ lehre und die Dogmatik.

II. Rechtserkenntnis durch Gerichte Die Eigenheiten, die das Recht als Erkenntnisgegenstand im Vergleich zu Tatsachen aufweist, betreffen zu einem Großteil die Feststellung der Rechtslage durch Ge­ richte. 1. Geltung des Grundsatzes „iura novit curia“ Nach der im deutschen Prozessrecht geltenden Maxime „iura novit curia“ – ver­ wandt ist der Satz „da mihi facta, dabo tibi ius“30 – muss das Gericht das Recht selbst kennen bzw. feststellen, auslegen und anwenden.31 Es muss das Parteivor­ 23 

Neupert, JuS 2016, 489, 493. Neupert, JuS 2016, 489, 493, weist selbst auf die Veränderlichkeit hin. Zur Bindung an Prä­ judizien siehe sogleich noch II. 3. 25  Begriff nach G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 827. 26  Hassemer, ZRP 2007, 213, 218. 27  In diese Richtung aber wohl Zedler, Rechtsrisiko, S.  159, 163. 28  Dieses findet Ausdruck in Feststellungen wie der, die Rechtswissenschaft sei nun einmal „keine exakte Wissenschaft“, J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 424. 29  Siehe im Zusammenhang mit einer Prüfungsanfechtung etwa BVerwG, Urt. v. 26.3.1997  – 6 C 7/96, BVerwGE 104, 203 = NJW 1997, 3104, 3106 („muß die […] Auffassung zumindest von Teilen der Medizinwissenschaft als wenigstens vertretbar anerkannt worden sein“). 30  Siehe z. B. Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 37; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  2 ; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  133 Rn.  34. 31  M. Huber, in: Musielak/Voit, §  293 Rn.  1; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  2 (zu Arten der Feststellung näher Rn.  4; zum Bestehen eines „Entscheidungszwangs“ – kein non liquet mög­ lich – Rn.  5); historischer Kontrast bei Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 48–79. 24 

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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bringen von Amts wegen unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt prü­ fen.32 Der für Tatsachen geltende Beibringungsgrundsatz ist nicht einschlägig: Die Parteien müssen zu den anwendbaren Rechtsvorschriften grundsätzlich nichts vor­ tragen;33 an gleichwohl erfolgte Rechtsausführungen ist das Gericht – nach herr­ schender Sicht auch bei Einigkeit der Parteien 34 – nicht gebunden.35 Letzteres gilt selbst dort, wo das Gesetz von den Parteien ausnahmsweise Rechtsausführungen verlangt, etwa beim Berufungsangriff gegen die Rechtsanwendung (§  520 Abs.  3 S.  2 Nr.  2 ZPO).36 Die grundsätzliche Geltung und der Anwendungsbereich der Maxime „iura no­ vit curia“ lassen sich mittelbar §  293 ZPO entnehmen.37 Dort wird die Möglichkeit eines Beweises (nur) für ausländisches Recht, Gewohnheitsrecht und Statuten 38 eröffnet. Der Richter hat im Umkehrschluss inländisches Recht (einschließlich des in Deutschland geltenden Kollisionsrechts), EU-Recht und Völkerrecht im Sinne der Art.  25 S.  1, 59 Abs.  2 GG selbst zu kennen bzw. zu ermitteln.39 Ausnahmen für entlegene Rechtssätze werden überwiegend abgelehnt.40 In den von §  293 S.  1 ZPO genannten Bereichen ist dem Richter dagegen eine Ermittlung der anwendbaren Rechtssätze in Form des Beweises41 gestattet. Die Art der Ermittlung liegt in ­seinem pflichtgemäßen Ermessen (vergleiche §  293 S.  2 ZPO).42 Das ändert nichts daran, dass es auch im Anwendungsbereich von §  293 ZPO um Rechtsanwendung 32  BAG, Urt. v. 18.1.2012 − 6 AZR 407/10, NJW 2012, 2376, 2379 Rn.  26; BGH, Urt. v. 25.10.­ 2012  – IX ZR 207/11, NJW 2013, 540, 542 Rn.  16; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  133 Rn.  34; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  1. 33  M. Huber, in: Musielak/Voit, §  293 Rn.  1; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  6 . 34  Siehe etwa BGH, Urt. v. 9.5.2017 – XI ZR 314/15, WM 2017, 1206, 1208 Rn.  20; Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 42; ausführlich m. w. N. bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  77 Rn.  10– 11. 35  BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 207/11, NJW 2013, 540, 542 Rn.   16 m. w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, vor §  128 Rn.  189; Meier, Iura, S.  140. 36  Die Begründung ist rein formaler Natur, sodass sich das Gericht unabhängig vom Inhalt umfassend mit dem Prozessstoff auseinandersetzen muss, BGH, Urt. v. 17.3.1994 – IX ZR 102/93, NJW 1994, 1656, 1657 m. w. N.; Ball, in: Musielak/Voit, §  520 Rn.  28. 37  Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  3; Thole, in: Stein/Jonas, §  293 Rn.  5. 38  Zu Beispielen siehe Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  6 4 (von praktischer Relevanz sind v. a. Tarifverträge). 39  BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916, 917 Rn.  8; Geimer, in: Zöller, §  293 Rn.  1; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  8 –10; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  1; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  5 –7, 12. 40  Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, §  284 Rn.  21; Geimer, in: Zöller, §  293 Rn.  1; Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 39, 44; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  22; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  6; anders aber (vereinzelt) BGH, Urt. v. 27.11.1998 – V ZR 344/97, BGHZ 140, 111 = NJW 1999, 638, 638 (Rückgriff des Zivilrichters auf Steuerexperten möglich). 41  So ist genau genommen zu formulieren, siehe Saenger, in: Hk-ZPO, §   293 Rn.  9; oftmals wird schlicht von Beweiserhebung gesprochen, siehe Geimer, in: Zöller, §  293 Rn.  7, M. Huber, in: Musielak/Voit, §  293 Rn.  1. 42 BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244, 1245 Rn.   15; BGH, Beschl. v. 24.5.2017 – XII ZB 337/15, NJW-RR 2017, 902, 903 Rn.  14; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  18 (dort bei Rn.  18–37 ausführlich zu den verschiedenen Arten der Ermittlungen); Thole, in: Stein/Jonas, §  293 Rn.  38 (und Rn.  39–49 zu den Arten).

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

geht,43 die im Gegensatz zur Beschaffung der Tatsachengrundlage von Amts wegen zu erfolgen hat.44 In Anbetracht der eigenverantwortlichen Rechtsfindung durch das Gericht stellt sich die Frage, inwiefern es die Parteien schon vor seiner Entscheidung an seinen rechtlichen Erwägungen teilhaben lassen muss. Im Zentrum der Überlegungen steht die Pflicht zur materiellen Prozessleitung (§  139 ZPO), die den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) konkretisiert.45 Danach ist das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien, soweit erforderlich, auch in rechtlicher Hinsicht zu erörtern (§  139 Abs.  1 S.  1 ZPO) und ist auf Punkte, die von einer Partei erkenn­ bar übersehen oder von beiden Parteien übereinstimmend abweichend beurteilt werden, rechtzeitig hinzuweisen (§  139 Abs.  2 ZPO). Eine Pflicht, mit den Parteien ein umfassendes Rechtsgespräch zu führen, wird indes überwiegend abgelehnt.46 Das Gericht müsse grundsätzlich nicht vor der Entscheidung eine vorläufige Rechtsauffassung mitteilen.47 Die Parteien müssten prinzipiell alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen.48 Nach §  278 Abs.  2 S.  2 ZPO kann das Gericht im Rahmen der Güteverhandlung eine erste Rechtsein­ schätzung abgeben.49 Notwendig wird ein richterlicher Hinweis aber erst, wenn eine Partei – mag sie auch anwaltlich vertreten sein und ein Hinweis der Gegen­ partei erfolgt sein 50 – sich ersichtlich weiterhin in einem Rechtsirrtum befindet51 oder aus sonstigen Gründen eine rechtliche Überraschungsentscheidung droht (§  139 Abs.  2 ZPO).52 Bejaht wird dies insbesondere, wenn das Gericht von der Be­

43 

Siehe nur Geimer, in: Zöller, §  293 Rn.  14; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  2. BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916, 917 Rn.  7; BGH, Urt. v. 11.2.2010 – I ZR 85/08, BGHZ 185, 66 = NJW 2010, 3780, 3873 Rn.  22 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH, Beschl. v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12, WM 2013, 1225, 1229; Geimer, in: Zöller, §  293 Rn.  7; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  17; Thole, in: Stein/Jonas, §  293 Rn.  29; iso­ liert anders BGH, Beschl. v. 22.4.2010 – IX ZR 94/08, BeckRS 2010, 11721 Rn.  3. 45  Siehe etwa BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – VI ZR 177/09, NJW-RR 2010, 1363, 1363 Rn.  3; zum Verhältnis zwischen §  139 ZPO und Art.  103 GG näher Smid, in: Wieczorek/Schütze, §  139 Rn.  26. 46 BVerfG, Beschl. v. 24.3.1976 – 2 BvR 804/75, BVerfGE 42, 64 = NJW 1976, 1391, 1394; BVerfG, Beschl. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 = DtZ 1992, 327, 328; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  82 Rn.  14; Stadler, in: Musielak/ Voit, §  139 Rn.  16; anders aber z. B. Smid, in: Wieczorek/Schütze, §  139 Rn.  10, 219. 47  BVerfG, Beschl. v. 29.5.1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188 = NJW 1991, 2823, 2824; BVerfG, Beschl. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 = DtZ 1992, 327, 328; BGH, Beschl. v. 27.3.2018 – X ZB 11/17, MDR 2018, 1209 Rn.  5, 19; Kern, in: Stein/Jonas, §  139 Rn.  19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  82 Rn.  14. 48  BVerfG, Beschl. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 = DtZ 1992, 327, 328. 49 Vergleiche Prütting, in: MüKo-ZPO, §  278 Rn.  27; dahingehende Empfehlung für den Fall der umstrittenen Rechtslage bei Stadler, in: Musielak/Voit, §  139 Rn.  16. 50  BGH, Urt. v. 7.12.2000 – I ZR 179/98, NJW 2001, 2548, 2549; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 − II ZR 212/10, NJW 2012, 3035, 3036 Rn.  8; Wöstmann, in: Hk-ZPO, §  139 Rn.  8. 51  BGH, Urt. v. 7.12.2000 – I ZR 179/98, NJW 2001, 2548, 2549 m. w. N.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, §  82 Rn.  15; auch Stadler, in: Musielak/Voit, §  139 Rn.  16. 52  Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  82 Rn.  15; Wöstmann, in: Hk-ZPO, §  139 Rn.  6 . 44 

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urteilung durch die Vorinstanz53 oder von einer den Parteien zuvor mitgeteilten (vorläufigen) Rechtsansicht54 abweichen möchte. 2. Konkretisierung und Entwicklung des objektiven Rechts Den Gerichten ist die Rechtsfindung allerdings nicht nur mit Blick auf den kon­kreten Prozess zugewiesen.55 Auch abstrakt betrachtet sind die Gerichte „die zentralen, von der Verfassung privilegierten Instanzen der Rechtsfindung“.56 Dabei ist davon auszu­ gehen, dass Zweck des Zivilprozesses in erster Linie die Feststellung und Verwirkli­ chung subjektiver Rechtspositionen ist.57 Inwieweit daneben auch überindividuelle Gesichtspunkte wie die Bewährung des objektiven Rechts bzw. die Rechtsfort­ bildung zu den Prozesszwecken zählen, ist lebhaft umstritten. Mitunter erfolgt eine solche Einordnung.58 Andere meiden die ausdrückliche Qualifikation als „Zweck“ und sprechen stattdessen davon, der Prozess gewährleiste die bzw. diene der Bewäh­ rung des objektiven Rechts einschließlich der Rechtsfortbildung.59 Für wieder andere stellt die Bewährung des objektiven Rechts inklusive Rechtsfortbildung bloß einen Reflex des individuellen Rechtsschutzes dar.60 Einer Stellungnahme bedarf es an die­ ser Stelle nicht,61 denn ungeachtet der umstrittenen Einordnung lassen sich zumin­ dest drei Aspekte festhalten: (1) dass durch den Zivilprozess das objektive Recht kon­ kretisiert und fortgebildet wird; (2) dass diese Effekte wünschenswert sind; und (3) dass auch der Gesetzgeber diese Folgen erkennt und für förderungswürdig erachtet. 53  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 9.3.2015 – 1 BvR 2819/14, NJW 2015, 1746, 1747 Rn.  17 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177, 177–178 Rn.  8; einschränkend aber BGH, Urt. v. 19.8.2010 – VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089, 3091 Rn.  18; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 − II ZR 212/10, NJW 2012, 3035, 3035–3036 Rn.  7 (jeweils zu einer Rechts­ frage, die den zentralen Streitpunkt der Berufung bildete). 54  Dazu BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 15.8.1996 – 2 BvR 2600/95, NJW 1996, 3202; BGH, Beschl. v. 29.4.2014 – VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn.  5; BGH, Beschl. v. 13.12.2016 – VI ZR 116/16, MDR 2017, 355, 355 Rn.  6; zu einer vom Gericht in einem früheren Verfahren der Parteien vertretenen Auffassung: BGH, Beschl. v. 10.12.2019 – II ZR 451/18, NZG 2020, 317, 317 Rn.  7. 55  Dazu, dass der soeben behandelte Grundsatz „iura novit curia“, der den Parteien die Dispo­ sition über Rechtsfragen vorenthält, zugleich die Rechtsfortbildung durch das Gericht ermög­ licht, siehe Hergenröder, Grundlagen, S.  325. 56  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 937. 57  So etwa BGH, Urt. v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138 = NJW 2005, 291, 293; Brehm, in: Stein/Jonas, vor §  1 Rn.  5, 9; Musielak, in: Musielak/Voit, Einl. Rn.  5; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, Einl. Rn.  3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  1 Rn.  12; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 132–134; Saenger, in: Hk-ZPO, Einl. Rn.  3. 58  Für Rechtsfortbildung als Zweck Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 65; Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 256–257; Hergenröder, Grundlagen, S.  219–220 m. w. N.; Lames, Rechtsfortbildung, S.  133–134. Von „Zielen“ spricht Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2522, von einem „se­ kundären Prozesszweck der Bewährung der objektiven Rechtsordnung im Allgemeininteresse“ Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 25. 59  Prütting, in: Prütting/Gehrlein, Einl. Rn.  3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  1 Rn.  16; G. Vollkommer, in: Zöller, Einl. Rn.  1; G. Wagner, DRiZ 2016, 135. 60  Eindringlich beispielsweise H. Roth, ZfPW 2017, 129, 150. 61 Ähnlich Musielak, in: Musielak/Voit, Einl. Rn.  5 a. E.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Dass die Verfolgung subjektiver Rechte die beschriebenen objektiven Auswir­ kungen hat, wird selbst dort anerkannt, wo von einem bloßen „Reflex“ die Rede ist. Es führt kein Weg vorbei an der Feststellung, dass der individuelle Rechtsstreit faktisch zur Konkretisierung, Weiterentwicklung und Fortbildung des objektiven Rechts beiträgt. 62 Im Ausgangspunkt ebenfalls unbestritten sein dürfte, dass ein entsprechendes Bedürfnis für Rechtskonkretisierung, -entwicklung und -fortbil­ dung – in einem weiten Begriffssinn63 – besteht. So kommt beispielsweise im Be­ reich der Generalklauseln der hinreichenden Herausbildung von Fallgruppen ­große Bedeutung zu. 64 Die positive Rechtsordnung weist zudem Lücken auf, Änderun­ gen der Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen beschwören Konflikte des positiven Rechts mit materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen herauf; es ist Aufgabe der Rechtsprechung, im Rahmen der Gesetzesbindung durch „schöpferische Rechtsfindung“ solche Lücken zu schließen und solche Konflikte zu befrieden. 65 Die Rechtsfortbildung ermöglicht die notwendigen Anpassungen, wo der Gesetz­ geber Veränderungen nicht angemessen begleitet. 66 Sie nimmt sich zudem Bruch­ stellen im Mehrebenensystem aus nationalem und supranationalem Recht an.67 Aber auch außerhalb deutlich erkennbarer „Ausbesserungsarbeiten“ schafft die Ziviljustiz durch die sichtbare Anwendung abstrakter Rechtsnormen auf konkrete Sachverhalte ein öffentliches Gut. 68 Die Konkretisierung von Regeln ist nicht nur in richterrechtlich geprägten Rechtsordnungen ein (auch von rechtsökonomischer Warte aus69) wünschenswertes Nebenprodukt zivilgerichtlicher Streitbeilegung.70 62  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  100; Saenger, in: Hk-ZPO, Einl. Rn.  4; siehe auch Hergenröder, Grundlagen, S.  161–162; Langenbucher, JZ 2003, 1132, 1333. 63 Siehe etwa Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 257; Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 40; ­L ames, Rechtsfortbildung, S.  26; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  23–26; E. Schmidt, KritV 1989, 303, 305. Dazu, dass jeder Rechtsentscheidung auch schöpferische Elemente innewohnen, Röthel, Normkonkretisierung, S.  21 m. w. N. 64  Guski, ZZP 131 (2018), 353, 362; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  25; siehe auch G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 836–837. 65  Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221, 1225; zudem BVerfG, Beschl. v. 8.4.1998 – 1 BvR 1773/96, BVerfGE 98, 49 = NJW 1998, 2269, 2270; BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015 – 1 BvR 472/14, NJW 2015, 1506, 1508 Rn.  39; Bydlinski, JBl 2001, 2, 14; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  187–188. 66  Gaier, NJW 2016, 1367, 1370. 67  Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 323. 68 Treffend G. Wagner, DRiZ 2016, 135; den Begriff nutzend auch Kirchner, in: Analyse, S.  85, 89; siehe zudem Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 807; Rühl, JZ 2020, 809, 813. 69  In rechtsökonomischer Hinsicht lässt sich die Erzeugung von Rechtssicherheit als positiver externer Effekt (dazu allgemein Schäfer/Ott, Analyse, S.  54) eines Zivilprozesses ansehen, beson­ ders deutlich Adams, Analyse, S.  77–80; Landes/Posner, J. Legal Stud. 8 (1979), 235, 236, 238–240, 242, 248; siehe auch Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 745; auch Kirchner, in: Analyse, S.  85, 88–89; Shavell, J. Legal Stud. 11 (1982), 333, 334 Fn.  5 (siehe zudem 339). 70  Siehe dazu Guski, ZZP 131 (2018), 353, 362: „Die […] Stimulierung privatrechtsförmiger Streitigkeiten sichert […] das Verhältnis von Redundanz und Varietät in der Rechtsanwendung: Die Auslegung der einschlägigen Normen anhand konkreter Fälle führt entweder zur Bekräfti­ gung geübter Argumentationen, zu rechtsfortbildenden Neuerungen oder sogar zu Korrektu­ ren.“ Siehe zudem Guski, JZ 2020, 129, 134–135: Im Wege der Induktion ergebe sich aus vielen Einzeljudikaten ein „‚pointillistisches‘ Gesamtbild“.

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Sie bietet der Praxis und nicht zuletzt anderen Streitentscheidungs- bzw. Streit­ beilegungseinrichtungen, deren Rechtsanwendung nicht öffentlich erfolgt (Schieds­ gerichte, Schlichtungsstellen),71 wichtige Orientierungspunkte, indem sie Komple­ xität reduziert und Vorhersehbarkeit schafft.72 Die beschriebenen Aufgaben sind in besonderem Maße den Höchstgerichten zu­ gewiesen.73 Doch auch Instanzgerichte leisten „durch Aufbereitung verschiedener Konstellationen und Entscheidung der relevanten Rechtsfragen Vorarbeit“74 und präzisieren rechtliche Standards. Aus ökonomischer Sicht liegen Vorteile in der vielfachen Befassung und dezentralen Aufstellung der Gerichte: So ist, in der Ak­ kumulation einzelner Verfahren, oftmals eine breitere Aufnahme von Informatio­ nen und im Ergebnis eine sachnähere und kostengünstigere Problembewältigung durch Generierung präziser Regelungen gewährleistet, als wenn der Gesetzgeber tätig werden müsste.75 Die geschilderten Zusammenhänge bestehen im Grundsatz unabhängig davon, ob „Richterrecht“ als Rechtsquelle anzuerkennen ist.76 Dass die Fortentwicklung des Rechts durch Zivilprozesse erstrebenswert ist, er­ kennt auch der Gesetzgeber an.77 Die „Fortbildung des Rechts“ wird in der ZPO explizit als Zulassungsgrund für Rechtsmittel genannt (vor allem für die Revision: §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO; siehe daneben §§  511 Abs.  4 S.  1 Nr.  1, 522 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO zur Berufung sowie §  574 Abs.  2 Nr.  2 ZPO zur Rechtsbeschwerde) und erlaubt nach §  132 Abs.  4 GVG die Vorlage einer Frage an den Großen Senat. Die Abschaffung der Wertrevision durch die ZPO-Reform von 2002 diente ausweislich der Gesetzesmaterialien dazu, dem BGH die Rechtsfortbildung bezüglich der ge­ samten Bandbreite der praktisch relevanten Rechtsfragen zu ermöglichen.78 Die Revision diene vornehmlich diesem „öffentlichen allgemeinen Anliegen“.79 Aus­ druck dieses Gedankens ist es auch, dass §§  555 Abs.  3, 565 S.  2 ZPO mittlerweile 71 Dazu

Gaier, NJW 2016, 1367, 1370. G. Wagner, DRiZ 2016, 135, nutzt das Bild eines Leuchtturms; siehe zudem Hau, ZZP 129 (2016), 133, 140–141; G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 830. Aus diesem Grund sind für die Öffent­ lichkeit bedeutsame Entscheidungen auch zwingend zu veröffentlichen: BVerwG, Urt. v. 26.2.­ 1997  – 6 C 3/96, BVerwGE 104, 105 = NJW 1997, 2694–2695; BGH, Beschl. v. 5.4.2017 – IV AR(VZ) 2/16, NJW 2017, 1819, 1819–1820 Rn.  16; v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  176. 73  Dazu sogleich. 74  Kähler, NJW 2004, 1132, 1135. 75 Ausführlich Schäfer/Ott, Analyse, S.  88 (siehe zudem S.  208, 214). 76  Dazu sogleich noch unter 3. Es ist wenig überzeugend, wenn die Einordnung der Rechts­ fortbildung als Prozesszweck an der Normqualität der produzierten Ergebnisse festgemacht wer­ den soll; in diese Richtung aber (negativ) H. Roth, ZfPW 2017, 129, 150, und (positiv) Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 65. 77  So z. B. auch BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221, 1225; BVerfG, Urt. v. 11.7.2012 − 1 BvR 3142/07, 1569/08, NJW 2012, 3081, 3085 Rn.  74. Die im Folgenden genannten Normen als Beleg anführend auch Musielak, in: Musielak/Voit, Einl. Rn.  5. 78  Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 66. Zu beachten ist jedoch die auch nach neuem Recht noch bestehende Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde auf Fälle einer Beschwer von über 20.000  € (§  544 Abs.  2 Nr.  1 ZPO). Die Gesetzesmaterialien betonen indes, „dass grund­ sätzliche Rechtsfragen auch in Streitigkeiten, die unterhalb der Wertgrenze liegen, weiterhin dem Bundesgerichtshof vorgelegt werden können“, Begr. RegE, BT-Drs. 19/13828, 14. 79  Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 66. 72 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

den Fortgang der Revision (wieder) partiell der einseitigen Parteidisposition ent­ ziehen. Dies soll dem Phänomen entgegenwirken, dass sich abzeichnende Grund­ satzentscheidungen durch diejenige Partei verhindert werden, die voraussichtlich durch die Breitenwirkung belastet wäre. 80 Dass die Regelung in diesem Punkt „halbherzig“ sein mag, 81 ändert an der verkörperten Wertung nichts: Das öffent­ liche Interesse an einer gerichtlichen Klärung setzt sich an dieser Stelle gegen die Dispositionsmaxime durch.82 Auch Kritiker eines prozessualen „Rechtsfortbil­ dungszweckes“ müssen anerkennen, dass jedenfalls im Revisionsverfahren der As­ pekt einer Bewährung des objektiven Rechts eine zentrale Rolle einnimmt.83 Dazu kann es indes erst kommen, wenn Privatrechtssubjekte einen Prozess initiiert und durch den Instanzenzug fortgesetzt haben. Nach alldem ist festzuhalten: Der Zivilprozess fördert die Rechtsentwicklung.84 Dieser Effekt ist – auch in den Augen des Gesetzgebers – erwünscht. 3. Stabilität und Vertrauen, Wandel und Vertrauensenttäuschung Die Stellung des Richterrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist traditio­ nell umstritten.85 Die divergierenden Ansätze sollen hier nur insoweit angerissen werden, wie sie für das weitere Verständnis unerlässlich sind. Vergleichbares gilt für die verwandte Kontroverse, ob die Rechtsprechung die Rechtslage bloß – deklara­ torisch – „auffindet“ bzw. „erkennt“ oder selbst – konstitutiv – „errichtet“. 86 Ver­ mittelnde Standpunkte haben viel für sich.87 Vorentscheidend ist die Positionierung in diesem Disput weder für die wichtige Frage, inwieweit schutzwürdiges Vertrau­ en in die Rechtsprechung entstehen kann, noch für die Problematik, inwieweit Rechtsprechung zurückwirkt. 88 80 

BeschlE und Bericht, BT-Drs. 17/13948, 35. Ball, in: Musielak/Voit, §  565 Rn.  3 m. w. N.; zustimmend Klingbeil, GVRZ 2019, 14 Rn.  24. 82  Siehe BeschlE und Bericht, BT-Drs. 17/13948, 35–36. 83  So spricht H. Roth, ZfPW 2017, 129, 151, von einer „Relativität des Prozesszwecks in unter­ schiedlichen Stadien“. 84  Vor einer Unterschätzung dieser Funktion warnend auch Musielak, in: Musielak/Voit, Einl. Rn.  5. 85  Überblick z. B. bei Brehm, in: FS Schumann, S.   57, 60–62; Rüthers/Fischer/Birk, Rechts­ theorie, Rn.  236–241. 86  Siehe etwa Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 916–917 m. w. N.; allgemeiner Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  142–151. Das deklaratorische Verständnis der herrschenden Recht­ sprechung tritt z. B. bei BGH, Urt. v. 8.10.1969 – I ZR 7/68, BGHZ 52, 365 = NJW 1970, 141, 142  – Ein-Tannen-Zeichen, offen zutage: „Die rechtsprechende Tätigkeit schafft, wenn sie bei unverän­ derter Gesetzeslage gleichliegende Sachverhalte in geänderter Weise beurteilt, dem Grundsatz nach kein neues Recht; wenn die Rechtsprechung sich ändert, geht sie regelmäßig davon aus, daß sie die Rechtslage lediglich klarer als bisher erkenne“. Kritik an diesem Verständnis bei Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 338–339; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 286, 303–304. 87  So spricht Bydlinski, JBl 2001, 2, 14, treffend von der unvermeidlichen Vermischung der Elemente. Siehe zudem Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 339, und R. Zimmermann/Jansen, in: Obliga­ tions, S.  285, 304, wo es jeweils heißt: „A neat and clear-cut distinction as to when, and to what extent, the courts are declaring or creating the law, is probably impossible to draw.“ 88  Die Zustimmung zu einer konstitutiven Theorie des Richterrechts muss nicht zwingend mit 81 

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Die herrschende Auffassung zum deutschen Recht geht davon aus, dass Recht­ sprechung, auch höchstrichterliche, dem Gesetzesrecht nicht gleichsteht und dass grundsätzlich keine Präjudizienbindung im engeren Sinne existiert. 89 Allerdings erkennt das positive Recht insbesondere der höchstrichterlichen Judikatur eine be­ sondere Bedeutung zu.90 So sind gemäß §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO die Revision und gemäß §  511 Abs.  4 S.  1 Nr.  1 ZPO die Berufung sowie nach §  574 Abs.  2 Nr.  2 ZPO die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu­ zulassen, wenn das Gericht von der bestehenden Judikatur abweichen („diver­ gieren“) möchte. Dies betrifft vor allem die Abweichung von der Entscheidung ­eines höherrangigen Gerichts, daneben auch die von der eines gleichgeordneten Gerichts bzw. Spruchkörpers.91 Innerhalb des BGH ist bei beabsichtigter Diver­ genz eine Vorlage an den Großen Senat vorgesehen (§  132 Abs.  2 GVG), bei Ab­ weichungen zwischen den Höchstgerichten die Entscheidung des Gemeinsamen Senats (§  2 Abs.  1 RsprEinhG). In dieser Ausgestaltung kann man ein „funktionales Äquivalent zur Präjudizienbindung“ erblicken, das allerdings Raum für Korrektu­ ren lässt.92 Es ergibt sich im Mindesten eine starke faktische Bindungswirkung vor allem höchstrichterlicher Rechtsprechung, denn Gerichte werden bei einer ökono­ mischen Arbeitsweise in der Regel der Auffassung höherer Instanzen folgen.93 Ab­ weichungen bedürften zudem der Begründung.94

fehlender Rückwirkung einhergehen; umgekehrt erübrigt ein deklaratorisches Verständnis nicht die Befassung mit dem Vertrauensschutz, richtig Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 341; für eine Tren­ nung auch Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 344; R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 721–724; wohl ebenso Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 362. 89  BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 2530/05, 1 BvL 11/06, 12/06, 13/06, BVerfGE 126, 369 = BeckRS 2010, 52581 Rn.  79; BVerfG, Beschl. v. 2.5.2012 − 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20 = NVwZ 2012, 876, 878 Rn.  81; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13; BVerfG, Beschl. v. 15.7.2015 – 2 BvR 2292/13, BVerfGE 140, 42 = NJW 2016, 229, 231 Rn.  72; BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11; BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705 Rn.  41; BGH, Urt. v. 18.1.1996 – IX ZR 69/95, BGHZ 132, 6 = NJW 1996, 924, 925; Langenbucher, Entwicklung, S.   120–121; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  30; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, Einl. Rn.  112; Röthel, Normkonkretisierung, S.  95. Zur Diskussion um die Bindungswirkung von Entscheidungen des EuGH siehe Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 368 m. w. N. 90  BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 2530/05, 1 BvL 11/06, 12/06, 13/06, BVerfGE 126, 369 = BeckRS 2010, 52581 Rn.  79; BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 6/99, BGHZ 145, 256 = NJW 2001, 146, 148; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  245–248. 91  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 21.3.2012 − 1 BvR 2365/11, NJW 2012, 1715, 1716 Rn.  21; BGH, Beschl. v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 = NJW 2002, 2473, 2474; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  13. 92  Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 64 (Herv. im Orig.); vergleiche auch Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 214; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 298–299. 93  Höpfner, RdA 2006, 156, 158; Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  258–260; Klein, JZ 2018, 64, 65; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  32; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 310–312 (siehe ­zudem 326); G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 828; Röthel, Normkonkretisierung, S.  92; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  244. 94  BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 24.9.2002 – 2 BvR 742/02, NJW 2003, 501, 502 m. w. N.; Klein, JZ 2018, 64, 65; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  30.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Ob eine weiter gehende rechtliche Bindung an vorhandene Judikatur besteht, ist umstritten. Der BGH verlangt für den Fall, dass neben der bisher vertretenen An­ sicht auch eine andere Rechtsauffassung in Betracht kommt, deutlich überwiegende Gründe für eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung.95 Im Schrifttum wird verbreitet von einer „präsumtiven“ Verbindlichkeit gesprochen96 bzw. postuliert, das Gericht solle eine etablierte Auslegung nur dann aufgeben, wenn die Alterna­ tive nicht nur gleich gut vertretbar, sondern besser begründbar ist.97 Das BVerfG drückt sich zurückhaltender aus: Das Abweichen von früheren Entscheidungen bedürfe „nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen“.98 Ungeachtet des umstrittenen Grades der rechtlichen Bindung ergibt sich je­ denfalls im Grundsatz aus der beschriebenen faktischen Bindungswirkung eine Beständigkeit der Rechtsprechung, die den Rechtsunterworfenen (und deren Rechtsberatern99) Orientierung bietet.100 Zugleich schließt selbst die Annahme ei­ ner gewissen Verbindlichkeit nach ihrem Selbstverständnis Änderungen der Recht­ sprechung nicht aus. Das Abweichen von früheren Entscheidungen kann insbe­ sondere aus den Gründen geboten erscheinen, die oben als Motive für die rechts­ fort­bildende Tätigkeit der Gerichte angeführt wurden.101 Ansonsten drohte eine „Versteinerung“102 , die nur der Gesetzgeber aufbrechen könnte. Wo die etablierte Judikatur Änderungen erfährt, wird das Vertrauen in deren Beständigkeit enttäuscht und wird die Rechtssicherheit beeinträchtigt.103 Die ver­ 95  Siehe exemplarisch BGH, Urt. v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 = NJW 1976, 749, 750; BGH, Beschl. v. 4.10.1982 – GSZ 1/82, BGHZ 85, 64 = NJW 1983, 228, 228; BGH, Urt. v. 22.2.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671, 1672; BGH, Urt. v. 14.9.2018 – V ZR 213/17, NJW 2018, 3523, 3525 Rn.  22; so etwa auch BAG, Urt. v. 29.3.1984 – 2 AZR 429/83 (A), BAGE 45, 277 = NJW 1984, 2374, 2376. 96  Siehe etwa Brocker, NJW 2012, 2996, 2998; Lames, Rechtsfortbildung, S.  21; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 328–329; kritisch etwa Kähler, Strukturen, S.  330–331. 97  Bydlinski, JBl 2001, 2, 2–3; ähnlich Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 214; R. Zimmermann/ Jansen, in: Obligations, S.  285, 303. Langenbucher, Entwicklung, S.  132, verlangt eine „erheblich besser vertretbar[e]“ Entscheidung. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  257, erkennen einen „sub­ sidiären Rechtsquellencharakter der Präjudizien“ und fordern „deutliche bessere[] Gründe“ für eine abweichende Entscheidung. 98  So exemplarisch BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 = NJW 1991, 2549, 2550; BVerfG, Beschl. v. 14.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 = NJW 2009, 1469, 1475 Rn.  85; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13; BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11; zustimmend Brocker, NJW 2012, 2996, 2997; Klein, JZ 2018, 64, 65. 99  Im Beraterhaftungsrecht wird eine Ausrichtung des Rechtsrats an der erkennbaren höchst­ richterlichen Rechtsauffassung gefordert, siehe unten III. 2. a) sowie auch Klappstein, Rechtspre­ chungsänderung, S.  260–261; Klein, JZ 2018, 64, 65 mit Fn.  13; R. Zimmermann/Jansen, in: Obli­ gations, S.  285, 299. 100  So auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  5 4; siehe bereits oben 2. m. w. N. in Fn.  72. 101  Dazu oben 2. bei Fn.  65 ff. 102  Grunsky, Grenzen, S.  9; Höpfner, RdA 2006, 156, 160. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 922 sprechen von einer „Galvanisierung des Status quo“; in der Sache ähnlich Klein, JZ 2018, 64, 70; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  54. 103  v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 450–451; Bydlinski, JBl 2001, 2, 3; G. H. Roth, in: FS Bosch,

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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lässliche Orientierung wird zugunsten der Anpassungsfähigkeit geopfert.104 Dieser Zusammenhang gründet in dem Umstand, dass Entscheidungen der Rechtspre­ chung ihrer Natur nach Rückwirkung zukommt.105 Wer im Vertrauen auf den Be­ stand einer bestimmten Rechtsansicht gehandelt hat, wird mit ex-tunc-Wirkung eines Besseren belehrt. Insofern besteht ein bedeutender Unterschied zur Wahr­ nehmung tatsächlicher Umstände. Von einer konstitutiven Theorie ausgehend, ­ändert bzw. schafft die „bessere“ Rechtserkenntnis in der neuen Entscheidung ge­ wissermaßen erst ihren eigenen Bezugsgegenstand106 – solche „Zauberei“ wäre in der Faktenwelt suspekt. Wählt man hingegen einen deklaratorischen Ansatz, wird zwar nur die bestehende Lage (neu) erkannt. Die Erkenntnis kann indes anders ausfallen, als es im Zeitpunkt des zu beurteilenden Verhaltens gewissenhafte Ex­ perten prognostiziert hätten.107 Eine solche Ausgangslage wird hinsichtlich tat­ sächlicher Umstände deutlich seltener bestehen.108 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage Bedeutung, ob und wie Vertrauens­ schutz bezüglich rückwirkender Neubeurteilungen zu gewährleisten ist. Die Pro­ blematik wird mit Recht als „Dauerbrenner“109 bezeichnet. Allein im deutsch­ sprachigen Schrifttum existiert eine kaum mehr zu überblickende Vielzahl an Ab­ handlungen zu dem Thema.110 Im Kern lässt sich festhalten: Die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stellen Ausprägungen des Rechts­ staatsprinzips (Art.  20 Abs.  3 GG) dar.111 Sie gewährleisten „die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung“.112 Ein S.  827, 831–832, 838. Insb. kann eine Rechtsprechungsänderung in vergleichbarer Weise Vertrauen der Bürger enttäuschen wie eine Gesetzesänderung, Höpfner, RdA 2006, 156, 157; Medicus, NJW 1995, 2577, 2582. 104  Zu diesem Zwiespalt G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 834 und 835; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 286; ähnlich Höpfner, RdA 2006, 156, 163. 105  v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 445; Brocker, NJW 2012, 2996, 2996–2997; Höpfner, RdA 2006, 156, 157; Medicus, NJW 1995, 2577, 2577; Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 356, 362; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  249. 106 Vergleiche Kähler, Strukturen, S.  83 (und auch S.  9 0–91). 107  Siehe zur Orientierung von Rechtsberatern bereits soeben Fn.  99. 108  Vergleiche auch Kähler, Strukturen, S.  39–40. Dort dient als Beispiel der Fall, dass ein Ge­ richt bislang bei einem bestimmten Verhalten von Fahrlässigkeit ausging, ihm nun jedoch be­ stimmte Kausalzusammenhänge bewusst geworden sind, aufgrund derer das Urteil anders aus­ fallen muss. 109  Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 351. 110  Nachweise etwa bei Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 335.­ 111 So speziell im Zusammenhang mit Rechtsprechungsänderungen bzw. -akten BVerfG, ­Beschl. v. 14.1.1987 – 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, 129 = NZA 1987, 347, 347; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  12–13; BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15, NJW-RR 2016, 1366, 1371 Rn.  57; BGH, Urt. v. 18.1.1996 – IX ZR 69/95, BGHZ 132, 6 = NJW 1996, 924, 925; Brocker, NJW 2012, 2996, 2997 (auch zur Kombination mit dem Gebot der gleichen Rechts­ anwendung aus Art.  3 Abs.  1 GG); Klein, JZ 2018, 64, 67; Langenbucher, Entwicklung, S.  121–123; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 300, 306. 112  BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013, 1004, 1005 Rn.  51 m. w. N.; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13; ganz ähnlich („Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen“) BVerfG,

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

„Minimum an Vertrauensschutz“ ist aus diesem Grund zwingend zu gewährleis­ ten.113 Das angemessene Ausmaß ist indes umstritten. Am stärksten berücksichtigt würde das enttäuschte Vertrauen durch ein Rück­ wirkungsverbot.114 Die Rechtsprechung dürfte ihre neue Erkenntnis demnach auf den Anlassfall noch nicht anwenden, sondern bloß für die künftige Anwendung kundtun. Die hierzu vertretenen Ansätze sind vielfältig:115 Sie reichen von einer weitgehenden Begrenzung116 bis zu differenzierenden Varianten, die ebenfalls zu einer Gestaltung des Übergangs ohne Rückwirkung führen können.117 Der EuGH schränkt die Rückwirkung seiner Entscheidungen hingegen nur in besonders ge­ lagerten Konstellationen zum Schutz der Rechtssicherheit ein.118 Die mitgliedstaat­ lichen Gerichte dürfen nicht in „Eigenregie“ Vertrauensschutz durch die Einschrän­ kung der ex-tunc-Wirkung von EuGH-Entscheidungen gewähren.119 Auch für ­innerstaatliche Sachverhalte lehnt das BVerfG Rückwirkungsbeschränkungen im Grundsatz ab. Die Regeln zur Rückwirkung von Gesetzesrecht seien nicht entspre­ chend anwendbar.120 Solange sich die hinreichend begründete Rechtsprechungsän­ derung im Rahmen der vorhersehbaren Entwicklung halte, sei sie unbedenklich.121 Besonderer Vertrauensschutz – etwa durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwend­ barkeit der neuen Rechtsprechung oder einzelfallbezogene Billigkeitserwägungen122  – komme nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, vor allem bei Aufgabe einer gefestigten und langjährigen höchstrichterlichen123 Rechtsprechung in Betracht.124 Urt. v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 = NJW 2004, 739, 747; BVerfG, Beschl. v. 21.7.­ 2010  – 1 BvR 2530/05, 1 BvL 11/06, 12/06, 13/06, BVerfGE 126, 369 = BeckRS 2010, 52581 Rn.  75. Diese Zusammenhänge werden auch auf europäischer Ebene anerkannt, siehe näher Rosen­kranz, ZfPW 2016, 351, 357 m. w. N.; zum aktuellen Vertrauensschutzkonzept des EuGH: Rosenkranz, GPR 2020, 275 ff. 113  Brocker, NJW 2012, 2996, 2997. 114  Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  252. 115  Überblick bei Bydlinski, JBl 2001, 2, 8–13; Nachweise zur zahlreich vorhandenen Literatur auch bei Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 917–918 Fn.  66. 116  Siehe beispielsweise Grunsky, Grenzen, S.  20, 24–26. 117  Siehe beispielsweise Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  469–473. 118  Zu den Voraussetzungen und mit der Annahme, dies müsse bereits in der ersten EuGH-Ent­ scheidung zu der Frage geschehen: EuGH, Urt. v. 27.3.1980 – C-61/79, Slg. 1980, 1205 = NJW 1980, 2008, 2009 – Denkavit italiana. 119  BVerfG, Beschl. v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, NJW 2010, 3422, 3427 Rn.  84; BVerfG (3. Kam­ mer des Ersten Senats), Beschl. v. 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, NZA 2015, 375, 377 Rn.  28. 120  Exemplarisch BVerfG, Beschl. v. 11.11.1964 – 1 BvR 488/62, 562/63, 216/64, BVerfGE 18, 224 = NJW 1965, 243, 245–246; BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 2530/05, 1 BvL 11/06, 12/06, 13/06, BVerfGE 126, 369 = BeckRS 2010, 52581 Rn.  79; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13. 121  BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 = NJW 1991, 2549, 2550; BVerfG, Beschl. v. 14.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 = NJW 2009, 1469, 1475 Rn.  85; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13. 122  BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11. 123  BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  15–16; BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11. 124  BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 2530/05, 1 BvL 11/06, 12/06, 13/06, BVerfGE 126, 369

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Rechtsprechungsänderungen müssten auch nicht zwingend – per obiter dictum  – angekündigt werden.125 Allerdings könnten solche Äußerungen immerhin die Vor­ hersehbarkeit einer Wende begründen.126 Der BGH begrenzt im Einzelfall die Wir­ kung von Rechtsprechungsänderungen auf die Zukunft, um unzumutbaren Härten infolge Änderungen einer langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung vorzu­ beugen.127 Dem Gerichtshof wird dabei nicht zu Unrecht eine mäandernde Linie attestiert.128 Insgesamt erscheint der BGH bei der Gewährung von Vertrauensschutz jedenfalls zurückhaltender als das BAG.129 Soweit in den vorstehenden Entscheidungen das Gebot des Vertrauensschutzes unmittelbar aus dem Verfassungsrecht abgeleitet wird – also nicht bloß Instrumen­ te des einfachen Rechts aktiviert werden130 –, sieht sich dieses Vorgehen indes der gleichen Kritik ausgesetzt wie andere Rückwirkungsbeschränkungen (plakativ als „Zeitzündertheorien“ bezeichnet131). Der wesentliche Kritikpunkt lautet: Gerichte seien nach Art.  20 Abs.  3 GG an Recht und Gesetz gebunden und müssten daher = BeckRS 2010, 52581 Rn.  79; BVerfG, Beschl. v. 2.5.2012 − 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20 = NVwZ 2012, 876, 878 Rn.  81; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  13; BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11; auch Brocker, NJW 2012, 2996, 3000. 125  BVerfG, Beschl. v. 26.4.1988 – 1 BvR 669/87 u. a., BVerfGE 78, 123 = NJW 1988, 2787. 126  Beispiel: BVerfG, Beschl. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 = NJW 2009, 1469, 1475 Rn.  86; siehe auch noch unten §  15 C. II. 3. c) mit Fn.  496. Zur Zulässigkeit ungeachtet des Umstands, dass ein obiter dictum zunächst seinerseits für ­Unsicherheit sorgen kann: Bydlinski, JBl 2001, 2, 20; Höpfner, RdA 2006, 156, 159; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 357. 127  Exemplarisch BGH, Urt. v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1, 5 = NJW 2002, 1642, 1643; BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803, 1805; BGH, Urt. v. 8.7.­­2004 – VII ZR 24/03, NJW-RR 2004, 1463, 1463–1464; vergleiche zudem BGH, Urt. v. 18.1.­ 1996  – IX ZR 69/95, BGHZ 132, 6 = NJW 1996, 924, 925 (ablehnend für den Sonderfall einer neu erkannten Unwirksamkeit von AGB, da der Rückfall auf das dispositive Recht zumutbar sein soll; vergleiche dazu Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 358–360 m. w. N.); BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1470; BGH, Urt. v. 23.1.2003 – VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 = NJW 2003, 1805, 1809. Im Ausnahmefall wurde auch eine bis dahin herrschen­ de Praxis als hinreichende Vertrauensgrundlage angesehen: BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = NJW 1991, 1830, 1833 (dazu später noch §  15 C. II. 1. d) aa) mit Fn.  351). 128  Herdegen, WM 2009, 2202, 2202. 129  So auch die Einschätzung von Herdegen, WM 2009, 2202, 2202; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 350 mit Fn.  148. Exemplarisch verweisen lässt sich auf BAG, Urt. v. 20.11.1990  – 3 AZR 573/89, BAGE 66, 228, 240 = NZA 1991, 477, 479 und 480–481; BAG, Urt. v. 14.12.2005  – 4 AZR 536/04, BAGE 116, 326 = NJW 2006, 2571, 2573 Rn.  25; BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = NJW 2006, 3161, 3165 Rn.  33–34; explizit auf der Linie des BVerfG aber BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705 Rn.  41. 130 Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung dahingehend deutend, dass damit nur der Schutz durch das einfache Recht gemeint sei, Brocker, NJW 2012, 2996, 3000. Andere erblicken hingegen in der Rechtsprechung des BVerfG etwas anderes als die reine Indienstnahme des einfa­ chen Rechts, etwa Höpfner, RdA 2006, 156, 162; siehe auch Klein, JZ 2018, 64, 68; Langenbucher, Entwicklung, S.  136; Medicus, NJW 1995, 2577, 2582–2583; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 215. Auch BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467 (Ls. 5), sowie BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = NJW 2006, 3161, 3165 Rn.  34, trennen in einen über §  242 BGB gewährten und einen darüber hinausgehenden Vertrauensschutz. 131  Bydlinski, JBl 2001, 2.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

stets, unabhängig von früheren (Fehl-)Entscheidungen, den ihnen vorliegenden Einzelfall richtig entscheiden.132 Dem wird in überzeugender Weise entgegnet, zum „Recht“ zähle auch der Vertrauensschutzgedanke.133 Die Kritik muss ihr Ar­ gument daher verfeinern: Der Vertrauensschutzaspekt sei schon bei der Entschei­ dung über die Aufgabe der früheren Rechtsprechung zu berücksichtigen und nicht anschließend „freihändig“ und „beliebig oft und an beliebigen Stellen“ gegen die übrige Rechtsordnung auszuspielen.134 Zutreffend ist zumindest die Erkenntnis, dass die Rückwirkungssperre inner­ halb privater Rechtsbeziehungen andere Auswirkungen hat als im Bürger-Staat-Ver­ hältnis. Die Gewährung von Vertrauensschutz gegenüber der einen Partei ginge zwingend zulasten der anderen, die für die frühere Rechtsprechung nicht verant­ wortlich ist und sich, wie nunmehr erkannt, eigentlich im Recht befindet.135 Dabei ist nicht per se zu beanstanden, dass Vertrauensschutz zulasten des eigentlich Be­ rechtigten wirkt – das geschieht auch anderswo, weil eben die Stabilität der Recht­ sprechung ihrerseits ein öffentliches Gut ist.136 Es würde aber die Gefahr herauf­ beschworen, dass die Rechtslage erstarrte: Ein Angriff auf die bestehende höchst­ richterliche Judikatur wäre unattraktiv, wenn potenzielle Kläger von vornherein befürchten müssten, die Früchte ihres Erfolgs nicht selbst ernten zu können, weil die erwirkte Änderung nur für die Zukunft gelten würde.137 Schließlich wird ins Feld geführt, schon das einfache Recht biete hinreichende Anknüpfungspunkte für die Berücksichtigung von Vertrauensschutz.138 Insbeson­ dere könne dort – anstelle ungebundener, „diskretionärer ad-hoc-Lösungen im Einzelfall“ – auf vorgezeichnete Interessenabwägungen zurückgegriffen werden.139 Soweit einfachrechtliche Vertrauensschutzvehikel existieren, steht jedenfalls die oben erwähnte Forderung, der Richter müsse stets das richtige Recht anwenden, 132  So etwa Brocker, NJW 2012, 2996, 2999; Bydlinski, JBl 2001, 2, 3, 14–15; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 340; G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 839; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 306–307. 133  Langenbucher, Entwicklung, S.  137; Langenbucher, JZ 2003, 1132, 1135; ähnlich v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 455; beiläufig auch Höpfner, RdA 2006, 156, 163. 134  Bydlinski, JBl 2001, 2, 14–15. 135  BAG (GrS), Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292, 319–320 („erstrebt und erstrit­ ten“); aus jüngerer Zeit etwa BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705 Rn.  41; aus der Literatur Brocker, NJW 2012, 2996, 2999; Bydlinski, JBl 2001, 2, 5–6; Höpfner, RdA 2006, 156, 164; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 340; Kähler, Strukturen, S.  77; Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 355–356. 136 Zutreffend Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 343. 137  v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 453–454; Brocker, NJW 2012, 2996, 2999; Bydlinski, JBl 2001, 2, 9, 11; Höpfner, RdA 2006, 156, 163; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 340; Kähler, Strukturen, S.  77; Langenbucher, Entwicklung, S.  137. 138  Brocker, NJW 2012, 2996, 3000; Bydlinski, JBl 2001, 2, 19, 21–23; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 341; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 307. 139  Bydlinski, JBl 2001, 2, 21–22. Genau entgegengesetzt positioniert sich J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  56. Dieser meint, die Instrumentalisierung des Rechtsirrtums sei wesensfremd. Es sei methodenehrlicher, eine Rückwirkung auszuschließen bzw. eine offene (gemeint wohl: freie) Be­ rücksichtigung des Vertrauensschutzes vorzunehmen.

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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nicht im Weg.140 Bei rechtsgeschäftlichen Bindungen, die im Vertrauen auf die frü­ here höchstrichterliche Judikatur eingegangen wurden, lässt sich beispielsweise über die (auch: ergänzende) Vertragsauslegung,141 über §  313 BGB142 oder den Ein­ wand unzulässiger Rechtsausübung (§  242 BGB)143 nachsteuern. Für die vorliegen­ de Untersuchung bedeutsam ist vor allem die Berücksichtigung rechtlicher Fehl­ vorstellungen im Rahmen einer Verschuldensprüfung.144 Auch die Privilegierung des Bereicherungsschuldners durch §§  818 ff. BGB kann vertrauensschützend wir­ ken.145 Vor unerwarteten Folgen einer ungünstigen Rechtsprechungsänderung werden Schuldner zudem durch die Verjährung geschützt.146 Allerdings bietet das einfache Recht nicht in jedem Zusammenhang Werkzeuge, mit denen sich das Ver­ trauen in eine frühere Rechtsprechungslinie schützen lässt. So hat der BGH eine Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt (heute §  206 BGB) abgelehnt, ob­ schon der Gläubiger mit der früheren Rechtsprechung von einer längeren Verjäh­ rungsfrist ausgegangen und deshalb – nach neuer Auffassung der Judikatur – nicht rechtzeitig gegen den Schuldner vorgegangen war.147 Man kann dann entweder zum „freihändigen“ Vertrauensschutz greifen148 oder als Kritiker von „Zeitzünder­ lösungen“ die Enttäuschung des Vertrauens als „geringere[s] Übel“ hinnehmen.149

III. Rechtserkenntnis durch Rechtsunterworfene Nicht nur als gerichtliches „Erkenntnisobjekt“, sondern auch als Gegenstand der Erkenntnis durch Privatrechtssubjekte weist das Recht Eigenheiten auf. 140 Vergleiche

Kähler, Strukturen, S.  353; Medicus, NJW 1995, 2577, 2580. Darauf hinweisend z. B. Bydlinski, JBl 2001, 2, 22; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 342; Langenbucher, Entwicklung, S.  134–135; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 349; Medicus, NJW 1995, 2577, 2578; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 308–309. 142  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1470; Brocker, NJW 2012, 2996, 3000; Bydlinski, JBl 2001, 2, 22; Höpfner, RdA 2006, 156, 165; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 349; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  58; Medicus, NJW 1995, 2577, 2578; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 215. 143  BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1470; Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 342; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 349; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 215; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 309–311; siehe auch Höpfner, RdA 2006, 156, 164. 144 Darauf hinweisend z. B. Bydlinski, JBl 2001, 2, 22; Höpfner, RdA 2006, 156, 161, 162; ­Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 341; Langenbucher, Entwicklung, S.  135–136; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 349; Medicus, NJW 1995, 2577, 2577–2578; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 307; siehe auch G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  54–55. 145  Vergleiche allgemein zu den bereicherungsrechtlichen Folgen Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 342; siehe auch unten §  13 C. I. 146  Bydlinski, JBl 2001, 2, 22: Harnos, WM 2015, 1658, 1659; Herresthal, WM 2018, 401, 410; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 349; siehe auch Medicus, NJW 1995, 2577, 2583. Beachte indes die später bei §  7 C. I. 3., insb. a) bb) angesprochenen Grenzen des Schuldnerschutzes bei Recht­ sprechungsänderungen. 147  BGH, Urt. v. 2.12.1976 – VII ZR 88/75, NJW 1977, 375, 376. 148  So verfahrend Medicus, NJW 1995, 2577, 2581–2583; R. Zimmermann/Jansen, in: Obliga­ tions, S.  285, scheinen eher auf §  242 BGB rekurrieren zu wollen. 149 So Bydlinski, JBl 2001, 2, 23 (siehe a. a. O., 19 zur Unmöglichkeit einer perfekten Lösung). 141 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

1. Fehlende Verbreitung von rechtlichem (Detail-)Wissen Wissen um Rechtsnormen und ihre Inhalte scheint in weiten Teilen der Bevölke­ rung allenfalls in begrenztem Umfang und diffuser Form vorhanden.150 Allerdings dürfte auch hinsichtlich vieler faktischer, beispielsweise naturwissenschaftlicher oder medizinischer Zusammenhänge in Laienkreisen Unwissenheit vorherrschen. Die Rechtslage weist aber zumindest die besondere Charakteristik auf, dass sie sich nicht durch Beobachtung von tatsächlichen Vorgängen erkennen lässt, sondern Er­ fahrungen und Axiome voraussetzt.151 Das Recht ist nicht unmittelbar einsichtig, sondern wird offenbar überwiegend mittelbar erlernt, nämlich über die Einhaltung sozialer Normen, welche die Rechtsordnung aufgreift.152 Vor diesem Hintergrund kann Rechtskenntnis für einen Kernbereich an Verhaltensgeboten regelmäßig an­ genommen werden. Das Areal gefestigter gesellschaftlicher Übereinstimmungen ist allerdings schnell verlassen.153 Sogar von der Annahme einer generellen Evidenz der guten Sitten154 hat sich der BGH bereits früh distanziert.155 Mit dem „erkennt­ nistheoretischen Optimismus der Naturrechtslehre“156 ist demnach nur wenig an­ zufangen. Auch Schulbildung und Medien vermitteln im Regelfall höchstens vage Rechtskenntnisse.157 Selbst wenn der Rechtsunterworfene in einer konkreten Situation hinreichenden Anlass hat, Nachforschungen zur Rechtslage anzustellen, begegnen ihm regelmä­ ßig erhebliche Schwierigkeiten. Im Internetzeitalter stehen dabei weniger durch die „Gesetzesflut“158 verursachte Schwierigkeiten beim Auffinden von Rechtssätzen im Vordergrund als Probleme bei deren Deutung.159 Bereits die verwendeten termi150  Raiser, Rechtssoziologie, S.  343–344; vergleiche auch v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  358– 359; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  47 Fn.  121; Meier, Iura, S.  138; Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 46; siehe zu empirischen Befunden sogleich im Text. 151  So formuliert Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 163; zustimmend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  43; siehe auch bereits Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 38. 152  v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  194, 364; Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 52 m. w. N. 153 Einen schwindenden Konsens in Zeiten des Wertungspluralismus sieht auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  43. 154  Vergleiche zum Verzicht auf ein Sittenwidrigkeitsbewusstsein bei Kenntnis aller Tatsachen etwa RG, Urt. v. 6.12.1919 – I 123/19, RGZ 97, 253, 255; zum Problem auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  91 (zu §  826 BGB); Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 302 Fn.  47 („Notorietät“) (zu §  819 Abs.  2 BGB) m. w. N. 155  Siehe bereits zur früheren Generalklausel des UWG: BGH, Urt. v. 22.4.1958 – I ZR 67/57, BGHZ 27, 264 = GRUR 1958, 549, 553 – Box-Programmheft; siehe auch Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 164, und zu §  826 BGB J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  92; Oechsler, in: Staudinger, §  826 Rn.  71. 156  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  88. 157  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  47 Fn.  121; Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 47. 158  Mit diesem Phänomen befasste sich Mayer-Maly v. a. in dem oben bei §  1 A. III. Fn.  27, ge­ nannten Werk „Rechtskenntnis und Gesetzesflut“ (1969); siehe auch Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 133; diesen Begriff nutzt z. B. auch Röhl, Rechtssoziologie, S.  259; von „Normenflut“ spre­ chen z. B. Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 32 m. w. N. zum Thema in Fn.  17–18, sowie v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  205–209 m. w. N. 159  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906; so schon J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  46–47.

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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ni technici mögen ohne Fachkenntnisse nicht verständlich sein.160 Eine für Laien kaum zu meisternde Herausforderung bedeutet vor allem die Komplexität der Rechtsordnung, insbesondere die Interdependenzen zwischen Normen161 – man denke nur an die Bedeutung europarechtlicher Vorgaben.162 Auch kann die Kennt­ nis von Rechtsprechung bzw. Gesetzesmaterialien unerlässlich sein, um zur richti­ gen Norminterpretation zu gelangen.163 Selbst in Fällen, in denen die Lösung ver­ hältnismäßig eindeutig aus dem Normtext hervorgeht, kann sich der Laie deshalb nicht sicher sein, nichts Wesentliches übersehen zu haben.164 Über all diese Hürden hilft es nicht hinweg, dass sich über Internetsuchmaschinen Ratschläge auffinden lassen.165 Sofern Beiträge, wie oftmals, ihrerseits von Laien verfasst sind, bestehen die gleichen Schwierigkeiten. Juristische Datenbanken sind ohne Vorverständnis ebenfalls kaum hilfreich.166 Und selbst wenn sich ein Laie mit Blick auf eine kon­ krete Situation, etwa im Kontext eines bestimmten Rechtsgeschäfts oder einer Prü­ fung, „echtes“ Rechtswissen angeeignet hat, bleibt dieses häufig nur temporär in Erinnerung.167 Empirische Erhebungen zum Rechtswissen der in Deutschland lebenden Be­ völkerung sind selten.168 Das gilt erst recht für Befunde zur Kenntnis konkreter Regeln. Die vorhandenen Ergebnisse fallen ernüchternd aus. Exemplarisch verwei­ sen lässt sich auf eine repräsentative Befragung sozialversicherungspflichtiger Be­ schäftigter zu Themen des Arbeitsrechts aus dem Jahr 2006.169 Deren Ergebnisse deuten klar darauf hin, dass das Wissen um arbeitsrechtliche Normen begrenzt ist.170 Auch eine repräsentative Erhebung zum Wissen um eherechtliche Regelun­ gen aus dem Jahr 2010 hat verbreitete Unkenntnis bzw. Fehlvorstellungen feststel­ len müssen.171

160 Siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  210; Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 48–49.

161  Siehe BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 210 Rn.  34; eingehend Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 31–37; zum „Systemwissen“ etwa Staake, JURA 2018, 661, 670. 162  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 48; vergleiche dazu eingehend Höpfner, Auslegung, S.  216– 320. 163  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   46; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn.  213–214; Staake, JURA 2018, 661, 669–670; Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 48. 164 Zutreffend Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 50. 165  Zur Rolle des Internets in diesem Zusammenhang z. B. schon v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  196. 166  Dies muss letztendlich auch v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  2 25 eingestehen. 167 Siehe Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 47. 168  Baer, Rechtssoziologie, §  7 Rn.  11; Raiser, Rechtssoziologie, S.  342 m.N. 169  Zur Methode und zum befragten Kreis näher Schramm, RdA 2007, 267, 268. 170  Schramm, RdA 2007, 267, 273; siehe zu den Ergebnissen im Einzelnen a. a. O., 275, Tabelle 5. Beispielsweise hielt nur rund ein Drittel der Befragten mündlich geschlossene Arbeitsverträge für gültig. 171  Siehe BMFSFJ, Partnerschaft. So gingen beispielsweise 89 Prozent der Verheirateten im gesetzlichen Güterstand davon aus, dass alles, was während einer Ehe erworben wird, beiden Partnern gleichermaßen gehöre (a. a. O., S.  50).

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

2. Existenz institutionalisierter Rechtsvermittlung In Anbetracht der beschriebenen Defizite und Probleme ist der Rechtsunterwor­ fene, in den Worten des BVerfG, „vielfach auf fachkundigen Rechtsrat angewiesen, um seine Rechte erkennen, bewerten und darüber entscheiden zu können“.172 Die Rechtsordnung selbst trifft deshalb „institutionelle Vorkehrungen“173, damit juris­ tisch Ungeschulten im Bedarfsfall die Rechtslage durch Intermediäre174 vermittelt werden kann. a) Kammergebundene Rechtsberater Auf dem Gebiet des Privatrechts nehmen vor allem Notare und Rechtsanwälte die Intermediärsfunktion wahr. Notare werden laut §  1 BNotO als „unabhängige Trä­ ger eines öffentlichen Amtes […] für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiete der vorsorgenden Rechtspflege“ tätig. Gerade bei der Beurkundung tritt vielfach die Beratungsaufgabe in den Vordergrund.175 Der Notar ist dabei nicht Parteivertreter, sondern „unparteiischer Betreuer“ (§  14 Abs.  1 S.  2 BNotO). Demgegenüber sind Rechtsanwälte streng dem Interesse ihres Man­ danten verpflichtet (vergleiche §  43a Abs.  4 BRAO, §  1 Abs.  3 BORA). Der Anwalt ist als „der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegen­ heiten“ (§  3 Abs.  1 BRAO) Organ der Rechtspflege (§  1 BRAO). Auf dem Gebiet der „Steuerrechtspflege“ kommt den Steuerberatern eine vergleichbare Funktion zu (siehe §  33 StBerG; §  1 Abs.  1 BOStB). Zur Beratung und Vertretung in steuer­ lichen Angelegenheiten sind nach §  2 Abs.  2 WPO auch Wirtschaftsprüfer befugt. Deren Hauptaufgabe stellen betriebswirtschaftliche Prüfungen dar (§  2 Abs.  1 WPO). Die Ergreifung der genannten Berufe setzt jeweils eine nachgewiesene rechtliche Vorbildung voraus. So müssen Notare (§  5 S.  1 BNotO) und Rechtsanwälte (§  4 S.  1 Nr.  1 BRAO) die Befähigung zum Richteramt nach dem DRiG vorweisen, Notare darüber hinaus den Anwärterdienst bzw. die notarielle Fachprüfung durchlaufen haben (§§  7 ff. BNotO). Die deutsche Juristenausbildung mit ihren zwei Staatsexa­ men wird dabei auch im internationalen Vergleich als „solide“ bezeichnet.176 Ver­ mittelt werden hier insbesondere die dogmatischen Fertigkeiten, an denen der Laie bei der Konfrontation mit Normtexten scheitert.177 Auch Steuerberater und Wirt­ schaftsprüfer müssen vor ihrer Bestellung besondere Prüfungen ablegen (§§  35 ff. StBerG; §  1 Abs.  1 S.  2, §§  12 ff. WPO). In diesem Rahmen sind umfangreiche Rechtskenntnisse, auch außerhalb des Steuerrechts, nachzuweisen (§  37 Abs.  3 S.  1 172  BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 210 Rn.  34. 173  Röhl, Rechtssoziologie, S.  266. 174  Begriff u. a. bei Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 43 mit Fn.  76. 175  Siehe z. B. zu §  311b BGB Ruhwinkel, in: MüKo-BGB, §  311b Rn.  2. 176  So etwa Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 57, 70. 177  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 49; zu diesen Problemen siehe oben 1.

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Nr.  1–5 StBerG; §  4 Abs.  1 Nr.  3, 4, Abs.  4, 5 WiPrPrüfV). Die Erbringung von Rechtsdienstleistungen (§  2 Abs.  1 RDG) durch sonstige Personen ist zum Schutz von Rechtsuchenden, Rechtsverkehr und Rechtsordnung (§  1 Abs.  1 S.  2 RDG) ge­ setzlich erheblich beschränkt (§  3 RDG; siehe ferner §  5 Abs.  1 S.  1 StBerG).178 Bei bestimmten Vorgängen stellt die Rechtsordnung die Einschaltung eines In­ termediärs nicht in das Belieben des Rechtsunterworfenen. Zu nennen ist beispiel­ weise das Erfordernis der notariellen Beurkundung bestimmter Erklärungen (etwa §  311b Abs.  1 S.  1 BGB). Vorschriften wie §  316 HGB, §  6 PublG machen die Ein­ schaltung eines Wirtschaftsprüfers erforderlich. Von großer Bedeutung ist darüber hinaus die Vorgabe des §  78 Abs.  1 ZPO, sich bei Zivilprozessen ab der Ebene der Landgerichte von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Der Anwaltszwang dient dabei einerseits der geordneten Rechtspflege, andererseits den Prozesspartei­ en selbst, deren sachkundige Beratung sichergestellt wird.179 Durch ihre Beteili­ gung lassen sich typischerweise unnötige Prozesse vermeiden und der Streit ver­ sachlichen.180 Die Präsenz eines zusätzlichen Experten in Person des Rechtsanwalts trägt zur Entlastung des Gerichts bei und dient der Überprüfung (und somit der Verbesserung) der gerichtlichen Tätigkeit.181 Um von der Vermittlungsleistung der Intermediäre Gebrauch machen zu kön­ nen, braucht der Rechtsunterworfene nicht nur ein Gefühl für die Notwendigkeit der Beratung.182 Er muss auch die anfallenden Kosten aufbringen können. Zwar ist die Vergütung der bisher genannten Intermediäre – wenngleich zum Teil dispositiv (siehe nur §  3a RVG) – gesetzlich geregelt (siehe vor allem: RVG, StBVV). Für wirt­ schaftlich schwächere Personen können sich in dieser Hinsicht dennoch unüber­ windbare finanzielle Hürden ergeben. Deshalb hat das BVerfG die Forderung postuliert, die „Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes“ weitgehend anzugleichen.183 Als Grundlage benannt werden, in schwankender Gewichtung, vor allem die Menschenwürdegarantie (Art.  1 Abs.  1 GG), das Gleichheitsgebot (Art.  3 Abs.  1 GG), das Sozialstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  1 GG), das Recht auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) sowie Art.  47 Abs.  3 der EU-Grundrechte-Charta.184 Der Unbemittelte sei einem solchen Bemit­ 178  Verstöße gegen das Tätigkeitsverbot ziehen zivilrechtlich betrachtet die Nichtigkeit darauf gerichteter Verträge nach sich (§  134 BGB), dazu ausführlich Armbrüster, in: MüKo-BGB, §  134 Rn.  100–116. Zum Teil sind Verstöße auch bußgeldbewehrt, siehe §  20 RDG, §  160 StBerG. 179  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 23.8.2010 – 1 BvR 1632/10, NJW 2010, 3291, 3291 Rn.  13; BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 242/03, NJW-RR 2005, 1237, 1237. 180  BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 242/03, NJW-RR 2005, 1237, 1237; Jacoby, in: Stein/ Jonas, §  78 Rn.  13; Toussaint, in: MüKo-ZPO, §  78 Rn.  2. 181  Jacoby, in: Stein/Jonas, §  78 Rn.  13. 182 Zu dieser Voraussetzung etwa Röhl, Rechtssoziologie, S.   262; siehe auch Giller, Rechts­ belehrungspflichten, S.  150. 183  BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 209–210 Rn.  30 m. w. N. 184  Siehe z. B. BVerfG, Beschl. v. 22.1.1959 – 1 BvR 154/55, BVerfGE 9, 124 = NJW 1959, 715, 716; BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 413; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 209–210 Rn.  30

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

telten gleichzustellen, „der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt“.185 Diese Rechtsprechung bezog sich zunächst auf den Zugang zum gerichtlichen Verfahren.186 Dieser wird insbesondere im Wege der Prozesskostenhilfe (§§  114 ff. ZPO)187 gewährleistet. Deren Bewilligung setzt ne­ ben der Bedürftigkeit voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. -vertei­ digung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§  114 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 ZPO). Sie ist unter bestimmten Umständen mit der Beiordnung eines aus der Staatskasse zu vergütenden (siehe §  122 ZPO) Rechtsanwalts zu ver­ binden: wo Anwaltszwang herrscht (§  121 Abs.  1 ZPO), wo dies aufgrund von ob­ jektiven oder in der Person der Partei begründeten Gesichtspunkten188 erforderlich erscheint oder wo dies angesichts der anwaltlichen Vertretung der Gegenseite zur Wahrung der „Waffengleichheit“189 geboten ist (§  121 Abs.  2 ZPO). Das Postulat, den Unbemittelten weitgehend gleichzustellen, hat das BVerfG auf den Zugang zu außergerichtlicher Rechtsberatung erstreckt, weil sonst bereits in diesem Stadium die Rechtswahrnehmung zu scheitern drohe.190 Dieser Forderung kommt das Be­ ratungshilfegesetz (BerHG) nach. Wenn keine anderen zumutbaren Möglichkeiten bestehen und die Inanspruchnahme nicht mutwillig erscheint (§  1 Abs.  1 Nr.  2, 3, Abs.  3 BerHG), wird unter den gleichen Bedürftigkeitsvoraussetzungen, wie sie für die Gewährung ratenfreier Prozesskostenhilfe bestehen (§  1 Abs.  1 Nr.  1, Abs.  2 BerHG), auf Antrag Beratungshilfe gewährt. Diese wird vor allem durch Rechts­ anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (siehe §  3 Abs.  1 BerHG) geleistet. Unter entsprechender Anwendung der Bedürftigkeitsschwellen des Prozesskosten­ hilferechts ist schließlich auch von der Erhebung von Notargebühren abzusehen (§  17 Abs.  2 BNotO). Rechtsberater treffen umfangreiche vertragliche Pflichten gegenüber ihren Auf­ traggebern. Die Rechtsprechung hat diese vor allem am Beispiel des Anwaltsver­ trags abgesteckt: Der Berater ist danach verpflichtet, in den Grenzen des erteilten Mandats die Mandanteninteressen nach jeder Richtung hin umfassend wahrzuneh­ men und Schädigungen des Auftraggebers zu vermeiden.191 m. w. N.; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 3.3.2014 – 1 BvR 1671/13, NJW 2014, 1291, 1291; Überblick bei Bork, in: Stein/Jonas, vor §  114 Rn.  8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  87 Rn.  1; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  1. 185  BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 210 Rn.  31 m. w. N. 186  Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 413. 187  Zur weitgehend vergleichbaren Verfahrenskostenhilfe nach §§  76–78 FamFG siehe Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  7. 188 Näher Kießling, in: Hk-ZPO, §  121 Rn.  9. 189  BGH, Beschl. v. 18.5.2011 − XII ZB 265/10, NJW 2011, 2434 (Ls. 3); Kießling, in: Hk-ZPO, §  121 Rn.  7. 190  BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 210 Rn.  33, 34. 191  Siehe nur BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324; BGH, Urt. v. 1.3.­ 2007  – IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 = NJW 2007, 2485, 2486 Rn.  9; BGH, Urt. v. 9.1.2020 – IX ZR 61/19, NJW 2020, 1139, 1139 Rn.  11; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  4 40.

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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Hierzu benötigt er entsprechende Rechtskenntnisse. An den Anwalt werden in diesem Punkt strenge Anforderungen gestellt. Diese gipfeln vielfach in der Feststel­ lung, ein Rechtsanwalt habe grundsätzlich jeden Rechtsirrtum zu vertreten.192 Konkret meint dies: Der Anwalt muss die einschlägigen Rechtsnormen kennen oder sich entsprechendes Wissen verschaffen, selbst wenn die Vorschriften neu sind oder einer Spezialmaterie angehören.193 Seinen Rat hat er vornehmlich an der höchstrichterlichen Judikatur zu orientieren.194 Diese muss der Anwalt nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern ebenso in allgemeinen Fachzeitschrif­ ten verfolgen.195 Wenn der Mandant die richtungsweisende höchstrichterliche Judi­ katur auf seiner Seite hat, soll der Anwalt grundsätzlich nicht verpflichtet sein, über vereinzelte Instanzentscheidungen oder Literaturauffassungen zu beraten, die dem Mandantenbegehren entgegenstehen.196 Eine Rechtsprechungsänderung muss er allerdings in Betracht ziehen, wenn neue Entwicklungen im Gesetzesrecht, in der Rechtsprechung oder Rechtswissenschaft ersichtlich Auswirkungen auf den Fort­ bestand einer älteren Rechtsprechungslinie haben können.197 Nach erfolgter Rechtsprüfung hat der Anwalt dem Mandanten den sichersten Weg zur Zielverwirklichung vorzuschlagen.198 Besteht ein realistisches Risiko einer un­ günstigen gerichtlichen Beurteilung, ist dies in die Überlegungen einzustellen.199

192  BGH, Urt. v. 20.4.1959 – III ZR 141/57, VersR 1959, 638, 641; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.4.­ 2017  – I-6 U 164/16, NJOZ 2017, 1089, 1092 Rn.  49; OLG Köln, Urt. v. 23.5.2019 – 24 U 122/18, BeckRS 2019, 12371 Rn.  30; Grüneberg, in: Palandt, §  280 Rn.  68. 193  BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04, NJW 2006, 501, 502; Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  34; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  519; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  132; Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  36–37. 194  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324; BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; BGH, Urt. v. 17.3.2016 – IX ZR 142/14, WM 2016, 2091, 2092 Rn.  9; Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  48. 195  BGH, Urt. v. 10.12.1957 – VIII ZR 243/56, NJW 1958, 825; BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  17, 21–22; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 770–771 Rn.  11; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  535. 196  BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594–1595 Rn.  9, 16. 197  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324–3325; BGH, Urt. v. 6.11.­ 2008  – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9. Dagegen ist die Formulie­ rung in BGH, Urt. v. 29.4.2020 – VIII ZR 355/18, NJW 2020, 1947, 1954 Rn.  65 („Die Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung muss der Rechtsanwalt stets in Betracht ziehen“), in ihrer (vermeint­lichen) Pauschalität irreführend, da im konkreten Fall der (Revisions-)Anwalt tatsäch­ lich mit der Rechtsprechungsänderung rechnen musste (zutreffende Deutung bei Borgmann, NJW 2020, 3567, 3570 Rn.  27). 198  Dazu etwa BGH, Urt. v. 9.11.1982 – VI ZR 293/79, BGHZ 85, 252 = NJW 1983, 820, 822; BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324; BGH, Urt. v. 1.3.2007 – IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 = NJW 2007, 2485, 2486 Rn.  9; ausführlich Fahrendorf, in: Fahrendorf/ Mennemeyer, Rn.  596–632. 199 Siehe Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  604; Heermann, in: MüKo-BGB, §  675 Rn.  31.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Zweifel an den Erfolgsaussichten sind zu artikulieren.200 Nichtsdestotrotz dürfte bei überwiegenden Erfolgsaussichten regelmäßig zur Klage zu raten sein.201 Je nach Lage des Falls kann der sicherste Weg indes auch im Abwarten einer Klärung liegen.202 Nach entsprechend eingehender Aufklärung und Zustimmung des Mandanten darf aber auch bei geringen Erfolgsaussichten prozessiert werden.203 Auch darüber hinaus hat der Anwalt Weisungen des Mandanten nach §§  675, 665 BGB grundsätzlich zu befolgen, wobei ihn eine Hinweispflicht zu bestehenden Risiken treffen kann.204 Die dargestellten Grundsätze gelten allgemein, also insbesondere unabhängig davon, ob der Anwalt außergerichtlich oder vor Gericht tätig wird. Ist er Prozess­ vertreter, sind allerdings gewisse Besonderheiten zu beachten. Nach §  85 Abs.  2 ZPO wird der Partei das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet. Im Prozess trifft den Rechtsanwalt insbesondere auch die Pflicht, Fehlentscheidun­ gen zulasten seines Mandanten zu verhindern (vergleiche §  1 Abs.  3 BORA).205 Der nötige Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts  – etwa in Gestalt fehlender Rechtsprüfung bzw. -ausführungen – und dem durch eine gerichtliche Fehlentscheidung erlittenen Schaden des Mandanten soll nach An­ sicht des BGH regelmäßig bestehen.206 Die Haftung des Notars gegenüber den Beteiligten ist aufgrund dessen Stellung eine Amtshaftung (§  19 BNotO), für die weitgehend die aus §  839 BGB bekannten Besonderheiten gelten (siehe §  19 Abs.  1 S.  2 Hs.  1, S.  3 BNotO). Eine Übereinstim­ mung der Haftung von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Notaren besteht darin, dass diese Berufs- bzw. Amtsträger zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung nach Maßgabe der §  51 BRAO, §  67 StBerG, §  54 WPO, §  19a BNotO verpflichtet sind. Dadurch wird das rechtsuchende Publikum ge­ schützt, das sich sicher sein kann, Ansprüche im Haftungsfall durchsetzen zu kön­ nen.207 Im jeweiligen Mandatsvertrag kann die Haftung von Anwälten, Steuerbera­ tern und Wirtschaftsprüfern nur unter Beachtung der Grenzen aus §  52 BRAO, §  67a StBerG, §  54a WPO beschränkt werden. 200  BGH, Urt. v. 16.10.1984 – VI ZR 304/82, NJW 1985, 264, 265; Jungk, in: Borgmann/Jungk/ Schwaiger, §  20 Rn.  94; Vollkommer/Greger/Heinemann, AnwHaftR, §  12 Rn.  18–19. 201  Heermann, in: MüKo-BGB, §  675 Rn.  31 (verjährungshemmende Klage bei zweifelhaften, aber doch günstigen Aussichten); vergleiche auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  20 Rn.  95. 202  Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  133. 203  Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §   20 Rn.   96; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anw­HaftR, §  12 Rn.  23, §  14 Rn.  10. 204  BGH, Urt. v. 13.3.1997 – IX ZR 81/96, NJW 1997, 2168, 2169; Fahrendorf, in: Fahrendorf/ Mennemeyer, Rn.  634–637; Vollkommer/Greger/Heinemann, AnwHaftR, §  14 Rn.  1c, 5–7. 205 BGH, Urt. v. 15.11.2007 – IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, NJW 2008, 1309, 1310–1311 Rn.  15. 206 BGH, Urt. v. 15.11.2007 – IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, NJW 2008, 1309, 1310–1311 Rn.  15; BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987, 988–989 Rn.  19–22; nicht bean­ standet von BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 22.4.2009 – 1 BvR 386/09, NJW 2009, 2945; andere Tendenz noch bei BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 12.8.2002  – 1 BvR 399/02, NJW 2002, 2937. 207  Siehe Begr. RegE, BT-Drs. 12/4993, 31.

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b) Sonstige Intermediäre Neben den bislang aufgeführten, von der Rechtsordnung speziell zur rechtlichen Beratung eingesetzten Berufsgruppen existieren zahlreiche weitere Intermediäre, die juristische Expertise vermitteln können. Zu nennen sind an dieser Stelle staatliche Stellen wie Gerichte und Behörden.208 Auf die richterliche Hinweispflicht nach §  139 ZPO ist bereits eingegangen wor­ den.209 Der Amtsrichter hat zusätzlich §  504 ZPO (Hinweis bei Unzuständigkeit) zu beachten. Fehlvorstellungen, die schon eine Verfahrenseinleitung verhindern, können so aber naturgemäß nicht beseitigt werden.210 Immerhin erlaubt es der ge­ richtliche Hinweis gegebenenfalls, weiter gehende Nachteile zu verhindern, etwa indem ein zu Schadensersatz verpflichtendes Verhalten (z. B. eine unberechtigte Leistungsverweigerung) nicht fortgesetzt wird. Auch die abschließende Entschei­ dung des Gerichts vermittelt Informationen zur Rechtslage. Das gilt nicht nur für die nach Maßgabe des §  232 ZPO beizufügende Rechtsbehelfsbelehrung, sondern gerade auch für die Erläuterung in den Entscheidungsgründen. Auch Behörden dürfen innerhalb ihres Aufgabenbereichs Rechtsauskünfte ge­ ben (§  8 Abs.  1 Nr.  4 RDG). Teils ruft sie das Gesetz sogar ausdrücklich dazu auf (siehe etwa §  89 Abs.  2 S.  1 AO, §  15 Abs.  1, 2 SGB I). Im Übrigen werden Rechts­ auskunftsersuchen indes sehr unterschiedlich behandelt.211 Von „besonderer Gü­ te“212 ist die Intermediärstätigkeit von Behörden, wenn deren Stellungnahme ver­ bindlichen Charakter hat. Soweit 213 und solange214 Verbindlichkeit besteht, kann die Rechtslage jedenfalls im Verhältnis zwischen Behörde und Bürger nicht abwei­ chend beurteilt werden. Im Zivilrechtsstreit erfahren solche Auskünfte jedoch eine „Zurückstufung“, soweit die Zivilgerichte eine Bindung an Verwaltungsentschei­ dungen ablehnen und die Rechtslage selbst prüfen.215 Die Erteilung von Rechtsauskünften ist weiteren Akteuren in den von ihnen „be­ treuten“ Rechtsbereichen gestattet. Das gilt im Rahmen von §  2 Abs.  3 Nr.  3 RDG etwa für die Erörterung arbeitsrechtlicher Fragen von Beschäftigten mit Betriebs­ räten und Personalvertretungen. §  7 RDG erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Vereinigungen gegenüber ihren 208  So auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 43 Fn.  76; siehe ferner v. Arnauld, Rechtssicher­ heit, S.  363. 209  Siehe oben II. 1. 210  Siehe auch Meier, Iura, S.  153, zur Notwendigkeit einer anderweitigen vorprozessualen In­ formation. 211  Vergleiche z. B. zur Handhabung von Auskunftsersuchen zur Erlaubnispflichtigkeit nach §  32 KWG durch die BaFin Hippeli, WM 2018, 253, 255–256. 212  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 60. 213  So binden beispielsweise Entscheidungen der BaFin dazu, ob ein Unternehmen dem KWG unterfällt, die übrigen Verwaltungsbehörden (§  4 S.  2 KWG). 214  Zur Lösung von der Bindung am Beispiel von BaFin-Auskünften Hippeli, WM 2018, 253, 256. 215 Dazu Hippeli, WM 2018, 253, 257, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 15.11.1990 – III ZR 302/89, BGHZ 113, 17 = NJW 1991, 1168, 1169 (zum Amtshaftungsrecht; m. w. N.).

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Mitgliedern innerhalb des satzungsmäßigen Aufgabenbereichs. Dieser Tatbestand erfasst beispielsweise Gewerkschaften und Mietervereine.216 Die Liste lässt sich mit Verbraucherzentralen bzw. -verbänden (§  8 Abs.  1 Nr.  4 RDG) fortsetzen. Erlaubt sind überdies Rechtsdienstleistungen als Nebenleistungen, etwa von Testaments­ vollstreckern und Wohnungsverwaltern (§  5 RDG). Praktische Bedeutung haben auch Unternehmen, die nach einer entsprechenden Registrierung Inkassodienst­ leistungen anbieten dürfen (§§  2 Abs.  2, 10 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 RDG).217

B. Abgrenzung zur Tatsachenerkenntnis Wenn das Recht als Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand Besonderheiten aufweist, liegt es nahe, dass Rechts- und Tatsachenirrtümer in rechtlicher Hinsicht zumin­ dest in manchen Fragen unterschiedlich behandelt werden. Vor diesem Hinter­ grund bedarf es einer Bestimmung der Trennlinie.

I. Rechtsirrtum im engeren und im weiteren Sinne Bereits ohne exakte Grenzziehung lassen sich viele Fälle eindeutig zuordnen. Geht beispielsweise ein Käufer irrtümlich davon aus, Gewährleistungsrechte zu haben, kann dies seine Ursache in der fälschlichen Annahme eines technischen Defekts des Kaufgegenstands finden. Ebenso denkbar ist aber, dass der Käufer alle Tatsachen zutreffend erfasst und sich sodann über die rechtlichen Auswirkungen irrt, zum Beispiel weil er fälschlich davon ausgeht, Gewährleistungsausschlüsse seien im deutschen Kaufrecht stets unwirksam. Ein Rechtsirrtum im engeren Sinne liegt nur im zweitgenannten Fall vor. Da der Käufer aber auch im ersten Szenario im Ergeb­ nis über das Bestehen von Gewährleistungsrechten irrt, lässt sich von einem Rechts­ irrtum im weiteren Sinne bzw. einem Irrtum über das subjektive Recht 218 sprechen. Ursache ist jedoch ein Irrtum über Tatsachen. Dieser führt selbst bei richtiger Deu­ tung aller einschlägigen Rechtsgrundlagen zu einem falschen Schluss. Die oben identifizierten Besonderheiten zur Rechtserkenntnis beanspruchen nur insoweit Geltung, wie ein Irrtum seinen Grund (zumindest auch) in der fehlenden Kenntnis oder falschen Interpretation der rechtlichen Grundlagen findet. Die fol­ gende Untersuchung widmet sich daher allein dem Rechtsirrtum im engeren Sinne. 216 

Siehe nur S. Overkamp/Y. Overkamp, in: Henssler/Prütting, §  7 RDG Rn.  35. Registrierung setzt u. a. den Nachweis entsprechender Sachkunde und einer Berufs­ haftpflichtversicherung voraus (§  12 Abs.  1 Nr.  2, 3, Abs.  3 RDG). Der BGH hat zuletzt ein eher großzügiges Verständnis der erlaubten Inkassodienstleistungen an den Tag gelegt, BGH, Urt. v. 27.11.­2019 – VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208, 219–235 Rn.  97–227; BGH, Urt. v. 8.4.2020 – VIII ZR 130/19, NJW-RR 2020, 779, 781–787 Rn.  30–74 (siehe zum Legal-Tech-Inkasso näher unten §  19 B. III.). 218  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  7, 12–13; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  11; siehe bereits Frede, Rechts­ irrtum, S.  15–16; Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 1, 3–4; in der Sache gleichermaßen differenzierend Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 34; Zedler, Rechtsrisiko, S.  154–155. 217  Die

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II. Trennungsbedürfnis und Trennbarkeit Die Abgrenzung von Recht und Tatsachen stellt ein klassisches Problem dar.219 Ausgehen lässt sich von der Grundannahme, dass (empirische) Tatfrage ist, was tatsächlich geschehen ist, (normative) Rechtsfrage hingegen, wie das reale Gesche­ hen anhand der Kriterien der Rechtsordnung zu bewerten ist.220 Das Zivilprozess­ recht knüpft an diese Trennung wesentliche Konsequenzen:221 Für Tatsachen gilt der Beibringungsgrundsatz, sie sind Gegenstand des Geständnisses (§  288 ZPO) bzw. der Geständnisfiktion (§§  138 Abs.  3, 331 Abs.  1 S.  1 ZPO) und des Beweises. Die Revision kann nur auf Rechtsverletzungen gestützt werden (§§  545 Abs.  1, 546 ZPO), an die Tatsachenfeststellungen ist das Revisionsgericht weitgehend gebun­ den (§  559 ZPO). Vor diesem Hintergrund verblasst die grundsätzlich diskutierte Frage, ob sich Tatsachen- und Rechtserkenntnis überhaupt logisch trennen lassen.222 Dass die Differenzierung schwierig ist, erkannten schon die Verfasser der ursprünglichen CPO.223 Dies ändert aber nichts daran, dass das Gesetz die Trennbarkeit voraus­ setzt.224 Selbst wenn man keinen übergreifenden „rechtslogischen Tatsachenbe­ griff“225 entwickeln kann, muss man bei Anwendung der oben zitierten Vorschrif­ ten im Einzelfall Farbe bekennen und die Zuordnung zur rechtlichen oder tatsäch­ lichen Ebene durchführen.226 Man sollte sich stets vergegenwärtigen, dass die Schwierigkeiten eher im Detail denn im Grundsatz liegen. Abschließend identifizieren lassen sich die relevanten Problemstellen erst nach näherer Betrachtung der verschiedenen Untersuchungs­ quadranten. Eine endgültige Umschreibung des „Rechts“ als Bezugspunkt des „Rechtsirrtums“ muss daher zurückgestellt werden.227 An dieser Stelle gilt es nur, eine erste Orientierung zu gewinnen. Dazu ist zu skizzieren, wie im Rahmen der wesentlichen prozessualen Fragen üblicherweise zwischen Recht und Tatsachen unterschieden wird. 219 Siehe nur Jacobs, in: Stein/Jonas, §   546 Rn.  3; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  128 m. w. N. in Fn.  46; Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 2 (mit einem Überblick zu den vertretenen Ansätzen a. a. O., 8–19). 220  Siehe nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  128; Schrader, Wissen, S.  95. 221  Überblick bei Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  128; Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 4–6; siehe auch Bähr, in: FS Ahrens, S.  31, 31. 222  Siehe die Nachweise bei Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 46 Rn.  2 ; bejahend etwa Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 41, 44; sehr skeptisch Ball, in: Musielak/Voit, §  546 Rn.  3; vermittelnd Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  11 (logisch möglich, wenngleich schwierig). In der oben (§  2 A. Fn.  9) angesprochenen Diskussion um die Bedeutung von Rechtsirrtümern im Kontext von §  779 Abs.  1 BGB wird verbreitet auf die kaum trennscharf durchführbare Abgrenzung hingewiesen, siehe etwa Habersack, in: MüKo-BGB, §  779 Rn.  65; Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 405. 223  Hahn, Materialien II, S.  366–367. 224  Jacobs, in: Stein/Jonas, §  5 46 Rn.  5; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 340; Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 8. 225  So der Anspruch von Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 10. 226  Vergleiche etwa Bähr, in: FS Ahrens, S.  31, 32 227  Siehe unten §  18 C.–D.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

III. Revisibilität Im Revisionsrecht wird trotz §§  545, 546, 559 ZPO gemeinhin nicht dogmatisch scharf zwischen Recht und Tatsachen getrennt, sondern darauf abgestellt, inwie­ weit dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zustehen soll.228 Tragend sind inso­ weit Erwägungen, die am Zweck der Revision orientiert sind, insbesondere an der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts.229 Revisibles Recht im Sinne der §§  545, 546 ZPO sind demnach zumindest die in­ ländischen materiellen Gesetze.230 Darunter fallen ihrerseits die Vorschriften, die die Tatsachenfeststellung durch das Gericht regeln.231 Ausländische Rechtssätze (§  293 ZPO) stellen hingegen nach herrschender, aber umstrittener Auffassung nicht revi­ sibles Recht im Sinne der §§  545, 560 ZPO dar, sodass das Revisionsgericht insoweit an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden sein soll.232 Private Verein­ barungen und Erklärungen sind keine revisiblen Normen, doch überprüft das Re­­vi­ sionsgericht, ob auf sie die Auslegungsvorschriften (siehe §§  133, 157, 242 BGB) zu­ treffend angewandt wurden.233 Die Kontrolle soll indes nicht so weit gehen, dass das Revisionsgericht eine für überzeugender gehaltene Auslegung an die Stelle einer im Übrigen rechtsfehlerfreien Auslegung des Tatrichters setzen würde.234 Manche be­ gründen dies mit der Einstufung der Auslegung als Tatfrage.235 Überzeugender ist die Qualifikation als Rechtsanwendung.236 Doch selbst unter dieser Prämisse wird betont, dass Tatsachenfeststellung und rechtliche Würdigung bei der objektiv-nor­ mativen Auslegung eng verzahnt seien.237 Jedenfalls, so heißt es verbreitet, fehle es an der für die Revision typischen Leitbildfunktion.238 Das wiederum lässt sich mit Blick 228  Ball, in: Musielak/Voit, §  5 46 Rn.  3; siehe auch, wenngleich eher kritisch, Jacobs, in: Stein/ Jonas, §  546 Rn.  4 –6. 229  Bähr, in: FS Ahrens, S.  31, 40; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 46 Rn.  3; zu diesen Zwecken siehe oben A. II. 2. 230  R. Koch, in: Hk-ZPO, §  5 45 Rn.  3; Reichold, in: Thomas/Putzo, §  5 45 Rn.  3. Zum Begriff des inländischen Rechts vergleiche schon oben A. II. 1. 231  Auch die Beweiswürdigung ist also auf Rechtsfehler überprüfbar, Jacobs, in: Stein/Jonas, §  546 Rn.  24–25; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  19 m.N. 232  BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = NJW 2013, 3656, 3657–3658 Rn.  13–23 m.N. zur Diskussion; ebenso BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13; NJW 2014, 1244, 1245 Rn.  14; Jacobs, in: Stein/Jonas, §  545 Rn.  19–22; Reichold, in: Thomas/Putzo, §  545 Rn.  8/9; a. A. etwa Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  41; kritisch auch Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  68. 233  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 23.4.1997 – VIII ZR 212/96, BGHZ 135, 269 = NJW 1997, 1845, 1845; BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183, 2183 Rn.  17; BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 87/14, NJW 2015, 1589, 1590 Rn.  9; Reichold, in: Thomas/Putzo, §  546 Rn.  6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  13. 234  Ball, in: Musielak/Voit, §  5 46 Rn.  5. Dem Revisionsgericht genügt also mit anderen Worten eine „relative“ Richtigkeit (dazu oben A. I.) der tatrichterlichen Auslegung. 235  So etwa Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 57; Schrader, Wissen, S.  103. 236  Bähr, in: FS Ahrens, S.  31, 33; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  130; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  13. 237 So Krüger, in: MüKo-ZPO, §   546 Rn.  9; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  131; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  13. 238 So Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 46 Rn.  9; ähnlich Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  131;

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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auf typisierte Vertragserklärungen, insbesondere AGB und Satzungen privatrecht­ licher Körperschaften, nicht behaupten. Diese sind zwar ebenfalls keine Rechtsnor­ men.239 Sofern sie aber über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben, werden sie zur Vermeidung einer widersprüchlichen Auslegung revisionsrechtlich gleichgestellt.240 Weniger eindeutig ist die Lage hinsichtlich sogenannter Normtatsachen.241 Unter diesem Begriff lassen sich sämtliche Tatsachen bzw. „außerjuristische[n] Sätze“242 zusammenfassen, die nicht auf den Einzelfall bezogen sind und die das Gericht zur Bildung des Obersatzes im Syllogismus benötigt.243 Darunter fällt die generelle Be­ stimmung berufsspezifischer Sorgfaltsanforderungen (§  276 Abs.  2 BGB), der Ver­ kehrssitten (§§  151 S.  1, 157, 242 BGB) einschließlich der Handelsbräuche (§  346 HGB) und der Üblichkeit (§§  612 Abs.  2, 632 Abs.  2 BGB).244 Auch Erfahrungs­ sätze sind hier zu verorten.245 Darunter lassen sich generalisierende Schlussfolge­ rungen verstehen, die mithilfe der allgemeinen Lebenserfahrung oder besonderer Sachkunde aus Einzelfallbetrachtungen gewonnen wurden.246 Solchen kommt zwar neben der Konkretisierung von Rechtsnormen vor allem eine Funktion bei der Feststellung von Subsumtionstatsachen zu.247 Doch geht es auch hier letztlich um die Bildung von (beweisrechtlichen) Obersätzen.248 Ebenso den Normtatsachen zuordnen lassen sich „Rechtsfortbildungstatsachen“.249 Diese dienen beispielsweise E. Schmidt, KritV 1989, 303, 312; Schrader, Wissen, S.  103; a. A. aber Jacobs, in: Stein/Jonas, §  546 Rn.  17. 239  Ball, in: Musielak/Voit, §  5 45 Rn.  2 ; R. Koch, in: Hk-ZPO, §  5 45 Rn.  4. 240  BAG, Urt. v. 27.2.2019 – 10 AZR 341/18, NJW 2019, 2491, 2493 Rn.  19; BGH, Urt. v. 5.7. 2005  – X ZR 60/04, BGHZ 163, 321 = NJW 2005, 2919, 2921; BGH, Urt. v. 9.6.2010 – VIII ZR 294/09, NJW 2010, 2877, 2877 Rn.  11; BGH, Urt. v. 13.4.2016 – XII ZR 146/14, NJW 2016, 2489, 2491 Rn.  35; BGH, Beschl. v. 19.4.2018 – I ZB 52/17, NJW-RR 2018, 1331, 1332 Rn.  12; Ball, in: ­Mu­sielak/Voit, §  546 Rn.  5, 6; Reichold, in: Thomas/Putzo, §  546 Rn.  7–10; vergleiche auch ­BeschlE und Bericht FGG-RG, BT-Drs. 16/9733, 302; a. A. offenbar BAG, Beschl. v. 24.7.2019 – 3 AZN 627/19, NJW 2019, 2882, 2882–2883 Rn.  5. 241  Begriffsprägend v. a. E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  8 07, 809–811; siehe auch Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 435; zur differierenden Terminologie Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 263– 264 m. w. N. in Fn.  34–35 (eigene Kategorisierung a. a. O., 264–271). 242  Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  8 . 243  Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 447; E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  8 07, 809, 811; siehe auch Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, §  284 Rn.  19; Seiter, in: FS Baur, S.  573, 574–575 (jeweils zu Rechtsfortbildungstatsachen). 244  Foerste, in: Musielak/Voit, §  284 Rn.  3; Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 265; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 341; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  8. 245  Pohlmann, in: FS Stürner, S.   435, 448 (mit zutreffendem Hinweis zum Verhältnis von „Normtatsache“ und „Erfahrungssatz“ a. a. O., S.  4 47); eine enge Verwandtschaft betonend auch Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 267; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 342–343. 246  So im Kern z. B. Foerste, in: FS Schilken, S.  261, 261–262; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 335; Oestmann, JZ 2003, 285, 288; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  10. 247  Foerste, in: FS Schilken, S.  261, 262; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 335; siehe auch Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 447; siehe zur Rolle bei der Begründung eines Anscheinsbeweises unten §  13 C. III. 2. c) bb). 248  Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 443, 448; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  10. 249  Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 343; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  2 2; begriffs­ prägend Seiter, in: FS Baur, S.  573, 574.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

der Prognose ökonomischer Folgen einer erwogenen Rechtsfortbildung.250 Auch wenn es sich bei Normtatsachen nicht im engeren Sinne um Rechtsnormen han­ delt,251 ist ihre Revisibilität jedenfalls in Teilen anerkannt. Für die Rechtsfortbil­ dungstatsachen versteht sich dies von selbst, betreffen diese doch eine Aufgabe des Revisionsgerichts.252 Auch Bestand und Inhalt von Erfahrungssätzen werden für voll revisibel gehalten.253 Anders behandelt vor allem die Rechtsprechung die Ver­ kehrsanschauung, die Üblichkeit bzw. die Verkehrssitten und Handelsbräuche. Diese werden dem tatrichterlichen Bereich zugeschlagen und damit der Revision entzogen.254 Diese Sicht stößt im Schrifttum auf Widerspruch.255 Im Bereich der als revisibel angesehenen Normen prüft das Revisionsgericht zu­ nächst vor allem, ob die herangezogenen Normen bestehen und ob keine einschlä­ gigen Normen außen vor geblieben sind.256 Uneingeschränkt revisibel ist auch die vom Tatrichter vorgenommene Normauslegung.257 Damit stellt zugleich die Sub­ sumtion des festgestellten Sachverhalts unter die Norm eine im Grundsatz revisible Rechtsfrage dar.258 Allerdings wird dem Tatrichter bei unbestimmten Rechtsbe­ griffen verbreitet ein Beurteilungsspielraum eingeräumt.259 Prototypisches Beispiel ist die „grobe Fahrlässigkeit“.260 Schlüssiger als die Einordnung als Tatfrage261 ist die Klassifizierung als Rechtsfrage, 262 deren Überprüfung angesichts der Zwecke des Revisionsrechts eingeschränkt werden soll.263 Insgesamt ist die Rechtsprechung zur (Nicht-)Revisibilität der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe uneinheit­ 250 

Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 269; siehe auch Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 343. R. Koch, in: Hk-ZPO, §  545 Rn.  4. 252 Siehe Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 453; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  291 Rn.  20; Seiter, in: FS Baur, S.  573, 591–592. 253  BGH, Urt. v. 18.1.1995 – VIII ZR 23/94, BGHZ 128, 307 = NJW 1995, 955, 956; BGH, Urt. v. 21.1.2000 – V ZR 327/98, WM 2000, 1069, 1070; Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 352; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  17 Rn.  42; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  284 Rn.  47; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  11, §  143 Rn.  12; Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  14; vor­ sichtiger Foerste, in: FS Schilken, S.  261, 270 (zumindest nicht ohne Verfahrensrüge). Beachte zur fehlenden Bindungswirkung bei einer Zurückverweisung BGH, Urt. v. 27.10.1981 – VI ZR 66/80, NJW 1982, 1049, 1050. 254  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 1.12.1965 – VIII ZR 271/63, NJW 1966, 502, 503 m. w. N.; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  546 Rn.  17 m. w. N. 255  Oestmann, JZ 2003, 285, 289; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  8: vergleiche auch Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 352, 356; E. Schmidt, KritV 1989, 303, 310. 256  Siehe nur Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 46 Rn.  4. 257  Siehe nur Ball, in: Musielak/Voit, §  5 46 Rn.  4. 258  Hahn, Materialien II, S.   366; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  546 Rn.  13; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  26–27. 259  BAG, Urt. v. 5.6.2007 – 9 AZR 82/07, BAGE 123, 30 = NZA 2007, 1352, 1355 Rn.  4 4; BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZB 22/04, NJW 2004, 3413, 3415; Ball, in: Musielak/Voit, §  546 Rn.  12; Heßler, in: Zöller, §  546 Rn.  12. 260  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 16.7.1998 – I ZR 44–96, NJW-RR 1999, 254, 255; siehe – auch zu weiteren Beispielen – Krüger, in: MüKo-ZPO, §  546 Rn.  13 m.N. 261  So aber BGH, Urt. v. 11.5.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 = NJW 1953, 1139. 262  Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  29; Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 49. 263 Vergleiche Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 49; E. Schmidt, KritV 1989, 303, 315. Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  30, begründen das Ergebnis damit, dass sonst die „Grenzen der 251 

§  3 „Recht“ als besonderer Erkenntnis- und Irrtumsgegenstand

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lich.264 Im Schrifttum wird zum Teil für eine volle Revisibilität plädiert.265 Beson­ derheiten werden schließlich bei Ermessensentscheidungen 266 angenommen. Hier soll es nur zu einer beschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle kommen:267 Ins­ besondere darf das Revisionsgericht nicht seine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle einer anderen, ebenfalls ermessensgerechten Entscheidung des Tatgerichts setzen.

IV. Ermittlung und Feststellung Erhebliche Unterschiede zwischen Recht und Tatsachen ergeben sich hinsichtlich ihrer Einführung in den Prozess und der gerichtlichen Feststellung. Unter Geltung des Beibringungsgrundsatzes bedürfen Tatsachen grundsätzlich der Behauptung durch die Parteien und des Beweises, sofern sie entscheidungserheblich und bestrit­ ten sind.268 Als Tatsache in diesem Sinne soll alles anzusehen sein, „was zum Tat­ bestand der anzuwendenden Rechtssätze gehört und den Untersatz des richter­ lichen Syllogismus bildet“.269 Das Gegenstück bilden Rechtsnormen. Diese sind prinzipiell nach dem Grundsatz „iura novit curia“ durch das Gericht zu ermitteln und können nicht Beweisgegenstand sein.270 Zur Rechtsanwendung in diesem ­Sinne wird – ungeachtet der umstrittenen Revisibilität – auch die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen gezählt: Diese muss von Amts wegen erfolgen, ohne dass es insoweit auf Fragen der Darlegungs- bzw. Beweislast ankäme.271 Gewisse Modifikationen gelten für die in §  293 ZPO aufgeführten (vor allem aus­ ländischen) Rechtssätze. Auch insoweit hat die Rechtsanwendung von Amts wegen zu erfolgen.272 Die Regeln der objektiven und subjektiven Beweislast finden keine Anwendung.273 Zu einem Geständnis kann es diesbezüglich – auch als Fiktion im Leistungsfähigkeit des im Wesentlichen auf schriftlicher Grundlage entscheidenden Revisions­ gerichts“ erreicht würden. 264  Ball, in: Musielak/Voit, §  5 46 Rn.  3; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 46 Rn.  13 („nicht frei von Brüchen“). 265  Jacobs, in: Stein/Jonas, §  5 46 Rn.  27; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §  5 46 Rn.  15. 266 Beispiele bei Krüger, in: MüKo-ZPO, §   546 Rn.  14; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  31. 267  BGH, Urt. v. 18.2.1993 – III ZR 23/92, NJW-RR 1993, 795, 796; BGH, Urt. v. 17.11.2009  – VI ZR 64/08, NJW 2010, 930, 931 Rn.  16 m. w. N.; Jacobs, in: Stein/Jonas, §  546 Rn.  28–29; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  287 Rn.  35. Siehe zum Prüfungsmaßstab: BGH, Urt. v. 8.5.2012 − XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 = NJW 2012, 2427, 2433 Rn.  65. 268  Siehe nur Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  4. 269  Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §   112 Rn.  3; näher Prütting, in: MüKo-ZPO, §  284 Rn.  41–42; Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  6 –12. 270  Siehe nur Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, §   284 Rn.  21; Foerste, in: Musielak/Voit, §  284 Rn.  2; zum Grundsatz „iura novit curia“ bereits oben A. II. 1. 271  BGH, Urt. v. 23.2.1956 – II ZR 207/54, BGHZ 20, 109 = NJW 1956, 665; BGH, Urt. v. 10.5.­ 1989  – IVa ZR 66/88, NJW-RR 1989, 1282; Anders, in: Baumbach/Lauterbach, vor §  284 Rn.  19; Looschelders, in: NK-BGB, §  133 Rn.  99; Oestmann, JZ 2003, 285, 289. 272  Siehe dazu A. II. 1. m.N. in Fn.  4 4. 273  BGH, Beschl. v. 26.10.1977 – IV ZB 7/77, BGHZ 69, 387 = NJW 1978, 496, 498; Oestmann, in: Colloquia, S.  37, 46–47; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  11; Schütze, in: Wieczorek/Schütze,

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Versäumnisverfahren (§  331 Abs.  1 ZPO) – nicht kommen.274 Allerdings können die ausländischen Rechtssätze in Form des Beweises festgestellt werden.275 Letzteres gilt auch für Normtatsachen 276 . Diese können Beweisgegenstand sein.277 Fraglich ist da­ gegen, ob sie auch von Amts wegen zu ermitteln bzw. zu berücksichtigen sind. Zu konstatieren ist zumindest, dass Gerichte häufig die Verkehrsanschauung selbst fest­ stellen.278 Damit ist jedoch nicht gesagt, ob dies wie die Rechtsanwendung von Amts wegen erfolgt279 oder ob hier streitige Tatfragen aufgrund eigener Sachkunde des Richters entschieden werden.280 Insbesondere die Rechtsprechung qualifiziert auch Verkehrssitten, zum Beispiel in Form des Handelsbrauchs, verbreitet als Tatfrage, sodass der Verhandlungsgrundsatz Anwendung finden soll.281 Vor allem im prozess­ rechtlichen Schrifttum stößt dies auf Kritik: Normtatsachen einschließlich der Er­ fahrungssätze seien vom Gericht – ohne Rücksicht auf Darlegung, Bestreiten, Ge­ ständnis bzw. Beweis – von Amts wegen festzustellen.282 Verbreitet wird auf die Pa­ rallelen zu §  293 ZPO verwiesen.283 Es dürfe nicht in der Hand der Parteien liegen, über die tatsächlichen Grundlagen der Normauslegung zu bestimmen.284 Sonst be­ stünde die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, obwohl Charakteristikum der Normtatsachen gerade deren über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung sei.285 Ähnlich wird für die Subkategorie der Rechtsfortbildungstatsachen argumentiert.286 §  293 Rn.  20–21, 47. Zur Folge im Fall der fehlenden Feststellbarkeit siehe Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  17, sowie näher Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  59–66. 274  Geimer, in: Zöller, §  293 ZPO Rn.  17–18; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  55; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  7, 25; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, §  293 Rn.  2, 16, 17. 275  Siehe oben A. II. 1. m.N. in Fn.  41. 276  Zum Begriff oben bei III. 277  Prütting, in: MüKo-ZPO, §  284 Rn.  4 4 m. w. N.; Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  14; zu Er­ fahrungssätzen auch Foerste, in: FS Schilken, S.  261, 269–270; Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 267. Ob man begrifflich von einem Beweisverfahren sprechen kann, wird teils hinterfragt, siehe Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 450–451. 278  Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 265 m.N. in Fn.  42; auch – jeweils kritisch – Oestmann, JZ 2003, 285, 285; E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  807, 816–818; Stöhr, in: Unsicherheiten, S.  295, 301. 279 Vergleiche Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, §  284 Rn.  26; Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 268. 280  So z. B. Bähr, in: FS Ahrens, S.  31, 34–35, 42. 281  BGH, Urt. v. 16.12.2008 – VI ZR 48/08, NJW-RR 2009, 715, 716 Rn.  14; BGH, Beschl. v. 19.1.­2012 – V ZR 141/11, WuM 2012, 164, 164 Rn.  9; siehe auch BGH, Urt. v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/­89, NJW 1991, 1292, 1293 sowie – zur üblichen Vergütung nach §  612 Abs.  2 BGB – BAG, Urt. v. 29.1.1986 – 4 AZR 465/84, BAGE 51, 59 = AP BAT 1975 §  22, 23 Nr.  115 (unter 12.); ferner Foerste, in: Musielak/Voit, §  284 Rn.  3 (betreffend Handelsbräuche). 282  Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 348–350; Oestmann, JZ 2003, 285, 289; Prütting, in: MüKo-­ ZPO, §  284 Rn.  4 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  11, 21; Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  14; E. Schmidt, KritV 1989, 303, 309–310; Seiler, in: Thomas/Putzo, vor §  284 Rn.  15. 283  So etwa Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 348; Oestmann, JZ 2003, 285, 289; Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 450. 284  Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 450; E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  8 07, 812. 285 So Oestmann, JZ 2003, 285, 289 (zu Verkehrssitten). 286  Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 272–274, 276; Seiter, in: FS Baur, S.  573, 589–590; zum Be­ griff oben III.

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Auch diesbezüglich suggeriert die vom BGH gebrauchte Terminologie bisweilen eine bedenkliche Nähe zum Verhandlungsgrundsatz.287

287  Zutreffender Hinweis von Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 270, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 24.1.2013 – III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 = NJW 2013, 1072, 1074 Rn.  17 („Nach dem un­ bestritten gebliebenen Sachvortrag des Kl. […]“).

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung Im vorangehenden Kapitel wurden die Eigenheiten des Rechts als Erkenntnis­ gegenstand und dessen Abgrenzung zur Tatsachenebene thematisiert. Wann sich in diesem Zusammenhang von einem Irrtum sprechen lässt, ist im Folgenden zu prä­ zisieren. Das Ziel besteht vorerst nur darin, den Untersuchungsgegenstand in sinn­ voller Weise zu definieren. Normative Schlussfolgerungen und Binnendifferenzie­ rungen bleiben späteren Kapiteln vorbehalten. Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis ergibt sich ein Rechtsirrtum schlicht aus der Abweichung (dazu unten C.) zwischen der objektiv bestehenden Rechtslage (dazu zunächst A.) und der darauf bezogenen subjektiven Vorstellung des Rechtssubjekts (dazu B.).1

A. Rechtslage: Letzte Entscheidung als Referenzpunkt Die „Rechtslage“ als Vergleichsobjekt für die subjektive Vorstellung bestimmt sich nach der letzten Beurteilung der im konkreten Fall zur Entscheidung berufenen Stelle.2 Nach dem rechtsstaatlichen Kompetenzgefüge sind dies regelmäßig die staatlichen Gerichte.3 Das hier präferierte Verständnis wird oftmals eher implizit geäußert.4 Auch in der Rechtsprechung finden sich ähnliche Formulierungen.5 Man mag Bedenken hegen, ob sich diese Sicht mit der verbreiteten Annahme, die Rechts­ 1  Im Ausgangspunkt ganz ähnlich J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  9; Soffner, Haftung, S.  34; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  3; diese laufen aber jeweils Gefahr, zu einer zu engen Definition zu gelangen (vergleiche näher C.). 2  So auch Engert, in: GS Unberath, S.  91, 96; Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 736; Kaulich, Haf­ tung, S.  69; im Rahmen der Vertrauensschutzdiskussion ebenfalls treffend Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 353; ähnliches Verständnis bei Haertlein, Exekutionsintervention, S.  391; im Ausgangs­ punkt auch Soffner, Haftung, S.  12, 39. 3  Kaulich, Haftung, S.  58; vergleiche auch Soffner, Haftung, S.  12. 4  Siehe z. B. Engert, in: GS Unberath, S.  91, 93: „die objektiven Feststellungen der Rechtsord­ nung (tatsächlich: des entscheidenden Gerichts)“; Kaulich, Haftung, S.  123: „stellt dieses sich nachträglich als rechtswidrig heraus bzw. – besser – wird es durch ein Gericht so eingeordnet“; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  54: „‚in Wahrheit‘, [das heißt] nach dem Urteil des entschei­ denden Gerichts“. 5  BAG, Urt. v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 = NJW 1978, 2114, 2115: „Wie sich spä­ ter durch den Beschluß des Großen Senats herausgestellt hat, befand sie sich […] in einem Rechts­ irrtum.“

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

lage stehe vor der gerichtlichen Entscheidung bereits fest, 6 in Einklang bringen lässt. Im Zivilprozessrecht wird diese Prämisse wesentlich zur Ablehnung der ma­ teriellen Rechtskrafttheorien herangezogen.7 Allerdings wird im dortigen Zusam­ menhang treffend darauf hingewiesen, dass auch auf der Grundlage eines deklara­ torischen Verständnisses anzuerkennen sei, dass sich Rechtsnormen nicht selbst anwenden: Es bedürfe stets einer richterlichen Entscheidung, um die Rechtslage verbindlich zu klären.8 Es führt demnach unabhängig vom theoretischen Ansatz kein Weg daran vorbei, als Vergleichspunkt für die Vorstellungen des Rechtssub­ jekts auf die Beurteilung des entscheidenden Gerichts abzuheben. Dies bedeutet insbesondere, dass jeweils auch Entscheidungen über die Rechtsla­ ge zugrunde zu legen sind, die nach eigener Auffassung des Betrachters oder nach Ansicht weiterer Betrachter (beispielsweise in der wissenschaftlichen Literatur) rechtlich unzutreffend sind.9 Das gilt nicht nur für solche Entscheidungen, die man zwar im Ergebnis ablehnt, aber gleichwohl für vertretbar erachtet. Vielmehr sind auch relativ falsche10 Rechtsauffassungen als Grundlage der Irrtumsbestim­ mung hinzunehmen. Damit soll keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, dass nach einer finalen Entscheidung keine Diskussion mehr über deren Richtigkeit ­geführt werden dürfte.11 Der juristische Diskurs ist aber insoweit ein „unverbind­ liche[r]“.12 Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muss man nicht generell einer rechtsrealistischen Sicht anhängen. Die normative Befassung mit dem Phänomen Rechtsirrtum kann schlichtweg nur gelingen, wenn man das Objekt der Betrach­ tung als das akzeptiert, was es ist: Das Endprodukt aus einer verbindlichen (in der Regel: gerichtlichen) Rechtseinschätzung und der abweichenden Vorstellung des betroffenen Rechtsunterworfenen. Dies droht verkannt zu werden, wenn man, wie 6  Dazu allgemein bereits §  3 A. II. 3. mit Fn.  86; siehe im Zusammenhang mit einer unberech­ tigten Patentrechtsverwarnung (dazu später §  9) RG, Urt. v. 10.1.1919 – II 220/18, RGZ 94, 271, 276: Das Gericht schaffe nicht Recht, „sondern stellt nur fest, was nach dem Gesetze Recht ist. Es ist ganz verfehlt, aus jenem Schlagworte [‚Recht ist, was der letzte Richter für Recht erkennt‘] rechtliche Folgerungen zu ziehen wie z. B. die, daß ein Patentinhaber über den Umfang seines Patentes nicht Sicheres wissen könne, bevor nicht in einem Verletzungsprozesse der I. Zivilsenat des Reichsgerichts gesprochen habe. Vielmehr kann er für sich allein ebensogut das Richtige fin­ den wie später […] die höchste Instanz“. 7  Siehe z. B. Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  11 (m. w. N. in Rn.  8 –10); siehe auch Henckel, Pro­ zeßrecht, S.  255, wonach die Rechtskraft dem Schuldner zwar die Abwehrbehelfe nehme, aber das unrichtige Urteil nicht zu einem richtigen mache. 8  Althammer, in: Stein/Jonas, §  322 Rn.  33. 9 Siehe – zum Vertrauensschutzproblem – Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 353: „Als Faktum wird die Rechtslage auch von ‚falschen‘ Entscheidungen bestimmt.“ Zur Rechtskraft Althammer, in: Stein/Jonas, §  322 Rn.  34. Zur gleichwohl bestehenden Maßgeblichkeit „falscher“ Entschei­ dungen OLG Zweibrücken, Urt. v. 31.5.1994 – 5 UF 117/93, NJW-RR 1995, 841, 842; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  392–393; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  76. 10  Siehe oben §  3 A. I. 11 Zutreffend Althammer, in: Stein/Jonas, §  322 Rn.  35; siehe ferner Hart, Concept, S.  138–139. 12 Zutreffend Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  67 (siehe zudem a. a. O., S.  73 mit Fn.  5 4); ganz ähnlich Althammer, in: Stein/Jonas, §  322 Rn.  35. Die Aussage, die nicht mehr korrigierbare Ent­ scheidung eines Höchstgerichts sei „falsch“ gewesen, kann systembedingt keine rechtlichen Kon­ sequenzen haben, Hart, Concept, S.  138.

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

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Jörg Mayer, anlässlich der Beschreibung des Phänomens „Rechtsirrtum“ eine Dis­ kussion über das „richtige Recht“ führt.13 Das erkennende Gericht wird stets die Rechtslage, von der es selbst ausgeht, für maßgeblich erachten und in der Folge jede abweichende Vorstellung als Irrtum einstufen.14 Um die für die Feststellung eines Rechtsirrtums ausschlaggebende „Rechtslage“ zu ermitteln, muss die wissenschaft­ liche Betrachtung daher eine rein „externe, nicht-wertende Perspektive“15 einneh­ men. Wenn auf die Beurteilung der Rechtslage durch das jeweils zuletzt befasste Ge­ richt abgestellt wird, so ist dies ganz pragmatisch zu verstehen. Maßgeblich ist stets die zeitlich letzte Beurteilung, die zu dem konkreten Sachverhalt stattgefunden hat, bevor nunmehr über Vorliegen und Behandlung des Rechtsirrtums zu befinden ist. Oftmals wird es deshalb auf die eigene Einschätzung des Gerichts ankommen, das in derselben Entscheidung über den Rechtsirrtum zu urteilen hat. So verhält es sich etwa, wenn für die Frage nach einem Schadensersatzanspruch zunächst relevant ist, ob eine Pflicht verletzt wurde, und sodann über eine mögliche Entlastung des Schuldners infolge Rechtsirrtums zu entscheiden ist. Es ist hier ausgeschlossen, dass über das Bestehen einer Pflicht „an sich“ und über deren Existenz als Objekt eines Rechtsirrtums widersprüchliche Feststellungen getroffen werden.16 Wird der Instanzenzug beschritten, kommt es stets auf die jeweils höchste Instanz an. Die Diagnose eines Rechtsirrtums kann daher ebenso vorläufig sein wie die Fest­ stellungen zur Rechtslage.17 Selbst nach Eintritt der formellen Rechtskraft (§  705 ZPO) kann sich die Beurteilung der Rechtslage unter Umständen noch ändern. Wird die bisherige Entscheidung beispielsweise als verfassungswidrig beanstandet, bildet fortan die verfassungsgerichtliche Bewertung den Referenzpunkt. Denkbar ist auch die Konstellation, dass in einem ersten Schritt ein Spruchkörper abschlie­ ßend über die Rechtslage „in der Sache“ entschieden hat und sodann ein anderer über das Vorliegen eines Rechtsirrtums (und dessen Konsequenzen) befindet. So verhält es sich etwa, wenn eine Leistungsklage rechtskräftig abgewiesen wurde, weil das Bestehen eines Anspruchs verneint wurde, und der ursprüngliche Beklag­ te nunmehr Schadensersatzansprüche wegen der unberechtigten Inanspruchnahme verfolgt.18 Denkbar ist auch, dass zunächst das Bestehen eines Anspruchs bejaht 13 

So die Überschrift bei J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  23. Siehe auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 936, wonach ein Gericht nicht von der Rich­ tigkeit der Rechtsauffassung des Irrenden überzeugt sein könne, „denn sonst hätte es in der Hauptsache anders entschieden […] und die Frage des Rechtsirrtums stellte sich gar nicht“. 15  Im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 353; grund­ legend zur Unterscheidung dieser Perspektiven Hart, Concept, insb. S.  99. 16 Vergleiche Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  108. 17 Siehe Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  106–108. Es kommt darauf an, an welchem Punkt der Rechtsstreit abgebrochen wird. Ein bis dahin vorläufiges Ergebnis wird (erst) dann zum abschlie­ ßenden. Während des Streits kann es sich noch (mehrfach) ändern. Weitgehend theoretisch ist der Fall, dass die Feststellung des Rechtsirrtums rechtskräftig wird (etwa im Schadensersatzprozess), aber die Frage der Anspruchsberechtigung später so beurteilt wird, dass sich Vorstellung und Rechtslage deckten, siehe Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  113–114, 126. 18  Siehe allgemein zur Haftung für die unberechtigte Anspruchsverfolgung unten §  9. 14 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

wurde und in einem weiteren Prozess Ersatz wegen der Nichterfüllung verlangt wird.19 In den beschriebenen Situationen wird das Gericht im Zweitprozess regel­ mäßig an die materiell rechtskräftige Vorentscheidung gebunden sein.20 Wo das Zweitgericht diese Bindung respektiert, die Rechtsanschauung des Erstgerichts aber nicht teilt, stellt sich allenfalls die – später zu beleuchtende21 – Frage, ob das Zweitgericht den „Irrenden“ entlasten kann. Wird hingegen die bestehende Bin­ dung unzulässigerweise ignoriert, kommt es für die Feststellung eines Rechts­ irrtums wiederum auf die Beurteilung der Rechtslage durch das Zweitgericht an. Diesem wird mitunter gar bewusst die Aufgabe einer eigenständigen Neubewer­ tung der Rechtslage zugewiesen. So verhält es sich vor allem im Anwaltshaftungs­ prozess. Um festzustellen, ob der Mandant durch einen Anwaltsfehler im Vorpro­ zess einen Schaden erlitten hat, soll nicht zu prüfen sein, wie der Vorprozess ohne den Fehler ausgegangen wäre, sondern wie er richtigerweise – aus Sicht des Gerichts im Haftpflichtprozess – zu entscheiden gewesen wäre.22 Man mag hinterfragen, warum der Rechtsanschauung des zweitbefassten Gerichts größere Bedeutung zu­ kommen soll als derjenigen des Gerichts im Vorprozess.23 Für die Rechtsirrtums­ problematik ist dies aber ohne Belang. Insoweit ist nur zu registrieren, dass es zu einer neuen Einschätzung der Rechtslage kommt. Diese ist zugrunde zu legen. Nach den beschriebenen Maßstäben unterscheiden sich die Referenzpunkte für die Feststellung von Rechts- und Tatsachenirrtümern nicht wesentlich vonein­ ander.24 Auch bei der rechtlichen Befassung mit Tatsachenirrtümern kommt es für die Feststellung eines solchen Irrtums auf die Befunde des zuletzt befassten Ge­ richts an. Das wird etwa in der Diskussion um strafrechtliche „Fehlurteile“ zutref­ fend betont.25 Allenfalls auf Basis eines streng konstitutiven Verständnisses könn­ te man einen echten Unterschied behaupten. Es ließe sich dann anführen, das Er­ kenntnisobjekt „Rechtslage“ existiere außerhalb der gerichtlichen Feststellung noch gar nicht und unterscheide sich daher von der „tatsächlichen Lage“. Auf Grundlage des deklaratorischen Modells ergibt sich hingegen kein konstruktiver 19  Exemplarisch LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.1993 – 19 Sa 1360/92, MDR 1993, 658, 659, zur rechtsirrtümlichen Weigerung des Beschäftigten, einer Versetzungsanordnung nachzukommen: „Deren Rechtmäßigkeit steht aufgrund des in Rechtskraft erwachsenen Urt. […] fest.“ 20  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  67, 73; Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  14 m. w. N.; Thole, AcP 209 (2009), 498, 535 m. w. N. 21  Siehe unten §  11 C. II. 5. b) bb). 22  BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987, 988 Rn.  16 m. w. N. Dies wird unter Verweis auf den normativen Schadensbegriff begründet (BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 207/11, NJW 2013, 540, 543 Rn.  26–28): Der Mandant sollte nicht von einer Fehlentscheidung des Vor­ prozesses profitieren. Dabei ist indes grundsätzlich der Stand der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung zur Zeit des Vorprozesses zugrunde zu legen, weil der Anwalt verpflichtet ist, sich danach zu richten (siehe oben §  3 A. III 2. a)), BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 6/99, BGHZ 145, 256 = NJW 2001, 146, 148. 23  Mäsch, JuS 2013, 558, 559: Welches der beiden unterschiedlich entscheidenden Gerichte das Fehlurteil fälle, liege „im Auge des Betrachters“. 24  Die Struktur der Prüfung gleicht sich vielmehr, vergleiche Engert, in: GS Unberath, S.  91, 93–94. 25 Siehe Kotsoglou, JZ 2017, 123, 125.

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

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Unterschied, aus dem normative Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Der Reihe der oben identifizierten Besonderheiten des Rechts als Irrtumsgegenstand wird demnach an dieser Stelle kein weiteres Element hinzugefügt.

B. Vorstellung des Rechtssubjekts: Wahrscheinlichkeitsprognose Ein Rechtsirrtum wird verbreitet angenommen, wenn der Rechtsunterworfene eine einschlägige Norm nicht kennt bzw. infolge falscher Auslegung ihre Einschlä­ gigkeit im konkreten Fall verkennt.26 Dennoch wird angemerkt, es sei bislang nur ungenügend verstanden worden, „wie es überhaupt zu einem Irrtum über recht­ liche Anforderungen kommt“.27 In der Tat lässt die soeben zitierte Definition ein wesentliches Element vermissen. Akzeptiert man, dass die „objektive Rechtslage“ für die Zwecke der Irrtumsfeststellung nichts anderes als die Auffassung des Letzt­ entscheiders ist, 28 geht es stets um die Prognose einer künftigen finalen Entschei­ dung.29 Bei der „Vorstellung des Rechtssubjekts“ handelt es sich um eine Wahr­ scheinlichkeitseinschätzung.30 Dass die Rechtslage hier als Wahrscheinlichkeit ­einer bestimmten gerichtlichen Beurteilung31 ausgedrückt wird, mag zunächst be­ fremden.32 Es geht an dieser Stelle allerdings nicht darum, das Recht generell als Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Entscheidung zu definieren.33 Vielmehr soll lediglich erklärt werden, wie das Phänomen zustande kommt, welches verbreitet (und auch hier) als „Rechtsirrtum“ bezeichnet wird. Weil die Rechtslage für diese Zwecke mit der finalen gerichtlichen Entscheidung identisch ist, kann die Vorstel­ lung des Rechtsunterworfenen, die es mit der Rechtslage abzugleichen gilt, nichts anderes sein als dessen externer Blick auf das, was Gerichte tatsächlich entschei­ den.34 Die interne, wertende Perspektive der Rechtsunterworfenen ist für die Fest­ 26 So oder ähnlich Frede, Rechtsirrtum, S.   12–13; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.   242; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  6; Zedler, Rechtsrisiko, S.  155. Siehe zum Subsumtionsirrtum noch C. II. 27  Engert, in: GS Unberath, S.  91, 92. 28  Dazu soeben A. 29  Zutreffend im Rahmen der Vertrauensschutzdiskussion Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 354; zum Rechtsirrtum ganz ähnlich Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 933. 30  Engert, in: GS Unberath, S.  91, 95; vergleiche – in anderem Kontext (vorläufige Rechtszu­ weisung durch Smart Contracts; dazu unten §  19 C. II.) – auch Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018: „In der Anwendung ist Recht eine Frage der Wahrscheinlichkeit“, und vor einer end­ gültigen Entscheidung ließen sich „aus dem Gesetzestext und seiner bisherigen gerichtlichen Aus­ legung nur Prognosen ableiten“. 31 Zutreffend Engert, in: GS Unberath, S.  91, 95–96. Die Prozessrisikoanalyse kann gar nicht anders vorgehen, siehe Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  50. 32  Siehe auch §  11 C. II. 5. mit Fn.  388. 33  Siehe dazu beispielsweise die Kritik von Hart, Concept, S.  139–140. 34 Siehe zur Unterscheidung zwischen externer und interner Perspektive bereits oben A. Fn.  15 sowie Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 58–59. Dass Rechtsunterworfene (und ihre Berater) auf Vorhersagen gerichtlicher Entscheidungen ausweichen, ist weder ungewöhnlich noch zu be­ anstanden, siehe Hart, Concept, S.  143. Vielfach werden „externe“ Vorhersagen gerade auch auf dem „internen“ Rechtsverständnis basieren, siehe Hart, a. a. O.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

stellung eines Rechtsirrtums also nicht maßgeblich (mag sie es auch für dessen rechtliche Bewertung und Behandlung sein). Insbesondere ist ein Rechtsirrtum nicht nur dann anzunehmen, wenn das Rechts­ subjekt auf der Grundlage einer „falschen“ Rechtsauffassung gehandelt hat,35 son­ dern auch dann, wenn die Ansicht des Betroffenen vertretbar war, das zuletzt be­ fasste Gericht sie aber nicht geteilt hat. Dies folgt daraus, dass der Referenzpunkt für die Vorstellung nicht ein – von wem auch immer zu beurteilendes – „richtiges Recht“, sondern die gerichtliche Entscheidung ist. Man kann in solchen Fällen hin­ terfragen, ob der Begriff des „Rechtsirrtums“ glücklich gewählt ist.36 Zum Teil wird bei Einnahme eines vertretbaren, aber vom Gericht später nicht geteilten Rechts­ standpunkts von einem Prozessverlaufs- bzw. Prozessausgangsirrtum gesprochen.37 Ein Irrtum über den Prozessausgang liegt indes gleichermaßen vor, wenn das Rechtssubjekt einer unvertretbaren Rechtsansicht gefolgt ist. Treffend erscheint, wenn überhaupt, der Alternativbegriff des „Rechtsrisikos“.38 Allerdings soll dieser definitionsgemäß nicht die Fälle erfassen, in denen sich eine Person der Rechts­ auffassung des Gegners beugt.39 Damit wäre ein Bereich nicht abgedeckt, der von der vorliegenden Untersuchung erfasst ist.40 Ohnehin ist zu bedenken, dass sich in den zuvor beschriebenen Konstellationen zumindest aus der ex-post-Perspektive des Gerichts von einem Rechtsirrtum sprechen lässt.41 Der Begriff hat sich für sol­ che Fälle eingebürgert.42 Es erscheint deshalb sinnvoll, ihn – im Bewusstsein der Abweichung von der allgemeinsprachlichen Verwendung – auch im Folgenden zu nutzen.

35  So könnte man zunächst Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 923, verstehen, wenn es heißt: „Wer das [relativ] „falsche“ für das [relativ] „richtige“ Recht hält, unterliegt einem Rechtsirrtum.“ A. a. O., 943, stellen aber auch Damler/Zeyher auf die Diskrepanz zwischen eigener Rechtsauffas­ sung und gerichtlicher Entscheidung ab (siehe noch C. III.). Wenn J. Mayer, Rechts­irrtum, S.  9, für einen Irrtum die objektive „Falschheit der Vorstellung“ voraussetzt (siehe oben vor A. Fn.  1), könnte man daraus ebenfalls schließen, dass eine (relativ) richtige Rechtsansicht, die ein Gericht nicht teilt, keinen Irrtum begründen kann. 36 Nachvollziehbare Kritik bei Zedler, Rechtsrisiko, S.   155–157 (mit Fn.  610). Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 23, spricht von Fällen des „wirklichen Rechtsirrtums“ (Herv. d. Verf.) und meint damit nur den „Irrtum über allgemein anerkannte Rechtssätze oder Rechtslagen, die für jeden fachkundigen Juristen in dem Sinne eindeutig zu ermitteln sind, daß die gegenteilige Lösung als ‚falsch‘ bezeichnet werden müßte“. 37 So Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  278. 38  Zu dessen Abgrenzung siehe Zedler, Rechtsrisiko, S.  157. 39  Zedler, Rechtsrisiko, S.  169. 40  Siehe oben §  2 A. 41  So auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  157, 163, 196. 42  So geht es insb. im Zusammenhang mit der Schuldnerhaftung um die Frage, ob ein Rechts­ irrtum entlasten kann, wenn die Rechtsauffassung des Schuldners zumindest vertretbar war, siehe zum Ganzen §  11. Dass der Begriff von der Rechtsprechung im hier gebrauchten Sinne verwendet wird, stellt auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  155–156, fest.

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

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C. Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung Akzeptiert man die Gleichsetzung der „Vorstellung“ mit der Entscheidungsprog­ nose, ist Letztere als „irrig“ zu bezeichnen, wenn das Rechtssubjekt der vom Ge­ richt gewählten Rechtsauffassung ex ante nicht einen Wahrscheinlichkeitswert von 1 zugeschrieben hat.43 Diese Definition sprengt wiederum die alltagssprachlichen Grenzen des Irrtumsbegriffs. Das zeigt sich insbesondere an dem Fall, dass der Rechtsunterworfene eine bestimmte gerichtliche Rechtsansicht mit hoher Wahr­ scheinlichkeit – aber eben nicht mit Sicherheit – prognostiziert hat und sich diese Rechtsauffassung letzten Endes durchsetzt.44 Hier läge streng genommen ein Irr­ tum im Sinne der obigen Definition vor. Davon sollte man sich indes nicht irritieren lassen. Der „Irrtum“ bleibt regelmäßig im Verborgenen. Er zieht keine negativen Folgen nach sich, solange das Rechtssubjekt sein Verhalten an der von ihm für höchstwahrscheinlich gehaltenen, später gerichtlich bestätigten Rechtsauffassung ausgerichtet hat.45 Bedeutung erlangt das weite Irrtumsverständnis hingegen, wenn die letzte Entscheidung über die Rechtslage nicht im Sinne des Betroffenen ausfällt. Dann werden sämtliche relevanten Fallgestaltungen, in denen der Betroffene die spätere Entscheidung nicht sicher erwartet hat, vom Untersuchungsbereich erfasst. Diese Konstellationen lassen sich im Folgenden aufzeigen.

I. Fehlen jeglicher Vorstellung Zu denken ist zunächst an den (teils unglücklich mit dem Etikett der „Rechts­ unkenntnis“ versehenen46) Extremfall, dass dem Rechtssubjekt jegliche Vorstellung zur Rechtslage fehlte. Die praktische Abgrenzbarkeit solcher Fälle steht jedoch in Frage.47 Ihr Auftreten erscheint vor allem denkbar, wenn eine juristische Relevanz bekannter Tatsachen schon im Ansatz verkannt wird. Man könnte sich hier mit der Feststellung begnügen, dass (erst recht) keine absolut sichere Prognose der späteren Entscheidung vorgelegen habe.48 Damit wäre die hier verwendete Irrtumsdefini­ tion erfüllt. Vertretbar erscheint es aber auch, mit Jörg Mayer anzunehmen, „daß derjenige, der vor eine rechtlich relevante Entscheidung gestellt wird, sich in ir­ gendeiner Weise auch entsprechende Vorstellungen“ macht, also zumindest eine „mitbewußte, vorbewußte Rechtsvorstellung“ hegt.49 Betreffend die aktive An­ 43 

Engert, in: GS Unberath, S.  91, 96. Einen Irrtum verneinend U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713. 45  In diesem Sinne auch Engert, in: GS Unberath, S.  91, 96. 46  So von Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 138. Damit ist aber etwas anderes gemeint als die unter II. behandelte „Rechtsunkenntnis“ im Sinne einer „Normunkenntnis“ (zu dieser alternati­ ven Bedeutung J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  20; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  3 –4). 47  Stark zweifelnd etwa Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  37. 48  Das Fehlen einer Vorstellung dem Rechtsirrtum gleichstellend etwa Frede, Rechtsirrtum, S.  11–12; Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 1, 1; v. Savigny, System III, S.  326; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  3; Zedler, Rechtsrisiko, S.  168. 49  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  19; zustimmend auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  37. 44 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

spruchsgeltendmachung bzw. -verteidigung ist dies unmittelbar einsichtig. Es dürfte aber auch im problematischen Fall des Unterlassens gelten. Hier lässt sich zwar an Fälle denken, in denen der Betroffene „sich keine Gedanken über das Be­ stehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs gemacht hat“.50 Man wird hinter der Inaktivität aber zumindest das „Mitbewusstsein“ ausmachen können, keine An­ sprüche bzw. Verteidigungsmittel zur Verfügung zu haben. Dass diese Vorstellung gegebenenfalls infolge von Denkanstrengungen entfallen wäre, steht der Annahme eines Irrtums nicht entgegen, sondern ist gerade typisch für einen solchen. Mit die­ ser Feststellung ist nicht ausgeschlossen, bei besonders wenig konkretem Vorstel­ lungsbild eine besondere Behandlung des Rechtsirrtums in Betracht zu ziehen.51 Wichtig ist vorerst nur, die Fallgruppe überhaupt zu erfassen.

II. Rechtsunkenntnis Die fehlerhafte Prognose der gerichtlichen Entscheidung kann ferner auf der Un­ kenntnis von Faktoren beruhen, die für das Wahrscheinlichkeitsurteil relevant sind. An dieser Stelle einzuordnen ist vor allem die Unkenntnis einschlägiger Rechtsnor­ men.52 Einschlägig in diesem Sinne sind auch höherrangige (etwa verfassungsrecht­ liche) Normen, die die Anwendung sonst einschlägiger Vorschriften sperren, sowie weitere Normen, die im Zuge der systematischen Auslegung Bedeutung erlangen.53 Häufig wird aber allein das Wissen um den Wortlaut der relevanten Rechtsvor­ schriften den Weg zur zutreffenden Prognose nicht ebnen.54 Es ist daher nur kon­ sequent, auch die unrichtige Normauslegung zu den Irrtumsquellen zu zählen.55 Hier lässt sich von einem Irrtum über die Regeln der juristischen Methodenlehre sprechen.56 Erfasst ist letzten Endes auch der Subsumtionsirrtum, der nach zu­ treffender Wahrnehmung des Tatsachenmaterials geschieht.57 Dieser wird zwar mitunter als eigene Kategorie genannt.58 Dazu gelangt man indes nur, wenn man 50 Siehe

R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1389. Siehe v. a. unten §  7 C. I. 2. 52  Man muss hierin keine Besonderheit erkennen. Auch positive Rechtsnormen lassen sich als bloße Faktoren für die abschließende Rechtsentscheidung klassifizieren, vergleiche Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 46 Fn.  86. 53 Vergleiche zu Unsicherheitsquellen unter dem Stichwort „Normfindungsrisiko“ (v. a. am Beispiel des Arbeitsrechts) Zedler, Rechtsrisiko, S.  43–78. 54  Vergleiche oben A. III. 1. sowie Bitter, JZ 2015, 170, 175, im Kontext des Verjährungsrechts (dazu unten §  7). 55  Siehe z. B. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  242; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  6; näher zu den einschlägigen Unsicherheitsquellen (unter dem Stichwort des „Normauslegungsrisikos“) Zedler, Rechtsrisiko, S.  78–126. 56 Vergleiche J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  10, der dies (ohne dass damit ein Gewinn verbunden wäre) als „formalen“ Rechtsirrtum bezeichnet; siehe auch Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 354: „Die Vorhersage zukünftiger Entscheidungen erfordert […] die methodengerechte Anwendung der ver­ bindlichen Rechtsquellen“ (Herv. d. Verf.). 57  Zutreffende Differenzierung etwa bei S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  8 . 58  So etwa bei J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  8; v. Savigny, System III, S.  327–328; Zedler, Rechts­ risiko, S.  157. 51 

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

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innerhalb des Subsumtionsvorgangs den „Übertritt von einem abstrakten Begriff auf die konkrete Lebenswirklichkeit“59 als eigenständige Fehlerquelle ansieht. Es erscheint ebenso möglich, für die hier verfolgten Zwecke von einer Zweiteilung auszugehen, innerhalb derer die falsche Subsumtion zutreffend erkannter Tatsa­ chen stets auf einer vom Letztentscheider nicht geteilten Normauslegung beruhen muss. 60 Im Mindesten ist festzuhalten, dass sich Fehler bei der Normauslegung von Fehlern bei der Subsumtion des zutreffend erfassten Tatsachenmaterials nur schwer abgrenzen lassen. 61 Der für das Recht typische Vertretbarkeitsspielraum62 besteht auch beim Subsumtionsvorgang.63 Dass vor allem v. Savigny den Subsum­ tionsirrtum dem Tatsachenirrtum gleichstellen wollte,64 war offenbar dem Gedan­ ken geschuldet, die striktere Behandlung als Rechtsirrtum sei anders als bei der Unkenntnis „feste[r] Rechtsregel[n]“ nicht angemessen.65 Dieser Gedanke recht­ fertigt aber nicht den Ausschluss aus dem vorliegend gewählten Untersuchungs­ bereich. Ebenfalls nicht in Kenntnis sämtlicher „Rechtserkenntnisquellen“66 handelt, wem einschlägige (insbesondere höchstrichterliche) Judikate nicht geläufig sind. 67 Daneben kann im Einzelfall auch das Wissen um die Gesetzgebungsmaterialien oder den Stand der Literatur entscheidend sein. 68

III. Kunstgerechtes Wahrscheinlichkeitsurteil Selbst bei Kenntnis aller relevanten Wahrscheinlichkeitsfaktoren kann es zu Rechts­ irrtümern im hier verstandenen Sinn kommen. Das betrifft nicht allein den Fall, dass die Faktoren von einem Rechtsexperten anders gewichtet worden wären und damit eine genauere Prognose ergeben hätten. Auch bei einer „kunstgerechten“ 59 So Zedler, Rechtsrisiko, S.  158; siehe a. a. O., S.  126–152, ausführlich zu den Ursachen für ein „Normanwendungsrisiko“, das Zedler (z. B. a. a. O., S.  43) eindeutig unter seinen Begriff des „Rechtsrisikos“ fasst. 60  Davon ausgehend schon Frede, Rechtsirrtum, S.  14–15; Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 1, 2–3 (der a. a. O., 3, zudem auf die Revisibilität von Subsumtionsfehlern [dazu oben §  3 B. III.] hin­ weist). So offenbar auch das Verständnis im Strafrecht (zu §  17 StGB), vergleiche Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, §  17 Rn.  35 („aufgrund unrichtiger Auslegung“), Rn.  36 („infolge der Fehlinter­ pretation des Tatbestandsmerkmals“); siehe etwa die Verwendung bei BGH, Urt. v. 22.4.2005  – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80 = NJW 2005, 1876, 1879. 61  So auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  158. 62  Dazu oben §  3 A. I. 63  In diese Richtung auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  159. 64 Siehe v. Savigny, System III, S.  327–328. 65 Siehe v. Savigny, System III, S.  338–339; zur strengeren (beweisrechtlichen) Behandlung des Rechtsirrtums a. a. O., S.  335–336 (dazu auch noch unten §  5 A.). 66 Von der „Rechtsprechung als Rechtserkenntnisquelle“ spricht Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 61 (wobei ihm diese Charakterisierung nicht weit genug geht). 67 Vergleiche J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   46; siehe auch Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 354; Einord­nung als Rechtsirrtum auch bei S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  6 . Zur Orientierungsfunktion höchstrichterlicher Rechtsprechung oben §  3. A. II. 2. 68  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  46; siehe bereits A. III. 1.

64

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Prognose, die selbst der gewissenhafteste Fachmann nicht besser hätte durchführen können, kann sich ein (relevanter69) Rechtsirrtum ergeben, wenn die finale Ent­ scheidung einer anderen Rechtsansicht folgt als derjenigen, an der das Rechtssub­ jekt sein Verhalten ausgerichtet hat. Im Regelfall wird sich selbst ein Experte bei seiner Prognose nicht vollständig sicher sein.70 Auch wenn man davon ausgeht, dass die Rechtslage schon vor ihrer Feststellung durch das Gericht feststeht, ist sie ex ante nicht sicher zu erkennen.71 Obwohl auf Basis eines deklaratorischen Modells theoretisch schon vor der Entscheidung eine Wahrscheinlichkeit von 1 besteht,72 muss die Prognose einen Wahrscheinlichkeitswert unterhalb 1 ansetzen. Dies führt definitionsgemäß zum Vorliegen eines Rechtsirrtums.73 Absolute Prognosesicher­ heit besteht nicht einmal dort, wo die juristische Methodik nur eine einzige vertret­ bare Lösung zulässt. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Gericht zu einer unvertretbaren, aber bindenden Rechtseinschätzung gelangen wird. Man mag an dieser Stelle wiederum terminologische Vorbehalte äußern. Unter­ liegt derjenige, der lege artis eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung vornimmt, wirklich stets einem Irrtum, wenn sich – zwangsläufig – eine der bedachten Varian­ ten verwirklicht? Die Prognose selbst verdient hier nicht das Prädikat „falsch“.74 Noch stärker irritieren muss die Begriffswahl die Anhänger einer konstitutiven Theorie des Richterrechts: Lässt sich von einem „Irrtum“ sprechen, wo sich eine der Vorstellung widersprechende Wirklichkeit noch nicht konstituiert hat?75 Im Ergebnis streiten dennoch gute Gründe für die Einbeziehung in den Rechtsirr­ tumsbegriff.76 Das Rechtssubjekt kann des Schutzes durch die Anerkennung eines entlastenden Rechtsirrtums gerade dort bedürfen, wo es sein Verhalten an einer ex 69 

Vergleiche oben C. vor I. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  99; Hopt, Schadensersatz, S.  161; zu denkbaren Ursa­ chen für eine unklare Rechtslage z. B. Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249; siehe auch Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 355: „Unsicherheiten über die Rechtslage sind strukturell begründet in der Not­ wendigkeit abstrakt-genereller Normen und den Defiziten menschlicher Kommunikation.“ 71  Auf dieses Erkenntnisproblem hinweisend Kaulich, Haftung, S.  68; ähnlich J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  49–50; Zedler, Rechtsrisiko, S.  27–28. 72 So Engert, in: GS Unberath, S.  91, 96, der aber zugleich von einer offensichtlichen Fiktion spricht. 73  Siehe oben vor I. 74 Siehe Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  59. 75  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 910–911 (siehe auch 916–917); an einer Klassifizierung als Irrtum zweifelnd auch – zum Fall der Rechtsfortbildung – J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  13, und  – zur erstmaligen höchstrichterlichen Klärung – Blank, NZM 2007, 788, 788. Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 337, 342, sowie R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 286, und R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 724–725, gehen davon aus, dass sich bei einem konstitutiven Verständnis nicht von einem Fehler sprechen lasse. 76  So auch Langenbucher, Entwicklung, S.  135–136. Auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 943, halten später fest: „Wer sein Handeln an einer Rechtsauffassung ausrichtet, die vom zustän­ digen Gericht nicht geteilt wird, […] unterliegt einem Rechtsirrtum, auch wenn eine Rechtspre­ chungsänderung vorliegt.“ Das liegt in der Konsequenz der Wahl des Bezugsgegenstands. Das Vorliegen eines Rechtsirrtums bestimmt sich weder nach der Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Betroffenen (dazu oben A.) noch nach der fachgerechten Durchführung der Erfolgsprognose; Referenz ist „allein die obsiegende Rechtsauffassung“ (Engert, in: GS Unberath, S.  91, 96). 70 Siehe

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

65

ante hochwahrscheinlichen Rechtsauffassung ausgerichtet hat und infolge einer Rechtsprechungsänderung in seinem Vertrauen enttäuscht wurde.77 Zu Recht warnt Bydlinski, man könne „den Rechtsirrtum nicht in einen faktischen Irrtum in ein nach verbreiteter Fehlmeinung geltendes Recht, der in der Tat fehlte, verwan­ deln, ohne der Gefahr der Begriffsvertauschung zu erliegen“.78 Dass die Befürwor­ ter einer konstitutiven Theorie den gegebenenfalls gebotenen Schutz nicht über die Annahme eines Rechtsirrtums konstruieren müssen, weil sie schon die (im maß­ geblichen Zeitpunkt noch vorliegende) objektive Rechtslage zugunsten des ver­ meintlich Irrenden berücksichtigen,79 stimmt nur teilweise. Bei der Prüfung einer Verschuldenshaftung könnte man in der Tat schon die Pflichtverletzung vernei­ nen.80 Anders stellt sich die Situation dar, wenn die „frühere Rechtslage“ für den Betroffenen nachteiliger „war“ und er angesichts dessen auf ein vorteilhaftes Ver­ halten (etwa eine Rechtsverteidigung) verzichtet hat.81 Insgesamt gewährleistet nur die Einordnung sämtlicher beschriebener Konstellationen unter das Dach des Rechtsirrtums, dass der Zusammenhang zu dem Sachproblem, wie es auch in ande­ ren Szenarien besteht, klar herausgestellt wird.

IV. Rechtszweifel Nach der hier verwendeten Definition liegt stets ein Rechtsirrtum vor, wenn das Rechtssubjekt die Rechtsauffassung des final entscheidenden Gerichts nicht mit ab­ soluter Sicherheit prognostiziert hat. Somit wird auch der Fall des rechtlichen Zweifels ohne Weiteres vom Untersuchungsbereich erfasst. Wer mehrere einander ausschließende Varianten der Rechtslage für möglich hält, handelt stets im Rechts­ irrtum (der indes nicht immer relevant wird82). Die vorhandenen Rechtsirrtumsdefinitionen der Lehre lassen den Zweifel mit­ unter ausdrücklich außen vor. 83 Jörg Mayer deutet in seiner Arbeit zum Rechts­ irrtum gar an, dass man das Phänomen nur dann durchdringen könne, „wenn man den Begriff des Rechtsirrtums klar von dem des rechtlichen Zweifels […] unter­

3.

77  Zum 78 

Vertrauensschutzaspekt bei einem Wandel der Rechtsprechung siehe bereits §  3 A. II.

Bydlinski, JBl 2001, 2, 19 Fn.  50. So wohl die Vorstellung von Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 918. 80 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 918; zu einem vergleichbaren Ansatz zum Schutz des Gläubigers im Verjährungsrecht siehe Bär, Verjährung, S.  167–170 (dazu unten §  7 B. I.). 81  So etwa wenn, wie im englischen Recht, ein Irrtum als Voraussetzung für einen Bereiche­ rungsanspruch erforderlich ist. Diesen Fall sprechen Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 917, gerade selbst an (dazu auch Bydlinski, JBl 2001, 2, 19 Fn.  50; R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 724–725). 82  Siehe oben vor I. 83  Terminologisch klar unterscheidend z. B. H. Koch, Bereicherung, S.  127; auch S. Wolf, Rechts­ irrtum, S.  4, setzt für einen Irrtum voraus, dass der Betroffene sich des Zweifels nicht bewusst ist (jedoch auf die Anfechtung konzentriert; dazu sogleich bei Fn.  93); siehe zudem die bei B. Fn.  26 Zitierten; anders hingegen Soffner, Haftung, S.  34. 79 

66

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

scheidet“. 84 Er differenziert daher (zumindest begrifflich) säuberlich.85 Das ist schon deshalb misslich, weil das Vorhandensein von (mindestens geringfügigen) Zweifeln an der Rechtslage, wie soeben betont, den praktischen Regelfall darstellen dürfte und endgültige Gewissheit, angesichts der Möglichkeit von Fehlurteilen, nicht einmal dort angebracht ist, wo nur eine einzige vertretbare Lösung für eine Rechtsfrage existiert. 86 Die meisten Rechtsunterworfenen würden, gefragt nach den Aussichten, dass ein Gericht ihre Rechtsauffassung teilt, wohl allenfalls ant­ worten: „Ich bin mir ziemlich sicher.“ Es ist daher nachvollziehbar, dass sich der Rechtszweifel mittlerweile zu einem Kern der Rechtsirrtumsproblematik entwi­ ckelt hat. Es sind weniger das Auffinden von Rechtssätzen und – sofern man einen rechtskundigen Berater hat – die Erstellung fachgerechter Prognosen mit Schwie­ rigkeiten behaftet. Vielmehr stehen der eindeutigen Rechtserkenntnis zumeist Zweifel hinsichtlich des Norminhalts entgegen. 87 Die Verhaltensanforderungen bei zweifelhafter Rechtslage bilden etwa das dominierende Problem für Geschäfts­ leiter von Kapitalgesellschaften, im Kartellrecht und im Kapitalanlagerecht. 88 Die Idee, in rechtlichen Zweifelsfällen eine Legal Judgment Rule in Parallele zur Business Judgment Rule des §  93 Abs.  1 S.  2 AktG anzuerkennen, 89 begegnet nicht zu­ letzt deshalb Bedenken, weil der Fall rechtlicher Ungewissheit „allgegenwärtig“90 ist: Für die gesetzgeberische Vorstellung, bei rechtlich gebundenen Entscheidungen gewähre §  93 Abs.  1 S.  2 AktG keinen Haftungsfreiraum,91 bliebe kaum Platz.92 Die teils beobachtete Abneigung gegen die Integration des Rechtszweifels in die Rechtsirrtumsproblematik könnte daher rühren, dass mancher Tatbestand nach vorherrschender Auffassung für eine Entlastung gerade das Bestehen einer fehler­ haften Überzeugung fordert. Das gilt etwa für das Recht zur Irrtumsanfechtung nach §  119 Abs.  1 BGB.93 Die Existenz solcher Tatbestände gebietet es indes nicht, den Rechtszweifel insgesamt aus dem Rechtsirrtumsbegriff auszunehmen. Bei an­ deren Vorschriften kommt die vermeintliche Dichotomie von Rechtszweifel und Rechtsirrtum gerade nicht zum Tragen. Es erscheint stattdessen geboten, zunächst von einem einheitlichen Phänomen des Rechtsirrtums auszugehen und jeweils im

84 

J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  27. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  15. 86  Soeben III. mit Fn.  70. 87  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906. 88 Illustrativ Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2247: „Insofern besteht quasi eine unsichere Rechts­ lage bzgl. der Haftung bei unsicherer Rechtslage.“ Siehe zudem Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  216, 239. 89  Zum Diskussionsstand siehe nur J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 415–416 Fn.  16. 90  J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 416. 91  Begr. RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, 11. 92 Treffend J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 416–417. 93  Es werde eine „positive Fehlvorstellung“ vorausgesetzt, Armbrüster, in: MüKo-BGB, §  119 Rn.  51. Seine Abgrenzung zum Rechtszweifel wesentlich darauf stützend z. B. Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 138; so dürfte sich auch die Trennung bei S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  4, erklären. 85 

§  4 „Irrtum“ als Abweichung zwischen Rechtslage und Vorstellung

67

Einzelnen zu untersuchen, ob unterschiedliche Rechtsfolgen an irrtümliche Über­ zeugungen bzw. Zweifel zu knüpfen sind.94 Es verwundert wenig, dass letzten Endes auch Jörg Mayer – im Widerspruch zu der von ihm als notwendig propagierten strikten Abgrenzung – zu dem Ergebnis gelangt, Rechtszweifel und Rechtsirrtümer seien weitgehend ähnlich zu behan­ deln.95 Teils setzt er die beiden Kategorien gar vollständig gleich.96 Dies liefert einen weiteren Beleg dafür, dass es sich nicht um zwei verschiedene Phänomene handelt, deren streng separate Behandlung Sinn ergäbe. Es ist bezeichnend, dass in Rechtsprechung und Literatur rechtliche Zweifel zum Teil ohne jegliche Diskus­ sion als „Rechtsirrtum“ bezeichnet werden.97 Man mag den Begriff an dieser Stelle wiederum als unpassend weit empfinden. Die zum Teil vorgeschlagene Etikettie­ rung als „Prozessverlaufsirrtum“98 würde die Problematik jedoch nicht beseitigen, weil auch ihr das problematische Element des Irrtums innewohnt. Zutreffender wäre der Begriff der „Rechtsungewissheit“. Dieser würde indes, anders als die Be­ zeichnung als „Rechtsirrtum“, die (zumindest theoretisch denkbaren) Fälle einer subjektiv sicheren Überzeugung des Rechtssubjekts nicht erfassen.

D. Fazit Als Rechtsirrtum wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung jede subjektive Wahrscheinlichkeitsprognose verstanden, die für die rechtliche Bewertung durch das zuletzt entscheidende Gericht nicht die Wahrscheinlichkeit von 1 angesetzt hat. Damit ist eine beachtliche Bandbreite an Konstellationen erfasst. Rechtsirrtümer können nicht nur in klassischen Fällen der Normunkenntnis oder der falschen Sub­ sumtion vorliegen, sondern selbst bei fachgerechter Prognose, sofern diese nicht zu abschließender Sicherheit führt. Die so erfolgte Beschreibung des Phänomens „Rechtsirrtum“ als Untersu­ chungsgegenstand setzt demnach weder eine im engeren Sinne falsche Rechts­ ansicht noch eine fehlerhafte Prognose des Irrenden voraus. Dieser mag besonders dann, wenn weder das eine noch das andere vorlag, auf die Anerkennung eines (entlastenden) Rechtsirrtums angewiesen sein. Es verwundert allerdings nicht, dass 94  Vergleiche dazu unten §  6 B., wo die Frage nach dem schädlichen Erkenntnisgrad als eigen­ ständige Unterfrage der Untersuchung bestimmt wird. 95  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  17. 96  So bei J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  156 (zum Verzug). 97  So BAG, Urt. v. 22.3.2001 – 8 AZR 536/00, BeckRS 2001, 30790460; BAG, Urt. v. 13.6.2002  – 2 AZR 391/01, BAGE 101, 32 = NZA 2003, 44, 48; BAG, Urt. v. 17.7.2003 – 8 AZR 486/02, AP BGB §  611 Haftung des Arbeitgebers Nr.  27 (unter II. 2. b) bb)); BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  31; ebenso Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  162; beiläufig auch Hopt, Schadensersatz, S.  265 Fn.  1. 98  In diesem Kontext J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  16; siehe zur Verwendung des Begriffs zur Kennzeichnung einer vertretbaren Rechtsansicht, welche sich nicht durchzusetzen vermochte, bereits oben B. mit Fn.  37.

68

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

angesichts der beschriebenen Reichweite des Begriffs die Bezeichnung als „Rechts­ irrtum“ zum Teil umstritten ist. Es erscheint aber vertretbar, es bei dem etablierten Terminus zu belassen, solange man sich dabei stets vor Augen führt, welche Palette an Anwendungsfällen erfasst wird. Der Begriff ist nicht in Stein gemeißelt. Er dient an dieser Stelle lediglich zur Umschreibung des Untersuchungsbereichs und zur terminologischen Anknüpfung an die bestehende Diskussion.

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht Der Rechtsirrtum ist nunmehr als Untersuchungsgegenstand definiert. Bevor auf dessen Behandlung in bestimmten Zusammenhängen eingegangen wird, erscheint es lohnend zu ermitteln, inwieweit sich dem deutschen Privatrecht generelle Vor­ gaben hierfür entnehmen lassen. Jörg Mayer hat versucht, in einem „Allgemeinen Teil“ übergreifende Gründe für und gegen eine zugunsten des Irrenden wirkende Beachtlichkeit des Rechtsirrtums darzustellen und zu unterscheiden.1 Auch dort zeigt sich aber letztendlich, dass sich eine säuberliche Trennung nicht durchhalten lässt.2 Es erscheint zielführender, die nur vordergründig strikte Unterscheidung zwischen „pro und contra“ aufzugeben. Stattdessen soll im Folgenden zunächst betrachtet werden, welche Vorgaben zur Behandlung des Rechtsirrtums sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ableiten lassen (A.). Anschließend ist die Ambivalenz der herkömmlich vorgebrachten Argumente aufzuzeigen. Dies betrifft den Ein­ wand, eine Berücksichtigung des Rechtsirrtums zugunsten des Irrenden sei uner­ träglich (B.), ebenso wie die prima vista gegenläufige Annahme, die Undurchsich­ tigkeit des Rechts erfordere eine großzügige Behandlung rechtlicher Fehlvorstel­ lungen (C.).

A. Historische Ausgangslage, insbesondere Genese des BGB Das BGB trifft keine ausdrückliche, allgemeine Aussage zur Behandlung des Rechts­irrtums im deutschen Privatrecht.3 Allerdings lohnt der Blick in die Ent­ stehungsgeschichte des BGB. Der Positionierung seiner Verfasser wird man als Grundentscheidung erhebliche Bedeutung zumessen können.4 Eine klare gesetzliche Vorgabe wäre insbesondere in der Form denkbar gewesen, dass Rechtsirrtümer im Gegensatz zu tatsächlichen Fehlvorstellungen niemals zu­ gunsten des Irrenden Berücksichtigung finden. Der tradierte Satz „error iuris 1 

J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  26–62. für die Vermischung J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  41, 45, wo auf die Beachtlich­ keit des Irrtums vorgegriffen werden muss, und S.  47, wo auf die Unbeachtlichkeit eingegangen wird. 3  Siehe nur Frede, Rechtsirrtum, S.  21; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  65; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 143. 4  Ohne überzeugende Begründung sehr skeptisch hingegen J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  66. 2  Exemplarisch

70

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

nocet“ legt schließlich ein solches Verständnis nahe. Schon eine nähere Betrachtung der Digestenstelle, auf die sich der Satz im Wesentlichen zurückführen lässt,5 zeigt indes, dass die Schlechterstellung des Rechts- gegenüber dem Tatsachenirrtum im römischen Recht keineswegs absolut galt. So wurden explizit Ausnahmen für be­ stimmte unerfahrene Personengruppen anerkannt. 6 Ferner wurde die Schädlichkeit des Rechtsirrtums, neben den Fällen eigener Qualifikation des Betroffenen, auf Sachverhalte bezogen, in denen sich das Recht – gegebenenfalls durch Einholung von Rechtsrat – leicht ermitteln ließ.7 Zudem ist an der zitierten Digestenstelle nicht vom „error iuris“, sondern von der „ignorantia“ die Rede. Zwar ist auch die Un­ kenntnis Teil des Problemkomplexes „Rechtsirrtum“.8 Das schließt jedoch nicht aus, die schlichte Normunkenntnis strenger zu behandeln als die Fehlinterpreta­ tion.9 Im Verlauf des 19.  Jahrhunderts zeigten sich auch im deutschen Rechtsraum Ten­ denzen, Rechts- und Tatsachenirrtümer weitgehend gleichzustellen und nur be­ weisrechtliche Unterschiede zu machen.10 Auch der Vorentwurf Gebhards zum Allgemeinen Teil des BGB sah lediglich eine Beweisregel zulasten des Rechtsirren­ den vor.11 Der Erste Entwurf des BGB distanzierte sich noch weiter von einer Differenzierung. Er hielt in §  146 fest: „Im Sinne des Gesetzes ist unter Irrthum sowohl der Irrthum über Thatsachen als auch der Rechtsirrthum […] zu verstehen.“ Soweit in §§  241, 707 des Entwurfs im Zusammenhang mit der Unmöglichkeit und dem Deliktsrecht die entlastende Wirkung entschuldbarer Irrtümer vorgesehen war, betonten die Motive, dass angesichts von §  146 auch der Rechtsirrtum ent­ schuldbar sein könne.12 Dass keine entsprechende Regel in den Zweiten Entwurf übernommen wurde, hatte seinen Grund nicht etwa in einer Abkehr von diesem Grundgedanken. Die in §  146 des Ersten Entwurfs enthaltene Aussage wurde le­ diglich als überflüssig qualifiziert:13 Wenn das BGB schlicht auf den Irrtum abstel­ le, könne die Auslegung nicht zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtümern differen­ zieren. Auch die zeitgenössische Rezeption ging davon aus, das BGB enthalte eine Abkehr von der Diskriminierung des Rechtsirrtums.14 Allerdings hatten die Mo­ tive angemerkt: „Der Umstand, daß in Ansehung der Rechtsnormen einem Jeden 5 

D. 22, 6, 9 pr.

6  Beispielsweise

für Minderjährige und Frauen, siehe wiederum D. 22, 6, 9 pr. Siehe zudem Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  38; H. Koch, Bereicherung, S.  112–113; J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  26 Fn.  2; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  25. 7  D. 22, 6, 9, 3; siehe dazu noch unten IV. 8  Siehe oben §  4 C. II. 9  Darauf weist im vorliegenden Zusammenhang Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 138, hin. 10  Prägend v. a. v. Savigny, System III, S.  335–336 (Nachlässigkeit sei beim Rechtsirrtum nicht besonders nachzuweisen; sie könne „nur durch den Beweis ungewöhnlicher Umstände widerlegt werden“); vergleiche zu diesem Wandel Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 143 m. w. N. 11  §  106 des Entwurfs (Begründung: §  26 a. E.) – zitiert nach J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  67. 12  Mot. II, 51–52, 731. 13  Prot. I, 188. 14  Siehe z. B. Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 25, 25–26, sowie die Nachweise bei Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 146–147.

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

71

ein meist zum Ziele führender Weg zur Erkenntnis gewiesen ist, erschwert die An­ nahme der Entschuldbarkeit, schließt sie aber nicht unbedingt aus.“15 Damit wird jedoch die Grundentscheidung nicht revidiert. Eine prinzipielle Schlechterstellung des Rechts- gegenüber dem Tatsachenirrtum soll nicht stattfinden.16 Ein allgemei­ ner Grundsatz, das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage dem Ir­ renden zuzuweisen, ist dem BGB fremd.17

B. Besondere Unerträglichkeit einer Berücksichtigung zugunsten des Irrenden Dennoch erfreuen sich bis in die heutige Zeit bestimmte Argumente gewisser Be­ liebtheit, mit denen die Berücksichtigung von Rechtsirrtümern zugunsten des ­Irrenden als – im Vergleich zu Tatsachenirrtümern – besonders unerträglich ge­ kennzeichnet werden soll. Diese Argumentationslinien werden im Folgenden kurz nachgezeichnet und auf ihre Überzeugungskraft hin überprüft.

I. Geltungsanspruch des Rechts In der Rechtsprechung findet sich mit großer Regelmäßigkeit das Argument, einer Entlastung kraft Rechtsirrtums seien wegen des Geltungsanspruchs des Rechts strenge Grenzen zu setzen.18 Im Schrifttum wird hingegen in überzeugender Weise darauf verwiesen, dass eine entlastende Berücksichtigung von Rechtsirrtümern die Rechtsgeltung nicht antaste.19 Die Verbindung ist allenfalls eine mittelbare. Dies kommt zum Ausdruck, wenn zum Strafrecht erklärt wird, jeder Freispruch infolge Verbotsirrtums schwäche „indirekt die Geltungskraft der betroffenen Norm, weil er das Eingeständnis mangelnder Evidenz dieser Norm enthält“.20 Soweit die ­(Privat-)Rechtsordnung hingegen von vornherein nicht auf Evidenz ausgelegt ist, 21 relativiert sich dieses Problem. Dass sich Rechtsgeltung und Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern trennen lassen, belegt nicht zuletzt die Diskussion um ältere Kodifikationen. Exemplarisch zu nennen sind §  12 Hs.  2 der Einleitung zum ALR („es kann sich niemand mit der 15 

Mot. I, 281.

16  Zutreffender

147.

17 

Schluss bei Frede, Rechtsirrtum, S.  20–22; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133,

So in speziellerem Zusammenhang treffend Lorenz, WuM 2013, 202, 206. exemplarisch nur BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  43; BAG, Urt. v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  51; BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  24; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83; w.N. unten §  11 C. II. 3. a) aa) Fn.  204. 19 So etwa Frede, Rechtsirrtum, S.   16–17; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  288; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  31, 33; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  28. 20  Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  5. 21  Siehe dazu näher unten C. 18  Siehe

72

2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Unwissenheit eines gehörig publizirten [sic] Gesetzes entschuldigen“) sowie §  2 des österreichischen ABGB („Sobald ein Gesetz gehörig kund gemacht worden ist, kann sich niemand damit entschuldigen, daß ihm dasselbe nicht bekannt geworden sey [sic].“).22 Verstünde man solche Vorschriften wortlautgetreu, enthielten sie eine rigide Diskriminierung des Rechtsirrtums. Von einem solchen Konzept hat sich, wie gesehen, spätestens das BGB bewusst verabschiedet. Die Motive enthalten zu den angeführten älteren Vorschriften immerhin den Hinweis, der „Satz, daß Nie­ mand mit der Unkenntniß [sic] eines gehörig bekannt gemachten Gesetzes sich ent­ schuldigen könne“ sei, „soweit richtig, selbstverständlich“.23 Der Gegenschluss könnte lauten, dass der betroffene Satz insoweit überholt sei, wie er der Anerken­ nung eines entlastenden Rechtsirrtums prinzipiell im Wege stünde.24 Wenn er aber im Übrigen richtig, gar selbstverständlich, sein soll, ließe sich dies auf die zugleich enthaltene Aussage zur Rechtsgeltung beziehen. Nach teils vertretener Ansicht sol­ len Vorschriften wie §  2 ABGB ohnehin lediglich klarstellen, dass die Geltung der veröffentlichten Gesetze nicht von der Kenntnis und Akzeptanz der Rechtsunter­ worfenen abhängig ist.25 Auf dieser Grundlage ließe sich ebenfalls erklären, war­ um auch das österreichische Privatrecht trotz §  2 ABGB eine Entlastung aufgrund Gesetzesunkenntnis kennt.26

II. Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung Aus dem Verweis auf den Geltungsanspruch des Rechts dürfte heutzutage eher die Sorge um die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung sprechen.27 Diese wurde schon zu §  146 des Ersten Entwurfs des BGB artikuliert.28 Sie wird, in unterschied­ lichen Formulierungen, bis heute vorgebracht.29 In der Tat würden fragwürdige 22  Zu weiteren ähnlichen Normen siehe Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  40–41; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  29–30; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 139–140. 23  Mot. I, 281. 24 So Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 144. 25 So Kramer, ÖJZ 1969, 505, 511–512, der deshalb eine teleologische Reduktion der Vorschrift verlangt; ähnlich Frede, Rechtsirrtum, S.  20; H. Koch, Bereicherung, S.  125 (siehe zuvor S.  122– 123); siehe auch Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 1, 4–6; Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 394–396. 26 So soll die Gesetzesunkenntnis die Redlichkeit des Besitzers begründen können (§   326 ABGB) und soll ein Rechtsirrtum in gleicher Weise wie andere Irrtümer die Kondiktion nach §  1431 ABGB erlauben. Auf diese Normen verweist auch Kramer, ÖJZ 1969, 505, 510. 27  Vergleiche die entsprechenden Äußerungen von J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  47; Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 413. 28 Siehe die Nachweise zur zeitgenössischen Rezeption bei J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   69; Mayer-­Maly, AcP 170 (1970), 133, 146. 29  Siehe etwa Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 905 („Frage von existentieller Bedeutung, in welchem Umfang eine Rechtsordnung Devianz aus Unkenntnis ertragen kann, ohne sich selbst aufzugeben“); Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  43 (Gesetzesunkenntnis könne gefördert wer­ den); J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  34 ( „Effektivität des Rechts“ könne behindert werden); im Aus­ gangspunkt selbst Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 256 (eine Rechtsordnung, „die sich selbst noch ernst nimmt, kann grundsätzlich nicht darauf verzichten, von den Teilnehmern am Rechts­ verkehr beachtet zu werden“; beachte allerdings a. a. O., S.  256–259); siehe auch Towfigh, Der Staat

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

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Anreize gesetzt, wenn sich durch Vermeidung von Rechtskenntnis Rechtsvorteile erlangen bzw. Rechtsnachteile vermeiden ließen. Auch ist es der Rechtssicherheit abträglich, wenn der Eintritt einer Rechtsfolge von der subjektiven Normkenntnis des Gegenübers abhängt.30 1. Entlastungswirkung als Teil der Rechtsordnung Dennoch überzeugt der Gedanke, eine Entlastung wegen Rechtsirrtums unter­ grabe die Rechtsordnung, in seiner Allgemeinheit nicht. Die Entlastungswirkung kann ihrerseits einen Teil der Rechtsordnung darstellen. Wo die Funktion einer Vorschrift bzw. eines Tatbestandsmerkmals gerade darin liegt, darf bzw. muss die Funktionsfähigkeit der (übrigen) Rechtsordnung beeinträchtigt werden.31 Die ­Privatrechtsordnung entscheidet selbst, wann eine solche Beeinträchtigung zur Verwirklichung anderer Ziele (zum Beispiel aus Gründen des Vertrauensschutzes) hinzunehmen ist.32 Der Vorwurf, die Rechtsordnung werde untergraben, irritiert besonders, wo die vom Irrenden eingenommene Position immerhin vertretbar war.33 Insgesamt er­ scheint die vermeintlich schwer erträgliche „Devianz aus Unkenntnis“34 umso we­ niger problematisch, je stärker sich der Akzent auf die Behandlung objektiver Rechtsungewissheit verschiebt. Wo das Recht sogar aus Expertensicht unklar bleibt, liegt es fern zu behaupten, die Rechtsordnung werde unterlaufen. Eine Rechtsord­ nung, die von objektiv unhaltbaren Prämissen hinsichtlich ihrer eigenen Erkennbar­ keit ausginge, würde ihre Steuerungswirkung zu einem Großteil verfehlen.35 2. Verhinderung einer „Rechtserstarrung“ Die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung lässt sich gar umgekehrt für eine Be­ achtlichkeit von Rechtsirrtümern ins Feld führen. Im Kern treffend wird gefordert, wer den Geltungsanspruch des Rechts (besser: dessen Funktionsfähigkeit) sichern wolle, müsse hinreichende Möglichkeiten einräumen, streitige Rechtsfragen klären zu lassen.36 Schon Rittner hat Bedenken hinsichtlich einer Haftungsfreiheit im Fall von Rechtszweifeln mit dem Hinweis entkräftet, eine solche Verschonung komme nicht nur dem faulen Schuldner zugute, sondern diene auch der Klärung rechtlicher

48 (2009), 29, 48 („Die Gesetzeskenntnis der Bürger ist insofern eine für das Funktionieren des Rechts elementare Fiktion“). 30 Vergleiche v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  365. 31  Vergleiche zum Abstellen auf die konkrete Norm und ihren Regelungszweck auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  33; ähnlich Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  43. 32  Siehe sogleich noch III. 33 In solchen Situationen liegt nichtsdestotrotz ein Rechtsirrtum im hier verwendeten Be­ griffssinn vor, siehe oben §  4 B. 34  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 905. 35  Vergleiche unten C. 36  In speziellerem Kontext zutreffend Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

Zweifelsfragen.37 Auch Damler/Zeyher ordnen das Rechtsirrtumsprivileg als „Vor­ aussetzung für eine Festigung bzw. Dynamisierung der Rechtswirklichkeit“ ein.38 Die Vermeidung einer „Rechtserstarrung“ erkannte nicht zuletzt der Gesetzgeber der ZPO-Reform von 2002 als legitimes Ziel an.39 In der Tat kann die Rechtspre­ chung ihrer Aufgabe zur Konkretisierung und Fortbildung des Rechts40 nur dann gerecht werden, wenn die Rechtsunterworfenen entsprechende Rechtsfragen vor Gericht bringen. Eine strenge Haftung, die insbesondere einer Rechtsunsicherheit des Schädigers keinerlei Beachtung schenkt, könnte insoweit abschreckend wir­ ken.41 Auch das andere Extrem mag jedoch mit unliebsamen Konsequenzen einher­ gehen. Eine weitgehende Entlastung des Irrenden könnte dazu führen, dass dessen Gegner seinerseits abgeschreckt wird, obwohl dieser ansonsten bereit gewesen wäre, die rechtliche Klärung zu betreiben.42 Anreize zur Rechtsklärung durch den Zweifelnden lassen sich überdies nicht nur durch die Gewährung eines Nachteils­ freiraums setzen. Denkbar ist daneben die Androhung von Nachteilen für den Fall, dass ein Klärungsversuch unterbleibt.43 Die Furcht vor einer Rechtserstarrung erweist sich für die Behandlung von Rechtsirrtümern demnach als gleichermaßen ambivalentes Argument wie die gene­ relle Sorge um die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung.

III. Durchsetzung des „richtigen“ Rechts Eine gewisse Verwandtschaft zu den vorstehend behandelten Argumentationsmus­ tern weist der Ansatz auf, den Rechtsirrtum als entlastend anzusehen, sofern dies der Durchsetzung der „richtigen“ Rechtslage dient. Diese Begründung wird später in speziellerem Zusammenhang eingehender betrachtet.44 Schon an dieser Stelle lässt sich die damit verbundene Gefahr betonen. Wie beim Verweis auf die „Funk­ tionsfähigkeit der Rechtsordnung“45 droht ignoriert zu werden, dass die Normen zur Behandlung von Rechtsirrtümern ihrerseits Element des „richtigen“ Rechts sind. Das zeigt sich besonders bei der Gewährung von Vertrauensschutz im An­ schluss an Rechtsprechungsänderungen: Hierdurch wird die Anwendung des neu­ erdings als „richtig“ erkannten Rechts verhindert, weil auch der Vertrauensschutz zum „richtigen“ Recht zählt.46 37 

Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416 (siehe zudem S.  415 Fn.  123). Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906–907. 39  Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 67. 40  Dazu oben §  3. A. II. 2. 41  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 934; Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 745. 42  Auf diesen Zusammenhang wurde oben bereits im Zusammenhang mit denkbaren Rückwir­ kungsbeschränkungen bei Rechtsprechungsänderungen hingewiesen: Potenzielle Kläger könnten von der Aussicht abgeschreckt werden, dass sie, selbst wenn das Gericht sie im Recht sähe, nicht in den Genuss einer Haftung des Gegners kämen, siehe oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  137. 43  Siehe dazu unten im Kontext des Verjährungsrechts §  7 C. I. 1. c) dd). 44  Unten im Zusammenhang mit §  814 Var.  1 BGB: §  13 C. II. 1. a). 45  Siehe die Kritik soeben bei II. 1. 46  Siehe oben §  3 A. II. 3. mit Fn.  133. 38 

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

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C. Erkennbarkeit des Rechts Traditionell besteht zwischen der Behandlung von Rechtsirrtümern und der Er­ kennbarkeit (Einsichtigkeit) des Rechts eine enge argumentative Verknüpfung. Der zugrunde liegende Gedanke ist einfach: Wenn sich das Recht ohne Probleme erken­ nen lässt, bedarf es keiner Nachsicht gegenüber rechtlichen Fehlvorstellungen. So findet sich in den Digesten der Gedanke, das Recht sei „finitum“ und deshalb im Gegensatz zu Tatsachen stets erkennbar.47

I. Fehlende generelle Evidenz des Rechts Es wird allerdings angezweifelt, dass der Gedanke des „ius finitum“ das römische Recht zutreffend charakterisierte.48 Im deutschen Diskurs des 19.  Jahrhunderts wurde zumindest anerkannt, dass es (vermehrt) schwierige Rechtsfragen gebe, be­ züglich derer der Gedanke nicht verfange.49 Im Strafrecht sind die Rechtsprechung und mit §  17 StGB auch der Gesetzgeber von der Sichtweise abgerückt, wonach strafrechtliche Gebote für jedermann einsichtig seien.50 Im Privatrecht haben be­ reits die Verfasser des BGB diesen Umstand anerkennen müssen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass ausweislich der Motive ein „Weg zur [Rechts-]Erkenntnis“ nur „meist“ offenstehen soll.51 Selbst die These einer solchen eingeschränkten Er­ kennbarkeit ist bereits im Entwurfsstadium des BGB kritisiert worden. Zu Be­ kanntheit gebracht hat es vor allem das Zitat Mengers, die Kenntnis aller Gesetze sei die „lächerlichste aller Fiktionen“.52 Das Reichsgericht stellte kurz vor Inkraft­ treten des BGB fest, gerade die Bezugnahme auf den Gedanken eines „ius finitum“ lege (im Gegenschluss) nahe, dass ein Rechtsirrtum unverschuldet sei, „wenn das in Betracht kommende Gesetz unbestimmt ist und auch für den Rechtskundigen eine mehrfache Auffassung zuläßt“.53 Zumindest die gegenwärtigen Bedingungen der Rechtsordnung sind weit vom „ius finitum“ entfernt.54 Dass das Recht in seiner Komplexität vor allem für juris­ tische Laien nicht überschaubar und in seinen Einzelheiten nicht bekannt ist, wur­

47 

So D. 22, 6, 2; dazu etwa Winkel, Error iuris, S.  43–53. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  38–39 m. w. N. 49  So etwa v. Savigny, System III, S.  336–338. 50  Siehe dazu oben §  1 A. II. 51  So die unter A. schon zitierte Formulierung bei Mot. I, 281. Auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  40, wertet die Konzeption des BGB als Eingeständnis, dass im Privatrecht nicht nur einsichtiges Recht bestehe. 52  Menger, Volksklassen, S.  20. 53  RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 100–101; auch Winkel, Error iuris, S.  53, leitet aus dem Gedanken des „ius finitum“ ab, dass der Rechtsirrtum entschuldbar sei, wo das Recht im Einzelfall nicht bestimmbar sei; in der Sache ganz ähnlich Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 25, 27. 54  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  4 4, 46, 60; ähnlich Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  148–149; R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1371. 48 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

de oben schon festgestellt.55 Evident sind rechtliche Vorgaben allenfalls im Ein­zel­ fall.56

II. Entlastung als Gebot der Gerechtigkeit Muss es aber nicht, wenn die Rechtslage vielfach nicht offenkundig ist, als funda­ mental ungerecht erscheinen, negative Rechtsfolgen an Rechtsirrtümer zu knüp­ fen?57 Dem Gerechtigkeitsgedanken lassen sich allerdings nur schwer Konturen verleihen.58 Man könnte immerhin aus Gerechtigkeitsgründen danach differenzie­ ren, ob mit der Berufung auf den Rechtsirrtum ein Verlust vermieden (dann: ge­ recht) oder ein Gewinn erlangt (dann: ungerecht) werden soll. Eine Vorlage liefern die Digesten.59 Dort wird eine Unterscheidung Papinians wiedergegeben: Der Rechtsirrtum solle demjenigen, der das ihm Zustehende einklage, nicht schaden, wohl aber dem, der etwas erwerben wolle;60 ein Rechtsirrtum nutze niemandem im Gewinn („in compendiis“), schade aber andererseits niemandem im Fall eines Scha­ dens durch Vermögensverlust („in damnis amittendae rei suae“).61 Vereinzelt wird auch in der jüngeren Diskussion noch auf diesen Grundgedanken verwiesen.62 Schon das Badische Landrecht von 1809/10 erteilte dieser Differenzierung indes in Satz  1b eine deutliche Absage: „Für bekannt angenommene Geseze [sic] soll jeder­ mann wissen: deren Nichtwissen oder Falschwissen schadet sowohl im Verlust als im Gewinn.“63 Auch das BGB hat eine solche Unterscheidung verworfen. 64 So fin­ det sich im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb von Immobiliarrechten (heute §  892 Abs.  1 S.  1 BGB) die ausdrückliche Entscheidung, auch Rechtsirrtümer zugunsten des Erwerbers wirken zu lassen. 65 Der vermeintlich ungerechte „Ge­ winn“ wird dem Erwerber hier im übergeordneten Interesse des Verkehrsschutzes zugewiesen. Ohnedies ist die Abgrenzung zwischen Gewinn und Verlust mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Sieht man zum Beispiel die rechtsirrtümlich eingegan­ 55 

Siehe oben §  3 A. III. 1. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  4 4; vergleiche noch unten §  16 D. I. 57 Vergleiche J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  58; zum Strafrecht Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  5: „Die strafrechtliche Relevanz des Unrechtsbewusstseins ist eine Konsequenz des als Prinzip ge­ rechter Zurechnung verstandenen Schuldprinzips und damit letztlich eine Forderung der Gerech­ tigkeit.“ 58  Das muss auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  58, im Wesentlichen eingestehen. 59  Winkel, Error iuris, S.  58–60, 89, 165, identifiziert dies als wichtigstes Prinzip, das die ver­ meintliche Grundregel „error iuris nocet“ durchkreuze. In den Kontext seiner Gerechtigkeits­ erwägungen ordnet J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  59, dieses Prinzip ein. 60  D. 22, 6, 7; dazu auch H. Koch, Bereicherung, S.  114–115; R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1368. 61  D. 22, 6, 8. 62  So etwa bei Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 35 Fn.  38 a. E.; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  121 Fn.  46. 63  Herv. d. Verf.; darauf verweisend auch Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 140 Fn.  35. 64  Vergleiche nur Grziwotz, in: MüKoBGB, §  2366 Rn.  28; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  2 29–230. 65  Siehe Prot. VI, 222, wo die ursprünglich vorgesehen Beschränkung auf Tatsachenkenntnis als Voraussetzung für einen Ausschluss des Gutglaubenserwerbs (dazu Mot. III, 221) aufgegeben wurde. 56 

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

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gene Bindung als Nachteil oder die Möglichkeit einer Anfechtung als Vorteil?66 Zudem gibt es Tatbestände mit Doppelfunktion. Beispielsweise ist selbst bei einem fahrlässig-gutgläubigen Erwerb (Gewinn) eine Ersatzhaftung (Verlust) gegenüber dem früheren Berechtigten ausgeschlossen. 67 Bei Normen wie §  990 Abs.  1 BGB entscheiden sich mit der Behandlung des Rechtsirrtums zugleich die Fragen der Schadensersatzhaftung (§  989 BGB) und der Nutzungsherausgabe (§  987 BGB). Welche Rolle käme dem Rechtsirrtum bei solchen dualen Folgen zu?

III. Entlastung als Gebot der Rechtssicherheit Statt an mehr oder minder diffuse bzw. vom Gesetzgeber verworfene Gerechtig­ keitsvorstellungen anzuknüpfen, lässt sich die Notwendigkeit einer „Entlastung qua Rechtsirrtums“ am Gebot der Rechtssicherheit festmachen. 68 So erkennt insbe­ sondere das BVerfG ein Gebot der Normenklarheit an, welches gemeinhin aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird: Der Normadressat müsse die Rechtslage so konkret erkennen können, dass er sein Verhalten danach ausrichten könne.69 Das Gebot bezieht sich jedoch nur auf das positive Recht.70 Es ist indes oben schon er­ wähnt worden, dass Art.  20 Abs.  3 GG auch darüber hinaus Rechtssicherheit for­ dert, da „die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung“ anzusehen ist.71 1. Freiraum durch Verzicht auf Nachteilszuweisung Es ließe sich die These aufstellen, dass das Recht, wo es die soeben beschriebenen Anforderungen an seine Berechenbarkeit nicht erfüllt, für den in Rechtsunkennt­ nis Handelnden keine Nachteile vorsehen darf.72 Sonst könnten die Rechtsunter­ worfenen in der Wahrnehmung ihrer Freiheit, insbesondere im Bereich unterneh­ merischen Handelns, gehemmt werden.73 Wo das Recht unberechenbar ist, lässt sich zudem nicht mehr mit gleichem Gewicht wie anderswo darauf verweisen, es 66 

Für Letzteres offenbar Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 1, 6. Siehe nur G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  256 m. w. N. 68  Vergleiche auch v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  365: Man dürfe wegen der Schwierigkeiten bei der Rechtskommunikation nicht beim Satz „error iuris nocet“ stehen bleiben, wenn keine „Willkürordnung“ herrschen solle. 69  Siehe z. B. BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 – 1 BvL 1/01 u. a., BVerfGE 108, 52 = NJW 2003, 2733, 2735 m. w. N.; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 2.6.2008 – 1 BvR 349/04 u. a., NVwZ 2008, 1229, 1230; BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1140/09, BVerfGE 141, 220 = NJW 2016, 1781, 1783 Rn.  94. Ausführliche Kritik zum Fehlen einer leitenden Dogmatik bei Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 38, 40, 43 und 44–61. 70  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 38. 71  Siehe oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  112. 72 Zur ansonsten drohenden Beeinträchtigung der Rechtssicherheit vergleiche v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  366; siehe auch bereits oben I. mit Fn.  53 zum entsprechenden Gegenschluss aus dem „ius finitum“-Gedanken. 73 Siehe v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.   109–114; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.   296; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  53. 67 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

gehöre  – als Korrelat zur individuellen Freiheit – zur eigenen Verantwortung jedes mündigen Rechtssubjekts, die Rechtslage zu ermitteln.74 Einen Ausschnitt dieses Problemkreises bildet ebenso die schon aufgegriffene Frage, in welchem Umfang die Zuweisung von rechtsirrtumsbedingten Nachteilen angemessen ist, wenn der Betroffene gerade die gerichtliche Klärung rechtlicher Zweifelsfragen betreibt.75 Wie bereits angedeutet, ist die Gewährung von Haf­ tungsfreiräumen indes keine „Einbahnstraße“. Werden diese Freiräume zu groß­ zügig bemessen, kann dies andere Rechtssubjekte abschrecken. Wer fürchten muss, im Schadensfall nicht kompensiert zu werden, wagt sich unter Umständen gar nicht erst aus der Deckung.76 2. Unbeachtlichkeit staatlicher Ingerenz im Privatrecht In den vorstehenden Ausführungen ist ein weiterer wichtiger Aspekt bereits ange­ klungen: Die Frage der Rechtssicherheit betrifft im Privatrecht grundsätzlich nicht das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Im Strafrecht lässt sich bei fehlender Erkennbarkeit des Rechts eine Entlastung des Irrenden auf den Ingerenzgedanken stützen.77 Im Staatshaftungsrecht spricht die staatliche Ingerenz gegen eine Haf­ tungsfreiheit bei Rechtsirrtümern von Amtsträgern.78 Im Verhältnis zwischen Pri­ vaten versagt dieser Gedankengang: Hier hat regelmäßig weder der eine noch der andere Part die Rechtsunklarheit zu verantworten.79 Wird eine Partei unter Ver­ weis auf die fehlende Erkennbarkeit der Rechtslage entlastet, geht dies zulasten des (ebenso wenig verantwortlichen) Gegenübers. 80 Im Privatrecht bedürfen daher die Regeln, die im Bürger-Staat-Verhältnis die Rechtssicherheit schützen, der Anpas­ sung. Die Herausforderung besteht darin, die Folgen einer fehlenden Erkennbar­ keit der Rechtslage gerecht zwischen den Beteiligten zu verteilen. 3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen Der Umstand, dass der Rückgriff auf den Ingerenzgedanken im Privatrecht ver­ sperrt ist, wirkt sich vor allem dann aus, wenn es infolge einer Wende der höchst­ richterlichen Judikatur zu einem Rechtsirrtum gekommen ist. Das Rechtsstaats­ prinzip zwingt dazu, zwei Gesichtspunkte in Ausgleich zu bringen: Einerseits soll 74  So im Strafrecht die Argumentation des Großen Senats im Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt. 2/51, BGHSt 2, 194 = NJW 1952, 593, 594 (dazu schon §  1 A. II.). 75  Dazu oben B. II. 2.; die Komplexe verbindend auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906: „Es ermöglicht die Wahrnehmung von (unternehmerischen) Chancen, indem die Regulie­ rung bestimmter Lebensbereiche haftungsfrei ausgemessen oder deren Gültigkeit auf den Prüf­ stand gestellt werden kann.“ 76  Siehe wiederum oben B. II. 2. 77  Siehe bereits oben §  1 A. II. unter Hinweis auf Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  268–271. 78 Siehe J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  129. 79  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 927; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  274–275. Zu Ausnahmen vergleiche unten §  17 A. 80  Vergleiche die ähnlichen Gedanken zur Rückwirkungssperre bei Rechtsprechungsänderun­ gen, oben §  3 A. II. 3. mit Fn.  135; illustrativ auch Büning, Verjährung, S.  39.

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

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nicht demjenigen, der nach der neugewonnenen (besseren) Rechtserkenntnis im Recht wäre, selbiges sehenden Auges vorenthalten werden; andererseits ist das Ver­ trauen des Gegenübers in die vermeintlich günstige Rechtslage zu berücksichti­ gen.81 Wenigstens ein „Minimum an Vertrauensschutz“82 erscheint verfassungs­ rechtlich zwingend. Für den Transfer ins Privatrecht ist die Figur des Rechtsirr­ tums geradezu prädestiniert.83 Das zeigt sich deutlich bei der Feststellung von Verschulden, welche regelmäßig als ein Prototyp für die Gewährung einfachrecht­ lichen Vertrauensschutzes bei Judikaturänderungen genannt wird. 84 Wenn die Fi­ gur des entlastenden Rechtsirrtums auf diese Weise als Puffer für Rückwirkungs­ effekte dient, wird ihr nicht eine „völlig wesensfremde Funktion“ übergestülpt.85 Vielmehr ist die durch das einfache Recht angeleitete differenzierte Betrachtung86 vorzugswürdig gegenüber einem „freihändig“ eingesetzten Vertrauensschutz. 87 Vergleichbares gilt etwa für die Haftung des Bereicherungsschuldners, die wegen §  819 Abs.  1 BGB ebenfalls von dessen Rechtserkenntnis abhängig ist.88 Der Gewährung von Vertrauensschutz kann im Einzelfall entgegenstehen, dass der Gegner dem gleichen Rechtsirrtum unterlegen ist.89 So erlaubt es die Verjäh­ rung dem Schuldner, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums endgültig davon auszugehen, nichts mehr zu schulden, mag sich auch die Rechtsprechung später zu seinen Lasten wandeln.90 Wenn aber auch der Gläubiger von einem Bestand der anspruchsfeindlichen Judikatur ausgegangen und deshalb passiv geblieben ist, kann es fragwürdig erscheinen, zu seinen Lasten von Verjährung auszugehen.91 Auch bei der Bewältigung von Rechtsprechungsänderungen sind also die Interessen bei­ der Partner der privatrechtlichen Anspruchsbeziehung zu bedenken. Die Rechtsirrtumslehre muss die Dimension der Rechtssicherheit stets „mitden­ ken“, wenn sie Lösungen für bestimmte Tatbestände entwickelt. Steht man einem im „Freistil“ gewährten Vertrauensschutz mit Recht kritisch gegenüber, muss das Ziel sein, innerhalb der Rechtsirrtumsdogmatik möglichst präzise Vorgaben für die Berücksichtigung dieses Aspekts zu entwickeln. 81 

Zum Ganzen bereits oben §  3 A. II. 3. Brocker, NJW 2012, 2996, 2997; siehe auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 914. 83  Vergleiche auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  55; Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 364. 84  Siehe oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  144. Anschauliches Beispiel: BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310 = NJW 2014, 2947, 2948–2949 Rn.  22–30 (zum unvermeidbaren Rechts­ irrtum einer Bank hinsichtlich der nach einer Rechtsprechungsänderung als geschuldet erachteten Aufklärung über Innenprovisionen). 85  So aber J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  56; siehe bereits §  3 A. II. 3. Fn.  139. 86 Vergleiche G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  5 4–55. 87  Siehe wiederum §  3 A. II. 3. und besonders Bydlinski, JBl 2001, 2, 21–22. 88  Auf die vertrauensschützende Funktion der bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgennormen weist, wie unter §  3 A. II. 3. erwähnt, Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 342, hin; dazu näher unten §  11 C. II. 6. c), §  13 C. I. 89 Auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  45, weist allgemein darauf hin, dass der Gedanke des Ver­ trauensschutzes „sowohl für wie gegen die Beachtlichkeit des Rechtsirrtums streiten“ könne. 90  Siehe bereits §  3 A. II. 3. mit Fn.  146. 91  Dazu eingehend §  7 C. I. 3. 82 

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

IV. Verfügbarkeit von Rechtsrat Die Vorstellung eines „ius finitum“ wurde verworfen.92 Gerade Laien können die Rechtslage häufig nicht sicher beurteilen. Bevor man jedoch ob dieser Ausgangslage vorschnell eine Entlastung infolge Rechtsirrtums gewährt, sollte man bedenken, dass die Rechtslage gegebenenfalls mithilfe von Expertenrat erkennbar ist. Die von der Rechtsordnung gewährleistete Verfügbarkeit entsprechender Intermediäre wurde als beachtliche Besonderheit des Rechts als Erkenntnisgegenstand identifi­ ziert.93 Ebenfalls schon erwähnt worden ist die Digestenstelle, an der schädliche Rechtsunkenntnis angenommen wird, sofern entsprechender Rechtsrat zur Verfü­ gung stand.94 Auch den Verfassern des BGB stand dieser Zusammenhang offenbar vor Augen. Die Anmerkung in den Motiven, ein Weg zur Rechtserkenntnis stehe zumeist offen,95 deutet zumindest stark in diese Richtung. Zwar bleibt damit, wie gesehen, die generelle Möglichkeit eines entschuldigenden Rechtsirrtums unange­ tastet. Bei Verfügbarkeit entsprechender Erkenntnismöglichkeiten soll aber offen­ sichtlich die Berufung auf einen Rechtsirrtum versagt werden. Mayer-Maly ordnet die Äußerung zwar lediglich als „Voraussagen über das Ergebnis der Anwendung jener Entschuldbarkeitskriterien“ ein, „die einheitlich für alle Irrtumsarten gelten sollten“.96 Doch selbst wenn man diese Charakterisierung teilen wollte,97 be­ schränkt sich die Aussage der Motive nicht auf „faktische“ Spekulation. Weil das Ergebnis einer Verschuldensprüfung vorhergesagt wird, ist notwendigerweise auch die normative Beurteilung bedacht: Die fehlende Nutzung der Rechtserkenntnis­ quellen soll dem Irrenden regelmäßig vorwerfbar sein. Dass die Verfügbarkeit rechtskundigen Rats in die Bewertung einzustellen ist, klingt ebenso in einer bereits zitierten Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1897 an: Ein Rechtsirrtum sei entschuldigt, „wenn das in Betracht kommende Gesetz […] auch für den Rechtskundigen eine mehrfache Auffassung zuläßt“.98 An anderer Stelle sah das Reichsgericht die Diskriminierung reiner Rechtsirrtümer ge­ rade deshalb als sachgerecht an, weil sich die Beteiligten über Rechtsfragen unter­ richten könnten, während eine sichere Klärung von Tatfragen oftmals nicht mög­ lich sei.99 Auch im Strafrecht wird ein Verbotsirrtum regelmäßig als vermeidbar im

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Siehe oben I. Oben §  3 A. III. 2. 94  D. 22, 6, 9, 3 (siehe bereits oben A.); ausführlicher dazu Winkel, Error iuris, S.  60–64, 89–90 (der a. a. O., S.  6 4, mit Blick auf das geltende Recht die aus seiner Sicht bestehende Bedeutung „für die Erhöhung des Gerechtigkeitsgehalts unserer Rechtsordnung“ betont); vergleiche auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  59 mit Fn.  128. 95  Mot. I, 281. 96  Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 144–145. 97 Dagegen J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  68–69. 98  RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 100–101 (Herv. d. Verf.; zu dem Urteil bereits oben I.). 99  RG, Urt. v. 12.4.1938 – VII 220/37, RGZ 157, 266, 270 (im Kontext von §  7 79 BGB; siehe dazu §  2 A. mit Fn.  9). 93 

§  5 Übergreifende Vorgaben für die Behandlung von Rechtsirrtümern im Privatrecht

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Sinne von §  17 StGB angesehen, wenn sich der Täter die entsprechenden Informa­ tionen im Wege der Erkundigung bei Experten hätte besorgen können.100 Auch hinsichtlich der von Verfassungs wegen gebotenen Normenklarheit101 wird mit guten Gründen dafür plädiert, diese aus der Perspektive eines Rechtskundigen zu prüfen.102 Nicht nur liegt die Annahme einer Verständlichkeit für den Normad­ ressaten vielfach fern jeder Realität.103 Darüber hinaus kann die für Laien nicht ohne Weiteres zu erschließende Normgestaltung in Anbetracht komplexer Lebens­ verhältnisse im Ergebnis – auch nach Abzug der für den Rechtsrat aufzuwendenden Kosten  – für einen gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn sorgen.104 Überdies lässt sich vermuten, dass die Einschaltung von Intermediären die Internalisierung von Rechtsnormen und damit die Rechtsbefolgung steigert.105 Wenn man sich ein­ gesteht, dass große Teile des Rechts – sinnvollerweise – auf die Vermittlung durch Intermediäre ausgerichtet sind, kann dies für die Behandlung des Rechtsirrtums nicht folgenlos bleiben.106 Es erscheint konsequent, für die Frage, ob eine hinrei­ chende Fehlvorstellung vorlag, regelmäßig auf die objektivierte Sicht eines Rechts­ experten abzustellen.107 Dem Einzelnen drohen in der Regel keine erheblichen Nachteile, wenn der ge­ wählte Rechtsberater hinter den objektiven Anforderungen an einen Vertreter sei­ nes Standes zurückbleibt. Die weitgehende Beraterhaftung sorgt in Kombination mit der Pflichtversicherung für einen starken Schutz Rechtsuchender.108 Für wirt­ 100 Siehe Neumann, in: NK-StGB, §   17 Rn.  67, 74–76; eingehend auch Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, §  17 Rn.  6 4–70. 101  Dazu oben III. (vor 1.). 102  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, passim, insb. 67; in der Tendenz ebenso Giller, Rechtsbe­ lehrungspflichten, S.  269 m. w. N.; ferner Kotsoglou, JZ 2014, 1100, 1102; vorsichtiger v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  231. Das BVerfG wählt für das Gebot der Normenklarheit zum Teil die Ad­ ressatensicht als Bezugspunkt, fordert hingegen in anderen Fällen lediglich, dass die Auslegung mit den juristischen Methoden zu bewältigen sein müsse, siehe Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 42–43 m.N. (Beispiel für die erste Variante: BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 – 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33 = NJW 2004, 2213, 2218; für die zweite Variante: BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/­87, BVerfGE 83, 130 = NJW 1991, 1471, 1473; vergleiche auch BVerfG, Urt. v. 11.7.2017  – 1 BvR 1571/15 u. a., BVerfGE 146, 71 = NJW 2017, 2523 Rn.  128, wo darauf abgestellt wird, dass die Regelungen „einer fachgerichtlichen Klärung ohne Weiteres zugänglich“ seien). 103 Siehe bereits §   3 A. III. 1.; so auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 69; ähnlich Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  268. 104 Näher Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 35 (mit Fn.  34), 55–56, 70, 73. A. a. O., 37, 49, 68, wird insb. darauf hingewiesen, dass die Nutzung von Fachsprache in Normen unter diesem Blick­ winkel Komplexität reduzieren kann. 105 Näher Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 53, 57, 70. 106 Auch Towfigh zieht vereinzelte Verbindungslinien zur Zuweisung des Rechtsirrtumsrisiko. So heißt es etwa bei Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 60, dem Gesetzgeber sei „bewusst, dass die Unkenntnis des (positiven) Rechts weit verbreitet ist“. Das zeige sich etwa daran, dass die Rechts­ irrtumslehre auf das Kennenmüssen abstelle. 107 Auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 73, kommt zu dem Schluss, seine Auffassung hebe „nur eine ohnehin im Recht unausgesprochene normative Anforderung an den Normadressaten hervor: Wenn er das Recht nicht versteht, muss er es sich erklären lassen“. 108  Siehe dazu oben §  3 A. III. 2. a). Auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 69–70, verweist auf die Beraterhaftung.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

schaftlich schwächere Bürger ist es bedeutsam, dass ihnen Beratungs- und Prozess­ kostenhilfe den Zugang zu Intermediären eröffnen.109 Nach alldem erweist sich die institutionalisierte Verfügbarkeit von Rechtsrat als wichtiger normativer Aspekt bei der Behandlung von Rechtsirrtümern. Berück­ sichtigen lässt er sich jedenfalls dort, wo das Gesetz nicht ausdrücklich auf das subjektive Vorstellungsbild des Einzelnen abstellt.

D. Fazit Für die Behandlung des Rechtsirrtums im deutschen Privatrecht ist vor allem die Feststellung von Bedeutung, dass das BGB den Gedanken einer prinzipiellen Schlechterstellung des Rechts- gegenüber dem Tatsachenirrtum bewusst verworfen hat. Zugleich gingen seine Verfasser offenbar davon aus, dass derjenige, der sich auf einen entlastenden Rechtsirrtum berufen möchte, immerhin die von der Rechts­ ordnung zur Verfügung gestellten Rechtsberatungsmöglichkeiten nutzen muss. Es hat sich gezeigt, dass die Zwischenschaltung solcher „Rechtsvermittler“ erhebliche Vorteile mit sich bringt. In diesem Punkt erweist sich der Rechtsirrtum also gegen­ über dem Tatsachenirrtum als besonders gelagert. Andere in der Diskussion vorgebrachte Argumente sind hingegen ambivalent. So hängt es vom jeweiligen Kontext ab, ob eine entlastende Wirkung des Rechtsirr­ tums positive oder negative Folgen für die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung hat. Vergleichbares gilt für den Ansatz, durch die Behandlung des Rechtsirrtums einem Erstarren der Rechtsordnung entgegenzuwirken. Auch der Verweis auf die Rechtssicherheit erweist sich als janusköpfig. Er kann keineswegs allein für eine Entlastung des Irrenden ins Feld geführt werden – auch weil innerhalb privatrecht­ licher Beziehungen regelmäßig nicht auf eine Ingerenz der anderen Partei verwie­ sen werden kann. Verfassungsrechtlich geboten erscheint es zumindest, über die Figur des Rechtsirrtums ein gewisses Maß an Vertrauensschutz bei Änderungen der Rechtsprechung zu vermitteln. Die dargestellten Ambivalenzen lassen es ratsam erscheinen, bei der Behandlung des Rechtsirrtums nicht zu Extremlösungen, sondern zu differenzierenden Ansät­ zen zu greifen.110 All das gilt nicht nur mit Bezug auf die Auslegung einzelner Vor­ schriften.111 Nur von „begrenzten Sachproblemen“ auszugehen, wird der Thematik nicht gerecht.112 Vielmehr ist stärker als bislang das Zusammenspiel verschiedener für die Rechtsirrtumsproblematik relevanter Tatbestände zu beleuchten. Es er­ scheint denkbar, dass erst diese Kombination ausgewogene und sachgerechte Lö­ sungen hervorbringt. 109  Siehe dazu wiederum §  3 A. III. 2. a); darauf hinweisend auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 71. 110  So bereits J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  27. 111  Dies in den Vordergrund stellend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  60. 112  So aber Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 422; hiergegen auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  27.

§  6 Konsequenzen für den Aufbau der Untersuchung Die erfolgte Annäherung an das Phänomen des Rechtsirrtums und dessen Eigen­ heiten erlaubt Schlussfolgerungen für den weiteren Aufbau der Untersuchung.

A. Nachteilsvermeidung als zentrale Fragestellung Es hat sich gezeigt, dass es ungeachtet früherer Ansätze nicht zielführend ist, zwi­ schen den Wirkungen des Rechtsirrtums „im Gewinn“ und „im Verlust“ zu diffe­ renzieren.1 Für die vorliegend in den Blick genommenen Rechtsirrtümer bei der Anspruchsverfolgung und -verteidigung ist diese Unterscheidung ohnehin obsolet. Die Berufung auf einen Rechtsirrtum dient hier stets dem Zweck, einen Nachteil zu vermeiden. Von zentralem Interesse für die Rechtsirrtumsdogmatik sind natur­ gemäß diejenigen Nachteile, die gerade durch die Rechtsordnung selbst angeordnet werden.2 Dies betrifft die Verjährung (Quadrant 1) bzw. Rechtskraft (Quadrant 1 und 4) und den Ausschluss der Kondiktion (Quadrant 4) ebenso wie Schadensoder Prozesskostenersatzpflichten (Quadranten 2 und 3). Die zu untersuchende Fragestellung lautet stets: Inwieweit bewahrt der Rechtsirrtum den Irrenden vor der Zuweisung dieser Rechtsnachteile? Oder umgekehrt gewendet: Inwieweit setzt die Nachteilszuweisung eine Rechtserkenntnis auf Seiten des Belasteten voraus? Die Formulierung einer solchen zentralen Frage gewährleistet die Vergleichbarkeit der in den einzelnen Quadranten erzielten Untersuchungsergebnisse.

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Siehe oben §  5 C. II. kann ein durch Rechtsirrtum beeinflusstes Verhalten faktische Nachteile nach sich ziehen, die nicht erst durch das Recht vermittelt werden. Beispielsweise kann derjenige, der einen nicht bestehenden Anspruch geltend macht, hierfür Aufwendungen tätigen, die sich im Nachhinein als unnötig herausstellen. Demjenigen, der einen eigenen Anspruch (bzw. die eigene Leistungsfreiheit) verkennt, kann ein Gewinn entgehen usw. In solchen Fällen stellt sich nicht die Frage danach, ob die Rechtsordnung den Eintritt eines Rechtsnachteils verhindert. Es geht allen­ falls um eine nachträgliche Kompensation der faktischen Einbußen. Dies setzt entsprechende Er­ satzansprüche des Irrenden gegen sein Gegenüber voraus (dazu später am Rande bei §  17 A. IV. 2.). 2 Daneben

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

B. Aufteilung in die Felder „Erkenntnisgegenstand“, „Erkenntnisgrad“ und „Substitution durch Vorwerfbarkeit“ Die soeben formulierte Fragestellung lässt sich in einzelne Elemente aufspalten, um der Untersuchung Struktur zu verleihen und somit zugleich zur Ausdifferenzie­ rung der Rechtsirrtumsdogmatik beizutragen. Auf einer ersten Ebene lässt sich ermitteln, ob ein nachteilszuweisender Tatbe­ stand überhaupt Erkenntnisse (reale oder potenzielle) des Betroffenen zur Rechts­ lage voraussetzt oder ob der Nachteil unabhängig davon (beispielsweise aufgrund bloßer Erkennbarkeit der Tatsachenlage) verhängt wird. Knapp formuliert kann man fragen, ob die Rechtslage zum notwendigen Erkenntnisgegenstand eines Nach­ teilstatbestands zählt. Wo dies zu bejahen ist, ist die Betrachtung weiter aufzufächern. Die Diskussion, ob eine strenge oder milde Behandlung von Rechtsirrtümern geboten ist, lässt sich nur schwer führen, wenn nicht klar getrennt wird, an welchem Punkt Strenge bzw. Milde ansetzen sollen. Es kommen zwei unterschiedliche Anknüpfungsmomente in Betracht. Ansatzweise wird dies im Schrifttum zur Fahrlässigkeitshaftung er­ kannt, wenn (insbesondere zur Bedeutung von Irrtümern über die Rechtswidrig­ keit) differenziert wird:3 Einerseits geht es um die Erkennbarkeit der Rechtslage, also letztlich um die Sorgfaltsanforderungen, die hinsichtlich der Rechtsprüfung zu stellen sind. Das betrifft vor allem die Frage, ob Expertenrat einzuholen ist. Andererseits fragt sich, wie mit Zweifeln umzugehen ist, die nach einer sorgfältigen Prüfung verbleiben. Vor allem kommt ein Verzicht auf das risikobehaftete Verhal­ ten in Betracht. Der Vorwurf lautet im ersten Fall „Das hättest du wissen sollen“, im zweiten Fall „Das hättest du sein lassen sollen“. Diese Trennung ist elementar. Auf den beiden Stufen sind jeweils fundamental unterschiedliche Wertungen zu berücksichtigen. Auf Ebene der Erkennbarkeit kommt das Argument zum Tragen, die Rechtslage lasse sich – gegebenenfalls unter Konsultation von Experten – stets ermitteln.4 Daneben existieren jedoch Fallge­ staltungen, in denen die Grundannahme der Erkennbarkeit widerlegt ist, weil die Rechtslage nicht einmal für Experten eindeutig ist. Dazu kann es vor allem kom­ men, weil mehrere vertretbare Lösungen parallel existieren.5 Insoweit verfängt der Verweis auf die Verfügbarkeit von Rechtsrat („Das hättest du wissen sollen“) nicht. Eine Belastung des Irrenden müsste auf der anderen Stufe begründet werden: „Das hättest du sein lassen sollen.“ Diese Erkenntnis ist umso bedeutender, als sich gezeigt hat, dass die Rechtsirrtumsdiskussion inzwischen in weiten Teilen eine De­ batte über den Umgang mit Rechtszweifeln, die auch Experten nicht vollständig ausräumen können, ist. 6 Das Außergewöhnliche an einer streng verstandenen Re­ 3  Zum Folgenden Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73; ganz ähnlich Engert, in: GS Un­ berath, S.  91, 93; Zedler, Rechtsrisiko, S.  202–224. 4  Dazu oben §  5 C. IV. 5  Dazu oben §  3 A. I. 6  Siehe oben §  4 C. IV.

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§  6 Konsequenzen für den Aufbau der Untersuchung

gel „error iuris nocet“ ist denn auch nicht so sehr der rigide Maßstab für die Rechts­ prüfung, sondern die implizite Ignoranz gegenüber einer objektiven Ungewissheit der Rechtslage. Bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor Inkrafttreten des BGB ließ erkennen, dass zwei Aspekte zu trennen sind: einerseits die Konse­ quenzen, die sich aus einer Ambivalenz der Gesetzesformulierung ergeben, ande­ rerseits die Frage, ob Expertenrat hinzuzuziehen ist.7 Die oben zitierte Literatur zur Fahrlässigkeitshaftung richtet ihre Darstellung am praktischen Ablauf der Rechtserkenntnis (erstens: Prüfung, zweitens: Umgang mit verbleibenden Zweifeln) aus. Die vorliegende Untersuchung fasst ihren Unter­ suchungsbereich indes weiter. So mag etwa bei Tatbeständen, die Kenntnis (anstel­ le von Fahrlässigkeit) voraussetzen, die Sorgfalt der Rechtsprüfung überhaupt kei­ ne Rolle spielen, weil bereits subjektive Zweifel die Nachteilszuweisung ausschlie­ ßen. Ebenfalls vorstellbar ist es, dass der Verzicht auf eine sorgfältige Prüfung keine nachteiligen Folgen nach sich zieht, weil selbst bestmögliche Ermittlungen keine schädliche Gewissheit bzw. keine schädlichen Zweifel hätten herbeiführen kön­ nen. 8 Es kommt also oft primär darauf an, ob der vorgesehene Rechtsnachteil erst bei rechtlicher Gewissheit oder schon bei Rechtsungewissheit zugewiesen wird. An die Frage nach dem Erkenntnisgegenstand schließt deshalb im Folgenden jeweils zunächst diejenige nach dem nachteilsbegründenden Erkenntnisgrad9 an. Auf ei­ ner dritten Ebene kann sodann gefragt werden, ob der jeweilige Erkenntnisgrad vom Betroffenen selbst erreicht worden sein muss oder ob es genügt, dass er er­ reichbar gewesen wäre. Es geht mit anderen Worten darum, ob die reale, subjektive Erkenntnis durch den Vorwurf der Erkennbarkeit ersetzt werden kann (Substitu­ tion durch Vorwerfbarkeit). Bei abstrakter Betrachtung ergeben sich demnach für Tatbestände, die die Rechtslage zum Erkenntnisgegenstand zählen, vier Kombinationsmöglichkeiten, was die Voraussetzungen einer Nachteilszuweisung angeht. Dies lässt sich wiede­ rum in einer einfachen Matrix darstellen. Übersicht 2: Voraussetzungen der Nachteilszuweisung Rechtsgewissheit

Rechtsungewissheit

subjektiv vorliegend

Typ A

Typ B

objektiv erreichbar

Typ C

Typ D

Eine nachteilszuweisende Norm vom Typ A nimmt dabei am stärksten Rücksicht auf den Irrenden. Normtyp D kommt den Belangen des Gegenübers am weitesten 7  Siehe RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 100–101. Vergleiche ferner aus der Lehre des 19.  Jahrhunderts die bei Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 914 Fn.  40, referierte Ansicht Karl Georg v. Wächters, der die Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums verneinte, wenn die betrof­ fenen Rechtssätze unter den Rechtskundigen bestritten sind. 8  Das ist letztlich eine Kausalitätsfrage, siehe übergreifend §  16 D. III. 3. 9  Zedler, Rechtsrisiko, S.  217, nutzt den Begriff „Erforderlicher Grad der Rechtsüberzeugung“.

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2. Teil: Phänomen des Rechtsirrtums als Untersuchungsgegenstand

entgegen. Erkenntnisgrad und Vorwerfbarkeit lassen sich dabei auch für die Fein­ steuerung der Be- bzw. Entlastung instrumentalisieren. So könnte beispielsweise eine Norm die Nachteilsverhängung davon abhängig machen, dass (mindestens) erhebliche Zweifel bestanden bzw. in (mindestens) grob fahrlässiger Weise nicht gewonnen wurden. Es existieren demnach zahlreiche Zwischenstufen.

3. Teil

Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche Nach den grundsätzlichen Überlegungen zum Phänomen des Rechtsirrtums und dessen Behandlung im Privatrecht können die abstrakten Erkenntnisse nun auf den ersten Untersuchungsquadranten angewandt werden. Warum das irrtümliche Un­ terlassen einer Anspruchsgeltendmachung am Anfang der Untersuchung steht, wurde bereits erläutert:1 §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB knüpft den Nachteil der Ver­ jährung ausdrücklich nur an ein Erkennen der maßgeblichen „Umstände“. Es gilt zunächst zu ergründen, inwieweit damit tatsächlich eine Diskriminierung von Rechts­irrtümern verbunden ist und wie diese zu rechtfertigen ist (dazu §  7). Im Anschluss wendet sich der Blick dem Nachteil einer für den Gläubiger negativen Rechtskraft zu, der sich ergeben kann, wenn ein Anspruch im laufenden Prozess nicht weiterverfolgt wird (§  8).

1 

Siehe oben §  2 D.

§  7 Nachteil durch Verjährung Für die Betrachtung der Verjährung wird erstmals auf ein Untersuchungsschema zurückgegriffen, das auch für die Betrachtung weiterer rechtsirrtumsbedingter Nachteile Verwendung finden wird. Zunächst wird der gesetzlich vermittelte Nachteil näher beschrieben (A.). Sodann wird untersucht, welche Ansatzpunkte das geltende Recht und dessen Handhabung in Judikatur und Literatur bieten, um den Irrenden vor dem Nachteil zu bewahren (B.). Daran schließt sich die kritische Analyse der bisherigen Diskussion an (C.). Die Betrachtung wird dabei, wie oben dargelegt, in die verschiedenen Elemente der Nachteilszuweisung getrennt: Er­ kenntnisgegenstand, Erkenntnisgrad und „Erkenntnisersatz“ bei vorwerfbarem Fehlen der Erkenntnis.1

A. Nachteilszuweisung Die Diskussion um die Auswirkungen von Rechtsirrtümern auf den Lauf von Ver­ jährungsfristen erschließt sich erst dann in Gänze, wenn man die heutigen Verjäh­ rungsregeln mit den Vorgängernormen vergleicht. Das geltende Recht ordnet eine Regelverjährung von drei Jahren an (§  195 BGB), deren Lauf – nach Anspruchsent­ stehung  – am Ende des Jahres beginnt, in welchem „der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis er­ langt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“ (§  199 Abs.  1 BGB). Absätze 2 bis 4 der Norm enthalten absolute, kenntnisunabhängige Verjährungshöchstfris­ ten zwischen zehn und 30 Jahren. In Sondergesetzen wird der im Grundsatz auf Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis abstellende Regelungsansatz zum Teil eben­ falls verfolgt (exemplarisch §  11 Abs.  2 UWG).2 Daneben existieren aber bereits im BGB selbst zahlreiche Sondervorschriften, die vom Grundmodell des §  199 Abs.  1 BGB abweichen und den Verjährungsbeginn aus besonderen Gründen kenntnisun­ abhängig bestimmen.3 So soll etwa bei §  548 BGB am Ende eines Mietverhältnisses rasch Rechtsklarheit herrschen und das Mietverhältnis vor unnötigen Belastungen

1 

Dazu soeben §  6. Überblick bei Otto, VersR 2009, 760, 760 Fn.  3; Wardenbach, BB 2015, 2, 3. 3  Überblick bei Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  61; siehe auch die Auffangnorm des §  200 BGB, die allerdings einen geringen Anwendungsbereich hat (Grothe, a. a. O., Rn.  58). 2 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

geschützt werden.4 §  438 Abs.  2 BGB soll sicherstellen, dass der Gewährleistungs­ zeitraum bei verborgenen Mängeln nicht unangemessen lang ausfällt.5 Das vor der Schuldrechtsmodernisierung bis zum 31.12.2001 geltende Recht war grundlegend anders konzipiert. 6 §  198 BGB a. F. knüpfte den Beginn der dreißig­ jährigen Regelverjährungsfrist (§  195 BGB a. F.) ebenso wie §  201 BGB a. F. für die kürzere Verjährung nach §§  196, 197 BGB a. F. an rein objektive Umstände. Die kenntnisabhängige Verjährung war demnach die Ausnahme.7 Einen bedeutenden Anwendungsbereich hatte sie im Deliktsrecht, wo die dreijährige Verjährungsfrist erst ab Kenntnis „von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen“ zu laufen begann (§  852 Abs.  1 BGB a. F.). Gerade auf dem Vorbild dieser Vorschrift basiert das heutige Konzept der Regelverjährung nach §§  195, 199 Abs.  1 BGB. 8 Fahr­lässige Unkenntnis spielte allerdings nach dem Wortlaut von §  852 BGB a. F. noch keine Rolle.9 Ein Einfluss des Rechtsirrtums auf den Verjährungsfristbeginn kam bis zur Schuldrechtsreform folglich, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen in Betracht. Im Übrigen ließ sich der Irrtum allenfalls über Hemmungstatbestände (insbeson­ dere §  203 Abs.  2 BGB a. F.; nunmehr §  206 BGB) berücksichtigen. Die europäischen Modellregeln verfolgen ähnliche Konzepte wie das aktuelle deutsche Recht (siehe Art.  14:203 Abs.  1, 14:301, 14:307 PECL sowie Art.  III.-7:203 Abs.  1, III.-7:301, III.-7:307 DCFR).10 Die Gesetzesmaterialien zur Schuldrechts­ reform betonen gar die Anknüpfung an das Modell der PECL.11 Allerdings wird dort die fehlende Tatsachenkenntnis rechtstechnisch als Hemmungsgrund ausge­ staltet.12 Art.  10.2 der UNIDROIT Grundregeln der Internationalen Handelsver­ träge (PICC) enthält in Abs.  2 ebenfalls die zehnjährige Maximalfrist, macht aber in Abs.  1, wie das deutsche Recht, den Verjährungsbeginn von Kenntnis oder Ken­ nenmüssen der Tatsachen, aufgrund derer das Recht ausgeübt werden kann, abhän­ gig. Für eine vergleichbare Lösung entschied sich auch der Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht in Art.  180 Abs.  1 GEKR.13 4  BGH, Urt. v. 18.9.1986 – III ZR 227/84, NJW 1987, 187, 188 (zu §  558 BGB a. F.) m. w. N.; BGH, Urt. v. 28.5.2008 – VIII ZR 133/07, NJW 2008, 2256, 2257 Rn.  16; Streyl, in: Schmidt-­ Futterer, §  548 BGB Rn.  2. 5  Abeling, Kenntnis, S.  34; Saenger, in: Hk-BGB, §  438 Rn.  1. 6 Überblick über die Entwicklung z. B. bei Abeling, Kenntnis, S.   28–33; Schrader, Wissen, S.  118–146. 7  Zu Subjektivierungstendenzen der damaligen Rechtsprechung siehe Bär, Verjährung, S.  6 4– 76 m. w. N. 8  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 102, 104–105. 9  Die Rechtsprechung hatte aber der Kenntnis Fälle gleichgestellt, in denen der Gläubiger in missbräuchlicher Weise die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschlossen hatte, siehe etwa BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 336/93, NJW 1994, 3092, 3093 m. w. N.; BGH, Urt. v. 9.7.­ 1996  – VI ZR 5/95, BGHZ 133, 192 = NJW 1996, 2933, 2934; siehe ferner Begr. Schuld­R ModG-E, BT-Drs. 14/6040, 108. 10  Dazu etwa Abeling, Kenntnis, S.  150–154. 11  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 103. 12  Art.  14:301 lit.  b PECL („facts giving rise to the claim“), Art.  III.-7:301 lit.  b DCFR („facts giving rise to the right“). 13  Dieser lautet: „Die kurze Verjährungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubi­

§  7 Nachteil durch Verjährung

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B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Verkennt der Gläubiger in rechtlicher Hinsicht seine Anspruchsberechtigung, könnte entweder schon der Verjährungsbeginn gehindert (dazu II. und – für eine besondere Konstellation – III.) oder der Verjährungslauf zumindest gehemmt wer­ den (dazu IV.). Von solchen Mechanismen der Nachteilskompensation sind zuvor Lösungsansätze abzugrenzen, die schon den Anspruch an sich betreffen und auf diesem Wege einen Rechtsirrtum von vornherein verhindern (dazu I.).

I. Abgrenzung zur Anspruchsentstehung als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn, §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB §  199 Abs.  1 BGB setzt für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist zum ei­ nen die Anspruchsentstehung (Nr.  1), zum anderen die Kenntnis bzw. grob fahr­ lässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände sowie der Person des Schuldners (Nr.  2) voraus. Schon die erstgenannte Voraussetzung schützt mitunter den von einer Entwicklung der Rechtslage bzw. der Rechtsprechung „überrasch­ ten“ Gläubiger. Das lässt sich anhand von Bauverträgen demonstrieren, bei deren Abschluss und Durchführung Bauunternehmer wie Bauträger übereinstimmend und im Einklang mit der Praxis der Finanzverwaltung von der Umsatzsteuer­ schuldnerschaft des Bauträgers ausgegangen waren. Der BFH beanstandete diese Praxis.14 Bauunternehmern, für die infolgedessen die Gefahr bestand, als Steuer­ schuldner herangezogen zu werden, räumte der BGH auf Grundlage einer ergän­ zenden Vertragsauslegung einen Nachzahlungsanspruch gegen den Bauträger ein.15 Dieser Anspruch sei allerdings im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB erst dann ent­ standen, als ernsthaft mit einer Änderung der Finanzverwaltungspraxis zu rechnen war, also frühestens mit der BFH-Entscheidung.16 Durch diese Sichtweise wird der Anspruchsinhaber gleichsam automatisch vor einem Anspruchsverlust durch ein irrtumsbedingtes Unterlassen der Rechtsverfolgung geschützt. Verhindert werden jedoch nicht rechtsirrtumsbedingte Nachteile, sondern schon das Bestehen eines Rechtsirrtums selbst: Vor der Entscheidung des BFH bestand schließlich kein An­ spruch, der Gegenstand einer Erkenntnis hätte sein können. Rechtslage und Vor­ stellung stimmten folglich überein. Die Fälle liegen somit außerhalb des Untersu­ chungsbereichs dieser Arbeit. Vergleichbares gilt für eine in der Literatur von Bär vertretene Auffassung, die bei der Entwicklung neuer Ansprüche im Wege der Rechtsfortbildung eine An­ spruchsentstehung im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB erst dann annimmt, wenn ger von den das Recht begründenden Umständen Kenntnis erhielt oder hätte Kenntnis erhalten müssen.“ 14  BFH, Urt. v. 22.8.2013 – V R 37/10, BFHE 243, 20 = DStR 2013, 2560. 15  BGH, Urt. v. 17.5.2018 – VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469; BGH, Urt. v. 10.1.2019 – VII ZR 6/18, NJW 2019, 1145. 16  BGH, Urt. v. 10.1.2019 – VII ZR 6/18, NJW 2019, 1145, 1147 Rn.  29.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

ein oberster Gerichtshof des Bundes „die Elemente des Anspruchs eindeutig und rechtskräftig bestimmt“ hat.17 Ein solches Verständnis lässt sich nur auf Grund­lage einer konstitutiven Theorie des Richterrechts annehmen.18 Die Prämisse, die Rechtsordnung selbst zähle zu den anspruchsbegründenden Umständen, weil Rechtsnormen Teil der Tatsachenwelt seien,19 müsste indes, konsequent zu Ende gedacht, dazu führen, dass sich die in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB verlangte Kenntnis auch auf die Rechtslage beziehen muss. Diesen Schluss möchte aber auch Bär offen­ bar nicht ziehen.20 Diese Inkonsequenz belastet den Vorschlag von vornherein. Seiner abschließenden Bewertung bedarf es allerdings an dieser Stelle nicht. Ein Hinausschieben der Anspruchsentstehung führte, wie dargelegt, dazu, dass kein (relevanter) Rechtsirrtum vorläge. Freilich versteht Bär selbst ihren Ansatz als Er­ satz für die Lösungen, zu denen die Rechtsprechung im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB greift.21 Angesichts dessen wird spä­ ter noch vereinzelt auf die Auswirkungen dieser Sichtweise einzugehen sein.

II. Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners als Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn, §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB Eine Kompensation von Rechtsirrtümern kann möglicherweise über §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB stattfinden. Für Kenntnis in diesem Sinne soll zwar keine uneinge­ schränkte Gewissheit, 22 wohl aber die „hinreichend verlässliche Information[]“23 vonnöten sein. Bloße Vermutungen oder ein Verdacht genügen nicht.24 Bei fehlen­ der unmittelbarer Wahrnehmung soll die Verjährung gar erst beginnen, wenn be­ gründete Zweifel hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen und der Per­ son des Schuldners nicht mehr bestehen.25 Solange der Wahrheitsgehalt der be­ kannten Tatsachenangaben offen sei, sei Kenntnis dagegen nicht zu bejahen.26 Es stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer verlässlichen, weitgehend zweifelsfreien Rechtseinschätzung in vergleichbarer Weise den Fristbeginn hindern kann. Dabei lassen sich Rechtsirrtümer, die die Anspruchsberechtigung betreffen (dazu 1.), von 17 

Bär, Verjährung, S.  171. Vergleiche oben §  4 C. III. So offenbar der Ansatz von Bär, Verjährung, S.  167–170; klar an­ ders etwa Abeling, Kenntnis, S.  65–66. 19  Bär, Verjährung, S.  163–167. 20 Vergleiche Bär, Verjährung, S.  180–182. 21 Vergleiche Bär, Verjährung, S.  182–185. 22  Bär, Verjährung, S.  53; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  71; Piekenbrock, in: Beck­OGK, §  199 BGB Rn.  106. 23  Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  106. 24  Siehe nur BGH, Urt. v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 653 m. w. N.; Otto, Be­ stimmung, S.  162. 25  BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 421/00, NJW-RR 2005, 69, 70, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 24.6.1999 – IX ZR 363/97, NJW 1999, 2734, 2735 m. w. N. 26  BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 421/00, NJW-RR 2005, 69, 70; dem folgend Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  106. 18 

§  7 Nachteil durch Verjährung

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solchen unterscheiden, die – vorgelagert – die Einsicht in das Vorliegen bestimmter (normativer) Tatbestandsmerkmale der Anspruchsgrundlage hindern (dazu 2.). 1. Rechtsirrtum über das Bestehen des Anspruchs Eine rechtsirrtumsbedingte Verkennung der eigenen Anspruchsberechtigung soll nach ganz herrschender Auffassung nur unter besonderen Umständen den Verjäh­ rungslauf hindern können. a) Grundsätzliche Unbeachtlichkeit Nahezu einhellig wird aus §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gefolgert, die Norm setze im Grundsatz keine zutreffende rechtliche Bewertung durch den Gläubiger voraus.27 Nicht einmal eine zutreffende Parallelwertung in der Laiensphäre sei erforderlich.28 Aus Gründen „der Rechtssicherheit und Billigkeit“29 sei im Grundsatz lediglich zu fordern, dass der Gläubiger die Tatsachen, die für die Subsumtion unter die Tatbe­ standsmerkmale der Anspruchsgrundlage erforderlich seien, in ihren wesentlichen Grundzügen kenne (bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht kenne).30 Es soll nicht darauf ankommen, ob die irrige Einschätzung der Rechtslage auf der Unkenntnis bestimmter Normen oder auf der fehlerhaften Bewertung des Sachverhalts be­ 27  RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 21; BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12, BAGE 144, 322 = NZA 2013, 785, 786 Rn.  24; BGH, Urt. v. 19.3.1991 – VI ZR 248/90, NJW 1991, 2351, 2351; BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 3.3.2005  – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149; BGH, Urt. v. 26.10.2006 – IX ZR 147/04, BGHZ 169, 308 = WM 2007, 27, 29 Rn.  15; BGH, Urt. v. 29.1.2008 – XI ZR 160/07, BGHZ 175, 161 = NJW 2008, 1729, 1732 Rn.  26; BGH, Urt. v. 18.12.2008 – III ZR 132/08, NJW 2009, 984, 984 Rn.  13; BGH, Urt. v. 1.6.2011 – VIII ZR 91/10, NJW 2011, 2570, 2571 Rn.  23; BGH, Urt. v. 26.2.2013  – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 = NJW 2013, 1801, 1802 Rn.  27; BGH, Urt. v. 22.7.2014 – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3093 Rn.  23; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631 Rn.  26; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  15; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  9, juris; BVerwG, Urt. v. 17.9.2015 – 2 C 26/14, NVwZ 2016, 1417, 1421 Rn.  47; Abeling, Kenntnis, S.  22; Bär, Verjährung, S.  22, 50, 54; Ellen­ berger, in: Palandt, §  199 Rn.  27; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  60; Otto, Bestimmung, S.  136–137; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  62, 69; Schmidt-Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18a; anders noch Frede, Rechtsirrtum, S.  74–75 (in Überdehnung eines Ausnahmefalles). 28  Deutlich LG Trier, Urt. v. 19.9.2019 – 5 O 417/18, BB 2019, 2707, 2708; Grothe, in: MüKo-­ BGB, §  199 Rn.  29; Otto, VersR 2009, 760, 761. 29  So eine gängige Formulierung der Rechtsprechung, siehe etwa BGH, Urt. v. 15.10.1992  – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 653; BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 309/96, BGHZ 138, 247 = NJW 1998, 2051, 2052; BGH, Urt v. 14.3.2002 – III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 = NJW 2002, 1793, 1797; BGH, Urt. v. 16.9.2004 – III ZR 346/03, BGHZ 160, 216 = NJW 2005, 429, 433; BGH, Urt. v. 11.1.­ 2007  – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 = NJW 2007, 830, 833 Rn.  28; BGH, Urt. v. 26.2.2013  – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 = NJW 2013, 1801, 1802 Rn.  27; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631 Rn.  26; BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  18; BVerwG, Urt. v. 16.6.2020 – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1763 Rn.  27. 30  BGH, Urt. v. 29.6.1989 – III ZR 92/87, NJW 1990, 176, 179; BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544, 546 Rn.  32; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  28.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

ruht.31 Auch eine Abhängigkeit des Anspruchs von einer gerichtlichen Ermessens­ ausübung führe nicht zu einer Sonderbehandlung.32 Zur Begründung für die darge­ stellte Linie wird auf den Wortlaut von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB verwiesen.33 Betont wird ferner, es könne nicht Absicht des Gesetzes sein, dass Ansprüche eines rechts­ unkundigen (oder mit defizitärem Rechtsempfinden ausgestatteten 34) Gläubigers nicht der Regelverjährung unterlägen.35 Gelegentlich wird ein Hinweis auf beson­ dere Beweisschwierigkeiten betreffend die Rechtskenntnis ergänzt.36 Zudem be­ stehe die Möglichkeit, sich rechtlich beraten zu lassen.37 Nur vereinzelt werden im Schrifttum Vorbehalte artikuliert. So wird an das Ar­ gument, Rechtsrat sei verfügbar, angeknüpft: Um auf den Gedanken zu kommen, rechtliche Expertise einzuholen, benötige der Laie Anhaltspunkte für einen beste­ henden Anspruch.38 Für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB sei demnach immerhin Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich solcher Anhaltspunkte zu fordern.39 In diese Richtung weist auch das Modell Schraders, der für Kenntnis im Sinne der Vorschrift neben dem Tatsachenwissen eine „Kontextuierung“ fordert:40 Zwar sei keine zutreffende rechtliche Wertung nötig, jedoch müsse zumindest erkannt wer­ den, dass den Tatsachen potenziell rechtliche Bedeutung – nämlich mit Blick auf einen eigenen Anspruch – zukomme. Diese zur Kenntnis formulierten Maßstäbe seien entsprechend auf die Variante der groben Fahrlässigkeit zu übertragen.41 31  Bär, Verjährung, S.  55 m. w. N.; Otto, VersR 2009, 760, 761; vergleiche zu dieser Unterschei­ dung allgemein §  4 C. II. 32  LG Frankfurt a. M., Urt. v. 11.1.2019 – 2-18 O 211/18, WM 2019, 1393, 1395, bei Abhängig­ keit von Zinsanpassung, die im Ermessen des Gerichts steht. 33  Bitter, JZ 2015, 170, 174; Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2081; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3456; Herresthal, WM 2018, 401, 401; Otto, Bestimmung, S.  136, 141; Schauf, Kenntnis, S.  111–112; Schefe, Modifizierungen, S.  149–150. Allerdings sind die Materialien zur Entstehung von §  852 BGB a. F. unergiebig, was die Hintergründe der Normfassung betrifft (siehe Mot. II, 742–743; auch Prot. II, 611, wo sich immerhin der Hinweis findet, die kurze deliktische Verjährung habe sich im ALR bewährt). 34  Otto, VersR 2009, 760, 761, der unter Hinweis auf Buck, Wissen, S.  94–95, den fehlenden Nutzen eines Abstellens auf die Parallelwertung in der Laiensphäre in solchen Fällen betont. 35  RG, Urt. v. 5.12.1933 – III 130/33, RGZ 142, 348, 350; BGH, Urt. v. 17.3.1966 – III ZR 263/64, Rn.  29, juris; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 410–411; Otto, Bestimmung, S.  137, 138; siehe auch Herrler, NJW 2009, 1845, 1846. 36  So etwa Büning, Verjährung, S.  39; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 410; Schauf, Kenntnis, S.  114. 37  Deutlich BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 7.3.­ 2019  – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  18; BGH, Urt. v. 10.10.2019  – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12; OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422; Herrler, NJW 2009, 1845, 1846; Otto, Bestimmung, S.  138; Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 10; siehe auch BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8. 38  U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 468; ähnlich (betreffend Bereicherungsansprü­ che) Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  1188; Sympathien auch bei Schauf, Kenntnis, S.  117–119 (aber letztlich ablehnend, a. a. O., S.  225). 39  U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 469–470. 40  Schrader, Wissen, S.  157–158, sowie daneben S.  403–404, 428, 442. 41 Siehe Schrader, Wissen, S.  160: Dort soll es dann also darauf ankommen, ob dem Gläubiger die Kontextuierung hätte gelingen müssen.

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b) Ausnahme bei (objektiver) Unzumutbarkeit Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Rechtslage lassen sich nach vorherrschen­ dem Verständnis bei §  199 Abs.  1 BGB wie schon bei §  852 BGB a. F. nur über einen gedanklichen Umweg berücksichtigen. Hierzu wird von der Prämisse ausgegan­ gen, dass hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners besteht, sobald der Gläubiger auf Basis seines Tatsachen­ wissens eine (Feststellungs-)Klage erheben könnte, die bei verständiger Würdigung so viel Aussicht auf Erfolg bietet, dass sie zumutbar erscheint, mag auch der Prozess nicht risikolos, der Prozesserfolg nicht gewiss sein.42 Vor allem in der älteren Recht­ sprechung wurde gleichsinnig eine einigermaßen sichere Erfolgsaussicht der anzu­ strengenden Klage vorausgesetzt.43 Die Zumutbarkeit der Klageerhebung wird als „übergreifende[] Voraussetzung für den Verjährungsbeginn“44 verstanden. An ihr soll es insbesondere mangeln, solange eine unübersichtliche, verwickelte oder zwei­ felhafte Rechtslage besteht – die Formulierungen variieren45 –, welche selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag.46 42  BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12, BAGE 144, 322 = NZA 2013, 785, 786 Rn.  24; BGH, Urt. v. 6.11.1973 – VI ZR 199/71, VersR 1974, 197, 198; BGH, Urt. v. 6.2.1986 – III ZR 109/84, BGHZ 97, 97 = NJW 1986, 2309, 2312; BGH, Urt. v. 11.5.1989 – III ZR 88/87, NJW 1990, 245, 247; BGH, Urt. v. 6.5.1993 – III ZR 2/92, BGHZ 122, 317 = NJW 1993, 2303, 2305; BGH, Urt. v. 3.3.­ 2005  – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149; BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 253/07, NJWRR 2009, 544, 546 Rn.  32; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 = NJW 2013, 1801, 1802 Rn.  27; BGH, Urt. v. 22.7.2014 – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3093 Rn.  22; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716 Rn.  49; BGH, Urt. v. 17.6.­ 2016  – V ZR 134/15, NJW 2017, 248, 248 Rn.  10; BGH, Urt. v. 19.3.2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2164 Rn.  35; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  8 , juris; BVerwG, Urt. v. 16.6.­ 2020  – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1763–1764 Rn.  27; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  28; Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  118, 160; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  65; Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  22. 43  RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 18 (m. w. N.), 21; RG, Urt. v. 19.12.1941  – III 62/41, RGZ 168, 214, 219; BGH, Urt. v. 9.6.1952 – III ZR 128/51, BGHZ 6, 195, 202; später ebenso BGH, Urt. v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 653; BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042. 44  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 20.1.2009  – XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 = NJW 2009, 2046, 2050 Rn.  47; BGH, Urt. v. 22.7.2014 – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3093 Rn.  23; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35; BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1951 Rn.  38; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631 Rn.  26; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  9, juris. 45  Nachweise zur divergierenden Begriffsverwendung bei Bär, Verjährung, S.  113–114; Bitter/ Alles, NJW 2011, 2081, 2081; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 463–464. 46  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 3.3.2005  – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149; BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  7; BGH, Urt. v. 18.12.2008 – III ZR 132/08, NJW 2009, 984, 984 Rn.  14; BGH, Urt. v. 20.1.2009 – XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 = NJW 2009, 2046, 2050 Rn.  47; BGH, Urt. v. 26.9.­ 2012  – VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077, 1080 Rn.  48; BGH, Urt. v. 22.7.2014 – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3093 Rn.  23; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35; BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1951 Rn.  38; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631 Rn.  26; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  15; BGH, Urt. v. 7.3.2019  – III

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Nach überwiegender, insbesondere vom BGH vertretener Auffassung kommt es nach diesem Maßstab auf die fehlende Überschaubarkeit der Rechtslage für den Gläubiger selbst nicht an; die Verjährung soll vielmehr ab hinreichender objektiver Klärung beginnen.47 Vereinzelt wird jedoch darauf hingewiesen, dass ein Laie als Gläubiger allein dadurch keinen Anhaltspunkt erhalte, dass es sich lohnen könnte, Rechtsrat einzuholen;48 man stellt stattdessen auf den Beginn der anwaltlichen Be­ ratung des Gläubigers ab.49 aa) Kritik an der Zumutbarkeitsprüfung Die Einschränkung des Verjährungsbeginns bei Bestehen einer unklaren Rechts­ lage sieht sich erheblicher Kritik ausgesetzt. Der grundlegendste Einwand lautet: Der Sinn der Verjährung werde angetastet, wenn der Beginn der Regelverjährung hinausgezögert würde. Der Schutz des Schuldners, der gerade bei unsicherer Rechtslage wichtig sei, gehe ebenso verloren wie die Vorhersehbarkeit des Verjäh­ rungsrechts, das Rechtssicherheit vermitteln solle.50 Der BGH hat sich in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2014 – wie schon zuvor Teile des Schrift­ tums51  – gegen diese Kritik gewandt:52 Zwar müsse das Verjährungsrecht vorher­ ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  19; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  9, juris. Diese Rechtsprechung hatte sich der Sache nach im Amtshaftungsrecht entwickelt, siehe BGH, Urt. v. 9.6.1952 – III ZR 128/51, BGHZ 6, 195, 202; BGH, Urt. v. 9.6.1958 – III ZR 54/57, Verw­ Rspr 1958, 969, 971. Später kam die Verortung im Rahmen der Zumutbarkeitsfrage hinzu (indes noch ohne auf die Perspektive eines rechtskundigen Dritten abzustellen): BGH, Urt. v. 29.4.1982  – III ZR 163/80, Rn.  15, juris; BGH, Urt v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162, 3164; BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 309/96, BGHZ 138, 247 = NJW 1998, 2051, 2052; BGH, Urt v. 14.3.2002  – III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 = NJW 2002, 1793, 1797; BGH, Urt. v. 16.9.2004 – III ZR 346/03, BGHZ 160, 216 = NJW 2005, 429, 433; außerhalb der Amtshaftung ebenso BGH, Urt. v. 17.10.­ 1995  – VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118. Im Schrifttum für eine solche Zumutbarkeitsprüfung etwa Ellenberger, in: Palandt, §  199 Rn.  27; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; Herrler, NJW 2009, 1845, 1846; Sympathien dafür bereits bei Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 247–248 mit Fn.  405. 47  BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547, 548 Rn.  19; BGH, Urt. v. 23.9.­ 2008  – XI ZR 263/07, BeckRS 2008, 22079 Rn.  18; BGH, Urt. v. 15.6.2010 – XI ZR 309/09, NJWRR 2010, 1574, 1575 Rn.  17; BGH, Beschl. v. 31.1.2012 − VIII ZR 141/11, NJW 2012, 1572, 1572 Rn.  5; siehe auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2010 – I-6 U 49/09, Rn.  86, juris (zu §  46 BörsG a. F.); ebenso Bartlitz, ZBB 2014, 233, 240; Herrler, NJW 2009, 1845, 1847; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  135. Zum genauen „Klärungszeitpunkt“ siehe später §  15 C. II. 2. e). 48  Am deutlichsten OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422. 49  So OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 22.5.2007 – 9 U 51/06, WM 2007, 1969, 1971 (allerdings unter zweifelhafter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041); unkritische Zustimmung bei Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29. 50  Herresthal, WM 2018, 401, 405; Jacoby, ZMR 2010, 335, 339; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1061, 1062; Wardenbach, BB 2015, 2, 8; siehe auch Edelmann, BB 2019, 1554, 1554–1555; John, EWiR 2019, 481, 482. 51  Herrler, NJW 2009, 1845, 1846; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 460; ähnlich Otto, VersR 2009, 760, 762; siehe auch Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1355. 52  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  52 m. w. N.; dem folgend BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  10, juris.

§  7 Nachteil durch Verjährung

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sehbar sein und Rechtssicherheit gewährleisten, zugleich aber die Interessen des Gläubigers beachten; diesem sei – nicht zuletzt in Anbetracht des Schutzes seines Anspruchs durch Art.  14 GG53 – eine „faire Chance“54 zu gewähren, seinen An­ spruch geltend zu machen. Weitere Kritik entzündet sich an den als paradox55 bzw. absurd56 empfundenen Auswirkungen der Unzumutbarkeitsrechtsprechung: Könnten Gläubiger wegen der verworrenen Rechtslage zuwarten, ohne den Eintritt der Verjährung fürchten zu müssen, bestünde wenig Aussicht darauf, dass die verworrene Rechtslage über­ haupt geklärt werde.57 Ausgerechnet diejenigen Gläubiger, die schon früh versuch­ ten, ihren Anspruch trotz ungünstig erscheinender Rechtslage gerichtlich durch­ zusetzen und damit rechtskräftig scheiterten, stünden schlechter als Gläubiger, die zunächst abwarteten und sich später eine Änderung der höchstrichterlichen Recht­ sprechung zunutze machten, um ihren (infolge vorheriger Unzumutbarkeit unver­ jährten) Anspruch nunmehr durchzusetzen.58 Auch für den Schuldner ergebe sich eine paradoxe Folge:59 Im Prozess müsse dieser zunächst gegen die Übertragbar­ keit einer gläubigerfreundlichen Rechtsprechung auf seinen Fall argumentieren. Für den Fall, dass ihm das Gericht in der Sache nicht folge, müsse er aber mit Blick auf die verjährungsrechtliche Zumutbarkeitsprüfung den widersprüchlichen Stand­ punkt einnehmen, die Übertragung der Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall habe auf der Hand gelegen. Zusätzlich werden systematische Friktionen moniert. Nach der Zumutbarkeits­ rechtsprechung des BGH gereiche es dem Gläubiger zum Vorteil, wenn innerhalb von zehn Jahren (§  199 Abs.  4 BGB) die vormals anspruchsfeindliche Rechtspre­ chung aufgegeben werde; eine Gesetzesänderung habe diesen Effekt mangels Rück­ wirkung nicht, was einen unerklärlichen Wertungswiderspruch darstelle.60 Auch erscheine die Großzügigkeit, die dem bei der Rechtsbewertung unsicheren Gläubi­ ger zuteilwerde, schwer vereinbar mit der strengen Linie, mit der der Rechtsirrtum 53  Dazu auch Bär, Verjährung, S.  33–34; Ellenberger, in: Palandt, vor §  194 Rn.  7; Mansel, in: Zivilrechtswissenschaft, S.  333, 349; m.N. zur Rechtsprechung des BVerfG Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 9 (dem allerdings kritisch gegenüberstehend, a. a. O., 10). 54 Zu diesem Gedanken Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 95; Abeling, Kenntnis, S.  40, 47; Nassall, NJW 2014, 3681, 3684; Otto, VersR 2009, 760, 760; zum Synonym der „reellen Chance“ unten C. I. 3. c) aa) mit Fn.  360. 55  Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  131; Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1355; Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 8. 56  Bitter, JZ 2015, 170, 174; Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2084. 57  Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2084; Jacoby, ZMR 2010, 335, 339; ähnlich AG Berlin-Mitte, Urt. v. 17.5.2019 – 104 C 37/19, Rn.  21, juris; AG Köln, Urt. v. 22.6.2015 – 142 C 641/14, ZIP 2015, 2113, 2116; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c; Schefe, Modifizierungen, S.  103; Schmal/ Trapp, NJW 2015, 6, 8. 58  So v. a. Bartlitz, ZBB 2014, 233, 242; Bitter, JZ 2015, 170, 174; Herresthal, WM 2018, 401, 408; Schefe, Modifizierungen, S.  115; Wardenbach, BB 2015, 2, 9; in diese Richtung schon (zu §  203 Abs.  2 BGB a. F.) J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  273–274. 59  Herresthal, WM 2018, 401, 408. 60  Wardenbach, BB 2015, 2, 9.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

des Schädigers in der Verschuldenshaftung gehandhabt werde. 61 Außerdem sehe §  206 BGB62 selbst bei Bestehen besonders gravierender Hindernisse (höhere Ge­ walt) lediglich eine Hemmung für die letzten sechs Monate der Frist vor; im weni­ ger schwerwiegenden Fall der verworrenen bzw. anspruchsfeindlich erscheinenden Rechtslage sei es nicht gerechtfertigt, zum wesentlich schärferen Mittel – die Ver­ jährungsfrist beginnt gar nicht erst – zu greifen. 63 Dieses Argument lässt sich kombinieren mit dem Hinweis, der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform sei gerade von der Prämisse ausgegangen, dass selbst die Existenz anspruchsfeindlicher stän­ diger Rechtsprechung keine höhere Gewalt im Sinne des §  206 BGB darstelle; diese Wertung dürfe nicht durch die Zumutbarkeitsprüfung konterkariert werden. 64 Der BGH hat in seinem Grundsatzurteil von 2014 diese Einwände zurückgewie­ sen. §  206 BGB betreffe andere Fragen als §  199 Abs.  1 BGB und verhalte sich nicht zur Frage des Verjährungsbeginns. 65 Die Kritik sieht hierin jedoch den Fall einer „mustergültigen petitio principii“. 66 Abgesehen davon seien die laut BGH ver­ schiedenen Aspekte der Hemmung und des Fristbeginns nicht allgemein, sondern gerade mit Blick auf den Fall anspruchsfeindlich erscheinender Rechtsprechung zu vergleichen; diesbezüglich ergebe sich jedoch lediglich eine quantitative, keine qua­ litative Differenz. 67 Neben den geschilderten teleologischen und systematischen Kritikpunkten wird in der Literatur verbreitet bemängelt, der BGH habe den Anwendungsbereich der Unzumutbarkeit in unangemessener Weise auf zuvor nicht erfasste Fallgruppen aus­ gedehnt. 68 Ursprünglich sei bloß eine Unsicherheit über den richtigen Anspruchs­ gegner berücksichtigt worden. 69 Dies sei durch Besonderheiten gerechtfertigt ge­ wesen: Dem Gläubiger solle nicht die Last auferlegt werden, zwei Klagen erheben zu müssen; ferner stelle §  199 Abs.  1 BGB ähnlich wie §  852 BGB a. F. die Kenntnis der Person des Schuldners gerade als zusätzliches Merkmal neben die Kenntnis der an­ spruchsbegründenden Umstände.70 Der BGH tritt dieser Sichtweise – in Überein­

61 So

Harnos, WM 2015, 1658, 1660; Schefe, Modifizierungen, S.  105–106. Dazu unten IV. 63  Bitter, JZ 2015, 170, 176; Herresthal, WM 2018, 401, 405; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c; Schefe, Modifizierungen, S.  93–94; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1060–1061. 64  So – jeweils unter Verweis auf Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 119 – AG Köln, Urt. v. 22.6.2015 – 142 C 641/14, ZIP 2015, 2113, 2115; Schefe, Modifizierungen, S.  94–95; Wardenbach, BB 2015, 2, 6 und 8. 65  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716–3717 Rn.  50–51. 66  Bitter, JZ 2015, 170, 176. 67  Wardenbach, BB 2015, 2, 8; im Ergebnis ähnlich Herresthal, WM 2018, 401, 405. 68  So v. a. Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2082–2083; im Anschluss daran auch Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3547; Herresthal, WM 2018, 401, 402; Schefe, Modifizierungen, S.  86–93; Schmal/­ Trapp, NJW 2015, 6, 10. 69  Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2083; Herresthal, WM 2018, 401, 402. 70  Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2083; Herresthal, WM 2018, 401, 402; zum zweiten Argument ähnlich Wardenbach, BB 2015, 2, 6–7. 62 

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stimmung mit Teilen der Literatur 71 – entgegen: Es entspreche gefestigter (und sach­ gerechter) Rechtsprechung, die Zumutbarkeit stets zu prüfen.72 bb) Anwendungsfeld und Kriterien der Zumutbarkeitsprüfung Folgt man der Auffassung, welche die Zumutbarkeit zum ungeschriebenen Tatbe­ standsmerkmal des §  199 Abs.  1 BGB erhebt, stellt sich die Frage nach dem anzu­ legenden Maßstab. Der BGH hat hierzu festgehalten, die Rechtslage sei nicht schon dann im relevanten Sinne verworren, wenn zu einer Frage noch keine höchstrich­ terliche Entscheidung existiere.73 Zumindest müsse die den Anspruch stützende Auffassung in der übrigen Rechtsprechung und im Schrifttum ernsthaft bestritten sein.74 Zahlreiche Entscheidungen und Literaturstimmen lassen jedoch eine kon­ troverse Diskussion für sich genommen nicht ausreichen.75 Teilweise werden für eine Unzumutbarkeit weitere Faktoren verlangt, die Zweifel an der eigenen Berech­ tigung begründen, wie etwa ein klar entgegenstehender Normwortlaut, den die Rechtsprechung erst überwinden müsste.76 Diese Sicht geht über in die allgemeine Mahnung, die Unzumutbarkeitsausnahme angesichts der drohenden Beeinträchti­ gung der Rechtssicherheit eng zu verstehen.77 Ansonsten drohten auch Manipula­ tionsmöglichkeiten für den Gläubiger.78 71  Bartlitz, ZBB 2014, 233, 237; Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1355 Fn.  39; Schmidt-­ Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18b; siehe auch Chab, AnwBl 2015, 436, 437. 72  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  5 4; BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631 Rn.  29. 73  BGH, Urt. v. 14.7.2010 – IV ZR 208/09, NJW 2011, 73, 75 Rn.  20; BGH, Urt. v. 7.12.2010  – XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278, 1279 Rn.  21; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  17; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  13, juris; so auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.1.2014 – VI-U (Kart) 7/13, BeckRS 2014, 17537; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019  – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  22; ähnlich bereits BAG, Urt. v. 24.10.2001 – 5 AZR 32/00, NJW 2002, 1066, 1068; siehe zudem BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  20; BVerwG, Urt. v. 6.4.2017 – 2 C 20/15, NVwZ-RR 2017, 700, 701 Rn.  13; Bartlitz, ZBB 2014, 233, 238; Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2081; Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  161. 74  BGH, Urt. v. 7.12.2010 – XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278, 1279 Rn.  21; BGH, Urt. v. 17.12.­ 2020  – VI ZR 739/20, Rn.  13, juris; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019 – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  22; Bartlitz, ZBB 2014, 233, 238; Schmidt-Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18b. 75  In diese Richtung BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 513 Rn.  17 (Be­ stehen eines „noch nicht geklärte[n] Meinungsstreit[s]“ führe nicht zu Unzumutbarkeit); BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  17; zustimmend dazu OLG Dresden, Beschl. v. 21.8.2018 – 4 U 888/18, NJW-RR 2018, 1435, 1435; siehe ferner BGH, Urt. v. 17.12.2020  – VI ZR 739/20, Rn.  14, juris; OLG Hamm, Urt. v. 19.4.2010 – 31 U 79/09, BeckRS 2010, 14402 (unter III.); OLG Koblenz, Urt. v. 24.2.2011 – 3 U 687/11, WM 2012, 987, 990; LG Bonn, Urt. v. 14.5.2008 – 5 S 58/08, MDR 2008, 1383, 1384; Becher/Krepold, BKR 2014, 45, 57; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 412; Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  161; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  134. 76 So Herrler, NJW 2009, 1845, 1846. 77  BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 632–633 Rn.  38; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  10, juris; Herrler, NJW 2009, 1845, 1846. 78 So Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Nach Auffassung des BGH soll Unzumutbarkeit erst recht vorliegen, wenn nicht bloß Unsicherheit herrscht, sondern die höchstrichterliche Judikatur einer Gel­ tendmachung des Anspruchs eindeutig entgegensteht.79 Dieser Erst-recht-Schluss wird vielfach kritisiert: Der Fall der Rechtsprechungsänderung unterscheide sich nicht bloß quantitativ, sondern schon qualitativ, da dort die Rechtslage gerade nicht zweifelhaft oder unsicher gewesen sei. 80 Hinzu gesellt sich der Hinweis, der BGH vernachlässige bei seinem argumentum a fortiori die Schuldnerperspektive. 81 Der Ansatz des BGH wurde wesentlich vom XI. Zivilsenat im Zusammenhang mit der Rückforderung von AGB-rechtswidrig vereinbarten Bearbeitungsentgelten durch Darlehensnehmer entwickelt und präzisiert. Nachdem der Senat im Mai 2014 die frühere BGH-Rechtsprechung dahingehend korrigiert hatte, die betroffenen AGB-Klauseln seien Verbrauchern gegenüber unwirksam,82 urteilte er im Okto­ ber desselben Jahres, die Klageerhebung sei den Verbrauchern gleichwohl schon ab 2011 zuzumuten gewesen. Die der früheren BGH-Judikatur widersprechende OLG-Rechtsprechung sei ab diesem Jahr derart gefestigt gewesen, dass eine Rück­ forderungsklage hinreichend sichere Erfolgsaussichten gehabt habe. 83 Hingegen habe nicht schon die vor 2011 erfolgte Veröffentlichung einiger Zeitschriftenaufsät­ ze, die die AGB-Konformität angezweifelt hatten, eine Klage zumutbar gemacht.84 Dass sich darunter gar ein Beitrag des damaligen Vorsitzenden des Senats befunden habe, sei unbeachtlich: Es habe sich bloß um dessen persönliche Auffassung gehan­ delt, die vor einer entsprechenden Rezeption durch die Obergerichte eine Klage nicht habe zumutbar erscheinen lassen. 85 In der Zeit nach den dargestellten Ent­ scheidungen aus dem Jahr 2014 war indes weiterhin offen, ob die betroffenen AGB-Klauseln auch im unternehmerischen Verkehr als unwirksam anzusehen wa­ ren. Nachdem die instanzgerichtliche Rechtsprechung dies auch nach 2014 noch zu

79  BGH, Urt. v. 16.9.2004 – III ZR 346/03, BGHZ 160, 216 = NJW 2005, 429, 433; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35; BGH, Urt. v. 21.2.­ 2018  – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  18; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  18; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  12, juris; ebenso OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019 – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  22; OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.­2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422; so auch Abeling, Kenntnis, S.  76–79; Ellenberger, in: Palandt, §  199 Rn.  27; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 411–412; Mansel, in: Jauernig, §  199 Rn.  5. 80  So v. a. Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2084; ganz ähnlich Wardenbach, BB 2015, 2, 7; der Sa­ che nach ebenso Edelmann, BB 2019, 1554, 1554. 81  AG Köln, Urt. v. 22.6.2015 – 142 C 641/14, ZIP 2015, 2113, 2115; Bitter, JZ 2015, 170, 175; Harnos, WM 2015, 1658, 1659; Schefe, Modifizierungen, S.  109–110; Wardenbach, BB 2015, 2, 7–8: ähnlich Stoffels, NZA 2011, 1057, 1061. 82  BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 = NJW 2014, 2420. 83  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716, 3717–3718 Rn.  4 4, 59. 84  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718 Rn.  6 4–65. 85  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718–3719 Rn.  66; anders Bartlitz, ZBB 2014, 233, 238–240; Becher/Krepold, BKR 2014, 45, 57; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 412; Harnos, WM 2015, 1658, 1660; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  155.4; in diese Richtung auch Radke, jM 2015, 64, 67.

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einem erheblichen Teil verneint hatte, 86 stellte der XI. Zivilsenat im Juli 2017 die Unwirksamkeit auch gegenüber Unternehmern fest. 87 Im gleichen Urteil befand das Gericht jedoch, die Rückforderung der Bearbeitungsgebühren sei den unter­ nehmerischen Kunden bereits ab 2011 – also ab Existenz der gefestigten OLG-Recht­ sprechung zu Verbraucherdarlehen – zumutbar gewesen. 88 Seit damals habe „in Zweifel“ gestanden, ob derartige Klauseln im unternehmerischen Verkehr die Hür­ de des §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB nehmen würden; eine Klage sei damit zwar nicht ­risikolos, aber mit hinreichenden Erfolgsaussichten möglich gewesen.89 Im Schrift­ tum wird dieses Ergebnis teils kritisiert: Wolle man den Gerichten, die auch nach 2014 noch von einer Wirksamkeit gegenüber Unternehmern ausgingen, nicht die Eigenschaft als „rechtskundige Dritte“ absprechen, so müsse man konstatieren, dass eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage bestanden habe.90 Das Urteil des BGH habe wohl die nachteiligen Folgen für die Banken durch die großzügige An­ nahme von Verjährung abmildern wollen.91 Der XI. Zivilsenat hat sich in seiner Linie aber nicht beirren lassen. Nachdem er seine Rechtsprechung zu unwirksamen Entgeltklauseln auch auf Bauspardarlehen ausgedehnt hatte,92 ging er wiederum von einer Zumutbarkeit entsprechender Rückforderungsklagen schon ab dem Jahr 2011 aus.93 Zwischenzeitlich war bereits der XII. Zivilsenat des BGH nach einem System­ wechsel zur Rückforderung schwiegerelterlicher Zuwendungen94 davon ausgegan­ gen, eine Klage sei schon vor der einschlägigen Grundsatzentscheidung zumutbar gewesen.95 In enger Orientierung an dieser Sichtweise ist der VI. Zivilsenat im Zu­ sammenhang mit dem „Dieselskandal“ zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt.96 Der IV. Zivilsenat hat darüber hinaus geäußert, eine nahezu einhellige anspruchs­ feindliche Judikatur der Obergerichte, deren Ergebnis später vom EuGH verwor­ fen werde, führe, anders als entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung, nicht zu Unzumutbarkeit.97 Allerdings waren die zugrunde liegenden Sachverhalte besonders gelagert: Betroffen waren Ansprüche nach Ausübung versicherungsver­ tragsrechtlicher Lösungsrechte, deren Bestehen zweifelhaft gewesen war. Wenn der 86 

Nachweise bei BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2994 Rn.  100. BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2987–2993 Rn.  15–83. 88  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99. 89  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99–100. 90  Lammeyer/Singbartl, BKR 2017, 462, 463. 91  Lammeyer/Singbartl, BKR 2017, 462, 463. 92  BGH, Urt. v. 8.11.2016 – XI ZR 552/15, BGHZ 212, 363 = NJW 2017, 1461. 93  BGH, Urt. v. 19.3.2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2163–2164 Rn.  34–35. 94  BGH, Urt. v. 3.2.2010 – XII ZR 189/06, BGHZ 184, 190 = NJW 2010, 2202. 95  BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631–633 Rn.  30–40; zu den zugrunde liegenden Rechtsfragen sowie mit Kritik am Maßstab der Entschei­ dung: Piekenbrock, LMK 2016, 376136. 96  BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, juris. 97  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  18; BGH, Urt. v. 21.2.2018  – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  18; zweifelnd indes Schmidt-Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18a. 87 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Gläubiger, wie geschehen, ungeachtet dieser Ungewissheit den Rücktritt bzw. Wi­ derruf erkläre – erst dadurch werde der Verjährungslauf in Gang gesetzt –, sei ihm auch eine entsprechende Rückforderungsklage zumutbar.98 Der I. Zivilsenat hat eine weitere Facette ergänzt: Selbst wenn der BGH in einer Entscheidung aus­ drücklich offenlasse, ob er an seiner bisherigen anspruchsfeindlichen Rechtspre­ chung festhalte, beginne die Verjährung erst mit der tatsächlichen Aufgabe der Rechtsprechung.99 2. Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners Es stellt sich die Frage, ob im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch solche Rechtsirrtümer grundsätzlich unbeachtlich sind, die nicht erst die Erkenntnis der Anspruchsberechtigung, sondern schon die Kenntnis einzelner Tatbestandsmerk­ male bzw. der Person des Schuldners hindern. a) Anspruchsbegründende Umstände Mit Blick auf die von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB vorausgesetzte Kenntnis (bzw. das Kennenmüssen) der anspruchsbegründenden Umstände wird zum Teil die Annah­ me vertreten, zu den „Umständen“ im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB könnten auch rechtliche Aspekte zählen.100 Es geht mit anderen Worten um die Erkenntnis bestimmter normativ geprägter Voraussetzungen des Anspruchs.101 Beim Blick auf typische Anwendungsfälle ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Hinsichtlich eines Bereicherungsanspruchs soll es nach mehrfach geäußerter Ansicht des BGH nicht nötig sein, dass der Gläubiger rechtlich zutreffend erkennt (bzw. hätte erkennen müssen), dass es an einem Rechtsgrund mangelt.102 Insbeson­ dere sei unerheblich, ob der Bereicherungsgläubiger aus den bekannten Tatsachen auf die Unwirksamkeit der betroffenen vertraglichen Abrede schließe.103 Der VII. Zivilsenat des BGH ist allerdings davon ausgegangen, die Verjährung eines Rück­ 98  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 513–514 Rn.  17, 21; BGH, Urt. v. 21.2.­2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470–1471 Rn.  17, 21; OLG Dresden, Beschl. v. 3.8.­ 2018  – 4 U 383/18, NJOZ 2019, 602 Rn.  4. 99  BGH, Urt. v. 16.6.2016 – I ZR 222/14, GRUR 2016, 1291, 1295 Rn.  4 4 – Geburtstagskarawane. 100  Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  1a. 101 Die Sonderbehandlung normativer Tatbestandsmerkmale deutlich ablehnend aber LG Frank­f urt a. M., Urt. v. 11.1.2019 – 2-18 O 211/18, WM 2019, 1393, 1395. 102  Vergleiche BGH, Urt. v. 20.1.2009 – XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 = NJW 2009, 2046, 2050 Rn.  47; BGH, Urt. v. 15.6.2010 – XI ZR 309/09, NJW-RR 2010, 1574, 1575 Rn.  12; BGH, Urt. v. 28.10.­2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35; siehe ferner LG Nürn­ berg-Fürth, Urt. v. 27.1.2014 – 6 S 3714/13, BeckRS 2014, 2544; SG Mainz, Urt. v. 11.1.2016 – S 3 KR 349/15, Rn.  87, juris; SG Speyer, Urt. v. 16.2.2018 – S 13 KR 286/16, MedR 2018, 832, 839; ­Jacoby, ZMR 2010, 335, 337. 103  So BGH, Urt. v. 29.1.2008 – XI ZR 160/07, BGHZ 175, 161 = NJW 2008, 1729, 1732 Rn.  26; BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8; BGH, Urt. v. 1.6.­ 2011  – VIII ZR 91/10, NJW 2011, 2570, 2571 Rn.  24; OLG Hamm, Urt. v. 26.5.2014 – 18 U 29/13, NJW-RR 2014, 1393, 1396; OLG Köln, Urt. v. 11.9.2009 – 19 U 64/09, BeckRS 2009, 88067; LG

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forderungsanspruchs wegen überzahlten Architektenhonorars laufe nicht an, so­ lange der Gläubiger keine Hinweise darauf habe, dass das gezahlte Honorar über dem nach HOAI zulässigen lag.104 Das Urteil wird vereinzelt als Anzeichen für eine Trendwende gedeutet.105 Das Schrifttum wagt sich allerdings nur in über­ schaubaren Teilen in die offene Opposition zur herrschenden Rechtsprechung: Für den Verjährungsbeginn sei zwar nicht das Wissen um den eigenen Bereicherungs­ anspruch, aber zumindest die rechtliche (Parallel-)Wertung zu verlangen, dass der Rechtsgrund fehle.106 Bei Schadensersatzansprüchen wird mitunter derjenige Rechtsirrtum für kennt­ nishindernd gehalten, der den Gläubiger übersehen lässt, dass er überhaupt einen Schaden  – insbesondere in Form einer Verpflichtung gegenüber einem Dritten  – erlitten hat.107 Nach Ansicht des Reichsgerichts sperrt allerdings „das Nichtkennen der Rechtssätze, die zur Begründung […] eines Schadens dienen“, den Verjährungs­ beginn grundsätzlich nicht.108 Der VI. Zivilsenat des BGH hat für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen infolge des „Dieselskandals“ die Kenntnis des Kfz-Käufers von der Gefahr einer Betriebsuntersagung für verzichtbar gehalten, „weil es sich insoweit nicht um einen tatsächlichen Umstand im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung handelt“.109 Nach dem in der Rechtsprechung vorherrschenden Verständnis soll es ferner nicht darauf ankommen, ob der Gläubiger die vom Anspruchstatbestand vorausgesetzte Rechts­ widrigkeit des Verhaltens bzw. das Verschulden des Schuldners rechtlich korrekt erkennt.110 So werden zum Beispiel bei Ansprüchen wegen Aufklärungspflichtver­ letzungen zum erforderlichen Erkenntnisgegenstand zwar die pflichtbegründen­ den wirtschaftlichen Zusammenhänge111 und Gepflogenheiten112 gezählt, nicht aber das Bestehen der Aufklärungspflicht selbst.113 Die Verjährung eines Ersatz­ Frankfurt a. M., Urt. v. 11.1.2019 – 2-18 O 211/18, WM 2019, 1393, 1395; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 410; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  6 4. 104  BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569, 3570 Rn.  14–16. 105  So v. a. Nassall, NJW 2014, 3681, 3683–3684; siehe auch Schefe, Modifizierungen, S.  132 mit Fn.  576. 106  Klose, JR 2013, 185, 191; Lederer, AG 2019, R132, 133; kritisch zur Linie des BGH ferner Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  1188; zumindest ansatzweise in diese Richtung auch Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  130; Schefe, Modifizierungen, S.  89 Fn.  403. 107 So Otto, VersR 2009, 760, 761; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  262, der diesen Fall indes (ohne Erläuterung) für „kaum vorstellbar“ hält. 108  RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 20 (sofern nicht eine besonders verwickelte Rechtslage bestehe). 109  BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  21, juris. 110  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 26.2.2013  – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 = NJW 2013, 1801, 1802 Rn.  27; OLG München, Beschl. v. 27.10.2016  – 17 U 2881/16, WM 2017, 1107, 1107; siehe auch bereits BGH, Urt. v. 20.10.1959 – VI ZR 166/58, NJW 1960, 380, 381. 111  BGH, Urt. v. 28.5.2002 – XI ZR 150/01, NJW 2002, 2777, 2778; BGH, Urt. v. 3.6.2008  – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576, 2578 Rn.  27; BGH, Urt. v. 11.9.2014 – III ZR 217/13, WM 2015, 445, 447 Rn.  15; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29. 112  BGH, Urt. v. 10.4.1990 – VI ZR 288/89, NJW 1990, 2808, 2809. 113  BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 = NJW 2013, 1801, 1802 Rn.  28;

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

anspruchs, der aus einem für Laien wegen fehlender Rechtskenntnisse nicht er­ kennbaren Verstoß gegen Bilanzvorschriften folgt, soll nur dann hinausgeschoben sein, wenn die Ermittlung der Rechtslage auch einem Rechtskundigen Probleme bereitet.114 Vereinzelt wird die skizzierte Rechtsprechung indes dahingehend inter­ pretiert, es sei (lediglich) kein exakter rechtlicher Schluss erforderlich, jedoch eine Parallelwertung in der Laiensphäre.115 In Richtung einer Erforderlichkeit recht­ licher Erkenntnisse deuten auch einige andere Äußerungen.116 Die einschlägige Rechtsprechung (vor allem die zu §  852 BGB a. F.) betrifft zum Großteil die vom Untersuchungsgegenstand ausgenommene Amtshaftung nach §  839 BGB. Für die erforderliche Kenntnis, dass das Verhalten des Amtsträgers wi­ derrechtlich und schuldhaft war und infolgedessen eine zu Schadensersatz ver­ pflichtende Amtspflichtverletzung darstellte, verlangt der III. Zivilsenat des BGH regelmäßig nur Tatsachenkenntnis, nicht aber eine zutreffende rechtliche Bewer­ tung.117 Bei einer verwickelten Rechtslage soll der Geschädigte jedoch wegen Un­ zumutbarkeit von der Verjährung freigestellt werden.118 Der IX. Zivilsenat hat hin­ gegen offengelassen, ob die Kenntnis, dass eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ausscheidet (siehe §  839 Abs.  1 S.  2 BGB), eine zutreffende rechtliche Einsicht vor­ aussetzt.119 Bei der Staatshaftung wegen Nichtumsetzung sekundären Unions­ rechts wird die fehlerhafte rechtliche Einschätzung des Gläubigers (irrtümliche Annahme von Richtlinienkonformität) mitunter der Unkenntnis der anspruchs­ begründenden Tatsachen gleichgesetzt.120 BGH, Urt. v. 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187, 1189 Rn.  28; OLG München, Beschl. v. 27.10.2016 – 17 U 2881/16, WM 2017, 1107, 1107; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  22. 114  OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2010 – I-6 U 49/09, Rn.  86, juris. 115  So dürfte Harsch, MDR 2014, 1368, 1372 zu verstehen sein. 116  So die Aussage, zu den Tatsachen, aus denen ein (deliktischer) Schadensersatzanspruch her­ zuleiten ist, gehöre u. a. auch „die Rechtswidrigkeit“ neben den „den Verschuldensvorwurf begründenden Tatsachen“ (Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  63; Herv. d. Verf.); Kenntnis von der Rechtswidrigkeit fordernd auch Otto, Bestimmung, S.  143 (anders aber wohl a. a. O., S.  150 zur Amtshaftung); Kenntnis von Pflichtwidrigkeit und Verschulden verlangend Schauf, Kenntnis, S.  124–125. 117  BGH, Urt v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162, 3164; BGH, Urt. v. 14.3.2002  – III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 = NJW 2002, 1793, 1797; BGH, Urt. v. 16.9.2004 – III ZR 346/03, BGHZ 160, 216 = NJW 2005, 429, 433; BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362, 365 Rn.  27; BGH, Urt. v. 11.1.2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 = NJW 2007, 830, 833 Rn.  28; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 466–467 Rn.  12; so auch Peters/ Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  63a. 118  So z. B. BGH, Urt v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162, 3164; BGH, Urt. v. 2.4.1998  – III ZR 309/96, BGHZ 138, 247 = NJW 1998, 2051, 2052; BGH, Urt v. 14.3.2002 – III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 = NJW 2002, 1793, 1797; BGH, Urt. v. 11.1.2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 = NJW 2007, 830, 833 Rn.  28; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12. 119  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; vergleiche auch BGH, Urt. v. 3.3.2005 – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149. 120 So Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; auch LG Düsseldorf, Urt. v. 29.9.2009 – 2b O 286/08, BeckRS 2009, 26368, stellt schwerpunktmäßig auf die Frage der (grob fahrlässigen) Un­ kenntnis des Gläubigers von der EuGH-Rechtsprechung ab.

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Eine bemerkenswerte Sondervorschrift findet sich seit dem Jahr 2017 im Kartell­ recht. Die Verjährung von Ansprüchen aus §§  33, 33a GWB wegen Kartellverstö­ ßen setzt nach §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB Kenntnis (bzw. grob fahrlässige Un­ kenntnis) nicht nur von den „Umständen, die den Anspruch begründen“, voraus, sondern auch davon, „dass sich daraus ein Verstoß nach §  33 Absatz  1 ergibt“. Diese Formulierung geht zurück auf Art.  10 Abs.  2 lit.  a der europäischen KartSE-RL, wonach auch die „Tatsache, dass [das Verhalten] eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt“, Bezugspunkt der verjährungsrechtlich relevanten Kenntnis (bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis) ist. Die Gründe hinter dieser Norm­ fassung bleiben im Dunkeln.121 Trotz der Bezugnahme auf eine vermeintliche „Tat­ sache“122 wird angesichts des übrigen Wortlauts davon ausgegangen, dass es auch auf eine rechtliche Würdigung ankommen soll.123 Zum Teil wird in der neuen Ge­ setzesfassung lediglich eine Kodifizierung der Zumutbarkeitsrechtsprechung, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen in Sachen Darlegungs- und Beweislast, erblickt, sodass es auf die Erkenntnismöglichkeiten eines (Kartell-)Rechtskundigen ankommen soll.124 Andere verstehen die Neuregelung hingegen als Bevorzugung des Gläubigers, die weiter geht als die von der Sicht eines Rechtskundigen ausge­ hende Unzumutbarkeitsrechtsprechung.125 Zumindest soll es aber auf eine genaue Vorstellung davon, gegen welche kartellrechtliche Norm der Schuldner verstoßen hat, nicht ankommen und soll bei einfachen Preiskartellen, deren Verbot unter Ge­ werbetreibenden allgemein bekannt sei, im Regelfall aus Tatsachen- auf Rechts­ kenntnis geschlossen werden.126 b) Person des Schuldners Schon früh hat die höchstrichterliche Rechtsprechung angenommen, eine fehler­ hafte Rechtseinschätzung könne den Verjährungsbeginn insoweit sperren, wie sie verhindere, dass der Gläubiger von der Person des Schuldners Kenntnis nehme.127 121 

Hoffmann/S. Schneider, WuW 2016, 102, 105–106, mit ausführlicher Analyse der Genese. Was nicht mit der traditionellen Trennung zwischen Tatsachen und rechtlicher Beurteilung kompatibel zu sein scheint, Hoffmann/S. Schneider, WuW 2016, 102, 105; Pohlmann, WRP 2015, 546, 549 Rn.  28. 123  Hoffmann/S. Schneider, WuW 2016, 102, 106: Es handele sich um eine „terminologische Ungenauigkeit“. Diskutiert wird ferner die Schlussfolgerung, die rechtliche Würdigung müsse bereits zu einer Tatsache erstarkt sein, also Gegenstand einer bestands- bzw. rechtskräftigen Ent­ scheidung sein (näher Kersting, VersR 2017, 581, 594). 124 So Pohlmann, WRP 2015, 546, 549–550 Rn.  29; auf eine Beweislastumkehr gegenüber der früheren Fassung hinweisend auch Makatsch/Mir, in: MüKo-WettbR, §  33h GWB Rn.  29. 125  Deutlich etwa Franck, in: Immenga/Mestmäcker, §  33h GWB Rn.  20; eher in diese Rich­ tung wohl auch Kersting, VersR 2017, 581, 594. 126  Hoffmann/S. Schneider, WuW 2016, 102, 106. 127  RG, Urt. v. 6.3.1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61, 63; RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283; RG, Urt. v. 5.12.1933 – III 130/33, RGZ 142, 348, 351; sich anschließend RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 19; BGH, Urt. v. 17.3.1966 – III ZR 263/64, Rn.  29, juris; ­G rothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  262; Otto, Bestim­ mung, S.  139. 122 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Um zu erkennen, dass eine bestimmte Person für ein Schadensereignis ersatzpflich­ tig sei, könne eine gewisse Rechtskenntnis erforderlich sein.128 So soll beispiels­ weise die irrtümliche Annahme, eine Gemeindeverordnung sei wirksam, die ver­ jährungsrechtlich relevante Kenntnis von der Person des Schuldners hindern, wenn dem Geschädigten infolgedessen verborgen bleibt, dass ihm die Gemeinde anstelle des Anliegers haftet.129 Andererseits hat bereits das Reichsgericht angenommen, dass es der Kenntnis nicht entgegenstehe, wenn der Geschädigte (allgemein) nicht wisse, dass die Haftung des Beamten auf den Staat übergeleitet werde.130 Auch der BGH verlangt neben (Tatsachen-)Wissen um Name und Anschrift des Schuld­ ners131 lediglich (Tatsachen-)Kenntnis von Umständen, die dessen haftungsrecht­ liche Verantwortung begründen.132 Auf die Schuldnereigenschaft bezogene Rechts­ irrtümer werden folglich für den Verjährungsbeginn für unbeachtlich gehalten.133

III. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung Ausnahmen von der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern für die Verjährung werden anerkannt, soweit es um Ersatzansprüche von Mandanten wegen Pflichtverletzungen von Rechtsberatern geht. 1. Früherer Ansatz: „Sekundärverjährung“ In der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung Mandanten, die einen solchen An­ spruch mangels Rechtskenntnis hatten verjähren lassen, teils mithilfe einer besonde­ ren Konstruktion geschützt. Der betroffene Rechtsanwalt oder Steuerberater dürfe sich nicht auf Verjährung berufen, sofern er im Wege des Schadensersatzes134 ver­ pflichtet sei, den Mandanten so zu stellen, als sei der Regressanspruch unverjährt.135 Zu dieser „Sekundärhaftung“ komme es, wenn der Anwalt es versäume, den Man­ danten auf den denkbaren Regressanspruch hinzuweisen und diesem so die Einho­ 128 

RG, Urt. v. 6.3.1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61, 63; zustimmend Frede, Rechtsirrtum, S.  74–75. So bei RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283. 130  RG, Urt. v. 5.12.1933 – III 130/33, RGZ 142, 348, 352; ebenso BGH, Urt. v. 17.3.1966  – III ZR 263/64, Rn.  29, juris; Ellenberger, in: Palandt, §  199 Rn.  37. 131  BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 395/07, NJW 2009, 587, 588 Rn.  12 m. w. N.; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  70. 132  BGH, Urt. v. 31.10.1989 – VI ZR 84/89, NJW-RR 1990, 222, 223; eindeutige Formulierung auch bei BGH, Urt. v. 15.12.1987 – VI ZR 285/86, NJW-RR 1988, 411, 412. 133  Deutlich OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 19.11.1998 – 3 U 201/97, NJW-RR 1999, 1474, 1476– 1477; Ellenberger, in: Palandt, §  199 Rn.  35; Otto, VersR 2009, 760, 761; Spindler, in: BeckOKBGB, §  199 Rn.  40. 134  Später ist der BGH allerdings explizit von der Behandlung als Schadensersatzanspruch ab­ gerückt und sprach von einer durch die „Rechtsprechung geschaffenen Rechtsfigur zum Aus­ gleich unerträglicher, verfassungsrechtlich bedenklicher Rechtsfolgen“, BGH, Urt. v. 29.11.2001  – IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117, 1120; ausführlich zu diesem Wandel Schauf, Kenntnis, S.  62–64 m. w. N. 135  Grundlegend zum Rechtsanwalt RG, Urt. v. 17.5.1938 – III 172/37, RGZ 158, 130, 136–137; zur Entwicklung mit ausführlichen Nachweisen Schauf, Kenntnis, S.  21–78. 129 

§  7 Nachteil durch Verjährung

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lung anderweitigen Rechtsrats zu ermöglichen.136 Die Auskunftspflicht ergebe sich aus dem Mandatsvertrag,137 weil der Berater in der Regel weit überlegene Rechts­ kenntnisse besitze und die Rechtsunkenntnis den Mandanten hindere, Regress­ ansprüche zu erkennen und zu verwirklichen.138 Vom Mandanten könne nicht er­ wartet werden, dass er einen weiteren Rechtskundigen beauftrage, das Wirken des eigentlichen Anwalts zu überwachen.139 Die Hinweispflicht entfalle, sobald der Mandant erkennbar rechtzeitig wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten werde oder auf anderem Wege von Regressanspruch und Verjährung Kenntnis140 erhalte.141 Die dargestellte Rechtsprechung ist im Wesentlichen auf Steuerberater übertragen worden.142 Für die schuldhaft falsche Anlageberatung durch Wertpapierdienstleister (§  37a WpHG a. F.) wollte der BGH das Konzept hingegen „mangels eines vergleich­ baren dauerhaften Vertrauensverhältnisses“ nicht heranziehen.143 Die beschriebene Judikatur war vor dem Hintergrund zu sehen, dass für Regress­ ansprüche gegen Rechtsberater bis Dezember 2004 eine besonders kurze und dazu kenntnisunabhängige Verjährungsfrist galt.144 Diese hätte den Mandanten oftmals eines durchsetzbaren Anspruchs beraubt.145 Der Gesetzgeber entschloss sich letzt­ lich zur Abschaffung. Er billigte zwar die entsprechenden Korrekturen der Recht­ sprechung im Grundsatz, wies aber darauf hin, dass auch die Figur der Sekundär­ 136  Zu dieser Pflicht BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380 = NJW 1985, 2250, 2252 m. w. N.; BGH, Urt. v. 14.11.1991 – IX ZR 31/91, NJW 1992, 836, 837 m. w. N.; BGH, Urt. v. 10.5.2012 − IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 = NJW 2012, 2435, 2441 Rn.  59. 137  Zu den Auswirkungen des Mandatsendes siehe auch C. III. 3. Fn.  662; zum Fall eines neu begründeten Mandatsvertrags mit dem betroffenen Berater siehe BGH, Urt. v. 7.2.2008 – IX ZR 149/04, NJW 2008, 2041, 2043 Rn.  34, 36; BGH, Urt. v. 16.7.2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447, 3452 Rn.  86. 138  Besonders anschaulich BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1287; siehe zudem z. B. BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, NJW 2003, 822, 823. 139  BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1287. 140  BGH, Urt. v. 15.4.1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2188. 141 Siehe z. B. BGH, Urt. v. 14.11.1991 – IX ZR 31/91, NJW 1992, 836, 837; BGH, Urt. v. 21.9.1995 – IX ZR 228/94, NJW 1996, 48, 50; BGH, Urt. v. 15.4.1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2187–2188; BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, NJW 2003, 822, 824 m. w. N.; BGH, Urt. v. 10.5.2012 − IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 = NJW 2012, 2435, 2441 Rn.  59. Die Beratung durch einen Steuerberater genüge dagegen in der Regel nicht, da insoweit nicht mit einer umfassenden Beratung zum Regress gegenüber dem Erstberater gerechnet werden könne, BGH, Urt. v. 11.5.­ 1995  – IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 = NJW 1995, 2108, 2109–2110. 142  Grundlegend BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1286–1287; siehe auch BGH, Urt. v. 4.4.1991 – IX ZR 215/90, BGHZ 114, 150 = NJW 1991, 2828, 2830; BGH, Urt. v. 11.5.1995 – IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 = NJW 1995, 2108, 2109. 143  BGH, Urt. v. 8.3.2005 – XI ZR 170/04, BGHZ 162, 306 = NJW 2005, 1579, 1581; ebenso OLG München, Urt. v. 19.12.2007 – 7 U 3009/04, BKR 2008, 129, 130; zur Diskussion m.N. auch zur a. A.: Schauf, Kenntnis, S.  72–76. 144  §  51 BRAO in der bis 8.9.1994 geltenden Fassung bzw. §  51b BRAO in der bis 14.12.2004 geltenden Fassung. Gleiches galt für §  68 StBerG und §  51a WPO. Eingehend zur a. F. Schauf, Kenntnis, S.  27–43. 145  Siehe zu diesem Motiv BGH, Urt. v. 21.9.1995 – IX ZR 228/94, NJW 1996, 48, 50; BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, NJW 2003, 822, 823–824; BGH, Urt. v. 7.2.2008 – IX ZR 149/04, NJW 2008, 2041, 2043 Rn.  36; siehe auch BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1287.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

verjährung den Interessen des Mandanten nicht vollständig gerecht werde, weil die verdoppelte Frist nach wie vor unabhängig von dessen Wissen um die Pflichtverlet­ zung laufe.146 Durch die Überführung ins System der Regelverjährung sollten diese Schwachpunkte eliminiert und die Sekundärhaftung obsolet werden.147 2. Heutiger Ansatz: Rechtliche Bewertung als Teil der für Verjährungsbeginn erforderlichen Kenntnis Auch unter Geltung der allgemeinen Verjährungsvorschriften erkennt der BGH indes Besonderheiten für die Rechtsberaterhaftung an. Die Verjährungsfrist nach §  199 Abs.  1 BGB beginne erst, wenn sich für den Mandanten ergebe, dass der An­ walt aus rechtlicher Sicht erforderliche Maßnahmen nicht eingeleitet habe.148 Der IX. Zivilsenat wendet sich damit explizit gegen obergerichtliche Judikatur, wonach nur die Kenntnis der anwaltlichen Beratung und der zugrunde liegenden Fakten zu verlangen sei.149 Zur Begründung verweist der Senat auf vermeintliche Parallelen zu seiner Rechtsprechung zur Arzthaftung, wo zum Kenntnisgegenstand des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch die Tatsachen zählten, aus denen sich ergibt, dass der Arzt vom medizinischen Standard abgewichen ist.150 Zudem gehe das Schrifttum allge­ mein davon aus, dass allein die Kenntnis der tatsächlichen Umstände dem Laien noch keine Kenntnis der Pflichtwidrigkeit einer Handlung vermittele.151 Der Senat betont ferner, dass der Anwalt zu dem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten typischerweise in einem Überlegenheitsverhältnis stehe, infolgedessen dem Man­ danten Fehlleistungen des Anwalts zumeist nicht erkennbar seien.152 Aus diesem Grund habe der Gesetzgeber bewusst die rein objektiv anknüpfende Sonderverjäh­ rungsregel des §  51b BRAO a. F. zugunsten der Regelverjährung abgeschafft.153 146  Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14; siehe als Beispiel für ein Versagen der Sekundärhaftung BGH, Urt. v. 6.6.2019 – IX ZR 104/18, NJW 2019, 2390, 2391 Rn.  21. 147  Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14; davon ausgehend auch BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZR 174/05, VersR 2009, 651 Rn.  2; Vollkommer/Greger/Heinemann, AnwHaftR, §  13 Rn.  60; so be­ reits R. Zimmermann, NJW 1985, 720, 721. 148  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  15; BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, NJW 2014, 1800, 1801 Rn.  8; BGH, Urt. v. 15.12.2016 – IX ZR 58/16, BGHZ 213, 213 = WM 2018, 142, 143 Rn.  11; BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJWRR 2019, 116, 116 Rn.  9; ebenso Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  142; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  60 Fn.  112; Schmidt-Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  21. 149  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  16; BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, NJW 2014, 1800, 1801 Rn.  8 , gegen OLG Hamm, Urt. v. 24.4.­ 2012  – I-28 U 152/11, BeckRS 2012, 10238; OLG Jena, Urt. v. 1.8.2012 – 8 U 948/11, BeckRS 2014, 9047; OLG Stuttgart, Urt. v. 13.4.2010 – 12 U 189/09, NJW-RR 2010, 1645, 1647; ebenfalls anders noch OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2012 − 24 U 77/11, NJOZ 2012, 1744, 1745. 150  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993 Rn.  10, u. a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681, 682 Rn.  6 m. w. N. 151  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993 Rn.  13. 152  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993–994 Rn.  15; BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, NJW 2014, 1800, 1801 Rn.  9. 153  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  16; siehe abermals Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14.

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Diese Grundsätze überträgt der IX. Zivilsenat auf die Steuerberaterhaftung.154 Der III. Zivilsenat hat sie ferner für die aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zu­ gunsten Dritter hergeleitete155 Haftung von Wirtschaftsprüfern für fehlerhafte Testate herangezogen: Solange der Anleger zwar den Prüfbericht gekannt, nicht aber auf die rechtliche Unzulässigkeit der vorgesehenen Ausschüttungen geschlos­ sen habe, sei die Verjährung nicht angelaufen.156 Es würde dem Sinn solcher Testate widersprechen, dem Anleger eine eigene rechtliche Prüfung aufzuerlegen.157 Viel­ mehr müssten sich Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von §  199 Abs.  1 BGB in Fallgestaltungen, in denen der haftungsauslösende Fehler in einer falschen Rechtsanwendung des Schuldners liege, auch auf die Fehlerhaftigkeit be­ ziehen.158 Ohne Relevanz für den Verjährungsbeginn sei es dagegen, wenn der An­ leger verkenne, dass er in den Schutzbereich des Wirtschaftsprüfervertrags einbe­ zogen ist.159 Das Schrifttum interpretiert die dargestellte Rechtsprechung zum Teil als „eine am Schutzzweck der verletzten Pflicht orientierte einschränkende Auslegung des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB“ und verweist auf Parallelen zu §  814 BGB.160 Anderen er­ scheint nur der Weg über den Zumutbarkeitsgedanken als dogmatisch sauber.161 Vereinzelt wird gefordert, die Idee der Sekundärhaftung wiederzubeleben, sodass man ohne Korrektur des Gesetzestextes auskomme.162 Dies beuge auch der Gefahr vor, dass bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mandanten die Verjährung anlaufe.163

IV. Hemmung wegen höherer Gewalt, §  206 BGB Läuft die Verjährungsfrist trotz Rechtsunkenntnis bzw. Rechtsunsicherheit des Gläubigers, könnte ihm zumindest innerhalb der letzten sechs Monate der Frist der Hemmungstatbestand des §  206 BGB zu Hilfe kommen. Allerdings wird verbreitet betont, Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum begründeten grundsätzlich keine hö­ here Gewalt im Sinne der Norm.164 Dies soll insbesondere für die irrige Annahme 154  BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 116 Rn.  10; zuvor etwa schon Kayser, AnwBl 2014, 802, 804. 155  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2345–2348 Rn.  8 –24; kritisch zur Anspruchsgrundlage Harnos, ZBB 2015, 176, 180 m.N. zum Diskussionsstand in Fn.  27. 156  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2348 Rn.  25–26. 157 BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2348 Rn.   26; vergleiche auch ­Harnos, ZBB 2015, 176, 180. 158  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn.  26. 159  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn.  26. 160  Nassall, jurisPR-BGHZivilR 11/2014 Anm.  1. 161  Harnos, ZBB 2015, 176, 180. 162  Peters, JR 2015, 70, 72. 163  So dürfte der Hinweis bei Peters, JR 2015, 70, 71, zu deuten sein. 164  BGH, Urt. v. 28.4.1995 – LwZR 9/94, BGHZ 129, 282 = ZIP 1995, 949, 951; OLG Stuttgart, Urt. v. 20.6.2000 – 12 U 37/00, NJW 2000, 2680, 2683; Alpes, Höhere Gewalt, S.  93; Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  7; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  29.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

des Gläubigers gelten, ihm stehe kein Anspruch zu.165 Subjektive Momente seien ausschließlich nach §  199 BGB berücksichtigungsfähig.166 Eine Ausnahme wird für theoretisch denkbar gehalten, wenn der Rechtsirrtum „selbst bei aller vernünftiger­ weise zumutbaren Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen“ sei.167 Eine fehlerhafte Sachbehandlung bzw. falsche Auskünfte amtlicher Stellen (Gerichte, Notare) sollen gegebenenfalls höhere Gewalt begründen können, sofern nicht einmal ein geringstes Verschulden des Gläubigers (bzw. seines Prozessvertreters168) festzustellen sei.169 Eine solche unrichtige „Auskunft“ kann theoretisch in der rechtskräftigen Ab­ weisung einer Klage liegen, von deren Erfolg der betroffene Anspruch abhängt. Diese Konstellation ist außergewöhnlich. Sie ergibt sich beispielsweise, wenn die Rechtskraft einer abweisenden Kündigungsschutzentscheidung infolge einer Ver­ fassungsbeschwerde durchbrochen wird, der davon abhängige Lohnanspruch aber zwischenzeitlich verjährt wäre.170 Über höhere Gewalt nachdenken lässt sich auch, wenn einer Erfolg versprechenden Klage die höchstrichterliche Judikatur entge­ genstand, die sich erst später gewandelt hat. Verweisen lässt sich insoweit auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu Aufwertungsansprüchen, die die Rechtspre­ chung im Zuge des Währungsverfalls Anfang der 1920er-Jahre erst mit Verzöge­ rung anerkannt hatte.171 Auch der BGH hat diesen Gedanken in anderem Zusam­ menhang aufgegriffen.172 Das BAG hat sich, wie Teile der Literatur,173 gegenläufig positioniert.174 Eine Rechtsprechungsänderung könne nämlich in aller Regel nur 165  BGH, Urt. v. 10.4.1968 – V ZR 13/65, NJW 1968, 1381, 1381–1382; BGH, Urt. v. 7.5.1997  – VIII ZR 253/96, NJW 1997, 3164, 3165; Dörner, in: Hk-BGB, §  206 Rn.  1; Ellenberger, in: Palandt, §  206 Rn.  6; Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  7. 166  Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  7. 167  BGH, Urt. v. 28.4.1995 – LwZR 9/94, BGHZ 129, 282 = ZIP 1995, 949, 951; BGH, Urt. v. 7.5.­1997 – VIII ZR 253/96, NJW 1997, 3164, 3164; Alpes, Höhere Gewalt, S.  93; Grothe, in: MüKo-­ BGB, §  206 Rn.  7; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  29. 168  Siehe nur BGH, Urt. v. 4.5.1955 – VI ZR 37/54, BGHZ 17, 199 = NJW 1955, 1225, 1226– 1227; BGH, Urt. v. 7.5.1997 – VIII ZR 253/96, NJW 1997, 3164, 3164; Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  5 (u. a. unter Verweis auf §  85 Abs.  2 ZPO); Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  27 (§  278 BGB). 169  BGH, Urt. 6.7.1994 – XII ZR 136/93, NJW 1994, 2752, 2753; BGH, Urt. v. 30.7.2008  – XII ZR 18/07, NJW 2008, 3061, 3062–3063 Rn.  33–34 (jeweils zur Vaterschaftsanfechtungsfrist); ­G rothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  5; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  271; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  26–27. 170  BAG, Urt. v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01, BAGE 103, 290 = NJW 2003, 2849, 2850–2851 (eine Hemmung im Ergebnis aber verneinend, siehe dazu noch C. III. 1.); ähnlich LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.1998 – 9 (13) Sa 1726/97, MDR 1998, 784, 785 (betreffend Restitution). 171  Grundlegend RG, Urt. v. 22.6.1925 – I 468/24, RGZ 111, 147, 148; siehe auch RG, Urt. v. 8.6.­1928 – III 426/27, RGZ 120, 355, 357 m. w. N. Freilich wurde dort auf eine Rechtsähnlichkeit zu dem von §  2 02 BGB a. F. (heute teilweise aufgegriffen in §  205 BGB) geregelten Fall verwiesen. 172  BGH, Urt. v. 6.5.1957 – III ZR 202/56, NJW 1957, 1595, 1597 (zum Erlöschen eines Aufop­ ferungsanspruchs wegen Impfschäden nach Art.  125 des bayerischen AGBGB); BGH, Urt. v. 25.5.­ 1961  – II ZR 152/60, DB 1961, 1257. 173 Ausführlich Kuhn, Hemmung, passim (insb. S.  33–35 zu §  202 BGB a. F., S.  5 4–55 zu §  203 BGB a. F.). 174  Eine Billigkeitskorrektur sei auf extreme, die Allgemeinheit treffende Umstände – wie eben die Inflation der 1920er-Jahre – zu beschränken, BAG, Urt. v. 6.12.1961 – 4 AZR 297/60, BAGE

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dadurch erwirkt werden, dass ein Gläubiger trotz ungünstiger Lage das Risiko ei­ nes Prozesses auf sich nehme.175 Unter zumindest missverständlichem Verweis auf eben diese BAG-Entscheidung hat allerdings der BGH auch in der Folge noch eine Hemmung entsprechend §§  202, 203 BGB a. F. erwogen, wenngleich im konkreten Fall abgelehnt.176 Die Gesetzesmaterialien zur Schuldrechtsmodernisierung be­ zeichnen jedoch die Linie des BAG explizit als sachgerecht.177 Auch in Teilen der Literatur und der übrigen Rechtsprechung werden diese Grundsätze übernom­ men.178 Für weniger aussichtslose Fälle – insbesondere bei Fehlen negativer höch­ strichterlicher Judikate – soll erst recht nichts anderes gelten.179 Zu verzeichnen sind jedoch auch Stimmen, die die Sachverhalte, welche die herrschende Rechtspre­ chung im Bereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB über das (ungeschriebene) Zumutbar­ keitskriterium löst, stattdessen mithilfe der Vorschrift des §  206 BGB (bzw. deren Rechtsgedanken oder einer Analogie) handhaben möchten.180

C. Analyse Die Analyse der Rechtsirrtumsproblematik im Verjährungsrecht hat sich zunächst ausführlich mit der Frage zu befassen, inwieweit rechtliche Vorstellungen über­ haupt zum für den Fristbeginn vorausgesetzten Erkenntnisgegenstand zählen (dazu I.). Erst nach Klärung dessen kann auf den schädlichen Erkenntnisgrad (II.) und die Substitution der Erkenntnis durch deren vorwerfbares Fehlen (III.) einge­ gangen werden. Die dogmatische Anknüpfung der gefundenen Ergebnisse ist  – un­ ter Berücksichtigung von Beweisfragen – unter IV. kurz zu rekapitulieren.

12, 97 = NJW 1962, 1077, 1078; im Ergebnis ebenso LAG Niedersachsen, Urt. v. 22.9.1998 – 13 Sa 454/98, BeckRS 1998, 30776199. 175  BAG, Urt. v. 6.12.1961 – 4 AZR 297/60, BAGE 12, 97 = NJW 1962, 1077, 1078. 176  BGH, Urt. v. 8.10.1987 – VII ZR 358/86, NJW 1988, 197, 197–198 (dem Anspruch stand keine höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen). 177  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 119. 178  BayObLG, Beschl. v. 1.12.2004 – 3Z BR 106/04, BayObLGZ 2004, 346, 351 = NZG 2005, 312, 314 (wenngleich eher referierend); Alpes, Höhere Gewalt, S.  93; Budzikiewicz, in: NK-BGB, §  206 Rn.  11; Ellenberger, in: Palandt, §  206 Rn.  7; Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  6. 179  So im Ergebnis bereits RG, Urt. v. 9.12.1929 – VI 172/29, RGZ 126, 294, 298; ferner BAG, Urt. v. 6.12.1961 – 4 AZR 297/60, BAGE 12, 97 = NJW 1962, 1077, 1078; BGH, Urt. v. 8.10.1987  – VII ZR 358/86, NJW 1988, 197, 197–198; BayObLG, Beschl. v. 1.12.2004 – 3Z BR 106/04, Bay­ ObLGZ 2004, 346, 351 = NZG 2005, 312, 314; LAG Niedersachsen, Urt. v. 22.9.1998 – 13 Sa 454/98, BeckRS 1998, 30776199; OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.1979 – 15 W 223/79, NJW 1980, 242, 244; Budzikiewicz, in: NK-BGB, §  206 Rn.  11; Kuhn, Hemmung, S.  29. 180  LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.1.2014 – 6 S 3714/13, BeckRS 2014, 2544; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c); Singbartl/Zintl, EWiR 2015, 33, 34; allenfalls eine Hemmung nach §  206 BGB für denkbar haltend auch Jacoby, ZMR 2010, 335, 338–339; vage auch Grothe, in: MüKo-­BGB, §  199 Rn.  29.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

I. Erkenntnisgegenstand Der näheren Überprüfung bedürfen sowohl die Grundannahme, Rechtsirrtümer seien für den Verjährungsbeginn irrelevant (dazu 1.), als auch die vorgeschlagenen Ausnahmen (dazu 2.–3.). Anschließend können Abweichungen für spezielle Zu­ sammenhänge erwogen werden (4.–5.) 1. Unbeachtlichkeit der rechtlichen Bewertung der eigenen Anspruchsberechtigung Das aktuell vorherrschende Modell der Regelverjährung diskriminiert rechtliche Fehleinschätzungen gegenüber der defizitären Tatsachenwahrnehmung. Die Ver­ jährung beginnt im Fall eines Tatsachenirrtums nur dann zu laufen, wenn von grober Fahrlässigkeit des Gläubigers auszugehen ist. Dabei lässt sich insbesondere der erforderliche Ermittlungsaufwand wertend berücksichtigen.181 Ganz anders stellt sich die Lage bei rechtlichen Fehlbewertungen dar: Es ist nicht konkret zu prüfen, ob der Irrtum vermeidbar war. Vielmehr wird die Verantwortung pauschal dem Gläubiger zugewiesen. a) Stütze im Wortlaut Auf diese Diskrepanz deutet, wie im Schrifttum zutreffend betont wird,182 schon der Gesetzeswortlaut hin. Zwar ist zuzugeben, dass die Unbeachtlichkeit der Rechtseinschätzung deutlicher zum Ausdruck käme, wenn das Gesetz von der Kenntnis „der den Anspruch begründenden Tatsachen“ spräche, und dass unklar bleibt, warum auf diese Wortwahl verzichtet wurde.183 Der Vergleich mit hypothe­ tischen Alternativformulierungen stützt jedoch die These von der Unbeachtlich­ keit der Rechtseinschätzung eher, als dass er sie ins Wanken bringt. Wäre es dem Gesetzgeber darauf angekommen, dass der Gläubiger auch in rechtlicher Hinsicht seine Berechtigung erkennt, hätte man schlicht auf die Kenntnis „des Anspruchs“ abstellen können. Warum sollte auf eine Formulierung wie die Gesetz gewordene ausgewichen werden, wenn damit keinerlei Differenzierung zwischen verschiede­ nen Erkenntnisgegenständen (Tatsachen- und Rechtslage) intendiert wäre?184 §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB zeigt zudem, dass der deutsche Gesetzgeber das Wort „Um­ stand“ im Kontext des Verjährungsrechts offenbar für ein treffendes (und richt­ linienkonformes) Synonym des Begriffs „Tatsache“ hält, wie er in Art.  10 Abs.  2 lit.  a KartSE-RL verwendet wird.185

181 Vergleiche Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  31; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  8 0. 182 

Siehe oben B. II. 1. a) Fn.  33. Nassall, NJW 2014, 3681, 3685; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 467; vergleiche ferner Klose, JR 2013, 185, 190. 184 Vergleiche Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  1a. 185  Siehe oben B. II. 2. a). 183 

§  7 Nachteil durch Verjährung

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b) Keine gegenteiligen Schlüsse aus der Normgenese Einen Anhaltspunkt für die mögliche Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Rah­ men von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB könnte jedoch die Genese der Vorschrift liefern. So hatte die Schuldrechtskommission eine allgemeine Erstreckung des subjektiven Ansatzes von §  852 Abs.  1 BGB a. F. noch mit dem Einwand abgelehnt, ansonsten käme es „in erhöhtem Maße auf die Bedeutung eines Rechtsirrtums und die Ob­ liegenheit zur Inanspruchnahme fachjuristischen Rats“ an.186 Der Gesetzgeber hat sich über das Konzept der Kommission hinweggesetzt und sich für die Anknüp­ fung an Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis entschieden. Das legt den Ge­ genschluss nahe, dass der von der Schuldrechtskommission gefürchtete Bedeutungs­ gewinn von Rechtsirrtümern in Kauf genommen wurde. Allerdings erschienen die Bedenken der Kommission von vornherein zweifelhaft vor dem Hintergrund, dass auch vor der Schuldrechtsmodernisierung im Rahmen der kenntnisabhängigen Verjährung nach §  852 BGB a. F. Rechtsirrtümern grundsätzlich keine Relevanz beigemessen wurde.187 Die vorgetragene Sorge der Kommission ergibt indes Sinn, wenn man sie auf den Vorschlag von Peters und Zimmermann aus dem Jahr 1981 bezieht. Dieser knüpfte den Verjährungslauf an die Kenntnis (bzw. grob fahrlässige Unkenntnis) von „Schuldner, Gegenstand [und] Rechtsgrund“.188 Eine solche For­ mulierung ließe in der Tat Raum für die Berücksichtigung rechtlicher Fehlvorstel­ lungen.189 Der Gesetzgeber des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB hat sich jedoch für eine ab­ weichende Normfassung entschieden. Einen Bedeutungszuwachs von Rechtsirrtü­ mern hat er somit nicht in Kauf genommen.190 c) Teleologische Begründung Es fragt sich indes, ob die Schlechterstellung des Rechtsirrtums auch im Lichte der Ziele des Verjährungsrechts gerechtfertigt ist. Erschwert wird die Überprüfung da­ durch, dass die verfolgten Zwecke heterogen und nicht abschließend geklärt sind.191 Es sollen zunächst die tradierten Argumente auf ihre Überzeugungskraft hin un­ tersucht werden, um sodann einen eigenen Erklärungsansatz zu entwickeln.

186 

BMJ, Abschlußbericht, S.  68. So auch die Kritik von Otto, Bestimmung, S.  78. 188  Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.   77, 316 (negativ formuliert [„unbekannt“], da eine Ausgestaltung als Hemmungstatbestand vorgesehen war). 189 Siehe Bär, Verjährung, S.   150; Schefe, Modifizierungen, S.   92. Auch die Schuldrechts­ kommission verstand den Vorschlag von Peters/Zimmermann dahingehend, dass er Kenntnis des Gläubigers „vom möglichen Bestehen seines Anspruchs“ fordere, siehe BMJ, Abschlußbericht, S.  35 (Herv. d. Verf.). 190  Insoweit im Ausgangspunkt richtig auch Schefe, Modifizierungen, S.  92. 191 Ausführlich Otto, Bestimmung, S.   33–48; Piekenbrock, in: JbJZ 2001, S.  309, 314–322; Riedhammer, Kenntnis, S.  162–168. 187 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

aa) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit Eine Diskriminierung des Rechtsirrtums lässt sich kaum allein mit dem Motiv rechtfertigen, den Schuldner vor Beweisnöten zu bewahren sowie Rechtsfrieden bzw. Rechtssicherheit für die Allgemeinheit zu gewährleisten.192 Dieses Ziel ist nämlich bereits dadurch erheblich beeinträchtigt, dass das Gesetz die Regelver­ jährung inzwischen subjektiv anknüpft, sie bei (nicht grob fahrlässigen) Tatsachen­ irrtümern nicht beginnen lässt. Der vor der Schuldrechtsreform geäußerte Gedan­ ke, der Rechtsirrtum wirke im Rahmen der allein auf objektive Umstände abstel­ lenden Verjährungsvorschriften wie ein Fremdkörper,193 hat damit seine Gültigkeit verloren. Der Schuldner kann sich vor Ablauf der objektiven Fristen der §  199 Abs.  2–4 BGB nie gänzlich in Sicherheit wiegen.194 In der Umstellung auf eine sub­ jektive Anknüpfung ist gerade der Ausgleich für die drastische Verkürzung der Regelverjährungsfrist von 30 auf drei Jahre zu erblicken.195 Die zwangsläufig resul­ tierenden Unsicherheiten sind bewusst in Kauf genommen worden.196 Die Aner­ kennung einer Hinderung des Fristlaufs infolge Rechtsirrtums würde das system­ inhärente Problem somit allenfalls verschärfen, nicht aber begründen. Ohnehin ist zu bedenken, dass die Schuldrechtsreform bei der Anpassung des Verjährungsrechts verstärkt auf die Gläubigerperspektive Rücksicht genommen hat. Die subjektive Anknüpfung greift die Idee, der Gläubiger müsse mit Blick auf Art.  14 GG eine „faire Chance“ zur Anspruchsgeltendmachung erhalten,197 auf. Dieser Gedanke betrifft allerdings Tatsachen- wie Rechtsirrtümer gleicherma­ ßen.198 Wollte man ausgerechnet in der gleichwohl vorgenommenen Differenzie­ rung eine Art Ausgleich zwischen den Anliegen des Gläubigers und denen des Schuldners erblicken, müsste die Ausgestaltung – in Abwesenheit einer weiter ge­ henden sachlichen Begründung – willkürlich erscheinen. Eine Diskriminierung von Rechtsirrtümern des Gläubigers könnte jedoch zum Schutz des Schuldners bei ihm nachteiligen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung geboten sein. Die vertrauensschützende Funktion der Verjährung wird sowohl in der allgemeinen Befassung mit Rechtsprechungsänderungen199 als 192  Auf diese Zwecke verweisend v. a. BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8; BGH, Urt. v. 14.7.2010 – IV ZR 208/09, NJW 2011, 73, 75 Rn.  19; siehe allgemein zu diesen Zwecken: Mot. I, 291 („verdunkelnde[] Macht der Zeit“); Begr. Schuld­R ModG-­E , ­BT-Drs. 14/6040, 96, 100; Oetker, Verjährung, S.  36–37, 40; Peters/Jacoby, in: Staudinger, vor §§  194–225 Rn.  5; Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 104 m. w. N. 193 So J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  56 Fn.  168 (zu §§  202 f. BGB a. F.). 194  Vergleiche etwa Nassall, NJW 2014, 3681, 3686. 195  Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  2 ; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  7; Peters/ Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  1; Piekenbrock, in: JbJZ 2001, S.  309, 315; Riedhammer, Kenntnis, S.  182; allgemein auch R. Zimmermann, JZ 2000, 853, 857, 862. 196 Vergleiche Abeling, Kenntnis, S.  35; R. Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 686; eingehend m. w. N. zur Entstehungsgeschichte Otto, Bestimmung, S.  61–87. 197  Siehe dazu bereits oben B. II. 1. b) aa) mit Fn.  5 4. 198  Vergleiche auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422. 199  Dazu oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  146.

§  7 Nachteil durch Verjährung

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auch von der Kritik an der Unzumutbarkeitsrechtsprechung des BGH betont.200 Hat der Schuldner auf den Bestand einer ihm günstigen Rechtsprechungslinie ver­ traut und entsprechend disponiert, würde er geschützt, wenn die Verjährung dem Gläubiger die Früchte der Rechtsprechungswende verwehrte. Eine Berücksichti­ gung von Rechtsirrtümern zugunsten des Gläubigers würde diesen Effekt elimi­ nieren. Allerdings bedürfte es zum Schutz des Schuldners in diesen Fällen nicht einer so weitgehenden Diskriminierung des Rechtsirrtums, wie sie §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nach herrschendem Verständnis zur Folge hat. Es würde genügen, im Fall der vermeintlich klar anspruchsfeindlichen Rechtsprechung eine Ausnahme zu statuieren. Vollumfänglich tragfähige Begründungen für die herrschende Interpre­ tation gilt es somit anderswo zu suchen. bb) Missbrauchsprävention und Beweiserleichterung Mitunter wird die Sorge geäußert, eine Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB drohte Personen zu privilegieren, die für zu­ treffende rechtliche Erkenntnisse besonders wenig empfänglich sind.201 Auch der in der Rechtsprechung gängige, aber äußert vage Verweis auf die „Billigkeit“202 lässt sich am ehesten in diese Richtung deuten. Damit wird an das allgemeine Motiv angeknüpft, wonach Rechtsirrtümer besonders unerträglich sein sollen. Dass diese Sichtweise in ihrer Pauschalität nicht tragfähig ist, wurde bereits dargelegt.203 Allerdings erscheint es denkbar, die angeführten Bedenken immerhin unter dem Aspekt der Beweisführung zu betrachten. Dieser Punkt findet in der Diskussion zumindest vereinzelt Erwähnung.204 Der Gedanke gründet auf der – auch außer­ halb der Verjährungsproblematik artikulierten 205 – Prämisse, dass es besondere Schwierigkeiten bereite, dem Gegner Rechtskenntnis nachzuweisen. Insbesondere könne der Schuldner dem Gläubiger in der Regel mit wenigen Worten Tatsachen­ kenntnis vermitteln, während die Mitteilung einer Rechtseinschätzung nicht zu Kenntnis führe, wenn der Gläubiger die Einschätzung nicht teile.206 Diese Diffe­ renzierung erscheint jedoch holzschnittartig. Dass Mitteilungen der Gegenseite nicht zwingend Glauben geschenkt wird,207 gilt gleichermaßen, wenn sich diese auf die tatsächliche Ebene beziehen. Tatsachen- wie Rechtskenntnis lassen sich ferner, wo geboten, in gleicher Weise durch den Vorwurf ersetzen, der Betroffene habe sich der Einsicht verschlossen.208 Selbst wenn man die Prämisse akzeptierte, dass 200  Bitter, JZ 2015, 170, 175; Harnos, WM 2015, 1658, 1659; Herresthal, WM 2018, 401, 410; vergleiche auch Otto, Bestimmung, S.  166; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1061; Wardenbach, BB 2015, 2, 7–8. 201  Siehe oben B. II. 1. a) m.N. in Fn.  35. 202  Siehe oben B. II. 1. a) m.N. in Fn.  29. 203  Siehe oben §  5. 204  Siehe oben B. II. 1. a) m.N. in Fn.  36. 205  Siehe v. a. Buck, Wissen, S.  84. 206  Büning, Verjährung, S.  39. 207  Dazu später noch, z. B. bei §  9 C. IV. 4. b). 208  Dazu später §  16 A. II. 2.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Rechtskenntnis jedenfalls im Durchschnitt schwieriger nachzuweisen sei, müsste man sich weiter fragen, ob dies den pauschalen Verzicht des Verjährungsrechts auf die zutreffende Rechtserkenntnis rechtfertigt. Zu erwägen wäre ein gezielteres Vor­ gehen über das Beweisrecht.209 Jedenfalls scheint die Thematisierung der Beweis­ problematik ersichtlich von der Ausgangslage geprägt, wie sie sich unter §  852 BGB a. F. ergab.210 Der Normwortlaut setzte positive Kenntnis voraus. Unter Geltung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB lässt sich einer vorgeschobenen Berufung des Gläubi­ gers auf angebliche Missverständnisse durch die Annahme grober Fahrlässigkeit begegnen.211 Schließlich hat der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform mit der Aus­ weitung auf grobe Fahrlässigkeit bewusst an „Auflockerungstendenzen“ der Recht­sprechung zum kenntnisabhängigen §  852 BGB a. F. anknüpfen wollen.212 Die Entlastung des Nachweises fällt freilich umso schwächer aus, je stärker man bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB eine subjektive Komponente der groben Fahrlässigkeit be­ tont.213 Zum Teil wird für eine streng objektive Feststellung plädiert.214 Ungeachtet dieser Frage erschiene es aber exzessiv, eventuell verbleibende Beweisschwierig­ keiten über eine grundsätzliche Schlechterstellung von Rechtsirrtümern erreichen zu wollen. Als alleinige oder auch nur wesentliche Ratio hinter der Fassung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB taugen die Überlegungen zum Nachweis nicht. cc) Verfügbarkeit von Rechtsrat In der gesetzlichen Ausgestaltung der Regelverjährung wird mitunter die Unter­ stellung erblickt, bei Tatsachenkenntnis sei die richtige Subsumtion selbstverständ­ lich möglich.215 Eine Einsichtigkeit der Rechtslage besteht zwar nicht zwingend aus sich heraus. Sie ist aber, wie oben allgemein festgestellt, in der Regel infolge Ver­ mittlung durch Intermediäre zu erreichen.216 Deshalb überzeugt es, wenn Gerichte und Literaturstimmen die Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen, betonen, um zu be­ 209  Vergleiche allgemein Piekenbrock, in: JbJZ 2001, S.  309, 318: Beweisprobleme seien „an sich kein tragfähiger Grund für die einschneidende Sanktion der Verjährung, da dem Zeitablauf durch beweisrechtliche Regelungen Rechnung getragen werden könnte“. Die Protokolle zum BGB äu­ ßern in anderem Zusammenhang, dass sich der Gefahr einer „frivolen Berufung“ auf vorgescho­ bene Rechtsirrtümer über die freie Beweiswürdigung hinreichend beikommen lasse, Prot. VI, 222 (zur entgegenstehenden Kenntnis beim gutgläubigen Immobiliarerwerb). 210  Büning, Verjährung, S.  39, bezieht sich noch auf diese Fassung. 211  So auch das Motiv des Vorschlags von Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 306; zur Beseitigung von Nachweisschwierigkeiten durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch Abeling, Kennt­ nis, S.  134–135; Otto, Bestimmung, S.  80, 120; Schrader, Wissen, S.  142; allgemein auch Buck, Wis­ sen, S.  53, 66. 212  Siehe Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 108. 213  Siehe etwa BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681, 683 Rn.  13: Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. 214  Grothe, in: MüKo-BGB, §   199 Rn.  31; kritisch gegenüber einem subjektiven Verständnis auch Schrader, Wissen, S.  144. 215  Besonders deutlich Pohlmann, WRP 2015, 546, 550; ähnlich Chab, AnwBl 2015, 436, 437. 216  Siehe zum Ganzen §  5 C. I., IV.

§  7 Nachteil durch Verjährung

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gründen, warum der Beginn der Regelverjährung grundsätzlich keine zutreffende Rechtseinschätzung voraussetze.217 Während auf Ebene der Tatsachenermittlung Nachforschungsobliegenheiten des Gläubigers nur eingeschränkt angenommen werden,218 wäre eine solche Zurückhaltung im Bereich der Rechtserkenntnis  – selbst bei mittellosen Gläubigern (Stichwort: Beratungshilfe219) – nicht sachgerecht. Der BGH hatte die Verfügbarkeit von Rechtsrat bereits vor der Schuldrechtsreform gedanklich mit dem Verzicht auf Rechtskenntnis durch §  852 BGB a. F. verknüpft.220 Auf das Modell ebendieser Vorschrift griff der Gesetzgeber bei der Schaffung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zurück.221 Diese Abfolge lässt sich – in Abwesenheit expli­ ziter Ausführungen in den Gesetzesmaterialien – immerhin als Indiz dafür deuten, dass die bezeichnete Ratio die Billigung des Gesetzgebers findet. Allerdings ist im Schrifttum der Einwand erhoben worden, ein Laie könne zwar Rechtsrat einholen, erkenne aber die Notwendigkeit nur dann, wenn er Anhalts­ punkte für seine Anspruchsberechtigung besitze.222 Das trifft zu, zwingt aber nicht dazu, den Erkenntnisgegenstand bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB um die Rechtslage zu erweitern. Zu fordern ist lediglich, dass die bekannten Tatsachen eine rechtliche Relevanz zumindest erahnen lassen. Das lässt sich, wie zu zeigen sein wird, auch im Rahmen der erforderlichen Tatsachenkenntnis berücksichtigen.223 dd) Anreiz zur Klärung von Rechtsfragen Die Verfügbarkeit von Rechtsrat vermag die vorherrschende Behandlung des Rechtsirrtums bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB allerdings nur partiell zu erklären. Sie begründet einzig, warum nicht auf die Rechtseinsichten des konkreten Gläubigers abzustellen ist. Vielfach wird aber auch ein qualifizierter Rechtsberater die An­ spruchsberechtigung des Gläubigers nicht sicher einschätzen können.224 Würde die Rechtslage zum Erkenntnisgegenstand zählen, wäre in solchen Fällen eine Kennt­ nis im Sinne der Norm ebenso wie grob fahrlässige Unkenntnis zu verneinen.225

217  Siehe oben B. II. 1. a) Fn.  37, zuletzt etwa BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12. Auch Kommentar 6 zu Art.  10.2 (Limitation periods) der UNIDROIT PICC rechtfertigt die Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern auf diese Weise: „An error of law […] cannot absolve the obligee since ‘ought to know’ includes seeking legal advice if the party is uncertain about the legal effects of the circumstances.“ 218  Vergleiche etwa BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1950 Rn.  29; BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  28; Nassall, NJW 2014, 3681, 3683; eingehend Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  31. 219  Dazu allgemein oben §  3 A. III. 2. a); konkret im Zusammenhang mit dem Verjährungsrecht darauf verweisend auch Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1355. 220  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042. 221  Siehe oben A. 222  So v. a. U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 468. 223  Siehe unten 2. 224  Siehe oben §  4 C. III. 225  Grob fahrlässige Unkenntnis ist zu verneinen, wenn objektiv keine verlässliche Beurteilung möglich ist, Abeling, Kenntnis, S.  22.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Tatsachenkenntnis setzt eine zuverlässige Einschätzbarkeit voraus.226 Warum dage­ gen die objektive Rechtsunsicherheit den Verjährungslauf nach dem Gesetzeswort­ laut nicht hindert, vermag der Verweis auf bestehende Rechtsberatungsmöglichkei­ ten nicht zu erklären.227 Ließe sich keine weitere Begründung dafür aufspüren, müsste man erwägen, den Verjährungsbeginn in Fällen rechtlicher Unklarheit mas­ siv zu beschränken.228 Ein überzeugendes Argument für die grundsätzliche Unbeachtlichkeit recht­ licher Zweifel findet sich, wenn man die Kritik an der Unzumutbarkeitsjudikatur in den Blick nimmt. Dort geht ein Einwand dahin, die Annahme einer Unzumut­ barkeit bei objektiv unklarer Rechtslage gestatte es dem Gläubiger, inaktiv zu blei­ ben; als paradoxe Folge bleibe die Ungewissheit bestehen.229 Wie zu zeigen sein wird, steht diese reductio ad absurdum einer Berücksichtigung der Unzumutbar­ keit nicht vollständig entgegen.230 Aus ihr heraus lässt sich aber die gesuchte Be­ gründung dafür entwickeln, dass objektiven Rechtszweifeln im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB  – anders als ihrem tatsachenbezogenen Pendant – grundsätzlich keine Relevanz beizumessen ist. Den unbefriedigenden Zustand objektiver Rechtsunsicherheit kann – in Abwesen­ heit gesetzgeberischer Reaktionen – regelmäßig nur die Gerichtspraxis beseitigen bzw. lindern, indem sie anlässlich der Bewertung konkreter Sachverhalte rechtliche Orientierungspunkte formuliert. Diese Funktion des Zivilprozesses wird auch vom Gesetzgeber anerkannt.231 Es ergibt sich ein relevanter Unterschied zu tatsächlichen Zweifeln. Solche betreffen oftmals weniger die Allgemeinheit als die konkreten Par­ teien und sind vor allem auch (bzw. gar besser) anders als durch eine gerichtliche Befassung zu klären.232 Zu der wünschenswerten Stellungnahme zu Rechts­fragen bietet sich den Zivilgerichten jedoch nur insoweit Gelegenheit, wie die Privatrechts­ subjekte entsprechende Prozesse einleiten.233 Die Vermittlung recht­licher Orientie­ rung durch Gerichtsentscheidungen setzt dabei „eine ausreichende Menge an Fall­ material voraus, um Rechtsfragen in verschiedenen Konstellationen prüfen und aus­ differenziert nach Variationen und Fallgestaltungen beantworten zu können“.234 Mit 226 

Siehe oben B. II. (vor 1.) m.N. in Fn.  23 ff. Das scheint im Ansatz auch Abeling, Kenntnis, S.  22, 49, richtig zu erkennen, wenn es heißt, man könne dem Gläubiger in solchen Situationen nicht vorhalten, er hätte fachkundigen Rechtsrat einholen können. 228  So vorgehend letzten Endes Abeling, Kenntnis, S.  53–54 (siehe dazu die Kritik unten bei II. 2. c) cc)). 229  Siehe oben B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  55 ff. 230  Siehe unten 3. d). 231  Siehe oben §  3 A. II. 2. 232  Unter dem Blickwinkel der Wohlfahrtsmaximierung betrachtet, fehlt es insoweit an den positiven externen Effekten, die demgegenüber eine Rechtsklärung haben kann (zu diesen oben §  3 A. II. 2. mit Fn.  69), Adams, Analyse, S.  82; siehe zudem G. Wagner, in: Analyse, S.  157, 177 (während „jeder Sachverhalt verschieden“ sei, „kehren Rechtsfragen immer wieder“). 233  Hau, ZZP 129 (2016), 133, 141; siehe auch Maultzsch, Streitentscheidung, S.  305 (zur Rechts­ mittelinitiative). 234 Zur Rechtsfortbildung Gaier, NJW 2016, 1367, 1370; ähnlich Maultzsch, Streitentschei­ dung, S.  306 (zur höchstrichterlichen Befassung). 227 

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Blick auf die Revisionsinstanz spricht auch der Gesetzgeber der ZPO-Reform 2002 von einer „erforderlichen Breite des Anschauungsmaterials“.235 Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklungen erscheint die Sorge um eine hinreichende „Einspeisung“ von Fällen akuter als früher. Die Ein­ gangszahlen der Zivilgerichte sind in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken.236 Der Zusammenhang zur Fortentwicklung des Rechts wird erkannt. Vor allem in der Stärkung von alternativen Streitbeilegungsmechanismen wird mitunter eine Gefahr erblickt.237 Andere verweisen darauf, dass die Schiedsgerichtsbarkeit den staatlichen Gerichten zumindest in bestimmten Bereichen gleichsam den Ausgangsstoff entzie­ he.238 Unabhängig von den denkbaren Ursachen gilt: Wenn in die Ziviljustiz „nur noch ein Ausschnitt der Realität der Konflikte in einer Zivilgesellschaft“ gelangt, werden Rechtsbewährung und Rechtsfortbildung beeinträchtigt.239 Um eine hinreichende Befassung der Gerichte mit rechtlichen Zweifelsfragen zu ermöglichen, muss die Privatrechtsordnung gerade dann Anreize zur Verfahren­ seinleitung setzen, wenn keine Sicherheit über den eigenen Anspruch herrscht. Eine solche Motivation lässt sich nicht nur durch den Schutz vor Rechtsnachteilen (etwa durch die Gewährung von Haftungsfreiräumen), sondern auch – umgekehrt   – durch deren Androhung erzeugen.240 Im letztgenannten Sinn lässt sich die Verjäh­ rung instrumentalisieren. Sie wird durch die Rechtsverfolgung gehemmt (§  204 Abs.  1 Nr.  1 BGB). Wo die Verjährung droht, steigt der Anreiz des potenziellen Anspruchsinhabers, die Klärung der entscheidenden Rechtsfrage zeitnah herbei­ zuführen. Liefe die Regelverjährungsfrist hingegen nicht, müsste der Gläubiger allenfalls die Höchstverjährung fürchten. Der Anreiz, würde dann erst mit erheb­ licher Verzögerung bestehen. Gerade am Aspekt der Motivationswirkung entzün­ det sich denn auch die Kritik an der Unzumutbarkeitsausnahme.241 In den vorlie­ genden Kontext passt zudem, dass der BGH einen Verjährungsaufschub in Fällen zweifelhafter Rechtslagen ausdrücklich für rechtspolitisch unerwünscht gehalten hat.242 235 

Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 67. Siehe nur (mit umfangreicher Statistik) Greger, ZZP 131 (2018), 317, 318–320 (mit dem Hin­ weis, die Ursachen seien noch unerforscht, a. a. O., 320); auch Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2522 m.N.; Nöhre, AnwBl 2019, 91, 91. 237 Exemplarisch H. Roth, JZ 2013, 637, 644; G. Wagner DRiZ 2016, 135. Es wäre allerdings näher festzustellen, inwieweit etwa die Verbraucherschlichtung den Gerichten tatsächlich rele­ vantes Fallmaterial für die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen entzieht (vergleiche Gaier, NJW 2016, 1367, 1368–1369; Nöhre, AnwBl 2019, 91, 93 und 95) oder ob nicht vornehmlich Zu­ gangsbarrieren für Streitigkeiten abgebaut werden, die ansonsten ohnehin nicht vor Gericht ge­ bracht würden, siehe Engel, NJW 2015, 1633, 1635; Riehm, JZ 2016, 866, 869, 872. 238  In diese Richtung Gaier, NJW 2016, 1367, 1369–1370; Nöhre, AnwBl 2019, 91, 93; Weiß, in: JbJZ 2014, S.  239, 271–272. 239 Treffend Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2526; ähnlich Hau, ZZP 129 (2016), 133, 144; Rühl, JZ 2020, 809, 813. 240  Siehe bereits §  5 B. II. 2. 241 Siehe Bitter, JZ 2015, 170, 174; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  134; Singbartl/ Zintl, EWiR 2015, 33, 34; zur Zumutbarkeitsproblematik oben B. II. 1. b). 242  BGH, Urt. v. 18.1.1972 – VI ZR 204/70, VersR 1972, 394, 396 (zu §  203 BGB a. F.); BGH, 236 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Die angestellten Überlegungen finden ihre Berechtigung nicht nur im Fall einer objektiv ungeklärten Rechtslage. Auch wenn dem betroffenen Anspruch nach fach­ kundiger Betrachtung eine etablierte Judikatur entgegensteht, ergibt sich die An­ reizproblematik.243 Die Gelegenheit, eine als überholt erachtete Rechtsprechung angesichts zwischenzeitlich gereifter „besserer“ Rechtserkenntnis aufzugeben, er­ hält ein Gericht – außerhalb von obiter dicta – nur dann, wenn es mit einschlägigen Verfahren befasst wird: Wo kein Kläger, da keine Rechtsprechungswende. In diese Kerbe schlug im verjährungsrechtlichen Kontext bereits im Jahr 1961 das BAG: Eine Rechtsprechungsänderung setze regelmäßig voraus, „daß ein Rechtsgenosse, der glaubt, entgegen einer ihm ungünstigen sogenannten ständigen Rechtspre­ chung einen Anspruch zu besitzen, gleichwohl das Risiko eines Prozesses auf sich nimmt“.244 Dieser Zusammenhang wird auch anderswo gesehen.245 Im Kontext des §  206 BGB hat der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform diese Sicht des BAG expli­ zit gebilligt.246 Die ausdrückliche Erwähnung in den Gesetzesmaterialien belegt  – wenngleich hinsichtlich unmittelbarer Rückschlüsse für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gewisse Vorsicht geboten ist247 –, dass die in dem BAG-Urteil beschriebene Anreiz­ problematik auch dem Gesetzgeber des heutigen Verjährungsrechts vor Augen stand. In diesen Zusammenhang fügt sich nicht zuletzt eine jüngere Entscheidung des BAG ein. Im Schrifttum war die Auffassung vertreten worden, wenn es für sogenannte Equal-Pay-Ansprüche des Arbeitnehmers (heute §  8 Abs.  1 S.  1 AÜG) entscheidend auf eine Rechtsfrage ankomme, die nicht inzident im Rechtsstreit ge­ gen den Schuldner, sondern nur im zusätzlichen Statusverfahren zu klären sei, sei dem Arbeitnehmer die Equal-Pay-Klage vorerst unzumutbar im Sinne der Recht­ sprechung zu §  199 Abs.  1 BGB.248 Das BAG widersprach: „Zuwarten allein lässt keine Klärung der Rechtslage erwarten.“249 Der Grundgedanke überzeugt:250 Urt. v. 6.11.1973 – VI ZR 199/71, VersR 1974, 197, 198; so auch LG Bonn, Urt. v. 14.5.2008 – 5 S 58/08, MDR 2008, 1383, 1384: „Für diese Fälle ist der Instanzenzug und gegebenenfalls die Klä­ rung durch das zuständige oberste Gericht vorgesehen.“ 243  Zutreffend bemerkt von Singbartl/Zintl, EWiR 2015, 33, 34. 244  BAG, Urt. v. 6.12.1961 – 4 AZR 297/60, BAGE 12, 97 = NJW 1962, 1077, 1078. 245  Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  8: „Das Risiko, gegen [die ständige Rechtsprechung] anzugehen, hat irgendwann jemand auf sich genommen; es ist jedem zuzumuten“; Budzikiewicz, in: NK-BGB, §  206 Rn.  11: „Der Gläubiger kann sich in diesen Fällen nicht darauf berufen, ihm sei das Risiko der Rechtsverfolgung weniger zumutbar gewesen als demjenigen, der tatsächlich aktiv geworden ist und der damit die Rechtsprechungsänderung letzten Endes herbeigeführt hat“; auch AG Köln, Urt. v. 22.6.2015 – 142 C 641/14, ZIP 2015, 2113, 2116. 246  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 119. 247  Vergleiche unten 3. a) cc). 248 So Schüren, AuR 2011, 142, 143. 249  BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12, BAGE 144, 322 = NZA 2013, 785, 787 Rn.  27. Indes geht es zu weit, wenn das Gericht pauschal behauptet, ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Klärung einer Rechtsfrage könne nie unzumutbar sein. Die Leistungsklage soll nach Ansicht der Rechtsprechung unter bestimmten Umständen gerade unzumutbar sein. 250  Zustimmend auch OLG Stuttgart, Urt. v. 7.4.2020 – 10 U 455/19, BeckRS 2020, 5743 Rn.  41; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  134; fer­ ner Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 10.

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Wenn sich jeder Arbeitnehmer darauf berufen könnte, er wolle zunächst die Klä­ rung der Tariffähigkeitsfrage abwarten, wäre zu befürchten, dass eben diese Frage niemals geklärt würde. Möchte man eine „Rechtserstarrung“251, eine Immunisie­ rung gegen bessere Rechtserkenntnis, verhindern, darf die Apathie potenzieller Kläger so wenig wie möglich durch das Verjährungsrecht befördert werden. Das gilt im Übrigen – entgegen vereinzelter Auffassung im Schrifttum 252 – prinzipiell nicht weniger für Fälle, in denen angesichts des geringen Streitwertes von vorn­ herein feststeht, dass eine Berufung unmöglich sein wird (§  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO). Obgleich die höchstrichterliche Äußerung die Rechtssicherheit am stärksten för­ dert, können auch Instanzentscheidungen zur Klärung der Rechtslage beitragen bzw. einer „Erstarrung“ bestehender Entscheidungslinien vorbeugen.253 Der Rekurs auf solche Anreizerwägungen darf nicht mit dem vordergründig ver­ wandt erscheinenden pädagogischen Gedanken 254 verwechselt werden, welcher das „Verkehrsinteresse nach einer beschleunigten Abwicklung von Rechtsverhältnis­ sen“255 in den Fokus rückt. Diese vage Formulierung ist offenbar wesentlich getra­ gen von der Idee, dass es möglichst wenige offene Forderungen geben soll.256 Dieser (zweifelhafte257) Gedanke vermag zumindest nicht die im Gesetz angelegte Diffe­ renzierung zwischen Rechts- und Tatsachenvorstellung zu erklären. ee) Zwischenfazit Die herkömmlich vorgebrachten Erklärungsansätze für die Unbeachtlichkeit rechtlicher Vorstellungen des Gläubigers für den Verjährungsbeginn tragen nur zum Teil. Insbesondere hängt die aktuelle Vorschrift des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB keinem einseitigen Schuldnerschutzgedanken an. Missbrauchsrisiken und Beweis­ problemen infolge einer subjektiven Anknüpfung ließe sich durch die Fahrlässig­ keitsvariante weitgehend Einhalt gebieten. Als entscheidend erweisen sich vielmehr zwei andere Aspekte: Die Unbeachtlichkeit der subjektiven Rechtserkenntnisse des individuellen Gläubigers lässt sich durch den Verweis auf die bestehenden Möglich­ 251  Dazu §  5 B. II. 2. unter Verweis auf den in Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 67, ge­ nutzten Begriff. 252  Singbartl/Zintl, EWiR 2015, 33, 34. 253  Siehe oben §  3 A. II. 2. mit Fn.  75; im verjährungsrechtlichen Kontext treffend AG Berlin-­ Mitte, Urt. v. 17.5.2019 – 104 C 37/19, Rn.  21, juris („Ginge man davon aus, dass eine Klage in jedem Fall unterschiedlicher Rechtsansichten unzumutbar und erst nach höchstrichterlicher Klärung durchzuführen sei, […] würde dies […] die Rolle unterinstanzlicher Gerichte bei der […] Klärung von Rechtsfragen verkennen.“); Schefe, Modifizierungen, S.  103, stellt unter Verweis auf Kähler, NJW 2004, 1132, 1135, zutreffend heraus, dass instanzgerichtliche Entscheidungen wertvolle „Vorarbeit“ leisten könnten. 254 Vergleiche Bär, Verjährung, S.  29; Otto, Bestimmung, S.  43 m.N. in Fn.  169–170. 255  BGH, Urt. v. 18.11.1982 – IX ZR 91/81, NJW 1983, 388, 390 m. w. N.; ähnlich in jüngerer Vergangenheit BGH, Urt. v. 15.3.2011 − VI ZR 162/10, NJW 2011, 1799, 1801 Rn.  16: Die Verjäh­ rung solle „den Gläubiger dazu veranlassen, rechtzeitig gegen den Schuldner vorzugehen“. 256 So Otto, Bestimmung, S.  43–44 m. w. N. 257  Kritisch etwa Peters/Jacoby, in: Staudinger, vor §§  194–225 Rn.  6; vergleiche auch Mansel, in: Zivilrechtswissenschaft, S.  333, 343.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

keiten rechtlicher Beratung begründen. Damit ist jedoch noch nicht erklärt, warum die Verjährung nach dem Wortlaut von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch dann anläuft, wenn selbst Rechtsexperten die Anspruchsberechtigung nicht einigermaßen sicher bejahen können. Diese gesetzliche Diskriminierung objektiver rechtlicher Zweifel lässt sich durch einen Gedanken begründen, der in der bisherigen Diskussion eher spärlich und im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Unzumutbarkeitsaus­ nahme vertreten wird. Bei rechtlicher Ungewissheit kann – anders als bei tatsäch­ lichen Zweifeln – eine zeitnahe Befassung der Gerichte im Allgemeininteresse lie­ gen. Deshalb soll durch den Verjährungsdruck ein Klärungsanreiz gesetzt werden. Dabei wird nicht verkannt, dass solche Anreize nicht perfekt funktionieren.258 Die entwickelte Begründung hängt auch nicht etwa der naiven Vorstellung an, es liege im Allgemeininteresse, dass es möglichst viele Gerichtsprozesse gebe. Vielmehr geht es darum, ein rechtliches Umfeld zu schaffen, in dem zumindest manche po­ tenziellen Anspruchsinhaber hinreichend motiviert werden, offene Rechtsfragen gerichtlich klären zu lassen. d) Fehlen durchgreifender systematischer Bedenken Gegen die von Wortlaut und Telos gestützte Interpretation der vorherrschenden Praxis lassen sich systematische Einwände formulieren. Die nähere Befassung zeigt allerdings, dass solche Bedenken sämtlich nicht durchgreifen. aa) §§  1378 Abs.  4 S.  1, 2332 Abs.  1 Var.  1 BGB a. F. Für den Beginn der kenntnisabhängigen Verjährung von Zugewinnausgleichsbzw. Pflichtteilsansprüchen nach den bis Ende 2009 geltenden §§  1378 Abs.  4 S.  1, 2332 Abs.  1 BGB hatte die Rechtsprechung eine zutreffende Rechtserkenntnis des Gläubigers verlangt.259 Auch in dieser Interpretation musste man aber, entgegen vereinzelt geäußerter Auffassung, keinen Widerspruch zu §  852 BGB a. F. bzw. §  199 BGB n. F. erkennen.260 Erkenntnisgegenstand war nach dem Wortlaut der Vorschriften die Beendigung des Güterstands bzw. der Eintritt des Erbfalls und der beeinträchtigenden Verfügung. Die Formulierung wich also maßgeblich von der in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB verlangten Umstandskenntnis ab. Schon deshalb war eine parallele Auslegung nicht zwingend. bb) §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB Auch der neue, durch europäische Vorgaben determinierte §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB liefert kein Argument dafür, die Anspruchsberechtigung des Gläubigers un­ ter Geltung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB als Teil des notwendigen Erkenntnisgegen­ 258 

Siehe später noch übergreifend §  19 B. II. RG, Urt. v. 2.3.1933 – IV 352/32, RGZ 140, 75, 76; BGH, Urt. v. 18.3.1987 – IVb ZR 44/86, BGHZ 100, 203 = NJW 1987, 1766, 1767; BGH, Urt. v. 6.10.1999 – IV ZR 262/98, NJW 2000, 288. 260  So aber Otto, Bestimmung, S.  138. 259 

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stands anzusehen. Allerdings spricht viel dafür, dass die neue Vorschrift nicht bloß eine Kodifikation des Unzumutbarkeitsgedankens enthält. Es kann auch in Fällen, in denen die Zumutbarkeit nach herkömmlichem Verständnis zu bejahen ist, an der nach §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB erforderlichen grob fahrlässigen Unkenntnis feh­ len.261 Obschon die Vorschrift somit vom regulären Unzumutbarkeitsmaßstab ab­ weicht, lässt sich aus ihr keineswegs herleiten, dass im allgemeinen Verjährungs­ recht der Fristbeginn erst bei Anspruchskenntnis des Gläubigers (bzw. entspre­ chender grob fahrlässiger Unkenntnis) anzunehmen ist. Das gilt schon aus dem Grund, dass auch §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB nicht voraussetzt, dass der Gläubi­ ger seine Anspruchsberechtigung erkennen kann. Kenntnisgegenstand ist vielmehr der Umstand, dass das Schädigerverhalten rechtswidrig war. Es geht um ein einzel­ nes normatives Tatbestandsmerkmal des Ersatzanspruchs. Abgesehen davon sollte der Einfluss einer singulären, EU-rechtlich geprägten und in ihrer Ratio obskuren Vorschrift (die zudem im Widerspruch zu Art.  180 Abs.  1 GEKR und den Modell­ regeln in Art.  14:301 PECL und Art.  III.-7:301 DCFR steht 262) auf das übrige Ver­ jährungsrecht nicht überbewertet werden. Wenn überhaupt, liegt ein Gegenschluss aus §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB näher, der gerade die Annahme stützt, Rechts­ irrtümer seien ansonsten ohne Einfluss auf den Verjährungsbeginn.263 cc) §  932 Abs.  2 BGB Vereinzelt wird im Schrifttum darauf verwiesen, dass der BGH bewusst eine Pa­ rallele zwischen den Maßstäben gezogen habe, die bei §  932 Abs.  2 BGB einerseits und bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB andererseits anzuwenden sind:264 Im Bereich des Gutglaubenserwerbs von Mobiliarsachen schade aber erst eine grob fahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage. Es sei daher zweifelhaft, warum bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB anders verfahren werde. Bereits der Verweis auf die BGH-Rechtspre­ chung geht jedoch fehl. Das Gericht zieht §  932 Abs.  2 BGB für die Auslegung des Verjährungsrechts nur insoweit heran, wie es um den Maßstab für grobe Fahr­ lässigkeit geht, der im Gefüge des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB für die Erkenntnis der Tatsachen relevant ist.265 Mit Blick auf den Erkenntnisgegenstand nimmt die Judi­ katur zum Verjährungsrecht hingegen keinerlei Anleihen bei §  932 Abs.  2 BGB. Das ist verständlich, weil der Wortlaut dieser Vorschrift nicht nur Umstandskennt­ nis verlangt.266 Entsprechendes lässt sich Versuchen entgegenhalten, den jeweiligen Erkenntnisgegenstand von §  819 Abs.  1 BGB und §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB anzuglei­ chen.267 Gegen einen Vergleich mit §  932 Abs.  2 BGB spricht darüber hinaus die je­ weilige Funktion der subjektiven Erfordernisse. Während es der vom Verjährungs­ 261 

Zutreffend insb. Franck, in: Immenga/Mestmäcker, §  33h GWB Rn.  20. Siehe zu diesen Regelwerken oben A. 263  Siehe dazu noch unten 4. a). 264  So und zum Folgenden Nassall, NJW 2014, 3681, 3685. 265  BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681, 684 Rn.  16. 266  So im Ergebnis auch Schefe, Modifizierungen, S.  150. 267  So verfahrend Klose, JR 2013, 185, 191. 262 

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recht angestrebten Rechtssicherheit gerade zuträglich ist, wenn der Fristlauf un­ abhängig von Fehlvorstellungen (des Gläubigers) ist, wird der von §  932 BGB intendierte Schutz des Rechtsverkehrs268 gerade gewährleistet, indem Irrtümer (des Erwerbers über die Eigentumslage) einen gutgläubigen Erwerb begründen können. 2. Erfordernis der rechtlichen „Kontextuierung“ Die vorstehenden Überlegungen bestätigen das Ergebnis, dass die rechtliche Be­ wertung durch den Gläubiger für den Verjährungsbeginn grundsätzlich irrelevant ist. Man kann allerdings den Begriff der Umstandskenntnis in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB so interpretieren, dass zumindest auch die potenzielle rechtliche Relevanz der Tatsachen erkannt (bzw. grob fahrlässig verkannt) werden muss.269 Mit Schrader lässt sich vom Erfordernis der „Kontextuierung“ sprechen.270 Es geht letzten Endes um das Vorhandensein (bzw. das vorwerfbare Fehlen) eines „Rechtsgefühls“, wel­ ches dazu veranlassen kann, Rechtsrat zu suchen.271 Der Normwortlaut ist für eine solche Interpretation zumindest offen. Die An­ forderung, dass die rechtliche Relevanz der bekannten Tatsachen ansatzweise er­ fasst werden muss, könnte eventuell gar eine Erklärung dafür liefern, warum §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB von „Umständen“ anstelle von „Tatsachen“ spricht.272 Ein Kon­ textuierungserfordernis lässt sich auch schlüssig aus den Zwecken ableiten, die nach hier vertretener Ansicht mit der Diskriminierung von Rechtsirrtümern durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB verfolgt werden. Zu Recht wird betont, dass ein Laie ohne An­ haltspunkte für einen Anspruch nicht auf den Gedanken kommen werde, Rechtsrat einzuholen – mag dieser auch theoretisch verfügbar sein.273 Gleichermaßen lassen sich wünschenswerte Anreize zur Rechtsklärung nicht setzen, wo dem Gläubiger schon das potenzielle Bestehen eines Anspruchs ohne Fahrlässigkeit verborgen bleibt. Schrader weist überdies mit Recht darauf hin, dass auch der BGH-Recht­ sprechung das Erfordernis einer Kontextuierung vereinzelt immanent scheint.274

268 

Siehe nur Schulte-Nölke, in: Hk-BGB, §  932 Rn.  2. dazu schon B. II. 1. a) und dort v. a. U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 469–470. 270 So Schrader, Wissen, u. a. S.  157. 271  Vergleiche dazu bereits §  3 A. III. 2. a) mit Fn.  182. 272  In diese Richtung Schrader, Wissen, S.  157; zur Bedeutung des Wortlauts vergleiche oben 1. a). 273  So v. a. U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 465–466, 468; auch Lakkis, in: jurisPK-­ BGB, §  199 Rn.  111; siehe bereits Büning, Verjährung, S.  38; siehe ferner J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  269 Fn.  52; Nassall, NJW 2014, 3681, 3684. Zum ansonsten gültigen Argument, Rechtsrat sei stets verfügbar, siehe oben 1. c) cc). 274  Schrader, Wissen, S.  158, v. a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544, 546 Rn.  32: Es genüge bei grundlegender Tatsachenkenntnis, dass „der Sach­ verhalt erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs bietet“ (ebenso OLG ­München, Urt. v. 31.7.2019 – 7 U 3222/18, FamRZ 2020, 293, 296; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  28). Dies geht zurück auf die Rechtsprechung zu §  852 Abs.  1 BGB a. F., siehe die ebenfalls bei Schrader, a. a. O., zitierten BGH, Urt. v. 29.6.1989 – III ZR 92/87, NJW 1990, 176, 179; BGH, Urt. v. 17.10.1995 – VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118. 269  Siehe

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a) Niedrige Anforderungen im Ausgangspunkt Es ist allerdings zu präzisieren, was unter „Kontextuierung“ zu verstehen ist bzw. wann eine solche fehlt. Das Ziel ist nicht, entgegen §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB Rechts­ kenntnis zu verlangen.275 Es soll nur sichergestellt werden, dass der Anspruchs­ inhaber ausreichend juristisch sensibilisiert ist (bzw. dies hätte sein müssen), um die potenzielle rechtliche Relevanz der ihm bekannten Tatsachen überhaupt erfassen und gegebenenfalls Rechtsrat einholen zu können. Auf den ersten Blick naheliegend erscheint das Fehlen einer solchen Kontextuie­ rung insbesondere bei bereicherungsrechtlichen Ansprüchen.276 Hier sei ohne Wei­ teres denkbar, dass der Kondiktionsgläubiger zwar den Vertrag und die Tatsache der Leistungserbringung kenne, er „aber keinerlei Anhaltspunkt dafür hat, dass er die erbrachte Leistung zurückfordern könnte, und mangels eines solchen auch nicht auf die Idee kommt und kommen muss, sich rechtlich beraten zu lassen“.277 Unter dem Aspekt einer nötigen Kontextuierung könnte sich daher auch die Lite­ raturansicht halten lassen, der zufolge Ansprüche aus §  812 BGB erst dann verjäh­ ren sollen, wenn der Gläubiger das Fehlen des Rechtsgrundes kennt bzw. kennen muss.278 Vergleichbares gilt für die Entscheidung des BGH, wonach der Beginn der Verjährung von Rückforderungsansprüchen dadurch hinausgezögert werden kön­ ne, dass der Gläubiger keinerlei Hinweise auf die unrechtmäßig hohe Bemessung des bezahlten Honorars hat.279 Tatsächlich wird sich ein Bewusstsein der potenziellen Anspruchsberechtigung in den geschilderten Situationen nicht gleichermaßen automatisch ergeben wie etwa nach deliktischen Schädigungen im Sinne des §  852 BGB a. F.280 Letzten Endes muss man aber fragen, ob das Verjährungsrecht – zulasten des Schuldners – dem Bereicherungsgläubiger eine Art „Urvertrauen“ in die Wirksamkeit vertraglicher Abreden zugestehen möchte. Zweifellos ist die Vorstellung unrealistisch, Laien hegten im Zusammenhang mit jeder Vertragserfüllung Bedenken, ob die von ihnen erbrachte Leistung tatsächlich geschuldet war.281 Dennoch sprechen die besseren Gründe dafür, auch bei Bereicherungsvorgängen in aller Regel eine hinreichende Kontextuierung anzunehmen. Von der klaren Entscheidung des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, den Rechtsirrtum zu diskriminieren, sollte abgerückt werden, soweit die ­dahinterstehende Ratio keine Geltung mehr beanspruchen kann. Das ist nur dort der Fall, wo sich eine Person in Anbetracht bestimmter Tatsachen außerhalb der Sphäre möglicher juristischer Anspruchsbeziehungen wähnen darf. Dann scheidet 275 

Das betont Schrader, Wissen, S.  158, 442, selbst. Auf einen solchen Anspruch bezog sich die soeben zitierte Entscheidung BGH, Urt. v. 23.9.­ 2008  – XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544, 546 Rn.  32; auch Schrader, Wissen, S.  157, selbst geht vornehmlich auf Kondiktionsansprüche ein. 277  U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.   453, 468; ähnlich Fahrendorf, in: Fahrendorf/ Menne­meyer, Rn.   1188; Schauf, Kenntnis, S.  118–119. 278  Diese Ansicht vertreten v. a. Klose, JR 2013, 185, 191; Lederer, AG 2019, R132, 133. 279  BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569, 3570 Rn.  16. 280  Nassall, NJW 2014, 3681, 3681; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 465–466. 281  Insoweit zutreffend Lederer, AG 2019, R132, 133. 276 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

schon bei abstrakter Betrachtung die Befassung eines Rechtsexperten aus. Den praktischen Beispielen liegen hingegen (reale oder vermeintliche) vertragliche Be­ ziehungen zugrunde, wie beispielsweise bei der Überzahlung von Architekten­ honorar282 oder einer Mietkaution 283. Der spätere Bereicherungsgläubiger ist sich dort bei der Erfüllung des (vermeintlichen) Anspruchs bewusst, in der „rechtlichen Sphäre“ zu handeln. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass er sich an einen Rechtsexperten wendet und diesen um die Prüfung der angenommenen Verbind­ lichkeit bittet. Ein solches Vorgehen wird bloß in vielen Fällen unwirtschaftlich erscheinen. Dieser Umstand ist aus Sicht von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB aber gleich­ gültig. Es muss nicht geprüft werden, ob eine Rechtserkenntnis, die an sich möglich ist, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu erlangen gewesen wäre. Eine Fahr­ lässigkeitsprüfung, bei der man dies berücksichtigen könnte, ist lediglich bezüglich der Tatsachenerkenntnis durchzuführen. Nur hinsichtlich desjenigen Gläubigers, in dessen Position praktisch niemand auf den Gedanken an das Bestehen von Rechts­ ansprüchen käme, trägt die Begründung für eine Diskriminierung von Rechts­­irrtümern von vornherein nicht. Auch die Gesetzesmaterialien und die herrschende Rechtsprechung des BGH gehen implizit davon aus, dass es bei Bereicherungsvorgängen in der Regel zu einer hinreichenden Kontextuierung kommt. So lässt sich darauf verweisen, dass der Vorschlag der Schuldrechtskommission, zwischen vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen zu differenzieren, 284 bewusst übergangen wurde: Vorgänge, die auf eigene Kosten zur Bereicherung eines anderen führten, würden dem Betroffenen in der Regel sofort bekannt.285 Der BGH gesteht zwar ein, dass sich das Bestehen ei­ nes Anspruchs gegebenenfalls „erst nach Klärung nicht immer geläufiger Rechts­ fragen ergeben“ könne; es stünden dem Gläubiger indes „zumindest drei Jahre zur Verfügung, um den Vorgang rechtlich prüfen und sich entsprechend beraten zu lassen“.286 Die Annahme einer hinreichenden Kontextuierung tritt hier deutlich zutage. Auch Schrader merkt an, dass jedenfalls bei der aktiven Tilgung einer ver­ meintlichen Schuld stets hinreichender Anlass bestehe, „darüber nachzudenken, ob [man] zur Leistung verpflichtet ist“.287 Die Bedeutung der zusätzlichen Voraussetzung einer Kontextuierung ist dem­ nach sehr begrenzt.288 Eine auf das Nötigste beschränkte Kontextuierungsprüfung dürfte gerade im Sinne der angestrebten Klarheit und Berechenbarkeit des Verjäh­

282 

So beim soeben zitierten BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569. Dort Verjährung ab Tatsachenkenntnis annehmend BGH, Urt. v. 1.6.2011 – VIII ZR 91/10, NJW 2011, 2570, 2571 Rn.  24. 284  Siehe §§  195, 198 des Entwurfs, dazu BMJ, Abschlußbericht, S.  35, 42–69. 285  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 103. Darauf weist auch BGH, Beschl. v. 19.3.­ 2008  – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8 , ausdrücklich hin. 286  BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8 . 287  Schrader, Wissen, S.  428. 288 Auch Schrader selbst fällt es offensichtlich schwer, eindeutige Beispiele dafür zu finden, wann es an der Kontextuierung fehlen soll. 283 

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rungsrechts liegen.289 Die Konsequenzen einer derart restriktiven Herangehens­ weise für den Gläubiger sind weniger einschneidend, als es zunächst den Anschein haben mag: Wo die Rechtslage bei objektiver Betrachtung praktisch aussichtslos erscheinen musste – etwa vor einer günstigen Rechtsprechungsänderung –, kann ungeachtet der zu bejahenden Kontextuierung die Annahme von Unzumutbarkeit zu einem Hinausschieben der Verjährung führen.290 Nach dem vorliegend vertrete­ nen Verständnis lässt sich auch der Ansatz, den Verjährungsbeginn unter bestimm­ ten Umständen erst mit der Beratung des (rechtlich nicht versierten) Gläubigers be­ ginnen zu lassen,291 im Regelfall nicht halten. Erfolgt der Gang zum Berater, belegt dies schließlich, dass zuvor eine hinreichende Kontextuierung stattgefunden hat. b) Besonderheiten im Bereich des europäischen Verbraucherschutzrechts Die niedrigschwelligen Anforderungen, die hier für die rechtliche Kontextuierung bevorzugt werden, könnten allerdings unter dem Einfluss des Unionsrechts teil­ weise zu modifizieren sein. Anlass zu solchen Überlegungen bietet vor allem eine aktuelle Entscheidung des EuGH zu den Folgen einer auf der Klausel-RL beruhen­ den Unwirksamkeit von AGB in Verbraucherverträgen. Der Gerichtshof befand, dass eine im rumänischen Recht vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist für resul­ tierende Rückforderungsansprüche des Verbrauchers nicht bereits mit vollständi­ ger Vertragserfüllung beginnen dürfe, da dies zum Fristablauf führen könne, „be­ vor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer Klau­ sel dieses Vertrags Kenntnis zu nehmen“.292 Sieht man hier, wie der EuGH, den Effektivitätsgrundsatz verletzt, muss man sich die Frage stellen, ob die im deut­ schen Recht immerhin vorgesehene subjektive Anknüpfung an die Umstandskennt­ nis gepaart mit einem niedrigschwelligen Erfordernis der juristischen Kontextuie­ rung ausreicht, um diesem Vorwurf zu entgehen. Eine erste Stellungnahme im Schrifttum bejaht dies im Grundsatz: Wenn ein Rechtskundiger schon im Zeit­ punkt der Leistung des Verbrauchers ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AGB-Klausel haben musste, bestehe die vom EuGH verlangte Kenntnisnahme­ möglichkeit.293 In den übrigen Fällen (in denen die Rechtslage aus Sicht eines Rechtskundigen erst nach der Leistungserbringung aussichtsreich wird), bedürfe es hingegen eines hinreichenden Anlasses – zum Beispiel in Form von Presseveröf­ fentlichungen –, um den Verbraucher, der das Geschäft für abgewickelt halte, auf die Verfügbarkeit von Rechtsrat verweisen zu können.294 289  Dies nutzt als Argument gegen eine Sonderbehandlung von Bereicherungsansprüchen im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8; vergleiche zudem Bär, Verjährung, S.  154. 290  Dazu sogleich 3. 291  Siehe oben B. II. 1. b) (vor aa)) m.N. in Fn.  49. 292  EuGH, Urt. v. 9.7.2020 – C-698/18 u. a., WM 2020, 1409, 1412–1413 Rn.  6 4–67 – SC Raiff­ eisen-­Bank u. a.; gleichsinnig zum spanischen Recht EuGH, Urt. v. 16.7.2020 – C-224/19, WM 2020, 1477, 1483 Rn.  88–91 – Caixabank u. a. 293  Piekenbrock, GPR 2020, 304, 307–308 (möglicherweise kritischer aber a. a. O., 308, unter b)). 294  Piekenbrock, GPR 2020, 304, 308.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Die skizzierte Auffassung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Möglichkeit eines Verbrauchers, von einer potenziellen Missbräuchlichkeit der Klausel zu erfah­ ren, bloß eine theoretische ist, sofern das betroffene Geschäft bereits abgewickelt ist und es an Hinweisen, die an eine breite Öffentlichkeit gerichtet sind, fehlt. Verbrau­ cher werden sich unter solchen Umständen kaum mit dem Gedanken an eine Rück­ forderung befassen. Die gleichwohl bestehende abstrakte Möglichkeit, die dem BGH grundsätzlich genügt, um die Verjährung nach Rechtsprechungs­änderungen beginnen zu lassen,295 dürfte dem EuGH unter dem Blickwinkel des Effektivitäts­ grundsatzes nicht ausreichen. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze sind also insoweit im Anwendungsbereich der Richtlinie zu korrigieren. Es fragt sich indes, ob an diesem Punkt haltzumachen ist. Auch im Fall, dass zur Zeit der Leistung aus Sicht eines Rechtskundigen bereits Anhaltspunkte für die Klauselunwirksamkeit bestehen, muss doch bezweifelt werden, ob die Möglichkeit des Verbrauchers, Rechtsrat einzuholen, eine realistische ist. Liefert allein der Umstand, dass man leistet, wirklich einen mehr als theoretischen Anlass, sich zur Wirksamkeit der AGB beraten zu lassen? Dafür, einen solchen abstrakten Anlass genügen zu lassen, sprechen ansonsten gute Gründe.296 Im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes wird man hingegen wiederum zu fordern haben, dass die potenzielle Unwirksamkeit der betroffenen Klausel bereits in einer Form thematisiert wurde, die den Durch­ schnittsverbraucher erreicht. Auch insoweit wäre also eine vorsichtige Modifizie­ rung der im rein nationalen Kontext geltenden Grundsätze angezeigt. Systemati­ sche Friktionen ergeben sich hieraus nicht. Das verjährungsrechtliche Anliegen des Schuldnerschutzes wird hier graduell verdrängt durch das in Art.  7 Abs.  1 Klausel-­ RL formulierte Ziel, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu set­ zen. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Anreize für Verbraucher, umstrittene Rechtsfragen klären zu lassen, hierdurch in nennenswertem Umfang beeinträchtigt würden. Selbst wenn dem so wäre, wäre dies im Kontext der Klausel-RL zu ver­ schmerzen. Insoweit stehen nämlich Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes zur Verfügung, die ohnehin besser geeignet erscheinen, offene Rechtsfragen klären zu lassen.297 3. Ausnahme bei Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage Die herrschende Rechtsprechung ist unter bestimmten Umständen bereit, Schwie­ rigkeiten bei der Beurteilung der Rechtslage auch über das „Kontextuierungserfor­ dernis“ hinaus zugunsten des Anspruchsinhabers zu berücksichtigen. Es gilt zu klären, ob dieses unter dem Topos der Zumutbarkeit gewählte Vorgehen gutzuhei­ ßen ist.

295 

Siehe oben B. II. 1. b) Fn.  47. Siehe soeben a). 297  Siehe näher unten §  19 B. III. 3. 296 

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a) Fehlende Überzeugungskraft der verbreiteten Kritik In einem ersten Schritt lässt sich festhalten, dass die vom Schrifttum vorgebrachten Einwände gegen die praktizierte Zumutbarkeitsprüfung allesamt bedeutsame Schwachpunkte aufweisen. aa) Überflüssigkeit wegen Erfordernis der „Kontextuierung“ Das gilt zunächst für die Auffassung, die Zumutbarkeitsprüfung erübrige sich, wenn man im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB neben Tatsachenkenntnis auch eine rechtliche „Kontextuierung“ fordere.298 In vielen Fällen einer unklaren Rechts­ lage bereitet nämlich die „Kontextuierung“ keinerlei Probleme. Der Gläubiger er­ kennt durchaus die potenzielle rechtliche Relevanz der ihm bekannten Tatsachen. Er gelangt lediglich angesichts des bestehenden Meinungsbildes zu dem Schluss, dass ein Anspruch unsicher, wenig wahrscheinlich oder gar nahezu ausgeschlossen ist. Der juristische Kontext bleibt ihm nicht verborgen. Die Begutachtung, ob den bekannten Tatsachen überhaupt ihre potenzielle Anspruchsrelevanz anzusehen war, sollte daher weder in die Unzumutbarkeitsprüfung integriert werden 299 noch diese ersetzen. bb) Schuldnerschutz und Rechtssicherheit Eher erheblich erscheint die Behauptung, Rechtssicherheit und Schuldnerschutz als Zwecke des Verjährungsrechts würden durch eine Zumutbarkeitsprüfung übermä­ ßig beeinträchtigt.300 Allerdings ist an dieser Stelle wiederum an die gesetzgeberi­ sche Grundsatzentscheidung für eine gläubigerfreundliche subjektive Anknüpfung der Regelverjährung zu erinnern:301 Schon dadurch, dass nur vorhandenes bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht vorhandenes Tatsachenwissen des Gläubigers berücksichtigt wird, lässt sich der Verjährungsbeginn im Einzelfall nicht mehr ohne Schwierigkeiten bestimmen. In nachvollziehbarer Weise betont der BGH beim Rückgriff auf die Unzumutbarkeit das gesetzgeberische Ziel, dem Gläubiger eine „faire Chance“ zur Anspruchsgeltendmachung zu gewähren.302 Es gilt auch in diesem Punkt, den für das Verjährungsrecht kennzeichnenden Balanceakt zwi­ schen Schuldner- und Gläubigerinteressen zu vollführen. Allein der einseitige Ver­ weis auf Rechtssicherheit und Schuldnerschutz kann folglich nicht begründen, wa­

298 

So aber Schrader, Wissen, S.  159–160; siehe zur Kontextuierung soeben 2. So aber im Ergebnis U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 468. 300  B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  50. 301  Siehe bereits 1. c) aa). Auch Abeling, Kenntnis, S.  36, sieht die Schwierigkeiten, die die Un­ zumutbarkeitsausnahme auslöst, als der subjektiven Anknüpfung „systemimmanent“. Hingegen geht die Kritik von Schefe, Modifizierungen, S.  106, fehl, da angesichts der Verjährungshöchstfris­ ten gerade keine ewige Haftung droht. 302  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  52; siehe auch Abeling, Kenntnis, S.  45–46; kritisch hingegen Herresthal, WM 2018, 401, 405–406. 299 

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rum das Fehlen von Rechtserkenntnismöglichkeiten des Gläubigers kategorisch außen vor bleiben soll. Konkreter ist der Einwand, die Fälle einer Unzumutbarkeit wegen unklarer Rechtslage seien kaum rechtssicher abgrenzbar.303 Der Gesetzgeber hält im Interes­ se eines berechen- und vorhersehbaren Verjährungsrechts unbillige Einzelfaller­ gebnisse gerade für hinnehmbar.304 Allerdings ist die Notwendigkeit einer im Ein­ zelfall schwierigen Grenzziehung in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB durch das Abstellen auf grob fahrlässige (Umstands-)Unkenntnis bereits angelegt.305 Das Ziel kann daher auch mit Blick auf eine mögliche Unzumutbarkeit nicht darin bestehen, jegliche Abgrenzung überflüssig zu machen. Dass im Bereich des Verjährungsrechts mög­ lichst eindeutige Kriterien für die Abgrenzung zu wählen sind, lässt sich vielmehr bei der Präzisierung der Unzumutbarkeitsschwelle berücksichtigen.306 In der Sache bringt es jedenfalls keinen Vorteil, anstelle der Zumutbarkeitsprü­ fung die Anspruchsentstehung nach §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB auf den Zeitpunkt der erstmaligen höchstrichterlichen Entwicklung neuer Ansprüche zu verschieben.307 Dieser Ansatz verfehlt das selbst gesteckte Ziel308 , eine verlässlichere Vorgabe für den Verjährungsbeginn zu machen. Nicht nur wäre der Rechtsanwender gezwun­ gen, zwischen Rechtsfortbildung und Gesetzesauslegung zu differenzieren. Auch sollen Konstellationen, in denen neue Ansprüche entwickelt werden, von solchen zu trennen sein, die lediglich die erstmalige Beurteilung hinsichtlich einzelner Tatbe­ standsmerkmale eines zuvor (abstrakt) bekannten Anspruchs betreffen.309 Die Um­ setzung führte zu beinahe beliebig erscheinenden Ergebnissen: Die erstmalige An­ erkennung einer Vertragsnichtigkeit wegen Verstößen gegen das RBerG soll bloß das Tatbestandselement eines Bereicherungsanspruchs betreffen (Folge: kein Ver­ jährungsaufschub),310 die erstmalige Annahme einer Aufklärungspflicht wird hin­ gegen mit dem Entstehen eines neuen Anspruchs gleichgesetzt (Folge: Verjährungs­ aufschub).311 Ebenso gut könnte man aber – mit umgekehrtem Ergebnis – das Beste­ hen einer Pflicht lediglich als Tatbestandsmerkmal eines (selbstverständlich schon zuvor bekannten) Anspruchs aus §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2, 311 Abs.  1 BGB bezeich­ nen. Die Differenzierung mutet besonders seltsam an, wenn zuvor noch die Ver­ gleichbarkeit von Schadensersatz- und Bereicherungsansprüchen betont wird.312 303  So AG Köln, Urt. v. 22.6.2015 – 142 C 641/14, ZIP 2015, 2113, 2115–2116; Bitter, JZ 2015, 170, 174; Herresthal, WM 2018, 401, 406–407; Otto, VersR 2009, 760, 763; Wardenbach, BB 2015, 2, 5; im Zusammenhang mit der Hemmung nach §  206 BGB ähnlich Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  8. 304  Vergleiche Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 96. 305  Das gestanden schon Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 306, selbst ein („gewis­ ses Element der Unsicherheit“). 306  Dazu unten II. 307  Bär, Verjährung, S.  171; siehe dazu schon B. I. 308  Siehe insb. Bär, Verjährung, S.  163, 214–215. 309 Siehe Bär, Verjährung, S.  192–193, 194, 196, 198. 310  Bär, Verjährung, S.  198, 204. 311  Bär, Verjährung, S.  187. 312  So noch Bär, Verjährung, S.  134.

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Statt hier auf §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB auszuweichen und neue Abgrenzungsschwie­ rigkeiten heraufzubeschwören, lassen sich besser die vorhandenen Defizite der Un­ zumutbarkeitsprüfung beheben. Weitere Argumente, die im Kern auf eine unzulässige Beeinträchtigung der Schuldnerbelange durch die Unzumutbarkeitsprüfung verweisen, lassen sich eben­ so entkräften. Soweit im Schrifttum auf eine vermeintliche Gefahr von Manipula­ tionen des Verjährungsbeginns durch Untätigkeit des Gläubigers verwiesen wird, die bei Annahme von Unzumutbarkeit drohe,313 wird verkannt, dass solchen Ge­ fahren schon durch die Objektivierung der Zumutbarkeitsprüfung314 hinreichend Rechnung getragen wird. Zusätzlich wird vereinzelt angeführt, der Schuldner müs­ se sich im Prozess zum Bestehen des Anspruchs widersprüchlich äußern:315 Er müsse argumentieren, ein Anspruch des Gläubigers bestehe nicht, doch sei – falls das Gericht dies anders sehe – das Bestehen des Anspruchs von vornherein un­ zweifelhaft gewesen. Hier wird eine prozessrechtliche Problematik angedeutet, wo allenfalls eine psychologische besteht. Schon für widersprüchliche Tatsachen­ behauptungen ist anerkannt, dass kein Verstoß gegen §  138 Abs.  1 ZPO vorliegt, wenn der Vortrag im Eventualverhältnis angeordnet wird und die Partei nicht von der Unwahrheit überzeugt ist.316 Für die Äußerung zur Rechtslage kann erst recht nichts anderes gelten.317 Das Gericht hat ausgehend von dem Grundsatz „iura novit curia“ die Rechtslage unabhängig von den Parteiausführungen zu erkennen.318 Der primäre Vortrag der Ansicht, es bestehe kein Anspruch, zieht daher keine Rechts­ nachteile nach sich. cc) Gesetzgeberischer Wille Eine nähere Auseinandersetzung verdient das auf Systematik wie Normgenese ab­ zielende Argument, der Gesetzgeber habe im Rahmen der Schuldrechtsmoderni­ sierung ausdrücklich die Rechtsprechung gebilligt, wonach eine Verjährungshem­ mung wegen höherer Gewalt in Fällen der Rechtsprechungsänderung nicht in Be­ tracht komme.319 Dieser Einwand lässt sich nicht ohne Weiteres von der Hand weisen. Er könnte auf Fälle der bloßen Rechtsunsicherheit erst recht zu übertragen sein.320 Die Bedenken sind jedoch zu entkräften. Dem Gesetzgeber der Schuld­ 313  Dies als Argument für eine Begrenzung der Unzumutbarkeitsfallgruppe nennend Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29. 314  So verfährt die Rechtsprechung gerade, wenn sie auf die Perspektive des rechtskundigen Dritten abstellt, siehe oben B. II. 1. b) (vor aa)). 315 So Herresthal, WM 2018, 401, 408. 316  BGH, Urt. v. 25.1.1956 – V ZR 190/54, BGHZ 19, 387 = NJW 1956, 631; BGH, Urt. v. 10.1.­ 1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; Wöstmann, in: Hk-ZPO, §  138 Rn.  2. 317  §  138 Abs.  1 ZPO ist insoweit schon nicht einschlägig, siehe Anders, in: Baumbach/Lauter­ bach, §  138 Rn.  14; Fritsche, in: MüKo-ZPO, §  138 Rn.  2. 318  Siehe oben §  3 A. II. 1. 319  Siehe B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  6 4 unter Verweis auf Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/­ 6040, 119. 320  Vergleiche etwa Bär, Verjährung, S.  147.

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rechtsreform stand bei seiner Entscheidung für die neuen Verjährungsregeln nicht nur die gläubigerfeindliche Rechtsprechung zur Hemmung wegen höherer Gewalt vor Augen. Vielmehr hatte der BGH bereits vor der Reform in mehreren Entschei­ dungen den Verjährungsbeginn nach §  852 BGB a. F. wegen einer Unzumutbarkeit der Klageerhebung bei undurchsichtiger Rechtslage hinausgeschoben.321 Man wird dem Gesetzgeber, der mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bewusst an das Vorbild der frühe­ ren deliktsrechtlichen Sondervorschrift anknüpfte, in Abwesenheit gegenläufiger Aussagen unterstellen können, dass er eine Fortführung der letztgenannten Judika­ tur nicht verhindern wollte.322 Diesem Ergebnis wird entgegenhalten, was schon bei der Hemmung nach §  206 BGB, die sich lediglich auf die letzten sechs Monate der Frist beziehe, nicht zuguns­ ten des Gläubigers zu berücksichtigen sei, könne erst recht nicht zu einem Hinaus­ schieben des Verjährungsbeginns führen.323 Das implizierte Stufenverhältnis zwi­ schen §  206 BGB und §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB besteht jedoch nicht. Das Hinaus­ schieben des Fristbeginns kann für den Anspruchsinhaber die schwächere Variante gegenüber einer Lösung über §  206 BGB sein. So wird eine erst nach Verjährungs­ beginn eintretende Rechtsunsicherheit im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB für unbeachtlich gehalten.324 Auch würde eine Lösung über §  206 BGB den Ablauf der objektiv anknüpfenden Höchstfristen hemmen.325 Im Ergebnis kann den Ausfüh­ rungen des Gesetzgebers zu §  206 BGB daher keine Anwendungssperre für eine Unzumutbarkeitsprüfung im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB entnommen werden. Nur eine Lösung über §  206 BGB scheidet aus.326 dd) Bevorzugung des späten Klägers Unproblematisch erscheint letzten Endes auch, dass die Unzumutbarkeitsjudikatur in ihrem Anwendungsfeld den „späten“ gegenüber dem „frühen“ Kläger privile­ giert.327 Es handelt sich dabei nicht um ein spezielles Gerechtigkeitsproblem der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeitsfallgruppe.328 Im Nachteil ist nicht nur derjenige, der seinen vermeintlichen (damals noch nicht gerichtlich anerkannten) Anspruch sofort nach dessen Entstehung (im Zeitpunkt t) geltend gemacht hat, 321  Siehe insb. BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; zur früheren Annahme verjährungsrechtlicher Unzumutbarkeit insb. im Amtshaftungsrecht (aber auch außer­ halb dessen: BGH, Urt. v. 17.10.1995 – VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118) siehe oben B. II. 1. b) Fn.  46. 322  So BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  53; a. A. Schefe, Modifizierungen, S.  92–93. 323  Siehe zu diesem Argument B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  63. 324  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716 Rn.  45; zustimmend BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  15, juris; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  135; Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  26. 325  Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  135.2; Piekenbrock, in: JbJZ 2001, S.  309, 324; dies für unbeachtlich haltend Schefe, Modifizierungen, S.  95–96. 326  Siehe unten IV. 327  So aber die Kritik bei B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  58. 328  So im Ergebnis auch Abeling, Kenntnis, S.  51.

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gegenüber demjenigen, der bis zu einem Umschwung der Rechtsprechung (etwa im Zeitpunkt t+9) zugewartet hat. Ohne Erfolg bleiben auch all diejenigen, die einen vergleichbaren Anspruch schon zuvor (beispielsweise im Zeitpunkt t–10) erworben haben und in der Hoffnung auf dessen Anerkennung die Maximalverjährungsfrist ausgereizt haben (bis zum Zeitpunkt t–1), bevor sie – erfolglos – Klage erhoben haben. Ihnen kommt die Unzumutbarkeitsfallgruppe trotz des langen Zuwartens nicht zugute. Es handelt sich dabei um einen generellen Ausfluss der Maximal­ verjährungsfristen bzw. – sofern eine Klage rechtskräftig abgewiesen wurde – des Instituts der Rechtskraft.329 ee) Unzulässige Ausdehnung der Unzumutbarkeitsrechtsprechung über Fallgruppe der zweifelhaften Passivlegitimation hinaus Vorbehalten begegnet auch der Einwand, die Rechtsprechung überdehne den An­ wendungsbereich der Unzumutbarkeitsfallgruppe, die im Ausgangspunkt nur für die Unsicherheit über den Anspruchsgegner geschaffen worden sei.330 Richtig ist, dass die Unzumutbarkeitsausnahme im Wesentlichen mit Bezug zur Kenntnis der Person des Schädigers (§  852 Abs.  1 BGB a. F.) entwickelt wurde.331 Damit ist jedoch nicht gesagt, dass keine Sachgründe dafür bestehen, diese Maßstäbe auf weitere Konstellationen auszudehnen. Relevanz könnte der historischen Abfolge allenfalls insofern zukommen, als sich anführen ließe, der Gesetzgeber der Schuldrechts­ modernisierung habe nur die bis zum Reformzeitpunkt anerkannten Ausnahmen in seinen Willen aufgenommen. Allerdings erweist sich bereits die Prämisse, die Rechtsprechung zur Unzumutbarkeit sei auf die Fälle einer Ungewissheit über den Schuldner beschränkt gewesen, als falsch.332 Fragwürdig ist jedenfalls die Annah­ me, erst die BGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2014 habe die Unzumutbarkeit „erstmals über personelle Ungewissheiten hinaus […] erstreckt“.333 Dies widerlegen bereits die vom BGH 2014 zitierten Nachweise.334 Es erscheint überdies zweifel­ haft, Entscheidungen, die einen Verjährungsaufschub wegen Unzumutbarkeit er­ 329  Vergleiche auch BGH, Urt. v. 6.5.1957 – III ZR 202/56, NJW 1957, 1595, 1597: Soweit mo­ niert werde, es komme „innerhalb des Kreises der Gläubiger zu einer ungerechtfertigten Bevorzu­ gung der später klagenden Anspruchsberechtigten, so ist […] [dies] eine in der Begrenzung des menschlichen Erkenntnisvermögens liegende Folge“. Zur Rolle der Rechtskraft siehe noch unten §  8 C. I. 330  So aber die Kritik bei B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  68 f. 331 Siehe nur Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §   199 Rn.  61a; die Unzumutbarkeitsprüfung ausdrücklich auf die in §  852 BGB a. F. vorausgesetzten Erkenntnisgegenstände beschränkend noch BGH, Urt. v. 20.10.1959 – VI ZR 166/58, NJW 1960, 380, 381; tendenziell auch BGH, Urt. v. 6.11.1973 – VI ZR 199/71, VersR 1974, 197, 198. 332  So auch Abeling, Kenntnis, S.  59–60; Bartlitz, ZBB 2014, 233, 237; Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 411; vergleiche zudem Bär, Verjährung, S.  119. 333  So aber Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 8; in dieselbe Richtung Edelmann, BB 2019, 1554, 1554 (der BGH habe die „Büchse der Pandora“ geöffnet). 334  Siehe BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

wogen, in casu aber ablehnten, die Relevanz abzusprechen.335 Derartige Entschei­ dungen deuten vielmehr auf eine prinzipielle Bereitschaft zur Berücksichtigung solcher Aspekte hin. Zumeist ausgeblendet wird zudem, dass bereits in der reichs­ gerichtlichen Judikatur der Sache nach eine Erstreckung der Zumutbarkeitsrecht­ sprechung auf andere Fälle als die der Ungewissheit über den Passivlegitimierten angenommen wurde.336 Auch in inhaltlicher Hinsicht lassen sich keine Gründe für eine Beschränkung gerade auf Fälle der Ungewissheit über den richtigen Anspruchsgegner ausma­ chen.337 Anders als §  852 BGB a. F., zu dem die Unzumutbarkeitsrechtsprechung ursprünglich entwickelt wurde, nimmt §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nunmehr alle an­ spruchsbegründenden Umstände in Bezug. Der Hinweis, nur die Person des Schuldners werde im Wortlaut von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gesondert erwähnt,338 geht daher fehl. Bezieht man die geforderte Kenntnis der „Person des Schuldners“ hingegen ausschließlich auf die Personalien,339 handelt es sich bei der Rechtsfrage nach dem richtigem Passivlegitimierten schlicht um ein Problem der Rechtser­ kenntnis, für das dieselben Grundsätze gelten müssen wie im Übrigen.340 b) Maßgeblicher Kritikpunkt: Fehlen eines gesetzlichen Bezugspunkts Die Kritik an einer vermeintlich unzulässigen Ausdehnung der Zumutbarkeits­ rechtsprechung über die Fälle der fraglichen Passivlegitimation hinaus vermag zwar im Detail nicht zu überzeugen. Sie befindet sich gleichwohl auf der richtigen Spur. Tatsächlich wird die im Grundsatz gebotene Unzumutbarkeitsprüfung verbreitet in Bereiche übertragen, in denen es dafür an einer Rechtfertigung fehlt. Die etablierte Formel, die auf die Zumutbarkeit einer Klage abstellt, dient im Ausgangspunkt zur näheren Charakterisierung der Kenntnis, welche §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB mit Blick auf die anspruchsbegründenden Umstände (und die Person des Schuldners) fordert.341 Sie konkretisiert mit anderen Worten die erforderliche Tatsachenkenntnis. In diesem Kontext hat die Formel tatsächlich ein sinnvolles 335  So vorgehend indes Herresthal, WM 2018, 401, 402–403, ähnlich Bitter, JZ 2015, 170, 173 Fn.  38. 336  Siehe RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 20–21, wo eine Erforderlichkeit von Rechtskenntnis bei „sehr verwickelten und zweifelhaften“ Rechtslagen allgemein – ohne Bezug auf die Person des Schuldners – in Betracht gezogen wurde (ohne den Begriff der „Zumutbar­ keit“); so auch die Deutung der Entscheidung durch Bär, Verjährung, S.  113; dies verkennt Schefe, Modifizierungen, S.  86. 337  Siehe auch Bartlitz, ZBB 2014, 233, 237. 338  So aber die Kritik bei B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  70. 339  Siehe oben B. II. 2. a) mit Fn.  131; siehe zudem unten 4. b). 340  In diesem Sinne auch Abeling, Kenntnis, S.  60. 341  Die Zumutbarkeit als Teil der Kenntnisdefinition im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nutzend z. B. Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  28; Mansel, in: Jauernig, §  199 Rn.  2; Mansel/ M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  65; der Sache nach auch Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  22. Eben (nur) darauf bezieht sich im Ausgangspunkt auch die oben bei B. II. 1. b) Fn.  42 ­zitierte Rechtsprechung.

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Anwendungsfeld.342 Insbesondere lässt sich damit präzisieren, in welchem Umfang Tatsachen bekannt sein müssen: Für eine zumutbare Schadensersatzklage nach ­einem Unfall bedarf es nicht bloß der Personalien des gegnerischen Fahrers und Halters, sondern auch hinreichenden Wissens zum Unfallhergang.343 Andererseits benötigt der Gläubiger nicht die Kenntnis aller Einzelumstände, um eine Klage schlüssig begründen zu können.344 Außerdem dient die Formel beispielsweise dazu, (zulasten des Gläubigers) die Feststellung der Kenntnis vom Vorhandensein hin­ reichend sicherer Beweismittel zu trennen.345 Die herrschende Auffassung deutet die Zumutbarkeit der Klageerhebung indes als „übergreifende[] Voraussetzung für den Verjährungsbeginn“.346 Unter Verweis auf diese Verallgemeinerung vermag sie sodann zu begründen, warum auch bei ei­ ner objektiv ungünstig erscheinenden Rechtslage die Verjährung infolge Unzumut­ barkeit nicht zu laufen beginnen soll. An dieser Stelle unterläuft ein entscheidender Fehler. Der auf die Überschaubarkeit der Rechtslage erstreckten Zumutbarkeits­ prüfung fehlt es an einem gesetzlichen Bezugspunkt. Gemäß §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB muss Umstandskenntnis vorliegen. Diese wird mithilfe der Zumutbarkeits­ formel näher definiert. Dagegen verzichtet der Wortlaut des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB – mit guten Gründen 347 – darauf, auch Erkenntnisse hinsichtlich der Rechtslage zu fordern. Die auf eine unzumutbare Verworrenheit der Rechtslage bezogene Unzu­ mutbarkeitsprüfung findet folglich in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB keinen Anknüp­ fungspunkt. Ebendieser Zusammenhang wird auch von einigen Vertretern der Kri­ tik im Ansatz erkannt, wenn betont wird, die gängige Unzumutbarkeitsprüfung gerate in Widerspruch zu der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers, in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nur die Kenntnis der Umstände zu fordern.348 Die Zumut­ barkeitsformel kann zwar dazu dienen, die (erforderliche) Tatsachenkenntnis zu charakterisieren, nicht aber die (nicht erforderliche) Rechtskenntnis. Es würde ein 342  Siehe exemplarisch BGH, Urt. v. 6.2.1986 – III ZR 109/84, BGHZ 97, 97 = NJW 1986, 2309, 2312, wo keine rechtliche Verworrenheit vorlag. 343  BGH, Urt. v. 25.11.1969 – VI ZR 100/68, NJW 1970, 326, 326; BGH, Urt. v. 31.10.1989 – VI ZR 84/89, NJW-RR 1990, 222, 223; ähnlich zum im Detail noch unbekannten Ablauf eines vermeintlich begangenen Betrugs BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 336/93, NJW 1994, 3092, 3093. 344  Siehe etwa BGH, Urt. v. 18.1.1994 – VI ZR 190/93, NJW 1994, 1150, 1151–1152 m. w. N.; BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 336/93, NJW 1994, 3092, 3093; BGH, Urt. v. 7.7.2011 − III ZR 90/10, NJOZ 2011, 2087, 2089 Rn.  16; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  65; Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  22. 345  Siehe etwa BGH, Urt. v. 3.6.2008 – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576, 2579 Rn.  28; BGH, Urt. v. 7.7.2011 − III ZR 90/10, NJOZ 2011, 2087, 2089 Rn.  16; vergleiche auch Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  65; Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  22. 346  Siehe oben B. II. 1. b) m.N. in Fn.  4 4. 347  Dazu oben 1. 348 So Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2083; Herresthal, WM 2018, 401, 405; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c. Letztgenannte weisen in diesem Kontext auch darauf hin, dass offenbar die Formel von der Möglichkeit einer klageweisen Geltendmachung Verwirrung stifte. Der Hin­ weis, dadurch solle allein die von §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB geforderte Anspruchsentstehung erfasst werden, begegnet indes angesichts der vorstehend aufgezeigten Bedeutung für die Kenntnisdefi­ nition Bedenken.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Phantom umschrieben. Im Schrifttum wird prinzipiell zutreffend formuliert, §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB wolle „den Zeitpunkt markieren, in dem die Klage zumutbar ge­ worden ist“.349 Für diese Zwecke bedient sich die Vorschrift aber explizit nur des Erfordernisses der Tatsachenkenntnis. Dies gilt es, im Grundsatz hinzunehmen und nicht durch eine (für die Tatsachenkenntnis passende) Prüfung der rechtlichen Erfolgsaussichten zu konterkarieren.350 Der „Sündenfall“ ist damit nicht erst in der Übertragung der Unzumutbarkeits­ rechtsprechung auf solche Rechtsfragen zu erblicken, die nicht die Person des Pas­ sivlegitimierten betreffen. Er liegt vielmehr darin, dass der herrschende Unzumut­ barkeitsmaßstab überhaupt auf rechtliche Fragen angewandt wird.351 Möglicher­ weise beruht die Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Punkt schlicht auf einem unglücklichen Zufall. In einer der ersten reichsgerichtlichen Entscheidungen zu der Thematik hätte es nämlich der Annahme, zur verjährungsauslösenden Kenntnis könne auch eine „gewisse Rechtskenntnis“ zählen, gar nicht bedurft.352 Hat, wie im zugrunde liegenden Sachverhalt, der Geschädigte nicht bemerkt, dass die unfallauslösende Dunkelheit auch vom Ausfall einer von der Gemeinde betrie­ benen Straßenlaterne mitverursacht wurde,353 fehlt bereits die hinreichende Tatsa­ chenkenntnis.354 Auch die erste einschlägige Entscheidung des BGH hätte die dort geforderte „einigermaßen sichere[] Aussicht auf Erfolg“ einer Schadensersatzklage des Gläubigers wohl schon am fehlenden Faktenwissen scheitern lassen können.355 Letzten Endes stellt die Verneinung des Verjährungsbeginns wegen einer nicht hinreichend günstig erscheinenden Rechtslage in ihrem derzeitigen Format eine unzureichend begründete Übernahme des Maßstabs dar, der zur Definition von Tatsachenkenntnis dient. Darauf sollte verzichtet werden. Damit ist nicht gesagt, dass eine Anwendung von Zumutbarkeitsgedanken auf Fälle rechtlicher Zweifel per se ausscheidet. Sie muss allerdings eigenständig hergeleitet werden und kann folglich zur Anwendung abweichender Maßstäbe führen. c) Eigener Begründungsansatz für eine Unzumutbarkeit wegen objektiv ungünstig erscheinender Rechtslage Ein solcher Versuch der „autonomen“ Herleitung einer Unzumutbarkeitsausnahme für die Fälle einer negativ erscheinenden Rechtslage soll im Folgenden unternom­ 349 

Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  71. Siehe auch Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c. 351  So spätestens bei RG, Urt. v. 15.1.1938 – VI 190/37, RGZ 157, 14, 20; wohl auch schon bei RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283, das wiederum u. a. auf RG, Urt. v. 6.3.­ 1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61–64, verweisen konnte. 352  So aber RG, Urt. v. 6.3.1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61, 63. 353  RG, Urt. v. 6.3.1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61, 64. 354  Dies übersieht Frede, Rechtsirrtum, S.  75. 355  BGH, Urt. v. 9.6.1952 – III ZR 128/51, BGHZ 6, 195, 202, erwähnt (neben der Zumutbar­ keitsproblematik), dass es der Gläubigerin „vor der Einsicht in die Strafakten […] nicht möglich war, die für eine erfolgversprechende Klage erforderlichen tatsächlichen Unterlagen zu gewinnen“ (Herv. d. Verf.). 350 

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men werden. Ein überzeugendes Modell hat von der Wertung zulasten rechtlich Irrender auszugehen, wie sie in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zutage tritt. Ausscheiden muss dabei von vornherein eine Deutung der Unzumutbarkeit als Vertrauensschut­ zinstrument zugunsten des Gläubigers.356 Zwar kann der Rechtsirrtum grundsätz­ lich bei der Bewältigung der Vertrauensenttäuschung infolge Rechtsprechungs­ änderungen helfen.357 In den vorliegend interessierenden Fällen wird aber nicht Vertrauen in eine vermeintliche günstige Rechtslage nachträglich enttäuscht (Prob­ lem des Art.  20 Abs.  3 GG). Geschützt wird vielmehr die materielle Rechtsposition des Gläubigers, die erst mit Verspätung erkennbar geworden ist. Die verfassungs­ rechtlichen Implikationen betreffen hier Art.  14 GG. Dessen Schutz genießt der Anspruch des Gläubigers.358 Es erscheint als Gebot der Gerechtigkeit, die „Ent­ eignung“ durch Verjährung359 grundsätzlich nur dort eintreten zu lassen, wo der Gläubiger eine „reelle Chance“360 hatte, seinen Anspruch zu realisieren.361 aa) Weitgehende Kompatibilität mit der Anreizbetrachtung Dass rechtliche Zweifel des Gläubigers für den Beginn der Regelverjährung gleich­ wohl als unerheblich anzusehen sind, liegt nach hier vertretener Auffassung darin begründet, dass Anreize zur Klärung der Rechtslage gesetzt werden sollen. Diese sachliche Rechtfertigung erscheint indes zweifelhaft, soweit die Schlechterstellung rechtlicher Fehlvorstellungen von vornherein keine Klärungsanreize zu setzen ver­ mag. Das Hinausschieben des Verjährungsbeginns unter Zumutbarkeitsgesichts­ punkten betrifft weitgehend diesen „anreizfreien“ Bereich. Die Grenze möglicher Anreizwirkungen verläuft in der Theorie an dem Punkt, an dem die Erfolgsaus­ sichten einer Klage derart gering sind, dass die Multiplikation mit dem Wert des Anspruchs zu einem niedrigeren Betrag führt als das Produkt von Verlustrisiko und der im Verlustfall drohenden Prozesskostenbelastung.362 Die gerichtliche Pra­ xis verfährt – ohne dies explizit auszusprechen – im Einklang mit dieser Überle­ gung, wenn sie Unzumutbarkeit dort annimmt, wo auch ein rechtskundiger Dritter keine hinreichenden Erfolgsaussichten gesehen hätte. Diese Feststellung verliert ihre Berechtigung auch nicht durch den Befund, dass sich gelegentlich Kläger fin­ 356 

So im Ergebnis auch Schefe, Modifizierungen, S.  105. Siehe oben §  5 C. III. 3. 358  Siehe oben B. II. 1. b) aa) und dort v. a. BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  52. 359  Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 104; siehe auch Begr. SchuldRModG-E, BTDrs. 14/6040, 100 („de facto […] Forderungsverlust“), sowie Abeling, Kenntnis, S.  46. 360  Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 288; auch Abeling, Kenntnis, S.  46; Mansel/­ M. Stürner, in: NK-BGB, §  202 Rn.  26; zum Synonym der „fairen Chance“ siehe oben B. II. 1. b) aa) mit Fn.  54. 361 Vergleiche allgemein Oetker, Verjährung, S.   55–56: Der Verjährungslauf erscheine nur dann gerecht, wenn wenigstens bei typisierender Betrachtung für den Gläubiger die Möglichkeit einer rechtzeitigen Rechtsausübung bestanden habe; zustimmend Mansel, in: Zivilrechtswissen­ schaft, S.  333, 351; vergleiche ferner R. Zimmermann, JZ 2000, 853, 865. 362  Siehe näher dazu unten §  19 B. II. 1. (dort auch zu Faktoren, die für ein realitätsnahes Bild zusätzlich zu berücksichtigen wären). 357 

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den, die selbst bei geringen Erfolgsaussichten zur Tat schreiten, etwa wegen ange­ strebter Präzedenzeffekte.363 Als Beispiel lässt sich auf Klagen von Verbraucher­ schutzverbänden gegen Klauselwerke verweisen, die trotz ungünstiger höchstrich­ terlicher Rechtsprechung erhoben wurden.364 In solchen Fällen besteht unabhängig von der Verjährungsandrohung ein hinreichend hoher Klageanreiz. Das Risiko, durch das Hinausschieben der Verjährung wegen Unzumutbarkeit einen Fehlan­ reiz zu setzen, ist folglich gering. Festzuhalten bleibt, dass das identifizierte Anreizmodell nicht nur die prinzipi­ elle Diskriminierung des Rechtsirrtums durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, sondern auch die anerkannten Ausnahmen weitgehend zu erklären vermag. Das kommt an­ satzweise auch in der Formulierung zum Ausdruck, eine Klageerhebung sei dem potenziellen Gläubiger zumutbar, weil der Prozess der Klärung von Rechtsfragen diene.365 Theoretisch nicht gänzlich auszuschließen ist allerdings die Existenz von Fallgestaltungen, in denen ohne die Unzumutbarkeitsausnahme ein hinreichender Anreiz zur zeitnahen Geltendmachung bestanden hätte. Bei isolierter Fixierung auf die Anreizeffekte könnte man daher argumentieren, auf die Unzumutbarkeits­ ausnahme sei besser ganz zu verzichten, um in jedem denkbaren Fall sicherzustel­ len, dass vorhandene Anreize nicht beeinträchtigt werden. Dem lässt sich allerdings im Folgenden entgegentreten. bb) Normative Zumutbarkeitsgrenze aus dem Prozesskostenhilferecht Für die Gewährung der Unzumutbarkeitsausnahme kann auf eine handfeste nor­ mative Wertung verwiesen werden. Diese hält das Zivilprozessrecht in Gestalt von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO bereit. Die Norm verlangt für die Gewährung von Prozess­ kostenhilfe hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Die Verbindung zur verjährungsrechtlichen Zumutbarkeitsprüfung wird bislang nur vereinzelt erkannt. So hat jüngst das BVerwG die Zumutbarkeit (auch) mit dem Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von §  114 ZPO begründet.366 Im Schrifttum weist vor allem Piekenbrock auf den Zusammenhang hin.367 §  114 ZPO stelle, ähnlich dem Zumutbarkeitserfordernis im Verjährungsrecht, einen Ausgleich zwischen den Interessen von Kläger und Beklagtem (bzw. Gläubiger und 363  Vergleiche allgemein Baer, Rechtssoziologie, §  7 Rn.  27, 37 (u. a. zur strategischen Prozess­ führung); Bydlinski, JBl 2001, 2, 9 (zur fehlenden Anreizhemmung in solchen Fällen); Landes/ Posner, J. Legal Stud. 8 (1979), 235, 260. 364 Vergleiche Herresthal, WM 2018, 401, 408; Wardenbach, BB 2015, 2, 9. Bezeichnenderweise lag auch der grundlegenden Entscheidung BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 = NJW 2014, 2420, eine Verbandsklage nach dem UKlaG zugrunde. 365  In diesem Sinne formulieren v. a. die oben bei 1. c) dd) Fn.  241 Genannten. 366  BVerwG, Urt. v. 16.6.2020 – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1764 Rn.  31. 367  Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1358–1359; anschließend Piekenbrock, LMK 2016, 376136; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  136; ablehnend Schefe, Modifizierun­ gen, S.  101–102 (unter Postulation einer Trennung zwischen materiellem Recht und Aspekten der prozessualen Durchsetzung, soweit die Frage des Verjährungsbeginns betroffen ist, vergleiche a. a. O., S.  294–296).

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Schuldner) her.368 Ergänzend wird auf §  204 Abs.  1 Nr.  14 BGB verwiesen,369 wo­ nach die Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags die Verjäh­ rung hemmt. Normativ geboten erscheint der Rückgriff auf den Maßstab des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO jedoch eher aus einem anderen Grund:370 Das Recht auf Prozesskostenhilfe sichert Werte bzw. Positionen von Verfassungsrang ab.371 Der Gedanke, die Rechts­ schutzmöglichkeiten von „Arm“ und „Reich“ weitgehend anzugleichen, fand schon im Armenrecht nach der ursprünglichen Fassung der CPO seinen Aus­ druck.372 Die finanzielle Schwäche des Einzelnen darf ihm den Zugang zu Gerich­ ten nicht versperren, wo in gleicher Situation ein finanziell Bessergestellter eine Klage vernünftigerweise in Betracht zöge.373 Vor diesem Hintergrund wäre es in hohem Maße widersprüchlich, dem potenziellen Gläubiger zwar wegen fehlender Erfolgsaussichten Prozesskostenhilfe zu versagen, ihn aber zugleich darauf zu ver­ weisen, er hätte durch Klageerhebung die Verjährung verhindern können. Die Schutzzwecke des Prozesskostenhilferechts legen in solchen Fällen die Anerken­ nung einer verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit nahe.374 Von einem so gelager­ ten Zusammenhang geht, jedenfalls im Ansatz, offenbar auch eine frühe Entschei­ dung des BGH aus. Sie formuliert zum damaligen Armenrecht, der Gläubiger er­ lange durch die Bewilligung selbst bei vorher bestehenden Rechtszweifeln stets hinreichende Kenntnis im Sinne des §  852 Abs.  1 BGB a. F., sodass ihm eine Klage zugemutet werden könne.375 Auf die Unzumutbarkeitsprüfung heutiger Prägung übertragen, sollte man zwar nicht von einer Kenntniserlangung durch Bewilligung der Prozesskostenhilfe sprechen. Doch lässt sich sagen: Wenn Prozesskostenhilfe tatsächlich gewährt wird, bedeutet dies zugleich, dass hinreichende Erfolgsaussich­ ten der Klage bestehen und diese somit zumutbar ist.376 Man könnte nun erwägen, das aus dem Prozesskostenhilferecht gewonnene Ar­ gument auf solche Gläubiger zu beschränken, die bedürftig im Sinne der §§  114 ff. ZPO sind. Tatsächlich ergibt sich der verfassungsrechtliche Anlass zur Übertra­ gung des Maßstabs auf das Verjährungsrecht nur in diesen Fällen. Allerdings spre­ 368 

Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1358–1359. Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1359. 370 Eine Bedeutung von §   204 Abs.  1 Nr.  14 BGB ablehnend auch Schefe, Modifizierungen, S.  101–102. 371  Dazu oben §  3 A. III. 2. a) m.N. 184. 372  Siehe zu diesem Motiv Hahn, Materialien II, S.  206. 373  Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  87 Rn.  32; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  52. Der Unbemittelte sei einem solchen Bemittelten gleichzustellen, „der seine Aussichten vernünftig ab­ wägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt“, BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/­ 06, BVerfGE 122, 39 = NJW 2009, 209, 210 Rn.  31 m. w. N. (siehe dazu bereits oben §  3 A. III. 2. a)). 374  Zutreffend erkannt von Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  136. Schutz erfährt der bedürftige Gläubiger zunächst über §  204 Abs.  1 Nr.  14 BGB (Hemmung nach Prozesskostenhilfe­ antrag). Anschließend kann die Unzumutbarkeit allerdings auch für ihn eine Rolle spielen (ver­ gleiche auch Otto, Bestimmung, S.  172). 375  BGH, Urt. v. 9.6.1958 – III ZR 54/57, VerwRspr 1958, 969, 971. 376  So auch Abeling, Kenntnis, S.  57–58. Vorliegend geht es allerdings darüber hinaus um sämt­ liche Fälle – unabhängig davon, ob Prozesskostenhilfe tatsächlich beantragt (und bewilligt) wurde. 369 

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chen gute Gründe für eine generelle Heranziehung der Anforderungen, wie sie §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO an die Erfolgsaussichten stellt. Der erste Grund ist prakti­ scher Natur: Ansonsten müsste im Rahmen eines Streits um den Verjährungslauf stets rückblickend überprüft werden, ob der Gläubiger durchgängig die persön­ lichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt hat. Schon für das eigentliche Prozesskostenhilfeverfahren wird aber kritisiert, dass es „durch pedantische Berechnungsvorschriften […] zu einer aufwendigen und zeit­ raubenden Angelegenheit werden […] kann [und] die chronisch überlastete Justiz von ihren eigentlichen Aufgaben abhält“.377 Das würde bei einem Transfer in das Verjährungsrecht umso stärker gelten. Hinzu tritt ein zweites Argument: §  114 ZPO trifft notwendigerweise eine Abwägung zwischen dem Nutzen einer Prozess­ führung und den dafür aus der Staatskasse aufzubringenden Kosten. Es ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, Prozesskostenhilfe an die Erfolgsaussichten zu koppeln.378 Der „Nutzen“ eines Prozesses schließt dabei denkbare positive Effekte für die Rechtsklärung und -fortbildung ein, welche ohne die Unterstützung des Bedürftigen nicht eintreten würden.379 Damit ist just das Motiv angesprochen, aus dem nach hier vertretener Auffassung §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB potenzielle Gläubiger trotz zweifelhafter Rechtslage zur Anspruchsverfolgung drängt. §  114 Abs.  1 ZPO moderiert demnach gerade den generellen Konflikt zwischen dem (auch aus Sicht der Allgemeinheit bestehenden) Interesse an einer Befassung der Gerichte und den damit (auch für die Allgemeinheit) einhergehenden Kosten. Die Wertung der Norm lässt sich daher generalisieren und ist ebenso zu berücksichtigen, wo die An­ spruchsgeltendmachung eigenfinanziert erfolgt.380 Es erscheint plausibel, die hin­ reichenden Erfolgsaussichten des §  114 ZPO als absolute Grenze für eine gemein­ wohlkonforme Anspruchsgeltendmachung heranzuziehen. Diese Grenze muss auch das Verjährungsrecht respektieren, wenn es darum geht, Gläubiger ihres An­ spruchs zu „berauben“. 377 

Bork, in: Stein/Jonas, vor §  114 Rn.  11. nur BVerfG, Beschl. v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 = NJW 1960, 331, 331; BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 413; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 26.6.2003 – 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190, 3191; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  87 Rn.  31; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, §  114 Rn.  11 m. w. N. 379  Vergleiche etwa Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  15: Es sei „verfassungs­ rechtlich geboten, dass auch die hilfsbedürftige Partei die Chance hat, im Erkenntnisverfahren einen Umschwung der Rechtsprechung zu bewirken“ (Herv. d. Verf.). BVerfG und BGH bestehen darauf, dass bei schwierigen, ungeklärten Rechtsfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren hinreichende Erfolgsaussichten verneint werden, damit auch die unbemittelte Partei die Gelegen­ heit erhält, ihren Rechtsstandpunkt ggf. vor eine höhere Instanz zu bringen, z. B. BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 414; BGH, Beschl. v. 9.9.1997  – IX ZB 92/97, NJW 1998, 82 m. w. N. (weitere Nachweise unten bei II. 2. b) Fn.  532). Vergleiche zum „Nutzen“ der Rechtskonkretisierung und -fortbildung oben §  3 A. II. 2. 380  Auch hier ergeben sich schließlich Kosten für die Allgemeinheit, soweit die Gerichtsgebüh­ ren den tatsächlichen Aufwand nicht decken, siehe nur Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 326–327 m. w. N. 378  Siehe

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cc) Zwischenfazit Die vorstehende Herleitung einer Unzumutbarkeitsprüfung vermeidet die Nach­ teile der hergebrachten Begründung. Sie respektiert die gesetzgeberische Entschei­ dung für eine grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Rahmen des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB.381 Diese Entscheidung wird nur insoweit korrigiert, wie ihre Ratio nicht einschlägig ist. Soweit das Setzen von Anreizen zur Rechtsklärung durch das Verjährungsrecht praktisch ausgeschlossen erscheint, findet die Dis­ kriminierung von Rechtsirrtümern keine Rechtfertigung. In normativer Hinsicht bietet §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO einen tauglichen Anker, um zu bestimmen, ab welchem Punkt die Rechtsordnung Klärungsversuche für hinreichend aussichtsreich und unterstützenswert erachtet. d) Anerkennung bei entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung Sowohl die Anreizerwägungen als auch die Wertung aus dem Prozesskostenhilfe­ recht drängen zu der Einsicht, die Verjährung könne nicht beginnen, solange die Anspruchsberechtigung nicht bloß zweifelhaft ist, sondern ihr eine höchstrichter­ liche Rechtsprechungslinie entgegensteht. Unter solchen aussichtslosen Bedingun­ gen wird ein Verjährungsdruck in aller Regel keine nennenswerte Anreizwirkung entfalten. Auch wäre ein Antrag auf Prozesskostenhilfe grundsätzlich negativ zu bescheiden.382 Nichtsdestotrotz erfährt die a fortiori hergeleitete Annahme von Unzumutbarkeit in solchen aussichtslos erscheinenden Fällen erhebliche Kritik.383 Für sich genommen wenig überzeugend ist die Behauptung, der BGH lasse, in­ dem er die Unzumutbarkeitsausnahme auf Fälle klar entgegenstehender Judikatur erstrecke, kaum Konstellationen übrig, in denen die Verjährung bei Tatsachen­ kenntnis zu laufen beginne, denn er bejahe Unzumutbarkeit sowohl bei unklarer wie bei klarer Rechtslage.384 Diese Kritik blendet aus, dass die ständige Rechtspre­ chung die Zumutbarkeit nicht erst dann annimmt, wenn die Klage risikofrei mög­ lich ist.385 Es existieren also sehr wohl Fälle, in denen die Rechtslage zwar nicht eindeutig, aber „zumutbar“ günstig für den Gläubiger ausfällt. Einer exzessiven Annahme von Unzumutbarkeit lässt sich folglich auch dadurch vorbeugen, dass man nicht vorschnell eine „Verworrenheit“ annimmt. Eine entgegenstehende Judi­ katur kann man dann weiterhin als verjährungshindernd ansehen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, es blieben keine Konstellationen für einen regulären Verjäh­ rungsbeginn übrig. Der weitere Einwand, bei Existenz anspruchsfeindlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung bestehe nicht die für eine Unzumutbarkeit vorausgesetzte Rechts­

381 

Entsprechend der Forderung von Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84c. Siehe näher unten II. 2. b) m.N. in Fn.  537. 383  Siehe oben B. II. 1. b) bb) m.N. in Fn.  79 ff. 384  Bitter, JZ 2015, 170, 174–175; zustimmend Schefe, Modifizierungen, S.  116. 385  Näher B. II. 1. b) bb). 382 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

unsicherheit,386 ist für sich genommen bloß begrifflicher Natur. Auf Basis einer konstitutiven Theorie des Richterrechts ließe sich in solchen Situationen gleicher­ maßen das Vorliegen eines Rechtsirrtums verneinen.387 Dass trotzdem eine Einbe­ ziehung in dasselbe Problemfeld geboten ist, belegt die Gläubigerperspektive: Aus dessen Sicht ist eine Klage hier noch weniger aussichtsreich als bei einer „verworre­ nen“ Rechtslage.388 Es mutet befremdlich an, wenn gegen die Anerkennung einer Unzumutbarkeit in diesen Fällen ins Feld geführt wird, der Gläubiger sei danach gezwungen, alle zwei Jahre Rechtsrat dazu einzuholen, ob die entgegenstehende Judikatur ins Wanken geraten sei; hierdurch würde ihm eine im Verjährungsrecht nicht vorgesehene Nachforschungsobliegenheit auferlegt.389 Wenn aber doch die Alternative darin besteht, keinerlei Verjährungsaufschub zu erhalten, steht der Gläubiger mit dem beschränkten Schutz einer Unzumutbarkeit bei entgegenste­ hender Rechtsprechung allemal besser. Ihm jegliche Nachsicht zu verwehren, um unzureichenden Schutz zu verhindern, wäre grotesk. Sinn gewinnt die dargestellte Kritik erst, wenn man die Perspektive wechselt und die Lage von der Warte des Schuldners aus betrachtet. Bei Existenz einer den An­ spruch verneinenden höchstrichterlichen Rechtsprechung wird sich der Schuldner in besonders starkem Maße in Sicherheit wiegen.390 Bei Eingreifen der Regelver­ jährung nach §§  195, 199 Abs.  1 BGB könnte er nach drei bis vier Jahren (Folge der Ultimoregel) sicher davon ausgehen, nicht mehr belangt werden zu können. Bei Anwendung der absoluten Verjährung nach §  199 Abs.  4 BGB gewinnt der Schuld­ ner die volle Dispositionsfreiheit391 erst nach zehn Jahren zurück. Er muss sechs bis sieben Jahre länger eine potenzielle Inanspruchnahme einkalkulieren, weil es in der Zwischenzeit zu Änderungen der ihm günstigen höchstrichterlichen Rechtspre­ chung kommen kann. Dies kann zusätzlichen Aufwand verursachen; eventuell ist der Schuldner gezwungen, Rückstellungen zu bilden.392 Nur unter diesen Ge­ sichtspunkten verfängt auch der Hinweis auf systematische Friktionen zwischen Rechtsprechungsänderungen, die zugunsten des Gläubigers zurückwirken, und entsprechenden Gesetzesänderungen, von denen der Gläubiger mangels Rückwir­ kung nicht profitierte.393 Auch hier besteht das Problem nicht darin, dass der Gläu­ biger von der rückwirkenden Rechtsprechungswende profitiert – der Begriff 386 

So v. a. Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2084; siehe B. II. 1. b) bb) Fn.  80. Vergleiche bereits §  4 C. III. mit Fn.  75 ff. 388  Vergleiche etwa Abeling, Kenntnis, S.  76. 389 So Schefe, Modifizierungen, S.  116. 390  Siehe oben B. II. 1. b) bb) m.N. in Fn.  81. 391  Zu deren Schutz durch das Verjährungsrecht allgemein Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 96; Ellenberger, in: Palandt, vor §  194 Rn.  8; Mansel, in: Zivilrechtswissenschaft, S.  333, 347; Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 104, 189–190, 297; falsches Verständnis hinge­ gen bei Abeling, Kenntnis, S.  42. 392  Siehe zu diesem Aspekt nur Ellenberger, in: Palandt, vor §  194 Rn.  8; Mansel, in: Zivilrechts­ wissenschaft, S.  333, 347; Oetker, Verjährung, S.  48; Otto, Bestimmung, S.  37, 38–39; Riedhammer, Kenntnis, S.  165; vergleiche auch Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 96. 393 So Wardenbach, BB 2015, 2, 9. 387 

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„windfall profit“394 ist missverständlich –, sondern in den Konsequenzen für den Schuldner. Mit dem Verweis auf die Schuldnerposition ist die allgemeine Thematik des Ver­ trauensschutzes bei Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ange­ sprochen.395 Dazu wurde bereits festgehalten, dass der zugunsten des Schuldners vorgebrachte Vertrauensschutzgedanke nicht schon die generelle Diskriminierung von Rechtsirrtümern des Gläubigers durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zu begründen vermag.396 Damit ist aber nicht gesagt, dass der Aspekt nicht immerhin eine Be­ grenzung der Unzumutbarkeitsausnahme rechtfertigt. Schließlich unterliegt in derartigen Situationen auch der Schuldner einem Rechtsirrtum – er schätzt die Rechtslage zunächst günstiger ein, als sie sich nach der Rechtsprechungswende dar­ stellt. „Sticht“ die schuldnerische Berufung auf den Rechtsirrtum (er habe nie mit dem Bestehen einer Verbindlichkeit rechnen können) diejenige des Gläubigers (er habe nie damit rechnen können, verjährungshemmende Maßnahmen einleiten zu müssen)? Eine Antwort fällt schwer, weil die Interessen beider Seiten schutzwürdig erscheinen. Insbesondere ist daran zu erinnern, dass jedenfalls der mittellose Gläu­ biger argumentieren kann, ihm sei wegen der Anforderungen von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO eine Rechtsverfolgung schlechterdings nicht möglich gewesen.397 Angesichts des zu lösenden Interessenwiderstreits bietet es sich an, die Vorschrif­ ten des Verjährungsrechts gedanklich zweizuteilen: Die subjektiv angeknüpfte Verjährung nach §  199 Abs.  1 BGB stellt auf die Person des Gläubigers ab, während die objektiv angeknüpften absoluten Fristen von §  199 Abs.  2–4 BGB die Gläubiger­ belange ausblenden und stattdessen dem Schuldner die sichere Dispositionsfreiheit verschaffen möchten.398 Das Gesetz ist für die Belange des Schuldners keineswegs blind. Es trifft lediglich die Entscheidung, dass sich diese Belange im Regelfall erst nach zehn Jahren durchsetzen.399 Vor Erreichen dieser Grenze wird hingegen der nach neuer Rechtserkenntnis richtigen Güterzuordnung der Vorrang eingeräumt. 394  Bitter, JZ 2015, 170, 173. Dass der Gläubiger einen durchsetzbaren Anspruch erhält, mit dem nicht zu rechnen war, ist schlicht Ausfluss der Rechtsprechungsänderung, die gerade auf verbesserter Rechtserkenntnis beruht. Es ist bei isoliertem Blick auf den Gläubiger uneinge­ schränkt sachgerecht, dass er diesen als „richtig“ erkannten Anspruch nun noch durchsetzen kann. Tatsächlich dürfte Bitters Kritik schon der Rechtsprechungswende des BGH an sich gelten. 395  Dazu oben §  3 A. II. 3. 396  Siehe oben 1. c) aa). 397  Siehe oben c) bb). 398 Vergleiche insb. Piekenbrock, in: BeckOGK, §   199 BGB Rn.  133.1; ferner Alpes, Höhere Gewalt, S.  112–113; vergleiche auch R. Zimmermann, JZ 2000, 853, 863, zur Maximalfrist als „notwendige[s] Gegengewicht zu dem Erkennbarkeitsprinzip“. Auch Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14 (dazu oben B. III.), weist darauf hin, dass der Schuldner über §  199 Abs.  3 BGB ge­ schützt werde. Dies indes nicht für ausreichend erachtend Schefe, Modifizierungen, S.  117. 399 Die früher gegen die Annahme einer Hemmung gerichteten Bedenken bezüglich einer möglichen „Unverjährbarkeit“ (siehe v. a. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  273–274) lassen sich durch einen Rückgriff auf §  199 BGB nach dem mittlerweile geltenden Verjährungsrecht ausräumen (sie­ he auch unten IV.). Dass „ewig“ laufende Schleifen aus Leistung und Kondiktion in Gang gesetzt würden – ein Szenario, das Schefe, Modifizierungen, S.  119, zeichnet –, liegt fern jeder Realität.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Auch das kann ohne Weiteres ein berechtigtes Anliegen darstellen.400 Die Recht­ sprechung des BGH zur Unzumutbarkeit bei Rechtsprechungsänderungen stellt sich folglich als sinnvolles Element des im Gesetz angelegten Balanceaktes zwi­ schen Gläubiger- und Schuldnerinteressen dar. Man sollte sich abermals verge­ genwärtigen, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Reduzierung der ­Regelverjährungsfrist (von ehemals 30 Jahren) gerade durch die subjektive An­ knüpfung des Fristbeginns „erkauft“ wurde.401 Auch hinsichtlich der Tatsachen­ wahrnehmung ist es nicht ausgeschlossen, dass Gläubiger und Schuldner gemein­ sam über einen langen Zeitraum von einer anspruchshindernden Faktenlage ausge­ hen und die anspruchsbegründenden Umstände erst kurz vor Ende der absoluten Verjährungsfrist des §  199 Abs.  4 BGB offenbar werden (etwa durch Angaben eines zuvor unbekannten Zeugen). Hier kann das objektiv vernünftige Vertrauen des Schuldners ebenfalls bis zu zehn Jahre lang enttäuscht werden. e) Gebotene Abgrenzung zu anderen Fällen der Unzumutbarkeit Die Kritik, die die Annahme von Unzumutbarkeit bei schlechten Erfolgsaussichten erfährt, dürfte zum Teil darin begründet liegen, dass Rechtsprechung und Litera­ tur in anderen Szenarien ebenfalls mit dem Unzumutbarkeitstopos operieren, ohne aber die Fallgruppen durchgängig sauber zu trennen.402 Bezugnahmen auf andere Unzumutbarkeitsfälle muten mitunter – auch innerhalb der BGH-Rechtspre­ chung  – willkürlich an. Die grundlegende Differenzierung fällt dabei nicht einmal sonderlich schwer. Bei der bislang beleuchteten Unzumutbarkeitsfallgruppe geht es darum, den Ver­ jährungslauf solange zu hindern, bis eine Klage hinreichende Erfolgsaussichten hat. Dem stehen Fallgestaltungen gegenüber, in denen eine Klage durchaus Erfolg ver­ spricht, es aber dem Gläubiger gestattet werden soll, zunächst in einem anderen Verfahren (Vor-)Fragen zu klären.403 Der BGH, andere Gerichte und Teile des Schrifttums stützen sich auch in diesem Zusammenhang verschiedentlich auf eine vermeintliche Unzumutbarkeit wegen einer unübersichtlichen Rechtslage.404 Dies verstellt den Blick auf das andersartige Motiv.405 Demgegenüber hat sich der VI. Zi­ 400  Man denke etwa an eine nachträglich für sachgerecht erachtete Schadenskompensation zu­ gunsten eines deliktisch Geschädigten. 401  Siehe oben 1. c. aa) mit Fn.  195. 402  Exemplarisch für eine solche Vermischung Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 411. 403  Zu einem erheblichen Teil sind hier solche Ansprüche betroffen, die Abeling, Kenntnis, S.  92–94, unter den Begriff „Sekundärrechtsschutz“ fasst, also solche, die erst dann eine Rolle spielen, wenn anderweitige Optionen einer Schadloshaltung versagt haben. 404  So BGH, Urt. v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162, 3164 („Schwierigkeiten der Beurteilung der maßgeblichen handwerksrechtlichen Fragen“); BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1951 Rn.  38–39; vergleiche auch BGH, Urt. v. 3.3.2005 – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149; OLG Hamm, Urt. v. 3.12.1992 – 27 U 194/91, NZV 1993, 270. 405  Im Ergebnis zutreffend für Fälle des „Sekundärrechtsschutzes“ Abeling, Kenntnis, S.  92– 94; vergleiche ferner – betreffend BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1951 Rn.  38–39 – Schefe, Modifizierungen, S.  121–122.

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vilsenat des BGH bereits im Jahr 1979 ausdrücklich von der Vorstellung gelöst, das Hinausschieben der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus §  945 ZPO bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beruhe auf dem Bestehen einer besonders verworrenen Rechtslage.406 Die Entlastung von der Notwendigkeit einer doppelten Verfahrensführung kann sich hier stattdessen auf prozessökono­ mische Erwägungen stützen.407 Lässt man in Fällen, in denen mehrere Personen alternativ als Schuldner in Be­ tracht kommen, die Verjährung gegenüber dem „richtigen“ Schuldner solange nicht anlaufen, wie der Gläubiger in einem ersten Verfahren einen anderen Kandidaten in Anspruch nimmt, beruht auch hier die Annahme von Unzumutbarkeit regelmäßig nicht auf besonders geringen Erfolgsaussichten.408 Das Motiv für den späten Ver­ jährungsbeginn liegt vielmehr darin, dass dem Gläubiger nicht zugemutet werden soll, gegen beide potenziellen Schuldner jeweils eine Klage zu erheben, obwohl er in mindestens einem Prozess sicher unterläge.409 Dann träfe ihn nicht nur das üb­ liche Prozessrisiko, sondern die Gewissheit, einen der beiden Prozesse zu verlieren. Das parallele Vorgehen ist folglich auch dann unzumutbar, wenn in beiden Prozes­ sen jeweils mehr als nur geringe Erfolgsaussichten bestehen. Schutz verdient der Anspruchsinhaber jedoch nur, solange er nicht gänzlich untätig bleibt, sondern sich zur Inanspruchnahme wenigstens eines der potenziellen Schuldner entschließt.410 Ferner steht dem Gläubiger, der über die Person des Schuldners im Ungewissen ist, in Gestalt der Streitverkündung vielfach ein kostenneutrales411 Mittel zur Verfü­ gung, um die Verjährung gegenüber dem zweiten möglichen Schuldner schon wäh­ rend des Vorgehens gegen den ersten „Kandidaten“ zu hemmen (§  204 Abs.  1 Nr.  6 BGB).412 Das gilt auch bei Bestehen rechtlicher Ungewissheit: Die Interventions­ 406 

BGH, Urt. v. 20.3.1979 – VI ZR 30/77, NJW 1980, 189, 191. So BGH, Urt. v. 20.3.1979 – VI ZR 30/77, NJW 1980, 189, 191. 408 Zutreffend Harnos, WM 2015, 1658, 1662–1663; die Fallgruppen ebenfalls trennend BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 424/12, BAGE 144, 322 = NZA 2013, 785, 786–787 Rn.  25; Schüren, AuR 2011, 142, 143. 409  Vergleiche zu diesem Gedanken (allerdings zu tatsächlichen Zweifeln) BGH, Urt. v. 11.5.­ 1964  – VII ZR 177/62, VersR 1964, 927, 928; zutreffend auch (trotz vordergründigen Abstellens auf Undurchschaubarkeit der Rechtslage) OLG Hamm, Urt. v. 3.12.1992 – 27 U 194/91, NZV 1993, 270; richtig ferner Bitter, JZ 2015, 170, 173; Harnos, WM 2015, 1658, 1663. Erhellend ist im Gegenschluss auch eine Formulierung, mit der der BGH in anderem Zusammenhang (Irrtum über die Frist) eine Unzumutbarkeit verneint: Der Gläubiger müsse „nicht zwischen sich gegen­ seitig ausschließenden Wegen der Rechtsverfolgung wählen“ und sei „damit auch nicht zwangs­ läufig mit einem – möglicherweise unzumutbaren – Kostenrisiko belastet“, BGH, Urt. v. 11.9.­ 2012  – XI ZR 56/11, NJW 2013, 1228, 1232 Rn.  37. Zu diesem für sich bereits tragenden Gesichts­ punkt gesellt sich häufig der Aspekt, dass der Erfolg des Gläubigers im Erstprozess dem po­ten­ziellen Schuldner zugute kommt, der ansonsten im Zweitprozess zu verklagen wäre, siehe etwa BGH, Urt. v. 3.3.2005 – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149; Herresthal, WM 2018, 401, 402. 410  Vergleiche BGH, Urt. v. 18.1.1972 – VI ZR 204/70, VersR 1972, 394, 395. 411  Vergleiche OLG Köln, Beschl. v. 18.3.1994 – 2 W 15/94, NJW-RR 1995, 1251; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  101 Rn.  2; im verjährungsrechtlichen Kontext auf die Entbehrlichkeit eines eigenen finanziellen Einsatzes des Streitverkündenden hinweisend Otto, Bestimmung, S.  251; ­Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 258. 412  Als zumutbare Möglichkeit darauf verweisend BGH, Urt. v. 18.1.1972 – VI ZR 204/70, 407 

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wirkung bindet ebenso an die maßgeblichen Rechtsbeurteilungen des Erstge­ richts.413 Der Anerkennung von Unzumutbarkeit bedarf es unter diesen Umstän­ den nicht.414 Man kann sogar mit guten Gründen hinterfragen, ob die vorgenannten Konstel­ lationen in dogmatischer Hinsicht überhaupt über die Unzumutbarkeitsausnahme gelöst werden müssen bzw. sollten. In manchen Fällen führt nämlich bei genauer Betrachtung überhaupt erst die Durchführung des Vorverfahrens zur erforder­ lichen Einsicht in die anspruchsbegründenden Tatsachen.415 Dann läuft bereits bei strikt wortlautgetreuer Anwendung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB die Verjährung nicht an. In anderen Szenarien lässt sich gegebenenfalls auf eine Analogie zu den Hemmungsvorschriften zurückgreifen.416 Gleich wie man hierzu steht, bietet zu­ mindest nicht eine Unzumutbarkeit wegen geringer Erfolgsaussichten den prägen­ den Grund für die verjährungsrechtliche Entlastung des Gläubigers. Vergleichba­ res gilt für den zuletzt vom BGH praktizierten Rückgriff auf die Unzumutbarkeit, wenn der fehlerhafte rechtliche Hinweis eines Amtsträgers das Vorliegen einer zu Schadensersatz verpflichtenden Amtspflichtverletzung verdunkelt.417 Auch diese verjährungsrechtliche Verschonung des Gläubigers ließe sich wohl alternativ be­ gründen.418 Jedenfalls deutet der BGH – insoweit zutreffend – an, dass er hier eine separate Fallgruppe bildet.419

VersR 1972, 394, 395; BGH, Urt. v. 22.1.2004 – III ZR 99/03, NJW-RR 2004, 1069, 1071; deshalb kritisch gegen die Annahme von Unzumutbarkeit auch Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  1193; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84b; Schefe, Modifizierungen, S.  123–126, 128– 129; siehe auch Herresthal, WM 2018, 401, 408–409; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  114.1; im Ausgangspunkt auch OLG Hamm, Urt. v. 3.12.1992 – 27 U 194/91, NZV 1993, 270 (allerdings eine Ausnahme annehmend). 413  Siehe nur BGH, Urt. v. 24.2.1988 – VIII ZR 145/87, BGHZ 103, 275 = NJW 1988, 1378, 1379; Weth, in: Musielak/Voit, §  68 Rn.  4 m. w. N. 414  Insoweit verfängt nämlich das Argument nicht, welches BGH, Urt. v. 3.3.2005 – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1150 (dem im Ergebnis folgend BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1951 Rn.  43; so auch Abeling, Kenntnis, S.  56), gegen den Verweis des Gläubigers auf die Möglichkeit der Streitverkündung anführt: Man senke un­ zulässigerweise die Anforderungen, die §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB an die Kenntnis des Gläubigers stelle, weil die Streitverkündung schon bei der Möglichkeit eines Anspruchs zulässig sei. An die Rechtserkenntnis stellt §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB schließlich von vornherein keine solchen Anforde­ rungen (siehe oben 1.). 415 Insb. bei der Klärung von Tatsachenfragen im vorangehenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren, siehe BGH, Urt. v. 6.2.1986 – III ZR 109/84, BGHZ 97, 97 = NJW 1986, 2309, 2312; siehe auch BGH, Urt. v. 31.10.1985 – IX ZR 13/85, NJW 1986, 1866, 1867 (Schaden abhängig vom Erfolg des vorangehenden Vollstreckungsverfahrens). 416  BGH, Urt. v. 12.5.2011 − III ZR 59/10, NZG 2011, 837, 840 Rn.  55; zur Unterbrechung nach §  209 BGB a. F. u. a. BGH, Urt. v. 11.7.1985 – III ZR 62/84, BGHZ 95, 238 = NJW 1985, 2324, 2324; BGH, Urt. v. 11.2.1988 – III ZR 221/86, BGHZ 103, 242 = NJW 1988, 1776, 1778. 417  BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  21. 418  Nämlich durch eine entsprechende Aufklärungsobliegenheit des Notars als „Rechtsbera­ ter“, vergleiche unten §  17 A. II. 3. b) aa) sowie A. Mayer, NotBZ 2019, 256, 258. 419  BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  21: Eine Ersatzklage sei dem Geschädigten unter diesen Umständen „ebenso unzumutbar wie bei einer

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4. Besonderheiten beim Rechtsirrtum über anspruchsbegründende Umstände bzw. die Person des Schuldners Knüpft man den Beginn der Regelverjährung grundsätzlich nicht an eine Erkennt­ nis der Anspruchsberechtigung, ist damit noch nicht gesagt, dass nicht wenigstens eine zutreffende rechtliche Einschätzung hinsichtlich einzelner (normativer) Tatbe­ standsmerkmale bzw. hinsichtlich der Person des Schuldners zu fordern ist. Man könnte sich nämlich auf den Standpunkt stellen, der Gläubiger müsse zwar nicht die Anspruchsberechtigung als solche erkennen, doch zählten normativ geprägte Tatbestandsvoraussetzungen zu den „Umständen“, deren Erkenntnis §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB voraussetze. In vergleichbarer Weise ließe sich eine zutreffende recht­ liche Einschätzung dazu, wer passivlegitimiert ist, verlangen – unter Verweis da­ rauf, dass §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB eine Kenntnis (bzw. grob fahrlässige Unkenntnis) der „Person des Schuldners“ voraussetzt. Die zu diesen Fragen bestehenden Mei­ nungsdifferenzen werden allerdings kaum offen thematisiert. Eine Systematisie­ rung erscheint geboten. a) Anspruchsbegründende Umstände Die herrschende Rechtsprechung verlangt im Grundsatz keine zutreffende Rechts­ einschätzung hinsichtlich einzelner Voraussetzungen eines Anspruchs. Das gilt sowohl im Bereicherungsrecht (Fehlen des Rechtsgrundes) als auch hinsichtlich der Erkenntnis von Schaden und Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit.420 Auch in der ober­ gerichtlichen Rechtsprechung wird mit Blick auf die rechtliche Komponente der Pflichtwidrigkeit eindeutig (bloß) der Maßstab der Unzumutbarkeit angelegt.421 Dagegen wird bezüglich der empirischen Grundlagen der Pflichtwidrigkeitsprü­ fung Kenntnis bzw. Kennenmüssen für erforderlich gehalten.422 Im Amtshaftungs­ recht ergibt sich bei näherem Hinsehen ebenfalls eine klare Tendenz der Rechtspre­ chung. Dass der IX. Zivilsenat des BGH offengelassen hat, ob die erforderliche Kenntnis vom Fehlen anderweitiger Ersatzmöglichkeiten auch eine rechtliche Komponente hat,423 sollte nicht allzu sehr irritieren. Zwar deutet auch die vom III. Zivilsenat vorgenommene Prüfung, ob sich die Einsicht in die Pflichtwidrigkeit einem außenstehenden Dritten hätte aufdrängen müssen,424 eher auf eine Zugehö­ rigkeit zum Kenntnisgegenstand hin. Der Senat hat jedoch ansonsten stets deutlich artikuliert, auch hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale von Amtshaftungsansprü­ chen sei grundsätzlich nur Tatsachenkenntnis, nicht aber eine zutreffende recht­ objektiv unübersichtlichen oder unklaren Rechtslage“ (Herv. d. Verf.); ähnlich im Anschluss BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12 („oder“). 420  Siehe die Nachweise bei B. II. 2. a). 421  Exemplarisch OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2010 – I-6 U 49/09, Rn.  86, juris. 422  Siehe B. II. 2. a) m.N. in Fn.  111. 423  BGH, Urt. v. 25.2.1999 – IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; siehe auch BGH, Urt. v. 3.3.­ 2005  – III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149. 424  So bei BGH, Urt. v. 11.1.2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 = NJW 2007, 830, 833 Rn.  28.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

liche Beurteilung erforderlich.425 Auch der VIII. Zivilsenat hat inzwischen mit wohltuender Deutlichkeit festgehalten, der Verjährungsbeginn bei der Amtshaf­ tung setze allein die Kenntnis der Tatsachen voraus, die der Pflichtwidrigkeit zu­ grunde lägen.426 Unvereinbar mit diesen Maßgaben ist es, dass die Verjährung eines Staatshaftungsanspruchs wegen fehlerhafter Umsetzung von EU-Richtlinien nicht anlaufen soll, solange der Geschädigte irrtümlich von einer Richtlinienkonformität des deutschen Rechts ausgehe.427 Dieses Ergebnis ist zumindest insoweit inkonse­ quent, wie nicht ausnahmsweise die Rechtsverfolgung wegen geringer Erfolgsaus­ sichten unzumutbar war.428 Offenbar haben die teils wenig präzisen Formulierungen der Rechtsprechung im Schrifttum zu Interpretationsschwierigkeiten geführt. Manche Ausführungen sind in sich widersprüchlich.429 Unzutreffend erscheint vor allem die Deutung, Voraus­ setzung für den Verjährungsbeginn sei zwar nicht Rechtskenntnis bezüglich der Tatbestandsmerkmale, wohl aber eine korrekte Parallelwertung in der Laiensphä­ re.430 Auch mit dieser Anforderung würde eine rechtliche Wertung zum Erkennt­ nisgegenstand erhoben. Identisches gilt für die Forderung, der Geschädigte müsse das Vorliegen eines Schadens auch in rechtlicher Hinsicht, wenngleich laienhaft, richtig erfassen.431 Das in diesem Kontext als Beleg zitierte BGH-Urteil misst rechtlichen Erkenntnisschwierigkeiten ausdrücklich nur im Rahmen der Zumut­ barkeitsprüfung Bedeutung zu.432 Verfehlt ist es zudem, wenn darauf verwiesen wird, auch bei §§  814, 819 BGB gehöre zur Kenntnis die zutreffende rechtliche Wer­ tung hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale.433 Wie sich zeigen wird, zählt nämlich bei §§  814, 819 BGB die Rechtslage mit guten Gründen – anders als bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB – von vornherein zum Erkenntnisgegenstand.434 Eine offene Gegenposition zur Rechtsprechung wird nur vereinzelt eingenom­ men. So findet sich die eingehend begründete Auffassung, es sei für den Beginn der Verjährung eines Bereicherungsanspruchs zu verlangen, dass der Gläubiger das Fehlen eines Rechtsgrundes rechtlich (laienhaft) zutreffend bewertet habe.435 Die­ 425 

Siehe B. II. 2. a) m.N. in Fn.  117. BGH, Urt. v. 1.6.2011 – VIII ZR 91/10, NJW 2011, 2570, 2571–2572 Rn.  24. 427  So aber Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  29; ähnlich LG Düsseldorf, Urt. v. 29.9.2009 – 2b O 286/08, BeckRS 2009, 26368. 428  Die in der vorstehenden Fn. Genannten weisen zugleich auf eine solche Unzumutbarkeit hin. 429  So halten Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  1a, fest, einem Laien werde es oftmals an der Kenntnis (bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis) des Rechtsgrundmangels fehlen, weil er von der Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags ausgehe. Dies widerspricht der Aussage a. a. O., Rn.  64: „Da eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht Voraussetzung ist, reichen für einen Rückforderungsanspruch aus §  812 bei nichtigen Verträgen die Kenntnis der die Nichtigkeit be­ gründenden Tatsachen.“ 430  So wohl Harsch, MDR 2014, 1368, 1372. 431  Siehe B. II. 2. a) m.N. in Fn.  107. 432  Siehe BGH, Urt. v. 20.10.1959 – VI ZR 166/58, NJW 1960, 380, 381. 433  So aber offenbar Schefe, Modifizierungen, S.  88. 434  Siehe unten §  13 C. I. bzw. §  11 C. II. 6. c) aa). 435  Klose, JR 2013, 185, 191. 426 

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ser Ansatz wäre allerdings, wollte man ihm folgen, auf sämtliche Tatbestandsmerk­ male zu erstrecken. Einer gemischten Herangehensweise436 fehlt jegliche Rechtfer­ tigung. Festgestellt worden ist bereits, dass sich eine Entlastung von der Verjährung in dem beschriebenen Szenario nicht schon unter dem Gesichtspunkt einer fehlen­ den „Kontextuierung“ ergibt.437 Die Berechtigung der beschriebenen Literatur­ meinung hängt demnach davon ab, ob nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB für die an­ spruchsbegründenden Umstände, anders als für den Anspruch selbst, eine (wie auch immer geartete) Rechtserkenntnis zu fordern ist. Das könnte jedenfalls für den besonders gelagerten Fall anzunehmen sein, dass fehlende Rechtskenntnisse mittelbar die notwendige Tatsachenerkenntnis verhin­ dern.438 Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die Entscheidung des BGH, die vereinzelt gar als Abkehr von der Diskriminierung des Rechtsirrtums im Verjäh­ rungsrecht gedeutet worden ist.439 Dort hatte der Gläubiger die rechtliche Proble­ matik nicht richtig erfasst und infolgedessen keine Tatsachenermittlungen ange­ stellt. Wenn dem Gläubiger mit Blick auf die fehlende Rechtskenntnis keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist – das war im Anlassfall zweifelhaft440 –, erscheint es prima facie konsequent, die Voraussetzungen des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zu ver­ neinen. Auf die Problematik wird allerdings im Zusammenhang mit der Kenntnis der Person des Schuldners noch ausführlicher einzugehen sein.441 Sieht man von dieser speziellen Fallanordnung ab, lässt sich §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB kein Erfordernis der korrekten rechtlichen Erfassung einzelner Tatbestands­ voraussetzungen entnehmen. Auch der Wortlaut der Vorschrift („Umstände“ an­ stelle von „Tatsachen“) legt einen solchen Rückschluss nicht nahe.442 Dieser Be­ fund deckt sich mit den Ergebnissen einer teleologischen Betrachtung: Aus Anreiz­ gesichtspunkten443 erscheint es unverzichtbar, auch mit Blick auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale Tatsachenkenntnis ausreichen zu lassen. Unter dem in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB angelegten Maßstab müsste man bei objektiv beachtlichen Rechts­ zweifeln über das Vorliegen einzelner normativer Tatbestandsmerkmale – etwa be­ treffend den Rechtsgrund im Rahmen von §  812 BGB oder eine Aufklärungspflicht 436  Darauf läuft die (eventuell schlicht ungenaue) Formulierung bei Peters/Jacoby, in: Staudin­ ger, §  199 Rn.  63, hinaus, zu den Tatsachen, aus denen ein (deliktischer) Schadensersatzanspruch herzuleiten sei, gehörten u. a. auch „die Rechtswidrigkeit“ neben den „den Verschuldensvorwurf begründenden Tatsachen“ (Herv. d. Verf.). 437  Siehe oben 2. 438  Zu diesem Phänomen allgemein Otto, Bestimmung, S.  232–233. Auch Nassall, NJW 2014, 3681, 3685, betont, wenngleich eher allgemein, dass sich Rechts- und Tatsachenerkenntnis teils gegenseitig bedingten. 439  Siehe BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569, 3570 Rn.  14–16, sowie die Deutung von Nassall, NJW 2014, 3681, 3683–3684. 440  Dem WEG-Verwalter dürften im Bereich der Architektenhonorare entgegen BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569, 3570 Rn.  16, durchaus gewisse Kenntnisse abzuver­ langen sein, siehe Scholtissek, NZBau 2013, 87, 88–89. 441  Dazu sogleich b). 442  Siehe dazu oben 1. a) – entgegen Klose, JR 2013, 185, 186. 443  Dazu oben 1. c) dd).

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

im Kontext eines Schadensersatzanspruchs – dem Gläubiger gestatten, zunächst ohne Verjährungsrisiko abzuwarten.444 Das wäre widersinnig. Die eigentlich inte­ ressanten Rechtsfragen sind in solchen Szenarien gerade die nach dem Rechtsgrund bzw. nach einer Aufklärungspflicht – bejaht man sie, ist der Schluss auf ein Beste­ hen eines Bereicherungs- bzw. Schadensersatzanspruchs in den meisten Fällen un­ problematisch. Es ist daher elementar, den potenziellen Gläubiger zur Klärung die­ ser vorgelagerten Rechtsfragen, obgleich sie lediglich einzelne Tatbestandsmerk­ male betreffen, zu motivieren. Für die Erkenntnis einzelner Voraussetzungen steht überdies in gleicher Weise Rechtsrat zur Verfügung wie für ein Erkennen der An­ spruchsberechtigung. Auch insoweit greift die Ratio hinter der Diskriminierung von Rechtsirrtümern.445 Der abweichenden Literaturauffassung unterläuft ein Begründungsfehler. Sie be­ ruft sich darauf, dass Umstandskenntnis im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB erst vorliege, wenn eine Klage hinreichend aussichtsreich wäre; daraus folge die poten­ zielle Relevanz der rechtlichen Bewertung.446 Dies referiert den Zumutbarkeits­ maßstab der herrschenden Rechtsprechung. Dessen Konsequenz ist allerdings nicht, dass bezüglich der einzelnen Tatbestandsmerkmale Rechtskenntnis zu for­ dern wäre. Eine Entlastung von der Verjährung ergibt sich vielmehr nur, solange nach objektiver rechtlicher Einschätzung äußerst geringe Erfolgsaussichten beste­ hen. War etwa nach früherer höchstrichterlicher Rechtsprechung vom Vorliegen eines Rechtsgrundes auszugehen, mag die Verjährung eines Bereicherungsan­ spruchs erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen. Auch der Blick auf die Genese des heutigen Verjährungsrechts stützt eher die Sichtweise der herrschenden Rechtsprechung. Peters/Zimmermann hatten im Jahr 1981 für die – später tatsächlich verwirklichte – subjektive Anknüpfung des Frist­ beginns plädiert und dabei exemplarisch auf den Fall hingewiesen, dass die Nich­ tigkeit eines Vertrags (und somit auch der resultierende Bereicherungsanspruch) zunächst verborgen bleibt.447 Allerdings stellte der von Peters/Zimmermann vor­ geschlagene Gesetzestext explizit auf die Kenntnis von „Schuldner, Gegenstand [und] Rechtsgrund“ ab.448 Die Verfasser von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB haben mit der Umstandskenntnis einen anderen Anknüpfungspunkt gewählt. Das hier vertretene Verständnis könnte man neuerdings gar durch die Vorschrift des §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB n. F. gestützt sehen.449 Die Norm setzt schließlich explizit eine zutref­ fende rechtliche Einschätzung der Rechtswidrigkeit voraus. Wenn eine solche im 444  Wo das Gesetz ausnahmsweise eine rechtliche Erkenntnis für den Verjährungsbeginn for­ dert (§  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB n. F.), schließen ernsthafte Zweifel den Verjährungslauf aus, siehe Makatsch/Mir, in: MüKo-WettbR, §  33h GWB Rn.  31–32. 445  Dazu oben 1. c) cc). 446 So Klose, JR 2013, 185, 191. 447  Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 305–306 (das Beispiel a. a. O., S.  305, betrifft freilich eine von einem Sachverständigen zu klärende [Tatsachen-]Frage). 448  Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  7 7, 316; siehe schon oben 1. b). 449  Siehe zu der Vorschrift oben B. II. 2. a). Allerdings eignet sich §  33h GWB angesichts seiner undurchsichtigen Entstehungsgeschichte und des Umstands, dass er entsprechende Richtlinien­

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Verjährungsrecht schon generell erforderlich wäre, hätte es des Zusatzes in §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB nicht bedurft. In der Gesamtschau bleibt zu konstatieren, dass weder Wortlaut noch Telos oder Systematik der von der Rechtsprechung verfolgten Linie entgegenstehen. Auch der Rechtsirrtum über einzelne anspruchsbegründende Umstände ist demnach grund­ sätzlich unbeachtlich, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen einer Un­ zumutbarkeit vorliegen.450 b) Person des Schuldners §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB setzt neben der Kenntnis der anspruchsbegründenden Um­ stände auch die der Person des Schuldners voraus. Das Reichsgericht hat zwar an­ gedeutet, hierfür könne auch eine zutreffende Bewertung der Rechtslage erforder­ lich sein.451 Die spätere Judikatur hat eine Relevanz der Rechtseinschätzung jedoch ganz überwiegend verneint.452 Dem ist im Grundsatz aus den gleichen Gründen zu folgen, die soeben betreffend die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände benannt wurden. Berücksichtigt man die Erwägungen, die allgemein für eine Schlechterstellung des Rechtsirrenden bei §  199 BGB sprechen, ergibt sich ein kla­ res Bild. Nur eine restriktive Interpretation des Merkmals „Person des Schuldners“ liegt im Sinne dieser Motive. Da eine Person nur dann „Schuldner“ ist, wenn ein Anspruch gegen sie besteht, liefe man ansonsten Gefahr, über dieses Merkmal mit­ telbar die Prüfung zu eröffnen, ob der Gläubiger seine Berechtigung erkannt hat bzw. hätte erkennen müssen. Wäre dies beabsichtigt, wäre der Wortlaut des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB unnötig kompliziert gefasst.453 Welche Blüten die hier abgelehnte Lesart treiben könnte, wird deutlich, wenn vereinzelt gefolgert wird, neben der „Person des Schuldners“ müsse auch die „Person des Gläubigers“ bekannt sein; dies erfordere die Erkenntnis der eigenen Gläubigerstellung.454 Auch auf Basis der hier vertretenen Annahme, Rechtskenntnisse seien für die Schuldnerkenntnis grundsätzlich nicht erforderlich, lassen sich Zweifelsfälle aus der Rechtsprechung zufriedenstellend erklären. Mancherorts fehlte es schon an Tatsachenkenntnis.455 Der die Passivlegitimation verdunkelnde Rechtsirrtum über die Wirksamkeit einer Gemeindeverordnung456 ist hingegen im Grundsatz unbe­ achtlich. Hier könnte dem Geschädigten aber ein zeitgleiches Prozessieren gegen vorgaben umsetzt, nur bedingt als Kronzeuge für eine Auslegung der allgemeinen BGB-Vor­ schriften. 450  Zu einer ebenso wenig gebotenen umgekehrten Ungleichbehandlung von Rechtsirrtümern über den Anspruch und solchen betreffend normative Tatbestandsmerkmale würde hingegen das oben schon kritisierte Konzept Bärs (dazu 3. a) bb)) führen, siehe besonders deutlich Bär, Verjäh­ rung, S.  192. 451  RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283. 452  Siehe oben B. II. 2. b) m.N. in Fn.  132 f. 453 Ähnlich Bartlitz, ZBB 2014, 233, 237. 454 So Nassall, NJW 2014, 3681, 3685. 455  So bei RG, Urt. v. 6.3.1911 – VI 70/10, RGZ 76, 61, 64; siehe dazu bereits 3. b). 456  So bei RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283.

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Gemeinde und Bürger unzumutbar gewesen sein, weil er in einem dieser Verfahren sicher unterlegen wäre.457 Als problematisch erweist sich hingegen eine Konstellation, auf die bereits im Zusammenhang mit der Umstandskenntnis hingewiesen wurde.458 Verkennt der Gläubiger infolge seiner Rechtsunkenntnis die eigene Anspruchsberechtigung, kann dies zur Konsequenz haben, dass er keine Ermittlungen zur Person des Schuldners anstellt. Bemerkt der Gläubiger, ohne dass ihm grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, nicht, dass eine Gemeindeverordnung unwirksam ist, und unterlässt er deshalb eine Unterrichtung über die Person des tatsächlich ersatzpflichtigen Bür­ gers,459 ist bei wortlautgetreuer Anwendung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB eine grob fahrlässige Unkenntnis der Person des Schuldners selbst dann zu verneinen, wenn die Ermittlung der Person an sich keinerlei Schwierigkeiten bereitet hätte. In der Literatur wird ein solches Ergebnis zum Teil akzeptiert. Es sei gleichgültig, ob die Tatsachenunkenntnis ihrerseits auf mangelnder Rechtskenntnis beruhe.460 In manchen Fällen wird das Problem dadurch obsolet, dass dem Anspruchsin­ haber die Personalien des Schuldners (beispielsweise eines Vertragspartners) auch ohne Bewusstsein der eigenen Anspruchsberechtigung bekannt sein werden.461 Für die übrigen Sachverhalte begegnet indes die wortlautkonforme Verneinung der erforderlichen Kenntnis erheblichen teleologischen Bedenken. Im Kern steht hier nämlich bloß die unzureichende Rechtseinschätzung des Gläubigers einer Erkennt­ nis der Anspruchsberechtigung im Weg. Das Defizit ist lediglich vorverlagert. Es wirkt nicht erst nach vollständiger Tatsachenermittlung, sondern verhindert eben­ diese. Die Argumente, die ansonsten für die von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB vorgenom­ mene Schlechterstellung des Rechtsirrtums streiten,462 greifen folglich gleicher­ maßen. Dass die Berücksichtigung dieser Ratio bei strenger Wortlautanwendung davon abhinge, ob dem Gläubiger, der die eigene Anspruchsberechtigung verkennt, zufällig die Anschrift des Schuldners bekannt ist, mutet absurd an. Überzeugend erscheint es vielmehr, die auf Rechtsunkenntnis basierende Tatsachenunkenntnis nur unter ganz bestimmten Umständen für beachtlich zu halten: Es ist zunächst zu ermitteln, welche Ausgangstatsachen dem Gläubiger unabhängig von einer zutref­ fenden Rechtseinschätzung bekannt waren bzw. hätten bekannt sein müssen. So­ dann ist, weil §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bewusst darauf verzichtet, zu unterstellen, dass diese Ausgangstatsachen in rechtlich korrekter Weise bewertet wurden. Auf­ bauend darauf ist sodann zu prüfen, ob eine gleichwohl vorhandene Unkenntnis der Person des Schuldners (bzw. weiterer anspruchsbegründender Tatsachen463) als grob fahrlässig zu bewerten gewesen wäre. Wäre die tatsächliche Ermittlung des 457 

Zu dieser Fallgruppe der Unzumutbarkeit oben 3. e). Soeben a). 459  Das Beispiel knüpft wiederum an RG, Urt. v. 23.11.1933 – VI 269/33, RGZ 142, 280, 282–283 an. 460  Otto, Bestimmung, S.  139. 461  Siehe etwa BGH, Urt. v. 20.10.1959 – VI ZR 166/58, NJW 1960, 380, 381. 462  Dazu oben 1. 463  In diesem Bereich (dazu a)) kann sich, wie angemerkt, das gleiche Problem stellen. 458 

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Schuldners auch dann schwierig gewesen, wenn der Gläubiger vom Bestehen eines Anspruchs ausgegangen wäre, kann sich dies als Hindernis für den Verjährungsbe­ ginn auswirken.464 Anderes gilt für alle Fälle, in denen die Ermittlung des Schuld­ ners (bzw. anspruchsbegründender Umstände) keine Probleme bereitet hätte, wäre dem Gläubiger nur bewusst gewesen, dass es darauf ankommt. In diesem Fall wir­ ken nicht Schwierigkeiten der Tatsachenermittlung, sondern solche der Rechtsein­ schätzung. Letztere gehen nach der Grundwertung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zulasten des Gläubigers. Der hier verfolgte Ansatz könnte jedoch im Widerspruch mit einer Einschätzung stehen, die der BGH zu §  852 Abs.  1 BGB a. F. abgegeben hat:465 Das Fehlen der Anspruchskenntnis sei für den Lauf der Verjährung ohne Bedeutung, wenn alle Tatsachen (inklusive Name und Anschrift des Schuldners) bekannt seien. Fehle es hingegen an der Tatsachenkenntnis, beginne die Verjährung nicht – ungeachtet der Frage, ob die eigene Anspruchsberechtigung erkannt worden sei. Hypothetische Überlegungen, wie sich der Gläubiger im Fall der Kenntnis verhalten hätte, seien fehl am Platz. Ein Konflikt mit der hier vertretenen Ansicht ergibt sich daraus nicht zwingend. Vor allem ist zu beachten, dass sich die Ausführungen auf §  852 BGB a. F. bezogen. Dessen Wortlaut forderte ausdrücklich Kenntnis. Selbst nach der Un­ terstellung, der Gläubiger habe seine denkbare Anspruchsberechtigung erkannt, ließe sich aber nicht sicher schlussfolgern, er hätte infolgedessen die – in Wirklich­ keit nicht vorhandene – Tatsachenkenntnis erhalten. §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB lässt demgegenüber auch grob fahrlässige Tatsachenunkenntnis genügen. Dies ermög­ licht eine hypothetische Betrachtung. Es lässt sich feststellen, dass das – tatsächlich erfolgte – Unterlassen von weiteren Ermittlungen als grob fahrlässig zu bewerten wäre, wenn eine zutreffende Rechtseinschätzung vorgelegen hätte. Auch die Literaturauffassung, die ein auf Rechtsunkenntnis beruhendes Fehlen der Tatsachenkenntnis nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB beurteilen möchte, weicht dem daraus folgenden Ergebnis bezeichnenderweise aus. Sie nimmt mit Blick auf die fehlerhafte Rechtseinschätzung der Sache nach eine Prüfung einfacher Fahrlässig­ keit vor.466 Nach dem Maßstab des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gereicht dem Gläubiger aber eine relevante Fehleinschätzung zum Vorteil, soweit sie nicht grob fahrlässig ist. Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente dafür, dem Gläubiger die objektiv richtige Einschätzung der (möglichen) Anspruchsberechtigung grundsätzlich zu unterstellen und auf dieser Basis zu überprüfen, ob die fehlende Ermittlung der weiteren Tatsachen (einschließlich der Personalien des Schuldners) zumindest als grob fahrlässig zu qualifizieren ist. Zwar ist nicht zu leugnen, dass der unterbreite­ te Vorschlag einer hypothetischen Betrachtung im auf Rechtssicherheit bedachten 464  Bei der Beurteilung, ob ein Unterlassen der tatsächlichen Ermittlung grob fahrlässig ge­ wesen wäre, dürften durchaus die Erfolgschancen einer Klage berücksichtigt werden, vergleiche allgemein Otto, Bestimmung, S.  212–213. 465  Zum Folgenden BGH, Urt. v. 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964, 965. 466 Siehe Otto, Bestimmung, S.  232–233.

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Verjährungsrecht zunächst bedenklich anmutet. Er ist allerdings Ausfluss der Um­ stellung auf ein partiell subjektives System und das Anknüpfen an grobe Fahr­ lässigkeit im geltenden Verjährungsrecht des BGB. Eine Prüfung wie die vorge­ schlagene ist unabhängig von der hier vertretenen Ansicht jedenfalls dann unaus­ weichlich, wenn die Aussicht auf die eigene Anspruchsberechtigung nicht nur hypothetisch, sondern real vorhanden ist. Es lässt sich gar umgekehrt darauf ver­ weisen, dass die vorgeschlagene Unterstellung von Rechtskenntnis die Bestimmung des Verjährungsbeginns um die zusätzliche Untersuchung entlastet, ob die unzu­ treffende Rechtseinschätzung den Vorwurf grober Fahrlässigkeit auslöst. 5. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung In scheinbarem Widerspruch zu den bisher gewonnenen Erkenntnissen steht die vom BGH geteilte Ansicht, für den Beginn der Verjährung von Ersatzansprüchen gegen Rechtsberater komme es nicht nur auf die Kenntnis der Tatsachen, die der Pflichtverletzung zugrunde liegen, an, sondern auch auf die Erkennbarkeit der Pflichtverletzung als solche.467 Die vom IX. Zivilsenat angeführte Begründung ver­ mag jedenfalls nicht in Gänze zu überzeugen. Behauptet wird eine vermeintlich allgemeine Ansicht, wonach im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB Tatsachen­ kenntnis allein keine Kenntnis der Pflichtwidrigkeit vermittele.468 Die angeführten Literaturbelege stützen eine derartige Aussage allerdings nicht.469 Die Ansicht steht überdies in Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung des BGH, wonach die recht­ liche Erkenntnis der Pflicht(-widrigkeit) bzw. Rechtswidrigkeit gerade nicht vor­ ausgesetzt wird.470 Auch der Verweis auf Parallelen zur Arzthaftung471 ist nicht unproblematisch. An anderer Stelle hat der BGH ausdrücklich betont, dass zum Erkennen ärztlicher Fehler nur Tatsachenwissen – etwa betreffend übliche Behand­ lungsmethoden – erforderlich sei.472 467  Grundlegend BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  15; w.N. oben B. III. 2. Fn.  148. So wird beispielsweise der Mandant keine Pflichtverletzung erkennen, wenn er zwar in tatsächlicher Hinsicht um die Inaktivität seines Beraters weiß, ihm aber wegen fehlender Rechtskenntnisse verborgen bleibt, dass hierdurch eine Frist versäumt wur­ de, vergleiche die Konstellation bei OLG Stuttgart, Urt. v. 13.4.2010 – 12 U 189/09, NJW-RR 2010, 1645. 468  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993 Rn.  13; ganz ähnlich BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn.  26. 469 Bei Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  31, heißt es gerade, rechtliche Zweifel berührten die Kenntnis im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nicht, doch bilde das Wissen um Standards wie industrielle oder DIN-Normen die nötige Tatsachengrundlage für eine Kenntnis. U. Theisen/­ B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 469–470 (siehe dazu bereits 2.) setzen ebenfalls keine zutreffende Bewertung des Tatbestandsmerkmals „Pflichtwidrigkeit“ voraus, sondern verlangen Kenntnis von Anhaltspunkten für einen Anspruch. 470  Siehe oben B. II. 2. a) m.N. in Fn.  110, 113. 471  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993 Rn.  10; maß­ geblich darauf abhebend etwa auch Schauf, Kenntnis, S.  227–231. 472  BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  7; ebenso Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  31. Auf diesen Unterschied weist in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats auch BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020,

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Im Ergebnis ist die Aufnahme rechtlicher Erwägungen in den verjährungsbe­ gründenden Erkenntnisgegenstand in Fällen der Rechtsberaterhaftung gleichwohl zu befürworten. Verweise auf die Überlegenheit des Experten473 deuten in die richtige Richtung. Schließlich ist ein tragendes Motiv für die Schlechterstellung von Rechtsirrtümern durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB in der institutionalisierten Verfüg­ barkeit von Rechtsrat zu erblicken.474 Eben dieser Gedankengang versagt aber im Rahmen der Beraterhaftung.475 Hier verfügt der Bürger bereits über die Unter­ stützung eines Rechtsexperten. Es schösse über das Ziel hinaus, ihm abzuverlan­ gen, den Berater routinemäßig durch einen weiteren Berater kontrollieren zu las­ sen476 – die Reihe ließe sich unendlich fortsetzen. Die Idee einer Ausnahme für die Rechtsberaterhaftung stellt sich folglich als konsequentes Fortdenken der Motive dar, die hinter der prinzipiellen Diskriminierung des Rechtsirrtums im Verjäh­ rungsrecht stehen. Die Ausnahme stützt somit gar das Gesamtsystem. Diese Zu­ sammenhänge werden in der Literatur mitunter verkannt.477 Das gilt insbesondere für den Ansatz, einzig auf die Vergleichbarkeit zur Arzthaftung abzuheben und  – insofern durchaus konsequent – auch bei der Rechtsberaterhaftung für den Verjäh­ rungsbeginn keine rechtlichen Erkenntnisse (bzw. entsprechende grob fahrlässige Unkenntnis) zu fordern.478 Das teleologische Argument lässt sich durch den (auch vom BGH angeführ­ ten479) Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte untermauern. Die frühere kennt­ nisunabhängige Sonderverjährung wurde gerade unter Hinweis darauf aufgegeben, dass dem Mandanten oftmals die Pflichtverletzung nicht bewusst sei und dass das Institut der Sekundärverjährung keine vollständige Abhilfe schaffe.480 Dass indes auch auf Basis von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB die zutreffende Rechtserkenntnis keine Voraussetzung des Verjährungslaufs ist, scheint der Gesetzgeber übersehen zu ha­ 466, 467 Rn.  16, hin; so bereits Nassall, NJW 2014, 3681, 3684; ähnlich Kilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter III. 1.); Winter, jurisPR-BGHZivilR 8/2014 Anm.  1. 473  So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993–994 Rn.  15; BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, NJW 2014, 1800, 1801 Rn.  9; ähnlich (Wissens­ asymmetrie) Kilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter II. 1.); Schrader, Wissen, S.  139. 474  Siehe oben 1. c) cc). 475  So auch Winter, jurisPR-BGHZivilR 8/2014 Anm.  1. 476  So bereits zur Sekundärverjährung z. B. BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1287; daran anschließend BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  17; BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 116 Rn.  9; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  17; so auch ­K ilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter III. 2.). 477  So etwa von Schefe, Modifizierungen, S.  143–144. 478 So Schauf, Kenntnis, S.  232–235. Schaufs Entgegenkommen gegenüber dem Mandanten be­ schränkt sich letzten Endes darauf, die Tatsachenkenntnis aus der Laienperspektive zu beurteilen (a. a. O., S.  236–237), was ins Leere geht. Der BGH stellt nur bezüglich der Unzumutbarkeit bei verworrener Rechtslage auf einen rechtskundigen Dritten ab. Wenn Schauf, a. a. O., S.  237–241, mühsam vermeintliche Bedenken gegen eine Umstellung auf die Laienperspektive entkräftet, jagt er einem Phantom nach. 479  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  16. 480  Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

ben.481 Seine Intention gilt es gleichwohl zu berücksichtigen.482 Dass der BGH in diesem Kontext auf die Rechtsprechung zur Sekundärverjährung rekurriert,483 unterstreicht den Zusammenhang zur früheren Rechtslage abermals.484 Zu Recht hat der BGH seine Grundsätze zur Verjährung bei der Rechtsberater­ haftung auch auf die Haftung von Wirtschaftsprüfern wegen falscher Testate er­ streckt. Der betroffene Anleger wird hier gleichfalls in vermeintlicher Sicherheit gewogen, bereits in den Genuss einer Rechtsprüfung gekommen zu sein.485 Wo hingegen kein entsprechendes „Beratungsverhältnis“ besteht, fehlt es an einer Grundlage für eine Privilegierung des rechtlich irrenden Gläubigers.486 Das stimmt mit den Wertungen der früheren Rechtsprechung zur Sekundärverjährung über­ ein, die vor der fehlerhaften Anlageberatung durch Wertpapierdienstleister (§  37a WpHG a. F.) bewusst haltgemacht hatte.487 Die Privilegierung des Gläubigers kann ferner nur so weit reichen, wie sein Gegenüber ihm überhaupt zu einer recht­ lichen Prüfung bzw. Beratung verpflichtet war. Aus diesem Grund überzeugt es, dass der BGH es für verjährungsrechtlich irrelevant hält, wenn ein Anleger seine Einbeziehung in den Schutzbereich des Wirtschaftsprüfervertrags verkennt.488 Eine Beratung über diesen Umstand schuldete ihm der testierende Wirtschaftsprü­ fer gerade nicht. Einzugehen bleibt noch auf den Einwand, vergleichbare Resultate wie die der neueren BGH-Judikatur ließen sich auch ohne Eingriff in §  199 BGB erreichen, indem die Idee der Sekundärverjährung wiederbelebt und dem Mandanten zum Ausgleich der Verjährung ein weiterer Schadensersatzanspruch zugesprochen wer­ de.489 Über eine solche Rückbesinnung mag man vor allem deshalb nachdenken, weil der Gesetzgeber bei der Abschaffung der speziellen Verjährung nach §  51b BRAO, wie gesehen, sein Regelungsziel nicht vollständig erreicht hat.490 Aller­ dings bestünde die Gefahr, den Mandanten zu stark zu bevorteilen. Auf Basis des vom BGH praktizierten Modells ist der Rechtsanwalt immerhin durch die objektiv anknüpfenden Höchstfristen des §  199 Abs.  2–4 BGB geschützt. Nach dem zu­ 481  Peters, JR 2015, 70, 71 mit Fn.  4; dies erkennt letztlich auch BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  16 („Die […] Ansicht, die bloße Kenntnis der anwaltlichen Beratung und der ihr zu Grunde liegenden tatsächlichen Umstände reichten aus, greift daher zu kurz.“). 482  So auch Kayser, AnwBl 2014, 802, 803. 483  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993 Rn.  15, ver­ weist auf BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, NJW 2003, 822. 484  In diese Richtung auch Kilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter IV. 1.), und – wenngleich eher negativ konnotiert – Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  9 0. 485 BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2348 Rn.   26; vergleiche auch ­Harnos, ZBB 2015, 176, 180. 486  Richtig OLG München, Urt. v. 11.1.2018 – 23 U 1783/17, WM 2018, 900, 904. 487  Siehe oben B. III. 1. unter Verweis v. a. auf BGH, Urt. v. 8.3.2005 – XI ZR 170/04, BGHZ 162, 306 = NJW 2005, 1579, 1581. 488  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn.  26; vergleiche auch Schrader, Wissen, S.  140. 489  Peters, JR 2015, 70, 72. 490  Dazu soeben Fn.  481.

§  7 Nachteil durch Verjährung

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grunde liegenden Gedanken der Sekundärverjährung wäre es hingegen nur konse­ quent, auch eine Tertiärverjährung usw. anzuerkennen.491 Damit wäre das Risiko einer unbegrenzten Dauerhaftung verbunden. Wollte man dieses eindämmen, wäre die eigene Prämisse der Sekundärhaftung sogleich wieder zu beschneiden. Selbst in diesem Fall könnte sich durch die Sekundärhaftung ein überlanger Verjährungslauf ergeben.492 Überdies vermag nur die Lösung des BGH die Fälle des falschen Wirt­ schaftsprüfertestats sachgerecht zu erfassen. Der Ansatz über die Sekundärhaftung ist hier problematisch. Um der dann bestehenden Aufklärungspflicht nachzukom­ men, müsste der Wirtschaftsprüfer sämtliche Anleger erreichen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich die Modifikation des Erkenntnisgegen­ stands in Fällen der Rechtsberaterhaftung schlüssig begründen lässt. Die Recht­ sprechung sollte sich deshalb zu der von ihr praktizierten Abweichung von der Grundregel auch terminologisch klar bekennen.493 Der III. Zivilsenat des BGH hat zunächst selbst unterstrichen, im hier behandelten Sonderfall müsse der „Ge­ schädigte Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis davon haben, dass die Rechtsanwendung fehlerhaft gewesen ist“.494 Das ist unmöglich, ohne die rechtliche Lage zum Erkenntnisgegenstand zu erheben. Nunmehr betont derselbe Senat indes, es werde „nicht verlangt, dass der Mandant das Vorgehen seines Anwalts zutreffend als fehlerhaft beurteilt“; der Mandant müsse „nur Tatsachen kennen, die auch aus seiner laienhaften Sicht auf eine anwaltliche Pflichtverletzung hindeuten“.495 So­ weit damit lediglich hervorgehoben werden soll, dass schon Kenntnis oder Ken­ nenmüssen der Möglichkeit einer Pflichtverletzung genügt, wäre das nicht zu bean­ standen.496 Die Formulierung droht allerdings zu kaschieren, dass der Erkenntnis­ gegenstand eben nicht bloß die betreffenden Fakten sind, sondern dass zugleich eine rechtliche (Parallel-)Wertung verlangt wird.497

491  Prägnant bereits R. Zimmermann, NJW 1985, 720; siehe auch Schauf, Kenntnis, S.  178. Das früher von BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380 = NJW 1985, 2250, 2253, ange­ führte Argument, eine Tertiärverjährung würde den durch die Sonderverjährung intendierten Schutz des Beraters aushöhlen, lässt sich auf Basis des heutigen Verjährungsrechts nicht mehr aufrechthalten. 492 Näher Schauf, Kenntnis, S.  173–174 und 175. 493 Auch Nassall, NJW 2014, 3681, 3684, warnt davor, die Judikatur zur Beraterhaftung „als bloße Bestätigung des erreichten Stands der Rechtsprechung aufzufassen“. 494  BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2348 Rn.  26 (Herv. d. Verf.); zu­ treffende Interpretation bei LAG Hessen, Urt. v. 9.3.2018 – 14 Sa 271/17, BeckRS 2018, 46075 Rn.  15: Es komme ausnahmsweise auf „die Frage der Rechtskenntnis“ an. 495  BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  15. 496  Siehe dazu eingehend unten II. 497  BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 468 Rn.  18, führt aus: „[A]uch der IX. Zivilsenat macht den Beginn der Verjährung nur davon abhängig, dass der Mandant Tatsachen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, die aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre den Verdacht nahelegen, sein Anwalt habe rechtlich fehlerhaft agiert“ (Herv. d. Verf.).

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

II. Erkenntnisgrad Im vorstehenden Abschnitt wurde umrissen, inwieweit Kenntnis oder Erkennbar­ keit der Rechtslage überhaupt für die Verjährung Bedeutung erlangen können. Es hat sich gezeigt, dass sich eine solche Relevanz insbesondere im Rahmen der Zu­ mutbarkeitsprüfung ergeben kann. Für diese gilt es nun zu klären, welchen Grad die rechtliche Erkenntnis, welches Maß die Überzeugung von einer günstigen Rechtslage erreichen muss, um die Verjährung in Gang zu setzen (dazu 1.–2.). Eine weitere Ausnahme von der Unbeachtlichkeit rechtlicher Vorstellungen ist für An­ sprüche wegen Rechtsberatungsfehlern anzuerkennen. Auch insoweit ist der Er­ kenntnisgrad zu umreißen (dazu 3.). 1. Widersprüchlichkeit und Unklarheit bisher angelegter Maßstäbe Die Maßstäbe, die Gerichte und Literatur im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung anlegen, sind uneinheitlich.498 Zu Recht wird der schwankende und teils ungenaue Sprachgebrauch bemängelt.499 Die gebräuchliche Formel, wonach die Berechtigung (durch einen Rechtskundigen) zuverlässig einzuschätzen sein müsse,500 klingt gläu­ bigerfreundlich. Großzügig erscheint auch die Annahme einer unzumutbar ver­ worrenen Rechtslage, wenn die den Anspruch stützende Auffassung „ernsthaft bestritten“ ist.501 Vergleichbares gilt für den Ansatz, eine Klage auch dann nicht für zumutbar zu halten, wenn der BGH ausdrücklich offengelassen hat, ob er an seiner anspruchsfeindlichen Rechtsprechung festhalten wird.502 Inzwischen findet sich in der Judikatur indes vermehrt eine strengere Herangehensweise. So soll nach Ein­ schätzung des IV. Zivilsenats ein ungeklärter Meinungsstreit noch keine Unzumut­ barkeit begründen, selbst wenn die obergerichtliche Judikatur einhellig der an­ spruchsfeindlichen Auffassung folgt.503 Divergierende Entscheidungen 504 oder einzelne ablehnende Urteile505 aus der Reihe der Obergerichte können aus dieser Perspektive erst recht nicht zur Unzumutbarkeit führen. Der XII. Zivilsenat hat es gar für zumutbar erachtet, gewisse Systemwechsel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (dort: zu Zuwendungen durch Schwiegereltern) gleichsam zu anti­ zipieren.506 Umgekehrt soll ein Prozessieren auf Basis einer günstigen (und schließ­ 498 

Überblick bei Bär, Verjährung, S.  114–133. Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2081. 500  Siehe oben B. II. 1. b) m.N. in Fn.  46. 501  So BGH, Urt. v. 7.12.2010 – XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278, 1279 Rn.  21; ganz ähnlich Bartlitz, ZBB 2014, 233, 238. 502  BGH, Urt. v. 16.6.2016 – I ZR 222/14, GRUR 2016, 1291, 1295 Rn.  4 4 – Geburtstagskarawane. 503  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 513 Rn.  17–18; BGH, Urt. v. 21.2.­ 2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  17–18. Dies als Übergang zu einer strengeren ­Linie deutend auch Eichel, NJW 2019, 393, 395. 504  Dazu BGH, Urt. v. 18.12.2008 – III ZR 132/08, NJW 2009, 984, 984 Rn.  14; BGH, Urt. v. 22.7.­2014 – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3094 Rn.  28. 505  Dazu BGH, Urt. v. 11.9.2012 – XI ZR 56/11, NJW 2013, 1228, 1232 Rn.  38. 506  BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 631–633 Rn.  30–40. 499 So

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lich auch beibehaltenen) BGH-Rechtsprechung selbst dann zumutbar sein, wenn Literatur und Instanzgerichte Zweifel daran angemeldet haben.507 Besonders symptomatisch für den bestehenden Konflikt ist der Kontrast der ­beiden Leitentscheidungen des XI. Zivilsenats zu AGB-Klauseln über Bearbei­ tungsentgelte bei Darlehen. In seiner ersten Entscheidung wollte der Senat aus der Existenz anspruchsfreundlicher Literaturstimmen (einschließlich des damaligen Senatsvorsitzenden) keine Zumutbarkeit herleiten.508 Knapp drei Jahre später ge­ nügte dem Senat für den Verjährungsbeginn, dass seit seiner ersten Entscheidung „in Zweifel“ gestanden habe, ob die entsprechenden Klauseln im unternehmeri­ schen Verkehr AGB-rechtskonform waren.509 Im Schrifttum wird teils angemahnt, die Unzumutbarkeit eng zu interpretieren.510 Andere Vertreter hingegen meinen, die Rechtslage müsse „eindeutig“ zu beurteilen sein, um eine Klage zumutbar zu machen.511 Mit ähnlicher Schlagrichtung wird bereits anspruchsfeindliche OLG-Judikatur für verjährungshindernd gehalten, da solche Entscheidungen die Unsicherheit rechtskundiger Dritter (in Person der Richter) belegten.512 Gerade mit Blick auf das Ziel, die Vorhersehbarkeit der Anwendung der Verjäh­ rungsregeln zu gewährleisten, ist der Zustand der Diskussion unbefriedigend.513 Es besteht Bedarf für eine sachgerechte Lösung zwischen Negierung der Unzu­ mutbarkeit einerseits und ihrer Überdehnung andererseits. 2. Maßstabsbildung Bei der Entwicklung eines solchen Ansatzes ist zu beachten, dass die tradierte Her­ leitung der Unzumutbarkeitsprüfung als vermeintlich übergreifendes Element des Verjährungsbeginns erhebliche Defizite aufweist.514 Stattdessen bedarf es einer Rückbesinnung auf die Gründe, aus denen §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB Rechtsirrtümer grundsätzlich für unbeachtlich erklärt, und die hieraus abgeleitete Rechtfertigung der Unzumutbarkeitsausnahme. a) Anreizwirkungen des Verjährungsrechts Wesentlich für die prinzipielle Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern des Gläubi­ gers streitet insbesondere der Gedanke, es sollten hinreichende Anreize für eine 507 

BGH, Urt. v. 26.9.2012 – VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077, 1081 Rn.  53. Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718–3719 Rn.  66. 509  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99; sodann übertra­ gen auf Bauspardarlehen BGH, Urt. v. 19.3.2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2163–2164 Rn.  34–35. 510  Siehe oben B. II. 1. b) bb) m.N. in Fn.  7 7. 511  Otto, VersR 2009, 760, 762. 512 So Lammeyer/Singbartl, BKR 2017, 462, 463. 513  Besonders eindringlich Bär, Verjährung, S.  111–112, 138–139, 142–143, 215, 217; zu dem ge­ nannten gesetzgeberischen Ziel siehe Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 96. 514  Siehe oben I. 3. b). 508  BGH,

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Klärung ungewisser Rechtsfragen gesetzt werden.515 Dieses Ziel verlangt es, die Drohkulisse der Verjährung nicht erst dort zu errichten, wo der Anspruchsinhaber ohnehin relativ sicher mit einem Prozesserfolg rechnen darf. Zur Geltendmachung anstoßen muss ihn das Verjährungsrecht vielmehr dort, wo er ansonsten geneigt wäre zuzuwarten. Es lässt sich somit in einem ersten Schritt festhalten, dass bei ei­ ner zweifelhaften Rechtslage in aller Regel von Zumutbarkeit ausgegangen werden muss. Ein solches Verständnis hat bereits der VI. Zivilsenat des BGH in den 1970er-Jahren klar präferiert.516 Zustimmung verdient auch die in jüngerer Vergan­ genheit geäußerte Auffassung des XI. Zivilsenats, die Verjährung habe begonnen, da die Rechtslage „in Zweifel“ gestanden habe.517 Damit ist allerdings nur eine grobe Richtschnur gefunden. Um die Schwelle, an der eine Anreizwirkung überhaupt noch in Betracht kommt, punktgenau zu be­ stimmen, müsste man in jedem Einzelfall errechnen, ab welcher Erfolgswahr­ scheinlichkeit der Erwartungswert einer Klage hinreichend hoch ausfällt: Das hängt vor allem vom Wert des möglichen Anspruchs und der Kostenlast im Fall einer Niederlage ab.518 Tatsächlich ist in der Instanzrechtsprechung vereinzelt zu einer rechnerischen Begründung der Unzumutbarkeit angesetzt worden – jedoch ohne anschließend eine entsprechende Prozentschwelle für die Zumutbarkeit fest­ zusetzen.519 Die konkrete „Anreizschwelle“ kann ohnehin von zahlreichen weite­ ren Faktoren abhängen, etwa dem zeitlichen und psychologischen Aufwand520 oder dem Bestehen einer Rechtsschutzversicherung521 oder sonstigen Prozessfinan­ zierung.522 Auch können kognitive Verzerrungen die Klageneigung beeinflussen.523 Angesichts dieser vielfältigen Variablen wäre die Schwelle der Unzumutbarkeit für den Rechtsanwender kaum mit vertretbarem Aufwand ermittelbar und für den Rechtsunterworfenen kaum vorhersehbar. Es würde gerade ein Argument derje­ nigen bedient, die sich insgesamt gegen die Zumutbarkeitsprüfung wenden: Die Bestimmtheit der Verjährungsregeln, die für die verfolgten Zwecke elementar sei, würde stärker als erforderlich beeinträchtigt.524 Vergleichbares gilt für den Vor­ schlag, von Unzumutbarkeit auszugehen, solange eine Rechtsfrage mit „gesamt­ wirtschaftlicher Bedeutung“ nicht durch einen Verbandsprozess geklärt ist und die außer Verhältnis zum jeweiligen Anspruch stehenden Rechtsdurchsetzungskosten 515 

Dazu oben I. 3. c). BGH, Urt. v. 6.11.1973 – VI ZR 199/71, VersR 1974, 197, 198 (siehe oben I. 1. c) dd)). 517  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99–100. 518  Dazu näher §  19 B. II. 1. 519  Siehe LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.1.2014 – 6 S 3714/13, BeckRS 2014, 2544. 520  Dazu wiederum näher unten §  19 B. II. 1. 521  LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.1.2014 – 6 S 3714/13, BeckRS 2014, 2544, hat diesen Um­ stand zwar gesehen, ihn aber im Ergebnis für unbeachtlich gehalten. Zum Einfluss von Rechts­ schutzversicherungen siehe m. w. N. Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn.  153. 522  Vergleiche das Fallbeispiel von Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  131–132. 523  Näher wiederum §  19 B. II. 1. 524 So Herresthal, WM 2018, 401, 405; Jacoby, ZMR 2010, 335, 339; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1060; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 460; Wardenbach, BB 2015, 2, 8. 516 

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die einzelnen Verbraucher von einer Klage abhalten.525 Auch hier fände eine Be­ rücksichtigung der (fehlenden) Anreize statt, ohne dass die Anwendung der Maß­ stäbe hinreichend vorhersehbar wäre: Wann sind die Verbraucheransprüche „ver­ hältnismäßig gering“? Wann hat eine Rechtsfrage eine „gesamtwirtschaftliche Be­ deutung“? An die Stelle eines an der Anreizlage des Einzelfalls orientierten Maßstabs muss ein einfacher zu bestimmender, weniger variabler Standard treten, der sich dabei aber der treffenden Anreizgestaltung möglichst weit annähert. b) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten An diesem Punkt erweist es sich als wichtig, dass mit den Anforderungen des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO ein Maßstab bereitsteht, der aus normativen Gründen zu übertra­ gen ist.526 Im Einzelnen gilt danach Folgendes: Wegen der verfassungsrechtlichen Funktion der Prozesskostenhilfe dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussich­ ten der beabsichtigten Rechtsverfolgung generell nicht überspannt werden.527 We­ niger noch: Es genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit.528 Das ist nicht zu verwechseln mit Erfolgsgewissheit. Solche muss gerade nicht vorliegen.529 Nicht einmal eine überwiegende Wahrscheinlichkeit wird gefordert.530 Prozesskosten­ hilfe darf erst verweigert werden, „wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist“.531 Zur Bedeutung speziell von rechtlicher Ungewissheit wird verbreitet formuliert, Pro­ zesskostenhilfe sei zu gewähren, wenn der Erfolg von der Beurteilung einer schwie­ rigen und ungeklärten Rechtsfrage abhänge.532 Im Wesentlichen gleichsinnig wird 525 So

Feldhusen, NJW 2016, 2145, 2149. Siehe oben I. 3. c) bb). 527  BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 414; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  12; BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 18.9.2017 – 2 BvR 451/17 u. a., NVwZ 2018, 319, 320 Rn.  11; Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  22; F. O. Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  19; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  23. 528  OLG München, Beschl. v. 5.10.1988 – 8 W 2457/88, FamRZ 1989, 199, 199; Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  80; Kießling, in: Hk-ZPO, §  114 Rn.  18; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  23; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  11; anders noch Schultz- ­Süchting, Untersuchungen, S.  135. 529  F. O. Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  19; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  23; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  114 Rn.  3. 530  Bork, in: Stein/Jonas, §   114 Rn.  22; Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  80; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  11. 531  BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  12; BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18, NJW 2020, 534, 535 Rn.  27; in der Sache ebenso Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  22; Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  80; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  23. 532  BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 414; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  14; BGH, Beschl. v. 9.9.1997 – IX ZB 92/97, NJW 1998, 82 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 27.11.­ 2014  – III ZA 19/14, NJW 2015, 1020 Rn.  4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  87 Rn.  32; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  25; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  114 Rn.  5. 526 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

für ausreichend erachtet, dass die entscheidende Rechtsfrage zweifelhaft ist.533 Zweifel in diesem Sinne sollen jedenfalls bestehen, sofern die Voraussetzungen ei­ ner Revisionszulassung gemäß §  543 Abs.  2 S.  1 ZPO erfüllt sind.534 Hinreichende Erfolgsaussichten sollen demnach in der Regel vorliegen, wenn die relevanten Rechtsfragen noch nicht höchstrichterlich entschieden sind.535 In solchen Fällen werden die Erfolgsaussichten nur dann als zu gering angesehen, wenn die entschei­ dende Rechtsfrage durch einfache Gesetzesauslegung bzw. Rückgriff auf existie­ rende Auslegungshilfen der Rechtsprechung ohne Weiteres negativ zu beantwor­ ten, also nicht „schwierig“ ist.536 Existiert hingegen negative höchstrichterliche Rechtsprechung, ist Prozesskostenhilfe grundsätzlich – unabhängig von der Schwierigkeit der betroffenen Frage – zu versagen.537 Eine Ausnahme wird vor al­ lem für den Fall anerkannt, dass eine zwischenzeitliche Gesetzesänderung den Fortbestand dieser Rechtsprechung in Zweifel zieht.538 Nach mitunter vertretener Auffassung sollen hinreichende Erfolgsaussichten zudem bestehen, „wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung gewichtigen Einwänden der Untergerichte oder der Rechtslehre ausgesetzt sieht“.539 S olche Fragen dürften nicht schon im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, siehe BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 19.2.2008 – 1 BvR 1807/07, NJW 2008, 1060, 1061 Rn.  23; BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 18.9.2017 – 2 BvR 451/17 u. a., NVwZ 2018, 319, 320 Rn.  11; BGH, Beschl. v. 8.5.2013 − XII ZB 624/12, NJW 2013, 2198, 2199 Rn.  8; Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  100 („Rechtsfrage“); F. O. Fischer, in: ­Musielak/Voit, §  114 Rn.  20. 533  BGH, Beschl. v. 22.11.2011 − VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125, 126 Rn.  10; BGH, Beschl. v. 7.3.2012 − XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964, 1965 Rn.  14; BGH, Beschl. v. 10.7.2013 – XII ZB 34/13, NJW-RR 2014, 131 Rn.  6; BGH, Beschl. v. 16.1.2014 – V ZB 12/13, NJW-RR 2014, 526, 526 Rn.  6; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  22; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  60. 534  So der Sache nach BGH, Beschl. v. 21.11.2002 – V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127; BGH, Beschl. v. 17.3.2004 – XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  114 Rn.  3; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  60. 535 Deutlich Kießling, in: Hk-ZPO, §  114 Rn.  28; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  114 Rn.  3; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 10.12.2001 – 1 BvR 1803/97, NJW-RR 2002, 793, 794; BGH, Beschl. v. 8.5.­2013 − XII ZB 624/12, NJW 2013, 2198, 2199 Rn.  8; BGH, Beschl. v. 29.7.2020 – XII ZB 172/18, NJW-RR 2020, 1267, 1268 Rn.  13. 536  BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 414; BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 19.2.2008 – 1 BvR 1807/07, NJW 2008, 1060, 1061 Rn.  23; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  14; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 20.5.2016 – 1 BvR 3359/14, NJW 2016, 3228, 3229 Rn.  14; BGH, Beschl. v. 11.9.2002 – VIII ZR 235/02, NJW-RR 2003, 130, 131; BGH, Beschl. v. 27.11.2014 – III ZA 19/14, NJW 2015, 1020 Rn.  4; Kießling, in: ­Hk-ZPO, §  114 Rn.  28; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  25. 537 Siehe Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  100 („Rechtsfrage“); Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  25; ähnlich Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  25. Deutlich für den Fall, dass im Lauf des Prozesskostenhilfeverfahrens eine höchstrichterliche Klärung eintritt: BGH, Beschl. v. 27.1.­ 1982  – IVb ZB 925/80, MDR 1982, 564, 565; BGH, Beschl. v. 31.7.2013 – XII ZB 138/12, NZS 2013, 878, 879 Rn.  7–8; F. O. Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  20. 538  OLG Bremen, Beschl. v. 30.9.2008 – 3 W 17/08, MDR 2009, 219, 219–220; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  15; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  60. 539 So Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  25.

§  7 Nachteil durch Verjährung

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aa) Auswirkungen einer Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO stellt neben den hinreichenden Erfolgsaussichten eine weitere sachliche Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe auf: Die beab­ sichtigte Rechtsverfolgung darf nicht mutwillig sein. Nach §  114 Abs.  2 ZPO liegt Mutwilligkeit vor, „wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechts­ verteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg be­ steht“. Es fragt sich nun, ob neben der Prüfung der Erfolgsaussichten auch die der Mut­ willigkeit in das Verjährungsrecht zu transferieren ist. Man sollte sich in diesem Zusammenhang der Gründe erinnern, die zu einer Heranziehung des Maßstabs aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO für die Frage der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit führen:540 Nur bei tatsächlich bedürftigen Gläubigern lässt sich auf die durch das Prozesskostenhilferecht geschützten Grundrechtspositionen verweisen. Im Übri­ gen rechtfertigt sich der Rekurs auf §  114 ZPO hingegen dadurch, dass der Vor­ schrift ein allgemeingültiger Anhaltspunkt für die gesetzgeberische Vorstellung entnommen wird, ab welchem Grad an Erfolgsaussicht eine Klage förderungswür­ dig erscheint. Die im Rahmen der Mutwilligkeitsprüfung zu berücksichtigenden Aspekte des Einzelfalls, wie etwa konkret fehlende Vollstreckungsaussichten,541 spielen für diese grundsätzliche Gewichtung keine Rolle. Eine inzidente Begutach­ tung solcher Gesichtspunkte würde die Verjährungsprüfung überfrachten. Im In­ teresse des um Rechtssicherheit bemühten Verjährungsrechts läge dies nicht. Dies muss konsequenterweise auch für die Kombination aus geringen, wenngleich hin­ reichenden Erfolgsaussichten mit der Geltendmachung einer geringwertigen For­ derung gelten. Wenn Gerichte hier Mutwilligkeit in Erwägung gezogen haben,542 beruhte dies ohnehin nicht auf dem generellen Missverhältnis zum Kostenrisiko infolge der degressiven Gebührenberechnung,543 sondern auf konkret zu erwar­ tenden hohen Sachverständigenkosten.544 Dabei handelt es sich gerade um Einzel­ fallumstände, die für eine rechtssichere, generelle Maßstabsetzung im Verjährungs­ recht nicht herangezogen werden können. 540 

Dazu oben I. 3. c) bb). F. O. Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  41 m. w. N.; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  52 m. w. N. 542  Es soll nicht jede Geltendmachung kleiner Forderungen mutwillig sein, da auch „Selbst­ zahler“ um geringe Beträge streiten, Begr. RegE, BT-Drs. 17/11472, 29; Kießling, in: Hk-ZPO, §  114 Rn.  35. Ein Missverhältnis soll aber insb. bestehen, wenn der Forderungsbetrag im Verhält­ nis zu den anfallenden Kosten niedrig und die Erfolgsaussichten zweifelhaft sind, BVerfG (3.  Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 21.3.2013 – 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12, NJW 2013, 2013, 2014: LG Ulm, Beschl. v. 1.2.1990 – 1 T 25/89-01, NJW-RR 1990, 637, 638; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  46; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  67; siehe auch Entwurf PKHBegrenzG der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, BR-Drs. 250/06, 45. 543  Zu dieser noch §  19 B. II. 1. mit Fn.  34. 544  So bei LG Ulm, Beschl. v. 1.2.1990 – 1 T 25/89-01, NJW-RR 1990, 637, 638, auf das BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 21.3.2013 – 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12, NJW 2013, 2013, 2014, Bezug nimmt; ebenso etwa Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  46. 541 Vergleiche

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Ein Folgeproblem ergibt sich aus der hier vertretenen Ansicht nur in denjenigen Fällen, in denen der Gläubiger tatsächlich bedürftig im Sinne des Prozesskosten­ hilferechts ist. Für ihn ist es unerheblich, aus welchen Gründen ihm Prozesskosten­ hilfe verweigert wird. Auch im Fall, dass die Rechtsverfolgung lediglich für mut­ willig gehalten wird, kann er nicht klagen und auf diesem Weg die Verjährung hem­ men. Man könnte daraus die Schlussfolgerung ziehen, jedenfalls bei Bedürftigen sei verjährungsrechtliche Unzumutbarkeit stets anzunehmen, wenn in casu die sach­ lichen Voraussetzungen von §  114 ZPO nicht erfüllt sind. Konsequenz dessen wäre jedoch, dass im Rahmen der Verjährungsfrage auch die (fortdauernde!) Bedürftig­ keit festgestellt werden müsste.545 Diese Prüfung würde die Komplexität der Ver­ jährungsfrage in einer Weise erhöhen, die kaum hinnehmbar erscheint. Die beschriebenen Schwierigkeiten lassen sich auf zwei Wegen beheben. Die ers­ te Lösung besteht darin, den Verjährungslauf stets (auch bei bedürftigen Gläubi­ gern) nur von den Erfolgsaussichten, nicht aber von den übrigen Versagungsgrün­ den des §  114 ZPO abhängig zu machen. Dafür spricht nicht nur die einfachere Bestimmbarkeit der Verjährung. Es lässt sich auch darauf verweisen, dass ein ver­ jährungsrechtlicher Schutz Bedürftiger, die Prozesskostenhilfe nicht erlangen kön­ nen, in vielen Fällen gleichwohl gewährleistet ist: Solange ein Prozesskosten­ hilfeantrag an den fehlenden Erfolgsaussichten gescheitert ist bzw. wäre, beginnt schließlich die Verjährung nicht zu laufen. Für die verbleibenden Fälle könnte man an eine Hemmung nach §  206 BGB denken, wenngleich wirtschaftliches Unvermö­ gen angesichts von §  204 Abs.  1 Nr.  14 BGB nur noch unter besonderen Umständen höhere Gewalt darstellen soll.546 Verneint man eine Hemmung, bleibt jedenfalls der Befund, dass der wirtschaftlich Bedürftige verjährungsrechtlich ohnehin nicht dauerhaft geschützt wird. Zumindest die Maximalverjährung nach §  199 Abs.  2–4 BGB trifft ihn selbst dann, wenn ihm weder eine Klage noch ein erfolgreicher An­ trag auf Prozesskostenhilfe möglich war. Das Bestehen solcher Schutzlücken folgt letzten Endes aus den vom Verjährungsrecht verfolgten Zwecken, insbesondere der Vermittlung von Rechtssicherheit. Wer sich damit nicht abfinden wollte, müsste – als zweite denkbare Lösung – be­ reits auf Ebene des §  114 ZPO gegensteuern. So erscheint es insbesondere vertretbar, nach Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht keine Korrektur durch die Annahme von Mutwilligkeit zuzulassen, soweit sich diese auf den geringen Anspruchswert (und ein daraus folgendes Missverhältnis) stützt.547 Dies könnte man gar explizit mit Blick auf die sonst drohenden verjährungsrechtlichen Konsequenzen begründen. Im Schrifttum wird tatsächlich gerade mit Blick auf die ansonsten drohende Verjäh­ rung für Zurückhaltung bei der Annahme von Mutwilligkeit plädiert.548 545 

Siehe dazu schon I. 3. c) bb). Zum Problem etwa Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  206 Rn.  19–23 m. w. N. 547  So – ausdrücklich gegen LG Ulm, Beschl. v. 1.2.1990 – 1 T 25/89-01, NJW-RR 1990, 637, 638  – Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  27. 548 Explizit Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  52; ähnlich OLG Hamm, Beschl. v. 28.12.2004  – 8 W 64/04, NJW-RR 2005, 723, 724; Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  31. 546 

§  7 Nachteil durch Verjährung

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bb) Abwarten von Pilot- oder Parallelverfahren Eine besondere Problematik könnte sich ferner ergeben, wenn die im konkreten Fall entscheidende Rechtsfrage bereits Gegenstand eines schwebenden Verfahrens zwischen Dritten bzw. zwischen dem Schuldner und Dritten ist. Anders als mitun­ ter bei Vorprozessen zwischen Gläubiger und Schuldner bzw. Gläubiger und Drit­ ten549 gewährt die herrschende Meinung hier keinerlei Verjährungserleichterungen: Der Anspruchsinhaber soll ein schwebendes Parallel- bzw. Pilotverfahren, an dem er nicht beteiligt ist, nicht einmal dann ohne Verjährungsrisiko abwarten dürfen, wenn sich dieses bereits in der Revisionsinstanz befindet.550 Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Forderung551 gewährt der BGH auch keinen Verjährungs­ aufschub, wenn ein die relevante Rechtsfrage betreffendes Verfahren der Klärung durch den EuGH harrt.552 Unter den geschilderten Umständen mag es wahrschein­ lich sein, dass es der Rechtsverfolgung durch den Gläubiger nicht mehr bedarf, um eine Klärung der Rechtsfrage zu erreichen.553 Allerdings bleibt von der Grundwer­ tung des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auszugehen. Danach sind rechtliche Zweifel prin­ zipiell unbeachtlich. Eine teleologische Reduktion – in Gestalt der Unzumutbar­ keit  – ist nur insoweit anzuerkennen, wie praktisch ausgeschlossen erscheint, dass die Geltendmachung Erfolg haben könnte. Dann deutet die Wertung aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO dahin, dass eine Inanspruchnahme unterbleiben soll. Um solche Fälle geht es beim Abwarten eines Parallelverfahrens nicht. Hier besteht gerade Aussicht auf Erfolg. Für die Annahme von Unzumutbarkeit gäbe es nur dann eine Grundlage, wenn §  114 ZPO seinerseits das Abwarten eines Pilotverfahrens verlangte. Tatsächlich ist nach der Rechtsprechung des BVerfG einem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu versagen, wenn die zu klärende „Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz (sog. unechte Musterverfahren) anhängig ist“.554 Die beabsich­ tigte Rechtsverfolgung stelle sich als mutwillig dar, weil ein sein Kostenrisiko ver­ nünftig abwägender Bürger den Ausgang des Musterverfahrens abwarten würde, um gegebenenfalls von einem positiven Ausgang zu profitieren.555 Zwar wurde soeben festgestellt, dass die Annahme von Mutwilligkeit im Regelfall nicht zu einer 549 

Vergleiche zu solchen Fällen der Unzumutbarkeit I. 3. e). zuletzt BGH, Urt. v. 4.6.2009 – III ZR 144/05, BGHZ 181, 199 = EuZW 2009, 865, 870 Rn.  34; auch LG Bonn, Urt. v. 14.5.2008 – 5 S 58/08, MDR 2008, 1383, 1384; Jacoby, ZMR 2010, 335, 339; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1061; vergleiche auch Abeling, Kenntnis, S.  84; Börstinghaus, NJW 2011, 3545, 3547. 551  Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 10. 552  Aus BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  16–18; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  16–18, geht hervor, dass allein die Befassung des EuGH nicht zu einem Hinausschieben der Verjährung führen soll. 553  Vergleiche zur rechtspolitischen Kritik unten §  19 B. II. 2. 554  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08, NJW 2010, 988, 989 Rn.  10. 555  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08, NJW 2010, 988, 989 Rn.  10; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 9.7.2012 – L 6 AS 12/12 B PKH, BeckRS 2012, 74848; ähnlich F. O. Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  20. 550  Eindeutig

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit führt.556 Dies wurde jedoch damit be­ gründet, dass die bei der Mutwilligkeitsprüfung zu beachtenden Einzelfallumstän­ de keine Wertung dahingehend zulassen, unter welchen Bedingungen der Gesetz­ geber die Rechtsklärung generell für förderungswürdig erachtet, und dass ihre ­inzidente Berücksichtigung das Verjährungsrecht überkomplex werden ließe. Be­ treffend die allgemeine Frage, ob Parallelverfahren abzuwarten sind, könnte man diese Bedenken möglicherweise beiseiteschieben. Dann würde auch in diesem Punkt die (negative) Bewertung im Rahmen von §  114 ZPO eine verjährungsrecht­ liche Unzumutbarkeit begründen können. Die Problematik bedarf indes keiner abschließenden Erörterung. Es ist nämlich zu beachten, dass in der zitierten Kam­ merentscheidung des BVerfG die Annahme von Mutwilligkeit auf besonderen Ge­ sichtspunkten fußte. Betroffen war ein sozialrechtlicher Disput, in dem der beklag­ te Rentenversicherungsträger angeboten hatte, das Verfahren bis zum Ergehen der erwarteten Pilotentscheidung ruhend zu stellen.557 Hier drohte demnach gerade keine Beeinträchtigung der Rechte des Antragstellers durch Zeitablauf.558 Das ist in Verjährungsfällen anders. Auch der BGH hat, als er einen Antragsteller im Rah­ men von §  114 ZPO zunächst auf die Führung eines einzelnen Musterprozesses verwies, gerade betont, der Antragsteller erleide keinen Nachteil: „Es droht keine Verjährung.“559 Im Gegenschluss wäre also bei drohender Verjährung Prozess­ kostenhilfe zu gewähren. Der befürchtete Wertungskonflikt ergibt sich nicht. cc) Zwischenfazit Die Heranziehung von §  114 ZPO als Maßstab für die Zumutbarkeitsprüfung er­ scheint nicht nur normativ geboten. Sie liefert zugleich ein geeignetes heuristisches Mittel, um die zugrunde liegenden Anreizerwägungen zu berücksichtigen. Zu­ gleich wird dem Vorwurf einer „freien“, normativ ungebundenen Zumutbarkeits­ prüfung vorgebeugt. Der offenstehende Rückgriff auf die Entscheidungspraxis zur Prozesskostenhilfe sorgt für eine erhöhte Vorhersehbarkeit der Unzumutbarkeits­ bewertung. c) Präzisierung des Maßstabs Die Wirkungsweise des hergeleiteten Maßstabs ist im Folgenden zu präzisieren. Zur ersten Orientierung kann man auf die (auch im Schrifttum gezogene560) Trenn­ 556 

Soeben aa). BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08, NJW 2010, 988, 988; ähnlich bei LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 9.7.2012 – L 6 AS 12/12 B PKH, BeckRS 2012, 74848. 558  BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08, NJW 2010, 988, 989 Rn.  11, betont selbst, dass „dem Betroffenen nach Ergehen der ‚Musterentscheidungen‘ noch alle prozessualen Möglichkeiten offenstehen, umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen“. 559  BGH, Beschl. v. 21.11.2013 – III ZA 28/13, NJOZ 2014, 987, 988 Rn.  10. 560  So z. B. Harnos, WM 2015, 1658, 1659 Fn.   18; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  133.1; Wardenbach, BB 2015, 2, 5. 557 

§  7 Nachteil durch Verjährung

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linie zwischen Fällen anspruchsfeindlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung und sonstigen Konstellationen zurückgreifen. aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung Die Rechtsprechung versagt regelmäßig Prozesskostenhilfe, wenn gegen eine be­ stehende höchstrichterliche Judikatur vorgegangen werden müsste.561 Diese Sicht­ weise orientiert sich an der Lebenswirklichkeit. Der Rechtskundige wird seine Er­ folgsprognose in aller Regel an der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausrich­ ten.562 Die entsprechende Wertung aus dem Kontext des §  114 ZPO ist demnach auf das Verjährungsrecht zu übertragen. Im Grundsatz ist in den angesprochenen Fäl­ len von Unzumutbarkeit auszugehen.563 Voraussetzung für eine Unzumutbarkeit infolge negativer höchstrichterlicher ­Judikatur ist selbstredend, dass die betroffene Rechtsprechungslinie in der Sache überhaupt (noch) einschlägig ist. In der Literatur wird zu Recht darauf verwiesen, dass anspruchsfeindliche Rechtsprechung jeweils eine sehr unterschiedliche „Abs­ traktionshöhe“ aufweisen kann.564 Es werden daher später genauere Maßstäbe zur Beurteilung der Einschlägigkeit zu erarbeiten sein.565 Von einer anspruchsfeind­ lichen, die Unzumutbarkeit begründenden Rechtsprechung ist jedenfalls nicht aus­ zugehen, wenn auch nach dieser früheren Judikatur Aussicht auf einen Erfolg der Klage bestand, wenngleich mit einer anderen dogmatischen Begründung als der nunmehr höchstrichterlich favorisierten. Im Ausgangspunkt verteidigen lässt sich deshalb die Entscheidung des BGH, trotz der Änderung des Rückforderungs­ regimes betreffend schwiegerelterliche Zuwendungen die Verjährung schon zuvor beginnen zu lassen.566 Allerdings ist auch der Kritik 567 an dieser Entscheidung ein Zugeständnis zu machen: Solange auf Basis der früheren Rechtsauffassung nicht bloß anders begründete Erfolgsaussichten bestanden, sondern praktisch jede Er­ folgsaussicht fehlte,568 war dem Gläubiger eine Klage unzumutbar. Besteht eine konkret einschlägige, anspruchsfeindliche höchstrichterliche Judi­ katur, muss einer Klage indes nicht ausnahmslos die Erfolgsaussicht fehlen. Auch Prozesskostenhilfe wird schließlich für das Vorgehen gegen eine höchstrichterliche Rechtsprechung gewährt, wenn das künftige Festhalten an dieser Judikatur zwei­ felhaft erscheint.569 Existieren hinreichende Indizien für einen möglichen Um­ 561 

Siehe oben b) Fn.  530. Dazu bereits oben §  3 A. II. 2. sowie zur korrespondierenden Beraterpflicht §  3 A. III. 2. a) mit Fn.  194. Siehe exemplarisch Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  62. 563  Siehe bereits I. 3. d). 564  Herresthal, WM 2018, 401, 407. 565  Siehe §  15 C. II. 2. a). 566  BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 = NJW 2016, 629, 632 Rn.  36– 37. 567  Piekenbrock, LMK 2016, 376136. 568  In diese Richtung Piekenbrock, LMK 2016, 376136, für typische Rückforderungsfälle, da nach früherer Rechtsprechung allenfalls atypische erfasst gewesen seien. 569  Siehe oben b) m.N. in Fn.  538 f. 562 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

schwung der Rechtsprechung, wird eine Klage schon im Vorfeld der Änderung aussichtsreich.570 Die Annahme von verjährungsrechtlicher Zumutbarkeit in sol­ chen Fällen deckt sich wiederum mit der oben angestellten Steuerungsüberlegung: Wenn kein Anreiz gesetzt würde, die höchstrichterliche Judikatur in dem verän­ derten Umfeld erneut auf den Prüfstand zu stellen, drohte die Rechtsordnung zu erstarren.571 Wie die Indizien für eine denkbare Rechtsprechungsänderung be­ schaffen sein müssen, lässt sich näher bestimmen, sobald parallele Fragestellungen in anderen Bereichen der Rechtsirrtumsproblematik betrachtet wurden.572 bb) Sonstige rechtliche Zweifel Wenn nicht einmal gegenläufige höchstrichterliche Judikatur ausnahmslos eine Unzumutbarkeit begründen kann, ist in Abwesenheit solcher Rechtsprechung noch größere Zurückhaltung geboten. In aller Regel wird eine Anspruchsgeltend­ machung dann objektiv zumutbar sein. Ausnahmen wird man allenfalls punktuell anerkennen können. Dies betrifft Fäl­ le, in denen auch in Abwesenheit einschlägiger Rechtsprechung die Lösung der ent­ scheidenden Rechtsfrage dermaßen offensichtlich zutage tritt, dass eine Berufung auf eine abweichende Anschauung praktisch aussichtslos erscheint. Bei derartigen Gegebenheiten ist Prozesskostenhilfe zu versagen.573 Damit korrespondiert es, Unzumutbarkeit zu bejahen, wenn ein Gericht für die Annahme eines Anspruchs erst den klaren Wortlaut einer entgegenstehenden Norm überwinden müsste.574 Allerdings wird sich unter solchen Bedingungen die Verjährungsfrage kaum stel­ len, weil sich Gerichte regelmäßig schon nicht imstande sehen werden, einen An­ spruch zu bejahen. Ansonsten ist es aber gerade im Sinne der Anreizfunktion, potenzielle Gläubiger zu motivieren, die Berechtigung „wortlautüberwindender“ Ansätze gerichtlich be­ gutachten zu lassen. Auch wo eine anspruchsfreundliche Rechtsansicht erst noch unter Mitwirkung der bis dahin schweigenden Rechtsprechung „entwickelt“ wer­ den muss, ist eine Geltendmachung nicht als unzumutbar zu qualifizieren.575 So kam beispielsweise die Rechtsprechung zur Nichtigkeit von Geschäftsbesorgungs­ 570  So zum Verjährungsrecht auch Piekenbrock, LMK 2016, 376136; gegen verjährungsrechtli­ che Unzumutbarkeit, nachdem eine anspruchsfeindliche BGH-Rechtsprechung durch die Schuld­ rechtsreform in Zweifel gezogen wurde, auch OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019 – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  23–25. 571  Siehe oben I. 1. c) dd). 572  Siehe unten §  15 C. II. 3. 573  Siehe oben b) m.N. in Fn.  536. 574 So Herrler, NJW 2009, 1845, 1846. 575  Vergleiche BayObLG, Beschl. v. 1.12.2004 – 3Z BR 106/04, BayObLGZ 2004, 346, 351 = NZG 2005, 312, 314 (zur Frage der Hemmung); eingehend auch Abeling, Kenntnis, S.  79–84 (unter der Überschrift „Unerkanntes Rechtsproblem“). Auch an dieser Stelle ist deshalb das Konzept Bärs zu kritisieren, welches nach erstmaliger Anerkennung eines „neuen“ Anspruchs im Wege höchstrichterlicher Rechtsfortbildung die Verjährung (über §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB) hinausschie­ ben möchte (siehe Bär, Verjährung, S.  172; weitere Kritik bereits bei I. 3. a) bb), 4. a)).

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verträgen wegen eines Verstoßes gegen das RBerG um die Jahrtausendwende für die Praxis überraschend.576 Dennoch geht die Annahme fehl, auf der Nichtigkeit basierende Ansprüche seien nicht in zumutbarer Weise einklagbar gewesen.577 Dass Rechtsprechung und Literatur keine Hinweise zu entnehmen gewesen waren, die „eindeutig für die Erlaubnispflicht gesprochen“ hätten,578 bedeutet eben nicht, dass man nicht auf diesen Gedanken hätte kommen können.579 Anders lägen die Dinge allenfalls, wenn der vorangehenden BGH-Judikatur der eindeutige Gegen­ schluss auf die Erlaubnisfreiheit bislang nicht behandelter Gestaltungen zu entneh­ men gewesen wäre. Erst recht liegt keine Unzumutbarkeit vor, wenn es immerhin denkbar, obgleich nicht zweifelsfrei erscheint, verwandte Grundsätze aus früheren Entscheidungen auf den bisher unentschiedenen Fall zu übertragen.580 Im Grundsatz bleibt es bei der auch für §  114 ZPO anerkannten Maxime, dass es zumutbar ist, zweifelhafte, höchstrichterlich unentschiedene Fragen einer Klärung zuzuführen.581 Die jüngeren Stellungnahmen des IV. Zivilsenats des BGH, wo­ nach selbst eine einhellige OLG-Rechtsprechung nicht unüberwindbar sei,582 er­ weist sich demnach unabhängig von zusätzlichen Erwägungen583 als zutreffend. Gleiches gilt für Entscheidungen, die betonen, bestehende Divergenzen zwischen den Oberlandesgerichten machten eine Klage nicht unzumutbar.584 Der BGH hat­ 576  Grundlegend BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 70–72. Der BGH, a. a. O., 72–73, verneinte zugleich das Verschulden eines Notars, der einen ent­ sprechenden Vertrag beurkundet hatte. 577  So aber BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547, 548 Rn.  19; im Ergeb­ nis ebenso OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422. 578  So formuliert BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 73 (Herv. d. Verf.). 579  Zutreffend OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.4.2007 – 4 U 410/06, BeckRS 2007, 10186 (unter B. III. 1. bb.); Abeling, Kenntnis, S.  82, der zu Recht darauf hinweist, dass es jedem freigestanden habe, die Unterschiede zu erlaubnisfreien Modellen zu sehen und zu betonen. Dass für andere Fälle der Beratung „am Bau“ das RBerG zu beachten war, stellt BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 73, selbst heraus. 580  Siehe etwa BGH, Urt. v. 18.12.2008 – III ZR 132/08, NJW 2009, 984, 984 Rn.  14; BGH, Urt. v. 26.9.2012 – VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077, 1080 Rn.  50. Unverständlich erscheint es daher, dass OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422, nicht immerhin auf die erste Entscheidung des BGH zur Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das RBerG abstellte, son­ dern auf die spätere Übertragung dieser Rechtsprechung auf die streitgegenständliche Abwick­ lung einer kreditfinanzierten Immobilienbeteiligung. Zutreffend dagegen LG Braunschweig, Urt. v. 23.5.2018 – 9 O 2167/17 (307), GRUR-RR 2018, 371, 371 Rn.  25 – Umsatzsteuer auf Abmahn­ kosten, wonach unerheblich sei, dass die Praxis infolge früherer höchstrichterlicher Rechtspre­ chung tatsächlich bestehende Erfolgsaussichten ignoriert habe. 581  Auf dieser Linie auch OLG Stuttgart, Urt. v. 7.4.2020 – 10 U 455/19, BeckRS 2020, 5743 Rn.  41; Becher/Krepold, BKR 2014, 45, 57; Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  161; Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  134; Stoffels, NZA 2011, 1057, 1061. 582  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  18; BGH, Urt. v. 21.2.2018  – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  18. 583  Dazu unten III. 1. 584  So BGH, Urt. v. 18.12.2008 – III ZR 132/08, NJW 2009, 984, 984 Rn.  14; BGH, Urt. v. 22.7.­ 2014  – KZR 13/13, NJW 2014, 3092, 3094 Rn.  28; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  14, 28, juris; vergleiche auch BGH, Urt. v. 11.9.2012 – XI ZR 56/11, NJW 2013, 1228, 1232 Rn.  38; LG Bonn, Urt. v. 14.5.2008 – 5 S 58/08, MDR 2008, 1383, 1384.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

te schon früher zur Verjährungshemmung betont, entgegenstehende OLG-Recht­ sprechung lasse die Rechtsverfolgung nicht aussichtslos erscheinen.585 Erst recht führen skeptische Äußerungen von Instanzgerichten oder aus der Literatur nicht zu einer Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung, wenn gerade eine anspruchs­ freundliche höchstrichterliche Judikatur besteht.586 Eine dem Anspruch entgegen­ stehende (Finanz-)Verwaltungspraxis macht eine Klage zumindest dann nicht mehr unzumutbar, wenn bereits erste anspruchsfreundliche Rechtsprechung der Obergerichte existiert, mag sich auch in der erstinstanzlichen Rechtsprechung und Literatur noch keine einheitliche Linie gebildet haben.587 Manche vordergründig falsche Entscheidung mag sich allerdings mit anderer Be­ gründung halten lassen. So kann es dem Gläubiger, der unter rechtlichen Zweifeln und ohne Orientierungspunkt in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwei ­alternativ denkbaren Anspruchsgegnern gegenübersteht, unzumutbar sein, beide zugleich in Anspruch zu nehmen.588 Die Unzumutbarkeit beruht dann aber nicht auf den schlechten Erfolgschancen, sondern auf der sicheren Aussicht auf einen Prozessverlust.589 Keine Ausnahme von den erarbeiteten Grundsätzen sollte für den Fall anerkannt werden, dass die Zweifel an einer anspruchsverneinenden Sicht verfassungsrechtli­ cher Natur sind.590 Wenn erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität einer dem Anspruch entgegenstehenden Rechtsnorm bestehen, liegt es gerade im Allge­ meininteresse, dass diese Frage vor die Gerichte gelangt, so dass sie einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zugeführt werden kann. Gleiches gilt mutatis mutandis für Zweifel an der Richtlinienkonformität einer bestimmten Gesetzes­ auslegung.591 Ferner ist keine Ausnahme für gerichtliche Äußerungen innerhalb des vom Gläubiger selbst betriebenen Verfahrens angezeigt. Vermeidet der Gläubiger, nach­ dem er von der negativen Rechtsansicht des befassten Gerichts erfahren hat, eine rechtskräftige Entscheidung durch Klagerücknahme – ansonsten ist die Verjäh­ rungsfrage angesichts der eintretenden Rechtskraft in aller Regel irrelevant –, liegt 585 

BGH, Urt. v. 8.10.1987 – VII ZR 358/86, NJW 1988, 197, 197–198. BGH, Urt. v. 26.9.2012 – VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077, 1081 Rn.  53. 587  Nicht überzeugend daher FG Nürnberg Urt. v. 30.1.2018 – 2 K 1351/17, BeckRS 2018, 2024, Rn.  17. 588  So bei OLG Hamm, Urt. v. 3.12.1992 – 27 U 194/91, NZV 1993, 270. 589  Zu dieser Fallgruppe oben I. 3. e). 590  OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.1979 – 15 W 223/79, NJW 1980, 242, 244, lehnt eine Hem­ mung wegen höherer Gewalt ab, obwohl ein später für verfassungswidrig erkanntes Gesetz einem Anspruch entgegenstand; zustimmend Ellenberger, in: Palandt, §  206 Rn.  8. Alpes, Höhere Gewalt, S.  94, betont: „Der Gläubiger hat die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen und z. B. auch die Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht zu suchen, wenn er ein Gesetz für verfassungswidrig hält.“ Hingegen möchten Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 252, dem Gläubiger die „Unwägbarkeiten“ des Wegs über das BVerfG nicht zumuten. 591  Im Ergebnis wie hier Schefe, Modifizierungen, S.  154–155. Dagegen bejaht Abeling, Kennt­ nis, S.  92, in diesen Fällen eine Unzumutbarkeit auf Basis der unzutreffenden Prämisse, dass bei Zweifeln ein Verjährungsaufschub in Betracht komme. 586 

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(in Abwesenheit entgegenstehender höchstrichterlicher Judikatur) fortan keine Unzumutbarkeit vor. Ein solches Ergebnis vertrüge sich nicht mit dem Ansatz, den Gläubiger dazu zu motivieren, eine mit möglichst großer Autorität ausgestattete Klärung offener Rechtsfragen zu erreichen. Deshalb sind Vorbehalte gegen die BGH-Entscheidung anzumelden, die eine unzumutbar verwickelte Rechtslage be­ jahte, weil dem Gläubiger – entgegen späterer höchstrichterlicher Rechtsprechung  – von Seiten einer Behörde und eines Finanzgerichts eine negative Vorstellung von der Rechtslage vermittelt worden war.592 Die Entscheidung lässt sich allenfalls mit staatshaftungsrechtlichen Besonderheiten erklären.593 cc) Zwischenfazit Der Rückgriff auf die Prüfung der Erfolgsaussichten nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO löst den (auch innerhalb der BGH-Rechtsprechung) bestehenden Richtungsstreit deut­ lich zugunsten eines engeren Verständnisses der verjährungshindernden Unzu­ mutbarkeit infolge einer ungünstig erscheinenden Rechtslage. Die Annahme einer solchen ist auf Ausnahmekonstellationen zu beschränken, in denen neue Erkennt­ nisse der Rechtsprechung gleichsam „aus dem Nichts“ auf der Bildfläche erschei­ nen. Endgültig ad acta zu legen sind hingegen Formulierungen, die auf eine un­ übersichtliche, verwickelte, verworrene oder zweifelhafte Rechtslage rekurrieren oder einigermaßen sichere Erfolgsaussichten fordern. Entschiedenen Widerspruch fordert es insbesondere heraus, dass bis heute Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur bei streitigen bzw. ungeklärten Rechtsfragen von einer Unzumutbarkeit ausgehen.594 Den kritisierten Ansätzen liegt offenbar das Fehlverständnis zugrun­ de, die Zumutbarkeit setze hinsichtlich der rechtlichen Bewertung die gleiche „ei­ nigermaßen sichere“ Erfolgsaussicht voraus wie hinsichtlich der Tatsachenerkennt­ nis.595 Es bestehen aber, wie oben herausgestellt, gewichtige Unterschiede zwischen der tatsachen- und der rechtsbezogenen Unzumutbarkeitsprüfung.596 Dies beach­ tet die neuere, restriktivere Rechtsprechung zumindest im Ergebnis. 592 

So bei BGH, Urt. v. 29.4.1982 – III ZR 163/80, Rn.  16, juris. war ein Land. Zum Aspekt der staatlichen Ingerenz oben §  5 C. III. 2. Überzeu­ gend dagegen OLG Koblenz, Urt. v. 21.1.2020 – 3 U 321/19, ZIP 2020, 526, 531, wo das Vorliegen von Unzumutbarkeit auch dann abgelehnt wird, wenn ein konkret befasstes Finanzamt die unzu­ treffende Rechtsauffassung „kritiklos akzeptiert“ hat. 594  So z. B. BGH, Urt. v. 7.12.2010 – XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278, 1279 Rn.  21; SchmidtRäntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18b; ähnlich Abeling, Kenntnis, S.  85, 91 (aber im Vergleich zu den a. a. O., S.  80–84, gefundenen Ergebnissen inkonsequent); zum sogenannten Dieselskandal LG Trier, Urt. v. 19.9.2019 – 5 O 417/18, BB 2019, 2707, 2708 („problematische und ungeklärte Rechts­ lage“); ähnlich LG Essen, Urt. v. 10.9.2020 – 2 O 156/20, Rn.  83, juris; zu Recht anders OLG Köln, Beschl. v. 4.3.2020 – 26 U 73/19, BeckRS 2020, 4947 Rn.  16; OLG Oldenburg, Urt. v. 6.2.2020  – 14 U 202/19, NJW-RR 2020, 666, 666–667 Rn.  17; OLG Stuttgart, Urt. v. 7.4.2020 – 10 U 455/19, BeckRS 2020, 5743 Rn.  38–45; LG Saarbrücken, Urt. v. 13.12.2019 – 12 O 56/19, BeckRS 2019, 31871 Rn.  21–22; überzeugend nunmehr auch BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  26, 28, juris. 595  Deutlich bei Abeling, Kenntnis, S.  53–54. 596  Siehe oben I. 3. b). 593  Beklagt

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Die vorliegend gewonnenen Maßstäbe nähern sich stark denen derjenigen Mei­ nungsströmung an, die eine Unzumutbarkeit wegen schlechter Erfolgsaussichten insgesamt ablehnt.597 Bedenken mit Blick auf eine hinreichend sichere Abgrenz­ barkeit der Fallgruppe598 wird im Ergebnis weitgehend Rechnung getragen. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Identifizierung „qualitativ über gewöhnliche rechtliche Unsicherheiten“ hinausreichender Komplexität 599 stellen würden, wer­ den vermieden. Entgegen der Kritik ist aber eine Klage immerhin bei Bestehen an­ spruchsfeindlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung, für deren Aufgabe ex ante nichts Wesentliches spricht, grundsätzlich als unzumutbar anzusehen. 600 3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung Für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Rechtsbera­ tung wird auch die rechtliche Einordnung als Pflichtverletzung zum notwendigen Erkenntnisgegenstand erhoben. 601 Folglich stellt sich auch hier die Frage, welcher Grad der Rechtserkenntnis vorliegen muss, damit die Verjährung anlaufen kann. Unter Anreizgesichtspunkten spricht wenig dafür, an dieser Stelle von den bis­ lang erarbeiteten Maßstäben abzuweichen. Wenn eine Haftung zwar möglich er­ scheint, zugleich aber rechtliche Zweifel bestehen, möchte das Verjährungsrecht den möglichen Anspruchsinhaber prinzipiell zur Klärung der Rechtslage bewegen. Das ist bei Ansprüchen wegen Rechtsberatungsfehlern nicht anders. Die spezielle Behandlung solcher Ansprüche im Kontext des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gründet nicht auf Besonderheiten der Anreizlage. Der entscheidende Unterschied liegt viel­ mehr darin, dass man den Gläubiger hier schlecht darauf verweisen kann, er habe Rechtsrat einholen können. 602 Dieser Umstand legt es lediglich nahe, bei der Frage, aus wessen Perspektive sich die Erfolgsaussichten beurteilen, gläubigerfreund­licher zu verfahren als sonst: Es gibt gute Gründe, nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten eines Experten abzuheben. 603 Der Erkenntnisgrad ist dagegen die falsche Stell­ schraube, um den Mandanten zu privilegieren. Dazu passt es, dass der BGH betont, aus Laienperspektive müsse das Vorgehen des Rechtsberaters bloß „mutmaßlich pflichtwidrig“ erscheinen. 604 597 

Dazu oben B. II. 1. b) aa). oben 2. a) mit Fn.  524; darauf im hier betroffenen Kontext hinweisend auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.4.2007 – 4 U 410/06, BeckRS 2007, 10186 (unter B. III. 1. bb.). 599  So der Maßstab von Abeling, Kenntnis, S.  55, wonach insb. die Intensität des Meinungs­ streits und die Qualität der vorgebrachten Argumente zu begutachten sein sollen (a. a. O., S.  88– 91). 600  Im Ergebnis nahezu deckungsgleich Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84b. 601  Siehe oben I. 5. 602  Siehe wiederum I. 5. 603  Siehe dazu unten III. 3. 604  So BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  16 (Herv. d. Verf.). Ebenso passt es dazu, dass BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  21, den Geschädigten einer Amtspflichtverletzung nach einer unzutreffenden Rechtsbelehrung durch den schädigenden Notar von der Verjährung freistellen möchte, „solange 598  Siehe

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III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung Der Beginn der Regelverjährung erfordert grundsätzlich keine zutreffenden recht­ lichen Wertungen des Gläubigers. Vorausgesetzt ist lediglich, dass die Berufung auf einen Anspruch in rechtlicher Hinsicht keine unzumutbar geringe Aussicht auf Er­ folg bietet. Damit ist nicht gesagt, aus wessen Perspektive dies zu beurteilen ist. Man könnte verlangen, dass der Gläubiger selbst die Vorstellung gehabt haben müs­ se, für die Anspruchsverfolgung bestehe in rechtlicher Hinsicht eine gewisse Chan­ ce. Die Alternative ist eine hypothetische, gegebenenfalls objektivierende Betrach­ tungsweise. Nach dieser käme es nur darauf an, dass der Gläubiger bzw. ein objek­ tiver Dritter an seiner Stelle von einer hinreichenden Erfolgswahrscheinlichkeit hätte ausgehen müssen. Die gebräuchliche Formel der Unzumutbarkeitsprüfung entscheidet sich eindeutig für die zweite Variante. Abzustellen ist darauf, ob aus der Perspektive eines Rechtskundigen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu erken­ nen war. 605 1. Ausreichen hinreichender subjektiver Erkenntnis Ungeachtet dessen sollte man die subjektive Perspektive des konkreten Gläubigers nicht vollends außer Acht lassen. Ist dieser nämlich tatsächlich zu der Überzeugung gelangt, dass die Rechtslage für seinen Anspruch nicht aussichtslos ist, spricht  – un­ abhängig von der Sicht eines Rechtsexperten – nichts dagegen, die Verjährung in Gang zu setzen. Der objektivierende Ansatz dient schließlich nicht dazu, den Gläu­ biger zu schützen. Wo dieser die Rechtslage objektiv betrachtet überoptimistisch, aber im Ergebnis gerade zutreffend einschätzt (sonst spielt die Verjährung keine Rolle), darf die Anreizwirkung der Verjährungsregeln ihn treffen. Bedeutung erlangt all dies freilich nur in der ungewöhnlichen Situation, dass ein Rechtsexperte der für den Gläubiger günstigen Rechtsauffassung äußerst geringe Erfolgschancen beschieden hätte – etwa bei klar entgegenstehender höchstrichter­ licher Rechtsprechung –, der Gläubiger selbst aber die Rechtslage positiver einge­ schätzt hat. Zeigen wird sich dies regelmäßig nur dort, wo der Gläubiger trotz ­objektiv ungünstiger Rechtslage zur außergerichtlichen Geltendmachung seines vermeintlichen Anspruchs schreitet. Damit gibt er zu verstehen, dass er die Er­ folgschancen als hinreichend groß einschätzt. Es ist ihm dann verwehrt, sich darauf zu berufen, bei objektiver Betrachtung sei ihm eine Klage unzumutbar gewesen. Der Hinweis, die Rechtsverfolgung bleibe „auch dann objektiv unzumutbar, wenn der Betroffene gleichwohl um Rechtsschutz nachsucht“, 606 verkennt diese teleolo­ gische Beschränkung des objektiven Zumutbarkeitskriteriums. Dagegen hat der IV.  Zivilsenat des BGH in der Sache zutreffend erkannt, wer trotz rechtlicher Un­ kein konkreter Anlass besteht, die Richtigkeit der erteilten Auskunft über die Amtspflicht in Zweifel zu ziehen“ (Herv. d. Verf.). 605  Siehe oben B. II. 1. b) Fn.  46. 606  OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.11.2019 – 1 A 1590/18, NVwZ-RR 2020, 503, 506 Rn.  56.

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gewissheit ein Vertragslösungsrecht geltend mache, dem sei bereits zu diesem Zeit­ punkt die klageweise Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs zumutbar. 607 Dem wird zwar entgegengehalten, weder senke die außergerichtliche Geltend­ machung das Prozessrisiko noch mache sie eine Klage zumutbarer.608 Dabei wird jedoch übersehen, was die Vorinstanz zu einer der zitierten BGH-Entscheidungen zutreffend hervorgehoben hatte: Wer sich auf seine angebliche Berechtigung in ei­ ner Art und Weise beruft, die dem Schuldner die Option einer negativen Feststel­ lungsklage eröffnet, zeigt, dass er eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht scheut. 609 Das spricht für eine Zumutbarkeit auch der aktiven Geltendmachung. Es ergeben sich daraus nicht etwa Fehlanreize dahingehend, dass der Gläubiger veran­ lasst würde, auf die vom Gesetzgeber ersichtlich gewünschte vorgerichtliche Inan­ spruchnahme610 zu verzichten, um den Verjährungsbeginn zu hindern. Der außer­ gerichtliche Versuch der Inanspruchnahme wird in der Regel lange vor Ablauf der dadurch in Gang gesetzten Verjährungsfrist Klarheit über die Leistungsbereit­ schaft des Schuldners bringen. Mündet das Vorgehen in länger andauernde Ver­ handlungen, sichert §  203 BGB den Gläubiger vor der Verjährung. Auf den Gedanken eines Primats der subjektiven Rechtseinschätzung lässt sich womöglich auch eine besonders gelagerte Entscheidung des BAG stützen. Das Ge­ richt hatte die Verjährung eines Lohnanspruchs bejaht, obwohl die vorgreifliche Kündigungsschutzklage zunächst rechtskräftig abgewiesen worden und diese Ent­ scheidung erst infolge einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde abgeändert wor­ den war. 611 Die Klage auf Annahmeverzugslohn war hier zwar jedenfalls nach rechtskräftiger Feststellung, dass die Kündigung wirksam war, objektiv aussichts­ los. Das BAG hat diese Frage jedoch dahinstehen lassen und stattdessen in der ­Sache darauf abgehoben, der Arbeitnehmer habe trotz der vordergründig zu seinen Lasten geklärten Rechtslage in subjektiver Hinsicht weiterhin hinreichende Er­ folgsaussichten für die Lohnklage gesehen: Durch Erhebung der Verfassungsbe­ schwerde habe er deutlich gemacht, dass er in der rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess lediglich eine „korrigierbare Fehlentscheidung“ erblickt habe. 612 2. Maßgeblichkeit der Perspektive eines Rechtskundigen Im Übrigen bleibt es jedoch dabei, dass die Erfolgsaussichten von der Warte eines Rechtskundigen zu beurteilen sind. In der Anordnung dieses Perspektivwechsels liegt gerade eine der wesentlichen Wirkungen der Diskriminierung von Rechtsirr­ 607  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 513–514 Rn.  17, 21; BGH, Urt. v. 21.2.­­2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470–1471 Rn.  17, 21. 608  Eichel, NJW 2019, 393, 395. 609  OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.12.2016 – 12 U 134/16, r+s 2017, 176, 177 Rn.  23. 610  Dazu eingehend bei §  9 C. I. 1. b). 611  BAG, Urt. v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01, BAGE 103, 290 = NJW 2003, 2849, 2850–2851 ­(siehe dazu schon B. IV.). 612  BAG, Urt. v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01, BAGE 103, 290 = NJW 2003, 2849, 2851.

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tümern durch §  199 Abs.  1 S.  2 BGB. Auf diesem Wege wird die Erwägung, Rechts­ rat sei flächendeckend verfügbar, berücksichtigt. 613 a) Funktionale Obliegenheit zur Intermediärskonsultation und Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Folgt man diesem Ansatz, steht zugleich fest, dass es insoweit nicht auf den von §  199 Abs.  1 S.  2 BGB vorgegebenen Maßstab der groben Fahrlässigkeit ankommt. Als Konsequenz für den Gläubiger ergibt sich stattdessen bei funktionaler Betrach­ tung stets eine Obliegenheit zur Konsultation eines geeigneten Intermediärs. Zu­ gleich werden ihm Fehleinschätzungen eines konkret gewählten Beraters – wiede­ rum funktional gesehen – uneingeschränkt „zugerechnet“. Die Zumutbarkeitsprü­ fung erfolgt nicht aus Sicht des konkreten Beraters, sondern objektiviert. Es kommt auf die Einschätzung eines sorgfältig arbeitenden Rechtsberaters an. Das bedeutet: Fehler des konkret mandatierten Experten bei der Erfassung der Rechtslage ent­ lasten den Anspruchsinhaber im Rahmen des Verjährungsrechts nicht. 614 Entgegen vereinzelter Ansicht im älteren Schrifttum615 darf der Gläubiger sich somit – im Verhältnis zum Schuldner – nicht auf eingeholten Rechtsrat verlassen. Schutz soll der Gläubiger nur dort finden, wo „selbst die besten und fähigsten Rechtsberater“616 keine hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen wüssten. Die weitgehende Belastung im Fall fehlerhafter Rechtsberatung erscheint dem Gläubiger eher zumutbar als dem Schuldner. Der Gläubiger kann schließlich den selbst ausgewählten Berater für ver­ jährungsbedingte Schäden in Haftung nehmen (und profitiert von dessen Berufs­ haftpflichtversicherung). 617 Im Rahmen der Diskussion zur Verjährungshemmung wurde diese Regressmöglichkeit sogar explizit als Argument herangezogen. 618 Das Abstellen auf einen objektiven rechtskundigen Betrachter ist für den An­ spruchsgegner uneingeschränkt positiv. Das ist ein zusätzliches Argument für die Angemessenheit der Zumutbarkeitsprüfung. Die Kritik moniert schließlich gerade eine Missachtung der Schuldnerbelange. 619 Tatsächlich stellt die Herangehens­weise der Rechtsprechung aber sicher, dass die Interessen des Schuldners nur in Extrem­ 613  Dazu oben I. 1. c) cc). Gänzlich verfehlt ist die Kritik von Bär, Verjährung, S.  181, der BGH reduziere durch das Abstellen auf die objektive Klärung der Rechtslage im Rahmen der Unzumut­ barkeitsrechtsprechung „tatbestandlich den Gehalt des subjektiven Kenntnismerkmals“. 614  Dass BGH, Urt v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162, 3164, dem Anspruchsinhaber trotz Bestehens anwaltlicher Beratung eine verjährungsrechtliche Entlastung gewährte, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil – ungeachtet eventueller staatshaftungsrechtlicher Besonder­ heiten – ein anderer Typus der Unzumutbarkeit (schwebendes anderes Verfahren, siehe oben I. 3. e)) betroffen war. 615  Büning, Verjährung, S.  41. 616  Otto, Bestimmung, S.  173. 617  Dazu allgemein oben §  3. A. III. 2. a). 618  BGH, Urt. v. 4.5.1955 – VI ZR 37/54, BGHZ 17, 199 = NJW 1955, 1225, 1227: Dem Gläubi­ ger sei „es eher zuzumuten, sich notfalls im Regreßwege an sein Hilfspersonal zu halten, als dem Gegner auf für ihn unabsehbare Zeit mit der Erhebung von Ansprüchen rechnen zu müssen“; zustimmend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  270. 619  Siehe dazu oben I. 3. a) bb).

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

fällen beeinträchtigt werden. Die gängigen Formeln der Zumutbarkeitsprüfung bringen vor allem auch zum Ausdruck, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Rechtsanwender vertretbarerweise eine anspruchsverneinende Sicht hätte einneh­ men dürfen. Dieser Punkt erscheint selbstverständlich, wird aber im Schrifttum mitunter übersehen. Dort wird eine Unzumutbarkeit wegen entgegenstehender obergerichtlicher Rechtsprechung mit dem Hinweis bejaht, den OLG-Richtern könne nicht die Eigenschaft als „rechtskundige Dritte“ abgesprochen werden.620 Diese Betrachtungsweise missversteht den Prüfungsmaßstab. Ein Gericht muss sich notwendigerweise für eine bestimmte Interpretation der Rechtslage entschei­ den. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein Rechtsexperte ex ante auch mit einem Durchdringen der Gegenansicht hätte rechnen müssen. Sonst würde der schädliche Erkenntnisgrad durch die Hintertür dahingehend modifiziert, dass die Verjährung nicht anläuft, solange (vertretbare) Rechtszweifel bestehen. b) Denkbare Grenzen des Abstellens auf Rechtskundigen Von dem Grundsatz, dass auf die Perspektive eines Rechtskundigen abzustellen ist, könnten Ausnahmen anzuerkennen sein. aa) Verbrauchereigenschaft des Gläubigers Eine solche Ausnahme könnte in Betracht zu ziehen sein, wenn Anspruchsinhaber ein Verbraucher im Sinne von §  13 BGB ist. So vermuten Teile des Schrifttums hin­ ter der gläubigerfreundlichen Entscheidung des XI. Zivilsenats des BGH zur Rück­ forderung AGB-rechtswidriger Darlehensentgelte verbraucherschützende Tenden­ zen.621 Solche werden vereinzelt ausdrücklich gutgeheißen: Verbraucher seien er­ fahrungsgemäß nicht in der Lage, ohne Belehrung ihre Ansprüche zu erkennen und Rechtsprechung und Schrifttum zu überblicken. 622 Diese im Kern zutreffende Erkenntnis sollte jedoch nicht dazu veranlassen, die Unzumutbarkeitsprüfung aus der Perspektive des Verbrauchers vorzunehmen. Das Abstellen auf den Rechtsexperten rechtfertigt sich nicht dadurch, dass beim Gläu­ biger selbst entsprechende Fachkenntnisse vermutet würden. Der prägende Gedan­ ke ist vielmehr, dass jedermann – und sei er auch Verbraucher – durch das Einholen von Rechtsrat Defizite ausgleichen kann. Eine Aufgabe des etablierten Maßstabs in Verbrauchersachverhalten ist schon deshalb nicht angezeigt. 623 Modifizierungen sind allenfalls insoweit geboten, wie fehlende Kenntnisse von Verbrauchern bereits verhindern, dass die Notwendigkeit, Rechtsrat einzuholen, erkannt wird. 624 Eine 620 So

Lammeyer/Singbartl, BKR 2017, 462, 463. Dies äußern – betreffend BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713 – Hahne/Goldmann, JA 2015, 407, 412; Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 8; siehe auch ­Bitter, JZ 2015, 170, 176. 622  Nassall, NJW 2014, 3681, 3683, 3685. 623  Im Ergebnis ebenso Schefe, Modifizierungen, S.  151–152. 624  Dazu sogleich bb) sowie oben I. 2. b). 621 

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Differenzierung zwischen Verbrauchern und Unternehmern ist den §§  194 ff. BGB ohnehin fremd. 625 Wer Verbraucher ist, lässt sich nach der Definition des §  13 BGB auch nur mit Blick auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft feststellen. Probleme bereitet dieser Umstand zum Beispiel hinsichtlich der Verjährung von deliktischen Scha­ densersatzansprüchen. Wann wäre ein Geschädigter hier als „Verbraucher“ einzu­ stufen?626 Bei genauerer Betrachtung lässt sich auch der Rechtsprechung des BGH keine Entscheidung für eine Privilegierung von Verbrauchern entnehmen. Zwar erscheint die Vermutung, der 2014 vom XI. Zivilsenat zur Anwendung gebrachte gläubiger­ freundliche Maßstab sei von Verbraucherschutzgedanken beeinflusst gewesen, nicht abwegig – erst recht, wenn man ihn mit der strengeren Sichtweise des gleichen Senats zu Unternehmerdarlehen627 vergleicht. Allerdings hat der Senat die strenge­ re Linie mittlerweile auf Rückforderungsansprüche bei Bauspardarlehen übertra­ gen. 628 Hier wird sich die Ablehnung einer Unzumutbarkeit oft zulasten von Ver­ brauchern auswirken. Auch der IV. Zivilsenat hat es im Zusammenhang mit Versi­ cherungsverträgen abgelehnt, zugunsten eines Verbrauchers von Unzumutbarkeit auszugehen. 629 bb) „Kontextuierung“ aus Sicht des Gläubigers Nicht auf die Perspektive eines Rechtskundigen abzustellen ist allerdings insoweit, wie für den Verjährungsbeginn vorausgesetzt ist, dass der Anspruchsinhaber die mögliche rechtliche Relevanz der Tatsachen erkennt bzw. hätte erkennen müs­ sen:630 Die Notwendigkeit einer solchen „Kontextuierung“ liegt gerade darin be­ gründet, dass ansonsten der Verweis auf Beratungsangebote fehlgeht.631 Insoweit ist es also im Ausgangspunkt konsequent, wenn Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums prüfen möchten, ob der Gläubiger selbst grob fahrlässig verkannt hat, dass eine potenziell anspruchsbegründende Ausgangslage besteht. 632 Allerdings ist Vorsicht davor geboten, über die Hintertür der Fahrlässigkeitsprüfung den im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB maßgeblichen Erkenntnisgegenstand auszu­ weiten. Die Fahrlässigkeit ersetzt lediglich eine nicht vorhandene (bzw. nicht nach­ weisbare) Kenntnis. Der Bezugspunkt bleibt dagegen der gleiche. §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB verlangt aber neben der Tatsachenkenntnis grundsätzlich nur eine schemen­ 625 

Herresthal, WM 2018, 401, 406. Zutreffender Hinweis bei Otto, Bestimmung, S.  210–211. 627  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99–100. 628  BGH, Urt. v. 19.3.2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2163–2164 Rn.  34–35. 629  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  18; BGH, Urt. v. 21.2.2018  – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  18. 630  Dazu oben I. 2. unter Nutzung des Begriffs von Schrader, Wissen, u. a. S.  157. 631  Siehe wiederum I. 2. 632  So vorgehend letztlich OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422 (verneinend); OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.4.2007 – 17 U 1/07, WM 2007, 1514, 1515 (bejahend); Lakkis, in: jurisPK-BGB, §  199 Rn.  111; U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 469–470. 626 

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hafte Erkenntnis der potenziellen juristischen Relevanz. 633 Liegt eine solche Grund­sensibilisierung vor bzw. fehlt sie infolge grober Fahrlässigkeit, ist kein Raum für eine zusätzliche Prüfung, ob (auch) der Verzicht auf die Mandatierung eines Experten in concreto grob fahrlässig war. cc) Fehlende Wirtschaftlichkeit von Rechtsberatung Selbst wenn der Anspruchsinhaber die Notwendigkeit, Rechtsrat einzuholen, er­ kannt hat, mag er die Mandatierung eines Beraters im Einzelfall scheuen, weil ihm der Kostenaufwand unverhältnismäßig erscheint. Selbst wenn der Verzicht auf eine Expertenkonsultation unter Kostengesichtspunkten nachvollziehbar oder gar na­ heliegend erscheint, vermag dies den Gläubiger nach der vorliegend vertretenen In­ terpretation von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nicht zu entlasten. Es bietet sich schlicht­ weg kein Raum für eine Prüfung, ob der Verzicht aus Sicht des Gläubigers ökono­ misch sinnvoll war. Auf Ebene des Erkenntnisgrades lässt sich einschränkend – durch die Gewährung der Unzumutbarkeitsausnahme – die Wertung des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO berücksichtigen, wonach eine praktisch aussichtslos erscheinende Rechtsver­ folgung vom Gesetz nicht für unterstützenswert erachtet wird. Bei der Frage, ob die Rechtsberatung zumutbar ist, ist keine vergleichbare normative Einschränkung zu beachten. Insbesondere setzt §  1 Abs.  1 BerHG für die Gewährung von Bera­ tungshilfe hinreichende Erfolgsaussichten nicht voraus; diese sollen schließlich vom Berater beurteilt werden.634 3. Besonderheiten bei der Rechtsberaterhaftung Es fragt sich, ob von den vorstehend erarbeiteten Vorgaben abzuweichen ist, sofern es um die Verjährung eines Ersatzanspruchs wegen Rechtsberatungsfehlern geht. Betreffend den die Verjährung auslösenden Erkenntnisgrad ist bereits herausge­ arbeitet worden, dass eine Pflichtverletzung des Beraters nur möglich erscheinen muss. 635 Offengeblieben ist aber, ob diese Möglichkeit lediglich objektiv bestehen muss  – das entspräche den ansonsten zur Rechtserkenntnis geltenden Maßstäben (Unzumutbarkeitsprüfung) – oder ob zu fordern ist, dass der konkrete Mandant diese Möglichkeit erkannt hat oder immerhin hätte erkennen können. Gegen eine objektive Betrachtung von der Warte eines Rechtskundigen aus spricht entscheidend, dass ein Verweis auf die zugrunde liegende Ratio – der Gläu­ biger könne stets fachkundigen Rechtsrat einholen – an dieser Stelle befremdete. Ein Rechtsberater ist tatsächlich vorhanden. Er befindet sich allerdings nunmehr selbst in der Schuldnerposition. Gerade um dieser besonderen Anordnung Rech­ nung zu tragen, erhebt der BGH hier auch einen Aspekt der Rechtslage zum verjäh­ 633  Siehe abermals I. 2. a) sowie zu den graduell gesteigerten Anforderungen im Einflussbereich der Klausel-RL I. 2. b). 634  Siehe bereits Begr. RegE BerHG, BT-Drs. 8/3311, 11. 635  Oben II. 3.

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rungsauslösenden Erkenntnisgegenstand. 636 Es ist demnach für die erforderliche rechtliche Erkenntnis der anwaltlichen Pflichtverletzung auf die Perspektive des Gläubigers abzustellen. Zu klären bleibt, ob nur positive Kenntnis oder schon fahr­ lässige Unkenntnis dieses rechtlichen Aspekts zum Verjährungsbeginn führt. Das ist umstritten. Der BGH greift schlicht auf den für die Tatsachenerkenntnis gültigen Maßstab des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zurück. Danach genügte auch mit Blick auf die Rechts­ erkenntnis grobe Fahrlässigkeit des Mandanten. 637 In der Literatur wird hingegen eine teleologische Reduktion des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB dahingehend erwogen, dass beim Anwaltsregress erst positive Rechtskenntnis den Verjährungslauf aus­ löse. 638 Darüber ließe sich vor allem dann nachdenken, wenn eine generelle Pflicht des Rechtsberaters bestünde, den Mandanten über eigene Fehler aufzuklären. 639 Die Annahme einer solchen Pflicht lag der Rechtsprechung zur Sekundärhaftung zugrunde. Unter solchen Prämissen wäre es zumindest problematisch, den Rechts­ berater vollständig vor einer Haftung zu bewahren, wenn er den Mandanten nicht informiert und dieser (grob) fahrlässig die Rechtslage nicht erfasst. 640 Die Vorgabe, auch Ansprüche gegen die eigene Person zu prüfen und den Mandanten entspre­ chend zu informieren, stellte aber auch aus Sicht der Rechtsprechung zur Sekun­ därverjährung keine typische Pflicht im Mandat dar. Sie diente lediglich als Vehi­ kel, um die kurzen berufsrechtlichen Verjährungsvorschriften mit rechtsstaatli­ chen Grundsätzen in Einklang zu bringen. 641 Diese Ratio ist durch die Abschaffung der Sonderverjährung entfallen. Den zugehörigen Gesetzesmaterialien ist in un­ missverständlicher Weise zu entnehmen, dass ein Verjährungsbeginn schon bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Mandanten erwünscht war642  – über­ sehen worden war nur, dass sich die in §  199 Abs.  1 BGB genannte grob fahrlässige Unkenntnis lediglich auf die anspruchsbegründenden Umstände bezieht.643 Damit die Verjährungsfrist beginnt, muss der Mandant nach alldem das mögli­ che Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegen den Berater nicht zwingend er­ kennen. Die subjektive Erkenntnis lässt sich in Analogie zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB 636 

Siehe oben I. 5. BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2348 Rn.  26; auch BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 993–994 Rn.  8 , 9, 17, hob auf grobe Fahrlässigkeit ab; so auch die Deutung von Nassall, jurisPR-BGHZivilR 11/2014 Anm.  1. 638 So Peters, JR 2015, 70, 71; ferner Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  37. 639  Davon ausgehend Peters, JR 2011, 93, 95 (§  666 Var.  1 BGB); dazu später noch eingehender §  17 A. III. 3. b) aa). 640  Zum Kenntniserfordernis der Rechtsprechung zur Sekundärhaftung siehe BGH, Urt. v. 15.4.­1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2188. 641  Explizit BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 = NJW 1982, 1285, 1287; so auch Schauf, Kenntnis, S.  179–180 m. w. N.; siehe zudem zur dogmatischen Abwendung von der Annahme eines echten Schadensersatzanspruchs durch BGH, Urt. v. 29.11.2001 – IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117, 1120, oben B. III. 1. Fn.  134. 642  Begr. RegE, BT-Drs. 15/3653, 14. 643  Dazu oben I. 5. mit Fn.  481. 637 Eindeutig

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durch den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis ersetzen. In diesem Rahmen ver­ bleibt ausreichend Raum, um zu berücksichtigen, dass es dem Auftraggeber viel­ fach nicht zum Vorwurf gereichen kann, dass er das Vorgehen des ausgewählten Beraters nicht allzu stark hinterfragt bzw. diesen nicht allzu rasch durch einen ­neuen Experten ersetzt. Es darf dem Berater nicht vorschnell der Verweis darauf gestattet werden, dem Mandanten habe anderweitiger Rechtsrat zur Verfügung ge­ standen. Gegenüber seinem Auftraggeber ist nämlich gerade der gewählte Berater selbst der Repräsentant der „institutionalisierten“ Konsultationsmöglichkeiten. Der BGH stellt zu Recht besonders strenge Voraussetzungen für den Verjährungs­ beginn auf, solange das Mandat noch besteht – unter zutreffendem Verweis auf die von besonderem Vertrauen geprägte Mandatsbeziehung. 644 Gemeint ist: Der Man­ dant soll seinem Berater nicht mit permanentem Misstrauen begegnen und allerorts mögliche Anwaltsfehler wittern müssen. Das gilt im Übrigen, wie der BGH tref­ fend bemerkt, gleichermaßen für Mandanten, die selbst über juristische Fachkunde verfügen. 645 Auch Juristen werden vielfach im konkret betroffenen Rechtsgebiet nicht Spezialisten sein und sich deshalb einem Berater anvertrauen. 646 Selbst im eigenen Spezialgebiet mag man sich mit guten Gründen weigern, als „Anwalt in eigener Sache“ zu fungieren. 647 Der Vertrauensvorschuss, den der eigene Rechtsberater genießt, äußert sich vor allem darin, dass grob fahrlässige Unkenntnis von der anwaltlichen Pflichtverlet­ zung in der Regel nicht schon dadurch begründet wird, dass ein Gericht in einem Hinweis oder einem nicht rechtskräftigen Urteil der vom Berater präferierten An­ sicht nicht folgt bzw. diesem gar einen Fehler attestiert. 648 Das liegt allerdings nicht daran, dass eine vorläufige Rechtseinschätzung des Gerichts nicht geeignet wäre, hinreichend konkret auf Anwaltsfehler hinzuweisen. 649 Es bedarf schließlich nur der Erkenntnis eines möglichen Ersatzanspruchs. 650 Der Grund für die Zu­ rückhaltung bei der Annahme von grober Fahrlässigkeit liegt vielmehr darin, dass der Mandant seinem Anwalt vertrauen können soll, wenn dieser trotz eines Rück­ schlags an seiner Rechtseinschätzung festhält. Der Mandant soll nicht durch abwei­ 644 BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.   17 m. w. N.; siehe auch BGH, Urt. v. 11.9.2014 – III ZR 217/13, WM 2015, 445, 448 Rn.  20; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  17; a. A. Schauf, Kenntnis, S.  235, der es offenbar für zumutbar hält, dass der Auftraggeber das Mandat fortführt und mit dem Berater Abreden zur Verjährung trifft. 645  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  17; so bereits zur Sekundärverjährung BGH, Urt. v. 15.4.1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2188. 646  Harsch, MDR 2014, 1368, 1373. 647 Zutreffend Kayser, AnwBl 2014, 802, 804. 648  Auch insoweit zutreffend BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  17–18; dem folgend BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 116 Rn.  9; BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  17; anders noch OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.2.2012 − 24 U 77/11, NJOZ 2012, 1744, 1745, das spätestens nach der negativen erstinstanzlichen Entscheidung die Verjährung beginnen lassen wollte. 649  In diese Richtung aber Chab, AnwBl 2015, 436, 437; Schauf, Kenntnis, S.  234. 650  Siehe oben II. 3.

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chende gerichtliche Rechtseinschätzungen gezwungen werden, die Hoffnung auf einen erfolgreichen Fortgang des Verfahrens unter Führung seines gewählten Bera­ ters zu begraben und schnellstmöglich einen Anwaltswechsel durchzuführen, um denkbare Regressansprüche nicht zu gefährden. Es darf dem Mandanten daher nicht schaden, wenn der Anwalt im Nachgang zu der gerichtlichen Äußerung, wie üblich, auch die Risiken einer Verfahrensfortführung benennt und dem Mandanten deshalb die Möglichkeit eines Prozessverlustes vor Augen steht.651 Es kann grund­ sätzlich auch nicht darauf ankommen, wie gut der Berater die gegenläufige gericht­ liche Einschätzung argumentativ entkräftet. 652 Der Mandant soll seinem persönli­ chen Berater mehr vertrauen dürfen als dem Gericht, selbst wenn die gerichtlichen Argumente „viel für sich haben“. 653 Das gilt selbst bei weitgehend formalen Rechts­ fragen wie derjenigen, ob eine Frist versäumt wurde.654 Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo ein objektiver Betrachter655 aus dem Verkehrskreis des Mandanten ohne Weiteres Fehler in der Argumentation seines Beraters erkennen würde, etwa simple logische Widersprüche. 656 An dieser Stelle kann sich auch auswirken, dass der Mandant ebenfalls Jurist ist. Ein solcher wird typischerweise auch außerhalb seines eigenen Spezialgebiets grundlegende juristische Fehler eher bemerken als ein Laie. 657 Abgesehen von solchen Sonderfällen ist indes dem Befund zuzustimmen, wonach es „kaum vorstellbar“ sei, „dass während eines laufenden Mandats über­ haupt von außen einwirkende Umstände ein Kennenmüssen der Fehlerhaftigkeit des Handelns des eigenen Rechtsanwalts begründen können“. 658 Zum Eintritt von Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis kann es während des Mandats prak­ tisch ausschließlich durch eine entsprechende Aufklärung durch den Berater selbst kommen. 659 Insofern genügt allerdings der Hinweis auf einen möglichen Prozess­ verlust oder Ähnliches nicht, denn längst nicht jede Verfahrensniederlage beruht auf einer Pflichtverletzung des Beraters. 660 Vielmehr muss der Anwalt vermitteln, dass ihm möglicherweise ein Fehler unterlaufen ist, der eine Haftung nach sich ziehen kann. 661 651 

Deutlich in diese Richtung jedoch Chab, AnwBl 2015, 436, 437. So aber tendenziell Peters, JR 2015, 70, 71. 653 Zutreffend Kayser, AnwBl 2014, 802, 805; vergleiche auch Römermann, EWiR 2014, 211, 212. 654  BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, BGHZ 200, 172 = NJW 2014, 993, 994 Rn.  17; BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 116 Rn.  9; a. A. offenbar Schauf, Kenntnis, S.  232. 655  Es kommt, anders als es die Kritik von Schefe, Modifizierungen, S.  140, deutet, gerade kein „streng subjektiver Maßstab“ zur Anwendung. 656  Vergleiche zu diesem Maßstab später noch §  16 D. III. 4. 657  Nur insoweit ist Chab, AnwBl 2015, 436, 438, zuzustimmen, der bei einem „erfahrenen und juristisch vorgebildeten Mandanten wesentlich früher die Kenntnis von einer Pflichtverletzung“ des Beraters annehmen möchte. 658  Kilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter IV. 1.). 659  Unter solchem Umständen Kenntnis annehmend Chab, AnwBl 2015, 436, 438; Kilian, WuB IV A. §  199 BGB 2.14 (unter IV. 1.). 660 Zutreffend Schauf, Kenntnis, S.  212. 661  Siehe auch Römermann, EWiR 2014, 211, 212 („Vielmehr muss eine konkrete Kenntnis ge­ rade der Fehlleistung hinzukommen.“); anders wohl Schauf, Kenntnis, S.  232. 652 

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Mit dem Vorstehenden ist keineswegs gesagt, dass ab dem Mandatsende auto­ matisch Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis zu bejahen wäre, sofern nur das Ergebnis in irgendeiner Form hinter dem Optimalziel des Mandanten zurück­ geblieben ist. 662 Es entfällt dann zwar die bisherige besondere Vertrauensbeziehung und damit einer der Gründe dafür, das Verhalten des ersten Beraters nicht von ei­ nem anderen Experten begutachten zu lassen. Doch deutet eben ein suboptimales Ergebnis nicht automatisch auf Beratungsfehler hin. 663 War zum Beispiel ein An­ walt mit der Prüfung möglicher Ansprüche des Mandanten gegen einen Dritten beauftragt und hat er dem Mandanten eine unzutreffende negative Auskunft er­ teilt, erfährt der Mandant, der der Auskunft Glauben schenkt, nichts von einem haftungsbegründenden Verhalten des Beraters. 664 Auch bei einem gerichtlichen Verfahren kann es aus Sicht des Mandanten ohne Weiteres plausibel erscheinen, dass der frühere Berater voll informiert war, sich eine vertretbare Rechtsauffassung gebildet, den am ehesten Erfolg versprechenden Weg eingeschlagen hat und gleich­ wohl vor Gericht nicht durchgedrungen ist. Anderes gilt nur, wenn – etwa aus den Hinweisen des Gerichts – eindeutig die Möglichkeit hervorgegangen ist, dass der Berater seine Pflichten verletzt hat. Das wäre beispielsweise anzunehmen, wenn das Gericht die Ansicht des Beraters als „unvertretbar“ bezeichnet hat bzw. die Versäu­ mung einer Frist angenommen hat, die bei Einschlagen des sichersten Wegs jeden­ falls einzuhalten gewesen wäre. Dann muss es für den Beratenen zumindest ab dem Mandatsende geboten erscheinen, sich über mögliche Regressansprüche zu infor­ mieren. 665 Der tatsächlichen Beauftragung eines neuen Rechtsberaters durch den Mandan­ ten könnte eine generelle Zäsurwirkung zukommen. Nach der Rechtsprechung zur Sekundärhaftung ließ dieser Vorgang die Auskunftspflicht des vormaligen Beraters entfallen, wenn das dem neuen Berater erteilte Mandat auch die Prüfung von An­ sprüchen gegen den früheren Berater erfasste. 666 Unter dem aktuellen Modell einer Analogie zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB wird man diesen Grundsätzen weitgehend fol­ gen können. Im originären Anwendungsbereich der Vorschrift muss sich der An­ spruchsinhaber auch die grob fahrlässige Unkenntnis eines Wissensvertreters „ent­ 662  Auch die frühere Rechtsprechung zur Sekundärhaftung hatte das Mandatsende keineswegs als radikalen Einschnitt angesehen, ab dem der frühere Berater von seinen Pflichten frei wäre, siehe näher BGH, Urt. v. 15.4.1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2187–2188. 663  Siehe soeben oben im Text m.N. in Fn.  660. 664  Das erkennt auch Schauf, Kenntnis, S.  2 23, der aber den Erkenntnisgegenstand des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bei Beraterhaftungsansprüchen nicht auf die rechtliche Erkenntnis erstrecken möchte (siehe oben I. 5. mit Fn.  478). 665 Wenn Schauf, Kenntnis, S.  213, für Fehler in der außerprozessualen Beratung annimmt, der Mandant müsse angesichts von ungünstigen Ergebnissen eher skeptisch werden als bei Fehlern im Rahmen einer Prozessvertretung, dürfte dem im Ergebnis zuzustimmen sein. Das dürfte indes nicht an der besseren Erkennbarkeit des Schadens liegen (so aber a. a. O., S.  222–223), sondern daran, dass regelmäßig das (z. B. auf eine Vertragsgestaltung gerichtete) Mandat beendet sein wird und deshalb keine fortdauernde Vertrauensbeziehung der Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis im Wege steht. 666  BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, NJW 2003, 822, 823–834.

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sprechend §  166 Abs.  1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§  242 BGB)“ zurechnen lassen. 667 Auch Rechtsberater können Wissensvertreter in diesem Sinne sein. 668 Dies muss konsequenterweise auch im per Analogie erweiterten Anwen­ dungsbereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gelten. 669 Gänzlich unproblematisch ist die Zurechnung in dem Fall, dass der neue Berater ausdrücklich mit der Prüfung von Ersatzansprüchen gegen den früheren Berater beauftragt wurde. 670 Fraglich ist einzig, was zu gelten hat, wenn dem neuen Berater lediglich die Fortführung des früheren Mandats übertragen wurde. Die Rechtsprechung zur Sekundärhaftung hatte den ersten Berater unter diesen Umständen nicht aus seiner Hinweisver­ pflichtung entlassen. 671 Unter dem neuen Modell möchte der IX. Zivilsenat des BGH offenbar davon abrücken, stattdessen eine Zurechnung annehmen und die Verjährung beginnen lassen. 672 Das überzeugt im Grundsatz. Sobald ein neuer Berater mandatiert ist, den eine wie auch immer geartete Pflicht zum Hinweis auf Regressaussichten gegen den früheren Berater trifft, entfällt der Grund für eine Verjährungssperre. Stattdessen greift die Ratio für eine Diskriminierung von rechtlichen Fehleinschätzungen wieder ein. Der Mandant kann nunmehr eine un­ abhängige Rechtseinschätzung zur Regressfrage erwarten. Die Verletzung dieser Pflicht des neuen Beraters – und sei es nur eine Warnpflicht – ist ihrerseits mit einer (grundsätzlich versicherten) Haftung bedroht. Anders liegen die Dinge nur, wenn in dem Folgemandat keinerlei Pflichten (also nicht einmal Warnpflichten) bezüglich des Regressanspruchs bestehen. Das ist etwa bei der Betrauung eines zweiten Steu­ erberaters mit einem Einspruchsverfahren der Fall. 673 Hier muss folglich eine Ein­ stufung als Wissensvertreter ausscheiden. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Hinsichtlich der Rechtseinschätzung des Gläubigers in Fällen der Rechtsberaterhaftung ergibt sich der Vorwerfbarkeits­ maßstab aus einer Analogie zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Diese im Ergebnis auch vom BGH verfolgte Lösung ist nicht nur in dogmatischer Hinsicht konsequent. Sie bie­ tet  – in der zurückhaltenden Interpretation des BGH – hinreichenden Raum, um den Besonderheiten der Vertrauensbeziehung zwischen Mandanten und Rechts­ beratern Rechnung zu tragen. Auch unter diesem Standard könnten sich oberge­ 667 

BGH, Urt. v. 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448, 449 Rn.  19 m. w. N. BGH, Urt. v. 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534, 2535 Rn.  15 m. w. N.; Borgmann, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  47 Rn.  31. 669  Gerade einen solchen Fall betraf letztlich BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJWRR 2019, 116, 117 Rn.  14. 670  Siehe auch BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 117 Rn.  14. 671  Eine ggf. bestehende Warnpflicht des Zweitberaters bilde keinen hinreichenden Ersatz für den Hinweis des Erstberaters, BGH, Urt. v. 15.4.1999 – IX ZR 328/97, NJW 1999, 2183, 2188; BGH, Urt. v. 9.12.1999 – IX ZR 129/99, NJW 2000, 1263, 1265. 672  BGH, Urt. v. 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019, 116, 117 Rn.  14 a. E. (freilich ohne die frühere Rechtsprechung zu thematisieren). 673  BGH, Urt. v. 7.5.2015 – IX ZR 186/14, NJW 2015, 2326, 2327 Rn.  7–12. Auch die Rechtspre­ chung zur Sekundärverjährung hatte bei der Folgemandatierung eines Steuerberaters die Hin­ weis­pflicht des Erstberaters aufrechterhalten, BGH, Urt. v. 11.5.1995 – IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 = NJW 1995, 2108, 2109–2110. 668 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

richtliche Entscheidungen, die auf eine rechtliche Erkenntnis des Mandanten hat­ ten verzichten wollen, zum Teil halten lassen. Dort war die Rechtslage nämlich ­offenbar dem Mandanten bewusst gewesen674 bzw. hatte sich aufgedrängt. 675 In solchen Situationen sind die Anforderungen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gerade er­ füllt.

IV. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen Die Grundentscheidung des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, den Verjährungsbeginn nicht von einer Rechtskenntnis bzw. Erkennbarkeit im Rechtlichen abhängig zu machen, ist prinzipiell plausibel. Aus teleologischen Gründen darf die Verjährung aber nur dann laufen, wenn aus der objektiven Sicht eines Rechtskundigen ein Bestehen des Anspruchs nicht praktisch ausgeschlossen erschien. Die Anerkennung einer ent­ sprechenden „Unzumutbarkeitsausnahme“ ist gegen Kritik zu verteidigen. 676 Einwänden sieht sich allerdings auch die dogmatische Anknüpfung dieser Aus­ nahmefallgruppe ausgesetzt: Statt §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB um ein ungeschriebenes Merkmal zu ergänzen, sei auf das Instrument der Hemmung nach §  206 BGB zu­ rückzugreifen. 677 Diesem im Ansatz nachvollziehbaren Gedanken678 steht jedoch der gesetzgeberische Wille entgegen. Wie gesehen, erachten die Gesetzesmateria­ lien zu §  206 BGB eine Hemmung nicht einmal solange für möglich, wie die Rechts­ verfolgung (vor einer günstigen Rechtsprechungsänderung) aussichtslos er­ scheint. 679 Das gesetzgeberische Konzept gestattet lediglich die Lösung über §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Hierfür lassen sich, wie angedeutet, handfeste Sachgründe an­ führen. Insbesondere werden, anders als bei §  206 BGB, die schuldnerschützenden Maximalfristen nicht ausgehebelt.680 Der Verdacht liegt nahe, dass die gelegentlich anzutreffende Klassifikation als Hemmungsproblem ein Relikt aus Zeiten darstellt, in denen die Regelverjährung nicht an subjektive Momente anknüpfte. 681 Dass auch unter Geltung des neuen Verjährungsrechts noch vereinzelt auf den Hem­

674  So bei OLG Stuttgart, Urt. v. 13.4.2010 – 12 U 189/09, NJW-RR 2010, 1645, 1647: „Der Kl. war, schon als sie […] die Kanzlei der Bekl. aufsuchte, bewusst, dass etwaige Schadensersatzan­ sprüche gegen F mit Ablauf des [Datums] verjähren würden.“ 675  So die Feststellung von OLG Hamm, Urt. v. 24.4.2012 – I-28 U 152/11, BeckRS 2012, 10238. 676  Siehe zum Ganzen oben I. 3. 677  Siehe oben B. IV. m.N. in Fn.  180. 678  Es lässt sich allgemein darüber streiten, inwieweit der kenntnisabhängige Verjährungsbe­ ginn gegenüber einer entsprechenden Ausgestaltung der Nichtkenntnis als Hemmungstatbestand vorzugswürdig ist, siehe etwa Piekenbrock, in: BeckOGK, §  195 BGB Rn.  8; Peters/R. Zimmermann, in: Gutachten, S.  77, 306; R. Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 686–687. 679  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 119 (vergleiche dazu bereits I. 3. a) cc)). 680  Siehe oben I. 3. a) cc) unter Verweis auf Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  135.2; ähnlich Ellenberger, in: Palandt, §  206 Rn.  7; auch bereits Kuhn, Hemmung, S.  33–34. 681  So etwa bei BGH, Urt. v. 28.4.1995 – LwZR 9/94, BGHZ 129, 282 = ZIP 1995, 949, 951; BGH, Urt. v. 7.5.1997 – VIII ZR 253/96, NJW 1997, 3164, 3164.

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mungstatbestand zurückgegriffen worden ist,682 ist durch ein unzutreffendes Ver­ ständnis der Unzumutbarkeitsvoraussetzungen bedingt. Es wurde verkannt, dass bei einer (vermeintlich) aussichtslosen Rechtslage erst recht von Unzumutbarkeit auszugehen ist. Wollte man die Unzumutbarkeitsausnahme entgegen der hier ver­ tretenen Auffassung nicht auf solche Situationen erstrecken, 683 wäre es jedenfalls inkonsequent, dieses Ergebnis durch die Anerkennung einer Hemmung zu unter­ laufen. Die Verortung der Unzumutbarkeitsprüfung bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB anstelle von §  206 BGB beschwört auch nicht etwa Beweisschwierigkeiten des Schuldners herauf. Zwar ist dieser für die Voraussetzungen des Verjährungsbeginns grund­ sätzlich darlegungs- und beweisbelastet. 684 Für die zu einer Hemmung führenden Umstände trifft die Last hingegen den Gläubiger, der sich gegen den Verjährungs­ eintritt wendet. 685 Die Entscheidung, für die Unzumutbarkeitsausnahme nicht auf §  206 BGB zurückzugreifen, benachteiligt den Schuldner dennoch nicht. Wo dies überhaupt thematisiert wird, wird die Unzumutbarkeit der Klageerhebung wegen unklarer bzw. aussichtsloser Rechtslage als Ausnahme verstanden, für deren Vor­ aussetzungen der Gläubiger beweisbelastet ist.686 Der Frage der Darlegungs- und Beweislastverteilung dürfte aber ohnehin keine nennenswerte Bedeutung zukom­ men. Die Unzumutbarkeit beurteilt sich schließlich von der objektiven Warte eines Rechtskundigen aus. 687 Die im maßgeblichen Zeitpunkt bestehende „Rechtser­ kenntnislage“ (also vor allem der Stand von Judikatur und Literatur), auf der die Prognose eines Rechtskundigen fußt, wird das Gericht nach dem Grundsatz „iura novit curia“ schlicht selbst zu ermitteln haben. 688 Beweisprobleme für den Schuldner sind sogar dort weitgehend ausgeschlossen, wo §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ausnahmsweise auch auf rechtliche Aspekte zu er­ strecken ist. Das betrifft vor allem die Rechtsberaterhaftung.689 Indem §  199 Abs.  1 682 

Bei LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.1.2014 – 6 S 3714/13, BeckRS 2014, 2544. Zur Diskussion siehe oben I. 3. d). 684  BGH, Urt. v. 17.6.2016 – V ZR 134/15, NJW 2017, 248, 248 Rn.  12; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  46; Mansel/M. Stürner, in: NK-BGB, §  199 Rn.  122. 685  Budzikiewicz, in: NK-BGB, §  206 Rn.  18; Henrich, in: BeckOK-BGB, §  194 Rn.  10. 686 So Pohlmann, WRP 2015, 546, 550. 687  Siehe oben III. 2. 688  So wohl im Ergebnis auch Bär, Verjährung, S.  138. Dass die Zumutbarkeitsprüfung revisibel sein soll (BGH, Urt. v. 15.6.2010 – XI ZR 309/09, NJW-RR 2010, 1574, 1575 Rn.  13 m. w. N.; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716 Rn.  4 4; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  16, juris), dürfte an dieser Stelle allerdings kein entschei­ dendes Argument darstellen (anders offenbar Bär, a. a. O.). Denn damit ist nicht gesagt, wer die zugrunde liegenden Tatsachen beizubringen hat. Maßgeblich dürfte vielmehr sein, dass das Ge­ richt nach dem Grundsatz „iura novit curia“ (dazu oben §  3 A. II. 1.) auch die „Auslegung der Normen durch Rechtsprechung und Lehre“ zu kennen hat (Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  8); siehe ferner Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 259–261, der von „iura novit curia“ auch „das rechtsdogmatische Umfeld des Falles“ als erfasst ansieht, also u. a. frühere Entscheidungen und das Schrifttum; ähnlich Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 447, 449; Soffner, Haftung, S.  161–162. 689  Siehe oben I. 5., II. 3., III. 3. Daneben ist nach dem bei I. 2. zur „Kontextuierung“ Gesagten ein rudimentäres Bewusstsein für die potenzielle juristische Relevanz der Vorgänge erforderlich. 683 

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Nr.  2 BGB grobe Fahrlässigkeit ausreichen lässt, erübrigt sich für den Schuldner der allenfalls durch Indizien zu führende Beweis, dass der Gläubiger aus hinrei­ chend eindeutigen Tatsachen die zutreffenden Schlüsse gezogen hat. 690 Zusätzliche Unterstützung erfährt der Schuldner durch die Anerkennung einer sekundären Dar­legungslast691 des Gläubigers für Umstände aus dessen Sphäre: Letzterem soll dann die Mitwirkung an der Aufklärung sowie erforderlichenfalls auch die Dar­ legung der ihn entlastenden Umstände, etwa durchgeführter Ermittlungen, oblie­ gen. 692

D. Annex: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und Verlust des Verfügungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutz In ähnlicher Weise wie im Verjährungsrecht können sich rechtliche Fehleinschät­ zungen mit Blick auf die Erlangung einstweiligen Rechtschutzes potenziell nach­ teilig auswirken. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung (§  935 ZPO) setzt neben einem Verfügungsanspruch voraus, dass „zu besorgen ist, dass durch eine Verände­ rung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte“. Der Verfügungsgrund besteht also in 12 Abs.   1 einer besonderen Eilbedürftigkeit. 693 Im Wettbewerbsrecht enthält §   UWG eine widerlegliche tatsächliche Vermutung694 der Dringlichkeit. Allerdings widerlegt der Antragsteller die Vermutung selbst, wenn sein Verhalten den Schluss zulässt, dass ihm die Sache nicht eilig ist. 695 Die im Wettbewerbsrecht entwickelte Figur der Selbstwiderlegung wird mittlerweile generell im Rahmen von §§  935, 940 ZPO berücksichtigt. 696 Vom Antragsteller wird konkret verlangt, zügig einstweili­ 690  Siehe auch Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  74, die etwas ungenau vom „Schluss auf den Anspruch“ sprechen. Zu den Beweisproblemen bei reinen Kenntnistatbeständen später §  16 A. II. 691  So auch die Einstufung von Abeling, Kenntnis, S.  141; Harnos, ZBB 2015, 176, 178; Nassall, NJW 2014, 3681, 3685–3686; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  199 Rn.  84. 692  BGH, Urt. v. 3.6.2008 – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576, 2578 Rn.  25; BGH, Urt. v. 17.6.­ 2016  – V ZR 134/15, NJW 2017, 248, 248 Rn.  12; Grothe, in: MüKo-BGB, §  199 Rn.  46; Henrich, in: BeckOK-BGB, §  194 Rn.  10. 693  Siehe nur G. Vollkommer, in: Zöller, §  935 Rn.  10; vergleiche zudem §  940 ZPO sowie zum Arrestgrund §§  917 f. ZPO. 694  BGH, Beschl. v. 1.7.1999 – I ZB 7/99, NJW-RR 2000, 209, 209 – Späte Urteilsbegründung (zu §  25 UWG a. F.); Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  12 Rn.  2.13. 695  BGH, Beschl. v. 1.7.1999 – I ZB 7/99, NJW-RR 2000, 209, 209 – Späte Urteilsbegründung; KG, Urt. v. 17.10.2014 – 5 U 63/14, GRUR-RR 2015, 181, 182 Rn.  30; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.­­2014 – I-6 U 84/13, NJW-RR 2014, 729, 731 – Rücklastschriftkosten; OLG Köln, Urt. v. 14.7.­ 2017  – 6 U 197/16, GRUR-RR 2018, 207, 209 Rn.  56 – Jeanshose mit V-Naht; Sosnitza, in: Ohly/ Sosnitza, §  12 Rn.  117; G. Vollkommer, in: Zöller, §  940 Rn.  8.36. 696  KG, Urt. v. 9.2.2001 – 5 U 9667/00, NJW-RR 2001, 1201, 1202; OLG Köln, Urt. v. 5.7.1999  – 16 U 3/99, Rn.  5, juris; Drescher, in: MüKo-ZPO, §  935 Rn.  18; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  935 Rn.  24. Streng genommen fehlt es bei der Selbstwiderlegung nicht an der Dringlichkeit; viel­ mehr wird dem Antragsteller vorgeworfen, diese durch Zuwarten selbst herbeigeführt zu haben

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gen Rechtsschutz zu beantragen, nachdem er von dem Wettbewerbsverstoß (oder dem sonstigen Anlass) und der Person des Verantwortlichen Kenntnis erlangt hat. 697 Die herrschende Auffassung lässt insoweit auch grob fahrlässige Unkenntnis ausreichen. 698 Gegenstand der fristauslösenden Kenntnis sollen nach praktisch ein­ helliger Auffassung die anspruchsbegründenden Tatsachen bzw. Umstände sein. 699 Dem Antragsteller soll diese Kenntnis auch dann schaden, wenn er die Tatsachen erst später rechtlich zutreffend deutet, etwa weil ihm bis dahin die notwendigen Rechtskenntnisse fehlten.700 Der Rechtsirrtum wird also an dieser Stelle eindeutig diskriminiert. Eine Be­ gründung hierfür wird aber offenbar nicht angeführt. Am wahrscheinlichsten er­ scheint eine unreflektierte Übernahme der verjährungsrechtlichen Grundsätze. Zwingende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer parallelen Ausgestaltung bietet aber zumindest das Gesetz nicht. §  12 Abs.  1 UWG enthält keinerlei Vorga­ ben zur „Selbstwiderlegung“. Mehr noch: Vor einem unbedachten Rekurs auf das Verjährungsrecht ist zu warnen, weil sich die maßgebliche Ratio deutlich unter­ scheidet. Bezüglich des Kenntnisbeginns im Verjährungsrecht ist das Vertrauen des Schuldners auf seine Leistungsfreiheit in die Überlegungen einzustellen.701 Um einen solchen Vertrauensschutz geht es bei §§  935, 940 ZPO nicht. Das maßgebliche Interesse des Antragsgegners ist hier vielmehr darin zu erblicken, nicht mit den Nachteilen eines bloß summarischen Verfahrens überzogen zu werden, wenn nicht auf Seiten des Antragstellers hinreichender Bedarf für einstweiligen Rechtsschutz besteht.702 Dieser Grundgedanke hinter der Dringlichkeitsprüfung streitet eher für eine Berücksichtigung von Rechtsirrtümern. Wer nur deshalb nicht tätig wird, (richtig Haertlein, in: Hk-ZV, §  935 ZPO Rn.  25; siehe auch KG, Beschl. v. 30.1.2014 – 22 W 44/13, Rn.  7, juris: „selbstgeschaffene[s] Eilbedürfnis“). 697  Siehe etwa OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.4.2016 – 6 U 214/15, MMR 2016, 526; OLG Nürnberg, Beschl. v. 14.9.2018 – 3 U 1138/18, GRUR-RR 2019, 131, 134 Rn.  46 – Schnupfenmittel. 698  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.4.2016 – 6 U 214/15, MMR 2016, 526; OLG Hamburg, Urt. v. 21.3.2019 – 3 U 105/18, WRP 2019, 917, 918 Rn.  16; OLG Köln, Urt. v. 10.12.2010 – I-6 U 112/10, WRP 2011, 362, 363; OLG Nürnberg, Beschl. v. 14.9.2018 – 3 U 1138/18, GRUR-RR 2019, 131, 134 Rn.  46 – Schnupfenmittel; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  12 Rn.  2.15a; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, §  12 Rn.  117; a. A. aber z. B. Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, §  12 Rn.  80 m. w. N. 699  KG, Urt. v. 2.6.2017 – 5 U 196/16, MPR 2017, 188, 189 – Coolsculpting; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.12.2014 – 6 U 141/14, GRUR 2015, 279, 279 Rn.  12 – SAM; OLG Hamm, Urt. v. 2.2.­2012 – I-4 U 168/11, WRP 2012, 984, 986 Rn.  18; OLG Köln, Urt. v. 14.7.2017 – 6 U 197/16, GRUR-RR 2018, 207, 209 Rn.   56 – Jeanshose mit V-Naht; Retzer, in: Harte-Bavendamm/ Henning-­Bodewig, §  12 Rn.  308; G. Vollkommer, in: Zöller, §  940 Rn.  8.36; weniger eindeutig da­ gegen Haertlein, in: Hk-ZV, §  935 ZPO Rn.  24 („Kenntnis […] des Verfügungsanspruchs“). 700  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.4.2016 – 6 U 214/15, MMR 2016, 526; OLG Hamburg, Beschl. v. 12.2.2007 – 5 U 189/06, GRUR-RR 2007, 302, 303 – Titelseite; OLG Nürnberg, Beschl. v. 14.9.2018 – 3 U 1138/18, GRUR-RR 2019, 131, 134 Rn.  46 – Schnupfenmittel; ebenso Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  12 Rn.  2.15a; Schlingloff, in: MüKo-UWG, §  12 Rn.  388; Singer, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap.  45 Rn.  26. 701  Vergleiche C. I. 1. c) aa). 702  Instruktiv etwa OLG Köln, Urt. v. 10.7.2015 – 6 U 195/14, BeckRS 2016, 9601; vergleiche auch M. Huber, in: Musielak/Voit, §  916 Rn.  1.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

weil er vom Bestehen des Verfügungsanspruchs nichts ahnt, gibt damit schließlich nicht zu verstehen, es sei ihm nicht eilig. Der Rückgriff auf die verjährungsrechtlichen Grundsätze bedarf daher einer an­ deren Begründung. Plausibel erscheint ein Verweis auf die ständige Verfügbarkeit von Rechtsrat. An diesen Gedanken wird auch im Verjährungsrecht angeknüpft.703 Doch wie im dortigen Kontext ist allein damit noch nicht erklärt, warum eine Be­ lastung des Antragstellers auch dort erfolgt, wo ein Rechtsexperte relevante Zwei­ fel am Bestehen eines Anspruchs gehabt hätte. Die Begründung kann im Ver­ jährungsrecht darin erblickt werden, dass Anreize für die Klärung zweifelhafter Rechtsfragen geschaffen werden sollen.704 Im Zusammenhang mit §§  935, 940 ZPO bzw. §  12 Abs.  1 UWG verfängt dieser Gedanke nicht in gleicher Weise. Es ist bereits umstritten, inwieweit sich das einstweilige Rechtsschutzverfahren über­ haupt zur Klärung grundlegender bzw. schwieriger Rechtsfragen eignet.705 Jeden­ falls ist aus der Androhung der verschuldensunabhängigen Haftung in §  945 ZPO zu schlussfolgern, dass das Gesetz keine Anreize für potenzielle Gläubiger setzen will, die Rechtsklärung gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu betrei­ ben.706 Dass für den Antragsteller auch objektive Zweifel an seiner Berechtigung dringlichkeitsschädlich sind, dürfte sich auf anderem Wege erklären lassen. Es kommt, wie gesehen, jeweils auf den Befund an, der Antragsteller habe es offen­ sichtlich nicht hinreichend eilig. Dieser Schluss erscheint auch dann gerechtfertigt, wenn das Bestehen eines Verfügungsanspruchs unsicher erscheint. Wer unter sol­ chen Umständen zunächst zuwartet, demonstriert damit, dass ihm die Sicherung seines möglichen Rechts im Verhältnis zu den drohenden Nachteilen nicht wichtig genug erscheint. Die Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Rahmen der Dringlichkeitsprü­ fung lässt sich daher im Ergebnis weitgehend halten. Dieser Grundsatz ist jedoch mit einer Ausnahme zu versehen. Es ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, eine Dringlichkeit selbst dann zu verneinen, wenn das Bestehen eines Verfügungs­ anspruchs praktisch ausgeschlossen erscheint. Insoweit ist auf die zur verjährungs­ rechtlichen Unzumutbarkeit entwickelten Maßstäbe707 zurückzugreifen. Unter solchen Umständen kann man dem inaktiven Gläubiger nicht vorwerfen, er habe es offensichtlich nicht eilig. Rechtsprechung und Literatur müssten diesen Vorbehalt in ihre Formel zur Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung integrieren, sofern es im Einzelfall einmal darauf ankäme. Ein Verfügungsgrund kann bei ur­ sprünglicher Aussichtslosigkeit noch bejaht werden, wenn der Antragsteller zeit­ nah nach deren Wegfall den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellt.

703 

Siehe oben C. I. 1. c) cc). Siehe oben C. I. 1. c) dd). 705  Ausführlich und m. w. N. zum Streitstand Drescher, in: MüKo-ZPO, §  935 Rn.  12. 706  Dazu später §  9 C. III. 4. b) aa) (1). 707  Dazu oben C. II. 704 

§  7 Nachteil durch Verjährung

189

E. Fazit Der Gläubiger, der in rechtlicher Hinsicht über seine Anspruchsberechtigung (oder das Vorliegen normativer Tatbestandsmerkmale) irrt, wird nach dem Grundmodell des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB – anders als der über relevante Tatsachen Irrende – nicht vor Verjährungsnachteilen bewahrt. Die Ratio hinter dieser Diskriminierung des Rechtsirrtums ist nach hier vertretener Auffassung eine zweigleisige. Erstens: Rechtsrat ist in institutionalisierter Form verfügbar. Zweitens: Bei gleichwohl ver­ bleibenden Rechtszweifeln soll der mögliche Anspruchsinhaber nicht passiv blei­ ben, sondern die im Allgemeininteresse liegende Klärung durch die hierzu berufe­ nen Gerichte anstreben. Soweit Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt wer­ den, sind diese ihrerseits weitgehend durch überzeugende Erwägungen gedeckt. Wo selbst ein Rechtsexperte keine signifikante Erfolgsaussicht für eine Geltendma­ chung sähe, gehen die Klärungsanreize regelmäßig ins Leere. Zudem tritt in §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO die Wertung zutage, dass der Gesetzgeber in solchen Fällen auch im Allgemeininteresse keine gerichtliche Befassung wünscht. Deshalb ist es konse­ quent, unter diesen Umständen die Verjährung wegen Unzumutbarkeit für den Gläubiger ausnahmsweise nicht beginnen zu lassen. Ferner passt der genannte Ge­ danke, Rechtsrat sei stets verfügbar, dort nicht, wo es gerade um die Haftung des tatsächlich mandatierten Rechtsberaters geht. Dort ist deshalb hinsichtlich der rechtlichen Erkenntnis der anwaltlichen Pflichtverletzung der auf die Tatsachener­ kenntnis bezogene Maßstab des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB analog anzuwenden. Von der mitunter vermuteten Trendwende hin zu einer stärkeren Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Verjährungskontext708 kann demnach keine Rede sein. Allerdings ist festzustellen, dass der BGH eine Unzumutbarkeit wegen einer zwei­ felhaften Rechtslage mitunter in bedenklich großzügiger Weise angenommen hat. Es ist zu begrüßen, dass zuletzt mehrere Zivilsenate strengere Tendenzen an den Tag gelegt haben.709

708 

So etwa Radke, jM 2015, 64, 67; siehe auch Nassall, NJW 2014, 3681, 3683–3684. Zu nennen sind sowohl die strenger werdende Rechtsprechung des XI. Senats (BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99–100; BGH, Urt. v. 19.3.2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2163–2164 Rn.  34–35) als auch die Sichtweise des IV. Senats (BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 513 Rn.  17–18; BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  17–18) und die Entscheidung des VI. Senats zum „Dieselskan­ dal“, BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, juris. 709 

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung Auch wenn der Gläubiger, anders als in den bisher beleuchteten Verjährungskon­ stellationen, seinen Anspruch zunächst gerichtlich verfolgt, können rechtsirrtums­ bedingte Nachteile eintreten.

A. Nachteilszuweisung Ein endgültiger Nachteil ergibt sich für den Gläubiger, wenn er eine anspruchsver­ neinende gerichtliche Entscheidung hinnimmt, weil er rechtsirrtümlich von deren Richtigkeit ausgeht bzw. die Erfolgsaussichten einer Anfechtung nicht für ausrei­ chend hält. Zunächst lässt sich ein Nachteil noch durch Einlegung von Rechts­ behelfen verhindern. Der Eintritt der formellen Rechtskraft (§  705 ZPO) eliminiert diese Möglichkeit. Formelle Rechtskraft erlangen Urteile und rechtskraftfähige Beschlüsse grundsätzlich mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, (erste) Versäumnis­ urteile und Vollstreckungsbescheide mit Ablauf der Einspruchsfrist des §  339 Abs.  1 ZPO (i. V. m. §  700 Abs.  1 ZPO).1 Die aus der formellen resultierende materielle Rechtskraft (§  322 ZPO) 2 führt in der Folge – unabhängig von der genauen dogma­ tischen Begründung3 – zur Verbindlichkeit der gerichtlichen Entscheidung im Ver­ hältnis der Parteien. Mit dem Einwand, der Streit sei rechtlich falsch entschieden, wird der Gläubiger fortan grundsätzlich nicht mehr gehört.4 Man mag sich deshalb fragen, ob sich unter diesen Bedingungen überhaupt von einem Rechtsirrtum spre­ chen lässt. Schließlich steht das Nichtbestehen des Anspruchs fest. Es ist aber daran zu erinnern, dass als Referenzpunkt für die Feststellung eines Rechtsirrtums stets die Beurteilung der materiellen Rechtslage durch das Gericht maßgeblich ist, wel­ ches zuletzt über das Vorliegen und die Behandlung eines solchen Irrtums zu befin­ den hat:5 Soweit es nach Eintritt der Rechtskraft zu einer erneuten Befassung eines Gerichts mit der Frage nach der Anspruchsberechtigung kommt, ist die Beurtei­ lung durch dieses Gericht maßgeblich. Geht dieses Gericht vom Bestehen eines An­ spruchs aus, lag in der Unterschätzung der eigenen Anspruchsberechtigung ein relevanter Rechtsirrtum des Gläubigers. 1 

Kindl, in: Hk-ZPO, §  705 Rn.  6; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  705 Rn.  2. Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  24; G. Vollkommer, in: Zöller, vor §  322 Rn.  6. 3  Überblick über den Meinungsstand bei Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  6 –15; Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  8 –11. 4  Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  12–14; G. Vollkommer, in: Zöller, vor §  322 Rn.  6 . 5  Zum Folgenden oben §  4 A. 2 

192

3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Nur durch die erneute Befassung eines Gerichts lässt sich auch der Nachteil in Form der eingetretenen Rechtskraft beseitigen. Als Instrumente, die zu einem rückwirkenden Wegfall der Rechtskraft führen, kommen regelmäßig nur die soge­ nannten außerordentlichen Rechtsbehelfe der §§  233, 321a, 578 ZPO in Betracht. 6 Für denjenigen, der sich über seine Anspruchsberechtigung in rechtlicher Hinsicht geirrt hat, verspricht in der Regel allenfalls der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§  233 S.  1 ZPO) Erfolg. Der Gläubiger könnte anführen, ohne den Rechtsirrtum über seine Anspruchsberechtigung hätte er die Einlegung eines Rechtsmittels bzw. Einspruchs7 nicht versäumt (und so den Eintritt der Rechtskraft verhindert). Voraussetzung für den Erfolg eines Wiedereinsetzungsantrags ist, dass die Partei ohne Verschulden an der Fristwahrung gehindert war. Verschulden wird im Sinne von §  276 BGB verstanden; es genügt jede Fahrlässigkeit.8 Fällt dem Prozessbe­ vollmächtigten ein Verschulden zur Last, wird dieses dem Mandanten gemäß §  85 Abs.   2 ZPO zugerechnet.9 Dem Anwalt mutet die Rechtsprechung insoweit strengste Anforderungen zu:10 Er muss sich in einschlägiger Rechtsprechung und Fachliteratur praktisch lückenlos auskennen und bei zweifelhafter Rechtslage den sichersten Weg wählen.11 Bei Ungewissheit über die Anspruchsberechtigung soll demnach sicherheitshalber das Rechtsmittel einzulegen sein.12 Der Bereich des Verschuldens soll aber verlassen sein, wo der Prozessvertreter „auf eine eindeutige Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts“ vertrauen konnte.13 Mit Blick auf den vorliegend nicht näher behandelten Rechtsirrtum über die Frist bzw. Modali­ täten von Rechtsbehelfen zeigt sich die Rechtsprechung insgesamt großzügiger. So wurde ein Verschulden verneint, wenn sich der Verfahrensbevollmächtigte ohne nähere Prüfung einer unrichtigen Ansicht angeschlossen hatte, „die von einem 6 

G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  705 Rn.  4, 17; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  705 Rn.  2. S.  1 ZPO erfasst die insoweit einschlägigen Fristen als Notfristen, Stackmann, in: MüKo-­ZPO, §  233 Rn.  18. 8  Gerken, in: Wieczorek/Schütze, §  233 Rn.  16; Grandel, in: Musielak/Voit, §  233 Rn.  3. Es ist umstritten, ob ein objektiv-abstrakter oder individueller Maßstab anzulegen ist (für die erstge­ nannte Alternative m. w. N. zum Streitstand Saenger, in: Hk-ZPO, §  233 Rn.  12), doch halten sich die Auswirkungen in Grenzen, vergleiche Wendtland, in: BeckOK-ZPO, §  233 Rn.  10.1. 9  Gerken, in: Wieczorek/Schütze, §   233 Rn.   19; Grandel, in: Musielak/Voit, §   233 Rn.   3; ­Saenger, in: Hk-ZPO, §  233 Rn.  11. 10  Ausführlich etwa H. Roth, in: Stein/Jonas, §  233 Rn.  50 („Rechtsirrtum (Anwalt)“). 11  BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 27.9.2002 – 2 BvR 855/02, NJW 2003, 575, 576 (zu §  93 Abs.  2 BVerfGG); BGH, Beschl. v. 24.1.1990 – XII ZB 143/89, NJW 1991, 2709, 2710; BGH, Beschl. v. 15.5.2019 – XII ZB 573/18, BGHZ 222, 105 = NJW 2019, 2230, 2232–2233 Rn.  25; Stackmann, in: MüKo-ZPO, §  233 Rn.  109, 114. 12  BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772. 13  BVerfG, Beschl. v. 28.2.1989 – 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147, 1147 (be­ treffend einen Irrtum über die voraussichtlich positive Bescheidung eines Antrags auf Fristverlän­ gerung); zustimmend Grandel, in: Musielak/Voit, §  233 Rn.  4 4. 7 §   233

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

193

OLG und den gängigen Handkommentaren vertreten wurde“,14 obwohl das OLG von der bis dahin unangefochtenen Praxis abgewichen war.15 Auch soll es dem Prozessbevollmächtigten nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er in der Rechts­ frage des Fristbeginns der Sicht eines BGH-Senats folgt, die zwei weitere Senate obiter übernommen haben, selbst wenn ein anderer Senat, ebenfalls nur obiter, die Gegenansicht vertreten hat.16 Dazu abgegrenzt wird der Fall, dass die vom Ver­ fahrensbevollmächtigten befolgte Rechtsansicht nicht der herrschenden Literatur­ meinung entsprach und obergerichtlichen Widerspruch erfahren hatte.17

C. Analyse Im Kontext des vorliegend gewählten Untersuchungsgegenstands gilt es hinsicht­ lich §  233 S.  1 ZPO als Kernfrage zu klären, ob der Rechtsirrtum über die An­ spruchsberechtigung überhaupt dem Anwendungsbereich der Vorschrift unterfällt oder ob die Norm nur für Rechtsirrtümer über die Frist bzw. die Modalitäten der Geltendmachung zur Anwendung gelangt. Das ist im Folgenden zunächst zu un­ tersuchen (I.), bevor auf den schädlichen Erkenntnisgrad (II.) und eine mögliche Vorwerfbarkeitsprüfung (III.) eingegangen werden kann.

I. Erkenntnisgegenstand Die Frage, ob auch der anspruchsbezogene Rechtsirrtum eine Wiedereinsetzung begründen kann, betrifft innerhalb der vorliegend gewählten Kategorisierung die Ebene des für die Nachteilszuweisung (Verwehrung der Wiedereinsetzung) maß­ geblichen Erkenntnisgegenstands. 1. Weitgehende Diskriminierung anspruchsbezogener Rechtsirrtümer Die herrschende Ansicht versagt dem Gläubiger eine Wiedereinsetzung, die an den Umstand anknüpfte, dass der Gläubiger sich über die eigene Berechtigung geirrt und deshalb auf die Anfechtung einer negativen Entscheidung verzichtet hat. Das wird für das Zivilverfahrensrecht selten dezidiert ausgesprochen. Immerhin hat sich das BayObLG für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§  22 Abs.  2 FGG a. F.; vergleiche §  17 FamFG) klar positioniert.18 Im zu beurteilenden Sachver­ halt hatte der Antragsteller auf eine aus Beratersicht aussichtslose sofortige Be­ schwerde verzichtet. Er trug vor, dass es nach Ablauf der Beschwerdefrist infolge einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu einer „sensationelle[n] und nicht 14 

BGH, Beschl. v. 18.10.1984 – III ZB 22/84, NJW 1985, 495, 496. zum früheren Meinungsstand hinsichtlich der betroffenen Streitfrage BGH, ­Beschl. v. 23.11.1983 – IV a ZB 13/83, NJW 1984, 1358. 16  BGH, Beschl. v. 19.12.2012 – XII ZB 169/12, NJW 2013, 471, 472 Rn.  19. 17  BGH, Beschl. v. 3.11.2010 – XII ZB 197/10, NJW 2011, 386, 388 Rn.  23. 18  Zum Folgenden BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772. 15 Vergleiche

194

3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

erwartbare[n] Wende“ zugunsten seiner Rechtsposition gekommen sei. Das Bay­ ObLG hielt indes fest: Ein Irrtum über die materielle Rechtslage und somit über die Erfolgsaussichten des erwogenen Rechtsmittels, könne – ob verschuldet oder nicht  – keine Wiedereinsetzung begründen. Dieses Ergebnis gebiete „der Gedanke der Rechtssicherheit, da es Sinn jedes Rechtsmittels auch ist, eine ungewisse Rechts­ lage klären zu lassen“. Diese Sichtweise wird nicht nur im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf­ gegriffen.19 Auch das Schrifttum zu §  233 ZPO teilt sie, soweit eine Befassung mit der Thematik stattfindet.20 Der BGH hat sich zu §  233 ZPO ebenfalls auf die Ent­ scheidung des BayObLG bezogen: Das Auffinden günstiger Gerichtsentscheidun­ gen nach Fristablauf begründe keinen Wiedereinsetzungsgrund, weil sonst unter Berufung auf nachträgliche Erkenntnisse „noch nach Jahr und Tag“ Rechtsmittel eingelegt werden könnten.21 Für die verwandten Wiedereinsetzungsnormen anderer Verfahrensordnungen (etwa §  93 Abs.  2 BVerfGG, §  60 VwGO, §  56 FGO) hat die Rechtsprechung diese Grundsätze noch wesentlich öfter betont: Die unrichtige Ein­ schätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels begründe keine Wiedereinset­ zung in die versäumte Rechtsmittelfrist.22 Der Irrtum über die Erfolgsaussichten stellt damit eine eigenständige Kategorie dar, die vollständig unbeachtlich sein soll. In Rechtsprechung und Schrifttum wird dies teilweise dadurch verdeckt, dass dem Antragsteller (zugleich) Verschulden attestiert wird.23 Die herrschende Meinung lässt die fehlerhafte Beurteilung der Erfolgsaussichten indes unabhängig vom Ver­ schulden als Anknüpfungspunkt für eine Wiedereinsetzung ausscheiden.24 19 

So etwa von OLG Hamm, Beschl. v. 6.11.2006 – 15 W 328/06, FGPrax 2007, 171, 172. Greger, in: Zöller, §  233 Rn.  23.17; H. Roth, in: Stein/Jonas, §  233 Rn.  50 („Rechtsirrtum (Anwalt)“). 21  BGH, Beschl. v. 2.4.2009 – IX ZA 6/09, NJW 2009, 2310, 2311 Rn.  3; ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 16.6.2009 – 2 U 715/08, BeckRS 2010, 886; Saenger, in: Hk-ZPO, §  233 Rn.  4 4. In einem derart gelagerten Fall dürfte eine Wiedereinsetzung ohnehin schon daran scheitern, dass bei ob­ jektiver Betrachtung auch vor Auffinden der Entscheidung hinreichende Erfolgsaussichten be­ standen (dazu unten II.). Auch ungeachtet dessen soll aber offenbar der anspruchsbezogene Rechtsirrtum per se diskriminiert werden. 22  BVerwG, Beschl. v. 23.11.1988 – 3 B 67.88, WKRS 1988, 17646 Rn.  2 ; BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 – 7 B 40/89, NVwZ-RR 1989, 591; LSG Niedersachsen, Urt. v. 29.5.1996 – L 4 Kr 136/95, NZS 1997, 144 (Ls.); OVG Niedersachsen, Beschl. v. 20.11.2007 – 2 LA 626/07, NVwZ-RR 2008, 356; VG Köln, Urt. v. 25.7.2007 – 3 K 3568/06, BeckRS 2007, 27347; aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung – zum Teil noch zu §  86 AO a. F. (Nachsicht) – ebenso BFH, Urt. v. 7.5.1958 – II 14/58 U, BFHE 67, 172 = BeckRS 1958, 21006133; BFH, Urt. v. 22.1.1960 – VI 175/59 U, BFHE 70, 474 = BeckRS 1960, 21004289; BFH, Beschl. v. 9.5.1967 – II B 3/67, BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788; FG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.11.2005 – 1 K 415/02, DStRE 2006, 870, 871; FG Thüringen Urt. v. 25.6.1997 – III 285/96, BeckRS 1997, 14842 Rn.  27–28; auf diese Rechtsprechung aus anderen Gerichtszweigen weist auch BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJWRR 2000, 772, hin. 23  So etwa wenn gesagt wird, der Rechtsanwalt müsse die Rechtslage kennen, „folglich“ bilde die fehlerhafte Beurteilung der Erfolgsaussichten keinen Grund für eine Wiedereinsetzung, so Stackmann, in: MüKo-ZPO, §  233 Rn.  109. Auch OLG Hamm, Beschl. v. 6.11.2006 – 15 W 328/06, FGPrax 2007, 171, 172–173, stellt gleichrangig auf den (zu bejahenden) Sorgfaltsverstoß ab. 24  Besonders deutlich BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772 („ob verschuldet oder nicht“). 20 

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

195

Abweichungen von dieser Linie finden sich kaum.25 Auch das Reichsgericht hat einen Irrtum über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels grundsätzlich nicht als Grundlage für eine Wiedereinsetzung heranziehen wollen, allerdings im Einzelfall (betreffend einen Tatsachenirrtum) eine Ausnahme anerkannt: Der betroffene An­ tragsteller hatte sich aufgrund eines falschen biologischen Gutachtens, das die erste Instanz zugrunde gelegt hatte, keine Chancen für eine Berufung ausgerechnet.26 Das BVerwG hat die Wiedereinsetzung in einer einzelnen frühen Entscheidung mit dem Vorliegen eines Rechtsirrtums über die Erfolgsaussichten begründet. Betrof­ fen war ein im Ausland lebender Geschädigter, dessen Antrag erst infolge einer späteren höchstrichterlichen Entscheidung Aussicht auf Erfolg hatte.27 Keinen Widerspruch zur herrschenden Linie stellt hingegen die partielle Berück­ sichtigung von Irrtümern über das materielle Recht dar, wie sie die Finanzgerichts­ barkeit praktiziert.28 Soweit dort bei sehr unsicherer Rechtslage eine Wiederein­ setzung gewährt wurde, betraf dies stets materielle Vorfragen, die sich auf die Frist bzw. andere Modalitäten der Geltendmachung, nicht aber auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs auswirkten.29 2. Bewertung Die Berechtigung der herrschenden Anschauung lässt sich hinterfragen, wenn man einen Vergleich mit den zum Verjährungsrecht erarbeiteten Maßstäben anstellt. Der Gläubiger, der auf eine Klage verzichtet, die objektiv praktisch aussichtslos ist (vor allem infolge anspruchsfeindlicher höchstrichterlicher Judikatur), muss den faktischen Verlust seines Anspruchs durch die Regelverjährung nicht fürchten.30 Hingegen soll – unter den gleichen Rahmenbedingungen – sein Anspruch endgül­ tig der Rechtskraft zum Opfer fallen, wenn er eine gegen ihn ergangene Entschei­ dung nicht mit einem – aussichtslos erscheinenden – Rechtsmittel angreift. Diese Diskrepanz stimmt zunächst nachdenklich. Die naheliegende Kritik an der Un­ gleichbehandlung ist bereits im verjährungsrechtlichen Kontext angeklungen. Dort bemängeln Teile des Schrifttums eine Benachteiligung desjenigen, der schon früh geklagt hat und rechtskräftig gescheitert ist, gegenüber demjenigen, der, vom Ver­ jährungsrisiko befreit, bis zur Änderung der Rechtsprechung zugewartet hat.31 Der Widerspruch wäre nicht nur durch die Annahme der Verjährung zulasten des 25  Abeling, Kenntnis, S.   52, deutet am Rande an, dass dem „frühen“ Kläger, der wegen der rechtskräftigen Abweisung seiner Klage von einer späteren Rechtsprechungswende nicht mehr profitiert, ggf. Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist zu gewähren sein könnte, lässt dies aber im Ergebnis offen. 26  RG, Urt. v. 9.1.1939 – IV 200/38, RGZ 159, 109, 110–111. 27  BVerwG, Urt. v. 29.1.1964 – VIII C 330.63, juris (Ls.). 28  So auch die überzeugende Einordnung bei FG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.11.2005 – 1 K 415/02, DStRE 2006, 870, 871. 29  Siehe etwa BFH, Urt. v. 14.12.1989 – III R 116/85, BeckRS 1989, 5979 Rn.  11, 15. 30  Siehe oben §  7 C. I. 3. 31  Siehe §  7 B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  58.

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

Gläubigers zu lösen, sondern ebenso – umgekehrt – durch eine großzügige Inter­ pretation der Wiedereinsetzungsvorschriften. Allerdings setzt eine strenge Auslegung von §  233 S.  1 ZPO im Fall einer objektiv zweifelhaften Anspruchsberechtigung im Grundsatz wünschenswerte Anreize zur rechtlichen Klärung.32 Diesen Aspekt streift auch die Rechtsprechung zur Unbe­ achtlichkeit von Irrtümern über die Erfolgsaussichten, wenn sie betont, es sei gera­ de Sinn eines Rechtsmittels, eine ungewisse Rechtslage der Klärung zuzuführen.33 Das ist ein weiterer Beleg für die Richtigkeit der insoweit zum Verjährungsrecht angestellten Erwägungen. Allerdings wurde im Zusammenhang mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bereits demonstriert, dass solche Anreize zur Klärung in aller Regel versagen, wo für den Gläubiger praktisch keine Erfolgsaussichten bestehen,34 und dass §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO gar die Wertung zu entnehmen ist, dass dort eine (weite­ re) gerichtliche Rechtsverfolgung im Allgemeininteresse nicht erwünscht ist. An­ reizüberlegungen vermögen also nicht zu erklären, warum auch in objektiv aus­ sichtslos erscheinenden Situationen der Irrtum über die Erfolgsaussichten keine Wiedereinsetzung begründet. Der Grund dafür, dass §  233 ZPO denjenigen, der seinen Anspruch verkennt, ungünstiger behandelt als das Verjährungsrecht, könnte aber in der besonderen Funktion der Rechtskraft zu finden sein. Die Rechtsprechung knüpft teils an die­ sen Gedanken an. So wird erklärt, die Rechtskraft werde ausgehöhlt und die Rechtssicherheit beeinträchtigt, wenn man infolge eines Irrtums über die Erfolgs­ aussichten eine Wiedereinsetzung gewährte.35 In der Tat ist die Rechtskraft ein unerlässliches Instrument zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechts­ frieden.36 Wie die Verjährung lässt sie sich gar ihrerseits als Mittel zum Schutz vor Rechtsirrtümern deuten, da sie den Obsiegenden, der fortan darauf vertraut, im Recht zu sein, vor einer späteren Enttäuschung bewahrt.37 Diese Zwecke werden indes schon dadurch beeinträchtigt, dass bestimmte Rechtsirrtümer – zum Beispiel solche über Beginn bzw. Berechnung der Frist 38 – als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt werden. Die Diskrepanz zur verjährungsrechtlichen Beurteilung lässt 32 

Vergleiche zu den Anreizgesichtspunkten oben §  7 C. I. 1. c) dd). So ausdrücklich BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772; ganz ähnlich BVerwG, Beschl. v. 18.7.1988 – 3 B 33.88, BeckRS 1988, 31270316, zum Sinn einer Klage. 34  Siehe oben §  7 C. I. 3. c) aa). 35  So schon RG, Urt. v. 9.1.1939 – IV 200/38, RGZ 159, 109, 110 (trotz Gewährung der Wieder­ einsetzung im konkreten Fall); vergleiche auch BFH, Beschl. v. 9.5.1967 – II B 3/67, BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788; BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 – 7 B 40/89, NVwZ-RR 1989, 591 (betref­ fend Bestandskraft eines Verwaltungsaktes). 36  Vergleiche z. B. BGH, Urt. v. 18.1.1985 – V ZR 233/83, BGHZ 93, 287 = NJW 1985, 1711, 1712; BGH, Beschl. v. 16.6.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 = NJW 1993, 2942, 2943; Büscher, in: Wieczorek/Schütze, §  322 Rn.  12; Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  2; Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  1; siehe zudem Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  75, 78 (die Rechtskraft sei in Anbetracht der Alternativen noch die beste Lösung). 37  Thomale, in: Unsicherheiten, S.  269, 273 (und zur Verjährung: S.  272–273); siehe zu dieser Funktion des Verjährungsrechts oben §  7 C. I. 1. c) aa). 38 Siehe dazu z. B. BGH, Beschl. v. 18.10.1984 – III ZB 22/84, NJW 1985, 495, 496; BGH, ­Beschl. v. 19.12.2012 – XII ZB 169/12, NJW 2013, 471, 472 Rn.  19. 33 

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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sich auch nicht allein mit dem Ausmaß der drohenden Rechtsunsicherheit erklären. Die Sorge, die Wiedereinsetzung aufgrund nachträglich gestiegener Erfolgsaus­ sichten würde die Rechtskraft noch „nach Jahr und Tag“ antastbar machen,39 ist überzeichnet. §  234 Abs.  3 ZPO sieht eine vom Verschulden der Partei unabhängige Maximalfrist von (nur) einem Jahr vor.40 Für das Verjährungsrecht wurde vertre­ ten, ein eventuelles Vertrauen des Schuldners auf die für ihn positive Rechtslage werde (erst) durch die absoluten Verjährungsfristen geschützt; die kenntnisab­ hängige Verjährung könne demgegenüber eine Unzumutbarkeit für den Gläubiger berücksichtigen.41 Wie soeben gezeigt, bieten §§  233 f. ZPO einen Anknüpfungs­ punkt für eine vergleichbare Aufspaltung. Nichtsdestotrotz ist zu konstatieren, dass sich (Rechts-)Irrtümer über das Ver­ fahrensrecht (Frist, Form etc.) und solche über die Erfolgsaussichten in einem Punkt maßgeblich unterscheiden. Ein Irrtum über die Frist wird meist überschau­ bare Auswirkungen haben. Im Regelfall wird der Irrende maximal davon ausgehen, einige Wochen, gegebenenfalls nur Tage, mehr Zeit zu haben, als ihm nach zutref­ fender Rechtsauffassung eigentlich zusteht. Auch ein Irrtum über die Modalitäten der Rechtsmitteleinlegung wird in der Regel verhältnismäßig schnell aufgeklärt werden. Ein Wandel der Erfolgsaussichten infolge einer Rechtsprechungsänderung könnte hingegen tatsächlich auch noch nach knapp einem Jahr Relevanz erlangen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Hinweise auf eine besonders langwierige Un­ sicherheit also im Ansatz berechtigt. Sie bieten durchaus eine Begründung dafür, warum die Rechtskraft auch im Fall nachträglicher Änderungen der Judikatur ge­ schützt werden muss, obwohl bei Irrtümern über das Verfahrensrecht die Rechts­ kraft durch §  233 ZPO angetastet wird. Ein solches Ergebnis lässt sich mit Blick auf den Normwortlaut von §  233 S.  1 ZPO schlüssig herleiten. Dieser setzt nicht nur das Fehlen von Verschulden voraus. Vorgelagert wird verlangt, dass der Fristwahrung ein Hindernis im Wege stand. Ein solches wird nach vorherrschender Lesart nicht durch eine Fehleinschätzung der Erfolgsaussichten begründet.42 Davon gehen inzident all diejenigen aus, die betonen, der Irrtum über die Erfolgsaussichten begründe unabhängig vom Ver­ schulden keinen Wiedereinsetzungsgrund.43 Gegen ein solches Verständnis ließe sich zwar ins Feld führen, dass der als Wiedereinsetzungsgrund prinzipiell in Be­ 39  So BGH, Beschl. v. 2.4.2009 – IX ZA 6/09, NJW 2009, 2310, 2311 Rn.  3; OLG Koblenz, Beschl. v. 16.6.2009 – 2 U 715/08, BeckRS 2010, 886. 40  Eine Wiedereinsetzung in diese Frist ist ausgeschlossen, siehe nur Gerken, in: Wieczorek/ Schütze, §  234 Rn.  19. Zwecke sind die Gewährleistung der Rechtskraftwirkung und die Beseiti­ gung der Ungewissheit, Gerken, a. a. O., Rn.  17. 41  Siehe oben §  7 C. I. 3. d) m.N. in Fn.  398. 42  BFH, Beschl. v. 9.5.1967 – II B 3/67, BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788; OVG Nieder­ sachsen, Beschl. v. 20.11.2007 – 2 LA 626/07, NVwZ-RR 2008, 356; vergleiche auch Stackmann, in: MüKo-ZPO, §  233 Rn.  27, sowie zur Verjährungshemmung BGH, Urt. v. 2.12.1976 – VII ZR 88/75, NJW 1977, 375, 376. 43  So im Ergebnis BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772; zudem BFH, Urt. v. 7.5.1958 – II 14/58 U, BFHE 67, S.  172 = BeckRS 1958, 21006133; BFH, Urt. v. 22.1.1960 – VI 175/59 U, BFHE 70, 474 = BeckRS 1960, 21004289; BVerwG, Beschl. v. 23.11.1988  –

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

tracht kommende Irrtum über die Fristlänge ebenso wenig zu einer echten Ver­ hinderung führe.44 Indes existiert ein wesentlicher Unterschied. Nur im Fall der Fehlbeurteilung der Erfolgschancen lässt der Irrende die Rechtsmittelfrist bewusst verstreichen.45 Er hat gleichsam Vorsatz bezüglich der Fristversäumung46 und irrt lediglich über deren Sinnhaftigkeit. Dieser Unterschied ist entscheidend, wenn man den Wiedereinsetzungsvorschriften den Sinn zuschreibt, lediglich vor unbe­ wussten Fristversäumnissen schützen zu wollen.47 Für ein solches Verständnis spricht nicht zuletzt eine vergleichende Betrachtung: Wenn nach Erlass eines nega­ tiven Urteils die Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist trotz nach­ träglicher günstiger Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung versagt wird, stellt dies den Betroffenen letztlich bloß demjenigen gleich, dem von vorn­ herein kein Rechtsmittel gegen die negative Entscheidung zustand, zum Beispiel weil die Voraussetzungen von §  511 Abs.  2, 4 ZPO nicht erfüllt sind oder der Ins­ tanzenzug erschöpft ist. Wollte das Prozessrecht nicht nur vor der unbewussten Fristversäumung schützen, sondern dem Unterlegenen zugleich ein Mittel zur Be­ rücksichtigung späterer Rechtsprechungswenden an die Hand geben, müsste eine solche Möglichkeit konsequenterweise auch für denjenigen geschaffen werden, dem von vornherein keine (weiteren) Rechtsmittel zur Verfügung standen. Dieser hat ein gleich gelagertes Interesse an einer Rechtskraftdurchbrechung. Ein derartiges Instrument wäre in systemkonformer Weise nur bei den Wiederaufnahmegründen (§§  579 ff. ZPO), nicht bei §  233 ZPO zu verorten. Die hier bevorzugte Interpretation von §  233 S.  1 ZPO deckt sich im Übrigen mit den Ergebnissen, zu denen im Verjährungsrecht die herrschende Auffassung hin­ sichtlich des Hemmungstatbestands des §  206 BGB gelangt. Auch dort soll die ver­ meintliche Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung kein relevantes Hindernis be­ gründen.48 Die einheitliche Auslegung des Hindernisbegriffs in §  206 BGB und §  233 S.  1 ZPO erscheint in systematischer Hinsicht stimmig. Im Zusammenhang mit der Wiedereinsetzung fehlt es schlicht an einer mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB kor­ respondierenden Vorschrift, die die Vorstellungen des Betroffenen (partiell) für beachtlich erklärt. Die im Vergleich zum Verjährungsrecht noch stärkere Diskriminierung an­ spruchsbezogener Rechtsirrtümer im Kontext von §  233 ZPO liegt demnach nicht in ihrer Eigenart als Rechtsirrtum begründet. Entscheidend ist, dass diese Irrtümer die Erfolgsaussichten des versäumten Rechtsmittels betreffen. Die auf diese Weise begründete Versagung einer Wiedereinsetzung betrifft in gleicher Weise Tatsa­ 3 B 67.88, WKRS 1988, 17646 Rn.  2; BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 – 7 B 40/89, NVwZ-RR 1989, 591. 44  Dies gestand bereits BFH, Beschl. v. 9.5.1967, II B 3/67 – BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788, ausdrücklich ein. 45 Zutreffend bereits BFH, Beschl. v. 9.5.1967, II B 3/67 – BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788. 46  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 20.11.2007 – 2 LA 626/07, NVwZ-RR 2008, 356. 47  So BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 – 7 B 40/89, NVwZ-RR 1989, 591. 48  Siehe oben §  7 B. IV. m.N. in Fn.  165.

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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chenirrtümer, sofern diese lediglich den Blick auf die Erfolgschancen verstellen.49 Die Gewährung einer Wiedereinsetzung durch das Reichsgericht unter Verweis darauf, dass der Antragsteller durch ein falsch-negatives Gutachten von einer wei­ teren Rechtsverfolgung abgehalten worden sei,50 erscheint deshalb fragwürdig.

II. Erkenntnisgrad Anspruchsbezogene Rechtsirrtümer können nach den vorstehenden Erkenntnissen per se nicht zur Wiedereinsetzung verhelfen. Deshalb hat die anschließende Be­ trachtung des schädlichen Erkenntnisgrades nur noch Hilfscharakter. Nach vorzugswürdiger Ansicht muss eine Wiedereinsetzung wegen einer Ver­ kennung der Erfolgsaussichten jedenfalls dann ausscheiden, wenn die Rechtslage ungewiss war.51 Der Rechtsirrtum ist also allenfalls dort beachtlich, wo der Antrag­ steller (bzw. sein Prozessvertreter) die Rechtslage nicht einmal für zweifelhaft hal­ ten musste, weil sich im Zeitpunkt der maßgeblichen Disposition keinerlei Anhalts­ punkte für die später als richtig erkannte Rechtsauffassung ergaben.52 Diese Sicht­ weise entspricht dem zur Verjährung entwickelten Maßstab.53 Der Gläubiger wird schon dann mit dem Nachteil in Gestalt der fortbestehenden Rechtskraft belegt, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen schien, dass das Rechtsmittelgericht den Anspruch anerkennen würde. Bei rechtlicher Ungewissheit muss der Gläubiger also aktiv werden und Rechtsmittel einlegen. Das überzeugt, denn das im Zusammen­ hang mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB identifizierte Anliegen, zu einer rechtlichen Klä­ rung zu motivieren, erledigt sich nicht etwa, wenn der Gläubiger in einer Instanz unterlegen ist. Der Rechtssicherheit ist es gerade zuträglich, dass nicht abschließend geklärte Rechtsfragen den Instanzenzug hinaufbefördert werden.54 Nachvollziehbarerweise wird der aufgrund vermeintlich fehlender Erfolgsaus­ sichten erfolgte Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung als verschuldet angesehen, wenn die betroffene Rechtsfrage zwar ursprünglich zum Nachteil des Antragstel­ lers geklärt schien, aber dadurch in die Diskussion Bewegung gekommen war, dass ein Obergericht die Frage nunmehr explizit offengelassen hatte und eine Verfas­ sungsbeschwerde schwebte.55 Auch in dem Fall, dass erst nach Fristablauf günsti­ ge Gerichtsentscheidungen aufgefunden wurden,56 ließe sich die Wiedereinsetzung 49  Explizit erkannt von BFH, Beschl. v. 9.5.1967 – II B 3/67, BFHE 88, 541 = BeckRS 1967, 21003788; BVerwG, Beschl. v. 15.3.1989 – 7 B 40/89, NVwZ-RR 1989, 591. 50  So die Entscheidung RG, Urt. v. 9.1.1939 – IV 200/38, RGZ 159, 109. 51  So BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772. 52  BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 26.2.2008 – 1 BvR 2327/07, NJW 2008, 2167, 2168–2169 Rn.  29–30 (betreffend den Irrtum über einschlägige Rechtsbehelfe). 53  Siehe oben §  7 C. II. 2. c). 54  Vergleiche aus der Literatur zum Verjährungsrecht Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  134: „weil der Rechtsweg und insbesondere die Revisionsinstanz gerade dazu dienen, solche Fragen zu klären“ (Herv. d. Verf.). 55  So BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772. 56  So BGH, Beschl. v. 2.4.2009 – IX ZA 6/09, NJW 2009, 2310, 2311 Rn.  3 (wo eine Wiederein­ setzung schon aus den unter I. diskutierten Gründen abgelehnt wird).

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

wohl ebenfalls unter Verweis darauf versagen, dass bei objektiver Betrachtung auch vor dem Fund keine eindeutig negative Beurteilung der Erfolgsaussichten geboten war. Nicht übertragen lassen sich dagegen verschiedene Entscheidungen, die zum Rechtsirrtum über die Frist bzw. Modalitäten ergangen sind. Wäre es in den ge­ nannten Fällen jeweils um die Einschätzung der Anspruchsberechtigung gegangen, wäre die eingenommene Sichtweise nicht zu halten. Wenn der Anspruch in recht­ licher Hinsicht ungewiss ist – wenn beispielsweise in der Frage ein (obschon per obiter dicta ausgetragener) Streit zwischen den BGH-Senaten herrscht57 – dann ist das Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist nach einer negativen Entscheidung als schuldhaft anzusehen.58 Selbst wenn man der Wiedereinsetzung aufgrund anspruchsbezogener Rechts­ irrtümer entgegen der hier vertretenen Ansicht offen gegenüberstünde, verbliebe somit – wie im Verjährungsrecht – allenfalls ein enger Anwendungsbereich für eine Berücksichtigung solcher Irrtümer. Dieser wäre auf Konstellationen beschränkt, in denen im Zeitpunkt des Fristablaufs einem Anspruch noch einschlägige höchst­ richterliche Rechtsprechung entgegenstand, welche ihrerseits noch nicht durch er­ hebliche Kritik 59 in Zweifel gezogen war. Es muss sich also um eine „sensationelle und nicht erwartbare Wende“60 der Judikatur handeln (die sich wegen §  244 Abs.  3 ZPO überdies binnen Jahresfrist nach dem Fristablauf ereignen müsste).

III. Substitution durch Vorwerfbarkeit Obgleich Irrtümer über die Erfolgsaussichten schon kein Hindernis im Sinne von §  233 S.  1 ZPO darstellen, wird in Rechtsprechung und Literatur gelegentlich erst bzw. auch die Schuldlosigkeit verneint, um dem Antragsteller eine Wiedereinset­ zung zu verwehren. 61 Unter Verschulden im Sinne des §  233 S.  1 ZPO wird auch Fahrlässigkeit ge­ fasst. 62 Das hat zur Folge, dass die Wiedereinsetzung nicht nur dann zu versagen ist, wenn der Gläubiger (bzw. sein Prozessbevollmächtigter) tatsächlich schädliche Zweifel an der Anspruchsberechtigung hegte, sondern auch dann, wenn diese Zweifel bloß hätten bestehen müssen. Die Eckpfeiler der Vorwerfbarkeitsprüfung gleichen den Maßstäben, die im Zusammenhang mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB entwi­ 57  So bei BGH, Beschl. v. 19.12.2012 – XII ZB 169/12, NJW 2013, 471, 472 Rn.  19 (betreffend einen Irrtum über die Frist). 58  Schon für den Irrtum über Fristen bzw. Modalitäten des Rechtsbehelfs irritiert die mitunter in den Entscheidungen (dazu oben B.) zutage tretende Nachsicht. So kann man mit guten Grün­ den hinterfragen, ob der Bevollmächtigte im Fall, wie er BGH, Beschl. v. 18.10.1984 – III ZB 22/84, NJW 1985, 495, 496, zugrunde lag, tatsächlich den sichersten Weg (zu dieser Anforderung oben B. mit Fn.  11) gewählt hat. 59  Zu den Maßstäben näher unten §  15 C. II. 3. 60  Darauf hatte sich der Antragsteller in dem Verfahren, das BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000  – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772, zugrunde lag, berufen. 61  Siehe oben I. 1. m.N. in Fn.  23. 62  Siehe oben B. m.N. in Fn.  8 .

§  8 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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ckelt wurden. 63 Dies gilt insbesondere für die Folgen von Fehlern eines mandatier­ ten Beraters. 64 Von einem solchen wird im Rahmen von §  233 S.  1 ZPO um­fassende Kenntnis der einschlägigen Prognosefaktoren aus Gesetz, Judikatur und Literatur verlangt. Bleibt der gewählte Berater hinter diesen Anforderungen zurück, wirkt sich dies wegen §  85 Abs.  2 ZPO zulasten des Mandanten, nicht zulasten dessen Gegenübers aus. Der Mandant ist auf den Anwaltsregress verwiesen.

D. Annex: Versäumung der Klagefrist des §  4 S.  1 KSchG Vergleichbare Fragen wie bei der Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmit­ telfrist können sich im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage stellen. Diese Konstellation ist daher zur Vertiefung und Überprüfung der bisherigen Er­ gebnisse kurz zu beleuchten.

I. Nachteilszuweisung Ist die gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung unwirksam bzw. sozial ungerechtfertigt, so hat er weiterhin die aus dem Arbeitsverhältnis fol­ genden Ansprüche, insbesondere auf (Annahmeverzugs- 65)Lohn. Um diese An­ sprüche zu wahren, muss der Arbeitnehmer jedoch die Rechtsfolge des §  7 Hs.  1 KSchG meiden. Die Vorschrift fingiert die Wirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitnehmer die dreiwöchige Frist zur Kündigungsschutzklage aus §  4 S.  1 KSchG versäumt. Die Klage ist dann, unabhängig von der umstrittenen dogmatischen Qualifikation der Frist, als unbegründet abzuweisen. 66 Die Fristversäumnis kann auf einem Rechtsirrtum beruhen. Vorstellbar ist neben Irrtümern über die Not­ wendigkeit der Klage oder die Existenz bzw. Länge der Klagefrist67 auch der vor­ liegend untersuchte anspruchsbezogene Rechtsirrtum: Der Arbeitnehmer geht fälschlicherweise davon aus, die Kündigung sei wirksam, das Arbeitsverhältnis be­ endet und Ansprüche gegen den Arbeitgeber ausgeschlossen.

II. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Zulassung verspäteter Klage nach §  5 Abs.  1 S.  1 KSchG Wer in rechtlicher Hinsicht über die Berechtigung der Kündigung geirrt und die Klagefrist versäumt hat, könnte den resultierenden Nachteil möglicherwiese über 63 

Siehe dazu §  7 C. III. Siehe dazu oben B. m. w. N. 65  Siehe nur BAG, Urt. v. 22.2.2012 − 5 AZR 249/11, BAGE 141, 34 = NJW 2012, 2605, 2606 Rn.  13–14 m. w. N.; Günther, in: BeckOGK, §  626 BGB Rn.  690. 66  Siehe nur Hergenröder, in: MüKo-BGB, §  4 KSchG Rn.  70 m. w. N. (sowie zur Rechtsnatur der Frist Rn.  54). 67  Dazu etwa Fervers, RdA 2016, 205, 205. 64 

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3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

§  5 Abs.  1 S.  1 KSchG vermeiden. Nach dieser Vorschrift ist die verspätete Klage zuzulassen, sofern der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klagefrist zu wahren. Die Frage, ob auch ein Rechtsirrtum über die Wirksamkeit der Kündigung (und somit über die Erfolgsaussichten der Kündigungsschutzklage) die Zulassung nach §  5 Abs.  1 S.  1 KSchG rechtfertigt, wird von weiten Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums im Grundsatz verneint. 68 So entschuldige es beispielsweise nicht, wenn der Arbeitnehmer von vornherein resigniere, weil ein Kollege in ähnlicher Situation einen Prozess verloren hat.69 Für unbeachtlich gehalten wird auch die irrtümliche Rechtseinschätzung, die Kündigung sei wegen Neubesetzung des Arbeitsplatzes bestandskräftig.70 In der Rechtsprechung wird der Hinweis ergänzt, die falsche Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Klage beruhe grundsätzlich auf einem Sorgfaltsverstoß, da die Einholung rechtskundigen Rats üblicherweise „zur Kor­ rektur der Fehleinschätzung oder zumindest zu der Einsicht führen [wird], daß auch vermeintlich aussichtslose Kündigungsschutzklagen aus Gründen erfolgver­ sprechend sein können, die dem arbeitsrechtlichen Laien oft nicht bekannt sind“.71 Eine Ausnahme zum dargestellten Grundsatz wird nur für den Fall angenommen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch bewusste Täuschung über die Er­ folgsaussichten arglistig von einer rechtzeitigen Klage abgehalten hat.72

III. Analyse Es ist in dogmatischer Hinsicht überzeugend, Fehlvorstellungen über die Erfolgs­ aussichten insgesamt – also Rechts- und Tatsachenirrtümer gleichermaßen – aus dem Anwendungsbereich von §  5 Abs.  1 S.  1 KSchG auszunehmen. Die Problema­ tik gleicht weitgehend derjenigen, die sich bei §  233 ZPO ergibt.73 §  5 KSchG stellt im Verhältnis zu §  233 ZPO gar eine verdrängende Sonderregelung dar, bei deren Auslegung der Seitenblick auf die Wiedereinsetzungsvorschrift angezeigt ist.74 Die dazu gefundenen Argumente lassen sich übertragen. Wie §  234 Abs.  3 ZPO setzt §  5 68  LAG Düsseldorf, Beschl. v. 9.9.2003 – 15 Ta 395/03, BeckRS 2003, 30458505; LAG Köln, Beschl. v. 18.8.2006 – 9 Ta 272/06, ZIP 2006, 2231, 2232; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.5.­ 2008  – 9 Ta 85/08, BeckRS 2008, 54142; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.5.2008 – 3 Ta 56/08, NZA-RR 2009, 132, 133; Hergenröder, in: MüKo-BGB, §  5 KSchG Rn.  4 m. w. N.; Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  5 KSchG Rn.  25; Kerwer, in: BeckOK-ArbR, §  5 KSchG Rn.  10. 69  Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  5 KSchG Rn.  25; Kerwer, in: BeckOK-ArbR, §  5 KSchG Rn.  10. 70  Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  5 KSchG Rn.  25; Kerwer, in: BeckOK-ArbR, §  5 KSchG Rn.  10. 71  LAG Köln, Beschl. v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127, 128. 72  LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.5.2008 – 9 Ta 85/08, BeckRS 2008, 54142; Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  5 KSchG Rn.  25; Kerwer, in: BeckOK-ArbR, §  5 KSchG Rn.  10; ähnlich schon LAG Düsseldorf, Beschl. v. 9.9.2003 – 15 Ta 395/03, BeckRS 2003, 30458505; LAG Köln, Beschl. v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127, 128. 73  Dazu oben C. I. 74  Siehe nur Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  5 KSchG Rn.  5

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Abs.  3 S.  2 KSchG eine verschuldensunabhängige75 Höchstfrist fest. Jedenfalls bis zu deren Ablauf müsste der Arbeitgeber stets noch mit einer Klage aufgrund neuer Entwicklungen in der Rechtsprechung rechnen. Das liefe der Zielrichtung von §  4 S.  1 KSchG, dem Arbeitgeber rasch Gewissheit über den Bestand der Kündigung zu verschaffen,76 zuwider. Die Unbeachtlichkeit von Irrtümern über die Erfolgs­ aussichten lässt sich, ähnlich wie bei §  233 ZPO, am Begriff der Verhinderung fest­ machen.77 Wer die Frist bewusst, wenn auch unter unzutreffenden Rechtsvorstel­ lungen, verstreichen lässt, war an einer Klage nicht gehindert. Die Ausnahme, die Rechtsprechung und Literatur für den Fall anerkennen, dass das Gegenüber den Berechtigten in arglistiger Weise abgehalten hat, ändert an der Bewertung nichts. Bei Arglist erscheint der Arbeitgeber nicht schutzwürdig. Die von Rechtsprechung und Literatur angesprochenen Täuschungen bezogen sich ohnehin allesamt auf tat­ sächliche Umstände.78 Vereinzelt hat die Rechtsprechung den Irrtum über die Erfolgsaussichten erst unter Verweis auf einen Sorgfaltsverstoß des Arbeitnehmers als Zulassungsgrund ausgeschlossen.79 Diese Prüfung ist nach dem Gesagten streng genommen über­ flüssig.80 Beachtung verdient jedoch, dass offenbar jedem Arbeitnehmer zugemutet werden soll, sich über die Sinnhaftigkeit einer Kündigungsschutzklage recht­zeitig fachkundig beraten zu lassen.81 Hier tritt abermals der zutreffende Gedanke zu­ tage, dass Rechtsrat in institutioneller Form verfügbar ist. 82 Wem das Arbeitsver­ hältnis gekündigt wird, dem dürfte in aller Regel schon aufgrund der erheb­lichen Bedeutung die Notwendigkeit einer rechtskundigen Überprüfung des Vorgangs vor Augen stehen. Zwar wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass Arbeitneh­ mer mitunter nicht von der Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage wüssten. 83 Zumindest aber wird ein Grundbewusstsein dafür bestehen, dass es sich bei der Kündigung um einen rechtserheblichen Vorgang handelt, gegen den man sich auf irgendeine Art und Weise zur Wehr setzen kann.84

75  Eine Wiedereinsetzung in diese Frist ist wie bei §  234 Abs.  3 ZPO ausgeschlossen, BAG, Urt. v. 28.1.2010 – 2 AZR 985/08, BAGE 133, 149 = NJW 2010, 2681, 2682–2683 Rn.  25–27. 76  Siehe nur Hergenröder, in: MüKo-BGB, §  4 KSchG Rn.  1 m. w. N. 77  Siehe dazu oben C. I. 2. 78  Vergleiche zum Irrtum über die Nachbesetzung der Stelle z. B. LAG Köln, Beschl. v. 24.5.­ 1994  – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127, 128; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.5.2008 – 9 Ta 85/08, BeckRS 2008, 54142; zum Vorliegen eines Betriebsübergangs anstelle einer Betriebsstilllegung LAG Köln, Beschl. v. 18.8.2006 – 9 Ta 272/06, ZIP 2006, 2231, 2232. 79  So LAG Köln, Beschl. v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127, 128; wohl auch LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.5.2008 – 3 Ta 56/08, NZA-RR 2009, 132, 133. 80  Siehe hierzu bereits oben C. III. (zu §  233 ZPO). 81  Siehe LAG Köln, Beschl. v. 24.5.1994 – 13 Ta 72/94, NZA 1995, 127, 128; LAG Schleswig-­ Holstein, Beschl. v. 13.5.2008 – 3 Ta 56/08, NZA-RR 2009, 132, 133. 82  Siehe dazu oben §  7 C. I. 1. c) cc). 83  Fervers, RdA 2016, 205, 205. 84  Dazu, dass dies für den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich ausreicht, siehe oben §  7 C. I. 2.

204

3. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche

E. Fazit Die praktizierte strenge Behandlung von Rechtsirrtümern im Rahmen von §  233 S.  1 ZPO erweist sich als systemkonform, wenn man die zum Verjährungsrecht gefundenen Ergebnisse zugrunde legt. Soweit Rechtsirrtümer über die Anspruchs­ berechtigung noch stärker diskriminiert werden als im dortigen Kontext, liegt dies nicht an der Eigenschaft als Rechtsirrtum, sondern an ihrem Bezugspunkt: Irrtü­ mer  – gleich ob rechtlicher oder tatsächlicher Natur –, die lediglich die Erfolgsaus­ sichten des versäumten Rechtsmittels betreffen, führen nicht zu einer Wiederein­ setzung. Die gefundenen Ergebnisse liefern zugleich die abschließende Antwort auf einen schon in der verjährungsrechtlichen Diskussion verworfenen Kritik­ punkt. Moniert wird, dass derjenige Anspruchsteller, der trotz praktisch nicht vor­ handener Erfolgsaussichten früh klage und unterliege, gegenüber demjenigen im Nachteil sei, der eine positive Entwicklung in der Rechtsprechung abwarte, erst später klage und – mangels Verjährung – gewinne. 85 Diese Schlechterstellung liegt in der besonderen Rolle der Rechtskraft begründet. Das auf ihr aufbauende Ver­ trauen des Gegners erscheint schützenswerter als das auf die grundsätzlich subjek­ tiv angeknüpfte Verjährung. Mit Blick auf die Anreizlage und die Wertungen von §  114 ZPO ließe sich zwar argumentieren, wenn das Verjährungsrecht Nachsicht walten lasse, wo eine An­ reizwirkung praktisch ausscheide, müssten auch die Regelungen zur Wiedereinset­ zung diesen Schritt gehen. Dabei würde indes verkannt, dass in der Wiedereinset­ zungskonstellation bereits eine zu diesem Zeitpunkt objektiv aussichtslose gericht­ liche Geltendmachung des Anspruchs stattgefunden hat. Der Anspruchsteller hat durch sein Vorgehen bereits Aufwand erzeugt und Ressourcen gebunden, obwohl hierfür objektiv betrachtet keine hinreichende Veranlassung bestand. Wenn es ihm in dieser Situation verwehrt wird, nach einer späteren Änderung der Rechtspre­ chung die Rechtskraft zu beseitigen, lässt sich darin womöglich gar eine wün­ schenswerte Abschreckung erblicken: Die Aussicht, dass selbst bei einer späteren Rechtsprechungswende eine Wiedereinsetzung nicht möglich sein wird, macht es zusätzlich unattraktiv, gegen eine einstweilen unverrückbar erscheinende höchst­ richterliche Rechtsprechung anzugehen. Die Rechtsordnung will zwar zur recht­ lichen Klärung bewegen, dies aber nur, wenn immerhin ein Minimum an Erfolgs­ aussicht besteht. Auch in verjährungsrechtlicher Hinsicht erfährt derjenige, der verfrüht ohne realistische Chance „vorprescht“, eine nachteilige Behandlung: Die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs führt, selbst wenn objektiv be­ trachtet kaum Erfolgschancen bestehen, zum Anlaufen der Verjährung.86

85 

86 

Siehe §  7 B. II. 1. b) aa) m.N. in Fn.  58 sowie oben C. I. 2. Siehe oben §  7 C. III. 1.

4. Teil

Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche Bislang wurde betrachtet, welche Folgen es für einen Gläubiger hat, wenn er beste­ hende Ansprüche aufgrund Rechtsirrtums nicht verfolgt. Die Vorzeichen werden nun umgekehrt: Es ist zu untersuchen, welche Rechtsnachteile für einen vermeint­ lichen Gläubiger (Putativgläubiger) mit der rechtsirrtümlichen Verfolgung nicht bestehender Ansprüche verbunden sind. Der Begriff der Anspruchsverfolgung umfasst dabei das gesamte Spektrum von der vorgerichtlichen Leistungsaufforde­ rung, über die Klageerhebung (bzw. Rechtsmitteleinlegung1) bis hin zur Vollstre­ ckung. Definitionsgemäß vom Untersuchungsbereich ausgeschlossen sind Rechts­ irrtümer, die nicht die Anspruchsberechtigung, sondern das „Wie“ der Geltend­ machung betreffen, sich also beispielsweise in der Klage vor einem unzuständigen Gericht 2 oder in unzulässigem Prozessverhalten manifestieren.3

1 

Zu deren Gleichbehandlung schon Hopt, Schadensersatz, S.  136–137, 258. Diese schließt Hopt, Schadensersatz, S.  135, in seine Untersuchung ein. 3  Dazu etwa bei Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  140; Hopt, Schadensersatz, S.  136. 2 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners Die Haftung für die unberechtigte Rechtsverfolgung ist Gegenstand zahlreicher monografischer1 und anderer eingehender Untersuchungen 2 gewesen. Es ist nicht der Anspruch der vorliegenden Neubetrachtung, eine umfassende Theorie zu Pri­ vilegierung und Sanktionierung der unberechtigten Geltendmachung privater Rechte zu entwickeln. Das bescheidenere Ziel besteht darin, speziell bezüglich des Rechtsirrtums über die Anspruchsberechtigung ein vollständiges Bild zu gewin­ nen und systematisch konsistente Maßstäbe zu entwickeln. Die Untersuchung greift hierzu auf den Aufbau zurück, der sich bereits bei der Betrachtung des irr­ tümlichen Verzichts auf die Anspruchsverfolgung bewährt hat. Nach einer Verge­ wisserung über die drohenden Rechtsnachteile (A.) werden Instrumente zusam­ mengestellt, mithilfe derer der Putativgläubiger unter Berufung auf seinen Rechts­ irrtum diesen Nachteilen womöglich entgehen könnte (B.). Den Schwerpunkt bildet die sich anschließende kritische Analyse (C.).

A. Nachteilszuweisung Nachteilige Konsequenzen können sich für denjenigen, der vermeintliche Ansprü­ che verfolgt, vor allem in Form einer Ersatzhaftung für Schäden bzw. Aufwendun­ gen der Gegenseite ergeben (dazu I.). Daneben könnte das unberechtigte Vorgehen die Gegenseite zur Loslösung von einem bestehenden Vertrag berechtigen (dazu II.).

I. Schadens- und Aufwendungsersatzhaftung Wird eine Person zu Unrecht in Anspruch genommen, kann sie dadurch verschie­ denartige Einbußen erleiden, die der Anspruchsteller zu kompensieren haben könnte.3 Es lässt sich dabei unterscheiden zwischen dem „Durchsetzungsschaden“, 1  Siehe u. a. K.-J. Götz, Ersatzansprüche; Häsemeyer, Schadenshaftung; Hopt, Schadensersatz (eingehende Besprechung bei Fenn, ZHR 132 (1969), 344 ff.); Konzen, Rechtsverhältnisse; Schultz-­ Süchting, Untersuchungen; aus jüngerer Zeit Derkum, Folgen; Haertlein, Exekutionsinterven­tion; Lindemann, Haftung; Seidl, Anspruchsberühmung; zur Kostenerstattung v. a. Becker-­Eber­hard, Kostenerstattung. 2  Aus jüngerer Zeit v. a. Thole, AcP 209 (2009), 498; auch Hofmann, ZfPW 2018, 152. 3  Beispiele bei K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  2 2–23; Hopt, Schadensersatz, S.  141–151.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

der unmittelbar auf der Erlangung der beanspruchten Rechtsposition beruht, und „Begleitschäden“.4 In die erstgenannte Gruppe einzuordnen sind neben dem Ver­ lust des Streitobjekts selbst (zum Beispiel: Sachbesitz) 5 auch entgangene Nutzun­ gen, etwa ein Zinsverlust. 6 Solange der vermeintliche Schuldner die begehrte Leis­ tung zurückhält, kann dagegen nur die letztgenannte Kategorie betroffen sein. In diese Gruppe fällt etwa der Zeit-7, Finanzierungs- 8 und Kostenaufwand9 für die Rechtsprüfung10 und -verteidigung sowie Reputations-11 oder Gesundheitsschä­ den12 infolge des Streits.13 Der in Anspruch Genommene mag sich angesichts der möglichen Verbindlichkeit zudem dazu veranlasst sehen, Rücklagen zu bilden14 bzw. den streitbefangenen Gegenstand vorsichtshalber nicht mehr zu nutzen,15 und dadurch Nachteile erleiden. Eine Abwälzung der beschriebenen Einbußen auf den irrenden Anspruchsteller kommt von vornherein nur dort in Betracht, wo das Privatrecht passende An­ spruchsgrundlagen zur Verfügung stellt.16 Innerhalb von Schuldverhältnissen könn­ 4  So vorgehend v. a. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  6 –8, 29 Fn.  47, 139–140. Zur Frage, ob damit auch normative Unterschiede verbunden sind, siehe C. II. 2. c), III. 4. b) aa) (3) (a), §  11 C. II. 3. b). 5 Hier besteht in der Regel zugleich ein Bereicherungsanspruch, zutreffend zum Ganzen ­Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  7. 6  Siehe wiederum Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  7. 7  Siehe etwa Seidl, Anspruchsberühmung, S.  17. 8  Siehe etwa Hopt, Schadensersatz, S.  145. 9  Zu solchen Positionen Hopt, Schadensersatz, S.  143–145; Thole, AcP 209 (2009), 498, 511–512. LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390, spricht von „Rechtsverteidi­ gungskostenschaden“. Es geht dabei v. a. um solche Kosten, die von §§  91 ff. ZPO nicht abgedeckt wären, siehe im Detail Seidl, Anspruchsberühmung, S.  4 –5. 10 Dazu Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711–1712; dies betrifft insb. die Rechtsprüfung bei schwie­ rigen Fragen (Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 804). 11  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.   139; Henckel, Prozeßrecht, S.  303–305; Hopt, Schadens­ ersatz, S.  145–148. Gewissermaßen als Reputationsschaden lässt es sich auch begreifen, wenn der vom Anspruchsteller begehrte Gegenstand faktisch unveräußerlich wird, weil Dritte angesichts des Streits von einem Geschäft Abstand nehmen (vergleiche dazu Thole, AcP 209 (2009), 498, 524). Auch die Rückstufung in der Schadensfreiheitsklasse der Rechtsschutzversicherung infolge des Streits (dazu AG Bühl, Urt. v. 1.2.2012 − 3 C 148/09, NJW-RR 2012, 1166, 1166) dürfte in diese Kategorie fallen. 12  Baur, JZ 1962, 95, 95; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  23; Henckel, Prozeßrecht, S.  233, 305– 306; Hopt, Schadensersatz, S.  150; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  302. 13  Es geht also zum Teil um Schäden im engeren Sinne und zum Teil um Aufwendungen, siehe K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  114. Dass es sich auch bei herausgeforderten Aufwendungen ohne Weiteres um zu ersetzende Schäden handeln kann, zeigt Seidl, Anspruchsberühmung, S.  69–70. 14  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  8; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 539 („Anlageschaden“); hierunter dürften auch die für die Beschaffung einer Bürgschaft eingesetzten Mittel fallen, sofern damit der vermeintliche Anspruch gesichert werden sollte (vergleiche zu einem solchen Fall OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  2–5, juris). 15  Allgemein auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  514; siehe exemplarisch den Baustopp bei BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788. 16  Überblick bei BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1458 Rn.  8; Mut­horst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  18; eingehend Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 808–831; Seidl, An­ spruchsberühmung, S.  74–123.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

209

te die unberechtigte Inanspruchnahme Pflichten im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB17 verletzen und eine Schadensersatzhaftung gemäß §  280 Abs.  1 BGB nach sich zie­ hen.18 Nach Ansicht des BGH ist dafür eine bereits zuvor existente Sonderverbin­ dung Voraussetzung; allein die Geltendmachung eines vermeintlichen Anspruchs lasse eine solche nicht entstehen.19 Der im Schrifttum gelegentlich befürworteten culpa in procedendo bzw. culpa in petendo20 wird damit eine Absage erteilt.21 Dies schließt allerdings nicht aus, dass es sich bei der Sonderverbindung auch um eine vorvertragliche handeln kann.22 Am anderen Ende des Spektrums kommt die Ver­ letzung nachvertraglicher Pflichten in Betracht.23 Darüber hinaus entsteht nach Ansicht der Rechtsprechung ein Schuldverhältnis auch durch den Zugriff im Wege der Zwangsvollstreckung.24 17  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  17; Haertlein, MDR 2009, 1, 3; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. Die Haftung für Verstöße gegen eine Vereinbarung, auf eine Klage zu verzichten, und derglei­ chen bleibt hier außen vor, da eine denkbare Ersatzpflicht dort schon an das Vorgehen an sich anknüpft, unabhängig davon, inwiefern ein Anspruch (real oder aus Sicht des Anspruchstellers) bestand, siehe auch Hopt, Schadensersatz, S.  266; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  327; Schultz-­ Süchting, Untersuchungen, S.  21; Zeiss, NJW 1967, 703, 705–706. 18 Betreffend die außergerichtliche Geltendmachung angenommen von BGH, Urt. v. 23.1.­ 2008  – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147; BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262. Dies wurde erstreckt auf die Weigerung des Putativgläubigers, auf die Behaup­ tung des Anspruchs zu verzichten, BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1064 Rn.  30; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 = NJW 2013, 2027, 2031 Rn.  45; gegen eine Pflicht zur Verzichtserklärung indes OLG Hamm, Beschl. v. 1.2.2013 – I-26 U 168/12, MedR 2013, 671, 672. Für die gerichtliche Geltendmachung ist der BGH bislang nicht zum Bestehen eines Schadens­ ersatzanspruchs gelangt, siehe BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788; BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 20.3.1979 – VI ZR 30/77, NJW 1980, 189, 190; BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316; für eine entsprechende Ersatzhaftung indes K.-J. Götz, Ersatzansprü­ che, S.  136–140; Hopt, Schadensersatz, S.  267–269; Zeiss, NJW 1967, 703, 707. 19  Da es zum allgemeinen Lebensrisiko zähle, mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459 Rn.  13–14. 20  Dafür insb. Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 108–111; Lipp, JuS 1990, 790, 793–795 m. w. N. 21  Ebenso LSG Sachsen, Urt. v. 5.5.2010 – L 1 KR 29/08, Rn.  18, juris; Hopt, Schadensersatz, S.  274–275; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  289–290; Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  24; Vossler, MDR 2009, 300, 301; Zeiss, NJW 1967, 703, 707 Fn.  55. Der Streit muss für viele Schäden nicht entschieden werden. Wenn die Schäden schon durch die erstmalige Geltendmachung eintre­ ten, lässt sich mit Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 823, festhalten, dass die Sonderverbindung erst eine juristische Sekunde danach entstanden ist. 22  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  82; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 541; so lagen die Dinge offenbar bei LG Kempten, Urt. v. 10.5.2006 – 5 S 266/06, NJW-RR 2006, 1534. 23  LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390: Verletzung der nachver­ traglichen Treuepflicht; der dogmatischen Konstruktion zustimmend Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 541; im Ergebnis ebenso OLG Koblenz, Urt. v. 8.11.2018 – 1 U 601/18, BeckRS 2018, 34700 Rn.  40, 42. 24  BGH, Urt. v. 30.10.1984 – VI ZR 25/83, NJW 1985, 3080, 3081 (dort beruhte die Schädigung indes nicht auf einem Irrtum über den Anspruch); allgemein auch BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143 = NJW 2005, 1121, 1122; BGH, Urt. v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, NJWRR 2015, 850, 850–851 Rn.  7; im Verhältnis zum Drittberechtigten: BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1049–1050; aus der Literatur z. B. Herresthal, in:

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Hat der zu Unrecht in Anspruch Genommene Aufwendungen für die Rechtsver­ teidigung getätigt, ist es aber nicht zu einer gerichtlichen Kostenentscheidung ge­ kommen, lässt sich über eine analoge Anwendung der §§  91 ff. ZPO zugunsten des Putativschuldners nachdenken.25 Der BGH und die überwiegende Lehre lehnen eine solche Analogie indes ab.26 Dabei wird vor allem das Bestehen einer ausfüllungsbe­ dürftigen Lücke bestritten.27 Insbesondere fehle es an einem eindeutigen Anknüp­ fungspunkt für das zur Kostentragung verpflichtende „Unterliegen“.28 Jedenfalls verfängt der Hinweis, dass der Gesetzgeber offensichtlich nicht von Ansprüchen des zu Unrecht Belangten aus §§  91 ff. ZPO ausgeht, da es sonst §  97a Abs.  4 S.  1 UrhG nicht bedurft hätte.29 Nach dieser im Jahr 2013 geschaffenen Vorschrift kann, ebenso wie nach dem Ende 2020 eingefügten §  13 Abs.  5 UWG, der zu Unrecht Abgemahnte Ersatz der erforderlichen Rechtsverteidigungsaufwendungen verlangen, außer das Fehlen der Berechtigung war für den Abmahnenden nicht erkennbar.30 Den Weg, die Rechtsverteidigung als eine Geschäftsführung ohne Auftrag für den irrenden Anspruchsteller zu qualifizieren und Aufwendungsersatz zu gewäh­ ren,31 hat der BGH unter weitgehender Zustimmung der Literatur nicht beschrit­ ten.32 Das Vorliegen einer Geschäftsführung ohne Auftrag lässt sich jedoch auch in umgekehrter Richtung erwägen. Wenn man in berechtigten Abmahnungen eine Geschäftsführung für den Abgemahnten erblickt, um ihm auf diesem Weg Ersatz für die Abmahnkosten zu verschaffen,33 lässt sich daran denken, die unberechtigBeckOGK, §  311 BGB Rn.  294; Lackmann, in: Musielak/Voit, vor §  704 Rn.  9; a. A. Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 14–16, 19; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  541–545 m. w. N. 25 Dafür Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 831–839 (m.N. zum Streit a. a. O., 833 Fn.  118); de lege ferenda auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 174–175 (für Verbraucher gegenüber Unternehmern). 26  BGH, Urt. v. 30.4.1986 – VIII ZR 112/85, NJW 1986, 2243, 2245; BGH, Urt. v. 4.11.1987 – IVb ZR 83/86, NJW 1988, 2032, 2033–2034; BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459–1460 Rn.  19–23; OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  15, juris; Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 108; Herget, in: Zöller, vor §§  91–107 Rn.  11; Hüßtege, in: Thomas/ Putzo, vor §  91 Rn.  13; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  9. 27 Eingehend Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  128–136. 28  BGH, Urt. v. 4.11.1987 – IVb ZR 83/86, NJW 1988, 2032, 2034; BGH, Urt. v. 12.12.2006  – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1460 Rn.  21. 29 Deshalb de lege lata ablehnend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 174. 30  Daneben sehen auch §  8c Abs.  3 S.  1 UWG und §  2b S.  3 UKlaG Ansprüche des Betroffenen einer unberechtigten Geltendmachung vor, beschränken sich aber auf Missbrauchsfälle. 31  So OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 568; Hösl, Kosten­ erstattung, S.  141–152. 32  BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459 Rn.  16; Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 107; Chudziak, GRUR 2012, 133, 135; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  131–135; Vossler, MDR 2009, 300, 301 m. w. N.; mit abweichender Begründung (Voraussetzungen von §  679 BGB grundsätzlich nicht erfüllt) auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 826; einen Ersatz aus §§  683, 670 BGB für die Kosten einer Gegenabmahnung im Grundsatz ablehnend BGH, Urt. v. 29.4.2004 – I ZR 233/01, GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung. Die von Bergmann, a. a. O., 827–829, vorgeschlagene Anwendung der Rückgriffskondiktion wäre zumindest auf die Fälle be­ schränkt, in denen die Voraussetzungen von §§  1004, 823 BGB erfüllt sind, also grundsätzlich nicht bei der bloßen Vermögensgefährdung durch den Putativgläubiger. 33  Grundlegend BGH, Urt. v. 15.10.1969 – I ZR 3/68, BGHZ 52, 393 = NJW 1970, 243, 245  – Fotowettbewerb. Inzwischen wurden allerdings in §  13 Abs.  3 (ehemals §  12 Abs.  1 S.  2) UWG und

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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te Abmahnung mit einer Schadensersatzpflicht nach §  678 BGB zu belegen.34 Die Konstellation hat allerdings inzwischen in Gestalt der erwähnten §  97a Abs.  4 S.  1 UrhG und §  13 Abs.  5 UWG eigene Regelungen erfahren. Außerhalb von vertraglichen und quasi-vertraglichen Ersatzansprüchen ist vor allem an das Deliktsrecht zu denken. In der Mehrzahl der Fälle verletzt die irr­ tumsbedingte Rechtsverfolgung indes weder ein Rechtsgut oder Recht gemäß §  823 Abs.  1 BGB noch ein Schutzgesetz im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB.35 Dann bleibt allenfalls §  826 BGB als Haftungsgrundlage.36 Es gibt jedoch Ausnahmen. So kann in der Rechtsverfolgung ein Eingriff in das Eigentum (oder ein sonstiges dingliches Recht37) liegen, wenngleich nicht durch bloße Rechtsberühmung,38 so doch etwa durch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung.39 Auch an Besitzver­ letzungen ließe sich vordergründig denken.40 Gesundheitliche Beeinträchtigun­ gen des Verfahrensgegners mögen ebenfalls den Anwendungsbereich von §  823 Abs.  1 BGB berühren.41 Spezifische Ehrverletzungen können im Zusammenhang §  97a Abs.  3 UrhG besondere Grundlagen für Aufwendungsersatz geschaffen; zur verbleibenden Rolle der GoA: Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, §  12 Rn.  21; gegen die Annahme einer GoA etwa Seidl, Anspruchsberühmung, S.  136–137 m. w. N. in Fn.  424. 34 Siehe nur OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.1989 – 6 U 87/88, GRUR 1989, 858, 859  – Schutzschrift-Kosten; OLG Hamburg, Urt. v. 20.1.1983 – 3 U 146/82, GRUR 1983, 200, 202  – Unberechtigte Abmahnung; OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.2002 – 3 U 54/99, NJW-RR 2003, 857, 858; OLG München, Beschl. v. 8.1.2008 – 29 W 2738/07, GRUR-RR 2008, 461, 462–463 – Gegen­ abmahnungskosten; LG Stuttgart, Urt. v. 7.7.2009 – 17 O 118/09, WRP 2009, 1313; Bornkamm/ Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  1.89; unter Geltung von §  12 Abs.  1 S.  2 UWG (inzwischen §  13 Abs.  3 UWG) zweifelnd OLG Hamm, Urt. v. 18.2.2010 – 4 U 158/09, NJOZ 2010, 2522, 2523; GoA bei unbegründeter Abmahnung ablehnend auch bereits BGH, Urt. v. 1.12.1994 – I ZR 139/92, NJW 1995, 715, 717 – Kosten bei unbegründeter Abmahnung. 35  Hager, in: Staudinger, §  823 Rn. H 19; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 160; Sprau, in: Palandt, §  823 Rn.  37. Das ist bedingt durch das vom deutschen Recht gewählte Enumerationsprinzip (K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  174), insb. dadurch, dass das Vermögen als solches nicht geschützt ist, Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 818 m.N. in Fn.  58. 36  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 830; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  817. Vor einem Übersehen von §  826 BGB warnend Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 442. 37  BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316, zum dinglichen Vorkaufs­ recht bei darauf bezogenem Löschungsantrag. 38  Zu solchen Fällen etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.2.1996 – 22 U 206/95, NJW-RR 1996, 1173; OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1291; gegen Anwendbarkeit von §  823 Abs.  1 BGB auch Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  83. 39  Exemplarisch BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015 m. w. N. (Haftung gegenüber Drittem bei Vollstreckung in schuldnerfremden Gegenstand); BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  16. Im Verhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner ist dann allerdings zumeist §  717 Abs.  2 ZPO einschlägig (dazu sogleich noch im Text). 40  Im Ergebnis abgelehnt von BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788; zustimmend Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  325; für möglich haltend dagegen Hopt, Schadensersatz, S.  237–239; dagegen wiederum Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 450. 41  Siehe BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; Förster, in: BeckOK-BGB, §  823 Rn.  29. Es ginge dagegen zu weit, in jeder unberechtigten Anspruchs­ geltendmachung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu erblicken, BGH, Urt. v. 12.12.2006  – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459 Rn.  17; LG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.1998 – 3 S 178/97, NJW-RR 1998, 1105, 1106; anders AG Bad Homburg, Urt. v. 2.7.1986, MDR 1986, 1028, 1028.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

mit der Rechtsverfolgung zwar ebenfalls vorkommen.42 Der hier allein untersuchte Rechtsirrtum wird aber in aller Regel nicht zu unzutreffenden Tatsachen­ behauptungen, sondern bloß zur Äußerung unzutreffender Rechtsansichten und somit zu privilegierten Meinungsäußerungen43 führen. Vergleichbares gilt im Be­ 823 Abs.   2 BGB reich der Kreditgefährdung (§   824 BGB).44 Auch ein nach §   schadensersatzbewehrter Betrug (§  263 StGB)45 kann grundsätzlich nicht durch Äußerung unzutreffender Rechtsansichten begangen werden.46 So man der pro­ zessualen Wahrheitspflicht (§  138 Abs.  1 ZPO) Schutzgesetzcharakter zuschreiben möchte,47 gelangt man zu weitgehend identischen Ergebnissen.48 In Betracht zu ziehen sein kann dagegen ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewer­ bebetrieb.49 Die Rechtsprechung bezweifelt zwar in manchen Fällen die voraus­ gesetzte Betriebsbezogenheit der Anspruchsgeltendmachung.50 Für die unberech­ tigte Schutzrechtsverwarnung wird ein entsprechender Eingriff aber angenom­ men.51 Andere halten wettbewerbsrechtliche Ansprüche für vorrangig.52 42  Zu der vom BGH angenommenen Privilegierung siehe etwa BGH, Urt. v. 14.11.1961 – VI ZR 89/59, NJW 1962, 243. 43  Siehe aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urt. v. 22.6.1982 – VI ZR 251/80, NJW 1982, 2246, 2247; BGH, Urt. v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872, 1874 Rn.  15; BGH, Urt. v. 19.1.2016  – VI ZR 302/15, NJW 2016, 1584, 1585 Rn.  20; siehe auch BGH, Urt. v. 25.4.2019 – I ZR 93/17, GRUR 2019, 754, 756 Rn.  31 – Prämiensparverträge; BGH, Urt. v. 23.4.2020 – I ZR 85/19, NJWRR 2020, 929, 932–933 Rn.  42 – Preisänderungsregelung. 44  Siehe nur Katzenmeier, in: NK-BGB, §   824 Rn.  12 m. w. N.; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  824 Rn.  23; dort jeweils auch zu Ausnahmen, etwa wenn eine „ständige Rechtsprechung“ be­ hauptet wird (dazu sogleich Fn.  46). 45  Siehe die Andeutung bei BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459 Rn.  17. 46  Hefendehl, in: MüKo-StGB, §  263 Rn.  96; Perron, in: Schönke/Schröder, §  263 Rn.  9. Ande­ res kann ggf. gelten, wenn über die Tatsache der Existenz von Rechtsprechung oder Literatur ge­ täuscht wird (Hefendehl, in: MüKo-StGB, §  263 Rn.  97 m. w. N., allerdings nicht im Gerichtsver­ fahren, da die rechtliche Bewertung dem Gericht obliege; ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 25.1.­ 2001  – 2 Ws 30/01, NJW 2001, 1364; ähnlich zu §  826 BGB: BAG, Urt. v. 19.12.2019 – 8 AZR 511/­18, NZA 2020, 817, 822 Rn.  37). In solchen Fällen geht es jedoch nicht mehr um einen Rechts­ irrtum des Anspruchstellers. Vergleichbares gilt für die bei BGH, Urt. v. 23.2.1995 – I ZR 15/93, NJW-RR 1995, 810, 811 – Abnehmerverwarnung, betroffene Konstellation, dass der Rechtsstand­ punkt durch Verweis auf ein Urteil untermauert wird, ohne zum Ausdruck zu bringen, dass die­ ses noch nicht rechtskräftig ist. 47 Vergleiche Thole, AcP 209 (2009), 498, 506–507 m.N. in Fn.  29; dafür etwa Hopt, Schadens­ ersatz, S.  270–272. 48  Hopt, Schadensersatz, S.  273; siehe zudem bereits §  7 C. I. 3. a) bb) m.N. in Fn.  317. 49 Zur Diskussion um mögliche Anwendungsfälle: Konzen, Rechtsverhältnisse, S.   301–302; kritisch Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  84; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  3 f., 12. 50  V. a. BGH, Urt. v. 14.4.1954 – VI ZR 107/52, BeckRS 1954, 31370904; s. zudem BGH, Urt. v. 13.3.­1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353, gegenüber BGH, Urt. v. 3.10.1961  – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 = NJW 1961, 2254, 2255. 51  Seit der „Juteplüsch“-Entscheidung, RG, Urt. v. 27.2.1904 – I 418/03, RGZ 58, 24; w.N. zur Rechtsprechung sowie zur Kritik daran bei BGH, Beschl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3322–3323. Der BGH hat entgegen der Kritik an seiner Rechtsprechung festgehalten, BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 316 – Maschenfester Strumpf; zustimmend etwa Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  85; zu den Grenzen beachte BGH, Urt. v. 7.7.2020  – X ZR 42/17, GRUR 2020, 1116, 1117 Rn.  26, 1118 Rn.  32 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III. 52 Beispielsweise Faust, JZ 2006, 365, 368; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  375; M. Zim-

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Greift der Anspruchsteller zu Vollstreckungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen, ist an Ansprüche aus §§  717 Abs.  2 und 3, 945 ZPO53 zu denken. Die Haftung aus §  717 Abs.  2 ZPO trifft den Vollstreckungsgläubiger, der auf Basis eines noch nicht rechtskräftigen Titels vollstreckt hat, wenn er letztlich doch unterliegt, weil eine höhere Instanz den Anspruch verneint.54 Allerdings sind die Anwendungsgren­ zen der Vorschrift zu beachten – auch wenn anerkannt ist, dass ihr Rechtsgedanke in anderen Zusammenhängen zu berücksichtigen sein kann.55 Nicht erfasst wird die Zwangsvollstreckung aus Titeln, die nicht der Rechtskraft fähig sind, vor allem aus vollstreckbaren Urkunden oder Prozessvergleichen.56 Ebenfalls unanwendbar sein soll die Vorschrift, wenn eine rechtskräftige Entscheidung, etwa infolge einer Wiedereinsetzung oder einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, aufgehoben wird.57 Vergleichbares soll gelten, wenn die Parteien den Ausgangsrechtsstreit nach erfolgtem Vollstreckungszugriff übereinstimmend für erledigt erklären.58 Er­ satzfähig sind nach dem Normwortlaut auch Aufwendungen für die Sicherheit zur Abwendung der Vollstreckung.59 Freiwillige Leistungen auf den titulierten An­ spruch, erst recht solche, die bereits vorgerichtlich oder vor Erlass der Entschei­ dung erbracht wurden, fallen hingegen nicht unter die Vorschrift. 60 Außerhalb mermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  232–235, 406. Von einem Vorrang wollte auch BGH, Be­ schl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3324, ausgehen. Die Entscheidung des Großen Senats, BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141 – Unbe­ rechtigte Schutzrechtsverwarnung, ist darauf jedoch nicht eingegangen. Der bei der Verwarnung von Abnehmern möglicherweise heranzuziehende §  4 Nr.  2 UWG dürfte in reinen Rechtsirrtumsfällen hingegen nicht einschlägig sein, weil keine „Tatsachen be­ hauptet oder verbreitet“ werden, sondern eine unzutreffende Subsumtion, Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.178 m. w. N.; Teplitzky, GRUR 2005, 9, 13 (zu §  4 Nr.  8 UWG a. F.). 53  Ggf. i. V. m. §  1065 Abs.  2 S.  2 ZPO (nach Aufhebung der Vollstreckbarkeitserklärung eines Schiedsspruchs). Ein vergleichbarer Anspruch besteht zudem bei der Aufhebung von Vorbehalts­ urteilen (§  302 Abs.  4 S.  3 ZPO, ggf. i. V. m. §  600 Abs.  2 ZPO im Urkundsverfahren). §  945 ZPO findet zudem eine Entsprechung in §  1041 Abs.  4 ZPO für das Schiedsverfahren. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf §§  717, 945 ZPO. 54  Vom vorliegenden Untersuchungsgegenstand ist nur dieser Fall – anspruchsbezogener Irr­ tum  – erfasst (siehe oben §  2 A.). Eine Aufhebung des zusprechenden Urteils kommt auch aus anderen Gründen in Betracht, siehe Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  81; Henckel, Prozeßrecht, S.  262–263, 268–269. 55  Siehe insb. BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1960; auch BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269 m. w. N. 56  BGH, Urt. v. 24.6.1994 – V ZR 19/93, NJW 1994, 2755, 2756 (vollstreckbare Urkunde); OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.3.1992 – 10 U 121/91, NJW-RR 1992, 1530, 1530–1531 (Prozessvergleich); Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  4; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  717 Rn.  6. Beachte indes die Ausnah­ mevorschrift des §  799a ZPO. 57 BGH, Urt. v. 7.7.2016 – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.   50–54; G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  12; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  7. 58  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269 m. w. N. 59  Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  8; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  12; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  26. 60  OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1292; Braun, in: Schuschke/ Walker, §  717 ZPO Rn.  10; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  7; anders aber im Kontext von §  717 Abs.  3 ZPO, siehe BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 = NJW 2011, 2518, 2520–2521 Rn.  17–19 (dazu auch noch §  15 A. II. 2. d)).

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des Schutzzwecks der Norm sollen nach verbreiteter Auffassung auch reine Be­ gleitschäden liegen. 61 Die – nicht unumstrittene62 – Rechtsprechung des BGH betrifft insbesondere Nachteile des Schuldners, die daher rühren, dass die Durch­ führung der Vollstreckung gegen ihn bekannt geworden ist, sowie Schäden an an­ deren Rechtsgütern infolge einer unrechtmäßigen Durchführung. 63 Eine weitere Einschränkung enthält §  717 Abs.  3 ZPO. Soweit in vermögensrechtlichen Streitig­ keiten bereits ein kontradiktorisches Berufungsurteil vorliegt, richten sich die Rechtsfolgen64 nach dem Bereicherungsrecht; ein Anspruch nach §  717 Abs.  2 ZPO scheidet insoweit aus. Die herrschende Meinung versagt dem Vollstreckungs­ gläubiger diese Erleichterung jedoch mit Blick auf Schäden, deren Ursache zeitlich vor dem Berufungsurteil liegt. 65

II. Lösungsrechte des Vertragspartners Im Fokus der Diskussion steht zumeist die Ersatzhaftung des Putativgläubigers. Immerhin gelegentlich wird daneben auf ein potenzielles Rücktrittsrecht des Ge­ genübers nach §§  324, 241 Abs.  2 BGB verwiesen. 66 Auch an §  314 BGB und die speziellen Kündigungsrechte aus dem besonderen Schuldrecht ist theoretisch zu denken. 67

61  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 232–233; BGH, Urt. v. 5.2.2009 – IX ZR 36/08, NJW-RR 2009, 658, 659 Rn.  7; insb. ist die frühere Rechtsprechung des RG (siehe – zu §  945 ZPO – RG, Urt. v. 8.1.1934 – VI 274/33, RGZ 143, 118, 120, zu einer resultie­ renden psychischen Erkrankung) damit revidiert, BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 233; in der Literatur ebenso Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  11; Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 10; G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  18; auch Stolz, Rechts­ schutz, S.  106–108, 114–115 (im Kontext von §  945 ZPO). 62  Der in der vorstehenden Fn. angeführten Rechtsprechung des RG zustimmend Herget, in: Zöller, §  717 Rn.  7; ausführliche Kritik an der Sichtweise des BGH bei Haertlein, Exekutions­ intervention, S.  271–274; im Ergebnis ähnlich Baur/Stürner/Bruns, ZVR, Rn.  15.36; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  20; Pecher, Schadensersatzansprüche, S.  86. 63  Zum ersten Fall: BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 232–­233; zum zweiten Szenario: BGH, Urt. v. 5.2.2009 – IX ZR 36/08, NJW-RR 2009, 658, 659 Rn.  7. 64  BGH, Urt. v. 5.5.2011 − IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 = NJW 2011, 2518, 2520 Rn.  13 m. w. N. 65  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; BGH, Urt. v. 25.10.1977 – VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373 = NJW 1978, 163, 163–164; Braun, in: Schuschke/­ Walker, §   717 ZPO Rn.   23; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §   15 Rn.   31–32; Pecher, Schadens­ersatzansprüche, S.  187; dazu noch §  15 A. II. 2. d). 66  So bei Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 164; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548. 67 Auch hier kann wiederum zu berücksichtigen sein, dass die Äußerung unzutreffender Rechtsansichten nicht mit einer unberechtigten Tatsachenbehauptung gleichzusetzen ist (dazu schon oben I.) siehe zu Äußerungen als Kündigungsgrund nach §  543 Abs.  1 BGB etwa Blank, in: Schmidt-Futterer, §  543 BGB Rn.  187, 190.

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B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Inwiefern Rechtsirrtümer nachteilsvermeidend berücksichtigt werden können, hängt davon ab, welche der vorstehend angeführten Rechtsgrundlagen einschlägig ist.

I. Ersatzhaftung Hinsichtlich einer denkbaren Haftungsverschonung ist vor allem zwischen der Haf­tung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO und sonstigen – deliktischen wie vertrag­ lichen  – Anspruchsgrundlagen zu differenzieren. 1. Haftung aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Soweit der Anwendungsbereich der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO reicht, bietet die ver­ schuldensunabhängige Anknüpfung68 auf den ersten Blick keinerlei Ansatzpunkte, um (Rechts-)Irrtümer auf Seiten des Verfahrensinitiators zu berücksichtigen. 69 An­ deres kann sich unter Geltung von §  717 Abs.  3 ZPO70 ergeben, der ins Bereiche­ rungsrecht verweist. Dort lässt vor allem §  819 Abs.  1 BGB potenziell Raum für die Berücksichtigung der Vorstellungen des Gläubigers.71 2. Deliktische Haftung Für die theoretisch stets denkbare Haftung nach §  826 BGB kommt es nach dem Normwortlaut auf das Vorliegen von Schädigungsvorsatz an. Es soll bedingter Vorsatz genügen: Entscheidend sei, dass der Anspruchsteller ernsthaft damit rech­ nete, mit seinem Anliegen schlussendlich zu unterliegen, „diese Schädigungsmög­ lichkeit, obwohl unerwünscht, aber um der auch für möglich gehaltenen Erfolgs­ aussicht willen billigend in Kauf nahm“.72 Habe er hingegen die Erfolgsaussichten so hoch bewertet, dass er auf ein Obsiegen vertraute, fehle es am Eventualvorsatz.73 Ist Vorsatz nach dieser Formel zu bejahen, muss die Sittenwidrigkeit geprüft wer­ den.74 Ein solches Verdikt soll die Rechtsverfolgung treffen, wenn sie nicht bloß als 68  Zur umstrittenen dogmatischen Qualifikation (Risikohaftung, Gefährdungshaftung, De­ liktshaftung) siehe Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  7–8. Saenger, Rechtsschutz, S.  273, weist mit Recht darauf hin, dass die Einordnung ohne echte praktische Bedeutung ist. 69  In der Diskussion um Schaffung von §   717 Abs.  2 ZPO war ausdrücklich das Argument vorgebracht worden, dass der Beklagte „nicht unter einem wenngleich entschuldbaren Irrthum [sic] des Klägers leiden“ dürfe (Hahn/Mugdan, Materialien VIII, S.  393). Siehe näher unten C. II. 2. 70  Siehe oben A. I. 71  Dazu näher C. III. 4. b) aa) (4). 72  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 73  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 74  Vergleiche neben den sogleich folgenden Entscheidungen auch BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788: „In der Erhebung einer Klage allein“ sei kein Sitten­ verstoß zu erblicken; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.3.2004 – 1 W 13/04, GRUR-RR 2005, 68, 69.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

fahrlässig, sondern als grob leichtfertig anzusehen war.75 An anderer Stelle wird formuliert, eine Haftung aus §  826 BGB setze „nicht nur voraus, dass die einen Prozess […] betreibende Person die fehlende Berechtigung ihres Begehrens kennt“.76 Im Übrigen stand der BGH einer deliktischen Haftung für die unberechtigte Rechtsverfolgung durch Private ursprünglich sehr distanziert gegenüber. Die In­ anspruchnahme staatlicher Verfahren sei grundsätzlich nicht rechtswidrig.77 Ins­ besondere sei der Anspruchsteller nicht verpflichtet, seine vermeintliche Berechti­ gung zuvor sorgfältig zu prüfen, da das Verfahrensrecht, vor allem durch Vor­ schriften wie §§  717 Abs.  2, 945 ZPO, als „Korrelat“ zur Haftungsbegrenzung 78 selbst den Schutz des Gegners übernehme.79 Die Literatur stand dieser Annahme einer Rechtfertigung seit jeher ganz überwiegend kritisch gegenüber. 80 Zwar schimmert in der jüngeren Rechtsprechung mitunter noch die frühere Linie durch.81 Auch proklamiert der BGH weiterhin ein „Recht auf Irrtum“, das grund­ sätzlich für jeden Verfahrensschritt einschließlich der Zwangsvollstreckung anzu­ erkennen sei.82 Der Sache nach hat sich die höchstrichterliche Judikatur aber von der rigiden Position, die Rechtsverfolgung in staatlich geregelten Verfahren sei stets bis zur Grenze des §  826 BGB privilegiert, längst verabschiedet.83 Das schadens­ ursächliche Verhalten soll lediglich die Vermutung der Rechtmäßigkeit genießen, 75  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189; ganz ähn­ lich bereits BGH, Urt. v. 14.4.1954 – VI ZR 107/52, BeckRS 1954, 31370904; ebenso z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 566; Sprau, in: Palandt, §  826 Rn.  50. Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 442, weist zutreffend darauf hin, dass diese Sichtweise immer noch deutlich weiter geht, als man bei unbefangener Lektüre von §  826 BGB meinen könnte. 76  BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; dies für eine Rechtsverteidigungskonstellation wiederholend BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447. 77  Grundlegend BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788 und BGH, Urt. v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 = NJW 1961, 2254, 2255. 78  So BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015. 79  Grundlegend BGH, Urt. v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 = NJW 1961, 2254, 2255. Anders für Schäden Dritter; diesbezüglich soll keine Privilegierung greifen, BGH, Urt. v. 12.5.­ 1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015 m. w. N. Schäden von außerhalb der (vermeintlichen) Anspruchsbeziehung stehenden Dritten werden vorliegend nicht näher unter­ sucht; zur Sondersituation der Abnehmerverwarnung sogleich im Text sowie bei C. III. 4. b) cc) (3). 80  Baur, JZ 1962, 95, 95–96; Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 359–361; Hopt, Schadensersatz, insb. S.  195–202; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  323; Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  106–107; Weitnauer, AcP 170, 437, 449–450; Zeiss, NJW 1967, 704, 705. Für Privilegierung dagegen ­Blomeyer, Schadensersatzansprüche, S.  4 4–46; Sturm, JR 1972, 43, 44; auch Häsemeyer, Schadens­ haftung, insb. S.  143–145 (bezüglich Begleitschäden). 81  Siehe etwa OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, NZI 2006, 353, 353; in diese Richtung tendiert wohl auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.2.1996 – 22 U 206/95, NJW-RR 1996, 1173. 82  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 23.5.­1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  17. 83  Diesen Wandel erkennend auch BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315,

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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die Rechtswidrigkeit aufgrund der verfahrensrechtlichen Legalität nicht indiziert sein.84 Eine Entlastung sei aber dort nicht angezeigt, wo das Haftungsrisiko den Verfahrensinitiator nicht unzumutbar beeinträchtige. 85 Die maßgebliche Sorgfalts­ grenze wird mit Begriffen wie „Leichtfertigkeit“86 oder „grobe Fahrlässigkeit“87 umrissen. Der BGH selbst hat allerdings vereinzelt darauf hingewiesen, dass grobe Fahrlässigkeit nicht haftungsbegründend sei, sondern sich der Anspruchsteller  – vorsatznah – der wahren Rechtslage verschlossen haben müsse.88 Die Idee geminderter Sorgfaltsanforderungen bei der Geltendmachung von An­ sprüchen in einem staatlichen Verfahren beruht im Wesentlichen auf der Sorge um den freien Zugang zur Rechtspflege.89 An diesem bestehe auch ein erhebliches öffentliches Interesse.90 Eine zu strenge Haftung „im Falle des Rechtsirrtums“ wäre kontraproduktiv.91 Verbreitet ist auch die Furcht vor einer „Verkümmerung des Rechtsschutzes“.92 Zudem wird auf den Zusammenhang mit dem staatlichen Gewaltmonopol verwiesen, welches das Beschreiten des Verfahrensweges erforder­ lich mache.93 In der Literatur wird allerdings die Auffassung vertreten, dem An­ liegen, Gläubiger nicht übermäßig abzuschrecken, sei auch dann Genüge getan,

316; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  42–43; Hager, in: Staudinger, §  823 Rn. H 17. Thole, AcP 209 (2009), 498, 508, und G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  820, weisen auf das Missverständnis hin, der BGH nehme (weiterhin) einen eigenen Rechtfertigungsgrund an. 84  Grundlegend BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352 (allerdings zu einem Tatsachenirrtum: übersehener Zahlungseingang); sich anschließend BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; BGH, Urt. v. 25.3.2003  – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; ganz ähnlich BGH, Urt. v. 11.11.2003  – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447 (Rechtsverteidigungskonstellation). 85  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; zustimmend OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1292. 86  Darauf abstellend BVerfG, Beschl. v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257 = NJW 1987, 1929, 1929. 87  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  43; vergleiche bereits Zeiss, NJW 1967, 704, 705; auch aus BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1962, dürfte sich im Gegenschluss entnehmen lassen, dass grobe Fahrlässigkeit eine Haftung begründet (ebenso Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 12); siehe auch OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1291. 88  BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316. Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815 mit Fn.  45, setzt dies letztlich gleichwohl mit grober Fahrlässigkeit gleich. 89  Besonders deutlich BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316; zuletzt BGH, Urt. v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399, 403 Rn.  4 4. 90  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352 (ausdrücklich gegen Hopt, Schadensersatz, S.  195–196). 91  BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316. 92  Als Terminus aufgreifend (wenngleich nicht durchweg unkritisch) Zeiss, NJW 1967, 703, 705; siehe auch Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  103; Derkum, Folgen, S.  50; Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 13; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  24; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  300; Thole, AcP 209 (2009), 498, 513. 93  BVerfG, Beschl. v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257 = NJW 1987, 1929, 1929; G. Wagner, ZIP 2005, 49, 55–56; auf das Verbot der Selbsthilfe hinweisend K.-J. Götz, Ersatz­ ansprüche, S.  24; Henckel, Prozeßrecht, S.  302; Sprau, in: Palandt, §  823 Rn.  37.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

wenn die einschlägigen Sorgfaltsanforderungen den beiderseits betroffenen Inter­ essen Rechnung trügen.94 Strenge Maßstäbe hat die höchstrichterliche Rechtsprechung seit jeher für Ver­ warnungen wegen (vermeintlicher) Schutzrechtsverletzungen angelegt.95 Im Rah­ men der Prüfung von §  823 Abs.  1 BGB (Eingriff in den Gewerbebetrieb) 96 wurde die Rechtswidrigkeit des Vorgehens grundsätzlich bejaht.97 Für die Verneinung von Verschulden wurde und wird verbreitet gefordert, dass sich der Verwarnende die Überzeugung von seiner Berechtigung nach gewissenhafter Prüfung gebildet haben müsse.98 Zwar begründe die bloß abstrakte Möglichkeit einer abweichen­ den Beurteilung durch ein Gericht noch nicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit.99 Anderes soll aber gelten, wenn ein Anlass für Rechtszweifel mit konkretem Be­ zugspunkt bestand.100 Als entlastend wurde die Beratung durch erfahrene Rechtsund Patentanwälte anerkannt, sofern es für den Verwarnenden keinen Anlass gab, an deren Urteil zu zweifeln:101 Die Rechtsauffassung sei dann jedenfalls vertretbar gewesen, zumal im konkreten Fall offenbar auch die gegnerischen Patentanwälte zur gleichen Ansicht tendiert hatten und ein Zwischenbescheid des Patentamtes zum selben Ergebnis gelangt war.102 Hierzu passen sichtbare Entlastungstenden­ zen für den Fall, dass die Verwarnung auf ein Schutzrecht gestützt wird, das im amtlichen Verfahren auf die materiellen Voraussetzungen geprüft worden ist; man dürfe insoweit vom Patentinhaber im Rahmen der Verschuldensprüfung keine ­bessere Urteilsfähigkeit als von der Erteilungsbehörde verlangen.103 Auch eine zu­ 94  Grundlegend bereits Hopt, Schadensersatz, S.  2 , 179–216 sowie insb. 243–264; siehe ferner Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  316–327 (insb. S.  322–323); Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  111–113; Zeiss, NJW 1967, 704, 705; ausführlich in jüngerer Zeit Thole, AcP 209 (2009), 498, 530–538; daneben etwa Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169–170; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  143– 150; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823. 95  Im Grundsatz bereits seit RG, Urt. v. 27.2.1904 – I 418/03, RGZ 58, 24, 30–31 – Juteplüsch; besonders streng BGH, Urt. v. 15.6.1951 – I ZR 59/50, BGHZ 2, 387 = NJW 1951, 712, 713; Ge­ samtdarstellung bei K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  53–56. 96  Siehe oben §  9 A. I. 97  Siehe BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, BGHZ 38, 200 = NJW 1963, 531, 532–533 – Kinder­nähmaschinen, m. w. N.; BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 316 – Maschenfester Strumpf; besonders deutlich BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 98  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 317 – Maschenfester Strumpf; BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte; BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  88, 842 Rn.  92 – Ballerinaschuh. 99  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, NJW 1963, 531, 534 – Kindernähmaschinen; Hopt, Schadensersatz, S.  251–252; Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 262; ähnlich BGH, Urt. v. 19.1.­ 1979  – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte. 100  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, NJW 1963, 531, 534 – Kindernähmaschinen; BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte. 101  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf (indes v. a. technische Expertise betreffend); jedenfalls für die Herstellerverwarnung zu­ stimmend OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1008 Rn.  40. 102  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf. 103  So BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2162–2163 – Spritzgießmaschine;

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gunsten des Verwarnenden ausgefallene landgerichtliche Entscheidung im Vor­ prozess wird als Indiz für fehlendes Verschulden in Erwägung gezogen.104 Die ­dargestellten Grundsätze betrafen nicht nur die außergerichtliche Schutzrechts­ verwarnung, sondern gleichermaßen die Geltendmachung vor Gericht: Wer den vermeintlichen Schutzrechtsverletzer sofort verklage, dürfe nicht besser stehen als derjenige, der vorab zu einer (oftmals streitklärenden) Verwarnung greife.105 Einen Angriff auf die Sonderbehandlung der Schutzrechtsverwarnung hat im Jahr 2004 der I. Zivilsenat des BGH gewagt. Er verwies auf die im Übrigen aner­ kannte Privilegierung bei der Inanspruchnahme staatlicher Verfahren und nahm den Standpunkt ein, für die außergerichtliche Geltendmachung könne nichts ande­ res gelten.106 Der daraufhin befasste Große Senat des BGH wies diese Auffassung zurück. Die außergerichtliche Verwarnung sei nicht haftungsprivilegiert.107 Der Große Senat bezog sich in seinen Ausführungen vornehmlich auf den Fall, dass die Verwarnung gegen Abnehmer des Produkts gerichtet war, welches (vermeintlich) Schutzrechte verletzte (sogenannte Abnehmerverwarnung108).109 Aus der Entschei­ dung lässt sich nach vorherrschendem Verständnis schließen, dass für die gericht­ liche Schutzrechtsklage das Haftungsprivileg zum Tragen kommen soll, was die frühere Rechtsprechung noch deutlich abgelehnt hatte.110 Für die Differenzierung zwischen außergerichtlichem und gerichtlichem Vorgehen hat der Große Senat zwar Argumente angeführt.111 Die Unterscheidung hat jedoch beachtlich Kritik erfahren, insbesondere unter Verweis auf den Charakter der Verwarnung als eine im Anschluss daran auch BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeer­ leuchte; BGH, Urt. v. 17.4.1997 – X ZR 2/96, NJW-RR 1998, 331, 332 – Chinaherde; BGH, Urt. v. 19.1.2006 – I ZR 98/02, NJW-RR 2006, 832, 833–834 Rn.  25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II (a. a. O., 834 Rn.  26, auch betreffend UWG-Haftung); BGH, Urt. v. 2.10.2012 – I ZR 37/10, GRUR-RS 2013, 6018 Rn.  31 – XVIII PLUS; BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  89 – Ballerinaschuh; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.180c. Zur vergleichbaren Wirkung eines für den Verwarnenden positiven Ergebnisses eines Lö­ schungsverfahrens betreffend Gebrauchsmuster: BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf. 104  BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 105  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, BGHZ 38, 200 = NJW 1963, 531, 532–533 – Kinder­ nähmaschinen (betraf Verwarnung und Klage als Anknüpfungspunkte für Haftung); denselben Maßstab betreffend Klagen anwendend auch BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162 – Spritzgießmaschine; BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unter­ lassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 106  BGH, Beschl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3323. 107  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141 – Unberech­ tigte Schutzrechtsverwarnung. 108  Zur Abgrenzung näher M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  60–62. 109  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3143 – Un­ berechtigte Schutzrechtsverwarnung. 110  So die Deutung durch BGH, Urt. v. 19.1.2006 – I ZR 98/02, NJW-RR 2006, 832, 833 Rn.  24  – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 840 Rn.  76 – Ballerinaschuh; Faust, JZ 2006, 365, 367; Thole, AcP 209 (2009), 498, 510; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  375, 380. Zur früheren Gleichbehandlung soeben bei Fn.  105. 111  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3143 – Un­

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

wegen §  93 ZPO gebotene Vorstufe.112 Für Schäden, die dem Hersteller aus einer Verwarnung seiner Abnehmer erwachsen, erkennt der BGH das „Klageprivileg“ hingegen nicht an. Dieses greife nicht zulasten solcher Geschädigter, die nicht förmlich am Verfahren beteiligt sind.113 Wiederum anders fällt die Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen aus. Auf solche wird die zu Schutz­ rechtsverwarnungen entwickelte strenge Linie nicht erstreckt.114 Die unberechtig­ te Abmahnung sei nicht ohne Weiteres rechtswidrig; rechtliche Zweifel am Wettbe­ werbsverstoß zwängen nicht prinzipiell dazu, eine Abmahnung zu unterlassen.115 Eine ungerechtfertigte Abmahnung soll laut BGH nur dann eine Haftung gemäß §  4 Nr.  4 UWG nach sich ziehen, wenn sich der Abmahnende der Kenntnis der ­fehlenden Berechtigung bewusst verschlossen hat.116 Bemerkenswert ist, dass die Privilegierung hier auf die außergerichtliche Geltendmachung übertragen wird.117 Ersatzpflichtig machen kann sich nach Ansicht des X. Zivilsenats des BGH auch der Rechtsanwalt des wegen einer (vermeintlichen) Schutzrechtsverletzung Ver­ warnenden, wenn eine fahrlässige Falschberatung zur Verwarnung geführt hat.118 Dies soll anzunehmen sein, wenn der Rechtsanwalt Zweifel an der Schutzrechtsver­ letzung hätte haben müssen, er aber auf solche nicht hingewiesen hat.119 Der Senat geht davon aus, dass der Anwalt mit Blick auf die Rechte des Verwarnten eine Art Garantenstellung innehabe.120 Eine Grenze für die Haftung des Anwalts sei erst erreicht, wo dieser die Verwarnung auf Weisung des Mandanten ausspreche, in Un­ kenntnis der fehlenden Berechtigung handele und den Mandanten zuvor über die

berechtigte Schutzrechtsverwarnung (Abmahnung sei keine Prozessvoraussetzung und wegen des geringen Aufwands praktisch häufig). 112  Faust, JZ 2006, 365, 367; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  819, 823; G. Wagner/Thole, NJW 2005, 3470, 3472. 113  BGH, Urt. v. 21.12.2005 – X ZR 72/04, BGHZ 165, 311 = NJW-RR 2006, 621, 623 Rn.  14  – Detektionseinrichtung II; schon angedeutet bei BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3143 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung: ebenso z. B. M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  407–408. Dagegen bejaht BGH, Urt. v. 11.1.2018  – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  76 – Ballerinaschuh, eine Privilegierung der Klage im Fall einer Abnehmerverwarnung; allerdings war ein Ersatzanspruch des Abnehmers betroffen (siehe näher C. III. 4. b) cc) (3)). 114  Ausdrücklich differenzierend BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 139/08, GRUR 2011, 152, 157 Rn.  63 – Kinderhochstühle im Internet; zu einer eventuellen Haftung aus §  678 BGB sogleich noch 3.; siehe zu §  13 Abs.  5 UWG n. F. Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  86a. 115  BGH, Urt. v. 8.2.1963 – Ib ZR 132/61, WKRS 1963, 14310 Rn.  19 – Kaugummikugeln. 116  BGH, Urt. v. 9.9.2010 – I ZR 98/08, GRUR 2010, 1133, 1135 Rn.  24 – Bonuspunkte (zu §  4 Nr.  10 UWG a. F.); zustimmend Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.167. 117 Siehe Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.166. 118  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2111 Rn.  14  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 119  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  21–22  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 120  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  18–20  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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bestehenden Zweifel aufgeklärt habe.121 Das Berufungsgericht hatte eine „Außen­ haftung“ hingegen insgesamt abgelehnt.122 Der Anwalt sei allenfalls seinem Man­ danten gegenüber regresspflichtig, wenn Letzterer sich durch die Verwarnung schadensersatzpflichtig gemacht habe; im Übrigen könne der Anwalt nur in diesem Verhältnis eine Haftungsbegrenzung vereinbaren.123 Auch im Schrifttum hat die Sichtweise des X. Zivilsenats überwiegend Kritik erfahren, wobei insbesondere auf mögliche Konflikte mit dem Berufsrecht hingewiesen wird.124 3. Vertragliche und vertragsähnliche Haftung Auf die vertragliche Schadensersatzhaftung wegen unberechtigter Rechtsverfol­ gung hat die Rechtsprechung ihre zur Deliktshaftung entwickelte Linie weitge­ hend übertragen.125 Der BGH hat auch hier eine Privilegierung des gerichtlichen Vorgehens anerkannt. Eine unberechtigte Klageerhebung, die bloß fahrlässig erfol­ ge, stelle keine Pflichtverletzung dar.126 Nach der Gegenansicht soll die unbegrün­ dete Klage hingegen vertragliche Pflichten verletzen können.127 Betreffend die außergerichtliche Inanspruchnahme waren die Fronten zunächst noch weniger geklärt.128 Mehrere Spruchkörper – einschließlich zweier BGH-Se­ nate  – verneinten das Vorliegen einer Pflichtverletzung.129 Zahlreiche Gerichte sprachen dem in Anspruch Genommenen dagegen – oftmals unter Abgrenzung zur Privilegierung einer Klage130 – Schadensersatz zu.131 In einer grundlegenden Ent­ 121 BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112–2113 Rn.  22–23 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 122  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507. 123  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 508. 124 Beispielsweise Chab, AnwBl 2016, 514–515; Keller, GRUR 2016, 634, 635; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1370–1372; Vohwinkel/Huff, NJW 2016, 2114, 2114–2115; näher zum Meinungs­ stand C. IV. 5. b) cc) (4) (a) Fn.  716. 125  Vergleiche BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316. 126  BGH, Urt. v. 4.11.1987 – IVb ZR 83/86, NJW 1988, 2032, 2033 (unter Verweis auf Becker-­ Eberhard, Kostenerstattung, insb. S.  70–77, 103–105); BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 Rn.  8; zu diesem Maßstab auch BGH, Urt. v. 20.3.1979 – VI ZR 30/77, NJW 1980, 189, 190; Privilegierung bejahend auch Grüneberg, in: Palandt, §  280 Rn.  27. 127  LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390: Verletzung der nachvertrag­ lichen Treuepflicht; zustimmend zur dogmatischen Konstruktion Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 541; gegen eine Privilegierung auch K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  136–140; Hopt, Schadens­ ersatz, S.  266–269; Zeiss, NJW 1967, 703, 707 (für Leichtfertigkeit). 128  Nachweise zum Streitstand bei BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1147–1148 Rn.  10–11. 129  Insb. BGH, Urt. v. 25.10.1995 – VIII ZR 258/94, NJW 1996, 389, 390; KG, Urt. v. 18.8.2005  – 8 U 251/04, Rn.  14, juris (Revision nicht zugelassen, BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3); OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.1998 – 22 U 148–98, NJW-RR 1999, 746, 746–747. 130  Deutlich etwa LG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.1998 – 3 S 178/97, NJW-RR 1998, 1105, 1105– 1106; AG Bonn, Urt. v. 22.12.1998 – 12 C 302/98, MDR 1999, 347; AG Münster, Urt. v. 4.5.1994  – 48 C 9/94, NJW-RR 1994, 1261, 1262. 131  AG Bonn, Urt. v. 22.12.1998 – 12 C 302/98, MDR 1999, 347; AG Düren, Urt. v. 7.9.2001  – 41 C 359/01, NJOZ 2001, 2290, 2291; AG Gummersbach, Urt. v. 2.11.2000 – 1 C 358/00, JurBüro 2001, 144; AG Herford, Urt. v. 9.12.1980 – 9 C 693/80, JurBüro 1981, 425, 426; AG Münster, Urt.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

scheidung aus dem Jahr 2008 stellte der VIII. Zivilsenat des BGH sodann fest, dass in einem unberechtigten vorgerichtlichen Mängelbeseitigungsverlangen eine Rück­ sichtnahmepflichtverletzung (§  241 Abs.  2 BGB132) liege.133 Im Rahmen der Ver­ schuldensprüfung entlaste es den Anspruchsteller (Käufer) allerdings, wenn er im Rahmen seiner Möglichkeiten überprüft habe, ob der vermeintliche Mangel seinem eigenen Verantwortungsbereich entstamme, und dies ungewiss geblieben sei.134 Den Verdacht eines Widerspruchs zur früheren BGH-Rechtsprechung135 versuch­ te der Senat zu entkräften: Damals sei es, anders als nun, um die fehlerhafte Ein­ schätzung der Rechtslage gegangen.136 In der Rezeption der Entscheidung warnten Literaturstimmen davor, den Käufer in eine „Zwickmühle“ zu bringen.137 Diesem solle lediglich eine Evidenzkontrolle in dem Bereich, in dem er einen Informationsvorsprung besitze, obliegen.138 Die­ sen Maßstab hat der V. Zivilsenat des BGH aufgegriffen, als er über ein unberech­ tigtes Zahlungsverlangen und eine darauf basierende Rücktrittserklärung zu ent­ scheiden hatte.139 Zwar unterfalle die außergerichtliche Inanspruchnahme nicht dem für die Klage anerkannten Privileg.140 Allerdings dürfe dem Gläubiger in An­ betracht der Tatsache, dass die Anspruchsberechtigung nur in einem Rechtsstreit sicher geklärt werden könne, die Rechtsdurchsetzung nicht unzumutbar erschwert werden; bleibe nach einer Plausibilitätskontrolle des eigenen Rechtsstandpunkts die Berechtigung ungewiss, dürfe der Anspruch ohne Haftungsgefahr geltend ge­ macht werden.141 Bei einer schwierig zu überblickenden Rechtslage müsse sich derjenige, der eine vertretbare Rechtsposition einnehme, nicht zurückhalten.142 Auf den Standard der „Plausibilitätskontrolle“ hat die Instanzrechtsprechung in der Folgezeit vielfach zurückgegriffen.143 Zu ähnlichen Ergebnissen war bereits v. 4.5.1994 – 48 C 9/94, NJW-RR 1994, 1261, 1262; im Grundsatz auch LG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.1998 – 3 S 178/97, NJW-RR 1998, 1105, 1105–1106. 132  Ausdrücklich benannt erst bei BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  17; zuvor schon Haertlein, MDR 2009, 1, 1; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 133  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  12. 134  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13. 135  BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3. 136  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13. 137 Weil er beim Verzicht auf ein Nachbesserungsverlangen riskiere, auf den Kosten einer Selbstvornahme sitzen zu bleiben, Kaiser, NJW 2008, 1709, 1709–1710; auch Faust, JuS 2008, 746, 748; Thole, AcP 209 (2009), 498, 500. 138  Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712–1713. 139  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262. Zur Einordnung der unberechtigten Ausübung von Lösungsrechten später ausführlich §  15 A. II. 2. b) cc) (2). 140  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  14. 141  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20; sich anschließend BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.  28–29; BGH, Urt. v. 24.3.2011 – VII ZR 164/10, WM 2011, 1716, 1718 Rn.  23; BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013, 1028, 1032 Rn.  6 4. 142  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  26. 143  Z. B. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.8.2009 – 16 U 59/09, NJW-RR 2010, 568, 569; OLG Hamm, Urt. v. 9.11.2020 – 18 U 93/17, BeckRS 2020, 31887 Rn.  140; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.8.2014 – 2 U 2/14, NJW 2015, 418, 421 Rn.  55; OLG Naumburg, Urt. v. 11.6.2014 – 1 U 8/14,

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die Rechtsprechung zur Haftung des Abmahnenden aus §  678 BGB gelangt: Bei zweifelhafter Rechtslage dürfe die auf vernünftige Überlegungen gestützte Ab­ mahnung nicht schon deshalb eine Haftung begründen, weil der Rechtsstreit letzt­ endlich anders entschieden werde.144 Weil auch die in §  13 Abs.  5 UWG und §  97a Abs.  4 S.  1 UrhG kodifizierten Ansprüche des zu Unrecht Abgemahnten verschul­ densabhängig ausgestaltet sind, dürften hier vergleichbare Erwägungen greifen.145 Die herrschende Rechtsprechung erfährt Kritik vor allem wegen der nach wie vor propagierten Unterscheidung zwischen gerichtlichem und außergerichtlichem Vorgehen.146 Auch die vermeintlich sachwidrigen Differenzen zur Verzugshaf­ tung des Schuldners werden thematisiert.147

II. Lösungsrechte des Vertragspartners Vertragslösungsrechte wie §§  314, 324 BGB setzen streng genommen kein Vertre­ tenmüssen voraus.148 Vollkommen sicher vor einem Rücktritt bzw. einer Kündi­ gung seines zu Unrecht belangten Vertragspartners ist der Anspruchsteller daher nur, soweit man unter den gegebenen Umständen schon eine Pflichtverletzung im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB ablehnt.149 Allerdings sind auch Vorliegen und Grad des Verschuldens als wesentliche Faktoren zu berücksichtigen, wenn es darum geht, ob dem Verletzten ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht zustehen soll.150 NJW-RR 2015, 51, 52; OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.11.2019 – 4 U 3/19, NZI 2020, 120, 123 Rn.  35; LSG Sachsen, Urt. v. 5.5.2010 – L 1 KR 29/08, Rn.  20, juris; LG Karlsruhe, Urt. v. 12.9.2012 – 1 S 70/12, NJW-RR 2013, 109, 111; LG Potsdam, Urt. v. 20.3.2019 – 6 O 203/17, VersR 2019, 1205, 1209; LG Saarbrücken, Urt. v. 23.4.2018 – 9 S 7/17, NJW 2018, 3588, 3590 Rn.  35; LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 715; AG Bühl, Urt. v. 1.2.2012 − 3 C 148/09, NJW-RR 2012, 1166, 1168; AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  10, juris; AG München, Urt. v. 16.12.2016 – 411 C 45/16, ZMR 2017, 982, 982. 144  OLG Hamburg, Urt. v. 20.1.1983 – 3 U 146/82, GRUR 1983, 200, 202 – Unberechtigte Ab­ mahnung; OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.2002 – 3 U 54/99, NJW-RR 2003, 857, 858; LG Stuttgart, Urt. v. 7.7.2009 – 17 O 118/09, WRP 2009, 1313; ähnlich schon OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.1989 – 6 U 87/88, GRUR 1989, 858, 859 – Schutzschrift-Kosten; offenlassend OLG München, Beschl. v. 8.1.2008 – 29 W 2738/07, GRUR-RR 2008, 461, 463 – Gegenabmahnungskosten; die neuere BGH-Rechtsprechung zur Plausibilitätskontrolle übertragend Thole, in: BeckOGK, §  678 BGB Rn.  18; a. A. F. L. Schäfer, in: MüKo-BGB, §  678 Rn.  11 („Rechtliche Zweifel begründen re­ gelmäßig das Verschulden“); abweichend auch Chudziak, GRUR 2012, 133, 134, der bei Zweifeln eine Haftung annimmt, sofern nicht der Gläubiger darauf hinweist, dass es ihm um die Klärung der Zweifel geht (dazu unten C. III. 5.) 145  So auch Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  86a. 146  Siehe etwa Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710–1711; Thole, AcP 209 (2009), 498, 511–526; aus­ führlich dazu (m. w. N.) unten C. I. 1. 147 Insb. Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249; auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 524–539, ent­ wickelt einen übergreifenden Ansatz. 148  Siehe Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 177; Martens, in: BeckOGK, §  314 BGB Rn.  37; Schwarze, in: Staudinger, §  324 Rn.  11. 149  Im Zusammenhang mit §  324 BGB so vorgehend Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 164. 150  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810 Fn.   22; Martens, in: BeckOGK, §  314 BGB Rn.  37; Riehm, in: BeckOGK, §  324 BGB Rn.  54.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Zum Beispiel dürfte in aller Regel eine Unzumutbarkeit im Sinne von §  324 BGB nur dann anzunehmen sein, wenn mindestens Fahrlässigkeit vorlag.151 An dieser Stelle bietet sich demnach selbst dann ein Anknüpfungspunkt für eine Verscho­ nung des Putativgläubigers, wenn man von einer Pflichtverletzung ausgeht.152

C. Analyse Der Überblick über die Behandlung der unberechtigten Anspruchsgeltendma­ chung in Rechtsprechung und Lehre hat vordergründig erhebliche Differenzen im Meinungsbild zutage gefördert.153 Soweit solche Meinungsunterschiede tatsächlich bestehen, sind zunächst einige allgemeine Weichenstellungen erforderlich (zum Ganzen I.), damit sich die Diskussion anschließend auf den Bereich der Rechtsirr­ tümer konzentrieren kann (dazu II. ff.).

I. Verbleibende Diskrepanzen im Meinungsbild und Konsequenzen für die Untersuchung Als wichtigste Streitpunkte erscheinen die von der Rechtsprechung betonte Unter­ scheidung zwischen (privilegierter) Klage und (nicht privilegierter) außergericht­ licher Geltendmachung (dazu 1.) sowie die – partiell verbundene – Frage, inwieweit bei der Inanspruchnahme staatlicher Verfahren ein „Recht auf Irrtum“ anzuerken­ nen ist (dazu 2.). 1. Strengere Behandlung außergerichtlicher Geltendmachung Wie sich beim Blick auf Schutzrechtsverwarnungen gezeigt hat, hat der BGH die Differenzierung zwischen gerichtlichem und außergerichtlichem Vorgehen zuletzt sogar auf Bereiche übertragen, in denen sie früher nicht anerkannt war.154 a) Weitgehende Annäherung der Haftungsregime Im Ergebnis fallen die betonten Unterschiede allerdings weit weniger dramatisch aus, als es zunächst den Anschein haben mag:155 Wenn der BGH für eine Privilegie­ rung der Klage verlangt, dass leicht durchzuführende Kontrollen vorzuschalten sind,156 ist das jedenfalls nicht allzu weit davon entfernt, dem möglichen Gläubiger eine Plausibilitätskontrolle aufzubürden, wie es für den außergerichtlichen Bereich 151 

Riehm, in: BeckOGK, §  324 BGB Rn.  53; ähnlich Ernst, in: MüKo-BGB, §  324 Rn.  11. So wie es Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548, tut. 153  So auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 162: „Kein widerspruchsfreies Bild“. 154  Siehe oben B. I. 2. mit Fn.  110. 155  Derkum, Folgen, S.  129–131; Gsell, ZJS 2009, 187, 188; Harke, NZM 2016, 449, 453; G. Wagner, DelR, Kap.  7 Rn.  69. 156  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353. 152 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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geschieht.157 Auch die Begründungen für das „Recht auf Irrtum“ im staatlichen Verfahren und für die „Plausibilitätsrechtsprechung“ zur außergerichtlichen Inan­ spruchnahme ähneln sich.158 Manche Instanzgerichte verzichten mittlerweile gar auf jegliche Differenzierung.159 Auch im Bereich der Schutzrechtsverwarnungen behandelt die Rechtsprechung Klagen gleich (will heißen „unprivilegiert“), sofern es um Schäden des Mitbewerbers durch ein Vorgehen gegen dessen Abnehmer geht.160 Bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen kommt es ebenfalls zu einer weitgehenden Annäherung der Maßstäbe, weil dort das außergerichtliche Vorge­ hen signifikante Haftungsprivilegien genießt.161 b) Vorzugswürdige Gleichbehandlung Soweit vorgerichtliches und gerichtliches Vorgehen überhaupt noch effektiv un­ gleich behandelt werden, ist daran nach vorzugswürdiger Auffassung nicht festzu­ halten.162 aa) Wertung des Prozessrechts: Präferenz für außergerichtliche Beilegung Die wesentliche Wertung entnimmt die Kritik zu Recht der Zivilprozessordnung. Diese legt dem Gläubiger gerade nahe, seinen Anspruch zunächst vorgerichtlich geltend zu machen:163 Das sonst wegen §  93 ZPO bestehende Kostenrisiko soll zur Vermeidung unnötiger Prozesse veranlassen.164 Auch das Prozesskostenhilferecht müsste einer sofortigen Klage die Unterstützung versagen.165 Das aus einer unmit­ 157  So bei BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20; BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.  28–29; BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013, 1028, 1032 Rn.  6 4. 158  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810. 159  Von einem einheitlichen Maßstab ausgehend offenbar LG Hamburg, Urt. v. 15.11.2011  – 316 S 72/10, Rn.  19, juris; LG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.2011 – 14 O 27/11 KfH III, Rn.  117, juris; AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  10, juris. 160  Siehe oben B. I. 2. mit Fn.  113. 161  Siehe oben B. I. 2. 162  Zu einer Gleichbehandlung gelangen im Ergebnis BGH, Beschl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3323; KG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 U 251/04, Rn.  14, juris; (dazu BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3); AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  10, juris; in der Literatur bejahen eine Gleichbehandlung v. a. diejenigen, die das „Klageprivileg“ nicht anerkennen möchten, so K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  150; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  352–386; Hopt, Schadensersatz, S.  179–180; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710–1711; a. A. etwa Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815–817; Hösl, Kostenerstattung, S.  97–98. 163  Derkum, Folgen, S.  103–105; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  28, 31, 146; Thole, AcP 209 (2009), 498, 517; G. Wagner, DelR, Kap.  7 Rn.  70; G. Wagner/Thole, NJW 2005, 3470, 3472; siehe auch OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.2002 – 3 U 54/99, NJW-RR 2003, 857, 858; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 157; Sutschet, JZ 2008, 637, 639. 164  Siehe allgemein BGH, Beschl. v. 30.5.2006 – VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57 = NJW 2006, 2490, 2491 Rn.  19 m. w. N.; Gierl, in: Hk-ZPO, §  93 Rn.  1; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  1 (Ent­ lastung der Gerichte). 165  Zutreffender Hinweis von Vossler, MDR 2009, 300, 303; dazu, dass unter solchen Umstän­ den die Voraussetzungen von §  114 Abs.  1 ZPO nicht erfüllt sind, allgemein Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  29 m. w. N.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

telbaren Klageerhebung erwachsende Haftungsprivileg wäre demnach nur für Wohlsituierte zu erlangen, was mit den von §§  114 ff. ZPO geschützten Werten166 kaum vereinbar sein dürfte. Als Beleg dafür, dass das Gesetz den Versuch einer gütlichen Einigung ausdrücklich wünscht, lassen sich ferner §§  278, 278a ZPO und §  15a EGZPO anführen.167 Nicht zuletzt das BVerfG hält eine einvernehmliche Lö­ sung „auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich [für] vorzugswürdig gegenüber ei­ ner richterlichen Streitentscheidung“.168 Wenn das Haftungsrecht auf die sofortige Klage verwiese, läge darin also ein erheblicher Widerspruch im Normgefüge.169 Der vom Zivilprozessrecht intendierte Steuerungseffekt würde konterkariert.170 Die Rechtsprechung zur Abmahnung im Wettbewerbsrecht erkennt die aufgezeig­ ten Zusammenhänge seit Langem.171 Dort lässt sich überdies auf die Wertung von §  13 Abs.  1 UWG verweisen.172 Auch zur Schutzrechtsverwarnung hatte der BGH früher überzeugend einen haftungsrechtlichen Gleichklang zwischen Verwarnung und Klage (allerdings durch Versagung einer Privilegierung) hergestellt, weil man die streitvermeidende Funktion des außergerichtlichen Vorgehens berücksichtigen wollte.173 bb) Fehlen gleichrangiger Gründe für eine Privilegierung gerichtlichen Vorgehens So überzeugend der systematische Hinweis auf den Widerspruch zu Vorschriften wie §  93 ZPO auch ist, ist es doch keineswegs ausgeschlossen, dass es innerhalb der Rechtsordnung zu Steuerungskonflikten kommen kann, die schlicht hinzunehmen sind. Mitunter möchte der Gesetzgeber mit scheinbar widersprüchlichen Regelun­ gen kollidierende Interessen in Ausgleich bringen.174 Der vorliegend betrachtete Konflikt zwischen dem Ziel außergerichtlicher Streit­ beilegung und dem haftungsrechtlichen „Klageprivileg“ wäre aber allenfalls dann auszuhalten, wenn die Steuerung hin zur unmittelbaren Klageerhebung gleichge­ 166 

Siehe oben §  7 C. I. 3. c) bb). etwa Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 105; Derkum, Folgen, S.  101; Thole, AcP 209 (2009), 498, 517. 168  BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01, NJW-RR 2007, 1073, 1074, betreffend obliga­ torische Schlichtung (§  15a EGZPO). 169  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  376; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  28; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823; dezidiert in diese Richtung auch LG Augsburg, Urt. v. 4.4.2014  – 32 O 2105/13, BeckRS 2014, 120230 Rn.  59. 170  Thole, AcP 209 (2009), 498, 518; ähnlich M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  250–251. 171  OLG Hamburg, Urt. v. 20.1.1983 – 3 U 146/82, GRUR 1983, 200, 202 – Unberechtigte Ab­ mahnung; OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.2002 – 3 U 54/99, NJW-RR 2003, 857, 858; LG Stuttgart, Urt. v. 7.7.2009 – 17 O 118/09, WRP 2009, 1313. 172 So Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.166. 173  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, BGHZ 38, 200 = NJW 1963, 531, 532–533 – Kinder­ nähmaschinen (siehe oben B. I. 2.); dazu auch Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 348; K.-J. Götz, Ersatz­ ansprüche, S.  150. 174 Siehe v. Arnauld, Rechtssicherheit, S.  258. Dies zeigt sich v. a. im Zusammenhang mit der Wirkung des Prozesskostenrechts, dazu §  10 C. I. 1. b) bb) (3), D. 167 So

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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wichtige gesetzgeberische Zielvorstellungen verwirklichen würde. Ein solcher Vor­ teil der unmittelbaren Klageerhebung ist jedoch nicht ersichtlich. Keine Geltung beanspruchen kann an dieser Stelle insbesondere die Wertung, wonach rechtliche Zweifelsfragen im Allgemeininteresse einer gerichtlichen Klärung zugeführt wer­ den sollen.175 Zwar drängt das Verjährungsrecht unter solchen Bedingungen zum Tätigwerden.176 Die §§  195 ff. BGB zwingen den Gläubiger dabei aber nicht unmit­ telbar in eine gerichtliche Geltendmachung. Die verjährungshemmende Aktivität kann beispielsweise im Gang zu einer Streitbeilegungsstelle (§  204 Nr.  4 BGB) oder Verhandlungen mit der Gegenseite (§  203 BGB) liegen. Das Verjährungsrecht strebt demnach in rechtlichen Zweifelsfällen keine gerichtliche Klärung um jeden Preis an. Präferiert wird auch hier die außergerichtliche Beilegung.177 Erst wenn eine solche nicht möglich ist, findet das Anliegen Berücksichtigung, dass offene Rechts­ fragen von den Gerichten beantwortet werden sollen. Soweit zugunsten des „Klageprivilegs“ angeführt wird, dem Schuldner stünden nur im Prozess ein Kostenerstattungsanspruch und besondere Verteidigungsmittel zur Verfügung,178 ist diese Betrachtungsweise von vornherein unvollständig. Sie unterschlägt, dass Schäden des Anspruchsgegners, die schon infolge der Klageerhe­ bung selbst entstehen, von besonderen prozessualen Regelungen nicht abgedeckt werden.179 Dem vermeintlichen Schuldner drohen infolge der Klageerhebung gar besondere Einbußen (zum Beispiel Zeitaufwand oder Reputationsschäden), die er bei einem Verbleib im außergerichtlichen Stadium nicht erlitten hätte.180 Mit Ver­ wunderung wird zur Kenntnis genommen, dass die Rechtsprechung gerade das „schwerere Geschütz“181 der Klage haftungsrechtlich privilegieren möchte. Über­ dies wird zu Recht darauf hingewiesen, der außergerichtlich in Anspruch Genom­ mene, der Wert auf eine Kostenentscheidung nach §§  91 ff. ZPO lege, könne eine gerichtliche Befassung durch Erhebung der negativen Feststellungsklage selbst her­ beiführen.182 175 

Dazu unten II. 2. a). Siehe oben §  7 C. I. 1. c) dd). 177  Siehe zu §  203 BGB: Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 111; auch Grothe, in: MüKo-­ BGB, §  203 Rn.  3. 178  So argumentierend BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  12; LG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.1998 – 3 S 178/97, NJW-RR 1998, 1105, 1105–1106; AG Bonn, Urt. v. 22.12.1998 – 12 C 302/98, MDR 1999, 347; Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 817. 179  Siehe dazu gleich noch allgemeiner bei 2. b), u. a. unter Verweis auf Baur, JZ 1962, 95, 96; Henckel, Prozeßrecht, S.   292–293; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.   296–297. Dies erkennt im Grundsatz auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 817, bleibt aber bei seiner Auffassung. 180 Auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 535, hält Situationen für denkbar, in denen das gericht­ liche Vorgehen größere Schäden mit sich bringt. 181  Baur, JZ 1962, 95, 95; siehe ferner Haertlein, Exekutionsintervention, S.  376, 386; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  309; vergleiche auch BGH, Beschl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3323. 182  KG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 U 251/04, Rn.  142, juris; Sutschet, JZ 2008, 637, 639. Dass ein we­ gen Unterlassens der negativen Feststellungsklage fehlender Kostenerstattungsanspruch nicht durch einen Schadensersatzanspruch wegen der vorgerichtlichen Inanspruchnahme ersetzt wer­ 176 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Beachtliche Argumente gegen eine vorrangige Förderung außergerichtlichen Vorgehens ließen sich höchstens für begrenzte Lebensbereiche formulieren. So äu­ ßerte der Große Senat des BGH die Sorge, dass die außergerichtliche Schutzrechts­ verwarnung gegenüber einer Vielzahl von Abnehmern im Verhältnis zur Klage ei­ nen deutlich geringeren Aufwand bedeute und daher missbrauchsanfälliger sei.183 Solchen besonders gelagerten Konstellationen lässt sich allerdings gegebenenfalls dadurch Rechnung tragen, dass bei der Bestimmung des schädlichen Erkenntnis­ grades und der Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs maßgeschneiderte Lösungen ent­ wickelt werden.184 Eine generelle Ungleichbehandlung von Klage und außerge­ richtlicher Geltendmachung lässt sich damit nicht begründen. cc) Weitere Gründe für eine Gleichbehandlung Gegen eine solche Differenzierung sprechen zusätzlich ihre problematischen prak­ tischen Konsequenzen. Wenn bereits das außergerichtliche Vorgehen zu (nicht pri­ vilegierten) Schädigungen geführt hat, fragt sich, welche Auswirkungen eine späte­ re Klageerhebung hat: Wollte man nunmehr das Klageprivileg berücksichtigen, wäre man gezwungen, zwischen Lösungen wie einer Schadensaufteilung oder einer ex tunc eintretenden Haftungsfreiheit zu wählen.185 Der BGH hat sich im Kontext der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung dazu entschieden, fortlaufende Schä­ den aus einer vorgerichtlich veranlassten und nach Klageerhebung beibehaltenen Produktions- bzw. Vertriebseinstellung insgesamt der nicht privilegierten außerge­ richtlichen Geltendmachung zuzuordnen.186 Das vom BGH auch in dieser Ent­ scheidung betonte Klageprivileg187 läuft damit leer. Es erscheint vor diesem Hinter­ grund von vornherein als verzichtbar. Je stärker man sich auf eine Privilegierung der außergerichtlichen Inanspruch­ nahme einlässt, desto unbedeutender wird im Übrigen eine Abgrenzungsproble­ matik, die sich ansonsten ergeben kann. Für bestimmte „vorsichtige“ Arten des ­vorgerichtlichen Vorgehens wird nämlich eine Haftungsfreiheit gerade anerkannt. Beispielsweise hat sich die Rechtsprechung geweigert, eine Pflichtverletzung darin zu erkennen, dass eine Prüfung möglicher Ansprüche angekündigt188 oder der (nicht den könne, hält auch BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1460 Rn.  23, fest (indes ging es dort schon um die Frage, ob eine Anspruchsgrundlage besteht). 183  BGH, Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3143 – Unberechtig­ te Schutzrechtsverwarnung; insoweit zustimmend auch Faust, JZ 2006, 365, 367; ferner Haedicke, JZ 2006, 578, 579; Teplitzky, GRUR 2005, 9, 13. 184  Siehe allgemein Thole, AcP 209 (2009), 498, 535; Vossler, MDR 2009, 300, 303; zur Sonder­ behandlung der Abnehmerverwarnung unten III. 4. b) cc) (3). 185  Derkum, Folgen, S.  127; Faust, JZ 2006, 365, 367; Thole, AcP 209 (2009), 498, 518; G. Wagner/­ Thole, NJW 2005, 3470, 3472; M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  250. 186  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  84 – Ballerinaschuh, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 187  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 840 Rn.  76 – Ballerinaschuh. 188  OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.3.2012 – I-24 U 171/11, MDR 2012, 1196. Zur Unterbreitung

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provozierten) Aufforderung, eine Verzichtserklärung abzugeben, nicht Folge ge­ leistet wird.189 Teils wird für eine potenziell haftungssanktionierte „Anspruchs­ berühmung“ vorausgesetzt, dass das betroffene Verhalten dem vermeint­lichen An­ spruchsgegner die negative Feststellungsklage eröffnet.190 Anderswo wird nicht einmal dies stets für ausreichend gehalten.191 Im Schrifttum ist kritisiert worden, solche „rabulistische[n] Unterscheidungen“ erlaubten eine Haftungsbefreiung durch „listige Formulierungskünste“.192 Die geschilderten Abgrenzungsprobleme verlie­ ren indes deutlich an Bedeutung, wenn die Anspruchsberühmung generell mit dem gleichen Haftungsprivileg versehen wird wie das gerichtliche Vorgehen. c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung Außergerichtliche und gerichtliche Anspruchsgeltendmachung werden im Hin­ blick auf ihre Haftungsträchtigkeit inzwischen praktisch weitgehend gleichbehan­ delt. Die verbliebenen Differenzierungen sind grundsätzlich aufzugeben. Der Be­ fund hat Auswirkungen auf die nachfolgende Untersuchung. Diese wird Recht­ sprechung und Literatur zu beiden Konstellationen gleichermaßen auswerten und in die Überlegungen einfließen lassen müssen. 2. Begründung und Konturen eines „Rechts auf Irrtum“ Nicht nur die haftungsrechtliche Besserstellung der Klage gegenüber dem außer­ gerichtlichen Vorgehen erweist sich als bedenklich. Die weitgehende Haftungsver­ schonung der unberechtigten Einleitung staatlicher Verfahren – das propagierte „Recht auf Irrtum“ – lässt sich schon für sich genommen hinterfragen. a) Partielle Annäherung zwischen Rechtsprechung und Literatur Beim Blick auf den Diskussionsstand mag sich der Eindruck einstellen, das Mei­ nungsspektrum erstrecke sich von einer regulären Fahrlässigkeitshaftung bis hin zu einer pauschalen Privilegierung, die bis zur Vorsatzgrenze reicht. Dass die Kluft zum von der Rechtsprechung favorisierten „Recht auf Irrtum“ tatsächlich weniger groß ist, erkennen nicht zuletzt dessen Gegner.193 Immerhin hegt die Rechtspre­ chung Vorbehalte dagegen, leichtfertiges Verhalten haftungsfrei zu stellen.194 Im Schrifttum finden sich allerdings Ansätze, an jegliche Anspruchsgeltendmachung (auch im staatlichen Verfahren) wie bei sonstigen Verhaltensweisen Sorgfaltsanfor­ eines Angebots auf Vertragsaufhebung LG Hamburg, Urt. v. 2.5.2017 – 316 S 77/16, Rn.  65–85, juris. 189  OLG Hamm, Beschl. v. 1.2.2013 – I-26 U 168/12, MedR 2013, 671, 672. 190  LG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.1998 – 3 S 178/97, NJW-RR 1998, 1105, 1106. 191  OLG Koblenz, Urt. v. 8.11.2018 – 1 U 601/18, BeckRS 2018, 34700 Rn.  46–47. 192  Zitate aus Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  49 bzw. S.  28. 193  Hager, in: Staudinger, §  823 Rn. H 19; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823; ähnlich Stolz, Rechtsschutz, S.  112. 194  Siehe oben B. I. 2. mit Fn.  75.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

derungen zu stellen und die Schadensgeneigtheit des konkret gewählten Verfahrens lediglich als einen von mehreren Faktoren zu berücksichtigen.195 Die Rechtspre­ chung tendiert überwiegend196 zu starreren Privilegien, die im Grundsatz nicht von Faktoren wie Vermeidungsaufwand und Schadensrisiko abhängen. b) Defizite der bisher vertretenen Ansätze Die Rechtsprechung hat ihr Konzept eines „Rechts auf Irrtum“ bislang nicht über­ zeugend begründen können. Die Defizite sind vielfach aufgezeigt worden.197 Frag­ würdig erscheint die Kritik allerdings insoweit, wie sie auf eine angeblich sachwid­ rige Diskrepanz des Klageprivilegs zur strengen Haftung des die Leistung verwei­ gernden Schuldners (zum Beispiel auf Zinsen, §  291 BGB) verweist198 – dieser Einwand wird später noch zu widerlegen sein.199 Treffend ist hingegen die Beob­ achtung, dass sich eine Sperrwirkung des Prozessrechts gegenüber materiell-recht­ lichen Schadensersatzansprüchen nicht schlüssig begründen lasse.200 Insbesondere lässt das Prozessrecht Begleitschäden unkompensiert.201 Ebenso misslingt es im Ergebnis, ein derart weitreichendes Privileg verfassungsrechtlich, vor allem mit Blick auf den „Justizgewährungsanspruch“, herzuleiten.202 Während der Privilegierungsansatz der Rechtsprechung also vor allem an seiner Begründung krankt, liegen die Defizite des im Schrifttum bevorzugten Ansatzes anderswo. Die Lösung über die reguläre Fahrlässigkeitsprüfung läuft offen auf die Wahl eines haftungsrechtlichen „Mittelweges“203 hinaus. Das variable Konzept begründet die Gefahr, die Haftungsfrage stets mithilfe einer einzelfallabhängigen Gesamtabwägung zu entscheiden.204 Das erschwert nicht nur die rechtssichere 195  Siehe oben B. I. 2.; exemplarisch Thole, AcP 209 (2009), 498, 533–534, 535–536; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823. 196  Manche Gerichte greifen inzwischen auf den zur außergerichtlichen Geltendmachung ent­ wickelten Maßstab auch bezüglich Klagen zurück, so LG Hamburg, Urt. v. 15.11.2011 – 316 S 72/10, Rn.  19, juris; LG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.2011 – 14 O 27/11 KfH III, Rn.  117, juris. 197 Eingehende Kritik aus jüngerer Zeit bei Haertlein, Exekutionsintervention, S.   352–385; Thole, AcP 209 (2009), 498, 511–516; auch Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 541–545 (allerdings v. a. betreffend die Rechtsverteidigung). 198 Exemplarisch Thole, AcP 209 (2009), 498, 519. 199  Siehe unten §  11 C. II. 2. b)–d), insb. d) aa)–bb). 200  Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 104; Derkum, Folgen, S.  106–122; K.-J. Götz, Ersatzan­ sprüche, S.  155–172; Hopt, Schadensersatz, S.  197–201; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  296–297; Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 449–450. 201  Darauf hinweisend Baur, JZ 1962, 95, 96; Derkum, Folgen, S.  127; Henckel, Prozeßrecht, S.  292–293; Lindemann, Haftung, S.   140; Pecher, Schadensersatzansprüche, S.   75; Schultz-­ Süchting, Untersuchungen, S.  106; G. Wagner, ZIP 2005, 49, 55. Siehe bereits 1. b) bb). 202 Zutreffend Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 817; Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 357–358; ­Haertlein, Exekutionsintervention, S.  370–371; Hopt, Schadensersatz, S.  193–195; Lindemann, Haftung, S.  87, 139; Thole, AcP 209 (2009), 498, 514–516. 203  Von einem „Mittelweg“ spricht explizit Thole, AcP 209 (2009), 498, 535. 204 Exemplarisch Thole, AcP 209 (2009), 498, 538: „Letzte Klarheit muss jeweils […] im Einzel­ fall erzielt werden, und zwar ohne pauschale Vorfestlegungen“; daran angelehnt Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  144–150; ähnlich Derkum, Folgen, S.  150 („Ein­ zelfallgerechtigkeit durch hohe Flexibilität“); Lindemann, Haftung, S.  142.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Prognose der möglichen Haftungskonsequenzen.205 Die Herangehensweise läuft durch ihr flexibles Prüfungsprogramm überdies Gefahr, wesentlichen, aus einer übergreifenden Betrachtung der Rechtsirrtumsproblematik gewonnenen Wertun­ gen zu geringes Gewicht beizumessen. Zwar kann die unberechtigte Anspruchs­ geltendmachung ebenso auf Tatsachenirrtümern beruhen.206 Die Problematik be­ trifft aber zu einem erheblichen Teil rechtliche Fehlvorstellungen bzw. -prognosen. c) Zwischenfazit und Folgen für die Untersuchung Weder die Begründung eines „Rechts auf Irrtum“ bei der Geltendmachung von Ansprüchen noch die daran geäußerte Kritik vermögen restlos zu überzeugen. Diese Ausgangslage stellt die vorliegende Untersuchung vor die Herausforderung, zumindest für den Bereich der rechtsirrtümlichen Rechtsverfolgung ein fundiertes Haftungskonzept zu entwickeln, das zugleich dem Anspruch gerecht wird, genera­ lisierte, von einer reinen Einzelfallbetrachtung gelöste Aussagen und Prognosen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck sind die bisher ermittelten Wertungsgrundlagen zur Behandlung von Rechtsirrtümern zu berücksichtigen. Dabei wird zugleich der Frage nachgegangen, inwieweit die identifizierten Wertungen durch die haftungs­ rechtliche Behandlung rechtsirrtümlicher Anspruchsverfolgung bestärkt, wider­ legt bzw. ergänzt werden können. Schon um einen systematischen Vergleich zu ermöglichen, bietet es sich an, die Untersuchung nach demselben Muster aufzubauen, das bei der Betrachtung des Verjährungsrechts gewählt wurde. Die Voraussetzungen für die Nachteilsauferle­ gung (hier im Wesentlichen: für die Schadensersatzpflicht) werden zu diesem Zweck wiederum in verschiedene Elemente zerlegt. Zu klären ist, inwieweit recht­ liche Einsichten überhaupt konstitutiv für die Haftung sind (II.; Erkenntnisgegen­ stand), ob der Rechtsnachteil den Irrenden auch dann trifft, wenn die Rechtslage  – in einem näher zu bestimmenden Maß – ungewiss war (III.; Erkenntnisgrad) und ob es für eine Schadensersatzpflicht genügt, dass der Putativgläubiger den nach­ teilsbegründenden Erkenntnisgrad hätte erreichen können (IV.; Substitution durch Vorwerfbarkeit). Die derart strukturierte Betrachtung verspricht, ein differenzier­ teres Bild zu liefern als die bisherigen Ansätze, die oftmals holzschnittartig ausfal­ len oder in einer Gesamtabwägung der Einzelfallumstände diffundieren.

205  Thole, AcP 209 (2009), 498, 533, hält selbst fest: „Dieses Konzept sieht sich […] dem Ein­ wand ausgesetzt, es sei angesichts der Vielschichtigkeit der Sachverhalte nicht praktikabel“. 206  Siehe etwa BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351 (Zah­ lungseingang); OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290 (Grenzverlauf); auch bei BGH, Urt. v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 = NJW 1961, 2254, 2255, beruhte der irrtümliche Konkursantrag offenbar auf einer Verkennung der finanziellen Lage.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

II. Erkenntnisgegenstand Anders als im Zusammenhang mit dem Verjährungsbeginn 207 unterliegt es bei der irrtümlichen Anspruchsverfolgung keinen Zweifeln, dass rechtliche Fehleinschät­ zungen eine Nachteilszuweisung prinzipiell hindern können. 1. Pflicht-, Rechts- und Sittenwidrigkeit sowie Verschulden als Einfallstore für Entlastung wegen Rechtsirrtums Schon das regelmäßig bestehende Verschuldenserfordernis – etwa im Kontext einer Haftung aus §  280 bzw. §  823 BGB – sorgt dafür, dass Rechtsirrtümern über die Anspruchsberechtigung potenziell entlastende Wirkung zukommt. Volle Tatsa­ chenkenntnis bzw. vorwerfbare Tatsachenunkenntnis allein begründen im Regel­ fall keine Haftung.208 Je nach präferierter dogmatischer Verortung ließe sich der Rechtsirrtum gar schon auf Ebene der Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit berücksich­ tigen.209 Bei Anwendung von §  826 BGB kann neben dem Erfordernis des Schädi­ gungsvorsatzes die Sittenwidrigkeitsprüfung eine Haftung im Fall des Rechtsirr­ tums verhindern: An der für die Sittenwidrigkeit konstitutiven grob leichtfertigen Verkennung der Nichtberechtigung soll es bei Rechtsirrtümern fehlen können.210 2. Ausnahme: Verschuldensunabhängige Haftung nach §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Anders stellt sich die Lage nur bei der Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO dar. Hier verzichtet das Gesetz auf ein Verschuldenserfordernis. a) Grundsatz: Unbeachtlichkeit rechtlicher Fehlvorstellungen Man könnte allenfalls hinterfragen, ob nicht trotz des klaren Normwortlauts aus teleologischen Erwägungen nur tatsächliche Fehleinschätzungen unbeachtlich sein sollen, während Raum für eine Berücksichtigung von Rechtsirrtümern bleibt. Für eine solche Differenzierung bietet sich ein Ansatzpunkt, wenn man den Haftungs­ grund der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO darin erblickt, dass der Verfahrensgegner „einer nur vorläufigen, summarischen Beurteilung der sachlichen Rechtslage ausgesetzt wird“211. Summarisch ist nämlich grundsätzlich nur die Ermittlung der Tatsachen­ grundlage.212 Man könnte daher argumentieren, dass die Ratio der verschuldens­ abhängigen Haftung bei einer späteren Korrektur der rechtlichen Beurteilung nicht 207 

Dazu §  7 C. I. BGB ist eine prinzipielle Diskriminierung von Rechtsirrtümern bei der Verschul­ densprüfung fremd, siehe §  5 A. 209  Dazu später VI. 210  Deutlich schon BGH, Urt. v. 14.4.1954 – VI ZR 107/52, BeckRS 1954, 31370904. 211  So die Formulierung von BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352. 212  Drescher, in: MüKo-ZPO, §   935 Rn.  12 m. w. N.; Haertlein, in: Hk-ZV, vor §§  935–945b Rn.  9 m. w. N.; Stolz, Rechtsschutz, S.  54–55. 208  Dem

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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einschlägig sei.213 Der Gedanke mag betreffend §  945 ZPO noch plausibel sein, stößt allerdings spätestens bei §  717 Abs.  2 ZPO an eine Grenze. Nach dieser Vor­ schrift unterliegt auch die Vollstreckung aus Urteilen, denen ein reguläres Verfah­ ren vorausgegangen ist, der verschuldensunabhängigen Haftung. Es ist daher fol­ gerichtig, wenn es der BGH für die Anwendung von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO für irrelevant erachtet, ob die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Bestand hatte.214 So wird das Risiko, dass sich nach Erlass einer einstweiligen Verfügung der Mangel des Verfügungsanspruchs erweist, dem An­ tragsteller unabhängig davon zugewiesen, ob er von einem Anspruch ausgehen durfte.215 Der vermeintliche Gläubiger handelt also auch hinsichtlich der künftigen rechtlichen Beurteilung durch eine höhere Instanz „auf eigene Gefahr“.216 b) Fälle der Rechtsprechungsänderung Nach Auffassung des BGH soll der Putativgläubiger nicht einmal dann von seiner Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO frei sein, wenn erst das Revisionsgericht unter Aufgabe seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung den Anspruch verneint.217 Gleiches gelte, wenn sich der Anspruch auf eine gesetzliche Regelung stützt, die nachträglich (aber vor Unanfechtbarkeit der Entscheidung – sonst gewährt §  79 Abs.  2 S.  1 BVerfGG Rückwirkungsschutz218) als verfassungswidrig verworfen wird.219 Nach der Grundkonzeption von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO besteht also kein Raum, über die Figur des Rechtsirrtums die Auswirkungen von Rechtsprechungs­ änderungen abzufedern. Das ist bemerkenswert, weil unter solchen Umständen in anderen Zusammenhängen Vertrauensschutz gewährt wird.220 Freilich bleibt es dem vermeintlichen Gläubiger unbenommen, mit der Vollstreckung zuzuwarten, bis das Urteil Rechtskraft erlangt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist er vor einer Haftung 213  So ansatzweise Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  945 Rn.  9: „Dem Gläubiger werden in den genannten Fällen Risiken aufgebürdet, die nicht mit der besonderen Natur des Eilverfahrens zusammenhängen“. 214  BGH, Urt. v. 4.12.1973 – VI ZR 213/71, BGHZ 62, 7 = NJW 1974, 642, 643; BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1960. 215  Deutlich BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1460, 1461. 216  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1960; zur Zuweisung dieser Gefahr siehe allgemein Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  9 m. w. N. 217  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; BGH, Be­ schl. v. 22.10.2009 – IX ZR 165/07, NJOZ 2010, 896, 896 Rn.  3; zustimmend etwa Drescher, in: MüKo-ZPO, §  945 Rn.  9; siehe auch OLG Hamburg, Urt. v. 23.11.2017 – 5 U 254/15, BeckRS 2017, 152663 Rn.  59. 218  Siehe näher §  13 C. I. 219  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; OLG Düssel­ dorf, Urt. v. 5.3.1987 – 2 U 268/86, NJW-RR 1987, 1205, 1205; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  10, 49; G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  17; M. Huber, in: Musielak/Voit, §  945 Rn.  6; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  8. 220  Siehe dazu später zusammenfassend §  15 A. II. 3.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

infolge späterer Rechtsprechungsänderungen sicher.221 Der Ausschluss von Ver­ trauensschutz ist gleichwohl später kritisch zu hinterfragen.222 c) Haftung für Begleitschäden Der BGH möchte die Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO nicht auf Begleitschä­ den erstrecken, worunter er vor allem Reputations- oder Gesundheitseinbußen versteht, zu denen es schon aufgrund der Durchführung der Zwangsvollstreckung an sich kommt.223 Eine Erstreckung der strengen Haftung auf diese Positionen dro­ he „das dem Gläubiger aus gutem Grund eingeräumte Recht, schon aus einem vor­ läufigen Titel zu vollstrecken“, zu entwerten.224 Dieses Argument ließe sich aller­ dings insgesamt gegen die Haftungsanordnung des §  717 Abs.  2 ZPO anführen.225 Vielmehr scheinen den BGH in Anbetracht der bemerkenswerten Härte, die §  717 Abs.  2 ZPO für den vermeintlichen Gläubiger bedeutet,226 Skrupel zu plagen: Eine Steigerung des Haftungsrisikos „ins Unabsehbare“227 soll verhindert werden. Das Anliegen ist nachvollziehbar.228 Die kompromisshafte Ausgrenzung (nur) von Be­ gleitschäden mutet jedoch recht beliebig an.229 Ihr kommt ohnehin geringere Be­ deutung zu, wenn man den Begriff der Begleitschäden eng fasst. Rechtsanwalts­ kosten des Schuldners, die erst infolge der Vollstreckung entstehen, soll §  717 Abs.  2 ZPO beispielsweise abdecken.230 d) Haftung für Vollstreckung eines Berufungsurteils nach §  717 Abs.  3 ZPO §  717 Abs.  3 ZPO weicht die strenge Haftung auf, soweit es um die Vollstreckung eines kontradiktorischen Berufungsurteils in vermögensrechtlichen Streitigkeiten geht. Der Vollstreckungsschuldner wird stattdessen auf die Rechtsfolgen des Be­ reicherungsrechts verwiesen.231 Andere Ersatzansprüche sind bis zur Grenze des §  826 BGB ausgeschlossen.232 Damit ergibt sich das Potenzial, den Vollstreckungs­ 221  Darauf weist auch Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  945 Rn.  9 (trotz seiner Kritik, siehe oben Fn.  213) hin. 222  Siehe unten §  15 A. II. 3. e). 223  Siehe oben A. I. mit Fn.  61. 224  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 232–233. 225  In diese Richtung auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  273; Lindemann, Haftung, S.  117; kritisch ebenfalls Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  20. 226 Siehe Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  2: „Die Regelung des §  717 bevorzugt den ob­ siegenden Schuldner in größtmöglichem Maße“. 227  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 233. 228  Siehe später die rechtspolitische Kritik an §  717 Abs.  2 ZPO bei §  19 C. I. 229  Lediglich soweit es um Schäden geht, die aus einem pflichtwidrigen Verhalten des Vollstre­ ckungsorgans resultieren, lässt sich überzeugend auf die Amtshaftung verweisen (so etwa Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  11). 230  Die Vollstreckungsgebühr (siehe Nr.  3309 RVG-VV) sei nach §  717 Abs.  2 ZPO zu ersetzen, sofern sie erst nach der Vollstreckungsdrohung durch den Gläubiger anfalle, BGH, Urt. v. 16.12.­ 2010  – Xa ZR 66/10, NJW-RR 2011, 338, 341 Rn.  30 – Steroidbeladene Körner. 231  Siehe oben A. I. 232  Siehe nur Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  11; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  53; siehe zudem Herget, in: Zöller, §  717 Rn.  17 (offenbar sogar §  826 BGB ausschließend).

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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gläubiger infolge rechtlicher Fehlvorstellungen von der Ersatzhaftung zu befreien. In welchem Umfang dies geschieht, ist später noch eingehend zu beleuchten.233

III. Erkenntnisgrad Steht nunmehr fest, dass ein Haftungsausschluss infolge rechtlicher Fehlvorstel­ lungen oftmals in Betracht kommt, bedarf es der Präzisierung, inwieweit eine Haf­ tung schon dann entfällt, wenn die Rechtslage ungewiss ist. 1. Weitgehende Anerkennung einer Haftungsfreiheit bei Bestehen rechtlicher Zweifel Nur vereinzelt wird die herrschende Rechtsprechung so gedeutet, dass sie den Rechtsirrtum des Anspruchstellers nach den strengen Grundsätzen behandele, die zur Verzugshaftung des Schuldners vorherrschen.234 Danach käme eine Haftung für die Anspruchsverfolgung schon dann in Betracht, wenn eine Berechtigung möglich erschien, aber schlussendlich verneint wurde.235 Eine solche Belastung mit dem Haftungsrisiko bei ungewissen Erfolgsaussichten wird jedoch nur selten ausdrück­ lich befürwortet.236 Haertlein führt an, sowohl der potenzielle Gläubiger als auch der mögliche Schuldner sollten es „möglichst nicht auf fremdes, sondern auf eigenes Risiko [auf eine Klärung] ankommen lassen“.237 Diese Risikozuweisung erschöpft sich indes in einer bloßen Behauptung.238 Ohnehin ist zu beachten, dass die Strenge, die Haertlein gegenüber dem Putativgläubiger an den Tag legt, sich – in der Termi­ nologie dieser Untersuchung – in der Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgra­ des erschöpft. Haertlein gelangt gleichwohl – auf Ebene der Vorwerfbarkeitsprü­ fung  – zu einer weitgehenden Entlastung des Anspruchstellers, indem er diesen grundsätzlich nicht zu einer Vorprüfung seiner Rechtsposition verpflichtet sieht.239 Schon Hopt lehnte in seiner Untersuchung zur unberechtigten Rechtsverfolgung eine Übertragung der Maßstäbe zur Verzugshaftung explizit ab.240 Die bereits frü­ her im Schrifttum geforderte Entlastungswirkung von Zweifeln bei der Rechtsver­ folgung241 erkennt auch die aktuelle Entscheidungspraxis weitgehend an. Das gilt 233 

Siehe unten III. 4. b) aa) (4). So offenbar Vossler, MDR 2009, 300, 301. 235  Siehe ausführlich unten §  11 C. II. 236  Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249 („Waffengleichheit“); ansatzweise auch Harke, NZM 2016, 449, 453; in der Sache so vorgehend auch OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  8 , juris, unter Rückgriff auf die strenge allgemeine Rechtsprechung zur Rechtsirrtums­haftung (was im Ergebnis gerechtfertigt war, siehe unten 3. b) bb)). 237  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  410. 238  Vergleiche die Kritik bei §   11 C. II. 2. a) cc). Soweit Haertlein, Exekutionsintervention, S.  408, auf §  717 Abs.  2 ZPO Bezug nimmt, ist das für die Schuldnerhaftung, nicht aber für die Haftung wegen unberechtigter Anspruchsgeltendmachung richtig, siehe unten §  11 C. II. 2. b), 3. 239  Ausführlich Haertlein, Exekutionsintervention, S.  516–524; zur Kritik daran unten IV. 2. b). 240  Hopt, Schadensersatz, S.  253–254. 241  So etwa Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  103; Blomeyer, Schadensersatzansprüche, S.  45 (zu tatsächlichen Zweifeln); auch Lindemann, Haftung, S.  141–142. 234 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

zunächst für die Haftung aus §  826 BGB. Soweit dazu formuliert wird, eine Haf­ tung des Verfahrensbetreibers setze „nicht nur“ voraus, dass er seine fehlende Be­ rechtigung kenne, 242 könnte man sogar den Schluss ziehen, dass eine Überzeugung vom Fehlen des Anspruchs nötig sei. Allerdings hält der BGH an anderer Stelle Schädigungsvorsatz im Sinne der Vorschrift bereits dort für denkbar, wo der An­ spruchsteller auch die Möglichkeit eines Unterliegens ernsthaft in Betracht zie­ he.243 Die regelmäßige Annahme von Eventualvorsatz bei ungewissen Erfolgsaus­ sichten erscheint zwar kritisch.244 Der Schutz des zweifelnden Anspruchstellers wird indes über das Sittenwidrigkeitserfordernis erreicht.245 Der BGH hat schon früh die Bereitschaft erkennen lassen, in diesem Rahmen das Bestehen einer irr­ tumsgeleiteten „laienhaften Rechtsauffassung“ entlastend zu berücksichtigen.246 Hinsichtlich einer zweifelhaften Vertragsauslegung sei grobe Leichtfertigkeit be­ reits dann zu verneinen, wenn ein für den Verfahrensinitiator positives Auslegungs­ ergebnis zwar ferner lag, aber ernstlich in Betracht gezogen werden konnte.247 Mit anderen Worten wird der Verfahrensinitiator entlastet, wenn die Rechtslage nicht gewiss war.248 Zugunsten des Anspruchstellers soll beispielsweise Berücksichti­ gung finden, dass die anzustellende rechtliche Prüfung „sich sowohl auf komplexe, im maßgeblichen Zeitpunkt zum Teil höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfragen als auch auf die Auslegung mehrerer, in einem vielschichtigen wirt­ schaftlichen Zusammenhang stehender Willenserklärungen und Äußerungen be­ zog“.249 Diese Maßstäbe weisen unverkennbare Ähnlichkeiten zu denjenigen auf, die im Zusammenhang mit anderen Anspruchsgrundlagen herangezogen werden.250 Das gilt etwa für die Entlastung, die der Abmahnende in rechtlichen Zweifelsfällen hin­ 242  BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; dies für eine Rechtsverteidigungskonstellation wiederholend BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447. 243  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 244  Vorsatz erwägend etwa Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 816. BGH, Urt. v. 26.6.2001  – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189, deutet an, dass es bei der Unterscheidung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit auf die Höhe der Erfolgsaussichten an­ komme. Vorsatz wird aus normativen Gründen abgelehnt von Haertlein, Exekutionsintervention, S.  396; ähnlich Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 930; Derkum, Folgen, S.  155–156; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  242. Von einem regelmäßigen Fehlen des voluntativen Elements ausge­ hend wohl auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 529–530. Zur Frage, wann sich Vorsatz im Streit um einen Anspruch bejahen lässt, siehe näher §  11 C. V. 1. (im Kontext der Schuldnerhaftung). 245  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 816, stellt treffend fest, die Sittenwidrigkeit werde „zum eigentlichen haftungsbegründenden Element“. 246  BGH, Urt. v. 14.4.1954 – VI ZR 107/52, BeckRS 1954, 31370904. 247  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189 (die erfor­ derliche „verständige Würdigung“ betrifft hingegen die Frage einer Substitution durch Vorwerf­ barkeit, zu dieser unten IV.). 248  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 249  BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1936. 250 Auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 831, hält (betreffend die außergerichtliche Geltend­ machung) fest, hinsichtlich §  280 und §  826 BGB komme letztlich derselbe Haftungsmaßstab (Evidenzkontrolle) zur Anwendung.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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sichtlich einer Haftung aus §  678 BGB erfährt.251 Auch in der jüngeren Rechtspre­ chung des BGH zur vertraglichen Haftung tritt die Linie offen zutage. Das Grund­ satzurteil des VIII. Zivilsenats von 2008 erlaubte die Geltendmachung von Ge­ währleistungsrechten auch bei Ungewissheit über den Mangel.252 Spätestens die Entscheidung des V. Zivilsenats von 2009 sprach deutlich einen entsprechenden Schutz für den in rechtlicher Hinsicht unsicheren Anspruchsteller aus.253 Die Haf­ tungsfreistellung nach Einnahme eines vertretbaren Rechtsstandpunkts bei un­ klarer Rechtslage254 wird in Rechtsprechung und Literatur vielfach aufgegriffen.255 Der Ansatz einer Plausibilitätskontrolle wird explizit auch auf rechtliche Fragen bezogen.256 Man dürfe sich auf Basis einer vertretbaren rechtlichen Beurteilung eines Anspruchs berühmen, selbst wenn die Rechtslage ungewiss sei.257 Es bleibe Anspruchstellern unbenommen, sich auf juristische Mindermeinungen zu stüt­ zen.258 Eine Haftung wird erst dort bejaht, wo die Rechtslage einem Anspruch „offenkundig“ entgegenstand.259 2. Eigener Begründungsansatz Jedenfalls im Grundsatz besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass demjenigen, der ein Verfahren zur Klärung seiner Berechtigung initiiert, rechtliche Zweifel haf­ tungsrechtlich nicht zum Nachteil gereichen sollen. Auf die Defizite der vorherr­ 251 

Siehe dazu oben B. I. 3. m.N. in Fn.  144. BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13. 253  Zum einen bezog sie sich gerade auf die Ausführungen von Haertlein, MDR 2009, 1, 2–3, zu Rechtszweifeln (BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20). Zum anderen bildete im Sachverhalt eine zweifelhafte Auslegungsfrage den Anlass für die Ungewissheit (a. a. O., 1264 Rn.  26; zur Einordnung von Auslegungszweifeln als Rechts­ zweifel siehe §  18 C. III. 2.). Deutsch, VersR 2010, 493, 494, erblickt in der Entscheidung ebenfalls eindeutig eine Aussage zum Rechtsirrtum; so wohl auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 521. 254  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  26. 255  BGH, Urt. v. 11.5.2012 − V ZR 189/11, NJW-RR 2012, 1036, 1039 Rn.  23; BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013, 1028, 1032 Rn.  6 4; OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2011 – I-5 U 135/11, Rn.  10, juris; OLG München, Urt. v. 9.9.2019 – 21 U 1216/19, BeckRS 2019, 23400 Rn.  19; OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.11.2019 – 4 U 3/19, NZI 2020, 120, 123 Rn.  35; LSG Sachsen, Urt. v. 5.5.2010 – L 1 KR 29/08, Rn.  20, juris; LG München I, Urt. v. 26.10.2018 – 37 O 10335/15, ZVer­ triebsR 2019, 34, 44 Rn.  101; zuvor bereits LG Kempten, Urt. v. 10.5.2006 – 5 S 266/06, NJW-RR 2006, 1534; siehe auch Haertlein, MDR 2009, 1, 2; Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 256  OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.5.2019 – 5 U 75/18, VersR 2019, 1038, 1042; LG München I, Urt. v. 26.10.2018 – 37 O 10335/15, ZVertriebsR 2019, 34, 44 Rn.  100; LG Potsdam, Urt. v. 20.3.­ 2019 – 6 O 203/17, VersR 2019, 1205, 1209; AG Mannheim, Urt. v. 9.4.2013 – 2 C 220/12, Rn.  56–57, juris; siehe auch Dauner-Lieb, in: NK-BGB, §  276 Rn.  15a; ähnlich Schwarze, in: Staudinger, §  280 Rn. D 26. 257  BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31–32; vergleiche auch OLG Köln, Beschl. v. 20.8.2012 – 19 U 51/12, Rn.  23, juris (Kündigung). 258  AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264; zustimmend Stritter, ZErb 2015, 264, 265. 259  LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390; ähnlich Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 105; auch OLG Nürnberg, Urt. v. 9.7.2020 – 8 U 49/20, NJOZ 2020, 1362, 1365 Rn.  47 („nicht auf den ersten Blick eindeutig“). 252 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

schenden Begründungsansätze ist indes oben bereits eingegangen worden.260 Der Ansatz des BGH, die prozessuale Inanspruchnahme zu privilegieren, ist schon für sich betrachtet nicht stichhaltig.261 Jedenfalls vermag er nicht die (tatsächlich prak­ tizierte) Großzügigkeit mit Blick auf die außergerichtliche Inanspruchnahme zu erklären. Einen vollends befriedigenden Ansatz liefert aber auch die Literatur bis­ lang nicht.262 Insbesondere greift es zu kurz, schlicht darauf zu verweisen, dass im Streit jede Partei für die Wahrung der eigenen Belange verantwortlich sei.263 Ohne weitere argumentative Stütze lässt sich diese Abweichung vom sonstigen Haftungs­ recht nicht rechtfertigen, möchte man nicht das Schädigungspotenzial der unbe­ rechtigten Rechtsverfolgung und die Interessen des Gegners ausblenden.264 Ebenso wenig zu überzeugen vermag die konkret auf Rechtsirrtümer gemünzte Behauptung, eine Haftung des in rechtlicher Hinsicht irrenden Anspruchstellers pervertiere den Satz „iura novit curia“, weil die zutreffende rechtliche Bewertung nicht dem Einzelnen, sondern dem Gericht obliege.265 Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass „durch das Hinzutreten der richterlichen Prüfung“ die Gefahr von Schäden beim Anspruchsgegner sinke.266 Eine Ersatzhaftung würde aber gerade an die unberechtigte Klageerhebung (oder gar an eine vorgerichtliche Geltendma­ chung) anknüpfen. In diesem Stadium entfaltet die gerichtliche Rechtsprüfung noch keinen Einfluss.267 Der Verweis auf den Grundsatz „iura novit curia“ ver­ fängt, wenn überhaupt, als Grund für eine Privilegierung innerprozessualen Ver­ haltens des Irrenden.268 a) Komplementäre Ausgestaltung zum Verjährungsrecht Eine tragfähige Begründung für die großzügige Behandlung der Anspruchsgel­ tendmachung trotz rechtlicher Zweifel ergibt sich nach hier vertretener Auffassung gleichsam komplementär aus den zum Verjährungsbeginn erarbeiteten Grundsät­ 260 

Siehe oben I. 2. b). Siehe oben I. 1. 262  Treffend hat schon Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  325, konstatiert, die konfligierenden An­ sätze erschienen von ihrem jeweiligen Ausgangspunkt her folgerichtig, ohne jedoch die gegneri­ schen Argumente ausräumen zu können. 263  In diese Richtung aber Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  73, der sich allerdings a. a. O., S.  97–102, selbst gegen eine pauschale Privilegierung ausspricht; vergleiche auch Haertlein, Exe­ kutionsintervention, S.  520–522 (wenngleich a. a. O., S.  520–521, deutlich abgrenzend von einem Recht auf Irrtum, das auch nach seiner Auffassung nicht anzuerkennen sein soll); Seidl, An­ spruchsberühmung, S.  11; Anklänge möglicherweise auch bei BGH, Beschl. v. 12.8.2004 – I ZR 98/02, NJW 2004, 3322, 3323. Siehe unten IV. 2. b) zu den Nachteilen einer rigiden Verneinung jeder Einstandspflicht bei Rechtsirrtümern. 264 Treffend Thole, AcP 209 (2009), 498, 525. 265 So Sturm, JR 1972, 43, 44; dem folgend K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  201–202. 266  So der Hinweis Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  103–104 (Herv. im Orig.). 267  Zutreffend schon (allgemeiner) Baur, JZ 1962, 95, 96; ähnlich Haertlein, Exekutionsinter­ vention, S.  377; siehe auch oben I. 2. b) Fn.  201. 268  Darauf bezieht sich auch Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  319, auf den K.-J. Götz, Ersatz­ ansprüche, S.  201–202 Fn.  162, verweist. 261 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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zen:269 Bereits im Wortlaut von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ist angelegt, dass die Verjäh­ rung auch dann zu laufen beginnt, wenn Zweifel an der Anspruchsberechtigung bestehen. Die Zumutbarkeitsprüfung sorgt für eine Entlastung vom Verjährungs­ risiko nur dort, wo eine Rechtsverfolgung aus Sicht eines Rechtskundigen prak­ tisch aussichtslos erscheint. Das Verjährungsrecht bewegt den potenziellen An­ spruchsinhaber also bei objektiver Ungewissheit zur Geltendmachung. Es mutete paradox an, wollte ihn die Rechtsordnung an anderer Stelle für eben diese Aktivität sanktionieren. Die Schadensersatzandrohung hielte ihn dann möglicherweise von einer Geltendmachung ab. Anschließend würde ihm das Verjährungsrecht unter Verweis auf ebendiese Inaktivität den Anspruch endgültig nehmen.270 Mit dieser Beobachtung lässt sich das Unzumutbarkeitsargument 271 präzisieren, auf das ver­ breitet für eine Haftungsprivilegierung des Putativgläubigers zurückgegriffen wird. Der potenzielle Gläubiger geriete in eine „Zwickmühle“, deren Vermeidung auch in anderem Zusammenhang als Motiv für eine Haftungsprivilegierung des zweifelnden Anspruchstellers angeführt wird.272 Im Schrifttum wird dieser Zu­ sammenhang gestreift, wenn darauf verwiesen wird, dass eine strenge Schadens­ ersatzhaftung den Inhaber zum Verzicht auf sein Recht nötigen könne.273 Verein­ zelt wird gar explizit eine Verbindung zum Verjährungsrecht hergestellt. Dabei wird indes die Milde gegenüber dem Putativgläubiger als Argument für eine stren­ ge verjährungsrechtliche Behandlung angeführt.274 Dies kehrt den im Grundsatz zutreffend erfassten Zusammenhang um. Die „Ableitungsrichtung“ ist aber nicht etwa beliebig – Verjährungsdruck und haftungsrechtliches Privileg verhalten sich nicht zueinander wie Henne und Ei. Die deutliche gesetzliche Wertung enthält §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB mit seinem Verzicht auf das Recht als Erkenntnisgegen­ stand. Diese Richtungsentscheidung ist sodann bei der Haftung wegen unberech­ tigter Anspruchsgeltendmachung zu spiegeln. Die Perspektive lässt sich erweitern: Es geht um mehr als nur das persönliche Dilemma, in das der einzelne Gläubiger gerät. Potenzielle Anspruchsinhaber müss­ ten die Schadensersatzverpflichtung im Unterliegensfall bei der Entscheidung über 269  Dazu oben §  7 C. II. Wenn LG Düsseldorf, Beschl. v. 5.6.2015 – 8 T 2/15, Rn.  69, juris, die Haftungsprivilegierung im dort entschiedenen Fall ebenfalls „spiegelbildlich“ aus dem Verjäh­ rungsrecht ableitet, ist das anders gemeint. Dort wird aus der verjährungsrechtlichen Unzumut­ barkeit der Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs des Putativschuldners auf eine feh­ lende Ersatzpflicht des Putativgläubigers für die unberechtigte Geltendmachung geschlossen. Das ist richtig, aber unproblematisch, siehe unten 3. b) bb). 270  Zumindest faktisch, siehe oben §  7 C. I. 3. c) aa) mit Fn.  359. 271  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 16.1.­2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20; OLG Köln, Urt. v. 31.5.­ 1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1292; vergleiche etwa auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, §  4 Rn.  4.166. 272  Siehe oben B. I. 3. mit Fn.  137. 273 In diese Richtung v.  a. K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  119–120; Henckel, Prozeßrecht, S.  303; in allgemeinerem Zusammenhang auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  75; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  111. 274  Harnos, WM 2015, 1658, 1660.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

eine Geltendmachung als weiteres Risiko einkalkulieren. Die damit einhergehende abschreckende Wirkung wurde schon früh identifiziert.275 Sie tangiert das Allge­ meininteresse. Die verjährungsrechtliche Unbeachtlichkeit von Rechtszweifeln wurde oben auch damit erklärt, dass sie potenzielle Gläubiger dazu motiviere, die Rechtsklärung zu betreiben, und so einem Erstarren der Rechtsordnung vorbeu­ ge.276 Käme es nicht zur Geltendmachung, blieben viele Rechtsfragen vorerst un­ geklärt. Bis dahin würde Rechtsunsicherheit herrschen. Die Änderung einer als überholt erkannten Rechtsprechung wäre nicht möglich. Die haftungsrechtliche Nachsicht gegenüber dem zweifelnden Anspruchsteller wirkt nun mit gleicher Stoßrichtung wie die verjährungsrechtliche Strenge dem Erstarren der Rechtsord­ nung entgegen. Dieser Zusammenhang wird auch in der Literatur zur unberechtig­ ten Rechtsverfolgung mitunter zutreffend erkannt: Eine vollumfängliche Zuwei­ sung der Risiken zum Verfahrensinitiator hindere die Rechtsklärung und -fortbil­ dung.277 Die Berufung auf eine plausible Mindermeinung zu gestatten, wirke sich hingegen zugunsten der Rechtsfortbildung aus.278 Nur die klägerische Initiative in ungeklärten Bereichen ermögliche die Weiterentwicklung der privatrechtlichen Be­ griffe und Wertungen durch die Gerichte.279 Solche Aussagen konkretisieren den allgemein formulierten Hinweis auf die Bedeutung einer Haftungsfreiheit qua Rechtsirrtums für die „Dynamisierung“ der Rechtsordnung.280 Jedenfalls unter diesem Blickwinkel ist dem vom BGH für eine Haftungsprivilegierung angeführ­ ten Argument, an der Zugänglichkeit der Rechtspflegeverfahren bestehe ein erheb­ liches öffentliches Interesse, 281 beizupflichten. Auch lässt sich möglicherweise dem oben kritisierten Verweis auf den Grundsatz „iura novit curia“282 auf diesem Weg 275  Blomeyer, Schadensersatzansprüche, S.  45 („Damoklesschwert“); Häsemeyer, Schadenshaf­ tung, insb. S.  143–145; Hopt, Schadensersatz, S.  161; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  300; Stolz, Rechtsschutz, S.  110; Sturm, JR 1972, 43, 44; Zeiss, NJW 1967, 703, 703. Dem wird vereinzelt ent­ gegengehalten, es mangele an handfesten empirischen Belegen, siehe v. a. K.-J. Götz, Ersatzan­ sprüche, S.  97–101 m. w. N.; explizit dagegen Derkum, Folgen, S.  51–52. Auch Götz akzeptiert aber letztlich die naheliegende Einsicht, dass zu starke Haftungsrisiken von einer Rechtsverfol­ gung abhalten (siehe a. a. O., S.  153). 276  Siehe oben §  7 C. I. 1. c) dd). 277  Ackermann, in: FS Köhler, S.  1, 10; Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 105; K.-J. Götz, Ersatz­ ansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  254–255 (mit Fn.  1 auf S.  255), 259; Seidl, Anspruchs­ berühmung, S.  16, sieht die „Rechtsgewissheit“ gefährdet; in anderen Zusammenhängen (Schuld­ nerhaftung, Amtshaftung) auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  110–111, 129 i. V. m. 125–126. 278  Stritter, ZErb 2015, 264, 265. 279  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202. Hopt, Schadensersatz, S.  255 Fn.  1, verweist zudem da­ rauf, dass die Literatur häufig erst durch die Rechtsprechung Impulse erhalte. 280  Siehe oben §  5 B. II. 2. unter Verweis auf die Formulierung von Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906–907. 281  Exemplarisch BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  17. Ebenso zustimmen lässt sich insoweit der Diagnose von K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  93, der Widerstreit zwischen Integri­ tätsschutz und Institutionenschutz werde hier zugunsten des Letzteren entschieden; ganz ähnlich Thole, AcP 209 (2009), 498, 505. Ein Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung und Bewährung der Rechtsordnung erkennt auch Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 356, 365, an. 282  Siehe oben 2. (vor a)).

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Sinn verleihen: Erst die Anspruchsgeltendmachung ermöglicht dem Gericht die Klärung von Rechtsfragen, die ihm als eigenständige Aufgabe zugewiesen ist. b) Konsequenzen Der hier verfolgte Ansatz für die Behandlung von Rechtszweifeln führt auf Ebene des Erkenntnisgrades zu Ergebnissen, die dem von der Rechtsprechung eingeräum­ ten „Recht auf Irrtum“ näherstehen als der auf die Einzelfallumstände abstellenden Literaturansicht. aa) Keine Differenzierung nach Schadensarten Für Differenzierungen innerhalb der Privilegierung fehlt die Grundlage. Thole hat in allgemeinerem Kontext zutreffend davor gewarnt, ex post aus der Art der tat­ sächlich entstandenen Schäden den anzulegenden Haftungsmaßstab abzuleiten.283 Mit Blick auf die Attraktivität einer Anspruchsgeltendmachung ist es jedenfalls gleichgültig, worin genau das Haftungsrisiko für den potenziellen Gläubiger be­ gründet liegt. In ihren Ergebnissen ist die vorliegend befürwortete Sichtweise aller­ dings dennoch weitgehend deckungsgleich mit dem von Häsemeyer vertretenen Alternativansatz, der nach zwei Kategorien unterscheidet: Der Gläubiger soll für Durchsetzungsschäden verschuldensunabhängig, für Begleitschäden hingegen nur bei vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung haften.284 Soweit der Gläubiger nur die Klärung seines Anspruchs, nicht aber die Vollstreckung betreibt, liegen auch nach Häsemeyers Ansicht nur Begleitschäden vor.285 Deren Verursachung soll uneinge­ schränkt – also ohne Differenzierungen – privilegiert sein.286 Zumindest auf Ebene des Erkenntnisgrades entspricht dies, wie soeben dargestellt, den hier gefundenen Ergebnissen. Auch Häsemeyers Begründung für die Privilegierung weist im An­ satz Ähnlichkeiten zur vorliegend präferierten Herleitung auf, wenn es heißt, der Gläubiger sei durch die Verweigerungshaltung des Schuldners in das „Dilemma“ der Angreiferstellung gezwungen.287 bb) Mögliche Privilegierung rechtlicher Zweifel gegenüber tatsächlichen Zweifeln Der vorliegend unterbreitete Begründungsvorschlag ist prinzipiell offen für die in Rechtsprechung und Schrifttum mitunter angedeutete mildere Behandlung recht­ licher Zweifel gegenüber tatsächlichen Unsicherheiten.288 Eine solche Bevorzugung 283 

Thole, AcP 209 (2009), 498, 535. Häsemeyer, Schadenshaftung, insb. S.  143–145. 285  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  139. 286  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  144–145. 287 So Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  144; siehe oben a) zum Argument, eine Zwickmühle sei zu vermeiden. 288  Der Hinweis von BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13, die Annahme gewisser Prüfungspflichten widerspreche nicht BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3, da es dort um eine Fehleinschätzung der Rechtslage gegangen sei, ließe sich eventuell so verstehen, dass Rechtsirrtümer noch weiter gehend privilegiert sein sollen 284 Siehe

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

ließe sich als Konsequenz der spiegelbildlichen Diskriminierung des Rechtsirrtums im Verjährungsrecht begreifen. Für eine Haftungsfreistellung bei Zweifeln, die sich auf tatsächliche Umstände beziehen, bedürfte es demnach anderer Begründungen. Solche zu finden, ist nicht Anliegen der vorliegenden Untersuchung. Anzumerken ist lediglich, dass die Schwierigkeiten bei der Trennung zwischen Rechts- und Tat­ sachenirrtümern nicht als Argument gegen eine Differenzierung taugen.289 Das Verjährungsrecht setzt die Unterscheidung voraus und knüpft jeweils unterschied­ liche Folgen an die beiden Irrtumsarten. Dass überdies relevante Besonderheiten von Rechtsirrtümern bestehen, ist schon eingehend dargelegt worden.290 Auch un­ ter dem hier verfolgten Begründungsmodell haltbar erscheint hingegen die Mah­ nung, rechtliche Fehleinschätzungen dürften nicht – anders als Tatsachenirrtü­ mer  – stets entlastend wirken.291 Eine so weitgehende Privilegierung wäre auch durch die Spiegelung des Verjährungsrechts nicht veranlasst, denn dort sorgt die Unzumutbarkeitsausnahme zumindest für eine gewisse Beachtlichkeit von Rechts­ irrtümern. 3. Maßstabsbildung Dem Anspruchsteller darf bei objektiv zweifelhafter Berechtigung grundsätzlich kein Haftungsrisiko erwachsen. Das ist vorstehend begründet worden. Noch nicht präzise herausgearbeitet wurde, wie die „zweifelhafte Lage“ beschaffen sein muss, um den Anspruchsteller entlasten zu können. a) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten Zielte man allein darauf ab, potenziellen Anspruchsinhabern möglichst starke An­ reize für die Klärung rechtlicher Fragen zu setzen, bedürfte es streng genommen überhaupt keiner Begrenzung der Haftungsfreiheit. Nichtsdestotrotz ist für eine Entlastung vorauszusetzen, dass die Rechtsposition des Anspruchstellers immerhin so aussichtsreich war, dass im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO hinreichende Erfolgs­ (so Derkum, Folgen, S.  167; Haertlein, MDR 2009, 1, 1; Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474). K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202, möchte bei rechtlichen Irrtümern, anders als sonst (a. a. O., S.  199), eine Haftung erst bei grober Fahrlässigkeit annehmen; für geringere Anforderungen bei der Prü­ fung von Rechtsfragen (was sich offenbar auf Ebene des Erkenntnisgrades niederschlagen soll: nur „offensichtlich unbegründete Rechtsstandpunkte“ lösen Haftung aus) Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 105. Thole, AcP 209 (2009), 498, 533 Fn.  128, deutet zudem Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548, so, dass diese eine Entlastungswirkung nur für Rechtsirrtümer anerkenne. Das Beispiel von Kaiser, a. a. O., S.  546 (übersehener Zahlungseingang), zeigt allerdings, dass sie Rechtsirrtümer im weiteren Sinne (dazu §  3 B. I.) im Sinn haben dürfte; siehe zudem a. a. O., S.  548: „Fehleinschät­ zung der Rechts- oder Sachlage“. 289  In diese Richtung aber Seidl, Anspruchsberühmung, S.  146; Thole, AcP 209 (2009), 498, 534; vergleiche auch K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  9 0–91. Zur Abgrenzung allgemein §  3 B. 290  Siehe oben §  5. 291 So Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474–475, zu BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13; ähnlich Thole, AcP 209 (2009), 498, 534.

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aussichten bestanden. Eine Orientierung am Prozesskostenhilferecht (bzw. am frü­ heren Armenrecht) war schon im älteren Schrifttum gelegentlich vorgeschlagen worden.292 Der Gedanke ist auch in jüngerer Vergangenheit vereinzelt aufgegriffen worden.293 Dafür spricht bereits, dass auch die Grenze für die verjährungsrechtliche Zumutbarkeit bei den hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne des §  114 ZPO ver­ läuft.294 Die Heranziehung des inversen Maßstabs im Kontext der unberechtigten Anspruchsverfolgung verwirklichte das Gebot der spiegelbildlichen Behandlung:295 Ein potenzieller Gläubiger, gegen den die Regelverjährung mangels zumutbarer rechtlicher Erfolgsaussichten einer Klage noch nicht angelaufen ist, befindet sich nicht in dem für eine Haftungsentlastung streitenden Dilemma. Der Rekurs auf §  114 Abs.  1 ZPO erscheint aber auch bei isolierter Betrachtung der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung geboten. Der Vorschrift lassen sich nämlich normative Leitlinien dafür entnehmen, wann der Gesetzgeber eine Verfah­ renseinleitung trotz unsicherer Rechtslage billigt, obwohl das Verfahren andere be­ lastet.296 Die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nach überzeugender Sichtweise nicht nur dem fiskalischen Interesse, 297 sondern zugleich dem Schutz des prospekti­ ven Prozessgegners, der ansonsten einen eventuellen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem finanziell Bedürftigen ohne Deckung durch die Staatskasse (§  123 ZPO) geltend machen müsste.298 Um eben diesen Konflikt geht es im Kern auch bei der Frage, ob der Initiator seinem Gegner aus dem Verfahren resultierende Schäden zu ersetzen hat. Der Gesetzgeber bringt mit dem Erfordernis der hinreichenden Erfolgsaussichten in §  114 ZPO (in verfassungskonformer Weise299) seine Vorstel­ lung davon zum Ausdruck, ab welchem Punkt der Gesamtnutzen 300 einer Rechts­ schutzgewährung die hierdurch verursachten Kosten typischerweise überwiegt. Allerdings nimmt die Rechtsprechung traditionell den Standpunkt ein, die sach­ lichen Anforderungen des §  114 ZPO bezweckten allein den Schutz der Staatskasse,

292  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  254 mit Fn.  5; Schultz- ­Süchting, Untersuchungen, S.  134–141; im Ansatz bereits Zeiss, NJW 1967, 703, 708, im Zusammenhang mit einer mutwilligen Prozessführung (siehe allerdings auch dessen Skepsis gegenüber dem zitierten Maßstab Hopts bei Zeiss, JZ 1970, 198, 198); skeptisch ebenfalls Becker-Eberhard, Kostenerstat­ tung, S.  105; Stolz, Rechtsschutz, S.  112 Fn.  56. 293  Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248; Derkum, Folgen, S.  231. 294  Siehe oben §  7 C. I. 3. c) bb), II. 1. b). 295  Dazu oben 2. a). 296  Deutlich auch Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  140–141 (wenngleich in den Anforde­ rungen an hinreichende Aussichten – a. a. O., S.  137 – tendenziell zu streng). 297  Siehe dazu nur BVerfG, Beschl. v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 = NJW 1960, 331, 331. 298 Deutlich Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  21; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  11; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  5, 52. Darauf im vorliegenden Kontext hinweisend auch K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; wohl auch Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  136, 139. Siehe aber sogleich noch zur a. A. der Rechtsprechung. 299  Siehe oben §  7 C. I. 3 c) bb) mit Fn.  378. 300  Hier gemeint im weitesten Sinne: Erfasst sind auch die verfassungsrechtlichen Werte, die für einen Zugang zum Gericht streiten.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

der Gegnerschutz sei bloßer Reflex.301 Der BGH hat sich deshalb geweigert, „dem Verwalter einer unzulänglichen Masse konkursspezifisch abzuverlangen, […] Mas­ seansprüche im Kosteninteresse des Gegners nur dann und so weit zu verfolgen, als das Vorgehen i. S. des §  114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet“.302 Selbst wenn man dieser Sichtweise zustimmte, ließe sich der vorgeschlagene Rückgriff auf das Prozesskostenhilferecht hinreichend begründen. Die von §  114 ZPO aufgestell­ ten sachlichen Voraussetzungen sind auch auf Grundlage der vom BGH angenom­ menen Zielrichtung als genereller Ausdruck der gesetzgeberischen Vorstellungen dazu zu deuten, ab welchem Maß an Erfolgsaussichten eine Prozessführung  – auch im öffentlichen Interesse an einer Rechtsklärung und -fortbildung – die Förderung verdient.303 b) Präzisierung des Maßstabs Überträgt man die Anforderungen, die das Prozesskostenhilferecht an hinreichen­ de Erfolgsaussichten stellt, ist eine Haftungsentlastung bei rechtsirrtümlicher Rechtsverfolgung anzunehmen, wenn ein Anspruch zumindest nicht praktisch ausgeschlossen erschien.304 Der schädliche Erkenntnisgrad ist demnach erst bei ne­ gativer Gewissheit erreicht. aa) Vertretbarkeit Für eine Haftungsverschonung ist daher zunächst erforderlich, dass die Rechtsan­ sicht, ein Anspruch bestehe, zumindest vertretbar war.305 Auch die jüngere Recht­ sprechung erhebt zumeist die Vertretbarkeit zur Voraussetzung.306 In der Literatur 301  So BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3188, unter Verweis auf RG, Urt. v. 21.7.1937 – V 35/37, RGZ 155, 218, 222–223. 302  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3188. Aller­ dings versagte der IX. Zivilsenat, a. a. O., 3189, im Rahmen der Prüfung von §  826 BGB eine Ent­ lastung gerade für den Fall, dass eine bemittelte Partei angesichts der geringen Erfolgsaussichten auf die Klage verzichtet hätte. Von diesem Vorgehen wich der VI. Zivilsenat nach einem Zustän­ digkeitswechsel ab, BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935–1936. Auch der dort gewählte Maßstab ist jedoch mit den aus §  114 ZPO folgenden Vorgaben kompatibel. Der Senat betont, es sei um höchstrichterlich unentschiedene Fragen gegangen. Dann sind hinreichende Erfolgsaussichten in der Regel zu bejahen (siehe sogleich noch b) bb)). 303  Siehe dazu §  7 C. I. 3. c) bb); ähnlich Derkum, Folgen, S.  231: Es sei davon auszugehen, „dass der prozessuale Gesetzgeber zumindest im Regelfall keine haftungsrechtlich vorwerfbaren Rechtsverfolgungen zu fördern gedenkt“. 304  Siehe oben §  7 C. II. 2.; so im Ergebnis auch Derkum, Folgen, S.  230: Haftung „grundsätz­ lich erst im Falle der völligen inhaltlichen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung“. 305  So zum Prozesskostenhilferecht: BGH, Beschl. v. 14.12.1993 – VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160, 1161 m. w. N.; Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  22; Dunkhase, in: Baumbach/Lauterbach, §  114 Rn.  80; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  87 Rn.  32; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  22, 24; Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  60. 306  So bei BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  26; BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31; BGH, Urt. v. 11.5.­ 2012 − V ZR 189/11, NJW-RR 2012, 1036, 1039 Rn.  23; BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJWRR 2013, 1028, 1032 Rn.  6 4; OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2011 – I-5 U 135/11, Rn.  10, juris; OLG

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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geschah dies schon früher.307 Im Zusammenhang mit §  826 BGB hat der BGH zu Recht eine Haftung abgelehnt, wenn eine rechtliche Beurteilung zugunsten des Verfahrensinitiators zwar ferner lag als eine abschlägige Entscheidung, aber zumin­ dest ernstlich in Betracht gezogen werden konnte.308 Ein zutreffendes Verständnis tritt auch in instanzgerichtlichen Formulierungen zutage, nach denen die Privile­ gierung nur dann ausgeschlossen sei, wenn eine Berechtigung objektiv sicher bzw. offenkundig ausscheide.309 Akzeptabel erscheint es unter dieser Prämisse beispiels­ weise, eine Haftung desjenigen zu bejahen, der wegen einer vermeintlichen Zei­ chenbenutzung im geschäftlichen Verkehr (§  14 Abs.  2 MarkenG) eine Abmahnung ausgesprochen hat, obwohl nach den bekannten Tatsachen „keinerlei tragfähige Grundlage für die Annahme, der [Abgemahnte] habe im geschäftlichen Verkehr gehandelt“, bestand.310 Auch aus der Eindeutigkeit einer für den Streit entscheiden­ den Vertragsklausel kann die Haftung abgeleitet werden.311 Wo demgegenüber auch eine für den Anspruchsteller günstige Auslegung in Betracht kommt, ist dieser ent­ lastet.312 An dieser Stelle kann auch zugunsten des Anspruchstellers Berücksichtigung finden, dass ihm zuvor von einem Instanzgericht oder einer mit der betroffenen Rechtsfrage befassten Behörde attestiert worden ist, er sei im Recht. Der Umstand, dass ein Gericht oder eine Behörde sich die Auffassung zu eigen gemacht hat, dürf­ te immerhin indiziell für deren Vertretbarkeit sprechen.313 Insoweit erscheint es nachvollziehbar, wenn auf eine Ähnlichkeit zur sogenannten Kollegialgerichts­ richtlinie aus dem Amtshaftungsrecht verwiesen wird.314 Nach dieser ist eine schuldhafte Amtspflichtverletzung eines Beamten zu verneinen, wenn auch ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht aufgrund sorgfältiger Sach­ verhaltsfeststellung und erschöpfender Würdigung die betroffene Amtstätigkeit für rechtmäßig erachtet hat.315 Allerdings spricht vorliegend nichts dagegen, auch in der Entscheidung eines Einzelrichters ein Indiz dafür zu sehen, dass die Auffas­ sung des Putativgläubigers vertretbar war. Vor dem beschriebenen Hintergrund ist Saarbrücken, Urt. v. 7.11.2019 – 4 U 3/19, NZI 2020, 120, 123 Rn.  35; LG Karlsruhe, Urt. v. 12.9.­ 2012 – 1 S 70/12, NJW-RR 2013, 109, 111; siehe bereits 1. 307  So bei K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  253. 308  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 309  OLG Köln, Beschl. v. 20.8.2012 – 19 U 51/12, Rn.  23, juris (betreffend Kündigung); LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390. 310  OLG München, Beschl. v. 8.1.2008 – 29 W 2738/07, GRUR-RR 2008, 461, 463 – Gegen­ abmahnungskosten. 311  So bei LG Tübingen, Urt. v. 2.8.2019 − 4 O 475/18, BeckRS 2019, 18949, Rn.  47–48. 312  OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.11.2019 – 4 U 3/19, NZI 2020, 120, 123 Rn.  35; LG München I, Urt. v. 26.10.2018 – 37 O 10335/15, ZVertriebsR 2019, 34, 44 Rn.  101. 313  Vergleiche allgemein auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  113. 314 So Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248; im Anschluss auch Jordans/Müller-Sartori, MDR 2009, 779, 781. Beachte allerdings zu den Grenzen des Rückgriffs auf die Kollegialgerichtslinie in der Rechtsirrtumslehre unten §  11 C. III. 3. b). 315  Beispielsweise BGH, Urt. v. 29.5.1958 – III ZR 38/57, BGHZ 27, 338 = NJW 1959, 35, 37; BGH, Urt. v. 9.9.2020 – III ZR 245/18, MDR 2020, 1375, 1375–1376 Rn.  17 m. w. N.; Papier/­ Shirvani, in: MüKo-BGB, §  839 Rn.  348 m. w. N.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

jedenfalls nachvollziehbar, dass in der Rechtsprechung ein Verschulden des Ver­ warnenden gelegentlich unter Verweis darauf abgelehnt wurde, dass das Landge­ richt noch zu dessen Gunsten befunden hatte.316 Auch in der jüngeren obergericht­ lichen Judikatur finden sich ähnliche Bewertungen.317 Die BGH-Rechtsprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung hat in vergleichbarer Weise berück­ sichtigt, dass das Patentamt in einem Zwischenbescheid zu einer gläubigerfreund­ lichen Rechtsauffassung gelangt war.318 An der Indizwirkung für die Vertretbarkeit der Rechtsansicht kann es dabei nichts ändern, wenn die anspruchsfreundliche Entscheidung erst nach dem schädigenden Verhalten gefällt wurde: Es geht nämlich nicht um eine „Frage des berechtigten Vertrauens, sondern der intellektuellen Plau­ sibilität“.319 Das entscheidende Gericht kann daher zugunsten des Anspruchstel­ lers ebenfalls in Rechnung stellen, dass es selbst erst nach eingehenden Überlegun­ gen zur negativen Rechtsauffassung gelangt ist.320 In Anbetracht der vorstehend entwickelten Maßstäbe sind Vorbehalte anzumel­ den gegen die zum Teil artikulierte Linie, nach der eine Entlastung offenbar vor­ aussetzen soll, dass die Rechtslage schwierig321 bzw. in besonderem Maße un­ klar322 ist. Der BGH begibt sich damit in bedenkliche Nähe zu der Formel, auf die im Kontext der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit verbreitet zurückgegrif­ fen wird.323 Der Erkenntnisgrad bei der irrtümlichen Anspruchsverfolgung ist aber komplementär zu jenem Maßstab auszugestalten.324 Die zu beurteilende Rechtslage braucht demnach nicht besonders verwickelt zu sein. Ihre Prüfung darf lediglich kein klares anspruchsverneinendes Ergebnis zutage fördern. Nur soweit sie (lediglich) auf diesen Umstand abzielen,325 sind die entsprechenden Anforde­ rungen der Rechtsprechung akzeptabel. Das gilt in ähnlicher Weise für die Forde­ rung, nur bei „wirklich zweifelhafter, unkalkulierbarer Rechtslage“ eine Entlas­ 316  RG, Urt. v. 10.1.1919 – II 220/18, RGZ 94, 271, 276; BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; zustimmend Altmeppen, ZIP 1996, 168, 171 („man darf sich grundsätzlich darauf verlassen, daß ein staatliches Gericht im Hauptsacheverfahren einer […] Klage […] nur dann stattgeben wird, wenn der Standpunkt des Klägers […] als vertretbar […] erscheint“). Zur Bedeutung im Rahmen der Vorwerfbarkeitsprü­ fung siehe IV. 6. d). 317  OLG Brandenburg, Urt. v. 1.2.2012 – 4 U 93/10, Rn.  109, juris; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.8.­2014 – 2 U 2/14, NJW 2015, 418, 421 Rn.  55; OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2014 – 5 U 45/13, Rn.  86, juris (zum unberechtigten Rücktritt). 318  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf (eine Ersatzpflicht ist freilich abhängig davon, welcher Erkenntnisgrad schadet, siehe dazu ausführlich unten 4. b) cc).) 319  So – allgemein – J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  113; ähnlich Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 933. 320  So bei AG Bühl, Urt. v. 1.2.2012 − 3 C 148/09, NJW-RR 2012, 1166, 1168. 321  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  26. 322  So BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31. 323  Zur entsprechenden Kritik siehe oben §  7 C. II. 2. c) bb). 324  Siehe oben 2. a). 325  BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31, betont zugleich die Ungewissheit der Gesetzesauslegung „mangels höchstrichterlicher Leitentscheidungen“. Dieser Maßstab ist zutreffend gewählt, siehe sogleich bb).

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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tung anzunehmen.326 Die im gleichen Beitrag an anderer Stelle zu findende Formu­ lierung „bei unsicherer und nicht eindeutiger Rechtslage“327 trifft den Maßstab besser. Vorsicht geboten ist schließlich auch vor der durch den BGH vereinzelt ge­ brauchten Wendung, eine Haftung komme bei „offensichtlich geringen Erfolgsaus­ sichten“ in Betracht.328 Die Formulierung darf nicht den Blick darauf verstellen, dass auf Basis der Wertungen des Prozesskostenhilferechts zumindest keine über­ wiegenden Erfolgsaussichten für eine Entlastung erforderlich sind.329 bb) Kein Entgegenstehen höchstrichterlicher Rechtsprechung Die Vertretbarkeit einer günstigen Rechtsauffassung ist zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der Haftungsprivilegierung. Trotz Vertretbarkeit ist die Schwelle zum Erkenntnisgrad negativer Gewissheit dort überschritten, wo sich der Anspruchsteller mit seiner Rechtsauffassung gegen eine etablierte höchstrich­ terliche Rechtsprechung wendet.330 Dies wird in der Literatur und der unterge­ richtlichen Rechtsprechung mitunter anders beurteilt.331 Unter solchen Umständen ist aber Prozesskostenhilfe regelmäßig zu versagen und droht folglich keine­ (Regel-)Verjährung.332 Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Judikatur steht der Haftungsverschonung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn hinreichende An­ haltspunkte für einen möglichen Rechtsprechungswandel bestehen.333 In diesem Fall ist Prozesskostenhilfe zu gewähren und beginnt die Verjährung.334 Zu einer Haftung führen kann vor diesem Hintergrund insbesondere ein kürz­ lich ergangenes anspruchsfeindliches BGH-Urteil.335 Hingegen gehen Gerichte zu 326 So

Thole, AcP 209 (2009), 498, 539. Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 328  BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189. 329  Siehe oben §  7 C. II. 2. b) (vor aa)) m. w. N. Auch Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248, inter­ pretiert die Rechtsprechung zur unberechtigten Anspruchsgeltendmachung dahingehend, dass keine überwiegenden Erfolgsaussichten vonnöten sind. In diesem Zusammenhang sind die schon bei a) zitierten Bedenken von Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  105, gegenüber einem Re­ kurs auf das frühere Armenrecht beachtlich. Dieses Vorgehen darf nicht (wie etwa in der Ausle­ gung von Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  135) dazu führen, dass mehr als „nur eine geringe Chance für den Prozeßsieg“ (Becker-Eberhard, a. a. O.) gefordert wird. Ein anschauliches Beispiel für die zutreffende Anwendung des Maßstabs liefert AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.1.2008 – 5 C 287/­ 07, Rn.  4, juris, wo dem Anspruchsteller zugute gehalten wird, dass eine entscheidende Rechtsfra­ ge „von der mittlerweile wohl herrschenden Rechtsauffassung zwar bejaht wird, aber in Recht­ sprechung und Rechtsliteratur durchaus nicht einhellig beantwortet wird“; seine Auffassung sei „rechtlich nicht unvertretbar“ gewesen. 330  Dieses Verständnis kommt zutreffend zum Ausdruck bei OLG Naumburg, Urt. v. 11.6.­ 2014  – 1 U 8/14, NJW-RR 2015, 51, 52; im Ergebnis ebenfalls OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.­ 2001  – 7 U 97/00, Rn.  7, juris (Unwirksamkeit der anspruchsbegründenden Vertragsklausel höchstrichterlich längst etabliert), wenngleich bei Rn.  8 ein zu strenger Maßstab angelegt wird. 331  V. a. AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264; ebenfalls in diese Rich­ tung K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  255 Fn.  1, 280. 332  Siehe oben §  7 C. I. 3. d), II. c) aa) m. w. N. 333  Dies meint möglicherweise auch Hopt, Schadensersatz, S.  259. 334  §  7 C. II. c) aa) m. w. N. 335  So die Ausgangslage bei LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390. 327 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Recht von einer Haftungsprivilegierung aus, wenn zu der betroffenen Rechtsfrage im maßgeblichen Zeitpunkt keine höchstrichterliche Judikatur existierte.336 Be­ denklich erscheint hingegen die vereinzelt geäußerte Tendenz, den Putativgläubi­ ger haften zu lassen, wenn seinem Anliegen obergerichtliche Rechtsprechung ent­ gegenstand.337 Ohne Weiteres zutreffend ist dies nur, wenn eine von der ober­ gerichtlichen Sichtweise abweichende Auffassung zugleich unvertretbar ist. Ansonsten ist bei Divergenzen in der Instanzrechtsprechung bzw. Literatur  – vor einer negativen Klärung durch höchstrichterlichen Entscheid – eine Haftung abzu­ lehnen.338 Gänzlich unproblematisch ist die Lage für den Putativgläubiger schließ­ lich, wenn die zur Zeit der Geltendmachung bestehende höchstrichterliche Ent­ scheidungspraxis anspruchsfreundlich ausfiel (und erst später aufgegeben wurde). Letztlich selbstverständlich ist deshalb die Annahme, ein Putativgläubiger dürfe jedenfalls dann ohne Schadensersatzrisiko vorgehen, wenn nach hypothetischer Erfüllung durch den Putativschuldner eine Rückforderungsklage wegen entgegen­ stehender höchstrichterlicher Rechtsprechung verjährungsrechtlich unzumutbar gewesen wäre.339 Diese komplizierte Herleitung besagt nüchtern betrachtet ledig­ lich, dass die Geltendmachung im Einklang mit der damaligen höchstrichterlichen Judikatur erfolgte und deshalb nicht zu einer Haftung führte. Des (grundsätzlich zu befürwortenden) Rückgriffs auf die verjährungsrechtlichen Wertungen hätte es an dieser Stelle nicht bedurft. 4. Reichweite und Grenzen des Maßstabs Die erarbeiteten Leitlinien zum haftungsbegründenden Erkenntnisgrad gelten im Grundsatz für jegliche Initiierung eines Verfahrens, mit dem die Klärung erstrebt wird (dazu a)). Andere Maßstäbe sind insbesondere dann anzulegen, wenn das Vor­ gehen dem Anspruchsteller bereits eine vorzeitige Befriedigung bzw. Sicherung verschaffen soll (dazu b)).

336  So BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1936; BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31–32; OLG Naumburg, Urt. v. 11.6.­ 2014  – 1 U 8/14, NJW-RR 2015, 51, 52; OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.5.2019 – 5 U 75/18, VersR 2019, 1038, 1042; LG Berlin, Urt. v. 22.11.2011 – 7 O 286/10, Rn.  6 4, juris; LG Hamburg, Urt. v. 15.11.­2011 – 316 S 72/10, Rn.  19, juris; siehe auch LG Köln, Urt. v. 29.8.2019 – 15 O 365/18, BeckRS 2019, 20182, Rn.  41 (zu einem Rechtsverteidigungsfall). 337  So KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688 (wohl lediglich terminologisch ungenau). 338  So bei BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31–32; LG Karls­ ruhe, Urt. v. 12.9.2012 – 1 S 70/12, NJW-RR 2013, 109, 111; AG Karlsruhe, Urt. v. 2.10.2012 – 5 C 245/12, Rn.  8 , juris; illustrativ auch OLG Schleswig, Urt. v. 6.10.2016 – 5 U 72/16, BKR 2016, 472, 475 Rn.  52, 54 (zu einer Verteidigungssituation, in der das Gericht aber die gleichen Maßstäbe wie zur Geltendmachung anwendete). 339  LG Düsseldorf, Beschl. v. 5.6.2015 – 8 T 2/15, Rn.  69, juris.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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a) Anwendung des Maßstabs bei auf Rechtsklärung gerichtetem Vorgehen Soweit das Verhalten des möglichen Anspruchsinhabers lediglich auf die Klärung der Rechtslage gerichtet ist, greift die haftungsrechtliche Entlastung. aa) Ansprüche aus Sonderbeziehungen Insbesondere ist grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen der Geltendma­ chung vertraglicher und sonstiger Ansprüche angezeigt. Selbstredend bleibt es den Parteien eines Vertrags unbenommen, abweichende Voraussetzungen für eine vom Haftungsrisiko befreite Geltendmachung zu vereinbaren. In Abwesenheit explizi­ ter Abreden muss allerdings im Regelfall auch die Vertragsauslegung zur Geltung des beschriebenen Zweifelsmaßstabs führen. Der vertragliche Gläubiger unterliegt schließlich ebenso dem verjährungsrechtlichen Zwang zur Geltendmachung, möchte er den möglichen Anspruch nicht aufs Spiel setzen. Auch ihm ist daher in rechtlichen Zweifelsfällen prinzipiell die Inanspruchnahme des Vertragspartners ohne Haftungsrisiken zu eröffnen. Symptomatisch ist es, wenn im Schrifttum be­ tont wird, maßgeblich für die Schadensersatzpflicht sei allein, wem vertraglich das Risiko für die Geltendmachung nicht bestehender Ansprüche zugewiesen sei, die anschließenden Erwägungen aber ausdrücklich auch im Deliktsrecht Anwendung finden sollen.340 Ein solches Vorgehen belegt, dass im Grundsatz ein einheitlicher Maßstab geboten ist. Mitunter trifft man allerdings auf die Mahnung, das Maß der geschuldeten Rücksichtnahme richte sich nach dem jeweiligen Vertragstypus und könne etwa bei Dauerschuldverhältnissen stärker ausgeprägt sein.341 Das sollte nicht missverstan­ den werden. Auswirkungen können sich ergeben, soweit das „Wie“ der erlaubten Geltendmachung betroffen ist. So hat der BGH angedeutet, dass es der Vertrags­ zweck oder eine besondere Vertrauensbeziehung gebieten könnten, vor der Inan­ spruchnahme eines staatlichen Verfahrens zunächst alternative Beilegungsmög­ lichkeiten zu nutzen.342 Auch an gewisse Informationspflichten lässt sich den­ ken.343 Eine Modifizierung des haftungsbegründenden Grades der rechtlichen Erkenntnis ist aber grundsätzlich nicht angezeigt.344 Das Unbehagen, welches eine großzügige Entlastung bei der Geltendmachung unsicherer vertraglicher Ansprüche manchem Betrachter bereitet, speist sich we­ sentlich aus der Fallgruppe der unberechtigten Vertragslösung.345 In einer Los­ 340 So

Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547, 549–550. So etwa Probst, JR 2010, 75, 76; ähnlich K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  138–139; siehe auch, wenngleich zurückhaltend, Derkum, Folgen, S.  188–193 (zur Notwendigkeit einer Vorprüfung, was aber a. a. O., S.  233, entsprechend auf das erforderliche Maß der Erfolgsaussichten übertragen wird). 342  BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316–317; Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  106; Hopt, Schadensersatz, S.  267–269. 343  Dazu später §  17 A. II. 344  Anders für die Anspruchsgeltendmachung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer offenbar Derkum, Folgen, S.  236. 345 Siehe Probst, JR 2010, 75, 76; Weber, DStR 2014, 213, 214. 341 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

sagung vom Vertrag wird aber neben der Geltendmachung nicht bestehender (Rückforderungs-)Ansprüche oftmals zugleich die pflichtwidrige Weigerung, den Vertrag (weiter) zu erfüllen, liegen. Deshalb kann es, wie sich später zeigen wird, doch zu einer Haftung kommen.346 Den angesprochenen Bedenken wird so im Er­ gebnis Rechnung getragen. bb) Außergerichtliche Geltendmachung Auch auf der Stufe des Erkenntnisgrades ist das generelle Postulat zu berücksichti­ gen, wonach die außergerichtliche Geltendmachung und die Klage haftungsrecht­ lich gleichzubehandeln sind.347 Zwar würde eine Privilegierung der Klage prima facie einen starken Anreiz setzen, rechtliche Zweifelsfragen der gerichtlichen Klä­ rung zuzuführen, was dem Allgemeininteresse an der Rechtskonkretisierung und -fortbildung diente. Wie bereits herausgestellt, ist aber auch dem Verjährungsrecht kein solcher „Drang zur Klage“, sondern bloß ein „Drang zur Geltendmachung“ zu entnehmen. Dieser verwandelt sich erst, wenn die vom Gesetz vorrangig ge­ wünschte einvernehmliche Beilegung gescheitert ist, in einen Impuls zur Inan­ spruchnahme der Gerichte.348 Unter den bestehenden Rahmenbedingungen würde eine einseitige haftungsrechtliche Bevorzugung der Klage nicht einmal zuverlässige Anreize für eine gerichtliche Klärung setzen. Sie senkte zwar das für den Fall des Prozessverlustes bestehende Schadensersatzrisiko. Der Verzicht des Gläubigers auf das außergerichtliche Vorgehen hätte aber für den Obsiegensfall zur Folge, dass er regelmäßig mit den Prozesskosten belastet wäre (§  93 ZPO).349 cc) Verteidigung gegen negatives Feststellungsbegehren An dem für den Putativgläubiger vorteilhaften Erkenntnisgrad ist auch dann fest­ zuhalten, wenn anstelle einer aktiven Geltendmachung des Anspruchs bloß die Verteidigung gegen ein negatives Feststellungsbegehren des vermeintlichen Schuld­ ners erfolgt (sofern man ein solches Verhalten überhaupt für potenziell haftungsbe­ gründend hält350). Das entspricht der Handhabung in der jüngeren Rechtsprechung des BGH.351 Allerdings wurde die weitgehende Haftungsverschonung des Putativ­ gläubigers bei rechtlicher Ungewissheit oben wesentlich mit dem Argument be­ 346 

Zum Ganzen später §  15 A. II. 2. b) cc) (2). Siehe oben I. 1. 348  Siehe oben I. 1. b) bb). 349  Siehe auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 517 („Diese Abwägung sollte man dem [Verletzten] besser ersparen.“); ähnlich Derkum, Folgen, S.  104. 350  Nach Ansicht von BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1064 Rn.  30, und BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 = NJW 2013, 2027, 2031 Rn.  45, kann auch die Weigerung, auf die Anspruchsgeltendmachung zu verzichten, eine Haftung aus §  280 Abs.  1 BGB nach sich ziehen (siehe bereits oben A. I.). 351  Die soeben genannten Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31–32; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 = NJW 2013, 2027, 2031 Rn.  46) möchten hier – für die außergerichtliche Weigerung, auf die Geltendmachung zu verzichten – grundsätzlich die allgemeine Linie (Plausibilitätsprüfung) anwenden. Allgemein ge­ 347 

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gründet, er gerate sonst in ein Dilemma, weil das Verjährungsrecht ihn zur An­ spruchsgeltendmachung dränge.352 Misst man der Verteidigung gegen eine negative Feststellungsklage keine verjährungshemmende Wirkung bei,353 ist ein entspre­ chendes (schadensverursachendes354) Verhalten des Gläubigers streng genommen nicht verjährungsrechtlich veranlasst. Dennoch ist es nicht geboten, ihn in dieser Situation schon im Fall einer zweifelhaften Rechtslage für Schäden einstehen zu lassen. Der potenzielle Gläubiger müsste sonst trotz des bereits schwebenden Fest­ stellungsprozesses eine Aktivklage erheben, um ohne erhebliches Haftungsrisiko vorgehen zu können. Eine solche Prozessverdopplung ist unnötig.355 Das Ziel, eine im Allgemeininteresse liegende Rechtsklärung zu erreichen, wird auch dann er­ reicht, wenn sich der potenzielle Anspruchsinhaber gegen eine Feststellungsklage des Gegners zur Wehr setzt. b) Ausnahmen Ausnahmen von der großzügigen Entlastung vermeintlicher Gläubiger ergeben sich teils zwangsläufig aus dem Gesetz (§§  717 Abs.  2, 945 ZPO, §  231 BGB). Diese Bereiche sind im Folgenden näher zu betrachten und auf ihre Konformität mit den bisher entwickelten Begründungsansätzen hin zu überprüfen (aa)–bb)). Ausgestat­ tet mit den so gewonnenen Erkenntnissen lässt sich die praktisch besonders bedeut­ same unberechtigte Schutzrechtsverwarnung auf ihre Privilegierungsbedürftigkeit hin untersuchen (cc)). aa) Zwangsvollstreckung und einstweilige Sicherung Rechtliche Zweifel an der eigenen Anspruchsberechtigung können dem vermeint­ lichen Gläubiger schaden, wenn er die Zwangsvollstreckung bzw. einstweilige Si­ cherung des angeblichen Anspruchs betreibt. (1) Systemkonformität der Haftung nach §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Soweit §§  717 Abs.  2, 945 ZPO greifen, folgt dieses Ergebnis schon aus dem ver­ schuldensunabhängigen Charakter der dort angeordneten Haftung. Die Vorstel­ lungen des Gläubigers hinsichtlich seiner Anspruchsberechtigung sind nach vor­ gen eine Orientierung an der konkreten Parteirolle im Prozess auch Häsemeyer, Schadenshaf­ tung, S.  17–18, 40; Thole, AcP 209 (2009), 498, 524. 352  Siehe oben 2. a). 353  BGH, Urt. v. 15.8.2012 – XII ZR 86/11, NJW 2012, 3633, 3634 Rn.  24–27; so z. B. auch Grothe, in: MüKo-BGB, §  204 Rn.  4 m. w. N.; a. A. insb. Thole, NJW 2013, 1192, 1196 m. w. N. in Fn.  49. 354  Die meisten Schadensposten dürften bereits vor der Verteidigung gegen die negative Fest­ stellungsklage (durch das außergerichtliche „Berühmen“ des Putativgläubigers) verursacht sein. 355  Dies wird in vergleichbarer Weise gegen die Entscheidung des BGH eingewandt, der Ver­ teidigung gegen negative Feststellungsklagen die verjährungshemmende Wirkung abzusprechen (Thole, NJW 2013, 1192, 1196), gilt aber im vorliegenden Zusammenhang erst recht.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

herrschendem Verständnis vollständig irrelevant, zählen also nicht einmal zum vorausgesetzten Erkenntnisgegenstand.356 Die resultierende Haftung des trotz rechtlicher Ungewissheit vorgehenden Voll­ streckungsgläubigers erweist sich als systemkonform. Das Argument, der ver­ meintliche Gläubiger werde durch das Verjährungsrecht zur Aktivität gedrängt,357 trägt nicht, soweit bereits zur Vollstreckung übergegangen wird (also in der von §  717 Abs.  2 ZPO erfassten Situation). An eine Inaktivität im Vollstreckungsstadi­ um knüpft die Rechtsordnung – anders als an den Verzicht auf die Geltendma­ chung  – keine vergleichbaren „anspruchsgefährdenden“ Rechtsfolgen.358 Was den von §  945 ZPO geregelten Fall, die Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes, be­ trifft, ergibt sich zwar eine verjährungshemmende Wirkung aus §  204 Abs.  1 Nr.  9 BGB. Der potenzielle Anspruchsinhaber muss sich aber nicht vom Verjährungs­ recht dazu veranlasst sehen, gerade zum einstweiligen Rechtsschutz zu greifen. Er kann auch ohne diesen besonders intensiven Eingriff die Verjährung hemmen. Man könnte demgegenüber allenfalls auf das Ziel verweisen, im Allgemeininter­ esse Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen zu setzen.359 Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die strenge Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO mittelbare Auswirkungen auf die Anreizlage hat. Ein potenzieller Anspruchsinha­ ber wird schließlich in seine Entscheidung über eine Geltendmachung sinnvoller­ weise auch die Durchsetzungsaussichten einstellen.360 Die bei rechtlicher Unge­ wissheit stets drohende verschuldensunabhängige Haftung verringert die Attrakti­ vität einer frühzeitigen Durchsetzung bzw. Sicherung und erhöht so mittelbar das Durchsetzungsrisiko. Die Rechtsordnung nimmt solche indirekten Auswirkungen aber in Gestalt von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO offenbar in Kauf. Das erscheint vor al­ lem deshalb erträglich, weil die beschriebenen Effekte in der Gesamtschau zumeist gering ausfallen dürften – eine Vollstreckung nach rechtskräftiger Entscheidung ist schließlich nicht mit dem Haftungsrisiko belastet.361 (2) Verallgemeinerung der Wertung aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Dass bei Vollstreckungs- oder Sicherungsmaßnahmen eine Privilegierung von Rechtszweifeln nicht aus Systemgründen erforderlich ist, besagt indes nicht, dass sie nicht gewährt werden dürfte. Die Anordnung der strengen Haftung beruht in­ sofern nicht auf einer abgeleiteten, sondern auf einer eigenständigen Wertung der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO. Dieser zufolge handelt der vollstreckende oder Sicherung

356 

Siehe oben II. 2. Oben 2. a). 358  Im Ansatz ähnlich – aber ohne explizite Verknüpfung mit dem Verjährungsdruck – ­Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  164–165; ferner K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  119–120, 151; siehe auch be­ reits die Differenzierung bei Henckel, Prozeßrecht, S.  303. 359  Dazu wiederum 2. a). 360  Vergleiche allgemein Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 11 Fn.  10. 361  Siehe dazu unten (3) (b). 357 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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erlangende Putativgläubiger auf eigenes Risiko.362 Fraglich ist, ob diese Wertung auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Vorschriften zum Tra­ gen kommt. So ließe sich zumindest erklären, warum eine Entscheidung des BGH363 im Zusammenhang mit der unberechtigten Kündigung eines Pachtvertrags eine Haftung schon bei zweifelhafter Rechtslage angenommen hat. Im betroffenen Sachverhalt stand nämlich nicht eine Schädigung durch die Geltendmachung des Räumungsanspruchs in Rede. Vielmehr ging es um Schäden durch den Vollzug des für vorläufig vollstreckbar erklärten Räumungsurteils.364 Diese sah der BGH nur aus dem Grund nicht als von §  717 Abs.  2 ZPO erfasst an, weil nicht das Urteil auf­ gehoben, sondern übereinstimmend die Erledigung erklärt worden war.365 Abgese­ hen von dieser Besonderheit zählt das betroffene Szenario aber von seinen Charak­ teristika her klar zur Gruppe der unberechtigten Vollstreckung.366 Der BGH hat eine analoge Anwendung von §  717 Abs.  2 ZPO auf diesen Fall nur deshalb ver­ neint, weil die Erledigungserklärung nicht zwingend bedeute, dass der Vollstre­ ckungsgläubiger in der Hauptsache nicht im Recht gewesen sei.367 Doch zumindest, wenn  – wie im vom BGH zu entscheidenden Fall – die Nichtberechtigung des Voll­ streckungsgläubigers gerichtlich festgestellt ist, lässt sich ein Analogieschluss mit guten Gründen erwägen.368 Zumindest ist die Tendenz des §  717 Abs.  2 ZPO, dem durch eine Vollstreckung auf vorläufiger Basis Geschädigten einen weitgehenden Ersatz seiner Schäden zu gewähren, wertend zu berücksichtigen. Dies geschieht, indem man – wie im Ergebnis auch der BGH – eine Haftung des vollstreckenden Putativgläubigers schon dann bejaht, wenn mehr als nur ganz geringe Zweifel an der Berechtigung bestanden. Das Urteil lässt sich somit in das skizzierte System integrieren. Es begründet insbesondere keinen Anlass, die für die Rechtsklärung angemessene Privilegierung zu hinterfragen.369 (3) Mögliche Rückausnahmen Von der haftungsrechtlichen Belastung in Rechtsunsicherheit durchgeführter Voll­ streckungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen könnten Rückausnahmen anzuerkennen sein. (a) Begleitschäden Fraglich ist insbesondere, ob eine Haftung bei Rechtszweifeln auch hinsichtlich solcher Schäden angezeigt ist, die zwar durch die Vollstreckung verursacht werden, 362 

Dazu oben II. 2. a) m.N. BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269. 364  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269. 365  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269. 366  In diese Richtung auch Klinkhammer, NJW 1997, 221, 222. 367  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269 m. w. N. 368 So Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  47; zustimmend Bork/Bothe, ZZP 132 (2019), 71, 89 (m. w. N. a. a. O., 86 Fn.  65). 369  In diese Richtung beruft sich aber Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710–1711, auf das Urteil. 363 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

aber – zumindest aus Sicht des BGH – nicht vom Schutzzweck des §  717 Abs.  2 ZPO erfasst sind.370 Dies muss verneinen, wer Begleitschäden generell als bis zur Vorsatzgrenze haftungsprivilegierte Kategorie ansieht.371 Der BGH hingegen schließt eine Haftung auch unterhalb der Vorsatzschwelle nicht dezidiert aus. Er sieht insoweit lediglich – getreu seiner allgemeinen Linie zum „Klageprivileg“ – die Rechtswidrigkeit nicht als indiziert an.372 Im Übrigen bleibt er vage. Eine Haftung für Begleitschäden komme in Betracht, „wenn dem Gläubiger nach den Umständen der Entschluß zur Zwangsvollstreckung an sich, das heißt unabhängig von der er­ laubten Gefährdung, zum Vorwurf gereichte“.373 Dass es an einer zwingenden Be­ gründung für die (umstrittene374) Aussonderung von Begleitschäden aus dem Be­ reich des §  717 Abs.  2 ZPO fehlt, wurde oben bereits angemerkt.375 Hinzu kommen die Unsicherheiten bei der Kategorisierung einzelner Schadenspositionen.376 Daher sollte man, selbst wenn man §  717 Abs.  2 ZPO nicht für einschlägig halten möchte, in solchen Fällen wenigstens eine strenge Haftung für die materiell unberechtigte Vollstreckung trotz Rechtszweifeln annehmen. (b) Vollstreckung aus rechtskräftiger Entscheidung Vollstreckt der Gläubiger auf der Grundlage eines rechtskräftigen Urteils, ist §  717 Abs.  2 ZPO nicht einschlägig. Zu einem Rechtsirrtum kann es unter den beschrie­ benen Umständen ohnehin nur infolge einer rechtskraftdurchbrechenden Ent­ scheidung kommen, etwa nach einer Überprüfung durch das BVerfG oder einer Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmittelfrist.377 Eine Analogie zu §  717 Abs.  2 ZPO ist hier nicht angezeigt.378 Zu Recht weist der BGH darauf hin, es fehle an einer vergleichbaren „Bestandsunsicherheit“, wenn aufgrund eines endgültigen Titels vollstreckt werde.379 Darin kommt zutreffend die einschneidende Wirkung der Rechtskraft zum Ausdruck.380 Deren Eintritt signalisiert, dass die Phase der Rechtsklärung abgeschlossen ist. Im Verhältnis der Parteien zueinander ist auf Grundlage der rechtskräftigen Entscheidung eine entsprechende Neuzuordnung von Gütern vorzunehmen.381 Die dazu dienende Vollstreckung darf deshalb auch 370 

Siehe dazu bereits II. 2. c). Häsemeyer, Schadenshaftung, insb. S.  142. 372  Die grundlegende Entscheidung dazu (BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352–1353) betraf gerade Vollstreckungsschäden. 373  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 233. 374  Siehe A. I. m.N. 375  Siehe II. 2. c). 376  Insgesamt gegen die Differenzierung K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  154. 377  Vergleiche oben §  8 A. 378 Siehe nur Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §   15 Rn.   51; Pecher, Schadensersatz­ ansprüche, S.  189–190. 379  BGH, Urt. v. 7.7.2016 – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.  53. 380  Dazu bereits §  8 C. I. 2. m. w. N. 381  Rechtskräftige Entscheidungen sind auch aus Sicht des BVerfG während eines laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens zunächst zu befolgen, BVerfG, Beschl. v. 18.1.1996 – 1 BvR 2116/94, BVerfGE 93, 381 = NJW 1996, 1736. 371 

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dann nicht mit einem Haftungsrisiko belastet sein, wenn objektive Zweifel daran bestehen, ob die rechtskräftige Entscheidung – etwa infolge einer angestrengten Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil – dauerhaft Bestand haben wird. Eine sol­ che Haftungsgefahr würde die Rechtskraft entwerten. Deshalb ist in solchen Kon­ stellationen auch mit Blick auf eine mögliche Haftung aus §§  280, 823 BGB eine weitgehende Privilegierung angezeigt.382 (c) Entstehen nachteiliger Umstände nach der Entscheidung Anschließen lässt sich die Frage, ob der Vollstreckungsgläubiger auch dann von einer strengen Haftung befreit ist, wenn Umstände, die zu einem Wegfall bzw. Nichtbestehen seines Anspruchs führen, erst nach Schaffung des Titels eingetreten sind. Von Interesse ist vor allem der Fall, dass der Titelgläubiger von den neuen Umständen zwar erfährt, er aber nachvollziehbare Zweifel daran hegt, ob diese sich rechtlich zulasten seiner Anspruchsberechtigung auswirken, und er anschließend vollstreckt. Keine Schwierigkeiten bestehen, wie soeben gesehen, wenn das zusprechende Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen ist. Dann darf der Gläubiger zur Vollstre­ ckung schreiten, ohne eine Haftung fürchten zu müssen, auch wenn denkbar er­ scheint, dass infolge der neuen Tatsachen eine künftige Vollstreckungsabwehrklage Erfolg haben wird.383 Komplizierter liegen die Dinge, wenn aufgrund eines vor­ läufig vollstreckbaren Urteils vorgegangen wurde. Dann kommt grundsätzlich die Haftung nach §  717 Abs.  2 ZPO in Betracht. Angesichts der Tatbestandsvoraus­ setzungen („aufgehoben oder abgeändert“) scheidet eine Anwendung aber aus, wenn die Vollstreckung infolge einer Vollstreckungsabwehrklage für unzulässig erklärt wurde.384 Darüber hinaus soll nach herrschender Auffassung §  717 Abs.  2 ZPO auch dann nicht anzuwenden sein, wenn das frühere Urteil zwar aufgehoben wird, dies aber aufgrund von neu entstandenen Umständen (im Sinne des §  767 Abs.  2 ZPO) geschieht.385 Bei §  945 ZPO ergibt sich Vergleichbares schon aus der 382 Auch K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  67 (m. w. N.), weist darauf hin, dass bei der Vollstre­ ckung aus einem rechtskräftigen Urteil allenfalls eine Haftung aus §  826 BGB in Betracht komme; im Ergebnis anders Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  41, 121, der mit seinem (die Grenzen des gel­ tenden Rechts sprengenden, siehe unten §  11 C. I. 2.) Konzept einer Streithaftung ab Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage wiederum eine scharfe Haftung des Vollstreckungsgläubigers (Rück­ gewährschuldners) vorsieht. 383  Dazu soeben b). Explizit diesen Fall ansprechend Herget, in: Zöller, §  717 Rn.  5; zustim­ mend LG München I, Urt. v. 26.6.2019 – 1 S 2812/18 WEG, BeckRS 2018, 45365 Rn.  72. Der Verweis von Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  41 (ähnlich S.  125), auf „den bestandskräftigen und deshalb besonders sicheren Titel“ dürfte das Gleiche meinen. 384  Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §   15 Rn.  52; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  17; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  4; Pecher, Schadensersatzansprüche, S.  190. 385  RG, Urt. v. 9.11.1934 – VII 185/34, RGZ 145, 328, 332; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.7.1995  – 11 W 75/95, BeckRS 1996, 1180 Rn.  14; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  10; ­Henckel, Prozeßrecht, S.  268; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  17; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  8; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  14. Die a. A. vertritt heute offenbar nur noch G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  17.

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Voraussetzung, dass sich die Anordnung „als von Anfang an ungerechtfertigt“ er­ weisen muss.386 Für die Rechtsirrtumsproblematik könnte diese Sichtweise zur Folge haben, dass ein Titelgläubiger, obwohl er infolge neuer Tatsachen am Fortbe­ stand seiner Berechtigung zweifelt, ohne Haftungsrisiko aus dem nicht rechtskräf­ tigen Titel vollstrecken dürfte. Er trüge demnach zwar bis zum Eintritt der Rechts­ kraft stets das Risiko, dass ein Gericht höherer Instanz die ursprünglichen Umstän­ de rechtlich anders bewertet, nicht aber das Risiko, dass die Bewertung neuer Umstände zu seinen Lasten ausfällt. Das erschiene wenig konsequent. Man weicht diesem Problem aus, wenn man mit der herrschenden Meinung die Haftung aus §  717 Abs.  2 ZPO nach Aufhebung des Urteils infolge neu entstandener Einwen­ dungen nur bezüglich solcher Vollstreckungshandlungen ausschließt, die schon vor dem Entstehen der Einwendung stattgefunden haben.387 Für die Vollstreckung in Kenntnis der neuen Tatsachen wäre §  717 Abs.  2 ZPO dann nicht gesperrt. (d) Vollstreckung aus nicht rechtskraftfähigen Titeln Eine Privilegierung erfährt der Gläubiger, der trotz Rechtszweifeln an seiner An­ spruchsberechtigung aus sonstigen, nicht rechtskraftfähigen Titeln – insbesondere aus einer notariellen Urkunde (§  794 Abs.  1 Nr.  5 ZPO) oder einem Vergleich im Sinne des §  794 Abs.  1 Nr.  1 ZPO – vollstreckt. §  717 Abs.  2 ZPO greift insoweit nicht.388 Der an seiner Berechtigung zweifelnde Vollstreckungsgläubiger soll auch darüber hinaus nicht nach anderen Anspruchsgrundlagen haften.389 Der BGH stützt dieses Ergebnis, wie üblich, auf den wenig überzeugenden Gedanken der Privilegierung bei Inanspruchnahme staatlicher Verfahren.390 Es lässt sich eine schlüssige Alternativbegründung finden: Der Zwangsvollstreckungsschuldner hat  – in Ausübung seiner Privatautonomie – an der Schaffung des Titels mitge­ wirkt.391 Er hat es dem Titelgläubiger gestattet, zunächst zu vollstrecken, und die Last, Einwendungen vorbringen zu müssen, bewusst übernommen.392 Beim Vorge­ hen aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil ist das anders. 386 

Siehe nur Drescher, in: MüKo-ZPO, §  945 Rn.  13. Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  10; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  10; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  14 m. w. N. in Fn.  69; a. A. aber Henckel, Prozeßrecht, S.  268. 388  Siehe oben A. I. mit Fn.  56. 389 Anders Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  41, auf Grundlage seines (die Grenzen des gelten­ den Rechts überschreitenden, siehe unten §  11 C. I. 2.) Konzepts einer Streithaftung: Den Schuld­ ner treffe zwar die Last der Streitbegründung, sobald diese aber erfolgt sei, komme es zu einer strengen Haftung des Vollstreckungsgläubigers. 390  BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  17 (nicht zum Rechtsirr­ tum). 391  In diese Richtung jeweils Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  53; Lindemann, Haftung, S.  65; Pecher, Schadensersatzansprüche, S.  190; ebenso Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  124–125, der aber wie gesehen (soeben Fn.  389) gleichwohl zu einer strengen Haftung des Voll­ streckungsgläubigers gelangt. 392  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  35, 41, 63, 124, sieht die „Feststellungslast“ (zum Begriff a. a. O., S.  41–42, 110, 125) beim (vermeintlichen) Schuldner; Hau, ZZP 129 (2016), 133, 146–147 387 So

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(4) Abweichungen bei Haftung nach §  717 Abs.  3 ZPO Eine weitere Abweichung von der strengen Haftungsanordnung des §  717 Abs.  2 ZPO ergibt sich aus der Sonderregel für die Vollstreckung von kontradiktorischen Berufungsurteilen in §  717 Abs.  3 ZPO. Satz  3 der Vorschrift verweist auf das Be­ reicherungsrecht. Dabei fingiert §  717 Abs.  3 S.  4 ZPO die Rechtshängigkeit des Er­ stattungsantrags im Zeitpunkt der schuldnerischen Leistung. In der Konsequenz ist der Gläubiger stets wie ein verklagter Empfänger nach §  818 Abs.  4 BGB zu be­ handeln.393 Ob der Gläubiger danach auch für Vorenthaltungsschäden nach §§  280, 281 BGB (Schadensersatz anstelle der Erstattung) bzw. §§  280, 286 BGB (neben der Erstattung) haftbar ist, ist fraglich.394 Eine Privilegierung gegenüber §  717 Abs.  2 ZPO ginge dadurch nicht verloren, weil anders als dort vorausgesetzt wäre, dass der Erstattungsschuldner (Vollstreckungsgläubiger) die Nichterstattung zu vertre­ ten hat. Insbesondere bliebe Raum für eine Entlastung infolge entschuldbaren Rechtsirrtums.395 Die Anwendbarkeit von §§  280, 281, 286 ff. BGB im speziellen Kontext des §  717 Abs.  3 ZPO lässt sich allerdings nicht losgelöst davon beurteilen, inwiefern diese Anspruchsgrundlagen generell von §  818 Abs.  4 BGB in Bezug ge­ nommen werden. Das ist später im Zusammenhang mit der irrtümlichen An­ spruchsverteidigung durch den Kondiktionsschuldner zu beleuchten.396 Eine ab­ schließende Bewertung ist folglich zurückzustellen.397 (5) Abgrenzung zur Entgegennahme freiwilliger Leistung des Putativschuldners §  717 Abs.  2 S.  1 ZPO erfasst neben dem durch die Vollstreckung verursachten auch denjenigen Schaden, der „durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist“. Der Gläubiger haftet somit gleichermaßen, wenn sich der Schuldner dem Vollstreckungsdruck beugt.398 Außerhalb solcher Leistungen „un­ spricht von einer Verschiebung der „Klagelast“; auch BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  18, streift diesen Gedanken, wenn darauf hingewiesen wird, der Schuldner könne die Einwendung nach §  768 ZPO geltend machen. 393  Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  2 ; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  29; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  11; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  54. Zum anerkannten Zu­ sammenspiel von §  717 Abs.  3 S.  4 ZPO und §  818 Abs.  4 BGB vergleiche etwa BGH, Urt. v. 15.3.­ 2012 − IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717, 1717 Rn.  9. 394 Von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Verzugsvorschriften ausgehend offenbar LAG Hamm, Urt. v. 27.11.1975 − 8 Sa 788/72, NJW 1976, 1119; im Anschluss daran (betreffend §  288 BGB) Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  26; siehe ferner Seiler, in: Thomas/­ Putzo, §  717 Rn.  21. 395  Siehe allgemein Lorenz, in: Staudinger, §  818 Rn.  51; Sprau, in: Palandt, §  818 Rn.  5 4. LAG Hamm, Urt. v. 27.11.1975 − 8 Sa 788/72, NJW 1976, 1119, nimmt gerade im Zusammenhang mit §  717 Abs.  3 ZPO eine solche Entschuldigung an. 396  Siehe unten §  11 C. II. 6. c). 397  Unten §  15 A. II. 2. d). 398  BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, BGHZ 131, 233 = NJW 1996, 397, 397–398; BGH, Urt. v. 16.12.2010 – Xa ZR 66/10, NJW-RR 2011, 338, 340 Rn.  19 – Steroidbeladene Körner; G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  15; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  7 (dort jeweils auch zur Präzisierung dieses Begriffs).

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

ter Druck“ ist §  717 Abs.  2 ZPO hingegen nicht einschlägig. Erleidet der vermeint­ liche Schuldner Schäden dadurch, dass er sich dem Leistungsbegehren des An­ spruchstellers freiwillig beugt, ist demnach der Weg frei für eine haftungsentlasten­ de Berücksichtigung von Rechtsirrtümern des Putativgläubigers. Von Interesse ist hier, ab welchem Grad an Rechtserkenntnis der Vollstreckungsgläubiger haftet. Für eine Einstandspflicht schon bei rechtlicher Ungewissheit ließe sich anführen, der Gläubiger erlange durch die freiwillige Leistung in gleicher Weise wie durch eine Vollstreckung Zugriff auf die umstrittene Rechtsposition. Man wird indes den Gegenschluss aus §  717 ZPO nicht ignorieren dürfen. Die Vorschrift belegt in Ab­ satz  2 neben der Vollstreckung zugleich die „Druckleistung“ mit der strengen Haf­ tung und entwickelt mit Absatz  3 ein abgestuftes Haftungssystem.399 Sie lässt sich demnach als umfassende Regelung zum Interessenausgleich zwischen Vollstre­ ckungsgläubiger und -schuldner nach Ergehen einer für den Gläubiger positiven Entscheidung verstehen. Schäden im Zusammenhang mit einer freiwilligen Leis­ tung weist §  717 Abs.  2 ZPO somit konkludent dem eigenen Verantwortungs­ bereich des Schuldners zu.400 Der (vermeintliche) Gläubiger haftet allenfalls für die ursprüngliche Geltendmachung seines Anspruchs. Insoweit kommt aber die Privi­ legierung im Fall von rechtlichen Zweifeln voll zum Tragen. Man könnte allerdings erwägen, den beschriebenen Rückschluss aus §  717 ZPO nur für Situationen heranzuziehen, in denen bereits ein vorläufig vollstreckbarer Titel in der Welt ist. Das ließe die Möglichkeit offen, den Putativgläubiger in ande­ ren Fällen strenger für das „Leistenlassen“ in Haftung zu nehmen. Dafür wird an­ geführt, dass der potenzielle Schuldner, solange noch kein Urteil gegen ihn ergan­ gen ist, die Sach- und Rechtslage schwieriger einschätzen könne.401 Das mag stim­ men. Dennoch erscheint der Gegenschluss aus §  717 ZPO hier erst recht angebracht. Eine im Stadium vor einer ersten Gerichtsentscheidung erbrachte Leistung des potenziellen Schuldners dürfte nämlich noch eher als freiwillig zu bezeichnen sein.402 Sie stellt sich in besonders deutlicher Weise als schlichte Folge der (privile­ gierten) Anspruchsgeltendmachung durch den möglichen Gläubiger dar. Man sollte sich zudem vor Augen führen, dass der Anspruchsteller, wenn er, um eine Haftung zu vermeiden, freiwillige Leistungsangebote der Gegenseite zurück­ weisen müsste, in Gläubigerverzug geraten würde.403 Er müsste die negativen Fol­ 399  G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  28. §  717 Abs.  3 ZPO setzt nach herrschender Meinung nicht voraus, dass unter Druck geleistet wurde, siehe BGH, Urt. v. 5.5.2011 − IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 = NJW 2011, 2518, 2520 Rn.  17–19; Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  22 m. w. N. 400  Deutlich etwa Altmeppen, ZIP 1996, 168, 170: Der Schuldner handele bei einer freiwilligen Leistung „nach der Wertung des §  717 Abs.  2 ZPO grundsätzlich auf eigene Gefahr“; im Ergebnis auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  30; vergleiche zudem Haertlein, Exekutionsintervention, S.  260, 264, 270. 401  In diese Richtung offenbar Altmeppen, ZIP 1996, 168, 170 und 171. 402  Folgte man der anderen Ansicht, ergäbe sich zudem eine bedenkliche Tendenz in Richtung einer stärkeren Haftung für die außergerichtliche Geltendmachung; dagegen bereits oben I. 1. 403  Während der BGH bei Leistungen zur Abwehr der Zwangsvollstreckung im Zweifel von

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gen der §§  300 ff. BGB tragen. Die Anordnung einer strengen Haftung für die Ent­ gegennahme einer freiwilligen Leistung würde den Anspruchsteller also in die missliche Lage bringen, zwischen dem Schadensersatzrisiko (bei Annahme der Leistung) und dem Annahmeverzugsrisiko (bei Ablehnung derselben) wählen zu müssen. Eine solche „Zwickmühle“ als Konsequenz der Anspruchsverfolgung er­ scheint auch an dieser Stelle wiederum nicht hinnehmbar.404 Noch augenfälliger wird der beschriebene Konflikt, wo das begehrte Verhalten des Schuldners in ei­ nem Unterlassen besteht. Müsste der potenzielle Gläubiger für den Fall, dass er das freiwillige Nachgeben des in Anspruch Genommenen duldet, eine strikte Haftung fürchten, dürfte er sein Gegenüber zwar risikolos zur Erfüllung des Unterlassungs­ anspruchs auffordern, müsste den Gegner aber zur Vermeidung einer Haftung so­ gleich darum bitten, den Unterlassungsanspruch nicht zu erfüllen. Die Absurdität dessen liegt auf der Hand.405 (6) Abgrenzung zum Zugriff auf bestellte Sicherheiten Zu klären bleibt noch, ob der Putativgläubiger immerhin dann streng haftet (will heißen: schon bei rechtlicher Unsicherheit über die eigene Berechtigung), wenn er im Rahmen seines Leistungsverlangens Sicherheiten in Anspruch nimmt. So hat das OLG Braunschweig eine Haftung desjenigen bejaht, der auf eine für den ver­ meintlichen Anspruch bestellte Bürgschaft zugriff, wodurch dem Putativschuldner ein Zinsschaden entstand.406 Schuldhaft handele, wer seine Interessen trotz zwei­ felhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnehme.407 Rechtfertigen ließe sich diese Strenge nur, wenn man betonte, dass die Inanspruchnahme der Bürg­ schaft bereits eine Befriedigung bzw. Sicherung bedeutete, die eher Assoziationen zu §§  717 Abs.  2, 945 ZPO weckt als zur schlichten Anspruchsgeltendmachung. In dieses Bild würde passen, dass das Gericht für die Anspruchsberühmung im Übri­ gen – also außerhalb der Inanspruchnahme der Bürgschaft – der Sache nach ein „Recht auf Irrtum“ gewähren wollte.408 Bei genauer Betrachtung ist indes eine strenge Haftung auch bezüglich der Gel­ tendmachung des Bürgschaftsanspruchs abzulehnen. Es muss berücksichtigt wer­ den, dass der Putativgläubiger die darin liegende Sicherheit nicht etwa – wie bei §  945 ZPO – durch einseitiges Vorgehen erlangt. Vielmehr hat sich der vermeint­ liche Schuldner zur Beibringung der Bürgschaft verpflichtet. Das Bestehen einer weiter gehenden Sicherung ist in einem solchen Fall Folge dessen privatautonomen einem Vorbehalt ausgehen möchte, ihnen die Erfüllungswirkung abspricht und Annahmeverzug ablehnt, BGH, Urt. v. 15.3.2012 − IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717, 1717 Rn.  7. 404  Zur Vermeidung einer Zwickmühle für den potenziellen Gläubiger siehe bereits oben 2. a). 405  Im Ergebnis ähnlich Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  59: Die Äußerung des Unterlassungs­ begehrens durch den Gläubiger müsse privilegiert sein, denn: „Wie sonst sollen [potenzielle Schutzrechtsinhaber] wohl dem Gegner die für dessen Entscheidung wichtigen Informationen über das Schutzrecht vermitteln?“ 406  Zur Ausgangslage OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  2–5, juris. 407  OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  8 , juris. 408  OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  15–16, juris.

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Entschlusses. Die Ausgangslage gleicht somit derjenigen, die bei der Vollstreckung eines nicht bestehenden Anspruchs aus einer notariellen Urkunde oder einem Pro­ zessvergleich besteht. Dort scheidet eine strenge Haftung ebenfalls aus.409 Der vom OLG Braunschweig angelegte Maßstab ist demnach unrichtig. Das Er­ gebnis im konkreten Fall war dennoch nicht zu beanstanden. Dem geltend gemach­ ten Anspruch hatte evident die BGH-Rechtsprechung entgegengestanden.410 Bei objektiv negativer Gewissheit haftet aber auch der grundsätzliche privilegierte An­ spruchsteller. (7) Zwischenfazit Die Vollstreckung bzw. einstweilige Sicherung eines in rechtlicher Hinsicht zwei­ felhaften Anspruchs bedarf, anders als dessen bloße Geltendmachung, nicht „sys­ tembedingt“ der Privilegierung. Die Schlussfolgerungen aus dem Verjährungsrecht zwingen nicht zu einer Haftungsfreistellung. Umgekehrt ergibt sich aber auch kein systematisches Argument für eine rigide Haftung. Deren Grundlage bildet viel­ mehr die autonome Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO: Wer „voreilig“ vollstreckt bzw. seinen vermeintlichen Anspruch sichert, trägt das Risiko, dass ein später be­ fasstes Gericht zu einer ungünstigeren Rechtseinschätzung gelangt. Erst wenn die Feststellung des Anspruchs in Rechtskraft erwachsen ist, ist eine Vollstreckung ohne erhebliche Haftungsrisiken möglich. Von der Möglichkeit einer nachträgli­ chen Beseitigung der Rechtskraft, etwa infolge einer Verfassungsbeschwerde, muss sich der Gläubiger dann nicht abhalten lassen. Die Entgegennahme freiwilliger Leistungen des Putativschuldners – also solcher, die nicht im Sinne von §  717 Abs.  2 S.  1 ZPO unter Vollstreckungsdruck erfolgen – zieht ebenfalls keine strenge Haf­ tung des Putativgläubigers nach sich. Es handelt sich schlicht um eine Konsequenz der privilegierten Anspruchsgeltendmachung. bb) Rechtsirrtümliche Selbsthilfe, §  2 31 BGB Zu vergleichbaren Konsequenzen wie eine Vollstreckung bzw. einstweilige Siche­ rung führt die außerhalb eines staatlichen Verfahrens geübte („private“) Selbsthilfe (§  229 BGB). Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass sich auch die Haftung bei Irrtümern des Selbsthilfeübenden in ähnlichen Bahnen bewegt. Zwar ist die dogmatische Einordnung der einschlägigen Vorschrift des §  231 BGB umstritten.411 Jedenfalls statuiert sie aber eine verschuldensunabhängige Haftung beim Irrtum über die Rechtfertigung der Selbsthilfe. Selbsthilfe wird stets „auf ei­ 409 

Siehe oben (3) (d). Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  7, juris (siehe oben 3. b) bb)). Dass dennoch nicht für die Schäden infolge der Anspruchsberühmung gehaftet werden soll (a. a. O., Rn.  15–16), dürfte sich dadurch erklären, dass die betroffenen Aufwendungen des Putativschuld­ ners unnötig waren (siehe a. a. O., Rn.  17). Das läuft auf eine Anspruchskürzung wegen einer Mit­ verantwortlichkeit des Geschädigten hinaus (dazu unten V.). 411 Näher Lindemann, Haftung, S.   124–125; Repgen, in: Staudinger, §  231 Rn.  4 m. w. N.; ­Saenger, Rechtsschutz, S.  284. 410  OLG

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gene Gefahr“ geübt.412 Die Parallelen zu §§  717 Abs.  2, 945 ZPO sind evident.413 Anerkannt ist ferner, dass §  231 BGB nicht nur Tatsachen-, sondern auch Rechts­ irrtümer für unbeachtlich erklärt.414 Das wird zwar meist mit Blick auf den „Ver­ botsirrtum“ über die rechtlichen Voraussetzungen zulässiger Selbsthilfe formu­ liert.415 Nichts anderes kann aber für den Rechtsirrtum über das Bestehen des ver­ meintlich zu sichernden Anspruchs gelten,416 denn dieser ist Voraussetzung für das Bestehen der Selbsthilfelage.417 Insoweit ergibt sich ein stimmiges Bild. Die Wer­ tung, dass die Verwirklichung eines vermeintlichen Anspruchs, anders als dessen bloße Geltendmachung, keiner Privilegierung unterliegt, wird untermauert. cc) Schutzrechtsverwarnung und -klage Der Komplex der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung bzw. -klage wird mit­ unter als „Sonderbereich“418 charakterisiert, dessen Beurteilung nicht auf die sons­ tigen Fälle übertragbar sei.419 Es ist nicht das Anliegen der vorliegenden Untersu­ chung, dieses Themenfeld, das selbst hinreichenden Stoff für Monografien bietet,420 im Detail zu inspizieren. Insbesondere soll hier nicht der grundlegenden Frage nachgegangen werden, ob nicht eine auf das UWG gestützte Haftung mit ihren speziellen Maßstäben der Anknüpfung an §  823 Abs.  1 BGB konzeptionell vorzu­ ziehen wäre.421 Es lässt sich allerdings aufzeigen, dass sich auch die Fälle der Schutz­ rechtsverwarnung in weitgehend befriedigender Weise in die entwickelten Haf­ tungsmaßstäbe einpassen ließen. (1) Uneindeutige Linie der Rechtsprechung Die frühe Rechtsprechung des BGH hatte gerade die Verwarnung bei zweifelhafter Rechtslage für haftungsauslösend gehalten.422 Freilich ließ der BGH schon bald ein Bewusstsein dafür erkennen, dass der Verwarnende in aller Regel mit der Möglich­ keit rechne, sein Schutzrecht könne keinen Bestand haben.423 Der Fahrlässigkeits­ vorwurf dürfe sich daher nicht allein auf die allgemeine Möglichkeit einer abwei­ 412  BGH, Urt. v. 6.7.1977 – VIII ZR 277/75, NJW 1977, 1818, 1818; Repgen, in: Staudinger, §  231 Rn.  2; Saenger, Rechtsschutz, S.  283–284. 413  Siehe zur Annahme, der Gläubiger bzw. Antragsteller bei §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO handele auf eigene Gefahr: II. 2. a) m.N. Auf die Verwandtschaft hinweisend auch Häsemeyer, Schadens­ haftung, S.  8 –11; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  12a. 414  BGH, Urt. v. 6.7.1977 – VIII ZR 277/75, NJW 1977, 1818, 1818; Dennhardt, in: BeckOKBGB, §  231 Rn.  2; Lindemann, Haftung, S.  125; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 143 (Fn.  55), 155; Repgen, in: Staudinger, §  231 Rn.  3; Rövekamp, in: BeckOGK, §  231 BGB Rn.  8. 415  Darauf beziehen sich in der Regel die in der vorstehenden Fn. Zitierten. 416 Zutreffend Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  10, 23, 53. 417  Siehe nur Dörner, in: Hk-BGB, §  231 Rn.  2. 418  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352. 419  OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1291. 420  Siehe die Nachweise bei Ullmann, in: FS Büscher, S.  595, 595 Fn.  2. 421  Vergleiche dazu oben A. I. 422  BGH, Urt. v. 15.6.1951 – I ZR 59/50, BGHZ 2, 387 = NJW 1951, 712, 713. 423  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, NJW 1963, 531, 534 – Kindernähmaschinen.

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chenden gerichtlichen Einschätzung stützen, mit der bei Streitigkeiten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes stets zu rechnen sei,424 sondern allenfalls auf Zweifel, die einen „konkreten Beziehungspunkt“ aufwiesen.425 Vor allem in einer Entscheidung aus dem Jahr 1973, die als Abkehr von der früheren restriktiven Rechtsprechung gedeutet wird,426 berücksichtigte der X. Zivilsenat des BGH diese Problematik eingehend.427 In jüngerer Vergangenheit hat der Senat hingegen eine Haftung bejaht, wenn die Rechtslage „Anlass gab, eine Verletzung des Schutz­ rechts […] für zweifelhaft zu halten“.428 Ein noch aktuelleres Urteil des I. Zivil­ senats rekurriert demgegenüber ausdrücklich auf die allgemeine Linie zur unbe­ rechtigten Rechtsverfolgung: Schon eine sorgfältige Plausibilitätsprüfung durch den Schutzrechtsinhaber müsse ihn bei bestehenden rechtlichen Unklarheiten vor einer Haftung bewahren.429 Insgesamt zeichnet die Rechtsprechung zum unberechtigten Vorgehen aus einem vermeintlichen Schutzrecht demnach kein eindeutiges Bild. Die bislang erarbeite­ ten Maßstäbe können zur Klärung beitragen. (2) Grundsätzlich gebotene Privilegierung des Verwarnenden Im Grundsatz muss es auch hier dabei bleiben, dass rechtliche Zweifel, die der Ver­ warnende bzw. Kläger mit Blick auf seine Berechtigung hegt, keine Haftung be­ gründen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Konstellationen, in denen der Her­ steller eines beanstandeten Produkts verwarnt wird, signifikant anders lägen, als sonstige Fälle der unberechtigten Inanspruchnahme.430 Zwar wird angeführt, dass der Verwarnte kein greifbares Objekt in Händen halte, das wenigstens durch Be­ sitzschutz gesichert wäre, und dass er sich deshalb öfter vorauseilend beugen wer­ de.431 Der hiermit angedeutete Zusammenhang erscheint indes zweifelhaft.432 Letztlich kann der Verwarnte ebenso gut wie ein auf Herausgabe in Anspruch Ge­ 424  BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, NJW 1963, 531, 534 – Kindernähmaschinen; Hopt, Schadensersatz, S.  251–252; Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 262. 425  Fortgesetzt in BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte. 426  So BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2162–2163 – Spritzgießmaschine; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  56. 427  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 316–317 – Maschen­ fester Strumpf, hebt hervor, dass die Furcht des Schutzrechtsinhabers vor einer aus seiner Sicht falschen gerichtlichen Entscheidung und der resultierenden Schadensersatzpflicht ihn von der Geltendmachung bestehender Ansprüche abhalten und Letztere damit in bedenklicher Weise ent­ werten könne. 428  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  21 (zur Haftung des Anwalts des Verwarnenden). 429  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  88 – Ballerinaschuh, unter Verweis auf die Entscheidung BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262. 430  Auf Grundlage einer anderen Herangehensweise als hier ebenfalls eine Sonderrolle ableh­ nend Thole, AcP 209 (2009), 498, 536. 431  Henckel, Prozeßrecht, S.  299–300. 432  Ebenfalls kritisch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  59; zweifelnd auch K.-J. Götz, Ersatz­ ansprüche, S.  59.

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nommener das verlangte Verhalten – Unterlassen hier, Herausgabe dort – verwei­ gern. Anstelle einer qualitativen Diskrepanz besteht im Einzelfall allenfalls ein quantitativer Unterschied mit Blick auf das Schadensausmaß.433 Auch bei anderen Rechtsverfolgungsmaßnahmen drohen im Übrigen mitunter hohe Schäden.434 Soll­ ten rechtliche Zweifel in der Konstellation der Schutzrechtsverwarnung besonders häufig vorkommen,435 spräche dies, wenn überhaupt, gar für ein größeres Privile­ gierungsbedürfnis. Auch die vom BGH vorgebrachte Argumentation, es drohe eine Entwertung der Schutzrechte, wenn ihre Ausübung durch Haftungsrisiken unat­ traktiv gemacht werde, ist letztlich identisch mit dem entsprechenden Argument aus der allgemeinen Diskussion.436 Die wenig beneidenswerte Lage, in die ein zu Unrecht Verwarnter gebracht wird, berücksichtigt die Rechtsprechung bereits durch die Annahme eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbe­ betrieb.437 Es besteht kein Bedürfnis dafür, ihm zusätzlich eine besonders vorteil­ hafte Ausgestaltung des Haftungsmaßstabs zuteilwerden zu lassen. Anführen ließe sich allenfalls, dass der vermeintliche Schutzrechtsinhaber mit Blick auf Unterlas­ sungsansprüche wegen fortlaufenden Verletzungsverhaltens keinem relevanten Verjährungsdruck ausgesetzt sei438 und daher das ansonsten bestehende Dilem­ ma439 nicht existiere. Ungeachtet dessen besteht aber das Interesse an der Klärung rechtlicher Zweifelsfragen hier gleichermaßen.440 Auch im Fall der vom BGH erwähnten Zweifel mit konkretem Bezugspunkt muss es deshalb dem Verwarnenden bzw. Kläger grundsätzlich unbenommen blei­ ben, eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen. Eine Schadensersatzpflicht setzt hier, wie sonst auch, voraus, dass die Rechtslage objektiv aussichtslos erschien.441 Insoweit deuten die jüngsten Aussagen des I. Zivilsenats des BGH in die richtige Richtung: die prinzipielle Konvergenz der Maßstäbe für sämtliche Varianten der Anspruchsgeltendmachung.442 433  So schon, wenngleich zu pauschal (nämlich auch die Abnehmerverwarnung [dazu sogleich (3)] erfassend), Hellwig, NJW 1968, 1072, 1074–1075 (bloß ein quantitativer Unterschied zu den übrigen Fällen unberechtigter Inanspruchnahme); ähnlich Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 362. 434 Zutreffend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 170. 435  In diese Richtung BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeer­ leuchte („die – in Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts stets gegebe­ ne  – Möglichkeit, daß das beanspruchte Schutzrecht keinen Bestand haben könnte“). 436  Das wird besonders deutlich beim Rückgriff von BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  88 – Ballerinaschuh, auf BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262. 437  Siehe oben A. I. 438  Siehe dazu allgemein Mes, PatG/GebrMG, §  141 PatG Rn.  6; zur fehlenden Verjährungsge­ fahr bei dauernden Beeinträchtigungen ferner (mit unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen) BGH, Urt. v. 12.6.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24, 27 Rn.  31; Raff, in: MüKo-BGB, §  1004 Rn.  308. 439  Dazu oben 2. b). 440  Dazu ebenfalls 2. b). Daneben tritt hier ggf. noch das Allgemeininteresse an der Funktions­ fähigkeit des Wettbewerbs, vergleiche dazu Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  284–285. 441  Näher oben 3. 442  Siehe BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  88 – Ballerinaschuh.

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(3) Fehlende Privilegierung des Vorgehens gegen Abnehmer Auch das angesprochene Urteil des I. Zivilsenats gelangt allerdings im Ergebnis zu einer Haftung, wenn der Verwarnte nicht von der Berechtigung der Verwarnung überzeugt sein durfte.443 Der betroffene Sachverhalt lieferte allerdings einen Grund für diese Verschärfung. Der Senat hebt selbst hervor, dass es nicht um die Verwar­ nung gegenüber dem Hersteller (dem Mitbewerber), sondern gegenüber dessen Ab­ nehmern ging; hier müssten strengere Anforderungen gelten.444 Dies hat auch die frühere Rechtsprechung bereits erkannt. Neben wettbewerbsrechtlich bzw. -poli­ tisch geprägten Erwägungen445 ist zu bedenken, dass die unberechtigte Abnehmer­ verwarnung regelmäßig besonders negative Auswirkungen für den Hersteller hat: Der verwarnte Abnehmer wird oftmals auf Alternativprodukte ausweichen und sich einem Rechtsstreit mit dem Verwarnenden entziehen.446 Die Abnehmerver­ warnung wirkt im Verhältnis zum Hersteller deshalb gleichsam rechtsverwirkli­ chend.447 Durch den Zugriff auf die Abnehmer werden die Absatzmöglichkeiten des Herstellers verringert, ohne dass dieser selbst entscheiden könnte, ob er seine Rechtsposition für so günstig hält, dass er den Vertrieb des Produkts aufrecht­ erhält.448 Der vermeintliche Schutzrechtsinhaber verleibt sich folglich ohne Zutun des Herstellers wirtschaftliche Vorteile ein, die ihm nur im Fall der Berechtigung zustünden. Zugleich drängt er den Hersteller in eine Position, in der dieser zur Rechtswahrung aktiv werden muss.449 Die gegenüber Abnehmern erfolgte Rechts­ verfolgung ähnelt daher im Verhältnis zum Hersteller der Vollstreckung.450 Für ein 443  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 842 Rn.  92 sowie 841 Rn.  88 a. E.  – Ballerinaschuh. 444  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841–842 Rn.  92–93 – Ballerina­ schuh; ebenso etwa OLG Hamburg, Urt. v. 30.1.2020 – 5 U 6/08, GRUR-RR 2020, 364, 367–368 Rn.  6 4 – siebenmedia. 445  Siehe BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 316 – Maschen­ fester Strumpf; BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3141–3142; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  52–53, 59–60. 446  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3142 – Un­ berechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 842 Rn.  92 – Ballerinaschuh; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1007 Rn.  38; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  49  – Penis­extensionsvorrichtung; in diese Richtung früher bereits BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916, 917 – Brombeerleuchte; Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 263; siehe auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.180d; Teplitzky, GRUR 2005, 9, 12. 447  Dies wird mitunter – zu pauschal – für jegliche Schutzrechtsverwarnung behauptet, betrifft aber das Vorgehen gegen Abnehmer in besonderem Maße, siehe Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  59, gegen Henckel, Prozeßrecht, S.  299–300. 448  Treffend bereits Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 263; siehe auch Häsemeyer, Schadens­ haftung, S.  53–54. 449  Wobei nicht einmal die Erhebung einer negativen Feststellungsklage effektiv den Schadens­ eintritt vermeidet, siehe BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3142 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 450  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  5 4, bezeichnet dies als „sofortigen Zwang mit Hilfe des Marktes“; siehe zudem Henckel, Prozeßrecht, S.  300 („vorweggenommene Rechtsdurchsetzung“); vergleiche auch Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  327.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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solches „selbstexekutierende[s]“451 Vorgehen ist eine Haftungsverschonung bei Rechtszweifeln aber nicht angebracht.452 Damit ist jedoch unmittelbar nur geklärt, warum derjenige, der trotz rechtlicher Ungewissheit zur Abnehmerverwarnung greift, im Verhältnis zum Hersteller Schadensersatz schuldet.453 Der I. Zivilsenat des BGH wendet die strengen Maß­ stäbe allerdings ebenso auf die Haftung gegenüber dem Abnehmer selbst an.454 Auch dafür lässt sich auf die beschriebenen Besonderheiten von Abnehmerverwar­ nungen verweisen: Sie führen typischerweise keine Klärung zweifelhafter Rechts­ fragen herbei. Damit entfällt eine wesentliche Grundlage für eine Privilegierung desjenigen, der trotz Rechtsunsicherheit eine solche Verwarnung ausspricht.455 Ungereimtheiten ergeben sich nach dem aktuellen Stand der Rechtsprechung al­ lerdings, wenn sich der vermeintliche Schutzrechtsinhaber nicht darauf beschränkt, den Abnehmer zu verwarnen, sondern gegen diesen sogar zur Klage übergeht. Im Verhältnis zum hierdurch geschädigten Hersteller soll diese Klage nicht haftungs­ privilegiert sein, weil der Hersteller als Dritter außerhalb des Schutzes der verfah­ rensrechtlichen Regeln stehe.456 Betreffend Ersatzansprüche des verwarnten Ab­ nehmers rekurriert der I. Zivilsenat hingegen auf das allgemeine „Klageprivileg“.457 Dies könnte den Schluss zulassen, im Verhältnis zum Hersteller komme jegliches Vorgehen gegen dessen Abnehmer – gleich ob außergerichtlich oder gerichtlich  – nicht in den Genuss einer Privilegierung, im Verhältnis zum belangten Abnehmer sei dagegen das gerichtliche Vorgehen, nicht aber die außergerichtliche Verwarnung privilegiert. Für eine Privilegierung der Klage ließe sich zwar anführen, das weni­ ger aufwändige außergerichtliche Vorgehen begründe die größere Missbrauchs­ gefahr.458 Dem ließe sich entgegenhalten, dass die Klage den Druck auf den Ab­ nehmer naturgemäß erhöht.459 Wenn man die Klage gleichwohl für weniger „ab­ schreckungswürdig“ hielte, müsste das resultierende Klageprivileg aber auch im Verhältnis zum Hersteller gelten. Allein der Verweis auf dessen fehlende Verfah­ rensbeteiligung vermag die strenge Haftung des Klägers nicht zu tragen.460 Wollte man den vermeintlichen Schutzrechtsinhaber gleichwohl ausschließlich gegenüber 451 So

Thole, AcP 209 (2009), 498, 536. Siehe oben aa) (1)–(2). 453 Die Verschärfung auf diese Rechtsbeziehung beschränkend offenbar M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  315–316. 454  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841–842 Rn.  92–93 – Ballerina­ schuh. 455  Siehe oben 2. b). 456  BGH, Urt. v. 21.12.2005 – X ZR 72/04, BGHZ 165, 311 = NJW-RR 2006, 621, 623 Rn.  14  – Detektionseinrichtung II. 457  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 840 Rn.  76 – Ballerinaschuh. 458  Siehe oben I. 1. b) bb) m.N. in Fn.  183. 459  So selbst BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  84 – Ballerina­ schuh: „Der Inhaber des Schutzrechts verleiht seinem Begehren […] mit der Klageerhebung nur noch größeren Nachdruck“. 460  Siehe konkret Haedicke, JZ 2006, 578, 579; allgemeine Kritik an der defizitären Herleitung eines abweichenden Maßstabs im Verhältnis zu Dritten bei Thole, AcP 209 (2009), 498, 536. 452 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

dem Hersteller für eine trotz Ungewissheit erhobene Abnehmerklage haften lassen, ließe sich das in stringenter Weise nur dadurch bewerkstelligen, dass man das Vor­ gehen mit Blick auf Schäden des Abnehmers insgesamt privilegiert – also auch die außergerichtliche Verwarnung.461 Ist man zu diesem Schritt nicht bereit, bleibt als überzeugende Lösung einzig, der Abnehmerklage auch mit Blick auf Schäden des Abnehmers die Haftungsfreiheit abzusprechen. Das entspräche der in der früheren Rechtsprechung etablierten gleichmäßig strengen Behandlung von außergericht­ licher Schutzrechtsverwarnung und anschließender Klage.462 Trotz der Betonung des Klageprivilegs gelangt auch der I. Zivilsenat faktisch zu einem solchen Ergeb­ nis. Er erstreckt nämlich – entgegen abweichenden Ansätzen im Schrifttum – die Haftung aus der (nicht privilegierten) Verwarnung auf Schäden des Abnehmers, die erst nach der (eigentlich privilegierten) Klageerhebung eintreten.463 Das Klage­ privileg wird so – im Ergebnis zu Recht – ausgehebelt. (4) Zwischenfazit Bei objektiven Rechtszweifeln an seiner Berechtigung ist der potenzielle Schutz­ rechtsinhaber primär auf ein Vorgehen gegenüber dem Hersteller selbst verwie­ sen.464 Unmittelbar gegen Abnehmer darf er, ohne eine Haftung fürchten zu müs­ sen, allenfalls465 dann vorgehen, wenn die Rechtslage eindeutig zu seinen Gunsten auszufallen scheint.466 Bei der Abnehmerverwarnung (bzw. -klage) ist angesichts ihrer Ähnlichkeit zur Vollstreckung also eine Modifikation des haftungsbegrün­ denden Grades der Rechtserkenntnis – nicht erst der Sorgfaltsanforderungen467  – vorzunehmen. Für die Herstellerverwarnung bleibt es bei der großzügigeren Li­ nie.468 Diese Unterscheidung kommt im Beschluss des Großen Senats von 2005 bedauerlicherweise nicht hinreichend zum Ausdruck, obwohl dieser von den Be­ sonderheiten der Abnehmerverwarnung geprägt ist.469 461 

Dies widerspräche BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841–842 Rn.  92. Siehe oben B. I. 2. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, BGHZ 38, 200 = NJW 1963, 531, 532–533 – Kindernähmaschinen. Eine solche Gleichstellung erwägt auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 820. 463  BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  84 – Ballerinaschuh. 464  So im Ergebnis auch BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 842 Rn.  92  – Ballerinaschuh. 465  Sofern man nicht ohnehin eine Abnehmerverwarnung nur dann zulassen möchte, wenn die Herstellerverwarnung fruchtlos verlaufen ist; so etwa tendenziell BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte; siehe auch Hager, in: Staudinger, §  823 Rn. D 59; Spindler, in: BeckOGK, §  823 BGB Rn.  224; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  379. 466  So bereits der Maßstab zur Abnehmerverwarnung von Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 263. 467  So aber wohl Thole, AcP 209 (2009), 498, 538; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  379. 468  So auch BGH, Urt. v. 11.1.2018 – I ZR 187/16, GRUR 2018, 832, 841 Rn.  91 – Ballerina­ schuh; im Ergebnis ebenso Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  59. 469  So auch der Befund von Faust, JZ 2006, 365, 367; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.176; Thole, AcP 209 (2009), 498, 537–538; M. Zimmermann, Schutzrechtsverwarnung, S.  235. 462 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Folgerichtig ist es, dass im Wettbewerbsrecht eine Haftung für unberechtigte Abmahnungen in rechtlichen Zweifelsfällen überwiegend verneint wird.470 Die Fälle sind nicht mit der Schutzrechtsverwarnung von Abnehmern zu vergleichen, denn dem Mitbewerber bleibt hier selbst überlassen, ob er sich zur Wehr setzen möchte.471 Indem für die Haftung des Abmahnenden Kenntnis der Nichtberechti­ gung bzw. ein entsprechendes „Sichverschließen“ vorausgesetzt wird,472 wird si­ chergestellt, dass rechtliche Zweifel nicht schaden.473 5. Hinweis auf Zweifel als mögliche Voraussetzung der Haftungsfreiheit Wo die Rechtslage ungewiss ist, darf der mögliche Gläubiger grundsätzlich ohne Haftungsgefahr den denkbaren Anspruch geltend machen. Er könnte allerdings zumindest verpflichtet sein, den in Anspruch Genommenen auf die bestehende Rechtsunsicherheit hinzuweisen. Letzterer würde damit immerhin gewarnt. Es würde unwahrscheinlicher, dass sich der vermeintliche Schuldner vorschnell beugt und dadurch Einbußen erfährt. Zum unberechtigten Mängelbeseitigungsverlangen wurde mitunter angemerkt, der Käufer dürfe zwar nach einer Plausibilitätsprüfung Gewährleistungsrechte gel­ tend machen, müsse aber zur Meidung einer Haftung den Verkäufer auf verbliebene Zweifel hinsichtlich der Mangelursache hinweisen.474 Diese Konstellation betrifft Tatsachenzweifel. Die Anforderung könnte aber auf die rechtliche Ungewissheit zu übertragen sein. So hat der BGH eine Haftung von Mietern für die unberechtigte Geltendmachung von Mängelrechten, die auf fehlenden Kenntnissen der Regeln zur Wohnflächenberechnung beruhte, abgelehnt und dabei betont, dass die Mieter auf die Schwierigkeiten bei der Bemessung hingewiesen hätten.475 Dies lässt die Möglich­ keit offen, dass es bei einem fehlenden Hinweis zu einer Haftung gekommen wäre. In ähnlicher Weise hat der BGH formuliert, man brauche sich vom Ausspruch einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung „durch rechtliche Zweifel nicht abhalten zu las­ sen, wenn nur vernünftige Überlegungen es rechtfertigen, die Zweifelsfrage zur Spra470  Siehe zur Haftung aus §  678 BGB oben B. I. 3. m.N. in Fn.  144 sowie zu §  13 Abs.  5 UWG n. F. Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  86a. 471  BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 139/08, GRUR 2011, 152, 157 Rn.  63 – Kinderhochstühle im Internet; BGH, Beschl. v. 20.1.2011 – I ZR 31/10, GRUR-RR 2011, 343 (Ls.) – Unberechtigte Ab­ mahnung; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.166, 171. 472  So BGH, Urt. v. 9.9.2010 – I ZR 98/08, GRUR 2010, 1133, 1135 Rn.  24 – Bonuspunkte; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.167 m. w. N. 473 Ausdrücklich für Unschädlichkeit rechtlicher Zweifel BGH, Urt. v. 8.2.1963 – Ib ZR 132/61, WKRS 1963, 14310 Rn.  19 – Kaugummikugeln; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.1989  – 6 U 87/88, GRUR 1989, 858, 859 – Schutzschrift-Kosten; OLG Hamburg, Urt. v. 20.1.1983 – 3 U 146/82, GRUR 1983, 200, 202 – Unberechtigte Abmahnung; OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.2002  – 3 U 54/99, NJW-RR 2003, 857, 858; LG Stuttgart, Urt. v. 7.7.2009 – 17 O 118/09, WRP 2009, 1313; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.166. 474 So Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712; jeweils im Anschluss an die Entscheidung BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147. 475  BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143 Rn.  29.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

che zu bringen“.476 Auch hier klingt an, dass die Zweifel zumindest offenzulegen sein könnten. Zu diesem Ergebnis gelangt auch ein Alternativansatz zum hier präferierten Grundkonzept. Dieser möchte bei unberechtigten Abmahnungen eine Haftung grundsätzlich schon bei bestehenden Rechtszweifeln annehmen, erkennt aber eine Ausnahme an, wenn der Abmahnende auf die Zweifel hinweist und betont, dass es ihm gerade um deren Klärung geht.477 Anderswo wird der Absender einer Schutz­ rechtsverwarnung für verpflichtet gehalten, neben der sorgfältigen Prüfung der Be­ rechtigung „ggf. auch Hinweise zu geben, wenn Zweifel hinsichtlich bestimmter An­ sprüche bestehen“.478 Für eine Haftungsfreiheit der unberechtigten Abnehmer­ verwarnung hat das OLG Düsseldorf gefordert, dass der Empfänger „über die Rechtslage verlässlich ins Bild gesetzt wird“, um eine informierte Entscheidung über die Reaktion zu ermöglichen.479 Insbesondere sei es unerlässlich, dass der Verwar­ nende über Gerichtsentscheidungen unterrichte, die zu seinen Ungunsten in anderen Verfahren über den Verwarnungsgegenstand ergangen seien.480 Eine Übertragung auf sonstige Abmahnungen wird teils befürwortet,481 teils abgelehnt.482 In der Gesamtschau ergeben sich also nur verstreute Ansätze für eine mögliche Unterrichtungspflicht des Anspruchstellers hinsichtlich der zweifelhaften Rechts­ lage. Besonders naheliegend erscheint der Gedanke in der Tat bei der Abnehmer­ verwarnung. Das OLG Düsseldorf weist zur Begründung gerade auf deren ein­ schneidende Wirkung hin.483 Nach der hier vertretenen Auffassung haftet aller­ dings derjenige, der seine Verwarnung an Abnehmer richtet, ohnehin schon beim Bestehen von Rechtszweifeln.484 Einer Anknüpfung der Haftung an den fehlenden Hinweis bedarf es dann nicht. In den übrigen Fällen erscheint es hingegen fragwür­ dig, dem Anspruchsteller für eine Haftungsfreiheit nähere Darlegungen zur Rechtslage abzuverlangen. Erstens würde man hiermit einen Unsicherheitsfaktor schaffen, der potenzielle Gläubiger von einer erwünschten Anspruchsgeltendma­ chung abhalten könnte. Diese könnten sich auch nach der Plausibilisierung ihres Rechtsstandpunkts nicht auf eine Haftungsfreiheit verlassen, sofern nicht abschlie­ ßend klar ist, mit welchen zusätzlichen Hinweisen sie die Geltendmachung kombi­ nieren müssen.485 Zweitens ist die Problematik als Teil eines größeren Themen­ 476  BGH, Urt. v. 8.2.1963 – Ib ZR 132/61, WKRS 1963, 14310 Rn.  19 – Kaugummikugeln (Herv. d. Verf.). 477 So Chudziak, GRUR 2012, 133, 134, 139–140. 478 So Gloy, EWiR 2016, 575, 576. 479  OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Ab­ nehmerverwarnung. 480  OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Ab­ nehmerverwarnung; zustimmend Spindler, in: BeckOGK, §  823 BGB Rn.  224. 481  Tyra, ZUM 2009, 934, 942. 482  Nümann/M. A. Mayer, ZUM 2010, 321, 323. 483  OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Ab­ nehmerverwarnung; dies herausstellend auch Nümann/M. A. Mayer, ZUM 2010, 321, 323. 484  Soeben 4. b) cc) (3). 485  Hier ergibt sich neues Potenzial für Rechtsirrtümer, nämlich solche betreffend die Hinweis­ pflicht; vergleiche zu einem ähnlichen Problem unten §  13 C. II. 1. d).

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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komplexes zu sehen: Inwiefern ist es überhaupt sachgerecht, Privatrechtssubjekten die rechtliche Belehrung der Gegenseite abzuverlangen? Dieser Frage wendet sich die Untersuchung später in einer quadrantenübergreifenden Betrachtung zu.486 6. Ende der Haftungsfreiheit Sofern der belastende Erkenntnisgrad bei der anfänglichen Geltendmachung nicht erreicht war, kann eine Haftung möglicherweise an einem späteren Punkt ausgelöst werden. So kann die Unklarheit der Rechtslage durch eine anspruchsfeindliche höchstrichterliche Entscheidung ihr Ende finden. Dann entfällt auch das Haftungs­ privileg. Der vermeintliche Gläubiger darf fortan nicht mehr risikofrei klagen oder den Anspruch außergerichtlich geltend machen. Fraglich ist, wie mit einer im Klärungszeitpunkt laufenden Inanspruchnahme zu verfahren ist. Ein bereits initiiertes Verfahren kann nunmehr weder zur allgemei­ nen Rechtsklärung noch zur Verjährungshemmung – ein Anspruch besteht schließ­ lich nach neuer Rechtsprechung nicht – beitragen. Es erscheint konsequent, den Gläubiger darauf zu verweisen, dass er die laufende Geltendmachung schnellst­ möglich einstellen muss.487 So verfahren Rechtsprechung und Literatur jedenfalls in der Situation, dass derjenige, der aus einer vermeintlichen Schutzrechtsverlet­ zung vorgeht, von Tatsachen erfährt, die seinem Anspruch entgegenstehen: Die Verwarnung sei dann zurückzunehmen.488 Die Pflicht zum Abbruch der Rechts­ verfolgung wird hier letztlich auf den Gedanken der Ingerenz gestützt.489 An die­ ser Begründung könnte man allenfalls deshalb zweifeln, weil das Vorverhalten (die ursprüngliche Geltendmachung), je nach dogmatischer Verortung,490 nicht pflichtbzw. rechtswidrig war. Allerdings setzt die herrschende Auffassung im Zivilrecht für eine Garantenstellung qua Ingerenz eine Rechtswidrigkeit des gefahrerhöhen­ den Vorverhaltens gerade nicht voraus.491

486  Unter §  17 A. Dort wird die Frage möglicher Rechtsaufklärungspflichten unter dem Ge­ sichtspunkt betrachtet, ob der Irrende von Rechtsnachteilen verschont bleibt, weil sein Gegenüber die rechtliche Aufklärung unterlassen hat. Die hier behandelte Konstellation wird erfasst, indem man den ohne Grund leistenden Putativschuldner als Irrenden und den Putativgläubiger als des­ sen Gegenüber ansieht. 487  Zu den Möglichkeiten im Prozess siehe unten §  10 B.–C. 488  RG, Urt. v. 19.12.1918 – VI 279/18, RGZ 94, 248, 252; BGH, Urt. v. 14.2.1978 – X ZR 19/76, BGHZ 71, 86 = NJW 1978, 1377, 1378 – Fahrradgepäckträger II; Spindler, in: BeckOGK, §  823 BGB Rn.  224; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  379. Hopt, Schadensersatz, S.  259, überträgt dies auf sämtliche Klagen. 489  Vergleiche BGH, Urt. v. 14.2.1978 – X ZR 19/76, BGHZ 71, 86 = NJW 1978, 1377, 1378  – Fahrradgepäckträger II; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  52 – Penisextensionsvorrichtung; Hopt, Schadensersatz, S.  259 Fn.  4. 490  Dazu unten VI. 491  Förster, in: BeckOK-BGB, §  823 Rn.  103.4; Spindler, in: BeckOGK, §  823 BGB Rn.  76. Woll­ te man dem nicht folgen, könnte man eventuell eine Garantenpflicht zur Beendigung eines Dauer­ zustands annehmen, dessen ursprüngliche Schaffung nicht pflichtwidrig war, siehe dazu etwa Bosch, in: Schönke/Schröder, §  13 Rn.  36.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Wird der Kläger trotz seiner Garantenpflicht nicht aktiv, läuft er Gefahr, zumin­ dest für die Schäden des Gegners einstehen zu müssen, die sich erst durch die Fort­ setzung des Verfahrens ergeben, also beispielsweise bei rechtzeitiger Klagerück­ nahme nicht entstanden wären. 7. Zwischenfazit Die Geltendmachung eines Anspruchs trotz rechtlicher Ungewissheit über die Be­ rechtigung zieht grundsätzlich keine Haftung nach sich. Anderes gilt erst dort, wo das Bestehen des Anspruchs in rechtlicher Hinsicht praktisch ausgeschlossen ist. Die Beurteilung hat sich daran zu orientieren, ob im Sinne von §  114 Abs.  1 ZPO hinreichende Erfolgsaussichten bestanden. Dieses weitgehende Haftungsprivileg verliert der Putativgläubiger – abgesehen von einigen speziell gelagerten Rückausnahmen –, sobald er über die Geltendma­ chung hinaus zur Vollstreckung seines angenommenen Anspruchs schreitet. §  717 Abs.  2 ZPO ist eine eigenständige Wertung dahingehend zu entnehmen, dass ein solches Vorgehen nicht haftungsprivilegiert ist. Die Parallelregelung des §  945 ZPO zeigt, dass Vergleichbares gilt, wenn der Anspruchsteller zwar noch keine vorläufi­ ge Befriedigung, aber immerhin eine einstweilige Sicherung erlangt.492 Das Bild vervollständigt die Vorschrift des §  231 BGB, die Irrtums- oder Zweifelsprivilegien auch im Kontext der privaten Selbsthilfe eine Absage erteilt. Die in den genannten Vorschriften zutage tretende Wertung ist mit dem bis hierhin erarbeiteten System ohne Weiteres zu vereinbaren. Weder aus Gründen der Verjährungshemmung noch im Allgemeininteresse an rechtlicher Klärung ist es erforderlich, dass gerade zur Vollstreckung oder vorläufigen Sicherung gegriffen wird, statt es bei einer außerge­ richtlichen oder klageweisen Geltendmachung zu belassen. Die außergewöhnlich strikte Behandlung, welche die gegen Produktabnehmer gerichtete Schutzrechts­ verwarnung erfährt, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls plausibel zu erklären. Sie gleicht in ihrer Wirkung der Vollstreckung gegen den Produkthersteller.

IV. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung Die vorstehende Untersuchung hat sich auf die Frage konzentriert, ab welchem Grad rechtlicher Erkenntnis eine Haftung für die unberechtigte Anspruchsgeltend­ machung in Betracht kommt. Damit ist noch nicht festgestellt, ob der jeweilige An­ spruchsteller selbst diesen Erkenntnisgrad erreicht haben muss oder ob es genügt, dass er ihn hätte erreichen müssen. Zu fragen ist mit anderen Worten, inwieweit sich die nötige Rechtserkenntnis durch deren vorwerfbares Fehlen ersetzen lässt. 492  Zutreffende Gleichstellung bei Häsemeyer, Schadenshaftung, S.   24 (wenngleich dort mit Blick auf die Grenzen der Haftung formuliert). Dies lässt sich ansatzweise schon aus dem Um­ stand folgern, dass nach §  717 Abs.  2 ZPO auch solche Einbußen verschuldensunabhängig zu er­ setzen sind, die der Schuldner durch die Aufbringung der Sicherheitsleistung zur Abwendung der Vollstreckung erleidet, dazu oben A. I. mit Fn.  59.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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1. Ausgangslage: Ansätze einer Vorwerfbarkeitsprüfung in Rechtsprechung und Literatur Das von der herrschenden Rechtsprechung gewährte Haftungsprivileg bei der In­ anspruchnahme staatlicher Verfahren – das „Recht auf Irrtum“ – 493 wirkt nicht nur auf Ebene des schädlichen Erkenntnisgrades (Zweifel schaden dem Anspruchsteller nicht). Es beschränkt zugleich die Möglichkeit, dem Anspruchsteller vorzuwerfen, er habe die bestehenden Erfolgsaussichten verkannt. Der BGH hat insbesondere gefolgert, der Verfahrensinitiator sei „nicht verpflichtet, zuvor mit Sorgfalt zu prü­ fen, ob er sich […] für berechtigt halten darf, oder gar seine Interessen gegen die des Gegners abzuwägen“.494 Verzichtet wird damit explizit auch auf eine Vorprüfung in rechtlicher Hinsicht.495 Freilich zieht die Rechtsprechung dem „Verfahrensprivi­ leg“ eine Grenze, wo naheliegende Erkenntnismöglichkeiten nicht genutzt wer­ den.496 Der Verfahrensinitiator soll haften, wenn er sich der Einsicht in die Rechts­ lage verschlossen,497 er leichtfertig498 oder grob fahrlässig499 gehandelt hat. Im Kon­ text von Schutzrechtsverwarnungen hatte schon die frühere Rechtsprechung die Entlastung an eine vorausgehende gewissenhafte Prüfung genknüpft.500 Auch zur sonstigen außergerichtlichen Anspruchsverfolgung statuiert die Rechtsprechung mittlerweile Prüfungspflichten des Anspruchstellers „im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten“.501 Im Anschluss hat sich die „Plausibilitätskontrolle“ als gängige Anforderung etabliert.502 Der Begriff enthält nicht nur Anforderungen hinsichtlich des Erkenntnisgrades („Plausibilität“), sondern auch bezüglich des Prüfungsvor­ gangs („Kontrolle“). Auf die erhebliche Kritik, welche die vor allem früher sehr nachsichtige Rechtsprechung in der Literatur erfahren hat, ist schon hingewiesen

493  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  17 (siehe bereits B. I. 2.). 494  BGH, Urt. v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 = NJW 1961, 2254, 2255 (wo es „Schuldners“ statt „Gegners“ heißt); BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; ähnlich auch BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447 (zur Rechtsverteidigung); gegen solche Sorgfaltspflichten auch Blomeyer, Schadensersatzansprüche, S.  4 4–46; Häsemeyer, Schadenshaftung, insb. S.  143–145; Sturm, JR 1972, 43, 44. Vergleichbares wird auch hinsichtlich vertraglicher Ansprüche formuliert: Eine unberechtigte Klageerhebung, die bloß fahrlässig erfolge, stelle keine Pflichtverletzung dar, BGH, Urt. v. 4.11.1987 – IVb ZR 83/86, NJW 1988, 2032, 2033; BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 Rn.  8; BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3. 495  Ganz deutlich BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447. 496  Grundlegend BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353. 497  BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW-RR 2005, 315, 316. 498  BVerfG, Beschl. v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257 = NJW 1987, 1929, 1929. 499  Siehe B. I. 2. m.N. in Fn.  87. Dagegen indes BGH, Urt. v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJWRR 2005, 315, 316. 500  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 317 – Maschenfester Strumpf; BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte. 501  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13. 502  Ausführliche Nachweise oben bei B. I. 3. m.N. in Fn.  141 ff.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

worden.503 Im jüngeren Schrifttum wird nachdrücklich für die Einbettung der Fäl­ le unberechtigter Anspruchsgeltendmachung in die reguläre Fahrlässigkeitsdog­ matik plädiert.504 2. Bedarf für Statuierung von Sorgfaltspflichten Soweit im Einzelfall eine Haftung des Anspruchstellers weder aus einer Sonderver­ bindung noch aus §  823 BGB in Betracht kommt, lässt §  826 BGB mit seinem Vor­ satzerfordernis kaum Raum für die Substitution der subjektiven Erkenntnis durch den Vorwurf der Unkenntnis.505 Dies ist als Folge des nur lückenhaften Schutzes, den das deutsche Privatrecht gegen fahrlässige Rechts- bzw. Interessenbeeinträch­ tigungen bietet, de lege lata hinzunehmen.506 Sobald aber Rechtsgüter bzw. Rechte im Sinne von §  823 BGB beeinträchtigt sind oder ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien besteht, sind bei der Geltendmachung von Ansprüchen Sorgfalts­ pflichten zu beachten, deren Verletzung eine Haftung des Anspruchstellers nach sich zieht. a) Vorzugswürdigkeit einer regulären Prüfung auf Ebene der Vorwerfbarkeit Der Vorzug gebührt in diesem Punkt eindeutig einer im Ausgangspunkt regulären Fahrlässigkeitsprüfung. Es wurde bereits ausführlich dargelegt, dass das von der Rechtsprechung geschaffene „Verfahrensprivileg“ weder im Vergleich zur außerge­ richtlichen Geltendmachung gerechtfertigt noch für sich genommen hinreichend begründet ist.507 Auf Ebene des Erkenntnisgrades ließen sich allerdings andere Be­ gründungen für signifikante Haftungserleichterungen ausmachen.508 Hinsichtlich der Vorwerfbarkeitsprüfung gelingt eine alternative Herleitung der Haftungsver­ schonung demgegenüber nicht. Insbesondere wäre eine zum Verjährungsrecht komplementäre Ausgestaltung, wie sie auf Ebene des Erkenntnisgrades geboten ist, verfehlt. Wenn das Verjährungsrecht bei Bestehen von Rechtszweifeln Aktivität fordert, sollte das Haftungsrecht diese nicht sanktionieren. Wenn hingegen verjäh­ rungsrechtlich die Konsultation eines Rechtsexperten verlangt wird,509 bedeutete es keinen Widerspruch, diese Anforderung ins Haftungsrecht zu übertragen. 503 

Siehe B. I. 2. m.N. V. a. Thole, AcP 209 (2009), 498, 530–538; auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169–170; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  143–150; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823. 505  Siehe oben B. I. 2.; allenfalls ließe sich Vorsatz durch Leichtfertigkeit ersetzen, siehe allge­ mein zur Diskussion darum G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  826 Rn.  31–33 m. w. N. Im Kontext der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung offenbar Kenntnis fordernd: BGH, Urt. v. 25.3.2003  – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447. 506  Siehe dazu bereits A. I. mit Fn.  35. 507  Siehe oben I. 508  Siehe oben III. 2. 509  Dort besteht eine funktionale Obliegenheit zur Einholung von Rechtsrat, siehe §  7 C. III. 2. a). 504 

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Dass die Rechtsprechung mit ihren Maßstäben (Leichtfertigkeit, Sichverschlie­ ßen) weiten Raum für eine Entlastung des Putativgläubigers lässt, wird man letzt­ lich als Ausdruck des berechtigten Anliegens zu deuten haben, die Rechtswahrneh­ mung nicht übermäßig zu erschweren.510 Es hat sich aber gezeigt, dass sich diesem Ziel schon durch die Ausgestaltung des haftungsbegründenden Erkenntnisgrades hinreichend Rechnung tragen lässt. Dass eine Haftung bei objektiver Rechtsun­ gewissheit grundsätzlich ausgeschlossen ist,511 bedeutet für den Putativgläubiger bereits ein großzügiges Entgegenkommen. Es würde über das Ziel hinausschießen, ihn selbst dann haftungsfrei zu stellen, wenn er bei Anwendung der verkehrsüb­ lichen Sorgfalt die Einsicht in seine ungünstige Position hätte gewinnen müssen. Eine Abweichung von „den differenzierten Maßstäben des sonstigen Haftungs­ rechts“512 erscheint schon deshalb kritisch, weil die Belange des Anspruchstellers mit dem „Integritäts- und Vermögensschutzinteresse des Verfahrensgegners“ in Ausgleich zu bringen sind.513 Durch die Beschränkung der Haftung auf Konstel­ lationen, in denen der Anspruch (nahezu) sicher nicht besteht, wird die Haftung des Putativgläubigers bereits auf Ausnahmefälle beschränkt. Es erscheint daher an­ gemessen, dass ihm in diesen Ausnahmefällen bereits einfache Fahrlässigkeit scha­ det. Im praktischen Ergebnis dürfte damit auch das geschilderte Anliegen der Rechtsprechung erreicht sein. Lediglich die Etiketten „Leichtfertigkeit“ oder „Sichverschließen“ wären durch die hier vorgeschlagene Differenzierung nach Er­ kenntnisgrad und Vorwerfbarkeit zu ersetzen. Dieser Vorschlag – Milde auf Ebene des schädlichen Erkenntnisgrades kombi­ niert mit einer regulären Vorwerfbarkeitsprüfung – steht letztendlich im Einklang mit der neueren Rechtsprechung zur unberechtigten außergerichtlichen Geltend­ machung vertraglicher Ansprüche. Der BGH fordert insoweit gerade eine sorgfäl­ tige Prüfung.514 Diese hat aber lediglich eine Plausibilitätskontrolle zum Gegen­ stand; wenn die Anspruchsberechtigung danach möglich erscheint, aber ungewiss bleibt, darf der potenzielle Gläubiger den Anspruch geltend machen.515 Das ent­ spricht just der Trennung in (reguläre) Prüfungspflichten einerseits und eine gläu­ bigerfreundliche Ausgestaltung des haftungsbegründenden Erkenntnisgrades an­ dererseits. 510  Darauf abhebend insb. BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20; auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 515, verlangt maßvolles Vorgehen. 511  Siehe III. 3. 512  Thole, AcP 209 (2009), 498, 525. 513  Insoweit zutreffende Kritik von Thole, AcP 209 (2009), 498, 515 (und 525). 514  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13; speziell zur Rechts­ prüfung: BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31. 515  Grundlegend BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20; zur Rechtsprüfung BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31; siehe auch AG Bühl, Urt. v. 1.2.2012 − 3 C 148/09, NJW-RR 2012, 1166, 1168 ( „dass die Kl. […] jedenfalls davon ausgehen musste, dass ein Vertrag […] nicht zu Stande gekommen ist“.); AG Saarbrücken, Urt. v. 28.7.2011 – 42 C 159/11 (09), Rn.  12, juris (Fahrlässigkeit, wenn „erkenn­ bar grundlos“ gehandelt wurde).

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

b) Abzulehnende Ausnahme für rechtliche Anspruchsprüfung Die Kritik an einer regulären Fahrlässigkeitsprüfung lässt sich auch nicht insoweit aufrechterhalten, wie gerade die Vorprüfung des Anspruchs in rechtlicher Hinsicht betroffen ist. Für die unberechtigte Geltendmachung von Schutzrechten hat die frühe Recht­ sprechung des BGH allerdings mitunter angedeutet, dass eine irrige rechtliche Be­ wertung durch den Schutzrechtsinhaber im Vergleich zu einer Verkennung des Standes der Technik seltener vorwerfbar sei.516 Auch in der aktuellen Instanz­ rechtsprechung wird der Rechtsirrtum teils bevorzugt behandelt: Die Fehlein­ schätzung der Sachlage, nicht aber die der Rechtslage könne eine schuldhafte Pflichtverletzung darstellen.517 Wenn dies auf einen Beschluss des IX. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 2006 gestützt wird,518 erscheint diese Schlussfolgerung in­ des zweifelhaft. Die in Bezug genommene Entscheidung lehnte eine Haftung für die außergerichtliche Geltendmachung nach fahrlässiger Fehleinschätzung der Rechtslage gerade unter Verweis auf die Rechtsprechung zum „Verfahrensprivileg“ ab.519 Letztere hatte aber zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern nicht diffe­ renziert.520 Allerdings musste sich auch der VIII. Zivilsenat des BGH in seiner grundlegenden Entscheidung zum unberechtigten Mangelbeseitigungsverlangen mit dem Beschluss des IX. Senats auseinandersetzen. Dieser stand – erst ein gutes Jahr zuvor ergangen – der vom VIII. Senat präferierten Annahme einer Neben­ pflichtverletzung prima facie entgegen. Der VIII. Senat lavierte sich unter Verweis auf „die andere Sachverhaltsgestaltung (fehlerhafte Einschätzung der Rechtslage […])“ aus der Annahme einer Divergenz.521 Dieser Hinweis wurde verschiedent­ lich dahingehend gedeutet, Prüfpflichten seien nur hinsichtlich tatsächlicher Um­ stände anzunehmen.522 Schon ein Jahr später bezog der V. Zivilsenat jedoch das Erfordernis einer Plausibilitätskontrolle auch auf die rechtliche Ebene.523 Ganz deutlich wird dies beim XI. Zivilsenat: Verkehrserforderlich sei eine sorgfältige Prüfung, ob der „Anspruchsberühmung eine vertretbare rechtliche Beurteilung zu Grunde liegt“.524 Eine bevorzugte Behandlung von Rechtsirrtümern ist der aktuel­ len Judikatur des BGH also nicht zu entnehmen.

516 

BGH, Urt. v. 5.11.1962 – I ZR 39/61, NJW 1963, 531, 534 – Kindernähmaschinen. AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264; siehe bereits oben III. 2. b) bb) m. w. N. zur möglichen Bevorzugung des Rechtsirrtums. 518  AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264, verweist auf BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791. 519  BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZR 167/05, BeckRS 2007, 791 Rn.  3. 520  Siehe soeben 1. 521  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  13 (dort war ein Tatsa­ chenirrtum betroffen). 522 So Haertlein, MDR 2009, 1, 1; Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474; siehe oben III. 2. b) bb). 523  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  20 (siehe schon oben III. 1.). 524  BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31 (Herv. d. Verf.). 517 

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Allerdings lässt sich für eine Privilegierung rechtlicher Fehleinschätzungen zu­ mindest ein hörenswertes Argument anführen. Am deutlichsten wird dieses von Haertlein ausgesprochen: Zur Rechtserkenntnis seien beide Kontrahenten zumeist gleichermaßen imstande, „während die Ermittlung von Tatsachen dem Anspruch­ steller wesentlich leichter fallen kann als dem Anspruchsgegner, wenn die Tatsa­ chen in der Sphäre des Anspruchsstellers liegen“.525 Vergleichbare Ansätze finden sich in der Instanzrechtsprechung zur unberechtigten Kündigung von Mietverträ­ gen: Der Ausspruch einer Kündigung, die durch unzutreffende Bewertung der be­ kannten Tatsachen veranlasst ist, verpflichte den Vermieter nicht zu Schadens­ ersatz, denn der Mieter könne auf Basis der bekannten Tatsachen die Wirksamkeit der Kündigung ebenso gut – gegebenenfalls mit rechtskundiger Hilfe – beurtei­ len.526 Der BGH verfährt hinsichtlich formeller Unwirksamkeitsgründe ähn­ lich,527 die rechtsirrtümliche Annahme materieller Kündigungsgründe soll hinge­ gen zu Schadensersatz verpflichten können.528 Es ist zuzugeben, dass das Erfordernis einer Plausibilitätskontrolle vor allem in­ soweit eine Rolle spielt, wie dem Anspruchsteller in bestimmten Bereichen ein In­ formationsvorsprung zukommt.529 So verlangte der VIII. Zivilsenat des BGH vom Käufer eine Überprüfung der „eigenen Sphäre“ auf denkbare Mängelursachen.530 Die rechtliche Beurteilung ist hingegen im Normalfall keiner individuellen Sphäre zugeordnet; es ergibt sich – zumindest unter Berücksichtigung der Rechtsbera­ tungsangebote – in der Tat kein Ungleichgewicht. Dieser Umstand rechtfertigt dennoch nicht die weitgehende Eliminierung von Rechtsprüfungspflichten des An­ spruchstellers. Die praktizierte Aufteilung in Verantwortungssphären hat ihren Sinn darin, die Schadensvermeidung demjenigen aufzuerlegen, der dies am kosten­ günstigsten bewerkstelligen kann (sogenannter cheapest cost avoider).531 In den vorliegend interessierenden Fällen könnte eine Schädigung des Anspruchsgegners an zwei alternativen Schaltstellen verhindert werden: Entweder der angebliche 525  Haertlein, MDR 2009, 1, 3; ein entsprechender Ansatz findet sich bereits bei Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  73. 526  OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1046; LG Frei­ burg i. Br., Beschl. v. 19.1.1989 – 7 S 133/88, BeckRS 1989, 7546, Rn.  5; Klinkhammer, NJW 1997, 221, 221; dazu näher §  15 A. II. 2. b) cc) (2). 527  BGH, Urt. v. 15.12.2010 – VIII ZR 9/10, NJW 2011, 914, 915 Rn.  11; a. A. Sternel, NZM 2011, 688, 689–690. 528  BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1029–1030; BGH, Urt. v. 29.10.1986 – VIII ZR 144/85, Rn.  21, juris; BGH, Urt. v. 1.10.1987 – III ZR 175/86, NJW-RR 1988, 763, 765; BGH, Urt. v. 28.11.2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, 731; siehe auch BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  16; siehe ferner §  15 A. II. 2. b) cc) (2) (a). 529  Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712–1713; zustimmend Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474. 530  BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148 Rn.  12. 531 Im Zusammenhang mit der unberechtigten Rechtsverfolgung darauf hinweisend Thole, AcP 209 (2009), 498, 532; zustimmend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 167; ähnlich Klöhn, EWiR 2008, 267, 268; vorsichtiger („untergeordnete Rolle“) Derkum, Folgen, S.  216–219. Siehe zur Be­ deutung der Figur des cheapest cost avoider bei reziproken Schäden allgemein Schäfer/Ott, Ana­ lyse, S.  252–255.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Gläubiger erkennt seine fehlende Berechtigung und verzichtet auf eine Geltendma­ chung, oder der vermeintliche Schuldner bemerkt seine fehlende Verpflichtung und verzichtet auf selbstschädigende Maßnahmen (etwa eine voreilige Leistung).532 Das Recht würde indes der Gelegenheit, die Aufgabe der Schadensverhütung der besser geeigneten Partei zuzuweisen,533 weitgehend beraubt, wenn der Anspruch­ steller, abgesehen von Ausnahmefällen,534 aus der Verantwortung für eine Aufklä­ rung der Rechtslage entlassen würde. Ein entscheidendes dogmatisches Vehikel zur haftungsrechtlichen Bewältigung von Fallgestaltungen im Sinne des cheapest cost avoider-Prinzips ist der Mitverschuldenseinwand nach §  254 BGB.535 Dessen Prü­ fung schneidet sich ab, wer schon den haftungsbegründenden Tatbestand unter Verweis auf die fehlende Rechtsprüfungspflicht nicht als erfüllt ansieht. Geht man hingegen zunächst von einer entsprechenden Sorgfaltspflicht des Anspruchstellers aus, kann man auf Ebene des Mitverschuldens immer noch zu einer ganz überwie­ genden Verantwortlichkeit des Anspruchsgegners gelangen,536 blockiert aber nicht von vornherein jede andere Verteilung. Ein weiterer Umstand spricht eindeutig dagegen, dem Anspruchsteller die Last einer sorgfältigen Rechtsprüfung routinemäßig abzunehmen. Tatsächlich ist näm­ lich nicht jeder Schaden, der aus einer rechtsirrigen Inanspruchnahme erwächst, auch für den Putativschuldner vermeidbar. Manche Schäden beruhen nicht auf „he­ rausgefordertem“ Verhalten des vermeintlichen Schuldners, sondern treten unmit­ telbar infolge der Inanspruchnahme ein – man denke etwa an Reputationsbeein­ trächtigungen.537 Solche Schäden werden nur dann vermieden, wenn schon der vermeintliche Gläubiger die fehlende Berechtigung erkennt und auf eine Geltend­ machung verzichtet. Die Statuierung entsprechender Sorgfaltspflichten ist deshalb unverzichtbar. Mit diesem Postulat deckt sich das Vorgehen der neueren Rechtsprechung.538 Auch im Schrifttum findet sich die Forderung nach einer prinzipiellen Anglei­ chung der Sorgfaltsanforderungen bezüglich tatsächlicher und rechtlicher Er­ 532  Es handelt sich rechtsökonomisch betrachtet um den im Vergleich zu bilateralen Schäden (dazu Schäfer/Ott, Analyse, S.  258) einfacheren Fall; zum rechtsökonomischen Vorgehen in sol­ chen Konstellationen näher a. a. O., S.  254–255. 533  Auf die „passende“ Zuordnung durch die Rechtsordnung ist Wert zu legen, da die Alterna­ tive (privatautonome Verteilung) nicht immer funktioniert, siehe näher Schäfer/Ott, Analyse, S.  166–167, zum Coase-Theorem und dessen begrenzter praktischer Gültigkeit. 534  Haertlein, MDR 2009, 1, 3, nennt besondere Fürsorgepflichten oder den Fall, dass der An­ spruchsteller „den inmitten stehenden Rechtsfragen ausnahmsweise erheblich näher steht als sein Kontrahent“ (Beispiel: Arzt bei Gebührenabrechnung); zum Fürsorgeverhältnis siehe schon Becker-­Eberhard, Kostenerstattung, S.  75, 104; in Anlehnung daran Derkum, Folgen, S.  193 (und zu Abrechnungsverhältnissen S.  202–207). Eine außerhalb solcher Ausnahmetatbestände vorhan­ dene Eignung des Anspruchstellers als vorzugswürdiger cost avoider könnte nicht berücksichtigt werden. 535 Siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  254. 536  Vergleiche wiederum Schäfer/Ott, Analyse, S.  254. 537  Siehe oben A. I. zu denkbaren Schäden. 538  Siehe soeben a); zu beachten ist v. a. das von BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31, aufgestellte Erfordernis einer sorgfältigen Rechtsprüfung.

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kenntnisse.539 Die Privilegierung von Rechtsirrtümern würde im Übrigen den hergebrachten Satz „error iuris nocet“ ins Gegenteil verkehren. Zwar liegt diese Regel dem geltenden deutschen Privatrecht jedenfalls nicht in einer strengen Form zugrunde.540 Die Verfasser des BGB handelten indes in der Vorstellung, dass we­ gen der bestehenden Erkenntnismöglichkeiten die Entschuldbarkeit von Rechtsirr­ tümern erschwert sei.541 Diese Grundwertung lässt sich – gleich welche Folgerun­ gen man aus ihr im Detail ziehen möchte542 – nur dann berücksichtigen, wenn man auch hinsichtlich der Rechtseinschätzung Sorgfaltsanforderungen stellt. 3. Vorüberlegungen zu Sorgfaltspflichten betreffend die Rechtserkenntnis Hinsichtlich der Formulierung solcher Sorgfaltsanforderungen sind zunächst eini­ ge Vorüberlegungen anzustellen. a) Verortung innerhalb der Rechtsirrtumsdogmatik Ihren traditionellen Platz hat die Diskussion um Rechtsprüfungspflichten bei der Frage, ob der Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen kann, wenn der Schädiger verkannt hat, dass er einem Sorgfaltsgebot zuwiderhandelt.543 Im Strafrecht würde diese Fehlvorstellung als Verbotsirrtum im Sinne des §  17 StGB eingestuft. In der vorlie­ genden Untersuchung steht hingegen der Rechtsirrtum über die eigene Anspruchs­ berechtigung im Fokus. Der Anspruchsteller verkennt hier nicht etwa das Gebot, bei praktisch ausgeschlossener Erfolgsaussicht nicht zu klagen. Er überschätzt viel­ mehr die Erfolgsaussichten. Diese Unterscheidung sollte man zumindest im Inte­ resse einer strukturierten Aufbereitung der Rechtsirrtumsproblematik nicht aus den Augen verlieren. Im Verjährungsrecht würde dem Verbots- oder Rechtswidrig­ keitsirrtum etwa die Annahme entsprechen, bei zutreffend als mittelmäßig eige­ schätzten Erfolgsaussichten beginne die Verjährung nicht. Diese Art des Irrtums ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.544 Die (ordnende) Differenzierung bedeutet jedoch nicht, dass nicht hinsichtlich der aufzuwendenden Sorgfalt vergleichbare Überlegungen angezeigt sein können. Schon im Kontext des Verjährungsrechts wurde davor gewarnt, die Identität der einschlägigen Wertungen durch die Überbetonung der Grenzen zwischen ver­ schiedenen Rechtsirrtumsgruppen zu verdecken.545 Auch im Schrifttum zur Be­ deutung von Rechtsirrtümern im Rahmen der Fahrlässigkeit verschwimmen die 539  Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474–475; Thole, AcP 209 (2009), 498, 534 (vergleiche dazu jeweils bereits III. 2. b) bb)); beiläufig zustimmend Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  284 Fn.  131. 540  Siehe §  5 A. 541  Oben §  5 A. unter Hinweis auf Mot. I, 281. 542  Dazu noch unten 5. a) bb) (4). 543  In diesem Kontext etwa die Behandlung bei Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  50; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73; Schaub, in: BeckOGK, §  276 BGB Rn.  62. 544  Vergleiche §  2 A. 545  §  7 C. I. 4. (betreffend die Unterscheidung zwischen Rechtsirrtümern über den Anspruch und solchen über anspruchsbegründende normative Merkmale); siehe ferner unten §  18 B.

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Kategorien.546 Die eigentliche Herausforderung stellt nicht diese Vermischung verschiedener Rechtsirrtumsarten dar, sondern die fehlende Trennung zwischen dem haftungsbegründenden Erkenntnisgrad und den Sorgfaltsanforderungen hin­ sichtlich der Rechtsprüfung.547 Mit Vorsicht zu genießen ist daher auch die Recht­ sprechungsanalyse von Jörg Mayer, der sich darum bemüht, übergreifende Krite­ rien für die Fahrlässigkeitshaftung wegen Rechtsirrtums zu identifizieren.548 Dem an und für sich lobenswerten Unterfangen fehlen klare systematische Konturen,549 weil nicht der Vorfilter des Erkenntnisgrades zum Einsatz kommt.550 b) Einbettung in die allgemeine Fahrlässigkeitsdogmatik Die Anforderungen, die an einen potenziellen Gläubiger bei der Prüfung seiner Berechtigung zu stellen sind, unterscheiden sich nach dem Gesagten nicht prinzipi­ ell von denen, die in anderen Situationen zur Vermeidung von Rechtsirrtümern bestehen. Diese können ihrerseits an die allgemeinen Vorgaben zur Schadensver­ hütung anknüpfen, die außerhalb der Rechtsirrtumsproblematik zur Anwendung gelangen. Dabei kann sich insbesondere der Inhalt eines zwischen den Parteien bestehen­ den Schuldverhältnisses auf die geschuldete Sorgfalt auswirken.551 Gleichwohl lässt sich ein Grundbestand an Faktoren identifizieren, die bei vertraglicher wie deliktischer Haftung gleichermaßen zu berücksichtigen sind.552 Folgt man dem Ziel der Wohlfahrtsmaximierung,553 muss das Anliegen darin bestehen, durch die Formulierung der Sorgfaltsanforderungen die Summe aus Schadenskosten und Schadensverhütungskosten zu minimieren, insbesondere Schadensverhütungsauf­

546  Exemplarisch die detaillierte, aber nicht zwischen verschiedenen Rechtsirrtumskategorien differenzierende Betrachtung von Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  55–58. Das ist bereits aus dem Grund sinnvoll, dass Rechtsirrtümer des Schuldners (dazu unten §  11) sich selten auf die Pflicht, bestehende Ansprüche zu erfüllen, sondern regelmäßig auf das Bestehen des Anspruchs beziehen werden. 547  Symptomatisch ist es, dass Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  58, auch auf die Vertretbar­ keitsfrage (betrifft den Erkenntnisgrad) eingeht; vorbildliche Trennung hingegen bei Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73 und 74–76 (siehe dazu schon §  6 B.). 548  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  102–120. 549 Symptomatisch etwa J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   112 („Daneben treten andere Erwägun­ gen“.), S.  111 (verfassungsrechtliche Fragen im Rahmen von rechtsfolgenorientierter Bewertung behandelt), S.  106–108 (Rechtsauskunft im Kontext situativer Betrachtung). 550  So weist J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107, darauf hin, dass man ggf. mit der Unrichtigkeit der eigenen Rechtsauffassung rechnen müsse – dies betrifft aber den Erkenntnisgrad. Siehe auch das Eingeständnis a. a. O., S.  112 Fn.  19: Eigentlich würden auch die Fälle der Rechtsprechungsände­ rung (die zuvor schon besprochen wurden) zum Vertrauensschutz gehören. Auch die „äußerst zweifelhafte Rechtslage“ (dazu a. a. O., S.  102–103) kann nur dort eine Rolle spielen, wo man über­ haupt bei objektiven Zweifeln eine Entlastung annimmt. 551  Siehe bereits 2. b) mit Fn.  525; allgemein zur „Formbarkeit“ des Sorgfaltsmaßstabs Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  57. 552 Zutreffend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  99. 553  Siehe dazu oben §  2 C.

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wand zu vermeiden, der sozial nicht mehr nützlich ist.554 Einen greifbaren Aus­ druck findet dieses Anliegen in der bekannten Learned-Hand-Formel.555 Diese Perspektive eignet sich allemal als „heuristische[r] Ausgangspunkt“ für weitere Überlegungen.556 Zwar richtet sich die herrschende Rechtsprechung kaum offen nach rechtsökonomischen Effizienzgedanken.557 Gleichwohl werden verbreitet Schadensvermeidungsaufwand und -nutzen ins Verhältnis gesetzt, um die Sorg­ faltsanforderungen zu konkretisieren.558 Die von der Rechtsprechung verwende­ ten „Prinzipien mittlerer Reichweite“, wie die Verkehrskreisorientierung, Verhält­ nismäßigkeit usw., weisen durchaus einen erkennbaren Bezug zur Learned-Hand-­ Formel auf.559 Auch im Zusammenhang mit der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung wur­ de dem drohenden Schadensausmaß, insbesondere dem Aspekt der Gefährlichkeit des jeweiligen Vorgehens, schon in der frühen Literatur Bedeutung für die Bemes­ sung der anzuwendenden Sorgfalt zugeschrieben.560 Bei der folgenden Betrach­ tung ist allerdings zu bedenken, dass die gebotenen Differenzierungen nach dem hier vertretenen Modell zum Teil schon auf die Ebene des Erkenntnisgrades „aus­ gelagert“ sind. Dass zum Beispiel der Vollstreckung ein höheres Schädigungsrisiko anhaftet,561 wird nach dem hier präferierten Modell schon dadurch berücksichtigt, dass den Vollstreckenden auch im Fall der Rechtsungewissheit eine Haftung trifft. 4. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation Die zentrale Frage bei der Beurteilung, ob ein Rechtsirrtum den Vorwurf der Fahr­ lässigkeit verdient, ist regelmäßig, inwieweit Rechtserkundigungspflichten beste­ hen.562 Diesem Punkt wird auch vorliegend das Hauptaugenmerk gelten (dazu 5.). Zuvor ist aber kurz zu erörtern, unter welchen Umständen dem irrenden An­ spruchsteller schon unabhängig von der Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen, eine falsche Rechtseinschätzung vorzuwerfen ist. 554 Anschaulich

Schäfer/Ott, Analyse, S.  154, 158, 182. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  62; Grüneberg, in: Palandt, §  276 Rn.  19; Schäfer/Ott, Analyse, S.  183. 556 So Schäfer/Ott, Analyse, S.  158; vergleiche z. B. auch Stöhr, in: Unsicherheiten, S.  295, 307. 557  Zur mangelnden Rezeption etwa Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  62; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  479; explizit auf die Learned-Hand-Formel rekurrierend aber OLG Rostock, Urt. v. 20.7.2006 – 7 U 117/04, NJW 2006, 3650, 3653. 558  Anschaulich z. B. BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 223/05, NJW 2007, 762, 764 Rn.  15; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  61 m. w. N.; auch Schäfer/Ott, Analyse, S.  181, 184–185, sowie G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  479, betonen zu Recht, dass die Rechtsprechung die­ se Kriterien implizit aufnimmt. 559  Schäfer/Ott, Analyse, S.  215. 560  Hopt, Schadensersatz, S.  255–256; zustimmend Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366; grundsätz­ lich zustimmend, aber im Detail kritisch Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 447; aus jüngerer Vergan­ genheit Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169–170; Hösl, Kostenerstattung, S.  106–107; siehe auch allge­ mein J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  109. 561  Thole, AcP 209 (2009), 498, 533. 562  Siehe etwa Schaub, in: BeckOGK, §  276 BGB Rn.  62. 555 Dazu

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a) Person des Putativgläubigers Die Fahrlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich dahingehend objektiviert, dass auf die Fähigkeiten und Sorgfalt abgestellt wird, die von einem Angehörigen des betroffe­ nen Verkehrskreises typischerweise zu erwarten sind.563 Dieser Maßstab kommt auch bei der rechtsirrtümlichen Anspruchsgeltendmachung zur Anwendung.564 Das zeigt sich etwa an der Tendenz, an Unternehmen einer gewissen Größenord­ nung erhöhte Sorgfaltsanforderungen bei der Beurteilung ihrer Berechtigung zu stellen.565 Vergleichbares gilt erst recht bei den Angehörigen der juristischen Beru­ fe.566 Zum Beispiel sei von einem Notar zu erwarten, dass er bemerkt, dass die eige­ ne Kostenberechnung unrichtig ist.567 Ein „geschäftsgewandter Kaufmann“ soll erkennen können, dass allein durch die Unterschrift auf einem Bestellformular noch kein Kaufvertrag geschlossen ist.568 Auch von Laien dürfe man Kenntnis be­ stimmter Rechtsbegriffe und -wertungen erwarten.569 Insgesamt finden sich nur wenige Belege dafür, dass fehlende rechtliche Gewandtheit bei der irrtümlichen Anspruchsverfolgung zur Entlastung führen soll.570 Neben dem verkehrskreistypischen Grundwissen werden dem Anspruchsteller zum Teil gar Kenntnisse der Rechtsprechung abverlangt. So wurde etwa von einer gewerblichen Hausverwaltung verlangt, die aktuelle Judikatur zu Schönheitsrepa­ raturklauseln zu kennen.571 Auch in Bankenkreisen sollten bestimmte Entschei­ dungen als branchenbekannt gelten.572 Das ist wichtig, wenn man – wie hier vor­ geschlagen – eine Schadensersatzpflicht im Wesentlichen auf Fälle beschränkt, in 563  Siehe nur BGH, Urt. v. 27.3.2003 – IX ZR 399/99, NJW 2003, 2022, 2024; Caspers, in: Stau­ dinger, §  276 Rn.  32–33 m. w. N.; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  56, 58–59. 564  Thole, AcP 209 (2009), 498, 534; allgemein zur Anspruchsgeltendmachung auch Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474; allgemein zum Rechtsirrtum (außerhalb der Rechtsverfolgungsfälle) schon RG, Urt. v. 15.12.1927 – VI 209/27, RGZ 119, 265, 268. 565  Beispiele: OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.4.2013 – I-10 U 68/12, Rn.  5, juris („Immobilienge­ sellschaft mit eigener Rechtsabteilung“); AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  15, juris („gewerbliche Groß-Vermietung“); Jordans/Müller-Sartori, MDR 2009, 779, 781 („eine Bank, eine Versicherung oder ein Inkassobüro“); Weber, DStR 2014, 213, 214 (Kreditinsti­ tut); vergleiche auch Haertlein, MDR 2009, 1, 3 („profunde Rechtsprüfung“ nötig, wenn das be­ troffene Schuldverhältnis zur Berufsausübung des Gläubigers zählt). 566  Von BGH, Urt. v. 5.6.2014 – IX ZR 137/12, BGHZ 201, 334 = NJW 2014, 2653, 2656 Rn.  36 (auf gewerbliche Zessionarin anwaltlicher Forderungen erstreckt); siehe überdies Haertlein, MDR 2009, 1, 3 („professioneller Rechtskenner“). 567  BGH, Urt. v. 11.11.1970 – VIII ZR 242/68, BGHZ 55, 20, 31 (betreffend Vollstreckung in schuldnerfremden Gegenstand). 568  AG Münster, Urt. v. 4.5.1994 – 48 C 9/94, NJW-RR 1994, 1261, 1262. 569  In diese Richtung K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202. 570  Ergänzender Hinweis auf die Eigenschaft als Privatperson bei AG Dortmund, Urt. v. 24.6.­ 2016 – 410 C 10064/15, Rn.  15, juris; nach Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474, hat es Bedeutung für den Sorgfaltsmaßstab, dass Laien eher die Sach- als Rechtslage beurteilen könnten; ansatz­ weise in diese Richtung in speziellerem Kontext auch Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  320 („Die fehlenden Rechtskenntnisse […] begrenzen schließlich auch die Sorgfaltspflicht“). 571 KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; Flatow, jurisPR-MietR 23/2009 Anm.  1. 572 Siehe Eichel, ZfPW 2016, 52, 66.

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denen dem Anspruch höchstrichterliche Judikatur entgegenstand. Gewisse Trans­ ferleistungen bei der Anwendung bekannter Rechtsprechung auf den eigenen Fall werden ebenfalls erwartet.573 Die beschriebenen Anforderungen sind nach dem oben Gesagten im Grundsatz unabhängig von den Rechtserkenntnismöglichkeiten der Gegenseite.574 Wenn man zum Beispiel von einem Arzt die korrekte gebührenrechtliche Bewertung be­ stimmter Untersuchungen verlangt, gilt dies nicht nur, wenn er gegenüber einem Laien abrechnet.575 Die Kenntnisse (usw.) der Gegenseite lassen sich über §  254 BGB berücksichtigen. b) Hinweise des Putativschuldners Fahrlässig ist die Verkennung der Rechtslage nicht immer schon dann, wenn die Gegenseite den Anspruchsteller zuvor auf dessen fehlende Berechtigung hingewie­ sen hat. Im Streit um die richtige Rechtsauffassung muss man dem zu dessen eigenen Gunsten argumentierenden Gegner nicht Glauben schenken.576 Allerdings ist da­ nach zu differenzieren, welcher Erkenntnisgrad die Haftung begründet. So ist nicht ausgeschlossen, dass substanziierte Hinweise des Gegners immerhin Zweifel an der Rechtslage begründen und somit zu einer Haftung führen, wo ausnahmsweise schon Rechtsungewissheit schadet. Sofern eine Haftung des Putativgläubigers, wie üblich, erst bei negativer Gewissheit einsetzt, scheint fahrlässige Unkenntnis allen­ falls denkbar, wenn der Gegner einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung vorgelegt hat, aus der sich das Fehlen des Anspruchs ersichtlich ergibt. c) Gerichtliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Putativgläubigers Wo dem Anspruchsteller erst die praktische Aussichtslosigkeit seines Anliegens schadet, vermag auch das Ergehen einer anspruchsverneinenden Instanzentschei­ dung in der Regel keine Haftung (etwa für Schäden, die erst in der Berufungs­ instanz entstehen) zu begründen. Zwingende Schlüsse hinsichtlich der Rechtsein­ schätzung der nächsten Instanz(en) lassen sich einer ersten Entscheidung regelmä­ ßig nicht entnehmen, außer sie verweist auf höchstrichterliche Judikatur, nach der die Anspruchsgeltendmachung aussichtslos ist. Im Interesse an einer Rechtsklä­ rung577 muss es dem Anspruchsteller regelmäßig ermöglicht werden, höchstrich­ terlich ungeklärte Fragen den Instanzenzug hinaufzutreiben, ohne eine scharfe Haftung fürchten zu müssen. 573  BGH, Urt. v. 5.6.2014 – IX ZR 137/12, BGHZ 201, 334 = NJW 2014, 2653, 2656 Rn.  36: Einem Rechtsanwalt hätte die Rechtslage „schon anhand der Rechtsprechung zum alten Recht klar gewesen sein“ müssen; siehe ferner Eichel, ZfPW 2016, 52, 66, betreffend Banken, wenn „le­ diglich formale Abweichungen von bereits beanstandeten Widerrufsbelehrungen“ bestehen. 574  Vergleiche oben 2. b). 575  In diese Richtung aber Haertlein, MDR 2009, 1, 3. 576  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 830, der deshalb in dem Abstreiten des Anspruchs durch den Putativschuldner keinen kondizierbaren Wert erblickt. 577  Dazu oben III. 2. a).

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5. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft Wenn sich ein Sorgfaltsverstoß des irrenden Anspruchstellers nicht schon nach den vorstehenden Erwägungen ergibt, rückt eine mögliche Verpflichtung578 zur Ein­ holung von Rechtsrat in den Mittelpunkt der Überlegungen. Soweit eine solche anzunehmen wäre, der Anspruchsteller aber auf die Konsultation eines Rechtsex­ perten verzichtet hat, müsste er sich so behandeln lassen, als habe er die objektiven Erfolgsaussichten erkannt. Im Regelfall – schädlicher Erkenntnisgrad: negative Ge­ wissheit – betrifft dies Konstellationen, in denen ein gewissenhafter Rechtsberater dem Anspruchsteller vermittelt hätte, dass eine anspruchsbejahende Rechtsauffas­ sung entweder unvertretbar ist oder in Konflikt zur etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu ergründen, inwieweit sich eine Pflicht zur Intermediärskonsultation annehmen lässt (dazu a)). Anschließend lässt sich da­ rüber nachdenken, welche Folgen sich ergeben, wenn tatsächlich ein Experte mit der Rechtsprüfung beauftragt wurde, dieser aber seinerseits die objektiv möglichen Erkenntnisse nicht gewinnt (dazu b)). a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs Im Kontext von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB wird eine funktionale Obliegenheit zur Intermediärskonsultation schon dadurch ausgelöst, dass sich die Unzumutbarkeit von der Warte eines Rechtskundigen aus beurteilt.579 Im Rahmen der Vorwerfbar­ keitsprüfung lässt sich nicht auf eine solche Vorentscheidung verweisen. Die Pro­ blematik ergibt sich nur dort nicht, wo der Anspruchsteller schon aus Gründen der Postulationsfähigkeit (vor allem §  78 Abs.  1 ZPO) gezwungen ist, für die An­ spruchsgeltendmachung einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. aa) Meinungsstand Im Übrigen offenbart die Analyse der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen zur unberechtigten Rechtsverfolgung erhebliche Meinungsunter­ schiede zu der Frage, wann ein Rechtsanwalt beizuziehen ist. Im Wesentlichen las­ sen sich drei Meinungsströmungen ausmachen, deren Übergänge indes fließend sind. Eine erste Ansicht geht davon aus, der vermeintliche Gläubiger sei verpflichtet, sich „rechtskundig beraten zu lassen, ehe er seinen Vertragspartner mit einer unbe­ gründeten Forderung […] überzieht“.580 Eine Pflicht zur Konsultation bejaht kon­ kludent auch, wer eine Haftung annimmt, wenn ein Rechtsanwalt vernünftiger­

578 Nach Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  309, handelt es sich um eine Obliegenheit; einge­ hend für die Einordnung als Pflicht Derkum, Folgen, S.  160–165. 579  Siehe §  7 C. III. 2. a). 580  LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390.

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weise von der Rechtsverfolgung hätte abraten müssen.581 Die vom BGH zur Schutz­ rechtsverwarnung entwickelte Formel, der Verwarnende müsse „nach gründlicher Recherche und unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkennt­ nismittel“ zur Überzeugung von seiner Berechtigung gelangt sein,582 dürfte im Er­ gebnis ebenfalls als Chiffre für eine Mandatierungspflicht anzusehen sein. Im Zu­ sammenhang mit unberechtigten Kündigungen wird formuliert, die Exkulpation des Vermieters wegen Rechtsirrtums setze „regelmäßig“ die vorherige Einholung von Rechtsrat voraus.583 Vorsichtiger heißt es anderswo, der Anspruchsteller müsse gegebenenfalls vorab Rechtsrat einholen.584 Hier wird zur Begründung des Verschuldens stärker auf si­ tuative Besonderheiten abgehoben, so etwa auf die Höhe der geltend gemachten Forderung (konkret knapp 200.000  €).585 Auch vor einer „einschneidenden Wil­ lenserklärung“ wie einer Eigenbedarfskündigung müsse man sich über die einzu­ haltenden Formalien erkundigen.586 Die Zuziehung eines Rechtsanwalts wird re­ gelmäßig für angezeigt gehalten, wenn „schwierige juristische Probleme auf dem Spiel“ stehen.587 Umgekehrt soll nach Aussage des BGH kein Verschulden anzu­ nehmen sein, wenn ein Mieter vor einer unberechtigten Mängelanzeige auf die Ein­ holung eines kostenträchtigen fachkundigen Gutachtens zur rechtskonformen Be­ rechnung der Wohnfläche verzichtet hat.588 Schwankend wirkt die Auffassung, einem Laien seien keine umfangreichen Rechtsprüfungen aufzugeben, allerdings setze die Haftungsfreiheit voraus, „dass man sich verlässlichen Rechtsrat einholt“, doch brauche ein privater Verbraucher vor der Geltendmachung von Mängeln an einem Alltagsgegenstand keinen Rechtsanwalt einzuschalten.589 Eine dritte Ansicht lässt eine Haftung ausscheiden, wenn die zweifelhafte Rechts­ lage „nur mit professioneller Fachkunde verlässlich beurteilt werden kann“.590 Diese Sichtweise stützt sich letztlich wiederum auf das Argument, die 581  So dürfte die Analyse von Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248–1249, zu verstehen sein; sich anschließend LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 715. 582  So BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte; BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleis­ tung (Herv. d. Verf.). 583  Blank, in: Schmidt-Futterer, §  573 BGB Rn.  79; Geib, in: BeckOGK, §  573 BGB Rn.  185; zu diesem Themenkomplex siehe auch §  15 A. II. 2. b) cc) (2). 584  So AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.1.2008 – 5 C 287/07, Rn.  4, juris; auch Hopt, Schadensersatz, S.  256 (je nach drohender Beeinträchtigung des Gegners). 585  LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 716. 586  LG Hamburg, Urt. v. 28.10.2010 – 307 S 55/10, Rn.  5, juris (obschon nicht explizit zur Kon­ sultation eines Rechtsanwalts). 587  Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366; in eine ähnliche Richtung möglicherweise Thole, AcP 209 (2009), 498, 534 („Die Anforderungen steigen mit der Komplexität der Sach- und Rechtslage“). 588  BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.  29. Dass AG Dort­ mund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  15, juris, an die Rechtskenntnisse eines Privatver­ mieters geringe Anforderungen stellt, ist eigentlich nur dann plausibel, wenn man eine Mandatie­ rungspflicht zumindest im konkreten Fall verneint. 589  Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 590  Haertlein, MDR 2009, 1, 2; wohl ähnlich Spickhoff, LMK 2004, 230, 231; im Ergebnis eben­

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Rechtslage sei in der Regel für beide Kontrahenten gleich gut erkennbar, weil bei­ den die gleichen Erkenntnismittel zur Verfügung stünden.591 bb) Analyse Vertreten wird demnach die gesamte Bandbreite an denkbaren Auffassungen – an­ gefangen bei der Meinung, es sei stets Rechtsrat einzuholen, bis hin zur Ansicht, Berater müssten grundsätzlich nicht konsultiert werden. Die letztgenannte Auffas­ sung ist schon verworfen worden, soweit sie sich des Arguments bedient, der in Anspruch Genommene könne die Rechtslage regelmäßig gleichermaßen gut er­ gründen und so Selbstschädigungen vermeiden. Dieser Umstand lässt sich besser über den Mitverschuldenseinwand berücksichtigen.592 Die Annahme einer „Kon­ sultationspflicht“593 wäre nicht einmal dann kritisch, wenn ein juristischer Laie ein Großunternehmen in Anspruch nimmt. Hier kann §  254 BGB ohne Weiteres dazu führen, dass der Laie die Aufwendungen des Anspruchsgegners – trotz Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung – nicht ersetzen muss.594 Zu entscheiden bleibt somit zwischen der generellen Annahme einer Pflicht, Rechtsrat einzuholen, und einer Position, die nach der jeweiligen Ausgangslage dif­ ferenziert. (1) Auswirkungen betreffend wirtschaftlich Schwächere Es ist zu berücksichtigen, dass die Aussicht, entsprechende Kosten tragen zu müs­ sen, die Attraktivität einer Inanspruchnahme von Rechtsberatung verringert.595 Vor diesem Hintergrund nachvollziehbar erscheint das Argument, eine Pflicht zur Einholung von Rechtsrat erschwerte wirtschaftlich Schwächeren die Rechtsverfol­ gung in unerträglicher Weise.596 Allerdings lässt sich auf die Vorschriften des Ber­ HG verweisen.597 Danach sind die Kosten für eine rechtliche Beratung gerade nicht zwingend aus eigener Tasche zu finanzieren. Mit vergleichbarer Argumentation wird auch der nach §  78 Abs.  1 ZPO bestehende Anwaltszwang verteidigt: Nach den Vorschriften zur Prozesskostenhilfe könne ein Anwalt beigeordnet werden (siehe §  121 ZPO); eine „faktische Rechtswegsperre“ ergebe sich nicht.598 falls Derkum, Folgen, S.  231; so auch zur unwirksamen Kündigung AG Konstanz, Urt. v. 20.4.­ 1977  – C 141/77, WuM 1977, 254. 591  Haertlein, MDR 2009, 1, 3. 592  Siehe oben 2. b). 593  So auch der Begriff bei Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73; dieser wird im Folgen­ den regelmäßig verwendet. 594  Näher unten V. 3. 595 Siehe Baer, Rechtssoziologie, §   7 Rn.   28; als „Binsenweisheit“ bezeichnet dies Raiser, Rechts­­soziologie, S.   324. 596 So Sturm, JR 1972, 43, 44; in diese Richtung auch OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1292. 597  Dazu oben §  3 A. III. 2. a). 598  Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  78 Rn.  2.

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(2) Normativer Einfluss der Regelungen zum Anwaltszwang Im soeben angesprochenen §  78 Abs.  1 ZPO könnte man auch im Übrigen eine Wertung für das hier betroffene Problem suchen. Die Vorschrift geht schließlich davon aus, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt (erst) ab der Ebene der Landgerichte zwingend geboten ist. Es ließe sich erwägen, eine Mandatierungs­ pflicht erst ab dieser Schwelle anzunehmen, also bei Streitigkeiten zu verneinen, die in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fallen. In der Literatur zur unberechtigten Rechtsverfolgung wird eine solche Grenzziehung gelegentlich angesprochen und teils befürwortet,599 teils abgelehnt. 600 Im Ergebnis würde eine solche Begrenzung vor allem dazu führen, dass bei Streitwerten bis zu 5.000  € (§  23 Nr.  1 GVG) eine Mandatierungspflicht regelmäßig zu verneinen wäre. Vordergründig besitzt dieser Gedanke zumindest den Charme einer einfachen Handhabung. Allerdings erscheint fraglich, inwiefern der Anwaltszwang überhaupt (auch) dazu gedacht ist, die hier in Rede stehenden Interessen des Prozessgegners zu schützen. Zu §  114 ZPO ließ sich argumentieren, mit der Prüfung der Erfolgsaus­ sichten werde effektiv auch Gegnerschutz betrieben. 601 Der Anwaltszwang wird jedoch primär durch das Interesse an einer geordneten Rechtspflege sowie den Schutz des Vertretenen gerechtfertigt. 602 Auch die Regelungen zur Zuständigkeit der Amtsgerichte (§  23 GVG), die via §  78 Abs.  1 ZPO die anwaltliche Vertretung erübrigen, sind zu einem erheblichen Teil anders motiviert. So sollte die amtsge­ richtliche Zuständigkeit einen Lokalbezug herstellen. 603 Vor allem aber geht es um die Einsparung von Richterpersonal. 604 In manchen Konstellationen erschienen die Ergebnisse, die unter Rückgriff auf §  78 ZPO, §  23 GVG erzielt würden, sogar gänzlich verfehlt. So wäre beispielsweise wegen §  23 Nr.  2 lit.  a GVG eine Mandatie­ rungspflicht des Wohnraumvermieters selbst dort zu verneinen, wo es in dem Rechtsstreit um einschneidende Folgen für den Mieter (Verlust der Wohnung) geht. 605 Ohnehin ist zu beachten, dass gemäß §  121 Abs.  2 ZPO einer bedürftigen 599  Konzen, Rechtsverhältnisse, S.   319 (in speziellerem Zusammenhang: „die Befreiung vom Anwaltszwang bezweckt aber gerade, das Prozessieren ohne das Risiko der Anwaltskosten zu ermöglichen“); in diese Richtung auch Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366. 600  Hopt, Schadensersatz, S.  256, obschon er a. a. O. in Fn.  7 auch den Gedanken anerkennt, den Konzen nennt. 601  Siehe oben III. 3. a) (m.N. zum Streit). 602  Siehe schon §  3 A. III. 2. a); deutlich etwa BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 23.8.2010 – 1 BvR 1632/10, NJW 2010, 3291, 3291 Rn.  13; BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 242/03, NJW-RR 2005, 1237, 1237; Jacoby, in: Stein/Jonas, §  78 Rn.  13; Toussaint, in: MüKo-ZPO, §  78 Rn.  2. 603  Siehe Begr. BR-E RPflEntlG, BT-Drs. 12/1217, 44, unter Verweis auf Hahn, Materialien I, S.  68. 604 Wenngleich der frühere Zweck, Kollegialentscheidungen überflüssig zu machen (dazu Hahn, Materialien I, S.  68), infolge von §§  348, 348a ZPO weggefallen ist (W. Zimmermann, in: MüKo-ZPO, §  23 GVG Rn.  1), geht es immerhin noch darum, siehe W. Zimmermann, a. a. O. Rn.  2 (höherer Pensenschlüssel am AG); den Zweck einer Einsparung hervorhebend auch Begr. BR-E RPflEntlG, BT-Drs. 12/1217, 44. 605 Auch die einschlägigen Gesetzesmaterialien weisen darauf hin, die Amtsgerichte seien

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Partei ein Rechtsanwalt auch dann beigeordnet werden kann, wenn kein Anwalts­ zwang herrscht. Es wird gar davon ausgegangen, dass bereits in Fällen normaler Schwierigkeit so zu verfahren sei, um rechtliche Nachteile des Bedürftigen zu ver­ hindern. 606 Dieser Umstand belegt deutlich, dass das Gesetz eine rechtliche Bera­ tung in Streitigkeiten, die in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fallen, nicht typi­ scherweise für überflüssig erachtet. Eine Orientierung an §  78 Abs.  1 ZPO, §  23 GVG würde im Ergebnis nicht ein­ mal die entlastende Wirkung haben, die man sich davon versprechen mag. Der pro­ spektive Anspruchsteller müsste, um zu wissen, ob ihn eine Konsultationspflicht trifft, den Streitwert berechnen. Dessen Bestimmung kann aber im Einzelfall er­ fahrungsgemäß Schwierigkeiten bereiten. In solchen Fällen ist für einen Laien nichts gewonnen: Er müsste einen Anwalt befragen, um zu erfahren, ob der Gang zum Anwalt nötig ist. (3) Rechtsökonomische Erwägungen Der BGH hat, wie gesehen, die Konsultationspflicht im Einzelfall unter Verweis auf die drohende Kostenbelastung abgelehnt. 607 In eine ähnliche Richtung weist die An­ nahme, ein Verbraucher müsse vor der Anzeige von Mängeln eines Alltagsgegen­ stands keinen Rechtsanwalt einschalten. 608 Hingegen wurde eine Verpflichtung zur Einholung von Rechtsrat angenommen, wo eine für die Gegenseite einschneidende Rechtsverfolgung in Rede stand609 oder ein Zahlungsanspruch in sechsstelliger Höhe betroffen war.610 In all diesen Beispielen wird mindestens implizit der Bera­ tungsaufwand ins Verhältnis zum drohenden Schaden gesetzt. Ein solcher Gedan­ kengang könnte auch erklären, warum vor einer (schadensträchtigen) Schutzrechts­ verwarnung sämtliche Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen sein sollen. 611 Die Verbindung zur oben genannten Learned-Hand-Formel und den allgemein zu §  276 Abs.  2 BGB herangezogenen Maßstäben612 liegt auf der Hand. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, etwas genauer zu betrachten, ob sich aus den Erkenntnissen der ökonomischen Analyse des Rechts wesentliche Argumente für eine abwägende Herangehensweise (anstelle einer pauschalen Mandatierungs­ pflicht) ableiten lassen. Allerdings geht es vorliegend um ein Spezialproblem. Insbe­

„heute in Zivilsachen für zahlreiche Rechtsstreitigkeiten sachlich zuständig, die von erheblichem Schwierigkeitsgrad, von zum Teil großer vermögensrechtlicher Tragweite und von besonderer Bedeutung für die Parteien sein können“, Begr. BR-E RPflEntlG, BT-Drs. 12/1217, 44. 606  Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  121 Rn.  8 . 607  BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.  29. 608  Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 609  LG Hamburg, Urt. v. 28.10.2010 – 307 S 55/10, Rn.  5, juris (Eigenbedarfskündigung). 610  LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 716. 611  Dies fordern BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte; BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicher­ heitsleistung. Siehe zum oft drohenden hohen Schaden bereits III. 4. b) cc) (2). 612  Dazu 3. b).

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sondere die rechtsökonomischen Arbeiten Engerts zum Rechtsirrtum613 befassen sich mit einer in wesentlichen Punkten anders gelagerten Problemdimension. Es geht dort um die Verhaltensanreize, welche die Anlegung eines strengen respektive milden Maßstabs auf Ebene des Erkenntnisgrades setzt. 614 Die dort behandelten Fälle unterscheiden sich überdies schon in ihrer Anlage. Engert fokussiert Situatio­ nen, in denen mit Blick auf ein Spektrum an denkbaren Verhaltensweisen zu be­ trachten ist, wie wahrscheinlich eine Einstufung als pflicht- bzw. rechtswidrig je­ weils erscheint. 615 In den vorliegend interessierenden Fällen geht es hingegen aus der Perspektive des Putativgläubigers nicht um die Einschätzung, welche Ver­ haltensweise aus einem Spektrum von Optionen noch sorgfaltsgemäß ist. Er muss sich – grundsätzlich binär – zwischen einer Geltendmachung und einem Verzicht auf jene entscheiden. 616 Die vorliegende Untersuchung hat nicht den Anspruch, eine detaillierte ökonomische Analyse dieser besonderen Konstellation zu leisten. Die Betrachtung soll sich im Folgenden darauf beschränken, anhand allgemeinerer Überlegungen zur effizienten Schadensvermeidung die bestehenden Alternativen (pauschale Konsultationspflicht versus von Aufwand und drohenden Schäden ab­ hängige Pflicht) wenigstens im Ansatz auf ihre ökonomische Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. (a) Effizienter Schadensvermeidungsaufwand Allgemein ist zu konstatieren, dass Anreize für einen effizienten Vermeidungsauf­ wand (Minimierung der Summe von Schadens- und Schadensvermeidungskosten) nicht nur durch eine punktgenaue Formulierung der Sorgfaltsanforderungen er­ reichbar sind. Vielmehr muss es die Rechtsordnung vor allem vermeiden, eine Sorg­ falt einzufordern, die unterhalb der effizienten Sorgfalt liegt.617 Wo die Rechtsord­ nung hingegen die Sorgfaltsanforderungen stark überspannt, wird ein Schädiger in 613 

Engert, in: GS Unberath, S.  91; Engert, in: FS Kirchner, S.  735. Dies wird deutlich bei Engert, in: GS Unberath, S.  91, 98. 615  Diese Prämisse wird erkennbar bei Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 738–739; Engert, in: GS Unberath, S.  91, 98–99 (m. w. N. in Fn.  27); siehe zu solchen Fällen auch Schäfer/Ott, Analyse, S.  197–198; dazu auch m. w. N. Korch, Haftung, S.  16–17. Als Beispiel dient Engert, in: GS Unbe­ rath, S.  91, 97–98, die Unsicherheit darüber, ab welchem Blutalkoholgehalt das Steuern eines Fahr­ zeugs als sorgfaltswidrig angesehen werden wird. Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 738, nennt die Wahl einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit. 616  In dem von Engert, in: GS Unberath, S.  91, 99, verwendeten Koordinatensystem wären auf der Abszisse nur zwei Punkte zu setzen. Im Punkt 0 (Verzicht auf Geltendmachung) wäre auf der Ordinate ebenfalls stets der Wert 0 einzutragen (sicherer Haftungsausschluss), im Punkt 1 (Gel­ tendmachung) wäre auf der Ordinate die aus Sicht des Schädigers angenommene Haftungswahr­ scheinlichkeit (zwischen 0 und 1) zu notieren. Eine weitere Besonderheit lässt sich darin erblicken, dass ein Rechtsexperte in den vorliegend betrachteten Fällen aufgrund des klaren Maßstabs auf Ebene des Erkenntnisgrades (dazu oben III. 3.: Haftung nur bei entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung oder unvertret­ barer Rechtsansicht; siehe übergreifend §  15 C.) verhältnismäßig sicher prognostizieren könnte, ob eine Geltendmachung haftungsbedroht ist. 617  Schäfer/Ott, Analyse, S.  196. 614 

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der Theorie effiziente Sorgfalt üben, da dies für ihn selbst unter Berücksichtigung des dann bestehenden Haftungsrisikos günstiger ist, als die überhöhten (haftungs­ ausschließenden) Sorgfaltsanforderungen einzuhalten.618 Es lässt sich zudem zei­ gen, dass selbst eine weniger starke Überspannung der Sorgfaltsanforderungen zu effizienter Schadensvermeidung führt, sofern der Schädiger nur für denjenigen Schaden haftet, der bei Anwendung der von der Rechtsordnung geforderten Sorg­ falt im Vergleich zur tatsächlich geübten Sorgfalt angefallen wäre (Differenzmetho­ de). 619 Als Empfehlung wird daher formuliert, die Sorgfaltsanforderungen seien dort, wo eine genaue Festlegung nicht möglich sei, besser zu hoch als zu niedrig anzusetzen. 620 Die Annahme einer pauschalen Konsultationspflicht erscheint dem­ nach jedenfalls nicht a priori ausgeschlossen. Freilich ist zu beachten, dass die Einschaltung eines Rechtsberaters nicht unmit­ telbar vergleichbar ist mit Schadensvermeidungsmaßnahmen wie beispielsweise technischen Sicherungen. Vielmehr verschafft der Berater dem potenziellen Schä­ diger zunächst Informationen über die Schadens- bzw. Haftungswahrscheinlich­ keit. Es ist jedoch anerkannt, dass auch ein solcher Informationsaufwand Teil des zu optimierenden Schadensvermeidungsaufwands ist und somit prinzipiell die glei­ chen Gedanken zum Tragen kommen.621 Mitunter wird unter rechtsökonomi­ schen Gesichtspunkten sogar explizit die weitgehende Unbeachtlichkeit einer Be­ rufung auf Rechtsunkenntnis gelobt: Da der Umfang der erforderlichen Rechts­ kenntnis und die Kosten der Beschaffung je nach betroffener Person und betroffenem Vorgang stark schwankten, sei es im am sinnvollsten, dass grundsätz­ lich „jeder Bürger über den Umfang und den Wert der Rechtskenntnisverschaffung selbst entscheidet und diese mit den dabei anfallenden Kosten zum Ausgleich bringt“, die Rechte und Pflichten jedoch unabhängig davon seien, inwiefern Rechts­ informationen tatsächlich beschafft wurden. 622 (b) Sozialer Nutzen der Anspruchsgeltendmachung Allerdings stand bis hierhin einzig das Ziel im Fokus, die Summe aus Schadenskos­ ten und Schadensvermeidungskosten zu minimieren. Die in diesem Sinne mit opti­ 618 

Schäfer/Ott, Analyse, S.  196. Schäfer/Ott, Analyse, S.  198–201; siehe auch Engert, in: GS Unberath, S.  91, 109 Fn.  54, 55; Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 744. Dazu dürfte vorliegend die Berücksichtigung eines schuld­ losen Alternativverhaltens führen (siehe unten dd) sowie ausführlicher §  16 D. III. 3.). 620  Schäfer/Ott, Analyse, S.  198–201. 621  Korch, Haftung, S.  167; Schäfer/Ott, Analyse, S.  189. Allerdings weist Shavell, J. Legal Stud. 21 (1992), 259, 264 Fn.  5, darauf hin, dass Informations­ pflichten gegenüber (unmittelbaren) Schadensvermeidungsmaßnahmen eine Sonderrolle zukom­ me: Auch eine ineffiziente Information könne für den Schädiger noch einen positiven Nutzen haben – nämlich die Erkenntnis, dass kein Haftungsrisiko existiere und man keine Sorgfalt üben müsse. Stets den Informationsstand zugrunde zu legen, der sich nach der Einholung von Informa­ tionen ergibt – unabhängig davon, ob die Informationseinholung selbst effizient war –, könne dazu führen, dass der individuelle Wert der Information für den Schädiger den sozialen Wert übertrifft (Shavell, a. a. O., 267–268). 622  Adams, Analyse, S.  91. 619 

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maler Sorgfalt ausgeübte schädliche Aktivität führt allerdings nicht zwingend zu einem Nettonutzen (im Sinne der Gesamtwohlfahrt). 623 Zwar wird angemerkt, es sei grundsätzlich sachgerecht, den Nettonutzen einer Aktivität im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen, weil sich dieser vom Gericht kaum verlässlich ermitteln lasse. 624 Auf diese Position kann man sich im vorliegen­ den Zusammenhang allerdings nicht ohne Weiteres zurückziehen. Zwar lässt sich auch der soziale Nutzen einer Anspruchsgeltendmachung kaum genau bewerten. Er hängt beispielsweise davon ab, welchen Wert man einer gerichtlichen Stellung­ nahme zu einer ungeklärten Rechtsfrage beimisst. 625 Nach hier vertretener Ansicht existiert indes in Gestalt von §  114 Abs.  1 ZPO ein Anhaltspunkt dafür, wann eine Anspruchsverfolgung, die gegebenenfalls mit Einbußen für die Gegenseite und öf­ fentlichen Kosten verbunden ist, aus Sicht des Gesetzgebers einen positiven Ge­ samtnutzen aufweist. Diese Grenze verläuft bei den hinreichenden Erfolgsaussich­ ten. Bestehen diese, sollen die mit einer Geltendmachung verbundenen Nachteile nicht mehr hinreichend stark ins Gewicht fallen. Offenbar geht dann das Gesetz davon aus, dass die Vorteile einer Anspruchsverfolgung – darunter die ermöglichte Rechtskonkretisierung bzw. -fortbildung626 – typischerweise überwiegen. In den vorliegend beleuchteten Fällen sollte der „Schaden“ daher nicht mit den vernichte­ ten Nutzwerten (primäre Kosten) 627 des in Anspruch Genommenen (zuzüglich aus der Staatkasse finanzierter Kosten des Verfahrens) verstanden werden. Ein zu ver­ hütender Schaden kommt vielmehr nur dann in Betracht, sofern die genannten Kosten gerade infolge einer Anspruchsgeltendmachung eintreten, die praktisch aussichtslos war. Aus diesem Befund ergibt sich eine wichtige Konsequenz mit Blick auf eine denkbare Konsultationspflicht bei der Geltendmachung von Ansprüchen. Bestün­ de eine solche, könnte ein potenzieller Gläubiger nur dann ein Haftungsrisiko aus­ schließen, wenn er zuvor Rechtsrat einholte. Es ergäbe sich die Gefahr, dass die voraussichtlichen Kosten der Konsultation sowohl ein Vorgehen ohne Haftungsri­ siko (aber mit Beratungskosten) als auch ein Vorgehen unter Verzicht auf die kos­ tenträchtige Konsultation (aber mit resultierendem Haftungsrisiko) unattraktiv erscheinen ließen. Die Konsultationspflicht würde den mutmaßlichen Gläubiger also von einer Aktivität abhalten, die nach der Wertung des §  114 Abs.  1 ZPO billi­ genswert ist. 628 623 Siehe

Schäfer/Ott, Analyse, S.  202; G. Wagner, DelR, Kap.  4 Rn.  16. Schäfer/Ott, Analyse, S.  202–203. 625  Es ist schwierig, hier einen monetären Wert zuzuweisen, Landes/Posner, J. Legal Stud. 8 (1979), 235, 242; siehe auch Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 745. 626  Zu deren rechtsökonomischer Berücksichtigung als Nutzen von Prozessen siehe schon §  3 A. II. 2. mit Fn.  69. 627  Schäfer/Ott, Analyse, S.  153. 628  In vereinzelten Ansätzen ist diese Wirkung schon in der frühen Literatur zur unberechtig­ ten Anspruchsgeltendmachung bemerkt worden; siehe insb. Hopt, Schadensersatz, S.  254–255, der im Zusammenhang mit „zu großen Anforderungen an diese Prüfung“ auch auf eine denkbare Störung der Rechtsfortbildungsfunktion hinweist. Die Sorge erscheint besonders vor dem Hin­ 624 

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Ein in der Gesamtschau positiver Nettonutzen ginge also von einer pauschalen Konsultationspflicht nur dann aus, wenn die durch die beschriebene Abschre­ ckungswirkung verursachten Nutzenverluste durch positive Effekte aufgewogen würde. Zu nennen ist insoweit vor allem die Abschreckung solcher Anspruchstel­ ler, die ohne die mit der Konsultationspflicht verbundene Haftungsgefahr hinrei­ chende Anreize besäßen, eine aus objektiver Sicht aussichtslose Rechtsverfolgung zu betreiben. Bedenkt man, unter welch engen Voraussetzungen eine solche Aus­ sichtslosigkeit anzunehmen ist, erscheint indes fraglich, ob der durch Überabschre­ ckung eintretende Nutzenverlust durch diesen Nutzengewinn tatsächlich kompen­ siert wird. Man könnte nun zusätzlich darauf hinweisen, dass in manchen Fällen erst die Einholung von Rechtsrat dem potenziellen Anspruchsinhaber hinreichen­ de Kenntnis vom Fehlen eines Haftungsrisikos verschafft und er sich erst infolge­ dessen zur (vom Recht gebilligten) Anspruchsgeltendmachung entschließt. 629 Auch das wäre ein positiver Effekt. Es liegt allerdings nicht auf der Hand, dass sich die geschilderte Wirkung erst infolge einer haftungsbewehrten Konsultations­ pflicht ergibt. Vielmehr erscheint auch in Abwesenheit einer solchen naheliegend, dass der mögliche Anspruchsinhaber, wo es ihm nach seiner Kalkulation Nutzen verspricht, zunächst einen Rechtsberater befragen wird, um sich über die Erfolgs­ aussichten klar zu werden. Infolge der geringeren Haftungsgefahr wird er wo­ möglich öfter ohne Konsultation zur Geltendmachung schreiten. Dann ist das er­ wünschte Ergebnis (Geltendmachung) sogar bereits auf direktem Wege erreicht. Bei einer überschlägigen, an der Gesamtwohlfahrt orientierten Betrachtung un­ ter Berücksichtigung der in §  114 Abs.  1 ZPO zutage tretenden Wertungen erscheint demnach eine von Kosten und Schadensrisiko unabhängige Konsultationspflicht nicht über jeden Zweifel erhaben. Allerdings könnten weitere Faktoren in die Be­ rechnung einzustellen sein, die möglicherweise das Pendel in Richtung einer gene­ rellen Konsultationspflicht ausschlagen lassen. Insbesondere ist zu bedenken, dass die oben beschriebene Abschreckungswirkung, die von einem solchen Modell aus­ gehen mag, in zweierlei Hinsicht gemindert wird. Erstens besteht für den An­ spruchsteller, der die bestehende Konsultationspflicht missachtet, gleichwohl kein nennenswertes Haftungsrisiko, wenn der Anspruchsgegner eine deutlich überlege­ ne rechtliche Expertise aufweist. Die meisten Schadensposten werden dann infolge eines überwiegenden Mitverschuldens nicht ersatzfähig sein. 630 Dieser Gesichts­ punkt lässt es beispielsweise als tragbar erscheinen, dass die Konsultationspflicht auch einen Verbraucher bei der Geltendmachung von Mängelrechten an einem All­ tagsgegenstand gegenüber einem Unternehmer631 trifft. Zweitens werden unter tergrund begründet, dass bereits das Prozesskostenrisiko eine Hürde für potenzielle Anspruch­ steller aufstellt, dazu unten §  10 C. I. 1. b) bb) (3), D. 629  Shavell, J. Legal Stud. 21 (1992), 259, 260, weist gerade auf den dualen Nutzen der Informa­ tion hin: Die resultierende Vermeidung unerwünschter Schäden, aber eben auch die Vermeidung sozial unerwünschter (zu „teurer“) Vorsichtsmaßnahmen. 630  Siehe unten V. 631  Gegen die Annahme einer Konsultationspflicht in diesem Fall Thole, AcP 209 (2009), 498, 534 (siehe oben aa)).

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bestimmten Umständen die Kosten der Konsultation gesenkt. Dies ist der Fall, wenn die Rechtsordnung dem Gläubiger für den Fall seiner Anspruchsberechti­ gung Ersatzansprüche in Höhe der Rechtsberatungskosten zuweist.632 Die Idee einer generellen Konsultationspflicht sollte nach alldem nicht vorschnell verworfen werden. 633 (c) Vereinfachungseffekt Ohnedies verdient aus rechtsökonomischer Sicht ein weiterer Faktor Beachtung. Die Statuierung einer allgemeinen Pflicht, Rechtsrat einzuholen, brächte für den Rechtsanwender einen großen Vorteil mit sich. Er müsste nicht in jedem Einzelfall die optimale Sorgfalt hinsichtlich der Einholung von Rechtsrat mühsam selbst er­ mitteln. 634 Auch eine solche Ermittlung der in concreto angemessenen Sorgfalt würde Aufwand verlangen, der in die Gesamtrechnung einzustellen wäre. Ange­ sichts des erzielten Vereinfachungseffekts könnte die Überabschreckung hinzu­ nehmen sein. (d) Zwischenfazit Die kursorische Betrachtung möglicher rechtsökonomischer Wirkungen einer strengen Konsultationspflicht hat in der Gesamtschau keine eindeutigen Argumen­ te gegen deren Implementierung zutage gefördert. Insbesondere erscheint nicht ausgeschlossen, dass die zu befürchtende Überabschreckung nicht besonders stark ins Gewicht fällt, während der eintretende Vereinfachungseffekt positiv wirkt. Al­ les in allem erscheint die Verankerung einer strengen Konsultationspflicht somit zumindest nicht evident ineffizient. Eine pauschale Pflicht dürfte auch diejenigen eher überzeugen, die der rechts­ ökonomischen Herleitung von Sorgfaltsmaßstäben von vornherein skeptisch ge­ genüberstehen. Das Grundproblem besteht darin, dass Ergebnisse, die aus der Per­ spektive der Gesamtwohlfahrt effizient sind, zu einer als ungerecht empfundenen Verteilung der Lasten auf unterschiedliche Rechtssubjekte führen können. 635 Der Gesetzgeber kann, gerade aus Verteilungsgesichtspunkten, auch ineffiziente Rege­ 632  Die Beratungskosten können insb. einen nach §§  280 Abs.  1 und 2, 286 BGB zu ersetzenden Schadensposten darstellen, wenn die Mandatierung nach Verzugseintritt erfolgt, siehe unten §  11 C. 3. b). 633 Auch Adams, Analyse, S.  92, geht davon aus, dass die einhergehenden Wohlfahrtsverluste als „Preis für die Aufrechterhaltung des sinnvollen Systems, das jedem Bürger die Möglichkeit gibt, seine Rechtskenntnisverschaffung individuell zu optimieren“, hinzunehmen seien. 634  Dies – ohne wertende Schlussfolgerung – feststellend auch Shavell, J. Legal Stud. 21 (1992), 259, 269. 635  Kritik entzündet sich v. a. an der Annahme einer Generalkompensation, auf der das gängige Effizienzkriterium nach Kaldor/Hicks gedanklich aufbaut (dazu Schäfer/Ott, Analyse, S.  23). Es sei nicht hinreichend gewährleistet, dass Nachteile, die dem Einzelnen zur Steigerung der Ge­ samtwohlfahrt auferlegt würden, tatsächlich im Lauf der Zeit ausgeglichen würden (Darstellung der Kritik bei Schäfer/Ott, Analyse, S.  25; aus der Perspektive des Putativschuldners dazu auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 807).

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lungsmodelle wählen. 636 Die Statuierung einer Konsultationspflicht könnte ein solches Beispiel sein. Sie würde verhindern, dass ein Putativgläubiger aus Effizienz­ erwägungen einen „Freibrief“637 für die Schädigung des vermeintlichen Schuldners erhält. (4) Übergreifende Gründe aus Systematik und Genese Die Annahme einer pauschalen Pflicht, Rechtsrat einzuholen, könnte aus übergrei­ fenden Erwägungen zur Behandlung von Rechtsirrtümern zu rechtfertigen sein. Weil solche Zusammenhänge notwendigerweise über die Grenzen der in dieser Un­ tersuchung gebildeten Quadranten hinausreichen, muss eine abschließende Beur­ teilung noch zurückgestellt werden. 638 Der Gedankengang soll hier aber immerhin schon kurz angerissen werden. Die allgemeine Literatur zur Behandlung von Rechtsirrtümern im Rahmen von §  276 Abs.  2 BGB639 geht überwiegend von einer Pflicht aus, bei fehlender Rechts­ kunde Rechtsrat einzuholen. 640 Auch das Reichsgericht formulierte in allgemei­ nem Kontext, wer bei zweifelhafter Rechtslage keine Erkundigungen einziehe, handele auf eigene Gefahr. 641 Bedenkt man, wie sich die Verfasser des BGB positi­ oniert haben, erscheint eine solche Sichtweise nicht fernliegend: Rechtsirrtümer könnten entschuldigt sein, zugleich sei aber zu beachten, dass ein Weg zur zutref­ fenden Rechtserkenntnis regelmäßig offenstehe. 642 Darin kann man die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Intermediäre angesprochen sehen. 643 Es erscheint vor diesem Hintergrund zumindest plausibel, nur dann von einer Entlas­ tung auszugehen, wenn selbst ein Rechtsberater den schädlichen Erkenntnisgrad nicht erreichen konnte. Mit einem solchen Modell stünden auch die Ergebnisse in Einklang, die im Zu­ sammenhang mit dem Verjährungsrecht gewonnen wurden. Auch dort erachtet es der Gesetzgeber offenbar für sachgerecht, den Rechtsunterworfenen unterschieds­ los auf die Konsultation eines Rechtsexperten zu verweisen, soweit es um die Er­ kenntnis der Anspruchsberechtigung geht. 644 In dieses Bild würde sich eine Fort­ schreibung des Gedankens bei der rechtsirrtümlichen Anspruchsgeltendmachung einfügen.

636 

Siehe dazu §  2 C. m.N. So die Sorge von Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  49. 638  Siehe §  16 B. II. 639  Zum Rückgriff auf diese siehe oben 3. b). 640  Ausführlich Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73 (mit engen Ausnahmen); im Grund­ satz ebenso Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107; ­P feiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 641  RG, Urt. v. 15.12.1927 – VI 209/27, RGZ 119, 265, 268. 642  Siehe oben bei §  5 A.: Mot. I, 281. 643  Dazu §  5 C. IV. 644  Siehe oben §  7 C. III. 2. a). 637 

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(5) Zwischenfazit Die Annahme einer pauschalen Konsultationspflicht hätte keine offensichtlich sachwidrigen Konsequenzen. Vielmehr lassen sich beachtliche Argumente zu ihren Gunsten anführen. Neben dem damit einhergehenden Vereinfachungseffekt ist vor allem auf die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers zu verweisen. Inwiefern solche Gesichtspunkte sich tatsächlich als durchgreifend erweisen, kann jedoch erst in der systematischen Zusammenschau mit den Befunden aus den übrigen Untersu­ chungsquadranten abschließend beurteilt werden. 645 Zumindest der vergleichende Blick auf das Verjährungsrecht und die dort bestehende faktische Konsultationsob­ liegenheit stützt die Idee einer entsprechenden Berücksichtigung im Bereich der Putativgläubigerhaftung. Allerdings ist zu bedenken, dass im Verjährungsrecht die Rechtslage im Grund­ satz nicht zum nachteilsbegründenden Tatbestand zählt. Deshalb fällt es leicht, die ungeschriebene Ergänzung (im Rahmen der Unzumutbarkeitsausnahme) von vornherein so auszugestalten, dass es stets auf die objektive Perspektive eines Rechtskundigen ankommt. 646 Im Kontext der Putativgläubigerhaftung ist die ge­ setzliche Ausgangslage für den Irrenden hingegen eine deutlich bessere, soweit Ver­ schulden vorausgesetzt wird. Es erscheint daher zweifelhaft, ob die fehlende Kon­ sultation eines Rechtsexperten wirklich stets als Verstoß gegen die verkehrserfor­ derliche Sorgfalt (siehe §  276 Abs.  2 BGB) angesehen werden kann. 647 Für eine abschließende Erörterung dieser Problematik sollte freilich abgewartet werden, wie sich ihre Handhabung in anderen Zusammenhängen, insbesondere im Kontext der Schuldnerhaftung, darstellt. 648 Vorerst bleibt festzuhalten: Vieles spricht für eine weitgehende Konsultationspflicht. Es ist indes nicht auszuschließen, dass der Vorwurf an den Putativgläubiger nach §  276 BGB jeweils eingehender begründet werden muss. Im Folgenden sind daher vor allem die Vorgaben näher zu betrach­ ten, die für die Auswahl und Kontrolle des Beraters gelten. cc) Qualifikation des Intermediärs Soweit die Konsultation eines Beraters für erforderlich gehalten wird, ist zu bestim­ men, welche Qualitätsanforderungen dieser erfüllen muss. Schon Hopt hat in seiner grundlegenden Untersuchung angemerkt, bei besonders komplexen bzw. speziell gelagerten Rechtsfragen dürfe man sich nicht auf einen „Winkelkonsulenten“, unter Umständen nicht einmal auf einen nicht spezialisierten Rechtsanwalt verlassen. 649

645 

Dazu §  16 B. II. Siehe §  7 C. I. 1. c) cc), III. 2. a). 647  Siehe auch Spickhoff, LMK 2004, 230, 231: „Die Annahme leichtester Fahrlässigkeit wegen Zugrundelegung des Verkehrskreises eines Rechtsexperten“ überschreite „die Grenzen des ver­ fassungsrechtlich Tolerablen (und des Verschuldensprinzips)“. 648  Siehe dazu unten §  11 C. III. 2. a) aa)–bb), V. 2.–3. 649  Hopt, Schadensersatz, S.  256. 646 

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Die These ist teils auf Zustimmung, 650 teils auf Ablehnung gestoßen. 651 Der BGH hat jedenfalls bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung gefordert, der hin­ zugezogene Anwalt müsse über die für eine sachgerechte Beurteilung der Schutz­ rechtslage „nötige Sachkunde und Erfahrung“ verfügen. 652 Es sollte bei der Formulierung solcher Anforderungen bedacht werden, dass die­ se für Rechtsanwender, die die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung zu beurteilen haben, operabel sein müssen. Auch scheint die Gefahr von Rückschaufehlern653 naheliegend, frei nach dem Motto: Wenn der vermeintliche Experte schlecht bera­ ten hat, war er offenbar ungeeignet. Woran sich etwa der von Hopt654 erwähnte „Winkelkonsulent“ erkennen lassen soll, bleibt unklar. Innerhalb der Anwaltschaft könnte man sich allenfalls an bestehenden Fachanwaltschaften orientieren, um we­ nigstens eine gewisse normative Anknüpfung herzustellen. 655 Dem lässt sich ent­ gegenhalten, dass auch Nicht-Fachanwälte über hinreichende Expertise in Spezial­ bereichen verfügen und diese – in den Grenzen des Berufs- und Wettbewerbs­ rechts656  – kundtun können. 657 Doch selbst wenn sich die Gruppe der in Frage kommenden „Spezialisten“ hinreichend umgrenzen ließe, wäre noch nicht ent­ schieden, in welchen Fällen die Mandatierung eines solchen Spezialanwalts nötig wäre. Spätestens hier wäre der anzulegende Maßstab mit Unsicherheiten belastet. Nicht nur die Abgrenzungsproblematik, sondern auch normative Gründe legen nahe, grundsätzlich die Mandatierung eines jeden Rechtsanwalts für ausreichend zu erachten. Zu Recht hält Konzen fest, bei realistischer Betrachtung könne von juristischen Laien im Grundsatz nicht verlangt werden, Fähigkeiten und Erfahrun­ gen eines zugelassenen Rechtsanwalts noch gesondert zu beurteilen. 658 Für diese Sichtweise lässt sich auf die Fallgruppe der Schutzrechtsverwarnung rekurrieren. In diesem Zusammenhang ist pointiert darauf hingewiesen worden, es wäre „nicht einzusehen, aus welchen Gründen die deutsche Rechtsordnung einen für die Er­ wirkung und Verteidigung gewerblicher Schutzrechte berufenen und dazu qualifi­ zierten Berufsstand geschaffen hätte, wenn die Angehörigen dieses Berufsstands, die Patentanwälte, nicht in der Lage wären, ihre Auftraggeber sachgemäß darüber zu beraten“. 659 Für den Berufsstand des Rechtsanwalts ließe sich dies ganz ähnlich formulieren. 650 

Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366. Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  319–320. 652  BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 653  Dazu noch unten §  15 C. II. 1. b). 654  Hopt, Schadensersatz, S.  256. 655  So im Ansatz Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366. 656  Aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urt. v. 24.7.2014 – I ZR 53/13, NJW 2015, 704; BGH, Urt. v. 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14, NJW 2017, 669. 657  Kaulich, Haftung, S.  233. 658  Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  320. 659  Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 262. Die Diskussion um die Geeignetheit der mandatier­ ten Patent- bzw. Rechtsanwälte scheint in diesem Gebiet allerdings vornehmlich die Frage zu be­ treffen, ob diese auch die für die technisch-tatsächliche Beurteilung erforderlichen Kenntnisse 651 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Rechtsprechung und Literatur zur Berufshaftung machen konsequenterweise die anwaltlichen Pflichten weniger von einer etwaigen Spezialisierung als vom kon­ kret übernommenen Mandat abhängig: Ein nicht spezialisierter Rechtsanwalt müs­ se sich die für das jeweilige Mandat erforderlichen Spezialkenntnisse beschaffen. 660 Auch wenn man dem potenziellen Gläubiger lediglich aufgeben würde, irgendeinen Rechtsanwalt zu befragen, dürften sich deshalb weitestgehend sachgerechte Ergeb­ nisse erzielen lassen. Sieht sich der konsultierte Berater im konkreten Fall außer­ stande, kompetent zu beraten, muss er einen weiteren Anwalt beiziehen661 oder notfalls das Mandat zurückweisen. 662 Im letztgenannten Fall obliegt es dem po­ tenziellen Anspruchsteller, anderswo Rat einzuholen. Weist der Anwalt trotz feh­ lender Kompetenz bzw. Erfahrung den Rechtssuchenden nicht zurück und vermit­ telt er diesem in der Folge eine unzutreffende Rechtseinschätzung, kann sich ein eigenständiger Vorwurf gegen den Mandanten nur dann ergeben, wenn die Defizi­ te der Auskunft auch für ihn als Laien ohne Weiteres erkennbar waren. 663 Der Versuch, dem Anspruchsteller, der keinen spezialisierten Anwalt beauftragt, einen Sorgfaltsverstoß zu attestieren, dürfte häufig dadurch motiviert sein, dass die Entlastung des Anspruchstellers Unbehagen hervorruft, weil so die Gegenseite das Risiko von Fehlern des Anwalts trägt. Solche Bedenken sind nachvollziehbar.664 Die dogmatisch geeignete Stellschraube für eine Abhilfe findet sich aber primär bei der Zurechnung der Beraterfehler zum Mandanten. Lücken sollten vorrangig dort geschlossen werden, statt die Sorgfaltsanforderungen bei der Auswahl von Rechts­ beratern in sachfremder Weise zu instrumentalisieren. Es lässt sich darüber hinaus hinterfragen, ob Rechtsrat überhaupt stets bei einem Anwalt gesucht werden muss.665 Das Rechtssystem sieht schließlich neben den klassi­ schen kammergebundenen Professionen auch sonstige Intermediäre zur Rechts­ vermittlung vor.666 Ferner lässt sich erwägen, dass in manchen Fällen auch staatliche Intermediäre, vor allem Behörden und Gerichte, als hinreichend qualifiziert anzuse­ hen sind – mit der Folge, dass dem Anspruchsteller kein Sorgfaltsverstoß mehr vorge­ worfen werden könnte, wenn er sich auf deren Äußerungen zur Rechtslage verlässt.667 besitzen (exemplarisch BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318  – Maschenfester Strumpf). 660  BGH, Beschl. v. 18.4.1958 – IV ZB 44/58, BeckRS 1958, 31393122 (unter 3.) = NJW 1958, 1092 (Ls.); BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04, NJW 2006, 501, 502; BGH, Urt. v. 21.6.2018  – IX ZR 80/17, NJW 2018, 2476, 2478 Rn.  17; auch BGH, Urt. v. 15.7.2004 – IX ZR 472/00, NJW 2004, 3487, 3487 (zum Steuerberater); Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  517; Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Haftung Rn.  76. 661  Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  320. 662  BGH, Urt. v. 21.6.2018 – IX ZR 80/17, NJW 2018, 2476, 2478 Rn.  17; Fahrendorf, NJW 2006, 1911, 1912. 663  Dazu unten ee). 664  Siehe unten b) bb). 665  Dazu später übergreifend §  16 D. III. 2. 666  Siehe oben §  3 A. III. 2. b). 667  Weil aber behördliche und gerichtliche Rechtsausführungen oftmals keine „Beratung“ im engeren Sinne darstellen, werden solche Sachverhalte unten (6. d)) gesondert behandelt.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Man sollte sich abschließend vor Augen führen, dass die Frage nach der Qualifi­ kation der befragten Auskunftsperson angesichts bestimmter anderer Faktoren nur bedingt relevant ist. Wie angedeutet, verliert die Frage eines Auswahlverschuldens praktisch an Bedeutung, wenn es dem Mandanten zugerechnet wird, dass sein ge­ wählter Berater hinter den geschuldeten Qualitätsanforderungen zurückgeblieben ist. 668 Umgekehrt kann die Auswahl eines unqualifizierten Beraters unerheblich sein, wenn auch ein qualifizierter Berater keine andere Einschätzung hätte abgeben können, worauf sogleich eingegangen wird. dd) Kausalitätserfordernis Hat der Putativgläubiger auf die Konsultation eines (hinreichend qualifizierten) Beraters verzichtet, muss damit nicht das letzte Wort in Sachen Haftung gespro­ chen sein. Problematisch erscheint eine Ersatzhaftung in all jenen Fällen, in denen auch aus objektiv-rechtskundiger Sicht der schädliche Erkenntnisgrad nicht er­ reicht ist. Wenn auch ein gewissenhafter Rechtsanwalt nicht zu der Einschätzung gelangt wäre, dass eine Geltendmachung aussichtslos ist, erschiene es bedenklich, dem Putativgläubiger eine Ersatzpflicht nur deshalb aufzuerlegen, weil er einen Be­ rater gar nicht erst befragt hat. Zu fragen ist also, ob das Unterlassen einer (ausrei­ chenden) Konsultation nur dann zu einer Haftung führt, wenn es für die schädi­ gende Rechtsverfolgung (quasi-)kausal669 geworden ist. Die dogmatische Verortung dieses konkreten Problems hängt indes von der bevorzugten dogmatischen Grund­ konzeption ab. Eine nähere Betrachtung ist daher einstweilen aufzuschieben. 670 ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft Ist eine Auskunft eingeholt worden und war diese objektiv fehlerhaft, stellt sich vor allem die Frage nach der Zurechnung des Anwaltsfehlers. Zuvor ist aber zu erwä­ gen, ob nicht der Anspruchsteller selbst die Fehlerhaftigkeit des Beraterhinweises hätte erkennen können. Ein eigenes Verschulden hat die Rechtsprechung des BGH zur Schutzrechtsverwarnung in Betracht gezogen, wenn der Verwarnende „be­ gründeten Anlaß“ hatte, die Einschätzung seines Beraters anzuzweifeln.671 Auch nach Hopt hat ein mit der Materie selbst vertrauter Anspruchsteller, dem beim Blick auf die Begutachtung Zweifel kommen müssen, gegebenenfalls einen zweiten Berater zu befragen. 672 Dem ist jeweils beizupflichten. Allerdings sollte man be­ denken, dass es im Normalfall nicht zumutbar sein wird, den eigentlichen Berater 668  Zur Zurechnung sogleich b). Das Auswahlverschulden wird v. a. relevant, wo Zurechnungs­ lücken verbleiben (vergleiche auch b) cc) (2)). 669 Zum Kausalitätsbegriff beim Unterlassen siehe nur Bosch, in: Schönke/Schröder, §   13 Rn.  61. 670  Siehe unten VI. 2. zur dogmatischen Grundentscheidung; zu den Auswirkungen auf die Kausalitätsproblematik später übergreifend §  16 D. III. 3. 671  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf. 672  Hopt, Schadensersatz, S.  257.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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durch einen zweiten Fachkundigen kontrollieren zu lassen – das wurde im Kontext des Verjährungsrechts bereits angemerkt. 673 Die Grenzen, innerhalb derer den Mandanten eigene Überprüfungs- bzw. Plausibilisierungsaufgaben treffen, sind später quadrantenübergreifend festzuhalten. 674 b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Es ist ohne Weiteres denkbar, dass der Rat eines an sich qualifizierten Beraters zwar falsch ist, der potenzielle Gläubiger dies aber mit den eigenen Mitteln nicht erken­ nen kann. So kann der Berater zum Beispiel ungünstige höchstrichterliche Recht­ sprechung schlicht übersehen haben. Der Mandant erreicht dann den Erkenntnis­ grad der negativen Gewissheit infolge des Anwaltsfehlers nicht. Schiede deshalb eine Haftung aus, wäre der irrtümlich belangte Gegner der Leidtragende. Daher stellt sich die Frage, ob Fehler des gewählten Beraters dem Anspruchsteller zuge­ rechnet werden können. aa) Möglichkeiten und Grenzen der Zurechnung Die Möglichkeiten einer Zurechnung stellen sich unterschiedlich dar, je nachdem auf welcher Anspruchsgrundlage das Schadensersatzverlangen beruht. (1) Haftung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse Wo der Putativgläubiger durch die unberechtigte Anspruchsverfolgung Pflichten aus einem bestehenden Schuldverhältnis verletzt, rechnen ihm Rechtsprechung und Literatur Fehler seines Beraters nach §  278 BGB zu. Der BGH hat dies etwa für die Haftung wegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausdrücklich ausgesprochen.675 Vergleichbares wird angenommen, wo die (bloße) Anspruchsgeltendmachung Rücksichtnahmepflichten nach §  241 Abs.  2 BGB verletzt. 676 (2) Deliktische Haftung Außerhalb von Sonderbeziehungen werden dem Anspruchsteller Fehlauskünfte seines Rechtsberaters hingegen nicht angelastet. Die Rechtsprechung zur unbe­ rechtigten Schutzrechtsverwarnung hat ein Verschulden des Verwarnenden ver­ 673  Oben §  7 C. I. 5. mit Fn.  476; im Zusammenhang mit der Haftung von Geschäftsleitern ähnlich Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  304. 674  Unten §  16 D. III. 4. 675  BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1048–1049; BGH, Urt. v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, NJW-RR 2015, 850, 851 Rn.  7. Zum Streit, ob in solchen Fällen eine Sonderbeziehung besteht, siehe oben A. I. mit Fn.  24. 676  OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  7, juris; LG Stendal, Urt. v. 12.10.­ 2006  – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390; im Ergebnis ebenso LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 716; Derkum, Folgen, S.  83; Grüneberg, in: Palandt, §  280 Rn.  27; R. Koch/Körner, JR 2018, 307, 309; zur unberechtigten Kündigung auch AG Dortmund, Urt. v. 15.12.­1998 – 125 C 9590/98, NZM 1999, 120, 121; Geib, in: BeckOGK, §  573 BGB Rn.  185.

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neint, wenn er sich auf das Urteil seiner kundigen Berater verlassen durfte. 677 In anderen Fällen soll augenscheinlich nichts anderes gelten. 678 Außerhalb von bestehenden Schuldverhältnissen kommt allenfalls eine Ein­ stands­pflicht nach §  831 Abs.  1 BGB in Betracht. Deren Hürden erweisen sich aber in den vorliegend behandelten Fällen regelmäßig als zu hoch. So ist bereits umstrit­ ten, ob sich Rechtsanwälte überhaupt als Verrichtungsgehilfen im Sinne der Norm qualifizieren lassen. Die Rechtsprechung geht davon aus, 679 sieht sich allerdings an­ gesichts der selbstständigen Tätigkeit des Anwalts starker Kritik ausgesetzt.680 Der Einwand lässt sich unter Verweis auf die Möglichkeit von Weisungen des Mandan­ ten  – mag er davon auch selten Gebrauch machen – noch entkräften. 681 Doch ist eine Einstandspflicht des Anspruchstellers nur dann begründet, wenn ihm die Ex­ kulpation nach §  831 Abs.  1 S.  2 BGB nicht gelingt. 682 Ein eigenes Verschulden des Mandanten kommt aber regelmäßig nur bei massiven Anhaltspunkten für eine Falschberatung in Betracht. 683 bb) Problematische Haftungslücke Für Fehler des konsultierten Intermediärs muss der Anspruchsteller also nur dort einstehen, wo er dem Gegner aus §  241 Abs.  2 BGB verpflichtet ist. Außerhalb be­ stehender Schuldverhältnisse könnte dagegen eine bedenkliche Haftungslücke ent­ stehen. Der zu Unrecht Belangte könnte keinen Ersatz für Schäden erlangen, die der vom Gegner ausgewählte Berater durch seinen Fehler verursacht hat. Für Letz­ teren erwiese es sich als Glücksfall, dass zwischen seinem Mandanten und dessen Gegner kein Schuldverhältnis bestand. Der Anwalt hätte zwar seine Beraterpflich­ ten schuldhaft verletzt, es drohte ihm allerdings kein Haftungsregress, weil dem Mandanten seinerseits – mangels Ersatzpflicht gegenüber dem Putativschuldner  – kein Nachteil aus der Falschberatung erwüchse. 684 677  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1008 Rn.  40; so auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.177. 678  Hopt, Schadensersatz, S.  256; andeutungsweise auch OLG Köln, Urt. v. 31.5.1995 – 2 U 182/94, NJW 1996, 1290, 1292. 679  RG, Urt. v. 21.6.1919 – V 57/19, RGZ 96, 177, 181; BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918; BGH, Urt. v. 15.5.1979 – VI ZR 230/76, NJW 1979, 1882, 1883; ebenso Förster, in: BeckOK-BGB, §  831 Rn.  26; wohl auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  35 Rn.  4 4. 680  Spindler, in: BeckOGK, §   831 BGB Rn.  27 m. w. N.; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  16; siehe ferner Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  170–172; Staudinger, in: Hk-BGB, §  831 Rn.  7. 681  So auch BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918; Förster, in: Beck­ OK-­­BGB, §   831 Rn.   26. 682  Siehe BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918; darauf hinweisend auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  35 Rn.  4 4. 683 So Haertlein, Exekutionsintervention, S.  402, 413; in der Regel eine Entlastung annehmend auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  35 Rn.  4 4. 684  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   118–119; im Ansatz auch Vollkommer/Greger/Heinemann, Anw­HaftR, §  8 Rn.  11 Fn.  54; dies erkennend (aber über §  278 BGB zurechnend) BGH, Urt. v. 7.3.­

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Die aufgezeigte Lücke könnte zudem unerwünschte Anreize setzen. 685 Ein Rechtsanwalt könnte dazu verleitet werden, im Zweifelsfall auch dort zu einer An­ spruchsgeltendmachung zu raten, wo die Rechtslage sich als wenig aussichtsreich darstellt. Der Anwalt sicherte sich so für den Fall ab, dass letzten Endes – wider Erwarten – ein Anspruch bejaht würde: Er könnte dann darauf verweisen, er habe dem Mandantenbegehren keineswegs Aussichtslosigkeit attestiert, und so eine Haftung vermeiden. War der zu prüfende Anspruch dagegen tatsächlich ausge­ schlossen, wäre die Auskunft des Anwalts zwar pflichtwidrig gewesen. Dies bliebe aber aus den beschriebenen Gründen ohne nachteilige Auswirkungen für ihn. Ein System, das Privatrechtssubjekte auf die vorhandenen Rechtsberatungsmöglichkei­ ten verweist, 686 darf sich derlei Fehlsteuerungen eigentlich nicht leisten – zumal dies bereits bestehende Anreize für Anwälte verstärken könnte, die Aussichten für den Mandanten vorprozessual zu positiv darzustellen. 687 Man kann die vorstehenden Einwände auch nicht beiseiteschieben, indem man darauf verweist, im Strafrecht könne ein durch den Rechtsberater verursachter Ver­ botsirrtum den Täter entlasten. 688 Dass bei einem Rechtsirrtum die Strafwürdig­ keit (im Verhältnis Bürger/Staat) entfallen mag, aber zugleich eine Verantwortlich­ keit gegenüber einem anderen Bürger anzunehmen sein kann, wurde bereits fest­ gestellt. 689 Auch das gegen eine Zurechnung von Anwaltsfehlern vorgebrachte Argument, der Mandant solle sich auf seinen Berater verlassen können,690 vermag nicht zu überzeugen. Der Anspruchsteller darf sich auf seinen Anwalt verlassen  – wird das Vertrauen enttäuscht, haftet ihm dieser (bzw. dessen Versicherung). cc) Lösungsansätze Es bleibt die Frage, ob sich die identifizierte Haftungslücke mit dem vorhandenen Instrumentarium der Privatrechtsordnung schließen lässt. (1) Ausweitung der Annahme von Schuldverhältnissen Es lässt sich eine generelle Tendenz der Rechtsprechung erkennen, durch die An­ nahme eines Schuldverhältnisses zwischen Schädiger und Geschädigtem der An­ wendung des Deliktsrechts auszuweichen, um auf §  278 BGB zurückgreifen zu können. 691 Auch im Zusammenhang mit der unberechtigten Rechtsverfolgung hat 1972  – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1048–1049; siehe auch die bei BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918, referierten Bedenken des Berufungs­gerichts. 685  Vergleiche allgemein zu §  831 BGB G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  4. 686  Vergleiche oben a) bb) (4). 687  Vergleiche dazu Adams, Analyse, S.  30–31; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 12. 688  So aber Hopt, Schadensersatz, S.  256. 689  Vergleiche §  1 A. II., §  5 C. III. 2.; gleichfalls differenzierend Harnos, Geschäftsleiterhaf­ tung, S.  305–306. 690 So Hopt, Schadensersatz, S.  274. 691  So auch allgemein G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  2 ; zum Rechtsirrtum J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118.

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der BGH schon zu diesem Instrument gegriffen. 692 Es erscheint jedoch in dogmati­ scher Hinsicht bedenklich, eine Sonderbeziehung nur deshalb zu konstruieren, um zur gewünschten Zurechnung nach §  278 BGB zu gelangen. 693 Nur soweit man, ohne vom Resultat her zu denken, die Voraussetzungen eines Schuldverhältnisses bejahen kann, ist die Anwendung von §  278 BGB nicht zu beanstanden. (2) Ausweitung eigener Pflichten des Anspruchstellers Ebenso abzulehnen ist das Ansinnen, über eine Ausweitung des Pflichtenkreises des Anspruchstellers zu einer Haftung bei falschen Beraterauskünften zu gelan­ gen. 694 Zwar wird in anderen Fällen die Entlastungsmöglichkeit des §  831 BGB durch die Annahme betrieblicher Organisationspflichten umgangen.695 Es lässt sich aber bei realistischer Betrachtung kein Verschuldensvorwurf erheben, wenn ein Laie einen von der Rechtsordnung bereitgestellten Anwalt mandatiert und des­ sen Ratschlag einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterzogen hat. 696 (3) Ausweitung der Zurechnung Der BGH hat sich bereits im Jahr 1957 eingehend mit den Möglichkeiten der Zu­ rechnung anwaltlicher Fehler außerhalb des Anwendungsbereichs von §  278 BGB befasst. Trotz vorhandenen Bewusstseins für die Entlastung des Beraters bei gleich­ zeitiger Belastung des geschädigten Dritten sah sich der BGH zur Heranziehung anderer Zurechnungsvorschriften außerstande. 697 So wurde zu Recht festgehalten, die versicherungsrechtliche Repräsentanten­ haftung fuße auf Sondererwägungen und betreffe lediglich das Verhältnis des Ver­ sicherungsnehmers zum Versicherer. 698 Unabhängig von Besonderheiten des jewei­ ligen materiellen Rechtsverhältnisses stellt hingegen §  85 Abs.  2 ZPO das Verschul­ den des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Der BGH betonte allerdings, dass diese Wirkung auf das Prozessrecht beschränkt sei. 699 Auch das BAG geht davon aus, §  85 Abs.  2 ZPO sei „eine nur für den Prozess gel­ tende, auf dessen besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen beruhende Sonder­ vorschrift“.700 Im Schrifttum zur unberechtigten Rechtsverfolgung wird diese 692  BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1048–1049 (zur Zwangsvollstreckung). 693  Zu Recht kritisch im vorliegenden Kontext v. a. Haertlein, Exekutionsintervention, S.  5 42. 694  Vergleiche bereits a) cc), ee). 695 Siehe G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  2. 696 Kritisch gegenüber solchen „Ausweichstrategien“ auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/ Schwaiger, §  35 Rn.  46. 697  BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918. 698  BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918. 699  Siehe BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918, unter Verweis auf RG, Urt. v. 21.6.1919 – V 57/19, RGZ 96, 177, 181, das eine Wirkung im materiellen Recht ebenfalls schon ausgeschlossen hatte. 700  BAG, Urt. v. 18.7.2007 – 5 AZR 848/06, BAGE 123, 264 = NJW 2007, 3226, 3227 Rn.  18.

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Auffassung geteilt.701 Damit ist nicht gesagt, dass nicht immerhin eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt. Wenn eine solche Analogie in an­ deren Bereichen mit dem Argument gestützt wird, dem Betroffenen stehe immer­ hin ein Regressanspruch gegen den Bevollmächtigten zu,702 so wäre diese Erwä­ gung jedenfalls übertragbar. Wenn der Zweck der Verschuldenszurechnung nach §  85 Abs.  2 ZPO darin erblickt wird, „dass die Führung des Prozesses durch einen selbst gewählten Vertreter das Prozessrisiko nicht zu Lasten des Gegners verschie­ ben soll“,703 wirkt auch dieser Gedanke „transferfähig“. Allerdings erscheint be­ reits das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zweifelhaft. Dem Gesetzge­ ber kann die jahrzehntelange Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Exkulpations­ möglichkeit nach §  831 Abs.  1 S.  2 BGB704 nicht verborgen geblieben sein. Bei genauerer Betrachtung passt der Norminhalt von §  85 Abs.  2 ZPO auch nicht recht auf das vorliegend zu lösende Problem der unrichtigen Rechtsauskunft. Die Wir­ kung der Vorschrift reicht bewusst weiter.705 Die Vorschrift „soll gewährleisten, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lässt, in jeder Weise so behandelt wird, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte“.706 Auf der Suche nach einer neu zu konstruierenden Zurechnungsregel, um zu ver­ hindern, dass die Folgen von Rechtsberatungsfehlern auf Dritte abgewälzt werden, ist auch ein Rückgriff auf §  166 BGB empfohlen worden.707 Der Vorschlag erklärt sich allerdings nur vor dem Hintergrund, dass von einer Mandatierungsobliegen­ heit ausgegangen wird, um im Bereich der (eigentlich subjektiv geprägten) Rechts­ kenntnistatbestände (wie etwa §  892 BGB) eine Objektivierung vorzunehmen.708 An diesen Gedanken schließt sich die Suche nach einer geeigneten Zurechnungs­ norm an. Aus dem Zusammenhang zur Kenntnisproblematik erschließt sich der Rückgriff auf die Kenntniszurechnung nach §  166 BGB. Für die vorliegend behan­ delte Konstellation erscheint die Anwendung dieser Norm hingegen unpassend. (4) Deliktische Außenhaftung des Beraters Eine Entlastung des fehlerhaft arbeitenden Beraters bei gleichzeitiger Belastung des Geschädigten ließe sich auch durch die Annahme einer unmittelbaren Schadens­ ersatzpflicht des Beraters verhindern.

701 

Haertlein, Exekutionsintervention, S.  403; siehe auch Jacoby, in: Stein/Jonas, §  85 Rn.  10. Piekenbrock, in: BeckOK-ZPO, §  85 Rn.  16 (zur analogen Anwendung auf die Versäu­ mung von Fristen außerhalb der ZPO). 703  Piekenbrock, in: BeckOK-ZPO, §  85 Rn.  1. 704  Überblick bei G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  3 –5 m. w. N. 705  Zum sachgerecht weiten Anwendungsbereich siehe auch Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, §  85 Rn.  9. 706  BAG, Urt. v. 18.7.2007 – 5 AZR 848/06, BAGE 123, 264 = NJW 2007, 3226, 3227 Rn.  18 (Herv. d. Verf.). 707  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 38–39. 708  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 28, 34–36. 702 So

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(a) Meinungsstand Eine zufriedenstellende Lösung ist jedoch nicht schon dadurch gefunden, dass der Anwalt in Extremfällen nach §  826 BGB haften muss.709 Dass der vorsätzlich den Gegner schädigende Berater nicht schutzwürdig ist, versteht sich von selbst,710 be­ trifft aber nicht den eigentlichen Problemfall. Von Interesse ist vielmehr, ob bei Verletzung von Rechten oder Rechtsgütern im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB eine Haftung des Anwalts nach dieser Norm in Betracht kommt. Im Schrifttum zur unberechtigten Rechtsverfolgung war dies schon früh für möglich erachtet wor­ den.711 In Konstellationen der unberechtigten Vollstreckung hat der BGH eine Haftung des Anwalts des Vollstreckungsgläubigers ebenfalls bejaht.712 Diesem sei­ en jedenfalls keine weiter gehenden Privilegien einzuräumen als seinem Mandan­ ten.713 Eine Haftung des Beraters aus §  823 Abs.  1 BGB soll jedoch ausscheiden, wo er lediglich auf eine verbindliche Weisung des Mandanten hin handelt.714 Der X.  Zi­ vilsenat des BGH hat im Zusammenhang mit einer unberechtigten Schutzrechts­ verwarnung den Anwalt, der den Verwarnenden unrichtig beraten hatte, für einstandspflichtig gehalten.715 Im Schrifttum ist die Entscheidung überwiegend auf Kritik gestoßen.716 Der VI. Zivilsenat hat vorsichtiger formuliert, nur im Ausnah­ mefall könne die Berücksichtigung der Gesamtumstände eine persönliche Verant­ wortung des Rechtsanwalts nahelegen.717 (b) Bewertung Noch ohne zu entscheiden, ob eine Direkthaftung des Anwalts gegenüber dem Gegner des Mandanten überhaupt zu befürworten ist, lassen sich wesentliche Para­ meter einer möglichen Haftung abstecken. 709  Dazu allgemein J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118; Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Haftung Rn.  383–385. 710  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2113 Rn.  23  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 508; Keller, GRUR 2016, 634, 635; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1371. 711  Hopt, Schadensersatz, S.   277, 279; Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  173–174; siehe überdies Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 37. 712  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015–2016. 713  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353. 714  BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015, unter Verweis auf die Andeutung in BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1049. 715  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  18–20  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II; ebenso BGH, Urt. v. 7.7.2020 – X ZR 42/17, GRUR 2020, 1116, 1117 Rn.  18 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III. 716  Baumert, LMK 2016, 379287; Chab, AnwBl 2016, 514, 514–515; Gloy, EWiR 2016, 575, 576; Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  32 Rn.  9; Keller, GRUR 2016, 634, 635; Köhler, in: Köhler/­Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.183a; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1370–1372; Ullmann, in: FS Büscher, S.  595, 603; Vohwinkel/Huff, NJW 2016, 2114, 2114: zustimmend dagegen offenbar Förster, in: BeckOK-BGB, §  823 Rn.  214; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  382–383. 717  BGH, Urt. v. 15.1.2019 – VI ZR 506/17, NJW 2019, 781, 784 Rn.  28.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Zunächst lässt sich festhalten, dass eine solche Schadensersatzpflicht im Grund­ satz über den vom X. Zivilsenat angesprochenen Fall der Schutzrechtsverwarnung hinaus zu erstrecken wäre.718 Sodann ist zu beachten: Für die Fahrlässigkeitsprü­ fung wäre nicht auf die Fähigkeiten und Kenntnisse eines Laien, sondern auf die eines gewissenhaften Anwalts abzustellen.719 Demgegenüber müsste, um die ein­ schlägigen Wertungen nicht zu konterkarieren, für den Rechtsberater der gleiche haftungsbegründende Erkenntnisgrad gelten wie für den Anspruchsteller selbst: Auch der Rechtsanwalt muss also bei unklarer Rechtslage grundsätzlich zur Gel­ tendmachung raten dürfen, ohne sich dem Risiko einer Direkthaftung auszuset­ zen.720 Der BGH erfasst diesen Zusammenhang, wenn er – allerdings unter der kritikwürdigen Prämisse eines „Verfahrensprivilegs“721 – ausführt, der haftungs­ rechtliche Freiraum der Partei müsse auch für ihren Anwalt gelten.722 Folgerichtig ist es, in Fällen, in denen der Anspruchsteller bereits bei Rechtsungewissheit haftet, auch eine Haftung des Rechtsanwalts in Betracht zu ziehen, wenn diesem Zweifel an der Berechtigung seines Mandanten hätten kommen müssen. In diesem Punkt ist die Entscheidung des X. Zivilsenats, die eine (streng zu behandelnde) Abneh­ merverwarnung betraf, also durchaus konsequent.723 Soweit die Rechtsprechung die Haftung des Rechtsanwalts bei weisungsgebunde­ nem Handeln für ausgeschlossen erachtet,724 ist auch diesem Ergebnis im Grundsatz beizupflichten. Ein solcher Haftungsfreiraum setzt indes voraus, dass die Weisung des Mandanten nicht ihrerseits auf einer unzutreffenden Beratung durch den An­ walt beruht. Entscheidet sich hingegen der Mandant nach korrekter Analyse der Rechtslage durch den Rechtsanwalt (der etwa Zweifel an der Berechtigung einer Ab­ nehmerverwarnung zutreffend dargelegt hat) gleichwohl für ein Vorgehen, scheidet eine Haftung des Beraters aus. In solchen Fällen entsteht auch keine Schutzlücke. Weil der Anspruchsteller um die bestehende Ungewissheit wusste, haftet er selbst, wenn er anschließend dennoch zur Abnehmerverwarnung schreitet. Die vorstehenden Feststellungen nehmen der Kritik an einer Direkthaftung eini­ ges an Wind aus den Segeln. Es kommt keineswegs zu einer pauschalen Verantwor­ 718  So auch die (obschon kritische) Analyse von Baumert, LMK 2016, 379287; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372; Ullmann, in: FS Büscher, S.  595, 603; Vohwinkel/Huff, NJW 2016, 2114, 2114. 719  Auch BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2016, stellt auf die Kenntnisse eines Rechtskundigen ab. 720 Zutreffend Hopt, Schadensersatz, S.   280–281; für einen Gleichklang auch Häsemeyer, ­Schadenshaftung, S.  158, 162. Im Verhältnis zum Gegner schadet es dem Anwalt (anders als im Verhältnis zum Mandanten) insb. nicht, wenn er nicht den sichersten Weg wählt, sondern einer vertretbaren Mindermeinung folgt. 721  Siehe die Kritik bei I. 2. b). 722  BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; so auch Förster, in: BeckOKBGB, §  823 Rn.  32; Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Haftung Rn.  358. 723  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  21; siehe zum strengen Erkenntnisgrad bei der Abnehmerverwarnung III. 4. b) cc) (3). 724  BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

tung des Anwalts für sein Handeln im einseitigen Mandanteninteresse, sondern zu einer Haftungssanktionierung für eigene Fehler. Zwar mag eine Zurechnungs­ lösung mit der Folge einer Haftung über das Dreieck prinzipiell zu bevorzugen sein.725 Diese Konstruktion funktioniert aber im Bereich der deliktischen Haf­ tung, wie dargestellt, nicht. Die vom X. Zivilsenat des BGH eingeschlagene Rich­ tung erweist sich demnach zumindest als erwägenswertes Mittel, um Haftungs­ lücken und Fehlanreize zu vermeiden.726 Vor diesem Hintergrund erscheint indes die Begründung der Außenhaftung im Urteil des X. Zivilsenats als unzureichend. Zu Recht wird kritisiert, dass unklar bleibt, warum die internen Pflichten des An­ walts gegenüber dem Mandanten auch im Verhältnis zu dessen Gegner Beachtung finden sollen.727 Vorzuziehen wäre es, wenn offen mit der lückenfüllenden Funk­ tion der Einstandspflicht argumentiert würde: Die Pflicht des Anwalts zur gewis­ senhaften Recherche und zur zutreffenden Einschätzung der Rechtslage besteht gegenüber dem Gegner seines Mandanten, weil sonst eine kompensationslose Schä­ digung drohen würde. Das erscheint als Begründung allemal tragfähiger als der vom X. Zivilsenat angebrachte Verweis auf vermeintliche Garantenpflichten, wie sie den Geschäftsführer einer GmbH – nach ebenfalls umstrittener Auffassung 728  – träfen.729 Viele der weiteren Kritikpunkte, die gegen das Urteil des X. Zivilsenats ins Feld geführt worden sind, lassen sich entkräften. So wird eine Beeinträchtigung der Be­ rufsfreiheit (Art.  12 GG) des Anwalts befürchtet, falls dieser für fahrlässige Pflicht­ verletzungen gegenüber dem Dritten einstehen müsse.730 Dieses Argument ignoriert allerdings, dass der Rechtsanwalt in gleicher Höhe Ersatz für die durch seinen Feh­ ler verursachten Folgen schuldete, wenn zwischen Mandant und Gegner ein Schuld­ verhältnis bestünde.731 Allenfalls lässt sich – spezieller – damit argumentieren, dass dem Anwalt nur im Verhältnis zum Mandanten die Vereinbarung einer Haftungs­ begrenzung (§  52 BRAO) möglich sei.732 Erkennt man hingegen die Außenhaftung des Rechtsanwalts als Instrument zur Vermeidung unerwünschter Schadensersatzund Anreizlücken an, darf diesem Umstand keine Beachtung zukommen. An einer „Freizeichnung zulasten Dritter“ besteht kein legitimes Interesse. Vorgebracht wurde ferner der Hinweis, eine Außenhaftung des Anwalts sei nicht angezeigt, weil dieser im Gegensatz zum Mandanten nicht selbst vom Ausspruch 725 

Darauf weist H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1370, hin. Ebenso in diese Richtung G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  383; wohl auch Förster, in: BeckOK-BGB, §  823 Rn.  214. 727  Z. B. Baumert, LMK 2016, 379287; Keller, GRUR 2016, 634, 635; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372. 728  Dazu etwa Ullmann, in: FS Büscher, S.  595, 601–602. 729  So aber BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  18–19; kritisch z. B. Ullmann, in: FS Büscher, S.  595, 603. 730  H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1371; Vohwinkel/Huff, NJW 2016, 2114, 2115. 731  Vergleiche oben bb). 732  Darauf hatte die Vorinstanz hingewiesen, OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 508; auch Chab, AnwBl 2016, 514, 515; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1370–1371. 726 

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der Schutzrechtsverwarnung profitiere.733 Der X. Zivilsenat hat diese Bedenken recht apodiktisch abgetan.734 Das Ergebnis erscheint allerdings nachvollziehbar. Der Anwalt kann durchaus ein eigenes Interesse an der Geltendmachung haben. Dabei muss man nicht einmal an die Aussicht auf Folgemandate denken, die gerade bei Abmahnungen attraktiv sein kann.735 Zumindest ist das oben beschriebene In­ teresse des Rechtsanwalts zu berücksichtigen, bei eigener Unsicherheit zu einer Geltendmachung raten zu können, um sich für den Fall, dass sich eine solche nach­ träglich als aussichtsreich erweist, abzusichern.736 Soweit gegen eine Außenhaftung des Rechtsberaters des Anspruchstellers be­ rufsrechtliche Vorbehalte angemeldet werden, erscheinen diese allenfalls partiell berechtigt. Der Hinweis, der Anwalt müsse bei Rücksichtnahme auf die gegneri­ schen Belange verbotenerweise widerstreitende Interessen vertreten (§  43a Abs.  4 BRAO, §  3 BORA, §  356 StGB),737 geht fehl. Sanktioniert wird ein Fehler bei der Prüfung der Rechtslage. Insoweit schuldet der Anwalt seinem Mandanten exakt das Gleiche: eine sorgfältige Begutachtung. Schwerer wiegen könnte hingegen der Umstand, dass der Rechtsanwalt im Prozess mit dem geschädigten Dritten zur Ver­ meidung einer Haftung gezwungen sein könnte, Details zur Beratung des Man­ danten preiszugeben. Darin könnte ein Verstoß gegen das Verschwiegenheitsgebot (§  43a Abs.  2 BRAO, §  2 BORA, §  203 Abs.  1 Nr.  3 StGB) liegen.738 Die Rechtsord­ nung hat diesen Konflikt indes gesehen (§  2 Abs.  4 lit.  b BORA) und das Interesse des Anwalts an einer Rechtsverteidigung gegenüber dem Dritten nicht kategorisch niedriger gewichtet als die Verschwiegenheitspflicht.739 Es ist auch zu bedenken, dass der Rechtsanwalt, wenn er vom Mandanten auf Regress in Anspruch genom­ men würde, substanziiert zur erfolgten Beratung vortragen dürfte.740 Zu dieser Ab­ wicklung über das Dreieck kommt es hier nur „zufällig“ nicht. Dem Mandanten, 733  So OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 507, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1049 ­(„Risiko […], das dem wirtschaftlichen Bereich des Mandanten zugeordnet ist“); kritisch auch H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1370–1371. 734  BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2111 Rn.  14  – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. Man könnte diese Bedenken eventuell so berücksich­ tigen, dass zulasten des Anwalts gar nicht erst ein finaler Eingriff in den Gewerbebetrieb des Verwarnten angenommen würde, vergleiche OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 507. Das ist eine allgemeine Frage zur Reichweite dieses Rahmenrechts, die die Grenzen der vorliegenden Untersuchung sprengt. 735  Vergleiche die Angaben zum Umfang der Abmahntätigkeit bei BGH, Urt. v. 1.12.2015  – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2113 Rn.  28. 736  Dazu oben bb). 737  Baumert, LMK 2016, 379287; zudem Chab, AnwBl 2016, 514, 515; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372. 738  Baumert, LMK 2016, 379287; Keller, GRUR 2016, 634, 635; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372; Vohwinkel/Huff, NJW 2016, 2114, 2114–2115. 739  Darauf weist Baumert, LMK 2016, 379287, selbst hin. Siehe dazu Römermann/Praß, in: BeckOK-BORA, §  2 Rn.  30; zurückhaltend Henssler, in: Henssler/Prütting, §  2 BORA Rn.  15. 740  Henssler, in: Henssler/Prütting, §   43a Rn.  109; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anw­ HaftR, §  15 Rn.  5; Zuck, in: Gaier/Wolf/Göcken, §  2 BORA Rn.  33.

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der eine Offenlegung um jeden Preis verhindern möchte, bliebe unbenommen, den Schaden des Gegners zunächst freiwillig zu ersetzen und dann im Innenverhältnis Rückgriff741 beim Berater nehmen. Obschon die Kritik an einer Außenhaftung des Beraters in vielen Punkten nicht überzeugt, existiert in der Tat ein Aspekt, der eine solche Haftung als untragbar erscheinen lässt: Echter Bedarf für eine Direkthaftung besteht nur als „Lückenfül­ ler“. Nähme man an, dass der Rechtsanwalt auch dem Gegner gegenüber zur sorg­ fältigen Rechtsprüfung verpflichtet ist, hätte dies Konsequenzen, die weit über das zu diesem Zweck Gebotene hinausreichten. Insbesondere wäre eine Außenhaftung des Anwalts auch dann denkbar, wenn der Mandant selbst ebenfalls haftet742 – in­ folge einer Zurechnung nach §  278 BGB oder eigener Versäumnisse bei der Aus­ wahl und Kontrolle des Anwalts. In diesen Fällen bedürfte es der Außenhaftung aber für die hier verfolgten Ziele nicht. Sie wäre damit in weiten Teilen „überschie­ ßend“. Es fehlt ihr folglich an einer vollständigen Rechtfertigung. Mit den gleichen Schwierigkeiten belastet wäre die Annahme einer Schutzwirkung des Anwaltsver­ trags zugunsten des Gegners.743 (5) Drittschadensliquidation Besser geeignet erscheint insoweit die Figur der Drittschadensliquidation. Diese möchte eine unbillige Entlastung des Schädigers vermeiden, wo Schadensersatz­ anspruch und Schaden verschiedenen Personen zugeordnet sind.744 Die Ähnlich­ keiten zum vorliegend zu lösenden Problem hat schon Jörg Mayer herausgestellt.745 Der Vorteil gegenüber einer Außenhaftung des Rechtsanwalts bestünde darin, dass die Haftungslücke punktgenau geschlossen würde. Der Mandant könnte nur dort den Schaden des Gegners geltend machen,746 wo der Erstgenannte nicht schon selbst dafür einzustehen hat. Zu einer überschießenden Haftung käme es nicht. Der Rückgriff auf die Drittschadensliquidation ist indes mit einem anderen Pro­ blem behaftet. Selbst wenn man die generelle Kritik an der Figur747 nicht teilt und Letz­ tere auch außerhalb der etablierten Fallgruppen theoretisch für anwendbar hält,748 741 

Zu den Grundlagen Krüger, in: MüKo-BGB, §  267 Rn.  21. BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015; BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2111 Rn.  14 – Unbe­ rechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 743  Baumert, LMK 2016, 379287; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1369; wenig substanziiert da­ gegen die Kritik von J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118; auch abgesehen davon ist sehr zweifelhaft, ob die Voraussetzungen überhaupt als erfüllt angesehen werden könnten, vergleiche nur Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Haftung, Rn.  33a. 744  Zum Grundgedanken siehe nur Oetker, in: MüKo-BGB, §  249 Rn.  289. 745  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118–119 (allgemein; das heißt: nicht beschränkt auf die unberech­ tigte Anspruchsgeltendmachung). 746  Zu dieser Rechtsfolge siehe BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 = ZIP 2009, 1166, 1171 Rn.  43; Medicus/Lorenz, SchR I, Rn.  694; Oetker, in: MüKo-BGB, §  249 Rn.  294. 747 Etwa Flume, in: BeckOK-BGB, §  249 Rn.  375–380. 748  Siehe etwa Oetker, in: MüKo-BGB, §  249 Rn.  290; anders beispielsweise Medicus/Lorenz, SchR I, Rn.  701. 742  Siehe

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muss es sich zumindest um eine aus Sicht des Schädigers zufällige Schadensverlage­ rung auf den Dritten handeln.749 Daran dürfte es im hier interessierenden Fall feh­ len. Besteht zwischen Mandant und Gegner kein Schuldverhältnis, weiß der Rechtsberater von Beginn an, dass bestimmte Schäden, die aus einer Fehlberatung resultieren, überhaupt nur beim Gegner und nicht einmal mittelbar – nach Rück­ griff des Gegners im Wege des Schadensersatzes (§§  280, 278 BGB) – beim Mandan­ ten eintreten können. Zwar ist auch dann weiterhin eine Schädigung des Mandan­ ten denkbar, insbesondere in Höhe nutzlos aufgewendeter Prozesskosten, doch handelt es sich insoweit um verschiedene Posten. Charakteristikum der Drittscha­ densliquidation ist es hingegen, dass der konkrete Schaden zufällig beim Dritten eintritt. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass der konstruierte Ersatzanspruch des Mandanten letztlich den Weg zum Gegner finden müsste, um das gewünschte Er­ gebnis zu erzielen. Im Normalfall der Drittschadensliquidation bietet §  285 BGB hierfür die geeignete Grundlage.750 Besteht aber, wie im vorliegend beleuchteten Fall, gerade kein Schuldverhältnis zwischen Mandant und Gegner, erscheint zwei­ felhaft, wie sich der Transfer bewerkstelligen lassen sollte. Auch die Drittschadensliquidation erweist sich somit im Ergebnis nicht als trag­ fähige Lösung zur Vermeidung einer Haftungslücke. (6) Von Zurechnung unabhängige Einstandspflicht Die Suche nach einer Grundlage für die Zurechnung von Anwaltsfehlern außerhalb von §  278 BGB ist somit ebenso wenig von Erfolg gekrönt gewesen wie die nach einer Grundlage für Direktansprüche gegen den Berater. Jörg Mayer hat sich dem nicht fügen wollen und aufgrund einer explizit rein wertenden Betrachtung eine Haftung des Mandanten in den hier beschriebenen Fällen befürwortet.751 So nach­ vollziehbar das Ziel ist, so bedenklich erscheint die im „Freistil“ gewählte Metho­ de.752 Einigermaßen vielversprechend ist, wenn überhaupt, die Annahme einer auf rechtliche Fehleinschätzungen beschränkten generellen Einstandspflicht jedes Rechtssubjekts unter Verweis darauf, dass richtiger Rechtsrat abstrakt betrachtet stets verfügbar ist. Auf diesem Gedanken bauten bereits die Überlegungen zu einer Konsultationspflicht auf.753 Jeder Rechtsunterworfene würde so behandelt, als habe er – unter fingierter Hinzurechnung der Erkenntnisfähigkeiten eines gewis­ senhaften Intermediärs – die objektiv bestehenden rechtlichen Aussichten auch subjektiv nachvollzogen. Dieses Vorgehen liefe auf eine verschuldensunabhängige Haftung für objektiv vermeidbare Rechtserkenntnisfehler 754 hinaus. Eine solche 749 BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 = ZIP 2009, 1166, 1171 Rn.   45; Medicus/­L orenz, SchR I, Rn.  693 750  Medicus/Lorenz, SchR I, Rn.  694. 751  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  119 mit Fn.  35 (nicht beschränkt auf die unberechtigte Anspruchs­ geltendmachung). 752  Kritisch auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  401 Fn.  4 4. 753  Oben a) bb) (4). 754  Der schädliche Erkenntnisgrad bliebe unangetastet.

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erscheint indes ausgerechnet im Zusammenhang mit einer deliktischen Haftung, wo die Zurechnungslücke klafft, äußerst kritisch. Am Verschuldenserfordernis von §  823 Abs.  1 BGB führt kein Weg vorbei. Auf ein verschuldensunabhängiges Ver­ tretenmüssen ließe sich allenfalls innerhalb bestehender Schuldverhältnisse verwei­ sen.755 Doch besteht dort von vornherein keine Zurechnungslücke, weil §  278 BGB Anwendung findet. dd) Zwischenfazit Die grundsätzlich wünschenswerte Zurechnung schuldhafter Beraterfehler bei der Recherche und Bewertung der Rechtslage funktioniert nur dann reibungslos, wenn zwischen Anspruchsteller und -gegner ein Schuldverhältnis besteht, innerhalb des­ sen §  278 BGB zur Anwendung gelangt. Im Übrigen steht §  831 Abs.  1 S.  2 BGB regelmäßig einer Einstandspflicht des Anspruchstellers entgegen. Das ist misslich, lässt sich aber de lege lata weder über eine erweiterte Zurechnung noch eine Au­ ßenhaftung des Beraters zuverlässig vermeiden. Es handelt sich um eine rechtspoli­ tische Unvollständigkeit.756 6. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation Geht man grundsätzlich vom Bestehen einer Pflicht zur Intermediärskonsultation aus, ist naturgemäß wenig Raum für eine Entlastung des Putativgläubigers in Situ­ ationen, in denen ein gewissenhaft arbeitender Berater den erforderlichen Grad an Rechtserkenntnis vermittelt hätte (also zum Beispiel die Anspruchsgeltendma­ chung als rechtlich aussichtslos eingeschätzt hätte). Es fragt sich, wann unter sol­ chen Umständen dem Anspruchsteller, der auf die Hinzuziehung eines solchen Experten verzichtet hat, im Ausnahmefall gleichwohl kein Vorwurf zu machen ist. a) Fehlende „Kontextuierung“ Hat eine Person keinerlei Anhaltspunkte für eine juristische Relevanz der ihr be­ kannten Tatsachen, wird sie nicht auf den Gedanken kommen, die Expertise eines Rechtsberaters einzuholen. Es erscheint dann fragwürdig, den Betroffenen auf die theoretische Verfügbarkeit von Rechtsrat zu verweisen. Diese Problematik ist im Zusammenhang mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB als eine der „Kontextuierung“ um­ schrieben worden.757 Hinsichtlich der Anspruchsgeltendmachung besteht indes kein Raum für eine auf diesem Gedanken basierende Entlastung des Irrenden. Wer 755  Dazu ausführlich unten im Zusammenhang mit der Schuldnerhaftung (§  11 C. V. 3.) und übergreifend bei §  16 B. II. 2. Dass der Gedanke auch im Bereich der unberechtigten Rechtsverfol­ gung seinen Platz hat, zeigt die entsprechende Anwendung des zum Mieter entwickelten Modells von Häublein, in: MüKo-BGB, §  571 Rn.  5, §  573 Rn.  81, auf die Haftung des Vermieters für eine unberechtigte Kündigung (a. a. O., §  573 Rn.  143). 756 Zur Unterscheidung zwischen echten Lücken und rechtspolitischen Fehlern siehe nur Larenz/­Canaris, Methodenlehre, S.  194–195. 757  Siehe oben §  7 C. I. 2. unter Rückgriff auf einen Begriff von Schrader, Wissen, S.  157.

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einen anderen in Anspruch nimmt, erkennt zwangsläufig die juristische Rele­ vanz.758 Er hat dann zumindest einen abstrakten Anlass, um rechtliche Beratung zu suchen. b) Zeitdruck Ebenfalls keine gewichtige Rolle im Kontext der Anspruchsgeltendmachung spielt der Aspekt eines besonderen Zeitdrucks. In der „Situation der Sofortentschei­ dung“759 lässt sich nicht zwingend darauf verweisen, der Irrende habe rechtlichen Rat einholen können; ein Fahrlässigkeitsvorwurf kann dann nur daran anknüpfen, dass Rechtsrat schon vorausschauend hätte eingeholt werden müssen.760 Dass An­ sprüche allerdings ohne jegliche Gelegenheit, zuvor einen Rechtsanwalt zu befra­ gen, geltend gemacht werden müssen, erscheint, wenn überhaupt, als absoluter Ausnahmefall. c) Verhalten des Putativschuldners Oben wurde bereits erörtert, ob Äußerungen des vermeintlichen Schuldners zur Rechtslage den Vorwurf eines fahrlässigen Rechtsirrtums des Anspruchstellers be­ gründen können.761 Die umgekehrte Wirkung erscheint ebenfalls denkbar. Wenn selbst der Gegner die Rechtsansicht des Putativgläubigers teilt, kann es Letzterem überflüssig erscheinen, diese Rechtslage überprüfen zu lassen.762 Das spielt vor al­ lem dort eine Rolle, wo der schädliche Erkenntnisgrad negativer Gewissheit objek­ tiv erreicht ist, der vermeintliche Schuldner aber den Putativgläubiger in dessen Ansicht bestärkt, der Anspruch bestehe.763 Wo ausnahmsweise schon Zweifel haf­ tungsbegründend wirken, sollte man es dagegen grundsätzlich nicht als entlastend ansehen, dass auch die gegnerische Seite von einer überwiegenden Wahrscheinlich­ keit der Anspruchsberechtigung ausgegangen ist.764 Wenn der Gegner gleichwohl den Streit fortführt, darf der Anspruchsteller keinen Persilschein erhalten. d) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Putativgläubigers Wer unberechtigterweise einen Anspruch geltend macht, ohne einen Rechtsanwalt befragt zu haben, könnte sich im Einzelfall darauf berufen wollen, dass sein Rechts­ standpunkt auch von einem Gericht oder einer Behörde geteilt wurde. Angespro­ 758 Vergleiche (zur Prozesssituation, aber insgesamt übertragbar) J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  115. 759  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  114 (siehe auch bereits a. a. O., S.  106). 760  Vergleiche allgemein J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  114–115; für solche Fälle eine Ausnahme von der Konsultationspflicht erwägend auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73. 761  Siehe 4. b). 762  In allgemeinerem Zusammenhang in diese Richtung J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  114, 117. 763  Vergleiche später noch §  17 A. I. 764  U.a. auf diesen Aspekt (Ansicht der Berater des Gegners) abhebend BGH, Urt. v. 11.12.1973  – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf.

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chen ist vor allem die Situation, dass ein erstinstanzliches Urteil oder ein gericht­ licher Hinweis noch zugunsten des Anspruchstellers ausgefallen war.765 In der ­Literatur heißt es, es lasse sich nur einzelfallorientiert entscheiden, inwieweit der Anspruchsteller günstigen Instanzentscheidungen vertrauen dürfe.766 Das erscheint wenig befriedigend. Es lassen sich weitgehend eindeutige Leitlinien entwickeln. Dabei ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass gläubigerfreundliche Äußerun­ gen der Rechtsprechung ihre Wirkung nach der hier vertretenen Konzeption zum Großteil schon auf Ebene des Erkenntnisgrades entfalten. Ihre Existenz bedeutet in aller Regel, dass ein Fehlen der Anspruchsberechtigung jedenfalls nicht objektiv gewiss war, insbesondere eine Anspruchsbejahung vertretbar war.767 Es ist jedoch nicht undenkbar, dass das final entscheidende Gericht die frühere Entscheidung als unvertretbar verwirft768 oder die frühere Entscheidung unbemerkt der höchstrich­ terlichen Judikatur widersprach.769 Unter solchen Gegebenheiten war die Rechts­ lage von vornherein eindeutig negativ, der schädliche Erkenntnisgrad war in objek­ tiver Hinsicht erreicht. Gleichermaßen ist eine entlastende Wirkung anspruchs­ freundlicher Entscheidungen auf Stufe des Erkenntnisgrades ausgeschlossen, wo dem Anspruchsteller ausnahmsweise schon objektive rechtliche Ungewissheit schadet: Eine günstige Instanzentscheidung begründet keine Gewissheit. In den geschilderten Konstellationen könnte eine Haftung des Putativgläubigers allenfalls scheitern, wenn diesem sein subjektives Fehlverständnis angesichts der „vertrauenerweckenden“ Entscheidung nicht vorgeworfen werden könnte. Eine solche Entlastung muss jedoch ausscheiden, soweit ausnahmsweise schon Rechts­ ungewissheit haftungsbegründend wirkt. Denn Urteile und Hinweise sind grund­ sätzlich als Ausdruck der gerichtlichen Rechtsauffassung zu erkennen und erlauben im Normalfall nicht den Schluss, eine in letzter Instanz abweichende Entscheidung sei ausgeschlossen.770 Daher begegnet es Bedenken, wenn im Rahmen einer Ab­ nehmerverwarnung771 zugunsten des vermeintlichen Schutzrechtsinhabers be­ rücksichtigt wird, dass zuvor die Berechtigung „durch das Urteil eines sachkundi­ 765  Siehe zu solchen Fällen BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Un­ terlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  53 – Penisextensionsvorrichtung (zwei abweichende schriftliche Hinweise des Gerichts). 766  Hopt, Schadensersatz, S.  257. 767  Siehe oben III. 3. b) aa). 768  Auch die Kollegialgerichtslinie im Amtshaftungsrecht (dazu III. 3. b) aa)) soll unanwendbar sein, wenn das Gericht eindeutiges Recht verkannt hat, siehe etwa BGH, Urt. v. 29.5.1958 – III ZR 38/57, BGHZ 27, 338 = NJW 1959, 35, 37; BGH, Urt. v. 9.9.2020 – III ZR 245/18, MDR 2020, 1375, 1375–1376 Rn.  17 m. w. N. 769 Zutreffend ist es, wenn für eine Haftungsverneinung darauf verwiesen wird, dass das erstinstanzliche Gericht den Rechtsstandpunkt des Anspruchstellers geteilt habe, aber kumulativ verlangt wird, dass „die Rechtsfrage […] nicht höchstrichterlich geklärt ist“, so bei OLG Naum­ burg, Urt. v. 11.6.2014 – 1 U 8/14, NJW-RR 2015, 51, 52. 770  Eine Ausnahme ist allenfalls denkbar, wenn das Gericht ausnahmsweise falsche Gewissheit vermittelt hat, siehe dazu §  16 D. III. 2. d) bb). 771  Dort gilt nach hier vertretener Ansicht ausnahmsweise ein strenger Erkenntnisgrad, siehe oben III. 4. b) cc) (3).

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gen Gerichts anerkannt worden ist“.772 Überzeugend ist im Regelfall vielmehr das Ergebnis, zu dem der BGH hinsichtlich einer voreiligen, aber ausnahmsweise nicht unter §  717 Abs.  2 ZPO fallenden Vollstreckung gelangte: Trotz der positiven Ent­ scheidung des Landgerichts wurde eine Haftung des Vollstreckenden bejaht.773 Anders könnte die Wirkung positiver Entscheidungen bzw. Hinweise durch In­ stanzgerichte ausfallen, wo dem Anspruchsteller, wie üblich, erst die objektive Ge­ wissheit der Nichtberechtigung zum Nachteil gereicht. Es erscheint nicht zwin­ gend fahrlässig, wenn ein Anspruchsteller nach einer für ihn positiven gerichtlichen Äußerung zur Rechtslage den (unzutreffenden) Eindruck gewinnt, seine Ansicht sei vertretbar – schließlich hat ein neutrales Gericht sie geteilt – und es stehe keine höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen – schließlich wäre darauf in der Regel nach §  139 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 ZPO hinzuweisen gewesen.774 Gleichwohl wird auch an dieser Stelle eine Entlastung unberechtigter Anspruchsteller wegen „falsch-po­ sitiver“ Instanzentscheidungen in aller Regel ausscheiden. Es ist nämlich zu beden­ ken, dass eine Entschuldigung nur insoweit in Betracht kommt, wie der Betroffene gerade infolge der günstigen Entscheidung Schäden des Gegners verursacht hat. Die Entscheidung muss dem Schädigerverhalten also vorangegangen sein.775 Der Großteil relevanter Schäden wird aber schon durch die ursprüngliche Geltend­ machung bzw. Klage verursacht werden.776 Insoweit kommt ein kausales Vertrauen in die Gerichtsentscheidung denklogisch nicht in Betracht. Soweit ausnahmsweise Schädigungen erst nach dem stattgebenden Urteil, etwa durch das Berufungs­ verfahren, ausgelöst werden, ist zu beachten, dass dort nach §  78 Abs.  1 S.  1 ZPO eine anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist. Der Anspruchsteller verfügt dann zwingend über einen Rechtsanwalt, sodass sich die Frage nach einer Entlastung trotz Nichtmandatierung nicht stellt. Stärkere Relevanz kann die Berücksichtigung früherer falsch-positiver Entschei­ dungen erlangen, soweit diese von Behörden ausgingen. Eine amtliche Einschätzung wird der schädigenden Rechtsverfolgung oft zeitlich vorgelagert sein. Der An­ spruchsteller kann dann tatsächlich im Vertrauen darauf handeln. Die BGH-­Recht­ sprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung hat zumindest die Bereit­ 772  So aber Moser v. Filseck, GRUR 1963, 260, 263; im Zusammenhang mit einer Abnehmer­ verwarnung auch OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  53  – Penisextensionsvorrichtung (siehe soeben oben Fn.  765). Hingegen betraf die dort ebenfalls zitier­ te Entscheidung BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung, eine Herstellerverwarnung. 773  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269 (dazu oben III. 4. b) aa) (2)). 774  Siehe zur Hinweispflicht bei einem ersichtlichen Irrtum §  3 A. II. 1. m. w. N. 775  Auf Ebene des Erkenntnisgrades lassen sich auch nachträgliche Entscheidungen als Indiz für die „intellektuelle[] Plausibilität“ der anspruchsfreundlichen Ansicht anführen. Auf der Ebe­ ne der Substitution durch Vorwerfbarkeit geht es hingegen um die „Frage des berechtigten Ver­ trauens“ (zum Ganzen – einschließlich der Zitate – J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  113). 776  Dies gilt erst recht, wenn man die Nachteile, die dem Putativschuldner daraus erwachsen, dass er sich nach dem nachteiligen erstinstanzlichen Urteil zunächst dem Begehren beugt, als kausale Folge der ursprünglichen Geltendmachung ansieht, so BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung.

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schaft erkennen lassen, den rechtsirrig Verwarnenden dort zu entlasten, wo er sich auf ein zuvor amtlich geprüftes Schutzrecht stützen konnte: Von ihm könne keine bessere Beurteilung der Rechtslage als von der Erteilungsbehörde verlangt wer­ den.777 Im Grundsatz wird man, wie bei gerichtlichen Äußerungen, Verständnis für den Putativgläubiger aufbringen können, der sich darauf verlässt, die günstige Auf­ fassung einer neutralen Behörde sei weder unvertretbar noch stehe sie im Wider­ spruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Behörde wird in bestimmten Bereichen zumindest als gleichwertige Auskunftsstelle anzusehen sein.778 Sobald der Anspruchsteller allerdings tatsächlich einen Rechtsberater beizieht, werden ihm dessen Versäumnisse nach den üblichen Grundsätzen zugerechnet. Demgegenüber bestehen erhebliche Vorbehalte dagegen, positiven Behördenent­ scheidungen eine entlastende Wirkung zukommen zu lassen, wo ausnahmsweise bereits die Rechtsungewissheit den haftungsbegründenden Erkenntnisgrad bildet (vor allem bei der Abnehmerverwarnung). Die Wertung aus §  717 Abs.  2 ZPO ist zu berücksichtigen:779 Die Rechtseinschätzung eines kompetenten „Entscheiders“ entlastet nicht, wo die Rechtsverwirklichung bzw. -sicherung betrieben wird, ohne die endgültige Klärung abzuwarten. Soweit noch die Möglichkeit einer gerichtli­ chen Überprüfung einer günstigen Behördenentscheidung besteht, erscheint es deshalb bedenklich, dem Schutzrechtsinhaber, der zur Abnehmerverwarnung greift, zu attestieren, er brauche „nicht damit zu rechnen, daß in einem Nichtig­ keitsverfahren derselbe Sachverhalt anders beurteilt werden“ wird.780 Es ist nach­ vollziehbar, dass man dem Inhaber eines eingetragenen Schutzrechts zugestehen möchte, „die Rechte aus dem ihm durch Hoheitsakt gewährten Ausschließlich­ keitsrecht […] in dem entsprechenden Umfang“ wahrzunehmen.781 Möchte der (vermeintliche) Rechtsinhaber dies ohne erhebliches Haftungsrisiko tun, ist er al­ lerdings auf das Vorgehen gegen den Hersteller (Mitbewerber) verwiesen.782

V. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Putativschuldner Verlangt eine zu Unrecht in Anspruch genommene Person Schadensersatz vom Anspruchsteller, wird die begehrte Kompensation oftmals Einbußen betreffen, die 777 

Siehe oben B. I. 2. m.N. in Fn.  103. Siehe übergreifend unten §  16 D. III. 2. d) bb). 779  In allgemeinerem Zusammenhang v. a. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74; zustim­ mend Kaulich, Haftung, S.  128; siehe dazu noch §  11 C. III. 3. b). 780  BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2163 – Spritzgießmaschine; im Er­ gebnis ganz ähnlich aber OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  53 – Penisextensionsvorrichtung, zur unterlassenen Rücknahme (dazu oben III. 6.) einer Ab­ nehmerverwarnung. 781  So BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2162–2163 – Spritzgießmaschine. 782  III. 4. b) cc) (3)–(4). Von dieser auf Grundlage der generellen Maßstäbe gewonnenen Ein­ schätzung wäre nur dann eine Abweichung geboten, wenn sich in den betroffenen Rechtsgebieten spezielle Wertungen aufdecken ließen, nach denen es beispielweise näherläge, die erfolgte Eintra­ gung eines Schutzrechts einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung gleichzusetzen, für deren Vollstreckung nicht nach §  717 Abs.  2 ZPO gehaftet würde (siehe dazu oben III. 4. b) aa) (3) (b)). 778 

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im letzten Schritt vom Geschädigten selbst verursacht wurden. Nur typische „Be­ gleitschäden“, etwa betreffend die Reputation, entstehen allein infolge der Inan­ spruchnahme. In vielen anderen Fällen bildet das Verhalten des vermeintlichen Schuldners das finale Glied der Kausalkette. Insoweit lassen sich zwei Gruppen von Schäden unterscheiden:783 Erstens wird der in Anspruch Genommene vielfach Be­ ratungskosten aufwenden, um die Berechtigung der Inanspruchnahme prüfen zu lassen. Zweitens ist denkbar, dass der vermeintliche Schuldner dem Verlangen des Gläubigers einstweilen nachgibt und dadurch Nachteile erleidet (zum Beispiel: Auszug des Mieters nach geforderter Räumung) oder angesichts des schwelenden Konflikts Maßnahmen zum eigenen Nachteil trifft (Beispiel: Produktionsstopp784). Sofern die Voraussetzungen für eine Haftung des Anspruchstellers erfüllt sind, stellt sich die Frage, ob der Beitrag des vermeintlichen Schuldners zur Schadensent­ stehung haftungsmindernd zu berücksichtigen ist.785 An dieser Stelle ist auf den Gedanken zurückzukommen, der in Anspruch Genommene hätte die ihm günsti­ ge Rechtslage möglicherweise selbst erkennen und die Selbstschädigung vermeiden können.786 1. Dogmatische Anknüpfung Es bieten sich zwei Ansatzpunkte, um diesen Umstand zu berücksichtigen. In Be­ tracht gezogen wird ein Mitverschulden (§  254 BGB) des Geschädigten.787 Andere verneinen mangels hinreichender Herausforderung bereits den Kausalzusammen­ hang zwischen Inanspruchnahme und Schaden.788 Mitunter werden auch beide As­ pekte zugleich genannt.789 Eine Vermischung sollte aber zumindest aus Gründen der dogmatischen Klarheit vermieden werden.790 Überzeugend erscheint es, den Kausalzusammenhang allenfalls dort für unterbrochen zu halten, wo der in An­ spruch Genommene in Kenntnis der Nichtschuld gehandelt hat.791 In allen übrigen 783  Zu dieser Differenzierung deutlich Herrler, MittBayNot 2008, 473, 475; Thole, AcP 209 (2009), 498, 540; eher vermischend hingegen Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548–549. 784  Siehe etwa Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 369; zu denkbaren Schadensposten näher oben A. I. 785  Treffende Kritik von Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 368 Fn.  8 0, an der Ausblendung dieser Dimension bei Hopt, Schadensersatz. 786  Siehe dazu IV. 2. b) m.N. 787  Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 368–369; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548–549; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711; zur Schutzrechtsverwarnung BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3144 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH, Urt. v. 19.9.2019 – I ZR 116/18, NJW 2020, 766, 766–767 Rn.  14–16 – Chickenwings; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, §  4 Rn.  4.181; Spindler, in: BeckOGK, §  823 BGB Rn.  224. 788  So BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  28 (betreffend Rechtsberatungskosten); AG München, Urt. v. 16.12.2016 – 411 C 45/16, ZMR 2017, 982, 983 (bei Auszug des Mieters trotz Überzeugung von der fehlenden Berechtigung der Kündi­ gung); allgemein Thole, AcP 209 (2009), 498, 540; ähnlich Klöhn, EWiR 2008, 267, 268 (Schutz­ bereich des §  241 Abs.  2 BGB nicht betroffen). 789  Exemplarisch OLG Koblenz, Urt. v. 9.7.2014 – 5 U 684/12, Rn.  23, juris; auch Herrler, Mitt­ BayNot 2008, 473, 475 mit Fn.  21. 790  Kritisch auch Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  146 mit Fn.  610. 791 So Derkum, Folgen, S.   245–246; Faust, JuS 2008, 746, 748; nur diesen Fall meint auch

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Fällen stellt dagegen das Mitverschulden die passende Stellschraube dar,792 zumal dadurch die sachgerechte Möglichkeit einer Quotenbildung 793 offenbleibt. Es ist anerkannt, dass §  254 BGB auch in den Fällen der verschuldensunabhängi­ gen Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO794 sowie §  231 BGB795 Anwendung fin­ det. Auch generelle Bedenken gegen eine Mitverschuldensprüfung gehen fehl. So ist es vereinzelt als untragbar kritisiert worden, dass der Belangte sich umso eher ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse, je unsorgfältiger der Anspruchsteller vor­ gehe.796 Es ist aber auch sonst keineswegs außergewöhnlich, dass sich bei beson­ ders evidentem Fehlverhalten des Schädigers die Vorhersehbarkeit des Schadens und die Möglichkeit, ihn zu verhindern, verbessern. Auch die Andeutung, der sorgfältige Putativgläubiger komme seltener in den Genuss des §  254 BGB, ist irre­ führend. Der sorgfältige Anspruchsteller erfüllt zumeist schon keinen Haftungs­ tatbestand. Er bedarf des Mitverschuldenseinwands nicht. Der Vorwurf eines Mitverschuldens wegen Verkennung der Rechtslage ist nur dort per se ausgeschlossen, wo dem Putativschuldner unabhängig von den Erfolgs­ aussichten der Inanspruchnahme zugestanden wird, bestimmte Verteidigungs­ kosten zu verursachen.797 Insbesondere soll er sich unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit grundsätzlich auch bei eindeutig günstiger Rechtslage von einem Anwalt vertreten lassen dürfen, sofern der Anspruchsteller seinerseits anwaltlich vertreten ist.798 Ähnlich wird bei existenzbedrohenden oder anderen besonders wichtigen Vorgängen verfahren.799 2. Erkenntnisgrad Sofern eine Anwendung von §  254 BGB in Betracht kommt, lässt sich auf Seiten des Putativschuldners – spiegelbildlich zum Anspruchsteller – fragen, ab welchem Grad der rechtlichen Erkenntnis ihn der Rechtsnachteil (hier: Kürzung wegen Mit­

­Herrler, MittBayNot 2008, 473, 475; wohl ebenso Klöhn, EWiR 2008, 267, 268; Thole, AcP 209 (2009), 498, 540. 792  Derkum, Folgen, S.  247–248; Faust, JuS 2008, 746, 748; ähnlich Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249. 793  In diese Richtung Faust, JuS 2008, 746, 748; zur Quotenbildung noch unten 3. 794  BGH, Urt. v. 13.10.2016 – IX ZR 149/15, NJW 2017, 1600, 1602–1603 Rn.   25 (zu §  945) m. w. N.; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  292; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  717 Rn.  13. 795  BGH, Urt. v. 6.7.1977 – VIII ZR 277/75, NJW 1977, 1818, 1818–1819; Repgen, in: Staudin­ ger, §  231 Rn.  4. 796  So OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1046. 797  Siehe allgemein Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 549. 798  BGH, Urt. v. 30.4.1986 – VIII ZR 112/85, NJW 1986, 2243, 2245; OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 567; Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249; R. Koch/ Körner, JR 2018, 307, 309–310. 799  Vergleiche (wenngleich es auf diesen Gesichtspunkt im Ergebnis zum Teil nicht ankam) OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 567; LG Hamburg, Urt. v. 28.10.­2010 – 307 S 55/10, Rn.  6 , juris; LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 716.

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verschuldens) trifft. Man sollte insoweit zwischen den denkbaren Schadenskatego­ rien differenzieren. Betreffend die kostenpflichtige Einschaltung eines Rechtsexperten wird man dem Putativschuldner – so ihm diese nicht ohnehin aus Gründen der Waffengleich­ heit etc. zu gestatten war800 – einen Mitverschuldensvorwurf nicht machen kön­ nen, solange die Rechtslage nicht eindeutig erschien. Unter solchen Umständen erscheint es gerade sachgerecht, das weitere Vorgehen von fachkundigem Rat ab­ hängig zu machen. Diese milde Linie entspricht der Behandlung in Rechtsprechung und Schrifttum.801 Sie fügt sich in die allgemeine Formel ein, wonach der Geschä­ digte die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Schadensabwicklung für erforderlich und zweckmäßig halten darf, wenn sich die Haftungslage nicht zweifelsfrei darstellt. 802 Uneinheitlicher ist das Meinungsbild hinsichtlich anderer Schäden, zum Beispiel solcher, die aus einer voreiligen Erfüllung resultieren. Manche fordern zum Beispiel von einem Mieter, sich einer Kündigung, deren Wirksamkeit zweifelhaft erscheint, zu erwehren und sich notfalls auf eine gerichtliche Klärung einzulassen. 803 Hier­ nach würde ein Mitverschulden bereits bei rechtlicher Ungewissheit in Betracht kommen. Ähnlich wird teils im Kontext der Schutzrechtsverwarnung formuliert: Es erscheine ungerecht, nur den Verwarnenden, nicht aber den Verwarnten für die Fehleinschätzung der Rechtslage zur Verantwortung zu ziehen. 804 Auch anderswo wird eine parallele Ausgestaltung für Putativgläubiger und -schuldner bevorzugt. 805 Der BGH möchte es einem Mieter hingegen grundsätzlich nur dann zumuten, sich gegen die Kündigung zu wehren, wenn deren Unwirksamkeit „auf der Hand liegt“.806 Im Schrifttum wird verbreitet ähnlich formuliert.807 Für die Fälle der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung hat sich der Große Senat des BGH dahin­ gehend positioniert, dass der Verwarnende „näher dran“ sei, den Schaden zu tra­ gen, als der Verwarnte, der die Rechtslage ebenfalls verkannt hat.808 In der oberge­ richtlichen Judikatur wird diese Linie aufgegriffen. Ein Mitverschulden wird schon dort verneint, wo die Verwarnung plausibel war und keine offenkundigen Fehler 800 

Dazu soeben 1. Vergleiche KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 567; ähnlich OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001  – 7 U 97/00, Rn.  11, juris; auch Jordans/Müller-Sartori, MDR 2009, 779, 781 (wenn Anspruch „nicht unplausibel“ erscheint); im Ergebnis ebenso Derkum, Folgen, S.  248; Haertlein, MDR 2009, 1, 2–3; R. Koch/Körner, JR 2018, 307, 309. 802  BGH, Urt. v. 8.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348 = NJW 1995, 446, 447; siehe auch Oetker, in: MüKo-BGB, §  254 Rn.  93, §  249 Rn.  181. 803  Klinkhammer, NJW 1997, 221, 222. 804  Horn, GRUR 1974, 235, 236. 805  Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 369: Spiegelbild. 806  BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1031; BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – VIII ZR 180/09, WuM 2010, 575, 576. 807  Häublein, in: MüKo-BGB, §   573 Rn.  149; Hinz, in: NK-BGB, §  573 Rn.  153; Oetker, in: MüKo-BGB, §  254 Rn.  95. 808  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3144 – Un­ berechtigte Schutzrechtsverwarnung. 801 

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aufwies.809 Auch zur Haftung nach §  945 ZPO ist in der Rechtsprechung angedeu­ tet worden, dem Antragsgegner, der sich vorerst gebeugt habe, seien resultierende Schäden erst dann anzulasten, wenn er in Kenntnis der für ihn positiven Rechtslage gehandelt habe.810 Ob es dem in Anspruch Genommenen bei Bestehen einer zweifelhaften Rechts­ lage zum Vorwurf gemacht werden darf, sich der Leistungsaufforderung gebeugt zu haben, hängt entscheidend davon ab, welche Konsequenzen ihm im Falle einer unberechtigten Leistungsverweigerung drohen. Ein Mitverschuldensvorwurf er­ scheint umso weniger gerechtfertigt, je höher das Risiko einer Schuldnerhaftung bei ungewisser Rechtslage ausfällt. Eine abschließende Stellungnahme muss daher aufgeschoben werden, bis diese Frage geklärt ist. 811 3. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung So klar die Rechtslage auch im Einzelfall bei objektiver Betrachtung erscheinen mag, ist doch denkbar, dass der in Anspruch Genommene sie subjektiv nicht er­ kennt. Die Annahme eines Mitverschuldens könnte sich dann darauf stützen, dass dem Putativschuldner die Fehleinschätzung vorwerfbar ist. Die ganz herrschende Meinung greift für die Frage des Mitverschuldens auf den objektivierten Fahr­ lässigkeitsbegriff des §  276 BGB zurück, sodass wiederum auf einen durchschnitt­ lichen Angehörigen des betroffenen Verkehrskreises abzustellen ist.812 Die Ver­ kehrskreise von Anspruchsteller und Anspruchsgegner können sich unterscheiden; dies lässt zum Beispiel die Möglichkeit offen, dass nur dem Erstgenannten das Ver­ kennen der Rechtslage zum Vorwurf gemacht werden kann.813 Mit Blick auf die vom Putativschuldner aufgewendeten Rechtsberatungskosten ist es beispielsweise konsequent, wenn ein Mitverschulden unter Verweis auf die fehlende juristische Vorbildung des Betroffenen abgelehnt wird.814 Laien müssen lediglich eine grobe eigene Vorprüfung vornehmen, bevor sie Kosten für Rechtsrat aufwenden dür­ fen. 815 Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung soll der Verzicht auf externen Rechtsrat dagegen eher zumutbar sein. 816

809 

OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1008 Rn.  39. OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.1987 – 2 U 268/86, NJW-RR 1987, 1205, 1205 (unter dem Ge­ sichtspunkt eines möglichen Rechtsmissbrauchs durch den Schadensersatz fordernden Antrags­ gegner). 811  §  17 B. I. 812  Looschelders, in: BeckOGK, §   254 BGB Rn.  96; Oetker, in: MüKo-BGB, §  254 Rn.  35; Schiemann, in: Staudinger, §  254 Rn.  39. 813  Vergleiche BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3144 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 814  So etwa bei OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.2002 – 16 U 1/01, NJW-RR 2003, 566, 567; KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; AG Gummersbach, Urt. v. 2.11.2000 – 1 C 358/00, JurBüro 2001, 144; Sternel, NZM 2011, 688, 691. 815 Vergleiche Jordans/Müller-Sartori, MDR 2009, 779, 781. 816  Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249. 810 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Bezüglich sonstiger Schäden – vor allem solcher infolge vorläufigen Nachge­ bens  – kann es dem Putativschuldner gegebenenfalls zum Vorwurf gereichen, kei­ nen externen Rechtsrat eingeholt zu haben. Ob und wann eine solche Obliegenheit zur Intermediärskonsultation besteht, wird indes – wie schon betreffend den An­ spruchsteller817 – kontrovers beurteilt. Zur Schutzrechtsverwarnung wird teils formuliert, dem Verwarnten sei „die Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe anzu­ sinnen“.818 Der Verwarnte habe „sich grundsätzlich durch eigene Erkundigungen über die Rechtslage zu vergewissern“.819 Für Verbraucher werden Ausnahmen er­ wogen.820 Dem Mieter, der sich mit einer unberechtigten Kündigung konfrontiert sieht, wird zum Teil zugemutet, „sachverständigen Rechtsrat einzuholen“. 821 An­ dere drücken sich vorsichtiger aus822 oder betonen gar, es erscheine zu weitgehend, „dem Mieter in jedem Fall die Einholung von Rechtsrat abzuverlangen“.823 Im Grundsatz wird man der Auffassung beipflichten können, dass auch dem in Anspruch Genommenen der Verzicht auf eine Expertenkonsultation anzulasten ist, wenn er infolgedessen die objektiv bestehenden Erfolgsaussichten unzutreffend eingeschätzt hat. Dem vermeintlichen Schuldner stehen schließlich die institutio­ nalisierten Angebote der Rechtsberatung gleichermaßen offen. Haben beide Seiten typischerweise gleich guten Zugriff auf Intermediäre, erscheint die Bildung einer hälftigen Quote824 sachgerecht, um auszudrücken, dass jeder für sich genommen die Rechtslage mit ungefähr gleichem Aufwand hätte erkennen können. Wenn Ver­ brauchern gegenüber ein Mitverschuldensvorwurf zurückhaltender erhoben wer­ den soll, ist dem also nur für den Fall zu folgen, dass der Anspruchsteller ersichtlich cheapest cost avoider 825 war. Ein Grundsatz, dass Vermietern eine rechtliche Prü­ fung eher zuzumuten ist als Mietern, lässt sich ebenso wenig aufstellen. Ein (weit­ gehender) Ausschluss des Mitverschuldens ist grundsätzlich nur dann gerechtfer­ tigt, wenn der Anspruchsteller aufgrund seiner Geschäftstätigkeit typischerweise die einschlägigen (etwa branchenrelevanten) Rechtsnormen und -entwicklungen ohne externen Beratungsaufwand zur Kenntnis nehmen kann. Insoweit lässt sich auf die oben gebildeten Gruppen zurückgreifen: Betroffen sind im Wesentlichen größere Unternehmen und die Angehörigen der juristischen Berufe.826

817 

Dazu IV. 5. a). OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1008 Rn.  39. 819  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.11.2012 – 6 U 161/11, NJW-RR 2013, 507, 508; so im Grund­ satz auch Keller, GRUR 2016, 634, 635. 820  Keller, GRUR 2016, 634, 635. 821  Rolfs, in: Staudinger, §  573 Rn.  238. 822  Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548: „gegebenenfalls unter Hinzuziehung fachkundiger Per­ sonen (Mieterschutzverein, Rechtsanwalt)“. 823  Hinz, WuM 2009, 331, 334. 824  Zur Quotelung als Grundsatz siehe etwa Looschelders, in: BeckOGK, §  254 BGB Rn.  302; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  254 Rn.  52. 825  Dazu oben IV. 2. b). 826  Siehe oben IV. 4. a) mit Fn.  565. 818 

318

4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

VI. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen Nach hier präferierter Auffassung kommt der im Rechtsirrtum handelnde An­ spruchsteller in den Genuss weitgehender Haftungsfreiräume. Offengeblieben ist bis hierhin die Frage der genauen dogmatischen Anknüpfung. Spätestens die ge­ setzlichen Erfordernisse eines Verschuldens bzw. Vertretenmüssens bieten hinrei­ chenden Raum für die befürwortete Entlastung. Allerdings erscheint es sowohl im vertrags- wie im deliktsrechtlichen Zusammenhang denkbar, schon auf vorgelager­ ter Ebene anzusetzen und die Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit zu verneinen. 1. Meinungsstand Die Rechtsprechung verfolgt in diesem Punkt keine einheitliche Linie. Mitunter wird sie dahingehend gedeutet, im deliktsrechtlichen Zusammenhang entfalle be­ reits die Rechtswidrigkeit, während innerhalb von Schuldverhältnissen erst das Vertretenmüssen zu verneinen sei.827 Indes scheinen die Differenzierungen der Ju­ dikatur weniger auf dem Unterschied zwischen Vertrags- und Deliktsrecht als auf demjenigen zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Geltendmachung zu be­ ruhen. In der unberechtigten außergerichtlichen Anspruchsberühmung hat der BGH zuletzt eindeutig eine Pflichtverletzung erblickt, 828sodass eine Entlastung erst auf nachgelagerter Ebene in Betracht kommt. Das „Klageprivileg“ lässt er hin­ gegen bereits – auch nach Abstandnahme von der Anerkennung eines besonderen Rechtsfertigungsgrundes – auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wirken. 829 Hinsichtlich beider Konstellationen hat sich im Schrifttum Widerstand geregt. Der Ausschluss der Rechtswidrigkeit bei der unberechtigten Klage sei systematisch unschlüssig und nicht notwendig.830 Der BGH greife auf Kriterien der Fahrlässig­ keitsprüfung zurück, die auf Verschuldensebene geprüft werden könnten.831 827  So LG München I, Urt. v. 16.7.2010 – 17 S 1616/10, Rn.  29–30, juris; Thole, AcP 209 (2009), 498, 529, sieht ebenfalls eine aus seiner Sicht „unnötige Diskrepanz“ zwischen Vertrags- und De­ liktsrecht. 828  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263–1264 Rn.  17; siehe ferner BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1064–1065 Rn.  30; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 = NJW 2013, 2027, 2031 Rn.  45; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.8.2009 – 16 U 59/09, NJW-RR 2010, 568, 569; LG Karlsruhe, Urt. v. 12.9.2012 – 1 S 70/12, NJW-RR 2013, 109, 111; so auch Faust, JuS 2009, 1146, 1148; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548; wohl auch R. Koch/Körner, JR 2018, 307, 308–309. 829  Siehe v. a. BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 = NJW 1985, 1959, 1961; BGH, Urt. v. 25.3.­ 2003  – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935; BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447 (für eine Rechtsverteidigung); auch Derkum, Folgen, S.  6 4, 66; Hopt, Schadensersatz, S.  230–232, 242; Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  111–160 (insb. S.  124–125); Zeiss, JZ 1970, 198, 199. 830 Prägnant K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  195; Lindemann, Haftung, S.  141; kritisch auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  354, 363. 831  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  195, 197–202; im Ergebnis ebenso zur Haftung innerhalb bestehender Sonderbeziehungen Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 102.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

319

Nachdrücklich für eine generelle Berücksichtigung des Rechtsirrtums (erst) beim Verschulden haben sich Damler/Zeyher eingesetzt: Die Interessen des Geschädig­ ten, der für die objektive Unklarheit der Rechtslage ebenso wenig etwas könne, ließen sich nur schwer berücksichtigen, wenn von vornherein eine objektive Pflicht­ verletzung des Irrenden verneint werde. 832 Umgekehrt erfährt die Annahme einer Pflichtverletzung bei der unberechtigten außergerichtlichen Inanspruchnahme Kritik. Es existiere keine erfolgsbezogene Pflicht, nur bestehende Ansprüche gel­ tend zu machen; vielmehr könne erst das unsorgfältige Verhalten des Putativgläu­ bigers eine Pflichtverletzung begründen. 833 Auch in der Instanzrechtsprechung wird offenbar zum Teil davon ausgegangen, die Vertretbarkeit der geäußerten Rechtsansicht lasse bereits die Pflichtverletzung entfallen. 834 2. Stellungnahme: Differenzierung zwischen Erkenntnisgrad und Vorwerfbarkeit Soweit die Rechtsprechung zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Geltend­ machung unterscheidet, ist dem auch an dieser Stelle aus den oben erörterten Grün­ den835 nicht zu folgen. Auf der Suche nach einer einheitlichen Lösung findet man sich indes rasch inmitten des Grundsatzstreits wieder, ob das Rechtswidrigkeits­ urteil an Handlungs- oder Erfolgsunrecht anknüpft.836 Eine eingehende Befassung würde die Grenzen der vorliegenden Untersuchung sprengen. 837 Im Deliktsrecht kann man sich guten Gewissens in solcher Zurückhaltung üben, weil sich die Aus­ wirkungen der dogmatischen Einordnung in Grenzen halten.838 Insbesondere erge­ ben sich keine Auswirkungen auf die Darlegungs- bzw. Beweislast.839 Einer Ent­ scheidung bedarf es vornehmlich für den Bereich des Vertragsrechts. Die Annahme einer Pflichtverletzung führte dort wegen §  280 Abs.  1 S.  2 BGB zur Darlegungsund Beweisbelastung des Putativgläubigers hinsichtlich der entlastenden Umstän­ de.840 Ferner könnten sich Vertragslösungsrechte ergeben (insbesondere aus §  324 832 

Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 926–927. Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 811–812; Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248; Derkum, Folgen, S.  82, 86; Gsell, ZJS 2009, 187, 188–189; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  91–95, 97–98, 105–106, 142–143; im Ergebnis ebenso für Prüfung auf Ebene der Pflichtverletzung Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  70–77, 103; Haertlein, MDR 2009, 1, 2; Herrler, MittBayNot 2008, 473, 473–474. 834  So wohl OLG München, Urt. v. 9.9.2019 – 21 U 1216/19, BeckRS 2019, 23400 Rn.  19; AG Tecklenburg, Urt. v. 29.1.2020 – 5 C 33/19, BeckRS 2020, 29506 Rn.  4. 835  Siehe I. 1. 836  Siehe dazu nur G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  4 –27 m. w. N. 837  Ebenso verfahrend K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  193; Hopt, Schadensersatz, S.  2 29; ­Thole, AcP 209 (2009), 498, 527; auch Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  315; eingehendere Positionierung zugunsten der Erfolgsunrechtslehre hingegen bei Haertlein, Exekutionsintervention, S.  320–329. 838  Siehe insb. Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  312–315, 322. Einzig, was negatorischen Schutz angeht, ergäbe sich durch Verneinung der Rechtswidrigkeit eine weiter gehende Entlastung des Irrenden (Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 348–349; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 164). Für die Rechts­ irrtumslehre dürfte dieser Punkt zu vernachlässigen sein. 839  Thole, AcP 209 (2009), 498, 527. 840  Derkum, Folgen, S.   84–85; Faust, JuS 2009, 1146, 1148; dies andeutend auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 164; Thole, AcP 209 (2009), 498, 528–529. Beispiele, in denen §  280 Abs.  1 S.  2 833 

320

4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

BGB).841 Angesichts dessen lässt es sich im Ansatz nachvollziehen, wenn argumen­ tiert wird, eine „konsistente Lösung“ müsse schon am Merkmal der Pflichtwidrig­ keit ansetzen.842 In der Tat sollte die Bewertung nicht vorschnell weitere Nachteile ausblenden, die sich für den Putativgläubiger neben der Schadensersatzhaftung er­ geben können. Auch solche könnten potenzielle Anspruchsinhaber von einer er­ wünschten Geltendmachung abhalten. Die Verortung der Entlastung (erst) auf Verschuldensebene führt jedoch nicht zwingend zu den befürchteten Konsequenzen. So dürfte die von §  324 BGB voraus­ gesetzte Unzumutbarkeit so gut wie nie vorliegen, wenn die Nebenpflichtverlet­ zung nicht einmal fahrlässig begangen wurde. 843 Und Darlegung und Beweis be­ reiten, gleich wem sie obliegen, kaum Schwierigkeiten, soweit es um die Frage geht, ob die Rechtsverfolgung ex ante mehr als nur ganz geringe Erfolgsaussichten auf­ wies. Insoweit kommt es schließlich auf eine objektive Sicht an.844 Nur hinsichtlich der vom Anspruchsteller konkret angestellten Bemühungen, die Rechtslage zu er­ gründen, könnte sich §  280 Abs.  1 S.  2 BGB, wenn überhaupt, 845 auswirken. Folglich lassen sich zwingende Gründe für eine pauschale Zuordnung der Ent­ lastung zur Pflichtwidrigkeitsebene nicht herleiten. Andererseits erscheinen auch die Argumente, die für eine Verortung beim Verschulden ins Feld geführt werden, nicht imperativ. Zwar trifft es zu, dass anders als im Strafrecht nicht der Gedanke staatlicher Ingerenz den Ausschluss der Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit begrün­ det. 846 Dies bedeutet indes nicht, dass sich im Privatrecht keine anderen Gründe finden ließen. Dass man die Interessen des Geschädigten bei der Pflichtwidrigkeits­ prüfung nicht angemessen berücksichtigen könne,847 bleibt als Behauptung jeden­ falls unsubstanziiert. BGB im Kontext der unberechtigten Rechtsverfolgung angewandt wurde: BGH, Urt. v. 25.10.­ 2012  – VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 = NJW 2013, 2027, 2031 Rn.  46; KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 715. 841  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 164; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548. 842 So Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810. 843  Siehe oben B. II. unter Verweis auf Ernst, in: MüKo-BGB, §  324 Rn.  11; Riehm, in: BeckO­ GK, §  324 BGB Rn.  53. Darauf weist gar Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810 Fn.  22, selbst hin. Die Diskussion weist Parallelen zu der um Rechtsanwendungsfehler von Geschäftsleitern auf. Betreffend das Binnenverhältnis zur Gesellschaft wird zum Teil die Verneinung einer Pflichtver­ letzung präferiert, um sämtliche nachteiligen Folgen (insb. Abberufung bzw. Kündigung) zu ver­ hindern (so etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35g). Andere halten dies für überflüssig, weil das Fehlen von Fahrlässigkeit hinreichend berücksichtigt werden könne (Harnos, Geschäfts­ leiterhaftung, S.  149–154, 254–255; J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 420–421; Verse, ZGR 2017, 174, 192). 844  Siehe bereits den entsprechenden Hinweis zum Verjährungsrecht bei §  7 C. IV. 845  Auch bei einer Zuweisung zur Frage der Pflichtverletzung könnte letzten Endes der Puta­ tivgläubiger die Beweislast für seine Aufklärungsbemühungen tragen; siehe allgemein zur Be­ weislastumkehr bei Schadensursachen, die aus dem Gefahrenbereich des Schuldners (im Sinne von §  280 Abs.  1 BGB; vorliegend also des Putativgläubigers) herrühren, Ernst, in: MüKo-BGB, §  280 Rn.  152–153 m. w. N. 846 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 927; siehe bereits §  1 A. II, §  5 C. III. 2. 847 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 927.

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

321

Überzeugend und ausgewogen erscheint letztlich eine Herangehensweise, die sowohl die Ebene der Pflichtwidrigkeit als auch die des Vertretenmüssens in die Prüfung einbezieht. Mithilfe einer solche Lösung ließe sich die dogmatische Auf­ spaltung der Problematik in den haftungsbegründenden Erkenntnisgrad und die Substitution durch Vorwerfbarkeit nachvollziehen. Hinsichtlich des Erkenntnisgrades wurde herausgearbeitet, dass das Privatrecht die Anspruchsverfolgung unter Rechtsunsicherheit grundsätzlich billigt, solange die objektiven Erfolgsaussichten nicht ganz gering ausfallen. An der Geltendma­ chung besteht dann ein überwiegendes Interesse. Unter diesen Bedingungen ist es nur konsequent – ja entspricht es gar der oben zitierten Forderung nach wertungs­ mäßiger Konsistenz848 –, die Anspruchsverfolgung gar nicht erst als objektiv pflichtwidrig einzustufen. Darin käme eine Missbilligung zum Ausdruck, die die Geltendmachung von Ansprüchen unter Rechtsungewissheit gerade nicht verdient. Die partielle Verortung auf der Pflichtwidrigkeitsebene eliminiert en passant weitere Schwierigkeiten. So handelt derjenige Anspruchsteller, der vor der Gel­ tendmachung trotz Gebotenheit keinen Rechtsberater konsultiert hat, regelmäßig schon nicht pflicht- bzw. rechtswidrig, sofern die Rechtslage nicht objektiv aus­ sichtslos war. Mit komplizierteren Konstruktionen, wie dem Verweis auf schuldlo­ ses Alternativverhalten, braucht man dann nicht mehr zu operieren.849 Herausfor­ derungen könnten sich zudem ergeben, wenn man dem Putativgläubiger im Rah­ men von §  280 Abs.  1 S.  2 BGB selbst in dem Fall, dass die Rechtslage objektiv ungewiss war, den Nachweis abverlangte, dass er nicht in der subjektiven Überzeu­ gung von seiner Nichtberechtigung gehandelt hat. 850 Jeder Beweis zum inneren Vorstellungsbild erübrigt sich, wenn bei objektiv unklarer Rechtslage bereits eine Pflichtverletzung ausscheidet. 851 Ein solches Vorgehen beugt gleichermaßen der Situation vor, dass dem Anspruchsteller, der ein Unterliegen für möglich hält und in Kauf nimmt, bedingter Vorsatz zu attestieren und ein Vertretenmüssen nach §  280 Abs.  1 S.  2 BGB anzunehmen wäre. Dies würde die gebotene Entlastung bei Rechtsungewissheit verhindern. Mit argumentativem Aufwand müsste man des­ halb der Annahme von Eventualvorsatz entgegentreten.852 Einfacher liegen die Dinge, wenn man schon das Vorliegen einer Pflichtverletzung verneint. 853

848 

Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 810. Siehe später übergreifend §  16 B. V., D. III. 3. 850  Ihm könnten insoweit möglicherweise entsprechende Vermutungen helfen. 851  So wohl Haertlein, Exekutionsintervention, S.  411, der eine Entlastung unabhängig davon annimmt, ob dem Betroffenen eine ihm günstige Rechtsprechungslinie subjektiv bekannt war. 852  Siehe bereits oben im Kontext von §  826 BGB III. 1. mit Fn.  244. Symptomatisch ist es, dass Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 930, die Annahme von Vorsatz rundheraus ablehnen. An­ dernfalls gerieten sie angesichts ihres Konzepts – Annahme einer Pflichtverletzung – in Schwie­ rigkeiten hinsichtlich einer Entlastung des Zweifelnden. Siehe später noch §  11 C. V. 1., wo die Diskussion unumgänglich wird. 853  So verfährt letztlich Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  105 (der, a. a. O., S.  102–105, die Entlastung allerdings vollständig auf Ebene der Pflichtwidrigkeit wirken lässt). 849 

322

4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Auf die Ebene des Vertretenmüssens ist hingegen dort auszuweichen, wo der haftungsbegründende Erkenntnisgrad objektiv erreicht ist (im Regelfall also: wo die Rechtslage aussichtslos erschien), dem Anspruchsteller allerdings nicht vorge­ worfen werden kann, dass er zu dieser Erkenntnis nicht selbst gelangt ist. Als sach­ gerechte Folge ergibt sich, dass der Putativgläubiger gemäß §  280 Abs.  1 S.  2 BGB gezwungen ist, eigenständig darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, was er zur Ermittlung der Rechtslage unternommen hat.

D. Fazit Die Rechtsprechung gewährt demjenigen, der nicht bestehende Ansprüche ein­ klagt, traditionell weitgehende Haftungsfreiheit. Zu Recht wird kritisiert, dass das propagierte „Recht auf Irrtum keine klar konturierte dogmatische Kategorie dar­ stellt“.854 Die argumentative Absicherung ist wenig stabil,855 die Schlechterstellung der außergerichtlichen Anspruchsgeltendmachung systemwidrig. 856 Die konkur­ rierenden Ansätze im Schrifttum weisen ihrerseits Schwächen auf. Unter der flexi­ blen, die Umstände des Einzelfalls betonenden Betrachtung leidet die Rechtssicher­ heit.857 Es hat sich gezeigt, dass sich zumindest für den Bereich der rechtsirrtümlichen Anspruchsverfolgung ein Modell entwickeln lässt, das die Balance zwischen den Belangen des Anspruchstellers und denen des zu Unrecht belangten Gegners wahrt, 858 sich dabei aber von der Einzelfallbetrachtung löst und weitgehend rechts­ sichere Vorhersagen über eine Haftung erlaubt. Als elementar erweist sich die Un­ terscheidung zwischen dem haftungsbegründenden Erkenntnisgrad und der Sub­ stitution der Erkenntnis durch den Vorwurf der Unkenntnis. Ist die Rechtslage objektiv ungewiss, ist eine Anspruchsgeltendmachung grundsätzlich nicht pflichtbzw. rechtswidrig. Fehlt es dagegen aus objektiver Sicht mit praktischer Sicherheit an einem Anspruch, haftet der dies verkennende Putativgläubiger in der Regel für sein Vorgehen, weil ihn eine Pflicht zur Einholung von Rechtsrat trifft und ihm Beraterfehler weitgehend zugerechnet werden. 859 Im Gegensatz zur herkömmlichen Herangehensweise der Rechtsprechung lassen sich für den hier vorgeschlagenen Ansatz konkrete Wertungszusammenhänge her­ anziehen, die vor allem in der Zusammenschau mit dem ersten Quadranten der Untersuchung gewonnen werden. Weil das Verjährungsrecht den potenziellen An­ spruchsinhaber im Fall der rechtlichen Ungewissheit zur Anspruchsgeltendma­ chung auffordert, wäre es widersprüchlich, ihm dieses Vorgehen haftungsrechtlich 854 So

G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823. Oben C. I. 2. b). 856  Oben C. I. 1. 857  Oben C. I. 2. b). 858  So auch das Anliegen von Thole, AcP 209 (2009), 498, 501. 859  Oben C. IV. 5. (auch zu Ausnahmen). 855 

§  9 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

323

anzulasten. In beiden Fällen lässt sich auf den Maßstab der hinreichenden Erfolgs­ aussichten im Sinne des §  114 Abs.  1 ZPO rekurrieren. Die Norm zeigt, ab welchem Punkt die Rechtsordnung die Anspruchsverfolgung bei unsicherer Rechtslage trotz der einhergehenden Kosten für die Allgemeinheit und den Gegner billigt. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Geltendmachung rechtlich zweifelhafter Ansprüche der Rechtserstarrung vorbeugt. 860 In Anbetracht dessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Gesetz eine wesentlich strengere Haftung für ein Verhalten des Putativgläubigers vorsieht, welches sich nicht auf die Geltendma­ chung beschränkt, sondern auf eine einstweilige Verwirklichung bzw. Sicherung des Anspruchs gerichtet ist. Entscheidend ist dann die in §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zum Ausdruck kommende Wertung. 861

860  861 

Oben C. III. 2. a), 3. a). Dazu und zur Erstreckung auf verwandte Konstellationen oben C. III. 4. b) aa).

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast Wer rechtsirrtümlich einen nicht bestehenden Anspruch gerichtlich geltend macht, muss, ungeachtet der weitgehenden Freistellung von einem Schadensersatzrisiko, damit rechnen, Prozesskostenersatz zu schulden. Die kostenrechtlichen Folgen von Rechtsirrtümern des Putativgläubigers sind daher im Folgenden näher zu betrach­ ten.

A. Nachteilszuweisung Der prozesskostenrechtliche Nachteil des rechtsirrtümlich vorgehenden Putativ­ gläubigers folgt im Grundfall aus §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO. Die Vorschrift verpflichtet den Unterlegenen nicht nur zur Tragung der Gerichtskosten, sondern auch zur ­prozessualen1 Kostenerstattung gegenüber dem Prozessgegner. Letzteres gilt selbst in dem Fall, dass dem Putativgläubiger Prozesskostenhilfe gewährt wurde (§  123 ZPO).

B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Möglichkeiten, den in rechtlicher Hinsicht irrenden Anspruchsteller von der Pro­ zesskostenlast zu befreien, ergeben sich nach dem bestehenden Regelungsmodell nur in sehr eingeschränktem Umfang.

I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern Die Konzeption der §§  91 ff. ZPO steht einer entlastenden Berücksichtigung von Rechtsirrtümern des Klägers prinzipiell entgegen. Nach herrschender Auffassung ordnet §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO eine Veranlassungshaftung desjenigen an, der durch den verlorenen Prozess Kosten verursacht hat, die sich letzten Endes als unnötig

1  Bei dem „prozessualen“ Kostenerstattungsanspruch des Gegners aus §  91 ZPO handelt es sich trotz seiner Verortung um einen materiell-rechtlichen Anspruch, siehe nur Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  12–13; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  10.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

erwiesen haben.2 Die Rede ist von einer Gefährdungshaftung,3 genauer einer „Ver­ teilungshaftung“.4 Das Verschulden des Unterliegenden ist im Grundsatz irrele­ vant.5 Auch auf eine Rechtswidrigkeit der Inanspruchnahme soll es nicht ankom­ men. 6 Spezialnormen, die Billigkeitsentscheidungen über die Kosten zulassen, kann ebenfalls kein übergreifendes Prinzip entnommen werden, welches die Grun­ dentscheidung des Gesetzes in Frage stellen würde.7 Auf Basis des geltenden Rechts soll sogar der Anspruchsteller, dessen Klage der Erfolg nur deshalb verwehrt bleibt, weil nach ihrer Erhebung die relevanten Gesetzesvorschriften geändert wurden, nicht von Amts wegen in den Genuss einer Korrektur des §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO kommen.8 Berücksichtigung könne der Umstand nur finden, wenn die betroffene Partei von der weiteren Verfolgung ihres Antrags Abstand nehme.9

II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG Ausnahmsweise kann das Gericht nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG von einer Erhebung der Gerichtskosten10 bei abweisenden Entscheidungen sowie nach Zurücknahme eines Antrags absehen, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tat­ sächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruhte. Diese sogenannte Niederschla­ gung11 der Kosten bedarf keines gesonderten Antrags der Partei und steht im Er­ messen des Gerichts.12 Befürwortet wird die Anwendung der Vorschrift etwa bei der Einlegung unzulässiger Rechtsmittel aufgrund einer fehlerhaften gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung.13 Allerdings soll es sich um eine eng auszulegende Aus­ nahmevorschrift handeln, deren praktische Relevanz gering sei.14 Weiter gehende 2  BGH, Urt. v. 5.4.1973 – III ZR 67/72, BGHZ 60, 337 = NJW 1973, 1118, 1119; Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  35; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  6; Schulz, in: MüKo-ZPO, vor §  91 Rn.  27. 3 Etwa Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 837, 838. 4  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  36–37. 5  BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459 Rn.  21; K.-J. Götz, Ersatzan­ sprüche, S.  110; Schulz, in: MüKo-ZPO, vor §  91 Rn.  27. 6  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  110; siehe m.N. zur früheren Lehre von der Unrechtshaftung Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  12, 20–23. 7  Siehe dazu unter Verweis auf die Normen im Einzelnen Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  8. 8  RG, Urt. v. 22.12.1920 – I 258/20, RGZ 101, 162, 165; BGH, Urt. v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 = NJW 1962, 1715, 1718; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  1 sowie §  91 Rn.  1. 9  BGH, Urt. v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 = NJW 1962, 1715, 1718; siehe zu ent­ sprechenden Gestaltungsinstrumenten sogleich III. 10  Die gegnerischen Kosten bleiben unberührt, OLG Celle, Urt. v. 12.2.2020 – 14 U 178/19, NJW-RR 2020, 506, 508 Rn.  15; Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11b. 11  Beruhend auf der früheren Bezeichnung (siehe nur W. Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/ Zimmermann, §  21 GKG Rn.  1). 12  W. Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, §  21 GKG Rn.  12. 13  OVG Hessen, Beschl. v. 6.1.2020 – 3 A 2960/19, DÖV 2020, 536 (Ls.); OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.2.2009 – 1 O 6/09, BeckRS 2009, 31781; W. Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/ Zimmermann, §  21 GKG Rn.  12. 14  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §   91 Rn.  11b; vergleiche auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  83 Rn.  19.

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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Bedeutung könne die Norm allenfalls noch in Fällen gewinnen, „in denen der Klä­ ger oder Rechtsmittelführer auf eine ständige obergerichtliche Rechtsprechung hat vertrauen dürfen und durch eine nicht vorhersehbare Änderung dieser Rechtspre­ chung überrascht worden ist“.15 Eine Niederschlagung der Kosten scheide aber aus, wenn dem Antragsteller bewusst gewesen sei, dass er einer rechtlichen Mindermei­ nung folgte.16

III. Gestaltungsinstrumente Außerhalb des Anwendungsbereichs von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG ist der auf eine Kos­ tenvermeidung bedachte Putativgläubiger auf eigene Aktivität verwiesen. Für die vorliegende Untersuchung relevant sind dabei nur solche Instrumente, die gerade an den Rechtsirrtum anknüpfen. Den allgemeinen Möglichkeiten einer Kostenreduzie­ rung, etwa der Klagerücknahme,17 kommt keine unmittelbare Bedeutung zu.18 1. Erledigungserklärung Der Fokus richtet sich vornehmlich auf die Erledigungserklärung als denkbares Vehikel. Dem liegt die typische Vorstellung eines Gläubigers zugrunde, der seinen Anspruch als Kläger verfolgt.19 Die wegen der Möglichkeit einer negativen Feststel­ lungsklage ebenfalls denkbare Konstellation, dass sich der Gläubiger in der Par­ teirolle des Beklagten wiederfindet, bleibt vorerst außen vor. In dieser Situation stünde vornehmlich das kostensparende Anerkenntnis nach §  93 ZPO zur Verfü­ gung, auf das an späterer Stelle noch aus der Perspektive eines beklagten Schuldners eingegangen wird.20 Erklärt der Kläger den Rechtsstreit für erledigt und schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung an, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten (§  91a Abs.  1 S.  1 ZPO). Widerspricht der Beklagte, behandelt die herrschende Auffassung die einseitige Erledigungserklärung als eine nach §  264 Nr.  2 ZPO zulässige Klage­ änderung21 auf Feststellung, dass die ursprünglich zulässige und begründete Klage durch das erledigende Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist.22 Auch 15 

Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11b. München, Beschl. v. 7.6.2016 – 34 SchH 15/15 (Wiedergabe nach Kröll, SchiedsVZ 2018, 61, 72–73). 17  Hier ergibt sich eine Kostenreduzierung aus Nr.  1211 Ziff.  1 GKG-KV. 18  Eine mittelbare Relevanz ergibt sich insoweit, wie dem Irrenden weiterer Schutz verwehrt wird, weil er auf die allgemeinen Instrumente verwiesen wird, siehe dazu C. I. 2. c) aa). 19  Siehe etwa Bacher, in: BeckOK-ZPO, §  253 Rn.  3: Leistungsklage als „Standardmittel zur Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche“; Peters/Jacoby, in: Staudinger, §  194 Rn.  8: „pro­ zessual wird der Anspruch damit vorzugsweise durch eine Leistungsklage durchgesetzt“. 20  Unten §  12 B. III., C. I. 2. a) aa). 21  BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 157/98, NJW 2002, 442, 442; BGH, Urt. v. 19.6.2008 – IX ZR 84/07, NJW 2008, 2580, 2580 Rn.  8; BGH, Urt. v. 1.6.2017 – VII ZR 277/15, NJW 2017, 3521, 3522 Rn.  30; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, §  91a Rn.  32. 22  BGH, Urt. v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, NJW 1989, 2885, 2886; BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 16  OLG

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

für den Beschluss nach §  91a Abs.  1 S.  1 ZPO bildet der hypothetische Erfolg der Klage die wesentliche Grundlage.23 §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO erlaubt es auch demjeni­ gen Kläger, dessen Anlass zur Einreichung der Klage bereits vor Rechtshängigkeit weggefallen ist, durch Klagerücknahme eine Entscheidung nach den Grundsätzen des §  91a Abs.  1 S.  1 ZPO zu erreichen.24 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die bloß subjektive rechtliche Fehlein­ schätzung des Klägers hinsichtlich einer schon anfänglich unbegründeten Klage auch über eine Erledigungserklärung grundsätzlich keine kostenrechtliche Entlas­ tung herbeiführen kann. Das kommt ebenfalls zum Ausdruck, wenn als erledigen­ des Ereignis eine Änderung von Tatsachen bzw. des objektiven Lebenssachverhal­ tes verlangt wird.25 Als erledigendes Ereignis eingestuft wird hingegen seit Zeiten des Reichsgerichts eine während des Verfahrens erfolgende Gesetzesänderung, welche die anfänglich zulässige und begründete Klage unzulässig bzw. unbegrün­ det macht.26 Für Änderungen der Rechtsprechung stellt sich das Meinungsbild überwiegend anders dar. Selbst die Nichtigerklärung eines verfassungswidrigen Gesetzes durch das BVerfG soll nach vorherrschender Ansicht keine kostensparen­ de Erledigungserklärung erlauben; damit stehe nämlich lediglich fest, dass die be­ troffene Vorschrift von Anfang an ungültig war, es also der Klage von vornherein an der Grundlage gefehlt habe.27 Nichts anderes soll nach ganz herrschender Mei­ nung für einen aus Klägersicht ungünstigen Wandel der höchstrichterlichen Recht­ sprechung gelten.28 III ZR 16/18, NJW 2019, 2544, 2545 Rn.  6; Gierl, in: Hk-ZPO, §  91a Rn.  70; Hüßtege, in: Thomas/ Putzo, §  91a Rn.  33. 23  BGH, Beschl. v. 8.11.1976 – NotZ 1/76, BGHZ 67, 345 = NJW 1977, 436, 436; BGH, Beschl. v. 7.5.2007 – VI ZR 233/05, NJW 2007, 3429 Rn.  7; Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  24; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  45. Das Vorhandensein eines erledigenden Ereignisses ist hingegen nicht zu prüfen, Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91a Rn.  17. 24  Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, §  269 Rn.  6 4; Saenger, in: Hk-ZPO, §  269 Rn.  39. 25  Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  3; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91a Rn.  34; Gierl, in: Hk-ZPO, §  91a Rn.  6; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  91a Rn.  5. 26  RG, Urt. v. 22.12.1920 – I 258/20, RGZ 101, 162, 165; vergleiche auch BGH, Urt. v. 20.6.1962  – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 = NJW 1962, 1715, 171. In der gerichtlichen Praxis sind meist die gesetzlichen Grundlagen von Unterlassungsansprüchen betroffen, so bei BGH, Urt. v. 3.7.2003  – I ZR 270/01, NJW 2003, 3202, 3203; BGH, Beschl. v. 11.12.2003 – I ZR 68/01, GRUR 2004, 350, 350  – Pyrex; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.11.2001 – 6 U 52/01, NJW-RR 2002, 1044, 1044–1045. Von einer Erledigung ausgehend auch BayObLG, Beschl. v. 17.3.1992 – BReg. 1a Z 53/89, Bay­ ObLGZ 1992, 54, 57 (zum FGG); ferner Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  58.20; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91a Rn.  23, 35; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  91a Rn.  63; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  7; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  91a Rn.  4 (mit dem Hinweis, dass die Er­ ledigungserklärung nur dann Erfolg habe, wenn die Folgen der Gesetzesänderung nicht spezial­ gesetzlich geregelt seien). 27  BGH, Urt. v. 9.10.1964 – Ib ZR 183/62, NJW 1965, 296, 297; Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  58.20; Hausherr, in: Prütting/Gehrlein, §  91a Rn.  16; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  91a Rn.  8; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  91a Rn.  4; siehe ferner BFH, Beschl. v. 18.3.1994 – III B 543/90, BFHE 173, 506 = BeckRS 1994, 22011038 (zur Gegenstandslosigkeit); zustimmend ­Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91a Rn.  36. 28  BGH, Urt. v. 18.12.2003 – I ZR 84/01, NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1.11.1994 – 6 U 152/94, GRUR 1995, 150, 151 – Automobil-Werbung;

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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2. Klageänderung auf Grundlage materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs Soweit die Erledigungserklärung keinen Erfolg verspricht, kann der Gläubiger al­ lenfalls über eine Umstellung seiner Klage zum Erfolg kommen und so die Kosten­ tragung vermeiden, wenn die Verantwortung für den Irrtum den beklagten Schuld­ ner trifft. Die Grundlage für das neue Klagebegehren 29 bildet dann ein materi­ ell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch.30 Ein solcher kommt insbesondere in Betracht, wenn der Beklagte Informations- bzw. Aufklärungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt hat.31 Inwiefern solche mit Blick auf die Rechtslage bestehen, ist ein Thema, das später noch übergreifend betrachtet wird.32

C. Analyse Die weitgehende Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Kontext des Kosten­ rechts ist wie die Reichweite der anerkannten Ausnahmen kritisch zu hinterfragen. Soweit der Kostennachteil von der Beurteilung der Rechtslage durch den An­ spruchsinhaber unabhängig ist, ist dabei – in der vorliegend gewählten Systema­ tik  – schon die Ebene des Erkenntnisgegenstands betroffen (I.). Nur soweit die Rechtslage zum Erkenntnisgegenstand zählt, sind Überlegungen zum Erkenntnis­ grad und zur Vorwerfbarkeit der fehlenden Einsicht anzustellen (II.–III.).

I. Erkenntnisgegenstand Die nach der Grundkonzeption der §§  91 ff. ZPO bestehende Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern wird zum Teil damit gerechtfertigt, dass „die Folgen einer fal­ schen Bewertung der Rechtslage zu denjenigen Risiken eigenverantwortlichen Handelns, die […] jedermann selbst zu tragen hat“, zähle.33 Dieser Ansatz greift zu kurz. An vielen anderen Stellen zeigt sich, dass die Rechtsordnung das Rechtsirr­ tumsrisiko keineswegs pauschal dem Irrenden zuweist. Selbst soweit ein Zusam­ menhang zur strengen Behandlung von Rechtsirrtümern des Verzugsschuldners OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.11.2001 – 6 U 52/01, NJW-RR 2002, 1044, 105; AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 30.7.2009 – 106 C 178/09, ZMR 2010, 202 (zu §  269 ZPO); wohl auch OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 788–789 (dazu näher unten C. I. 2. c) aa)); Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91a Rn.  56; Hausherr, in: Prütting/Gehrlein, §  91a Rn.  16; auch Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  58.20 (allerdings nur für den Regelfall). 29  In der Regel ein Feststellungsantrag, siehe BGH, Urt. v. 5.5.1994 – III ZR 98/93, NJW 1994, 2895, 2896; nach einer Bezifferung von einer Leistungsklage ausgehend H. Roth, in: Stein/Jonas, §  269 Rn.  57. 30 Diese Klageänderung ist insb. als Alternative zum Vorgehen nach §   269 Abs.  3 S.  3 ZPO (dazu soeben 1.) anerkannt: Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, §  269 Rn.  67; Greger, in: Zöller, §  269 Rn.  18e; H. Roth, in: Stein/Jonas, §  269 Rn.  57. 31  BGH, Urt. v. 5.5.1994 – III ZR 98/93, NJW 1994, 2895, 2896; vergleiche auch Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11a. 32  Siehe unten §  17 A. II. 33 So Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

hergestellt wird,34 stützt dies die grundsätzliche kostenrechtliche Unbeachtlichkeit nicht uneingeschränkt: Im Rahmen von §  286 Abs.  4 BGB wird, wie später zu zei­ gen sein wird, eine Entlastung zumindest dann angenommen, wenn der Schuldner sich bei seiner Verweigerung im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung wähnen durfte.35 Das weitgehende Fehlen einer Entlastungswirkung von Rechtsirrtümern im Rahmen von §§  91 ff. ZPO bedarf demnach der differenzierteren Betrachtung und eingehenderen Begründung. So lässt sich zunächst die prinzipielle Unbeachtlich­ keit einer bestehenden Rechtsungewissheit hinterfragen (1.). Sodann kann unter­ sucht werden, ob nicht immerhin für Fälle der nachteiligen Rechtsprechungsände­ rung eine Entlastung angezeigt, der Rechtsirrtum also wenigstens insoweit zum haftungsbegründenden Erkenntnisgegenstand zu erheben ist (dazu 2.). 1. Unbeachtlichkeit rechtlicher Unsicherheit Die kostenrechtliche Gleichgültigkeit gegenüber Rechtsirrtümern der unterliegen­ den Partei muss zunächst verwundern, wenn man die Anreizwirkungen betrach­ tet, die schon an anderen Stellen als wesentliche Faktoren für die Behandlung von Rechtsirrtümern ausgemacht wurden.36 a) Wahrung des Klärungsanreizes als Argument für Beachtlichkeit Bestehen objektive rechtliche Zweifel an der Anspruchsberechtigung, kann eine ge­ richtliche Entscheidung Klarheit schaffen. Von einem Schadensersatzrisiko wird der potenzielle Gläubiger in solchen Fällen weitgehend befreit.37 Eine gleichwohl drohende Prozesskostenbelastung könnte ihn indes von einer Geltendmachung ­abschrecken.38 Zutreffend wird bemerkt, dass diese Beeinträchtigung des Klage­ anreizes durch §§  91 ff. ZPO die „Rechts(fort)bildungsfunktion“ des Zivilprozesses in Mitleidenschaft ziehe.39 Von dem Gang zum Gericht könnte schließlich, durch die Klärung offener Rechtsfragen und die Rechtsfortbildung, auch die Allgemein­ heit profitieren.40 Das aktuelle System schenke diesem „Beitrag der Parteien zur Konkretisierung des […] objektiven Rechts“41 keine hinreichende Beachtung. Diese Erwägungen sind im Grundsatz nachvollziehbar. Sie sind ein weiterer Beleg für 34  So der Verweis auf die Kommentierung zu §  286 BGB durch Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11. 35  Siehe unten §  11 C. II. 5) b) aa). 36  Oben §  7 C. I. 1. c) dd), §  9 C. III. 2. a). 37  Siehe §  9 C. III. 38 Siehe Adams, Analyse, S.  47; Bokelmann, ZRP 1973, 164, 164; Hau, ZZP 129 (2016), 133, 138–139; Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2525; Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn.  151; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  83 Rn.  2; G. Wagner, ZIP 2005, 49, 56. 39 Treffend Pawlowski, JZ 1975, 197, 202 (siehe auch 199); ähnlich Lames, Rechtsfortbildung, S.  117. 40  Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  4; dazu auch Breyer, Steuerung, S.  236. 41  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.   150 (für eine Streichung der prozessualen Kostenerstat­ tungspflicht).

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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den Zusammenhang zwischen der Rechtsklärung bzw. -fortbildung durch gericht­ liche Entscheidungen und der Behandlung von Rechtsirrtümern. Eine quantitativ ansetzende Lösung für das Anreizproblem könnte zum Beispiel darin bestehen, die Prozesskosten zumindest in den höheren Instanzen zu sen­ ken.42 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert dagegen, ob sich auf Grund­ lage des geltenden Rechts Möglichkeiten ergeben, eine Kostenbelastung – unabhän­ gig von ihrer Höhe – in Fällen der Rechtsungewissheit zu vermeiden. Als Instru­ ment käme de lege lata neben einer überaus weiten Interpretation von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG43 nur eine Reduktion des in §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO statuierten Grundsat­ zes in Betracht. b) Unbeachtlichkeit als Teil des gesetzgeberischen Plans Solchen Gedanken schiebt schon der Blick auf die Genese des heutigen Kosten­ rechts einen Riegel vor. Der Gesetzgeber hat sich offenbar bewusst für die Unbe­ achtlichkeit von rechtlichen Zweifeln entschieden (dazu aa)). Auch in teleologischer Hinsicht lassen sich Argumente für das geltende Modell finden (dazu bb)). aa) Genese Die Rechtsgeschichte hält durchaus Beispiele für Prozesskostensysteme bereit, die berechtigten Rechtszweifeln der Parteien Berücksichtigung schenkten.44 Die Vor­ arbeiten zur ZPO vollzogen indes eine bewusste Abkehr von einer an der Vorwerf­ barkeit orientierten Kostenhaftung und entschieden sich für eine formale Anknüp­ fung an den Prozessverlust.45 Das Unterliegen verpflichtet auch dann zu Kosten­ ersatz, wenn der Prozess zur Klärung einer offenen Rechtsfrage betrieben wurde.46 Es mangelte nicht an Vorschlägen, die Kostenvorschriften der ZPO in diesem Punkt zu ändern.47 Die lebendige rechtspolitische Diskussion der 1970er-Jahre sorgte sich dabei vor allem um die sozialen Auswirkungen der Kostentragungs­ 42  Dafür etwa Pawlowski, JZ 1975, 197, 200; siehe ferner Breyer, Steuerung, S.  236–237 Fn.  818; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  5; zu weiteren Vorschlägen noch §  19 B. III. 2. 43  Dazu oben B. II.; siehe auch Breyer, Steuerung, S.  237 Fn.  818: Verzicht auf Erhebung von Gerichtsgebühren zur Ermöglichung der Rechtsfortbildung. 44  Siehe insb. Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  5 –10. Dieser weist a. a. O., S.  7–8, auf die Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten hin, die im 23. Titel, §  3 Abs.  5 die ge­ genseitige Aufhebung der Kosten vorsah, wenn „eine Rechtsfrage streitig gewesen ist, und zu deren Entscheidung ein Konklusum der Gesetzkommission hat eingeholt werden müssen“. Zur Kostenentlastung im römischen Recht beim Prozessieren in zweifelhaften Fällen: Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 835 m.N. 45  Hahn, Materialien II, S.  197; Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  8 –9; Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 838. 46  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  25. 47  So §  95 eines Entwurfs von 1931 (Reichsjustizministerium, Entwurf, S.  24): „Das Gericht kann der obsiegenden Partei einen Teil der Kosten auferlegen, wenn die Belastung der unterlie­ genden Partei mit sämtlichen Kosten deshalb unbillig erscheint, weil die zu entscheidende Rechts­ frage zweifelhaft war […]“ (darauf hinweisend Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  10; Paw­ lowski, JZ 1975, 197, 199).

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

pflicht auf den Zugang zum Recht.48 Der Gesetzgeber hat solche Anstöße indes nicht aufgegriffen. Er hat sich in Kenntnis der Alternativen für die Beibehaltung des formalen Verteilungsprinzips entschlossen.49 bb) Teleologie Die Versagung einer Kostenentlastung im Fall von Rechtszweifeln könnte ver­ schiedenen Zwecken dienen. (1) Einfachheit der Kostenentscheidung Eine Kostenentscheidung, die sich an einer, wie auch immer zu bestimmenden, Rechtfertigung der Prozesseinleitung orientierte, würde deutlich komplexer aus­ fallen als die schlichte Anknüpfung an das Obsiegen im Prozess. Die kostenrecht­ liche Konzeption der ZPO zielt gerade auch auf eine Vereinfachung der Kostenent­ scheidung.50 Man könnte freilich fordern, die Einfachheit an dieser Stelle zuguns­ ten vorrangiger Interessen zu opfern.51 Wenn man dabei auf den Nutzen einer gerichtlichen Klärung für die Allgemeinheit abheben wollte, müsste man allerdings zugleich in Rechnung stellen, dass eine vereinfachte Kostenentscheidung ihrerseits öffentliche Ressourcen schont.52 Zugleich lässt sich nicht bestreiten, dass eine über­ mäßig simplifizierende Kostenentscheidung Gefahr läuft, in Widerspruch zu be­ stimmten Gerechtigkeitsvorstellungen zu geraten.53 In diesem Spannungsfeld gilt es, eine Balance herzustellen. Zu diesem Zweck ließe sich wiederum auf die Wertungen des §  114 ZPO rekur­ rieren, die schon an mehreren Stellen dieser Untersuchung bemüht wurden.54 Die dortigen Kriterien brächten aus praktischer Sicht den Vorteil mit sich, langjährig „erprobt“55 zu sein. Die Einfachheit der Kostenentscheidung würde daher nicht in vergleichbarer Weise beeinträchtigt wie etwa bei einer in das Ermessen des Ge­ richts gestellten Verteilung.56 Die „hinreichenden Erfolgsaussichten“ im Sinne des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO müsste dann allerdings als „harte“ Grenze für eine Kosten­ entlastung angesehen werden. Wenn eine weiter gehende Kostenverschonung ge­ fordert wird, weil gerechte Motive für eine Klage auch diejenige Partei haben kön­ ne, „deren Prozeßführung sich dem Fachmann als nicht erfolgversprechend (unver­ 48  Die Initialzündung dürfte im Beitrag von Fechner, JZ 1969, 349 ff., zu sehen sein; stellvertre­ tend für die anschließende Diskussion: Bokelmann, ZRP 1973, 164 ff.; Pawlowski, JZ 1975, 197 ff.; Seetzen, ZRP 1971, 35 ff.; w.N. bei Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  3 Fn.  8. 49 Vergleiche Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  1. 50  Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  91 Rn.  1; Gehle, in: Baumbach/Lauterbach, vor §  91 Rn.  10; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  6; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  1. 51 So Pawlowski, JZ 1975, 197, 199. 52 Vergleiche Breyer, Steuerung, S.  231; dies erkennt auch Pawlowski, JZ 1975, 197, 198, an. 53  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  151. 54  Oben §  7 C. I. 3. c) bb), II. 2. b), §  9 C. III. 3. a). 55  Pawlowski, JZ 1975, 197, 199. 56  Insoweit willkürliche Entscheidungen befürchtend Pawlowski, JZ 1975, 197, 199.

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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nünftig) darstellt“,57 wäre dieser Einwand jedenfalls auf Basis des geltenden Rechts zu verwerfen. §  114 ZPO bringt schließlich die Vorstellung des Gesetz­gebers zum Ausdruck, dass ein Prozessieren auf fremde Kosten nur dann gerechtfertigt er­ scheint, wenn eine Klage immerhin gewisse Aussicht auf Erfolg hat.58 Ein Abstellen der Kostenentscheidung auf die „hinreichende Erfolgsaussicht“ im Sinne von §  114 Abs.  1 ZPO würde indes vornehmlich mit Blick auf die rechtliche Einschätzung überzeugen, würde damit doch dem Interesse an einer Rechtskonkretisierung und -fortbildung Rechnung getragen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es bezüglich tatsächlicher Unsicherheiten bei der strengen Unterliegenshaftung bleiben. Eine Differenzierung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern würde die Kostenver­ teilung jedoch stark verkomplizieren. In der Gesamtschau vermag daher das Ziel einer einfachen Kostenentscheidung die Unbeachtlichkeit rechtlicher Irrtümer bzw. Unsicherheiten einigermaßen gut zu begründen. (2) Ambivalente Anreiz- bzw. Abschreckungswirkung Für die vollumfängliche Kostenbelastung trotz objektiv zweifelhafter Rechtslage lässt sich ein weiteres Argument erwägen. Es ist zu bedenken, dass die verschul­ densunabhängige Kostenerstattungspflicht der unterliegenden Partei prospektive Gläubiger nicht unbedingt von einer Anspruchsgeltendmachung abschrecken muss, sondern sie umgekehrt gerade dazu verleiten kann.59 Ein Anspruchsteller kann nämlich wegen §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO seinerseits grundsätzlich darauf zählen, im Obsiegensfall in den Genuss der Kostenerstattung zu kommen. Diese Aussicht mag ihn im Einzelfall animieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich ansatzweise nachvollziehen, warum – trotz der denkbaren Abschreckungswirkung – vereinzelt behauptet wird, das geltende System der §§  91 ff. ZPO fördere die „Rechtsbildung durch Rechtsdurchsetzung“.60 Die Wirkung von §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO ist tatsächlich „ambivalent“. 61 Inwiefern sich Anreiz- oder Abschreckungseffekte ergeben, lässt sich im ökonomischen Verhaltensmodell schwierig prognostizieren. 62 Die konkrete Wirkungsweise hängt neben der Risikofreudigkeit des Betroffenen insbesondere davon ab, wie hoch er die Erfolgsaussichten schätzt – je höher, umso stärker rückt ein möglicher Kostenerstattungsanspruch in den Vorder- und das Risiko einer Kostenerstattungspflicht in den Hintergrund. 63 Auf Basis der Annahme, häufiger verweigerten Schuldner unberechtigterweise die Leistung als Putativgläubiger unberechtigterweise eine Leistung verlangten, 57 So

Pawlowski, JZ 1975, 197, 199. Siehe insb. §  7 C. II. 2. b) (vor aa)). 59  Breyer, Steuerung, S.  230; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  369–370. 60  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 840, stellt dem den auf eine Kostenerstattung verzichtenden §  12a Abs.  1 ArbGG als Relikt eines konsensorientierten „Rechtsbefriedigungssystems“ gegen­ über. 61  Zutreffende Beschreibung bei Haertlein, Exekutionsintervention, S.  369–370. 62 Richtig Breyer, Steuerung, S.  230. 63  Siehe wiederum Breyer, Steuerung, S.  230 m. w. N.; vergleiche zu den Wirkungen eines voll­ ständigen Verzichts auf die Kostenerstattung (US-amerikanisches Modell) auch a. a. O., S.  134. 58 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

wird die starre Kostenerstattungspflicht zum Teil für besser geeignet erachtet, um eine erwünschte „Anreizwirkung auf Schuldner zur freiwilligen Leistung“ zu ent­ falten. 64 Zu bedenken ist indes, dass auch unter Geltung des Alternativmodells  – Befreiung von einer Kostenerstattungspflicht im Fall der zweifelhaften Rechts­ lage  – Schuldner nicht zwingend zur Leistungsverweigerung animiert würden. Ein Schuldner, der zu Unrecht die Leistung nicht erbringt, wäre lediglich von der pro­ zessualen Kostenerstattungspflicht befreit. Materielle Erstattungsansprüche des Gläubigers aus §§  280, 286 BGB wären nicht zwingend ausgeschlossen. 65 Voraus­ setzung wäre, dass die Verzugshaftung schon bei zweifelhafter Rechtslage eintritt. Das ist später noch detailliert zu untersuchen.66 Von vornherein ausschließlich förderlich für den Klageanreiz wäre ohnedies die Befreiung des Unterlegenen von der Tragung der Gerichtskosten für den Fall, dass die Rechtslage unsicher war. Für den potenziellen Gläubiger senkte dies die Nachteile im Unterliegensfall, ohne sei­ nen Gewinn im Fall des Obsiegens zu schmälern. Eine Kostenminderung würde den Bereich, in dem ein außergerichtlicher Vergleich für die Parteien sinnvoll ist, verkleinern und die Attraktivität des gerichtlichen Vorgehens erhöhen. 67 Die (ambivalente) Anreizwirkung vermag daher im Ergebnis die Richtigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung für eine Kostenbelastung bei zweifelhafter Rechtslage nicht abschließend zu erklären. (3) Bewusstes Gegengewicht zum Klageanreiz Ein überzeugender Erklärungsansatz findet sich anderswo. So wird die potenziell abschreckende Wirkung der Regeln zum Kostenersatz vielfach explizit für wün­ schenswert erachtet, um die öffentlichen (Justiz-)Ressourcen zu schützen.68 Dass das Kostenrisiko grundsätzlich geeignet sei, unnötige Prozesse zu verhindern, hat nicht zuletzt das BVerfG bereits früh anerkannt. 69 Der Gedanke ist nachvollzieh­ bar. Die sozialen Kosten des Prozesses werden oftmals die privaten Kosten des Klä­ gers übersteigen.70 Würden die Kosten der Justiz sowie des Beklagten nicht auf den 64 So

Breyer, Steuerung, S.  230–231. Zum Teil wird eine freie Konkurrenz angenommen, siehe etwa Becker-Eberhard, Kostener­ stattung, S.  139–168. Die h. M. verneint das Rechtsschutzbedürfnis für eine Geltendmachung des materiellen Kostenerstattungsanspruchs, sofern eine Kostenfestsetzung im Verfahren möglich ist, BGH, Urt. v. 6.11.1979 – VI ZR 254/77, BGHZ 75, 230 = NJW 1980, 119, 120; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  9, 10. Unter der hier betrachteten Prämisse, dass die Pflicht zur Prozesskostenerstattung gestrichen würde, bestünde ein solcher Vorrang nicht mehr. 66  Dazu §  11 C. II. 67 Siehe Adams, Analyse, S.  46. 68  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.   164; Haertlein, Exekutionsintervention, S.   369; Rosen­berg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  83 Rn.  1; Schulz, in: MüKo-ZPO, vor §  91 Rn.  2; Smid/ Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, vor §  91 Rn.  1; Thole, AcP 209 (2009), 498, 513; Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 70; kritisch Bokelmann, ZRP 1973, 164, 164. 69  BVerfG, Beschl. v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 = NJW 1960, 331, 331. 70  Shavell, J. Legal Stud. 11 (1982), 333, 333 (gar noch unter bewusster Außerachtlassung der entstehenden Kosten für das Gericht, siehe Fn.  3); siehe zu den volkswirtschaftlichen Gesamt­ kosten von Prozessen Adams, Analyse, S.  86–87. 65 

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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erfolglosen Kläger abgewälzt, erhöhte dies die Gefahr unüberlegter, leichtfertiger Klagen71 ebenso wie die eines Vorgehens aus reiner „Prozessfreudigkeit“72 . Indem Klageanreize verringert werden, würden allerdings die Belange der Rechtskonkretisierung und -fortbildung beeinträchtigt, die ebenfalls als gesetzge­ berisches Ziel identifiziert wurden. Bei näherem Hinsehen handelt es sich jedoch nicht um einen unerklärlichen Widerspruch, sondern um einen klassischen Ziel­ konflikt.73 Der Gesetzgeber befindet sich in einem Dilemma.74 Er muss den „Spagat“75 zwischen konträren Regelungszielen bewerkstelligen: die Förderung der Rechtsklärung auf der einen, die Schonung öffentlicher Ressourcen auf der an­ deren Seite.76 Diese Ausgangslage bedingt, dass jedes der Ziele partiell verletzt werden muss, um in der Gesamtbetrachtung ein Optimum zu erreichen.77 Dass das Recht in unterschiedlichen Vorschriften widersprüchliche Anreize setzt, lässt sich unter diesen Bedingungen kaum vermeiden. Über die konkrete Gestaltung der Konfliktlösung lässt sich dabei naturgemäß streiten. Was als optimales Ergebnis empfunden wird, hängt nicht nur vom gewählten normativen Maßstab ab – nutzt man das Kriterium der Wohlfahrtsmaximierung?78 –, sondern auch von der Bewer­ tung der einzelnen Ziele anhand des gewählten Maßstabs: Wie viel ist Rechts­ sicherheit wert?79 In welchem Ausmaß werden öffentliche Ressourcen durch die abschreckende Wirkung des Prozesskostenrechts tatsächlich geschont?80 Pointiert lässt sich fragen: „Wie viel staatliche Zivilklagen pro Einwohner will, braucht und verträgt ein demokratischer Rechtsstaat überhaupt?“81 Das Anliegen einer annä­ hernd genauen Berechnung stößt hier zwangsläufig an seine Grenzen.82 71  Schulz, in: MüKo-ZPO, vor §  91 Rn.  2 ; Thole, AcP 209 (2009), 498, 513; ähnlich Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, §  83 Rn.  1 (Prozesse „aus nichtigem Anlass“). 72  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  369; Seidl, Anspruchsberühmung, S.  18. 73  Den Begriff nutzt auch Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 78. 74  Pawlowski, JZ 1975, 197, 199, mit treffender Darstellung des Widerstreits a. a. O., 200. 75  Thole, AcP 209 (2009), 498, 514. 76  Zur Notwendigkeit dieser Abwägung Adams, Analyse, S.  106; siehe auch Raiser, Rechts­ soziologie, S.  325 (mit dem Fokus auf der Mobilisierung insgesamt): „angemessene Balance zwi­ schen liberalem laissez faire und sozialstaatlicher Fürsorge“; Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 78, spricht von einem Zielkonflikt zwischen „Richtigkeit“ und „Kostengünstigkeit“. 77  So im rechtsökonomischen Zusammenhang exemplarisch anhand des Schadensersatzrechts Schäfer/Ott, Analyse, S.  165–166. 78  Siehe dazu allgemein §  2 C. Nachvollziehbarerweise warnt Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 78, 80, davor, im Rechtsstaat über den Zugang zu den Gerichten nur nach Gesichtspunkten der Wohlfahrtsmaximierung zu entscheiden. Das spricht jedoch nach hier vertretener Ansicht nicht dagegen, die Entscheidung, inwieweit Prozesse gerade um ihrer Rechtskonkretisierungs- und Rechtsfortbildungswirkungen willen gefördert werden sollen, auch an diesem Kriterium auszu­ richten. Wie die Rechtsprechung des BVerfG zur Prozesskostenhilfe zeigt, ist es auch nicht etwa verfassungswidrig, den Zugang zu Gerichten vom Bestehen gewisser Erfolgsaussichten abhängig zu machen (dazu §  7 C. I. 3 c) bb) mit Fn.  378). 79  Dazu auch Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 745. 80  Allgemein zur fehlenden Quantifizierbarkeit der „Produktionskosten von Recht“ Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 77. 81  Nöhre, AnwBl 2019, 91, 92. 82  Siehe bereits §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (b) mit Fn.  625; vergleiche zudem Adams, Analyse, S.  106; auch Kirchner, in: Analyse, S.  85, 89–90.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

Es ist dem Gesetzgeber daher zuzugestehen, aus einer Vielzahl an ansatzweise plausiblen Lösungen zu wählen. Dem aktuellen Regelungskonzept lässt sich zu­ mindest attestieren, nicht offensichtlich unschlüssig zu sein: Das Verjährungsrecht und die weitgehende Befreiung vom Schadensersatzrisiko verleiten potenzielle Gläubiger eher zur Rechtsverfolgung, während die drohende Prozesskostenhaf­ tung diesen Impuls relativiert. Erst das Zusammenspiel dieser Regeln gibt abschlie­ ßend Auskunft darüber, welches „Aktivitätsniveau“ der Gesetzgeber mit Blick auf die gerichtliche Anspruchsverfolgung für optimal erachtet. Zwar könnte man er­ wägen, ob nicht, wenn lediglich aussichtslosen Verfahren vorgebeugt werden soll,83 auch im Kostenrecht besser der für eine Schadensersatzhaftung geltende Maßstab angelegt werden sollte. 84 Dem Gesetzgeber schwebt aber offenbar eine stärkere Korrektur möglicher Klageanreize vor. Bedenkt man, dass der Wert eines gerichtlichen Vorgehens für die allgemeine Rechtsklärung oftmals gering sein wird, 85 ist es nicht zwingend zu beanstanden, dass über §§  91 ff. ZPO eine stärke­ re Schonung der Justizressourcen erreicht wird, als es bei Zugrundelegung des Maßstabs aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO der Fall wäre. c) Zwischenfazit Die geltenden Kostenhaftungsregeln lassen keinen Raum für eine Entlastung des Putativgläubigers, der bei rechtlicher Unsicherheit seiner Anspruchsberechtigung klagt. Die gesetzgeberische Grundentscheidung erscheint, insbesondere mit Blick auf die historische Entwicklung, eindeutig. Das derzeit verfolgte Konzept ist dabei zumindest im Grundsatz nachvollziehbar. Dass die Kostenhaftung potenzielle Kläger abschrecken kann, ist ein zur Schonung der Justizressourcen erwünschter Effekt. Dieser steht in Konflikt mit dem Ziel, hinreichende Anreize für eine Rechts­ klärung zu setzen. Widersprüche zwischen den einzelnen Regelungskomplexen sind somit unausweichlich. Die konkrete Kompromisslösung in Gestalt sehr sche­ matischer Kostenhaftungsregeln kann für sich in Anspruch nehmen, durch die weitgehende Vereinfachung ihrerseits Ressourcen zu schonen. Abweichenden Vor­ schlägen zur kostenrechtlichen Privilegierung im Fall von Rechtszweifeln kommt demnach nur als rechtspolitische Forderung Bedeutung zu. 86

83  So formulierend Haertlein, Exekutionsintervention, S.  369; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  4. 84  Siehe dazu abermals §  9 C. III. 3. (Orientierung an §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO). Auch das BVerfG hat bei seinen Ausführungen zur wünschenswerten Abschreckungswirkung des Kostenrisikos eine Verbindungslinie zur Gewährung des damaligen Armenrechts und den dort geforderten Er­ folgsaussichten gezogen, siehe BVerfG, Beschl. v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 = NJW 1960, 331, 331. 85 Auch Breyer, Steuerung, S.  236, sieht hier den Ausnahmefall. 86  So wohl auch Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  5.

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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2. Schutz vor Rechtsprechungsänderungen Dass der vermeintliche Gläubiger, der im Zustand der Rechtsunklarheit seinen an­ geblichen Anspruch einklagt, kostenrechtlich nicht zu verschonen ist, schließt nicht aus, dass in anderen Rechtsirrtumsfällen der Kostennachteil vermieden wer­ den kann. Angesprochen sind Konstellationen, in denen die Klage im Zeitpunkt ihrer Einreichung auf Basis der etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung als begründet erscheint, sich die Judikatur aber während (oder gar anlässlich) des Pro­ zesses zulasten des Klägers ändert. a) Vorherrschen formaler Betrachtung Es hat sich allerdings bereits gezeigt, dass die vorherrschende Ansicht unter solchen Umständen den erfolgreichen Rückgriff auf das Instrument der Erledigungserklä­ rung nicht zulässt. 87 Grundlage hierfür ist die Sichtweise, wonach eine Erledigung durch Änderung der rechtlichen Bewertung nur dann in Betracht kommt, wenn eine Gesetzesänderung die Begründetheit (bzw. Zulässigkeit) einer bis dahin Er­ folg versprechenden Klage nachträglich entfallen lässt.88 Streng formal wird zur nachteiligen Rechtsprechungsänderung abgegrenzt. Diese wirke nicht auf die Rechtslage ein. Vielmehr habe in solchen Konstellationen von vornherein nie ein Anspruch bestanden. 89 b) Diskrepanzen zur Behandlung in anderen Zusammenhängen, insbesondere bei §  927 ZPO Die formal begründete Ablehnung eines erledigenden Ereignisses erscheint jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung als einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. Für verwandte Problemstellungen fällt das Meinungsbild deutlich weniger klar aus. Auf die Diskussion um die spiegelbildliche Problematik auf Be­ klagtenseite, wo eine Anwendung von §  93 ZPO durchaus erwogen wird, ist später näher einzugehen.90 An dieser Stelle soll vorerst nur auf einen weiteren verwandten Problemkreis hingewiesen werden. Dieser betrifft die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzes. Stellt sich in der Hauptsache rechtskräftig heraus, dass der geltend gemachte An­ spruch von Beginn an nicht bestand, so werden – als Ausnahmefallgruppe – im Rahmen der Aufhebung nach §  927 ZPO auch die Kosten des Anordnungsverfah­

87 

Siehe oben B. III. 1. Siehe B. III. 1. m.N in Fn.  26 ff. 89 Siehe wiederum B. III. 1. Besonders deutlich wird dieses Verständnis bei BGH, Urt. v. 9.10.1964 – Ib ZR 183/62, NJW 1965, 296, 297 (zur Verfassungswidrigkeit einer einschlägigen Gesetzesnorm). 90  Siehe unten §  12 B. III. 2. sowie die dort zitierten Stimmen, u. a. OLG Celle, Urt. v. 6.12.­ 2001  – 22 U 155/00, juris; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1337–1338. 88 

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

rens (nicht nur die des Aufhebungsverfahrens) dem Putativgläubiger auferlegt.91 Nach der zur Erledigung vertretenen formalen Sichtweise wäre es folgerichtig, auch in diesem Zusammenhang in einer Rechtsprechungsänderung keinen nachträg­ lichen Wandel der Rechtslage zu erblicken, sondern vielmehr eine zutreffende Er­ kenntnis der von Anfang an bestehenden Rechtslage. Diese Konsequenz zieht indes nur eine Meinungsgruppe in Rechtsprechung und Lehre,92 wobei teils ausdrück­ lich auf die Parallele zur Erledigung verwiesen wird.93 Soweit für das Ergebnis auch auf Entscheidungen zur Verschuldenshaftung rekurriert wird,94 geht dies fehl. Dort besteht durch das Verschuldenserfordernis gerade ein Vehikel, um das Vertrauen in die frühere Rechtsprechung zu berücksichtigen.95 Eine beachtliche, wenn nicht gar herrschende Meinungsströmung hegt im Kontext des §  927 ZPO von vornherein Vorbehalte, die Fälle eines Judikaturwandels denen der anfäng­ lichen Unbegründetheit gleichzustellen.96 Die fehlende Voraussehbarkeit solcher Rechtsprechungsänderungen würde eine Auferlegung der Kosten unbillig erschei­ nen lassen.97 Belegt ist damit zumindest, dass die formale Sichtweise, wenn man den Betrachtungswinkel nur etwas weitet, längst nicht unangefochten erscheint. c) Gebotenheit stärkeren Schutzes des Irrenden Dies gibt umso mehr Anlass, näher zu untersuchen, ob nicht ein stärkerer Schutz des Irrenden im Fall der ungünstigen Rechtsprechungswende angebracht wäre. aa) Vertrauensschutz Für die Möglichkeit einer Kostenentlastung spricht entscheidend die mit einer (un­ angekündigten) Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung einhergehende 91  BGH, Urt. v. 1.4.1993 – I ZR 70/91, BGHZ 122, 172, 178 = NJW 1993, 2685, 2687 – Verfü­ gungskosten; OLG Celle, Urt. v. 10.1.1991 – 13 U 185/90, WRP 1991, 586, 587; Drescher, in: MüKo-­ZPO, §  927 Rn.  17 m. w. N.; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  927 Rn.  17. 92  OLG Celle, Urt. v. 10.1.1991 – 13 U 185/90, WRP 1991, 586, 587; OLG Schleswig, Urt. v. 28.1.­2016 – 6 U 4/15, BeckRS 2016, 4411 Rn.  14 – Pippi Langstrumpf; Retzer, in: Harte-Baven­ damm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  597. 93  So bei OLG Schleswig, Urt. v. 28.1.2016 – 6 U 4/15, BeckRS 2016, 4411 Rn.  14 – Pippi Lang­ strumpf; Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  597 (Verweis auf BGH, Urt. v. 18.12.2003 – I ZR 84/01, NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II). 94  Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  597, verweist auf BGH, Urt. v. 18.12.1997 – I ZR 79/95, NJW 1998, 2144 – Beatles-Doppel-CD. 95  Siehe unten §  11 C. II. 5. b) aa) (1). Bei BGH, Urt. v. 18.12.1997 – I ZR 79/95, NJW 1998, 2144  – Beatles-Doppel-CD, wurde Verschulden angenommen, da die betroffene Rechtsfrage in Fachkreisen umstritten war. 96  KG, Urt. v. 24.1.1989 – 5 U 3165/87, WRP 1990, 330, 333 (Vergleich mit Gesetzesänderung); Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  12 Rn.  2.58; H. Mayer, in: BeckOK-ZPO, §  927 Rn.  6 i. V. m. Rn.  16; Schlingloff, in: MüKo-UWG, §  12 Rn.  540; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  927 Rn.  17; G. Vollkommer, in: Zöller, §  927 Rn.  12. Dies wird sogar von den Vertretern der Gegenauf­ fassung als h. M. bezeichnet, siehe OLG Schleswig, Urt. v. 28.1.2016 – 6 U 4/15, BeckRS 2016, 4411 Rn.  14 – Pippi Langstrumpf, und Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  597. 97  Schlingloff, in: MüKo-UWG, §  12 Rn.  5 40.

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Vertrauensenttäuschung. Darauf wurde bereits allgemein hingewiesen:98 Auch in­ nerhalb privater Rechtsverhältnisse kann sich der Vertrauensschutz gegenüber dem Interesse des Gegners, nach der neuen Rechtsprechung behandelt zu werden, durchsetzen. Indes wird zum Teil betont, eine solche Entlastung des „Enttäusch­ ten“ komme nur dort in Betracht, wo das einfache Recht entsprechende Instrumen­ te bereithalte.99 Die Behauptung, das formale Erfolgsprinzip im Kostenhaftungs­ recht stelle schlichtweg keine solchen Mittel zur Verfügung, wäre indes als petitio principii zurückzuweisen. Im Grundsatz besteht im Bereich der Kostenhaftung jedenfalls kein geringeres Bedürfnis als anderswo, das Vertrauen auf die bestehende höchstrichterliche Recht­ sprechung zu schützen.100 Wenn überhaupt, sprechen hier besonders gute Gründe für eine Entlastung des Irrenden.101 Soweit nämlich die Haftung für die Gerichts­ kosten betroffen ist, geht es nicht um die Verteilung des Irrtumsrisikos zwischen Privaten, sondern um eine Zuweisungsfrage im Verhältnis zum Staat. An dieser Stelle kann folglich (ausnahmsweise) der Gedanke der Ingerenz102 herangezogen werden: Wo die Judikative den Irrtum verursacht hat, liegt es nahe, im Verhältnis zum Staat eine Kostenentlastung zu gewähren. Gegen eine Eröffnung der kostensparenden Erledigungserklärung im Fall der nachteiligen Rechtsprechungsänderung ließe sich aber womöglich darauf verwei­ sen, dass andere Schutzmechanismen vorhanden seien. So hat das OLG Frankfurt a. M. im Rahmen eines Beschlusses nach §  91a ZPO den zwischenzeitlichen Wandel der Rechtsprechung zulasten des Klägers für unbeachtlich gehalten und ihn statt­ dessen auf die Klagerücknahme verwiesen.103 Diese Aussagen ließen sich kausal verknüpfen: Weil das Zivilprozessrecht allgemeine Möglichkeiten zur Kostenredu­ zierung bei absehbarem Misserfolg der Klage biete, bedürfe es einer kostensparen­ den Erledigung nach Änderungen der Rechtsprechung nicht. Jedoch würde der infolge eines Judikaturwandels irrende Kläger selbst bei Rückgriff auf die Klage­ rücknahme mit Nachteilen belastet. Dass der Kläger die ersatzfähigen (grundsätz­ lich nicht reduzierten104) Kosten des Gegners zu tragen hat, erscheint dabei noch 98 

Siehe oben §  3 A. II. 3., §  5 C. III. 3. Siehe dazu §  3 A. II. 3. und insb. Bydlinski, JBl 2001, 2, 21–22. 100  Für Vertrauensschutz Pawlowski, JZ 1975, 197, 199 Fn.  35; ähnlich Hergenröder, Grund­ lagen, S.  454–455; auch Bydlinski, JBl 2001, 2, 3, nennt u. a. die Prozessaufwendungen als frustrier­ te Vertrauensdisposition. 101  In diese Richtung auch G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 839; allerdings opfert sich in den hier interessierenden Konstellationen – anders als Roth es andeutet – niemand im Dienst der Rechtsfortbildung auf (dazu vielmehr oben 1. a)). Vielmehr gerät der Betroffene „unter die Räder“ einer abstrakt betrachtet stets möglichen Rechtsfortbildung. 102  Dazu insb. §  5 C. III. 2. 103  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 788–789 (dort in Gestalt eines Parteiwechsels, weil die Rechtsprechungsänderung gerade die Frage der Passivlegi­ timation betraf). 104  Ausnahmsweise entfällt zumindest die Terminsgebühr, wenn die Klagerücknahme schon vor dem Termin erfolgt und nicht auf Verhandlungen der Rechtsanwälte beruht, Foerste, in: ­Musielak/Voit, §  269 Rn.  28. 99 

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erklärlich, würde doch sonst der Beklagte trotz der für ihn vorteilhaften Recht­ sprechungswende belastet.105 Allerdings tritt auch mit Blick auf die Gerichts­kosten bloß eine Reduzierung, nicht aber Gebührenfreiheit ein.106 Bedarf für einen weiter gehenden Vertrauensschutz besteht also durchaus. bb) Vereinbarkeit mit der Ratio der Unterliegenshaftung Auch in teleologischer Hinsicht erscheint eine Kostenbelastung des Klägers in den vorliegend betrachteten Fällen deutlich weniger dringlich als sonst. Das Ziel der Kostenhaftungsregeln, leichtfertige oder aus Prozessfreude geführte Klagen zu ver­ meiden,107 verlangt an dieser Stelle keine Beachtung. Es geht schließlich um Situa­ tionen, in denen die erhobene Klage im Einklang mit der damals etablierten höchst­ richterlichen Rechtsprechung stand. Auch mit Blick auf die erwünschte Einfachheit der Kostenentscheidung drohten weniger Schwierigkeiten als bei einer Privilegie­ rung im Falle von Rechtszweifeln.108 Ein Wandel der höchstrichterlichen Judikatur lässt sich schließlich im Regelfall an einer konkreten Entscheidung festmachen. Al­ lenfalls die Frage, ob mit einer Aufgabe der früheren Rechtsprechung schon zuvor zu rechnen war,109 mag intensiverer Erörterung bedürfen. Dagegen bedeutet der Umstand, dass zu prüfen wäre, ob die Klage nach der früheren Rechtsprechung tatsächlich begründet gewesen wäre, keine außergewöhnliche Komplexitätssteige­ rung. Auch in anderen Fällen der Erledigungserklärung bedarf es gegebenenfalls einer umfassenden Beweisaufnahme, um die Kostenfrage zu klären.110 Allein der Gedanke einer möglichst einfachen Kostenentscheidung vermag daher eine Kosten­ belastung des Leidtragenden einer Judikaturwende nicht zu begründen. d) Dogmatische Umsetzung Im Fall einer nachteiligen Wende der höchstrichterlichen Judikatur ist eine kosten­ rechtliche Entlastung demnach im Grundsatz angezeigt und mit den Grundgedan­ ken der §§  91 ff. ZPO vereinbar. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das vorhandene Instrumentarium des Prozessrechts hinreichende Möglichkeiten zur Berücksichti­ gung bereithält. 105  Zu dem Anreizproblem, das sich ergibt, wenn die Früchte einer erstrittenen Rechtspre­ chungsänderung nicht (voll) geerntet werden können, siehe oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  137. 106  Siehe Nr.  1211 Ziff.  1 GKG-KV. 107  Dazu oben 1. b) bb) (3) m.N. in Fn.  71 f. 108  Dazu oben 1. b) bb) (1). 109  Dazu bereits im Zusammenhang mit dem Verjährungsrecht §  7 C. II. 2. c) aa); siehe auch sogleich noch d) bb) (3); später ausführlich und übergreifend §  15 C. II. 3. 110  Dazu kann es zumindest bei der einseitigen Erledigungserklärung kommen; darauf wird mitunter im Zusammenhang mit der Streitwertbestimmung (näher dazu Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  89) hingewiesen, so von OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.10.1995 – 6 W 19/95, NJW-RR 1996, 1472. „[A]uf den Widerspruch des Bekl. hin muß jedoch der […] Rechtsstreit in vollem Aus­ maß – also ggf. auch mit voller Beweisaufnahme – weitergeführt werden, wobei Gericht und Rechtsanwälte genau die Arbeit zu leisten haben, die auch bei Durchführung des Rechtsstreits mit dem ursprünglichen Antrag angefallen wäre“.

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aa) Privilegierte Klagerücknahme nach §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO Zunächst könnte man die privilegierte Klagerücknahme nach §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO in Erwägung ziehen. Mit einem Kunstgriff ließe sich hier eventuell gar ein Ein­ klang mit der formalen Betrachtungsweise herstellen, nach der die anfänglich aus­ sichtsreich erscheinende Klage gleichwohl von vornherein unbegründet war. §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO kann nämlich in der Interpretation der herrschenden Auffassung auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die Klage schon vor Anhängigkeit nicht mehr begründet war, der Kläger hiervon aber schuldlos erst nach Einreichung Kenntnis erlangt hat.111 Eine solch spitzfindige Sichtweise dürfte allerdings kaum im Sinne des Gesetzgebers sein. Die Einfügung der Vorschrift des §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO diente dazu, das zuvor ungelöste Problem der Erledigung vor Rechtshängig­ keit zu beheben.112 Die Norm möchte also Konstellationen erfassen, in denen die Zulässigkeit bzw. Begründetheit der Klage nicht mehr besteht. Der formalen Sicht­ weise zufolge war im Fall einer Rechtsprechungsänderung die betroffene Klage je­ doch niemals begründet. Man müsste den vorgesehenen Anwendungsbereich des (ohnehin zu Friktionen führenden113) §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO demnach überdehnen, um das hier betrachtete Problem generell lösen zu können. Eine Anwendung kommt lediglich innerhalb des vom Gesetzgeber vorgesehenen Bereichs in Be­ tracht: Nur soweit man im Folgenden bei Rechtsprechungswenden nach Rechts­ hängigkeit eine Erledigung bejahte, unterfielen entsprechende Judikaturänderun­ gen vor Rechtshängigkeit §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO. bb) Erledigungserklärung Die herrschende Meinung versagt dem Kläger in den hier problematisierten Situa­ tionen den Zugriff auf die kostensparende Erledigungserklärung.114 (1) Fehlende Überzeugungskraft der formalen Betrachtung Es wurde indes bereits dargelegt, dass materielle Gründe in Gestalt des Vertrauens­ schutzgedankens für eine Korrektur der formalistischen Sichtweise sprechen. Die herrschende Auffassung bringt demgegenüber keinerlei eigene Argumente mit Substanz vor. Das Argument, die §§  271, 306 ZPO zeigten, dass sich der Kläger dem Rechtsstreit nicht ohne Einverständnis des Beklagten entziehen dürfe,115 sprä­ che gegen jegliche Anerkennung der einseitigen Erledigungserklärung. Für eine Diskriminierung lediglich von Rechtsirrtümern bieten §§  271, 306 ZPO keinen 111  Beispielsweise KG, Beschl. v. 26.11.2018 – 8 W 58/18, MDR 2019, 510, 510; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.1.2012 − 6 W 92/11, NJW 2012, 1373, 1374–1375; H. Roth, in: Stein/Jonas, §  269 Rn.  53; Saenger, in: Hk-ZPO, §  269 Rn.  40; anders möglicherweise BGH, Beschl. v. 6.7.2005  – IV ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1662, 1663–1664. 112  Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 81; Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, §  269 Rn.  55. 113 Vergleiche Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, §  269 Rn.  57. 114  Siehe oben B. III. 1. m.N. 115  So BGH, Urt. v. 9.10.1964 – Ib ZR 183/62, NJW 1965, 296, 297.

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Anhaltspunkt. Inzwischen versucht der BGH die Kostenbelastung des Klägers da­ mit zu begründen, dass der Kläger im umgekehrten Szenario von einer vorteilhaf­ ten Rechtsprechungswende profitiere.116 Dieser Gegenschluss steht indes auf töner­ nen Füßen. Wie sich später zeigen wird, wird es verbreitet für möglich gehalten, dass sich der Beklagte im Fall der klägergünstigen Rechtsprechungswende durch ein Anerkenntnis im Sinne von §  93 ZPO vor dem Kostennachteil bewahrt.117 Bedenken hinsichtlich der Annahme einer Erledigungssituation weckt wohl vor allem der Umstand, dass in der Konstellation einer Rechtsprechungsänderung nicht, wie sonst üblich (etwa bei Erfüllung118), das Subsumtionsmaterial eine Änderung er­ fährt. Allerdings belegt die Qualifikation einer Gesetzesänderung als erledigendes Ereignis,119 dass auch Veränderungen, die den Obersatz des Syllogismus betreffen, beachtlich sein können. Freilich kann eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen ebenso wie eine Änderung des Subsumtionsmaterials dazu führen, dass eine Ent­ scheidung, wie sie früher zu fällen gewesen wäre, nunmehr unrichtig erscheint. Die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat solche Auswirkungen für sich betrachtet nicht.120 Sie lässt die Klage nicht unbegründet werden. Rechtsprechungs­ änderungen können indes ihrerseits auf Änderungen im gesetzlichen Umfeld beru­ hen. Wo immer sich die Abweichung zur früheren Rechtsprechung als (mittelbare) Folge einer solchen Gesetzesänderung qualifizieren ließe, wäre auch auf Grundlage der herrschenden Auffassung der Weg über die Erledigungserklärung eröffnet.121 Die resultierenden Abgrenzungsschwierigkeiten sind offensichtlich. Die Möglichkeit der Erledigungserklärung würde davon abhängen, ob die frühere Linie des Höchstge­ richts bloß als weniger überzeugend erscheint oder ob sich auf irgendwelche Ände­ rungen im gesetzlichen Umfeld verweisen lässt, die die frühere Rechtsprechung nun­ mehr als „falsch“ erscheinen lassen. Stellten etwa die Änderungen im Umwandlungs­ recht, auf die der BGH in ­seiner bahnbrechenden Entscheidung zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR unter anderem abhob,122 in Wahrheit ein erledi­ gendes Ereignis für Klagen dar, die sich auf die bis dahin herrschende Sicht stützten? Es dürfte deutlich näherliegen, an das BGH-Urteil selbst anzuknüpfen. 116 

BGH, Urt. v. 18.12.2003 – I ZR 84/01, NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II. Siehe unten §  12 B. III. 2. sowie den Verweis auf die dortige Meinungsströmung soeben bei b). Sofern im Zusammenhang zur Ablehnung einer Anwendung von §  93 ZPO wiederum auf die Erledigungssituation (bzw. §  269 Abs.  3 S.  3 ZPO) rekurriert wird (so LG Hamburg, Urt. v. 23.12.2009 – 303 S 25/09, Rn.  14, juris), droht ein Zirkelschluss. 118  Dies ist eine typische Erledigungssituation, siehe nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  132 Rn.  2. 119  Oben B. III. 1. mit Fn.  26. 120  Das erkennende Gericht ist hierdurch nicht im strengen Sinn gebunden, siehe §  3 A. II. 3. Es könnte mit anderen Worten ggf. auch nach der Rechtsprechungswende weiterhin „relativ richtig“ (dazu §  3 A. I.) zugunsten des Klägers entscheiden. 121  Anschauliches Beispiel bei OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.11.2001 – 6 U 52/01, NJW-RR 2002, 1044, 1045: „Wenn auch die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung nicht ausdrücklich §  1 UWG abgeändert hat, so beruht der Untergang des Unterlassungsanspruchs doch ausschließlich auf dieser Rechtsänderung“. 122  Siehe BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056, 1057. 117 

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(2) Mögliche Anpassung der Erledigungsprüfung Sofern man sich durch die etablierte Formel an der Anerkennung einer Erledigung nach Rechtsprechungswenden gehindert sähe, wäre diese Formel zu hinterfragen. Die Voraussetzungen für eine kostenvermeidende einseitige Erledigungserklärung sind schließlich nicht gesetzlich vorgegeben, sondern von der Rechtsprechung ent­ wickelt worden. Geschlossen werden soll die Lücke, die §  91a ZPO lässt, wenn sich der Beklagte der Erledigungserklärung nicht anschließt.123 §  91a ZPO böte mit sei­ nem Abstellen auf das billige Ermessen des Gerichts durchaus einen Anknüpfungs­ punkt, um zu berücksichtigen, dass der Kläger sich ursprünglich aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Sicherheit wiegen durfte. Es ist anerkannt, dass §  91a ZPO den Kläger vor Ereignissen schützen möchte, die außerhalb seiner Verantwortungssphäre liegen, wobei ihm erkennbar eingegangene Risiken weiter­ hin zugewiesen bleiben sollen.124 Es hat sich bereits gezeigt, dass das Privatrecht die Grenze des vom Irrenden zu tragenden „Rechtseinschätzungsrisikos“ zumindest im Verjährungskontext dort zieht, wo infolge etablierter höchstrichterlicher Judi­ katur vermeintliche Gewissheit herrscht.125 Damit wäre es gut vereinbar, auch mit Blick auf §  91a ZPO das Risiko einer nicht zu erwartenden Rechtsprechungswende außerhalb der Verantwortungssphäre des irrenden Klägers anzusiedeln. Diese Be­ wertung wäre auf die einseitig bleibende Erledigungserklärung zu übertragen. Weil dort das tradierte Prüfungsprogramm aber nicht imstande ist, diese Fallgruppe ab­ zubilden, ist es entsprechend zu ergänzen. Wie sich oben im Kontext von §  927 ZPO gezeigt hat, besteht auch an anderen Stellen durchaus die Bereitschaft, in die­ sem Punkt vom herkömmlichen (formalen) Verständnis abzuweichen. (3) Präzisierung der Erledigung bei Rechtsprechungsänderungen Eine kostenrechtliche Entlastung des Klägers kommt nur dann in Betracht, wenn er bei Klageeinreichung praktisch sicher von seiner Berechtigung ausgehen konnte. Ansonsten war die Rechtslage von vornherein zweifelhaft, und es bleibt bei der Grundentscheidung der §§  91 ff. ZPO, in solchen Fällen den Unterliegenden zu be­ lasten.126 Zum Beispiel kann der Kläger einer Kostentragung nicht durch eine Er­ ledigungserklärung entgehen, wenn von Beginn an das Risiko bestand, dass un­ günstige neue Rechtsprechung des BGH auf den betroffenen Fall übertragen wer­ den könnte.127 Selbst wenn anfänglich keinerlei Vorzeichen für eine Aufgabe der dem Kläger günstigen Rechtsprechungslinie bestanden, verbleibt die Schwierigkeit, das erledi­ 123 

Siehe nur Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  91a Rn.  1. Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  1; allgemeiner auch Althammer, in: Zöller, §  91a Rn.  1 (Schutz des Klägers); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  91a Rn.  1 (Kostenge­ rechtigkeit). 125  Oben §  7 C. II. 2. c) aa). 126  Dazu oben 1. b). 127  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 789 (betreffend Übertragung der Entscheidung zur Teilrechtsfähigkeit der GbR auf die WEG). 124 Anschaulich

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gende Ereignis zu bestimmen. Die abweisende Entscheidung des konkret befassten Gerichts kommt nicht in Betracht, weil es an diesem Punkt zu spät für eine Erledi­ gungserklärung ist. Es müsste auf ein vorangegangenes Absinken der vormals ­hohen Erfolgswahrscheinlichkeit abgehoben werden. Recht eindeutig gestaltet sich dabei nur der Fall, dass während des laufenden Rechtsstreits eine unmittelbar ein­ schlägige, für den Kläger nachteilige höchstrichterliche Entscheidung ergeht. An dieses „Faktum“ ließe sich anknüpfen.128 Ein solches Absinken der Erfolgsaussichten „von hundert auf null“ während des laufenden Verfahrens dürfte aber den praktischen Ausnahmefall darstellen. Mangelt es bei Klageerhebung an jeglichen Vorzeichen für eine Wende der höchstrichter­ lichen Judikatur, wird es zu einer solchen allein schon aus zeitlichen Gründen zu­ meist nicht vor Verfahrensabschluss kommen. Wollte man stattdessen ein erledigen­ des Ereignis beispielsweise im Aufkommen von Kritik an der bisherigen Rechtspre­ chung oder in einer negativen BGH-Entscheidung zu einer verwandten Frage erblicken?129 Ungelöst blieben zumindest die Schwierigkeiten in dem für den Kläger besonders misslichen Fall, dass das befasste Gericht ohne Vorbilder in Rechtspre­ chung oder Literatur von höchstrichterlicher Judikatur abweicht.130 Abgesehen von diesen Problemen spricht ein weiterer Grund gegen die Annahme einer Erledigung vor tatsächlichem Vollzug der höchstrichterlichen Wende. Erlaubte man es dem Klä­ ger stets, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären, sobald die ursprünglich sicher erscheinenden Aussichten, mit dem eigenen Rechtsstandpunkt durchzudringen, ge­ sunken sind, beseitigte man Anreize zur Klärung rechtlicher Zweifelsfragen. Ver­ sagt man hingegen die kostenrechtliche Entlastung, wird der Kläger motiviert, auf Basis der bislang herrschenden Rechtsansicht weiter zu prozessieren. Salopp gefasst: Wenn die ursprünglich komfortable rechtliche Position des Klägers ins Wanken ge­ rät, soll er sich nicht kostengünstig „aus dem Staub“ machen, solange die aufgekom­ mene Kritik nicht höchstrichterlich gewürdigt worden ist. Nach alldem bleibt in den hier behandelten Szenarien für die Erledigungserklä­ rung nur ein schmaler Anwendungsbereich. Der Kläger kann trotz fehlender An­ 128  Das Gericht wird nach §  139 ZPO regelmäßig auf die neue Rechtsprechung hinweisen müs­ sen, sofern es ihr zu folgen gedenkt (siehe allgemein §  3 A. II. 1.). Ein solcher Hinweis wird nur dort für entbehrlich gehalten, wo die Rechtsprechungsänderung in den betroffenen Kreisen gleichsam allgemein bekannt ist, etwa infolge der Medienberichterstattung über eine „Jahrhun­ dertentscheidung“, OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 788–789 (betreffend BGH, Beschl. v. 2.6.2005, BGHZ 163, 154 = NJW 2005, 2061). 129  Man könnte einwenden, der Fall sei praktisch kaum relevant, weil Kläger ihr ursprüng­ liches Begehren nicht fallen lassen würden, nur weil Kritik an der für sie positiven Judikatur auf­ gekommen ist. Allerdings kann sich der Kläger nach h. M. absichern, indem er hilfsweise am ur­ sprünglichen Klageantrag festhält, näher Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  81 m. w. N. 130  Ein der belastenden Entscheidung vorangehendes erledigendes Ereignis könnte man dann allenfalls in dem Hinweis erblicken, zu dem das Gericht nach §  139 Abs.  2 ZPO verpflichtet sein dürfte (siehe §  3 A. II. 1. sowie z. B. BVerfG, Beschl. v. 29.5.1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188 = NJW 1991, 2823, 2824; BVerfG, Beschl. v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 = DtZ 1992, 327, 328; eine Hinweispflicht bei beabsichtigter Abweichung befürwortend Klein, JZ 2018, 64, 68).

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spruchsberechtigung die Prozesskosten vermeiden, wenn er bei Einreichung der Klage praktisch sicher von seiner Berechtigung ausgehen durfte und sich noch vor der abschließenden Entscheidung die höchstrichterliche Beurteilung relevanter Rechtsfragen zu seinem Nachteil geändert hat. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Entscheidungen halten, die selbst das Ergehen einer nachteiligen verfassungs­ gerichtlichen Entscheidung nicht als erledigendes Ereignis ansehen.131 Das ist nicht zu beanstanden, sofern die verfassungsgerichtliche Beurteilung von Anfang an umstritten war132 und der Kläger somit ein erkennbares Risiko eingegangen ist. Wenn hingegen anfänglich noch mit praktischer Gewissheit von der Berechtigung der Klage auszugehen war, sich die objektive Erfolgsaussicht aber zwischenzeitlich verringert hat, ohne dass es bereits zu einer höchstrichterlichen Korrektur gekom­ men ist, steht dem Kläger die Erledigungserklärung ebenfalls nicht zur Verfügung. cc) Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG Schließt sich in den zuletzt beschriebenen Fällen das entscheidende Gericht der neu aufgekommenen Gegenauffassung an, wird das anfänglich berechtigte Vertrauen des Klägers auf die höchstrichterliche Rechtsprechung in unvorhergesehener Weise enttäuscht, ohne dass er die Auswirkungen über eine Erledigungserklärung abfe­ dern könnte. Es fragt sich daher, ob es dem Gericht möglich ist, diesen Gesichts­ punkt immerhin von Amts wegen in der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. In den Fokus rückt insoweit §  21 Abs.  1 S.  3 GKG. Dessen Anwendung brächte den Vorzug mit sich, dass die irrende Partei lediglich von den Gerichtskosten entlastet würde. So könnte Vertrauensschutz gewährt werden, ohne dass dieser durch eine korrespondierende Belastung des Gegners zu einer Art Nullsummenspiel wird. Das erscheint nicht zuletzt deshalb gerecht, weil vorliegend die Judikative letztlich selbst Urheberin des Rechtsirrtums ist.133 Auch der Charakter des §  21 Abs.  1 S.  3 GKG als eng auszulegende Ausnahmevorschrift134 steht einer Anwendung nicht entgegen. Schließlich geht es vorliegend gerade um die Behandlung exzeptioneller Fälle, nicht hingegen um eine allgemeine Freistellung von Folgen der Rechtsunsi­ cherheit. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des §  21 Abs.  1 S.  3 GKG lassen sich in den hier interessierenden Fällen ebenfalls als erfüllt ansehen. Das Gericht kann nach der Vorschrift trotz abweisender Entscheidung von der Kostenerhebung absehen, wenn der Antrag der betroffenen Partei auf unverschuldeter Unkenntnis der tat­ sächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruhte. Erschien die Rechtslage im Zeit­ punkt der Klageeinreichung zugunsten des Klägers geklärt, lässt sich von unver­ schuldeter Rechtsunkenntnis im Sinne der Norm sprechen. Das Vertrauen auf eine 131  So BGH, Urt. v. 9.10.1964 – Ib ZR 183/62, NJW 1965, 296, 297; ähnlich BFH, Beschl. v. 18.3.­1994 – III B 543/90, BFHE 173, 506 = BeckRS 1994, 22011038. 132  So bei BFH, Beschl. v. 18.3.1994 – III B 543/90, BFHE 173, 506 = BeckRS 1994, 22011038. 133  Siehe bereits c) aa). 134  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11b.

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ständige Rechtsprechung wird sogar vereinzelt ausdrücklich als möglicher Anwen­ dungsfall von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG benannt.135 Dass die rechtlichen Irrtümer, die bislang in der Praxis unter §  21 Abs.  1 S.  3 GKG subsumiert wurden, größtenteils schon die Zulässigkeit des jeweiligen Antrags betrafen,136 bildet kein Hindernis. Die Vorschrift lässt nicht erkennen, dass sie Irrtümer über die materielle Berechti­ gung nicht berücksichtigen möchte.137 Als problematisch erweisen könnte sich lediglich das Erfordernis, dass der An­ trag der zu befreienden Partei noch in Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse er­ folgt sein muss. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Anträge zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellt (§  137 Abs.  1 ZPO) und anschließend nicht mehr wiederholt werden,138 kann schon vor Antragstellung die bei Klageerhebung noch bestehende (vermeintliche) Gewissheit hinsichtlich der Rechtslage verloren gegan­ gen sein. So kann bereits während der rechtlichen Erörterung, wie sie – insbeson­ dere im Rahmen der Güteverhandlung (§  278 Abs.  2 S.  2 ZPO) – der Antragstellung vorausgeht,139 deutlich werden, dass das Gericht erwägt, von der höchstrichter­ lichen Judikatur abzuweichen. Selbst wenn sich diese Tendenz erst nach erstmaliger Stellung der Anträge herauskristallisiert – etwa durch einen gerichtlichen Hin­ weis140 –, bestehen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch Möglich­ keiten, eine nachteilige Sachentscheidung zu verhindern, etwa durch Klagerück­ nahme. Hier fragt sich gleichermaßen, ob die Antragstellung noch auf Rechtsun­ kenntnis beruht. Zu verneinen ist dies jedenfalls in den Fällen, in denen dem Kläger auf Basis der hier vertretenen Ansicht ausnahmsweise die Erledigungserklärung als kostenvermeidendes Mittel zur Verfügung steht.141 Dann besteht kein Privilegie­ rungsgrund. Dieser Umstand wäre spätestens im Rahmen der von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG eröffneten Ermessensentscheidung zulasten des Klägers zu berücksichtigen. In sonstigen Situationen erscheint es hingegen vertretbar, §  21 Abs.  1 S.  3 GKG auch dann zur Anwendung zu bringen, wenn es der Kläger trotz aufgekommener Zwei­ fel an seiner Rechtsposition auf eine Sachentscheidung des Gerichts hat ankommen lassen. Insbesondere würde eine mögliche Klagerücknahme, wie oben bereits be­ tont, die Gerichtskostenlast nicht vollständig beseitigen.142

135 

So bei Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11b. Neben dem oben (B. II.) angesprochenen unzulässigen Rechtsbehelf aufgrund fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung betrifft dies beispielsweise die Klage eines Prozessunfähigen, siehe OLG Koblenz, Beschl. v. 6.3.2012 − 14 W 124/12, NJW-RR 2012, 891, 893. 137  So lag der Verfahrenseinleitung bei OLG Hamm, Beschl. v. 28.2.2018 – 15 W 292/17, NZ­ Fam 2018, 569, 571, letztlich ein Irrtum über die Wirksamkeit der Auflassung zugrunde. 138  Die Wiederholung ist nicht notwendig, aber möglich, siehe nur Fritsche, in: MüKo-ZPO, §  137 Rn.  5; Greger, in: Zöller, §  137 Rn.  2. 139 Vergleiche Greger, in: Zöller, §  137 Rn.  1; v. Selle, in: BeckOK-ZPO, §  137 Rn.  2. 140  Siehe dazu oben Fn.  130. 141  Dazu soeben bb). 142  Oben c) aa). 136 

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II. Erkenntnisgrad Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Zuweisung von Prozesskosten­ nachteilen nur in sehr begrenztem Umfang von der Rechtserkenntnis der jeweiligen Partei abhängt. Die eingehenden Überlegungen dazu, inwieweit die Rechtslage ausnahmsweise notwendiger Erkenntnisgegenstand ist, präjudizieren gleichsam die Erwägungen zum erforderlichen Erkenntnisgrad. Eine kostenrechtliche Entlas­ tung kommt nach den vorstehend erzielten Ergebnissen nur als Schutz vor echten Rechtsprechungswenden in Betracht. Das bedeutet, dass bereits das anfängliche Bestehen rechtlicher Zweifel an der Begründetheit der Klage die Zuweisung von Kostennachteilen rechtfertigt. Im Kontext von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG steht dieses Ergebnis im Einklang damit, dass der Wortlaut (Rechts-)Unkenntnis voraussetzt. Erscheint ein Unterliegen in rechtlicher Hinsicht nicht ganz unwahrscheinlich, fällt es schwer, von solcher zu sprechen. Es ist daher konsequent, wenn die Rechtspre­ chung zu §  21 Abs.  1 S.  3 GKG einen unverschuldeten Rechtsirrtum im Sinne der Norm unter Verweis darauf verneint, dem Betroffenen sei bei Einleitung des Ver­ fahrens bewusst gewesen, dass er einer Mindermeinung folgte.143 Der Kostennach­ teil muss den Putativgläubiger indes ebenso treffen, wenn er einer herrschenden Meinung gefolgt ist, die sich nicht auf eine etablierte höchstrichterliche Judikatur stützte. Auch dann bestand keine anfängliche Gewissheit. Unter solchen Aus­ gangsbedingungen trägt der klagende Putativgläubiger stets die Kosten, wenn erst während des laufenden Prozesses durch eine ungünstige Entscheidung des BGH negative Gewissheit geschaffen wird.144

III. Substitution durch Vorwerfbarkeit Der Kostennachteil trifft den rechtsirrig klagenden Gläubiger nicht nur dann, wenn er selbst subjektive Zweifel an seiner Berechtigung hatte. Es genügt, dass bei objektiver Betrachtung Zweifel angebracht waren. Im Rahmen der Erledigungser­ klärung, die nach hier vertretener Ansicht ohnehin nur einen schmalen Anwen­ dungsbereich hat, ergibt sich dies schon daraus, dass Änderungen der subjektiven Erfolgsprognose keine erledigenden Ereignisse darstellen.145 §  21 Abs.  1 S.  3 GKG erreicht ein vergleichbares Ergebnis, indem die Norm lediglich unverschuldete Rechtsirrtümer privilegiert. Am Verschulden soll es nur dann fehlen, wenn der Be­ teiligte trotz aller zumutbaren Bemühungen nicht in der Lage war, die Rechtslage zu erkennen.146 Die Rechtsprechung berücksichtigt auch an dieser Stelle zum Bei­ spiel die übliche Vorbildung und Erfahrung des Betroffenen.147 Die Zurechnung 143  OLG München, Beschl. v. 7.6.2016 – 34 SchH 15/15 (Wiedergabe nach Kröll, SchiedsVZ 2018, 61, 72–73). 144  So die Konstellation bei OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 789. 145  Siehe oben B. III. 1. mit Fn.  25. 146  Thiel, in: Schneider/Volpert/Fölsch, §  21 GKG Rn.  17. 147  Siehe FG Thüringen, Beschl. v. 28.2.2005 – II 70007/05 Ko, Rn.  8 , juris.

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4. Teil: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche

einer Fehleinschätzung des Prozessbevollmächtigten bereitet wegen §  85 Abs.  2 ZPO keine Probleme.148

D. Fazit Derjenige, der im Rechtsirrtum über die eigene Anspruchsberechtigung eine Klage anstrengt, hat grundsätzlich die Prozesskosten der Gegenseite und die Gerichts­ kosten zu tragen. Diese Kostenhaftung veranlasst dazu, bei rechtlicher Unsicher­ heit eingehend zu überlegen, ob eine Klage wirklich geboten erscheint. Das Kos­ tenrisiko relativiert so ein Stück weit die Anreize, die sich aus der großzügigen Freistellung ergeben, die der Anspruchsteller mit Blick auf die Schadensersatz­ haftung erfährt. Dies ist Ausdruck eines Zielkonflikts. Das Rechtssystem möchte einerseits nicht dazu anregen, öffentliche Justizressourcen mehr als nötig zu be­ anspruchen. Andererseits müssen sinnvolle Anreize zur Klärung von offenen Rechtsfragen gesetzt werden. Die unterschiedlichen Steuerungszwecke werden von verschiedenen Normenkomplexen verfolgt und münden im erwünschten Kompro­ miss. Wo die Normen zur Verjährung und zum Schadensersatz antreiben, bremsen die Kostenregeln. Diese Gemengelage führt dem Betrachter abermals die Notwendigkeit vor Au­ gen, die rechtsirrtümliche Anspruchsgeltendmachung schuldrechtlich weitgehend haftungsfrei zu stellen. Der mitunter vorgetragene Schluss, wenn schon die §§  91 ff. ZPO die unberechtigte Anspruchsverfolgung sanktionierten, dürften die §§  280 ff., 823 ff. BGB dies auch,149 geht fehl. Damit würde einseitig nur ein bestimmtes der in Konflikt stehenden Regelungsziele verfolgt. Vielmehr ist der Umkehrschluss an­ gebracht: Je rigider das Prozesskostenrecht Nachteile an Rechtsirrtümer knüpft, desto großzügiger muss das Privatrecht den Putativgläubiger im Übrigen entlasten, um eine übermäßige Abschreckung zu vermeiden. Wenn vorgeschlagen wird, die prozessuale Kostenerstattung zu streichen, weil die Risikohaftung des Gläubigers für Durchsetzungsschäden (neben der Tragung der eigenen Kosten) bereits zu einer hinreichenden Streitprävention führe,150 wird eben dieser Zusammenhang angeris­ sen. De lege lata stellen sich die Dinge allerdings umgekehrt dar:151 Das Gesetz ordnet die prozessuale Kostenerstattung an. Dementsprechend muss die Entlas­ tung über das Haftungsrecht erreicht werden. Der vom Kostenrecht beabsichtigte Abschreckungseffekt rückt indes in den Hintergrund, wo der Kläger bei Klageerhebung die höchstrichterliche Rechtspre­ 148  BGH, Beschl. v. 4.5.2005 – XII ZR 217/04, BeckRS 2005, 6651; Thiel, in: Schneider/Volpert/ Fölsch, §   21 GKG Rn.   17; W. Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, §   21 GKG Rn.  12. 149  In diese Richtung Thole, AcP 209 (2009), 498, 514. 150  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  150. 151  Dies explizit begrüßend, weil nur so wirtschaftlich Schwächere (nämlich durch Prozess­ kostenhilfe) entlastet werden könnten, K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  153.

§  10 Nachteil durch Prozesskostenlast

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chung eindeutig auf seiner Seite wähnen darf. Wird er in diesem Vertrauen ent­ täuscht, kommt eine Kostenbefreiung in Betracht. Vorauszusetzen ist, dass die günstige höchstrichterliche Judikatur bei Klageerhebung noch nicht ins Wanken geraten war. Vollzieht sich der Meinungsumschwung des Höchstgerichts während des Verfahrens, ist darin entgegen der herrschenden Auffassung ein erledigendes Ereignis zu erblicken. Ist hingegen das Höchstgericht noch nicht von seiner Posi­ tion abgerückt, weicht aber das konkret befasste Gericht von der etablierten Recht­ sprechung ab, ist der Kläger über §  21 Abs.  1 S.  3 GKG immerhin von den Gerichts­ kosten zu befreien.

5. Teil

Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche Die Untersuchung vollzieht nunmehr einen erneuten Perspektivwechsel. Standen bislang Rechtsirrtümer des wahren (3.  Teil) oder vermeintlichen (4.  Teil) Gläubigers im Fokus, geht es im Folgenden um den Anspruchsgegner. Dabei wird zunächst der Fall betrachtet, dass ein Anspruch tatsächlich besteht. Irrt der Schuldner darüber, wird er sich naheliegenderweise gegen das Leistungsbegehren des Gläubigers zur Wehr setzen und den Anspruch nicht erfüllen. Die Konsequenzen eines solchen rechtsirrtümlichen Verteidigungs- bzw. Verweigerungsverhaltens gilt es näher zu betrachten.

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners Das rechtsirrtümliche Unterlassen der Leistung kann insbesondere im Schuldner­ verzug münden. Diese Konstellation wird verbreitet als „klassische[r]“1 bzw. „pa­ radigmatische[r]“2 Anwendungsfall der Rechtsirrtumsdogmatik begriffen.3 Ent­ sprechend intensiv ist dieser Teilaspekt auszuleuchten. Allerdings ist die Verzugs­ haftung nicht der einzige Rechtsnachteil, der sich für den irrenden Schuldner ergeben kann (näher A.). Nach dem etablierten Schema werden unter B. zunächst denkbare Ansatzpunkte für eine Verschonung des Irrenden zusammengestellt, be­ vor die identifizierten Ansätze aus Rechtsprechung und Literatur eingehend analy­ siert werden (C.).

A. Nachteilszuweisung Wie bei der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung kommt als Rechtsnachteil für den irrenden Schuldner vor allem eine Schadensersatzhaftung in Betracht (I.). Da­ neben können aber auch Vertragslösungsrechte (zum Beispiel Kündigung oder Rücktritt) des Gläubigers begründet sein (II.).

I. Schadensersatz- und Zinshaftung Die Palette der Schäden, die der Gläubiger infolge der unberechtigten Nicht- oder Zuspätleistung erleiden kann, reicht von Nutzungs- bzw. Zinsverlusten und ent­ gangenem Gewinn (§  252 BGB) über „Überbrückungsaufwendungen“ bis hin zu Rechtsverfolgungskosten.4 Grundlage für einen Schadensersatzanspruch sind im Fall der bloßen Leistungsverzögerung regelmäßig §§  280 Abs.  1 und 2, 286 BGB. Ersatz verlangen kann der Gläubiger jedoch nur für solche Einbußen, die (erst) durch den Verzug des Schuldners verursacht worden sind.5 Lag weder eine Mah­ 1 

J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  134. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 909. 3  Siehe auch Engert, in: GS Unberath, S.  91, 93 Fn.  9: „Besonders häufig“ begegne der Rechts­ irrtum im Zusammenhang mit dem Verzug. 4 Übersicht über Verzugsschäden bei Ernst, in: MüKo-BGB, §   286 Rn.  131–171; siehe auch Hopt, Schadensersatz, S.  265 Fn.  1. 5  Siehe nur Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  131; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  187. An­ 2 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

nung im Sinne von §  286 Abs.  1 S.  1 BGB noch ein Mahnungssurrogat nach §  286 Abs.  1 S.  2 BGB vor, ist zu prüfen, ob die Mahnung nach §  286 Abs.  2, 3 BGB ent­ behrlich war. Mit Verzugseintritt kann darüber hinaus eine vereinbarte Vertrags­ strafe verwirkt sein (§  339 S.  1 BGB). Der Verzug des Vermieters mit der Mängelbe­ seitigung berechtigt den Mieter neben Schadensersatz (§  536a Abs.  1 BGB) gegebe­ nenfalls auch zu Aufwendungsersatz nach §   536a Abs.   2 Nr.   1 BGB. Ein Zinsanspruch des Gläubigers einer Geldschuld ergibt sich im Schuldnerverzug aus §  288 BGB, ab Rechtshängigkeit – unabhängig von den Verzugsvoraussetzungen  – aus §  291 BGB. Sofern Schäden nicht auf einer bloßen Verzögerung der Leistung, sondern auf deren endgültigem Ausbleiben beruhen, kann ein Ersatzanspruch aus §§  280 Abs.  1 und 3, 281 BGB folgen. 6 Wo die Leistung mit ihrer Versäumung un­ möglich wird, ist an §§  280 Abs.  1 und 3, 283, 285 BGB zu denken.7 Im Folgenden wird allerdings in der Regel der Verzugsschadensersatzanspruch aus §§  280 Abs.  1 und 2, 286 BGB als prototypischer Anwendungsfall zugrunde gelegt. Die Ausfüh­ rungen gelten aber grundsätzlich entsprechend für Ansprüche statt der Leistung aus §§  280 Abs.  1 und 3, 281, 283 BGB.

II. Lösungsrechte des Vertragspartners Die Nicht- oder Zuspätleistung durch den Schuldner kann den Gläubiger zudem zur Loslösung von einem bestehenden Vertrag berechtigen. In Betracht kommen vor allem das Rücktrittsrecht aus §  323 BGB sowie bei Dauerschuldverhältnissen die Kündigung aus wichtigem Grund (§  314 BGB). Erhebliche praktische Bedeu­ tung besitzen im vorliegenden Kontext daneben die besonderen Kündigungstat­ bestände des Mietrechts (§§  543, 573 BGB) und des Arbeitsrechts (wo vor allem die Voraussetzungen von §  1 Abs.  2 S.  1 KSchG bzw. §  626 BGB relevant sind).

B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Als Tatbestandsmerkmale, an denen sich eine Entlastung des Schuldners festma­ chen lässt, stehen, je nach Kontext, das Vertretenmüssen bzw. Verschulden oder die Kenntnis zur Verfügung.

schauliche Beispiele für eine Verneinung: BGH, Urt. v. 21.2.2017 – XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823, 1826 Rn.  24–31; LG Köln, Urt. v. 29.8.2019 – 15 O 365/18, BeckRS 2019, 20182, Rn.  28–33. 6  Darauf im vorliegenden Kontext hinweisend auch Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538; siehe ferner U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  710 (zu §  326 BGB a. F.). 7  Siehe auch Frede, Rechtsirrtum, S.  42–43. Dies kann insb. bei der Nichterfüllung von Unter­ lassungspflichten eine Rolle spielen; siehe zur Abgrenzung zwischen Unmöglichkeit und Verzug in solchen Fällen Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  45.

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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I. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung Neben dem Schadensersatzanspruch aus §§  280 Abs.  1 und 2, 286 BGB und dem entsprechenden Zinsanspruch (§  288 BGB) setzt vor allem auch der mietrechtliche Kündigungstatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB den Verzug voraus (ebenso §  569 Abs.  2a S.  1 BGB). Voraussetzung ist in all diesen Fällen das Vertretenmüssen nach §  286 Abs.  4 BGB. 8 An einem solchen kann es nach ganz herrschender Mei­ nung prinzipiell nicht nur infolge „äußerer“ Leistungsunfähigkeit, sondern auch aufgrund „innerer“ Fehlvorstellungen mangeln (zu denkbaren Abweichungen un­ ter 3.).9 Wann Rechtsirrtümer das Vertretenmüssen ausschließen können, ist indes lebhaft umstritten. Angesichts der streitigen Einzelheiten lässt sich eine klar vor­ herrschende Linie nur schwer ausmachen.10 Häufig wird grob nach zwei Schlag­ richtungen unterschieden, die als „strenge“ (dazu zunächst 1.) und „milde“ Ansicht (dazu 2.) einander gegenübergestellt werden.11 Die höchstrichterliche Rechtspre­ chung schwankte im Verlauf der Jahrzehnte zwischen den beiden Polen.12 1. Zurückhaltende Berücksichtigung von Rechtsirrtümern Das Reichsgericht neigte überwiegend einer strengen Handhabung zu. So hielt es 1918 fest, der Schuldner habe seine Nichtleistung auch dann zu vertreten, wenn das Bestehen der Schuld von einer zweifelhaften Rechtsfrage abhing, auf die der Schuld­ ner vertretbarerweise eine ihm günstige Antwort gefunden hatte; er habe gleich­ wohl damit rechnen müssen, dass letztendlich eine ungünstige Auslegung durch­ dringen werde.13 In der Folgezeit wurde dieser Grundsatz teils um Ausnahmen für besonders gelagerte Fallgestaltungen ergänzt,14 teils wurde die Berechtigung des strengen Ansatzes auch gänzlich offengelassen.15 An anderen Stellen bekannte sich das Gericht hingegen explizit zu den strikten Grundsätzen.16 Zwischenzeitlich 8  Zu §  5 43 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB siehe nur BGH, Urt. v. 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296, 1297 Rn.  17. 9  Dornis, in: BeckOGK, §   286 BGB Rn.  258; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  139, 163; ­Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 80; aus der Rechtsprechung eindeutig etwa BGH, Urt. v. 10.2.2011  − VII ZR 53/10, NJW 2011, 2120, 2121–2122 Rn.  16; vergleiche bereits RG, Urt. v. 15.2.1907  – II 343/06, LZ 1907, 342 Nr.  9. 10 Richtig Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  270. 11  So etwa Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  173; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  280, 283; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 148. 12  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  137 (eingehende Analyse a. a. O., S.  140–153); Auswertung zudem bei Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 413–414; siehe auch Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150, 152. 13  RG, Urt. v. 12.4.1918 – III 496/17, RGZ 92, 376, 379–380; in diese Richtung bereits RG, Urt. v. 4.2.1908 – III 264/07, WarnR 1908, 212 Nr.  295; RG, Urt. v. 20.9.1912 – II 249/12, LZ 1912, 914 Nr.  8 (Verzug ab Mitteilung der abweichenden Ansicht der Gegenseite). 14  RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316 (dazu unten C. III. 3.); RG, Urt. v. 27.9.1927 – III 38/27, RGZ 118, 126, 131 (da die Zweifel durch Eidesleistung beseitigt wurden, dürfte dies den Fällen des Tatsachenirrtums zuzuordnen sein). 15  So bei RG, Urt. v. 14.11.1922 – VII 741/21, RGZ 105, 356, 359. 16  RG, Urt. v. 29.10.1927 – I 88/27, RGZ 118, 288, 292; RG, Urt. v. 24.4.1929 – I 372/28, SeuffA 83, 267, 267, Nr.  165; RG, Urt. v. 6.11.1930 – VIII 303/30, HRR 1931, Nr.  404.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

klang gar an, ein Rechtsirrtum sei nicht einmal dann verzugshindernd, wenn ihm keine Fahrlässigkeit zugrunde gelegen habe (wobei in concreto eine eng verstandene Ausnahme angenommen wurde).17 Von der Auffassung, selbst bei Fehlen von Fahr­ lässigkeit könne ein Rechtsirrtum nicht den Verzug hindern, distanzierte sich das Reichsgericht in der Folge ausdrücklich.18 Dennoch gelangte es im Ergebnis zu­ meist zu einer Verzugshaftung.19 Dem schloss sich der OGH für die Britische Zone im Jahr 1950 an.20 In einer grundlegenden Entscheidung aus dem Folgejahr ließ der BGH erstmals seine im Wesentlichen bis heute fortgeführte Linie erkennen:21 Der Verzug sei nicht schon allein dadurch ausgeschlossen, „daß sich der Schuldner seine eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung ge­ bildet hat“. Es sei vielmehr zusätzlich erforderlich, dass er bei Wahrung der ver­ kehrserforderlichen Sorgfalt nicht mit seinem Unterliegen im Rechtsstreit habe rechnen müssen. Wenngleich in den Reihen des BGH zwischenzeitlich noch mit dem Übergang zu einer milderen Beurteilung geliebäugelt wurde, 22 etablierte sich im Lauf der Zeit die strengere Linie.23 Auch in neueren Entscheidungen wird aus­ drücklich darauf zurückgegriffen.24 Nicht anders verfahren die Obergerichte.25 Die etablierte Herangehensweise des BGH kommt nach Einschätzung der Lite­ ratur einer Risiko-, Garantie- bzw. Gefährdungshaftung nahe.26 Der BGH sieht 17 

RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 28. RG, Urt. v. 19.10.1934 – II 100/34, RGZ 146, 133, 144–145; RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234; RG, Urt. v. 12.11.1937 – VII 22/37, RGZ 156, 113, 120. 19  So bei RG, Urt. v. 19.10.1934 – II 100/34, RGZ 146, 133, 145, und RG, Urt. v. 12.11.1937 – VII 22/37, RGZ 156, 113, 121. Nur bei RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234–235, wurde der Schuldner (wegen günstiger früherer höchstrichterlicher Rechtsprechung) als entlastet angesehen. 20  OGH BrZ, Urt. v. 27.7.1950 – I ZS 70/49, OGHZ 4, 177 = NJW 1950, 822, 822–823 (Rechts­ irrtum grundsätzlich beachtlich, aber Verzug zu bejahen, da die betroffene Rechtsfrage bereits zuvor negativ entschieden worden war). 21  BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 398. 22  V. a. BGH, Urt. v. 4.3.1969 – VI ZR 274/67, MDR 1969, 470, 471. 23  BGH, Urt. v. 11.12.1951 – I ZR 121/51, VRS 5, 524, 527–528; BGH, Urt. v. 19.9.1957 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759, 1760; BGH, Urt. v. 11.4.1962 – VIII ZR 38/61, DB 1962, 698; BGH, Urt. v. 12.3.1969 – VIII ZR 97/67, DB 1969, 788; BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; BGH, Urt. v. 26.1.1983 – IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1139; BGH, Urt. v. 24.10.1984 – IVb ZR 43/83, NJW 1985, 486, 388; BGH, Urt. v. 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161; BGH, Urt. v. 20.11.1990 – IV ZR 202/89, r+s 1991, 37, 37; BGH, Beschl. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216, 1218 (allerdings im Ergebnis von einer Ausnahme ausgehend); BGH, Urt. v. 4.7.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, 3115. 24  BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272–3273 Rn.  19; BGH, Urt. v. 6.12.­2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  15; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735 Rn.  19 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; BGH, Urt. v. 23.2.2018  – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83–85. 25  Exemplarisch OLG Dresden, Beschl. v. 11.2.2013 – 5 U 1953/12, BeckRS 2014, 7375 Rn.  8; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.7.2013 – 10 U 114/12, BeckRS 2015, 12325; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; OLG Hamm, Urt. v. 30.1.2006 – 22 U 146/05, NJOZ 2006, 1301, 1302; OLG Hamm, Urt. v. 28.9.2012 – I-20 U 42/12, NJW-RR 2013, 407, 408. 26 So Engert, in: GS Unberath, S.  91, 94; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  297; Thole, AcP 209 (2009), 498, 520; Zedler, Rechtsrisiko, S.  289. 18 

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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den Rückgriff darauf nicht zuletzt dem Geltungsanspruch des Rechts geschul­ det.27 Teile der Instanzrechtsprechung und des Schrifttums treten hingegen für eine Übertragung derjenigen Haftungsprivilegierung, die der Putativgläubiger im Rahmen der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung erfährt, 28 ein.29 Der BGH lehnt dies unter Zustimmung des übrigen Teils der Rechtsprechung und der Literatur ab.30 Generell findet die strenge Linie des BGH im Schrifttum viele Befürworter.31 Dort wird das Ergebnis vereinzelt gar auf die Annahme gestützt, wenn der Schuldner das Bestehen des Anspruchs für denkbar erachte, sei Eventu­ alvorsatz zu bejahen.32 Auch im Bereich des Mietrechts, wo es häufig um den Verzug als Voraussetzung für die vermieterseitige Kündigung geht, wird inzwischen in vergleichbarer Weise geurteilt. Die frühere Rechtsprechung hatte sich Mietern gegenüber zum Teil noch großzügiger gezeigt.33 In einer vielbeachteten Entscheidung aus dem Jahr 2006 hielt jedoch der VIII. Zivilsenat des BGH unmissverständlich fest, dass im Rahmen der Kündigungstatbestände kein milderer Maßstab zur Anwendung komme: Der Schuldner dürfe das Risiko der zweifelhaften Rechtslage nicht dem Gläubiger zu­ schieben.34 Dies ist in der Literatur kritisiert worden, weil die Rechtsansicht des Mieters gut vertretbar und die Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht 27  So etwa BGH, Urt. v. 26.1.1983 – IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Urt. v. 6.12.­ 1999 – II ZR 169/98, NJW-RR 2000, 758, 759; BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272 Rn.  19; BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  24; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83; außerhalb des Verzugskontexts schon BGH, Urt. v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, NJW 1982, 635, 636–637. 28  Dazu oben §  9, insb. B. I. 2.–3., C. III. 1. 29  OLG Schleswig, Urt. v. 6.10.2016 – 5 U 72/16, BKR 2016, 472, 475–476 Rn.  58 i. V. m. Rn.  51; AG Köln, Urt. v. 1.3.2013 – 208 C 99/09, NJW-RR 2013, 1425, 1427 (einen Tatsachenirrtum be­ treffend); Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 932; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  241–242; Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  26; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547–548; Thole, AcP 209 (2009), 498, insb. 523, 539 (siehe zudem 521, 534). 30  BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  33–34; BGH, Urt. v. 15.4.­2015 – VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417, 2418 Rn.  24, 26; OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2015  – 5 U 74/15, NJOZ 2016, 459, 461–462 Rn.  55–57; OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.3.2017 – 5 U 20/16, NJW-RR 2017, 1379, 1384 Rn.  65; Derkum, Folgen, S.  179–184, 234–235; Harke, NZM 2016, 449, 453; Schwarze, in: Staudinger, §  280 Rn. D 26. 31  Ihr im Grundsatz folgend Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  174; Ernst, in: MüKo-­ BGB, §  286 Rn.  121; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  59–60; Schulze, in: Hk-BGB, §  286 Rn.  27; Seichter, in: jurisPK-BGB, §  286 Rn.  53; Zedler, Rechtsrisiko, S.  289; allgemein zur Ver­ schuldenshaftung Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  55; Engert, in: GS Unberath, S.  91, 110. 32 So U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  721–722. 33  Siehe etwa LG Frankfurt a. M., Urt. v. 14.11.2003 – 2/11 S 326/02, NJW-RR 2004, 1238, 1238–1239 (unberechtigte Minderung infolge [Tatsachen-]Irrtums über Baumängel); LG Görlitz, Urt. v. 28.9.1994 – 2 S 48/94, Rn.  6 –8, juris; LG Hagen, Urt. v. 19.10.1987 – 10 S 217/87, Rn.  5, juris; nachsichtig gegenüber dem Mieter auch RG, Urt. v. 13.10.1916 – III 211/16, JW 1916, 1584, 1585; streng dagegen LG Kassel, Beschl. v. 8.11.1994 – 1 T 61/94, ZMR 1996, 90, 92; ausführliche Nach­ weise zur älteren Instanzrechtsprechung bei Blank, in: Schmidt-Futterer, §  543 BGB Rn.  104. 34  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  25 (zum Verschulden im Sinne von §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB). Hinz, NJW 2013, 337, 337, spricht von einem „Paradigmen­ wechsel“.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

geklärt gewesen sei.35 Zumindest der Verlust der Wohnung als Lebensmittelpunkt sei nicht gerechtfertigt, wenn der Mieter bei zweifelhafter Rechtslage die Leistung verweigert habe.36 Der BGH hat indes an dem eingeschlagenen Kurs festgehal­ ten.37 Jedenfalls mit Blick auf die Bildung einer zutreffenden Minderungsquote werden aber in der Instanzrechtsprechung und der Literatur verbreitet Erleichte­ rungen für den Mieter erwogen.38 Die strengen Maßstäbe, die bei der Verzugshaftung angelegt werden, hat die Rechtsprechung für die Verschuldensprüfung in anderen Zusammenhängen über­ nommen.39 Die Frage, inwieweit dem zu folgen ist, fällt nicht unmittelbar in den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. In Anbetracht der parallelen Handha­ bung kann aber zumindest im Rahmen der Analyse gelegentlich auf solche Recht­ sprechung zurückgegriffen werden. Wie angedeutet, hat schon das Reichsgericht gewisse Ausnahmen von seinen strengen Grundsätzen anerkannt. In der BGH-Rechtsprechung setzt sich dies fort. So sind zugunsten des Schuldners zum Beispiel ein Pflichtenwiderstreit bei fremd­ nütziger Tätigkeit40 sowie eine Verantwortung des Gläubigers für die Rechtsun­ klarheit41 berücksichtigt worden. Vor allem soll es den Schuldner entschuldigen, 35  Blank, NZM 2007, 788, 788; eine milde Linie favorisierend auch Rolfs, in: Staudinger, §  573 Rn.  41; Schläger, ZMR 2013, 178, 179; wohl auch Emmerich, in: Staudinger, §  543 Rn.  57b. 36  Blank, NZM 2007, 788, 795; Blank, WuM 2012, 501, 501 (Entlastung nur betreffend Kündi­ gung, nicht sonstige Haftung); siehe daneben auch Streyl, WuM 2013, 454, 457–458; in diese Rich­ tung auch nach der in Fn.  34 genannten BGH-Entscheidung noch LG Berlin, Urt. v. 22.2.2007  – 62 S 277/05, Rn.  35, juris; AG Lübeck, Urt. v. 15.6.2011 – 24 C 4044/09, Rn.  43, juris. 37  BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  31; BGH, Urt. v. 11.7.2012  − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  18–20 (anlässlich eines Tatsachenirrtums); BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23–24; BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417, 2418 Rn.  26–27. Der säumige Vermieter wird nicht anders behandelt, siehe BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2719–2720 Rn.  32–38. 38  LG Berlin, Urt. v. 6.9.2005 – 63 S 111/05, Rn.  5, juris; LG Berlin, Urt. v. 17.3.2009 – 65 S 54/08, Rn.  21, juris; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.1.2020 – 2-11 S 232/19 (wiedergegeben bei Rave, MietRB 2020, 131); LG Hannover, Urt. v. 15.4.1994 – 9 S 211/93, NJW-RR 1995, 331; LG Kiel, Beschl. v. 29.8.1974, WuM 1975, 169; ähnlich LG Aachen, Urt. v. 13.10.1994 – 6 S 124/94, ZMR 1997, 25, 27; AG Stuttgart, Urt. v. 14.2.2020 – 32 C 1562/19, WuM 2020, 641, 642; siehe zu­ dem Blank, in: Schmidt-Futterer, §  543 BGB Rn.  105; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 18/2012 Anm.  4; Harke, NZM 2016, 449, 453; de lege ferenda auch Raabe, WuM 2017, 65, 71. 39  Siehe RG, Urt. v. 20.12.1924 – V 846/23, RGZ 110, 1, 17–18; RG, Urt. v. 12.5.1926 – I 287/25, RGZ 113, 413, 423; RG, Urt. v. 15.12.1927 – VI 209/27, RGZ 119, 265, 268; BGH, Urt. v. 1.10.1970  – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513, 1514; BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1904; BGH, Urt. v. 10.10.1989 – KZR 22/88, NJW 1990, 1531, 1533; BGH, Urt. v. 28.9.1992 – II ZR 224/9, NJW 1992, 3296, 3296; BGH, Urt. v. 14.6.1994 – XI ZR 210/93, NJW 1994, 2754, 2755; BGH, Urt. v. 18.12.1997 – I ZR 79/95, NJW 1998, 2144, 2144–2145 – Beatles-Doppel-CD; BGH, Urt. v. 6.12.1999 – II ZR 169/98, NJW-RR 2000, 758, 759; BGH, Urt. v. 29.10.2009 – I ZR 168/06, NJW-RR 2010, 1135, 1140 Rn.  42 – Scannertarif; BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 68/08, NJW 2010, 2354, 2357 Rn.  32, 2359 Rn.  55 – Restwertbörse I; BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268, 2269 Rn.  19–20. 40  BGH, Beschl. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 18.10.2019 – V ZR 188/18, NJW-RR 2020, 393, 394 Rn.  14. 41  BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464 (näher unten C. II. 6. e) m. w. N.

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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wenn er sich bei seiner Verweigerung im Einklang mit der höchstrichterlichen Ju­ dikatur wähnen durfte.42 Weiter gehend wird eine Entlastung vielfach bei einer besonders verwickelten Rechtslage befürwortet.43 2. Großzügige Berücksichtigung von Rechtsirrtümern Interpretiert man die letztgenannte Ausnahmefallgruppe großzügig, findet man sich praktisch schon auf dem Terrain der „milden“ Ansicht wieder. Außerhalb der Verzugsproblematik hatte bereits das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1897 – unter Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien zum BGB – ein Verschulden verneint, „wenn der Inhalt des Gesetzes mehrfache Deutungen zuläßt, und die den Vorzug verdienende Auslegung durch die Wissenschaft und Praxis noch nicht fest­ gelegt ist“.44 Das läuft darauf hinaus, eine Haftung zu verneinen, wenn die eigene Auffassung vertretbar45 und mit einer günstigen wie mit einer ungünstigen Ent­ scheidung gleichermaßen zu rechnen war. Im Schrifttum findet sich eine beachtliche Gruppe von Befürwortern einer solchen Sichtweise,46 wobei teils nach dem Maß der Vertretbarkeit differenziert wird.47 Auch auf Basis einer milderen Grundregel soll der Schuldner immerhin in Verzug geraten, solange die ihm günstige Rechtsansicht in Konflikt mit der etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung steht.48 zur Rezeption); in diese Richtung auch RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316; LG Duisburg, Urt. v. 27.2.1996 – 23 (7) S 270/95, NJW-RR 1996, 718, 719; Dornis, in: Beck­OGK, §  286 BGB Rn.  284; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  171. 42  RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234–235; BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; Seichter, in: jurisPK-BGB, §  286 Rn.  53; zum Ganzen auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  715– 718. Ebenso außerhalb der Verzugsproblematik BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905; BGH, Urt. v. 22.11.2007 – III ZR 9/07, BGHZ 174, 255 = NJW 2008, 840, 842 Rn.  17. 43  RG, Urt. v. 21.11.1930 – VII 49/30, RGZ 130, 275, 284; RG, Urt v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234; BGH, Urt. v. 1.6.1951 – I ZR 120/50, NJW 1951, 758, 759; BGH, Urt. v. 19.9.1984  – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1139; BGH, Urt. v. 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161; BGH, Urt. v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04, NJW 2005, 976, 977; OLG Hamm, Urt. v. 28.9.2012 – I-20 U 42/12, NJW-RR 2013, 407, 408; OLG München, Urt. v. 28.3.2018 – 20 U 3224/17, BeckRS 2018, 5342 Rn.  9 („allenfalls“); Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  174; Derkum, Folgen, S.  223–224; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  60; abseits der Verzugsproblematik auch BGH, Urt. v. 18.5.1955 – I ZR 8/54, BGHZ 17, 266 = GRUR 1955, 492, 501; BGH, Urt. v. 1.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513, 1514; BGH, Urt. v. 17.12.1998 – V ZR 200/97, BGHZ 140, 223 = NJW 1999, 1470, 1474–1475. 44  RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 100. 45  Beispielsweise verneint bei OGH BrZ, Urt. v. 27.7.1950 – I ZS 70/49, OGHZ 4, 177 = NJW 1950, 822, 823. 46  Canaris, in: FS Koziol, S.  45, 72; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168; Frede, Rechts­ irrtum, S.  33–43 (insb. S.  33, 35–36); Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150; Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 253; Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416; tendenziell auch J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  154–155 (siehe zudem S.  94); im Grundsatz ebenso Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  283; zur Kritik an der strengen Linie des BGH zur mietvertraglichen Kündigung siehe bereits oben 1. mit Fn.  35. 47  So übergreifend zur Verschuldenshaftung insb. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 936. 48  Verschulden annehmend RG, Urt. v. 14.11.1922 – VII 741/21, RGZ 105, 356, 359; OGH BrZ,

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Verbreitet wird darauf verwiesen, dass sich die Arbeitsgerichtsbarkeit regelmä­ ßig im Sinne der milden Linie positioniere.49 Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass das RAG und anfänglich auch das BAG die strenge Herangehens­ weise der zivilgerichtlichen Judikatur adaptiert hatten.50 Zur unberechtigten Kün­ digung durch den Arbeitgeber und zu eventuellen Ansprüchen des Arbeitnehmers aus Schuldnerverzug verneinte das BAG hingegen ein Verschulden, sofern die Kün­ digung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruhte.51 Ähnlich urteilte das BAG, wenn der Verzug des Arbeitgebers darauf gründete, dass dieser den Arbeit­ nehmer unzutreffend eingruppiert hatte.52 Hier soll der Schuldner bei Vorliegen einer objektiv zweifelhaften Rechtslage entlastet sein, wobei ihn nicht allein die Berufung auf eine günstige Literaturansicht exkulpiere.53 Auch in anderem Zu­ sammenhang hat das BAG gelegentlich die beschriebene Milde walten lassen.54 Auf Ebene der Landesarbeitsgerichte wird mitunter ebenso verfahren.55 Aller­ dings war die strenge Herangehensweise in der Tradition des RAG nie gänzlich aus der Rechtsprechung verschwunden. Schuldhaftes Verhalten wurde insbesondere dem Arbeitnehmer attestiert, der die Arbeit verweigert hat und dabei das Risiko eingegangen ist, dass die zugrunde liegende Rechtsansicht vom entscheidenden Ge­ richt nicht geteilt werden würde.56 Gelegentlich ist dieser Maßstab ebenso zulas­ Urt. v. 27.7.1950 – I ZS 70/49, OGHZ 4, 177 = NJW 1950, 822, 823; BAG, Urt. v. 22.3.2001  – 8 AZR 536/00, BeckRS 2001, 30790460; BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  31; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  165; Mayer-Maly, in: FS Bötti­ cher, S.  243, 259. 49 So etwa die Charakterisierung durch Haertlein, Exekutionsintervention, S.   406; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  264; Soffner, Haftung, S.  36; Zedler, Rechtsrisiko, S.  224. 50  RAG, Urt. v. 12.12.1928 – 211/28, Bensh.Samml. 4, 381, 384; RAG, Urt. v. 30.1.1929 – 346/28, Bensh.Samml. 5, 224, 229; RAG, Urt. v. 8.2.1930 – 393/29, Bensh.Samml. 8, 227, 231; BAG, Urt. v. 31.10.1958 – 1 AZR 632/57, BAGE 6, 321 = AP TVG §  1 Friedenspflicht Nr.  2 (Ls. 13); auf die strenge Herangehensweise des RAG wies schon Frede, Rechtsirrtum, S.  37–42, hin. 51  BAG, Urt. v. 23.8.1990 – 2 AZR 156/90, BeckRS 1990, 30370935 (unter B. I. 3. a)); BAG, Urt. v. 27.5.1999 – 8 AZR 322/98, BeckRS 1999, 30778890; BAG, Urt. v. 23.9.1999 – 8 AZR 791/98, BeckRS 1999, 30780928; BAG, Urt. v. 22.3.2001 – 8 AZR 536/00, BeckRS 2001, 30790460; BAG, Urt. v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, BAGE 101, 32 = NZA 2003, 44, 48; BAG, Urt. v. 20.6.2002  – 8 AZR 488/01, NZA 2003, 268, 269; BAG, Urt. v. 17.7.2003 – 8 AZR 486/02, AP BGB §  611 Haf­ tung des Arbeitgebers Nr.  27 (unter II. 2. b) bb)). 52  BAG, Urt. v. 7.10.1981 – 4 AZR 225/79, BAGE 36, 245 = NJW 1982, 2279, 2279; BAG, Urt. v. 11.6.1997 – 10 AZR 613/96, AP BGB §  291 Nr.  1 (unter 4.); offengelassen von BAG, Urt. v. 26.1.­ 2011 − 4 AZR 167/09, NZA-RR 2011, 531, 536 Rn.  50; zustimmend Hesse, in: BeckOK-ArbR, §  619a BGB Rn.  46. 53  So BAG, Urt. v. 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500, 500. 54  BAG, Urt. v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98, BAGE 93, 105 = NZA 2000, 1348, 1350 (Wirksam­ keit von Tarifverträgen müsse nicht ohne Weiteres angezweifelt werden). 55  Exemplarisch LAG Berlin, Urt. v. 12.1.1998 – 9 Sa 136/97, NZA-RR 1998, 245, 247–248 (bei schwieriger Rechtslage); LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.7.2011 – 21 Sa 20/11, Rn.  42, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 29.1.2019 – 6 Sa 138/18, BeckRS 2019, 15206 Rn.  50; im Ergebnis auch LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2017 – 3 Sa 864/16, ZIP 2018, 94, 96–97 (obwohl eigentlich ein strenger Maßstab propagiert wird). 56  BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.); in der Tendenz ebenso BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; BAG, Urt. v. 23.11.1988 – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433, 435.

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ten des unberechtigterweise kündigenden Arbeitgebers angewandt worden.57 Im Ausgangspunkt sind auch rechtsirrtümliche Arbeitskampfmaßnahmen für ver­ schuldet erachtet worden, soweit damit zu rechnen war, dass sich die Rechtsauffas­ sung der Streikenden als unrichtig erwies (wobei im Ergebnis ein Verschulden aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten dennoch abgelehnt wurden).58 Inzwischen ist in der BAG-Judikatur sogar, entgegen der verbreiteten Wahrnehmung, eine eindeuti­ ge Orientierung an der strengen Linie des BGH festzustellen:59 Ausgehend von der Entscheidung, nach der eine günstige Literaturansicht nicht entschuldige, 60 hat das BAG mehrfach betont, es sei im Grundsatz eine strenge Haftung für Rechts­irrtümer des Schuldners geboten, wobei auf das beliebte Argument des „Geltungsanspruchs des Rechts“ rekurriert worden ist.61 Mittlerweile sind die For­ mulierungen praktisch identisch mit denen des BGH. 62 Allein für die unberechtig­ te Kündigung durch den Arbeitgeber wird weiterhin – „mild“ – auf die Vertretbar­ keit der Rechtsansicht abgehoben. 63 3. Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern Neben den beiden dominierenden Meinungsströmungen existieren alternative An­ sätze, die im Ergebnis sogar zu einer Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern gelan­ gen. Jakobs hat ein Vertretenmüssen auch bei entschuldigtem Rechtsirrtum des Schuldners für gegeben gehalten, Letzterem aber zugleich ein weitgehendes, ver­ zugsausschließendes Leistungsverweigerungsrecht bei objektiver Rechtsungewiss­ 57  BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhält­ nis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 58  BAG, Urt. v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 = NJW 1978, 2114, 2115; BAG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NJW 1984, 1371, 1373. 59  So auch die Feststellung von Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  280. 60  BAG, Urt. v. 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500, 500; ähnlich BAG, Urt. v. 3.12.2002 – 9 AZR 481/01, BAGE 104, 45 = NZA 2003, 1215, 1218–1219. 61  BAG, Urt. v. 27.7.1994 – 7 ABR 10/93, BAGE 77, 273 = NZA 1995, 545, 547; BAG, Urt. v. 16.9.2008 – 9 AZR 781/07, BAGE 127, 353 = NZA 2008, 1285, 1289 Rn.  47; BAG, Urt. v. 19.8.2015  – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  31; BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  43; BAG, Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  37; BAG, Urt. v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  51; der Sache nach ebenso LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.11.1998 – 4 Sa 47/98, BeckRS 1998, 30452428; LAG Hessen, Urt. v. 18.8.2017 – 10 Sa 211/17, Rn.  40, juris; LAG Meck­ lenburg-Vorpommern, Urt. v. 17.1.2017 – 5 Sa 166/16, Rn.  114, juris; ähnlich LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678 Rn.  43, das – in Anknüpfung an den Aufsatztitel von Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357 – fürchtet, andernfalls würde „das Argument des unver­ schuldeten Rechtsirrtums zur ‚Wunderwaffe‘ bei Arbeitsverweigerung“; im Schrifttum ähnlich Eufinger, RdA 2018, 224, 228. 62  Anschaulich BAG, Urt. v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323, 1325 Rn.  34: „nicht zu rechnen brauchte“; BAG, Urt. v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NJW 2019, 1161, 1163 Rn.  24: „musste […] damit rechnen“; BAG, Urt. v. 3.7.2019 – 10 AZR 499/17, NZA 2019, 1725, 1729–1730 Rn.  63. BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  43, zitiert sogar schlicht die entsprechende BGH-Rechtsprechung; kritisch allerdings Vossen, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  626 BGB Rn.  218. 63  BAG, Urt. v. 15.9.2011 − 8 AZR 846/09, NZA 2012, 377, 381 Rn.  42.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

heit zugestanden. 64 Andere haben argumentiert, jede Vertragspartei übernehme mit dem Vertragsschluss das Risiko, die für die vertraglichen Pflichten relevanten Nor­ men zu kennen. 65 Für den Bereich des Arbeitsrechts hat Zedler vorgeschlagen, das Risiko der rechtlichen Beurteilung demjenigen zuzuweisen, von dessen Auffassung das entscheidende Gericht letztlich abweicht. 66 In eine ähnliche Richtung weist der in jüngerer Zeit von Häublein im mietrechtlichen Kontext unterbreitete Vorschlag, im Rahmen von Tatbeständen, die lediglich ein Vertretenmüssen (anstelle eines Verschuldens) voraussetzen, dem Schuldner „das Risiko der Unkenntnis einer unklaren Rechtslage […] zuzuweisen“. 67 Häsemeyer hat schließlich vorgeschlagen, die Haftung des säumigen Schuldners der verschuldensunabhängigen Haftung des Gläubigers aus §  717 Abs.  2 ZPO anzugleichen, sodass es nicht darauf ankomme, ob ein zugrunde liegender Rechtsirrtum des Schuldners unverschuldet war. 68 Diese Sichtweise eliminiere insbesondere die im Vergleich zur Putativgläubigerhaftung überschießende Verschonung des Schuldners im Fall von nachteiligen Rechtspre­ chungsänderungen. 69 In ähnlicher Weise wird auch anderswo im Sinne einer „Haf­ tungsharmonisierung zwischen Gläubiger- und Schuldnerhaftung im Zivilrechts­ streit“ die Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern des nichtleistenden Schuldners für vorzugswürdig erachtet.70 Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass der Schuldner immerhin Regress bei seinem Berater nehmen könne.71

II. Partielle Bedeutung des Verschuldens bei formaler Unabhängigkeit der Nachteilszuweisung von Vertretenmüssen Bestimmte Rechtsfolgen einer unberechtigten Nichtleistung sind nicht daran ge­ bunden, dass der Schuldner diese zu vertreten hat. Dies gilt insbesondere für die Pflicht, Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen (§  291 BGB).72 Ein wesentlicher An­ wendungsfall der Norm wird gerade darin erblickt, dass trotz Klageerhebung (§  286 Abs.  1 S.  2 BGB) infolge eines entschuldigenden Rechtsirrtums des Schuld­ ners ausnahmsweise kein Verzug (§§  286 Abs.  4, 276 BGB) und damit kein Zins­ anspruch aus §  288 BGB besteht.73 64 

Jakobs, Unmöglichkeit, S.  94–103. Schwimann, ZAS 1969, 121, 128 (zum österreichischen Recht). 66  Zedler, Rechtsrisiko, S.  290–292. Dabei bleibt unklar, ob sich dies nur als rechtspolitischer Vorschlag versteht (dafür spricht die Überschrift „Änderungsvorschläge“ a. a. O., S.  287, und im Gegenschluss der Umstand, dass a. a. O., S.  289, zu einem anderen Vorschlag ausdrücklich ange­ merkt wird, es bedürfe insoweit keiner Gesetzesänderung). 67  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49 (Herv. im Orig.). 68  Häsemeyer, passim, insb. S.  56, 92–93. 69  Darauf weist Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  98, hin. 70  Lindemann, Haftung, S.  149–150. 71  Lindemann, Haftung, S.  150. 72  Ernst, in: MüKo-BGB, §  291 Rn.  1; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  291 Rn.  1. 73  RG, Urt. v. 4.3.1918 – VI 76/16, RGZ 92, 283, 285; OLG Köln, Urt. v. 6.10.2016 – 7 U 131/16 BeckRS 2016, 17944 Rn.  3; Dornis, in: BeckOGK, §  291 BGB Rn.  3; Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1392; Schulte-Nölke, in: NK-BGB, §  291 Rn.  2. 65 So

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Viele Vertragslösungsrechte des Gläubigers sind ebenfalls im Grundsatz unab­ hängig von einem Vertretenmüssen des Schuldners. Exemplarisch verweisen lässt sich auf §  323 BGB. Im Zusammenhang mit dem Kündigungsrecht aus §  314 BGB wurde hingegen schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass dort zwar ein schuldhaftes Handeln formal nicht vorausgesetzt wird, aber in aller Regel gleich­ wohl zu fordern ist.74 Auch bei spezielleren Kündigungstatbeständen kommt dem Verschulden eine beachtliche Bedeutung zu. Dies zeigt sich vor allem an den Kon­ kretisierungen in §  543 Abs.  1 S.  2 BGB und §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB. Die bereits er­ wähnte wegweisende Entscheidung des BGH zum Einfluss des Rechtsirrtums auf die Kündigung75 betraf gerade die letztgenannte Vorschrift. Das BAG erkennt ebenso an, dass die verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses (§  1 Abs.  2 S.  1 Var.  2 KSchG) in der Regel nur durch ein schuldhaftes Verhalten begrün­ det werde.76 Zumindest im Rahmen einer Interessenabwägung bleibt folglich Raum für eine entlastende Berücksichtigung von Irrtümern des Arbeitnehmers.77 Vergleichbares gilt für die außerordentliche Kündigung nach §  626 Abs.  1 BGB.78

III. Befreiende Wirkung bzw. Hinterlegungswirkung trotz unterlassener Leistung an Gläubiger In der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Rechtsirrtums auf die Schuldnerhaftung wird bislang weitgehend darauf verzichtet, die besonders gela­ gerte Fallgruppe des Irrtums bzw. der Ungewissheit über die aktivlegitimierte Per­ son einzubeziehen.79 Das Gesetz enthält indes speziell auf diesen Fall gemünzte Regelungen (vor allem §§  407 Abs.  1, 372 S.  2 BGB). Deren nähere Betrachtung er­ scheint schon mit Blick auf denkbare systematische Schlussfolgerungen ratsam. Ein Ziel muss zudem darin bestehen, die genannten Instrumente schlüssig in die Rechts­ irrtumsdogmatik zu integrieren. Das geschieht bislang kaum. So wird beispielswei­ se §  407 Abs.  1 BGB im Zusammenhang mit Vorschriften wie §§  892, 990 Abs.  1 S.  2 BGB besprochen, weil hier jeweils Kenntnis vorausgesetzt wird. 80 Funktional be­ trachtet schützen §§  407, 372 BGB jedoch den irrenden bzw. unsicheren Schuldner und ergänzen demnach – im Verhältnis zum wahren Gläubiger – die allgemeinen Regeln zur irrigen Nichtleistung. Nicht zuletzt existieren im Verjährungsrecht be­ sondere Vorgaben für den Fall der Ungewissheit über den richtigen Passivlegiti­ 74 

Siehe oben §  9 B. II. m.N. BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  25. 76  Siehe nur BAG, Urt. v. 3.11.2011 − 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607, 608 Rn.  20; BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 2 AZR 694/11, BAGE 142, 188 = NZA 2013, 199, 201 Rn.  22. 77  Siehe BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.); BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; BAG, Urt. v. 14.2.1996  – 2 AZR 274/95, NJW 1996, 2253, 2254; Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 361; Zedler, Rechts­ risiko, S.  246. 78  Siehe nur Zedler, Rechtsrisiko, S.  252 m. w. N. 79  Explizit auf §  372 S.  2 BGB hinweisend immerhin Haertlein, Exekutionsintervention, S.  411. 80  So bei Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 25. 75 

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mierten.81 Schon deshalb ist auch der umgekehrten Konstellation Beachtung zu schenken. 1. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger Ein Schuldner, dem alle relevanten Fakten bekannt sind, kann daraus den unzutref­ fenden Schluss ziehen, eine bestimmte Person sei Anspruchsinhaber. Unter diesen Umständen wird er nicht an den wahren Gläubiger leisten. Es droht Schuldnerver­ zug. Diese Ausgangslage ändert sich gegebenenfalls, wenn der Schuldner immerhin an den vermeintlichen Gläubiger geleistet hat. Der wahre Gläubiger muss diese Leistung unter bestimmten Umständen gegen sich gelten lassen. Der Prototyp für solche Regelungen ist §  407 Abs.  1 BGB. 82 An diesem soll die Problematik im Fol­ genden festgemacht werden. Hiernach wird der Schuldner frei, wenn er an seinen bisherigen Gläubiger leistet, obwohl dieser den Anspruch abgetreten hat, sofern der Schuldner die Abtretung bei der Leistung nicht kannte. Zu einem Rechtsirrtum bei voller Tatsachenkenntnis kann es in zwei Szenarien kommen:83 Erstens kann der Schuldner über den Abtretungsvorgang unterrichtet sein, aber rechtsirrtümlich von einer Unwirksamkeit der Abtretung ausgehen bzw. an der Wirksamkeit zwei­ feln; zweitens kann der Schuldner in rechtlicher Hinsicht verkennen, dass es zu ei­ nem gesetzlichen Forderungsübergang gekommen ist – §  407 BGB kann dann über die Verweisung in §  412 BGB zur Anwendung gelangen. Fraglich ist, ob die ge­ nannten Rechtsirrtümer zur Unkenntnis des Schuldners im Sinne von §  407 Abs.  1 BGB führen und ihn im Verhältnis zum wahren Gläubiger entlasten können. Das Reichsgericht hielt den Schuldner für den Fall, dass ihm die erfolgte Abtre­ tung zweifelsfrei bekannt gegeben worden ist, für bösgläubig84: Erachte er die Abtretung aufgrund seiner eigenen Rechtsauffassung dennoch für unwirksam, handele er auf eigene Gefahr; ihm stehe die Möglichkeit offen, Rechtsrat einzuho­ len oder die geschuldete Leistung nach §  372 BGB zu hinterlegen.85 Der BGH ist dieser Linie zunächst gefolgt:86 Auf eigene Gefahr leiste auch derjenige, der den Abtretungscharakter des bekannten Rechtsgeschäfts verkenne. Das gelte jeden­ falls, wenn der Schuldner selbst Zweifel an der Richtigkeit seiner rechtlichen Beur­ teilung habe und „mit der Möglichkeit rechnen muß, daß diese von den Gerichten als Abtretung beurteilt wird“. Ihn im Fall rechtlicher Zweifel für gutgläubig zu halten, widerspreche „den Erfordernissen des Rechtsverkehrs“. In der Rechtspre­ chung wurden diese Grundsätze später mitunter zu dem Satz verkürzt, für Kennt­

81 

Siehe oben §  7 C. I. 3. e). Diese steht daher im Folgenden im Fokus. 83 Siehe Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 25–26. 84  Kritisch zu diesem Begriff Schrader, Wissen, S.  271, da im Unterschied zu §  932 Abs.  2 BGB Fahrlässigkeit nicht schade; ähnlich schon Frede, Rechtsirrtum, S.  70. 85  RG, Urt. v. 23.9.1921 – II 61/21, RGZ 102, 385, 387. 86  Zum Folgenden BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. Auch dort erfolgte im Übrigen ein Hinweis auf die Hinterlegungsmöglichkeit. 82 

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nis im Sinne von §  407 BGB genüge Tatsachenkenntnis.87 Im Schrifttum wird eben­ falls verbreitet konstatiert, auf die zutreffende rechtliche Bewertung der bekannten Umstände komme es grundsätzlich nicht an. 88 Ausnahmen werden für den Fall der unübersichtlichen oder im Fluss befindlichen Rechtslage erwogen. 89 Schon die Judikatur des Reichsgerichts hat allerdings auch Kritik erfahren. Weil es für die Hinterlegung nach §  372 S.  2 BGB, auf die der in rechtlicher Hinsicht zweifelnde Schuldner verwiesen wird, auf das Fehlen von Fahrlässigkeit ankomme, entlaste im Ergebnis ein Tatsachenirrtum den Schuldner stets, ein Rechtsirrtum hingegen nur dann, wenn er nicht fahrlässig zustande gekommen sei.90 Für eine solche Diskriminierung des Rechtsirrtums bestehe keine Grundlage; der Schutzzweck der Schuldnerschutzvorschriften verlange im Gegenteil dessen Be­ rücksichtigung.91 In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde Kenntnis im Sinne von §  407 BGB teils explizit abgelehnt, „sofern der Schuldner die Vorausset­ zungen für die Wirksamkeit der Abtretung zu Recht verneinen durfte“.92 Das wurde für den Fall angenommen, dass der Schuldner verkannt hatte, dass es sich bei dem betroffenen Vorgang um eine Abtretung handelte und die Berufung auf ein (eigentlich einschlägiges) Abtretungsverbot ausnahmsweise treuwidrig erschien: Kenntnis habe nicht vorgelegen, solange der Schuldner nicht „von kompetenter ­Seite“ belehrt worden war, zumal auch das erstinstanzliche Gericht noch eine wirk­ same Abtretung verneint hatte.93 Auch nachvollziehbare rechtliche Missverständ­ nisse von Laien könnten der Kenntniserlangung im Wege stehen.94 In jüngerer Vergangenheit hat auch der BGH mehrfach zugunsten des Schuldners entschieden. An der nötigen Kenntnis der Abtretung könne es trotz Abtretungsanzeige fehlen, wenn der Zedent dem Schuldner postwendend solche Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Abtretung mitgeteilt habe, die sich „nicht als abwegig oder schlechterdings unvernünftig abtun“ ließen.95 Ohne Abgrenzung zur früheren Rechtsprechung hielt der BGH zugleich fest, der Schuldner müsse sich nicht auf die Möglichkeit der Hinterlegung verweisen lassen.96 Dies wurde für den Fall wie­ derholt, dass die Wirksamkeit der Abtretung aus Rechtsgründen objektiv ungewiss

87  OLG Brandenburg, Urt. v. 12.4.2006 – 4 U 94/05, Rn.  4 4, juris; OLG Oldenburg, Urt. v. 6.3.1986 – 1 U 164/85, NJW 1987, 655, 656 (zu §  406 BGB; siehe aber zu der Entscheidung noch C. I. 3.); ebenso im Ausgangspunkt Grüneberg, in: Palandt, §  407 Rn.  6. 88  Busche, in: Staudinger, §  407 Rn.  31; Kreße, in: NK-BGB, §  407 Rn.  10; Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  61; H.-F. Müller, in: Prütting/Wegen/Weinreich, §  407 Rn.  5; Rosch, in: jurisPK-­ BGB, §  407 Rn.  13; G. H. Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, §  407 Rn.  14, §  408 Rn.  3. 89  Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  61; H.-F. Müller, in: Prütting/Wegen/Weinreich, §  407 Rn.  5; G. H. Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, §  407 Rn.  14. 90  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 25 Fn.  14. 91  Frede, Rechtsirrtum, S.  70. 92  OLG Köln, Urt. v. 24.5.1984 – 5 U 254/83, Rn.  14, juris. 93  OLG Köln, Urt. v. 24.5.1984 – 5 U 254/83, Rn.  14, juris. 94  OLG Rostock, Urt. v. 14.6.1999 – 3 U 35/98, MDR 2000, 444, 444–445. 95  BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148. 96  BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148.

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war; dem Schuldner sei auch nicht zuzumuten, ein Rechtsgutachten einzuholen.97 Der BGH hat diese Grundsätze bekräftigt.98 Das Schrifttum hat sie zum Teil rezi­ piert: Begründete Zweifel wegen eines Streits über die Wirksamkeit der Abtretung schlössen Kenntnis aus.99 Eine besondere Behandlung erfährt das Kenntnismerkmal des §  407 BGB in den Fällen der Legalzession (§  412 BGB). Hauptanwendungsfall ist der Übergang eines Schadensersatzanspruchs vom Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger (§  116 Abs.  1 S.  1 SGB X; früher §  1542 Abs.  1 S.  1 RVO), soweit Letzterer aufgrund des Schadensereignisses Leistungen zu erbringen hat. Der Übergang findet dem Grunde nach bereits im Zeitpunkt des Schadensereignisses statt.100 Ergibt sich ein Anspruch des Geschädigten gegen den Sozialleistungsträger erst aufgrund eines gesetzlichen Systemwechsels nach dem Schadensereignis, soll die Zession aus­ nahmsweise erst mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes erfolgen.101 Die Rechtspre­ chung des Reichsgerichts stellte sich auf den Standpunkt, beim gesetzlichen Forde­ rungsübergang setze Kenntnis im Sinne von §  407 BGB lediglich die Kenntnis der Tatsachen voraus, welche die Legalzession begründeten.102 Der BGH hat dies auf­ gegriffen und neben der Kenntnis vom Schaden nur Kenntnis vom Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses verlangt.103 Solche Kenntnis dürfe bereits dann angenommen werden, wenn der Schädiger Tatsachen kenne, „von denen allgemein bekannt ist, daß sie die Sozialversicherungspflicht begründen“.104 Diese Recht­ sprechung hat der BGH in der Folgezeit bestätigt.105 Ergänzend führte er aus, der mit der frühzeitigen Legalzession bezweckte Schutz des Sozialleistungsträgers dürfe nicht durch §  407 BGB und die dem Schuldner mögliche Behauptung fehlen­ den Wissens unterlaufen werden; dies sei bei der Interpretation des Kenntnismerk­ mals durch „maßvolle Anforderungen“ zu berücksichtigen.106 Insbesondere müsse 97 

BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26. Urt. v. 4.12.2008 – IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn.  8 („objektive Unge­ wissheit“). 99  Martens, in: Erman, §  407 Rn.  8; H.-F. Müller, in: Prütting/Wegen/Weinreich, §  407 Rn.  5; Rosch, in: jurisPK-BGB, §  407 Rn.  13; G. H. Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, §  407 Rn.  14. 100  BGH, Urt. v. 10.7.1967 – III ZR 78/66, BGHZ 48, 181 = NJW 1967, 2199, 2201; BGH, Urt. v. 8.7.2003 – VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342 = NJW 2003, 3193, 3193; Oetker, in: MüKo-BGB, §  249 Rn.  534 m. w. N.; eingehend, obschon im Ergebnis kritisch, v. Koppenfels-Spies, Cessio legis, S.  232–240. 101  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608. 102  RG, Urt. v. 26.1.1905 – VI 99/04, RGZ 60, 200, 204–205; RG, Urt. v. 9.12.1937 – VI 170/37, RGZ 156, 347, 354–355. 103  BGH, Urt. v. 30.11.1955 – VI ZR 211/54, BGHZ 19, 177 = NJW 1956, 461, 462; BGH, Urt. v. 27.2.1962 – VI ZR 260/60, VersR 1962, 515, 516. 104  BGH, Urt. v. 27.2.1962 – VI ZR 260/60, VersR 1962, 515, 516. 105  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608; BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = NJW 1994, 3097, 3099; BGH, Urt. v. 16.10.2007 – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  14; BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 483/12, MDR 2015, 211, 212–213 Rn.  13. 106  So (aufbauend auf BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608) BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = NJW 1994, 3097, 3099; BGH, Urt. v. 16.10.2007  – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  14; BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 483/12, MDR 2015, 211, 212 Rn.  13. 98  BGH,

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der Haftungsschuldner nicht die Normen kennen, auf denen die Leistungspflicht des Leistungsträgers beruht.107 Diese Linie hat der BGH auf den Forderungsüber­ gang nach §  81a BVG ungeachtet des Umstands übertragen, dass „das allgemeine Erfahrungswissen über das Bestehen eines Versorgungsverhältnisses für den Un­ fallschaden anders zu beurteilen sein“ möge.108 Auch zum Versorgungsanspruch aus §  1 Abs.  1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) hat das Gericht geurteilt, hier genüge die Kenntnis der Umstände, nach denen mit Leistungen gemäß dieser Vorschrift zu rechnen gewesen sei.109 In dem Sonderfall, dass sich der Anspruch auf Sozialleistungen (bei bereits beste­ hendem und dem Schuldner bekanntem Versicherungsverhältnis) erst durch eine der Schädigung nachfolgende gesetzliche Systemänderung ergab, sei Kenntnis im Sinne von §  407 BGB ab Bekanntmachung des Gesetzes zu bejahen; dies gelte je­ denfalls, wenn besondere Umstände, die einer Kenntnisnahme von dem Gesetz hätten entgegenstehen können, nicht behauptet seien.110 Schließlich werde auch ein Schädiger, der erst nach Inkrafttreten der Neuregelung ersatzpflichtig wird, durch die Unkenntnis des Gesetzes nicht geschützt.111 Dieses Ergebnis wird in der Lite­ ratur mitunter kritisiert, jedoch ohne ins Detail zu gehen.112 Im Übrigen wird die den Schuldner belastende Tendenz der Rechtsprechung offenbar verbreitet für kon­ form mit den sonst zu §  407 BGB herangezogenen Maßstäben angesehen.113 Die Kritik erblickt hingegen eine „Rechtsprechung contra legem“, die durch „Uminter­ pretation des Gesetzes“ die Schuldnerschutzvorschrift ignoriere.114 Die Instanz­ rechtsprechung folgt der strengen Linie des BGH zum Teil,115 aber nicht in jedem Fall. In einem vom OLG Celle116 beurteilten Sachverhalt lag die Besonderheit da­ rin, dass der BGH in der Zeit vor dem Schadensfall vertreten hatte, Ansprüche wie der betroffene gingen nicht auf den Sozialversicherungsträger über. Diese Recht­ sprechung war erst nach dem Schadensereignis, aber kurz vor der für §  407 BGB relevanten Schuldnerhandlung aufgegeben worden. Das OLG befand, der Schuld­ ner habe auf die frühere BGH-Rechtsprechung vertrauen dürfen, zumal sich Zu­ stimmung und Ablehnung in der Literatur die Waage gehalten hätten. Die Recht­ sprechungswende sei dem Schuldner mangels Veröffentlichung im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen. Auch eine Entscheidung des LG Bochum 107  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 609; im Anschluss daran BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = NJW 1994, 3097, 3099. 108  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608–609. 109  BGH, Urt. v. 16.10.2007 – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  15. 110  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 609. 111  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 609. 112  Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  71.1. 113  Vergleiche die Formulierungen bei Kreße, in: NK-BGB, §  407 Rn.  14; Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  71; Rohe, in: BeckOK-BGB, §  407 Rn.  16. 114  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 26; ähnlich bereits Frede, Rechtsirrtum, S.  72. 115  Etwa OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 20.5.2016 – 4 UF 323/15, BeckRS 2016, 13567 Rn.  57; LSG Bayern, Urt. v. 9.11.2017 – L 20 VG 26/15, BeckRS 2017, 133457 Rn.  73. 116  Zum Folgenden OLG Celle, Urt. v. 2.12.1976 – 5 U 26/76, VersR 1977, 549, 550.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

nahm eine ausdrückliche Abgrenzung zur Linie des BGH vor:117 Betroffen war dort der Übergang des Unterhaltsanspruchs eines Kindes auf den „Scheinvater“, der entsprechende Leistungen erbracht hatte (heute §  1607 Abs.  3 S.  2 BGB). Hier genüge Kenntnis der den Übergang begründenden Tatsachen nicht. Die abweichen­ de Behandlung des Forderungsübergangs auf den Sozialleistungsträger rechtfertige sich, weil dort der Leistungsträger der „eigentliche Forderungsinhaber“, der Über­ gang also bloß ein rechtstechnisches Mittel sei. Dagegen sei der Forderungsüber­ gang auf den Scheinvater dem Durchschnittsbürger weniger bekannt, entspreche also nicht den „Erfahrungskenntnissen weiter Bevölkerungskreise“. 2. Hinterlegungswirkung Hegt der Schuldner bewusste Zweifel hinsichtlich der Person des Anspruchsinha­ bers, kann er bestimmte Leistungsgegenstände (insbesondere Geld, siehe §  372 S.  1 BGB) gemäß §  372 S.  2 Var.  2 BGB hinterlegen, sofern die Ungewissheit nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Verzichtet er sodann auf sein Rücknahmerecht (§  376 Abs.  1, 2 Nr.  1 BGB), wirkt die Hinterlegung als Erfüllungssurrogat (§  378 BGB); andern­ falls steht ihm immerhin ein Leistungsverweigerungsrecht zu (§  379 BGB), mithilfe dessen er den Schuldnerverzug ausschließen kann.118 Anders als bei §  407 BGB ist eine Verbindung zu einer Rechtsnachfolge nicht vorausgesetzt; die Ungewissheit im Sinne von §  372 S.  2 BGB kann andere Ursachen haben.119 Sie kann nach einhel­ liger Auffassung auch die Rechtslage betreffen.120 An einer Fahrlässigkeit des Schuldners soll es nach einer etablierten Formel feh­ len, wenn eine mit verkehrsüblicher Sorgfalt vorgenommene Prüfung zu begründe­ ten Zweifeln121 über die Person des Gläubigers führt, deren Behebung auf eigene Gefahr dem Schuldner nicht zugemutet werden kann.122 Soweit es um eine recht­ liche Prüfung geht, werden verbreitet an rechtskundige Schuldner höhere Anforde­ 117 

Zum Folgenden LG Bochum, Beschl. v. 10.3.1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939. Siehe nur Fetzer, in: MüKo-BGB, §  379 Rn.  2. 119  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 22.9.1965 – VIII ZR 128/63, WM 1965, 1210, 1211 (Frage, wer Ver­ tragspartner geworden ist); Brechtel, JuS 2017, 495, 496. 120  Mot. II, 96; RG, Urt. v. 23.9.1904 – II 593/03, RGZ 59, 14, 18; RG, Urt. v. 30.11.1926 – II 606/­25, JW 1927, 523, 523; KG, Beschl. v. 5.3.2015 – 1 VA 21/14, NZI 2015, 758, 759; siehe als Bei­ spiele BGH, Urt. v. 19.11.1959 – II ZR 248/58, WM 1960, 112, 112; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; ferner Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  10 (mit zahlreichen Beispielen); Frede, Rechtsirrtum, S.  57; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  247. Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  17, sowie Brechtel, JuS 2017, 495, 496, weisen darauf hin, dass es sogar in der Regel um Rechts­ fragen geht. 121  So bereits RG, Urt. v. 23.9.1904 – II 593/03, RGZ 59, 14, 18. 122  RG, Urt. v. 30.11.1926 – II 606/25, JW 1927, 523, 523; BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.11.1959 – II ZR 248/58, WM 1960, 112, 112; BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; BGH, Urt. v. 10.12.2004 – V ZR 340/03, NJW-RR 2005, 712, 712; KG, Beschl. v. 5.3.2015 – 1 VA 21/14, NZI 2015, 758, 759; OLG Nürnberg, Urt. v. 21.12.2015  – 8 U 1255/15, NJW-RR 2016, 737, 738 Rn.  19; OLG Stuttgart, Urt. v. 11.10.2018 – 7 U 109/18, VersR 2019, 22, 23; Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  10; Preuß, in: NK-BGB, §  372 Rn.  15, 16; Schreiber, in: Soergel, §  372 Rn.  3. 118 

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rungen gestellt, beispielsweise an Rechtsanwälte.123 Ein Unternehmen, das eine Rechtsabteilung vorhalte bzw. Teil eines Dachverbands sei, müsse diese Stellen in die Prüfung einschalten.124 Vereinzelt wird angedeutet, dass auch anwaltlich bera­ tene Schuldner höhere Anforderungen träfen.125 In die Betrachtung mischt sich zumeist der Aspekt der Zumutbarkeit, welcher „als sachgerechter Abgrenzungsgesichtspunkt“126 empfunden wird. Hinsichtlich der Frage, welcher Aufwand vom Schuldner zur Beseitigung der Ungewissheit ver­ langt werden kann, hat die Rechtsprechung Leitlinien aufgestellt: Es sei zu beach­ ten, „dass von einem Schuldner, dem die Erkenntnismöglichkeit eines Gerichts nicht zur Verfügung steht, billigerweise nur begrenzte Anstrengungen zur […] Subsumtion unter das auf vielen Gebieten immer unübersichtlicher werdende ge­ schriebene und ungeschriebene Recht verlangt werden können“.127 Ohne Hinzu­ treten weiterer Umstände sei der Schuldner aber von einer näheren Prüfung nicht schon dadurch befreit, dass mehrere Forderungsprätendenten aufträten.128 Für Zurückhaltung bei der Annahme einer „Prüfungspflicht“ des Schuldners wird vor allem wegen der damit verbundenen Kosten plädiert.129 Ob der Schuldner für sei­ ne Rechtsberatungskosten später über die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag Regress beim Gläubiger nehmen kann, und ihm deshalb auch eine zu­ nächst kostenpflichtige Beratung zumutbar ist, wird unterschiedlich beurteilt.130 Mit entgegengesetzter Schlagrichtung wird gelegentlich auch auf die Belange des 123  OLG Saarbrücken, Urt. v. 6.6.2007 – 5 U 482/06-60, r+s 2007, 503, 507; Dennhardt, in: BeckOK-BGB, §  372 Rn.  19; Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12; Grüneberg, in: Palandt, §  372 Rn.  6. 124  BGH, Urt. v. 12.2.2003 – XII ZR 23/00, NJW 2003, 1809, 1810; ähnlich OLG Nürnberg, Urt. v. 21.12.2015 – 8 U 1255/15, NJW-RR 2016, 737, 738 Rn.  19; siehe ferner OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.7.2004 – 7 U 11/04, NJOZ 2004, 3001, 3002; OLG Stuttgart, Urt. v. 11.10.2018  – 7 U 109/18, VersR 2019, 22, 23 (allerdings jeweils mit dem Hinweis, die Anforderungen dürften nicht überspannt werden); für zwingende Befassung der vorhandenen Rechtsabteilung z. B. auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248; Preuß, in: NK-BGB, §  372 Rn.  16; Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68; auch BGH, Urt. v. 12.2.2003 – XII ZR 23/00, NJW 2003, 1809, 1810, unterscheidet offen­ bar „kostenpflichtigen Rechtsrat“ und die Befassung der eigenen Rechtsabteilung; ähnlich Grüneberg, in: Palandt, §  372 Rn.  6. 125  So bei ArbG Köln, Urt. v. 11.5.2011 – 2 Ca 9664/10, BeckRS 2011, 75695. 126  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 127  BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; ähnlich BGH, Urt. v. 10.12.2004 – V ZR 340/03, NJW-RR 2005, 712, 712; AG Brandenburg, Urt. v. 28.9.2018 – 31 C 183/17, BeckRS 2018, 23432 Rn.  7. 128  BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.11.­ 1959 – II ZR 248/58, WM 1960, 112, 112; BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; BGH, Urt. v. 10.12.2004 – V ZR 340/03, NJW-RR 2005, 712, 713; OLG Nürnberg, Urt. v. 21.12.2015 – 8 U 1255/15, NJW-RR 2016, 737, 738 Rn.  21; Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  10; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  17. 129 Vergleiche Ehlers, in: jurisPK-BGB, §   372 Rn.  11; Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 130  Dies für möglich haltend Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19; dagegen Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

wahren Gläubigers hingewiesen, insbesondere dessen mit der berechtigten Hinter­ legung verbundene Kostenlast (§  381 BGB).131 Zugunsten des Schuldners soll es sich nach herrschender Rechtsprechung auswir­ ken, wenn die Ungewissheit auf Umstände außerhalb des schuldnerischen Einfluss­ bereichs zurückzuführen, sprich von den übrigen Beteiligten zu verantworten ist.132 Umgekehrte Vorzeichen werden gesehen, wenn der Schuldner zur Unsicherheit selbst beigetragen hat, etwa durch unklare Formulierungen in Verträgen.133 Auch soll der Schuldner umso eher Erkundigungen einholen müssen, je schwieriger die Rechtslage erscheint.134 Allerdings ist ebenfalls entschieden worden, den Schuldner, der auf Rechtsrat verzichte, treffe ein Fahrlässigkeitsvorwurf nur dann, wenn die betroffene Rechtsfrage völlig eindeutig zu entscheiden sei.135 Wo dagegen auch die Einholung von Rechtsrat keine ausreichende Klärung gebracht hätte, dürfe sich der Schuldner gerade des hierfür geschaffenen Instituts der Hinterlegung bedienen.136

C. Analyse Die vorstehend geschilderten Auffassungen zur Beachtlichkeit von Rechtsirrtü­ mern des Schuldners widmen sich bei genauerer Betrachtung wiederum den drei Punkten, in die die Analyse schon in anderen Bereichen aufgeteilt wurde. Mitunter wird die Rechtskenntnis bzw. die rechtliche Erkennbarkeit nicht für erforderlich gehalten, um dem Schuldner Rechtsnachteile auferlegen zu können. Dies betrifft den Erkenntnisgegenstand (dazu I.). Der zentrale Streit um die strenge bzw. milde Handhabung von Rechtsirrtümern berührt vornehmlich die Frage, wie bei beste­ hender Rechtsungewissheit zu verfahren ist. Das ist auf Ebene des Erkenntnis­ grades zu besprechen (II.). Zuletzt ist relevant, ob der Schuldner zu belasten ist, wenn er eine objektiv mögliche Rechtseinsicht subjektiv nicht erlangt hat (dazu III.). Dass eine solche Aufspaltung sinnvoll ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch die BGH-Rechtsprechung zwischen der sorgfältigen Rechtsprüfung (betrifft die Vorwerfbarkeit) und der Frage, ob der Schuldner mit seinem Unterliegen rech­ nen musste (betrifft den Erkenntnisgrad), differenziert.137 131 

Dennhardt, in: BeckOK-BGB, §  372 Rn.  17; ähnlich Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19. BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502; BGHZ 145, 352 = NJW 2001, 231, 232; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; BGH, Urt. v. 10.12.­ 2004 – V ZR 340/03, NJW-RR 2005, 712, 712; AG Brandenburg, Urt. v. 28.9.2018 – 31 C 183/17, BeckRS 2018, 23432 Rn.  7; Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12. 133  Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248; Regenfus, JA 2017, 81, 86; Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68. 134  BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.9.­ 1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  17; Schreiber, in: Soergel, §  372 Rn.  3. 135  KG, Urt. v. 5.1.1957 – 16 U 1560/56, NJW 1957, 754, 756; so auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 136  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 137  Grundlegend BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 398. 132 

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I. Erkenntnisgegenstand Bei §  291 BGB zählt eine Erkenntnis bzw. Erkennbarkeit der Rechtslage auf Seiten des Schuldners nicht zum haftungsbegründenden Tatbestand (dazu 1.). Die Nach­ teile, die an ein Vertretenmüssen anknüpfen, sind hingegen nur nach einer Minder­ meinung von eventuellen Rechtsirrtümern unabhängig (2.). Die Anwendung von §  407 Abs.  1 BGB zugunsten des Schuldners soll zumindest nach traditioneller Les­ art nur Tatsachen-, nicht aber Rechtskenntnis voraussetzen (dazu 3.). 1. Sonderfall des §  291 BGB Dass der Anspruch des Gläubigers auf Rechtshängigkeitszinsen nicht durch einen entschuldbaren Rechtsirrtum des Schuldners zunichtegemacht wird, ist konse­ quent, wenn man die Entstehungsgeschichte der Norm betrachtet. Die Erste Kom­ mission hatte bei den Arbeiten am BGB eine entsprechende Regelung noch gestri­ chen, weil die Fälle, in denen wegen eines unverschuldeten Irrtums trotz Klage­ erhebung kein Verzug anzunehmen sei, nicht erheblich seien.138 Die Zweite Kommission entschloss sich gerade wegen der Möglichkeit schuldloser Rechtsirr­ tümer zur Wiederaufnahme der Vorschrift.139 An dieser gesetzgeberischen Ent­ scheidung ist nicht zu rütteln. Damit ist selbst in Fällen überraschender Rechtspre­ chungswenden der Weg versperrt, den Schuldner von der Verzinsungspflicht zu entlasten. Das mag man rechtspolitisch kritisieren und hierin eine „völlig unange­ bracht[e]“ Sanktion erblicken.140 Besser nachvollziehbar wird die Regelung indes, wenn man davon ausgeht, dass §  291 BGB nicht an den Leistungsaustausch an­ knüpft, sondern einen Risikozuschlag dafür anordnet, dass sich der Schuldner auf einen Prozess eingelassen hat, den er anschließend verloren hat.141 In den Protokol­ len zum BGB heißt es, der Schuldner handele insoweit auf eigene Gefahr.142 Näher liegt demnach eine Anlehnung an §§  91 ff. ZPO.143 Allerdings kann eine Partei, die im Prozess wegen einer solchen Judikaturwende zu verlieren droht, nach hier ver­ tretener Auffassung die Kostenbelastung unter Umständen vermeiden.144 Das wäre eigentlich auch bei §  291 BGB angebracht. De lege lata stehen aber keine geeigneten Instrumente zur Verfügung. Führt man sich vor Augen, dass eine Entlastung ledig­ 138 

Mot. II, 55. Jakobs/W. Schubert, SchR I, S.  326 („Das Institut der Verzugszinsen erweise sich in dieser Beziehung nicht als ausreichend in denjenigen Fällen, wo der Schuldner in gutem Glauben seine Verpflichtung zur Zahlung bestreite.“). 140 So Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1392; zustimmend Dornis, in: BeckOGK, §  291 BGB Rn.  3 Fn.  6; kritisch auch Canaris, in: FS Koziol, S.  45, 72; zuvor bereits Wussow, JW 1938, 427, 427. 141  BGH, Urt. v. 14.1.1987 – IVb ZR 3/86, NJW-RR 1987, 386, 386; BGH, Urt. v. 25.1.2013  – V ZR 118/11, NJW-RR 2013, 825, 827 Rn.  19; Dornis, in: BeckOGK, §  291 BGB Rn.  2; Feldmann, in: Staudinger, §  291 Rn.  1; Schulte-Nölke, in: NK-BGB, §  291 Rn.  2. 142  Mugdan, Materialien II, S.  535. 143  Dazu oben §  10 B. I. Hinsichtlich der Risikozuweisung §  291 BGB in einem Atemzug mit dem Prozesskostenrecht nennend auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168. 144  Siehe oben §  10 C. I. 2. d) bb). 139 Siehe

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

lich dann geboten ist, wenn der später Unterlegene anfänglich nahezu sicher davon ausgehen durfte, im Recht zu sein,145 ist die rechtspolitische Lücke jedoch nicht allzu groß. 2. Vertretenmüssen, insbesondere als Verzugsvoraussetzung Wo ein Vertretenmüssen des Schuldners vorausgesetzt wird, insbesondere bei der Verzugshaftung, sieht die weit überwiegende Meinung Rechtsirrtümer als poten­ ziell entlastend an. Von der vereinzelten Aussage, wonach der Rechtsirrtum grund­ sätzlich verschuldensunabhängig zur Verzugshaftung führe,146 hatte sich schon das Reichsgericht rasch wieder distanziert.147 Damit zählt die Rechtslage in der hier verwendeten Terminologie zum nachteilsbegründenden Erkenntnisgegenstand. Das gilt für die Vertreter einer strengen Linie ebenso wie für die Befürworter einer milderen Herangehensweise.148 Wo das Gesetz explizit Verschulden fordert, liegen die Dinge noch klarer: Rechtsirrtümer sind potenziell beachtlich.149 Die grundsätzliche Anerkennung einer Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern bei Tatbeständen, die auf das Vertretenmüssen abheben, ist zwingend geboten. Denje­ nigen, die jegliche verzugshindernde Wirkung von Rechtsirrtümern ablehnen möchten,150 wird vorgeworfen, sie verließen den Boden des Verschuldensprin­ zips.151 Das stimmt zumindest teilweise.152 Allerdings ließe sich darauf verwei­ sen, dass jedenfalls §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB nicht Verschulden, sondern Vertretenmüssen fordern – auf dieser Differenzierung baut der Ansatz Häubleins gerade auf.153 Die Kritik ist daher zu präzisieren: Schon der Blick auf die Gesetz­ gebungsgeschichte zu §  291 BGB hat deutlich gemacht, dass die Verfasser des BGB 145 

Oben §  10 C. I. 2. d) bb) (3). RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 28 (allerdings konkret eine Entlastung – als enge Ausnahme – bejahend). 147  RG, Urt. v. 23.6.1933 – II 34/33, RGZ 141, 266, 275–276; RG, Urt. v. 19.10.1934 – II 100/34, RGZ 146, 133, 144–145; RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234; RG, Urt. v. 12.11.­ 1937  – VII 22/37, RGZ 156, 113, 120. 148  Dazu m.N. oben B. I. 1., 2.; exemplarisch RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316; OGH BrZ, Urt. v. 27.7.1950 – I ZS 70/49, OGHZ 4, 177 = NJW 1950, 822; BAG, Urt. v. 12.11.­ 1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500, 500; BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  30; BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 398; BGH, Urt. v. 4.3.1969 – VI ZR 274/67, MDR 1969, 470, 470–471; BGH, Urt. v. 7.3.­ 1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1045–1046; BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJWRR 2007, 382, 383 Rn.  15; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  163; Grüneberg, in: Palandt, §  286 Rn.  34; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  705. 149  Daran ändert nichts, dass z. B. BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  25 (zum Verschulden im Sinne von §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB), einen strengen Maßstab wählt. 150  Siehe dazu B. I. 3. 151 So J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  142; auch Lindemann, Haftung, S.  149, 167–168 (indes im Er­ gebnis selbst gegen eine Berücksichtigung von Rechtsirrtümern). 152  Soweit sich die Kritik gegen Schwimann, ZAS 1969, 121, 128, richtet (so bei J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  142; auch Lindemann, Haftung, S.  149), dürfte sie zu weit gehen. Schwimann spricht nicht von einer vollständigen Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern, sondern weist dem Schuld­ ner lediglich das Risiko einer Normunkenntnis zu (unrichtig J. Mayer, a. a. O.). 153  Dazu B. I. 3. 146 

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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davon ausgingen, der Verzug könne durch einen entschuldigten Rechtsirrtum ge­ hindert werden.154 Insgesamt haben sich die Schöpfer des BGB eindeutig vom Satz „error iuris nocet“ distanziert.155 Zumindest ein Restbereich, in dem Rechtsirrtü­ mer exkulpieren können, muss daher verbleiben.156 Umso mehr befremdet es, wenn Autoren, die einen Verstoß gegen das Verschul­ densprinzip monieren, letztlich selbst zu einer Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtü­ mern gelangen.157 Der Verweis auf den Beraterregress158 ist kein hinreichendes Argument. Er geht beispielsweise dort fehl, wo der Berater vor einer Rechtspre­ chungswende (zutreffend!) geäußert hat, der potenzielle Schuldner habe die herr­ schende Rechtsprechung auf seiner Seite. Weniger kritisch zu sehen ist der Vor­ schlag Jakobs’.159 Dieser führt schlussendlich trotz fehlender Exkulpation zur Ent­ lastung des Schuldners bei bestimmter objektiver Beschaffenheit der Rechtslage.160 Der Umweg über die Annahme eines Leistungsverweigerungsrechts überzeugt ­allerdings in dogmatischer Hinsicht nicht.161 Zumindest ist er überflüssig. Das Merkmal des Vertretenmüssens nach §  286 Abs.  4 BGB bietet hinreichende Mög­ lichkeiten zur Entlastung.162 Das würde selbst dann gelten, wenn man sich in ter­ minologischer Hinsicht schwer damit täte, überhaupt von einem Rechtsirrtum zu sprechen, solange die höchstrichterliche Judikatur sich noch nicht gegen den Schuldner gewendet hat.163 Als gewichtiges Argument für eine Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern des Schuldners bleibt die von Häsemeyer entwickelte Idee einer Haftungssymmetrie zwischen der Durchsetzungshaftung des Gläubigers und der Verweigerungs­ haftung des Schuldners.164 Im Kern überzeugt der Gedanke. Auf ihn wird später zurückzukommen sein.165 De lege lata unterscheiden sich die beiden verglichenen Haftungsregime aber darin, dass §  286 Abs.  4 BGB – anders als §  717 Abs.  2 ZPO  – 154  Siehe oben 1.; ebenso argumentierend (auch unter Verweis darauf, dass sonst §  292 Abs.  1 BGB überflüssig wäre) U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  706–707; diesen Gegenschluss andeu­ tend auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168. 155  Siehe oben §  5 A. m.N. 156 Zutreffend U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  707. 157  So aber Lindemann, Haftung, S.  149–150; auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  88, 150, wirft der strengen Linie vor, einen Verschuldensvorwurf zu konstruieren, möchte dann aber auf jegliche Verschuldensprüfung verzichten. 158 So Lindemann, Haftung, S.  150. 159  Jakobs, Unmöglichkeit, S.  94–103 (dazu B. I. 3.). 160 Ebenso Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  163. 161  Zu Recht kritisch gegen Jakobs, Unmöglichkeit, S.  98–99 (vor einer Änderung einer einheit­ lichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gelte objektiv nur die bis dahin vertretene Ge­ richtsauffassung, sodass keine gegenteilige Verpflichtung des Schuldners bestehen könne), U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  715 (keine Gleichstellung mit Gesetzesänderung möglich). Kritik auch bei Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  98 Fn.  57. 162  Siehe abschließend unten V. 2., 3. 163  Dazu oben §  4 C.; die Ablehnung eines Irrtums führt hier nicht zur Verneinung von Ver­ schulden, siehe exemplarisch Blank, NZM 2007, 788, 788. 164  Häsemeyer, passim, insb. S.  56, 92–93; ähnlich im Ergebnis Lindemann, Haftung, S.  149– 150. 165  Unten II. 2. b) bb).

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

ein Vertretenmüssen fordert und den Vorstellungen seiner Schöpfer entsprechend Rechtsirrtümer potenziell für entlastend erachtet. Häsemeyers Modell einer voll­ ständigen Angleichung der Schuldnerhaftung sprengt die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung.166 Gegen diesen Vorwurf hat sich der Autor zwar präventiv zur Wehr gesetzt, indem er darauf verwiesen hat, auch die Rechtsprechung des Reichs­ gerichts habe sich im Rahmen der Verzugshaftung an der Maxime „error iuris nocet“ orientiert.167 Wie vorhin gesehen, handelt es sich dabei indes um Ausreißer aus der Entscheidungspraxis. Ohnehin verliehe es einer unzulässigen Rechtsfort­ bildung keine Rechtfertigung, wenn sich auch das Reichsgericht vereinzelt zu einer solchen verstiegen hätte. Mit der Argumentation Häsemeyers ließe sich die ge­ wünschte Synchronisierung überdies auch umgekehrt bewerkstelligen: indem §  717 Abs.  2 ZPO ein Verschuldenselement hinzugefügt würde. Häsemeyers Thesen wei­ sen auch im Übrigen Begründungsdefizite auf.168 So ist es unzutreffend, wenn an­ geführt wird, die Bestandskraft richterlicher Entscheidungen verbiete es, im Nach­ hinein „erneut über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit oder gar Rich­ tigkeit einer Entscheidung zu streiten“.169 Das stimmt, wenn überhaupt,170 nur in Bezug auf die Richtigkeit der Entscheidung. Nicht zu überzeugen vermag ferner die Beobachtung, in der Haftungsverschonung des Schuldners liege „nicht weniger als die Aufforderung, mit fremdschädigendem Zwang die Flucht nach vorn anzu­ treten, weil eine möglicherweise nicht haftungsrelevante Fremdschädigung der stets unabwälzbaren Selbstschädigung allemal vorzuziehen wäre“.171 Diese Diag­ nose ist vorschnell. Auch wenn Rechtsirrtümer potenziell entschuldigend wirken, ist es zumindest bei Anlegung eines strengen Haftungsmaßstabs keinesfalls ausge­ schlossen, dass aus Schuldnersicht die „Selbstschädigung“ durch einstweilige Er­ füllung gegenüber einem hohen Haftungsrisiko vorzugswürdig ist.172 Umgekehrt kann, je nach Lage des Falls, selbst bei Androhung einer verschuldensunabhängi­ gen Haftung, wie sie Häsemeyer vorschwebt, das Zurückhalten der Leistung die attraktivste Wahl darstellen.173

166 

So auch K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  152; im Ergebnis ebenso Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 10. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  103–104. 168 Siehe über das Folgende hinaus zur fragwürdigen Ausgrenzung von Begleitschäden die Kritik bei II. 3. b). 169  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  97 (siehe zudem S.  91). 170  Zu einer eventuellen abweichenden Beurteilung durch ein zweites Gericht siehe II. 5. b) bb). 171  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  94. 172  Zutreffend weist U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  710 Fn.  19, darauf hin, dass die von Häsemeyer befürchtete Gläubigerbenachteiligung „durch die […] Interpretation des Verschuldens­ erfordernisses durch die Rechtsprechung weitgehend verhindert“ werde. 173  Nämlich wenn der Schuldner das Risiko einer vorläufigen Leistung (Insolvenzrisiko usw.) höher gewichtet als das Schadensersatzrisiko. Das scheint Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  104, im Ansatz zu erkennen. Sein Haftungsmodell beseitigt die Problematik indes nicht. 167 

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3. Befreiende Leistung an Nichtgläubiger Mit Blick auf §  372 S.  2 BGB ist unbestritten, dass die vorausgesetzte Ungewissheit auch rechtlicher Natur sein kann.174 Die Wirkung von §  407 Abs.  1 BGB soll dem Schuldner dagegen nach verbreiteter Lesart schon dann versagt werden, wenn er Tatsachenkenntnis hatte; auf die korrekte rechtliche Bewertung komme es nicht an.175 Nähme man solche Stellungnahmen beim Wort, wäre die Rechtslage hier also nicht einmal Teil des Erkenntnisgegenstands. Der Normtext des §  407 Abs.  1 BGB besagt nicht, ob nur Tatsachen- oder auch Rechtskenntnis gefordert ist.176 Die frühe BGH-Rechtsprechung hat ihre Zurück­ haltung bei der Berücksichtigung von Rechtsirrtümern auch damit begründet, dass eine andere Sichtweise „den Erfordernissen des Rechtsverkehrs“177 widerspreche. Damit scheint das auch anderswo zu findende Motiv angesprochen, dass die Beru­ fung auf Rechtsirrtümer missbräuchlich erfolgen kann.178 Solchen Bedenken lässt sich allerdings ohne Weiteres auf Ebene des Erkenntnisgrades (indem man auch Zweifel schaden lässt) oder im Rahmen einer Substitution der subjektiven Kenntnis durch objektive Erkennbarkeit Rechnung tragen. Ein solches Vorgehen wäre alle­ mal behutsamer. Auffällig ist zudem, dass im Zusammenhang mit der dinglichen Surrogation im Erbrecht, bei der §  407 BGB zugunsten des Geschäftspartners ent­ sprechend anwendbar ist (§§  2019 Abs.  2 Hs.  2, 2041 S.  2, 2111 Abs.  1 S.  2 Hs.  2 BGB), schon früher vertreten wurde, Tatsachenkenntnis allein genüge nicht.179 Jedoch wurde diese vermeintliche Abweichung zur originären Anwendung von §  407 Abs.  1 BGB teils damit zu erklären versucht, angesichts der fehlenden Be­ kanntheit der erbrechtlichen Normen erlaube hier die Tatsachenkenntnis allein noch keinen Schluss auf den Forderungsübergang; bei einer Abtretung bleibe hin­ gegen bei Tatsachenkenntnis kein Raum für Rechtszweifel.180 Diese Überlegungen greifen zu kurz. Bei der Abtretung mag zwar die Möglichkeit eines Gläubiger­ wechsels deutlicher vor Augen stehen als bei der Surrogation. Doch kann gerade die Rechtswirksamkeit der Zession problematisch sein. Insoweit hilft der Verweis auf eine „Bekanntheit“ der Abtretung nicht. Im Ergebnis besteht allerdings auf der Ebene des Erkenntnisgegenstands deut­ lich weniger Streit, als es zunächst den Anschein hat. Auch diejenigen Stimmen, die im Rahmen von §  407 Abs.  1 BGB vordergründig die rechtliche Erkenntnis für ­irrelevant halten, sind im Ergebnis gewillt, die Rechtslage zum Erkenntnisgegen­ stand zu zählen. Das kommt etwa in der Feststellung zum Ausdruck, auf eine zu­ 174 

Siehe oben B. III. 2. mit Fn.  120. Siehe oben B. III. 1. mit Fn.  87. 176  Schrader, Wissen, S.  271; schon hieraus die Notwendigkeit von Rechtskenntnis ableitend dagegen Frede, Rechtsirrtum, S.  70–71. 177  BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. 178  Vergleiche oben §  7 C. I. 1. c) bb) zur Verjährung. 179 Siehe J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  246 m. w. N.; heute dafür etwa Raff, in: Staudinger, §  2019 Rn.  89; anders Löhnig, in: Staudinger, §  2041 Rn.  23. 180  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  246. 175 

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treffende rechtliche Würdigung komme es nicht an, der Schluss auf die Rechtslage müsse aber objektiv möglich sein.181 An dieser Stelle fügt sich auch die reichsge­ richtliche Rechtsprechung ein, die demjenigen Schuldner eine Entlastung versagen wollte, „welchem die erfolgte Abtretung zweifelsfrei bekannt gegeben worden ist“.182 Das schließt nicht aus, dass bei verbleibenden Zweifeln anders zu entschei­ den gewesen wäre. Auch die frühen Formulierungen des BGH183 ließen die Mög­ lichkeit offen, eine nicht vorwerfbare Verkennung der Rechtslage milder zu behan­ deln. Ferner lassen sich die verbreitet anerkannten Ausnahmen für eine unüber­ sichtliche Rechtslage184 nur dann erklären, wenn es in bestimmtem Umfang auf die objektive Erkennbarkeit der Rechtslage ankommt. Vergleichbares ist zu folgern, wenn gesagt wird, „eine genaue rechtliche Würdigung“185 sei nicht erforderlich. Inzwischen zählt die Rechtsprechung die Wirksamkeit der Abtretung sogar viel­ fach offen zum Erkenntnisgegenstand im Sinne von §  407 Abs.  1 BGB.186 Nicht anders liegen die Dinge im Ergebnis bei der Anwendung von §  407 Abs.  1 BGB im Fall des gesetzlichen Forderungsübergangs (§  412 BGB). Zwar behauptet die höchstrichterliche Rechtsprechung hier mit besonderer Vehemenz, es komme nur auf Tatsachenkenntnis an.187 Insbesondere wird kein Wissen um die Norm, welche die Legalzession anordnet, verlangt.188 Der BGH selbst zeigt sich jedoch offen, die fehlende Möglichkeit, von der (neuen) Gesetzeslage Kenntnis zu nehmen, zugunsten des Schuldners in Rechnung zu stellen.189 Anderswo wird berücksich­ tigt, dass angesichts der im maßgeblichen Zeitpunkt vorliegenden höchstrichter­ lichen Judikatur nicht von einem Forderungsübergang ausgegangen werden konn­ te.190 Noch deutlicher setzt das LG Bochum zum Scheinvaterregress eine Erkenn­ barkeit der Rechtslage voraus.191 Die gläubigerfreundliche Linie zu §§  412, 407 BGB entfaltet ihre Wirkung also erst auf Ebene des Erkenntnisgrades und der Vor­ werfbarkeit (Objektivierung der Rechtseinschätzung). 181 Symptomatisch

Klose, JR 2013, 185, 187–188. RG, Urt. v. 23.9.1921 – II 61/21, RGZ 102, 385, 387. 183  Vergleiche BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. 184  Siehe oben B. III. 1. mit Fn.  89. 185  OLG Oldenburg, Urt. v. 6.3.1986 – 1 U 164/85, NJW 1987, 655, 656 (Herv. d. Verf.). 186  Deutlich OLG Köln, Urt. v. 24.5.1984 – 5 U 254/83, Rn.  14, juris; wohl auch OLG Rostock, Urt. v. 14.6.1999 – 3 U 35/98, MDR 2000, 444, 444; so auch der BGH zur objektiven Ungewissheit über die Wirksamkeit der Abtretung, BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26; bestätigt in BGH, Urt. v. 4.12.2008 – IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn.  8. 187  Siehe bereits B. III. 1. So insb. RG, Urt. v. 26.1.1905 – VI 99/04, RGZ 60, 200, 204–205; RG, Urt. v. 9.12.1937 – VI 170/37, RGZ 156, 347, 354–355; BGH, Urt. v. 27.2.1962 – VI ZR 260/60, VersR 1962, 515, 516; BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608; BGH, Urt. v. 20.9.­1994 – VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = NJW 1994, 3097, 3099; BGH, Urt. v. 16.10.2007 – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  14; BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 483/12, MDR 2015, 211, 212–213 Rn.  13. 188  Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  71.1; Rohe, in: BeckOK-BGB, §  407 Rn.  16. 189  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 609; dazu B. III. 1. 190  OLG Celle, Urt. v. 2.12.1976 – 5 U 26/76, VersR 1977, 549, 550; auch dazu B. III. 1. 191  LG Bochum, Beschl. v. 10.3.1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939; siehe B. III. 1. 182 

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II. Erkenntnisgrad Der klassische Streit um die Bedeutung von Rechtsirrtümern für die Verzugs­ haftung betrifft die Frage, ob der Schuldner bereits in Verzug gerät, wenn er damit rechnen muss, mit seiner Rechtsauffassung nicht durchzudringen. An diesem Punkt kollidieren die strenge und die milde Linie. 1. Bestehender Konflikt zwischen strenger und milder Linie Mittlerweile wird gelegentlich betont, die Unterschiede zwischen den beiden her­ kömmlichen Meinungsgruppen hielten sich in Grenzen.192 Diese Beobachtung stimmt insoweit, als eine gewisse Konvergenz zu verzeichnen ist. Die Rechtspre­ chung der Zivilgerichte ist letztlich immer schon bereit gewesen, Ausnahmen zur strengen Linie anzuerkennen.193 Die oft als Verfechterin einer milden Linie zitierte Arbeitsgerichtsbarkeit legt hingegen vielfach strikte Maßstäbe an.194 Letzten Endes verbleibt als Konfliktpunkt die Frage, welches Maß an Vertretbarkeit bzw. Erfolgs­ aussichten man dem Rechtsstandpunkt des Schuldners abverlangt, um den Verzug auszuschließen. Zumindest an dieser Stelle erscheint die strenge Linie, die vor­ nehmlich bei unerwarteten Rechtsprechungsänderungen Entlastung gewährt, un­ vereinbar mit milderen Ansätzen. In der Praxis wird der an diesem Punkt angeleg­ te Maßstab oft über „Wohl und Wehe“ entscheiden. Wie weit die Grundpositionen auseinanderliegen, zeigt sich besonders deutlich an dem – vom BGH zurückgewiesenen195 – Vorschlag, die Maßstäbe für Schuld­ nerhaftung und Putativgläubigerhaftung anzugleichen. So wird in jüngerer Ver­ gangenheit argumentiert, es mache keinen Unterschied, ob ein Vertragspartner zu Unrecht die Erfüllung verweigere oder unberechtigterweise eine zunächst erbrach­ te Leistung vom Gegenüber zurückverlange.196 Eine Überschneidung mit der klas­ sischen Argumentation der milden Linie ergibt sich zumindest insoweit, wie dort darauf verwiesen wird, es sei nicht schuldhaft, den Streit um eine zweifelhafte Rechtsfrage auszutragen.197 Zwar besteht ein Anliegen derjenigen Stimmen, die für eine Haftungssynchronisierung plädieren, darin, eine allzu weitgehende Privi­ legierung des Putativgläubigers zu vermeiden.198 Der Haftungsgleichklang hätte gleichwohl zur Folge, dass Rechtsirrtümer des Schuldners nach Maßstäben behan­ delt würden, die im Vergleich zur Verzugsrechtsprechung des BGH deutlich milder 192 So

Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  281. Zur Entwicklung m.N. oben B. I. 1. 194  Dazu m.N. oben B. I. 2. 195  Siehe bereits oben B. I. 1. m.N., insb. BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  33–34; BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417, 2418 Rn.  24, 26. Recht deutlich auch bereits die in diesem Zusammenhang seltener beachtete Entscheidung BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  14. 196 Insb. Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547; Thole, AcP 209 (2009), 498, 523, 539; vergleiche bereits oben B. I. 1. mit Fn.  28. 197  So v. a. Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168. 198  Siehe v. a. Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547. 193 

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ausfallen.199 Ginge man auf Seiten des Putativgläubigers von der neueren BGH-­ Rechtsprechung aus, die dem Anspruchsteller grundsätzlich nur eine Plausibilitäts­ kontrolle abverlangt,200 ergäbe sich aus einem Maßstabstransfer gar eine noch wei­ ter gehende Haftungsfreistellung des Schuldners. Der vorliegend bevorzugte Haf­ tungsmaßstab für irrende Putativgläubiger ließe sich hervorragend mit der milden Linie zur Schuldnerhaftung vereinbaren, die bloß fordert, dass bei bestehender Rechtsungewissheit ein vertretbarer Standpunkt einzunehmen sei.201 Der Streit zwischen strenger und milder Ansicht kann folglich nicht als obsolet betrachtet werden. Zu Recht wird bemängelt, durch das Abstellen auf die jeweili­ gen Einzelfallumstände habe sich im Lauf der Zeit „eine unüberschaubare und teil­ weise recht willkürliche Kasuistik entwickelt“.202 Auch die vermittelnden Ansätze in der neueren Literatur bleiben vage.203 2. Vorzugswürdigkeit der strengen Linie bezüglich Leistungsverweigerung – Haftung auch bei Rechtsungewissheit Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass eine Haftung desjenigen Schuldners, der trotz rechtlicher Ungewissheit seine Leistung verweigert, den Vorzug gegenüber einer großzügigen Entlastung verdient. Allerdings verfangen zahlreiche der bislang vertretenen Begründungsansätze nicht (dazu a)). Stattdessen ist das wesentliche Ar­ gument stärker als bislang herauszuarbeiten und zu konkretisieren (dazu b)). Die Kompatibilität mit den in den übrigen Quadranten erzielten Untersuchungsergeb­ nissen ist zu untersuchen (dazu c)), die verbreiteten Einwände gegen eine strenge Haftung sind zu widerlegen (d)). a) Fehlende Überzeugungskraft herrschender Begründungsansätze Es fehlt nicht an Argumenten für die These, die unberechtigte Leistungsverweige­ rung sei haftungsrechtlich strenger zu behandeln als die unberechtigte Anspruchs­ geltendmachung. Viele dieser Argumente erweisen sich jedoch als haltlos. aa) Geltungsanspruch des Rechts und verwandte Argumentationsfiguren Die Begründung einer strengen Behandlung des zweifelnden Schuldners be­ schränkt sich oftmals auf die Bemerkung, der Geltungsanspruch des Rechts for­ dere, dass der Verpflichtete das Rechtsirrtumsrisiko trage.204 Verwandt ist die 199 Siehe

Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547–548; Thole, AcP 209 (2009), 498, 521, 534, 539. Dazu §  9, insb. B. I. 2.–3., C. III. 1. 201  Näher §  9 C. III. 3. 202 So Lindemann, Haftung, S.  149. 203  Siehe schon die entsprechende Kritik bei §  9 C. I. 2. b). 204  Darauf rekurrierend BAG, Urt. v. 25.10.1994 – 3 AZR 987/93, BeckRS 1994 30367681 (unter B. 2.); BAG, Urt. v. 16.9.2008 – 9 AZR 781/07, BAGE 127, 353 = NZA 2008, 1285, 1289 Rn.  47; BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  31; BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  43; BAG, Urt. v. 17.11.­ 2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  37; BAG, Urt. v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 200 

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Furcht vor einer „Normerosion“205 bzw. die Sorge um die Funktionsfähigkeit des Schuldrechts.206 Selbst Befürworter einer milderen Linie bringen Verständnis da­ für auf.207 Es ist jedoch schon allgemein festgestellt worden, dass der Verweis auf den „Gel­ tungsanspruch des Rechts“ im Rahmen der Rechtsirrtumsdiskussion problembe­ haftet ist.208 Im Mindesten ist die Argumentationsfigur ambivalent. Wer den Gel­ tungsanspruch des Rechts sichern will, muss hinreichende Möglichkeiten einräu­ men, streitige Rechtsfragen klären zu lassen.209 Schon Rittner hat selbst gehegte Bedenken mit dem Hinweis entkräftet, eine Haftungsfreiheit im Fall des Rechts­ zweifels komme nicht nur dem faulen Schuldner zugute, sondern diene auch der Klärung rechtlicher Zweifelsfragen.210 Mit dem Verweis auf den „Geltungsan­ spruch des Rechts“ lässt sich überdies nicht die Schlechterstellung des irrenden Schuldners gegenüber dem Putativgläubiger erklären; auch Letzterer handelt schließlich in unberechtigter Weise.211 Die Sorge um den „Geltungsanspruch des Rechts“ dürfte oftmals eher eine Furcht vor der missbräuchlichen Berufung auf vorgebliche Rechtsirrtümer sein: Der Schuldner könnte Rechtsunsicherheit vorschützen, um eine fällige Leistung möglichst lange ohne Haftungsrisiko verweigern zu können.212 Zuzugeben ist, dass sich insoweit ein größeres Missbrauchspotenzial als bei der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung ergeben könnte. Es scheint auf den ersten Blick weni­ ger wahrscheinlich, dass jemand eine mit Aufwendungen verbundene missbräuch­ liche Aktivität – in Form der Anspruchsgeltendmachung – entfaltet, als dass er – als Schuldner – in Passivität verharrt.213 Man sollte die Diskrepanzen jedoch nicht überbetonen. Der Aufwand für eine erste außergerichtliche Inanspruchnahme wird sich oft in Grenzen halten. Wirklich kostenträchtig wird die Anspruchsver­ folgung dann erst mit dem Übergang zur Klage. Ab diesem Zeitpunkt besteht aller­

161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  51; BAG, Beschl. v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, NZA 2020, 526, 530 Rn.  45; BGH, Urt. v. 26.1.1983 – IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Urt. v. 6.12.­ 1999  – II ZR 169/98, NJW-RR 2000, 758, 759; BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272 Rn.  19; BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  24; BGH, Urt. v. 23.2.­2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83; zustimmend etwa Derkum, Folgen, S.  220–221, 240. 205  Streyl, WuM 2013, 454, 457 (wenngleich im Ergebnis zum Teil doch eine Entlastung anneh­ mend); ähnliche Formulierung bei Harke, NZM 2016, 449, 452. 206  Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 413. 207 So Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150, 153. 208  Siehe oben §  5 B. I. 209  Gerade im Kontext der Schuldnerhaftung darauf verweisend Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47. 210  Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416 (siehe zudem S.  415 Fn.  123). 211 Vergleiche Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 932. 212 Siehe J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  135; in diese Richtung auch der Hinweis von LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678 Rn.  43, auf die drohende Funktion des Rechtsirrtums als „Wunderwaffe“ (unter Verwendung der Formulierung von Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357). 213  In diese Richtung auch Breyer, Steuerung, S.  230–231.

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dings auch für den „passiven“ Schuldner ein erhebliches Kostenrisiko.214 Die Ge­ fahr eines Missbrauchs stellt sich zumindest aus einem anderen Grund als gering dar. Zu verhindern wäre die vorgeschobene Berufung des Schuldners darauf, er sei trotz objektiv praktisch sicherer Berechtigung des Gläubigers von einer zweifel­ haften Rechtslage ausgegangen. Dies ist aber schon über andere Instrumente hin­ reichend gewährleistet. Erstens müsste der Schuldner sein subjektives Meinungs­ bild im Bestreitensfall selbst beweisen (§§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB).215 Und zweitens kann das subjektive Fehlen der rechtlichen Einsicht, selbst wenn es sich im Einzelfall beweisen lässt, durch den Vorwurf der objektiven Erkennbarkeit ersetzt werden.216 Selbst die Vorlage entlastender anwaltlicher Gutachten 217 hilft dem Schuldner in diesem Fall nicht, wenn man das Anwaltsverschulden zurechnet.218 Der Verweis auf ein vermeintliches Missbrauchspotenzial bei Wahl der milden Li­ nie hat demnach kaum Gewicht. Die resultierenden Entlastungsmöglichkeiten wä­ ren eine zu billigende Konsequenz der Argumente, die der ursprünglichen Wahl des milden Maßstabs zugrunde lägen. Bei eben diesen müsste überzeugende Kritik an der milden Linie ansetzen. bb) Ausreichen einfacher statt grober Fahrlässigkeit Im Anschluss an die vorstehenden Bemerkungen lässt sich auch der allgemein vor­ gebrachte Hinweis rasch abhandeln, wonach die großzügige Entlastung des Schuld­ ners faktisch den Fahrlässigkeitsmaßstab modifiziere: Es sei dann erst grobe Fahr­ lässigkeit haftungsbegründend.219 Sofern sich hinreichende Sachgründe für eine weitgehende Verschonung des zweifelnden Schuldners ausmachen ließen, dürfte eine solche Konzeption auch beim Festhalten am Maßstab einfacher Fahrlässigkeit darstellbar sein. So fungiert die für die Anspruchsgeltendmachung geforderte „Plausibilitätskontrolle“220 als Präzisierung einfacher Fahrlässigkeit. Auch dass es auf Basis der milden Linie zu einer weitgehenden Entlastung käme, weil viele Rechtsfragen höchstrichterlich ungeklärt seien, 221 wäre als sachgerecht hinzuneh­ men, sofern an dieser Stelle die gleichen Motive wie bei der Privilegierung von Putativgläubigern zu beachten wären.

214 

Dazu unten §  12. Auch Vertreter der milden Ansicht stützen ihre Auffassung mitunter darauf, dass durch die bestehende Beweislastverteilung bereits erhebliche Hürden für den Irrenden errichtet seien; in diese Richtung Thole, AcP 209 (2009), 498, 539 (siehe dazu aber noch d) ee)). 216  Näher dazu unter III.; vergleiche auch die Argumentation von Engert, in: GS Unberath, S.  91, 108. 217 Dazu G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  59. 218  Dazu unten III. 2. b); siehe auch hier wiederum die Argumentation von Engert, in: GS Un­ berath, S.  107. 219 So Engert, in: GS Unberath, S.  91, 108–109; vergleiche auch G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  59. 220  Dazu §  9 B. I. 3. m.N. in Fn.  141 ff. 221  Engert, in: GS Unberath, S.  91, 109. 215 

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cc) Risikozuweisung zum Schuldner Großer Beliebtheit erfreut sich in der Rechtsprechung die Wendung, der Schuldner dürfte im Fall rechtlicher Zweifel nicht dem Gläubiger das Risiko zuschieben.222 Im Wesentlichen gleichbedeutend dürfte der im Schrifttum zu findende Hinweis sein, der Schuldner müsse auf eigenes Risiko über die Berechtigung streiten.223 Derlei Formulierungen sind apodiktisch, sofern sie nicht mit anderen Argumenten unter­ legt werden. Zutreffend ist daran nur die Feststellung, dass es um eine Frage der Risikozuweisung geht, dass also die Interessen des Schuldners nur auf Kosten der Gläubigerbelange gewahrt werden können.224 Eine Antwort auf diese Frage wird hingegen nicht gegeben. Zu Recht wird deshalb moniert, die Risikoverteilung sei „kein Argument in der Diskussion um den Rechtsirrtum, sondern Ergebnis der Verschuldensprüfung“.225 Um eine solche Risikozuweisung begründen zu können, muss man demnach anderweitig nach Wertungen suchen.226 dd) Automatische Gewährung rechtlichen Gehörs für Schuldner Nicht zu überzeugen vermag der Hinweis, nur dem potenziellen Gläubiger werde durch eine Haftungsandrohung der Zugang zur Justiz erschwert, wohingegen der Schuldner ohnehin rechtliches Gehör erhalte.227 Diese Ausführungen setzen er­ sichtlich voraus, dass ein Verfahren eingeleitet wurde. Sie ignorieren, dass sich der vermeintliche Schuldner angesichts der Haftungsgefahr genötigt fühlen kann, dem Begehren des Anspruchstellers schon vorprozessual nachzugeben. Rechtliches Ge­ hör erhält er in diesem Fall nicht. Seine Position gleicht vielmehr derjenigen des Gläubigers, der, durch die Haftungsgefahr abgeschreckt, auf eine Geltendmachung verzichtet. ee) Wertung des §  291 BGB Ebenfalls keine abschließende Rechtfertigung für eine strengere Behandlung des Schuldners liefert der Verweis auf die Vorschrift des §  291 BGB. Aus dieser, so wird 222  So z. B. BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; BGH, Urt. v. 27.9.­ 1989  – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161; BGH, Urt. v. 10.10.1989 – KZR 22/88, NJW 1990, 1531, 1533; BGH, Urt. v. 6.12.1999 – II ZR 169/98, NJW-RR 2000, 758, 759; BGH, Urt. v. 24.9.­ 2013  – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735 Rn.  19 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  24; BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  36. 223  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  724; dem folgend Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  174; ähnlich Derkum, Folgen, S.  222, 240; Engert, in: GS Unberath, S.  91, 110; Zedler, Rechts­ risiko, S.  289. 224  Insoweit zutreffend BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1904–1905. 225  Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  290, unter Verweis auf J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  53, der zum Begriff des Handelns auf eigene Gefahr anmerkt, dieser sei „nur das Ergebnis einer Begrün­ dung, kann diese aber nicht ersetzen“; ähnliche Kritik bei Ackermann, in: FS Köhler, S.  1, 6; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168; Frede, Rechtsirrtum, S.  31. 226  Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  142. 227 So Eichel, ZfPW 2016, 52, 64.

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argumentiert, ergebe sich, dass ein Schuldner, der es auf eine gerichtliche Entschei­ dung ankommen lasse, auf eigene Gefahr handele.228 Diese erst ab Rechtshängig­ keit wirkende verschuldensunabhängige Risikozuweisung zum Schuldner erlaubt keinen Schluss auf eine parallele Handhabung beim allgemeinen Verzugstatbe­ stand, der auf ein Vertretenmüssen abhebt (§  286 Abs.  4 BGB) und nicht ausschließ­ lich an die Rechtshängigkeit anknüpft. Mitunter wird sogar – umgekehrt – aus §  291 BGB ein Gegenschluss hergeleitet, wonach der Schuldner das dort geregelte Risiko im Rahmen von §§  280, 286 BGB nicht tragen müsse.229 Bezeichnenderweise wird auf §  291 BGB auch von solchen Vertretern verwiesen, die damit lediglich die Idee eines haftungsfreien Streitverhaltens insgesamt entkräften möchten, in diesem Rahmen sodann aber die Gleichbehandlung von Gläubiger und Schuldner for­ dern.230 Die grundverschiedenen Bezugnahmen auf §  291 BGB zeigen, dass die Vorschrift, anders als zur grundsätzlichen Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern,231 keine Schlussfolgerungen zum Umfang dieser Beachtlichkeit erlaubt. ff) Gesichtspunkt der Gewinnabschöpfung Verwerfen lässt sich zuletzt noch ein Argument, das die jüngere Literatur unter Rückgriff auf einen Beitrag aus der Frühphase des BGB entwickelt hat: Der irrende Schuldner enthalte dem Gläubiger dessen Recht vor und könne währenddessen Ge­ winn aus dieser Position ziehen; die Gewährung eines Verzugsschadensersatzan­ spruchs trotz Rechtsirrtums rechtfertige sich auch dadurch, dass damit der Gewinn des Schuldners abgeschöpft werde.232 In ähnlicher Weise wird eine strenge Haftung des wegen einer Schutzrechtsverletzung Verwarnten bejaht, weil dieser ansonsten die unsichere Lage zur Fortsetzung des Gebrauchs und somit zum gewerblichen Gewinn nutzen könne.233 Schon in den allgemeinen Erwägungen zum Rechtsirr­ tum wurde indes eine normative Differenzierung nach verlustvermeidender und gewinnerhaltender Funktion des Rechtsirrtums abgelehnt.234 Dort war darauf hin­ gewiesen worden, dass eine saubere Trennung vielfach nicht möglich sei. Dies zeigt sich auch an dieser Stelle. Zwar mag der Verzugsschadensersatz mitunter nur den Vorteil entziehen, den der Schuldner aus der Leistungsverspätung erzielt hat (zum Beispiel durch gewinnbringende Anlage eines geschuldeten Geldbetrags).235 Es sind indes auch Verzugsschäden denkbar, deren Kompensation über eine Gewinn­ abschöpfung weit hinausginge – man denke etwa an die Zuspätlieferung einer Ma­ schine, die im Unternehmen des Bestellers zu einem Nutzungsausfall führt, der 228  Eichel, ZfPW 2016, 52, 65; ähnlich J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  154 (trotz der späteren Ent­ scheidung für eine mildere Linie); zum Hintergrund von §  291 BGB siehe schon oben I. 1. 229  In diese Richtung Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168. 230  So insb. Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547; auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 519. 231  Dazu oben I. 2. 232  So – unter Rekurs auf entsprechende Gedanken bei Hölder, Recht 1911, 673, 680 – J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  141; dem folgend Lindemann, Haftung, S.  149. 233  Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  325 (ohne Rechtsirrtümern jede Relevanz abzusprechen). 234  Siehe oben §  5 C. II. 235 So J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  141.

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keine entsprechende Nutzung des Verkäufers während des Verzugszeitraums ge­ genübersteht. In solchen Fällen ließe sich die Haftungsbelastung des Schuldners gerade nicht darauf stützen, er habe infolge der Leistungsverweigerung einen Ge­ winn erzielt. b) Vorläufige Zuordnung der streitbefangenen Rechtsposition als entscheidender Gesichtspunkt Der an sich nicht überzeugende Hinweis auf die Gewinnerzielungsmöglichkeiten des Schuldners deutet aber immerhin an, worin der eigentlich relevante Unter­ schied zwischen dem unberechtigten Leistungsverlangen und der unberechtigten Leistungsverweigerung liegt: Der Schuldner verfügt einstweilen über die streit­ befangene Rechtsposition.236 Er kann seinen Rechtsstandpunkt daher aus einer deutlich komfortableren 237 Stellung heraus vertreten als der Gläubiger, der sein Be­ gehren als Petent vorbringen muss. aa) Aus fehlendem Zugriff erwachsende Risiken des Gläubigers Diese vorläufige Güterverteilung kann zum einen zu (Nutzungs-)Vorteilen des Schuldners führen – darauf zielt der Verweis auf den „Gewinn“ ab. Zum anderen können infolge der vorläufigen Zuordnung auch Nachteile eintreten, für die der Gläubiger im Erfolgsfall keinen Ersatz erlangen kann. Insbesondere trägt er das Risiko einer Insolvenz des Gegenübers: Selbst wenn es dem Gläubiger gelingt, seine Berechtigung feststellen zu lassen, mag der Schuldner nicht mehr zur Leistung im­ stande ist.238 Solche Gefahren meidet derjenige, der im Streit den Zugriff auf die begehrte Rechtsposition behält, etwa den Besitz einer streitbefangenen Sache. Die­ se Erkenntnis entkräftet die gegen eine strenge Schuldnerhaftung gerichtete Kritik, die fragt, warum der Gläubiger dem Schuldner das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage „in weit größerem Maße zuschieben darf“.239 Tatsächlich schiebt der potenzielle Gläubiger das Risiko nicht weiter gehend dem Schuldner zu. Die Haf­ tungsprivilegierung der Anspruchsgeltendmachung kompensiert ihn lediglich für den Umstand, dass er durch den fehlenden Zugriff auf die umstrittene Position von vornherein größere Risiken trägt.240 236 

Diesen treffenden Begriff nutzt auch Häsemeyer, Schadenshaftung, z. B. S.  95. Wenn Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 842, befindet, die Lage sei (wegen §  286 BGB) für den Gläubiger „komfortabel“, ist dies erst das Resultat einer angeordneten Ersatzhaftung. Vergleiche zur hier beschriebenen Verteilung auch in etwas anderem Zusammenhang Becker-Eberhard, Kos­ tenerstattung, S.  81, und Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 76 (zur Frage der Auskunftsobliegenheiten). 238  Siehe etwa zur gefährdeten Position des Vermieters bei Zahlungssäumnis, BGH, Urt. v. 25.10.­2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28; Hinz, NJW 2013, 337, 339; vergleiche zum Verzug der Bank mit der Gewährung eines Darlehens Weber, DStR 2014, 213, 215. 239 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 932. 240  Die vorgebrachte Kritik erstaunt umso mehr, als Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 934– 935, selbst registrieren, dass sich der Schuldner durch das Einnehmen der ihm günstigen Rechts­ position Zinsvorteile (usw.) verschaffen kann. 237 

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Ein im Grundsatz zutreffendes Verständnis der Zusammenhänge liegt der Beob­ achtung zugrunde, wonach die unberechtigte Anspruchsgeltendmachung als bloße Behauptung im Gegensatz zur unberechtigten Leistungsverweigerung nicht die obligatorische Güterzuordnung tangiere.241 Der sich irrtümlich weigernde Schuld­ ner greift anders als der irrende Putativgläubiger unmittelbar in das Vermögen sei­ nes Gegenübers ein.242 In die gleiche Richtung zielt der Hinweis, der Gläubiger könne sich, „um seine Position zu wahren, […] nicht damit begnügen, das Begehren des Kontrahenten einfach abzulehnen“, sondern sei in die Offensive gezwungen.243 Eine Ausprägung der ungleichen Ausgangsposition von Gläubiger und Schuldner zeigt sich ebenso, wenn konstatiert wird, eine monatelange Entlastung des rechts­ irrig die Leistung verweigernden Mieters könne sich unter Umständen auf den Ver­ mieter ruinös auswirken.244 bb) Vollstreckung durch Putativgläubiger als Vergleichsfall – maßgebliche Wertung aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO In eine vergleichbar „luxuriöse“ Position wie der die Leistung zu Unrecht verwei­ gernde Schuldner gelangt ein Putativgläubiger erst durch die Vollstreckung bzw. einstweilige Sicherung. Wer etwa ein vorläufig vollstreckbares Urteil zu seinen Gunsten erstreitet und auf dieser Grundlage vollstreckt, verschafft sich den Zugriff auf die streitbefangene Rechtsposition und entledigt sich (vorbehaltlich der Rück­ schlagsperre des §  88 InsO bzw. einer Insolvenzanfechtung) des Insolvenzrisikos. Der unwillige Schuldner steht hinsichtlich der Risikoverteilung also nicht demjeni­ gen gleich, der einen nicht bestehenden Anspruch bloß geltend macht, sondern demjenigen, der sein vermeintliches Recht bereits vorläufig verwirklicht.245 Für die Vollstreckung gewährt die Rechtsordnung dem vermeintlichen Gläubiger indes keinen Haftungsfreiraum. Im Gegenteil sehen §§  717 Abs.  2, 945 ZPO gar eine Haf­ tung vor, die unabhängig von der Erkennbarkeit der Rechtslage ist.246 Daran – nicht an den Privilegien für die bloße Geltendmachung – muss sich die Schuldnerhaftung folglich orientieren. 241 So Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 813; zustimmend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 167–168 (der a. a. O., 168, 171, gleichwohl das Ungleichgewicht zwischen Schuldner und Gläubiger be­ klagt). 242 So Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47, zum Rechtsirrtum des Mieters. 243  Harke, NZM 2016, 449, 453 (der die strenge Schuldnerhaftung für „nicht unbedingt wün­ schenswert“, aber „zumindest vertretbar“ hält); vergleiche auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  5. So ist wohl auch die Formulierung bei Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47, gedacht. Auch Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 539–540, erkennt dieses Argument an, meint aber, es entkräften zu können (a. a. O., 540–541); ähnlich Thole, AcP 209 (2009), 498, 539, der auf das erhöhte Schädigungspoten­ zial der Leistungsverweigerung hinweist, dies aber nur im Rahmen der Sorgfaltsanforderungen berücksichtigen möchte. 244  Lorenz, WuM 2013, 202, 208. 245  Siehe dazu die sogleich eingehend dargestellte Auffassung Häsemeyers; ebenso Lindemann, Haftung, S.  164. 246  Oben §  9 C. II. 2.

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Ein Schlaglicht auf diese weitgehend vernachlässigten Zusammenhänge hat ­Häsemeyer geworfen. Zwar gehen dessen Schlussfolgerungen auf Basis des gelten­ den Rechts teils zu weit.247 Den Grundgedanken lässt sich allerdings über weite Strecken folgen. Treffend hat Häsemeyer die Vergleichbarkeit zwischen der irrtüm­ lichen Vollstreckung durch den vermeintlichen Gläubiger und der irrtümlichen Verweigerung durch den Schuldner herausgearbeitet: In beiden Fällen „steht je­ weils das umstrittene subjektive Recht dem wahren Berechtigten nicht zur Nut­ zung, Disposition [usw.] zur Verfügung“.248 Der die Leistung verweigernde Schuld­ ner übe gleichermaßen Zwang, nur sei der vom Vollstreckungsgläubiger ausgehende Zwang einfacher wahrzunehmen.249 Man dürfe es dem Schuldner daher nicht er­ lauben, „ruhig und ungefährdet“ zuzusehen, „wie sich der Gläubiger um die Fest­ stellung und Durchsetzung seines Rechtes bemüht“.250 Unter Heranziehung der in §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zutage tretenden Wertung ergeben sich erhebliche Beden­ ken dagegen, dem Schuldner bei objektiv zweifelhafter Rechtslage die haftungsfreie Verweigerung zu erlauben.251 Es wird gar nachvollziehbar, warum für die Ver­ zugshaftung bei rechtsirrtümlicher Annahme der Nichtschuld vereinzelt auf §  231 BGB verwiesen wurde.252 So „weit hergeholt[]“, wie mitunter behauptet wird,253 ist der Gedankengang nicht, bedenkt man, dass §  231 BGB auffällige Parallelen zu §  717 Abs.  2 ZPO aufweist.254 Aus der Zusammenschau mit der im zweiten Quad­ ranten behandelten Putativgläubigerhaftung, die nach Anspruchsgeltendmachung und Vollstreckung differenziert, lässt sich demnach folgender Grundsatz ableiten: Derjenige, der bei rechtlicher Ungewissheit den Streit führt, ohne die umstrittene Position vorerst dem Gegner zu überlassen, haftet für dieses Vorgehen, wenn sich letztlich herausstellt, dass er nicht im Recht war. Die Konsequenzen lassen sich anhand einer amtsgerichtlichen Entscheidung veranschaulichen:255 Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Vermieter unberechtigterweise Ansprüche geltend gemacht. Der Mieter nahm dies zum Anlass, mit einer ihm daraus vermeintlich erwachsenen Schadensersatzforderung gegen die (berechtigte) Mietforderung des Vermieters aufzurechnen. Zu Recht lehnte das Gericht einen Schadensersatz­ anspruch des Mieters ab, weil der Vermieter einer vertretbaren Mindermeinung gefolgt war – hier zeigt sich die gebotene Privilegierung der reinen Geltendma­ 247 

Siehe oben I. 2. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  7. 249  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  32, 50. 250  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  124. 251  Allgemein zur Fahrlässigkeit auf Häsemeyer rekurrierend Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74; im Verzugskontext die Kommentierung Grundmanns aufnehmend Haertlein, Exe­ kutionsintervention, S.  408. 252  So der Ansatz von Canaris, NJW 1982, 305, 311, zum Verzug des Leasingnehmers. 253  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  700 Fn.  15. 254  Siehe oben C. III. 4. b) bb). Zuzugeben ist der Kritik jedoch, dass es des Rückgriffs auf eine Analogie zu §  231 BGB nicht bedarf, wenn man nur die Anforderungen an das Vertretenmüssen bei §  286 Abs.  4 BGB zutreffend formuliert. 255  AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.1.2008 – 5 C 287/07, Rn.  4, 6, juris. 248 

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chung.256 Zugleich wurde – konsequenterweise – ein Verzug des Mieters bejaht. Dieser hatte schließlich den Streit um die Aufrechnungswirkung aus der komfor­ tablen Schuldnerposition heraus geführt. Die vorgeschlagene Gleichbehandlung von vollstreckendem Gläubiger und leis­ tungsunwilligem Schuldner erscheint allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn der durch Vollstreckung erlangte und der durch Verweigerung behaltene Zugriff qua­ litativ vergleichbar sind. Man könnte anführen, es sei wahrscheinlicher, dass eine in Anspruch genommene Person, die die Leistung verweigert, damit im Recht ist als ein Anspruchsteller, der eine ihm derzeit nicht zugeordnete Position einfordert.257 Auf die Summe aller Rechtspositionen und Rechtsgüter wird die jeweils aktuelle faktische Zuordnung in der großen Mehrzahl der Fälle der materiellen Rechtslage entsprechen: An den meisten Gegenständen, die eine Person im Besitz hat, wird ein entsprechendes Recht zum Besitz bestehen usw. Man könnte daraus den Schluss ziehen, der als Schuldner in Anspruch Genommene müsse nicht mit einer gleicher­ maßen scharfen Haftung wie der Vollstreckungsgläubiger bedroht werden. Dabei bliebe jedoch außer Acht, unter welchen Voraussetzungen §  717 Abs.  2 ZPO die strenge Haftung des vollstreckenden Gläubigers statuiert. Betroffen sind Situatio­ nen, in denen bereits ein Gericht zugunsten des Gläubigers entschieden hat. Unter diesen Umständen dürfte eine wie auch immer geartete Vermutung, die Rechtszu­ ordnung zum Anspruchsgegner sei richtig, so stark entkräftet sein, dass, wenn überhaupt, mehr für eine Privilegierung des Gläubigers spräche.258 §  717 Abs.  2 ZPO ordnet gleichwohl eine strikte Haftung an. Ein weiterer Einwand gegen die Heranziehung der Wertung aus §  717 Abs.  2 ZPO könnte auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm verweisen. Die Haf­ tung des Vollstreckungsgläubigers knüpft formal an die Aufhebung bzw. Abände­ rung des vollstreckten Urteils an. Bei der Verweigerung durch den Schuldner fehlt es regelmäßig an einem Pendant – er hat Zugriff auf die streitbefangene Position schließlich auch ohne ein erstinstanzliches Obsiegen. Dieser Umstand könnte des­ halb beachtlich sein, weil nicht zuletzt der BGH anführt, die in §  717 Abs.  2 ZPO enthaltene Risikozuweisung an den Gläubiger sei als „Instrument innerprozessua­ ler Waffengleichheit“ anzusehen und von der materiellen Rechtslage gelöst.259 Al­ lerdings wird eine gedankliche Aufspaltung des Anspruchs aus §  717 Abs.  2 ZPO 256 

Siehe dazu schon §  9 C. III. 3. b) aa) mit Fn.  329. diese Richtung deutet es zunächst, wenn Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  123–124, die Zuweisung der „Feststellungslast“ zum jeweiligen Gläubiger damit rechtfertigt, „bei widerstreiten­ den gleichwertigen Interessen“ sei „im Zweifel […] zugunsten des Besitzstandes zu entscheiden“ (a. a. O., S.  123), und anmerkt, es sei dem Rechtsfrieden eher dienlich, die Last der „Streitinitiative jener Partei zuzumuten, die eine Veränderung der bestehenden Rechtslage verlangt“ (a. a. O., S.  124). Häsemeyer begründet damit jedoch nur die anfängliche Lastenverteilung. Die scharfe Haftung des die Leistung verweigernden Schuldners zieht er gerade nicht in Zweifel. 258  Vergleiche später (§  19 C. I.) noch die rechtspolitische Kritik daran, dass §  717 Abs.  2 ZPO die „Rechtmäßigkeitsvermutung“ (Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  5) der vollstreckten Entscheidung missachtet. 259  BGH, Urt. v. 3.7.1997 – IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601, 2603; BGH, Urt. v. 7.7.2016 – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.  52 (Herv. d. Verf.). 257  In

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vorgenommen: Dieser sei prozessual zu erklären, soweit es um die Erstattung des erlangten Gegenstands gehe, betreffend den Ersatz weiterer Schäden sei hingegen einer materiell-rechtlichen Sicht zu folgen.260 Folgte man dieser Differenzie­ rung,261 wäre die Aussage zum Ersatz weiterer Schäden als Vorbild für die entspre­ chende Ersatzhaftung des Schuldners heranzuziehen. An anderen Stellen formu­ liert der BGH ohnehin, der Gläubiger trage das Risiko, dass sich sein Eingriff als „unbegründet“ erweise.262 Mitunter wird gar explizit der „Widerspruch zur mate­ riellen Rechtslage“ als Haftungsgrund betont.263 Nicht zuletzt lassen die Geset­ zesmaterialien zum heutigen §  717 Abs.  2 ZPO deutlich erkennen, dass die Kom­ mission vornehmlich den Fall der materiell unberechtigten Anspruchsverwirkli­ chung vor Augen hatte.264 Es steht demnach nichts dem Verständnis im Weg, wonach der Widerspruch des herbeigeführten Zustands zur materiellen Rechtslage den eigentlichen Grund für die Haftung nach §  717 Abs.  2 ZPO darstellt.265 Die Aufhebung bzw. Änderung des Urteils ist nicht mehr als der „äußere Anlaß, den das Gesetz zum leicht erkennbaren Tatbestandsmerkmal erhoben hat“266 – ein Schritt, der nicht zuletzt aus der Normgenese zu erklären ist.267 Im Widerspruch zur materiellen Rechtslage handelt aber gleichermaßen der Schuldner, der einen bestehenden Anspruch nicht erfüllt. Wenn der BGH zu §  717 Abs.  2 ZPO betont, dessen Ratio liege auch darin, dass sich der Schuldner der Vollstreckung nicht er­ wehren könne, 268 findet dies ebenfalls eine Entsprechung bei der Leistungsverwei­ gerung des Schuldners. Der Gläubiger kann sich dagegen ebenso wenig unmittelbar wehren. Er muss notfalls ein Klageverfahren einleiten, um anschließend die be­ 260  BGH, Urt. v. 3.7.1997 – IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601, 2602–2603; so bereits Pecher, Schadensersatzansprüche, insb. S.  113–114, 131–190, 194–204. 261 Kritisch Lindemann, Haftung, S.  61–62; Stolz, Rechtsschutz, S.  37. 262  Z. B. BGH, Urt. v. 5.5.2011 − IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 = NJW 2011, 2518, 2519 Rn.  10; w.N. bei Bork/Bothe, ZZP 132 (2019), 71, 7 Fn.  28. 263  So bei BGH, Urt. v. 21.4.1980 – II ZR 107/79, NJW 1980, 2527, 2528; dem setzt die oben zitierte Entscheidung BGH, Urt. v. 3.7.1997 – IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601, 2602–2603, ihren Gedanken der Differenzierung entgegen. 264 Siehe Mugdan, Materialien II, S.  1163 („materiell unbegründet“), 1164 („materiell unrich­ tig“); so auch die Deutung von Stolz, Rechtsschutz, S.  34 m. w. N. 265  Bork/Bothe, ZZP 132 (2019), 71, 77 (mit ausführlicher Diskussion a. a. O., 75–79); ähnlich Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  8; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  12; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  11; Stolz, Rechtsschutz, S.  48. Noch weiter gehend (Rechts­ widrigkeitshaftung) z. B. Henckel, Prozeßrecht, S.  256, 259, 265–266; Konzen, Rechtsverhältnis­ se, S.  163–164 (dies ablehnend Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, a. a. O.; Häsemeyer, Schadenshaf­ tung, S.  81–83). Selbst wenn man – mit Saenger, Rechtsschutz, S.  277, 281; Saenger, JZ 1997, 222, 228 – §  717 Abs.  2 ZPO stark von einem materiell-rechtlichen Kern lösen wollte (diese Ansicht indes nicht als generellen Gegenentwurf zur h. M., sondern nur als Lösung eines speziellen Prob­ lems deutend: Bork/Bothe, ZZP 132 (2019), 71, 76 Fn.  20), stünde dies nicht zwingend einer glei­ chen Gestaltung der Haftung des Vollstreckungsgläubigers nach §  717 Abs.  2 ZPO und der des zu Unrecht die Leistung verweigernden Schuldners entgegen. Dies zeigt sich bei Lindemann, Haf­ tung, S.  150. Das vermittelnde Band zwischen den beiden Konstellationen würde bloß schwächer. 266  Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  11 267 Näher Bork/Bothe, ZZP 132 (2019), 71, 78 (Anknüpfung an den vorhandenen Regelungs­ gehalt von Abs.  1 bei Schaffung von §  717 Abs.  2 ZPO). 268  BGH, Urt. v. 7.7.2016 – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.  52 m. w. N.

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gehrte Rechtsposition erlangen zu können. Er steht damit nicht besser als der Voll­ streckungsschuldner im Fall des §  717 Abs.  2 ZPO, welcher sich auf die Einlegung eines Rechtsmittels und die Rückforderung der erbrachten Leistung verlegen muss. cc) Haftungsprivilegierung bei Rückforderung nach vorläufig erbrachter Leistung Mit dem systematischen Rückgriff auf die Wertungen des §  717 Abs.  2 ZPO lässt sich eine bei den Verfechtern der strengen Linie beliebte Argumentation verknüp­ fen. So hat der BGH die Annahme, der irrende Mieter gerate in Verzug, nicht zu­ letzt darauf gestützt, dass es dem Mieter möglich gewesen sei, auf die Forderung des Vermieters hin zunächst zu leisten und den Betrag gegebenenfalls nach Klä­ rung der Lage zu kondizieren.269 Eine solche Sichtweise findet auch im Schrifttum Anklang.270 Der Gedankengang überzeugt. Der Schuldner versetzt sich durch das beschrie­ bene Vorgehen nämlich exakt in die Position, aus der heraus sonst die haftungs­ privilegierte Geltendmachung durch den Gläubiger erfolgt. Der in Anspruch Ge­ nommene wird durch die Leistung selbst zum (Rückforderungs-)Gläubiger. Er begibt sich einstweilen der umstrittenen Rechtsposition und streitet fortan aus der ungesicherten Position des Petenten um sein Recht. Er trägt das Insolvenzrisiko des Gegenübers271 und kann vorerst keinen Nutzen aus dem umstrittenen Gegenstand ziehen. Unter diesen Bedingungen entfällt die Vergleichbarkeit mit einem vollstre­ ckenden Anspruchsteller. Die Existenz dieser Handlungsoption erübrigt zugleich Bedenken, wonach der zweifelnde Schuldner vor einer unzumutbaren Wahl stehe: Entscheiden könne die­ ser nur zwischen einem Beharren auf seiner Rechtsposition (einschließlich des Ver­ zugsrisikos) und dem Nachgeben, das einen Verzicht auf die Klärung bedeute.272 Es gibt, wie gesehen, einen Ausweg:273 das Modell „leiste und kondiziere“. Im Rahmen der Kondiktion kommt es dann sehr wohl zur Klärung. Allerdings wird verschiedentlich bezweifelt, ob dieser Weg zumutbar ist. Schon Rittner hegte Skru­ pel, den Schuldner auf den „höchst fragwürdigen Kondiktionsanspruch“ zu ver­ weisen.274 Auch anderswo wird kritisch gesehen, dass dem in Anspruch Genom­ menen so das Insolvenzrisiko aufgebürdet werde.275 Insoweit gehen die Zweifel 269  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430–431 Rn.  28; BGH, Urt. v. 11.7.­2012 − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  20. 270 Siehe etwa Derkum, Folgen, S.   240–241; Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47; Lorenz, WuM 2013, 202, 208; Weber, DStR 2014, 213, 214. 271  Darauf weist BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28, selbst hin. 272  K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  151; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  154. 273 Zutreffend Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  162, sowie – vornehmlich zur tatsächlichen Ungewissheit – U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  699, und Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 65. 274  Rittner, in: FS v. Hippel, S.   391, 413; dem folgend Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  167; in diese Richtung offenbar auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  154 Fn.  89; ebenfalls vorsichtig Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  274. 275  Streyl, WuM 2013, 454, 457, zum Mietrecht.

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indes ins Leere. Auch der potenzielle Gläubiger muss schließlich unter Übernahme des Insolvenzrisikos sein Recht erstreiten, wenn er die Gefahr einer Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO meiden möchte. Für den in Anspruch Genommenen kann dieses Vorgehen nicht weniger zumutbar sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch unbedenklich, dass eine vom BGH anfänglich noch erwähnte Verhaltensalter­ native für den Schuldner tatsächlich nicht besteht. Der BGH hatte angedeutet, der an der Zahlungspflicht zweifelnde Mieter könne sich der Verzugshaftung durch Leistung auf ein Anderkonto entziehen.276 Dieses Vorgehen führt aber ohne Ein­ verständnis des Vermieters nicht zur Erfüllung.277 Auch der BGH ist später nicht mehr auf diese Alternative eingegangen.278 Das ist konsequent. Durch die Einzah­ lung auf ein Anderkonto würde dem potenziellen Gläubiger (Vermieter) lediglich das Insolvenzrisiko abgenommen; eine Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit über den Betrag erhielte er nicht.279 Der potenzielle Schuldner (Mieter) bliebe sei­ nerseits vor einer Insolvenz der Gegenseite gesichert. Es besteht demnach nicht die gleiche Ausgangssituation wie bei einer privilegierten Anspruchsgeltendmachung. Auf die vorstehenden Gedanken lässt sich auch verweisen, wenn behauptet wird, die dem zweifelnden Mieter nach der strengen Linie drohenden Konsequenzen würden dessen Gewährleistungsrechte entwerten.280 Intention des Gesetzgebers sei es, dem Mieter mithilfe der ex lege eintretenden Minderung die Initiativlast ab­ zunehmen; klagen solle im Zweifelsfall der Vermieter.281 Die Haftungsandrohung erzeuge hingegen einen Zustand, „als ob im Gesetz die Gewährleistungsrechte der Minderung und des Zurückbehaltungsrechts gestrichen seien und dort stattdessen stünde, der Mieter könne bei Mängeln unter Vorbehalt zahlen und das Überzahlte später wieder zurückfordern“.282 Diese überspitzte Charakterisierung ist im Kern durchaus treffend. Es ist aber zu konstatieren, dass das Ergebnis dem gesetzlichen Konzept nicht wider-, sondern entspricht. Für den ungesicherten Gläubiger, der eine Haftung vermeiden möchte, stellt sich die Situation schließlich ebenso dar: Auch er kann die ihm zustehende Leistung schlimmstenfalls erst nach Klärung der Rechtslage erlangen. Der Verweis auf den Umstand, dass die Minderung im Miet­ recht ex lege stattfindet, führt zu keiner anderen Bewertung. Mit dieser Ausgestal­ tung nimmt das Gesetz dem Mieter lediglich die verfahrensmäßige Last ab, per Gestaltungsrecht vorgehen und sich im Prozess zur Höhe äußern zu müssen.283 Über die materielle Lastenverteilung ist damit nichts gesagt. Es bleibt prinzipiell wertungskonform, den Mieter vor die Wahl zwischen Verzugs- und Insolvenzrisi­ 276 

BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28. Blank, NZM 2007, 788, 792; Hinz, NJW 2013, 337, 340. 278  BGH, Urt. v. 11.7.2012 − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  20. 279  Vergleiche auch Blank, NZM 2007, 788, 792–793. 280  Streyl, WuM 2013, 454, 457; ähnlich Blank, WuM 2012, 501, 502; H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717. 281  H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717. 282  Streyl, WuM 2013, 454, 457. 283  Vergleiche BGH, Urt. v. 27.2.1991 – XII ZR 47/90, NJW-RR 1991, 779, 780; Emmerich, in: Staudinger, §  536 Rn.  91. 277 Näher

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ko zu stellen, wenn er sich auf die vermeintliche Minderung berufen möchte. So­ weit bei Mietverhältnissen über Wohnraum angesichts der dort als typisch zugrun­ de gelegten Machtverteilung zwischen den Parteien 284 der Verweis auf das Modell „leiste und kondiziere“ kritischer erscheint als sonst, ist dieser Aspekt gegebenen­ falls im Rahmen von Ausnahmefallgruppen zu berücksichtigen.285 dd) Verletzung der Leistungspflicht als dogmatischer Anker Für die hier bevorzugte unterschiedliche Behandlung von irrtümlicher Anspruchs­ geltendmachung einerseits und irrtümlicher Anspruchsverteidigung andererseits steht ein solides dogmatisches Fundament zur Verfügung. Die hier besprochene Haftung des Schuldners aus §§  280, 286 BGB (bzw. §§  280, 281 BGB) knüpft an die Verletzung einer Leistungspflicht (§  241 Abs.  1 BGB) an.286 Der Putativgläubiger, der sich auf die bloße Geltendmachung beschränkt, verletzt allenfalls Rücksicht­ nahmepflichten (§  241 Abs.  2 BGB).287 Dieser Unterschied vermag zwar nicht aus sich heraus zu begründen, warum der irrende Schuldner streng, der Putativgläubiger dagegen mit Nachsicht zu behan­ deln ist. Er bietet indes einen geeigneten Transmissionsriemen, um die bereits iden­ tifizierten Wertungen dogmatisch abzubilden. Die Haftung wegen einer Leis­ tungspflichtverletzung knüpft gerade an das Einbehalten der streitbefangenen Rechtsposition an. Eben dieser Einbehalt begründet den entscheidenden wertungs­ mäßigen Unterschied zwischen einem Streit aus der Stellung des Anspruchsgegners und dem aus der Position als Anspruchsteller. Auch die Literatur zur unberechtig­ ten Rechtsverfolgung merkt verbreitet an, dass eine (prozessuale) Rechtsverteidi­ gung durch den Schuldner zwar für sich genommen haftungsfrei sein möge, dane­ ben aber eine Haftung aus Verzug in Betracht komme.288 Nicht schon der Streit ums Recht führt zur strengen Haftung – sonst müsste man in der Tat beim Gläubi­ ger ebenso verfahren –, sondern der Umstand, dass der Streit nicht unter vorläufiger Preisgabe der betroffenen Rechtsposition geführt wird.289 Die Unterscheidung wird noch später noch zu präzisieren sein.290

284 Vergleiche

Häublein, in: MüKo-BGB, vor §  535 Rn.  59–68. Siehe unten 6. d) bb) (1). 286  Vergleiche nur Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  33–35. 287  Siehe oben §  9 A. I.; auf diesen Unterschied weist auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 811, in abweichendem Kontext eindringlich hin; siehe auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 528. 288 So Hellwig, NJW 1968, 1072, 1073; Henckel, Prozeßrecht, S.  296; Hopt, Schadensersatz, S.  265 Fn.  1; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  153, 169, 170; aus jüngerer Vergangenheit Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 541–544; Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710; auch Derkum, Folgen, S.  179–184, 234– 235. 289  Besonders treffend Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  99; ferner Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 813; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  362–363; Weber, DStR 2014, 213, 214. 290  Unten 3. 285 

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c) Systemkonformität der strengen Linie im Übrigen Im Vergleich mit der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung (zweiter Untersu­ chungsquadrant) erweist sich die strenge Schuldnerhaftung bei Rechtszweifeln als systematisch geboten. Außen vor geblieben ist indes bislang die Frage, ob sich die­ ses Ergebnis auch mit den Erkenntnissen in Einklang bringen lassen, die im ersten Untersuchungsquadranten zur Behandlung von Rechtsirrtümern durch das Ver­ jährungsrecht gewonnen wurden. aa) Fehlen des Verjährungsdrucks auf Seiten des Schuldners Nach hier vertretener Auffassung beginnt die Verjährung nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB grundsätzlich bereits dann, wenn bei objektiver Betrachtung mehr als nur ganz unerhebliche Aussichten auf eine gerichtliche Anerkennung des Anspruchs bestehen.291 Diese Ausgestaltung setzt potenzielle Anspruchsinhaber unter Druck. Möchten sie nicht die Verjährung riskieren, sind sie gezwungen, ihr Recht auch bei zweifelhafter Rechtslage aktiv zu verfolgen. Aus dieser Ausgangslage wurde ein Argument dafür hergeleitet, die Anspruchsverfolgung unter Rechtsungewissheit weitgehend von Haftungsrisiken zu befreien.292 Vergleichbare Erwägungen lassen sich auf die Schuldnerhaftung nicht übertragen. Nur der Gläubiger muss sein Recht „irgendwann geltend machen […], um es nicht preiszugeben“.293 Dem Anspruchs­ gegner, der am Bestehen seiner Verbindlichkeit zweifelt, droht hingegen keine Ver­ jährung, hat er doch bereits Zugriff auf die begehrte Rechtsposition. Er kann ­versuchen, den Konflikt „auszusitzen“. Die strenge Linie führt demnach nicht zu systematischen Friktionen mit der Behandlung von Rechtszweifeln im Kontext von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. bb) Kompatibilität mit Anreizerwägungen Die weitgehende Diskriminierung von Rechtszweifeln durch das Verjährungsrecht und die korrespondierende Haftungsprivilegierung für die Anspruchsgeltendma­ chung wurden wesentlich damit begründet, dass es im Allgemeininteresse liegt, wenn offene Rechtsfragen der gerichtlichen Klärung zugeführt werden.294 Unter diesem Aspekt erscheinen die Anreizwirkungen, die von der strengen Schuldner­ haftung ausgehen, fragwürdig. Um eine gerichtliche Klärung zweifelhafter Rechts­ fragen herbeizuführen, könnte es vorteilhaft sein, (auch) den die Leistung verwei­ gernden Schuldner von Haftungsrisiken weitgehend zu entlasten.295 Bei genauerer Betrachtung ergeben sich allerdings Zweifel an diesem Argument. Der Gedanke, eine großzügige Entlastung des Schuldners befördere die Klärung der Rechtslage, 291 

Siehe zum Ganzen §  7 C. I.–II. §  9 C. III. 2. a). 293  So – ohne expliziten Bezug auf die Verjährung – zutreffend Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47. 294  §  7 C. I. 1. c) dd), §  9 C. III. 2. a). 295  So schon J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  110–111 (vergleiche zudem S.  155); allgemein zur Ver­ schuldenshaftung Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906–907 (dazu bereits §  5 B. II. 2.). 292 

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müsste zugleich unterstellen, dass sich der Anspruchsteller durch die schuldneri­ sche Verweigerungshaltung zur Geltendmachung provozieren lässt. Allein die In­ aktivität des Schuldners führt nicht zur Klärung. Resigniert der Gläubiger, bleibt die betroffene Rechtsfrage offen. Es ist folglich genauer zu betrachten, welche Aus­ wirkungen ein strenges Regime der Schuldnerhaftung auf die Klärungsanreize hat. Dem potenziellen Schuldner stehen nach einer Inanspruchnahme unterschied­ liche Reaktionsmöglichkeiten offen. Überwiegen – auf Basis einer Wahrschein­ lichkeitseinschätzung über das Bestehen des Anspruchs – die Haftungsrisiken ge­ genüber den Nachteilen einer einstweiligen Leistung (entgangene Nutzungen, ­Insolvenzrisiko), ist es für den Schuldner sinnvoll, sich dem Begehren des An­ spruchstellers zunächst zu beugen. Damit ist aber nicht gesagt, dass es nicht zu ei­ ner Klärung der zweifelhaften Rechtsfrage kommt. Dies hängt vielmehr davon ab, ob für den Leistenden im Anschluss ein hinreichender Anreiz besteht, ein Rückfor­ derungsbegehren geltend zu machen. Der Druck durch das Verjährungsrecht und die weitgehende Haftungsfreistellung wirken nunmehr in gleicher Weise auf den ursprünglichen Anspruchsgegner ein, wie sie es im Fall der Leistungsverweigerung mit Blick auf den Anspruchsteller tun. Grundlegende Unterschiede in der Anreiz­ lage ergeben sich nicht. Man könnte allenfalls darauf verweisen, dass sich die Ge­ samtkosten für die Rechtsklärung (wohl zumeist moderat) erhöhen, weil durch die vorläufige Erfüllung eine zusätzliche Transaktion zwischengeschaltet ist. Je nach Lage des Einzelfalls kann für den in Anspruch Genommenen aber auch die Leis­ tungsverweigerung die attraktivere Option darstellen, so etwa wenn er die Wahr­ scheinlichkeit, dass der Anspruch besteht, für gering hält oder weil er dringend auf die Nutzung der umstrittenen Rechtsposition angewiesen ist. Unter solchen Um­ ständen ergibt sich im Ausgangspunkt keine andere Lage als bei einer „haftungsbe­ freiten“ Verweigerung unter dem milden Maßstab: Zu einer Rechtsklärung kommt es nur, wenn sich der Anspruchsteller hinreichend motivieren lässt, sein mögliches Recht geltend zu machen. Allerdings erhöht eine strenge Verzugshaftung die At­ traktivität eines entsprechenden Vorgehens für den Anspruchsteller: Im Fall des Obsiegens erhält er nicht nur die begehrte Leistung, sondern stehen zusätzlich Schadens- und Zinsersatz in Aussicht.296 Wo die Erfüllung durch Zeitablauf un­ möglich geworden ist, begründet die Ersatzhaftung gar das einzige mögliche Inte­ resse des Anspruchstellers an einem gerichtlichen Vorgehen. Es zeigt sich an dieser Stelle abermals deutlich, dass eine Rechtsklärung eben nicht nur durch Entlastung des Zweifelnden gefördert werden kann, sondern auch durch dessen Belastung.297 296  Ähnliche Überlegungen stellt Ackermann, in: FS Köhler, S.  1, 10, zur lauterkeits- und kar­ tellrechtlichen Haftung an: Verneint man ein Verschulden des irrenden Schädigers, „fehlt dem Geschädigten eine Ersatzberechtigung und damit der Anreiz, durch Erhebung einer Schadens­ ersatzklage zur Klärung der Rechtslage beizutragen“. Dabei würde jedoch ausgeblendet, dass es zu einer Klärung ebenso wenig kommt, wenn der Schädiger sein Verhalten von vornherein auf­ grund des Haftungsrisikos unterlässt (siehe auch Ackermann, a. a. O., S.  11). 297  Dazu schon allgemein §  5 B. II. 2.; vergleiche zudem §  10 C. I. 1. b) bb) (2) zu den ambivalen­ ten Anreizwirkungen eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs (der den Gläubiger ggf. zur Geltendmachung motivieren kann).

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Bereits dieser überschlägige Vergleich der Anreizlage unter den beiden denkba­ ren Modellen der Schuldnerhaftung legt nahe, dass die strenge Linie nicht generell zu schlechteren Klärungsanreizen führt als der milde Ansatz. Sie verursacht zwar  – je nach Lage des Falls – höhere Kosten, bis es zur Klärung kommt, kann aber in anderen Konstellationen einen unverzichtbaren Faktor für die Verfolgungsent­ scheidung des potenziellen Gläubigers darstellen.298 Ob eine strenge oder eine mil­ de Schuldnerhaftung bessere Klärungsanreize setzt, dürfte im Ergebnis vor allem davon abhängen, ob im jeweils betrachteten Szenario ein „Machtgefälle“ zwischen den Parteien besteht und, wenn ja, auf welcher Seite sich die überlegene Partei fin­ det. Man wird unterstellen können, dass im Durchschnitt – und ceteris paribus  – eine wirtschaftlich bessergestellte bzw. sozial „mächtigere“ Partei eher bereit sein wird, eigene Ansprüche geltend zu machen.299 Steht die überlegene Person auf Gläubigerseite, läge es im Interesse der Rechtsklärung, wenn der Schuldner ohne erhebliches Haftungsrisiko die Leistung verweigern dürfte. Ein streitvermeidendes Verhalten in Form der vorläufigen Erfüllung würde unwahrscheinlicher. Dies wäre unter Anreizgesichtspunkten vorteilhaft, weil es zur Geltendmachung eines Leis­ tungsbegehrens des möglichen Gläubigers eher kommen wird als zu einem Rück­ gewährverlangen des potenziellen Schuldners. Umgekehrt verhält es sich, wenn der mögliche Anspruchsgegner überlegen ist. Unter diesen Bedingungen zeitigt eine strenge Haftung positive Wirkungen mit Blick auf eine Klärung der Rechtslage. Soweit der mögliche Schuldner verleitet wird, angesichts des Verzugsrisikos zu­ nächst zu leisten, ist dies gerade wünschenswert, weil eine Rückforderung wahr­ scheinlicher ist als es ein Leistungsbegehren des potenziellen Gläubigers im Fall der Leistungsverweigerung wäre. Die Ausgestaltung der Schuldnerhaftung bei Rechtszweifeln hat demnach ambi­ valente Konsequenzen für die Klärung rechtlicher Zweifelsfragen. Keines der bei­ den konkurrierenden Modelle erweist sich in diesem Punkt als eindeutig vorzugs­ würdig. Ein Argument für einen milden Maßstab ließe sich nur entwickeln, wenn im praktischen Regelfall sozial und/oder wirtschaftlich unterlegene Personen eher auf der Schuldnerseite von Anspruchsbeziehungen stünden, wofür es indes an An­ haltspunkten mangelt.300 So mag sich etwa ein Verbraucher als Käufer in der Posi­ tion des Kaufpreisschuldners oder in der des Gläubigers von Gewährleistungsrech­ ten wiederfinden.301 Nach den vorstehenden Überlegungen ist eine Abweichung vom strengen Haftungsmaßstab allenfalls innerhalb solcher Beziehungen zu erwä­ 298  Zudem wurde bei §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (b) a. E. darauf hingewiesen, dass die ihrerseits mit Vorteilen verbundene pauschale Konsultationspflicht eher tragbar ist, wenn der Gläubiger im Fall der Berechtigung die Beratungskosten ersetzt verlangen kann. 299  Siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  155; vergleiche aus rechtssoziologischer Sicht Baer, Rechtssoziologie, §  7 Rn.  31; Raiser, Rechtssoziologie, S.  322. In verhaltensökonomischer Hin­ sicht ist zu beachten, dass sich die weniger „mächtige“ Seite (etwa ein Verbraucher gegenüber ei­ nem Unternehmer) oft eher gegen eine Inanspruchnahme wehren wird, als ihre Rechte aktiv zu verfolgen (vergleiche Fries, AnwBl 2018, 86, 88, sowie unten §  15 A. II. 1. b) bb) mit Fn.  4 4). 300 Zutreffend Lindemann, Haftung, S.  164–165. 301  Siehe auch Hau, ZZP 129 (2016), 133, 137.

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gen, in denen typischerweise überlegene Anspruchsteller unterlegenen Anspruchs­ gegnern gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund verdienen insbesondere die bereits zitierten Äußerungen aus dem mietrechtlichen Schrifttum Beachtung, de­ nen zufolge der Mieter bei Zweifeln am Bestehen von Gewährleistungsrechten vom Irrtumsrisiko freizustellen sei, weil nach der gesetzgeberischen Wertung der Ver­ mieter in solchen Fällen klagen solle.302 Darauf wird bei der Betrachtung mögli­ cher Ausnahmen zurückzukommen sein.303 d) Zu entkräftende Einwände gegen Ungleichbehandlung von Putativgläubiger und Schuldner Die Ungleichbehandlung von irrendem Anspruchsteller und irrendem Anspruchs­ gegner, wie sie aus der strengen Ansicht zur Schuldnerhaftung resultiert, lässt sich überzeugend herleiten und erweist sich als systemkonform. Gleichwohl bleiben noch Einwände zu widerlegen, die sich speziell gegen eine Schlechterstellung des irrenden Schuldners (dazu aa)–bb)) bzw. gegen eine strenge Haftung insgesamt (dazu cc)–ee)) richten. aa) Vergleich der Geltendmachung von Ansprüchen mit Geltendmachung von Einwendungen bzw. Einreden Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, in der Leistungsverweigerung des Schuld­ ners liege mitunter gerade die (ansonsten privilegierte) Geltendmachung eines eige­ nen Rechts, etwa eines Leistungsverweigerungs- oder Vertragslösungsrechts (Kün­ digung, Rücktritt).304 Auch die Aufrechnung mit einem zweifelhaften Anspruch ließe sich als Anspruchsberühmung qualifizieren.305 Selbst unter den Befürwortern eines strengen Haftungsmaßstabs werden solche Überlegung gelegentlich zum An­ lass genommen, den Schuldner für die Leistungsverweigerung unter Geltendma­ chung von Gegenrechten schon nach einer bloßen Plausibilitätskontrolle haftungs­ frei zu stellen.306 Die angedeutete Verwandtschaft zu den haftungsprivilegierten Fällen einer Gel­ tendmachung durch den Putativgläubiger besteht aber allenfalls vordergründig. Nicht die Anspruchsverfolgung per se, sondern die Anspruchsverfolgung unter Verzicht auf eine vorläufige Sicherung ist privilegiert; nicht die Rechtsverteidigung an sich, sondern die Nichterfüllung der Leistungspflicht (§  241 Abs.  1 BGB) wird streng sanktioniert.307 Auf den genauen Grund der Leistungsverweigerung kann es folglich nicht ankommen: Die Ausübung eines Gegenrechts ist nicht anders zu 302 

Siehe oben b) cc), insb. H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717. Siehe unten 6. d) bb) (1). 304  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 931 und 932. 305  Vergleiche dazu Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 540 (dort auch zur Berufung auf ein Zu­ rückbehaltungsrecht auf Grundlage eines zweifelhaften Gegenanspruchs). 306  Nur so dürfte sich Lützenkirchen, in: Erman, §  5 43 Rn.  28, deuten lassen. 307  Zum Ganzen oben b). 303 

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beurteilen als beispielsweise das Vorbringen rechtshindernder Einwendungen. Es verdient daher Zustimmung, wenn die Rechtsprechung auch die Leistungsverwei­ gerung, die unter Berufung auf eine Aufrechnung mit einer zweifelhaften Gegen­ forderung erfolgt, als regulären Verzugsfall (das heißt streng) behandelt.308 bb) Zufälligkeit der Rollenverteilung In gewisser Verwandtschaft zu dem soeben entkräfteten Argument steht die Auf­ fassung, die Haftung von Anspruchsteller und Anspruchsgegner dürfe sich schon deshalb nicht grundlegend unterscheiden, weil die Rollenverteilung insbesondere in Vertragsbeziehungen mit wechselseitigen Forderungen oft zufällig sei.309 Der Hinweis auf die zufällige Rollenbesetzung ist berechtigt,310 der normative Schluss auf die Gleichbehandlung ist es nicht. Die strenge Haftung knüpft an die „komfor­ table“ Position des Schuldners an, nicht an deren (gegebenenfalls zufällige) Ursa­ chen. An dieser Beurteilung lässt sich auch nicht etwa dadurch rütteln, dass der Putativgläubiger per Kunstgriff in eine Schuldnerstellung manövriert wird: Er sei schließlich verpflichtet, die Geltendmachung nicht bestehender Rechte zu unterlas­ sen und sei insoweit Schuldner.311 Ob die Inanspruchnahme des Gegenübers trotz Rechtszweifeln tatsächlich eine Pflichtverletzung darstellt, lässt sich mit guten Gründen hinterfragen.312 Allenfalls ist eine Rücksichtnahmepflicht nach §  241 Abs.  2 BGB betroffen. Die strenge Schuldnerhaftung resultiert jedoch, wie oben betont, aus der Verletzung der Leistungspflicht (§  241 Abs.  1 BGB). Der Putativ­ gläubiger gerät aber durch die Geltendmachung grundsätzlich nicht mit der Erfül­ lung einer Leistungspflicht in Verzug.313 cc) Vergleich mit staatlicher Berufung auf Rechtsirrtum Vertreter der milden Linie im Schrifttum verweisen zum Teil auf höchstrichterliche Judikatur, die dem Staat als Schuldner das Recht eingeräumt habe, zweifelhafte Rechtsfragen klären zu lassen, ohne dass dies einen Verschuldensvorwurf begrün­ de.314 Wenn ausgerechnet der Staat, dem man die Verworrenheit der Rechtslage am

308  Siehe etwa RG, Urt. v. 23.6.1933 – II 34/33, RGZ 141, 266, 276 (gegen RG, Urt. v. 13.10.1916  – III 211/16, JW 1916, 1584, 1585); AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.1.2008 – 5 C 287/07, Rn.  6 , juris; zur Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts BGH, Urt. v. 4.7.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, 3115; im Ergebnis wie hier auch Derkum, Folgen, S.  222. 309 So Thole, AcP 209 (2009), 498, 523, 539; vergleiche auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 931. 310  Vergleiche bereits soeben c) bb). Auf Zufälligkeiten in der Rollenverteilung weist – ohne damit eine Entlastung des Schuldners begründen zu wollen – auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  14, 95, 123, hin. 311 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 932. 312  Siehe oben §  9 C. VI. 313  Anders allenfalls, wenn ausnahmsweise eine Vereinbarung getroffen wurde, nach der eine Geltendmachung zu unterlassen ist, siehe dazu §  9 A. I. Fn.  17. 314  Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168, unter Verweis auf RG, Urt. v. 12.5.1925 – VI 33/25,

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ehesten vorwerfen kann (Ingerenzgedanke315), großzügig entlastet würde, ließe sich argumentieren, private Schuldner müssten erst recht entschuldigt sein. Aller­ dings könnten besondere Interessen des Staates anzuerkennen sein, die für eine milde Haftung streiten. So werden etwa im Staatshaftungsrecht, trotz des nahe­ liegenden Ingerenzgedankens, besondere Haftungsfreiräume anerkannt, die – man denke an die Kollegialgerichtsrichtlinie316 – nicht auf Privatpersonen übertragen werden.317 Auch der BGH nimmt in der von den Befürwortern einer milden Linie angeführten Entscheidung zur Verzugshaftung des Staates eindeutig Anleihen bei amtshaftungsrechtlichen Überlegungen.318 Überdies befassten sich die angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen jeweils mit Erstattungssituationen.319 Für die Haftung des Kondiktionsschuldners sind aber insgesamt – auch für private Schuld­ ner  – Ausnahmen von der strengen Linie geboten.320 dd) Verstoß gegen gesetzgeberische Vorstellungen und Verschuldensprinzip Allgemein, also nicht beschränkt auf Verzugskonstellationen, wird eine großzügige Entlastung des Schuldners bzw. Schädigers im Fall der ungewissen Rechtslage ver­ breitet unter Verweis auf das Verschuldensprinzip gefordert. Weil der Gesetzgeber den Rechtsirrtum dem Tatsachenirrtum grundsätzlich habe gleichstellen wollen, sei auch bei rechtlichen Zweifeln das Verschulden zu prüfen.321 Die strenge Ansicht führe hingegen in Richtung einer bloßen Risikozuweisung.322 Wenn ein Fahrlässig­ keitsvorwurf nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen sei, werde eine in den Augen der Gesetzesverfasser selbstverständliche Regelung ihres Anwendungsbereichs weitgehend beraubt.323 Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Verfasser des BGB im Grundsatz davon ausgingen, ein Rechtsirrtum könne wie ein Tatsachenirrtum entschuldigend wir­ ken.324 Die strenge Verzugshaftung führt indes, wie später noch zu demonstrieren ist, nicht zu einer Diskriminierung von Rechtsirrtümern. Sie behandelt die tatsäch­ liche Ungewissheit gleichermaßen streng.325 Jedenfalls insoweit ist demnach der Vorwurf, die strenge Linie schreibe den überkommenen Satz „error iuris nocet“ RGZ 110, 430, 435, bzw. BGH, Urt. v. 19.2.1962 – III ZR 200/60, BGHZ 36, 344 = NJW 1962, 1012, 1013; ähnlich bereits Frede, Rechtsirrtum, S.  35–36. 315  Vergleiche oben §  5 C. III. 2. 316  Siehe oben §  9 C. III. 3. b) aa). 317  Siehe dazu unten III. 3. b). 318  Siehe BGH, Urt. v. 19.2.1962 – III ZR 200/60, BGHZ 36, 344 = NJW 1962, 1012, 1013. 319  Bei RG, Urt. v. 12.5.1925 – VI 33/25, RGZ 110, 430, 435: Kondiktion; bei BGH, Urt. v. 19.2.1962 – III ZR 200/60, BGHZ 36, 344 = NJW 1962, 1012: Erstattungsanspruch. 320  Unten 6. c). 321 Dahingehend Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150 und 153; zur Geschäftsleiterhaftung Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  277. 322  So insb. Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 150; Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 252– 253, 258; ähnlich schon Frede, Rechtsirrtum, S.  33–36. 323  So zur Geschäftsleiterhaftung Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  277. 324  Siehe §  5 A. 325  Unten 4.

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fort,326 verfehlt.327 Es steht einzig ein Verstoß gegen das Verschuldenserfordernis im Raum. Dahingehende Bedenken lassen sich nicht ohne Weiteres von der Hand wei­ sen. Schließlich knüpft das Vorbild des §  717 Abs.  2 ZPO die strenge Haftung be­ wusst nicht an ein Verschulden. Wenn nun im Zusammenhang mit §§  280, 286 BGB weitgehend vergleichbare Ergebnisse erzielt werden, wirft dies die Frage auf, ob dem im Vergleich zu §  717 Abs.  2 ZPO zusätzlichen Erfordernis des Vertretenmüssens (§§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB) hinreichend Rechnung getragen wird. Oben wurde bereits im Umkehrschluss aus §  717 Abs.  2 ZPO hergeleitet, dass Rechtsirr­ tümer im Kontext von §§  280, 286 BGB nicht gänzlich unbeachtlich sein können.328 Insoweit verfängt gleichermaßen der Gegenschluss aus §  291 BGB bzw. §§  91 ff. ZPO.329 Damit ist aber nicht gesagt, wie weit die mögliche Entschuldigung infolge Rechtsirrtums reichen muss.330 Auch der Blick in die Gesetzesmaterialien bringt insoweit keine Klarheit. Zur Verzugshaftung bei zweifelhafter Lage äußern die Mo­ tive zum BGB lediglich, dass eine Entlastung des Schuldners nur in Betracht kom­ me, wenn in dessen Zweifel „ein entschuldbarer Irrthum [sic] zu erblicken ist“,331 ohne aber die Kriterien zu präzisieren. Daher lässt sich – jedenfalls mit Blick auf die Haftung des Schuldners für die unberechtigte Nichterfüllung – nicht pauschal ­sagen, dass ein geringer Entschuldbarkeitsspielraum dem gesetzgeberischen Grund­ gedanken zuwiderliefe. Schon das Reichsgericht hatte betont, die strenge Linie lasse sich auch in Anbetracht des Verschuldenserfordernisses halten.332 Tatsächlich ist zu bedenken, dass der Schuldner auch nach der strengen Linie zumindest vor Ände­ rungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschützt ist.333 ee) Hinreichende anderweitige Steuerung des Schuldnerverhaltens Möchte man verhindern, dass dem Schuldner bei unklarer Rechtslage ein „Frei­ brief“334 zur risikolosen Nichterfüllung ausgestellt wird, ist es durchaus konse­ quent, schonendere Alternativen zur strengen Schuldnerhaftung in den Blick zu nehmen, die eine sachwidrige Entlastung des Schuldners verhindern könnten. ­Thole sieht diesem Ziel Genüge getan, wenn eine Entlastung „nur bei wirklich zweifelhafter, unkalkulierbarer Rechtslage gewährt und dem Schuldner die Ein­ holung von qualifizierte[m] Rechtsrat abverlangt“ wird.335 Außerdem trage inner­ halb von Sonderbeziehungen die Beweislastverteilung dafür Sorge, „dass sich ver­ 326  So in der Sache v. a. Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 153; etwas zurückhaltender formu­ liert Thole, AcP 209 (2009), 498, 520–521. 327 Zutreffend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  139. 328  Siehe oben I. 2. in Auseinandersetzung mit der Auffassung Häsemeyers. 329  Siehe abermals I. 2. 330  Vergleiche auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  52. 331  Mot. II, 60–61. 332  RG, Urt. v. 23.6.1933 – II 34/33, RGZ 141, 266, 276; aus dem aktuellen Schrifttum ebenso z. B. Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  174. 333  Siehe oben B. I. 1. mit Fn.  42 sowie unten 5. b) aa). 334  Thole, AcP 209 (2009), 498, 539. 335  Thole, AcP 209 (2009), 498, 539.

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bleibende Zweifel an der Rechts- und Tatsachenkenntnis zu Lasten des Schuldners auswirken“.336 Genügt es also, wenn man die Schrauben an den genannten Punkten nur fest genug anzieht? Selbst wenn man nur hinreichend qualifizierte Zweifel als entlastend ansehen wollte, verbliebe ein systemwidrig großer Haftungsfreiraum für den Schuldner. Insbesondere könnte er die umstrittene Rechtsposition selbst dann vorerst ohne Haftungsrisiko behalten, weiternutzen und ein Insolvenzrisiko meiden, wenn es ihm ohne Weiteres möglich wäre, die Forderung des Gläubigers zunächst zu erfül­ len und sich auf die Rückforderung zu verlegen. Nur durch das letztgenannte Vor­ gehen würde aber eine Risikozuweisung erreicht, wie sie ansonsten den vermeint­ lichen Gläubiger trifft.337 Das beschriebene Defizit wird auch nicht dadurch kom­ pensiert, dass die Anforderungen an die Einholung von Rechtsrat hoch angesetzt werden. Dies vermag an der zu weitgehenden Entlastung auf Ebene des Erkennt­ nisgrades nichts zu ändern. Auch der Verweis auf die für den Schuldner ungünstige Beweislastverteilung innerhalb von Sonderbeziehungen führt kaum weiter. Wenn man, wie von Thole vorgeschlagen, eine Entlastung bei „wirklich zweifelhafter, unkalkulierbarer Rechtslage“ bejaht, dürften Darlegung und Beweis einer solchen Lage für den Schuldner kaum mit Schwierigkeiten verbunden sein.338 3. Vorzugswürdigkeit der milden Linie bezüglich reiner Verteidigung – Haftung außerhalb von §§  281, 286 BGB Es ist nochmals nachdrücklich zu betonen, dass die hier bevorzugte strenge Schuld­ nerhaftung bei Rechtszweifeln nicht an die Rechtsverteidigung, sondern an die da­ mit einhergehende Leistungsverweigerung anknüpft.339 Die isolierte Rechtsvertei­ digung könnte milder zu beurteilen sein. a) Grundlagen Der in Anspruch Genommene haftet bei Rechtsungewissheit nicht, weil er eine ihm günstige Rechtsansicht vertritt, sondern weil er der Gegenseite währenddessen die streitbefangene Rechtsposition vorenthält. Schon Hopt hat in diesem Sinne un­ terschieden: Die Verteidigung „als solche“ unterliege lediglich dem Erfordernis hinreichender Erfolgsaussicht, während für die „Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens“ ein strengerer Maßstab anzulegen sein könne.340 Eine Schadensersatzhaftung des Schuldners für die Rechtsverteidigung „als sol­ che“ kann sich vor allem aus §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB ergeben.341 Dem 336 

Thole, AcP 209 (2009), 498, 539. Siehe oben b) aa). 338  Sofern es auf eine objektive Einschätzung der Rechtslage im Verweigerungszeitpunkt an­ kommt, kann das Gericht dies ohne weitere Darlegungen rekonstruieren, siehe bereits §  7 C. IV., §  9 C. VI. 2. 339  Siehe bereits 2. b) dd). 340  Hopt, Schadensersatz, S.  260. 341  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  78–79; Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 814. 337 

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Schuldner darf eine solche Haftung nur in dem Ausmaß aufgebürdet werden, wie im Parallelfall auch die Geltendmachung durch den potenziellen Gläubiger haf­ tungsbewehrt wäre.342 Auf Seiten des Schuldners ist gleichermaßen die Wertung aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO zu berücksichtigen, wonach hinreichende rechtliche Zweifel unter Beanspruchung fremder Ressourcen geltend gemacht werden dür­ fen.343 Die Schwelle zur Haftung ist für den Schuldner erst erreicht, wo das Be­ stehen seiner Verbindlichkeit quasi gewiss ist. Die praktische Bedeutung dieser Einstandspflicht ist allerdings vor dem Hintergrund gering, dass oftmals zugleich eine (strenge) Haftung wegen des Einbehalts der umstrittenen Rechtsposition er­ öffnet sein wird.344 Vor dem geschilderten Hintergrund wird beispielsweise verständlich, warum der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003345 den Haftungsfreiraum, den er dem Leistungskläger üblicherweise gewährt, auch dem Beklagten im Rahmen von dessen Rechtsverteidigung zubilligte: Die Frage, ob prozessuales Verhalten zu einer Haftung führe, hänge „grundsätzlich nicht von der Parteirolle ab“. Diese Gleichstellung scheint zunächst im Widerspruch zu der sonst praktizierten Strenge gegenüber dem Schuldner zu stehen. Die zugrunde liegende Klage des Gläubigers war indes nicht gegen die ursprüngliche Schuldnerin, eine GmbH, gerichtet, son­ dern gegen deren Geschäftsführer und Rechtsberater. Der Vorwurf lautete, diese hätten durch das Führen des Vorprozesses die Abwicklung derart verzögert, dass der Gläubiger nunmehr mit seiner Forderung gegen die GmbH ausgefallen sei. Die Anwendung des milden Haftungsmaßstabs ist unter solchen Bedingungen über­ zeugend. Weder Geschäftsführer noch Rechtsanwalt hatten die (allein die GmbH treffende) Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger verletzt. Es ging mit anderen Worten um Schäden, die allein auf der Rechtsverteidigung „als solcher“ beruhten. Wenn mit Blick auf das Urteil angemerkt wird, die Maßstäbe der strengen Verzugs­ haftung einerseits und der Haftung für die unberechtigte Rechtsverteidigung ande­ rerseits passten nicht zusammen,346 ist dem nicht beizupflichten. Die Maßstäbe stehen vielmehr in sinnvoller Abstufung zueinander. Die Anwendung der strengen Maßstäbe kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Schuldner die umstrittene Rechtsposition anmaßt, während der Streit um die Berechtigung ausgetragen wird. Nur insoweit ist die maßgebliche Wertung aus §  717 Abs.  2 ZPO einschlägig. Der Putativgläubiger haftet nach dieser Vorschrift erst dann streng, wenn er zur vorläufigen Verwirklichung seines Anspruchs an­ setzt; die reine Berühmung wird hingegen großzügig beurteilt. Kurzgefasst: Der Anspruchsteller darf reden, als sei er berechtigt, aber nicht schon so handeln. Wann auf Seiten des irrenden Schuldners das bloße „Reden“ in ein entsprechendes „Han­ 342 

Von einem Gleichklang ausgehend auch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815. Siehe dazu §  9 C. III. 3. a). 344  Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  7 7–78; Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 814. 345  BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447 (freilich unter Berufung auf das zweifelhafte Verfahrensprivileg, siehe dazu die Kritik bei §  9, insb. C. I. 2. b)). 346  Thole, AcP 209 (2009), 498, 522. 343 

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deln“ umschlägt, lässt sich ungleich schwieriger beurteilen als beim Putativgläubi­ ger, bei dem grundsätzlich an den Vollstreckungsakt angeknüpft werden kann. Um die Grenze zwischen dem (weitgehend) haftungsbefreiten Leugnen der Verpflich­ tung und der (weitgehend) missbilligten Leistungsverweigerung zu ziehen, wird man schlicht auf die Merkmale derjenigen Haftungstatbestände abstellen müssen, die die Nicht- bzw. Zuspätleistung sanktionieren. So zieht die Verweigerungshal­ tung des Schuldners laut §§  281 Abs.  1, 286 Abs.  1 BGB frühestens ab Fälligkeit des Anspruchs eine Schadensersatzpflicht nach sich. Zuvor fehlt es noch an einem miss­ billigten „Festhalten“ an der begehrten Rechtsposition. Ein solches ist erst in der unberechtigten Verweigerung trotz Fälligkeit und (sofern nicht nach §§  281 Abs.  2, 286 Abs.  2 BGB entbehrlich) Nachfristsetzung bzw. Mahnung zu erblicken.347 Bis dahin kommt nur eine Haftung aus §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB in Betracht,348 die sich nach dem milden Maßstab richtet. Gleiches gilt für den Ersatz von Auf­ wendungen des Gläubigers, die dieser vor dem Verzugseintritt getätigt hat.349 b) Privilegierung bei Verursachung von Begleitschäden Auch das bereits angesprochene Konzept Häsemeyers lässt sich im Grundsatz auf die geschilderte Unterscheidung zurückführen: Der (äußerst) strengen Haftung für Durchsetzungs- bzw. Verweigerungsschäden steht eine beiderseits großzügige Haftungsentlastung für Begleitschäden gegenüber.350 Dass Häsemeyers Ansatz gleichwohl zu fragwürdigen Ergebnissen führt, liegt an seiner Definition des Be­ gleitschadens. Als Begleitschäden, für die der säumige Schuldner bloß bei Vorsatz haften soll, qualifiziert er nämlich vor allem die Rechtsverfolgungskosten des Gläubigers.351 Nach vorherrschender Meinung unterfallen solche Kosten jedoch, sofern sie infolge des Verzugs entstehen, der strengen Haftung nach §§  280, 286 BGB.352 Das ist nach dem oben vertretenen Abgrenzungsgedanken konsequent. Es handelt sich nach dem gesetzlichen Modell um Schäden, die auf dem Ausbleiben der Leistung, nicht bloß auf dem Streitverhalten des Schuldners beruhen. Dies verkennt Häsemeyer offenbar, weil er den Ersatz der Rechtsverfolgungskosten des Gläubi­ gers als „Akt ausgleichender Ungerechtigkeit für die sonstige Gläubigerbenachtei­ ligung“ einstuft.353 Eine Orientierung der Schuldnerhaftung an der korrespondie­ 347  Auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  35, 39–40, 46, gelangt zu ähnlichen Ergebnissen, wenn er für sein Konzept der Streithaftung eine „Streitbegründung“ fordert, die, sofern sie vom Gläubi­ ger ausgeht, im Wesentlichen der Mahnung nach §  286 BGB entspricht (und die auch dann eintritt, wenn einer der heute in §  286 Abs.  2 BGB geregelten Entbehrlichkeitstatbestände erfüllt ist). 348  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 814. 349  Anschauliche Beispiele: OLG Nürnberg, Urt. v. 31.7.2020 – 15 U 3678/19, BeckRS 2020, 20078 Rn.  72–74; LG Ansbach, Urt. v. 15.12.2009 – 3 O 127/08 Ver, Rn.  37, juris. Dort lag jeweils noch kein Verzug vor. Innerhalb der Prüfung des §  280 BGB wurde zutreffend der Plausibilitäts­ maßstab angelegt. Siehe zudem die unten bei c) Fn.  370 zitierten Entscheidungen. 350  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  139–156. 351  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  148–149 (siehe auch schon S.  7–8). 352 Siehe Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  6 4; Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 812. 353 So Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  148.

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ren Haftung des Vollstreckungsgläubigers354 muss aber zu einem anderen Ergebnis führen. Im Rahmen der Haftung aus §  717 Abs.  2 ZPO trifft den Vollstreckungs­ gläubiger nämlich eine Pflicht zur Erstattung der Rechtsverteidigungskosten des Vollstreckungsschuldners. Dieser Umstand wird selten ausdrücklich benannt, weil er nur geringe praktische Relevanz hat. Kosten fallen für den Schuldner nämlich überwiegend im vorprozessualen Stadium bzw. im Erkenntnisverfahren an. Sie be­ treffen dann den für den Anspruchsteller haftungsprivilegierten Bereich. Die Voll­ streckungsgebühr ist aber sehr wohl nach §  717 Abs.  2 ZPO zu ersetzen, sofern sie erst nach der Vollstreckungsdrohung anfällt.355 Insofern besteht also eine vergleich­ bare Ausgangslage wie bei §§  280, 286 BGB, wo nur die Kosten, die nach Ver­ zugseintritt verursacht wurden, zu ersetzen sind. c) Einordnung von Leistungstreuepflichtverletzungen Gewisse Probleme bereitet die Fallgruppe der sogenannten Leistungstreuepflicht­ verletzung: Unter diesem Stichwort haben die frühere Rechtsprechung sowie Teile des Schrifttums eine Haftung desjenigen angenommen, der den Bestand seiner Verpflichtung leugnet, zum Beispiel durch die unberechtigte Berufung auf eine Loslösung vom Vertrag.356 Mit Blick auf solche Fälle fragt sich, ob bzw. ab welchem Punkt eine strenge Haftung des Schuldners geboten ist.357 Unter dem modernisierten Schuldrecht ergeben sich kaum Abweichungen zu den bisher festgehaltenen Ergebnissen. Die Anerkennung einer durch eine strenge Haf­ tung geschützten Leistungstreuepflicht ist grundsätzlich entbehrlich, denn man kann die Sachverhalte schlicht unter §§  280, 281, 286 BGB subsumieren.358 Das Leugnen der Verpflichtung trotz Rechtsungewissheit führt dann zu einer Haftung, wenn es nach Fälligkeitseintritt erfolgt (§§  281 Abs.  1, 286 Abs.  1 BGB) und – sofern nicht eine Mahnung bzw. erfolglose Fristsetzung durch den Gläubiger vorliegt bzw. anderweitig entbehrlich ist – das Verhalten die Schwelle einer Erfüllungsver­ weigerung im Sinne von §§  281 Abs.  2 Var.  1, 286 Abs.  2 Nr.  3 BGB erreicht.359 Schwieriger zu beurteilen ist vornehmlich der Fall, dass der Schuldner vor Ein­ tritt der Fälligkeit ernsthaft und endgültig ankündigt, die Erfüllung zu verweigern. 354 

Dazu oben 2. b) bb). Siehe oben §  9 C. II. 2. c) unter Verweis auf BGH, Urt. v. 16.12.2010 – Xa ZR 66/10, NJWRR 2011, 338, 341 Rn.  30 – Steroidbeladene Körner. 356  Siehe z. B. BGH, Urt. v. 5.12.1968 – VII ZR 127, 128/66, NJW 1969, 419, 420; BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; BGH, Urt. v. 4.7.1996 – VII ZR 227/93, NJW 1996, 3270, 3271; aus jüngerer Zeit OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.5.2006 – 23 U 170/04, NJOZ 2006, 3675, 3676–3677; aus der Literatur insb. Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  69, 78, 100–101; sympathisierend Haertlein, Exekutionsintervention, S.  516–517. 357  Klar der strengen Linie folgend z. B. BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; dazu näher §  15 A. II. 2. b) cc) (2). 358  Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538–539; siehe zuvor schon K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  139. 359  Insoweit hat der Gesetzgeber die Fälle der Leistungstreuepflichtverletzung gerade in §§  281, 286 BGB integriert, vergleiche Sutschet, in: BeckOK-BGB, §  241 Rn.  51. 355 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

„Redet“ er hier bloß (haftungsprivilegiert) oder „handelt“ er schon gleich einem Vollstreckungsgläubiger im Sinne von §  717 Abs.  2 ZPO – mit der Folge einer stren­ gen Haftung im Fall der Rechtsungewissheit? Dem Schuldner, der vor Fälligkeit den Zugriff auf die geschuldete Rechtsposition innehat, lässt sich kaum vorwerfen, er maße sich damit im Streit etwas an. Die Rechtsposition steht ihm schließlich bis zur Fälligkeit unstreitig zu. Es wird indes zutreffend betont, unter den geschilder­ ten Umständen bedeute es, wie §  323 Abs.  4 BGB belege, eine bloße Förmelei, den Gläubiger darauf zu verweisen, die unausweichlich erscheinende Nichtleistung bei Fälligkeit abzuwarten.360 Deshalb wird ihm – gewissermaßen antizipiert – ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach §  281 BGB (analog)361 bzw. nach §  282 BGB362 zugesprochen; er wird so gestellt, als habe der Schuldner bei Fällig­ keit nicht geleistet. Es geht also letztlich um eine vorwirkende Leistungspflichtver­ letzung.363 Damit wird zugleich die Anmaßung der umstrittenen Rechtsposition antizipiert, sodass man die Phase des (privilegierten) „Redens“ für beendet erklären muss.364 Dabei ist allerdings sorgfältig zu prüfen, ob nach dem Verhalten des Schuldners wirklich endgültig mit dem Ausbleiben der Leistung bei Fälligkeit zu rechnen war.365 Sofern der Schuldner zwar seine Rechtsauffassung äußert, die Ver­ bindlichkeit bestehe nicht, der Vertrag sei wirksam gekündigt usw., aber nicht end­ gültig zu erkennen gibt, er werde bei Fälligkeit nicht leisten, liegt darin vor diesem Zeitpunkt keine hinreichende „Anmaßung“. Der Schuldner darf nicht per se mit einer strengen Haftung dafür belegt werden, dass er durch das Leugnen der Ver­ bindlichkeit eine Situation schafft, in welcher der Gläubiger „fortan damit rechnen [muss], die Leistung seines Gegners für den Fall, daß sie seiner Ankündigung ge­ mäß tatsächlich ausbleibt, klageweise geltend machen zu müssen“.366 Insbesondere ist keine strenge, sondern bloß eine milde Schuldnerhaftung nach §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB geboten, wenn der Schuldner zwar die Meinung vertritt, der Vertrag bestehe nicht mehr, er aber vorsichtshalber dennoch leistet. Dann führt er den Streit  – trotz Leugnung des Vertrags – unter Übernahme des Insolvenzrisikos und unter Verzicht auf die vorläufige Nutzung der umstrittenen Position. Er verdient daher die Privilegierung.367 Die vorstehenden Beobachtungen sind insbesondere relevant für die später noch ausführlich zu beleuchtende Haftung im Zusammenhang mit der rechtsirrtüm­ 360 Etwa

Ernst, in: MüKo-BGB, §  281 Rn.  67; Grigoleit/Bender, ZfPW 2019, 1, 62–63. etwa Ernst, in: MüKo-BGB, §  281 Rn.  67; Grigoleit/Bender, ZfPW 2019, 1, 62–63; ­Stadler, in: Jauernig, §  282 Rn.  4. 362  So etwa Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  281 Rn.  11.1. 363  Zutreffend m. w. N. zur umstrittenen Einordnung Grigoleit/Bender, ZfPW 2019, 1, 62. 364  Zur Einschlägigkeit der von ihm ersonnenen Streithaftung infolge hinreichender Streit­ begründung gelangt in diesen Fällen auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  40. 365  Vergleiche dazu allgemein Ernst, in: MüKo-BGB, §  323 Rn.  101–102. 366 So aber die Charakterisierung durch Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.   72. Dieser stellt a. a. O., S.  69, 78, insgesamt nur auf ein ernsthaftes Bestreiten ab, was aber ohne Endgültig­ keit nicht genügen kann. 367  Insoweit treffend die pointierte Ablehnung der Figur der Leistungstreuepflichtverletzung durch Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815: „Notwendig ist diese Vertragsmetaphysik nicht.“ 361 So

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lichen Geltendmachung von Vertragslösungsrechten.368 Wenn in diesem Kontext dem Schuldner, der sich beispielsweise auf einen Rücktritt vom Vertrag beruft, ein Haftungsfreiraum bei rechtlicher Ungewissheit pauschal versagt wird,369 ist dies nach den bisherigen Ergebnissen falsch. Zutreffend ist es hingegen zum Beispiel, wenn die Rechtsprechung eine Haftung des Versicherers, der sich zu Unrecht, aber mit plausiblen Gründen auf einen Rücktritt vom Vertrag beruft, verneint, solange lediglich die Anwendung von §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB, nicht etwa §  286 BGB, eröffnet ist.370 Auch die spiegelverkehrte Anordnung zur „Leistungstreuepflichtverletzung“ besitzt eine gewisse praktische Relevanz. Hier geht es um die Haftung desjenigen, gegenüber dem ein Vertragslösungsrecht wirksam ausgeübt wird, der aber die Ver­ tragslösung zu Unrecht bestreitet.371 Solche Sachverhalte haben die Rechtspre­ chung in jüngerer Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Verbraucherwi­ derrufsrechten beschäftigt. Sofern Rechtszweifel an der Wirksamkeit des Wider­ rufs bestehen, kommt es zu einer Haftung des Widerrufsgegners nach §§  280, 281, 286 BGB (gegebenenfalls i. V. m. §  346 Abs.  4 BGB), soweit durch die Verletzung der entstandenen Rückgewährpflicht Schäden eingetreten sind.372 Eine Bank handelt, entgegen einer in der Rechtsprechung anzutreffenden Vorstellung,373 nicht zwin­ gend nur als Gläubigerin, wenn sie den wirksamen Widerruf eines Darlehensneh­ mers zurückweist. Die strenge Haftung hängt wiederum davon ab, dass die Vor­ aussetzungen von §  281 bzw. §  286 BGB erfüllt sind. Für die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten kommt es beispielsweise darauf an, dass der Anwalt erst nach Verzugseintritt eingeschaltet wurde.374 Dagegen haftet der Widerrufsgegner bei zweifelhafter Rechtslage nicht schon aufgrund der bloßen Leugnung der Wirk­ samkeit des Widerrufs. Auch der BGH gelangt in diesem Punkt im Ergebnis zu einer Haftungsfreiheit.375

368 

Dazu §  15 A. II. 2. b) cc) (2). Arz, NJW 2019, 1858, 1860. 370  So die von Arz, NJW 2019, 1858, 1860, gerade kritisierten Entscheidungen OLG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2016 – 7 U 149/15, VersR 2016, 1488, 1491–1492; OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2014  – 5 U 45/13, Rn.  86, juris. 371  Zutreffende Einordnung von Eichel, ZfPW 2016, 52, 63. 372  Im Ausgangspunkt zutreffend auf §  286 BGB abstellend OLG Schleswig, Urt. v. 6.10.2016  – 5 U 72/16, BKR 2016, 472, 475–476 Rn.  56, 59 (das Gericht wählt allerdings sodann den falschen Haftungsmaßstab; dieser entspricht der milden Linie zur Putativgläubigerhaftung). 373  OLG Hamm, Urt. v. 28.4.2017 – 19 U 123/16, Rn.  25, juris; OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2017  – 19 U 21/17, Rn.  29, juris. 374  Siehe BGH, Urt. v. 21.2.2017 – XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823, 1826 Rn.  31, sowie schon a). 375  Es bestehe keine Nebenpflicht, die richtige Rechtsauffassung zur Wirksamkeit des Wider­ rufs zu vertreten, BGH, Urt. v. 19.9.2017 – XI ZR 523/15, BeckRS 2017, 133090 Rn.  22, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 65/02, NJW-RR 2003, 416, 417 (betreffend Wider­ spruch gegen eine berechtigte Vertragskündigung). Hingegen scheint Eichel, ZfPW 2016, 52, 63– 65, eine Haftung für die unberechtigte Zurückweisung nach §§  280, 241 Abs.  2 BGB nicht prinzi­ piell ausschließen zu wollen. Das ist durchaus nachvollziehbar. Wie sich bei §  9 A. I. gezeigt hat, hält gerade der XI. Zivilsenat des BGH eine Haftung des Putativgläubigers für möglich, wenn sich 369 So

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4. Keine Unterschiede in der Behandlung von Rechts- und Tatsachenzweifeln Die weitgehende Haftungsfreistellung des Putativgläubigers für die irrtümliche Geltendmachung bei Ungewissheit über den Anspruch wurde oben mit Argumen­ ten  – verjährungsrechtlicher Druck und Förderung der Klärung offener Rechtsfra­ gen  – begründet, die nur für rechtliche Zweifel gelten; die Möglichkeit, tatsächliche Zweifel strenger zu behandeln, wurde bewusst offengelassen.376 Bei der Haftung des Schuldners für die unberechtigte Leistungsverweigerung kommt eine Besser­ stellung von Rechts- gegenüber Tatsachenzweifeln dagegen grundsätzlich nicht in Betracht.377 Das wesentliche Argument für die strenge Ausgestaltung der Haftung wurde §§  717 Abs.  2, 945 ZPO entnommen, die im umgekehrten Fall den Putativ­ gläubiger belasten.378 Deren Wertung betrifft Tatsachenirrtümer in gleicher Weise wie rechtliche Fehlvorstellungen.379 Auch in umgekehrter Richtung muss eine Differenzierung zwischen Tatsachenund Rechtszweifeln daher ausscheiden. Zwar ist gelegentlich angedeutet worden, der die Leistung verweigernde Schuldner sei im Fall von Rechtsirrtümern strenger zu behandeln als bei Tatsachenirrtümern.380 Der BGH behandelt im Rahmen der Kündigung wegen Zahlungsverzugs Rechts- und Tatsachenirrtümer des Mieters aber konsequenterweise identisch.381 Auch in der übrigen Rechtsprechung und im Schrifttum wird der für Rechtsirrtümer angelegte strenge Maßstab überwiegend auf Tatsachenirrtümer übertragen.382 Zu einer Diskriminierung des Rechtsirr­ tums kann es grundsätzlich nur außerhalb der Ebene des Erkenntnisgrades kom­ men. Dies betrifft vor allem die Frage, ob das Verfehlen der objektiv möglichen Einsicht dem Schuldner vorwerfbar ist.383 Ansonsten sind Rechts- und Tatsachen­ zweifel gleichermaßen haftungsschädlich. Die Problematik ist in Wissenschaft und Praxis lediglich besonders eng mit dem Fall der Rechtszweifel verbunden, sodass die gleich zu behandelnden Tatsachenzweifel oft außen vor bleiben.384

dieser weigert, auf die Anspruchsberühmung zu verzichten (BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1064 Rn.  30). Sehr anders liegt dieser Fall nicht. 376  Siehe oben §  9 C. III. 2. b) bb). 377  Ausdrücklich etwa Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  166. 378  Oben 2. b) bb). 379  Vergleiche §  9 C. II. 2. a). 380  Besonders strenge Anforderungen an die Entschuldbarkeit (gerade) von Rechtsirrtümern propagierten mitunter das RG (etwa RG, Urt. v. 20.12.1924 – V 846/23, RGZ 110, 1, 17) und das RAG (siehe etwa RAG, Urt. v. 30.1.1929 – 346/28, Bensh.Samml. 5, 224, 229). 381  BGH, Urt. v. 11.7.2012 − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  19. 382  Siehe BGH, Urt. v. 11.4.1962 – VIII ZR 38/61, DB 1962, 698; BGH, Urt. v. 20.11.1990 – IV ZR 202/89, r+s 1991, 37, 37; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  272; Harke, NZM 2016, 449, 452; Hinz, in: NK-BGB, §  573 Rn.  34a; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  62; besonders kritisch gegenüber der Differenzierung auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  89–90. 383  Dazu unten III. 384  Repräsentativ z. B. die Untersuchungen von Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 812, und Linde­ mann, Haftung, S.  145, 148–150.

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5. Maßstabsbildung Die gängige Formel der BGH-Rechtsprechung, wonach der Schuldner schon dann in Verzug gerät, wenn er mit seinem Unterliegen rechnen musste,385 ist nach den bisher gewonnenen Ergebnissen im Kern sachgerecht. Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Maßstab das Aufstellen einer Wahrscheinlich­ keitsprognose erfordert. Dies ist aber – entgegen der Kritik Rittners 386 – nicht etwa deshalb unzumutbar, weil die künftige Entwicklung nicht vorhersehbar wäre. Es ist lediglich erforderlich, sich gedanklich in die Position des Schuldners im Zeit­ punkt der Leistungsverweigerung zurückzuversetzen. Auch Rittner selbst verfährt letzten Endes wie selbstverständlich so.387 Huber weist in diesem Kontext darauf hin, dass sich das Prozessrisiko nicht quantifizieren und nur schwer qualifizieren lasse.388 Selbst wenn man von dem Umstand absieht, dass die Prozessrisikoanalyse gerade Methoden zur Quantifizierung entwickelt,389 bleibt festzuhalten, dass sich zumindest das Problem der Qualifikation bewältigen lässt. Huber selbst konsta­ tiert zutreffend, dass die genaue Grenze des erlaubten Risikos normativ zu bestim­ men sei.390 Um praktisch handhabbar zu sein, muss die Bestimmung in relativ ein­ deutiger Weise erfolgen. Solche klaren Maßstäbe gilt es im Folgenden zu bilden. a) Orientierung an den nach §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verlangten Erfolgsaussichten Dabei ist einem ersten Schritt davon auszugehen, dass eine Nachteilszuweisung zum Irrenden zumindest dort in Betracht kommt, wo sein Rechtsstandpunkt un­ vertretbar ist.391 Die zusätzlich angeführten Fälle einer „schlicht fehlerhaften Beur­ teilung der Rechtslage“ bzw. eines „simplen Gesetzesverstoß[es]“392 lassen sich ebenfalls dieser Gruppe zuordnen. Insoweit besteht noch keine Diskrepanz zur milden Linie. Diese verneint unter solchen Umständen ebenfalls eine Entlastung des Schuldners.393 Zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt es erst, wenn der Schuldner vertretbare Rechtszweifel am Bestehen seiner Verbindlichkeit hegt. Nach den erarbeiteten Grundsätzen ist er auch in solchen Fällen prinzipiell zu be­ lasten, wenn nicht ausnahmsweise die Einschätzung der Rechtslage ex ante eindeu­ tig zu seinen Gunsten ausfiel. Um diesen Maßstab operabel zu machen, bietet sich wiederum der Rückgriff auf die Vorgaben des Prozesskostenhilferechts (§  114 Abs.  1 S.  1 ZPO) an. Diese haben sich bereits mehrfach als Orientierungspunkt be­

385 

Siehe oben B. I. 1. Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 415–416. 387  Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416. 388  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  722. 389  Insoweit ausdrücklich gegen Huber auch Engert, in: GS Unberath, S.  91, 95–96. 390  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  722. 391  So auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  711. 392 Jeweils U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  711. 393  Siehe oben B. I. 2. m.N., z. B. OGH BrZ, Urt. v. 27.7.1950 – I ZS 70/49, OGHZ 4, 177 = NJW 1950, 822, 823. 386 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

währt.394 Zudem überzeugt es wertungsmäßig, die Rechtslage als hinreichend klar zugunsten des Schuldners anzusehen, wo eine Leistungsklage des Gläubigers keine Aussicht auf eine Förderung durch Prozesskostenhilfe hätte. Zu einer Entlastung des Schuldners qua Rechtsirrtums wird es dann nur selten kommen:395 Wo eine Leistungsklage des Gläubigers ex ante praktisch keine Erfolgsaussicht hat, wird sich in aller Regel herausstellen, dass der in Anspruch Genommene tatsächlich nichts schuldet. Eine Haftung scheitert dann nicht erst am Merkmal des Vertreten­ müssens. Deutlich seltener vorkommen werden Sachverhalte, in denen ein Gericht zwar die Verpflichtung des Schuldners bejaht, ihm aber zugleich attestiert, mit die­ ser Entscheidung sei vorab kaum zu rechnen gewesen. b) Präzisierung des Maßstabs Dass bei objektiver Betrachtung die Erfolgsaussichten einer Anspruchsgeltendma­ chung unzureichend im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO erscheinen, kommt nach den bisherigen Erkenntnissen im Wesentlichen in zwei Fällen in Betracht: der an­ spruchsbejahenden Rechtsauffassung steht höchstrichterliche Rechtsprechung ent­ gegen (dazu aa)) oder die Annahme eines Anspruchs wäre unvertretbar (dazu bb)).396 aa) Anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung Derjenige Schuldner, der auf Basis der höchstrichterlichen Judikatur davon ausge­ hen musste, es bestehe keine Leistungsverpflichtung, blieb bereits unter der stren­ gen reichsgerichtlichen Rechtsprechung von einer Verzugshaftung verschont.397 Auch der BGH hat den Schuldner als entlastet angesehen, wenn dieser sich vor ei­ ner Rechtsprechungsänderung auf die Judikatur des Reichsgerichts und die allge­ meine Meinung in der Literatur berufen konnte.398 Diese Sichtweise hat der VIII. Zivilsenat des BGH in jüngerer Vergangenheit bekräftigt.399 Auch das BAG hat mehrfach auf den Bestand schuldnerfreundlicher höchstrichterlicher Judikatur ab­ gehoben.400 Umgekehrt müssen Rechtsirrtümer grundsätzlich für verschuldet gehalten wer­ den, wo die Rechtslage höchstrichterlich ungeklärt ist.401 Unrichtig ist es, wenn 394 

§  7 C. II. 2., §  9 C. III. 3. Zum Folgenden zutreffend schon U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713. 396  Vergleiche §  7 C. II. 2. c), §  9 C. III. 3. b). 397  RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234–235, dafür bereits Reichel, JW 1931, 525. 398  BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; siehe ferner OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; außerhalb des Verzugskontexts ähnlich BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905; BGH, Urt. v. 22.11.2007 – III ZR 9/07, BGHZ 174, 255 = NJW 2008, 840, 842 Rn.  17. 399  BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23. 400  Siehe BAG, Urt. v. 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500, 500; BAG, Urt. v. 13.5.1998 – 7 AZR 297/97, BeckRS 1998, 30369811 (unter V. 1.); BAG, Urt. v. 3.12.2002  – 9 AZR 481/01, BAGE 104, 45 = NZA 2003, 1215, 1219. 401  So BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  26. 395 

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der IV. Zivilsenat des BGH meint, dass der Schuldner mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauche, sei „vor allem bei höchstrichterlich unge­ klärten Rechtsfragen“ denkbar.402 In solchen Szenarien besteht regelmäßig ein mehr als geringfügiges Risiko, mit der eigenen Rechtsauffassung nicht durchzu­ dringen. Diesen Umstand hat demgegenüber der I. Zivilsenat korrekt erkannt: Ge­ rade wenn es um eine „komplexe Abwägungsentscheidung ohne Präjudiz“ gehe, müsse der Schuldner damit rechnen, dass das zuständige Gericht die Auffassung nicht teile.403 Auch das BAG hält treffend fest, soweit der Schuldner geltend mache, ihm habe keine tragfähige Rechtsprechung als „Richtschnur“ vorgelegen, zeige er gerade „selbst auf, dass er bei sorgfältiger Prüfung sehr wohl damit rechnen musste, die Gerichte könnten die Rechtslage anders beurteilen als er“.404 Schon in früheren Urteilen des BAG war Arbeitnehmern, die ihre Leistung verweigerten, eine Entlas­ tung versagt worden, weil sie nicht auf Basis einer bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Ansicht gelangt waren, zur Verweigerung berechtigt zu sein.405 In der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum werden die beschriebenen Grundsätze ebenfalls verbreitet anerkannt.406 Dem Schuldner gereicht es prinzipiell nicht zum Vorwurf, dass eine nachteilige Rechtsprechungswende nie gänzlich auszuschließen ist. Diese theoretische Mög­ lichkeit darf der Schuldner vernachlässigen. Er muss sich nur von ernstzunehmen­ den Risiken abschrecken lassen.407 Diesen Freiraum gewährt ihm auch die höchst­ richterliche Rechtsprechung: Ein Unterliegen müsse nicht gänzlich „undenkbar“ gewesen sein.408 Dass es sich um eine Frage des Erkenntnisgrades handelt, kommt besonders treffend zum Ausdruck, wenn das BAG ausführt, es begründe „die Möglichkeit einer abweichenden Gerichtsentscheidung keinen Grad an Vorherseh­ barkeit, der den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigen würde“.409 Damit werden zugleich Befürchtungen widerlegt, nach denen ein gewissenhafter Rechts­ 402 

BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  15. Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  30 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen. 404  BAG, Urt. v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  52. 405  BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.); ebenso BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; ebenso BAG, Urt. v. 23.11.­ 1988 – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433, 435. 406  Siehe etwa OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.11.1998 – 4 Sa 47/98, BeckRS 1998 30452428; Engert, in: GS Unbe­ rath, S.  91, 110; Eufinger, RdA 2018, 224, 228. 407  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713, 722–723. 408  BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  32; BAG, Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  37 (jeweils unter Verweis auf BAG, Urt. v. 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500, 500, das indes noch einer recht milden Linie folgte); BAG, Beschl. v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, NZA 2020, 526, 530 Rn.  45; BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; BGH, Urt. v. 24.9.2013  – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735 Rn.  19 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; außerhalb des Verzugskontexts auch BGH, Urt. v. 10.10.1989 – KZR 22/88, NJW 1990, 1531, 1533. 409  So BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  32 (Herv. d. Verf.). 403  BGH,

408

5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

berater seinen Mandanten stets bösgläubig machen müsste, weil er kaum absolute Sicherheit garantieren werde.410 (1) Vertrauensschutz bei Änderung einschlägiger Rechtsprechung Die haftungsrechtliche Verschonung des säumigen Schuldners in den beschriebe­ nen Fällen taugt nicht nur, um dem Vorwurf zu begegnen, die strenge Linie schaffe das Verschuldensprinzip ab.411 Sie greift auch den allgemeinen Gedanken auf, dass das materielle Recht mit Blick auf Rechtsprechungsänderungen Vertrauensschutz­ instrumente vorhalten muss.412 Dieser Zusammenhang wird erkannt, wenn der Ausschluss der Schuldnerhaftung in diesen Fällen als „Gebot der Rechtssicherheit“ bezeichnet wird.413 Die Verbindung zum Vertrauensschutzgedanken wird auch vom Schrifttum geknüpft.414 Die den Schuldner begünstigende Ausnahme von der strengen Haftung ist dem­ nach wohlbegründet. Sie lässt sich auch gegen die Kritik Häsemeyers verteidigen, der vermeintliche systematische Friktionen mit §  717 Abs.  2 ZPO moniert: Wäh­ rend den vollstreckenden Putativgläubiger nicht einmal die richterliche Bestätigung seines konkreten Klagebegehrens entlaste, sei der Schuldner schon haftungsfrei, wenn er sich nur an abstrakten Leitsätzen orientiere.415 Diese Gegenüberstellung blendet erstens aus, dass höchstrichterlichen Entscheidungen eine herausgehobene Stellung zukommt.416 Diese rechtfertigen Vertrauen eher als eine schlichte Instan­ zentscheidung. Zweitens wird der Schuldner nach herrschender Auffassung keines­ wegs „anhand abstrakter Leitsätze“ entlastet, sondern nur, wenn die Tatsachen im konkreten Lebenssachverhalt tatsächlich unter die vom Höchstgericht festgehalte­ ne Regel zu subsumieren sind. Das kommt insbesondere in jüngeren Entscheidun­ gen des BAG zum Ausdruck: Die vertrauensbegründende Judikatur müsse zumin­ dest zu einem ähnlichen Sachverhalt ergangen sein.417 Und drittens wird auch der Schuldner grundsätzlich nicht durch ein günstiges Instanzurteil im konkreten Rechtsstreit entlastet.418 Seine Position unterscheidet sich insoweit nicht von der 410  Diese Sorge äußert Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  92; zutreffend U. Huber, Leistungsstö­ rungen I, S.  713, der eine Entlastung gerade auch für den Fall annimmt, dass der Berater trotz eindeutiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auf die stets bestehende Unsicherheit hingewie­ sen hat. 411  Siehe oben 2. d) dd). 412  Siehe oben §  3 A. II. 3., §  5 C. III. 3. 413  So BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  32; ausführlich auch OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61. 414  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  715–716, 722; zustimmend Haertlein, Exekutionsinter­ vention, S.  411; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  147. 415  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  92. 416  Vergleiche dazu §  3. A. II. 2., 3. 417  BAG, Urt. v. 3.12.2002 – 9 AZR 481/01, BAGE 104, 45 = NZA 2003, 1215, 1219; BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  31–32; siehe auch BAG, Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  38; Beispiel für die Verneinung einer solchen Ähnlichkeit: LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.6.2018 – 12 Sa 145/18, Rn.  226, juris. 418  Dazu unten III. 3. b).

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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des Vollstreckungsgläubigers. Eine Diskrepanz bestünde einzig hinsichtlich der Entlastung bei Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dieses Gefäl­ le wäre indes nicht durch eine Streichung des verfassungsrechtlich unterlegten Ver­ trauensschutzes bei der Schuldnerhaftung, sondern durch einen Ausbau des ent­ sprechenden Schutzes zugunsten des Vollstreckungsgläubigers zu beseitigen.419 (2) Ende des Vertrauensschutzes bei aufkommenden Zweifeln Die Existenz schuldnerfreundlicher Rechtsprechung eines Höchstgerichts führt nicht in jedem Fall zu einer Entlastung. Auch in diesem Punkt lässt sich der Maß­ stab des §  114 ZPO fruchtbar machen. Einem potenziellen Gläubiger kann schließ­ lich Prozesskostenhilfe unter Umständen auch dann zu gewähren sein, wenn er für einen Erfolg erst eine entgegenstehende höchstrichterliche Judikatur überwinden müsste.420 Im Kontext der Verzugshaftung wird ebenfalls bemerkt, dass Änderun­ gen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Regel nicht „aus heiterem Him­ mel“ kämen, sondern sich oft durch Kritik in der Instanzrechtsprechung bzw. ­Literatur ankündigten.421 Aus der Perspektive der milden Linie ist anspruchsfeind­ liche höchstrichterliche Rechtsprechung auch dann noch zugunsten des Schuldners zu berücksichtigen, wenn erhebliche Kritik daran aufgekommen ist.422 Von der Warte der vorzugswürdigen strengen Linie aus ist es hingegen folgerichtig, dass die jüngere Rechtsprechung des BGH für eine Entlastung voraussetzt, dass der Schuld­ ner „eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung für seine Auffassung in An­ spruch nehmen konnte und mit einer späteren Änderung derselben nicht zu rechnen brauchte“.423 Der überwiegende Teil der Literatur und der früheren Rechtsprechung attestiert dem Schuldner indes nur mit Zurückhaltung, dieser habe mit einer Wende rechnen müssen. Außerhalb der Verzugsproblematik hielt der BGH 1962 fest, vom Fortbe­ stand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung dürfe auch dann ausgegangen wer­ den, wenn diese im Schrifttum überwiegend auf Widerstand gestoßen sei.424 Sogar der Umstand, dass der Senat selbst bereits obiter Bedenken gegen die frühere Rechtsprechung geäußert hatte, sei unschädlich.425 Zur Verzugshaftung hat sich der BGH dahingehend eingelassen, dem Schuldner sei das Festhalten an einer höchstrichterlich geteilten Rechtsauffassung nicht vorzuwerfen, auch wenn ein einzelnes Obergericht und das erstinstanzliche Gericht im konkreten Rechtsstreit abweichend entschieden hätten.426 Daraus wird zum Teil geschlossen, der Schuld­ 419 

Dazu unten §  15 A. II. 3. e). Siehe §  7 C. II. c) aa) m. w. N., §  9 C. III. 3. b) bb). 421  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  715. 422  Siehe z. B. Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416. 423  Deutlich BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23 a. E.; insoweit ähnlich schon J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  147. 424  BGH, Urt. v. 18.12.1962 – I ZR 54/61, BGHZ 38, 356 = NJW 1963, 651, 654. 425  BGH, Urt. v. 18.12.1962 – I ZR 54/61, BGHZ 38, 356 = NJW 1963, 651, 654; zustimmend Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  169. 426  BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046. 420 

410

5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

ner brauche mit einer Rechtsprechungsänderung nicht zu rechnen, bis diese tat­ sächlich erfolge.427 Mitunter wird aber auch zwischen aufgekommener Kritik (für den Schuldner unschädlich) und obiter angebrachten Bemerkungen des Höchst­ gerichts (schädlich) differenziert.428 An dieser Stelle besteht demnach Bedarf für eine Vertiefung der Diskussion. Weil die angesprochene Problematik allerdings nicht nur beim Rechtsirrtum des leistungsunwilligen Schuldners eine wichtige Rolle spielt, erscheint es sinnvoll, insoweit später eine Gesamtschau aller Untersu­ chungsquadranten vorzunehmen.429 (3) Sonstige rechtliche Zweifel Über die genannten Fälle hinaus erkennen Vertreter der strengen Herangehenswei­ se eine Entlastung des irrenden Schuldners teils schon bei Vorliegen einer beson­ ders unklaren Rechtslage an. Die Befürworter430 können im Kontext der Verzugs­ haftung vor allem auf ein Urteil des VIII. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 2005 verweisen.431 Ähnliche Tendenzen hatte zuvor bereits der IVa. Zivilsenat an den Tag gelegt.432 Zum Mietrecht äußern sich Vertreter in Rechtsprechung und Litera­ tur in vergleichbarer Weise.433 Hier reiht sich auch die Linie ein, die das BAG ver­ folgt, wenn es um die Erkennbarkeit der Unwirksamkeit einer Kündigung geht. Es lässt Nachsicht walten, da der Kündigungsausspruch eine „komplexe Abwägungs­ entscheidung des Arbeitgebers“ erfordere.434 Nach vorzugswürdiger Auffassung entlastet jedoch eine besondere Verworren­ heit der Rechtslage den Schuldner nicht. Einer Leistungsklage des Gläubigers ließe sich unter solchen Umständen die hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO nicht absprechen. Schon zur parallelen Problematik im Verjäh­ rungsrecht wurde daher einer Entlastung des Irrenden eine Absage erteilt.435 Eine Haftungsverschonung infolge verworrener Rechtslage liefe auf eine erhebliche Re­ lativierung der (wohlbegründeten436) strengen Linie hinaus. Diese Widersprüch­

427 So

Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  120; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  717–718. So offenbar Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  61. 429  Unten §  15 C. II. 3. c). 430  Ausführliche Nachweise bei B. I. 1. Fn.  43. 431  BGH, Urt. v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04, NJW 2005, 976, 977 (Verschulden verneint, da die Rechtslage „in besonderem Maße unklar“ gewesen sei und einschlägige höchstrichterliche Judika­ tur gefehlt habe). 432  BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1139; BGH, Urt. v. 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161. 433  Siehe etwa LG Berlin, Urt. v. 17.3.2009 – 65 S 54/08, BeckRS 2009, 21507; Hinz, NJW 2013, 337, 339. 434  BAG, Urt. v. 22.3.2001 – 8 AZR 536/00, BeckRS 2001, 30790460; BAG, Urt. v. 13.6.2002  – 2 AZR 391/01, BAGE 101, 328 = NZA 2003, 44, 48; BAG, Urt. v. 17.7.2003 – 8 AZR 486/02, AP BGB §  611 Haftung des Arbeitgebers Nr.  27 (unter II. 2. b) bb)); BAG, Urt. v. 15.9.2011 − 8 AZR 846/09, NZA 2012, 377, 381 Rn.  42. 435  Siehe oben §  7 C. II. 2. c) bb). 436  Dazu eingehend oben 2. 428 

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lichkeit wird nur selten bemerkt.437 Wie im Kontext der Verjährung tritt als Argu­ ment hinzu, dass sich das Kriterium der besonders unklaren Rechtslage kaum rechtssicher konkretisieren lässt.438 Auch der BGH fühlt sich bemüßigt, den Aus­ nahmecharakter der Entlastung infolge verworrener Rechtslage zu betonen.439 Ein Gewinn an Rechtssicherheit geht mit dieser Bemerkung nicht einher. Die Rechtsprechungsanalyse zeigt, dass die Verworrenheit der Rechtslage ur­ sprünglich keinen tragenden Gesichtspunkt dargestellt hat. Mit Blick auf die Judi­ katur des Reichsgerichts ist herausgearbeitet worden, dass die besondere Komple­ xität allenfalls als zusätzlicher Faktor Berücksichtigung fand, wo schon andere Aspekte für eine Verschonung des Schuldners sprachen.440 Auch im Urteil des VIII. Zivilsenats von 2005 dient der Verweis auf die verworrene Rechtslage mögli­ cherweise eher als Projektionsfläche für andere Gesichtspunkte.441 Die Entschei­ dung ließe sich eventuell (teilweise) dadurch halten, dass von einer besonderen Haf­ tungsprivilegierung des im Verzug befindlichen Bereicherungsschuldners ausge­ gangen wird.442 bb) Fehlende Vertretbarkeit einer Anspruchsbejahung Ausgeschlossen ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Gläubiger auch, wenn eine ihm günstige Rechtsauffassung unvertretbar erscheint.443 Unter solchen Bedingungen müsste folglich eine Haftung des Schuldners ausscheiden. Das Szena­ rio ist indes praktisch so gut wie ausgeschlossen: Das Gericht, das einen Anspruch bejaht hat, kann im Rahmen der anschließenden Verschuldensprüfung zwar be­ rücksichtigen, dass seine Entscheidung der bisherigen höchstrichterlichen Recht­ sprechung widerspricht. Es wird hingegen nicht konstatieren, die eigene Rechtsauf­ fassung sei unvertretbar.444 Die Problematik kann praktische Relevanz nur dort erlangen, wo in einem zweiten Prozess über die Schadensersatzhaftung gestritten wird, nachdem im Ausgangsprozess der Anspruch rechtskräftig festgestellt wurde. Der als Zweites befasste Spruchkörper mag der Ansicht sein, die Rechtsauffassung des Gerichts im Vorprozess sei unvertretbar. An die Bejahung des Anspruchs ist er jedoch infolge der materiellen Rechtskraft gebunden.445 Allerdings könnte immer­ hin das Vertretenmüssen des Schuldners zu verneinen sein, weil dieser – aus Sicht des Zweitgerichts – nicht mit dem Unterliegen rechnen musste. Ob eine solche Ent­ 437 

Zutreffend aber Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  6; Häublein, PiG 97 (2014), 35, 46–47. Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47; vergleiche schon §  7 C. II. 1., 2. c) cc). 439  BGH, Urt. v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 = NJW 1975, 1220, 1223 – August Vierzehn; ebenso Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  174. 440  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  144–145, insb. mit Blick auf RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 28–30 (dazu unten 6. d) dd) (3)). 441  Vergleiche den entsprechenden Erklärungsansatz bei Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47; dazu unten 6. d) dd) (1). 442  Vergleiche dazu allgemein unten 6. c). 443  Vergleiche §  9 C. III. 3. b) aa). 444  So auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  204 (und ähnlich S.  219). 445  Siehe bereits §  4 A. unter Verweis auf Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  67, 73. 438 Zutreffend

412

5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

lastung tatsächlich denkbar ist, wird selten diskutiert. Vereinzelt wird offenbar an­ genommen, das Gericht im Haftungsrechtsstreit könne das Vertretenmüssen unter Verweis darauf verneinen, im Vorprozess sei ein „Fehlurteil“ ergangen.446 Es regen sich intuitiv Bedenken: Würde nicht die Rechtskraft der Entscheidung des Aus­ gangsprozesses unterlaufen? Ein solcher Vorwurf scheint nahezuliegen, wenn man davon ausgeht, die „Bestandskraft richterlicher Entscheidungen“ verbiete es, „im Nachhinein erneut über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit oder gar Richtigkeit einer Entscheidung zu streiten“.447 In Rechtskraft erwachsen ist jedoch nur die Feststellung des Anspruchs (§  322 Abs.  1 ZPO).448 Nicht rechtskräftig fest­ gestellt ist hingegen, dass dies für den Schuldner vorhersehbar war. In diesem Punkt ist das Gericht im Folgeprozess in seiner Entscheidung tatsächlich frei. Indes kommt eine Entlastung des Schuldners nicht schon immer dann in Be­ tracht, wenn das Gericht im Folgeprozess entgegen der Auffassung des Erstgerichts eine anspruchsverneinende Rechtsansicht für vorzugswürdig erachtet. Sofern auch die Ansicht des Erstgerichts immerhin vertretbar war, kann nicht angenommen werden, mit einer nachteiligen Entscheidung zulasten des Schuldners sei nicht zu rechnen gewesen. Überdies wird das Gericht im Folgeprozess die Vorhersehbarkeit für den Schuldner allenfalls in zeitlich begrenztem Umfang verneinen dürfen. Ab Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsprozess muss der Schuldner nicht nur damit rechnen, sondern sogar fest davon ausgehen, dass er den Anspruch erfüllen muss.449 Für den nach Eintritt der Rechtskraft eintretenden Schaden (zum Beispiel fortdauernd entgangenen Gewinn) ist der Schuldner folglich nicht mehr kraft Rechtsirrtums entlastet. 6. Ausnahmen bzw. Abweichungen von der strengen Linie Es stellt sich die Frage, inwieweit Ausnahmen von den zuvor skizzierten strengen Grundsätzen angezeigt sind. Entsprechende Ansätze in Rechtsprechung und Schrifttum drohen rasch unüberschaubar zu werden, zumal sich Kombinationen und Überschneidungen ergeben. Unterscheiden kann man etwa zwischen aus­ drücklich im Gesetz verankerten Sonderregelungen und Ausnahmen, die von Rechtsprechung und Lehre entwickelt wurden. Differenzieren lässt sich aber auch nach Ausnahmeregeln, die auf bestimmte Vertragsbeziehungen (etwa die Wohn­ raummiete) begrenzt sind, und solchen, die übergreifend gelten. Teils knüpfen die vorgeschlagenen Abweichungen an Nachteile an, die dem irrenden Schuldner im

446  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 933–934, zu dem Fall, dass ein Amtsgericht rechts­ kräftig das Bestehen einer Pflicht aus einem Formularmietvertrag festgestellt hat und im Nach­ gang der BGH und die einhellige Meinung zu einer Ablehnung dieser Pflicht gelangen. 447  So – ohne konkreten Bezug zum hier beleuchteten Problem – Häsemeyer, Schadenshaf­ tung, S.  97. 448  Und zwar im prozessualen Sinne, BGH, Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 = NJW 2010, 2210, 2211 Rn.  9; Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  22. 449  So wohl auch U. Huber, Leistungsstörungen II, S.  5 43.

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Fall der Nichtleistung drohen (etwa die Vertragslösung durch die Gegenseite), teils an die Konsequenzen, die eine (vorläufige) Leistungserbringung hätte. Es erscheint sinnvoll, zunächst solche Ausnahmen in den Blick zu nehmen, für die sich klare Ansatzpunkte im Gesetz zeigen. Diese erscheinen prädestiniert, be­ stimmte Wertungen erkennbar werden zu lassen und die Bildung weiterer Fall­ gruppen anzuleiten. Gesetzliche Ausnahmen in diesem Sinne bestehen zunächst, soweit die Anwendung der hier als Vorbild fungierenden Norm des §  717 Abs.  2 ZPO im umgekehrten Szenario (Putativgläubigerhaftung) ausgeschlossen ist (dazu a)). Besondere Vorschriften betreffen ferner die Entlastung bei zweifelhafter Aktiv­ legitimation im Sinne von §§  372 S.  2, 407 BGB (dazu b)) sowie die Privilegierung des Bereicherungsschuldners, die in §§  818 ff. BGB zum Ausdruck kommt (dazu c)). Ungeschriebene Ausnahmen setzen dagegen regelmäßig bei einer Unzumutbarkeit für den Schuldner an (dazu d)). Zu überlegen ist schließlich, inwieweit eine (Mit-) Verantwortung des Gläubigers geeignet ist, den schädlichen Erkenntnisgrad zum Vorteil des Schuldners zu verschieben (dazu e)). a) Unanwendbarkeit von §  717 Abs.  2 ZPO im korrespondierenden Fall der Anspruchsverfolgung Die strenge Behandlung des irrenden Schuldners beruht wesentlich auf der Wer­ tung aus §  717 Abs.  2 ZPO, welcher in der umgekehrten Konstellation des irrig voll­ streckenden Gläubigers anwendbar ist.450 In der Konsequenz dessen liegt es, dass der Rückgriff auf die strenge Linie überall dort zweifelhaft erscheint, wo ein Puta­ tivgläubiger nicht nach §  717 Abs.  2 ZPO haften würde. Vor allem ist die Vollstreckung aus einer rechtskräftigen Entscheidung weitge­ hend privilegiert.451 Das entsprechende Szenario im Bereich der Schuldnerhaftung stellt sich wie folgt dar: Nachdem im Prozess zwischen Gläubiger und Schuldner das Bestehen eines Anspruchs zunächst rechtskräftig verneint wurde, wird die Rechtskraft durchbrochen, etwa infolge einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder einer Verfassungsbeschwerde, und wird die Entscheidung zulasten des Schuldners abgeändert und ein Anspruch bejaht. Möchte man das Institut der Rechtskraft nicht entwerten, darf der Schuldner für seine Leistungsverweigerung bis zur Abänderung auch dann nicht haften, wenn er Zweifel am Fortbestand der rechtskräftigen Entscheidung hatte. Das gilt zumindest für die Leistungsverweige­ rung, die dem Eintritt der Rechtskraft nachfolgte.452 Zugunsten des nichtleistenden Schuldners könnte eine weitere Ausnahme von der strengen Haftung angezeigt sein, wo im korrespondierenden Fall ein Vollstre­ ckungsgläubiger gemäß §  717 Abs.  3 ZPO nur nach Bereicherungsrecht haften wür­ 450 

Siehe oben 2. b) bb). Siehe oben §  9 C. III. 4. b) (3) (b). 452  Für den Zeitraum davor gilt der übliche (strenge) Erkenntnisgrad. Die Tatsache, dass ein Gericht dem Schuldner anschließend Recht gegeben hat, entlastet ihn in der Regel auch im Rah­ men der Vorwerfbarkeitsprüfung nicht, da dadurch allenfalls belegt wird, dass (auch) seine Auf­ fassung vertretbar war. Das genügt im vorliegenden Kontext nicht, siehe unten III. 3. b). 451 

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de. Das wäre der Fall, sobald zugunsten des Schuldners ein anspruchsverneinendes Berufungsurteil im Sinne von §  717 Abs.  3 ZPO ergangen ist.453 Die Frage kann allerdings erst dann sachgerecht beantwortet werden, wenn geklärt ist, nach wel­ chen Maßstäben sich die von §  717 Abs.  3 ZPO in Bezug genommene Haftung des Bereicherungsschuldners richtet.454 Die Konsequenzen betreffen überdies auch den originären Anwendungsbereich von §  717 ZPO (also die irrtümliche An­ spruchsverwirklichung) und sind daher später übergreifend zu behandeln.455 b) Rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem In einer besonderen Situation befindet sich derjenige Schuldner, der nicht am Be­ stand seiner Verbindlichkeit zweifelt, aber in rechtlicher Hinsicht unsicher ist, wer Gläubiger ist. Die Anwendung der strengen Linie zur Verweigerungshaftung wür­ de hier zu einer besonderen Belastung führen. Um ein Verzugsrisiko sicher auszu­ schließen, müsste der Schuldner an sämtliche (also im Normalfall: beide) potenziel­ len Anspruchsinhaber leisten. Er täte dies in dem sicheren Wissen, dass eine der beiden Leistungen rechtsgrundlos erbracht wird und später zu kondizieren ist (wo­ bei der Schuldner das Insolvenzrisiko hinsichtlich des unberechtigten Prätenden­ ten übernähme). Er müsste also, verglichen mit sonstigen Schuldnern, den doppel­ ten Aufwand betreiben, um auf der sicheren Seite zu sein.456 Diese besondere Ausgangslage legt nahe, dass es bei der üblichen Lösung nach der strengen Linie nicht bleiben kann. Die Situation erinnert an die spiegelbildliche Konstellation im Verjährungsrecht. Bei Unsicherheit über den Schuldner wird dort der Gläubiger über die Annahme von Unzumutbarkeit von der Last befreit, mit der sicheren Aussicht auf einen (Teil-)Misserfolg zeitgleich gegen beide potenziellen Schuldner vorgehen zu müssen.457 aa) Hinterlegung Einen Ausweg aus der misslichen Position des Schuldners bietet ihm gegebenenfalls die Hinterlegung nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB. Sofern die Voraussetzungen dafür vor­ liegen, kann der Schuldner das Verzugsrisiko beseitigen, ohne die Leistung doppelt erbringen zu müssen. §  372 S.  2 Var.  2 BGB erlaubt die Hinterlegung grundsätzlich auch bei rechtlicher Ungewissheit über die Person des Gläubigers.458 Der nachteils­ 453  Allerdings nutzt §  717 Abs.  3 ZPO dem Vollstreckungsgläubiger nach (umstrittener) herr­ schender Meinung nur dann, wenn die Berufungsentscheidung dem schädigenden Verhalten vor­ ausgegangen ist, siehe §  9 A. I. mit Fn.  65. 454  Dazu unten c). 455  Unter §  15 A. II. 2. d). 456  Die von BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890, erwähnte Streitverkün­ dung könnte nur sicherstellen, dass der Schuldner nicht zwei Prozesse verliert. Vom Schadens­ ersatzrisiko gegenüber dem zweiten Prätendenten – bei Erfüllung nur gegenüber dem ersten Prä­ tendenten – kann sie den Schuldner nicht befreien. 457  Siehe §  7 C. I. 3. e). 458  Siehe oben B. III. 2. m. w. N., etwa bereits RG, Urt. v. 23.9.1904 – II 593/03, RGZ 59, 14, 18.

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begründende Erkenntnisgrad ist also – anders als sonst nach der strengen Linie  – nicht schon bei Vorliegen irgendwelcher Rechtszweifel erreicht. (1) Erkenntnisgrad für Versagung der Hinterlegungswirkung Damit ist noch nicht genauer bestimmt, wo im Hinterlegungsfall die Grenze ver­ läuft. Man könnte erst negative Gewissheit für schädlich erachten. Dann wäre eine verzugshindernde Hinterlegung bereits möglich, wenn sich nicht nach der einzigen vertretbaren Auslegung oder aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung eindeutig ergibt, wer Gläubiger ist. Als Alternative ist zu erwägen, nicht jeden vertretbaren und höchstrichterlich ungeklärten Zweifel genügen zu lassen, sondern einen be­ stimmten Grad an Ungewissheit zur Voraussetzung für eine wirksame Hinterle­ gung zu erheben. Rechtsprechung und Literatur äußern sich kaum zu dieser Proble­ matik. Im Vordergrund steht die Frage, inwieweit der Schuldner Rechtsrat einholen muss, um dem Fahrlässigkeitsvorwurf zu entgehen.459 Es erübrigt sich aber keines­ wegs festzulegen, welcher Grad an Sicherheit dem Schuldner – nach Einholen kom­ petenten Rechtsrats – schadet. An dieser Stelle vermag die Trennung der verschiede­ nen Untersuchungsebenen wiederum die Problematik klarer zu strukturieren. Es deutet im Umkehrschluss auf eine entlastende Wirkung jedes Zweifels hin, wenn es heißt, den Schuldner treffe ein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn die betroffe­ ne Rechtsfrage völlig eindeutig zu entscheiden sei.460 Dagegen findet sich in der jüngeren Literatur vereinzelt der Ansatz, das „Maß der Ungewissheit“461, das zur Hinterlegung berechtigt, variabel zu bestimmen: Es sei die „Wechselwirkung“ der objektiven Schwierigkeit der Rechtslage, der bestehenden Irrtumsrisiken und der Verantwortlichkeit für die Unklarheit zu berücksichtigen.462 Tatsächlich könnten Wertungen, die herkömmlicherweise bestimmen, wann der Schuldner Rechtsrat einzuholen hat,463 schon auf Ebene des Erkenntnisgrades zu berücksichtigen sein. Insbesondere spricht viel dafür, dem Schuldner, der die Ungewissheit, etwa durch unsorgfältige Vertragsgestaltung, verursacht hat, nicht zu gestatten, im Wege der Hinterlegung Kosten und Risiko auf den wahren Gläubiger abzuwälzen.464 Die zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB etablierte Formel setzt Zweifel voraus, deren Behebung auf eigene Gefahr dem Schuldner nicht zugemutet werden kann.465 Hat er sich aber selbst in diese Zweifelslage manövriert, scheint ihm die „Gefahr“ – Doppelleistung oder Verzugsrisiko – eher zumutbar. 459 

Dazu unten III. 5. a) aa) (2). So KG, Urt. v. 5.1.1957 – 16 U 1560/56, NJW 1957, 754, 756 (Herv. d. Verf.). 461  Brechtel, JuS 2017, 495, 496–497. 462  Brechtel, JuS 2017, 495, 497. 463  Etwa unter dem Stichwort „Zumutbarkeit der Rechtserkundigung“, siehe J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  248. 464  Vergleiche oben B. III. 2. mit Fn.  133. Regenfus, JA 2017, 81, 86, möchte auf eine Vermeid­ barkeit bei der Vertragsgestaltung indes (vordergründig) nicht abstellen, sieht dann aber gleich­ wohl eine Art Verpflichtung zur Einholung von Rechtsrat. Dies ließe sich aber, wie soeben ausge­ führt, schon auf Ebene des Erkenntnisgrades berücksichtigen. 465  Siehe oben B. II. 2. mit Fn.  122. 460 

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Für eine Beschränkung der Hinterlegungsoption auf Zweifel, die eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle erreichen, ließe sich ein weiteres Argument anführen. Im Normalfall ist ein Schuldner nach der strengen Linie auf das Vorgehen „leiste und kondiziere“ verwiesen:466 Um das Verzugsrisiko zu meiden, muss er vorerst auf die Nutzung des umstrittenen Gegenstands verzichten und das Risiko einer Insolvenz des Anspruchstellers tragen. Der Schuldner, der wirksam hinterlegen kann, ent­ ledigt sich hingegen von vornherein – auf Kosten des wahren Gläubigers (§  381 BGB)  – jeder Rückforderungsnotwendigkeit und somit auch des Insolvenzrisikos. Die Möglichkeit der Hinterlegung stellt den Schuldner, der Rechtszweifel hinsicht­ lich des richtigen Gläubigers hegt, also nicht nur sonstigen Schuldnern gleich, son­ dern vergleichsweise besser. Die Hinterlegungsmöglichkeit führt zu einer Über­ kompensation. Man könnte daher im Gegenzug höhere Anforderungen an den Grad der bestehenden Zweifel knüpfen. Damit würde man eine gewisse Anglei­ chung des Gesamtrisikos erreichen. Im Ergebnis ist dem Gedanken an eine variable Bestimmung des für die Hinter­ legung vorausgesetzten Zweifelsgrades gleichwohl eine Absage zu erteilen. Die „Wechselwirkung“467 zwischen allerlei Faktoren brächte eine erhebliche Unsicher­ heit über den Eintritt der Hinterlegungswirkung mit sich. Überdies ginge die Mög­ lichkeit verloren, sich hinsichtlich der Entlastung des Schuldners an den Leitlinien zu orientieren, die im Zusammenhang mit §  114 ZPO, der Verjährung, der An­ spruchsgeltendmachung und der Haftung sonstiger Schuldner entwickelt wur­ den.468 Diese Maßstäbe sind stets eindeutig ausgestaltet. Entweder schadet jeder halbwegs erhebliche Zweifel (so etwa beim Verzug und der Verjährung) oder erst negative Gewissheit (so bei der Geltendmachung). Praktisch schwierig zu bestim­ mende Zwischenstufen werden vermieden. Dies spricht dafür, auch im vorliegen­ den Zusammenhang nur zwischen den „Extremlösungen“ zu pendeln: Einem Schuldner, der für die Ungewissheit über die Person des Gläubigers selbst verant­ wortlich ist, ist die Hinterlegungswirkung zu versagen. Jeder andere Schuldner darf dagegen schon bei mehr als nur ganz unerheblichen Zweifeln verzugshindernd hinterlegen. Damit wird zugleich eine Widersprüchlichkeit vermieden, die mit ei­ ner variablen Bestimmung des Zweifelsgrades einherginge. Insbesondere würde, wenn man die Hinterlegung bei erheblichen Zweifeln (Beispiel: 50 Prozent Wahr­ scheinlichkeit, dass A Gläubiger ist, und 50 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass B Gläubiger ist) erlaubte, ausgerechnet derjenige Schuldner profitieren, der durch sein Vorverhalten eine besonders undurchsichtige Lage geschaffen hat. (2) Nachteilszuweisung bei Verzicht auf mögliche Hinterlegung Fraglich ist, ob der zweifelnde Schuldner in Verzug gerät, wenn er den Gegenstand nicht hinterlegt, obwohl im konkreten Fall die Voraussetzungen von §  372 S.  2 466 

Siehe oben 2. b) cc). Brechtel, JuS 2017, 495, 497. 468  Siehe oben 5. sowie §  7 C. II. 2., §  9 C. III. 3. 467 

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Var.  2 BGB erfüllt sind. Ulrich Huber469 geht explizit davon aus, der Schuldner sei zur Hinterlegung nur berechtigt, nicht aber verpflichtet. Er könne die Leistung einbehalten, ohne in Verzug zu geraten. Der Verschuldensmaßstab im Rahmen der Verzugshaftung sei in diesem Fall der gleiche wie bei §  372 S.  2 Var.  2 BGB. Diese Sichtweise widerspricht eklatant der aus §  717 Abs.  2 ZPO folgenden Wertung, auf der die strenge Linie fußt. Solange der Schuldner den streitbefangenen Gegenstand nicht hinterlegt, übt er Zwang gegenüber dem wahren Gläubiger aus.470 Wenn es anderen Schuldnern zuzumuten ist, zunächst zu leisten und sich unter Übernahme des Insolvenzrisikos auf die Kondiktion zu verlegen, dann ist es erst recht zumut­ bar, die Hinterlegungsmöglichkeit zu nutzen. Es führt überdies in die Irre, die Ver­ schuldensmaßstäbe der §§  286, 372 S.  2 BGB gleichzusetzen. Nach dem Wortlaut des §  372 S.  2 BGB bezieht sich die Fahrlässigkeitsprüfung nur auf die Ungewiss­ heit. Im Rahmen von §  286 Abs.  4 BGB besteht demgegenüber die Möglichkeit, zu­ lasten des Schuldners zu berücksichtigen, dass die Option der Hinterlegung nicht wahrgenommen wurde. (3) Konsequenzen bei nicht hinterlegungsfähigem Leistungsgegenstand Anders zu beurteilen sein könnte der Fall, dass der umstrittene Leistungsgegen­ stand schon seiner Art nach nicht hinterlegungsfähig ist (siehe §  372 S.  1 BGB). ­Huber möchte hier den Schuldner aus der Bredouille, das Verzugsrisiko nur durch Leistung an beide Prätendenten ausschließen zu können, befreien, indem er ihm gestattet, die nicht hinterlegungsfähige Leistung einstweilen einzubehalten.471 Da­ rin läge jedoch eine übermäßige Privilegierung von Schuldnern, deren Rechtszwei­ fel sich auf die Aktivlegitimation beziehen. Unbillig erscheint es lediglich, solchen Schuldnern eine Aufwandsverdoppelung abzuverlangen, um den Verzug auszu­ schließen. Zumutbar ist es hingegen, die Leistung zumindest einmal zu erbringen. Eine Lösung, die die Grundwertung der strengen Linie möglichst weitgehend auf­ rechterhält, sieht demnach wie folgt aus: Um ein Verzugsrisiko gegenüber beiden Prätendenten zu vermeiden, muss der zweifelnde Schuldner an einen der beiden leisten. Stellt sich später heraus, dass der andere (nicht befriedigte) Prätendent der wahre Gläubiger ist, muss der Schuldner beim Leistungsempfänger kondizieren. Er muss also, wie jeder andere zweifelnde Schuldner, vorerst auf die Nutzung des Leistungsgegenstands verzichten und das Insolvenzrisiko tragen. (4) Zwischenfazit Sofern die rechtliche Ungewissheit gerade die Frage betrifft, wer von mehreren Prä­ tendenten anspruchsberechtigt ist, kann der Schuldner das Verzugsrisiko grund­ sätzlich durch Hinterlegung meiden. Ist er für die Ungewissheit selbst verantwort­ 469 

U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  702–703. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  57. 471  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  703. Dies passt zu dessen unter (2) dargestellter Auffas­ sung. 470 Zutreffend

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lich, scheidet diese Möglichkeit aus. Sofern die Hinterlegungsoption besteht, muss der Schuldner diese nutzen, will er nicht in Verzug geraten. Ist der konkrete Leis­ tungsgegenstand seiner Art nach nicht hinterlegungsfähig, muss der Schuldner zu­ mindest einen der Prätendenten befriedigen, um nicht in Verzug zu geraten. bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger Steht die Ungewissheit bzw. ein Rechtsirrtum über den Gläubiger im Zusammen­ hang mit einem Abtretungsvorgang, könnte der Schuldner sogar durch die Leis­ tung (nur) an den Nichtgläubiger von Rechtsnachteilen befreit sein. (1) Grundsätzliche Entlastung bei Rechtsungewissheit Der Wortlaut von §  407 Abs.  1 BGB legt nahe, dass die befreiende Wirkung dem Schuldner nur dann nicht zugute kommt, wenn er zweifelsfrei über die wirksame Abtretung im Bilde ist (sie „kennt“). Die Motive zum BGB sprechen von „siche­ re[r]“ Kenntnis.472 Sieht man auch die Rechtslage als notwendigen Kenntnisgegen­ stand an,473 scheinen die Verhältnisse klar. Die frühe Rechtsprechung des BGH las sich jedoch noch so, als sollten dem Schuldner rechtliche Zweifel im Rahmen von §  407 BGB schaden. Kenntnis wurde bejaht, sobald der Schuldner „mit der Mög­ lichkeit rechnen muß, daß [der betroffene Vorgang] von den Gerichten als Abtre­ tung beurteilt wird“.474 Die Terminologie gleicht derjenigen der strengen Linie zum Schuldnerverzug. Einen entsprechenden Gegenschluss scheint zunächst auch die jüngere Judikatur zu ziehen, wenn sie Kenntnis verneint, weil der Schuldner nicht mit der Rechtswirksamkeit der Abtretung habe rechnen müssen.475 Allerdings er­ gibt sich aus den weiteren Ausführungen, dass dem Schuldner bei (objektiver476) rechtlicher Ungewissheit ebenfalls keine Kenntnis attestiert worden wäre.477 Dass objektiv nachvollziehbare Rechtszweifel entlasten, entspricht auch der übrigen Rechtsprechung aus jüngerer Zeit478 sowie der vorherrschenden Lesart im Schrift­ tum.479 Wenn mitunter eine Entlastung des Schuldners für den Fall erwogen wird, dass die Rechtslage unübersichtlich oder im Fluss begriffen sei,480 könnte dies aller­ dings den Umkehrschluss nahelegen, der Schuldner sei bei Rechtszweifeln, die eine solche Qualität nicht erreichen, nicht befreit. Die Annahme einer Entlastung bei 472 

Mot. II, 119. Siehe oben I. 3. 474  BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. 475  So BGH, Urt. v. 4.12.2008 – IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn.  8 . 476  Dazu näher III. 5. a) bb). 477  BGH, Urt. v. 4.12.2008 – IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn.  8 . 478  BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148; BGH, Urt. v. 24.5.2007  – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26; ähnlich OLG Rostock, Urt. v. 14.6.­ 1999 – 3 U 35/98, MDR 2000, 444, 444. 479  Busche, in: Staudinger, §  407 Rn.  31; Kreße, in: NK-BGB, §  407 Rn.  10; Martens, in: Erman, §  407 Rn.  8; Regenfus, JA 2017, 81, 87. 480  Siehe oben B. III. 1. mit Fn.  89. 473 

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undurchschaubarer Rechtslage basiert jedoch ersichtlich noch auf der überholten Prämisse, dass Rechtsirrtümer im Rahmen des §  407 BGB grundsätzlich nicht zu­ gunsten des Schuldners wirken.481 Der Schuldner ist demnach schon bei jedem einigermaßen nachvollziehbaren482 Zweifel entlastet. Diese großzügige Sichtweise unterscheidet sich nicht nur von der strengen Linie zur Schuldnerhaftung in Zwei-Personen-Verhältnissen. Auch für Drei-Personen-Konstellationen wurde zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB ein Maßstab entwi­ ckelt, nach welchem dem Schuldner je nach Lage des Falls bereits Zweifel schaden können. Dies beruhte allerdings auf der Überlegung, dass der Schuldner im Einzel­ fall für das Bestehen der unklaren Rechtslage selbst verantwortlich sein kann.483 In den Fällen des §  407 BGB besteht eine andere Ausgangslage. Hier gilt es, die Grund­ wertung der Schuldnerschutzvorschriften des BGB zu berücksichtigen. Diesen liegt ein „Verschlechterungsverbot“484 zugrunde: Wenn eine Forderung abgetreten wird, ist dies grundsätzlich Sache der Zessionsparteien; der Schuldner ist von nach­ teiligen Konsequenzen des Abtretungsvorgangs weitgehend freizustellen. Ganz im Sinne dieses Grundsatzes liegt es, dass der Schuldner schon bei Bestehen objektiver Rechtszweifel an der Abtretung an den ursprünglichen Gläubiger leisten darf485 und sich dadurch des Verzugs- bzw. Rückforderungsrisikos entledigen kann. An­ gesichts dessen ist es konsequent, dass die Rechtsprechung den Schuldner im Fall der zweifelhaften Zession nicht mehr vorrangig auf die Hinterlegung verweist.486 (2) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang Für den gesetzlichen Forderungsübergang nimmt §  412 BGB auf §  407 Abs.  1 BGB Bezug. Dennoch weist die Diskussion um die Berücksichtigung von Rechtszwei­ feln hier einen deutlich abweichenden Einschlag auf. Die befreiende Wirkung zu­ gunsten des Schuldners, der mit voller Tatsachenkenntnis ausgestattet ist, wird im Wesentlichen auf Fälle der Rechts- bzw. Rechtsprechungsänderungen487 be­ schränkt. Dies entspricht dem Schutz, den der Schuldner nach der strengen Linie zu §  286 Abs.  4 BGB genießt.488 Der BGH bedient sich im Zusammenhang mit §§  412, 407 BGB auch eines vergleichbaren Vokabulars, wenn es heißt, es komme auf die Kenntnis von Tatsachen an, nach denen mit Zahlungen des Leistungsträgers 481 

Dazu oben I. 3. auch rein subjektive Zweifel entlasten, ist eine Frage der Substitution durch Vorwerf­ barkeit, dazu unten III. 5. a) bb). 483  Siehe oben aa) (1). 484  Dieses erwähnt Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  61, näher a. a. O., §  404 BGB Rn.  3. 485  In diese Richtung auch Buck, Wissen, S.  62–63; Schrader, Wissen, S.  276. 486  Siehe oben B. III. 1.: BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148; BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26, entgegen der früheren Rechtsprechung in RG, Urt. v. 23.9.1921 – II 61/21, RGZ 102, 385, 387; BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. 487  Siehe oben B. III. 1. mit den dort zitierten Entscheidungen BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 609; OLG Celle, Urt. v. 2.12.1976 – 5 U 26/76, VersR 1977, 549, 550. 488  Siehe oben 5. b) aa); vergleiche auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  243. 482  Ob

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„zu rechnen war“.489 Die vorherrschende Sichtweise zu §§  412, 407 Abs.  1 BGB lässt sich demnach am ehesten so deuten, dass bereits rechtliche Zweifel an der fortbeste­ henden Berechtigung des Legalzedenten den Schuldnerschutz eliminieren. Es han­ delt sich in der derzeitigen Interpretation durch den BGH auch nicht etwa um eine bloße Beweisregel. Zwar nahm die Rechtsprechung ursprünglich an, dem Schuld­ ner stehe die Möglichkeit offen, den Gegenbeweis hinsichtlich seiner Kenntnis vom Forderungsübergang zu führen.490 Die Entscheidungen des BGH zu §  81a BVG, §  1 Abs.  1 OEG versagen die Wirkung von §§  412, 407 BGB aber selbst dort, wo realis­ tischerweise nicht vermutet werden kann, der Schuldner habe die gesetzlichen Grundlagen der cessio legis gekannt.491 Vor diesem Hintergrund erstaunt die ver­ breitete Annahme, im Kontext des §  412 BGB werde auf denselben Kenntnisbegriff rekurriert, der auch im originären Anwendungsbereich von §  407 Abs.  1 BGB gel­ te.492 Möchte man für den gesetzlichen Forderungsübergang an der Schlechterstel­ lung von Rechtszweifeln festhalten, muss dies vielmehr eigenständig begründet werden. Der eigentliche Grund für die Unbeachtlichkeit rechtlicher Ungewissheit im Fall des §§  412, 407 Abs.  1 BGB tritt in der Rechtsprechung des BGH verhältnismäßig offen zutage: Der Schuldnerschutz soll nicht dem Regressanspruch des Sozialleis­ tungsträgers im Wege stehen.493 Der BGH erkennt also letztlich ein Sonderrecht für bestimmte gesetzliche Forderungsübergänge an: Das spezielle, das Sozialleis­ tungssystem schützende Telos von Normen wie §  116 Abs.  1 S.  1 SGB X überlagert den allgemeinen schuldnerschützenden Zweck von §  407 Abs.  1 BGB.494 Fern­ liegend ist diese Binnendifferenzierung nicht: Beim rechtsgeschäftlichen Forde­ rungsübergang möchte man den Schuldner vor den Wirkungen der Abtretung schützen, die ihn ohne sein Zutun des ursprünglichen Gläubigers beraubt.495 Im Fall des §  116 SGB X lässt sich aber, wie vom LG Bochum treffend herausgestellt, der Sozialleistungsträger von vornherein als eigentlicher Gläubiger ansehen,496 der vorrangig Schutz verdient. Das belegt nicht zuletzt der außergewöhnlich frühe Forderungsübergang (grundsätzlich schon mit dem Schadensereignis).497 Ange­ sichts dessen erscheint es nachvollziehbar, dass das LG Bochum für den Schein­ 489 

So BGH, Urt. v. 16.10.2007 – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  15. BGH, Urt. v. 27.2.1962 – VI ZR 260/60, VersR 1962, 515, 516; LG Bochum, Beschl. v. 10.3.­ 1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939. 491  Das gesteht BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608–609, selbst ein. 492  Siehe oben B. III. 1. m.N. in Fn.  113. 493  So – aufbauend auf BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608 – BGH, Urt. v. 20.9.1994 – VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = NJW 1994, 3097, 3099; BGH, Urt. v. 16.10.2007  – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  14; BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 483/12, MDR 2015, 211, 212 Rn.  13; vergleiche auch G. H. Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, §  407 Rn.  15. 494  So auch die Deutung von v. Koppenfels-Spies, Cessio legis, S.  211, 213. 495  Siehe soeben (1). 496  LG Bochum, Beschl. v. 10.3.1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939. 497  Siehe dazu bereits oben §  11 B. III. 1. Zum Sondercharakter dieser Anordnung v. Koppenfels-­ Spies, Cessio legis, S.  232, und zur Vorteilhaftigkeit für den Sozialleistungsträger a. a. O., S.  235– 236. 490 

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vaterregress zu einer großzügigeren Entlastung des Schuldners gelangte.498 Das Absenken der Anforderungen an die Rechtskenntnis ist eben nicht bei jeglichem gesetzlichen Forderungsübergang angezeigt, sondern nur, wenn der Legalzessionar als Einrichtung der Allgemeinheit besonders schutzwürdig erscheint.499 Dem Vorwurf, die herrschende Rechtsprechung verfahre mit ihrem Ansatz ­contra legem,500 lässt sich entgegenhalten, dass §  412 BGB bloß eine entsprechende Anwendung der Schuldnerschutzvorschriften anordnet. Dies lässt Raum für die Berücksichtigung besonderer Wertungen. Der Schuldnerschutz bleibt im Übrigen auch unter der vorherrschenden Sichtweise nicht vollends auf der Strecke. Bestehen Rechtszweifel am Forderungsübergang, verbleibt immerhin die Möglichkeit der Hinterlegung, auf die der Schuldner im Bereich des §  407 BGB ansonsten nicht (mehr) vorrangig verwiesen wird.501 Dass die herrschende Rechtsprechung zu §§  412, 407 BGB auf Kosten des Schuldners die Sozialleistungsträger schont, sollte allerdings stets offen benannt werden. Dies würde auch der Gefahr vorbeugen, spe­ ziell zu §  412 BGB entwickelte Grundsätze im originären Anwendungsbereich des §  407 Abs.  1 BGB zu berücksichtigen und in der Konsequenz die dortige Beacht­ lichkeit von Rechtsirrtümern zu unterschätzen. c) Privilegierung des Bereicherungsschuldners Besondere Regeln zur Haftung des Schuldners gelten im Bereicherungsrecht.502 So ordnet §  818 Abs.  4 BGB erst ab Rechtshängigkeit der Kondiktionsklage eine Haf­ tung des Bereicherungsschuldners nach den allgemeinen Vorschriften an. Gleiches ergibt sich nach §  819 Abs.  1 BGB, sobald der Kondiktionsschuldner den Mangel des Rechtsgrundes kennt. Betroffen sind vordergründig bloß Besonderheiten des Bereicherungsrechts.503 Kaum gesehen wird bislang der Zusammenhang zur Diskussion um die Rechtsirr­ tumshaftung bei unberechtigter Anspruchsgeltendmachung bzw. -verteidigung. Dabei wird die Belastung des Schuldners im Fall rechtlicher Zweifel gerade damit gerechtfertigt, dass dieser die Leistung vorsorglich erbringen und die Rechtsfrage später im Rahmen der Kondiktion klären lassen könne.504 Geht der in Anspruch 498 

Wiederum LG Bochum, Beschl. v. 10.3.1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939. BGH, Urt. v. 7.2.1966 – II ZR 279/63, VersR 1966, 330, 331, im Zusammenhang mit einem Übergang nach §  67 VVG a. F. (entspricht §  86 VVG n. F.) Tatsachenkenntnis ausreichen ließ, dürfte dieser Annahme nicht entgegenstehen. Zum Entscheidungszeitpunkt entsprach es schließlich auch im originären Anwendungsbereich des §  407 BGB der Linie der Rechtsprechung, nur Tatsachenkenntnis zu fordern, siehe BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890, sowie oben B. III. 1., C. I. 3. 500  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 26. 501  Siehe dazu soeben (1) a. E. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJWRR 2004, 1145, 1148; BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26. 502  Darauf hinweisend auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  42; U. Huber, Leistungsstörun­ gen I, S.  725–726. 503  Vergleiche BGH, Urt. v. 22.4.1998 – XII ZR 221/96, NJW 1998, 2433, 2434. 504  Siehe oben 5. b) cc). 499  Dass

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Genommene so vor, verkehren sich die Rollen. Der ursprüngliche Anspruchsteller wird zum (potenziellen) Bereicherungsschuldner, der den Regeln der §§  818, 819 BGB unterfällt.505 Eine strenge Bereicherungshaftung drohte, die gebotene Ent­ lastung des ursprünglichen Anspruchstellers zu konterkarieren.506 Ein möglicher Gläubiger müsste bei der Entscheidung über die Geltendmachung eines ungewis­ sen Anspruchs zwar keine Haftung für die Inanspruchnahme an sich fürchten; er müsste aber in seine Überlegungen einstellen, dass nach einem freiwilligen Nach­ geben des Gegners eine strenge Haftung als Bereicherungsschuldner drohte. Dies könnte er nur um den Preis des Annahmeverzugs verhindern.507 Es ist daher geboten, den Anspruchsteller auch in seiner späteren Rolle als poten­ ziellen Bereicherungsschuldner vor einer Haftung bei zweifelhafter Rechtslage zu bewahren. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen der Haftung zwischen Leis­ tungsempfang und Erhebung der Kondiktionsklage einerseits (dazu aa)) und der Haftung nach Klageerhebung andererseits (dazu bb)). aa) Unverklagter Bereicherungsschuldner: Anforderungen an Kenntnis gemäß §  819 Abs.  1 BGB Der unverklagte Bereicherungsschuldner haftet gemäß §§  819 Abs.  1, 818 Abs.  4 BGB nach den allgemeinen Vorschriften, sobald er Kenntnis vom Mangel des Rechtsgrundes erlangt. Eine allgemeine Vorschrift in diesem Sinne ist vor allem §  292 BGB, der auf die Regeln zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis verweist.508 Da auch der bösgläubige Besitzer gemäß §  990 Abs.  2 BGB von einer Verzugshaftung nicht verschont bleibt,509 ist es folgerichtig, unter diesen Umständen auch den Ver­ zug des Bereicherungsschuldners für möglich zu halten.510 Da der Weg dahin über §  819 Abs.  1 BGB erschlossen wird, kommt es allerdings darauf an, ob der Bereiche­ rungsschuldner im Sinne der Norm Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes hatte. Die weit überwiegende Auffassung erkennt, dass bloße Tatsachenkenntnis in diesem Zusammenhang nicht ausreicht.511 Die Rechtslage zähle zum Erkenntnis­ 505 Zutreffend

Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  43, der diesen Zusammenhang sieht. diese Richtung – auf Grundlage seines eigenen Konzepts einer Streithaftung – auch Häse­meyer, Schadenshaftung, S.  43 (allerdings anders für den verklagten Bereicherungsschuldner, dazu unten bb)); zur gebotenen Entlastung des Anspruchstellers bei Rechtszweifeln siehe §  9 C. III. 2. a). 507  Vergleiche §  9 C. III. 4. b) aa) (5). 508 Siehe nur Schwab, in: MüKo-BGB, §   818 Rn.  315; Wendehorst, in: BeckOK-BGB, §  818 Rn.  84. 509  So das Argument von Schwab, in: MüKo-BGB, §  818 Rn.  330. 510  Dies bejahend BGH, Urt. v. 11.10.1979 – VII ZR 285/78, BGHZ 75, 203 = NJW 1980, 178, 178 (zu §  287 S.  2 BGB); BGH, Urt. v. 25.3.1982 – VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585, 1587; vergleiche auch den Hinweis, dass eine Verzugshaftung nur unter den Voraussetzungen der verschärften Haftung denkbar sei, bei BGH, Urt. v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, BGHZ 158, 1 = NJW 2004, 1315, 1317; BGH, Urt. v. 24.4.2007 – XI ZR 17/06, NJW 2007, 2401, 2404 Rn.  33. 511  So BGH, Urt. v. 25.9.1986 – VII ZR 349/85, NJW 1987, 185, 187; BGH, Urt. v. 17.6.1992 – XII ZR 119/91, BGHZ 118, 383 = NJW 1992, 2415, 2417; BGH, Urt. v. 16.1.2018 – VI ZR 474/16, NJW 2018, 1602, 1605 Rn.  32; OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2009 – 30 U 182/08, BeckRS 2010, 8384; OLG 506 In

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gegenstand.512 Problematisch ist aber die nunmehr interessierende Frage, ab wel­ chem Grad der Rechtserkenntnis der Bereicherungsschuldner bösgläubig in diesem Sinne ist. Die Rechtsprechung weist gelegentlich darauf hin, dass „Kenntnis“ im Sinne von Eventualvorsatz zu verstehen sei, es also genüge, dass der Bereicherungs­ schuldner seine fehlende Berechtigung in Kauf nehme.513 Bei konsequenter An­ wendung dieses Maßstabs müsste es genügen, dass der Kondiktionsschuldner das Fehlen des Rechtsgrundes für möglich hält, also Zweifel hegt.514 Diese Deutung stünde in offenem Widerspruch zu der von der Rechtsprechung verbreitet geäußer­ ten Auffassung, bloße Zweifel am Rechtsgrund reichten nicht aus.515 Den mit Tat­ sachenkenntnis ausgestatteten Bereicherungsschuldner soll es insbesondere entlas­ ten, dass der Ausgang des Kondiktionsprozesses ungewiss war.516 Mitunter wird gar explizit der Unterschied zur sonst strengen Verzugshaftung betont.517 Dieser Sichtweise ist unter dem Blickwinkel der Rechtsirrtumsdogmatik unein­ geschränkt beizupflichten. Der frühere Anspruchsteller würde sonst, wie ausge­ führt, in seiner neuen Rolle als Bereicherungsschuldner für eben diejenigen Rechts­ zweifel haften, die ihn zuvor noch privilegiert haben. Hält man Bedenken, der hier vorgeschlagene Maßstab prämiere Rechtsunkundigkeit,518 für berechtigt, ist dem nicht auf Ebene des Erkenntnisgrades, sondern mithilfe eines Vorwurfs der Un­ kenntnis zu begegnen.519 Im Ansatz nachvollziehbar ist allerdings die Sorge, Rechtszweifel würden nach dieser Ansicht die Kenntnis im Sinne von §  819 Abs.  1 BGB stets hindern, weil die Entscheidung des letztentscheidenden Gerichts nie si­ cher vorhersehbar sei.520 Dem lässt sich durch die präzise Formulierung des schäd­ lichen Erkenntnisgrades vorbeugen. Dieser ist erreicht, wenn vom Fehlen eines Zweibrücken, Urt. v. 31.5.1994 – 5 UF 117/93, NJW-RR 1995, 841, 842; Frede, Rechtsirrtum, S.  74; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  259 m. w. N. in Fn.  1; Schwab, in: MüKo-BGB, §  819 Rn.  2; Sprau, in: Palandt, §  819 Rn.  2; a. A. OLG Celle, Urt. v. 2.4.2009 – 6 U 118/08, Rn.  15, juris (aber verworfen von BGH, Beschl. v. 12.11.2009 – V ZR 76/09, BeckRS 2009, 88695 Rn.  4), sowie Martinek, JZ 1996, 1099, 1102 (mit beachtlichen Gründen hiergegen Lorenz, in: Staudinger, §  819 Rn.  6 , 12; jedenfalls der Hinweis von Martinek, a. a. O., 1101, dass der Verzicht auf eine rechtliche Bewertung der Aus­ legung des §  407 BGB entspreche, geht, wie sich gezeigt hat, mittlerweile fehl, siehe oben I. 3.). 512  Es soll auf eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre ankommen, BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2653; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 302 Fn.  43; Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  819 Rn.  3. 513  So BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2653; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2012 – 16 U 159/11, BeckRS 2012, 16339. 514  Vergleiche auch die Formulierung bei BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2654: „als hätte er die Nichtigkeit des Überlassungsvertrages (mindestens) für möglich gehalten“; allgemein zum Vorsatz in solchen Fällen unten V. 1. 515  Exemplarisch BAG, Urt. v. 12.2.1992 – 5 AZR 297/90, NJW 1993, 484, 485; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27; OLG Zweibrücken, Urt. v. 31.5.1994 – 5 UF 117/93, NJW-RR 1995, 841, 842; zustimmend Martinek, in: jurisPK-BGB, §  819 BGB Rn.  4. 516  OLG Zweibrücken, Urt. v. 31.5.1994 – 5 UF 117/93, NJW-RR 1995, 841, 842. 517  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  725. 518 Siehe Martinek, JZ 1996, 1099, 1099; vergleiche auch Schwab, in: MüKo-BGB, §  819 Rn.  2. 519  Siehe unten III. 5. b) bb). 520  In diese Richtung OLG Zweibrücken, Urt. v. 31.5.1994 – 5 UF 117/93, NJW-RR 1995, 841, 842; siehe ferner OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.8.2013 – II-3 UF 92/13, FamRZ 2014, 566, 567.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Rechtsgrundes mit praktischer Gewissheit auszugehen ist, vor allem wenn die Rechtslage höchstrichterlich geklärt ist oder die Annahme eines Rechtsgrundes un­ vertretbar wäre.521 Es kommt in solchen Fällen nicht zu den oben beschriebenen Friktionen mit der Putativgläubigerhaftung, denn auch die unberechtigte An­ spruchsgeltendmachung ist schadensersatzbewehrt, sofern praktisch keinerlei Zweifel am Fehlen des Anspruchs bestanden.522 Problematisch ist allerdings, dass Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum meinen, der unverklagte Bereicherungsschuldner könne über die beschriebene Ver­ weisung aus §  819 Abs.  1 BGB hinaus – also ohne Bösgläubigkeit – schon durch die bloße Mahnung mit der Rückgewährschuld in Verzug kommen.523 Auch der IX. Zivilsenat des BGH hat gelegentlich ein solches Verständnis an den Tag gelegt.524 Eine derartige Sichtweise führte allerdings durch den Wegfall der Kenntnisprüfung nach §  819 Abs.  1 BGB zu einer strengen Haftung des ursprünglichen Anspruch­ stellers (jetzigen Kondiktionsschuldners) in rechtlichen Zweifelsfällen.525 Dies gilt es gerade zu verhindern. Der Ansatz ist ohnehin schon aus allgemeinen Gesichts­ punkten abzulehnen. Aus der den Bereicherungsschuldner entlastenden Ziel­ richtung des §  818 Abs.  3 BGB, spätestens aber im Umkehrschluss aus §  818 Abs.  4 BGB, ergibt sich deutlich, dass eine Verzugshaftung vor Rechtshängigkeit bzw. Bösgläubigkeit nicht in Betracht kommt.526 Davon gehen auch die Motive zum BGB ausdrücklich aus.527 Völlig zu Recht hält die herrschende Lehre die Verzugs­ haftung des gutgläubigen, unverklagten Kondiktionsschuldners für ausgeschlos­ sen.528 Dieses Verständnis entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts529 ebenso wie der in jüngerer Zeit geäußerten Auffassung des XI. Zivilsenats des BGH.530 Letzterer versteht offenbar auch die oben zitierten Ausführungen des IX.  Senats nicht als Abweichung.531 521  Dem entspricht es, dass der (streng haftende) Verzugsschuldner entlastet ist, wenn er im Einklang mit der etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Leistung verweigerte – ob­ wohl deren Fortbestand theoretisch immer unsicher ist, siehe oben 5. b) aa) (vor (1)). 522  Siehe §  9 C. III. 3. b). 523  So LG Hamburg, Urt. v. 23.12.2010 – 307 S 62/10, BeckRS 2011, 2814; Sprau, in: Palandt, §  818 Rn.  54; auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.8.2014 – 2 U 2/14, NJW 2015, 418, 421 Rn.  55, bejaht Verzug, ohne auf §  819 BGB einzugehen. 524  BGH, Urt. v. 13.6.2002 – IX ZR 242/01, BGHZ 151, 127 = NJW 2002, 2871, 2872; BGH, Urt. v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, NJW-RR 2003, 1490, 1493. 525 Siehe Sprau, in: Palandt, §  818 Rn.  5 4. 526 Näher Lorenz, in: Staudinger, §  818 Rn.  51. 527  Mot. II, 838. 528  Lorenz, in: Staudinger, §  818 Rn.  51; Martinek, in: jurisPK-BGB, §  818 Rn.  120; siehe auch Buck-Heeb, in: Erman, §  818 Rn.  49; Schwab, in: MüKo-BGB, §  818 Rn.  330. 529  RG, Urt. v. 9.7.1918 – VII 103/18, RGZ 93, 271, 272; RG, Urt. v. 12.5.1925 – VI 33/25, RGZ 110, 430, 435. 530  BGH, Urt. v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, BGHZ 158, 1 = NJW 2004, 1315, 1317; BGH, Urt. v. 30.3.2004 – XI ZR 145/03, Rn.  33, juris; BGH, Urt. v. 24.4.2007 – XI ZR 17/06, NJW 2007, 2401, 2404 Rn.  33. 531  BGH, Urt. v. 30.3.2004 – XI ZR 145/03, Rn.  33, juris, verweist gerade für die eigene Auffas­ sung auf BGH, Urt. v. 13.6.2002 – IX ZR 242/01, BGHZ 151, 127 = NJW 2002, 2871, 2872.

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bb) Verklagter Bereicherungsschuldner Weniger deutlich stellt sich die Lage mit Blick auf den Bereicherungsschuldner dar, der bereits auf Rückgewähr verklagt wurde. Infolge der Rechtshängigkeit wäre nach §  286 Abs.  1 S.  2 Var.  2 BGB stets die Grundlage für einen Verzug gelegt.532 Das notwendige Vertretenmüssen (§  286 Abs.  4 BGB) wäre nach den allgemeinen (strengen) Regeln schon dann zu bejahen, wenn mit der Rückgewährpflicht zu rechnen war.533 Ob eine Verzugshaftung des verklagten, aber im Sinne des §  819 Abs.  1 BGB gut­ gläubigen Kondiktionsschuldners denkbar ist, ist unabhängig von der Rechtsirr­ tumsproblematik umstritten. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur gehen ersichtlich davon aus, auch der bloß verklagte Bereicherungsschuldner (§  818 Abs.  4 BGB) könne in Verzug geraten.534 Dafür ließe sich §  292 Abs.  1 BGB a. E. anfüh­ ren, wo der Verweis auf die Vorschriften zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis un­ ter den Vorbehalt gestellt wird, dass „nicht aus […] dem Verzug des Schuldners sich zugunsten des Gläubigers ein anderes ergibt“.535 Eine beachtliche Meinungsgrup­ pe begegnet dem mit einem Hinweis auf §  990 Abs.  2 BGB.536 Diese über §§  818 Abs.  4, 292 Abs.  1 BGB in Bezug genommene Regelung enthalte die gegenüber §  292 Abs.  1 BGB a. E. speziellere Wertung; danach hafte nur der bösgläubige, nicht aber der bloß verklagte Besitzer nach den Verzugsvorschriften, was entsprechend auf den nur verklagten Kondiktionsschuldner zu übertragen sei.537 Die Begründung der letztgenannten Meinung ist schon für sich betrachtet be­ achtlich. Die Argumentation, dass sich der (lediglich) verklagte Bereicherungs­ schuldner im Gegensatz zum bösgläubigen Schuldner „in Ungewissheit über die Herausgabepflicht“ befinde und die Chance haben müsse, „seine Rechtsposition angemessen zu verteidigen“,538 lässt sich darüber hinaus bestens mit der Rechtsirr­ tumsdiskussion verbinden. Unter deren speziellem Blickwinkel gebührt der zweit­ genannten Ansicht eindeutig der Vorzug. Die erstgenannte Auffassung würde ab Erhebung der Bereicherungsklage zum Verzug des ursprünglichen Anspruchstel­ lers (jetzigen Kondiktionsschuldners) gelangen. Die bei rechtlicher Ungewissheit gewährte Privilegierung fände – trotz Fortdauern der Zweifel – ihr Ende. Diese Gefahr würde mittelbar schon die anfängliche Geltendmachung durch den Putativ­ gläubiger unattraktiver machen.539 Die weitgehende Verschonung des zweifelnden 532 

Linke, in: NK-BGB, §  818 Rn.  89; Martinek, in: jurisPK-BGB, §  818 Rn.  120. Diesen Zusammenhang sieht auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  725–726. 534  So RG, Urt. v. 9.7.1918 – VII 103/18, RGZ 93, 271, 272; Buck-Heeb, in: Erman, §  818 Rn.  49, 51; Martinek, in: jurisPK-BGB, §  818 Rn.  120; Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  818 Rn.  69; Sprau, in: Palandt, §  818 Rn.  54; im Gegenschluss ferner RG, Urt. v. 12.5.1925 – VI 33/25, RGZ 110, 430, 435; BGH, Urt. v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, BGHZ 158, 1 = NJW 2004, 1315, 1317. 535 So Lorenz, in: Staudinger, §  818 Rn.  51 (ohne sich diesem Argument anzuschließen). 536  Anschauliche Darstellung der Diskussion bei Lorenz, in: Staudinger, §  818 Rn.  51 m. w. N. 537 Eingehend Larenz/Canaris, SchR II/2, §   73 II 4b (S.  317–318); Schwab, in: MüKo-BGB, §  818 Rn.  330; ebenso z. B. Linke, in: NK-BGB, §  818 Rn.  89. 538  Schwab, in: MüKo-BGB, §  818 Rn.  330 (Herv. d. Verf.). 539  Siehe oben c) (vor aa)). 533 

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Putativgläubigers muss sich bei der späteren Leistungsverweigerung als Kondik­ tionsschuldner fortsetzen.540 d) Unzumutbarkeit für den Schuldner Zur Fahrlässigkeitshaftung nach §  276 BGB wird generell vertreten, dass bei objek­ tiv zweifelhafter Rechtslage trotz der Grundwertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO gegebenenfalls eine „Befugnis zum Eingriff“ bestehen könne.541 Gemünzt auf die vorliegend betrachtete Situation geht es um eine besondere Befugnis zur Leistungs­ verweigerung (als Eingriff in das Gläubigervermögen). Insoweit erscheinen zahl­ reiche Anknüpfungspunkte denkbar. aa) Folgen der Nichtleistung, insbesondere Kündigungsrecht der Gegenseite Die Auferlegung von Nachteilen zulasten des irrenden Schuldners kann insbeson­ dere dort fragwürdig erscheinen, wo dies eine besonders einschneidende Wirkung hätte. (1) Meinungsstand Prinzipiell denkbar erscheint es vor allem, die Anwendung der strengen Linie auf die Schadensersatzhaftung zu beschränken. Dieser Ansatz wird insbesondere mit Blick auf den Wohnraummieter vertreten. Dieser soll immerhin vor einer Kündi­ gung bewahrt werden, wenn er trotz Zweifeln am Eintritt der Minderung die Miet­ zahlung (zum Teil) zurückhält.542 Vergleichbares wird für plausible (aber im Er­ gebnis nicht durchgreifende) Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung vertreten.543 Auch die frühere Instanzrechtsprechung hatte dem irrenden Mieter vielfach Zugeständnisse gemacht.544 Der BGH folgt diesem Ansatz nicht. Er hat seine strenge Haltung zum verzugs­ begründenden Irrtum des Mieters gar vornehmlich anhand von Kündigungssach­ verhalten entwickelt.545 Gerade in diesen Situationen wird der Mieter darauf ver­ 540  Anders hingegen Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  43, der trotz seines im Ausgangspunkt zutreffenden Verständnisses (siehe oben c) (vor aa)) zu einer (strengen) Haftung des verklagten Bereicherungsschuldners gelangt. 541  Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74–75. 542  So differenzierend v. a. Blank, NZM 2007, 788, 795; Blank, WuM 2012, 501, 501; daneben auch Streyl, WuM 2013, 454, 457–458; ähnlich LG Berlin, Urt. v. 22.2.2007 – 62 S 277/05, Rn.  35, juris; der Sache nach auch AG Lübeck, Urt. v. 15.6.2011 – 24 C 4044/09, Rn.  43, juris. 543  Hinz, NZM 2010, 57, 64. 544  Siehe die Nachweise bei B. I. 1. Fn.  33. 545  Siehe BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430–431 Rn.  27–28; BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  31; BGH, Urt. v. 11.7.2012 − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  18–20; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23; zustimmend OLG Dresden, Beschl. v. 11.2.2013 – 5 U 1953/12, BeckRS 2014, 7375 Rn.  8; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.7.2013 – 10 U 114/12, BeckRS 2015, 12325; so auch LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 2.5.2019 – 3 S 10/18, BeckRS 2019, 12113 Rn.  6.

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wiesen, zunächst zu leisten und sich sodann auf die Rückforderung zu verlegen.546 Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung legt bei der Überprüfung von arbeitgeber­ seitigen Kündigungen ebenfalls strenge Maßstäbe zulasten des Arbeitnehmers an. Schon das RAG hatte festgehalten, ein Arbeitnehmer handele auf eigene Gefahr, wenn er trotz unklarer Berechtigung die Arbeit verweigere.547 Die aktuelle Recht­ sprechung des BAG adaptiert ausdrücklich die strenge Linie, sieht den Arbeitneh­ mer also allenfalls dort als entlastet an, wo er mit einer ihm ungünstigen Beurtei­ lung der Rechtslage nicht rechnen musste.548 (2) Stellungnahme Man kann der Rechtsprechung vorwerfen, ihren strengen Standpunkt zur rechts­ irrtumsbedingten Kündigung bislang eher knapp begründet zu haben.549 Inhaltlich überzeugt die Fortschreibung der strengen Linie jedoch. (a) Schutz des Schuldners durch weitere Kündigungsvoraussetzungen Zutreffend ist insbesondere der Hinweis, die mietrechtlichen Kündigungstatbe­ stände knüpften die „für den Mieter schwerwiegende Kündigungsfolge […] bereits im Rahmen der objektiven Tatbestandsmerkmale an engere Voraussetzungen […] als die allgemeine Haftung nach den §§  280 ff. BGB“.550 Das zeigt sich nicht nur am Erheblichkeitskriterium von §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB,551 sondern auch an den quan­ titativen Voraussetzungen betreffend den Mietrückstand in §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB. Innerhalb dieser Grenzen kann der Mieter Rechtszweifel ohne Kündigungs­ risiko zum Anlass nehmen, die Miete zurückzuhalten. Weiterer Schutz vor unzu­ mutbaren Kündigungen besteht in Form der Härtefallregeln in §§  574 ff. BGB (die im Übrigen als Ausfluss von Treu und Glauben größere Nachsicht gegenüber dem Rechtsirrtum des Mieters erlauben552). In ähnlicher Weise wird der Arbeitnehmer, dessen Leistungsverweigerung als schuldhaftes Fehlverhalten zu qualifizieren ist, im Rahmen von §  1 Abs.  2 S.  1 KSchG, §  626 BGB durch weitere Gesichtspunkte,

546  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430–431 Rn.  28; BGH, Urt. v. 11.7.2012 − VIII ZR 138/11, NJW 2012, 2882, 2883 Rn.  20; LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 2.5.2019  – 3 S 10/18, BeckRS 2019, 12113 Rn.  6; Harke, NZM 2016, 449, 452; Lorenz, WuM 2013, 202, 208. 547  RAG, Urt. v. 12.12.1928 – 211/28, Bensh.Samml. 4, 381, 384. 548  BAG, Urt. v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323, 1325 Rn.  34; BAG, Urt. v. 22.10.­ 2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  42–44; BAG, Urt. v. 17.11.2016  – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  37; BAG, Urt. v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  51; im Schrifttum etwa Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 362–363; Stoffels, in BeckOK-ArbR, §  626 BGB Rn.  88. 549  So auch Blank, WuM 2012, 501, 501. 550  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28. 551  Näher dazu BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, BGHZ 195, 64 = NJW 2013, 159, 160 Rn.  19–20; zur in diesem Rahmen denkbaren Berücksichtigung eines Rechtsirrtums zugunsten des Mieters siehe LG Berlin, Urt. v. 13.2.2020 – 67 S 369/18, BeckRS 2020, 2193 Rn.  29. 552  LG Berlin, Beschl. v. 17.2.2020 – 64 S 160/19, MDR 2020, 787, 787–788.

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insbesondere das Ultima-ratio-Prinzip vor einer Kündigung geschützt.553 Das BAG hat mehrfach betont, in der Regel sei eine vorherige Abmahnung erforderlich, „wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Ver­ halten sei nicht vertragswidrig“.554 (b) Verfassungsrechtliche Aspekte Für einen darüber hinausgehenden Schutz vor Kündigungen ließe sich allenfalls auf verfassungsrechtliche Gesichtspunkte verweisen. So wird im Mietrecht der grund­ rechtliche Schutz der Wohnung als Lebensmittelpunkt herausgestellt.555 Gegen eine solche Argumentationslinie lässt sich nicht nur anführen, dass auch das Inte­ resse des Vermieters am Erhalt des vereinbarten Entgelts für die Überlassung seiner Wohnung dem Schutz von Art.  14 GG unterfällt.556 Treffend ist vor allem der Hin­ weis, gerade wenn dem Mieter am Erhalt seines Lebensmittelpunkts gelegen sei, müsse er eben den besonders sicheren Weg gehen und unter Rückforderungsvorbe­ halt leisten.557 Dem Mieter mag es unzumutbar sein, seinen Lebensmittelpunkt auf­ zugeben. Zuzumuten ist es ihm hingegen, die Miete auch dann zu zahlen, wenn er Zweifel am Bestand der Forderung hat. Insoweit erbringt er kein größeres Opfer als jeder andere Schuldner, der die Verzugsgefahr bannen möchte.558 Soweit im vor­ liegenden Kontext auf Rechtsprechung des BVerfG verwiesen wird,559 ergibt sich daraus nichts anderes. Das BVerfG hat lediglich betont, das Verzugserfordernis als Merkmal von Kündigungstatbeständen erhalte „dem Mieter die Möglichkeit, Ge­ genrechte ohne Furcht vor Kündigung geltend zu machen, wenn er von ihrer Be­ rechtigung überzeugt sein darf“.560 Diese Aussage lässt sich unschwer mit der strengen Linie zur Verzugshaftung wegen Rechtsirrtums vereinbaren.561 Wenn der Mieter aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung von seiner Berechtigung überzeugt sein darf, trifft ihn tatsächlich kein Verzugsrisiko.562

553 Vergleiche etwa Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 361, unter Verweis auf BAG, Urt. v. 29.11.­1983 – 1 AZR 469/82, NJW 1984, 1371, 1373. 554  BAG, Urt. v. 14.2.1996 – 2 AZR 274/95, NJW 1996, 2253, 2254 (zum Verbotsirrtum), unter Verweis auf BAG, Urt. v. 30.6.1983 – 2 AZR 524/81, NJW 1984, 1917, 1919; BAG, Beschl. v. 9.1.­ 1986 – 2 ABR 24/85, NZA 1986, 467, 468. 555  Insb. von Streyl, WuM 2013, 454, 457; siehe auch Blank, NZM 2007, 788, 791; Blank, WuM 2012, 501, 502. 556 So Derkum, Folgen, S.  423–424; Harke, NZM 2016, 449, 452. 557  Harke, NZM 2016, 449, 452. 558  Auf die zumutbare Übernahme des Insolvenzrisikos weist auch Harke, NZM 2016, 449, 452, hin. 559 So Streyl, WuM 2013, 454, 457. 560  BVerfG, Beschl. v. 15.3.1989 – 1 BvR 1428/88, NJW 1989, 1917, 1917. 561  So auch LG Kassel, Beschl. v. 8.11.1994 – 1 T 61/94, ZMR 1996, 90, 92. 562  Siehe oben 5. b) aa). Insofern geht die Kritik von Blank, NZM 2007, 788, 791, also fehl.

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(c) Übertragbarkeit der Wertung aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Die bisherige Befassung mit der Problematik lässt einen wesentlichen Punkt unbe­ achtet. Die strenge Linie der herrschenden Meinung basiert, wie gesehen, im Kern auf einem Wertungstransfer aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO.563 Es ist daher zu fragen, ob diese Wertungen nicht nur im Bereich der Verzugshaftung, sondern auch bezüg­ lich der Kündigung durch die Gegenseite einschlägig sind. §§  717 Abs.  2, 945 ZPO befassen sich schließlich unmittelbar nur mit der Schadensersatzhaftung des Puta­ tivgläubigers. Eine verschuldensunabhängige Kündigungsmöglichkeit (für den Fall, dass ein Dauerschuldverhältnis zwischen den Parteien besteht) gewähren sie dem Vollstreckungsschuldner nicht. Zu dieser Beobachtung passt auch das zum Mietrecht vorgebrachte Argument, für das Kündigungsrecht komme es darauf an, ob der gedeihliche Fortbestand des Vertragsverhältnisses gefährdet sei, was beim Beharren des Schuldners auf einer ungewissen Rechtsposition zu verneinen sei.564 Der Blick wird also in die Zukunft gerichtet; die Kündigung kompensiert nicht. Man könnte daher argumentieren, sie knüpfe nicht an das Vorenthalten des Leis­ tungsgegenstands, sondern an das Streitverhalten des Schuldners an.565 Insoweit wäre die strenge Linie nicht einschlägig.566 Eine solche Sicht auf die Funktion der Kündigung wäre indes zu einseitig. So verhindert das Kündigungsrecht bei Zahlungsverzug des Mieters auch, dass der Vermieter während des Fortbestands einer ungewissen Rechtslage fortdauernd das Insolvenzrisiko des Mieters tragen muss.567 Das finanzielle Interesse des Vermie­ ters, die weitere Vertragserfüllung abbrechen zu können, besteht aber unabhängig davon, ob im Übrigen mit einem „gedeihlichen“ Fortbestand der Mietbeziehung zu rechnen ist oder nicht. Insofern dient das Kündigungsrecht durchaus vergleichba­ ren Interessen wie §§  717 Abs.  2, 945 ZPO in der umgekehrten Situation. Noch deutlicher zutage treten diese Zusammenhänge bei der arbeitsrechtlichen Kündi­ gung. Hier steht dem Arbeitgeber bei einer Leistungsverweigerung des Arbeitneh­ mers wegen §§  887, 888 Abs.  3 ZPO – zumindest nach Ansicht des BAG568 – keine Möglichkeit zur Verfügung, die vertragsgemäße Tätigkeit zu erzwingen.569 Ihm bleibt zur Klärung der Situation nur die Kündigung. Wenn man eine solche auf 563 

Oben 2. b) bb). Streyl, WuM 2013, 454, 457; ähnlich Schläger, ZMR 2013, 178, 179. 565  Ansatzweise in diese Richtung möglicherweise Blank, NZM 2007, 788, 795. 566  Siehe oben 3. 567  Diesen Zusammenhang zutreffend herausstellend Hinz, NJW 2013, 337, 339; Lorenz, WuM 2013, 202, 208; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 15.3.1989 – 1 BvR 1428/88, NJW 1989, 1917, 1917: Die Kündigungsmöglichkeit bei Zahlungsverzug „bewahrt den Vermieter zugleich vor dem weiteren Verbleib eines zahlungsunfähigen oder -unwilligen Mieters“; auch BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28, weist auf das Insolvenzrisiko hin. 568  Siehe nur BAG, Urt. v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, BAGE 110, 8 = NZA 2004, 727, 732; BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1462 Rn.  79; zur a. A. etwa Gruber, in: MüKo-­ZPO, §  887 Rn.  15 m. w. N. 569  Zutreffende Beobachtung im vorliegenden Kontext von Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 362; Zedler, Rechtsrisiko, S.  229–230. 564 

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Basis der milden Linie nicht erlaubte, müsste für die Dauer der Ungewissheit und der Arbeitsverweigerung eine Ersatzkraft eingestellt werden, die nach Klärung der Rechtslage eventuell „überflüssig“ wäre.570 Konsequent ist daher die Anwendung der strengen Maßstäbe und – ähnlich wie im Mietrecht – der Verweis darauf, der Arbeitnehmer könne rechtlich zweifelhaften Weisungen zunächst unter Vorbehalt nachkommen.571 (d) Differenzierung zwischen Vertretenmüssen und Verschulden Überdies erscheint die parallele Handhabung von Rechtsirrtümern im Rahmen der Verzugsschadensersatzhaftung und im Rahmen der verzugsbedingten Vertrags­ lösung teils zwingend vom Gesetz vorgegeben. Jedenfalls dort, wo für eine Kündi­ gung ausdrücklich an den Verzug des Schuldners angeknüpft wird (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB), dürfte es ausgeschlossen sein, einen anderen Maßstab anzulegen als bei §  286 BGB. Den resultierenden Widerspruch können auch Verfechter einer milden Linie nicht verhehlen.572 Dem Gesetzgeber hätte es freigestanden, in §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB an einen „verschuldeten Zahlungsrückstand“ oder Ähnliches anzuknüp­ fen, wenn er die parallele Beurteilung zu §  286 Abs.  4 BGB hätte vermeiden wollen. Raum für ein mildes Verständnis ließe das Gesetz allenfalls dort, wo Kündi­ gungstatbestände nicht an den Verzug, sondern an ein Verschulden anknüpfen (im Mietrecht: §§  543 Abs.  1 S.  2, 573 Abs.  2 Nr.  1 BGB). Auch der schon angesprochene Ansatz Häubleins kombiniert eine strenge Risikozuweisung zum Mieter bei Tatbe­ ständen des Vertretenmüssens573 mit einer großzügigen Entlastung, wo es auf ein Verschulden ankommt.574 Im Ergebnis sprechen indes die besseren Gründe gegen eine solche Differenzierung auf Ebene des Erkenntnisgrades. Häubleins Vorschlag wird unten noch eingehender Kritik unterzogen.575 An dieser Stelle genügt vorerst der Hinweis, dass die Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO – Privilegierung des Streitverhaltens unter vorläufigem Verzicht auf die umstrittene Position – 576 hier nicht weniger einschlägig ist als sonst. Im Kontext des Arbeitsrechts legt auch das BAG einen strengen Maßstab an, obwohl es die Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens durchführt.577 Ein effektives Mittel zum Mieterschutz wäre die milde Herangehensweise bei verschuldensabhängigen Tatbeständen ohnehin nur bedingt. Wie soeben aufgezeigt, ist zumindest im Bereich des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB ein Gleichklang mit §  286 Abs.  4 BGB unumgänglich. 570 Siehe Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 358; auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  282, weist darauf hin, dass bei Anwendung einer milden Linie zugunsten des Schuldners der Arbeitgeber in die für ihn „ungünstige Risikoverteilung […] geradezu hinein gedrängt“ werde. 571  BAG, Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 398 Rn.   4 4; Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 362–363. 572 Siehe Streyl, WuM 2013, 454, 458. 573  Dazu oben I. 2. sowie B. I. 3. 574  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 46. 575  Siehe dd) (1) und V. 3. 576  Siehe 2. b) bb). 577  Siehe dazu oben (1) m.N.

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(e) Klärungsanreize Die vorgeschlagene Übertragung des strengen Maßstabs auf die Kündigungsvor­ schriften könnte allerdings wünschenswerte Anreize zur Klärung offener Rechts­ fragen 578 beeinträchtigen. Das wird angedeutet, wenn zugunsten einer milden Linie auf die besondere Eignung der Kündigung als Druckmittel im Mietverhältnis hin­ gewiesen wird.579 Allerdings entsteht das Anreizproblem nicht dadurch, dass sich Mieter wegen des Kündigungsdrucks möglicherweise öfter als andere Schuldner dazu veranlasst sehen, im Zweifelsfall zunächst die geforderte Leistung zu erbrin­ gen. Die Rechtsklärung wird erst dort beeinträchtigt, wo anschließend kein Rück­ forderungsbegehren geltend gemacht wird. Das im Wohnraummietrecht gegebe­ nenfalls bestehende Anreizproblem ist also keines, das speziell die Kündigungs­fälle betrifft. Es ist im Folgenden vielmehr übergreifend zu betrachten. bb) Besondere Schutzbedürftigkeit des Schuldners Man könnte versuchen, eine besondere Privilegierung von Rechtszweifeln an der Person des Schuldners statt an den ihm drohenden Nachteilen festzumachen. (1) Wohnraummieter Eine Sonderstellung könnte, wie angedeutet, insbesondere dem Wohnraummieter einzuräumen sein. Zweifelhaft erscheint allerdings der Befund, im Mietrecht seien Irrtümer besonders häufig, weil viele Fragen obergerichtlich nicht geklärt und mit­ unter spezielle rechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien.580 Eine solche Diagnose entspräche wohl ebenso der Binnensicht in vielen anderen Rechtsgebie­ ten. Zu kurz greift es auch, eine besondere Privilegierung des Mieters damit zu begründen, es sei „unfair“, die aus der häufigen Rechtsunklarheit, etwa betreffend die Minderung, resultierenden Probleme einseitig dem Mieter anzulasten.581 Die strenge Linie belastet nicht den Mieter als solchen, sondern den jeweiligen Schuld­ ner. Das weitere Argument, der Mieter habe im Fall der Nichtleistung bzw. im Fall der Leistung besonders schwerwiegende Nachteile zu tragen, wird an anderen Stel­ len entkräftet.582 Stattdessen ist eine alternative Begründung zu erwägen. Diese knüpft an die im Schrifttum geäußerte Sorge, die strenge Verzugshaftung entwerte die Mieterrechte, an.583 Insoweit ist allerdings zunächst festzuhalten, dass die Mängelrechte des Mieters nicht dadurch eliminiert werden, dass dieser vorsichtshalber die Miete ent­ richtet. Zwar mag angesichts der Beschränkung von §  813 Abs.  1 S.  1 BGB auf dau­ 578 

Siehe oben 2. c) bb). So v. a. Blank, NZM 2007, 788, 795; Blank, WuM 2012, 501, 502. 580  In diese Richtung aber Blank, NZM 2007, 788, 789. 581  So aber Emmerich, in: Staudinger, §  5 43 Rn.  57b. 582  Siehe oben aa) und unten dd) (1). 583  So v. a. Blank, WuM 2012, 501, 502; H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717; Streyl, WuM 2013, 454, 457; siehe ferner Raabe, WuM 2017, 65, 68–69, 71. 579 

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ernde Einreden ein zuvor bestehendes Zurückbehaltungsrecht nach §  320 BGB ­unwiederbringlich verloren gehen.584 Bestehen bleibt aber der Rückforderungs­ anspruch aufgrund der Mietminderung, den der Mieter, sobald die Rechtslage in seinem Sinne geklärt ist, gemäß §  556b Abs.  2 BGB risikolos zur Aufrechnung stel­ len kann. In Gestalt des Zurückbehaltungsrechts verliert der Mieter lediglich ein zusätzliches Druckmittel.585 Die Problematik liegt vielmehr darin, dass unter An­ wendung der strengen Linie rechtliche Zweifelsfragen möglicherweise seltener ei­ ner gerichtlichen Klärung zugeführt würden. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass in Rechtsbeziehungen, die von einer Ungleichheit der Partner geprägt sind, die Bereitschaft der schwächeren Partei, ihre Rechte aktiv zu verfolgen, eingeschränkt sein kann:586 Es erscheint denkbar, dass sich Wohnraummieter seltener als andere Schuldner gegen (vermeintliche) Ansprüche des Gläubigers (Vermieters) zur Wehr setzen und dass sie vorsorglich erbrachte Leistungen seltener zurückfordern. Im Zusammenhang mit der Vorschrift des §  556g Abs.  1 S.  4 BGB587 sprechen auch die Gesetzesmaterialien den Gedanken aus, dass jedenfalls in angespannten Woh­ nungsmärkten Mieter dazu neigten, Rechtsverletzungen des Vermieters sehenden Auges hinzunehmen.588 Unter den beschriebenen Gegebenheiten liegt der Gedanke nicht fern, die Streit­ austragung für den Wohnraumieter in Zweifelsfällen attraktiver zu gestalten, weil es auf diesem Wege öfter zur Klärung umstrittener Rechtsfragen käme. Es fehlt allerdings entgegen der oben erwähnten Kritik 589 an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit Mängelstreitigkeiten im Wohn­ raummietrecht die „Initiativlast“ dem Vermieter zuweisen wollte. Dass die Minde­ rung ex lege eintritt, verschiebt die Last der Verfahrensinitiative gerade nicht; diese liegt stets beim Vermieter bis die Miete gezahlt wurde und anschließend beim Mie­ ter.590 Zu bedenken ist überdies, dass jedenfalls natürliche Personen als Vermieter die Rechtsverfolgung gegenüber Mietern oft gleichermaßen scheuen werden, weil in länger andauernden Sozialbeziehungen das Ergreifen rechtlicher Schritte mög­ licherweise als Bruch aufgefasst wird.591 Zumindest ist aber zu berücksichtigen, dass das Mietrecht dem Mieter schon auf vorgelagerter Ebene in nennenswerter Weise entgegenkommt. So kann der Mieter, der sich über das „Ob“ einer Minde­ rung sicher ist, in risikoarmer Weise einen Anteil an der Miete zurückhalten: Was die unsichere Höhe der Minderung anbelangt, wird die Rechtsirrtumsproblematik dadurch abgemildert, dass dem Mieter ein über den Minderungsbetrag hinaus­ 584 

Darauf weist H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717, hin. Zu dieser Funktion vergleiche nur BGH, Urt. v. 17.6.2015 – VIII ZR 19/14, BGHZ 206, 1 = NJW 2015, 3087, 3092 Rn.  61; Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  409. 586  Siehe oben 2. c) bb). 587  Dazu näher §  13 C. II. 1. e). 588  Begr. RegE MietNovG, BT-Drs. 18/3121, 33. 589  Siehe v. a. H. Schmidt, NZM 2013, 705, 717; oben 2. b) cc). 590 Zutreffend Hau, ZZP 129 (2016), 133, 148. 591  Allgemein dazu Baer, Rechtssoziologie, §  7 Rn.  29; vergleiche auch Hau, ZZP 129 (2016), 133, 138. 585 

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gehendes Zurückbehaltungsrecht zugestanden wird.592 Obschon nach der neueren BGH-Rechtsprechung insoweit keine schematischen Grenzen gelten,593 wird hier­ durch eine weitgehende Entlastung erreicht. Die einschlägigen Kündigungstat­ bestände enthalten zudem die bereits erwähnten besonderen Voraussetzungen, die über die allgemeinen Erfordernisse der §§  280 ff. BGB hinausgehen.594 Im Fall ei­ nes zweifelhaften Räumungsverlangens werden die Anreize des Wohnraummie­ ters, auf seiner Position zu beharren, dadurch gestärkt, dass §  571 BGB die drohen­ de Ersatzpflicht beschränkt.595 Auch ungeachtet dessen dürfte regelmäßig eine hohe Motivation des Mieters bestehen, den Räumungsrechtsstreit unter Verbleib in der Wohnung auszutragen.596 Wo zu befürchten ist, dass Wohnraummieter besondere Zurückhaltung bei der Rechtsverteidigung an den Tag legen könnten, wirkt das Gesetz also mit anderen Mitteln entgegen. Damit ist nicht gesagt, dass rechtspolitisch bereits das Optimum erreicht wäre.597 Zumindest muss aber der belastende Erkenntnisgrad bei der Ver­ zugshaftung des Wohnraummieters nicht flächendeckend angepasst werden. (2) Arbeitnehmer Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung versucht sein, die besondere Disparität zwischen den Vertragsparteien auch als Erklärung für die teils schuldnerfreund­ lich-milde Linie des BAG heranzuziehen. Die betroffene Judikatur ist aber vor al­ lem zur unwirksamen arbeitgeberseitigen Kündigung und zur fehlerhaften Ein­ gruppierung, also jeweils zugunsten des Arbeitgebers, ergangen.598 Soweit in einzel­ nen Bereichen auch der Arbeitnehmer eine Privilegierung erfährt – vor allem im Arbeitskampf599 – bedarf es zur Begründung keiner umfassenden Umgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades. Vielmehr lassen sich diese spezifischen Situationen unter anderen Gesichtspunkten erfassen. 600 Erst recht lässt sich die teils milde Rechtsprechung des BAG nicht mit dem Gedanken begründen, bei fremdnützigen Tätigkeiten sei größere Nachsicht bei der Behandlung des Rechtsirrtums geboten. 601 Zwar sind bei fremdnützigem Handeln in der Tat andere Maßstäbe anzulegen. 602 592 

Zutreffende Analyse von Blank, NZM 2007, 788, 793. Siehe BGH, Urt. v. 17.6.2015 – VIII ZR 19/14, BGHZ 206, 1 = NJW 2015, 3087, 3092 Rn.  65; kritisch Raabe, WuM 2017, 65, 72. 594  Siehe oben aa) (2) (a) unter Verweis auf BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 431 Rn.  28. 595  Vergleiche schon J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  150 Fn.  7 7, zur a. F. 596  Vergleiche noch allgemein unten dd) (1). 597  Siehe §  19 B. III. 4. 598  Siehe näher B. I. 2. m.N. sowie exemplarisch BAG, Urt. v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, BAGE 101, 328 = NZA 2003, 44, 48; BAG, Urt. v. 7.10.1981 – 4 AZR 225/79, BAGE 36, 245 = NJW 1982, 2279, 2279. 599  So etwa BAG, Urt. v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 = NJW 1978, 2114, 2115; BAG, Urt. v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, BAGE 104, 155 = NZA 2003, 734, 741. 600  Siehe unten dd) (3). 601  In diese Richtung aber Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254. 602  Dazu später näher dd) (3). 593 

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Dem Arbeitnehmer unterläuft aber in den hier betrachteten Konstellationen kein Rechtsirrtum im Rahmen einer fremdnützigen Tätigkeit. Es geht vielmehr um die „eigennützige“ Arbeitsverweigerung bzw. die Nichtbefolgung von Weisungen ge­ genüber dem Arbeitgeber. 603 Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber anderen Schuldnern. Unter Anreizgesichtspunkten weist die Lage im Arbeitsrecht vergleichbare Cha­ rakteristika wie im Mietrecht auf. 604 Es mögen Barrieren für eine Rechtswahr­ nehmung durch den Arbeitnehmer bestehen. Allerdings wird er durch die Voraus­ setzungen der §  1 Abs.  2 S.  1 KSchG, §  626 BGB vor dem raschen Verlust seines Arbeitsplatzes geschützt. 605 In der Folge bestehen immerhin gewisse Anreize, Konflikte auszutragen und sich nicht vorschnell zu beugen. cc) Besondere Schwierigkeiten bei Bestimmung der Leistungspflicht: Abhängigkeit von Ermessensentscheidung Wiederum hauptsächlich bei der Kündigung von Wohnraummietverhältnissen re­ levant wird der Ansatz, den Schuldner zu entlasten, wenn der Leistungsumfang von einer gerichtlichen Ermessensentscheidung abhängt und der Schuldner die Leistung in zu großem Maß verweigert. Dem Mieter sei bei der Berechnung einer Minderungsquote ein „Schätzermessen“606 zuzubilligen. 607 Die Ergebnisse der Quotenbildung seien selbst für Rechtskundige nicht vorhersehbar. 608 Ein überhöh­ ter Einbehalt dürfe daher die Kündigung nicht begründen, solange die vom Mieter gewählte Quote noch vertretbar609 und ein gerichtlicher Hinweis auf ein abwei­ chendes Ergebnis nicht erfolgt sei.610 Der BGH hat ebenfalls die Bereitschaft erken­ nen lassen, zugunsten des Mieters zu berücksichtigen, dass die Mietrückstände „ausschließlich durch Mietminderungen verursacht worden sind, die stets mit Un­ 603  Deshalb Haftungserleichterungen bezüglich des „Rechtsrisikos“ ablehnend auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  197–198. 604  Dazu soeben (1). 605  Siehe oben aa) (2) (a). 606 Begriff von Blank, in: Schmidt-Futterer, §   543 BGB Rn.  105; ähnlich („Schätzirrtum“) Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 18/2012 Anm.  4 (unter D.). Man kann sich allerdings fragen, ob es sich um einen Rechts- (so LG Berlin, Urt. v. 17.3.2009 – 65 S 54/08, Rn.  21, juris) oder einen Tatsachenirrtum (so wohl Harke, NZM 2016, 449, 453) handelt. Für die Verzugshaftung ist dies, wie oben (4.) dargelegt, nebensächlich; zur Einordnung später §  18 C. II. 607  Nachweise bei B. I. 1. Fn.  38. 608  LG Berlin, Urt. v. 17.3.2009 – 65 S 54/08, Rn.  21, juris; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.1.­ 2020 – 2-11 S 232/19 (wiedergegeben bei Rave, MietRB 2020, 131); Börstinghaus, jurisPR-BGH­ ZivilR 18/2012 Anm.  4; siehe auch AG Stuttgart, Urt. v. 14.2.2020 – 32 C 1562/19, WuM 2020, 641, 642; Harke, NZM 2016, 449, 453. 609  Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 18/2012 Anm.  4; ähnlich Harke, NZM 2016, 449, 453; siehe auch LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.1.2020 – 2-11 S 232/19 (wiedergegeben bei Rave, Miet­ RB 2020, 131; Nichtzahlung in Höhe des doppelten, ggf. auch dreifachen, nicht aber fünffachen Minderungsbetrags sei entschuldigt), sowie LG Hannover, Urt. v. 15.4.1994 – 9 S 211/93, NJWRR 1995, 331 (Minderung sei immerhin zur Hälfte gerechtfertigt gewesen). 610  Blank, in: Schmidt-Futterer, §  5 43 BGB Rn.  105.

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wägbarkeiten verbunden sind“.611 Gewisse Ähnlichkeiten zeigen sich, wenn das BAG einen Verzug des Arbeitgebers mit der Lohndifferenz verneint, die sich infol­ ge einer unzutreffenden Eingruppierung ergeben hat, und dabei darauf verweist, dass „angesichts des weitgehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraumes sogar tatsächlich gleichgelagerte Fälle zu ungleichen revisionsgerichtlichen Entscheidun­ gen führen können“. 612 Die beschriebenen Entlastungstendenzen sind jedoch abzulehnen. Soweit sie das Mietrecht betreffen, dürften sie überwiegend als Versuch zu deuten sein, dem Mie­ ter die Wohnung zu erhalten. Dem stehen aber die bereits erarbeiteten Argumente entgegen. Die infolge der Ermessensabhängigkeit bestehenden Zweifel unterschei­ den sich qualitativ nicht von Rechtszweifeln in anderen Konstellationen. Der Mie­ ter kann ein Risiko vermeiden, indem er die Minderung auf den sicheren Umfang beschränkt und im Übrigen zunächst leistet und anschließend die Rückforderung anstrebt. 613 Einen gewissen Puffer bieten ihm wiederum das überschießende Zu­ rückbehaltungsrecht sowie die quantitativen Voraussetzungen der Kündigung. 614 Das zeigt sich eindrucksvoll in der soeben zitierten BGH-Entscheidung, die auf die „Unwägbarkeiten“ der Mietminderung zugunsten des Mieters hinwies: Im betrof­ fenen Sachverhalt war schon die Erheblichkeitsschwelle von §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB nicht erreicht, 615 sodass es auf ein „Schätzermessen“ nicht mehr ankam. dd) Besondere Nachteile im Fall der Leistung Es wurde bereits festgestellt, dass besondere Nachteile, die dem Schuldner im Fall der Nichtleistung drohen, ein Abrücken von der strengen Linie grundsätzlich nicht rechtfertigen. 616 Anders könnte die Bewertung ausfallen, wenn das schadensver­ meidende Verhalten – die einstweilige Leistungserbringung – unzumutbar er­ scheint. Der BGH hat beispielsweise im Einzelfall zugunsten eines Schädigers be­ rücksichtigt, dass ein vorsorgliches Nachgeben bei zweifelhafter Rechtslage erheb­ liche Auswirkungen auf dessen gesamten Geschäftsbetrieb gehabt hätte. 617

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BGH, Urt. v. 13.7.2010 – VIII ZR 129/09, WM 2011, 285, 288. So BAG, Urt. v. 7.10.1981 – 4 AZR 225/79, BAGE 36, 245 = NJW 1982, 2279, 2279. 613  Zutreffend LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 2.5.2019 – 3 S 10/18, BeckRS 2019, 12113 Rn.  6; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  79; an der Einräumung eines Spielraums zugunsten des Mie­ ters zweifelnd auch Rave, MietRB 2020, 131. 614  Siehe oben aa) (2) (a), bb) (1). 615  BGH, Urt. v. 13.7.2010 – VIII ZR 129/09, WM 2011, 285, 288. Angesichts dessen ist es un­ befriedigend, dass der BGH a. a. O. wenig konkret darauf verweist, es liege „keine schuldhafte, nicht unerhebliche Pflichtverletzung“ vor. 616  Dazu oben aa). 617  BGH, Urt. v. 18.5.1955 – I ZR 8/54, BGHZ 17, 266 = GRUR 1955, 492, 501 (außerhalb des Verzugskontexts). 612 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

(1) Überwiegen der Nachteile des Schuldners In der allgemeinen Literatur zur Rechtsirrtumshaftung wird vorgeschlagen, den schädlichen Erkenntnisgrad variabel zu bestimmen und Großzügigkeit walten zu lassen, wenn für den Schädiger eine Existenzgefahr bestehe und das Zuwarten für den Gegner kaum Nachteile mit sich bringe. 618 Ganz ähnliche Vorschläge finden sich speziell zur Frage der Leistungsverweigerung. Häublein zufolge soll es dem Gedanken des §  254 Abs.  2 S.  1 BGB entsprechen, dass eine Leistung verweigert werden dürfe, wenn der dem Gläubiger hierdurch entstehende Schaden unter dem­ jenigen liege, der dem Schuldner im Fall der Leistung drohe. 619 Er verweist hierfür exemplarisch auf die Entlastung eines Käufers, der nach einer zweifelhaften An­ fechtung durch den Verkäufer die Rückgewähr der Kaufsache verweigert:620 Die Rückerlangung hätte, so Häublein, nur einen geringen Nutzen für den Gläubiger gehabt (Weiterverkauf als Gebrauchtware) – im Vergleich zu dem drohenden Nach­ teil, wenn sich das Rückgabeverlangen als unberechtigt herausgestellt hätte (Scha­ densersatzpflicht gegenüber dem Käufer). 621 Als zweites Beispiel geht Häublein auf das Herausgabeverlangen eines Vermieters nach einer umstrittenen Kündigung ein. Beuge sich der Mieter und ziehe aus, erleide er oftmals höhere Einbußen als der Vermieter im Fall des verweigerten Auszugs, da der Vermieter hier immerhin eine Nutzungsentschädigung (§  546a Abs.  1 BGB) erhalte. 622 Betreffend die letztge­ nannte Konstellation wird zudem mit der Funktion der Wohnung als grundrecht­ lich geschütztem Lebensmittelpunkt argumentiert. 623 Die Räumung „auf Verdacht“ sei dem Mieter unzumutbar. 624 Jedenfalls bei Vorliegen einer besonders unklaren Rechtslage sei der die Räumung verweigernde Mieter daher entschuldigt. 625 Der Vorschlag Häubleins überzeugt nicht. Der Anwendungsbereich ist ohnehin schmal, weil eine Entlastung des Schuldners nur bei Verschuldenstatbeständen, nicht aber im Rahmen des Vertretenmüssens erwogen wird. 626 Gleichwohl ist da­ rauf hinzuweisen, dass bereits der angestellte Nachteilsvergleich ungenau ist. In Relation zu setzen wären der Schaden, den der in Anspruch Genommene erleidet, wenn er vorsorglich leistet und der Anspruch nicht besteht, sowie der Nachteil des Anspruchstellers, wenn der Anspruch besteht, er aber die Leistung nicht erhält. Häublein kontrastiert hingegen im Beispiel des angefochtenen Kaufs die auf Seiten des Verkäufers (Rückgewährgläubigers) eintretenden Vor- bzw. Nachteile bei Be­ 618  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 941–942; zur Geschäftsleiterhaftung Verse, ZGR 2017, 174, 190; zum Aspekt der Existenzgefährdung auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  76. 619  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47. 620  BGH, Urt. v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04, NJW 2005, 976, 977; zur Kritik an der dortigen Begründung (unklare Rechtslage) oben 5. b) aa) (3). 621  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47–48. 622  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 48. 623  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 48; Streyl, in: Schmidt-Futterer, §  5 46a BGB Rn.  93. 624  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 48. 625  Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  6; Streyl, in: Schmidt-Futterer, §  5 46a BGB Rn.  93. 626 Siehe Häublein, PiG 97 (2014), 35, 46–47; dazu etwa schon aa) (2) (d).

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rechtigung bzw. fehlender Berechtigung des Rückgewährverlangens. 627 Im Fall der verweigerten Rückgabe der Mietsache wird zwar der Vergleich im Ausgangs­ punkt richtig gebildet, doch blendet der Hinweis, der Vermieter erhalte im Fall der Auszugsweigerung immerhin eine Nutzungsentschädigung, das Insolvenzrisiko aus. Schwerer als solche Detailkritik wiegt jedoch ein anderer Umstand. Eine gene­ relle Entlastung des Schuldners infolge disproportionaler Nachteile bei vorläufiger Erfüllung der ungewissen Verbindlichkeit wäre mit den Wertungen aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO nicht zu vereinbaren. 628 Hielte es der Gesetzgeber für angebracht, in rechtlichen Zweifelsfällen den haftungsbefreiten Zugriff auf potenziell existenz­ wichtige Rechtspositionen zuzulassen, wenn dem Gegenpart nur geringe Schäden drohten, wäre diese Konsequenz auch in umgekehrter Richtung zu ziehen. Dem Vollstreckungsgläubiger wäre es zu gestatten, sich einen Gegenstand ohne Haf­ tungsrisiko vorläufig zu sichern, wenn dessen Nutzung für ihn einen deutlich ­hö ­ heren Wert hat als für den Schuldner. Derlei Zumutbarkeitsvorbehalte kennen §§  717 Abs.  2, 945 ZPO aber nicht. Nach den Vorschriften würde beispielsweise ein (früherer) Mieter verschuldensunabhängig haften, wenn er nach zwischenzeitlicher Rückgabe der Wohnung deren Wiedereinräumung erstritten und vor Rechtskraft der später aufgehobenen Entscheidung durchgesetzt hat. Eine Haftungsfreiheit dieses Vorgehens hält der Gesetzgeber offensichtlich nicht für angezeigt. Nichts anderes kann dann im Ausgangspunkt für den Schuldner gelten, der zur vorläufi­ gen Sicherung seiner Interessen nicht einmal auf die Vollstreckung oder den einst­ weiligen Rechtsschutz zurückgreifen muss. 629 Zu bedenken ist überdies, welcher Aufwand für Gerichte mit einer genauen Be­ stimmung der beiderseits drohenden Nachteile verbunden wäre. Vor diesem Hin­ tergrund verlieren darauf aufbauende Ausnahmetatbestände zusätzlich an Attrak­ tivität. Letztlich ist auch kein erheblicher Bedarf für eine Haftungsentlastung er­ sichtlich, wenn die bei Erfüllung drohenden Nachteile des potenziellen Schuldners die bei Nichterfüllung drohenden Schäden des potenziellen Gläubigers weit über­ wiegen. Unter solchen Umständen ist es dem in Anspruch Genommenen nämlich in der Regel auch ohne Haftungsbefreiung möglich, seine Interessen zu wahren. Weil eine Schadensersatzpflicht dann nur in relativ geringer Höhe droht, während der Zugriff auf die umstrittene Rechtsposition existenznotwendig ist, kann sich der Schuldner in der Regel guten Gewissens dafür entscheiden, den geltend gemachten Anspruch bis zur abschließenden Klärung nicht zu erfüllen. 627  Der Nachteil des Putativgläubigers im Fall der Nichtberechtigung des Rückgewährverlan­ gens (Schadensersatzpflicht) korrespondiert aufgrund des insoweit einschlägigen milden Haf­ tungsmaßstabs nicht zwingend mit dem Nachteil, den der Putativschuldner erleidet. 628  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 47, lässt die hinter §  717 Abs.  2 ZPO stehende Wertung der Sache nach in seine Überlegungen einfließen, berücksichtigt sie sodann aber nicht konsequent. 629 Auch Blank, NZM 2007, 788, 793, der den Mieter, der bei zweifelhafter Minderung die Miete einbehält, vor einer Kündigung schützen möchte (a. a. O., 795; siehe oben aa) (1)), möchte ihm keine Haftungsentlastung für das Unterlassen der Räumung zugestehen.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Nach alldem ist pauschal ansetzenden Haftungsentlastungen für Schuldner, die eine vorläufige Erfüllung – im Vergleich zu den Konsequenzen einer Nichterfül­ lung für den Gläubiger – stark belasten würde, eine Absage zu erteilen. Eine ent­ sprechende Ausnahme müsste anders begründet werden. (2) Entlastung über §  275 Abs.  2 , 3 BGB Eine Abmilderung des schädlichen Erkenntnisgrades zugunsten des die Leistung verweigernden Schuldners erübrigt sich von vornherein, soweit §  275 Abs.  2 bzw. 3 BGB einschlägig sind. Diese Regelungen erlauben es dem Schuldner, die Leistung zu verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der in grobem Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht, bzw. soweit die geschuldete persön­ liche Leistungserbringung nach einer Interessenabwägung unzumutbar erscheint. Die hierdurch gewährte Entlastung ist indes unabhängig vom Vorliegen von Rechtszweifeln. Vielmehr darf der Schuldner die Leistung gemäß §  275 Abs.  2, 3 BGB auch dann verweigern, wenn eine Verbindlichkeit unzweifelhaft besteht. Die Vorschriften sind deshalb vorliegend nicht näher zu beleuchten. Wichtig ist vor­ nehmlich die Feststellung, dass die Existenz dieser allgemeinen Vorschriften  – ebenso wie beispielsweise die der bereits zitierten Mieterschutzvorschriften630 oder §  313 BGB631 – es weitgehend überflüssig macht, auf Grundlage der gleichen Er­ wägungen (Existenzbedrohung usw.) den schädlichen Erkenntnisgrad bei der Irr­ tumshaftung abzusenken. So ist etwa anerkannt, dass die Erfüllung unter Berufung auf §  275 Abs.  3 BGB verweigert werden kann, wenn dem Schuldner dadurch eine Gefahr für Leib, Le­ ben oder Freiheit drohte. 632 Schon unter Rückgriff auf diesen Gedanken lässt sich die Entlastung eines (in tatsächlicher Hinsicht) irrenden Mieters erwägen, der sich angesichts vermeintlicher Gesundheitsgefahren weigert, eine beabsichtigte Sanie­ rung mit einem bestimmten Material zu dulden, dessen Unbedenklichkeit sich 275 schlussendlich herausstellt. 633 Eröffnet ist der Anwendungsbereich von §   Abs.  3 BGB potenziell auch dort, wo der Schuldner durch die persönliche Leis­ tungserbringung das Risiko einginge, höherrangige Rechtspflichten zu verlet­ zen.634 Zu Recht wird im Schrifttum eine Haftung des Schuldners verneint, wenn er sich im Fall des Nachgebens gegenüber dem Anspruchsteller der Gefahr einer Strafbarkeit aussetzen würde. 635 Relevant wird dies etwa bei Weisungen des Ar­ beitgebers, die potenziell gesetzeswidriges Verhalten verlangen. Nach den üblichen 630 

Siehe aa) (2) (a). Zum Verhältnis zu §  275 BGB etwa Ernst, in: MüKo-BGB, §  275 Rn.  19–24. 632  Caspers, in: Staudinger, §  275 Rn.  112 m. w. N.; Riehm, in: BeckOGK, §  275 BGB Rn.  301.1. 633  AG Köln, Urt. v. 1.3.2013 – 208 C 99/09, NJW-RR 2013, 1425, 1427, stützt die Entlastung allerdings auf den Gedanken der Plausibilität, also auf eine Abmilderung des Erkenntnisgrades. 634  Caspers, in: Staudinger, §  275 Rn.  109; Riehm, in: BeckOGK, §  275 BGB Rn.  301.3. 635 Siehe allgemein zur Schuldnerhaftung J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   109; ferner Haertlein, Exe­kutionsintervention, S.  412 mit Fn.  89, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 3.6.1953 – II ZR 236/52, NJW 1953, 1426, 1427 (zur Verletzung einer Kundenschutzklausel). 631 

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Grundsätzen würde der Arbeitnehmer, der die aufgetragene Tätigkeit verweigert, hier das Risiko tragen, dass sich die Weisung später als unbedenklich heraus­ stellt. 636 Das erscheint unbillig, wenn die Zweifel an der Straflosigkeit des Verhal­ tens vertretbar sind und keine eindeutig die Strafbarkeit verneinende höchstrichter­ liche Rechtsprechung vorliegt. 637 Allerdings ist im Rahmen von §  275 Abs.  2 S.  2 BGB sowie nach umstrittener Auffassung638 auch bei §  275 Abs.  3 BGB zu berück­ sichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis selbst heraufbeschworen hat. Spätestens im Kontext des resultierenden Schadensersatzanspruchs wäre eine sol­ che Verursachung nach §  311a Abs.  2 S.  2 bzw. §§  280 Abs.  1 S.  2, 283 BGB zulasten des Schuldners zu berücksichtigen. 639 (3) Gefahr des rechts- bzw. pflichtwidrigen Verhaltens – Berücksichtigung der Wertung aus §  372 S.  2 Var.  2 BGB Freilich ist zu konstatieren, dass die Voraussetzungen von §  275 Abs.  2, 3 BGB nicht in jedem Fall einer drohenden Pflichtenkollision erfüllt sein werden. §  275 BGB ist keine allgemeine Unzumutbarkeitsregelung, sondern weist einen fragmentarischen Charakter auf. 640 Die bestehenden Lücken lassen sich jedoch auf Basis der bislang gewonnenen Wertungen zur Rechtsirrtumshaftung des Schuldners schließen. Für die beschriebenen Fälle der Pflichtenkollision kann eine überzeugende Ausnahme zu der sonst gebotenen strengen Betrachtung entwickelt werden. Demonstrieren lässt sich dies an einer Entscheidung des Reichsgerichts. Dieses wollte es der dortigen Schuldnerin angesichts der im maßgeblichen Zeitpunkt „völ­ lig unsicheren Rechtslage“ nicht zum Vorwurf machen, dass sie mit ihrer Beurtei­ lung „fehlgegriffen“ hatte. 641 Indes bietet eine besonders verworrene Rechtslage an sich keinen Anlass, vom sonstigen Haftungsmaßstab abzuweichen. 642 Das Reichs­ gericht stützte sich in seiner Entscheidung allerdings auf einen weiteren Gesichts­ punkt: Die Schuldnerin war „im Ungewissen darüber, ob eine Begleichung […] nicht zu einer Doppelzahlung führen könne, für die sie entschädigungslos bleiben würde“. 643 Hierin ist der eigentliche Grund für die gebotene Milde zu sehen. 644 Wenn mit Blick auf solche Fälle von einer „notstandsähnlichen Situation“645 bzw. einer „Entscheidungsnotlage“646 gesprochen wird, ist dies zutreffend, aber 636 

Siehe etwa BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1462 Rn.  79. Eufinger, RdA 2018, 224, 227, geht auf §  275 Abs.  3 BGB als Option ein, hält eine Anwen­ dung im Arbeitsrecht aber für unnötig. 638  Zum Streitstand m. w. N. Riehm, in: BeckOGK, §  275 BGB Rn.  310–313. 639  Siehe nur Caspers, in: Staudinger, §  275 Rn.  111; Riehm, in: BeckOGK, §  275 BGB Rn.  312, 322. 640 Zutreffend Ernst, in: MüKo-BGB, §  275 Rn.  114. 641  RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 30. 642  Siehe oben 5. b) aa) (3). 643  RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 28. 644  So auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  144–145. 645  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  724. 646  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  411, der auch den Begriff „Dilemma“ benutzt. 637 

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präzisierungsbedürftig. Die „Not“ besteht darin, dass der mögliche Schuldner, selbst wenn er die geforderte Leistung erbringt, nicht von der Gefahr einer Haf­ tung (gegenüber einem weiteren Anspruchsteller) frei wird. Er trägt also anders als sonst nicht nur das Risiko einer Insolvenz des Leistungsempfängers sowie die Nachteile aus dem vorübergehenden Nutzungsverlust. Bei genauerem Hinsehen gleicht die Lage vielmehr derjenigen, die im Zusammenhang mit der Hinterlegung schon eingehend thematisiert wurde. 647 In Fällen der Unsicherheit über den Gläu­ biger hält das Gesetz ausweislich des §  372 S.  2 Var.  2 BGB eine weitgehende Entlas­ tung des zweifelnden Schuldners für angebracht. Diese Wertung ist spezieller als die aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO abgeleitete. Sie lässt sich auf Fälle wie den vom Reichsgericht zu beurteilenden ohne Weiteres übertragen, weil sich dort letzten Endes die gleiche Konfliktsituation ergibt. Zu erfassen sind alle Sachverhalte, in denen die vorläufige Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs für den Schuldner mit Nachteilen verbunden wäre, die über diejenigen hinausgehen, welche im Normalfall zu tragen wären und von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO für unerheblich erklärt werden (Insolvenzrisiko, Nutzungsausfall). Ein Schuldner, der die Ungewissheit nicht selbst verursacht hat,648 ist unter solchen Umständen durch Anwendung eines milden Erkenntnisgrades zu schonen, sofern er immerhin eine der konkurrierenden (potenziellen) Pflichten erfüllt.649 Zu den be­ schriebenen Situationen kann es kommen, wenn sich der Schuldner durch die Leis­ tungserbringung dem Risiko aussetzen würde, sich gegenüber einem Dritten, dem Anspruchsteller oder öffentlich- bzw. strafrechtlich pflicht-, rechts- bzw. verbots­ widrig zu verhalten.650 Im Prinzip sind dann ganz ähnliche Erwägungen anzustellen wie bei höchstpersönlichen Leistungspflichten im Kontext von §  275 Abs.  3 BGB.651 Mithilfe verwandter Überlegungen lassen sich auch Haftungsprivilegien bei der Verletzung fremdnütziger Pflichten begründen. 652 Die Besonderheit liegt hier aus Sicht des Schuldners darin, dass im Einzelfall sowohl eine bestimmte Verhaltens­ weise als auch deren Unterlassen eine Pflichtverletzung gegenüber demselben Gläu­ biger bedeuten könnte. Dies lässt sich anhand einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1995 illustrieren:653 Ein Wohnungseigentumsverwalter hatte eine eigent­ lich geschuldete Zustimmung verweigert. Der BGH verneinte ein Verschulden. Ob die Zustimmung zu erteilen war, sei objektiv zweifelhaft gewesen. Unter diesen Umständen habe ein Haftungsrisiko des Verwalters unabhängig davon bestanden, 647  Siehe oben b) aa). Explizit auf §  372 S.  2 BGB hinweisend auch Haertlein, Exekutionsinter­ vention, S.  411. 648  Siehe b) aa) (1); diese Voraussetzung passt auch zur soeben unter (2) angesprochenen Rege­ lung in §  311a Abs.  2 S.  2 BGB. 649  Zu diesem Erfordernis vergleiche bereits b) aa) (3). 650 Siehe Haertlein, Exekutionsintervention, S.  412. Denken lässt sich etwa an den Fall, dass die Erfüllung möglicherweise einen Geldwäschetatbestand verwirklicht oder gegen das Datenschutz­ recht verstößt. 651  Dazu soeben (2). 652  So auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  412; zudem Engert, in: GS Unberath, S.  91, 110. 653  BGH, Beschl. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216, 1218.

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für welches Vorgehen er sich entschied. Wenn er die Zustimmung erteilt hätte, hät­ te die Gefahr bestanden, dass ein Gericht davon ausgegangen wäre, die Zustim­ mung sei zu versagen gewesen. Vor diesem „nicht lösbaren Pflichtenwiderstreit“ wollte der BGH den Verwalter durch Gewährung eines „Beurteilungsspielraum[s]“ schützen. 654 Das läuft auf eine Absenkung des schädlichen Erkenntnisgrades auf negative Gewissheit hinaus. Auf die gleiche Weise begründen lässt sich auch die Nachsicht, die gegenüber einem Versorgungsträger an den Tag gelegt wurde, der eine rechtlich zweifelhafte Auszahlungsverbindlichkeit zunächst nicht erfüllt hat­ te: Gegenüber den übrigen Beitragszahlern hätte in einer unberechtigten Auszah­ lung ebenso eine Pflichtverletzung gelegen.655 Dagegen hat der I. Zivilsenat des BGH im Fall einer pflichtwidrigen Verteilung durch eine treuhänderisch tätige Verwertungsgesellschaft zu Recht eine Haftung bejaht.656 Die bewusste Abwei­ chung von der Rechtsprechung zum Wohnungseigentumsverwalter begründete der Senat überzeugend damit, dass der Verwertungsgesellschaft bereits kraft speziellen Gesetzesrechts „ein nur durch willkürliches Verhalten begrenzter Beurteilungs­ spielraum eingeräumt“ gewesen sei. 657 Hier hat der Gesetzgeber die Gefahr eines Interessenwiderstreits also bereits gesehen und gelöst. Dass die Verwertungsgesell­ schaft danach haftet, wenn sie willkürlich handelt, ist nicht zu beanstanden. Ohnehin ist davor zu warnen, eine Haftungsprivilegierung bei jeder fremdnützi­ gen Tätigkeit anzunehmen. Insbesondere ist daran zu erinnern, dass sich nicht etwa eine pauschale Privilegierung von Arbeitnehmern herleiten lässt. 658 Es muss stets eine Situation vorliegen, in der sowohl die Erfüllung der möglichen Pflicht als auch deren Unterlassen mit Haftungsrisiken belegt sind. So riskiert etwa der Arbeitneh­ mer, der einer nur unbilligen (nicht gesetzeswidrigen) Weisung des Arbeitgebers Folge leistet, in aller Regel keine solchen Nachteile. Wenn er sich für die Nichtbe­ folgung entscheidet, ist es daher nicht unangemessen, ihn streng haften zu lassen. Im Arbeitsrecht kann es allerdings an anderen Stellen zu Interessenkonflikten kommen, die eine Modifikation des Erkenntnisgrades verlangen. Insbesondere lässt sich so die Milde erklären, die die Arbeitsgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen walten lässt. Eine Gewerkschaft, die sich im Fall rechtlicher Unsicherheit der ungünstigen Ansicht der Arbeitgeberseite beugte und auf Arbeitskampfmaßnahmen verzichtete, liefe Gefahr, ihre „gerade von der Ver­ fassung in Art.  9 III GG zugewiesene Aufgabe“ nicht zu erfüllen.659 Auch dies lässt sich als Risiko der Verletzung anderweitig bestehender Pflichten begreifen. 654  BGH, Beschl. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216, 1218; ebenso BGH, Urt. v. 18.10.2019 – V ZR 188/18, NJW-RR 2020, 393, 394 Rn.  14. 655  Siehe LG Köln, Urt. v. 13.6.1984 – 24 O 554/83, ZIP 1984, 1132, 1134. 656  BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735–736 Rn.  20–27 – Verrech­ nung von Musik in Werbefilmen. 657  BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  27 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen. 658  Dazu oben bb) (2) mit Kritik an Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254. 659  BAG, Urt. v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 = NJW 1978, 2114, 2115; BAG, Urt. v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, BAGE 104, 155 = NZA 2003, 734, 741.

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Die Haftungsprivilegierung ist indes unter den Vorbehalt zu stellen, dass keine andere Klärungsmöglichkeit bestand. 660 Der Haftungsfreiraum, welcher der Ge­ werkschaft gewährt wird, setzt sich auf individueller Ebene fort. So hat das BAG einen Arbeitnehmer vor einer Kündigung bewahrt, der, hätte er die (tatsächlich geschuldete) Leistung erbracht, auf eine Streikteilnahme hätte verzichten müs­ sen. 661 Ein Nachgeben gegenüber dem Arbeitgeber wäre zulasten der eigenen Ge­ werkschaft und der Kollegen gegangen; auch dies begründet in gewissem Umfang einen Pflichtenwiderstreit. 662 Die Haftungsverschonung des Schuldners wegen eines Pflichtenwiderstreits kann zudem auf Vorbilder außerhalb der Leistungsverweigerungsfälle verweisen. So wird der Gedanke insbesondere bei der gesellschaftsrechtlichen Binnenhaftung von Organmitgliedern wegen unrichtiger Rechtseinschätzung herangezogen. 663 Auch die Kollegialgerichtsrichtlinie im Amtshaftungsrecht findet ihre Wurzel in vergleichbaren Überlegungen: Dem Beamten stehe es nicht frei, zur Vermeidung eines pflichtwidrigen Vorgehens schlicht inaktiv zu bleiben. 664 (4) Fehlende Kondiktionsfähigkeit des Leistungsgegenstands Der Gedanke einer im Grundsatz strengen Verzugshaftung des zweifelnden Schuld­ners fußt wesentlich auf dem Argument, der Schuldner könne, statt die Leis­ tung zu verweigern, einstweilen leisten und sodann einen Bereicherungsanspruch geltend machen. 665 Durch die Leistungserbringung begibt sich der Schuldner in eine Stellung, wie sie sonst der Anspruchsteller innehat, der auf Maßnahmen im Sinne der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO verzichtet. Eine solche Argumentation setzt im­ plizit voraus, dass der betroffene Leistungsgegenstand überhaupt kondiktionsfähig ist. Ein Rückforderungsbegehren wäre sonst nicht denkbar. Ein Schuldner, der die (prinzipiell wünschenswerte666) rechtliche Klärung herbeiführen wollte, müsste notgedrungen zu der mit einer strengen Haftung bedrohten Leistungsverweige­ rung greifen. 667 Er hätte nicht die Wahl zwischen dem Verzugsrisiko einerseits und 660 

BAG, Urt. v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 = NJW 1978, 2114, 2116. BAG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NJW 1984, 1371, 1372–1373. 662  Richtig erkannt von BAG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/82, NJW 1984, 1371, 1372–1373. 663  Ausdrücklich auf BGH, Beschl. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216, zurückgreifend etwa Engert, in: GS Unberath, S.  91, 110; J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  4 4; Verse, ZGR 2017, 174, 187–188. Zum resultierenden Prüfungsmaßstab siehe Verse, a. a. O., 188–191 (dem weitgehend folgend J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 431–434), der drei wesentliche Faktoren identifiziert: die ex ante bestehende Wahrscheinlichkeit, mit der eigenen Rechtsansicht durchzudringen, die eigenen Nachteile (einschließlich derjenigen der geleiteten Gesellschaft) beim Verzicht auf das fragliche Verhalten und die Schwere der Rechtsgutverletzung im Fall, dass sich das Verhalten als nicht rechtskonform erweist. 664  Siehe nur Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  75; näher zur Kollegialgerichtsrichtlinie oben §  9 C. III. 3. b) aa). 665  Oben 2. b) cc). 666  Vergleiche z. B. 2. c) bb). 667  Insoweit würde dann die Bemerkung von K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  151 (dazu kritisch oben 2. b) cc) im Text bei Fn.  272) stimmen. 661 

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dem Insolvenzrisiko gepaart mit dem vorläufigen Nutzungsverzicht andererseits. Vielmehr könnte er nur zwischen Verzugsrisiko und Verlustgewissheit entscheiden. Diese im Vergleich zum Regelfall abweichende Anordnung könnte eine Abmilde­ rung des schädlichen Erkenntnisgrades erfordern. Für eine solche Modifikation ließe sich auf das allgemein formulierte Prinzip verweisen, „dass auch bei Rechts­ unsicherheit niemand gezwungen werden darf, seine Rechte endgültig aufzuge­ ben“. 668 Das Gesetz belegt gerade im Zusammenhang mit §  717 ZPO, dass es gebo­ ten sein kann, zwischen grundsätzlich kondizierbaren und sonstigen Leistungsge­ genständen zu differenzieren. So beschränkt §   717 Abs.   3 ZPO die (mildere) Bereicherungshaftung auf vermögensrechtliche Streitigkeiten, „weil ein Bereiche­ rungsausgleich den Schuldner in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten weitge­ hend rechtlos stellen würde“. 669 Angesichts dessen liegt der Gedanke nicht fern, dem Schuldner einer nicht kondiktionsfähigen Leistung zu gestatten, in Fällen rechtlicher Zweifel die Erfüllung ohne Haftungsrisiko zu verweigern. Die Problematik besteht indes in deutlich geringerem Ausmaß, als es zunächst scheinen mag. Tatsächlich unterliegen viele Leistungsgegenstände der Kondiktion. Insbesondere kann das Objekt des Bereicherungsanspruchs auch nichtgegenständ­ licher Natur sein. 670 So scheidet eine Kondiktion beispielsweise nicht aus, wenn sich ein Putativschuldner einem unbegründeten Unterlassungsbegehren beugt. 671 Auch in den Fällen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung kann dem Ver­ warnten, der zunächst nachgibt, theoretisch ein Bereicherungsanspruch zuste­ hen. 672 Ohnehin kann der Putativschuldner gegebenenfalls auch ohne einen Berei­ cherungsanspruch die Klärung der Rechtslage zu seinen Gunsten herbeiführen. Zwar ergibt sich nach freiwilliger Erfüllung in der Regel kein Schadensersatzan­ spruch gegen den Anspruchsteller. 673 Die Dinge können indes anders liegen, wenn der vermeintliche Gläubiger im Zuge der Anspruchsgeltendmachung zeitgleich Pflichten als Schuldner verletzt – zum Beispiel ein Darlehensgeber nach einer ver­ meintlich wirksamen Kündigung nicht nur die Rückzahlung verlangt, sondern auch die weitere Auszahlung verweigert. 674 Zu einer Rechtsklärung, wenngleich nicht zu einer Kompensation, kann es zudem kommen, wenn der vermeintliche 668 

Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  75. Ulrici, in: BeckOK-ZPO, §  717 Rn.  23; korrespondierend zur Ratio von §  708 Nr.  10 ZPO G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  708 Rn.  17; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  708 Rn.  18. Dieses Argu­ ment wurde bereits in der Gesetzgebungsdiskussion als Begründung für die heute geltende Fas­ sung von §  717 Abs.  2 ZPO (anstelle einer bloßen Bereicherungshaftung) aufgeworfen, siehe Hahn/Mugdan, Materialien VIII, S.  393–394. 670  Siehe nur Schwab, in: MüKo-BGB, §  812 Rn.  4. 671 Auch ein Unterlassen kann zum Zufluss von Vermögensvorteilen beim Anspruchsteller führen und somit einen Kondiktionsanspruch auslösen, Lorenz, in: Staudinger, §  812 Rn.  65; Schwab, in: MüKo-BGB, §  812 Rn.  4; im Zusammenhang mit der Bereicherungshaftung nach §  717 Abs.  3 ZPO auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  306, 311–313; Hess, in: Wieczorek/ Schütze, §  717 Rn.  27. 672 Siehe Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 820 (indes unter Hinweis auf Nachweisprobleme). 673  Siehe oben §  9 C. III. 4. b) aa) (5). 674  Dazu §  15 A. II. 2. b) cc) (2). 669 

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Schuldner, der sich dem Anspruch gebeugt hat, für die Zukunft einen (beispiels­ weise: miet-)vertraglichen Anspruch auf Überlassung der Sache geltend macht. 675 Vergleichbar ist der Fall, dass ein Arbeitnehmer, der Zweifel an der Wirksamkeit einer erhaltenen Weisung hegt, dieser zunächst unter Vorbehalt nachkommt. Hier ergibt es für den Arbeitnehmer auch dann Sinn, für die Zukunft eine Klärung her­ beizuführen, wenn ihm für den bis dahin verstrichenen Zeitraum keine Ansprüche gegen den Arbeitgeber zustehen. Allerdings verbleiben Fälle, in denen die Klärung der Rechtslage ausscheidet, sobald der potenzielle Schuldner vorläufig leistet. Zu denken ist vor allem an die Befriedigung einer verjährten Forderung. Wegen §  813 Abs.  1 S.  2 i. V. m. §  214 Abs.  2 S.  1 BGB ist hier eine Rückforderung ausgeschlossen. Eine Klärung der Ver­ jährungsfrage ist für den Schuldner demnach nur durch die Leistungsverweigerung möglich. Für dieses Ergebnis mögen indes besondere Begründungsansätze tragend sein. 676 Wollte man, angesichts der verbleibenden Problemfälle, den Argumenten für eine Anwendung der strengen Linie dennoch nicht folgen, stellte sich die Frage, wie der schädliche Erkenntnisgrad stattdessen zu formulieren wäre. Sollte jede Ver­ tretbarkeit der Rechtsansicht des Schuldners für eine Entlastung ausreichen, würde man dessen Doppelrolle (die erstrebte Rechtsklärung wird mit der Sicherung der umstrittenen Position vermengt) nicht hinreichend berücksichtigen. Jeder vermit­ telnde Maßstab bedeutete hingegen einen Verlust an Rechtssicherheit. 677 ee) Zwischenfazit Der Schuldner, der trotz ungewisser Rechtslage die Leistung verweigert, ist nur ausnahmsweise unter dem Stichwort der Unzumutbarkeit von Nachteilen zu ver­ schonen. Insbesondere begründet das Risiko einer darauf basierenden Kündigung grundsätzlich keine Unzumutbarkeit. Ebenso wenig ist der schädliche Erkenntnis­ grad zugunsten bestimmter Personengruppen, wie Wohnraummietern oder Ar­ beitnehmern, pauschal abzumildern. Zuletzt bewahren den Schuldner auch beson­ dere Schwierigkeiten der Anspruchskalkulation nicht vor negativen Konsequen­ zen. Eine Entlastung von der strengen Haftung kommt vornehmlich im Fall einer Pflichtenkollision in Betracht, also dort, wo dem Schuldner die zeitgleiche Erfül­ lung verschiedener denkbarer Pflichten nicht möglich bzw. unzumutbar ist. Soweit sich hier nicht schon – unabhängig von rechtlichen Zweifeln – eine Entlastung er­ gibt (insbesondere aus §  275 Abs.  2, 3 BGB), lässt sich die Wertung aus §  372 S.  2 Var.  2 BGB übertragen.

675 Zum Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes aus §   535 Abs.   1 BGB siehe nur Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  139. 676  So steht hinter §  214 Abs.  2 S.  1 BGB die Erwägung, dass hier das Vertrauen des Gläubigers der trotz Verjährung befriedigten Forderung schutzwürdig ist (siehe Bach, in: BeckOGK, §  214 BGB Rn.  113, mit Kritik aus prozessökonomischer Sicht). 677  Siehe näher unten §  15 B. II.

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e) Verantwortlichkeit des Gläubigers für Bestehen objektiver Zweifel Abschließend stellt sich die Frage, ob es zu Modifikationen des schädlichen Er­ kenntnisgrades auch auf Grundlage einer Verantwortlichkeit des Gläubigers kom­ men kann. Eine solcher Gedanke könnte allerdings potenziell auf verschiedenen Ebenen wirken. 678 Wenn sich der Schuldner seiner Rechtsposition irrtümlich ge­ wiss war, ist der schädliche Erkenntnisgrad subjektiv nicht erreicht. Eine eventuel­ le Verantwortlichkeit des Gläubigers für diese Fehleinschätzung betrifft dann die Ebene der „Substitution durch Vorwerfbarkeit“. 679 Die Problematik ist hingegen auf der Stufe des Erkenntnisgrades angesiedelt, sofern der Schuldner zwar Zweifel hegte – also den nach der strengen Linie schädlichen Erkenntnisgrad subjektiv er­ reichte –, der Vorwurf an den Gläubiger aber lautet, er hätte den Schuldner aus den Zweifeln befreien und für Gewissheit sorgen müssen. Der Schuldner ließe sich hier nur dadurch entlasten, dass man den Erkenntnisgrad in solchen Fällen ausnahms­ weise auf negative Gewissheit festlegte. Für ein solches Vorgehen wird vor allem auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1969 verwiesen. 680 Der VIII. Zivilsenat wollte dort wesentlich berücksichtigen, dass die bestehende Rechtsungewissheit „ganz überwiegend durch die unzulängli­ che Formulierung des von der Rechtsvorgängerin des Klägers erwirkten Pfän­ dungsbeschlusses begründet“ worden sei und somit allein in dessen Verantwor­ tungsbereich liege. Im allgemeinen Schrifttum zur Fahrlässigkeitsprüfung wird der Gedanke fortgesponnen: Ein Handeln auf Basis der günstigen Rechtsansicht sei trotz Rechtsunsicherheit zu gestatten, wenn der Gläubiger die Unklarheit beim Schuldner hervorgerufen habe. 681 In eine ähnliche Richtung könnte eine jüngere BGH-Entscheidung zum Mietrecht weisen. 682 Diese deutet an, dass ein Verschul­ den des säumigen Mieters ausgeschlossen sein könnte, „wenn der Vermieter eine laufende Mietminderung über längere Zeit hingenommen hat und der Mieter die Minderung trotz zwischenzeitlicher Zahlungsaufforderung des Vermieters fort­ setzt“. 683 Verwiesen wurde dafür auf ein Urteil des OLG Köln.684 Diesem zufolge trifft den Pächter kein kündigungsbegründendes Verschulden, wenn der Verpäch­ ter einen unbegründeten Pachteinbehalt über mehr als acht Jahre lang unbeanstan­ det hingenommen hat und der Pächter diese Pachtkürzung auch nach erhaltener Zahlungsaufforderung fortführt. 678  Ohne eine solche Trennung Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  176; Dornis, in: Beck­ OGK, §  286 BGB Rn.  284; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  151. 679  Siehe dazu unten III. 3. a). 680  BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464; zustimmend etwa Benicke/ Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  176; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  284; Ernst, in: MüKo-­ BGB, §  286 Rn.  121. 681 Allgemein zur Schuldnerhaftung Grundmann, in: MüKo-BGB, §   276 Rn.  76 (Beispiel: Rechtsbelehrungen eines Versicherungsagenten). 682  Siehe BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34; die Entscheidung wie hier deutend Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; Hinz, NJW 2013, 337, 339. 683  BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34 (im Ergebnis offengelassen). 684  OLG Köln, Urt. v. 4.2.2000 – 1 U 92/99, Rn.  34, juris.

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In den genannten Fällen bestand jeweils (auch aus subjektiver Schuldnersicht685) eine unklare Rechtslage. Unter diesen Umständen dürfte es nach der strengen Linie keine Entlastung geben. Dies erkennt im Grundsatz auch der BGH, der sich des­ halb zur Anerkennung einer Ausnahme gezwungen sieht. 686 Deren Berechtigung wird indes kaum näher diskutiert. Die Literatur beschränkt sich in der Regel auf den Anschluss an die Rechtsprechung. Vereinzelte Kritik687 bleibt vage. Dass das Urteil von 1969 die Privilegierung tatsächlich auf §§  819 Abs.  1, 818 Abs.  4 BGB hätte stützen können, 688 sagt ebenfalls nichts darüber, ob sich die Verschonung auch mit der vom BGH gegebenen Begründung halten ließe. Das gilt es im Folgen­ den zu überprüfen. Mit Blick auf die bisher entschiedenen Fälle lassen sich dabei zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Verantwortlichkeit des Gläubi­ gers auseinanderhalten. aa) Gestaltung des Rechtsverhältnisses In dem Fall, wie er 1969 vom BGH zu beurteilen war, geht es um eine Vorverant­ wortung des Gläubigers für eine Formulierung, von der das Bestehen des An­ spruchs abhängt, die aber unklar ausfällt. Konkret betraf das Urteil einen „verklau­ sulierten“689 Pfändungsbeschluss. Ins Auge fällt die Ähnlichkeit zu den im Kontext von §  372 S.  2 Var.  2 BGB besprochenen Konstellationen, in denen der Schuldner durch nachlässige Vertragsgestaltung die Unklarheit mitverursacht hat. 690 Dort wird der Schuldner bei eigener Vorverantwortung belastet, obwohl er den üblicher­ weise schädlichen Erkenntnisgrad (in Fällen der Prätendentenmehrheit grundsätz­ lich: Gewissheit) verfehlt hat. Hier geht es demgegenüber um eine Belastung des Gläubigers, obwohl der Schuldner den schädlichen Erkenntnisgrad (Zweifel) er­ reicht hat. In beiden Fällen trägt aber der Gedanke, dass eine Verschärfung zulasten des Vorverantwortlichen Anreize zu einer sorgfältigen und vorausschauenden Ge­ staltung von Rechtsverhältnissen setzen kann. Eine solche dürfte in vielen Fällen die Gesamtkosten niedriger halten, als wenn es nachträglich zu einer streitigen Auseinandersetzung kommt. Der hinter der Entscheidung des BGH stehende Gedanke ist demnach im Grund­ satz zu billigen. Der Anwendungsbereich für die beschriebene Abmilderung des schädlichen Erkenntnisgrades ist jedoch eng zu fassen. Es liefe der deutlichen Wer­ tung von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO691 zuwider, wenn über den Umweg einer „Sphä­ rentheorie“ die strenge Ansicht in vielen Fällen ausgehebelt würde. Selbst wo der 685  Sowohl bei BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34, als auch bei OLG Köln, Urt. v. 4.2.2000 – 1 U 92/99, Rn.  34, juris, hatte es eine Zahlungsaufforderung und das Bemühen um eine rechtliche Klärung gegeben. 686  Deutlich BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464. 687  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  724. 688 So J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  152; zur Privilegierung des Bereicherungsschuldners oben c). 689  BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464. 690  Dazu und zum Folgenden siehe bereits b) aa) (1). 691  Oben 2. b) bb).

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Gläubiger die Rechtslage mitgestaltet, besteht für ihn grundsätzlich keine Oblie­ genheit, stets und überall die am wenigsten streitanfällige Formulierung zu wählen. Oftmals wird sich ex ante auch kaum einschätzen lassen, welche Gestaltungsvari­ ante Auslegungsschwierigkeiten nach sich ziehen bzw. vermeiden wird. bb) Dulden der irrigen Rechtsauffassung In gewisser Verwandtschaft zur rechtsgestalterischen Vorverantwortung stehen Fälle, in denen der Gläubiger die unzutreffende Rechtsauffassung des Schuldners über einen langen Zeitraum hingenommen hat, sich nun aber auf seine Berechti­ gung beruft. 692 In diesen Konstellationen gilt es, zwei Phasen zu unterscheiden. In der ersten Phase – bis zur Meinungsänderung des Gläubigers – wird der Schuldner oftmals subjektiv von der ihm günstigen Rechtsauffassung überzeugt sein, die gar sein Kontrahent teilt. Den schädlichen Erkenntnisgrad erreicht der Schuldner dann nicht. Es geht nur um die Frage, ob ihm dieses Defizit vorzuwerfen ist. 693 Vorlie­ gend ist dagegen die zweite Phase zu betrachten, die beginnt, wenn der Gläubiger sein Verhalten ändert und seine Berechtigung behauptet. Kann der Schuldner nun darauf verweisen, für die bestehende Rechtsungewissheit sei der Gläubiger auf­ grund seines früheren Duldens selbst verantwortlich? Eine solche Entlastung des Schuldners ließe sich wohl am ehesten auf §  242 BGB stützen: Dem Gläubiger könnte möglicherweise (gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung) der Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens gemacht werden. 694 Allerdings ist beim Rückgriff auf diese Figuren große Vorsicht geboten. Der Gläubiger würde sonst eine zwischenzeitlich gewonnene bessere Rechtserkenntnis nicht mehr nutzen können, um den Schuldner in Verzug zu setzen. Ein solches Ergebnis wird man allenfalls in extremen Fällen695 und besonders gelagerten Rechtsbeziehungen ak­ zeptieren können. 696 Es sei daran erinnert, dass es an dieser Stelle nicht um die Verzugshaftung für den zurückliegenden Zeitraum, sondern lediglich um die künf­ tigen Konsequenzen nach Änderung des Gläubigerverhaltens geht. Insoweit lässt sich der Schuldner schon dadurch hinreichend schützen, dass ihm infolge des Mei­ nungsumschwungs eine hinreichende Prüffrist697 eingeräumt wird. f) Zwischenfazit Von der strengen Linie gegenüber dem rechtsirrig die Leistung verweigernden Schuldner ist in bestimmten Konstellationen abzuweichen. Das gilt vor allem, so­ 692  So bei BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34; OLG Köln, Urt. v. 4.2.2000 – 1 U 92/99, Rn.  34, juris. 693  Dazu unten III. 3. a). 694  Siehe dazu allgemein z. B. die ausführliche Kommentierung bei C. Schubert, in: MüKo-­ BGB, §  242 Rn.  314–447. 695  Nach BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34, war im zugrunde liegenden Sachverhalt jedenfalls kein hinreichend langer Zeitraum betroffen. 696  Näher später §  17 A. 697  Vergleiche dazu unten III. 4.

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weit in der korrespondierenden Situation auch ein Vollstreckungsgläubiger nicht (streng) nach §  717 Abs.  2 ZPO haften würde. Daneben sind die gesetzlich geregel­ ten Fälle einer Ungewissheit über die Person des Gläubigers zu beachten. Der Schuldner bleibt hier zumindest bei Vorliegen begründeter Zweifel durch die Mög­ lichkeit der Hinterlegung (§  372 S.  2 Var.  2 BGB) von Nachteilen verschont, sofern er die Unsicherheit nicht selbst verursacht hat. Bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer Abtretung ist der Schuldner nach §  407 Abs.  1 BGB bei Zahlung an den Ze­ denten ebenfalls entlastet. Eine Rückausnahme gilt, zum Schutz der Sozialleis­ tungsträger, bei bestimmten gesetzlichen Forderungsübergängen. Auf Basis der Wertung, die §  372 S.  2 Var.  2 BGB zugrunde liegt, sind zudem weitere Ausnahmen anzuerkennen, wenn der Schuldner berechtigterweise daran zweifelt, welche von zwei jeweils denkbaren, aber gegenläufigen Pflichten er zu erfüllen hat (etwa bei fremdnützigem Handeln). Eine systematisch wichtige Haftungsmilderung kommt zudem dem Bereicherungsschuldner nach §§  819 Abs.  1, 818 Abs.  4 BGB zugute. Derjenige, der einen zweifelhaften Anspruch in privilegierter Weise geltend macht, darf nicht – nach freiwilliger Leistung des potenziellen Schuldners – eine strenge Schadensersatzhaftung als Bereicherungsschuldner fürchten müssen. Das geltende Recht bietet hinreichende Möglichkeiten, dies zu berücksichtigen, indem die übli­ chen Verzugsregeln nicht zur Anwendung gebracht werden.

III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung Das Gros der Nachteile, die dem Schuldner infolge einer rechtsirrtümlichen Leis­ tungsverweigerung drohen, macht das Gesetz von einem Vertretenmüssen oder einem Verschulden abhängig. Mit Blick auf §  276 BGB genügt in diesen Fällen grundsätzlich Fahrlässigkeit auf Seiten des Schuldners. Es reicht folglich aus, dass der Schuldner – objektiv betrachtet698 – die für eine Nachteilszuweisung nötige Rechtserkenntnis hätte gewinnen müssen. Die subjektive Erkenntnis wird durch deren vorwerfbares Fehlen ersetzt. Wo auf Ebene des Erkenntnisgrades die strenge Linie Anwendung findet, gilt demnach: Der Nachteil trifft den Schuldner schon dann, wenn er zumindest Zweifel an seiner Berechtigung zur Leistungsverweige­ rung hätte haben müssen. Vor diesem Hintergrund ist, wie schon bei der Putativ­ gläubigerhaftung, vor allem zu erörtern, inwieweit eine Pflicht zur Einholung von Rechtsrat besteht (dazu 2.) und wann eine Entlastung trotz Verletzung dieser Pflicht in Betracht kommt (dazu 3.). Zuvor ist kurz zu erörtern, wann den Schuld­ ner ein Vorwurf schon unabhängig von dem Gesichtspunkt einer möglichen Bera­ terkonsultation treffen kann (1.). Nach Überlegungen zu einer denkbaren Prü­ fungsfrist für den Schuldner (4.) sind schließlich besondere Konstellationen in den Blick zu nehmen (dazu 5.): Sowohl beim Irrtum über die Person des Gläubigers als auch beim Rechtsirrtum des Bereicherungsschuldners kommt die Vorwerfbarkeit 698  Siehe nur Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  55–56; Schulze, in: Hk-BGB, §  276 Rn.  13 (jeweils m. w. N.).

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als Ersatz für eine subjektiv nicht gewonnene Erkenntnis möglicherweise nicht in Betracht, da §  407 Abs.  1 BGB bzw. §  819 Abs.  1 BGB auf die Kenntnis des Schuld­ ners abheben. 1. Vorwerfbarkeit unabhängig von Pflicht zur Intermediärskonsultation Die fehlende bzw. fehlerhafte Rechtserkenntnis kann dem Schuldner gegebenen­ falls schon deshalb vorgeworfen werden, weil die Einsicht (verkehrskreis-)typi­ scherweise von einer Person wie dem Schuldner zu erwarten gewesen wäre (a)) oder er entsprechende Hinweise des Gegners (b)) bzw. von gerichtlicher oder behörd­ licher Seite (c)) erhalten hatte. a) Person des Schuldners Als Ausprägung der allgemeinen Grundsätze zur Fahrlässigkeitshaftung ist es an­ zusehen, dass die Rechtsprechung zulasten des Schuldners beispielsweise dessen Vorbildung699 oder den Umstand berücksichtigt hat, dass es sich um einen Versi­ cherer handelte, dessen zentrale Aufgabe „gerade darin besteht, seine Eintritts­ pflicht in einem konkreten Schadensfall zu prüfen, und der über speziell dafür ausund fortgebildetes Personal verfügt“.700 Auch findet sich die Aussage, der Schuld­ ner müsse alle für seine Verbindlichkeit einschlägigen Rechtsvorschriften kennen.701 Das Reichsgericht hat auch die Unkenntnis einschlägiger (ungünstiger) höchstrich­ terlicher Judikatur nicht als entschuldigend angesehen.702 Es dürfte aber regelmäßig kaum als verkehrskreistypisch anzusehen sein, die Kenntnis sämtlicher Rechtsvor­ schriften (und Judikate) vorzuhalten, die auf irgendeine Weise im Kontext einge­ gangener Rechtsbeziehungen relevant sein könnten. Dogmatisch vorzugswürdig erscheint es, in solchen Fällen nicht eigene Kenntnisse des Schuldners zu verlangen, sondern an den Verzicht auf die Einholung fachkundigen Rats anzuknüpfen. b) Hinweise des Gläubigers Ein Vorwurf gegenüber dem Schuldner kann ferner daraus erwachsen, dass dieser in Anbetracht der Rechtsberühmung des Gläubigers Veranlassung gehabt hätte, seine eigene Auffassung kritisch zu hinterfragen. Zwar muss man einer Stellung­ nahme der mit „offenbar gegenläufigen Interessen“ agierenden Gegenseite nicht 699  RG, Urt. v. 6.11.1930 – VIII 303/30, HRR 1931, Nr.  404; bei BAG, Urt. v. 23.1.1964 – 2 AZR 289/63, DB 1964, 482, 482, wurde zumindest darauf hingewiesen, dass der Schuldner „ein für den gehobenen Dienst vorgebildeter Angestellter“ war. Von einem in der Regel rechtsunkundigen Ar­ beitnehmer geht Eufinger, RdA 2018, 224, 228, aus. 700  OLG Hamm, Urt. v. 28.9.2012 – I-20 U 42/12, NJW-RR 2013, 407, 408. 701  Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  279.1; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  164; ähn­ lich Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  168; zur Schuldnerhaftung allgemein auch Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  56; Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich, §  276 Rn.  11. 702  RG, Urt. v. 14.11.1922 – VII 741/21, RGZ 105, 356, 359 (betreffend Versicherer als Schuld­ ner).

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ohne Weiteres Glauben schenken.703 Die Aussage gilt aber hauptsächlich dann, wenn der schädliche Erkenntnisgrad, wie bei der irrtümlichen Anspruchsgeltend­ machung, erst bei Gewissheit erreicht ist. Die Äußerung der Gegenseite kann dem­ gegenüber bei hinreichender Substanziierung immerhin Zweifel an der eigenen Überzeugung wecken.704 Unter Geltung der strengen Linie zur Schuldnerhaftung begründet dies die Haftung:705 Wenn einem sorgfältig agierenden Schuldner auf­ grund der gegnerischen Ausführungen mindestens Zweifel an der Verweigerungs­ berechtigung gekommen wären, trifft den konkreten Schuldner, der auf der ihm günstigen Überzeugung beharrt, ein Fahrlässigkeitsvorwurf. c) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zulasten des Schuldners Verbreitet wird angenommen, dass der Verzug spätestens dann eintrete, wenn im Rechtsstreit mit dem Gläubiger ein erstes (nicht offensichtlich fehlerhaftes706) Ur­ teil zulasten des Schuldners ergehe.707 Das ist zumindest auf Basis der strengen Li­ nie konsequent. In aller Regel müssen sich spätestens mit der nachteiligen Entschei­ dung des Instanzgerichts Zweifel an der eigenen Position regen. Vergleichbares gilt, wenn eine befasste Behörde gegenüber dem Schuldner eine ungünstige Rechts­ auffassung kundtut.708 Zum Teil ist der Verzugseintritt allerdings auch erst mit der abschließenden höchstrichterlichen Entscheidung angenommen worden.709 So hat insbesondere der I. Zivilsenat des BGH in zwei Urteilen innerhalb des gleichen Jahres zunächst auf die nachteilige Berufungsentscheidung,710 sodann aber auf die höchstrichterliche Klärung abgestellt.711 Die letztgenannte Sichtweise ist nur dann folgerichtig, sofern man – entgegen der hier im Grundsatz bevorzugten Lösung  – den Schuldner schon bei Vertretbarkeit seiner Rechtsansicht entlasten möchte.

703 

Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 253. Siehe oben §  9 C. IV. 4. b). 705  So schon RG, Urt. v. 4.2.1908 – III 264/07, WarnR 1908, 212 Nr.  295; ähnlich RG, Urt. v. 20.9.1912 – II 249/12, LZ 1912, 914 Nr.  8; RG, Urt. v. 5.11.1924 – I 554/23, LZ 1925, 370, 371; aus jüngerer Zeit OLG München, Urt. v. 18.4.1997 – 21 U 6318/96, BeckRS 1997, 4906 (unter I. 2.). Der soeben zitierte Hinweis von Mayer-Maly, in: FS Bötticher, S.  243, 253, ist hingegen vor dem Hin­ tergrund zu sehen, dass er zur Entlastung des Schuldners die Vertretbarkeit von dessen Rechts­ auffassung genügen lässt. 706  Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  283. 707  RG, Urt. v. 20.9.1912 – II 249/12, LZ 1912, 914 Nr.   8; BGH, Urt. v. 19.9.1957 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759, 1760; BGH, Urt. v. 12.3.1969 – VIII ZR 97/67, DB 1969, 788; OLG Ham­ burg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  283. 708  So etwa bei RAG, Urt. v. 18.10.1930 – 102/30, Bensh.Samml. 10, 252, 268. 709 So Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 416; vergleiche auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 939. 710  BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 399. 711  BGH, Urt. v. 1.6.1951 – I ZR 120/50, NJW 1951, 758, 759. 704 

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2. Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft Musste der Schuldner nicht schon aufgrund der verkehrskreistypischen Fähigkei­ ten und Kenntnisse oder infolge von Hinweisen des Gläubigers oder Dritter den schädlichen Erkenntnisgrad erreichen, kann sich ein Vorwurf daraus ergeben, dass ein qualifizierter Rechtsberater die nötige Einsicht vermittelt hätte. Dem Schuldner kann entweder der Verzicht auf die Mandatierung eines solchen Beraters zum Nachteil gereichen (dazu a)) oder ein fehlerhaftes Vorgehen des Beraters zugerech­ net werden (dazu b)). a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs Die Annahme einer Konsultationspflicht liefe darauf hinaus, im Rahmen der Prü­ fung des Vertretenmüssens auf die Erkenntnisfähigkeiten eines Rechtskundigen abzustellen.712 Für einen solchen wäre eine objektive Rechtsungewissheit – so der nach der strengen Linie maßgebliche Erkenntnisgrad – stets erkennbar. aa) Meinungsstand Die Rechtsprechung und das Schrifttum bejahen nahezu unisono eine Verpflich­ tung, rechtskundige Beratung einzuholen, wenn der Schuldner nicht selbst über hinreichende Rechtskenntnisse verfügt.713 Nur gelegentlich wird zurückhaltender formuliert: Der Schuldner müsse, „soweit erforderlich“, Rechtsrat einholen.714 Auch zum Rechtsirrtum des Mieters finden sich vereinzelt vorsichtigere Wendun­ gen.715 Gelegentlich wird dort das Regel-Ausnahme-Verhältnis gar umgekehrt.716 bb) Analyse Die weitgehende Einigkeit in Judikatur und Literatur überrascht. Selbst die For­ mulierung, der Schuldner müsse, „soweit erforderlich“, Rechtsrat einholen, ließe 712 

Zutreffende Analyse von U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  712. Konkludent bereits BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 398; deutlich BGH, Urt. v. 19.9.1957 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759, 1760; BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464; BGH, Urt. v. 27.9.1989 – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161; BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  15; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  86; ebenso BAG, Urt. v. 25.11.1971 – 2 AZR 62/71, BAGE 24, 50 = NJW 1972, 1070, 1070–1071; BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; OLG Ham­ burg, Beschl. v. 16.7.2001 – 2 Wx 47/01, ZWE 2002, 375, 376; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  118 mit Fn.  367; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  172; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  723; ­R ittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 415; im mietrechtlichen Kontext Bieber, in: MüKo-BGB, §  543 Rn.  50; Hinz, NZM 2010, 57, 64; zum Arbeitsrecht Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 357, 361. 714  So BGH, Urt. v. 4.7.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, 3115; BGH, Urt. v. 12.7.2006  – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272 Rn.  19; OLG Dresden, Beschl. v. 11.2.2013 – 5 U 1953/12, BeckRS 2014, 7375 Rn.  8. 715  Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  420 (grundsätzlich zuzumuten); Han­ nap­­pel, in: BeckOK-BGB, §  573 Rn.  26 („Regelmäßig“). 716  Schläger, ZMR 2013, 178, 179: Der Mieter müsse im Normalfall keinen Rechtsrat einholen. 713 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

sich möglicherweise dahingehend deuten, dass es auch dort nur um den Fall geht, dass der Schuldner selbst keine hinreichenden Rechtskenntnisse aufweist. Im Zu­ sammenhang mit der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung bot sich hingegen ein deutlich facettenreicheres Meinungsbild.717 Insbesondere fehlt es bei der Schuld­ nerhaftung an Ansätzen, die Notwendigkeit einer Beraterkonsultation von der Komplexität bzw. wirtschaftlichen Bedeutung der Sache abhängig zu machen. Den Gründen hierfür ist nachzugehen. Eine praktische Ursache für die kursorische Behandlung der Mandatierungs­ pflicht im Kontext des Schuldnerverzugs könnte in dem von der herrschenden Auf­ fassung angelegten strengen Erkenntnisgrad zu erblicken sein. Weil im Normalfall nur praktische Gewissheit den Schuldner entlastet, spielt die Frage nach der Kon­ sultationspflicht seltener eine Rolle. Sie kommt nur dort zum Tragen, wo der Schuldner subjektiv von seiner Rechtsposition fest überzeugt war, obwohl dies bei objektiver Betrachtung nicht gerechtfertigt war. Trägt der Schuldner beispielsweise vor, sich des Risikos seiner Leistungsverweigerung bewusst gewesen zu sein, haftet er schon deshalb und nicht erst wegen des Verzichts auf eine rechtliche Beratung.718 Für die Annahme einer Mandatierungspflicht sprechen darüber hinaus handfes­ te Gründe. Die Gesetzesmaterialien zum BGB gehen jedenfalls davon aus, der Schuldner sei bereits aus dem Schuldverhältnis verpflichtet, auf eine Mahnung hin zu prüfen, ob ein Anspruch besteht.719 Ob in rechtlichen Zweifelslagen die Kon­ sultation eines Experten nötig ist, ist damit allerdings nicht gesagt. Die Passage unterscheidet nicht zwischen Rechts- und Tatsachenzweifeln. In der Literatur wird indes der Unterschied zum Tatsachenirrtum betont: Der Schuldner sei verpflichtet, sich zu rechtlichen Fragen beraten zu lassen; auf ein eigenes „subjektiv noch so ge­ sichert scheinendes Rechtswissen“ dürfe er sich nicht verlassen.720 Diese Ansicht passt zu der ebenfalls in den Motiven geäußerten Vorstellung, „daß in Ansehung der Rechtsnormen einem jeden ein meist zum Ziele führender Weg zur Erkenntnis gewiesen ist“.721 Rechtsrat ist – im Gegensatz zu tatsächlichen Informationen – in institutionalisierter Form verfügbar.722 Zudem ist der Schuldner, der auf einen Ex­ perten zurückgreift, durch eine (versicherte) Berufshaftung geschützt.723 Der Verweis auf stets verfügbaren Rechtsrat erscheint indes fragwürdig, wo der Betroffene von der rechtlichen Relevanz seines Handelns nichts ahnen muss.724 Dem entspricht es, wenn die Rechtsprechung außerhalb der Verzugsproblematik betont, dass die konkret vorliegende Sachlage zur Einholung von Rechtsrat hätte 717 

§  9 C. IV. 5. a) aa). Exemplarisch BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, BAGE 153, 111 = NJW 2016, 1754, 1756 Rn.  4 4. 719  Mot. II, 60. 720  Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 415. 721  Mot. I, 281; dazu §  5 A. 722  Siehe §  5 C. IV. 723  Insoweit zutreffend Lindemann, Haftung, S.  150, der daraus aber zu weitgehend auf eine Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern schließt, siehe oben I. 2. 724  Siehe insb. §  7 C. I. 2. 718 

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veranlassen müssen.725 Im Kontext der Verzugshaftung bestehen solche Probleme jedoch normalerweise nicht. Hier trägt schon das grundsätzlich bestehende Mah­ nungserfordernis (§  286 Abs.  1 BGB) dem Informationsbedürfnis des Schuldners Rechnung. Auch bei einer ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung (§  286 Abs.  2 Nr.  3 BGB) muss sich der Schuldner zwingend mit dem Gedanken an eine Leistungspflicht befasst haben. Eine kalendermäßige Bestimmung (§   286 Abs.  2 Nr.  1, 2 BGB) wird der Schuldner regelmäßig dem zugrunde liegenden Ver­ trag entnehmen können.726 Allerdings erscheint denkbar, dass eine pauschale Pflicht zur Beschaffung von Rechtsrat zu ineffizientem Beratungsaufwand veranlassen könnte. Schließlich wird dem Schuldner die fehlende Mandatierung eines Experten auch dort vorgeworfen, wo deren Kosten außer Verhältnis zum drohenden Schaden des Gläubigers stehen. Allerdings ist schon zur Putativgläubigerhaftung auf die Erkenntnisse der rechts­ ökonomischen Literatur verwiesen worden, wonach eine Überspannung von Sorg­ faltsanforderungen oftmals nicht zur Aufwendung ineffizienter Kosten der Scha­ densprävention, sondern nur zu einer für den Irrenden ungünstigen Lastenvertei­ lung führt.727 Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass ein potenzieller Schuldner bei hohen Beratungskosten und niedrigem Schädigungspotenzial häufig vom Gang zum Berater absehen wird. Im Vergleich zur Putativgläubigerhaftung erscheint die Annahme einer Konsultationspflicht mit Blick auf die Gesamtwohl­ fahrt gar noch weniger problematisch. Im Zusammenhang mit der Haftung für die unberechtigte Anspruchsgeltendmachung rührten die Vorbehalte gegen eine stren­ ge Mandatierungspflicht von den resultierenden Anreizwirkungen her: Selbst wo die Anspruchsgeltendmachung wegen Bestehens objektiver Rechtszweifel billi­ genswert ist, drohten Anspruchsteller abgeschreckt zu werden.728 Dagegen möchte die Rechtsordnung nicht dazu motivieren, die Klärung rechtlicher Zweifelsfragen aus der Schuldnerposition heraus zu betreiben.729 Es erscheint nach alldem tragbar, den Schuldner mit der vorherrschenden, aber nicht näher begründeten Ansicht auch dann für die Verzugsfolgen haften zu lassen, wenn er subjektiv von seiner Rechtsauffassung überzeugt war und eine rechtliche Beratung, die diesen Irrtum beseitigt hätte, unverhältnismäßig kostenaufwändig gewesen wäre. Teilt man diese Bewertung, muss die Frage erlaubt sein, ob das gefundene Ergeb­ nis in dogmatischer Hinsicht mit einer Verschuldensprüfung vereinbar ist. Die herrschende Rechtsprechung geht in ihren Formulierungen offenbar davon aus.730 Indes lässt sich nicht leugnen, dass die Annahme einer Pflicht zur „Einholung fach­ 725  RG, Urt. v. 7.5.1910 – V 354/09, RGZ 73, 333, 337; ähnlich RG, Urt. v. 15.12.1927 – VI 209/27, RGZ 119, 265, 268. 726  Siehe nur Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  180. 727  Siehe oben §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (a). 728  Siehe oben §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (b). 729  Vergleiche oben II. 2. b)–c). 730  Exemplarisch BGH, Urt. v. 19.9.1957 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759, 1760; BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464; BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  15; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83, 86.

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juristischen Rates“ in Richtung einer Risikohaftung deutet.731 Nach der üblichen Fahrlässigkeitsdogmatik wäre zugunsten des Schädigers insbesondere ein Miss­ verhältnis der Präventionskosten zum Schaden zu berücksichtigen.732 Allerdings ist zu beachten, dass die Mehrzahl der relevanten Rechtsnachteile für den irrenden Schuldner nicht an ein Verschulden, sondern an ein Vertretenmüssen anknüpft. Ob sich dadurch eine Lösung für die hier besprochene Problematik ergibt, kann erst im Anschluss an weitere Überlegungen beantwortet werden.733 cc) Qualifikation des Intermediärs Der Schuldner muss auf die Kompetenz der befragten Auskunftsperson achten.734 Insbesondere darf er sich grundsätzlich nicht auf eine bloße Medienberichterstat­ tung verlassen.735 Der BGH-Rechtsprechung wird mitunter die Anforderung ent­ nommen, in sehr speziellen Rechtsgebieten seien „erfahrene Kenner“ der jeweiligen Materie zu konsultieren.736 An anderer Stelle ist hingegen die Auskunft eines Rechtsanwalts oder Notars für ausreichend erachtet worden, obwohl es um eine Spezialfrage ging.737 In mietrechtlichen Fragen hat der BGH gar die Auskunft einer Mietervereinigung für ausreichend erachtet.738 Im arbeitsrechtlichen Zusammen­ hang hat das BAG in den 1970er-Jahren die eigene Rechtsabteilung eines Unterneh­ mens nicht als geeigneten Ratgeber qualifiziert.739 Das LAG Hamm hat in einer jüngeren Entscheidung den Betriebsrat zwar als „ersten Ansprechpartner“ für Ar­ beitnehmer, nicht aber als regelmäßig juristisch qualifizierte Beratungsinstanz an­ gesehen.740 Das Gericht verwies zudem darauf, dass nach Ansicht des BAG nicht einmal eine gewerkschaftliche Auskunft einen Rechtsirrtum entschuldigen kön­ ne.741 Im Schrifttum wird indes teils ohne Bedenken auf die Möglichkeit verwiesen, 731  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  92: da ein verantwortungsbewusster Ratgeber in aller Re­ gel gewisse Bedenken äußern werde. Die Beobachtung stimmt. In Kombination mit der strengen Ausgestaltung des Erkenntnisgrades bliebe tatsächlich kaum noch Raum für eine Entlastung. 732  Siehe oben §  9 C. IV. 3. b). 733  Unten V. 3. 734  Siehe nur Lorenz, WuM 2013, 202, 207; allgemein auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940. 735  BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; Bieber, in: MüKo-BGB, §  543 Rn.  50. 736  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 11.12.1951 – I ZR 121/51, VRS 5, 524, 528. Huber scheint allerdings zu übersehen, dass der Senat es im konkreten Fall als gerichtsbekannt bezeichnete, dass die Schuldnerin über solchen fachkundigen Rat tatsäch­ lich verfügte. 737  BGH, Urt. v. 17.12.1998 – V ZR 200/97, BGHZ 140, 223 = NJW 1999, 1470, 1474 (zur Boden­ reform); kritisch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713 Fn.  26 („ungenau“). 738  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 429 Rn.  14; ebenso Bieber, in: MüKo-BGB, §  543 Rn.  50. 739  BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhält­ nis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 740  LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678; so im Ergebnis auch Zedler, Rechtsrisiko, S.  211. 741  LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678, unter Verweis auf BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.).

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sich bei der jeweiligen Gewerkschaft hinreichend fachkundige Expertise zu ver­ schaffen.742 Gerade die jüngere Rechtsprechung des BGH zeigt somit eine Tendenz, die An­ forderungen an die Auskunftsperson nicht allzu streng zu formulieren.743 Die in eine andere Richtung deutenden Entscheidungen zum Arbeitsrecht sind mit Vor­ sicht zu betrachten. So war das BAG bei seiner Annahme, die eigene Rechtsabtei­ lung sei kein hinreichend qualifizierter Ratgeber, von der Sorge getrieben, „[a]n­ dernfalls könnte jede Vertragspartei, die über einen Hausjuristen verfügt, sich mit einem unentschuldbaren Rechtsirrtum entlasten und damit weitgehend der Haf­ tung wegen Vertragsverletzung entziehen“.744 Solchen Befürchtungen wird indes begegnet, indem fehlerhafte Rechtseinschätzungen des Befragten dem Schuldner nach §  278 BGB zugerechnet werden.745 Auch die Lesart, das BAG halte die Befas­ sung der Gewerkschaft für unzureichend,746 ist in ihrer Pauschalität irreführend. In dem Sachverhalt, den das BAG zu beurteilen hatte, hatte der von der Gewerk­ schaft erteilte Rechtsrat Zweifel an der Position des Schuldners nicht beseitigen können.747 Schon aus diesem Grund war eine Haftung angezeigt. Es erscheint aus der Perspektive des geschädigten Gläubigers nicht untragbar, dass dem Schuldner je nach Sachlage eine gewisse Auswahl unter verfügbaren In­ termediären zugebilligt wird. Solange von dem konkret konsultierten Intermediär zu erwarten ist, er werde die objektiven Aussichten, die auf Ebene des Erkenntnis­ grades bestimmend sind, zutreffend erfassen, ergeben sich für den Gläubiger keine Nachteile, sofern man Beratungsfehler zurechnet. dd) Kausalitätserfordernis Gelegentlich wird im Schrifttum geäußert, wenn der Schuldner die Einschaltung eines Rechtskundigen unterlasse, liege bereits darin das Verschulden hinsichtlich der falschen Einschätzung der Rechtslage.748 Diese Formulierung ist bedenklich. Man könnte sie so verstehen, als hafte der Schuldner, der auf die Expertenkonsul­ tation verzichtet hat, auch dann, wenn ihm ein gewissenhafter Rechtsberater mit­ geteilt hätte, es bestünden – aufgrund günstiger höchstrichterlicher Judikatur  – beste Aussichten, mit der Rechtsansicht durchzudringen. Das wäre unzutreffend. Von einem Fahrlässigkeitsvorwurf befreit ist vielmehr auch derjenige Schuldner, dessen eigene Einschätzung sich zufällig mit derjenigen deckt, zu der ein gewissen­ 742 So

Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  172. So auch der generelle Befund von Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  63. 744  BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhält­ nis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 745  Dazu sogleich b). 746  So im Grundsatz auch das Fazit von Zedler, Rechtsrisiko, S.  211. 747  Siehe BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.). 748  Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  275; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  172 (siehe zudem a. a. O., Rn.  167); zustimmend Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  168. 743 

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hafter Rechtsberater gelangt wäre.749 Als dogmatische Erklärung bietet sich die Be­ rücksichtigung eines „schuldlosen Alternativverhaltens“ an.750 ee) Pflicht zur Kontrolle der Auskunft War der Rechtsrat des qualifizierten Experten falsch oder widersprüchlich und musste dem Schuldner dies auffallen, so begründet dies Letzterem gegenüber einen eigenen Fahrlässigkeitsvorwurf.751 Insofern ist, wie sonst auch, der verkehrskreis­ typische Maßstab anzulegen.752 Die Annahme eines solchen Eigenverschuldens ist im Kontext der Verzugshaftung eher denkbar als bei der Geltendmachung, weil dem Schuldner schon das „Zweifelnmüssen“ schadet. Es finden sich immerhin eini­ ge Entscheidungen, in denen ein eigenes Verschulden des beratenen Schuldners be­ jaht wurde.753 Die Frage verliert indes desto mehr an Relevanz, je stärker man von einer Zurechnung des Beraterverschuldens gemäß §  278 BGB ausgeht. b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Wenn ein formal qualifizierter Rechtsberater dem Schuldner fälschlicherweise at­ testiert hat, dieser sei praktisch sicher im Recht, wird man regelmäßig davon ausge­ hen können, dass der schädliche Erkenntnisgrad (Zweifel) subjektiv nicht erreicht wurde.754 Konnte der Schuldner die Unrichtigkeit der Auskunft nicht erkennen, trifft ihn selbst kein Vorwurf. Für eine Nachteilszuweisung kommt es deshalb da­ rauf an, ob der Schuldner im Verhältnis zum Gläubiger für den Fehler des Beraters einstehen muss. aa) Meinungsstand Die Frage wird gemeinhin als Zurechnungsproblem verstanden. Die ganz herr­ schende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht dabei davon aus, der Schuldner müsse sich die fehlerhafte Beurteilung durch den Rechtsberater gemäß 749  Allgemein RG, Urt. v. 6.4.1932 – I 262/31, SeuffA 86 (1932), Nr.  110, S.  199, 201; konkludent wohl auch RG, Urt. v. 22.9.1930 – IV 493/29, RGZ 130, 23, 28; deutlich U. Huber, Leistungsstö­ rungen I, S.  712; Soffner, Haftung, S.  36; im Ergebnis ebenso Häublein, PiG 97 (2014), 35, 46. 750  Dazu später übergreifend §  16 D. III. 3. 751  Siehe nur Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  173. 752 Etwa LG Karlsruhe, Urt. v. 22.3.1990 – 5 S 563/89, Rn.   2, juris („ältere, alleinstehende Dame“). 753  BGH, Urt. v. 19.12.1996 – IX ZR 27/96, NJWE-MietR 1997, 49, 50; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; OLG Hamm, Urt. v. 30.1.2006 – 22 U 146/05, NJOZ 2006, 1301, 1302–1303. 754  Eigenes Verschulden des Schuldners verneinend BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 429 Rn.  14. Hat der Berater hingegen lediglich gute Aussichten attestiert, vermag dies auf Grundlage der strengen Linie zum Erkenntnisgrad an der Haftung des Schuldners grund­ sätzlich nichts zu ändern, siehe BAG, Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394, 397 Rn.  38; ähnlich BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.).

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§  278 BGB zurechnen lassen.755 Die Gegenauffassung findet in der Judikatur kaum Anhänger.756 Die Gruppe der Befürworter in der Literatur ist etwas größer.757 Mit Blick auf die spezielle Problematik der unberechtigten Arbeitsverweigerung ergibt sich ein ähnliches Meinungsbild.758 Eine von der üblichen Kritik abweichende Be­ gründung für einen Verzicht auf die Zurechnung hat Häublein im Kontext des Mietrechts entwickelt. Er möchte eine Anwendung von §  278 BGB auf Rechtsbe­ rater flächendeckend ablehnen, was sich aber nur bei verschuldensabhängigen Tat­ beständen auswirken soll, weil Rechtsirrtümer bei den auf ein Vertretenmüssen abstellenden Tatbeständen stets zulasten des Schuldners gingen.759 bb) Stellungnahme Der Impuls, den Schuldner zu verschonen, welcher sorgfältig einen versierten Bera­ ter ausgewählt und dessen Beratungsergebnis mit den eigenen Mitteln kritisch überprüft hat, ist im Ansatz verständlich. Mehr kann niemand vom Schuldner er­ warten.760 Wer an diesem Punkt haltmacht, lässt jedoch außer Acht, dass dem Schuldner regelmäßig ein (zumeist durch eine Haftpflichtversicherung gedeckter) Regressanspruch gegen den Berater zustünde. Eine Ablehnung der Zurechnung wirkte sich somit effektiv zugunsten des Beraters aus. Eine solche Privilegierung des Beraters bei gleichzeitiger Belastung des Gläubigers, der mit der Beratung nicht das Geringste zu tun hat, hält nicht nur der BGH für unangemessen.761 Dasselbe 755 BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3273 Rn.   20; BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  23; BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672; BGH, Urt. v. 7.3.2013 – VII ZR 162/12, NJW 2013, 1431, 1434 Rn.  48; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  25; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557–2558 Rn.  86; BAG, Urt. v. 16.12.1986  – 3 AZR 198/85, AP BetrAVG §  8 Nr.  1 (unter B. IV. 2. b)); OLG Düsseldorf, Beschl. v 10.5.2005  – I-3 Wx 321/04, NJW-RR 2005, 1254, 1255; OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2015 – 5 U 74/15, NJOZ 2016, 459, 461 Rn.  52; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.9.2004 – 14 U 173/03, NJW 2005, 515, 516; Benicke/­Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  175; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  119; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  173; Grüneberg, in: Palandt, §  278 Rn.  18; Hager, in: Erman, §  286 Rn.  6 4; Harke, NZM 2016, 449, 451–452; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  712–713, 723. 756  Siehe aber LG Görlitz, Urt. v. 28.9.1994 – 2 S 48/94, Rn.  6 –8, juris; LG Karlsruhe, Urt. v. 22.3.1990 – 5 S 563/89, Rn.  2, juris. 757  Besonders eingehend Lorenz, WuM 2013, 202, 206–207; dem folgend Häublein, in: MüKo-­ BGB, §  573 Rn.  81; im Ergebnis ebenso Bieber, in: MüKo-BGB, §  543 Rn.  50; J. Mayer, Rechts­ irrtum, S.  118; Reichel, JW 1931, 525; tendenziell auch Emmerich, in: Staudinger, §  543 Rn.  57b; Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 415 Fn.  123–124. 758  Für Zurechnung Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 358, 363; wohl auch BAG, Urt. v. 12.4.­ 1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.); BAG, Urt. v. 14.12.2017  – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646, 651 Rn.  52; LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.1993  – 19 Sa 1360/92, MDR 1993, 658, 659. 759  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49–50; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  81 (i. V. m. §  571 Rn.  5); siehe zu diesem Modell schon oben I. 2. 760  In diese Richtung insb. Bieber, in: MüKo-BGB, §  5 43 Rn.  50. 761  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  23; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.9.2004 – 14 U 173/03, NJW 2005, 515, 516; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  173; Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 358, 363; Zedler, Rechtsrisiko, S.  216; betreffend die Beratung

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Problem ist bereits oben im Kontext der Putativgläubigerhaftung angesprochen worden:762 Für den Rechtsanwalt würde ein Anreiz gesetzt, lieber überoptimistisch zu beraten, weil er selbst außerhalb der schuldrechtlichen Verbindung zum Gläubi­ ger steht und daher in aller Regel keine eigene Haftung diesem gegenüber zu fürch­ ten hat.763 Die vorstehenden Erwägungen lassen sich indes nur berücksichtigen, wenn sie sich in das dogmatische Korsett des §  278 BGB einpassen lassen. Der Rechtsberater müsste „zur Erfüllung“ der Verbindlichkeit des Schuldners tätig werden. An dieser Frage scheiden sich die Geister in der Zurechnungsdiskussion. Dem BGH wird vorgeworfenen, sich bei der Qualifikation des Beraters als Erfüllungsgehilfe vom gewünschten Ergebnis leiten zu lassen.764 In der Tat führt es kaum weiter, schlicht zu behaupten, die Ratio des §  278 BGB verlange es, neben den Vorteilen der Ar­ beitsteilung auch die daraus resultierenden Risiken zuzuweisen.765 Dass hier die von §  278 BGB gemeinte Arbeitsteilung („zur Erfüllung“) überhaupt betroffen ist, gilt es gerade noch zu begründen. Die Kritiker einer Zurechnung betonen, der Schuldner schulde dem Gläubiger nicht die zutreffende Rechtserkenntnis, sondern die Leistung; der Berater wirke an Letzterer nicht mit, sondern diene dem Schuldner bei der Erfüllung seiner Sorg­ faltspflicht.766 Die Befürworter einer Anwendung von §  278 BGB verweisen dem­ gegenüber darauf, die Erfüllung der Leistungspflicht setze Kenntnis von dieser voraus; insoweit diene der Berater als Erfüllungsgehilfe.767 Die konträre Argumen­ tation zeigt, dass die aufgeworfene Frage nicht anhand formal-logischer Erwägun­ gen beantwortet werden kann. Gegen eine Anwendung von §  278 BGB lässt sich jedenfalls nicht anführen, der Rechtsanwalt sei laut §  1 BRAO unabhängiges Organ der Rechtspflege.768 Der An­ walt ist zugleich parteiischer Interessenvertreter seines Mandanten.769 Er ist gerade nicht mit einer neutralen Auskunftsperson vergleichbar, zumal der Schuldner – an­ ders als etwa bei einer zuständigen Behörde – die freie Auswahl hat. Bedenken be­ gegnet auch der Versuch, die Ablehnung einer Zurechnung zu relativieren, indem durch eine eigene Rechtsabteilung auch BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhältnis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 762  §  9 C. IV. 5. b) bb). 763  Die bei §  9 C. IV. 5. b) cc) (4) diskutierte Direkthaftung ist mit Blick auf die durch die Nichtbzw. Zuspätleistung entstehenden Schäden erst recht ausgeschlossen, denn insoweit ist der Bera­ ter nicht Schuldner, siehe oben II. 3. a) zu BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446, 447. 764  Lorenz, WuM 2013, 202, 206–207. 765 So Faust, JuS 2007, 487, 488. 766  Lorenz, WuM 2013, 202, 206; zustimmend Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  81; ähnlich LG Karlsruhe, Urt. v. 22.3.1990 – 5 S 563/89, Rn.  2, juris; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118. 767  In diese Richtung Faust, JuS 2007, 487, 488; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  173; Harke, NZM 2016, 449, 452; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  712–713, 723; ohne konkreten Bezug zum Verzug ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.11.2001 – 23 U 16/01, Rn.  88, juris. 768  So aber J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118. 769  Siehe oben §  3 A. III. 2. a).

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der Schuldner nach einem Hinweis des Gläubigers auf das Bestehen des Anspruchs als verpflichtet angesehen wird, eine zweite Meinung einzuholen.770 Dass der Schuldner den Rat eines Rechtsexperten nur deshalb überprüfen lassen soll, weil sein vom gegensätzlichen Interesse geleitetes Gegenüber an der anderen Rechtsauf­ fassung festhält, erscheint für den Regelfall nicht überzeugend. Es wäre überdies zu fragen, ob der Gläubiger mit gleicher Wirkung auch die Expertisen eines zweiten, dritten oder vierten Experten anzweifeln könnte.771 Eine wertungsmäßig überzeugende Lösung des hier behandelten Problems er­ gibt sich, wenn man den Blick darauf richtet, welche Umstände den Schuldner im Rahmen von §  286 Abs.  4 BGB potenziell entlasten können. Ein Vertretenmüssen kann nicht nur bei Leistungsunfähigkeit ausscheiden, sondern auch bei einer Ver­ kennung der Leistungspflicht.772 Es stellte einen unerklärlichen Widerspruch dar, wollte man dem Schuldner die entlastende Berufung auf Irrtümer über die Leis­ tungsverpflichtung erlauben, aber zugleich entsprechende Beraterfehler von einer belastenden Zurechnung ausnehmen.773 Zu dieser Einschätzung passt, dass die Motive zum BGB im Zusammenhang mit dem Verzug von einer unmittelbar im Schuldverhältnis wurzelnden Prüfungspflicht des Schuldners ausgehen.774 Hinterfragen lässt sich jedoch, ob an dieser grundsätzlichen Einschätzung auch für den speziellen Fall festzuhalten ist, dass der Gläubiger sich infolge der unbe­ rechtigten Leistungsverweigerung von einem Vertrag lösen möchte. Beispielsweise hat ein Vermieter auf den ersten Blick wenig Grund, am künftigen Gelingen der Vertragsabwicklung zu zweifeln, wenn die Säumnis des Mieters lediglich auf dem Verschulden eines sorgfältig ausgewählten Beraters beruht.775 Auch lässt sich da­ rauf hinweisen, dass der BGH (in einer Entscheidung zur Mietvertragskündigung) eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen erbringt, nicht als Erfüllungsgehilfin hinsichtlich der pünktlichen Mietzahlung an­ gesehen hat.776 Allerdings ist §  278 BGB im Kontext der vermieterseitigen Kündi­ gung nicht etwa allgemein unanwendbar. Der BGH hat überzeugend herausgear­ beitet, dass es nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck von §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB nicht ausgeschlossen ist, eine Kündigung an das Verhalten dritter Personen, etwa in der Wohnung lebender Familienangehöriger, zu knüpfen.777 Hält man eine An­ wendung von §  278 BGB aber im Rahmen der Kündigungsvorschriften generell für möglich, ist es nur konsequent, einen Rechtsberater auch insoweit als Erfüllungsge­ 770 

So aber Lorenz, WuM 2013, 202, 207. Vergleiche schon §  7 C. I. 5. mit Fn.  476. 772  Siehe oben B. I. (vor 1.) mit Fn.  9. 773  Ebenso zu verstehen wohl Harke, NZM 2016, 449, 451–452. 774  Mot. II, 60. 775  In diese Richtung v. a. Bieber, in: MüKo-BGB, §  5 43 Rn.  50. 776  In dem Fall, dass der verspätete Zahlungseingang ausschließlich auf das Verhalten der Be­ hörde zurückgehe, lägen die Dinge anders, als wenn die Vertragsfortsetzung mit einem unzuver­ lässigen Mieter drohe, BGH, Urt. v. 29.6.2016 – VIII ZR 173/15, NJW 2016, 2805, 2805 Rn.  16. 777  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 429 Rn.  16, 18; so zu §  628 Abs.  2 BGB auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.11.2001 – 23 U 16/01, Rn.  88, juris. 771 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

hilfen anzusehen. Insbesondere ist zu beachten, dass der Mieter – anders als beim Sozialleistungsträger – die freie Auswahl aus den verfügbaren Rechtsberatern hat. Gerade in Anbetracht der vorhin genannten Regressmöglichkeiten erscheint es nicht unangemessen, ihn für die Auswahl verantwortlich zu machen. Zudem ist auch hier das beschriebene Risiko von Fehlanreizen zu beachten.778 Die Furcht vor der Kündigung wird oft einen stärkeren Anschub geben als die Sorge um eine mög­ liche Verzugshaftung. Der diskutierte Verzicht auf eine Zurechnung würde daher in einem besonders sensiblen Bereich falsche Anreize für den Rechtsberater setzen. Vor diesem Hintergrund bedenklich erscheint der Ansatz Häubleins, eine An­ wendung von §  278 BGB auf Rechtsberater insgesamt abzulehnen, bei Rechtsirrtü­ mern aber stets ein Vertretenmüssen anzunehmen, während ein Verschulden aus­ scheiden solle.779 Auch bei Verschuldenstatbeständen ist die Zurechnung eines Beraterfehlers nach §  278 BGB geboten. Tatsächlich dürfte es Häublein im Ergeb­ nis vor allem darauf ankommen, den Schuldner großzügiger zu behandeln, wenn es aufgrund seines Rechtsirrtums zu einer Kündigung kommen soll, als wenn ledig­ lich eine Schadensersatzpflicht im Raum steht. Hielte man dieses Anliegen für be­ rechtigt, wäre dies aber nicht erst auf Ebene der Zurechnung zu berücksichtigen, sondern bereits bei der Bestimmung des schädlichen Erkenntnisgrades.780 3. Entlastung trotz unterlassener Intermediärskonsultation Es ist dem Schuldner grundsätzlich vorwerfbar, wenn er Erkenntnisse nicht er­ langt, die ihm ein fehlerfrei arbeitender Rechtsberater vermittelt hätte. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage Relevanz, ob ausnahmsweise trotz unterlassener Konsultation eines Intermediärs (bzw. trotz dessen fehlerhafter Auskunft) ein Vor­ wurf gegenüber dem Schuldner entfallen kann. a) Verhalten des Gläubigers Anknüpfen ließe sich möglicherweise an das Verhalten des Gläubigers und die dazu bereits auf Ebene des Erkenntnisgrades angestellten Überlegungen.781 Während es dort um eine Verantwortlichkeit des Gläubigers für Zweifel des Schuldners ging, steht hier nun der Vorwurf im Fokus, den Schuldner nicht aus dessen „falscher Gewissheit“ befreit zu haben. Ulrich Huber gruppiert solche Konstellationen in einer eigenen Kategorie des „Rechtsirrtums bei unstreitiger Rechtslage“.782 Selbst wo eine Mahnung wegen §  286 Abs.  2 Nr.  1, 2 BGB nicht erforderlich sei, sei dem Schuldner eine Prüfung der 778  Hingegen hält Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  81 – auf Basis seines Konzepts (siehe dazu aa)) – das Risiko für vernachlässigbar, weil es nur in den Fällen einer verschuldensabhängi­ gen Kündigung zum Tragen komme. 779  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49–50 (dazu oben aa)). 780  Siehe dazu die Diskussion bei II. 6. d) aa). 781  Oben II. 6. e). 782  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  708–709.

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Rechtslage nur dann aufzuerlegen, wenn der Gläubiger einen nicht offensichtlich unbegründeten Anspruch geltend gemacht habe.783 Huber verweist insoweit auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1919.784 Dort war die Gläubige­ rin erst in zweiter Instanz von ihrer bis dahin favorisierten Begründung abgerückt und hatte sich auf einen zuvor von allen Seiten unbeachtet gebliebenen Aspekt (Formnichtigkeit) berufen, der sich letztlich als ausschlaggebend entpuppte. Das Reichsgericht verneinte ein Vertretenmüssen der Schuldnerin bis zum Zeitpunkt des Begründungswechsels. Die Gläubigerin könne der Schuldnerin „nicht eine un­ richtige Rechtsauffassung zum Vorwurf machen, die sie im langen Geschäftsver­ kehr nie beanstandet und selbst geteilt hat“. Diese Bewertung wird heute noch ver­ breitet im Schrifttum aufgegriffen.785 Auch in einem vom LG Duisburg zu beur­ teilenden Sachverhalt hatten beide Parteien einen einschlägigen Kündigungsgrund zunächst übersehen; da beide Seiten von derselben vertretbaren Rechtsansicht aus­ gegangen seien, sei die Nichterfüllung durch den Schuldner ausnahmsweise zu ent­ schuldigen.786 Bei der Bewertung dieses Ansatzes ist sinnvollerweise zu differenzieren. Soweit für ein Vertretenmüssen des Schuldners stets eine nicht offensichtlich unbegründe­ te Anspruchsgeltendmachung vorausgesetzt wird, ist dies abzulehnen. Man wird §  286 Abs.  1, 2 BGB in diesem Punkt als abschließende Regelung verstehen müs­ sen.787 So liegt §  286 Abs.  2 Nr.  1 BGB die klare Wertung zugrunde, dass der Schuldner keiner weiteren Mitteilung bedarf, weil er „genau weiß, wann er zu leis­ ten hat“.788 Dadurch ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es im Einzelfall weiterer Aufklärung durch den Gläubiger bedarf, ohne die dem Schuldner ein Vertreten­ müssen nicht attestiert werden kann.789 Solche Aufklärungsobliegenheiten lassen sich aber zumindest nicht pauschal für jeden Fall annehmen, in dem eine Mahnung entbehrlich ist. Die oben dargestellte Entscheidung des Reichsgerichts ließe sich unter diesem Aspekt also allenfalls halten, wenn man davon ausginge, es sei eine Mahnung erforderlich gewesen, aber bezüglich des tatsächlich bestehenden An­ spruchs nicht erfolgt.790 Eher Beachtung verdient die Äußerung, man könne als Gläubiger nicht dem Schuldner die irrige Rechtsauffassung vorwerfen, die man selbst geteilt bzw. nicht beanstandet habe. Wenn innerhalb eines Meinungsaustauschs nicht einmal der Gegner auf die schlussendlich durchgreifende Begründung des Anspruchs ver­ weist, kann dies den Schuldner in falscher Sicherheit wiegen. In normativer Hin­ 783 

U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  709. RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316. 785  Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  176; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  284; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  171; Lorenz, in: Beck­ OK-­BGB, §  286 Rn.  60. 786  LG Duisburg, Urt. v. 27.2.1996 – 23 (7) S 270/95, NJW-RR 1996, 718, 719. 787  Siehe auch Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 71. 788  Siehe nur Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  70. 789 Eingehend Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 72–73. 790  So offenbar die Interpretation von Jakobs, Unmöglichkeit, S.  92–93. 784 

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sicht mag man an das Verbot widersprüchlichen Verhaltens denken.791 Es begegnet jedoch Bedenken, dem Gläubiger die Vorteile des Schuldnerverzugs generell zu versagen, solange er nicht die im Ergebnis tragende rechtliche Erwägung in den Rechtsstreit eingeführt hat. Im gerichtlichen Verfahren ist er nach der Maxime „iura novit curia“ vom Vortrag rechtlicher Erwägungen grundsätzlich befreit.792 Schon unter diesem Gesichtspunkt kann es ihm prinzipiell nicht zum Vorwurf ge­ reichen, dass er der Rechtsauffassung des Schuldners nicht entgegentritt bzw. die relevanten Rechtsgrundlagen nicht selbst beibringt. Es muss grundsätzlich in sei­ nem Belieben stehen, von der vorgesehenen Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien Gebrauch zu machen, ohne materiell-rechtliche Nachteile fürchten zu müssen. Allenfalls aufgrund des jeweiligen Schuldverhältnisses zwischen den Par­ teien könnten Ausnahmen geboten sein. Im Einzelfall könnte es dem Gläubiger obliegen, die falsche Rechtsauffassung des Schuldners nicht zu dulden, sondern ihr entgegenzutreten. Die Frage, ob bzw. wann genauere Erläuterungen zur Rechtslage ausnahmsweise erforderlich sind, ist Teil eines übergreifenden Themenkomplexes, der auch an anderen Stellen der Untersuchung eine Rolle spielt. Eine eingehende Analyse ist daher erst an späterer Stelle sinnvoll.793 b) Gerichtliche und behördliche Entscheidungen bzw. Hinweise zugunsten des Schuldners Zu seiner Entlastung könnte der Schuldner ebenfalls vorbringen wollen, er habe auf die Konsultation eines Rechtsberaters verzichtet und auf die günstige Rechtsauffas­ sung vertraut, weil ein Gericht bzw. eine Behörde diese Rechtsansicht ebenfalls geäußert habe. Soweit es dabei um Stellungnahmen geht, die nicht gegenüber dem Schuldner erfolgt sind, sind solche von vornherein nicht geeignet, die Vorwerfbarkeit zu be­ seitigen. Solche „amtlichen“ Äußerungen in fremden Verfahren sind, wenn über­ haupt, auf Ebene des Erkenntnisgrades entlastend zu berücksichtigen. So führt es zu einer Haftungsfreiheit, wenn höchstrichterliche Rechtsprechung zugunsten der Rechtsposition des Schuldners etabliert war, denn auch der beste Rechtsberater hätte dann keine negative Prognose gestellt.794 Geht es dagegen um günstige In­ stanzentscheidungen,795 ändern diese nichts daran, dass der Schuldner weiterhin mit einem letztinstanzlichen Unterliegen rechnen muss. Die Existenz der Entschei­ dungen mag ein Indiz dafür sein, dass die Ansicht des Schuldners vertretbar ist.796 Doch darum geht es unter Geltung der strengen Linie nicht. Der Vorwurf lautet vielmehr, dass der Schuldner objektiv berechtigte Zweifel an seiner Berechtigung 791 

Siehe schon II. 6. e) bb) mit Fn.  694. Dazu §  3 A. II. 1. 793  Unten §  17 A. 794  Siehe oben II. 5. b) aa). 795  Auch wenn diese, wie bei LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2017 – 3 Sa 864/16, ZIP 2018, 94, 97, zahlreich sind. 796  Siehe oben §  9 C. III. 3. b) aa); insoweit richtig auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  170. 792 

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nicht gewonnen hat. Die Kenntnis günstiger Instanzrechtsprechung darf ihn nicht von der Konsultation eines Experten entbinden. Ansonsten könnte sich der leis­ tungsunwillige Schuldner stets auf eine selektive Wahrnehmung ausschließlich günstiger Instanzentscheidungen – etwa bei Recherchen im Internet oder nach Lektüre der Presse – berufen. Vor diesem Hintergrund ist es im Übrigen zu begrü­ ßen, dass eine Übertragung der Kollegialgerichtsrichtlinie797 auf die Haftung des säumigen Schuldners abgelehnt wird.798 Vom Vorwurf, die objektiv mögliche Erkenntnis verfehlt zu haben, können den Schuldner also allenfalls Beurteilungen entlasten, die in Verfahren ergangen sind, an denen er selbst beteiligt war.799 Doch auch insoweit ist die mögliche Entlas­ tungswirkung begrenzt. 800 Es geht eben nicht um den Nachweis, dass die eigene Rechtsauffassung vertretbar war. Der Vorwurf, objektiv berechtigte Zweifel nicht gewonnen zu haben, kann nur entfallen, wenn eine gerichtliche oder behördliche Äußerung den Schuldner vor der Leistungsverweigerung in trügerische Sicherheit versetzt hatte. Eine Entlastung kommt nur bezüglich der anschließenden (gegebe­ nenfalls fortgesetzten) Nichtleistung in Betracht. Eine solche Entlastung scheint für möglich erachtet zu werden, wo formuliert wird, der Schuldner müsse sein Verhalten grundsätzlich an den Erkenntnissen der in der Sache ergangenen Instanzentscheidungen ausrichten. 801 Auch die großzügige Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1919802 ließe sich eventuell darauf zurückführen, dass neben dem Gläubiger auch die erste Instanz den entscheidenden rechtlichen Aspekt übersehen hatte. Der BGH hat hingegen wiederholt betont, dass zwischenzeitlich ergangene günstige Instanzentscheidungen den Schuldner nicht von einer Verzugshaftung befreien.803 Dabei ging es nicht nur um Entscheidungen,

797 

Dazu wiederum §  9 C. III. 3. b) aa). Zur Verzugshaftung RG, Urt. v. 6.11.1930 – VIII 303/30, HRR 1931, Nr.  404; im Ergebnis ebenso BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  32 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; auch BGH, Urt. v. 11.4.1962 – VIII ZR 38/61, DB 1962, 698 (indes unter Verweis darauf, dass ein Tatsachenirrtum betroffen war). Wo der schädliche Erkenntnisgrad hin­ gegen erst bei Gewissheit erreicht ist, erscheinen Anleihen bei der Kollegialgerichtsrichtlinie nicht ausgeschlossen, siehe §  9 C. III. 3. b) aa). 799  Zur Frage, ob nach einem günstigen Berufungsurteil im Sinne von §  717 Abs.  3 ZPO schon der Erkenntnisgrad zu modifizieren ist, siehe oben II. 6. a) sowie ausführlich unten §  15 A. II. 2. d). 800  Siehe dazu und zum Folgenden bereits §  9 C. IV. 6. d). 801  Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  279; früher schon ganz deutlich für eine Entlastung nach Obsiegen in erster Instanz Wussow, JW 1938, 427, 428. 802  RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316 (dazu soeben a)); ebenso LG Duisburg, Urt. v. 27.2.1996 – 23 (7) S 270/95, NJW-RR 1996, 718, 719. 803  BGH, Urt. v. 26.1.1983 – IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Urt. v. 19.12.1996  – IX ZR 27/96, NJWE-MietR 1997, 49, 50; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  32 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; ebenso zu einem Tatsachenirrtum BGH, Urt. v. 9.1.1991 – IV ZR 97/89, NJW-RR 1991, 537, 538; siehe mit Nachweisen zur Recht­ sprechung (insb. außerhalb der Verzugsthematik) auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §   276 Rn.  74; anders noch BGH, Urt. v. 4.3.1969 – VI ZR 274/67, MDR 1969, 470, 471 (auf Basis einer milden Linie). 798 

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die ersichtlich falsch804 oder ohne nähere Prüfung ergangen805 waren. Der BGH hat vielmehr ohne Einschränkung geäußert, die Bestätigung der schuldnerischen Rechtsauffassung durch ein Instanzgericht führe nicht dazu, dass der Schuldner fortan mit einer abweichenden Beurteilung durch die letzte Instanz nicht mehr rechnen müsse.806 Das steht im Einklang mit Stimmen aus der Literatur807 und der Instanzrechtsprechung.808 Mit Blick auf Behördenauskünfte stellt sich das Mei­ nungsbild ähnlich dar. Eine entlastende Wirkung wird nur vereinzelt anerkannt.809 Möglicherweise ließe sich jedoch an Stellungnahmen des BAG anknüpfen, wonach  – selbst bei Heranziehung eines eigentlich strengen Maßstabs – bei zweifelhaften Rechtsfragen auf die Rechtsauskunft einer geeigneten neutralen Stelle vertraut wer­ den dürfe. 810 Dagegen hat das Reichsgericht der unrichtigen Auskunft zur Umsatz­ steuerschuld durch einen Steuersekretär keine entlastende Wirkung beigemessen. 811 Deutlich positioniert hat sich in jüngerer Zeit auch der I. Zivilsenat des BGH: Die Billigung durch die Aufsichtsbehörde räume nicht die Möglichkeit aus, dass das ent­ scheidende Gericht die Rechtsfrage anders beurteile.812 Der letztgenannten Ansicht ist im Grundsatz zu folgen. Die wesentlichen Erwä­ gungen dazu sind schon an früherer Stelle angestellt worden. 813 Dass der Schuldner auch nach günstigen Entscheidungen von Behörden bzw. der ersten Gerichts­ instanz(en) grundsätzlich nicht auf ein Obsiegen vertrauen darf, folgt bereits aus der Wertung des §  717 Abs.  2 ZPO.814 Der Fall, dass der entscheidende rechtliche Gesichtspunkt in erster Instanz von allen Beteiligten, einschließlich des Gerichts, übersehen wird,815 ist nach §  717 Abs.  2 ZPO ebenfalls nicht abweichend zu behan­ deln. 804  So etwa bei BGH, Urt. v. 19.12.1996 – IX ZR 27/96, NJWE-MietR 1997, 49, 50; zum Tat­ sachenirrtum auch BGH, Urt. v. 9.1.1991 – IV ZR 97/89, NJW-RR 1991, 537, 538. 805  So bei OLG Köln, Urt. v. 25.11.2003 – 4 U 9/03, NZV 2004, 588, 589. 806  BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  32 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen. 807  V. a. U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713–714; im Grundsatz auch Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121. 808 OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2015 – 5 U 74/15, NJOZ 2016, 459, 461–462 Rn.   61 (s. auch Rn.  59), gegen die Vorinstanz LG Bochum, Urt. v. 18.3.2015 – 4 O 405/14, Rn.  17, juris. 809  OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.9.2000 – 10 U 133/99, Rn.  7, juris („unverschuldet, weil er sich […] auf eine Auskunft des Steueramtes […] berufen konnte“). 810  So BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; BAG, Urt. v. 23.11.1988  – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433, 435; vergleiche bereits BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhältnis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 811  RG, Urt. v. 5.11.1924 – I 554/23, LZ 1925, 370, 371. 812  BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  31 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen. 813  Siehe oben §   9 C. IV. 6. d). Soweit dort dem Putativgläubiger ausnahmsweise schon das Bestehen rechtlicher Zweifel schadet, ergibt sich eine vergleichbare Ausgangslage wie bei der Schuldnerhaftung wegen unberechtigter Leistungsverweigerung. 814  Dazu oben II. 2. b) bb); so in allgemeinem Zusammenhang auch Grundmann, in: MüKo-­ BGB, §  276 Rn.  74. 815  So bei RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316; LG Duisburg, Urt. v. 27.2.1996  – 23 (7) S 270/95, NJW-RR 1996, 718, 719.

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Soweit die Nachteilszuweisung zum irrenden Schuldner allerdings Fahrlässig­ keit voraussetzt, lässt sich die Wertung der verschuldensunabhängigen Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO nicht ohne jede Einschränkung übertragen. So dürfte es an Fahrlässigkeit fehlen, wenn dem Schuldner von Seiten eines unparteiischen In­ stanzgerichts bzw. einer Behörde nicht nur bescheinigt worden ist, er sei im Recht, sondern darüber hinausgehende Aussagen erfolgt sind, die es aus objektiver Schuld­ nersicht überflüssig erscheinen lassen, einen Rechtsberater zu konsultieren. Das ist vor allem denkbar, wenn das Gericht bzw. die Behörde fälschlich, aber überzeu­ gend darlegt, jede andere Rechtsauffassung sei unvertretbar oder die etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung stehe eindeutig auf dem schuldnerfreundlichen Standpunkt. Eine Behörde kann zum Beispiel mit Blick auf öffentlich-rechtliche Vorfragen durchaus als gleichwertiger oder besserer Ratgeber als ein Anwalt er­ scheinen. 816 Wo die öffentlich-rechtliche Lage zugleich maßgeblich für die privat­ rechtlichen Verhältnisse ist, 817 wird man es einem nicht selbst rechtskundigen Schuldner, wie bei einer entsprechenden Anwaltsauskunft, nicht vorwerfen kön­ nen, wenn ihm nach der „amtlichen“ Mitteilung keine Zweifel an seiner Rechts­ position verbleiben. Im Fall der anwaltlichen Auskunft würde allerdings der Bera­ terfehler nach §  278 BGB zugerechnet.818 Bezüglich Gerichten bzw. Behörden ist hingegen zweifelhaft, ob man diese ebenfalls als Erfüllungsgehilfen ansehen kann. 819 Selbst wenn man dies verneinte, wäre der Raum für eine Entlastung, wie soeben dargelegt, im Ergebnis begrenzt. 4. Zeitpunkt der Vorwerfbarkeit: Prüfungsfrist Der Vorwurf, die ungewisse Berechtigung der eigenen Auffassung nicht erkannt zu haben, trifft den Schuldner mitunter erst mit Verzögerung. Zwar würde er prinzi­ piell schon mit der Mahnung in Verzug geraten (§  286 Abs.  1 S.  1 BGB). Es wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass in manchen Fällen das Vertretenmüssen der Nichtleistung erst dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner Zeit hatte, die Rechts­ lage zu prüfen. 820 Rechtsprechung und Literatur halten die Gewährung einer Prü­ fungsfrist, gerade auch mit Blick auf die Untersuchung der Rechtslage, generell für denkbar.821 Für die Anerkennung einer solchen Frist in geeigneten Fällen spricht 816  Vergleiche auch RG, Urt. v. 23.2.1922 – VI 637/21, RGZ 104, 105, 111; siehe zudem oben §  3 A. III. 2. b). 817  Vergleiche OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.4.1970 – 5 U 56/69, OLGZ 1971, 322, 326–327. 818  Siehe oben 2. b). 819  Siehe ausführlich §  16 C. II. 2. Vergleiche auch schon oben 2. b) bb). Die Ablehnung von §  278 BGB entspricht der Sichtweise, die der BGH im Mietrecht betreffend die zu späte Zahlung durch Sozialleistungsbehörden entwickelt hat, BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781, 3782–3783 Rn.  29–30. 820  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 78–81, demonstriert überzeugend, dass sich die Prüfungs­ frist (erst) im Rahmen von §  286 Abs.  4 BGB (nicht schon bei der Frage der Fälligkeit im Sinne von §  286 Abs.  1 S.  1 BGB) auswirkt; siehe auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.2.2007 – 4 U 470/06, MDR 2007, 1190; Derkum, Folgen, S.  237–238. 821  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 67 (m. w. N. in Fn.  7), 91; siehe auch BGH, Urt. v. 27.4.1964  –

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auch der Umstand, dass der Gläubiger seinerseits profitiert, wenn sich der Schuld­ ner seiner ungünstigen Position besinnt und ein Prozess unnötig wird.822 Es bleibt nichts anderes übrig, als, auch was die Länge der Frist angeht, jeweils auf die Um­ stände des Einzelfalls abzuheben.823 So kommt etwa eine Fristgewährung im Be­ reich der unerlaubten Handlungen prinzipiell eher in Betracht als mit Blick auf vertragliche Primärleistungspflichten, die in der Regel klar erkennbar sind.824 An­ zulegen ist der aus §  276 Abs.  2 BGB bekannte objektiv-typisierende Maßstab.825 So kann insbesondere berücksichtigt werden, inwieweit präsente Rechtskenntnisse im Verkehrskreis des Schuldners zu erwarten sind. 826 5. Vorwerfbarkeit in besonderen Konstellationen Im Zusammenhang mit dem Erkenntnisgrad wurden im Wesentlichen zwei gesetz­ lich verankerte Ausnahmefallgruppen zur strengen Linie identifiziert: Der Rechts­ irrtum über den Aktivlegitimierten (§§  407 Abs.  1, 372 S.  2 Var.  2 BGB) und der Rechtsirrtum des Bereicherungsschuldners (§§  819 Abs.  1, 818 Abs.  4, 292 BGB). In beiden Fällen könnten auch im Rahmen der Vorwerfbarkeitsprüfung Besonder­ heiten zu beachten sein. a) Rechtsirrtum bezüglich Aktivlegitimiertem §  372 S.  2 Var.  2 BGB setzt ausdrücklich voraus, dass es an Fahrlässigkeit auf Seiten des Schuldners fehlt. Eine Substitution der fehlenden Erkenntnis durch den Vor­ wurf der Unkenntnis kommt in Betracht (dazu aa)). §  407 Abs.  1 BGB hebt dagegen auf Kenntnis ab, sodass ein solches Vorgehen dort kritischer erscheint (dazu bb)). aa) Hinterlegung Eine wirksame Hinterlegung scheidet grundsätzlich827 erst dann aus, wenn prak­ tisch Gewissheit darüber herrscht, wer der wahre Gläubiger ist. Lag bei objektiv-­ rechtskundiger Betrachtung ein solcher Fall vor, hegte der Schuldner aber subjekti­ ve Zweifel, ist zu fragen, ob dies auf Fahrlässigkeit beruhte (§  372 S.  2 Var.  2 BGB). Es kommt mit anderen Worten darauf an, wie weit die Verantwortung des Schuld­ ners für die Aufklärung der Rechtslage reicht, bevor er in den Genuss der Hinter­ legungswirkung gelangt. Die maßgeblichen Wertungsaspekte erscheinen bislang nicht hinreichend geordnet.828 Im Interesse der Rechtssicherheit gilt es, sie in ein III ZR 128/63, MDR 1964, 662, 663; BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272 Rn.  11; Dornis, in: BeckOGK, §  286 BGB Rn.  271; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  153. 822  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 67. 823  Siehe nur OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.2.2007 – 4 U 470/06, MDR 2007, 1190. 824  Zum Ganzen Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 66–67. 825  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 67–69. 826  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 68 mit Fn.  13. 827  Siehe oben II. 6. b) aa) (1) mit Ausnahmen für eine Verursachung der Zweifel durch den Schuldner selbst. 828  Siehe die Darstellung des Meinungsstands bei B. III. 2.

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festeres dogmatisches Korsett einzukleiden. Dabei lässt sich von der etablierten Formel ausgehen, die die Hinterlegungswirkung daran knüpft, dass auch nach ei­ ner mit verkehrsüblicher Sorgfalt vorgenommenen Prüfung hinreichende Zweifel bestehen.829 (1) Person des Schuldners Der Fahrlässigkeitsmaßstab privilegiert auch in diesem Zusammenhang Laien und stellt strengere Anforderungen an Rechtskundige. 830 So kann berücksichtigt wer­ den, dass von Unternehmen eines bestimmten Zuschnitts typischerweise das Vor­ halten juristischer Expertise, zum Beispiel in Form einer eigenen Rechtsabteilung, zu erwarten ist.831 Deshalb kann man von einem bundesweit tätigen Versicherer die Erkenntnis verlangen, dass an den Bezugsberechtigten zu leisten ist, auch wenn dieser mit den Erben des Versicherungsnehmers über das Bestehen eines Rechts­ grundes im (für den Versicherer unerheblichen) Valutaverhältnis streitet. 832 (2) Pflicht zur Intermediärskonsultation und Folgen einer Falschauskunft Musste der Schuldner nach den verkehrskreistypischen Fähigkeiten und Kenntnis­ sen nicht schon selbst erkennen, dass die Frage nach dem Aktivlegitimierten ein­ deutig zu beantworten ist, wird wiederum das Bestehen einer Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit833 virulent. (a) Pflicht zur Konsultation eines Intermediärs In auffälligem Gegensatz zur Judikatur zu §  286 Abs.  4 BGB nimmt die Rechtspre­ chung keine generelle Erkundigungspflicht des Schuldners an. Vielmehr wird stets auf die Umstände des Einzelfalles abgehoben.834 Über die Kriterien der anzustellen­ den Prüfung herrscht indes keine Einigkeit. Nicht zielführend ist es, die Berater­ konsultation umso eher zu fordern, je schwieriger sich die Rechtslage gestaltet.835 829 

Siehe B. III. 2. mit Fn.  122. Siehe B. III. 2. m.N. in Fn.  123; vergleiche bereits zu §  286 Abs.  4 BGB oben 1. a). 831  Siehe die umfangreichen Nachweise bei B. III. 2. Fn.  124, z. B. BGH, Urt. v. 12.2.2003 – XII ZR 23/00, NJW 2003, 1809, 1810. Siehe bereits RG, Urt. v. 20.12.1902 – I 383/02, RGZ 53, 204, 211, dazu, dass für Großkaufleute, die „überseeischen Wechselverkehr“ betreiben, „Rechtskenntnisse bis zu einem gewissen Umfange nicht zu entbehren sind“. 832 Zutreffend OLG Nürnberg, Urt. v. 21.12.2015 – 8 U 1255/15, NJW-RR 2016, 737, 738 Rn.  24; anders LG Saarbrücken, Beschl. v. 1.10.2013 – 14 O 106/13, BeckRS 2016, 5694. 833  Mit Blick darauf, dass die Verletzung die Hinterlegungswirkung beseitigt und somit die Nichterfüllung nach sich zieht, an die §§  280, 281, 286 BGB anknüpfen, erscheint der Begriff der „Pflicht“ hier zumindest anschaulich. 834  BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.9.­ 1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657; OLG Saarbrücken, Urt. v. 6.6.2007 – 5 U 482/06-60, r+s 2007, 503, 507; zutreffen­ de Deutung bei Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68. 835  Siehe zu diesem Ansatz oben B. III. 2. m.N. in Fn.  134. 830 

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Nicht nur ist ein solches Kriterium äußerst unbestimmt.836 Ob die Rechtslage sich als schwierig darstellt, ist für den Schuldner überdies ohne Konsultation eines Ex­ perten oft gar nicht zu beurteilen.837 Vergleichbare Kritik ist gegenüber der entge­ gengesetzten Formulierung angebracht, wonach bei völlig eindeutig zu beantwor­ tenden Rechtsfragen der Verzicht auf rechtliche Beratung einen Fahrlässigkeits­ vorwurf begründe.838 Soweit die Frage im Verkehrskreis des Schuldners eindeutig zu beantworten ist, braucht es den Rückgriff auf die Mandatierungspflicht nicht. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann der Schuldner die „Eindeutigkeit“ ohne vorherige Befragung eines Rechtskundigen nicht erkennen. Gegen eine weitgehende Annahme von Prüfungspflichten wird mitunter ins Feld geführt, dass auch eine Rechtsberatung bestehende Unsicherheiten oft nicht restlos beseitige.839 Das ist allerdings ein generelles Problem, das jegliche Maßnahme der Schadensprävention betreffen kann: Es kann unsicher sein, ob die Maßnahme den Schaden überhaupt verhindern wird. Der Einwand trifft nichtsdestotrotz einen wichtigen Punkt. Inwieweit es sinnvoll ist, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werden, ist letzten Endes eine Kosten-Nutzen-Frage. Im Ausgangspunkt sinnvoll erscheint deshalb der Vor­ schlag, den Grad der bestehenden Unsicherheit und den Wert der betroffenen For­ derung mit dem Aufwand zu vergleichen, der zur Erlangung von Gewissheit nötig wäre.840 In die Kalkulation einbeziehen müsste man dabei allerdings auch diejeni­ gen Kosten, die für den wahren Gläubiger bei einer wirksamen Hinterlegung ent­ stünden (siehe insbesondere §  381 BGB).841 Generell ist eine Beachtung der diametralen Gläubigerinteressen angezeigt. 842 Unangebracht erscheint es hingegen, diese pauschal zum entscheidenden Faktor zu erheben.843 So wird formuliert, der Schuldner sei umso eher gehalten, vorab Rechtsrat einzuholen, je schwieriger sich die Sach- und Rechtslage für den Gläubi­ ger nach erfolgter Hinterlegung darstellen würde.844 Dies erscheint insbesondere dann fragwürdig, wenn die Ungewissheit über den richtigen Gläubiger keine neut­ rale Ursache hat, sondern maßgeblich von den Prätendenten zu verantworten ist. 845 Nicht ohne Grund greift die Rechtsprechung im Rahmen von §  372 S.  2 Var.  2 BGB häufig auf einen Sphärengedanken846 zurück und berücksichtigt, dass der Schuld­ 836 

Buck-Heeb, in: Erman, §  372 Rn.  3; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  18. Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12. 838  So KG, Urt. v. 5.1.1957 – 16 U 1560/56, NJW 1957, 754, 756; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 839  Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12; vergleiche zudem Brechtel, JuS 2017, 495, 497; in diese Richtung schon U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  702. 840 So Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68. 841 Siehe Dennhardt, in: BeckOK-BGB, §  372 Rn.  17; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19. 842 Zutreffend Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19. 843  Siehe auch Regenfus, JA 2017, 161, 164. 844  KG, Urt. v. 5.1.1957 – 16 U 1560/56, NJW 1957, 754, 756, wo die Einwilligung des anderen Prätendenten schwierig zu erlangen war; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 845  Siehe auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  702: „es zwingt den Schuldner […] ein Prob­ lem zu lösen, das er nicht verursacht hat“. 846  Den Begriff der Sphäre ebenfalls nutzend Preuß, in: NK-BGB, §  372 Rn.  16. 837 Zutreffend

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ner den Ursachen der Unsicherheit fernsteht. 847 Das gilt beispielsweise, wenn die Prätendenten über die Auslegung848 bzw. Wirksamkeit849 einer zwischen ihnen geschlossenen Abtretungsvereinbarung streiten oder ein Rechtsmissbrauch im Prä­ tendentenverhältnis in Rede steht.850 Es erscheint in solchen Fällen auch bei öko­ nomischer Betrachtung richtig, die Hinterlegung selbst dort zu erlauben, wo die nachträgliche Aufklärung durch den Schuldner geringere Gesamtkosten verursa­ chen würde als die Hinterlegung. Durch die Kostenzuweisung zu den Prätenden­ ten werden diesen gegenüber Anreize zu präventiv sorgsamer und eindeutiger Ge­ staltung ihrer Rechtsbeziehungen gesetzt. Dieser Gedanke klingt an, wenn der BGH äußert, dass die Prätendenten „durch klarere Vereinbarungen […] diese Streitpunkte von vorneherein hätte[n] vermeiden können“. 851 Vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegungen ist es für die Entschei­ dung über eine Konsultationspflicht unerheblich, ob der Schuldner den Gläubiger für den Rechtsberatungsaufwand nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag in Regress nehmen könnte.852 Selbst wenn man dies bejahte, ergäbe sich daraus kein Argument dafür, den Schuldner mit dem Aufwand zu belasten. Denn soweit man es für sachgerecht hält, dass schlussendlich der wahre Gläubiger für die Kosten einstehen muss, erscheint es unnötig kompliziert (und für die Belange des Schuldners riskant), eine Art Vorfinanzierung zu verlangen. Es führt einfacher zum Ziel, wenn man den Schuldner aus der Verantwortung entlässt, indem man ihm die Hinterlegung gestattet, und die (kostenintensive) Klärung in das Verhältnis der Prätendenten verschiebt. Denkbar ist aber auch der umgekehrte Fall einer Verantwortlichkeit des Schuld­ ners für die zweifelhafte Lage. Die Literatur berücksichtigt dies durch die verstärk­ te Annahme einer Pflicht zur Erforschung der Rechtslage.853 Nach hier vertrete­ nem Verständnis wirkt sich der Umstand hingegen schon auf der Ebene des Er­ kenntnisgrades aus.854 Wollte man es dem Schuldner in einem solchen Fall lediglich zumuten, besonderen Klärungsaufwand zu betreiben, würde ihm, sofern danach berechtigte Zweifel fortbestünden, 855 die Hinterlegung auf Kosten des „schuld­ losen“ Gläubigers gestattet. Soweit nach den vorstehenden Überlegungen dem an einer Hinterlegung interes­ sierten Schuldner überhaupt die Konsultation eines Rechtsberaters aufzuerlegen ist, gelten die zur Verzugshaftung formulierten Grundsätze. Insbesondere obliegt 847 

Siehe oben B. III. 2. mit Fn.  132. Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657. 849  RG, Urt. v. 5.12.1908 – I 44/08, RGZ 70, 88, 90; RG, Urt. v. 9.2.1917 – III 374/16, RGZ 89, 401, 402; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657. 850  BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502. 851  BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1502. 852  Darauf verweisend Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19. 853  Siehe oben B. III. 2. mit Fn.  133. 854  Siehe oben II. 6. b) aa) (1). 855  Davon gehen die oben bei Fn.  839 Genannten gerade als Regelfall aus. 848  BGH,

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dem Schuldner (nur) eine Plausibilitätskontrolle der Auskunft. 856 Ferner erweist sich auch im Rahmen von §  372 S.  2 Var.  2 BGB das Fehlen einer an sich gebotenen Beraterkonsultation als unschädlich, sofern festgestellt wird, dass eine solche nicht zu rechtlicher Gewissheit geführt hätte. 857 (b) Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Auch im Zusammenhang mit §  372 S.  2 Var.  2 BGB ist darüber nachzudenken, wel­ che Konsequenzen es hat, wenn der Schuldner zwar einen Rechtsberater konsul­ tiert, diesem aber ein Fehler unterläuft, indem er die eindeutige Berechtigung eines der Prätendenten verkennt. Wo die Frage explizit angesprochen wird, wird eine Zurechnung nach §  278 BGB nur insoweit angenommen, wie der Dritte in die Be­ obachtung der vom Schuldner selbst zu erwartenden Sorgfalt eingeschaltet worden sei; soweit hingegen keine eigene Erkenntnis durch den Schuldner, sondern bloß die Erkundigung bei einem fachkundigen Dritten zu erwarten gewesen sei, müsse der Schuldner für die Fehler der Auskunftsperson nicht einstehen.858 Dies deckt sich mit der verbreiteten (aber die Zurechnungsfrage streng genommen aussparenden) Aussage, der Schuldner dürfe auf eingeholten Rechtsrat grundsätzlich vertrauen. 859 Diese Sichtweise führte indes zu untragbaren Konsequenzen. In derartigen Fäl­ len würde der Kostenaufwand (insbesondere §  381 BGB) dem wahren Gläubiger aufgebürdet. Das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts bliebe für diesen selbst ohne negative Auswirkungen, weil es sich für den Mandanten letztlich gar als nütz­ lich erwiese. Es läge deutlich näher, die Folgen aus dem Anwaltsfehler nicht dem Gläubiger aufzuerlegen, der hierfür keinen Ersatz verlangen kann, sondern dem Schuldner, der den Rechtsberater ausgewählt hat und diesen in Regress nehmen kann. Unter Beachtung ebendieser Zusammenhänge rechnet die herrschende Mei­ nung dem Schuldner im Bereich von §  286 Abs.  4 BGB ein Beraterverschulden zu. 860 Führt man sich vor Augen, dass eine wesentliche Funktion der Hinterlegung darin besteht, den Verzug auszuschließen, wird der Widerspruch besonders evi­ dent. In die richtige Richtung deutet es daher, wenn bei §  372 BGB gegenüber dem anwaltlich beratenen Schuldner ein strengerer Fahrlässigkeitsmaßstab angelegt wird.861 Dies ließe sich unter der Prämisse erklären, dass eben doch eine Zurech­ nung nach §  278 BGB stattfindet. 856  Buck-Heeb, in: Erman, §  372 Rn.  3. Diese Kontrolle richtet sich wiederum nach dem Fahr­ lässigkeitsmaßstab, der auch im Übrigen für den Schuldner einschlägig ist, vergleiche BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21. 857  So im Ergebnis J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248; vergleiche auch oben 2. a) dd). 858 So Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  65. 859  So BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.11.1959 – II ZR 248/58, WM 1960, 112, 112–113; OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.4.2002 – 4 VA 954/02, MedR 2003, 52, 54; Grüneberg, in: Palandt, §  372 Rn.  6; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  19; Pfeiffer, in: Prütting/Wegen/Weinreich, §  372 Rn.  17. 860  Siehe oben 2. b). 861  Dies andeutend ArbG Köln, Urt. v. 11.5.2011 – 2 Ca 9664/10, BeckRS 2011, 75695.

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bb) Befreiende Leistung an Nichtgläubiger Betreffend §  407 BGB ist im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BGH von einem schuldnerfreundlichen Erkenntnisgrad auszugehen. Schon bei rechtli­ chen Zweifeln an einer wirksamen Abtretung wird der Schuldner durch Leistung an den Zedenten frei. 862 Allerdings ist bislang offengeblieben, ob dies auch für die bloß subjektive Ungewissheit gilt, also auch dann, wenn die Abtretung bei objekti­ ver Betrachtung eindeutig wirksam ist. (1) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis Man könnte dem Schuldner den Schutz schon dann versagen wollen, wenn er bei Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt keine Zweifel an der Wirksamkeit der Abtretung hätte haben dürfen. So hat das Reichsgericht ohne Differenzierung zwi­ schen Tatsachen- und Rechtserkenntnis zu der Formel gegriffen, wonach Kenntnis nur bei objektiv gerechtfertigten Zweifeln ausgeschlossen sei.863 Ansonsten drohe, der „Unredlichkeit im geschäftlichen Verkehr Vorschub“ geleistet zu werden.864 Auch in jüngerer Vergangenheit haben Rechtsprechung und Schrifttum nur objekti­ ve Zweifel als kenntnishindernd im Sinne von §  407 BGB angesehen.865 Dahinter darf man abermals die Sorge vermuten, ein subjektiver Kenntnisbegriff verleite, jedenfalls in Verbindung mit einer Beweisbelastung des Gläubigers, zum Missbrauch durch den Schuldner.866 In dieser Deutung verständlich würde insbesondere die – mit Blick auf die vermeintliche Beschränkung des Erkenntnisgegenstands kritisierte867 – Aussage des BGH von 1961, die Berücksichtigung von Rechts­irrtümern widerspreche „den Erfordernissen des Rechtsverkehrs“.868 In jüngerer Zeit gewährt der BGH dem Schuldner jedoch auch im Rahmen der objektivierten Prüfung einen verhältnismäßig großzügigen Entlastungsspielraum. Die Auffassung des Schuldners dürfe sich ledig­ lich „nicht als abwegig oder schlechterdings unvernünftig abtun“ lassen.869 Die bestehenden Objektivierungstendenzen sind im Ansatz nachvollziehbar. Sie sehen sich jedoch mit dem entgegenstehenden Wortlaut von §  407 Abs.  1 BGB kon­ frontiert. Dieser hebt unmissverständlich auf Kenntnis ab. Raum für ein alternati­ ves Abstellen auf „vorwerfbare Unkenntnis“ bleibt nicht. Dass es nach §  407 Abs.  1 862 

Siehe oben II. 6. b) bb) (1). RG, Urt. v. 21.9.1910 – V 587/09, RGZ 74, 117, 120; RG, Urt. v. 10.1.1916 – VI 359/15, RGZ 88, 4, 6; das wird heute noch so im Schrifttum aufgegriffen, etwa von Rosch, in: jurisPK-BGB, §  407 Rn.  14; Schrader, Wissen, S.  275. 864  RG, Urt. v. 21.9.1910 – V 587/09, RGZ 74, 117, 120. 865  Siehe BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148; BGH, Urt. v. 24.5.­ 2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26; BGH, Urt. v. 4.12.2008  – IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn.  8; OLG Rostock, Urt. v. 14.6.1999 – 3 U 35/98, MDR 2000, 444, 445; Grüneberg, in: Palandt, §  407 Rn.  6; Klose, JR 2013, 185, 187. 866  Dazu schon bei I. 3.; vergleiche auch den Hinweis von J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  243 („im Interesse der Funktionsfähigkeit des Rechts“). 867  Siehe I. 3. 868  BGH, Urt. v. 3.7.1961 – II ZR 96/59, WM 1961, 888, 890. 869  BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148. 863 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

BGB grundsätzlich auf das subjektive Vorstellungsbild des Schuldners ankommen soll, steht auch im Einklang mit dem Schutzzweck der Norm: Die Parteien der Zession haben den Schuldner überhaupt erst in die nun bestehende Lage versetzt; dass dem Schuldner keine Rechtserforschung obliegt, lässt sich angesichts dessen als Ausdruck eines zu seinen Gunsten wirkenden Verschlechterungsverbots verste­ hen. 870 Nach dem Gesagten erst recht zu verneinen ist eine Verpflichtung des Schuldners zur Einholung von Rechtsrat, bei deren Verletzung ihm die Wirkung des §  407 BGB zu versagen wäre. Diese Erkenntnis ist nicht selbstverständlich. Das Reichsgericht argumentierte schließlich, der mit Tatsachenkenntnis Ausgestattete könne Rechtsrat in Anspruch nehmen. 871 Auf Nachforschungsobliegenheiten muss aber in gleicher Weise verzichtet werden wie beim Tatsachenirrtum.872 Auch der BGH hat in jüngerer Vergangenheit dem Schuldner, der die maßgebliche Rechtslage nicht überblickte, die Einholung eines Rechtsgutachtens nicht zumuten wollen.873 Schon zuvor wurde in der Rechtsprechung mitunter explizit auf die ­Laienperspektive abgestellt. 874 Dies impliziert, dass die bloße Möglichkeit, Rechts­ rat einzuholen, noch nicht zur Substitution fehlender Kenntnis führt. Auch können als Folge der subjektiven Anknüpfung des §  407 Abs.  1 BGB Fehler eines befragten Rechtsberaters nicht zulasten des Schuldners berücksichtigt werden. Der Zessionar kann im Fall des schuldnerischen Rechtsirrtums demnach einen Schaden erleiden, für den er vom eigentlich verantwortlichen Berater keinen Ersatz erlangt.875 Dies erscheint jedoch erträglich, sofern man die subjektive Anknüpfung im Übrigen für sachgerecht hält. Die Mandatierung eines Beraters ist dann stets überobligatorisch. Die Zurechnung würde dem Zessionar einen Vorteil verschaffen, den er beim „zu­ lässigen“ Verzicht des Schuldners auf eine Konsultation nicht gehabt hätte. 876 (2) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung Die Problematik des Kenntnisnachweises lässt sich durch die Formulierung des schädlichen Erkenntnisgrades entschärfen. Dies wurde schon zur Parallelproble­ matik bei §  819 Abs.  1 BGB demonstriert:877 Kenntnis ist nicht erst bei letzter Si­ cherheit, sondern schon bei praktischer Gewissheit erreicht. Auf eine Objektivie­ rung kommt es demnach vor allem dort nicht an, wo der konkrete Schuldner weiß, 870 

Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  61; siehe dazu schon oben II. 6. b) bb) (1). RG, Urt. v. 23.9.1921 – II 61/21, RGZ 102, 385, 387. 872 Dazu Busche, in: Staudinger, §  407 Rn.  31; Grüneberg, in: Palandt, §  407 Rn.  6; Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  60; G. H. Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, §  407 Rn.  14. 873  BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26; ähnlich Regenfus, JA 2017, 161, 164. 874  OLG Rostock, Urt. v. 14.6.1999 – 3 U 35/98, MDR 2000, 444, 445; zustimmend Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  60.1. 875  Dies kritisiert Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 38; siehe schon die entsprechenden Überlegun­ gen als Grund für eine Zurechnung oben aa) (2) (b) und 2. b). 876  Vergleiche auch §  16 C. II. (vor 1.) dazu, dass sich die Sorgfaltsanforderungen an den Betrof­ fenen durch Einschaltung eines Beraters grundsätzlich nicht erhöhen. 877  Vergleiche zum Folgenden oben II. 6. c) aa). 871 

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dass nach etablierter höchstrichterlicher Judikatur die Abtretung als wirksam an­ zusehen ist, mag auch eine andere Ansicht vertretbar sein. Das theoretische Restri­ siko eines plötzlichen Umschwungs der Rechtsprechung bleibt außen vor. Daneben kann auf das allgemeine Instrumentarium zurückgegriffen werden, das zur sachgerechten Auslegung von Kenntnistatbeständen bereitsteht. Vor allem ist nur eine zutreffende rechtliche Wertung in der Laiensphäre zu verlangen.878 Ferner wird Kenntnis auch dort bejaht, wo noch eine gewisse Gedächtnisanspannung er­ forderlich ist, um das vorhandene Wissen zu aktualisieren.879 Bei vielen Tatbestän­ den stellt es die Rechtsprechung zudem der Kenntnis gleich, wenn sich ein redlich Denkender in der Position des Betroffenen der Einsicht nicht hätte verschließen können.880 Solange man dieses Vorgehen hinreichend an der Vorschrift des §  162 BGB festmacht881 und soweit der Vergleich mit der dort geregelten treuwidrigen Vereitelung des Bedingungseintritts tatsächlich trägt,882 begegnet dies keinen Be­ denken. Erfasst werden damit allerdings nur Ausnahmefälle.883 Insbesondere lässt sich auch darüber keine Nachforschungsobliegenheit statuieren, die den Kennt­ nistatbestand in eine Fahrlässigkeitsvorschrift verwandelte.884 Zu denken ist ferner an beweisrechtliche Lösungen bei der Feststellung von Kenntnis. Warum ausgerechnet die zutreffende rechtliche Bewertung der Zession kein Umstand sein soll, „der real bestimmt bzw. bewiesen werden kann“, wie ver­ einzelt behauptet wird,885 erschließt sich jedenfalls nicht. Die Praxis hält eine sol­ che Beweisführung nicht für ausgeschlossen. Die Beweislast liegt zwar im Grund­ satz beim Zessionar. 886 Bereits das Reichsgericht hat diesem jedoch nur den Nach­ 878  OLG Oldenburg, Urt. v. 6.3.1986 – 1 U 164/85, NJW 1987, 655, 656; Klose, JR 2013, 185, 187–188; Martens, in: Erman, §  407 Rn.  8; allgemein auch Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2639; zum Rückgriff auf die „Rechtserfahrung“ Rittner, in: FS von Hippel, S.  391, 407. 879  Allgemein zur Rechtskenntnis Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638–2639; vergleiche auch OLG Oldenburg, Urt. v. 16.1.1991 – 2 U 162/90, NJW-RR 1991, 1185, 1186. 880  Ursprünglich zu §  990 Abs.  1 S.  2 BGB entwickelt, siehe BGH, Urt. v. 22.1.1958 – V ZR 27/57, BGHZ 26, 256 = NJW 1958, 668, 668; BGH, Urt. v. 25.2.1960 – II ZR 125/58, BGHZ 32, 76 = NJW 1960, 1105, 1107; siehe zu §  819 Abs.  1 BGB unten b) bb) Fn.  9 08; zur mit §  407 BGB ver­ wandten Vorschrift des §  566c BGB etwa Häublein, in: MüKo-BGB, §  566c Rn.  14. In eine ähn­ liche Richtung dürfte der Vorschlag von Schrader, Wissen, insb. S.  411–412, 423, 427–433, gehen. Danach ist zu prüfen, ob auf Grundlage des festgestellten Kenntnisstands die konkret betroffene Person ohne zusätzliche Informationsbeschaffung allein durch die gebotene Reflexion die eigent­ lich geforderte Kenntnis haben würde. 881  Zu diesem Anker siehe BGH, Urt. v. 10.4.1990 – VI ZR 288/89, NJW 1990, 2808, 2810; Buck, Wissen, S.  74–76; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640; Rövekamp, in: BeckOK-BGB, §  162 Rn.  11; zum guten Glauben bei der Ersitzung siehe Mugdan, Materialien III, S.  6 41; Kindl, in: BeckOK-BGB, §  937 Rn.  6. 882  Treffende Kritik am vorherrschenden Rückgriff auf das „Sichverschließen“ bei Schrader, Wissen, S.  394 (siehe ferner S.  396–397, 411, 455). 883  Siehe BGH, Urt. v. 10.4.1990 – VI ZR 288/89, NJW 1990, 2808, 2810; dies mahnen auch Buck, Wissen, S.  76, und Schrader, Wissen, S.  413, an. 884  Wie hier Buck, Wissen, S.  71–72; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  260; Schrader, Wissen, S.  245. 885 So Schrader, Wissen, S.  278 (siehe auch S.  279). 886  Mot. II, 133; BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 101/97, NJW-RR 1998, 1744; Busche, in: Stau­ dinger, §  407 Rn.  45; Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  20 m. w. N.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

weis einer „an sich“ zuverlässigen Kenntnisvermittlung aufgebürdet und es sodann dem Schuldner aufgegeben darzulegen, warum dennoch Zweifel verblieben sein sollen.887 Der Erhalt einer Abtretungsanzeige des Zedenten soll einen Anscheins­ beweis für die Kenntnis des Schuldners begründen.888 (3) Sonderfall: Gesetzlicher Forderungsübergang Die Sonderrolle, die der gesetzliche Forderungsübergang (§  412 BGB) innerhalb der Rechtsirrtumsproblematik einnimmt, setzt sich auf Ebene der Vorwerfbarkeit fort. Die herrschende Auffassung entlastet denjenigen Schuldner, der in Kenntnis aller für die cessio legis relevanten Tatsachen handelt, allenfalls dann, wenn es durch eine Rechts- bzw. Rechtsprechungsänderung zu einem Rechtsirrtum gekommen ist. 889 Mit anderen Worten greift der Schuldnerschutz hier erst, wo auch bei objek­ tiv-rechtskundiger Betrachtung keine bessere Erkenntnis möglich war. Der Ver­ zicht auf eine subjektive Prüfung lässt sich auch nicht als beweisrechtliche Figur einordnen. Insbesondere müsste die Heranziehung eines Anscheinsbeweises regel­ mäßig scheitern. 890 Die Existenz von (Sozial-)Versicherungsverhältnissen mag viel­ fach noch zum Allgemeinwissen zählen. 891 Hingegen dürfte – sieht man von beson­ deren Gruppen wie Haftpflichtversicherern ab – bei Schuldnern meist kein Wissen um die Anordnung der Legalzession anzunehmen sein. 892 Auch der BGH hat zu §  81a BVG Zweifel daran geäußert, dass diese Regelung im üblichen Erfahrungs­ wissen verankert ist.893 Beim Forderungsübergang nach §  1 Abs.  1 OEG dürfte Ver­ gleichbares gelten.894 In der Rechtsprechung wurde zudem ausdrücklich auf das fehlende Erfahrungswissen der Bevölkerung betreffend den Forderungsübergang beim Scheinvaterregress hingewiesen. 895 Die rigorose Objektivierung der Rechts­ 887 

RG, Urt. v. 10.1.1916 – VI 359/15, RGZ 88, 4, 6. Busche, in: Staudinger, §  407 Rn.  45; Grüneberg, in: Palandt, §  407 Rn.  9; Lieder, in: Beck­ OGK, §  407 BGB Rn.  21 m. w. N. Die dort angeführte BGH-Rechtsprechung dürfte v. a. dahin­ gehend zu verstehen sein, dass aus dem feststehenden Zugang eine Kenntnis der Anzeige folgt (siehe BGH, Urt. v. 5.3.1997 – VIII ZR 118/96, BGHZ 135, 39 = NJW 1997, 1775, 1776; BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1147). Bei RG, Urt. v. 21.12.1915 – III 189/15, RGZ 87, 412, 418, wird hingegen auf die „Kenntnis von der Pfändung“ (nicht bloß: Kenntnis der Anzeige) abgehoben. Dass es um beide Punkte geht, ergibt sich auch aus den Ausführungen von Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  21 („dass er entweder doch keine positive Kenntnis von der Abtretungsanzeige erlangt oder dass er sachlich berechtigte Zweifel an deren Richtigkeit hat“; Herv. d. Verf.). 889  Näher oben II. 6. b) bb) (2). 890  Zu dieser Figur und den Voraussetzungen näher §  13 C. III. 2. c) bb) (vor (1)). 891  Vergleiche BGH, Urt. v. 27.2.1962 – VI ZR 260/60, VersR 1962, 515, 516 (wo dies im konkre­ ten Fall indes verneint wurde). 892  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 26 mit Fn.  15. Zu einem weiteren Ausnahmefall siehe OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.5.2019 – I-24 U 171/18, VersR 2019, 1218, 1219: (unterstellte) Kenntnis eines Rechtsanwalts vom gesetzlichen Forderungsübergang auf den Rechtsschutzversicherer. 893  BGH, Urt. v. 4.10.1983 – VI ZR 44/82, NJW 1984, 607, 608–609. 894  Dennoch hielt BGH, Urt. v. 16.10.2007 – VI ZR 227/06, NJW 2008, 1162, 1164 Rn.  15, Tat­ sachenkenntnis für ausreichend. 895  LG Bochum, Beschl. v. 10.3.1980 – 11 T 15/80, FamRZ 1980, 938, 939. 888 

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kenntnis im Kontext von §§  412, 407 BGB lässt sich wiederum nur durch die beson­ dere Wertung erklären, die hinter den Regelungen zur Überleitung auf die Sozial­ leistungsträger steht.896 In anderen Fällen der Legalzession ist deshalb sorgfältig zu prüfen, ob sich wirklich vergleichbare Gründe für eine solche Objektivierung aus­ machen lassen. Ist dies nicht der Fall, sind schlicht die schuldnerfreundlicheren Maßstäbe des §  407 Abs.  1 BGB anzulegen. b) Bereicherungsschuldner Ähnliche Vorzeichen wie beim soeben behandelten §  407 Abs.  1 BGB ergeben sich bezüglich der Verzugshaftung des Bereicherungsschuldners. Eine solche kommt nach vorzugswürdiger Auffassung ihrerseits nur unter der Voraussetzung der Kenntnis im Sinne von §  819 Abs.  1 BGB in Betracht.897 aa) Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis Einige Stimmen aus Rechtsprechung und Schrifttum möchten im Rahmen der Kenntnisprüfung bei §  819 Abs.  1 BGB einen objektiven Maßstab anlegen.898 So­ fern hierfür überhaupt Argumente angeführt werden, gleichen diese denen der Mindermeinung, die bei §  819 Abs.  1 BGB von vornherein nur Tatsachenkenntnis verlangt.899 Die herkömmliche Sichtweise bevorzuge – selbst bei Ausreichen einer Parallelwertung in der Laiensphäre900 – besonders uneinsichtige Bereicherungs­ schuldner.901 Die weit überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur lehnt solche Objektivierungstendenzen ab.902 Der Wortlaut von §  819 Abs.  1 BGB stehe entgegen.903 Dass Kennenmüssen nicht genüge, ergebe sich zudem im Gegen­ schluss aus der bewusst abweichenden Formulierung in §  990 Abs.  1 S.  1 BGB.904 Die Argumentation der herrschenden Meinung ist stichhaltig. Es ist bereits frag­ lich, ob die obergerichtliche Entscheidung, an die die abweichende Ansicht wesent­ lich anknüpft, die ihr zugeschriebene rigorose Objektivierung überhaupt propa­ 896 

Siehe schon II. 6. b) bb) (2). Oben II. 6. c). 898  OLG Hamm, Urt. v. 27.5.1977 – 11 U 56/77, NJW 1977, 1824; AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 12.11.2009 – 106 C 209/09, BeckRS 2011, 5210 (jeweils ohne nähere Begründung); Schreiber, JuS 1978, 230, 231; zustimmend Reuter/Martinek, Bereicherung, §  18 II 2a (S.  6 43). 899  Dazu oben II. 6. c) aa) mit Fn.  511; zu nennen ist v. a. Martinek, JZ 1996, 1099, 1102. 900  Dazu II. 6. c) aa) Fn.  512 m.N. 901  Schreiber, JuS 1978, 230, 231; vergleiche auch Martinek, JZ 1996, 1099, 1099–1100. 902  So etwa RG, Urt. v. 29.10.1909 – VII 572/08, RGZ 72, 152, 155; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27; Buck, Wissen, S.  94; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 301; Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  819 Rn.  3; Wendehorst, in: BeckOK-BGB, §  819 Rn.  2. 903  Larenz/Canaris, SchR II/2, §  73 II 1a (S.  310); Wendehorst, in: BeckOK-BGB, §  819 Rn.  2 ; etwas vorsichtiger Probst, AcP 196 (1996), 225, 229. 904  In diese Richtung Buck, Wissen, S.  68; Probst, AcP 196 (1996), 225, 234; Schrader, Wissen, S.  256–257; dass man die Begründung für diese Diskrepanz (siehe Mugdan, Materialien III, S.  673) rechtspolitisch hinterfragen kann (siehe etwa Probst, AcP 196 (1996), 225, 233–234), ändert daran nichts. 897 

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giert.905 Die Unterscheidung zwischen Kenntnis und Kennenmüssen ist jedenfalls im Gesetz angelegt. Sie kann auch im Kontext von §  819 Abs.  1 BGB nicht einfach ignoriert werden. Es begegnet daher gleichermaßen Bedenken, dem Bereicherungs­ schuldner aus der ursprünglichen Sonderverbindung zum Leistenden eine Pflicht zur Überprüfung des Rechtsgrundes aufzuerlegen, für deren Verletzung er nach §  280 Abs.  1 BGB haften soll.906 Es bleibt wiederum nur, den Schwierigkeiten, die mit dem subjektiven Tatbestandsmerkmal der Kenntnis generell einhergehen, mit dem allgemeinen Instrumentarium zu begegnen. bb) Erleichterungen der Kenntnisfeststellung Auf die zur Verfügung stehenden Werkzeuge ist schon im Zusammenhang mit §  407 BGB hingewiesen worden.907 Insbesondere kann den Bereicherungsschuldner im Einzelfall der Vorwurf treffen, sich der Einsicht in die Rechtslage missbräuchlich verschlossen zu haben.908 Allerdings ist abermals vor einer Überdehnung dieser Fallgruppe zu warnen.909 Gerade wenn eine „Rechtsblindheit“ des Kondiktions­ schuldners gleichgestellt wird,910 verschwimmen die Grenzen zwischen einer be­ wussten Vereitelung der eigenen Kenntnisnahme (im Sinne von §  162 Abs.  1 BGB) und einer Kenntnisobjektivierung in Fällen der Evidenz.911 Es entsteht eine bedenk­ liche Annäherung an die Fahrlässigkeitstatbestände.912 Eine objektive Evidenz ließe sich allenfalls beweisrechtlich berücksichtigen.913 So finden sich Stellungnahmen, die in der Sache eine Art Anscheinsbeweis für die Rechtskenntnis bemühen.914 Auch 905  Martinek, JZ 1996, 1099, 1101, bezieht sich auf den verkürzt formulierten Leitsatz bei OLG Hamm, Urt. v. 27.5.1977 – 11 U 56/77, NJW 1977, 1824; die Entscheidung lässt sich vielmehr auch in Richtung eines Rückgriffs auf die Fallgruppe des „Sichverschließens“ deuten, vergleiche auch Schrader, Wissen, S.  261 Fn.  207. 906  So vorgehend aber v. a. BGH, Urt. v. 29.5.1978 – II ZR 166/77, BGHZ 72, 9 = NJW 1978, 2149, 2151 (Kontrollpflicht des Bankkunden bei irrtümlicher Gutschrift); dagegen zu Recht Reuter/­Martinek, Bereicherung, §  18 II 2 e, 649–650; Schwab, in: MüKo-BGB, §  819 Rn.  14. Der gleichen Kritik (Lorenz, in: Staudinger, §  819 Rn.  6; Schrader, Wissen, S.  259–260) sieht sich auch der vermittelnde Ansatz von Probst, AcP 196 (1996), 225, insb. 239, 250, 253, ausgesetzt, der sich auf typisierte Sonderverbindungen beschränkt. 907  Siehe oben a) bb) (2). 908  BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2653; BGH, Beschl. v. 12.11.2009 – V ZR 76/09, BeckRS 2009, 88695 Rn.  4 –5; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27, 29; BGH, Urt. v. 16.1.2018 – VI ZR 474/16, NJW 2018, 1602, 1605 Rn.  32; Lorenz, in: Staudinger, §  819 Rn.  6; Schwab, in: MüKo-BGB, §  819 Rn.  2. 909  Bedenklich weit etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2012 – 16 U 159/11, BeckRS 2012, 16339 (verlangt dem Bereicherungsschuldner ab, bei erkannter Unsicherheit die Rechtslage zu prüfen). 910  So etwa bei Probst, AcP 196 (1996), 225, 253; siehe auch Martinek, JZ 1996, 1099, 1101. 911  Siehe auch Buck, Wissen, S.  92. 912 Zutreffend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  260. 913  Siehe allgemein zur Rechtskenntnis Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2642; so auch die Einord­ nung von Buck, Wissen, S.  93. 914  In diese Richtung etwa OLG Köln, Urt. v. 19.12.1985 – 12 U 102/85, NJW 1986, 1350, 1354 („ist davon auszugehen, daß der Bekl., einer großen Teilzahlungsbank, die neueste Rechtspre­ chung des BGH zur Sittenwidrigkeit von Teilzahlungsverträgen stets alsbald bekannt gewesen ist“); ähnlich (aber im Ergebnis offenlassend) OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2009 – 30 U 182/08,

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im Rahmen der sonstigen Beweiswürdigung lässt sich im Einzelfall aus dem Verhal­ ten des Betroffenen auf Rechtskenntnis schließen.915

IV. Berücksichtigung der Schadensvermeidbarkeit für den Gläubiger Im Zusammenhang mit der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung wurde aus­ führlich untersucht, inwieweit der Umstand, dass der Putativschuldner für die Schadensentstehung mitverantwortlich war, haftungsmindernd zu berücksichtigen sein kann.916 Betreffend die Haftung für die irrtümliche Verteidigung ließen sich theoretisch vergleichbare Überlegungen anstellen. Dabei sind nicht die Fälle ge­ meint, in denen dem Gläubiger vorzuwerfen ist, die Rechtserkenntnis des Schuld­ ners behindert bzw. nicht gefördert zu haben.917 Vielmehr geht es um hypothetische Verhaltensweisen des Gläubigers, mit denen dieser bei hinreichender eigener Rechts­ erkenntnis den Schadenseintritt nach der unberechtigten Weigerung des Schuldners hätte verhindern können. Man könnte vor allem an den Vorwurf denken, der Gläu­ biger habe seine eigene Berechtigung erkennen und den Anspruch so rasch verwirk­ lichen können, dass sich die Verzugsschäden in Grenzen gehalten hätten. Dem Gläubiger würde damit angelastet, auf die frühzeitige Vollstreckung bzw. Sicherung gegen den säumigen Schuldner verzichtet zu haben. Ein solches Vorgehen wird aller­ dings von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO gerade mit einer strengen Haftung bedroht. Für den Gläubiger bedeutete es daher eine Zumutung, wenn die an den Tag gelegte Zu­ rückhaltung einen Mitverschuldenseinwand begründen würde.918

V. Abschließende dogmatische Verortung der Irrtumsberücksichtigung einschließlich Beweisüberlegungen Bei den bisherigen Überlegungen zur Be- bzw. Entlastung des über seine Leistungs­ pflicht irrenden Schuldners ist die Frage nach der genauen dogmatischen Verortung zum Teil noch offengelassen worden. Nachdem sämtliche Voraussetzungen der Nachteilszuweisung betrachtet worden sind, lässt sich die Einordnung nun nach­ holen. Dabei bereiten weniger §§  407 Abs.  1, 819 Abs.  1 BGB Probleme, bei denen BeckRS 2010, 8384 („dass […] der Beklagte als Jäger die allgemeine Kenntnis hatte, dass Jagd­ pachtverträge schriftlich geschlossen werden müssen“). Gerade in Konstellationen der Sittenwid­ rigkeit könnte auf einen Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden, statt auf das problematische „Sichverschließen“ abzustellen, so etwa beim Vollmachtsmissbrauch (siehe zu solchen Fällen BGH, Beschl. v. 12.11.2009 – V ZR 76/09, BeckRS 2009, 88695 Rn.  4 –5; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27, 29). 915 Vergleiche Lorenz, in: Staudinger, §  819 Rn.  6; Probst, AcP 196 (1996), 225, 228; Schmidt-­ Kessel/Hadding, in: Soergel, §  819 Rn.  3; Schreiber, JuS 1978, 230, 230. Z. B. können Schlüsse aus der Korrespondenz der Parteien gezogen werden, siehe OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.8.2013 – II-3 UF 92/13, FamRZ 2014, 566, 567. 916  Oben §  9 C. VI. 917  Dazu oben II. 6. e) und III. 3. a). 918 Vergleiche für die umgekehrte Konstellation (Mitverschulden des Putativschuldners im Rahmen der Putativgläubigerhaftung) bereits andeutungsweise oben §  9 C. V. 2.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

eindeutig am Kenntnismerkmal anzusetzen ist.919 Noch nicht endgültig entschie­ den wurde dagegen über die dogmatische Konstruktion, welche der im Regelfall vorzugswürdigen strengen Linie zugrunde liegt. Bei der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung ist umstritten, ob die gebote­ ne Entlastung des Putativgläubigers dadurch zu verwirklichen ist, dass bereits das Vorliegen einer Pflichtverletzung verneint wird.920 Die Lage stellt sich bei der un­ berechtigten Verteidigung nur insoweit parallel dar, wie die Tatbestände der §§  281, 286 BGB nicht erfüllt sind und lediglich eine Rücksichtnahmepflichtverletzung in Betracht kommt.921 Sobald hingegen an die Nichterfüllung einer erfolgsbezogene­ nen Leistungspflicht angeknüpft wird, lässt sich am Vorliegen einer Pflichtverlet­ zung nicht rütteln.922 Es bleibt dann nur das Merkmal des Vertretenmüssens (§§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB), um über die Entlastung des irrenden Schuld­ ners zu befinden. Für das Konzept der strengen Schuldnerhaftung kommen drei verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht: die Annahme von Eventualvorsatz (dazu 1.), die Einbettung in eine Fahrlässigkeitsprüfung (dazu 2.) sowie der Rück­ griff auf ein verschuldensunabhängiges Vertretenmüssen (dazu 3.). 1. Vorsatz Vereinzelt wird versucht, die strenge Linie weitgehend als eine Haftung für beding­ ten Vorsatz zu deuten. Namentlich Ulrich Huber hat herausgestellt, dass einem Schädiger, der mit dem Schadenseintritt rechnet, in anderen Zusammenhängen Eventualvorsatz attestiert werde; folglich sei auch hier bedingter Vorsatz anzuneh­ men, solange der Schuldner nicht von einer sicheren Erfolgsaussicht seiner Verwei­ gerung überzeugt sei.923 Verweisen lässt sich dafür auf ein Urteil des Reichsgerichts, das dem im Rechtszweifel befindlichen Schuldner bedingten Vorsatz bescheinig­ te.924 Auch Jörg Mayers Ansatz, Rechtsirrtum und Rechtszweifel streng zu tren­ nen,925 könnte so zu interpretieren sein, dass bei Letzterem die Vorsatzgrenze über­ schritten sei.926

919 

Zu den damit einhergehenden Besonderheiten siehe II. 6. b) bb), c), III. 5. a) bb), b). §  9 C. VI. 921  Dazu oben II. 3. 922  Deutlich etwa Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 811; Derkum, Folgen, S.  70–73; Häublein, PiG 97 (2014), 35, 44; zum Arbeitsrecht siehe BAG, Urt. v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323, 1325 Rn.  32; BAG, Urt. v. 19.1.2016 – 2 AZR 449/15, NZA 2016, 1144, 1146 Rn.  29 (Vorliegen einer Pflichtverletzung richtet sich allein nach der objektiven Rechtslage). 923  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  721–722. 924  RG, Urt. v. 23.6.1933 – II 34/33, RGZ 141, 266, 276; daran knüpft U. Huber, Leistungs­ störungen I, S.  722 an. 925  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  15–18; siehe dazu schon §  4 C. IV. 926  So jedenfalls auch die Deutung von Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 928 Fn.  116. 920 

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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Die Annahme von Eventualvorsatz ist in der Rechtsprechung vereinzelt geblie­ ben.927 Der BGH verortet die Problematik offenbar bei der Fahrlässigkeit.928 Im Schrifttum wird die Bejahung von Vorsatz mit dem Argument kritisiert, der unsi­ chere Schuldner hoffe gerade auf einen glücklichen Ausgang.929 Diese pauschal anmutende Einschätzung begegnet ihrerseits Vorbehalten. Es erscheint ohne Wei­ teres denkbar, dass ein Schuldner die Gefahr eines Unterliegens in der Sache als real (eventuell gar als überwiegend) ansieht, aber (etwa aus ökonomischen Erwägun­ gen930) sehenden Auges das mit der Leistungsverweigerung verbundene Risiko eingeht. Hier wird man kaum sagen können, er habe die Pflichtverletzung nicht billigend in Kauf931 genommen. Entsprechende Regelvermutungen zum Vorstel­ lungsbild des Schuldners erscheinen angesichts dessen verfehlt.932 Man mag sich nun an einem „toten Punkt“ wähnen933 und meinen, wenn ohne­ hin eine normative Abgrenzung nötig sei, könne diese ebenso ausschließlich unter Fahrlässigkeitsgesichtspunkten erfolgen.934 Im Normalfall ist es für §§  280 ff., 276 Abs.  1 BGB tatsächlich gleichgültig, ob Vorsatz oder nur Fahrlässigkeit vorliegt.935 Sofern der Schuldner subjektiv von seiner Berechtigung überzeugt ist, ist ein Um­ schwenken auf die Fahrlässigkeit ohnehin unausweichlich.936 Doch bleibt die Fra­ ge, ob Vorsatz vorliegt, zumindest für Ausnahmefälle bedeutsam, vor allem wenn entsprechende Haftungsbeschränkungen vereinbart sind (siehe §  276 Abs.  3 BGB). Der Annahme von Vorsatz lässt sich jedenfalls nicht entgegenhalten, durch die erforderliche normative Beurteilung werde die Rechtsirrtumsdoktrin „fast kontu­ renlos“.937 Die als Beleg angeführten Fälle einer Entlastung des Schuldners bei beson­ ders zweifelhafter Rechtslage führen auch dann, wenn man sich von der Frage der Fahrlässigkeit her nähert, zu – vermeidbaren938 – Abgrenzungsschwierigkeiten.939 927  Im Fall von RG, Urt. v. 23.6.1933 – II 34/33, RGZ 141, 266, 276, mag dem Gericht eine Haf­ tung besonders gerecht erschienen sein, weil die Verpflichtung des Schuldners unstreitig war und Zweifel nur die Wirksamkeit einer dagegen gerichteten Aufrechnung betrafen. 928  Vergleiche BGH, Urt. v. 18.1.2011 − XI ZR 356/09, NJW 2011, 1063, 1065 Rn.  31 (zur An­ spruchsberühmung); dies ebenso deutend Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 930. 929  Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  168. 930  So insb. wenn eine Ersatzpflicht nur in geringer Höhe droht, während der Nutzen für den Schuldner hoch ist. Hinzu kommen ggf. verhaltensökonomisch relevante Faktoren wie eine Ver­ lustaversion, die zum Behalten der umstrittenen Rechtsposition führen, siehe näher unten §  15 A. II. 1. b) bb) mit Fn.  4 4. 931  So die übliche Anforderung an bedingten Vorsatz, siehe nur BGH, Urt. v. 19.12.2017 – VI ZR 128/16, NJW 2018, 1751, 1752 Rn.  13; Schulze, in: Hk-BGB, §  276 Rn.  9. 932  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 928. 933  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 928; ähnlich Haertlein, Exekutionsintervention, S.  396. 934 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 930; ähnlich schon Harnos, Geschäftsleiterhaf­ tung, S.  242. 935 Siehe U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  723. 936  Das muss auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  723, eingestehen; siehe auch Damler/ Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 928; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  395. 937  So aber Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 929. 938  Vergleiche oben II. 5. b) aa) (3). 939 Auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 930, greifen letztlich zu einer normativen Ab­ grenzung – nur dass diese am Fahrlässigkeitsmerkmal anknüpft.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Für die vollständige Verlagerung in die Fahrlässigkeitskategorie lässt sich eher an­ führen, dass bei einer Annahme von Eventualvorsatz die gebotenen Ausnahmen zur strengen Linie keine Berücksichtigung finden könnten.940 Die Problematik könnte sich zudem über Umwege im Rahmen der regulären (strengen) Haftung niederschlagen. Hier soll der Schuldner immerhin dann Entlas­ tung erfahren, wenn er sich seiner Rechtsposition praktisch sicher sein durfte, weil er die zur Zeit der Leistungsverweigerung noch etablierte höchstrichterliche Recht­ sprechung auf seiner Seite wusste.941 Allerdings ist der Schuldner darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass ihn kein Vertretenmüssen bzw. Verschulden traf (§§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB).942 Die objektive Eindeutigkeit seiner Erfolgsaussich­ ten bereitet dabei als Nachweisgegenstand keine Schwierigkeiten.943 Ein Fahrläs­ sigkeitsvorwurf ließe sich daher entkräften.944 Wollte man hingegen beim Handeln in subjektiver Ungewissheit Eventualvorsatz bejahen, brächte dies den Schuldner potenziell in Beweisschwierigkeiten. Er muss laut Auffassung des BGH nämlich nach §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB auch darlegen und gegebenenfalls nachwei­ sen, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben.945 Dazu müsste er behaupten, dass er die objektiv eindeutig zu seinen Gunsten sprechende Rechtslage auch subjektiv so wahrgenommen hat. Im Bestreitensfall hätte er zu beweisen, dass er in Kenntnis der ihm günstigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gehandelt hat. Das wird ihm – möchte man nicht die Beweisanforderungen insgesamt absenken946 – in der Regel nur dann gelingen, wenn er auf eine entsprechend protokollierte rechtliche 940  In diese Richtung Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 928 Fn.  118. Dies betrifft nach dem vorliegend vertretenen Konzept (nur) die unter II. 6. umschriebenen Fallgruppen, in denen der Schuldner bereits dann entlastet ist, wenn er die Leistung auf Grundlage einer vertretbaren, höchstrichterlich nicht verworfenen Rechtsauffassung verweigert. 941  Oben II. 5. b) aa). 942  Zu §§  280 Abs.  1 S.  2 , 286 Abs.  4 BGB siehe nur Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  179 m. w. N. Gleiches gilt für andere der hier behandelten Nachteilstatbestände, siehe Blank, in: Schmidt-Futterer, §  573 BGB Rn.  41 m. w. N.; Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  85. Dies wird auch speziell mit Blick auf einen entlastenden Rechtsirrtum so formuliert, siehe BAG, Urt. v. 16.9.­ 2008 – 9 AZR 781/07, BAGE 127, 353 = NZA 2008, 1285, 1289 Rn.  47; BAG, Urt. v. 26.1.2011 − 4 AZR 167/09, NZA-RR 2011, 531, 536 Rn.  49–50; Ernst, a. a. O., §  286 Rn.  124. 943  Vergleiche dazu §  7 C. IV. und §  9 C. VI. 2. 944  Dies gilt zumindest unter der (zutreffenden) Prämisse, dass kein eigenständiger Fahrlässig­ keitsvorwurf an das Unterlassen einer (objektiv unnützen) Expertenkonsultation geknüpft wird (dazu III. 2. a) dd)), vergleiche RG, Urt. v. 6.4.1932 – I 262/31, SeuffA 86 (1932) Nr.  110, S.  199, 201. 945  Die Beweislastumkehr gelte auch hinsichtlich der Frage, ob Vorsatz vorlag, siehe BGH, Urt. v. 12.5.2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298, 2299 Rn.  17; BGH, Urt. v. 24.3.2015 – XI ZR 278/14, NJW-RR 2015, 1076, 1077 Rn.  17. Die Entscheidungen betrafen §  37a WpHG a. F. Diese Sonderverjährungsvorschrift für Ansprüche wegen Beratungspflichtverletzungen sollte demjeni­ gen nicht zugute kommen, der vorsätzlich gehandelt hatte, Begr. RegE 3. FMFG, BT-Drs. 13/8933, 97; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – XI ZR 204/12, NJW 2013, 3574, 3577 Rn.  35 m. w. N. 946  Zu §  37a WpHG a. F. (vergleiche dazu die vorangegangene Fn.) zeigten sich die Gerichte mitunter bereit, den objektiven Stand der Rechtsprechung im Beratungszeitpunkt im Ergebnis gegen eine Annahme von Vorsatz zu berücksichtigen, etwa OLG München, Urt. v. 18.6.2014 – 7 U 328/13, BeckRS 2014, 12565; OLG Köln, Urt. v. 11.11.2015 – 13 U 159/13, BeckRS 2015, 19636 Rn.  28, 32; LG Köln, Urt. v. 1.9.2016 – 15 O 550/14, BKR 2016, 519, 522–523 Rn.  43–46.

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Beratung verweisen kann.947 Dagegen dürfte ein Anscheinsbeweis für subjektive Gewissheit in der Regel ausscheiden.948 Es erscheint nämlich erstens nach der Le­ benserfahrung keineswegs ausgeschlossen, dass eine Leistungsverweigerung auch dann erfolgt, wenn aus subjektiver Sicht die eigene Position nicht als sicher, sondern beispielsweise nur als gut eingeschätzt wird – unter solchen Umständen drohte ge­ gebenenfalls die Annahme von Eventualvorsatz. Zweitens dürfte sich zumindest bei Laien selten ein Erfahrungssatz aufstellen lassen, dass eine bestimmte Recht­ sprechungslinie bekannt ist.949 Der Schuldner könnte daher vielfach den Nachweis eines unvorsätzlichen Handelns selbst dann nicht führen, wenn er nach damals ­aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung eindeutig im Recht schien und eine Fahrlässigkeitshaftung ausscheidet. Die beschriebenen Beweisschwierigkeiten würden effektiv die Gewährung von einfachrechtlichem Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen verhindern. In der allgemeinen Diskussion zum Um­ gang mit Judikaturwenden im Privatrecht wird dies erkannt: Verlangte man eine konkrete Vertrauensinvestition, drohte deren Nachweis an den prozessualen Hür­ den zu scheitern.950 In den vorliegend betrachteten Fällen wäre dieses Beweis­ problem entschärft, wenn bei einfacher Rechtsungewissheit kein Eventualvorsatz angenommen würde. Hingewiesen wird ferner darauf, dass die Bejahung von Vorsatz bei Rechtszwei­ feln ausgerechnet zum Nachteil desjenigen wirke, der sich immerhin Gedanken mache.951 Dabei handelt es sich freilich um ein Problem, das sämtlichen Vorsatzbzw. Kenntniserfordernissen inhärent ist: Stets droht der Uninformierte gegenüber dem um Aufklärung Bemühten bevorzugt zu werden.952 Ein überzeugenderes Ar­ gument gegen die Bejahung von Eventualvorsatz liefert der Gedanke, dass der Schuldner sich mit der Verfolgung eines vertretbaren Rechtsstandpunkts nicht be­ wusst über das Recht hinwegsetze.953 Diese Sichtweise läuft auf eine teleologische Einschränkung der herkömmlichen Definition von Eventualvorsatz hinaus. Ihr Charme liegt nicht zuletzt darin, dass sie inzident den möglichen Beitrag aner­ kennt, den der Anspruchsgegner durch das Vorbringen einer vertretbaren, aber nicht höchstrichterlich beurteilten Rechtsansicht für die Konkretisierung und Fortbildung des Rechts leistet. Zwar soll er dies nach der gesetzlichen Wertung ei­ gentlich nicht aus der Schuldnerposition heraus tun.954 Doch erscheint es ausrei­ 947  Vergleiche zum Nachweis des Vertrauens bei Rechtsprechungsänderungen Langenbucher, JZ 2003, 1132, 1136. 948  Zu dieser Figur und ihren Voraussetzungen näher §  13 C. III. 2. c) bb) (vor (1)). 949  Vergleiche auch unten §  13 C. III. 2. c) bb) (2). 950 Siehe etwa Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.   380; Langenbucher, JZ 2003, 1132, 1136; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 208. Höpfner, RdA 2006, 156, 157, möchte das Problem durch eine Art Beweislastumkehr lösen. 951 So Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  2 21, 228, 239–242. 952  Vergleiche etwa oben II. 6. c) aa) mit Fn.  518 zu entsprechender Kritik im Rahmen von §  819 Abs.  1 BGB. Zu Möglichkeiten, dem zu begegnen, siehe III. 5. a) bb) (2), b) bb). 953  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  396; ähnlich OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 11.12.2012  – 10 U 42/12, BeckRS 2013, 22583. 954  Siehe oben II. 2. b)–c). Deshalb ist die bei Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  241–242, zu­

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chend, das Versäumnis, die (Kondiktions-)Gläubigerrolle einzunehmen, mit einer Fahrlässigkeitshaftung zu sanktionieren. Der schärfere Vorsatzvorwurf ist nicht gerechtfertigt. 2. Fahrlässigkeit Eine Umsetzung der strengen Linie ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeit möglich. Im Rahmen der (normativen955) Bestimmung der verkehrs­ erforderlichen Sorgfalt im Sinne des §  276 Abs.  2 BGB lassen sich die Wertungen aufnehmen, die auf Ebene des Erkenntnisgrades für maßgeblich erachtet wurden. Sorgfaltsgemäß handelt der an seiner Verpflichtung zweifelnde Schuldner im Re­ gelfall nur dann, wenn er die Leistung vorsorglich erbringt. Auch die anzuerken­ nenden Ausnahmen956 lassen sich entsprechend berücksichtigen. Ferner lässt sich in eine Prüfung nach §  276 Abs.  2 BGB die Mehrzahl der Aspekte integrieren, die unter dem Stichwort der „Substitution durch Vorwerfbarkeit“ behandelt wur­ den.957 Wer das in seinem Verkehrskreis übliche Maß an Rechtskenntnis vermissen lässt, handelt ebenso sorgfaltswidrig wie derjenige, der den erkennbar unplausiblen Ausführungen seines Rechtsberaters blind folgt. Die Zurechnung von Beraterfeh­ lern ist auf Basis einer Fahrlässigkeitsprüfung ebenfalls möglich (§§  276, 278 BGB). Fraglich erscheint die Berechtigung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs jedoch mit Blick auf die vorherrschende Annahme, dem Schuldner gereiche es stets zum Nach­ teil, wenn er auf die Mandatierung eines Beraters verzichtet hat, der ihm nach ge­ wissenhafter Prüfung die schädliche Rechtseinsicht vermittelt hätte.958 Hier hat in der Tat einmal die Sorge um die Wahrung des Verschuldensprinzips ihre Berechti­ gung.959 In die herkömmliche Verschuldensdogmatik fügte sich eine pauschale Konsultationspflicht schlecht ein. Insbesondere fehlt jegliche Berücksichtigung des Verhältnisses von drohendem Schaden und Vermeidungsaufwand.960 Die von §  276 Abs.  1 S.  1 BGB eröffnete Möglichkeit einer strengeren Haftung als derjenigen für Vorsatz und Fahrlässigkeit belegt im Umkehrschluss gerade, dass eine grenzenlose Ausdehnung des Fahrlässigkeitsbegriffs kaum im Sinne des Gesetzes sein kann. 3. Sonstiges Vertretenmüssen Es fragt sich daher, ob die pauschale Konsultationspflicht nicht dogmatisch stim­ miger unter dem Aspekt des verschuldensunabhängigen Vertretenmüssens aufzu­ greifen ist. Pate stehen könnte die Behandlung, die ein Schuldner bei der Nichter­ grunde gelegte Gleichstellung von Angriffs- und Verteidigungskonstellationen nicht unproble­ matisch. 955  Siehe nur Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  60; Schulze, in: Hk-BGB, §  276 Rn.  15. 956  Dazu ausführlich II. 6. 957  Dazu III. 958  Siehe dazu III. 2. a) aa) m. w. N. 959  Vergleiche dazu v. a. oben II. 2. d) dd). Siehe auch schon die entsprechenden Bedenken bei §  9 IV. 5. a) bb) (5). 960  Vergleiche §  9 IV. 3. b) und insb. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  60–62.

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füllung von Geldschulden erfährt.961 Unter dem griffigen Motto „Geld hat man zu haben“962 wird anerkannt, dass der Schuldner ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen habe.963 In Parallele hierzu lässt sich fordern: „Rechtskenntnis hat man – unter Rückgriff auf Intermediäre – zu haben.“ Hier wie dort liegt ein entscheidender Vorzug darin, dass das Gericht von einer aufwändigen Feststellung der Fahrlässigkeit befreit wird.964 Für die Anerken­ nung eines solchen Vertretenmüssens lässt sich vor allem auf die in den Motiven geäußerte Vorstellung verweisen, „daß in Ansehung der Rechtsnormen einem je­ den ein meist zum Ziele führender Weg zur Erkenntnis gewiesen ist“.965 Der da­ nach verbleibende Bereich einer Entschuldbarkeit966 kann vor allem auf Ebene des Erkenntnisgrades (Stichwort: Rechtsprechungsänderungen), in der denkbaren Be­ achtlichkeit günstiger „amtlicher“ Äußerungen bzw. einer Verantwortlichkeit des Gegners sowie in der Gewährung einer Prüfungsfrist erblickt werden.967 Das Ver­ schulden wird somit für die Rechtsirrtumshaftung nicht insgesamt obsolet. Viel­ mehr geht es ausschließlich darum, die abstrakt eröffneten Möglichkeiten zur Ein­ holung von Rechtsrat stets – das heißt gelöst von den Einzelfallumständen – in die Prüfung einzustellen. Von einer echten Garantiehaftung kann keine Rede sein. In diesem Punkt unterscheidet sich das hier verfolgte Konzept von dem bereits geschilderten Ansatz Häubleins. Auch dieser hat vorgeschlagen, sich im Bereich der Verzugshaftung vom Verschulden zu lösen und das sonstige Vertretenmüssen stärker fruchtbar zu machen.968 Er geht dabei aber offenbar von einer pauschalen Zuweisung des Rechtsirrtumsrisikos, beispielsweise auch in Fällen der plötzlichen Rechtsprechungsänderung, aus.969 Dem ist nicht zu folgen.970 Ansonsten drohte tatsächlich eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung des Rechtsirrtums im Ganzen. Formuliert man präzise, hat der Schuldner nicht Rechtskenntnis „zu ha­ ben“, sondern sind ihm lediglich die rechtlichen Erkenntnisse eines gewissenhaft arbeitenden Rechtsanwalts zu unterstellen.971 Überdies ist zu beachten, dass Häubleins Rückgriff auf das Vertretenmüssen vor dem Hintergrund der Zurech­ 961 

Auf diese Parallele weist Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49, ausdrücklich hin. Siehe nur Ernst, in: MüKo-BGB, §  275 Rn.  13; Riehm, in: BeckOGK, §  275 BGB Rn.  29. 963  Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 132; BGH, Urt. v. 28.2.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92 = NJW 1989, 1276, 1278 m. w. N.; BGH, Urt. v. 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296, 1297 Rn.  18. 964  Darin den „wahre[n] Grund“ hinter der Einstandspflicht für die eigene Zahlungsfähigkeit erkennend Kötz, JuS 2018, 1, 6; siehe zu diesem Vorzug im Zusammenhang mit der Annahme ei­ ner pauschalen Konsultationspflicht bereits §  9 IV. 5. a) bb) (3) (c). 965  Mot. I, 281; dazu §  5 A. 966 Auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  705, betont unter Verweis auf diese Passage, eine Garantiehaftung für Rechtsirrtümer sei vom BGB nicht gewollt. 967  Dazu II. 5. b) aa), III. 3., 4. 968  Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49; Häublein, in: MüKo-BGB, §  571 Rn.  5, §  573 Rn.  81; siehe bereits B. I. 3. 969  Das ergibt sich im Gegenschluss aus der Ablehnung eines Verschuldens, wenn die Höchst­ gerichte die Rechtslage bis dahin ebenfalls verkannt haben, bei Häublein, PiG 97 (2014), 35, 46. 970  Siehe bereits C. I. 2. 971  Näher unten §  16 B. II.–III. 962 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

nungsproblematik erfolgt. Er hängt der Mindermeinung an, die Fehler des Beraters nach §  278 BGB nicht zurechnen möchte.972 Dies gleicht er sodann durch die Zu­ weisung des Rechtsirrtumsrisikos im Rahmen des Vertretenmüssens aus. Dabei handelt es sich um eine vom Gesetz nicht gedeckte „Überkompensation“, der es mit Blick auf die Zurechnung nicht bedarf: Über §  278 BGB lassen sich befriedigende und dogmatisch überzeugende Ergebnisse erreichen.973 Das im Deliktsrecht beste­ hende Zurechnungsproblem974 vermag hingegen auch der Rückgriff auf das Ver­ tretenmüssen nicht zu lösen, weil §  823 BGB (mindestens) Fahrlässigkeit voraus­ setzt. Während sowohl Anlass als auch Ausmaß von Häubleins Neukonzeption kri­ tisch zu sehen sind, verdient die Grundidee, wie zuvor ausgeführt, Zustimmung. Der Rückgriff auf das verschuldensunabhängige Vertretenmüssen vermag auch schlüssig zu erklären, warum die herrschende Meinung im Kontext der §§  280, 286 BGB von einer Konsultationspflicht des Schuldners ausgeht, bei §  372 BGB hinge­ gen eine solche generelle Pflicht ablehnt.975 §  372 S.  2 Var.  2 BGB stellt nämlich aus­ drücklich auf Fahrlässigkeit ab. Auch im Bereich der Vertragslösungsrechte gilt die Konsultationspflicht, soweit ein Verschulden zur Voraussetzung erhoben wird, nicht uneingeschränkt, sondern nur, wo nach den üblichen Fahrlässigkeitsmaß­ stäben die Einholung von Rechtsrat erforderlich scheinen muss.976 Durch die vor­ geschlagene Unterscheidung wird ein graduell stärkerer Schutz für den in recht­ licher Hinsicht irrenden Mieter geschaffen.

D. Fazit Der Schuldner, der sich im Rechtsirrtum über seine Verpflichtung befindet und sich einem bestehenden Anspruch widersetzt, haftet grundsätzlich immer schon dann, wenn das Bestehen der Verbindlichkeit nicht bei objektiv-fachkundiger Be­ trachtung praktisch ausgeschlossen erschien. Dies hat zwei wesentliche Gründe: Erstens ist im Rahmen des Vertretenmüssens, in Anbetracht der verfügbaren Mög­ lichkeiten zur Rechtserkundigung, stets die Erkenntnis zu unterstellen, die bei Be­ fragung eines gewissenhaften Rechtsberaters gewonnen worden wäre – eine gleich­ wohl bestehende subjektive Unkenntnis wird also durch ein „Kennenkönnen“ er­ setzt. Zweitens ist auf Ebene des Erkenntnisgrades der strengen Linie zu folgen, die im Kern auch der BGH vertritt: Wenn der Schuldner eine Leistungspflicht nicht 972 

Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  81 (siehe schon oben III. 2. b) aa)). Oben III. 2. b) bb). 974  Dazu §  9 C. IV. 5. b) bb), cc) (3). 975  Siehe dazu oben III. 5. a) aa) (2) (a). 976  Bei Kündigungstatbeständen, die ihrerseits an ein Vertretenmüssen anknüpfen (z. B. bei §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB: Verzug), erlangt der Schuldner hingegen keinen Vorteil. Mit Blick auf die Einstandspflicht für die eigene Zahlungsfähigkeit ergibt sich eine vergleichbare Unterschei­ dung, siehe BGH, Urt. v. 13.4.2016 – VIII ZR 39/15, NJW-RR 2016, 849, 850 Rn.  17. Auf die Pa­ rallele weist auch Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49–50, hin. 973 

§  11 Nachteil durch Ersatzhaftung bzw. durch Lösungsrechte des Vertragspartners

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erfüllt, trägt er den Streit aus einer vergleichbaren Position heraus aus wie ein Gläu­ biger, der sich den streitbefangenen Gegenstand durch vorläufige Vollstreckung bzw. einstweiligen Rechtsschutz sichert. Ein solches Vorgehen führt, wenn sich später das Fehlen des Anspruchs herausstellt, zu einer strengen Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO. Die aus diesen Vorschriften sprechende Wertung ist daher grundsätzlich auf die Schuldnerhaftung zu übertragen. Ausnahmen sind vor allem im Fall der Ungewissheit über den Gläubiger, bei der bereicherungsrechtlichen Haftung und im Fall der Pflichtenkollision anzuerkennen. Wenn die Verzugshaftung des Schuldners als Paradigma der Rechtsirrtumsdog­ matik verstanden wird,977 so ist dies nach dem Gesagten mit Vorbehalten zu verse­ hen. Rechtsirrtumsspezifisch ist vornehmlich die Vorwerfbarkeitsprüfung mitsamt der Konsultationspflicht. Die strenge Haftung des nichtleistenden Schuldners im Fall der ungewissen Leistungspflicht ist dagegen gerade nicht auf Fälle des Rechts­ irrtums beschränkt. Wie auch bei §§  717 Abs.  2, 945 ZPO ist grundsätzlich kein Unterschied zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern zu machen. Wegen des Rückgriffs auf die in diesen Vorschriften verkörperte Wertung taugt die Verzugs­ haftung zudem nur bedingt als Vorbild für die Behandlung von Rechtsirrtümern in anderen Zusammenhängen. Insbesondere hat sich gezeigt, dass das Verhalten des irrenden Schuldners nicht der strengen Haftung unterfiele, wenn man von der da­ mit einhergehenden Nichtleistung absähe. Die aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO abzulei­ tende Wertung beschränkt sich auf Konstellationen, in denen eine Partei den Streit unter Sicherung der begehrten Rechtsposition führt, aber nach abschließender Be­ wertung im Unrecht war. An einer damit unmittelbar vergleichbaren Ausgangslage fehlt es zum Beispiel beim (Verbots-)Irrtum eines deliktischen Schädigers über die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen. Es erscheint deshalb notwendig, eine stren­ ge Haftung bei zweifelhafter Rechtslage in diesen (von der vorliegenden Untersu­ chung nicht erfassten) Bereichen zumindest durch ergänzende Begründungen ab­ zusichern.978

977 So

Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 909 (siehe schon oben vor A.). etwa die Ansätze von Engert, in: GS Unberath, S.  91, 106–110; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  59. 978  Vergleiche

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast Verteidigt sich der Schuldner aufgrund eines Rechtsirrtums gegen einen bestehen­ den Anspruch, droht neben materiell-rechtlichen Nachteilen auch der Verlust eines über die Frage der Anspruchsberechtigung geführten Prozesses.

A. Nachteilszuweisung Die Lage stellt sich im Ausgangspunkt nicht anders dar als bei der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung.1 Der Umstand, dass der Schuldner im typischen Fall die Rolle des (Leistungs-)Beklagten bekleidet, 2 ändert an der Übertragbarkeit der Ergebnisse im Grundsatz nichts: Der Prozessverlust hat unabhängig von der Rol­ lenverteilung zur Folge, dass die unterlegene Partei die Prozesskosten tragen muss (§  91 Abs.  1 S.  1 ZPO).

B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Eine Befreiung von der Prozesskostenlast kommt, ebenso wie umgekehrt für den erfolglosen Putativgläubiger, nur im Ausnahmefall in Betracht.

I. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern Die §§  91 ff. ZPO folgen im Kern dem Konzept einer reinen Veranlassungshaftung.3 Selbst ein entschuldbarer Rechtsirrtum des unterlegenen Schuldners vermag somit im Grundsatz nichts an der Kostenbelastung zu ändern.

II. Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG Wie bei der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung lässt sich aber erwägen, die unterlegene Partei im Einzelfall immerhin von den Gerichtskosten zu befreien. Ihr Rechtsirrtum könnte als unverschuldete Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse 1 

Dazu oben §  10 A. Zur Orientierung an dieser typischen Rollenverteilung siehe oben §  10 B. III. 1. 3  Siehe §  10 B. I. m. w. N. 2 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

im Sinne von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG eingeordnet werden. Soweit die Vorschrift vor­ aussetzt, dass ein rechtsirrtümlich gestellter Antrag abgewiesen wird, ließe sich möglicherweise an den Klageabweisungsantrag anknüpfen.

III. Gestaltungsinstrument: sofortiges Anerkenntnis, §  93 ZPO Als Beklagter könnte der Schuldner erwägen, den geltend gemachten Anspruch anzuerkennen, um der Kostentragung zu entgehen. Nach §  93 ZPO steht ihm die­ ser Weg offen, wenn er nicht durch sein Verhalten zur Klageerhebung Veranlassung gegeben hat und das Anerkenntnis sofort erfolgt. Die entscheidende Frage lautet somit, ob ein Schuldner, der das Bestehen seiner Verbindlichkeit zunächst rechts­ irrig verkennt, unter bestimmten Umständen keine Veranlassung zur Klage gibt und nach Aufklärung des Irrtums noch sofort anerkennen kann. 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Irrtümern des Beklagten Für eine Klageveranlassung im Sinne von §  93 ZPO soll es nicht auf ein Verschul­ den des Beklagten ankommen.4 Wer Zweifel am geltend gemachten Anspruch hege, handele bei der Verteidigung auf eigenes (Kosten-)Risiko.5 Irrtümer der beklagten Partei sollen zu deren Lasten gehen.6 Es liege im Risikobereich des Beklagten, auf­ grund von Umständen zu unterliegen, die erst während des Rechtsstreits bekannt werden, aber objektiv schon vorher vorlagen.7 Rechtsirrtümer auf Seiten des Be­ klagten führten nicht zum Fehlen der Klageveranlassung.8 2. Ausnahmen bei Rechts- bzw. Rechtsprechungsänderungen Ein Anerkenntnis nach §  93 ZPO wird allerdings für möglich gehalten, wenn die Klage erst im laufenden Verfahren infolge einer Gesetzesänderung schlüssig wird.9 Bei einer nachteiligen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung versagen hingegen manche Instanzgerichte dem Beklagten ein solches Vorgehen.10 Auch der BGH hat im Zusammenhang mit der umgekehrten Konstellation – dem „kläger­ 4  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.10.2017 − 3 W 5/17, BeckRS 2017, 130599 Rn.  12; OLG Stutt­ gart, Beschl. v. 2.5.2012 − 13 W 16/12, NJW-RR 2012, 763; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.10.­ 1981 − 7 W 21/81, JurBüro 1982, 1083, 1084; Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  3; Muthorst, in: Stein/­Jonas, §  93 Rn.  13; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  93 Rn.  5. 5  OLG Köln, Beschl. v. 6.6.1979 – 2 W 71/79, MDR 1979, 941, 942. 6  OLG Hamm, Urt. v. 24.6.1988 – 20 U 228/87, MDR 1988, 971; OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.5.­ 2012 − 13 W 16/12, NJW-RR 2012, 763; siehe auch OLG Köln, Beschl. v. 1.10.1993 − 2 W 138/93, NJW-RR 1994, 767, 767; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  93 Rn.  33. 7  OLG Köln, Beschl. v. 1.10.1993 – 2 W 138/93, NJW-RR 1994, 767, 767. 8  Muthorst, in: Stein/Jonas, §  93 Rn.  13. 9  BGH, Urt. v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 = NJW 1962, 1715, 1718, unter Verweis auf RG, Urt. v. 22.12.1920 – I 258/20, RGZ 101, 162, 165 (dazu schon oben §  10 B. III. 1. zur Erle­ digung aus Klägersicht); eindeutig auch OLG Hamm, Beschl. v. 4.5.2017 – 22 U 137/16, BeckRS 2017, 116567 Rn.  2–3; Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  6.25; Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  99. 10  OLG München, Beschl. v. 20.6.2005 – 19 W 1464/05, BeckRS 2005, 11850; LG Mönchen­ gladbach, Urt. v. 7.1.2015 – 2 S 227/14, Rn.  35, juris.

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast

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feindlichen“ Rechtsprechungswandel – erkennen lassen, dass er bei einer „kläger­ freundlichen“ Judikaturwende den Weg über §  93 ZPO nicht als eröffnet ansähe.11 Diese Sichtweise ist indes nicht unbestritten. Das Musterbeispiel liefert eine Ent­ scheidung des OLG Celle aus dem Jahr 2001.12 Im zugrunde liegenden Verfahren war die Klage nur dann schlüssig, wenn man von einer akzessorischen Haftung der Gesellschafter einer Außen-GbR ausging, was der BGH erst nach Klageerhebung in einem Grundsatzurteil entgegen seiner früheren Linie bejaht hatte.13 Zuvor habe die Beklagte, so das OLG, „nach einhelliger gefestigter Rechtsprechung“ nichts geschuldet.14 Deshalb sei das sofortige Anerkenntnis nach §  93 ZPO möglich gewe­ sen. Andere Gerichte sind dieser Sichtweise gefolgt.15 In der Literatur stößt sie ebenfalls auf Zustimmung.16 3. Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit des Klägers Auch außerhalb der Fälle einer Rechtsprechungsänderung erscheint eine Anwen­ dung von §  93 ZPO zugunsten des irrenden Beklagten nicht vollständig ausge­ schlossen. So wird verbreitet davon ausgegangen, der Beklagte könne noch sofort anerkennen, wenn der Kläger Informationsobliegenheiten,17 die aus dem materi­ ell-rechtlichen Verhältnis zwischen den Parteien folgen, erst verspätet nachkomme, zum Beispiel Nachweise zu seinem Anspruch erst nachträglich vorlege.18 Mitunter heißt es, der Kläger müsse in Ausnahmefällen zur Begründung einer Klageveran­ lassung den Beklagten auf erkennbare Fehlvorstellungen zur „Sach- bzw. Rechts­ lage“ hinweisen.19 Was eine erforderliche Aufklärung über die Rechtslage betrifft, herrscht allerdings Zurückhaltung vor. Der Kläger sei nicht für die Rechtskennt­ 11  BGH, Urt. v. 18.12.2003 – I ZR 84/01, NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II, der das zu §  93 ZPO ergangene Urteil des OLG Celle (dazu in der folgenden Fn.) als andere Ansicht an­ führt. 12  OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris. 13  BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; konkret ging es in der zitierten Entscheidung des OLG Celle um die Frage einer Eintrittshaftung analog §  130 HGB. Diese wurde höchstrichterlich gar erst später bejaht durch BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803 (siehe unten C. I. 2. a) aa) (2) (b)). 14  OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris Rn.  9; dem zustimmend Göertz, in: Baum­ bach/Lauterbach, §  93 Rn.  52 („Rechtsänderung“); Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  6.37. 15  OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1337–1338; AG Bran­ denburg, Urt. v. 30.3.2017 – 31 C 227/16, BeckRS 2017, 105701 Rn.  4 4. 16  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  99; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  16; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  93 Rn.  20. 17  Zutreffend zum Begriff (Abgrenzung zur „Pflicht“) Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  2.1. 18  Eingehend m. w. N. Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 82–85; R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  273–275, 283–285; siehe auch Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  234–235; Muthorst, in: Stein/­Jonas, §  93 Rn.  20. Aus der jüngeren Rechtsprechung etwa OLG Nürnberg, Beschl. v. 1.7.­ 2002 − 4 W 1675/02, NJOZ 2003, 1, 1; KG, Beschl. v. 18.2.2009 – 1 W 37/08, NJW-RR 2009, 1073; zu den Grenzen aber OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.10.2017 − 3 W 5/17, BeckRS 2017, 130599 Rn.  14–16; beachte zur Klage gegen den Haftpflichtversicherer §  119 Abs.  3 VVG (dazu OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2011 − 1 W 61/11, NJW-RR 2012, 808). 19 So Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  25 (Herv. d. Verf.); ähnlich Muthorst, in: Stein/­ Jonas, §  93 Rn.  20.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

nisse des Beklagten verantwortlich.20 In einer bislang offenbar unbeachtet gebliebe­ nen Entscheidung hat es das LG Freiburg abgelehnt, §  93 ZPO zugunsten eines beklagten Mieters anzuwenden, obwohl ihn der klagende Vermieter nicht auf einen denkbaren Rechtsirrtum bezüglich eines Mieterhöhungsverlangens hingewiesen hatte: Es müssten „grundsätzlich die Nachteile einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage denjenigen treffen, der dem Irrtum unterlegen ist“.21 Ausnahmen werden allenfalls im Wettbewerbsrecht anerkannt. Nach einer ge­ bräuchlichen Formel (die mittlerweile auch in §  13 Abs.  2 Nr.  4 UWG Niederschlag gefunden hat) muss eine Abmahnung ihrem Zweck nach die Verletzungshandlung sowie den daraus abgeleiteten Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht klar und eindeu­ tig kennzeichnen.22 Der Abgemahnte müsse erkennen können, „was ihm in tatsäch­ licher und rechtlicher Hinsicht vorgeworfen wird“.23 Vereinzelt wurde dem Abmah­ nenden sogar abverlangt, Rechtsprechung offenzulegen, nach der sein Verlangen be­ gründet sein soll.24 Dies wurde allerdings auf Fälle beschränkt, in denen der Abgemahnte in glaubhafter Weise die Bereitschaft vermittelt hatte, nach Mitteilung der entsprechenden Entscheidungen sofort die begehrte Unterlassungserklärung ab­ zugeben.25 Außerhalb solcher Sonderfälle wird es als ausreichend erachtet, wenn die Abmahnung versucht, die Wettbewerbswidrigkeit einer beanstandeten Werbung „aus unterschiedlichen Rechtsgründen nachzuweisen“.26 Problematisch ist der Fall, dass sich im Ergebnis eine andere als die vom Abmahnenden benannte rechtliche Erwägung als tragend erweist. So wurde eine Klageveranlassung im Sinne von §  93 ZPO verneint, weil der Kläger die Beklagte nicht auf den (letztlich durchgreifenden) Gesichtspunkt der Kartellnichtigkeit hingewiesen hatte, nachdem beide Parteien in der ausführlichen vorprozessualen Korrespondenz diesen Aspekt zunächst nicht be­ achtet hatten.27 Da es sich um eine Rechtsfrage gehandelt habe, die „längst nicht Ge­ meingut des präsenten juristischen Wissens“ sei und ohne näheren Hinweis nur von „Spezialanwälte[n]“ überschaut werden könne, habe der neue Prozessbevollmächtig­ te des (späteren) Klägers der (späteren) Beklagten durch einen entsprechenden Hin­ 20  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  5; auch die Formulierung bei Gierl, in: Hk-ZPO, §  93 Rn.  20 („Kenntnis der klagebegründenden Tatsachen“), könnte einen entsprechenden Gegen­ schluss erlauben. 21  LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 19.10.1989 – 8 T 102/89, WuM 1990, 225, 225–226. 22  Exemplarisch OLG Hamburg, Beschl. v. 23.6.1977 − 3 W 68/77, WRP 1977, 808, 808; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.7.1988 − 3 W 87/88, WRP 1989, 32, 32; LG Freiburg i. Br., Urt. v. 4.1.2013  – 12 O 127/12, BeckRS 2013, 570. 23  OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.3.2015 – 1 W 7/15, MDR 2015, 1154, 1155 (Herv. d. Verf.); ganz ähnlich Achilles, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap.  2 Rn.  22, 29. 24  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.11.1983 – 6 W 127/83, GRUR 1984, 164 – Inhalt der Ab­ mahnung. 25  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.6.1984 − 6 W 45/84, AnwBl 1984, 513. Bei OLG Frank­ furt a. M., Beschl. v. 17.11.1983 – 6 W 127/83, GRUR 1984, 164 – Inhalt der Abmahnung, war dies der Fall gewesen. 26  So bei OLG Hamburg, Beschl. v. 18.7.1988 − 3 W 87/88, WRP 1989, 32, 32. 27  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.1.1981 – 6 W 152/80, JurBüro 1981, 1095, 1095 (zur atypi­ schen [siehe oben A.] Situation einer negativen Feststellungsklage, die in einen Beschluss nach §  91a ZPO mündete, innerhalb dessen der Rechtsgedanke des §  93 ZPO Beachtung fand).

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast

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weis Gelegenheit geben müssen, von ihrer Weigerung abzurücken.28 In eine ähnliche Richtung geht es, wenn festgestellt wird, dass der Gläubiger, der ein wettbewerbs­ widriges Verhalten lediglich unter einem bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt ab­ mahnt, nach §  93 ZPO zur Kostentragung verpflichtet sei, wenn der Schuldner den Anspruch unter einem anderen rechtlichen Aspekt anerkenne.29 Anderswo heißt es allerdings, der Verwarnende solle nicht gezwungen sein, „den behaupteten Wettbe­ werbsverstoß in rechtlicher Hinsicht richtig und umfassend zu qualifizieren“; es müsse dem Verwarnten lediglich möglich sein, „das, was der Verwarner beanstandet, unter den in Frage kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen“.30

IV. Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem Rechtlichen Irrtümern bzw. Zweifeln des Schuldners hinsichtlich der Person des Aktivlegitimierten kommt in materiell-rechtlicher Hinsicht eine Sonderstellung zu.31 Besonderheiten ergeben sich aber auch mit Blick auf die Pflicht zur Tragung der Prozesskosten. 1. §  9 4 ZPO als Ergänzung zum materiell-rechtlichen Schuldnerschutz Der privatrechtliche Schuldnerschutz nach den §§  404 ff. BGB wird im Prozesskos­ tenrecht durch §  94 ZPO ergänzt.32 Betroffen ist die Klage des Zessionars. Soweit sich der beklagte Schuldner dagegen zur Wehr setzt, weil es der Zessionar unterlas­ sen hat, vor Klageerhebung den Anspruchsübergang mitzuteilen bzw. auf Verlan­ gen nachzuweisen, muss der Kläger die resultierenden Prozesskosten tragen. Sofern dies nicht schon – wegen entsprechender Nachweisobliegenheiten des Gläubigers  – aus §  93 ZPO folgt,33 gewinnt §  94 ZPO Bedeutung.34 Die Regelung führt zur voll­ ständigen Kostentragungspflicht des Klägers, wenn der Beklagte sofort nach Klä­ rung der zuvor bestrittenen Sachbefugnis den Anspruch anerkannt hat.35 28  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.1.1981 – 6 W 152/80, JurBüro 1981, 1095, 1095; im An­ schluss auch Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  83. 29  OLG Hamburg, Beschl. v. 20.7.2006 − 5 W 86/06, GRUR-RR 2007, 175, 175 – Währungsan­ gabe (Verstoß gegen ZugabeV versus Verstoß gegen UWG); im Ergebnis ebenso KG, Beschl. v. 11.9.2007 − 5 W 85/06, GRUR-RR 2008, 29, 30 – „in voller Länge und/oder in Teilen“. 30  OLG Koblenz, Urt. v. 22.1.1981 – 6 U 1037/80, GRUR 1981, 671, 674 – ELRO; OLG Stutt­ gart, Urt. v. 24.1.1997 – 2 U 183/96, NJWE-WettbR 1997, 246, 247; vergleiche auch OLG Ham­ burg, Beschl. v. 20.7.2006 – 5 W 86/06, GRUR-RR 2007, 175, 176 – Währungsangabe. 31  Siehe oben §  11 B. III. 32  Siehe nur Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  94 Rn.  1. 33 Dazu soeben III. 3., zum Nachweis der Rechtsnachfolge des Erben etwa KG, Beschl. v. 18.2.2009 – 1 W 37/08, NJW-RR 2009, 1073; OLG Hamburg, Beschl. v. 23.4.2002 – 14 W 22/02, Rn.  3, juris; Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  6.19. 34  Oft wird das Anerkenntnis des Beklagten nach Klärung der Aktivlegitimation nicht als „so­ fortig“ angesehen, sodass es auf §  94 ZPO ankommt, siehe Flockenhaus, in: Musielak/Voit, §  94 Rn.  3; Göertz, in: Baumbach/Lauterbach, §  94 Rn.  16. 35  Herget, in: Zöller, §  94 Rn.  1.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

2. §  75 ZPO als Pendant zur Hinterlegungsmöglichkeit Ist der Schuldner gerichtlich in Anspruch genommen worden und beschränken sich seine Zweifel auf die Person des Gläubigers (während er vom Bestehen des An­ spruchs ausgeht), bietet ihm §  75 ZPO eine Möglichkeit, aus dem Rechtsstreit aus­ zuscheiden.36 Mit dieser Vorschrift bietet das Prozessrecht ein Pendant zur materi­ ell-rechtlichen Hinterlegung nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB.37 Um in den Genuss der Wirkungen von §  75 ZPO zu kommen, muss der Schuldner dem anderen Prä­ tendenten den Streit verkünden, den geforderten Gegenstand unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme hinterlegen und einen Antrag auf Entlassung stellen, wenn der weitere Prätendent in den Streit eingetreten ist. Eines solchen Vorgehens bedarf es vor allem, wenn der Schuldner die Möglichkeit versäumt hat, bereits vor Klage­ erhebung mit Erfüllungswirkung zu hinterlegen.38 Eine Hinterlegung ohne Rück­ griff auf §  75 ZPO bleibt zwar auch nach Klageerhebung möglich,39 führt aber in­ folge der damit eintretenden Erledigung regelmäßig zur Prozesskostenbelastung des Schuldners.40 Demgegenüber ermöglicht ihm §  75 ZPO im besten Fall eine voll­ ständige Kostenvermeidung,41 weil er danach nur die Kosten trägt, die durch die Verteidigung gegen die Forderung an sich (nicht bloß gegen die Aktivlegitimation des Klägers) entstanden sind.42 Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist jedoch gering.43 Die Kostenvermeidung liegt nach dem Gesagten ohnehin nicht vollstän­ dig in der Hand des Schuldners. Er ist darauf angewiesen, dass der zweite Prä­ tendent, etwa aus taktischen Gründen, seinen Beitritt nach §  75 S.  1 ZPO erklärt.44

C. Analyse Angesichts der Grundentscheidung von §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO für eine formale Orien­tierung der Kostenpflicht am Prozessverlust ist zweifelhaft, inwieweit die Zuweisung des Kostennachteils überhaupt eine rechtliche Erkenntnis bzw. Erkenn­ barkeit auf Seiten des Beklagten voraussetzt. Die Problematik ist daher vorwiegend schon auf Ebene des Erkenntnisgegenstands verortet.

36 

Weth, in: Musielak/Voit, §  75 Rn.  1. Althammer, in: Zöller, §  75 Rn.  1; Bendtsen, in: Hk-ZPO, §  75 Rn.  1; Brechtel, JuS 2017, 495, 495 und 498 m. w. N. in Fn.  39; Regenfus, JA 2017, 161, 162. 38  Zu dieser Möglichkeit etwa Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  9; Schultes, in: MüKo-­ ZPO, §  75 Rn.  1. 39  Siehe nur Jacoby, in: Stein/Jonas, §  75 Rn.  2 ; Schultes, in: MüKo-ZPO, §  75 Rn.  1. 40  Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  5. 41  Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  6 . 42 Siehe Dressler, in: BeckOK-ZPO, §  75 Rn.  5; Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  43. 43  Weth, in: Musielak/Voit, §  75 Rn.  1; zu den Gründen vergleiche Brechtel, JuS 2017, 495, 498, sowie Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  9 (häufig vorausgehende Feststellungsklage im Verhältnis der Prätendenten). 44 Siehe Brechtel, JuS 2017, 495, 498. 37 

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast

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I. Erkenntnisgegenstand Auf dieser Ebene ist vor allem von Interesse, inwieweit Ausnahmen (dazu 2.) von dem Grundsatz angezeigt sind, dass rechtliche Fehleinschätzungen des Beklagten nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind (dazu 1.). 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern Rechtliche Fehleinschätzungen der Parteien sind unter der Geltung von §  91 ZPO prinzipiell unbeachtlich. Dieser Befund und die zugehörige Rechtfertigung wur­ den bereits im Zusammenhang mit der Kostenerstattungspflicht des irrenden Leis­ tungsklägers eingehend erörtert.45 Für den Fall, dass der Leistungsbeklagte unter­ liegt, begegnet das Ergebnis gar noch weniger Bedenken. Dieser haftet nämlich bereits in seiner Rolle als materiell-rechtlicher Schuldner weit strenger für Rechts­ irrtümer als ein (Putativ-)Gläubiger. Der mit Blick auf den Gläubiger als Leistungs­ kläger besprochene Konflikt zwischen Haftungs- und Prozesskostenrecht46 be­ steht hier nicht. Vielmehr verstärkt die drohende Kostenlast den vom Schadens­ ersatzrecht ausgehenden Appell an den Schuldner, im Fall rechtlicher Zweifel vorerst zu leisten. Dazu passt es, dass für das Modell einer kostenrechtlichen Un­ terliegenshaftung gerade mit den Auswirkungen auf den Schuldner argumentiert wird:47 Ohne das Kostenrisiko entfiele ein Motiv zur freiwilligen Erfüllung von Rechtspflichten. Umgekehrt bietet die Aussicht auf eine verschuldensunabhängige Kostenerstattungspflicht des beklagten Schuldners wünschenswerte Anreize für den klagenden Gläubiger – die entsprechenden Zusammenhänge wurden oben schon erörtert.48 Es begegnet daher im Grundsatz keinen Bedenken, den Beklag­ ten, der hinsichtlich seiner Leistungsfreiheit mindestens Zweifel haben musste, in gleicher Weise wie im Rahmen von §§  280, 281, 286 BGB zu belasten. 2. Ausnahmen Entgegen der Grundregel könnten aber rechtliche Fehlvorstellungen des beklagten Schuldners unter bestimmten Umständen beachtlich sein. a) Schutz vor Rechtsprechungsänderungen Dass Änderungen der höchstrichterlichen Judikatur das Vertrauen der Rechtsun­ terworfenen enttäuschen können und dass daher in gewissem Umfang Vertrauens­ schutz zu gewähren ist, ist bereits eingehend besprochen worden.49 Auch hinsicht­ lich der Prozesskostenlast des Leistungsklägers wurden entsprechende Ausnahmen 45 

Siehe oben §  10 C. I. 1. Dazu §  10 C. I. 1. b) bb) (3). 47 Siehe Pawlowski, JZ 1975, 197, 198; in diese Richtung auch Breyer, Steuerung, S.  230–231. 48  Oben §  10 C. I. 1. b) bb) (2). 49  Siehe übergreifend §  3 A. II. 3., §  5 C. III. 3. 46 

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

für systemkonform und geboten erachtet.50 Mit Blick auf den Beklagten kann im Ausgangspunkt nichts anderes gelten. Lediglich die Werkzeuge, mithilfe derer Ver­ trauensschutz gewährt werden kann, unterscheiden sich. aa) Sofortiges Anerkenntnis In Fällen der für den Kläger nachteiligen Rechtsprechungsänderung ist nach hier vertretener Ansicht unter bestimmten Umständen eine kostenvermeidende Erledi­ gungserklärung denkbar:51 Die Klage muss anfänglich fast sichere Erfolgsaussich­ ten aufgewiesen haben, die sodann aufgrund einer überraschenden Judikaturwende praktisch vollständig verloren gegangen sind. Man könnte dieses Ergebnis nun schlicht auf die spiegelbildliche Konstellation eines sofortigen Anerkenntnisses (§  93 ZPO) übertragen. In der Rechtsprechung tritt schließlich der Gedanke einer Gleichbehandlung teils deutlich zutage.52 Damit wäre jedoch die Gefahr eines Zir­ kelschlusses verbunden.53 Entscheidend ist vielmehr, ob im Zusammenhang mit §  93 ZPO vergleichbare Sachgründe für eine entsprechende Zuweisung des Kosten­ risikos streiten. Dem ist im Folgenden nachzugehen. (1) Offenheit des Kriteriums der Klageveranlassung Zu fragen ist zunächst, ob die Vorschrift des §  93 ZPO einen Ansatzpunkt bietet, um zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten einer Rechtsverteidigung erst infolge einer späteren Rechtsprechungswende gesunken sind. Die Anwendung von §  93 ZPO steht und fällt mit der Feststellung, ob der Beklagte unter solchen Umständen „durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben“ hat. Auf Basis der herkömmlichen Formel ließe sich eine Klageveranlassung bejahen und eine Anwendung von §  93 ZPO ablehnen. Danach kommt es darauf an, ob das Verhalten des Beklagten den Kläger vernünftigerweise zu dem Schluss berechtigte, ohne Klageerhebung nicht zu seinem Recht zu gelangen.54 Das lässt sich auch bei einer Leistungsverweigerung, die von damaliger Warte aus berechtigt erscheinen musste, bejahen, wenn man betont, dass der Kläger zumindest keine Aussicht da­ rauf hatte, auf anderem Wege zu seinem Recht zu kommen. Insbesondere erschiene eine weitere Mahnung ohne Sinn. Dass die Klage praktisch keine Aussicht auf Er­ folg bot, ist nach diesem Konzept unerheblich. Angeknüpft wird einzig an die Ver­ 50 

Oben §  10 C. I. 2. Dazu §  10 C. I. 2. d) bb) (3). 52  Siehe die Verweise auf die jeweils umgekehrte Konstellation bei BGH, Urt. v. 18.12.2003  – I ZR 84/01, NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II; LG Hamburg, Urt. v. 23.12.2009 – 303 S 25/09, Rn.  14, juris. 53  Davor ist schon bei §  10 C. I. 2. d) bb) (1) Fn.  117 gewarnt worden. 54  BGH, Urt. v. 27.6.1979 – VIII ZR 233/78, NJW 1979, 2040, 2041; BGH, Beschl. v. 30.5.2006  – VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57 = NJW 2006, 2490, 2491 Rn.  10; BGH, Beschl. v. 22.10.2015 – V ZB 93/13, NJW 2016, 572, 574 Rn.  19; OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2013 – 6 W 1/13, NJW-RR 2013, 767, 768; Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  3; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  93 Rn. 13. 51 

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weigerung durch den Beklagten. Dies gelangt auch in dem Hinweis zum Ausdruck, es komme nur auf die Verursachung, nicht auf ein Verschulden des Beklagten an.55 Ob eine solch strenge Lesart der Norm wirklich geboten ist, hängt wesentlich von dem Zweck ab, den §  93 ZPO verfolgt. Zu der Interpretation, wonach es allein auf das Verhalten des Beklagten ankomme, nicht aber auf die Erfolgsaussicht der „provozierten“ Klage, passt die Deutung, §  93 ZPO sei eine spezielle Ausprägung des §§  91 ff. ZPO beherrschenden Veranlasserprinzips.56 Der Beklagte veranlasst die Klage durch seine Weigerung schließlich auch dann, wenn Letztere objektiv betrachtet ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Allerdings wird verbreitet betont, §  93 ZPO diene zugleich der Vermeidung unnötiger Prozesse57 und somit der Ent­ lastung der Justiz.58 Dieser Zielrichtung würde es entsprechen, nicht nur „nicht herausgeforderte“ Klagen, sondern auch solche Klagen kostenmäßig zu belasten, die zwar formal betrachtet „provoziert“ waren, aber praktisch aussichtslos erschei­ nen mussten. Das wird besonders deutlich, wenn es als Zweck des §  93 ZPO be­ nannt wird, „etwaige [Anspruchsteller] von einer mutwilligen Anrufung des Ge­ richts abzuhalten“.59 Hier wird bereits terminologisch eine Nähe zu §  114 ZPO deutlich. Aus dieser Vorschrift wurde die Wertung abgeleitet, dass der Gesetzgeber praktisch aussichtslose Klagen nicht für förderungswürdig hält. 60 Es erscheint da­ her konsequent, dass die Kosten für solche Klagen auch dann vom Initiator zu tra­ gen sind, wenn sich im Verlauf des Rechtsstreits durch eine plötzliche Rechtspre­ chungswende zufällig das Blatt zu dessen Gunsten wendet. Diese Auslegung ist konsistent mit den bisher erzielten Ergebnissen zur Nachteilsbelastung des An­ spruchstellers. Dieser haftet dem Anspruchsgegner für Schäden aus der Inan­ spruchnahme, wenn die fehlende Berechtigung praktisch gewiss erschien.61 Zwar stellt sich die Frage einer Schadensersatzpflicht nicht, wenn der Rechtsstreit ein erfolgreiches Ende für den Anspruchsteller findet, weil sich die Rechtsprechung unerwarteterweise zu seinem Vorteil gewandelt hat. Es erscheint aber nicht system­ widrig, wenn sein Verhalten immerhin zum Anlass genommen wird, ihm die Kos­ ten für den Rechtsstreit zuzuweisen, den er, wenngleich mit glücklichem Ausgang, so doch ohne nachvollziehbaren Grund „angezettelt“ hat. Mit dem Wortlaut von §  93 ZPO ist ein solches Verständnis vereinbar. Unter den beschriebenen Umständen fehlte von vornherein ein vernünftiger Anlass zur Kla­ 55  So lautet gerade eines der Argumente gegen die Anwendung von §  93 ZPO auf den Fall der Rechtsprechungsänderung bei OLG München, Beschl. v. 20.6.2005 – 19 W 1464/05, BeckRS 2005, 11850. 56  Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  1; siehe auch Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  1; auch OLG München, Beschl. v. 20.6.2005 – 19 W 1464/05, BeckRS 2005, 11850, verweist auf das Ver­ ursachungsprinzip; allgemein dazu §  10 B. I. 57  BGH, Beschl. v. 30.5.2006 – VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57 = NJW 2006, 2490, 2491 Rn.  19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2011 − 1 W 61/11, NJW-RR 2012, 808; Göertz, in: Baumbach/ Lauterbach, §  93 Rn.  4; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  93 Rn. 1. 58  Etwa Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  1; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  93 Rn.  1. 59  OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.9.1989 – 2 W 79/89, GRUR 1990, 310, 310 – Telex-Abmahnung. 60  Siehe v. a. §  9 C. III. 3. a). 61  Dazu §  9 C. III. 2.–3.

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ge. Dann lässt sich dem Schuldner auch nicht attestieren, er habe einen solchen Anlass geliefert. Im Übrigen wird §  93 ZPO in einer anderen Fallgruppe gerade mit dem Argument angewandt, es habe anfänglich an den Erfolgsaussichten der Klage gefehlt: Dem Beklagten wird gestattet, den Anspruch gemäß §  93 ZPO sofort anzu­ erkennen, wenn der Kläger zunächst eine unschlüssige Klage erhoben hat und so­ dann den Schlüssigkeitsmangel behebt.62 Zwar verweigert die herrschende Mei­ nung dem Beklagten diese Möglichkeit bei einer unschlüssig bleibenden Klage mit dem Argument, sonst würde die Kostenentscheidung nach §  93 ZPO entgegen dem Normzweck stets die aufwändige Prüfung der materiellen Rechtslage erfordern. 63 Doch zeigt der zuvor genannte Fall der später schlüssig gemachten Klage, dass der BGH eine retrospektive Prüfung der materiellen Lage nicht kategorisch ablehnt. Diese Ausnahme begrenzt der Gerichtshof allerdings auf den Fall, dass sich „etwas Entscheidungserhebliches verändert hat“, weshalb bei „unverändert gebliebenem Klagevorbringen“ eine Anwendung des §  93 ZPO ausscheide. 64 Wollte man das wörtlich begreifen, stünde dies einem kostensparenden Anerkenntnis nach einer Rechtsprechungswende entgegen. Zu Recht wird jedoch darauf hingewiesen, dass zumindest eine nachträgliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts auch dann die Anwendung von §  93 ZPO eröffne, wenn sie offenkundig ist und daher eine Änderung des Klagevorbringens ausbleibt. 65 Dass auch der BGH nicht zwingend ein verändertes Klagevorbringen voraussetzt, um nach §  93 ZPO zu ver­ fahren, belegt die bedenkenlose Heranziehung der Norm, wenn die Klage erst in­ folge einer nachträglichen Gesetzesänderung zulässig bzw. begründet wird. 66 Immerhin könnte man dort aber noch anbringen, es habe sich etwas „Entschei­ dungserhebliches“ (wenn auch auf Ebene des Obersatzes) verändert. Auf Judika­ turwenden ließe sich dies nur dann unmittelbar übertragen, wenn man darin (kon­ stitutive) nachträgliche Änderungen der Rechtslage erblickte. 67 Die Interessen­lage bleibt aber auch bei einem deklaratorischen Verständnis vergleichbar. Vor allem besteht das Vertrauensschutzproblem fort.68 Wenn im Fall der unschlüssig blei­ 62  BVerfG, Beschl. v. 7.7.2014 – 1 BvR 1063/14, BeckRS 2015, 44042 Rn.  15; BGH, Beschl. v. 3.3.2004 – IV ZB 21/03, NJW-RR 2004, 999, 999 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 8.2.2007 – IX ZB 88/06, MDR 2007, 858, 858; BGH, Beschl. v. 16.1.2020 – V ZB 93/18, NJW 2020, 1442, 1444 Rn.  18; LG Berlin, Beschl. v. 22.9.2015 – 67 T 67/15, WuM 2015, 670, 671; Herget, in: Zöller, §  93 Rn.  6.42; N. Schneider, in: Prütting/Gehrlein, §  93 Rn.  3, 4; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, §  93 Rn.  6. 63  BGH, Beschl. v. 16.1.2020 – V ZB 93/18, NJW 2020, 1442, 1444 Rn.  16 (m.N. zum Meinungs­ stand a. a. O., 1443 Rn.  14); siehe auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.5.2007 – 6 W 35/07, NJW-RR 2007, 1580, 1581; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  93 Rn.  6. 64  BGH, Beschl. v. 16.1.2020 – V ZB 93/18, NJW 2020, 1442, 1444 Rn.  19. 65  Bacher, MDR 2020, 588, 589. 66  Dazu oben B. III. 2. mit Fn.  9. 67  So argumentiert der Sache nach OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris Rn.  9, wenn es heißt, der Beklagte habe ursprünglich nichts geschuldet; ähnlich OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1338. Hingegen führt ein deklaratorisches Verständ­ nis bei OLG München, Beschl. v. 20.6.2005 – 19 W 1464/05, BeckRS 2005, 11850, zur Ablehnung von §  93 ZPO. 68  Siehe bereits §  3 A. II. 3. mit Fn.  88.

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benden Klage bemängelt wird, es fehle an „schutzwürdigen Interessen des Beklag­ ten“69, die es rechtfertigten, im Rahmen der Kostenentscheidung den Aufwand ei­ ner rückblickenden Überprüfung der Erfolgsaussichten auf sich zu nehmen, lässt sich dies folglich auf die Situation der Rechtsprechungswende nicht übertragen. Man sollte sich deshalb – wie beim korrespondierenden Streit zur Möglichkeit der Erledigungserklärung eingehender begründet –70 von der formalen Betrachtung, ob es zu einer nachträglichen Änderung gekommen ist, lösen. (2) Präzisierung der Klageveranlassung in Fällen der Rechtsprechungsänderung Aus den vorstehenden Überlegungen zur generellen Anwendbarkeit von §  93 ZPO in Fällen von Judikaturänderungen lassen sich die genaueren Voraussetzungen für ein sofortiges Anerkenntnis herleiten. (a) Etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung als Vertrauensgrundlage Vertrauensschutz nach §  93 ZPO verdient der Beklagte nur dann, wenn er sich min­ destens bis zur Klageerhebung auf der Grundlage höchstrichterlicher Rechtspre­ chung im Recht wähnen durfte.71 Der Weg über §  93 ZPO ist demnach versperrt, wenn während des laufenden Verfahrens lediglich eine zuvor bestehende Rechtsun­ sicherheit, etwa im Fall divergierender Instanzentscheidungen, durch eine erstma­ lige höchstrichterliche Entscheidung beseitigt wird.72 Schon mit dieser Begründung halten lässt sich eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, die mitunter als Beleg für die Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern im Rahmen von §  93 ZPO zitiert wird.73 Der dortige Beklagte war anfänglich davon ausgegangen, die Klageforderung sei nach der BGH-Rechtsprechung noch nicht fällig. Während des Verfahrens ent­ schied der BGH, dass in Situationen wie der betroffenen von Fälligkeit auszugehen sei, und betonte, seiner früheren Judikatur sei – entgegen einer in der Instanzrecht­ sprechung und Literatur teilweise vertretenen Interpretation – nichts anderes zu entnehmen gewesen.74 Damit stand zugleich fest, dass es an einer einschlägigen Vertrauensgrundlage für den Beklagten mangelte. Bei der Zuweisung der Kostenlast zum unterlegenen Schuldner muss es im Grundsatz auch dann bleiben, wenn zwar anfangs höchstrichterliche Judikatur für ihn sprach, deren Fortbestand allerdings schon damals unsicher schien.75 Das 69 

Vossler, NJW 2020, 1444, 1445. Siehe §  10 C. I. 2., insb. d) bb). 71  So auch Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  99. 72  LG Hamburg, Urt. v. 23.12.2009 – 303 S 25/09, Rn.  13, juris; AG Brandenburg, Urt. v. 30.3.­ 2017 – 31 C 227/16, BeckRS 2017, 105701 Rn.  4 4; siehe auch OLG München, Beschl. v. 20.6.2005 – 19 W 1464/05, BeckRS 2005, 11850. 73  OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2009 – 1 W 41/08, MDR 2009, 562; benannt von Muthorst, in: Stein/Jonas, §  93 Rn.  13. 74  BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 = NJW 2009, 910, 911 Rn.  11, 13–14. 75  Vergleiche zur Parallelproblematik bei §§  280, 281, 286 BGB §  11 C. II. 5. b) aa) und zur Kostenhaftung des Putativgläubigers §  10 C. I. 2. d) bb) (3). 70 

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folgt nicht zuletzt daraus, dass unter solchen Umständen Anreize für den Gläubi­ ger zu setzen sind, die Judikatur auf den Prüfstand zu stellen.76 Es ist daher rich­ tig, wenn ein Vorgehen über §  93 ZPO nur für den Fall einer „unvorhersehbaren Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung“77 in Erwägung gezogen wird. Ist die günstige Rechtsprechung bereits „ins Wanken“ geraten, prozessiert der Beklagte auf eigenes Risiko. Bedenken begegnet vor diesem Hintergrund die oben zitierte Entscheidung des OLG Celle.78 Diese hielt ein sofortiges Anerkenntnis des als BGB-Gesellschafter analog §  130 HGB in Anspruch genommenen Beklagten für möglich, da erst die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR durch den BGH Anfang 2001 zur Begründetheit der Klage geführt habe. Diese Sichtweise lässt außer Acht, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung (Dezember 199979) bereits erhebliche objekti­ ve Zweifel am Fortbestand der früheren Judikatur zur fehlenden Rechtsfähigkeit der GbR herrschten. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit stützte der BGH we­ sentlich auf frühere Gesetzesänderungen, die entsprechend im Schrifttum rezipiert worden waren.80 Zudem hatte der Gerichtshof bereits 1991 ausgesprochen, die Außen-GbR könne als Teilnehmerin am Rechtsverkehr grundsätzlich jede Rechts­ position einnehmen. 81 In einem Urteil aus dem Jahr 1997 war sodann die Wech­ selfähigkeit der GbR bejaht und die weiter gehende Frage nach einer umfassenden Rechtsfähigkeit unter Verweis auf die Diskussion im Schrifttum explizit offen­ gelassen worden.82 Angesichts dieser Entwicklungen konnte sich eine Partei in ei­ nem Ende 1999 begonnenen Rechtsstreit nicht mehr sicher sein, mit der Berufung auf die fehlende Rechtsfähigkeit der GbR Erfolg zu haben. Selbst wenn man – an­ ders als das OLG Celle – auf die konkretere Frage abstellt, ob mit einer akzessori­ schen Gesellschafterhaftung analog §§  128 ff. HGB zu rechnen war, wäre dies zu bejahen. Spätestens in seiner Entscheidung von September 1999 hatte der II. Zivil­ senat des BGH erkennen lassen, dass er die Akzessorietätslehre nicht rundheraus ablehnte.83 Besser vertretbar erscheint demgegenüber die Anwendung von §  93 ZPO in einer Entscheidung des OLG Koblenz. 84 Im betroffenen Verfahren hatte der Dritt­ widerbeklagte zunächst Klageabweisung beantragt, da §  33 ZPO bei einer Dritt­ widerklage gegen den Zedenten der Klageforderung die Zuständigkeit nicht be­ 76 

Zur Anreizwirkung der Aussicht auf Kostenerstattung vergleiche §  10 C. I. 1. b) bb) (2). Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  16 (Herv. d. Verf.). 78  OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris. 79  Siehe OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, Rn.  5, juris. 80  Siehe BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056, 1057, v. a. unter Verweis auf das UmwG und die InsO. 81  BGH, Beschl. v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86 = NJW 1992, 499, 500. 82  BGH, Urt. v. 15.7.1997 – XI ZR 154/96, BGHZ 136, 254 = NJW 1997, 2754, 2755. 83  BGH, Urt. v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483, 3485 (Prüfung auch auf Basis der Akzessorietätstheorie, aber noch ohne Festlegung). 84  OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1338. Obschon es dort um eine Zulässigkeitsfrage ging, sind die Ausführungen auf anspruchsbezogene Irrtümer über­ tragbar. 77 So

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gründe. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hatte diese Sichtweise mehrfach bekräftigt85 und noch im Jahr 2001 darauf verwiesen. 86 Im Jahr 2010 – während des Verfahrens, das der Entscheidung des OLG Koblenz zugrunde lag – verwarf der BGH diese frühere Rechtsprechung. 87 Mit diesem Umschwung hatte der Dritt­ widerbeklagte aber nicht rechnen müssen. Zwar hatte sich seit 2001 unter anderem das OLG Dresden zu einem Rückgriff auf §  33 ZPO veranlasst gesehen, weil nach neuerer BGH-Rechtsprechung der Weg über eine gerichtliche Zuständigkeits­ bestimmung nach §  36 Abs.  1 Nr.  3 ZPO nicht mehr gangbar sei. 88 Hierin lässt sich ein neues Argument erblicken, das die etablierte Sichtweise zu §  33 ZPO in Zweifel zog. 89 Allerdings hatte der BGH im Jahr 2008 die Argumentationslinie des OLG Dresden ausdrücklich verworfen.90 Ab diesem Zeitpunkt durfte der Rechtsver­ kehr also wieder davon ausgehen, dass auch künftig nach den bisherigen Grundsät­ zen geurteilt werde. Soweit hingegen heute noch umstritten ist, ob §  33 ZPO auch außerhalb der Zessionsfälle auf andere Drittwiderklagekonstellationen anzuwen­ den ist,91 erscheint ein entsprechender höchstrichterlicher Anschluss keineswegs undenkbar. Ein Drittwiderbeklagter könnte daher aktuell nicht auf §  93 ZPO zu­ rückgreifen, wenn der BGH während des Verfahrens erstmalig die Anwendung von §  33 ZPO auf andere Fälle annehmen sollte. (b) Unsicherheit über Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung Wenn zu Beginn des Prozesses die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig in Richtung des Beklagten deutet, ist es zwar – wie die soeben besprochene Entschei­ dung des OLG Koblenz belegt – denkbar, dass es noch während des Verfahrens zu einem Umschwung in der Judikatur des Höchstgerichts kommt. Schon aus Zeit­ gründen wahrscheinlicher ist jedoch, dass während des laufenden Verfahrens ledig­ lich Zweifel am Fortbestand einer zunächst sicher erscheinenden „klägerfeind­ lichen“ Rechtsprechung aufkommen. Deshalb ist zu fragen, ob der beklagte Schuld­ ner auch in einem solchen Szenario den Weg über §  93 ZPO wählen kann. Im spiegelbildlichen Fall einer dem Kläger günstigen Rechtsprechung, deren Fortschreibung unsicher scheint, ist eine kostensparende Erledigungserklärung nicht eröffnet: Es dient dem Ziel der Rechtskonkretisierung und -fortbildung, wenn aufgekommene Zweifel verifiziert bzw. verworfen werden.92 Diese Überlegung ist 85  BGH, Beschl. v. 28.2.1991 – I ARZ 711/90, NJW 1991, 2838; BGH, Urt. v. 6.5.1993 – VII ZR 7/93, NJW 1993, 2120. 86  BGH, Urt. v. 5.4.2001 – VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220 = NJW 2001, 2094, 2095. 87  BGH, Beschl. v. 30.9.2010 – Xa ARZ 191/10, BGHZ 187, 112 = NJW 2011, 460. 88  So OLG Dresden, Beschl. v. 17.4.2002 – 1 AR 17/02, OLG-NL 2003, 65, 65–66, unter Be­ zugnahme auf BGH, Beschl. v. 22.2.2000 – X ARZ 522/99, NJW 2000, 1871. 89  Damit wäre das später unter §  15 C. II. 3. d) bb) beschriebene „Innovationskriterium“ erfüllt. 90  BGH, Beschl. v. 24.6.2008 – X ARZ 69/08, NJW-RR 2008, 1516, 1517 Rn.  17–18. 91  Dafür OLG Dresden, Beschl. v. 3.11.2010 – 3 AR 0073/10, BeckRS 2011, 17801 (unter III. 1.); Schultzky, in: Zöller, §  33 Rn.  28; aufgeschlossen auch Heinrich, in: Musielak/Voit, §  33 Rn.  27; dagegen etwa Bendtsen, in: Hk-ZPO, §  33 Rn.  18. 92  Oben §  10 C. I. 2. d) bb) (3).

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in der hier interessierenden Konstellation im Prinzip gleichermaßen relevant.93 Die Ablehnung einer Erledigung wurde ferner damit begründet, dass sich beim Auf­ kommen bloßer Zweifel ein erledigendes Ereignis kaum festmachen lässt.94 Vor ei­ nem vergleichbaren Problem steht man auch beim sofortigen Anerkenntnis zumin­ dest dann, wenn man mit dem BGH und der herrschenden Meinung eine Anwen­ dung von §  93 ZPO auf unschlüssig bleibende Klagen ablehnt.95 Dann benötigt man ein Äquivalent zum „Schlüssigwerden“ der Klage, welches – wie im Fall der Geset­ zesänderung – hinreichend greifbar sein muss. Auch hier sollte folglich nur bei einer bereits erfolgten höchstrichterlichen Korrektur die Möglichkeit der Kostenerspar­ nis gewährt werden. Die oben angesprochene Entscheidung des OLG Celle verdient deshalb auch abgesehen von den bereits geäußerten Bedenken96 Kritik. Es hatte sich nämlich noch kein vollständiger Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Lasten des Beklagten eingestellt. Maßgeblich war, ob dieser als Neugesellschafter einer GbR analog §  130 HGB haftete. Höchstrichterlich bejaht war diese Frage zur Zeit der Entscheidung des OLG Celle – trotz der Anerkennung der Akzessorietäts­ theorie – noch nicht.97 bb) Niederschlagung der Gerichtskosten nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG Für die verbleibenden Fälle – insbesondere diejenigen, in denen der Beklagte, um nicht die Chance auf den Prozessgewinn zu begraben, von der Möglichkeit eines Anerkenntnisses keinen Gebrauch macht – ließe sich, wie bei der irrtümlichen Ak­ tivklage, über eine Niederschlagung der Gerichtskosten gemäß §  21 Abs.  1 S.  3 GKG nachdenken.98 Allerdings müsste man die Vorschrift analog anwenden. Der Beklagte kann nämlich, anders als der erfolglose Kläger und anders als von §  21 Abs.  1 S.  3 GKG offenbar vorausgesetzt, nicht darauf verweisen, durch seinen irr­ tumsbedingten (Klageabweisungs-)Antrag in die Kostenhaftung geraten zu sein. Zu demselben Ergebnis wäre es schließlich auch ohne entsprechenden Antrag des 93  Wenngleich bei zweifelhaft gewordener Rechtslage oftmals ohnehin kein großer Anreiz für den Beklagten bestehen dürfte, ein Anerkenntnis abzugeben, da sich dieses – anders als umge­ kehrt die Erledigungserklärung (siehe oben §  10 C. I. 2. d) bb) (3) Fn.  129) – nicht in ein Eventual­ verhältnis zum Klageabweisungsantrag stellen lässt (Die h. M. beschränkt das hilfsweise erklärte Anerkenntnis auf den Fall der vorrangig in Abrede gestellten Zulässigkeit der Klage [BGH, Urt. v. 3.3.1976 – VIII ZR 251/74, JZ 1976, 607, 609; OLG Brandenburg, Urt. v. 19.2.2019 – 3 U 147/17, BeckRS 2019, 2723 Rn.  29; Feskorn, in: Zöller, §  307 Rn.  11] und sieht das Anerkenntnis selbst dann nicht als „sofortiges“ im Sinne von §  93 ZPO an [KG, Urt. v. 7.4.1998 – 5 U 3852/97, BeckRS 1998, 4330; AG Oberhausen, Urt. v. 12.4.2011 – 34 C 112/10, BeckRS 2011, 27180; Muthorst, in: Stein/Jonas, §  93 Rn.  4].) 94  Siehe abermals §  10 C. I. 2. d) bb) (3). 95  BGH, Beschl. v. 16.1.2020 – V ZB 93/18, NJW 2020, 1442, 1444 Rn.  16–19; dazu oben (1). 96  Dazu a). 97  Dies stellte OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, Rn.  9, juris, selbst fest. Eine höchst­ richterliche Entscheidung erfolgte erst durch BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803; siehe zum bis dahin bestehenden Streit Hasenkamp, DNotZ 2003, 768, 768– 769 m.N. 98  Dazu §  10 C. I. 2. d) cc).

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast

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Beklagten gekommen: Dieser ist nicht Voraussetzung für die abweisende Sachent­ scheidung.99 b) Verantwortlichkeit des Gegners für Aufklärung der Rechtslage Ein sofortiges Anerkenntnis des Beklagten kommt möglicherweise auch dann in Betracht, wenn ihn der Kläger vor der Klageerhebung nicht hinreichend aufgeklärt hat und der Beklagte deshalb erst später die Einsicht in die Berechtigung der Klage gewinnt. Die Diskussion kreist aber, wie gesehen, vornehmlich um die Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht. Es wird geäußert, dem Kläger, der die Kostentragung meiden wolle, obliege grundsätzlich keine Rechtsbelehrung gegenüber dem Be­ klagten; jede Partei sei für die Beurteilung der Rechtslage selbst verantwortlich.100 Gleichwohl zeigt sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung zur wettbewerbs­ rechtlichen Abmahnung die Tendenz, dem Gläubiger auch eine gewisse rechtliche Einordnung des beanstandeten Verhaltens abzuverlangen, wenn er einem soforti­ gen Anerkenntnis des Schuldners nach §  93 ZPO vorbeugen möchte.101 Diese Sichtweise führt zu Folgeproblemen. So soll es dem Gläubiger nach Auf­ fassung mancher Gerichte offenbar zum Nachteil gereichen, wenn er seinen An­ spruch zunächst auf bestimmte rechtliche Gesichtspunkte stützt und den eigentlich durchgreifenden Aspekt erst verspätet in den Rechtsstreit einführt.102 Vorbehalte gegen eine solche Bewertung sind schon im Zusammenhang mit der Verzugshaf­ tung formuliert worden.103 Ferner würden die Anforderungen an die Klageveran­ lassung im Sinne von §  93 ZPO deutlich überspannt, wenn dem Gläubiger stets eine vorangehende Konkretisierung des rechtlichen Ansatzpunkts abverlangt würde. So ist anerkannt, dass das Vorliegen der objektiven Verzugsvoraussetzungen grund­ sätzlich auch dann gleichbedeutend mit einer Klageveranlassung ist, wenn eine Mahnung nach §  286 Abs.  2 BGB entbehrlich ist.104 Anderes kann nur dort gelten, wo sich aus dem materiell-rechtlichen Verhältnis zwischen den Parteien besondere Aufklärungsobliegenheiten ergeben. Insofern ist die Problematik parallel gelagert zu der Frage, wann dem unberechtigten Leis­ tungskläger unter Verweis auf eine Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten ein materieller Kostenerstattungsanspruch erwächst.105 Es erscheint indes frag­ würdig, wettbewerbsrechtlichen Rechtsbeziehungen in diesem Kontext pauschal einen Sonderstatus zuzuweisen. Zumindest ist nicht ersichtlich, dass es dort im 99 

Siehe nur Musielak, in: MüKo-ZPO, §  308 Rn.  5. insb. LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 19.10.1989 – 8 T 102/89, WuM 1990, 225, 225–226; siehe zudem Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  5. 101  Siehe B. III. 3. m.N. 102  So insb. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.1.1981 – 6 W 152/80, JurBüro 1981, 1095, 1095; ähnlich KG, Beschl. v. 11.9.2007 − 5 W 85/06, GRUR-RR 2008, 29, 30 – „in voller Länge und/oder in Teilen“; OLG Hamburg, Beschl. v. 20.7.2006 − 5 W 86/06, GRUR-RR 2007, 175, 175– Wäh­ rungsangabe. 103  Siehe oben §  11 C. III. 3. a). 104  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  28; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  93 Rn.  2 2. 105  Siehe oben §  10 B. III. 2. 100  So

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

Durchschnitt eher dem Gläubiger als dem Schuldner zumutbar wäre, die Rechts­ lage mit Blick auf ein bestimmtes (Unterlassungs-)Begehren näher zu prüfen. Es erscheint nicht per se sachwidrig, dem Anspruchsgegner die Verantwortung dafür zuzuweisen, das konkret beanstandete Verhalten unter allen in Betracht kommen­ den rechtlichen Gesichtspunkten auf die wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit hin zu überprüfen. Dass dies mit einem gewissen Aufwand verbunden sein kann, lässt sich über die Gewährung einer Prüfungsfrist berücksichtigen.106 Der wettbe­ werbsrechtlichen Rechtsprechung dürfte es letzten Endes vornehmlich darum ge­ hen, „Pauschalabmahnungen“ zu verhindern, die praktisch ein allgemein gesetzes­ konformes Verhalten einfordern.107 Dies lässt sich aber bereits dadurch erreichen, dass man eine hinreichend genaue Beschreibung des Verletzungsverhaltens in tat­ sächlicher Hinsicht verlangt. Zutreffend erscheint es daher, wenn im Schrifttum die korrekte rechtliche Einordnung des Wettbewerbsverstoßes im Grundsatz für ver­ zichtbar erachtet wird.108 c) Sonderfall: Rechtsirrtum bzw. rechtliche Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem Im Kontext der Sondervorschriften der §§  75, 94 ZPO stellt sich die Frage, ob der Schuldner der Kostentragung auch dann entgehen kann, wenn ihm sämtliche er­ heblichen Fakten bekannt sind, er aber über deren rechtliche Bewertung irrt oder unsicher ist. aa) §  9 4 ZPO Im Rahmen von §  94 ZPO hängt die Antwort auf diese Frage davon ab, ob die dort statuierte Nachweisobliegenheit des Zessionars auch auf die Rechtslage bezogen ist. Der Kläger müsste dann zum Beispiel nicht nur den Abtretungsvorgang mittei­ len und gegebenenfalls nachweisen, sondern auch rechtliche Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit ausräumen. Diese Sichtweise ließe sich durch den Verweis auf die materiell-rechtliche Parallelvorschrift des §   407 BGB stützen. Dort wird der Schuldner – als an der Abtretung Unbeteiligter – im Fall der Rechtsungewissheit von Nachteilen freigestellt.109 Eine solche schuldnerschützende Bewertung entfern­ te sich indes sehr weit von der Grundregel des §  91 ZPO. Es dürfte den Grund­ gedanken des Prozesskostenrechts eher entsprechen, den materiell-rechtlichen Schuldnerschutz nicht in vollem Ausmaß aufzugreifen, sondern die Ausnahmefall­ gruppe des §  94 ZPO eng zu verstehen.110 Ansonsten würde der Schuldner einer 106 

Vergleiche dazu schon §  11 C. III. 4. und siehe noch unten II. 1. Siehe beispielsweise LG Freiburg i. Br., Urt. v. 4.1.2013 – 12 O 127/12, BeckRS 2013, 570. 108 So Achilles, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap.   2 Rn.  30; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  16; Brüning, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  42; Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, §  12 Rn.  17; Nümann/M. A. Mayer, ZUM 2010, 321, 323. 109  Siehe oben §  11 C. I. 3., II. 6. b) bb) (1). 110  Vergleiche allgemein auch Göertz, in: Baumbach/Lauterbach, §  94 Rn.  1. 107 

§  12 Nachteil durch Prozesskostenlast

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abgetretenen Forderung bei vertretbaren und höchstrichterlich noch nicht verwor­ fenen Zweifeln an der Rechtswirksamkeit der Zession stets ohne anfängliches Pro­ zesskostenrisiko die Klärung vorantreiben können. Für eine derart weitgehende Abweichung von der Regel des §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO dürfte ein Bedürfnis auch aus dem Grund fehlen, dass der Schuldner unter den geschilderten Bedingungen im­ merhin den Weg über die Hinterlegung nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB wählen kann.111 Zu der hier vertretenen Einschätzung passt es, dass im Schrifttum als Nachweis im Sinne von §  94 ZPO eine Bestätigung des Zedenten bzw. eine Abtretungsurkun­ de genannt werden112 bzw. teils gar die Glaubhaftmachung durch den Zessionar als ausreichend angesehen wird.113 Diese Vorgaben scheinen konkludent davon aus­ zugehen, dass allein die relevanten Tatsachen nachzuweisen sind, während deren rechtliche Bewertung im Risikobereich des beklagten Schuldners liegt. bb) §  75 ZPO §  75 ZPO eröffnet dem Schuldner eine potenziell kostensparende Option, sobald sich zwei Prätendenten im dort bezeichneten Sinn der Forderung berühmen. Nach der Herkunft der Zweifel an der Person des Gläubigers wird nicht differenziert. Es können damit prinzipiell auch rechtliche Zweifel – etwa an der Wirksamkeit einer Abtretung – den Boden für die Anwendung von §  75 ZPO bereiten. Die Rechtslage zählt also insoweit zum Erkenntnisgegenstand. Die wesentlichen Anschlussfragen betreffen erst den schädlichen Erkenntnisgrad und das Ausreichen eines bloßen „Kennenmüssens“.114

II. Erkenntnisgrad und Substitution durch Vorwerfbarkeit Die vorstehenden Überlegungen zum Erkenntnisgegenstand haben die wesent­ lichen Weichen für die Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades und für die Auswirkungen einer subjektiven Verfehlung der objektiv möglichen Erkenntnis bereits weitgehend gestellt. 1. Allgemeine Grundsätze Grundsätzlich kommt eine Kostenentlastung des beklagten Schuldners nur dann in Betracht, wenn selbst nach objektiv-fachkundiger Einschätzung (Substitution der fehlenden subjektiven Erkenntnis) das Bestehen des Anspruchs praktisch ausge­ schlossen erschien (Zweifel als schädlicher Erkenntnisgrad). Im Zusammenhang mit §  93 ZPO wird dem Beklagten allerdings zumindest eine Prüfungsfrist ge­ 111  Vergleiche zu einem ähnlichen Argument bereits §  11 C. II. 6. b) bb) (2) (zur Tragbarkeit der schuldnerfeindlicheren Sichtweise beim gesetzlichen Forderungsübergang). 112  So etwa Schulz, in: MüKo-ZPO, §  94 Rn.  4. 113 So Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  94 Rn.  4 (bei Weigerung des Zedenten, eine Urkunde aus­ zustellen), gegen Schulz, in: MüKo-ZPO, §  94 Rn.  4. 114  Dazu sogleich II. 2.

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5. Teil: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche

währt, bis zu deren Ablauf ein Anerkenntnis immer noch als „sofortiges“ gilt.115 Solange hat der Beklagte folglich Zeit, eine objektiv mögliche Erkenntnis auch sub­ jektiv zu gewinnen. Insoweit ergibt sich eine Parallele zur Haftung des Verzugs­ schuldners.116 2. Besonderheiten bei Rechtsirrtum bzw. rechtlicher Unsicherheit bezüglich Aktivlegitimiertem Einzig in Fällen der Ungewissheit über die Person des Aktivlegitimierten ergeben sich Besonderheiten. So wäre ein hinreichender Nachweis der Rechtsnachfolge im Sinne von §  94 ZPO erst dann als erbracht anzusehen, wenn der Beklagte bei ver­ ständiger Würdigung vom Anspruchsübergang überzeugt sein muss, also vernünf­ tigerweise nicht mehr daran zweifeln kann.117 Der schädliche Erkenntnisgrad wäre somit erst bei praktischer Gewissheit erreicht. Dies wirkt sich jedoch nicht aus, solange man, wie hier, die rechtliche Bewertung bei §  94 ZPO schon nicht zum Erkenntnisgegenstand zählt.118 Zumindest im Rahmen von §  75 ZPO wäre der beklagte Schuldner indes bei be­ stehender rechtlicher Ungewissheit grundsätzlich entlastet. Die Vorschrift hat schließlich, wie §  372 S.  2 Var.  2 BGB, gerade Zweifelsfälle im Auge. Fraglich ist al­ lein, ob das Vorgehen des Schuldners nach §  75 ZPO auch vom Vorliegen der Hin­ terlegungsvoraussetzungen nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB abhängt. Für diese wurden oben differenzierte Maßstäbe hinsichtlich des Erkenntnisgrades und der Substitu­ tion durch Vorwerfbarkeit entwickelt.119 Der BGH hat eine Positionierung in die­ ser Frage vermieden.120 Die herrschende Lehre lehnt den Rückgriff auf §  372 S.  2 BGB ab und erblickt stattdessen in §  75 ZPO eine unabhängige Regelung der Hin­ terlegungsbefugnis.121 Dem ist mit der eingehender begründeten Gegenmei­ nung122 zu widersprechen. Letztere betont zu Recht, es sei nicht gerechtfertigt, den Schuldner aus dem Rechtsstreit zu entlassen, solange dieser nicht von seiner Ver­ bindlichkeit befreit ist; zur materiell-rechtlichen Wirkung verhalte sich §  75 ZPO aber mit keinem Wort.123 Man könnte diesem Einwand noch entgegenhalten, dass sich der Schuldner nicht nach freiem Belieben durch eine Hinterlegung, die den Voraussetzungen des §  372 S.  2 Var.  2 BGB nicht entspricht, aus dem Rechtsstreit 115  Siehe etwa OLG Rostock, Beschl. v. 9.1.2001 – 1 W 338/98, MDR 2001, 935, 935–936; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 17.5.2019 – 4 W 4/19, NJW-RR 2019, 922, 922–923 Rn.  18–20; Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 81 m. w. N. 116  Dazu §  11 C. III. 4. 117  Gierl, in: Hk-ZPO, §  94 Rn.  5; Regenfus, JA 2017, 161, 161; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  94 Rn.  4. 118  Siehe oben I. 2. c) aa). 119  §  11 C. II. 6. b) aa) (1), III. 5. a) aa). 120  Offenlassend BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 211/95, NJW 1997, 1501, 1501. 121  Althammer, in: Zöller, §  75 Rn.  2 ; Jacoby, in: Stein/Jonas, §  75 Rn.  9; Regenfus, JA 2017, 161, 162; Schultes, in: MüKo-ZPO, §  75 Rn.  8. 122  Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  32. 123  Zutreffende Beobachtung von Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  32.

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„stehlen“ könne, weil die Wirkung des §  75 S.  1 ZPO vom Beitritt des zweiten Prä­ tendenten abhänge. In zutreffender Weise wird aber auf die Gefahr eines bewussten Zusammenwirkens des Schuldners mit einem zahlungsunfähigen Zweitprätenden­ ten hingewiesen, dessen Beitritt den Schuldner von der Kostenhaftung entlastet.124 Es wäre zudem widersprüchlich, wenn der Schuldner, der hinsichtlich der Person des Gläubigers selbst verschuldete Rechtszweifel hegt, nicht von der grundsätzlich verschuldensabhängigen Verzugshaftung befreit,125 aber aus der prinzipiell ver­ schuldensunabhängigen Prozesskostenhaftung entlassen wäre. Akzeptabel ist der Rückgriff auf die Vorschrift des §  75 ZPO daher in Fällen von Rechtszweifeln nur dann, wenn die zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB formulierten Anforderungen an Erkennt­ nisgrad und Vorwerfbarkeit beachtet werden.

D. Fazit Der Schuldner, der vom Gläubiger erfolgreich verklagt wird, hat die Prozesskosten grundsätzlich auch dann zu tragen, wenn er das Bestehen seiner Verbindlichkeit rechtsirrtümlich verkannt hat. Anders als in der umgekehrten Konstellation der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung kommt es dadurch nicht zu einem Konflikt mit der materiell-rechtlichen Behandlung des Rechtsirrtums. Auch inso­ weit haftet der Schuldner schließlich streng. Von der Kostentragung zu entlasten ist der beklagte Schuldner allerdings, wenn ein Misserfolg der Klage im Zeitpunkt ihrer Erhebung bei objektiver Betrachtung praktisch gewiss erschien, sich die Pro­ gnose während des Prozesses aber infolge einer Rechtsprechungsänderung voll­ ständig verkehrt. Unter diesen Umständen ist dem Beklagten die umstrittene Mög­ lichkeit des sofortigen Anerkenntnisses gemäß §  93 ZPO zu eröffnen.

124 

125 

Mansel, in: Wieczorek/Schütze, §  75 Rn.  32. Dazu §  11 C. II. 6. b) aa) (1).

6. Teil

Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche Im dritten Quadranten stand der Rechtsirrtum desjenigen im Fokus, der zu Recht in Anspruch genommen wird, aber die bestehende Verpflichtung verkennt. Als Folge ergibt sich im Regelfall eine scharfe Haftung auf Schadensersatz ebenso wie eine Kostentragungspflicht, sofern es zur prozessualen Streitaustragung kommt. Denkbar ist jedoch auch der Fall, dass der in Anspruch Genommene tatsächlich nichts schuldet. Zu einem Rechtsirrtum kommt es dann, wenn er fälschlicherweise vom Bestehen des gegnerischen Anspruchs ausgeht. Unter den Nachteilen, die den Putativschuldner unter solchen Bedingungen tref­ fen können, stehen faktische Einbußen im Vordergrund. Wer irrtümlich von einer Verbindlichkeit ausgeht, wird diese häufig zu erfüllen versuchen. Er wird daher die vom Putativgläubiger begehrte Rechtsposition zunächst aufgeben und kann diese fortan nicht mehr nutzen; zudem trägt er mit Blick auf eine spätere Rückforderung das Risiko einer Insolvenz des Gegners.1 Eine Kompensation solcher Einbußen erfährt der Putativschuldner durch die Haftung des Putativgläubigers bzw. Berei­ cherungsschuldners.2 Wenn eine geschuldete Leistung irrtümlich an einen Nicht­ berechtigten erbracht wird, kann die Schuldnerschutzvorschrift des §  407 Abs.  1 BGB nicht nur von einer Ersatzpflicht gegenüber dem wahren Gläubiger,3 sondern zugleich von den Mühen und Risiken einer Kondiktion befreien. Im Folgenden sollen jedoch die rechtlich vermittelten Nachteile im Fokus stehen, die sich ergeben könnten, wenn irrtümlich auf die Anspruchsverteidigung verzich­ tet wird. Auf Ebene des materiellen Rechts verdient vor allem der in §  814 BGB enthaltene Ausschluss des Bereicherungsanspruchs Beachtung. Derjenige, der sich gegen eine unberechtigte Leistungsaufforderung nicht zur Wehr setzt, kann nach dieser Vorschrift den Leistungsgegenstand unwiederbringlich verlieren (dazu §  13). Wie schon in den Konstellationen, die in den übrigen drei Quadranten untersucht wurden, droht darüber hinaus ein besonderer Nachteil, sobald es zwischen den Parteien zum Prozess über die Frage der Anspruchsberechtigung kommt. Vertei­ digt sich der vermeintliche Schuldner nach einer Verurteilung rechtsirrtumsbe­ 1  Zu diesen Gesichtspunkten vergleiche bereits §  11 C. II. 2. a). Diesen Nachteilen entsprächen im ersten Untersuchungsquadranten (3.  Teil) faktische Einbußen (z. B. entgangener Gewinn) des­ jenigen, der die eigene Anspruchsberechtigung nicht erkennt und deshalb vorerst auf die Geltend­ machung verzichtet. 2  Dazu §  9. 3  Dazu oben §  11 B. III. 1.

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

dingt nicht weiter, könnte er durch die Rechtskraft der Entscheidung künftig mit dem Einwand, der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht, ausgeschlossen sein (dazu §  14). Es geht hier also um die gleiche Folge, die sich beim rechtsirrtümlichen Unterlassen der weiteren Anspruchsgeltendmachung ergeben kann.4

4 

Dazu oben §  8.

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss Im Mittelpunkt steht zunächst die Frage, ob derjenige, der infolge Rechtsirrtums eine nicht geschuldete Leistung erbringt, von einer Kondiktion ausgeschlossen ist.

A. Nachteilszuweisung: Kondiktionssperre nach §  814 Var.  1 BGB Den Grund für einen solchen Ausschluss könnte §  814 Var.  1 BGB bilden. Die Norm sieht vor, dass das zur Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zu­ rückgefordert werden kann, wenn der Leistende wusste, dass er nicht zur Leistung verpflichtet war. Der aus §  814 BGB resultierende „Anspruchsverlust“ unterschei­ det sich von der im Ergebnis ähnlich wirkenden Verjährung (die auch den Bereiche­ rungsgläubiger treffen kann) in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen knüpft er nicht erst an das spätere Unterlassen der (eigenen) Kondiktion, sondern bereits an den vorangehenden Verzicht auf eine Verteidigung gegen die fremde Anspruchs­ verfolgung an. Zum anderen handelt es sich um eine rechtshindernde Einwendung,1 keine Einrede des Bereicherungsschuldners. Bei funktionaler Betrachtung lässt sich davon sprechen, §  814 Var.  1 BGB erhebe den Irrtum des Leistenden zur Voraussetzung für eine Rückforderung, ohne diesen zum Tatbestandsmerkmal des §  812 BGB zu machen.2 Eine Ausgestaltung als Tatbestandsmerkmal der Leistungskondiktion wäre nicht ohne historisches Vor­ bild gewesen.3 Die Verfasser des BGB wichen indes bewusst von diesem Konzept ab. Aus Gründen der „praktischen Angemessenheit und Zweckmäßigkeit“ sollte dem Leistenden der Beweis seines Irrtums erlassen werden.4 §  814 Var.  1 BGB stellt dabei eine besondere Ausprägung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens dar.5 Die Vorschrift kann deshalb nur dort zur Anwendung gelangen, wo der 1 

Siehe nur Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  1; Stadler, in: Jauernig, §  814 Rn.  1. Mot. II, 833; Frede, Rechtsirrtum, S.  72–73; H. Koch, Bereicherung, S.  126–127; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 296; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  2. 3 Eingehend H. Koch, Bereicherung, S.  106–107; siehe zudem R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1367. 4  Mot. II, 833. 5  BGH, Urt. v. 18.1.1979 – VII ZR 165/78, BGHZ 73, 202 = NJW 1979, 763, 763; BGH, Urt. v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98 = NJW 1991, 560, 562; BGH, Urt. v. 7.5.1997 – IV ZR 35/96, NJW 1997, 2381, 2382; BGH, Urt. v. 11.12.2008 – IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 = NJW 2009, 363, 365 Rn.  15; Larenz/Canaris, SchR II/2, §  68 III 1a (S.  160); Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  2; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  2. 2 

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

Leistende aus freien Stücken auf seine Verteidigung verzichtet, also bei der „frei­ willigen“6 Leistung. Unanwendbar ist sie dagegen, wenn nicht der spätere Berei­ cherungsgläubiger „gibt“, sondern sein Gegner „nimmt“. Das betrifft neben der Zwangsvollstreckung auch die Leistung „unter Druck“, vor allem zur Abwendung der Vollstreckung.7 Infolge der Konzentration auf §  814 BGB bleibt im Folgenden der Kondiktions­ ausschluss nach §  817 S.  2 BGB ausgeblendet. Wenngleich über die Ratio dieser Norm im Detail Streit besteht, liegt doch eine Deutung als generalpräventive Vor­ schrift nahe, die gesetzes- bzw. sittenwidrige Leistungen unattraktiv machen soll.8 Vor diesem besonderen Hintergrund zu sehen sind auch Vorschläge, bei §  817 S.  2 BGB auf ein Sitten- bzw. Gesetzwidrigkeitsbewusstsein ganz zu verzich­ ten9 oder die Prüfung (partiell) zu objektivieren.10 Verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerungen für den rechtsirrtümlichen Verzicht auf die Rechtsverteidigung lassen sich daher kaum ziehen.

B. Ansatzpunkt für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums: Wissenserfordernis in §  814 Var.  1 BGB Vor dem soeben skizzierten Hintergrund des §  814 Var.  1 BGB muss die Norm zwingend einen Ansatzpunkt bieten, um den über seine Verpflichtung Irrenden von der belastenden Wirkung auszunehmen: Die Kondiktion ist nur dann ausge­ schlossen, wenn der Leistende vom Fehlen der Verbindlichkeit weiß.11 Im römi­ schen Recht wurde in diesem Zusammenhang allerdings verbreitet, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, auf die Maxime „error iuris nocet“ rekurriert, nach 6 

Im oben bei §  9 C. III. 4. b) aa) (5) gebrauchten Sinne. RG, Urt. v. 3.4.1922 – IV 693/21, RGZ 104, 246, 250; BGH, Urt. v. 12.7.1995 – XII ZR 95/93, NJW 1995, 3052, 3054; BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = NJW 2015, 1672, 1676–1677 Rn.  4 4; Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  8; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  10; Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  5. 8  Eingehend m. w. N. Schwab, in: MüKo-BGB, §  817 Rn.  10. Von Generalprävention ausgehend etwa BGH, Urt. v. 10.4.2014 – VII ZR 241/13, BGHZ 201, 1 = NJW 2014, 1805, 1806 Rn.  24. 9  Am Vorsatzerfordernis zweifelnd etwa Buck-Heeb, in: Erman, §  817 Rn.  13; dafür aber die h. M., etwa RG, Urt. v. 8.11.1922 – IV 69/22, RGZ 105, 270, 271–272; BGH, Urt. v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, BGHZ 75, 299 = NJW 1980, 452, 452; BGH, Urt. v. 26.1.2006 – IX ZR 225/04, NJW-RR 2006, 1071, 1073 Rn.  28. Zum Verzicht auf ein Sittenwidrigkeitsbewusstsein (Var.  2) bei entsprechender Tatsachenkenntnis siehe Lorenz, in: Staudinger, §  817 Rn.  21; Schwab, in: MüKo-­ BGB, §  817 Rn.  86; anders aber die h. M. zum Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (Var.  1) BGH, Urt. v. 7.5.1992 – IX ZR 151/91, NJW-RR 1992, 1110, 1116; Lorenz, a.a.O, Rn.  22. 10  Für Ausreichen von leichtfertigem „Sichverschließen“ (vergleiche dazu schon in anderem Zusammenhang §  11 C. III. 5. a) bb) (2), b) bb)): BGH, Urt. v. 15.6.1989 – III ZR 9/88, NJW 1989, 3217, 3218; BGH, Urt. v. 9.10.1991 – VIII ZR 19/91, NJW 1992, 310, 311; BGH, Urt. v. 23.2.2005  – VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490, 1491; Sprau, in: Palandt, §  817 Rn.  17. 11  Anders liegen die Dinge im Fall des §  813 Abs.  1 S.  2 i. V. m. §  214 Abs.  2 S.  1 BGB: Die Rück­ forderung der auf eine verjährte Forderung erbrachten Leistung ist zum Schutz des Empfängers ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Leistenden ausgeschlossen (siehe bereits §  11 C. II. 6. d) dd) (4) mit Fn.  676). 7 

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss

511

der die Kondiktion allein schon aufgrund vorhandener Tatsachenkenntnis ausge­ schlossen war.12 Der Entwurf des BGB hat sich von einer Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtümern jedoch im Grundsatz gelöst und stellt auch nicht darauf ab, ob der jeweilige Irrtum vermeidbar war.13 Ein solches Konzept ent­ spricht mittlerweile auch dem internationalen Trend.14 Tatsächlich zählt die heute praktisch einhellige Auffassung zum erforderlichen Gegenstand der Kenntnis im Sinne von §  814 BGB neben den relevanten Umstän­ den auch die rechtliche Wertung, dass keine Leistungsverpflichtung besteht.15 Ebenso unisono wird positive Kenntnis des Leistenden verlangt; selbst ein grober, unentschuldbarer Irrtum über die Rechtslage stehe dieser nicht gleich.16 Damit geht einher, dass derjenige, der trotz Zweifeln an der Berechtigung des Anspruch­

12 Eingehend zur historischen Entwicklung und mit Kritik an deren verbreiteter Deutung H. Koch, Bereicherung, S.  110–116 m.N.(mit Nachweisen zu den Quellen); siehe auch Winkel, Error iuris, S.  101–111; R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1367–1370 m. w. N. 13  H. Koch, Bereicherung, S.   137–138; R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1370. Zur grundsätzlichen Gleichstellung von Rechts- und Tatsachenirrtum im BGB siehe bereits §  5 A. Zum Abstellen auf eine Entschuldbarkeit im römischen Recht näher H. Koch, a. a. O., S.  108–109, im gemeinen Recht a. a. O., S.  118–119. 14  So sieht VII.-2:101 (1) (b) DCFR einen Ausschluss des Bereicherungsanspruchs vor, wenn „the disadvantaged person consented freely and without error to the disadvantage“. In England verwarf das House of Lords mit der Entscheidung Kleinwort Benson Ltd v. Lincoln City Council et. al. [1999] 2 AC 349 (dazu Jansen, ERPL 2 (2000), 336 ff.; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  38–50; R. Zim­mermann, ZEuP 1999, 716 ff.), beinahe zweihundert Jahre nach der bis dahin prägenden Entscheidung Bilbie v. Lumley and Others (1802) 102 ER 448 (dazu – mit Kritik – R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1373–1375; zum früheren Stand der Doktrin ausführlich H. Koch, Bereicherung, S.  53–76), die Auffassung, dass eine allein auf einem Rechtsirrtum beru­ hende Leistung nicht zurückgefordert werden könne. Zu den vorangehenden Veränderungen in anderen Common-Law-Staaten siehe R. Zimmermann/Hellwege, a. a. O., S.  1387–1400. 15  BAG, Urt. v. 9.2.2005 – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814, 816; BAG, Urt. v. 8.11.2006 – 5 AZR 706/05, BAGE 120, 104 = NZA 2007, 321, 324 Rn.  34; BAG, Urt. v. 13.10.2010 – 5 AZR 648/09, BAGE 136, 54 = NZA 2011, 219, 220 Rn.  14; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 269/13, NZA 2015, 189, 191 Rn.  4 4; BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  35; BGH, Urt. v. 18.4.1978 – VI ZR 81/76, NJW 1978, 2392, 2393; BGH, Urt. v. 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113, 62 = NJW 1991, 919, 920–921; BGH, Urt. v. 17.10.2002 – III ZR 58/02, NJW 2002, 3772, 3773; BGH, Urt. v. 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580, 582 Rn.  17; BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = NJW 2015, 1672, 1676 Rn.  4 4; BGH, Urt. v. 22.10.2015 – IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391, 1392 Rn.  9; BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  17; BGH, Urt. v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, BGHZ 222, 32 = NZG 2019, 861, 863 Rn.  27; BGH, Urt. v. 1.10.2020 – IX ZR 247/19, ZIP 2020, 2242, 2246 Rn.  30; Buck-Heeb, in: ­Erman, §  814 Rn.  7; Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  4; Reuter/Martinek, Bereicherung, §  6 I 2 (S.  185); Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  814 Rn.  5; a. A. nur AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 6.4.2010 – 11 C 164/09, BeckRS 2010, 27844. 16  BAG, Urt. v. 8.11.2006 – 5 AZR 706/05, BAGE 120, 104 = NZA 2007, 321, 324 Rn.  34; BAG, Urt. v. 18.10.2018 – 6 AZR 300/17, NZA-RR 2019, 205, 212 Rn.  58; BAG, Urt. v. 26.6.2019  – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  36; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.2.2012 − 4 U 148/11, NJW-RR 2012, 1200, 1202; OLG Hamm, Urt. v. 26.7.2016 – I-9 U 150/15, NJOZ 2017, 914, 916 Rn.  31–32; OLG Köln, Urt. v. 3.4.2009 – 20 U 168/08, NJW-RR 2010, 244, 244; Larenz/Canaris, SchR II/2, §  68 III 1b (S.  161); Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  4; Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  814 Rn.  4; Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  4.

512

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

stellers – also trotz Hoffnung auf eine günstige Rechtslage17 – leistet, die Wirkung des §  814 BGB nicht zu fürchten haben soll.18 Die herrschende Auffassung macht eine Ausnahme nur dann, wenn der Leistende dem Empfänger gegenüber erkennen lasse, er (der Leistende) sei sich der Möglichkeit bewusst, dass es an einer Verbind­ lichkeit fehlen könnte, wolle die Leistung aber – etwa „um des lieben Friedens wil­ len“19 – selbst für diesen Fall bewirken und keine Rechte aus einem eventuellen Fehlen der Pflicht herleiten.20 Ungeachtet der Frage, ob der Leistende um die Nichtschuld wusste, ist eine Anwendung von §  814 Var.  1 BGB jedenfalls ausge­ schlossen, wenn es sich um eine Leistung unter Druck handelt 21 oder der Leisten­ de einen Vorbehalt 22 erklärt hat.23

C. Analyse Wie soeben gesehen, besteht weitgehende Einigkeit über den für eine Nachteilszu­ weisung nach §  814 BGB erforderlichen Erkenntnisgegenstand und -grad sowie die Substitution einer tatsächlich nicht vorhandenen Erkenntnis durch den Vorwurf der Unkenntnis. Gleichwohl lohnt es, die Herleitung dieser Ergebnisse zu hinter­ fragen. Auch stellt sich die Frage, wie mit dem schwierigen Nachweis der Rechts­ kenntnis zu verfahren ist. 17  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 1.7.2020 – 17 U 810/19, NJW-RR 2020, 1121, 1123 Rn.  52; OLG Hamm, Urt. v. 16.7.2013 – 19 U 19/13, BeckRS 2013, 16321; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  18. 18  RG, Urt. v. 8.11.1909 – IV 18/09, RGZ 72, 192, 199; RG, Urt. v. 23.1.1926 – I 137/25, RGZ 112, 355, 358; RG, Urt. v. 24.4.1937 – V 24/37, RGZ 154, 385, 397; BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  36; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.2.2012 − 4 U 148/11, NJWRR 2012, 1200, 1202; OLG Hamm, Urt. v. 26.7.2016 – I-9 U 150/15, NJOZ 2017, 914, 916 Rn.  34; LG Bremen, Urt. v. 6.6.2019 – 2 S 283/18, WuM 2019, 450, 452; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  253; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 297 Fn.  20; Reuter/Martinek, Bereicherung, §  6 I 2 (S.  185); Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  814 Rn.  4; Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  4. 19  Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  6 m. w. N.; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  23. 20  RG, Urt. v. 8.3.1934 – IV 5/34, RGZ 144, 89, 91; BGH, Urt. v. 9.5.1960 – III ZR 32/59, BGHZ 32, 273 = NJW 1960, 1522, 1523; BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  112; BGH, Urt. v. 22.10.2015 – IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391, 1392 Rn.  11–12; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.2.2012 − 4 U 148/11, NJW-RR 2012, 1200, 1202; Reuter/Martinek, Bereicherung, §  6 I 2 (S.  186–187); Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  814 Rn.  4, 11; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  9, 17; siehe zur dogmatischen Grundlage noch unten C. II. (vor 1.). 21  Siehe schon oben A. mit Fn.  7. 22  RG, Urt. v. 26.10.1932 – I 131/32, RGZ 138, 122, 124; BGH, Urt. v. 17.2.1982 – IVb ZR 657/80, BGHZ 83, 278 = NJW 1982, 1147, 1148; BGH, Urt. v. 8.2.1984 – IVb ZR 52/82, NJW 1984, 2826, 2827; KG, Urt. v. 11.9.2014 – 8 U 77/13, NZM 2014, 909, 911; Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  7; Wiese, in: Hk-BGB, §  814 Rn.  3. 23  Es handelt sich um Alternativen zur Unkenntnis des Leistenden, die eine Anwendung von §  814 BGB gleichermaßen ausschließen. Zur Unerheblichkeit eines Vorbehalts, wenn es schon an Kenntnis mangelt, etwa OLG Hamm, Urt. v. 16.7.2013 – 19 U 19/13, BeckRS 2013, 16321; AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347; Eisenhardt, WuM 2019, 5, 9; beach­ te indes Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  11, zu LG Karlsruhe, Urt. v. 13.11.2009 – 9 S 513/08, BeckRS 2011, 11100 (dazu ausführlich unten C. II. 1. d)).

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss

513

I. Erkenntnisgegenstand Angesichts der bewussten Richtungsentscheidung der Verfasser des BGB24 ist es konsequent, dass für Kenntnis des Leistenden im Sinne von §  814 Var.  1 BGB eine zutreffende rechtliche Bewertung vorausgesetzt wird.25 Die ganz vereinzelte Ab­ weichung26 ergäbe allenfalls als (wenig transparenter) Rückgriff auf die Figur eines Anscheinsbeweises für Rechtskenntnis Sinn.27 Richtig erscheint es zudem, mit der praktisch einhelligen Auffassung keine präzisen Rechtskenntnisse zu verlangen, sondern eine zutreffende „Parallelwertung in der Laiensphäre“ genügen zu lassen.28 Wie bei anderen Rechtskenntnistatbeständen wird dadurch das Ergebnis vermie­ den, dass nur genaue Rechtskenntnis schadete.29 Eine Anwendung von §  814 BGB schon bei bloßer Tatsachenkenntnis könnte man allenfalls mit dem Schutz des Leistungsempfängers zu rechtfertigen suchen. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass „das Vertrauen des Empfängers bei ei­ nem Tatsachenirrtum ebenso schützenswert ist wie bei einem Rechtsirrtum“.30 Ein rechtsirrtumsspezifisches Problem ist aber zumindest dort betroffen, wo die Leistung im Einklang mit der damals herrschenden höchstrichterlichen Rechtspre­ chung erfolgt ist. Der Empfänger vertraut dann naheliegenderweise darauf, die Leistung behalten zu dürfen. Man könnte dieses Vertrauen schützen, indem man nach einer späteren Rechtsprechungsänderung den Bereicherungsanspruch über §  814 BGB sperrte, weil man Tatsachenkenntnis für ausreichend erachtete. Jörg Mayer hat eine solche Lösung auf den Rechtsgedanken von §  79 Abs.  2 BVerfGG31 gestützt.32 Nach dieser Vorschrift bleiben rechtskräftige Entschei­ dungen auch dann bestehen, wenn sie auf einer Norm beruhen, die nachträglich vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde (S.  1); bereicherungsrechtliche Ansprüche scheiden konsequenterweise aus (S.  4). Die Interessenlage, welche §  79 Abs.  2 BVerfGG zugrunde liegt, unterscheidet sich indes schon im Ansatz so we­ 24 

Siehe dazu oben B. Siehe B. mit Fn.  15. 26  AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 6.4.2010 – 11 C 164/09, BeckRS 2010, 27844. 27  Dazu noch unten III. 2. c). 28  BAG, Urt. v. 9.2.2005 – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814, 816; BAG, Urt. v. 8.11.2006 – 5 AZR 706/05, BAGE 120, 104 = NZA 2007, 321, 324 Rn.  34; BAG, Urt. v. 13.10.2010 – 5 AZR 648/09, BAGE 136, 54 = NZA 2011, 219, 220 Rn.  14; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 269/13, NZA 2015, 189, 191 Rn.  4 4; BAG, Urt. v. 18.10.2018 – 6 AZR 300/17, NZA-RR 2019, 205, 212 Rn.  58; BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  35; BGH, Urt. v. 25.1.2008 – V ZR 118/07, NJW-RR 2008, 824 Rn.  13; BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  109; BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  17; BGH, Urt. v. 1.10.2020 – IX ZR 247/19, ZIP 2020, 2242, 2246 Rn.  30; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  253; Reuter/­Martinek, Bereicherung, §  6 I 1 (S.  185); Schrader, Wissen, S.  192; Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  4. 29  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.   260 Fn.  6, in Übertragung der entsprechenden Ausführungen von Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 301–302, zu §  819 Abs.  1 BGB. Siehe bereits oben zu §§  407, 819 Abs.  1 BGB: §  11 C. II. 6. c) aa) mit Fn.  512, III. 5. a) bb) (2). 30  R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1383. 31  Dazu auch noch §  14 B. II. 32  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  253. 25 

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

sentlich, dass eine Analogie nicht in Betracht kommt. Das BVerfGG schützt an dieser Stelle nämlich die Rechtskraft von Entscheidungen als besonders hohes Gut.33 Auf eine solche Position kann der Leistungsempfänger in den hier interes­ sierenden Fällen nicht verweisen. Auch im Übrigen spricht nichts für einen durch §  814 BGB zu bewerkstelligenden Schutz des Leistungsempfängers im beschriebenen Fall. Die Problematik ähnelt ei­ ner oben im Kontext des Verjährungsrechts geführten Diskussion:34 Dort wird mit­ unter das Argument vorgebracht, der von Rechtskenntnis unabhängige Beginn der Regelverjährung schütze den Schuldner davor, nach späteren Rechtsprechungsände­ rungen überraschend in Anspruch genommen zu werden. Dieser Gedanke war in­ des zu verwerfen:35 Der Schutz des Schuldners ist über die kenntnisunabhängige Maximalverjährung gewährleistet. Vergleichbares muss erst recht bei §  814 BGB gelten, dessen Wortlaut anders als §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB keinen offensichtlichen Anknüpfungspunkt für eine Diskriminierung von rechtlichen Fehlvorstellungen bietet. Die Ausgangslage wäre nur dann eine andere, wenn §  812 BGB positiv einen Irrtum des Leistenden erforderte. Dann ließe sich zumindest darüber diskutieren, ob eine Leistungserbringung auf Basis der zu dieser Zeit herrschenden höchstrich­ terlichen Sichtweise wirklich „irrtümlich“ erfolgte.36 Der Gesetzgeber hat von einer solchen Ausgestaltung aber bewusst abgesehen.37 Der Empfänger einer aufgrund späterer Rechtsprechung als rechtsgrundlos erkannten Leistung wird in seinem Ver­ trauen auf das Behaltendürfen der Leistung anderweitig geschützt. Ihm hilft zum einen die Maximalverjährung des Bereicherungsanspruchs.38 Zum anderen erfährt der Rückgewährschuldner Schutz durch §  818 BGB (sowie durch den Umstand, dass die verschärfte Haftung nach §  819 Abs.  1 BGB Kenntnis voraussetzt, die vor der Rechtsprechungsänderung nicht bestehen dürfte).39

II. Erkenntnisgrad Kenntnis im Sinne von §  814 BGB wird durch Zweifel verhindert.40 Schon das Reichsgericht hat treffend von einer Gleichstellung zwischen „bloße[m] Zweifel“

33 

Zur Schutzwürdigkeit der Rechtskraft bereits §  8 C. I. 2. Zum Folgenden oben §  7 C. I. 3. d). 35  Siehe oben §  7 C. I. 3. d). 36  Siehe dazu oben §  4 C. III. 37  Siehe oben A., v. a. unter Hinweis auf Mot. II, 833. Auch H. Koch, Bereicherung, S.  156, hält das Problem der Vertrauensenttäuschung beim Rechtsprechungswandel ohne Diskriminierung des Rechtsirrtums für lösbar; ebenfalls richtig Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 410: „Wer dieses Ergebnis nicht hinnehmen will, muß […] an den objektiven Voraussetzungen des Bereicherungs­ anspruchs ansetzen.“ 38  Dies sieht J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  253, durchaus, hält es aber – vor dem Hintergrund des damaligen Verjährungsrechts – nicht für ausreichend. 39  Siehe auch Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  8; R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Groß­ feld, S.  1367, 1383; ganz ähnlich Jansen, ERPL 2 (2000), 336, 342. Siehe zudem unten III. 1. 40  Siehe oben B. m.N. in Fn.  18. 34 

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss

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und „entschiedene[m] Irrtum“ gesprochen.41 Der schädliche Erkenntnisgrad ist für den Leistenden demnach erst bei Gewissheit über das Bestehen eines Rechtsgrun­ des erreicht. Dies wird nicht durch die Ausnahme in Frage gestellt, wonach die Kondiktion gesperrt ist, wenn der Leistende deutlich macht, aus dem als möglich erkannten Fehlen des Rechtsgrundes keine Rechte herleiten zu wollen.42 Es handelt sich dabei um eine verzichtsähnliche Risikoübernahme, die nach §  242 BGB43 be­ achtlich ist. An deren Annahme sind im Rahmen der Auslegung strenge Anforde­ rungen zu stellen.44 Die Grundentscheidung, wonach Zweifel nicht schaden, wird hierdurch nicht angetastet. Für diese Sichtweise gibt es gute Gründe. Das ist im Folgenden zu zeigen. 1. Begründung Allein der Wortlaut, der auf das Wissen des Leistenden abstellt, vermag noch nicht als abschließende Begründung zu dienen. Nicht überall im deutschen Privatrecht werden Wissen bzw. Kenntnis45 mit Gewissheit gleichgesetzt; mitunter wird auch „Eventualwissen“ als ausreichend erachtet.46 Es ist demnach nach weiteren Argu­ menten zu forschen. Dabei ist zunächst ein vorhandener Begründungsansatz kri­ tisch zu hinterfragen (a)), bevor unter Rückgriff auf den Normzweck (b)) ein Ver­ such unternommen wird, das Ergebnis aus den bisherigen Erkenntnissen zur Rechtsirrtumsproblematik abzuleiten (c)–d)). Schließlich ist dieses Resultat noch gegen eventuelle Gegenschlüsse aus neueren gesetzlichen Entwicklungen abzusi­ chern (e)). a) Herstellung richtiger Rechtszuordnung Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung bei der Annahme von (Rechts-) Kenntnis im Rahmen des §  814 BGB scheint in generellen Vorbehalten gegenüber einer Kondiktionssperre zu liegen. Verwiesen wird auf die „Grundmaxime des Be­ reicherungsrechts, wonach niemand auf Kosten eines anderen reicher werden soll“.47 Weil es gelte, mithilfe von §  812 BGB das Gebot der ausgleichenden Gerech­ tigkeit zu verwirklichen, wäre eine generalpräventive Bestrafung von Rechtsun­ 41  RG, Urt. v. 8.12.1904 – VI 58/04, RGZ 59, 351, 354; ganz ähnlich RG, Urt. v. 23.1.1926  – I 137/­25, RGZ 112, 355, 358. 42  Dazu oben B. mit Nachweisen in Fn.  20. 43  Siehe etwa RG, Urt. v. 8.3.1934 – IV 5/34, RGZ 144, 89, 91; BGH, Urt. v. 9.5.1960 – III ZR 32/59, BGHZ 32, 273 = NJW 1960, 1522, 1523; BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  112; BGH, Urt. v. 22.10.2015 – IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391, 1392 Rn.  11; anders v. Sachsen Gessaphe, in: NK-BGB, §  814 Rn.  5: §  814 BGB anwendbar. 44  Siehe nur BGH, Urt. v. 22.10.2015 – IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391, 1392 Rn.  13 m. w. N. zur Rechtsprechung zum Verzicht. Die Beweislast liegt beim Leistungsempfänger, Schwab, in: MüKo-­ BGB, §  814 Rn.  23. 45  Zum Synonymcharakter siehe nur Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640. 46  Vergleiche etwa Buck, Wissen, S.  59–60. 47  R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1386–1387.

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

kundigen verfehlt.48 Das gleiche Verständnis wird in dem Hinweis offenbar, eine großzügige Annahme von Kenntnis bei §  814 BGB belasse dem Empfänger eine Leistung, auf die er kein Recht habe.49 Aus rechtlichen Fehleinschätzungen soll also offenbar umso weniger ein Nachteil erwachsen, je stärker die Gefahr ist, dass durch die Nachteilszuweisung ein Zustand unzutreffender Rechtszuordnung geschaffen würde. Ein solcher Gedanke könnte zugleich die strenge Behandlung von Rechts­ zweifeln des Schuldners im Rahmen von §§  280, 281, 286 BGB50 stützen. Dort steht schließlich die Weigerung des Schuldners der rechtmäßigen Güterzuordnung im Weg. Eine derartige Betrachtung mag auf den ersten Blick ihren Reiz haben. Sie wäre indes zu oberflächlich angelegt.51 Mit Blick auf die „richtige Rechtszuordnung“ läge es beispielsweise gleichermaßen nahe, den in rechtlicher Hinsicht irrenden Gläubiger von Verjährungsnachteilen freizustellen. Die Verjährung sperrt schließ­ lich die Durchsetzung des bestehenden Anspruchs. Gleichwohl erklärt §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB Rechtsirrtümer grundsätzlich für unbeachtlich. Schon dieses Beispiel zeigt, dass die „richtige Rechtszuordnung“ für sich genommen eine bloße argu­ mentative Hülle ist, die sich beliebig füllen lässt. Man könnte es umgekehrt als Teil der „richtigen“ Zuordnung begreifen, dass der Geltendmachung bestehender An­ sprüche nach Ablauf eines gewissen Zeitraums im Interesse der Rechtssicherheit Grenzen gesetzt werden. Auch im Schadensrecht lässt sich mit gleicher Berechti­ gung behaupten, nicht (nur) der Ausgleich von Schäden sei „richtig“, sondern (zu­ mindest in bestimmten Fällen auch) die „Nichtkompensation“.52 Gleichermaßen könnte es also gerade der „richtigen“ Rechtszuordnung entsprechen, dass trotz rechtlicher Zweifel erbrachte Leistungen nicht kondizierbar sind. Dass hier die Kondiktion „richtig“ und die Kondiktionssperre „falsch“ ist, bedarf eigenständi­ ger Begründung. b) Verbot widersprüchlichen Verhaltens Überzeugend erscheint der Rückgriff auf die hinter §  814 BGB stehende Ratio. Es ist anerkannt, dass die Vorschrift auf dem Gedanken der Unzulässigkeit wider­ sprüchlichen Verhaltens beruht.53 Ein Widerspruch zwischen Leistung und an­ schließender Rückforderung ergibt sich aber nur, wenn die Leistung in der Über­ zeugung der Nichtschuld erbracht wurde. Erfolgt sie trotz rechtlicher Zweifel, gibt der Leistende zu erkennen, dass er einen Anspruch für möglich hält; selbst wenn er den Gegenstand anschließend sofort zurückforderte, ergäbe sich daraus keine un­ vereinbare Aussage: Das Bestehen eines Anspruchs würde (weiterhin) für möglich 48 

R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1387. Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 34 Fn.  35; ähnlich Eisenhardt, WuM 2019, 5, 6: „Da es bei §  814 BGB um nichts weniger als die Rechtfertigung von Unrecht geht […]“. 50  Dazu oben §  11 C. II. 2. 51  Siehe bereits die allgemeine Warnung bei §  5 B. III. 52  G. Wagner, DelR, Kap.  4 Rn.  2 ; zustimmend Schäfer/Ott, Analyse, S.  151. 53  Siehe oben A. m.N. 49 So

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erachtet.54 Erst die Entscheidung über das Rückforderungsbegehren vermag „den Zweifel an der Schuld zur Gewissheit ihres Nichtbestehens erstarken zu lassen“.55 Es gibt keine Veranlassung, ausgerechnet demjenigen, der sich besonders gewissen­ haft über die Rechtslage informiert und Zweifel an seiner Verpflichtung gewinnt, den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens zu machen.56 In dieser speziellen Ziel­ richtung des §  814 BGB – nicht in der allgemeinen „Grundmaxime“ des Bereiche­ rungsrechts57 – ist die entscheidende Wertung für das Kenntniserfordernis zu er­ blicken. Hier liegt auch der Unterschied zur Behandlung des Rechtsirrtums im Verjährungsrecht.58 c) Leistung und Rückforderung als Instrument zur Rechtsklärung Die großzügige Behandlung dessen, der trotz Zweifeln auf eine nicht bestehende Schuld leistet, erscheint ebenso aus systematischen Gründen zwingend geboten. Die Zusammenhänge werden bislang selten benannt. Sie zeigen sich in Gänze erst bei einer übergreifenden Betrachtung der Rechtsirrtumsproblematik: Die Milde, die der vermeintliche Schuldner bei §  814 BGB erfährt, ist das konsequente Gegen­ stück zu der Strenge, mit der eine Nichtleistung trotz rechtlicher Zweifel im Rah­ men der §§  280 ff. BGB sanktioniert wird. Eben diese Verbindung erkennt letztlich Schwab,59 wenn er argumentiert, eine Leistung unter einfachem Vorbehalt60 müsse als Erfüllung anzusehen sein, da der in Anspruch Genommene ansonsten vor einer „Wahl zwischen Pest und Cholera“ stünde. Er könnte sonst nur zwischen der Nichterfüllung unter Tragung des Ver­ zugsrisikos und der Erfüllung unter Verzicht auf einen Bereicherungsanspruch entscheiden. In eine solche „Zwickmühle“ dürfe die Rechtsordnung den Schuldner nicht bringen. Diese Ausführungen sind erst recht auf die Auslegung des Kenntnis­ merkmals bei §  814 BGB übertragbar. Denn wenn die Vorschrift bei Zweifeln des Leistenden stets griffe, würde nicht einmal der von Schwab genannte Vorbehalt die Rückforderung ermöglichen. Die missliche Lage des möglichen Anspruchsgegners deutet auch Reinhard Zimmermann in seiner Kritik am englischen Recht an: Wenn demjenigen, der trotz einer für ihn günstig erscheinenden, aber nicht abschließend geklärten Rechtslage leiste, der Kondiktionsanspruch genommen werde, „würde man ihm damit doch ansinnen, sich verklagen zu lassen mit einem, ex ante betrach­ tet, überwiegenden Risiko des Prozeßverlustes“.61 In dieser Bemerkung kommt wiederum treffend zum Ausdruck, dass die Verhaltensalternative, die für den in 54  Zutreffendes Verständnis bei Larenz/Canaris, SchR II/2, §  68 III 1b (S.  161); Schwab, JuS 2015, 168, 170. 55 Zutreffend Schwab, JuS 2015, 168, 170; sogleich näher unter c). 56  Vergleiche auch die Kritik von R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 727, an der Anknüpfung an den „Irrtum“ als Kondiktionsvoraussetzung im englischen Recht. 57  Dazu a) unter Hinweis auf R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1386–1387. 58 Zutreffend Schwab, JuS 2015, 168, 170–171. 59  Zum Folgenden Schwab, JuS 2012, 937, 939. 60  Siehe dazu bereits oben B. bei Fn.  2 2. Dazu auch sogleich noch d). 61  R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 727.

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Anspruch Genommenen besteht, bei der Entscheidung über die Gewährung eines Bereicherungsanspruchs nicht außen vor bleiben kann. Die Wertung, eine „Zwickmühle“ für den potenziellen Schuldner sei zu verhin­ dern, bedarf allerdings näherer Erläuterung. Allein der Umstand, dass dem in An­ spruch Genommenen zur Auflösung der Situation nur zwei jeweils risikobehaftete Verhaltensweisen zur Verfügung stehen, ist nicht zwingend untragbar. Schließlich muss der potenzielle Schuldner, selbst wenn man eine Kondiktion zulässt, zumin­ dest das Insolvenzrisiko übernehmen, möchte er eine Haftung wegen Nicht- bzw. Zuspätleistung ausschließen. Bedenken sollte man aber zumindest, dass die vor­ zugswürdige strenge Ansicht zur Schuldnerhaftung bei Rechtszweifeln wesentlich auf dem Argument fußt, der Schuldner könne zunächst leisten und anschließend kondizieren. 62 Wollte man bei §  814 BGB schon Zweifel schaden lassen, müsste man ein Kernelement der Begründung zur strengen Haftung nach §§  280 ff. BGB aufgegeben. Dieser Tragweite sollte man sich bewusst sein. Die Rückforderung einer trotz Rechtszweifeln erbrachten Leistung dient zu­ gleich dem Allgemeininteresse an der Rechtskonkretisierung und -fortbildung. 63 Dass die strenge Schuldnerhaftung den in Anspruch Genommenen dazu drängt, bei objektiv zweifelhafter Rechtslage die Leistung vorläufig zu erbringen, ist durch die Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO vorgegeben, aber unter dem Aspekt der Rechtsklärung nicht immer ideal. 64 Zu einer verbindlichen gerichtlichen Klärung der offenen Rechtsfrage kommt es nur dann, wenn anschließend die Rückforde­ rung geltend gemacht wird. Dieser Zusammenhang wird wiederum in der oben zitierten Formulierung angedeutet, wonach die Kondiktionsklage dazu diene, „den Zweifel an der Schuld zur Gewissheit ihres Nichtbestehens erstarken zu lassen“65. d) Vorteile gegenüber Verweis auf Leistung unter Vorbehalt Auch wenn man die vorstehenden Überlegungen teilt, ließe sich noch gegen die großzügige Behandlung des Zweifelnden im Rahmen von §  814 Var.  1 BGB argu­ mentieren. Man könnte anführen, der Zweifelnde habe es selbst in der Hand, seinen Bereicherungsanspruch zu erhalten, indem er die Leistung mit einem Vorbehalt verknüpfte, welcher die Anwendung von §  814 BGB ausschließe; wer auf einen sol­ chen Vorbehalt verzichte, verhalte sich widersprüchlich (im Sinne der Ratio des §  814 BGB66), wenn er anschließend die Rückforderung betreibe. Zum Mietrecht wird tatsächlich vereinzelt in diese Richtung argumentiert: Es erscheine dem Mie­ ter, der trotz einer denkbaren Minderung zahle, zumutbar, dies unter Vorbehalt zu tun, um den Kondiktionsausschluss zu meiden. 67 62 

Siehe oben §  11 C. II. 2. b) cc). Zu diesem Gesichtspunkt allgemein §  3 A. II. 2., §  5 B. II. 2. 64  Näher §  11 C. II. 2. c) bb). 65  Schwab, JuS 2015, 168, 170 (dazu soeben schon bei b)). 66  Dazu soeben b). 67  Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  11, zu LG Karlsruhe, Urt. v. 13.11.2009 – 9 S 513/08, BeckRS 2011, 11100. 63 

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Diese Argumentation wäre mit §  814 BGB nur dann zu vereinbaren, wenn man in solchen Fällen von positivem Wissen des Leistenden (hier: des Mieters) ausginge. Solange keine Kenntnis vorliegt, ist schließlich ein Ausweichen auf den Vorbehalt als alternatives Instrument68 nicht erforderlich. Gegen ein weites Kenntnisver­ ständnis, das unter Verweis auf die Möglichkeit des Vorbehalts zu entwickeln wäre, spricht ein beachtliches mit der Rechtsirrtumsproblematik verknüpftes Argument: Durch das Erfordernis eines Vorbehalts würde neues Potenzial für Rechtsirrtümer des Leistenden geschaffen. Wie wäre es zu behandeln, wenn der Leistende zwar Zweifel hinsichtlich des Rechtsgrundes hegte (und somit nach extensiver Lesart das Kenntniserfordernis des §  814 BGB erfüllte), ihm aber das rechtliche Wissen, dass unter solchen Umständen ein Vorbehalt erforderlich ist, fehlte? Man geriete vom Regen in die Traufe. 69 Nicht ohne Grund nimmt die Rechtsprechung bei einer Leistung trotz ungewisser Verpflichtung eine passgenauere Prüfung im Rahmen von §  242 BGB vor:70 Die Kondiktion ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Aus­ legung deutlich ergibt, dass mit dem Verzicht auf den Vorbehalt zugleich ein Ver­ zicht auf die Rückforderungsmöglichkeit einhergehen sollte. Im Rahmen der Aus­ legung lässt sich berücksichtigen, dass der Leistende (etwa als Wohnraummieter) zu einer Personengruppe gehört, die in der Regel nicht über Kenntnisse des zur Rechtswahrung optimalen rechtlichen Instrumentariums verfügt. Indem man darauf verzichtet, bei zweifelhafter Rechtslage einen Vorbehalt zur Bedingung für die Kondiktion zu erheben, erübrigen sich zudem fragwürdige Aus­ weichbewegungen. Zu nennen ist insbesondere die extensive Auslegung von Ver­ haltensweisen des Leistenden als Vorbehalt.71 Zu beobachten ist ferner ein Aus­ weichen auf Kondiktionsarten, auf die §  814 BGB keine Anwendung findet.72 Selbst ein gesetzlicher Ausschluss von §  814 BGB bei der Mietzahlung wird vorge­ schlagen.73 Solcher Instrumente bedarf es nach der hier präferierten Auslegung des Kenntnismerkmals von vornherein nicht.

68 

Siehe B. Fn.  23. zu einem vergleichbaren Problem oben §  9 C. III. 5. hinsichtlich der Frage, ob der zweifelnde Anspruchsteller die Geltendmachung mit einem Vorbehalt – in Form eines Hinweises auf die bestehenden Zweifel – versehen muss. 70  Siehe oben II. (vor 1.). 71  Siehe etwa LG Berlin, Urt. v. 1.3.2018 – 67 S 342/17, WuM 2018, 299, 301, zu einer der Leis­ tung des Mieters vorangegangen Mängelanzeige (entgegen KG, Urt. v. 11.9.2014 – 8 U 77/13, NZM 2014, 909, 911). 72  Siehe etwa die Heranziehung von §  812 Abs.  1 S.  2 Var.  2 BGB (wo §  814 BGB unanwendbar ist, Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  2) durch BGH, Urt. v. 26.9.1975 – V ZR 180/73, NJW 1976, 237, 238 (indem das „Bestimmen der Gegenseite zur Gegenleistung“ als Zweck angesehen wird), oder die Anwendung von §  817 BGB bei überzahlter Maklerprovision, wo §  5 WoVermRG die Sperre nach §  817 S.  2 BGB bewusst ausschließt (siehe D. Fischer, WuM 2016, 391, 399). 73 So Raabe, WuM 2017, 65, 71. 69  Siehe

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e) Keine gegensätzliche Wertung aus §  556g Abs.  1 S.  4 BGB Die bisher gefundenen Ergebnisse könnten indes durch eine neuere Entwicklung in Zweifel gezogen sein. So hat der Gesetzgeber bei der Implementierung der soge­ nannten Mietpreisbremse im Jahr 2015 in §  556g Abs.  1 S.  4 BGB einen besonderen Ausschlusstatbestand für die Anwendung von §  814 BGB geschaffen. Der Mieter kann demnach eine überhöhte Miete selbst dann zurückfordern (§  556g Abs.  1 S.  3 BGB), wenn er von der Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Miethöhe wuss­ te. Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus: Gerade auf angespannten Wohnungs­ märkten sei ein Mietinteressent faktisch gezwungen, auch rechtswidrig hohe Mie­ ten zunächst zu akzeptieren, denn er verliere die Chance auf einen Zuschlag, „wenn er die verlangte Miete vor Vertragsschluss in Frage stellt“.74 Die Formulierung lässt aufhorchen. Erkennt der Gesetzgeber eine (durch §  556g Abs.  1 S.  4 BGB zu ban­ nende) Gefahr des Kondiktionsausschlusses nach §  814 BGB etwa bereits dann, wenn der Mieter die Wirksamkeit der Vereinbarung nur in Zweifel zieht? Bei nüch­ terner Betrachtung dürfte sich hinter der gewählten Terminologie kein solches ex­ tensives Verständnis des in §  814 BGB verwendeten Kenntnisbegriffs verbergen. Die Wendung „in Frage stellt“ wird man nicht als Beschreibung des subjektiven Erkenntnisgrades (etwa in Abgrenzung zu „sicher wissen“) zu verstehen haben. Gemeint sein dürfte schlicht der Akt des „Hinterfragens“. In diesem Sinne „in Fra­ ge stellen“ kann ein Mieter die Miethöhe aber auch und gerade dann, wenn er von einem Verstoß gegen die Mietpreisbremse sicher ausgeht. f) Zwischenfazit Rechtskenntnis im Sinne von §  814 Var.  1 BGB ist solange nicht zu bejahen, wie rechtliche Zweifel nicht vollständig ausgeräumt sind. Dieses Ergebnis sollte man allerdings nicht damit begründen, die Kondiktionssperre des §  814 BGB perpetuie­ re einen unrechtmäßigen Zustand. Zurückgreifen lässt sich neben der anerkannten Ratio der Norm (Sanktionierung widersprüchlichen Verhaltens) auf die systemati­ schen Zusammenhänge der Rechtsirrtumsproblematik: Drängt das Haftungsrecht den potenziellen Schuldner bei zweifelhafter Rechtslage zur Leistung und verweist es ihn auf die Möglichkeit einer späteren Rückforderung, darf ihm §  814 BGB die Kondiktionsmöglichkeit nicht nehmen. Nur auf diesem Weg kann es zur Klärung offener Rechtsfragen kommen. Dass §  814 BGB bei umstrittener Rechtslage „leer­ laufen“ kann, ist folglich im Bedeutungsgehalt der Vorschrift angelegt.75 2. Präzisierung des Maßstabs Wenn Rechtskenntnis im Sinne von §  814 Var.  1 BGB mit Gewissheit gleichzusetzen ist, kann insoweit auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die an anderen Stellen 74 

75 

347.

Begr. RegE MietNovG, BT-Drs. 18/3121, 33 (Herv. d. Verf.). Treffende Formulierung bei AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345,

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bereits erarbeitet wurden: So schadet bei der irrtümlichen Anspruchsgeltend­ machung nur praktische Gewissheit, während im Zusammenhang mit der Verjäh­ rung und der Schuldnerhaftung jeweils nur (vermeintliche) Gewissheit entlastet.76 a) Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung Als „gewiss“ anzusehen ist die Lage jedenfalls bei Vorliegen einschlägiger höch­ strichterlicher Rechtsprechung, für deren Umschwung keine Anzeichen bestehen.77 Zu Recht neigt etwa das BAG zur Annahme von Kenntnis im Sinne des §  814 BGB, wenn dem Leistenden die maßgebliche Rechtsansicht des BAG aus einer ihn selbst betreffenden Grundsatzentscheidung bekannt war.78 Kenntnis lässt sich hingegen nicht ohne Weiteres annehmen, wenn die bestehende Judikatur nicht exakt die Rechtsfragen betrifft, auf die es für den Leistenden ankommt. Vorsicht geboten ist beispielsweise, wenn eine anders formulierte AGB-Klausel in Rede steht79 oder an­ stelle von Verbraucherverträgen nun der unternehmerische Verkehr betroffen ist.80 „Gewissheit“ im hier verwendeten Sinne vermitteln obergerichtliche Entschei­ dungen in aller Regel nicht. Das gilt, auch nach Ansicht des BGH, erst recht, wenn diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen. 81 Das Wissen um widersprüchliche Instanzentscheidungen begründet ebenso keine Kenntnis im Sinne von §  814 BGB. 82 Diese Grundsätze ignoriert die Rechtsprechung mitunter, wenn es um die Rückforderung einer Vorfälligkeitsentschädigung geht, die der Darlehensnehmer trotz erfolgten Verbraucherwiderrufs gezahlt hatte. Eine An­ wendung von §  814 BGB wird in solchen Fällen teils unkritisch bejaht, obwohl die maßgebliche Rechtsfrage – Wirksamkeit des Widerrufs infolge unzureichender Be­ lehrung – im Leistungszeitpunkt von den Obergerichten unterschiedlich beurteilt wurde.83 Das OLG Zweibrücken ist dem mit Recht energisch entgegengetreten: Die bloße Rechtsansicht, nichts zu schulden, sei jedenfalls bei fehlender höchstrich­ terlicher Klärung und bestehendem Streit unter den Obergerichten nicht identisch mit der Kenntnis der Nichtschuld. 84 76 

Siehe §  7 C. II. 2., §  9 C. III. 3., §  11 C. II. 5. Siehe §  7 C. II. 2. c) aa), §  9 C. III. 3. b) bb), §  11 C. II. 5. b) aa). 78  BAG, Urt. v. 9.2.2005 – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814, 816. Die Annahme von Kenntnis scheiterte dort offenbar nur am fehlenden Wissen um die subsumtionsrelevanten Tatsachen. 79  Siehe OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  29; Paschke, WuM 2008, 647, 650. 80  Lammeyer/Singbartl, GWR 2016, 482, 484. 81  BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  110; zustimmend Schwab, JuS 2015, 168, 170. 82  Im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 1.7.2020 – 17 U 810/19, NJW-RR 2020, 1121, 1123 Rn.  52; OLG Hamm, Urt. v. 16.7.2013 – 19 U 19/13, BeckRS 2013, 16321; Paschke, WuM 2008, 647, 650. 83  So v. a. LG Düsseldorf, Urt. v. 10.7.2015 – 10 O 277/14, BeckRS 2016, 3636; sowie OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.5.2015 – 17 U 59/14, WM 2015, 1712, 1714 (obiter). Offenlassend dagegen BGH, Urt. v. 21.2.2017 – XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823, 1825 Rn.  20, wo §  814 BGB zwar ge­ nannt, aber nicht geprüft wird. 84  OLG Zweibrücken, Urt. v. 23.11.2016 – 7 U 77/15, BeckRS 2016, 119010 Rn.  86. 77 

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b) Sonderfall: Fehleinschätzung der Minderungsquote im Mietrecht Besondere Schwierigkeiten bei der Anwendung von §  814 Var.  1 BGB ergeben sich mit Blick auf die Mietminderung (§  536 BGB). Mitunter wird §  814 BGB bereits insgesamt für unpassend erachtet, soweit – wie beim Wohnraummieter (§  556b Abs.  1 BGB) – Vorleistung geschuldet ist.85 Richtig daran ist, dass der Kondiktions­ ausschluss nicht greifen kann, wenn erst nach der Leistungserbringung der Rechts­ grund (teilweise) entfällt, etwa weil ein Mangel auftritt.86 In Betracht kommt eine Anwendung von §  814 BGB aber immerhin bei der sicheren Prognose, dass ein vor­ handener Mangel im relevanten Zeitabschnitt fortbestehen wird. 87 Hält man die Anwendung von §  814 BGB im Grundsatz für möglich, stellt sich die Frage, inwieweit Kenntnis des Mieters von der exakten Minderungsquote vor­ ausgesetzt ist. Selbst der VIII. Zivilsenat des BGH gesteht ein, es sei in der Regel nicht einmal für Rechtsberater zuverlässig einzuschätzen, welche Quote ein Ge­ richt für berechtigt erachten wird.88 Umstritten ist aber, welche Konsequenzen aus diesem Befund zu ziehen sind. Der genannte Senat möchte angesichts der viel­ fältigen „Bemessungsunwägbarkeiten“ Kenntnis im Sinne von §  814 BGB schon dann annehmen, wenn der Leistende die Quote bloß ungefähr richtig bestimmt hat. 89 Das LG Berlin als Vorinstanz hatte Kenntnis hingegen (unter anderem) un­ ter Hinweis auf das fehlende Wissen des Mieters um die exakte Quote verneint.90 Diese Sichtweise hat im Schrifttum Zustimmung erfahren.91 Das richtige Maß dürfte zwischen diesen beiden Auffassungen liegen. Es ist im Folgenden aufzuzei­ gen, dass die Problematik mit dem regulären Instrumentarium des §  814 BGB zu lösen ist. Die einseitige Zuweisung des Berechnungsrisikos zum Mieter, wie sie dem BGH offenbar vorschwebt, mag pragmatisch erscheinen. Näherer Überprüfung hält sie jedoch nicht stand. Wenn beispielsweise die „richtige“ Minderungsquote bei 50 Prozent liegt, der Mieter aber von einer Quote von nur 40 Prozent ausgegangen ist, hat er die Quote, wie vom BGH gefordert, „ungefähr“ richtig bestimmt. Bezüglich der Differenz (zehn Prozent) fehlt es ihm gleichwohl an der Kenntnis der Nicht­ schuld. Hat er in dem Beispiel – unter Annahme einer Minderung um 40 Prozent  – zunächst 60 Prozent der Miete gezahlt, darf ihm nach Wortlaut und Ratio von §  814 BGB die Rückforderung der überzahlten zehn Prozent nicht versagt werden. Ein 85 Näher

Eisenhardt, WuM 2019, 5, 9.

86 Zutreffend Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  3; vergleiche auch Bieder, in: BeckOGK, §  536

BGB Rn.  111. 87  Vergleiche allgemein Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  344; siehe exempla­ risch AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 19.12.2019 – 230 C 79/19, BeckRS 2019, 33743 Rn.  57. Die Zahlung in Erwartung der baldigen Mängelbehebung dürfte hingegen §  814 BGB nicht unterfal­ len, denn die Leistung in Erwartung einer Heilung oder Genehmigung wird nicht von der Norm erfasst (dazu Wiese, in: Hk-BGB, §  814 Rn.  9). 88  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484–1485 Rn.  20. 89  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484–1485 Rn.  20. 90  LG Berlin, Urt. v. 1.3.2018 – 67 S 342/17, WuM 2018, 299, 300–301. 91  Eisenhardt, WuM 2019, 5, 8.

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Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens kann ihm nicht gemacht werden. Im Ge­ genteil: Zur Meidung eines Verzugsrisikos ist der Mieter gerade darauf verwiesen, bei der Quotenbildung eher zu eigenen Lasten zu kalkulieren.92 Die Lösung des BGH führte dazu, §  814 BGB trotz Zweifeln des Leistenden zur Anwendung zu bringen. Unhaltbar erscheint erst recht eine amtsgerichtliche Entscheidung, die so­ gar auf die Bestimmung der Minderungsquote verzichtete, weil ohnehin §  814 BGB der Rückforderung entgegenstehe: Der Mieter habe schließlich die Miete in voller Höhe weitergezahlt, obwohl er die Minderung dem Grunde nach gekannt habe.93 Das Gericht stellt dabei im Ausgangspunkt noch zutreffend fest, der Mieter könne, „soweit ihm sein Recht zur Herabsetzung der Miete bekannt ist, die Überzahlung nicht zurückfordern“.94 Es hält sich aber im Folgenden nicht an diese Vorgabe, sondern wendet §  814 BGB schon dann an, wenn die Minderung dem Grunde nach bekannt ist. Der Ansatz der Gegenmeinung – die vollständige Entlastung des Mieters von einer Rückforderungssperre – überzeugt im Ergebnis ebenso wenig. Hätte in dem oben gebildeten Beispiel der Mieter trotz subjektiver Überzeugung von einer Min­ derungsquote von 40 Prozent die Miete vollständig beglichen, dürfte man §  814 BGB nicht in Gänze ausblenden.95 In Höhe von 40 Prozent der Miete hätte der Mieter in Kenntnis der Nichtschuld gezahlt. Die Ratio von §  814 BGB ist insoweit einschlägig. Das lässt sich nicht durch den Hinweis beiseiteschieben, auch der Ver­ mieter könne die Minderungsquote in aller Regel nicht zuverlässig einschätzen und daher selbst nicht sicher davon ausgehen, es sei auf eine Nichtschuld geleistet wor­ den.96 §  814 BGB geht es nicht um einen Schutz des Empfängervertrauens, son­ dern um eine „Sanktionierung“ des Leistenden.97 Abgesehen davon erscheint es ohne Weiteres denkbar, dass der Vermieter sicher von einer bestimmten Mindest­ quote ausgeht; insoweit könnte er durchaus Vertrauen in das Behaltendürfen fassen. Folgt man dem hier präferierten Mittelweg, steht man indes vor der Schwierig­ keit, das Kenntnisniveau des Mieters (genau) feststellen zu müssen. Aus dem Ge­ sagten ergibt sich, dass stets auf die Mindestquote abzustellen ist, von deren Be­ rechtigung der Mieter sicher ausgeht. Hält er zum Beispiel eine Minderung in Höhe von 40 Prozent für sicher, eine Minderung bis zu 70 Prozent aber nicht für ausge­ schlossen, ist nur in Höhe von 40 Prozent der maßgebliche Erkenntnisgrad (prakti­ sche Gewissheit) erreicht. Was den Nachweis der sicheren Mindestvorstellung des Mieters betrifft, zeigt sich indes ein grundlegendes Fehlverständnis der Gegenauf­ fassung zur Position des BGH. Sie behauptet, jede Mietminderung im Bereich von 92  Siehe oben §  11 C. II. 6. d) cc) sowie soeben 1. c) zum systematischen Zusammenhang mit der Verzugshaftung. 93  AG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.11.2011 − 33 C 2424/11, NJW-RR 2012, 591, 592; ähnlich AG Brandenburg, Urt. v. 14.9.2020 – 31 C 168/19 (2), Rn.  6 , juris. 94  AG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.11.2011 − 33 C 2424/11, NJW-RR 2012, 591, 592 (Herv. d. Verf.). 95  So aber Eisenhardt, WuM 2019, 5, 8. 96  So aber Eisenhardt, WuM 2019, 5, 8. 97  Siehe oben I. sowie sogleich III. 1.

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einem bis 99 Prozent sei bis zur rechtskräftigen Entscheidung unsicher.98 Es er­ scheinen aber sehr wohl Fälle denkbar, in denen alle vertretbaren Entscheidungen von einer bestimmten Mindestquote ausgehen würden. Exemplarisch genannte sei das Szenario, dass eine Wohnung mangels fließenden Wassers und Toilette prak­ tisch nicht zum Wohnen zu nutzen ist. Hier wird im Grundsatz zumindest jede Minderungsquote unter 50 Prozent als unvertretbar anzusehen sein.99 Es bleibt sodann noch nachzuweisen, dass auch der konkrete Mieter subjektiv von einer sol­ chen Quote ausgegangen ist. Auch das erscheint aber nicht a priori ausgeschlossen. Zwar kann insbesondere dem juristischen Laien kein näheres Wissen um die Quo­ tenberechnung unterstellt werden.100 Doch wird in eklatanten Fällen, wie dem so­ eben geschilderten Beispiel, nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sein, dass die Mietminderung101 jedenfalls in einem bestimmten Mindestumfang zutreffend gesehen wurde.

III. Substitution durch Vorwerfbarkeit der Fehleinschätzung Eine Substitution der subjektiven Kenntnis durch einen Vorwurf der Unkenntnis findet im Kontext des §  814 BGB nicht statt. Das ist in Anbetracht der bei Konzep­ tion des BGB getroffenen Grundentscheidung102 folgerichtig. Selbst der grob fahr­ lässige Irrtum schadet nicht.103 Sogar krasse Fehlvorstellungen, wie die Annahme, der „Vertrag“ mit einem Wunderheiler begründe eine Leistungspflicht, hindern die Anwendung von §  814 BGB.104 1. Keine Obliegenheit zur Konsultation eines Intermediärs Eine Obliegenheit zur Einholung von Rechtsrat muss nach dem Gesagten ebenfalls ausscheiden. In dogmatischer Hinsicht führt an diesem Ergebnis kein Weg vorbei, weil §  814 BGB eben nicht auf ein Kennenmüssen abstellt. Es erscheint auch ge­ recht, denjenigen, der sich freiwillig seiner Rechtsposition begibt und das Insol­ venzrisiko übernimmt, von einer Mandatierungsobliegenheit freizustellen. An­ sonsten wäre der Leistende, der eine Verzugshaftung meiden möchte, gezwungen, 98 

Eisenhardt, WuM 2019, 5, 8. Vergleiche etwa LG Berlin, Urt. v. 15.10.2010 – 65 S 136/10, BeckRS 2010, 28841: 75 Prozent; Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  214: 80 Prozent bei nicht benutzbarer Toilette. 100  Zutreffend AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347. 101  Die Ausführungen erfolgen hier unter der Prämisse, dass dem Mieter das Institut und die Funktionsweise der Minderung an sich bekannt waren. Eine allgemeine Bekanntheit nimmt BGH, Urt. v. 16.7.2003 – VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 = NJW 2003, 2601, 2603 (dazu noch ausführlich unten III. 2. c)), an; zweifelnd AG Hamburg, Urt. v. 2.3.2016 – 49 C 91/13, NJOZ 2016, 895, 897. Zumindest im konkreten Verfahren kann sich ohne Weiteres eine entsprechende Überzeugung des Gerichts ergeben. So entnimmt etwa AG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.11.2011 − 33 C 2424/11, NJW-RR 2012, 591, 592, die Kenntnis des Instituts der Minderung einem Schreiben des Mieters. 102  Siehe oben B. m.N. 103  Siehe wiederum B. m.N. in Fn.  16. 104  AG Mannheim, Urt. v. 4.3.2011 – 3 C 32/11, BeckRS 2011, 5543. 99 

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doch Rechtsrat einzuholen, um nicht umgekehrt in die „Falle“ des §  814 BGB zu tappen. Einen solchen Aufwand könnte man ihm allenfalls zumuten, wenn man §  814 BGB als Vertrauensschutznorm zugunsten des Empfängers interpretierte. Dies ginge aber – unabhängig von der Frage, ob das Vertrauen des Empfängers zur zusätzlichen Anwendungsvoraussetzung zu erheben ist105 – am Regelungszweck vorbei: Das Vertrauen des Empfängers auf das Behaltendürfen wird nicht durch §  814 BGB, sondern durch §§  818 ff. BGB und die Verjährung des Bereicherungsan­ spruchs geschützt.106 Verjährungsrechtlich trifft den (Bereicherungs-)Gläubiger im Übrigen gerade eine (faktische) Mandatierungsobliegenheit.107 §  814 BGB und §  199 Abs.  2 Nr.  1 BGB ergänzen sich in diesem Punkt also nach Art eines Stufenmodells. Ungeachtet der fehlenden Konsultationsobliegenheit könnte zumindest eine tat­ sächlich erfolgte Rechtsberatung Auswirkungen haben. So wird vereinzelt ange­ merkt, der Leistende müsse sich den Inhalt eingeholten Rechtsrats zurechnen las­ sen.108 Der Begriff der Zurechnung ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch irreführend. In den seltensten Fällen wird es darum gehen, dass nur der Rechtsbe­ rater, nicht aber der Leistende, positive Kenntnis der Nichtschuld hat und dieses Wissen dem Leistenden zugerechnet werden soll. Dies ließe sich allenfalls analog §  166 BGB bewerkstelligen, sofern dem Berater die Leistungshandlung übertragen war.109 Im Regelfall dürfte vielmehr die Frage im Vordergrund stehen, ob das Be­ ratungsverhältnis den Rückschluss auf die tatsächlich vorhandene Rechtskenntnis des Leistenden erlaubt. In der Rechtsprechung wird das teils ausdrücklich abge­ lehnt.110 Letztlich handelt es sich dabei um eine (sogleich noch zu behandelnde) Beweisfrage.111 Zumindest kann die Mandatierung eines Beraters positive Rechts­ kenntnis allenfalls dann nahelegen, wenn sich der Rechtsrat gerade auf das Vorhan­ densein des Rechtsgrundes bezog112 und wenn ein gewissenhafter Berater inso­ weit eindeutig zum Ergebnis gelangt wäre, dass es an einem Rechtsgrund fehlt (an­ sonsten wäre schon der schädliche Erkenntnisgrad nicht erreicht).113 105  So offenbar BGH, Urt. v. 18.1.1979 – VII ZR 165/78, BGHZ 73, 202 = NJW 1979, 763, 763; BGH, Urt. v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98 = NJW 1991, 560, 562; BGH, Urt. v. 7.5.­ 1997 – IV ZR 35/96, NJW 1997, 2381, 2382; BGH, Urt. v. 11.12.2008 – IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 = NJW 2009, 363, 365 Rn.  1; Schrader, Wissen, S.  193–194. Der auf die Perspektive des Leisten­ den konzentrierte Wortlaut des §  814 BGB bietet hierfür indes keine Grundlage, Larenz/Canaris, SchR II/2, §  68 III 1a (S.  160–161); Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  2; Schwab, in: MüKo-­BGB, §  814 Rn.  8. 106  Siehe schon oben I. a. E. 107  Siehe oben §  7 C. III. 2. a). 108 So Paschke, WuM 2008, 647, 650, zu vom Mieter durchgeführten Schönheitsreparaturen. 109  Zur denkbaren analogen Anwendung von §  166 BGB bei §  814 BGB siehe nur v. Sachsen Gessaphe, in: NK-BGB, §  814 Rn.  6; Wendehorst, in: BeckOK-BGB, §  814 Rn.  9 (jeweils m. w. N.). 110  AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316; recht deutlich auch LG Bremen, Urt. v. 6.6.2019 – 2 S 283/18, WuM 2019, 450, 452 („Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigen rechtlich beraten wurde.“). 111  Dazu 2. c). 112  Siehe BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 199/04, NJW-RR 2005, 1464, 1466; ähnlich AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347. 113 Siehe dazu soeben II. Zutreffend daher die Auffassung von OLG Zweibrücken, Urt. v.

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2. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung Das Abstellen auf subjektive Kenntnis des Leistenden bedeutet für den Empfän­ger eine erhebliche Hürde bei der Berufung auf einen Kondiktionsausschluss nach §  814 BGB, da die allgemeine Auffassung im Grundsatz davon ausgeht, dass der Leistungsempfänger darlegungs- und beweisbelastet hinsichtlich der (auch: Rechts-)Kenntnis des Leistenden ist.114 a) Rechtfertigung der Beweislastverteilung zulasten des Empfängers Teils wird versucht, die Beweislastverteilung damit zu rechtfertigen, dass der Emp­ fänger nur dann den Schutz des §  814 BGB verdiene, wenn er selbst wisse, dass dem Leistenden das Fehlen des Rechtsgrundes bewusst ist; in diesem Fall sei dem Emp­ fänger aber auch der Nachweis zumutbar.115 Dieser Sichtweise liegt indes eine Deu­ tung von §  814 BGB als Vertrauensschutznorm zugrunde, die oben bereits abge­ lehnt wurde.116 Zudem ist die Beweislage für den Empfänger keineswegs zwingend günstig, wenn er von der Kenntnis des Leistenden weiß. Er mag etwa durch münd­ liche Mitteilung des Leistenden davon erfahren haben. Überzeugender erscheint es, die Beweislastverteilung als Ausfluss derjenigen Wertungen zu verstehen, die bis hierhin für die Auslegung des Kenntnismerkmals bei §  814 BGB angeführt worden sind.117 Dafür spricht vor allem, dass die Norm gerade deshalb die Kenntnis als negative Voraussetzung des Bereicherungsanspruchs (und nicht den Irrtum als positive Voraussetzung) versteht, weil Beweisschwierig­ keiten des Leistenden vorgebeugt werden soll.118 Die Belastung des Empfängers mit dem schwierigen Beweis liegt also gerade im Sinne des Gesetzgebers. b) Keine Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches Sichverschließen Dass dem Beweisbelasteten eine sachgerechte Auslegung des Kenntnismerkmals nur (aber immerhin) in gewissem Umfang helfen kann, wurde oben bereits im Zu­ 23.11.­2016 – 7 U 77/15, BeckRS 2016, 119010 Rn.  85 (betreffend Vorfälligkeitsentschädigung), wo­ nach bei Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung auch das Bestehen anwaltlicher Beratung nicht zu positiver Kenntnis führe; ähnlich OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  27–28, wo die Leistende rechtlich beraten war, aber Zweifel an der Einschlägigkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung bestanden; siehe auch LG Berlin, Urt. v. 5.9.2019 – 67 S 101/19, WuM 2019, 578, 579, wo trotz Einschaltung eines Mietervereins keine positive Kenntnis der Mietminderung angenommen wurde. 114  Mot. II, 833; RG, Urt. v. 8.5.1905 – VI 493/04, RGZ 60, 419, 420; BAG, Urt. v. 9.2.2005  – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814, 816; BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  35; BGH, Urt. v. 17.10.2002 – III ZR 58/02, NJW 2002, 3772, 3773; BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = NJW 2015, 1672, 1677 Rn.  45; Baack, in: Baumgärtel/Laumen/ Prütting, §  814 Rn.  2; Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  12; Schwab, in: MüKo-BGB, §  814 Rn.  23. 115  Eisenhardt, WuM 2019, 5, 5–6. 116  Oben I. 117 Die Verbindung zwischen Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern und Beweislast bei §   814 BGB betonen auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  254; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 296. 118  Mot. II, 833.

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sammenhang mit §§  407, 819 Abs.  1 BGB demonstriert:119 So kommt dem Leis­ tungsempfänger beispielsweise die dort angenommene Begrenzung des Erkennt­ nisgegenstands auf eine laienhafte Parallelwertung entgegen. Fraglich ist aber, ob vorliegend wiederum auf den Gedanken des §  162 BGB zurückgegriffen werden kann, wonach Kenntnis zu bejahen wäre, sofern ein redlich Denkender in der Posi­ tion des Leistenden sich der Einsicht in das Fehlen des Rechtsgrundes nicht ver­ schlossen hätte. Dies wird gelegentlich angenommen.120 Ein solcher Rekurs auf das „Sichverschließen“ beruht indes ersichtlich auf einer unreflektierten Übertragung von Rechtsprechung, die vor allem zu den Kenntnistatbeständen der §§  819 Abs.  1, 990 Abs.  1 S.  2 BGB ergangen ist.121 Diese hat dort ihre Daseinsberechtigung, weil es darum geht, dass der Bereicherungsgläubiger bzw. Besitzer in unredlicher Weise seine Berechtigung überschätzt. Ein Unredlichkeitsvorwurf gegenüber einem Leis­ tenden, der zum eigenen Nachteil auf eine Nichtschuld leistet, dürfte sich hingegen kaum konstruieren lassen. Bei Lichte betrachtet dürfte es regelmäßig auch gar nicht darum gehen, dem Leistenden vorzuhalten, er habe sich einer Kenntnisnahme der Nichtschuld bewusst verschlossen und gleichwohl geleistet. Vielmehr soll verhin­ dert werden, dass der Leistende eine im Leistungszeitpunkt tatsächlich vorliegende Kenntnis nachträglich bewusst in Abrede stellt, um den Bereicherungsanspruch nicht zu verlieren. Dies ist, wenn überhaupt, Aufgabe des sogleich zu beleuchten­ den Beweisrechts. c) Beweiserleichterungen An die vorstehenden Überlegungen lässt sich die Frage knüpfen, ob dem Empfän­ ger immerhin Beweiserleichterungen hinsichtlich der Rechtskenntnis des Leisten­ den zu gewähren sind. aa) Meinungsstand Vereinzelt erwägt die Rechtsprechung tatsächlich solche Erleichterungen, etwa in Form einer sekundären Darlegungslast des Leistenden.122 Die Annahme eines An­ scheinsbeweises für Rechtskenntnis hat der BGH hingegen in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 abgelehnt, weil es an einem typischen Geschehensablauf fehl­ te.123 In anderen Konstellationen wird ein Beweis des ersten Anscheins allerdings für möglich gehalten. Ein solcher soll insbesondere in Betracht kommen, wenn in 119 

Zum Folgenden siehe §  11 C. III. 5. a) bb) (2), b) bb). Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  4; die Möglichkeit andeutend auch LG Bremen, Urt. v. 6.6.­ 2019 – 2 S 283/18, WuM 2019, 450, 452. 121  Siehe dazu schon m. w. N. oben §  11 C. III. 5. a) bb) (2), b) bb). Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  4, verweist gerade auf BGH, Urt. v. 16.1.2018 – VI ZR 474/16, NJW 2018, 1602, 1605 Rn.  32, welches §  819 Abs.  1 BGB betrifft. 122  Letztlich offengelassen bei OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.8.2001 – 1 U 199/00, WM 2002, 74, 77. OLG Stuttgart, Urt. v. 1.8.2018 − 3 U 19/18, RdTW 2019, 234, 236 Rn.  20, spricht von einer „etwaigen sekundären Darlegungspflicht“. 123  BGH, Urt. v. 7.5.1997 – IV ZR 35/96, NJW 1997, 2381, 2383. 120 So

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den „einschlägigen Kreisen“ üblicherweise entsprechende Rechtskenntnis beste­ he.124 So wird von mehreren Gerichten die Kenntnis jagdpachtrechtlicher Regelun­ gen unterstellt, weil der Betroffene als Absolvent der Jagdprüfung „die für sein Fachgebiet wesentlichen Rechtsvorschriften“ kenne.125 Und um die Folgen des Wi­ derrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags soll auch ein nicht spezialisierter Rechtsanwalt wissen.126 Der VIII. Zivilsenat des BGH hat im Jahr 2003 in einem obiter dictum angedeu­ tet, Mietern sei heutzutage die Minderung bei Mängeln im Regelfall bekannt.127 Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat hieraus einen entsprechenden An­ scheinsbeweis entwickelt.128 Dessen Anwendungsbereich wurde jedoch teils ein­ geschränkt. So konnte im Einzelfall das Bestehen besonderer Rechtsprobleme zu­ gunsten des Mieters berücksichtigt werden.129 Der Rückgriff auf den Anscheins­ beweis war indes schon im Ausgangspunkt nicht unangefochten. Das AG Hamburg lehnte den Schluss auf Kenntnis sogar bezüglich eines Mieters ab, der Volljurist war.130 Das LG Berlin wies darauf hin, der juristische Laie kenne jedenfalls nicht sämtliche Elemente der Minderung; im konkreten Fall habe das Verhalten des Mie­ ters das fehlerhafte Rechtsverständnis offenbart, „sich erst nach aktiver Geltend­ machung oder dem Einverständnis des Vermieters erfolgreich auf eine Minderung berufen zu können“.131 Der VIII. Zivilsenat des BGH hat dieses Ergebnis im Jahr 2018 gebilligt. Dem Bereicherten seien mit Blick auf die Tatbestandsvoraussetzun­ gen des §  814 BGB keine Darlegungs- oder Beweiserleichterungen zu gewähren.132 Das Senatsurteil aus 2003 habe bloß eine „überschlägige Regelfallbetrachtung“ für 124  Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  11; vergleiche auch OLG Stuttgart, Urt. v. 1.8.2018 − 3 U 19/18, RdTW 2019, 234, 237 Rn.  21, wo ein Anscheinsbeweis für Rechtskenntnis abgelehnt wurde, weil nicht ersichtlich war, dass entsprechendes Wissen im maßgeblichen Verkehrskreis verbreitet war. 125  So OLG Koblenz, Urt. v. 28.9.1999 – 1 U 890/96, BeckRS 1999, 17158 Rn.  33; im Anschluss auch nochmals OLG Koblenz, Urt. v. 29.3.2018 – 1 U 544/17, NJOZ 2019, 281, 285 Rn.  50; ähnlich OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269. 126  LG Düsseldorf, Urt. v. 10.7.2015 – 10 O 277/14, BeckRS 2016, 3636 (ohne expliziten Verweis auf einen Anscheinsbeweis). 127  BGH, Urt. v. 16.7.2003 – VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 = NJW 2003, 2601, 2603. 128  KG, Beschl. v. 21.12.2012 – 8 U 286/11, MDR 2013, 396; KG, Urt. v. 11.9.2014 – 8 U 77/13, NZM 2014, 909, 911; OLG Brandenburg, Urt. v. 10.9.2019 – 3 U 73/18, BeckRS 2019, 24879 Rn.  40; LG Berlin, Beschl. v. 21.9.2015 – 18 S 101/15, BeckRS 2016, 10150; AG Berlin-Tempelhof-Kreuz­ berg, Urt. v. 10.6.2015 – 5 C 43/15, BeckRS 2015, 13060; AG Brandenburg, Urt. v. 14.9.2020 – 31 C 168/19 (2), Rn.  8 , juris; AG Bremen, Urt. v. 28.1.2015 – 19 C 380/13, BeckRS 2016, 5730; AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 346–347; in der Literatur etwa Baack, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, §  814 Rn.  5a; v. Sachsen Gessaphe, in: NK-BGB, §  814 Rn.  5. 129  KG, Urt. v. 11.9.2014 – 8 U 77/13, NZM 2014, 909, 911: Die zutreffende Erkenntnis der Unwirksamkeit eines Minderungsausschlusses sei von Laien nicht zu erwarten (zustimmend Baack, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, §  814 Rn.  5a); AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347: Die zutreffende Beurteilung der Minderungsquote könne juristischen Laien ebenso wenig unterstellt werden wie die der Berechtigung einer Mieterhöhung. 130  AG Hamburg, Urt. v. 2.3.2016 – 49 C 91/13, NJOZ 2016, 895, 897. 131  LG Berlin, Urt. v. 1.3.2018 – 67 S 342/17, WuM 2018, 299, 300–301; noch weiter gehend gar AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 19.12.2019 – 230 C 79/19, BeckRS 2019, 33743 Rn.  57. 132  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  9.

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die erforderliche Beweiswürdigung angestellt.133 Im Schrifttum ist die Ablehnung eines Anscheinsbeweises auf Zustimmung gestoßen.134 Unterschiedlich beurteilt wird in der Rechtsprechung auch, welche Schlüsse aus einer breiten Medienberichterstattung über höchstrichterliche Entscheidungen zu ziehen sind. So ist infolge der Rechtsprechung zu unwirksamen Schönheitsrepara­ turklauseln eine Kenntnis des (gleichwohl renovierenden) Mieters zum Teil für zwingend erachtet,135 zum Teil – selbst bei Bestehen anwaltlicher Beratung – ver­ neint worden.136 Zumindest wenn der Leistende selbst die einschlägige höchstrich­ terliche Grundsatzentscheidung erstritten hat, wird man regelmäßig von Kenntnis ausgehen dürfen.137 Umgekehrt wurde Kenntnis des Leistenden unter Verweis darauf nicht angenommen, dass ein Gericht im Vorprozess vom Vorliegen des Rechtsgrundes ausgegangen war138 bzw. dass es insgesamt an Rechtsprechung zu der betroffenen Frage fehlte.139 Auch der Umstand, dass die Rechtslage zwischen den Parteien umstritten war, findet bisweilen zugunsten des Leistenden Berück­ sichtigung.140 Mit der Annahme von Kenntnis im Sinne von §  814 BGB tut sich die Rechtsprechung vor allem dort schwer, wo der spätere Empfänger auf dem Beste­ hen eines Anspruchs beharrt hat.141 bb) Bewertung Beim Rückgriff auf Beweiserleichterungen, insbesondere auf einen Beweis des ers­ ten Anscheins für Rechtskenntnis ist Vorsicht geboten. Es geht, anders als bei einer (unter §  814 BGB nicht eröffneten) Fahrlässigkeitsprüfung142 nicht darum, welche Rechtskenntnisse vom Betroffenen bei normativer Betrachtung erwartet werden können. Es ist ausschließlich zu fragen, ob das Vorliegen von Rechtskenntnis im Leistungszeitpunkt faktisch sehr wahrscheinlich war. Ungeachtet der umstrittenen 133  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  18. Der BGH, a. a. O., Rn.  10, verneint daher einen Widerspruch zur früheren Rechtsprechung. LG Berlin, Be­ schl. v. 15.1.2019 – 67 S 309/18, WuM 2019, 253, 254, erkennt hingegen eine Aufgabe der früheren Judikatur; ähnlich Eisenhardt, WuM 2019, 5, 7. 134  Eisenhardt, WuM 2019, 5, 6–8. 135  AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727 (auf Berichte „in sämt­ lichen auflagenstarken Tageszeitungen sowie im Fernsehen“ verweisend). 136  So AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316; zustimmend Lehmann-­ Richter, in: Schmidt-Futterer, §  538 BGB Rn.  170. 137  Siehe abermals BAG, Urt. v. 9.2.2005 – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814, 816 (wo es allerdings am nötigen Tatsachenwissen mangelte). 138  BGH, Urt. v. 18.4.1978 – VI ZR 81/76, NJW 1978, 2392, 2393. 139  Siehe OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.5.2013 – I-15 U 78/12, BeckRS 2014, 12832. 140  Siehe AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 346; ähnlich – wenn­ gleich auf die Tatsachengrundlage bezogen – OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.2.2012 − 4 U 148/11, NJW-RR 2012, 1200, 1202. 141  Ersichtliche Vorbehalte gegen die Anwendung von §  814 BGB bei RG, Urt. v. 24.4.1937 – V 24/37, RGZ 154, 385, 397; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.5.2013 – 15 U 78/12, BeckRS 2014, 12832; AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316. 142 Siehe dazu §   11 C. V. 2. unter Hinweis auf Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  60; Schulze, in: Hk-BGB, §  276 Rn.  15.

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

dogmatischen Qualifikation des Anscheinsbeweises143 besteht nämlich weitgehen­ de Einigkeit, dass hierfür solche Tatsachen darzulegen (und gegebenenfalls voll zu beweisen) sind, die aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf die Beweistat­ sache zulassen.144 Dazu muss nach der Lebenserfahrung ein geradezu typischer Zusammenhang bestehen, der sich durch seine Gewöhnlichkeit bzw. Üblichkeit auszeichnet.145 Die Ermittlung solcher Erfahrungssätze ist ein empirischer, kein normativer Vorgang.146 Dabei ist ein Anscheinsbeweis hinsichtlich subjektiver Um­ stände wie der (Rechts-)Kenntnis nicht etwa generell ausgeschlossen.147 Wie gese­ hen, operieren auch weite Teile der Rechtsprechung zu §  814 BGB bedenkenlos mit dieser Figur.148 Auch die oben zitierte Entscheidung des BGH, die einen entspre­ chenden Anscheinsbeweis für Rechtskenntnis ablehnte,149 wird man nicht als allge­ meine Absage zu verstehen haben. Das Ergebnis dürfte vielmehr durch die Um­ stände des Einzelfalls begründet gewesen sein. Richtig ist jedoch, dass eine Typizi­ tät nicht vorschnell bejaht werden sollte.150 143  Schon deshalb besteht die Gefahr dogmatisch nicht angeleiteter Billigkeitsentscheidungen, siehe R. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S.  324. Die Einordnung wird dadurch erschwert, dass das Verhältnis zur „tatsächlichen Vermutung“ ungeklärt ist, wobei viel dafür spricht, diesen Be­ griff zu vermeiden, siehe nur Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  19 Rn.  61 m. w. N. 144  Siehe nur Greger, in: Zöller, vor §  284 Rn.  29; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  17 Rn.  21, 24. Der Gegner kann den Anscheinsbeweis erschüttern und dadurch die beweis­ rechtliche Ausgangslage wiederherstellen, indem er solche Tatsachen behauptet und ggf. (voll) beweist, aus denen (lediglich) die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufs im konkreten Fall folgt, BGH, Urt. v. 3.7.1990 – VI ZR 239/89, NJW 1991, 230, 231 m. w. N.; R. Koch, Mitwir­ kungsverantwortung, S.  299; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  114 Rn.  39. 145  Siehe BGH, Urt. v. 18.3.1987 – IVa ZR 205/85, BGHZ 100, 214 = NJW 1987, 1944, 1944; BGH, Urt. v. 17.2.1988 – IVa ZR 277/86, NJW-RR 1988, 789, 890; Laumen, in: Baumgärtel/ Laumen/­Prütting, Kap.  17 Rn.  13; Saenger, in: Hk-ZPO, §  286 Rn.  42. Man benötigt also Erfah­ rungssätze, die mit hoher Wahrscheinlichkeit (siehe BGH, Urt. v. 5.11.1996 – VI ZR 343/95, NJW 1997, 528, 529) einen bestimmten Schluss zulassen (zum Teil als „Erfahrungsgrundsätze“ bezeich­ net), siehe Laumen, a. a. O., Rn.  26. 146  Deutlich Doukoff, SVR 2015, 245, 252; nachdrücklich auch Stöhr, in: Unsicherheiten, S.  295, 307. Dass BGH, Urt. v. 5.10.2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308 = NJW 2004, 3623, 3624, meint, es bedürfe keiner empirischen Befunde, dürfte sich – abgesehen davon, dass der Senat selbst auf die mit sachverständiger Hilfe erlangten Erkenntnisse des Berufungsgerichts Bezug nimmt (richtiger Hinweis von Doukoff, a. a. O., 249) – nicht auf die empirische Natur, sondern nur auf den Vorgang der Feststellung beziehen, also die Beschaffung des Erfahrungswissens ohne sachverständige Hilfe, ver­ gleiche dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  11; Saenger, in: Hk-ZPO, §  284 Rn.  14. 147  Die Rechtsprechung lehnt den Rückgriff auf den Anscheinsbeweis hinsichtlich individuel­ ler subjektiver Entschlüsse verbreitet ab, siehe zur subjektiven Seite der groben Fahrlässigkeit: BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14, BGHZ 208, 331 = NJW 2016, 2024, 2031 Rn.  73; Grüneberg, in: Palandt, §  277 Rn.  7; zur vorsätzlichen Verwirklichung eines Straftatbestands: BGH, Urt. v. 5.3.2002 – VI ZR 398/00, NJW 2002, 1643, 1645; dem folgend z. B. Greger, in: Zöller, vor §  284 Rn.  31. Dies wird gelegentlich auf den Beweis der Rechtskenntnis übertragen, so v. a. Schreiber, JuS 1978, 230, 230; auch Buck, Wissen, S.  89; Martinek, JZ 1996, 1099, 1100. Die rigide Ablehnung ist generell überzogen (zutreffend Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  17 Rn.  57, 59; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  114 Rn.  34). Speziell bei Rechtskenntnis geht es ohnehin nicht um bestimmte individuelle Entschlüsse, sondern lediglich – vorgelagert – um Wissen. 148  Siehe soeben aa). 149  BGH, Urt. v. 7.5.1997 – IV ZR 35/96, NJW 1997, 2381, 2383. 150  Buck, Wissen, S.  52 (und auch S.  37); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  114 Rn.  34.

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(1) Keine Gewährung eines Anscheinsbeweises aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten Unhaltbar erscheint es insbesondere, den Rückgriff auf den Anscheinsbeweis unter Hinweis auf die Zumutbarkeit für den Leistenden zu begründen: Dieser könne die Rechtsfolge des §  814 BGB schließlich durch Äußerung eines Vorbehalts hindern.151 Die Verquickung von Beweisrecht und möglichem Vorbehalt ist schon deshalb kri­ tisch zu sehen, weil das Gesetz, wie §  814 BGB belegt, einen Vorbehalt gerade nicht verlangt und hier ein neues Feld für Rechtsirrtümer eröffnet würde.152 Jedenfalls werden die anerkannten Voraussetzungen für den Anscheinsbeweis ignoriert: Für die Frage, ob Erfahrungssätze den Schluss auf Rechtskenntnis erlauben, kommt es in keiner Weise darauf an, ob der Leistende der Problematik des §  814 BGB von vornherein hätte ausweichen können. (2) Weitgehendes Fehlen erforderlicher Typizität In den Situationen, in denen die Rechtsprechung bislang auf einen Anscheinsbe­ weis für Rechtskenntnis des Leistenden zurückgreift, begegnet dies auch im Übri­ gen größtenteils erheblichen Bedenken. Vor allem wird zu Recht eingewandt, dass juristisch nicht versierte Mieter im Regelfall allenfalls von der generellen Existenz eines Mietminderungsrechts wüssten, damit aber noch lange nicht alle erheblichen rechtlichen Aspekte kennen würden.153 Ein juristischer Laie könne in der Regel weder die Minderungsquote154 noch die Wirksamkeit eines Minderungsausschlus­ ses155 oder die Berechtigung einer Mieterhöhung156 rechtlich korrekt beurteilen. Ebenso erscheint zweifelhaft, wie verbreitet das Wissen um den automatischen Ein­ tritt der Minderung (gerade im Gegensatz zum Kaufrecht) ist.157 Das belegen nicht zuletzt Entscheidungen, in denen die Rechtskenntnis des leistenden Mieters zu ver­ neinen war, weil dieser irrtümlich davon ausgegangen war, während des Laufs einer Mängelbeseitigungsfrist158 bzw. ohne aktive Geltendmachung oder Einverständnis des Vermieters nicht zur Minderung berechtigt zu sein.159 Auch muss bezweifelt werden, dass die weit überwiegende Anzahl der Mieter – es ist Typizität erforder­

151 

So AG Bremen, Urt. v. 28.1.2015 – 19 C 380/13, BeckRS 2016, 5730. Siehe oben II. 1. d). 153  LG Berlin, Urt. v. 1.3.2018 – 67 S 342/17, WuM 2018, 299, 300–301; Eisenhardt, WuM 2019, 5, 6–7 (siehe a. a. O., 7–8 zu einzelnen denkbaren Hindernissen bei der Subsumtion). 154  AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347. BGH, Beschl. v. 4.9.­ 2018  – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484–1485 Rn.  20, diagnostiziert solche Schwierig­ keiten sogar beim Rechtsanwalt, zieht daraus aber die falschen Schlüsse (siehe oben II. 2. b)). 155  KG, Urt. v. 11.9.2014 – 8 U 77/13, NZM 2014, 909, 911. 156  AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347; ähnlich LG Berlin, Urt. v. 27.11.2019 – 65 S 112/19, WuM 2020, 169; LG Bremen, Urt. v. 6.6.2019 – 2 S 283/18, WuM 2019, 450, 452. 157  AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 19.12.2019 – 230 C 79/19, BeckRS 2019, 33743 Rn.  57, spricht „die allgemein weithin unbekannte Wirkung des §  536 Abs.  1 BGB“ an. 158  LG Darmstadt, Urt. v. 6.9.2013 – 6 S 17/13, Rn.  62, juris. 159  LG Berlin, Urt. v. 1.3.2018 – 67 S 342/17, WuM 2018, 299, 300. 152 

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

lich  – von bedeutsamen Entscheidungen des BGH Kenntnis nimmt.160 Der Ver­ dacht liegt nahe, dass hier letztendlich doch Wissen mit „Wissensollen“ gleichge­ setzt wird. Das gilt in ähnlicher Weise für die Annahme, ein Absolvent der Jagd­ prüfung kenne „die für sein Fachgebiet wesentlichen Rechtsvorschriften“,161 insbesondere die Formbedürftigkeit von Jagdpachtverträgen162 ebenso wie gesetz­ liche Pachthöchstflächen.163 Die Lebenserfahrung spricht nicht dafür, dass Prü­ fungswissen langfristig und in seiner Gesamtheit vorgehalten wird.164 Allenfalls die reguläre tatrichterliche Würdigung kann im Einzelfall zur richterlichen Über­ zeugung von solcher Rechtskenntnis führen, zum Beispiel wenn ein erfolgtes Strohmanngeschäft faktisch nur als bewusste Umgehung der Pachthöchstflächen­ grenzen zu erklären ist.165 Eher nachvollziehbar ist demgegenüber der Schluss, der Träger einer gesetzlichen Krankenkasse verfolge die Rechtsprechung des BSG zum Krankenversicherungsrecht aufmerksam.166 (3) Gegenteiliger Anschein Abgesehen von der vorstehenden Kritik besteht in den Konstellationen, in denen §  814 BGB relevant wird, eine übergreifende Besonderheit, die die Annahme eines Anscheinsbeweises für Rechtskenntnis regelmäßig ausschließt. Diese findet in der Diskussion bislang zu selten Beachtung. Der ohne Rechtsgrund Leistende handelt auf Grundlage einer ihm ungünstigen Vorstellung. Die Lebenserfahrung spricht in solchen Fällen gerade für eine Unkenntnis der wahren Rechtslage.167 Im Normal­ fall werden Leistungen nur dann erbracht, wenn der Leistende das Bestehen einer 160  So aber AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727 (die Entschei­ dung ist schon aus anderen Gründen verfehlt, siehe unten (3) bei Fn.  177 sowie §  15 B. II.); anders AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316. 161  So OLG Koblenz, Urt. v. 28.9.1999 – 1 U 890/96, BeckRS 1999, 17158 Rn.  33; im Anschluss auch nochmals OLG Koblenz, Urt. v. 29.3.2018 – 1 U 544/17, NJOZ 2019, 281, 285 Rn.  50; ganz ähnlich OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269. 162  So zu §  814 BGB: OLG Koblenz, Urt. v. 28.9.1999 – 1 U 890/96, BeckRS 1999, 17158 Rn.  32– 33; OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269. 163  OLG Koblenz, Urt. v. 29.3.2018 – 1 U 544/17, NJOZ 2019, 281, 285 Rn.  50. 164  Siehe schon §  3 A. III. 1. (unter Verweis auf Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 47) zum Verges­ sen juristischer Regeln. Zu beachten ist auch die Weite der nach §  15 Abs.  5 S.  1 Hs.  2 BJagdG er­ forderlichen Kenntnisse „im Jagd-, Tierschutz- sowie Naturschutz- und Landschaftspflegerecht“. 165  Vergleiche OLG Koblenz, Urt. v. 29.3.2018 – 1 U 544/17, NJOZ 2019, 281, 285 Rn.  50; dann ist die Annahme, Einwendungen würde ein vermeintlicher Schuldner, so sie ihm positiv bekannt sind, geltend machen, entkräftet (siehe auch – in Abgrenzung dazu – OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.­2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  29). Daneben lässt sich möglicherweise dem Jäger, der selbst Inhaber einer Jagdpacht ist, die Kenntnis der Formvorschrift unterstellen (auch auf diesen Punkt abhebend OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269). 166  So SG Reutlingen, Urt. v. 13.11.2019 – S 1 KR 2623/18, BeckRS 2019, 34855 Rn.  33. 167  Vergleiche auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  254; Mayer-Maly, in: FS Lange, S.  293, 293. Tref­ fend formulieren Reichelt/Lye, ZfIR 2019, 18, 19, es liege fern, „dass ein Mieter sehenden Auges eine höhere Miete zahlt, als er verpflichtet ist, nur um sie später zurückzufordern“. Auch OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  29, sah es als fernliegend an, dass ein Putativschuldner, der sich mit anderen Argumenten gegen die Leistungspflicht gewandt hatte, eine ihm bekannte Unwirksamkeit des Vertrags nicht geltend gemacht hätte.

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entsprechenden Verbindlichkeit mindestens für denkbar erachtet. Unter solchen Umständen ist aber Kenntnis im Sinne von §  814 BGB ausgeschlossen.168 Schon die Motive zum BGB erkennen diesen Zusammenhang: Hätte der Leistende seine Un­ kenntnis zu beweisen, würde die Praxis oft zu der Vermutung greifen, dass nie­ mand sehenden Auges auf eine Nichtschuld leiste.169 Die Beobachtung ist heute so richtig wie damals. Sie entzieht einem Anscheinsbeweis für schädliche Kenntnis des Leistenden weitgehend das Fundament. Erst recht ausscheiden muss ein Anscheinsbeweis in aller Regel, wenn der Emp­ fänger gegenüber dem Leistenden den Standpunkt vertreten hat, es bestehe ein An­ spruch. Hier entspricht es der Lebenserfahrung, dass die Äußerung der Gegenseite zumindest Zweifel beim Leistenden hinterlässt. Teile der Rechtsprechung erfassen diesen Zusammenhang treffend, wenn sie Kenntnis (auch) unter Verweis auf den Streit zwischen den Parteien170 bzw. die Leistungsaufforderung oder geäußerte Rechtsansicht des Empfängers171 ablehnen. Verfährt man so, bedarf es auch keines Treuwidrigkeitsvorwurfs, um die Anwendung von §  814 BGB auszuschließen. Ein solcher wird vereinzelt erhoben, wenn sich der Empfänger primär darauf beruft, ein Rechtsgrund habe bestanden, und hilfsweise vorträgt, der Leistende haben vom Fehlen des Rechtsgrundes gewusst.172 Hier fehlt es streng genommen schon an ei­ nem logischen Widerspruch: Der Empfänger vertritt lediglich in erster Linie eine bestimmte Rechtsansicht (Bestehen eines Rechtsgrundes), behauptet aber sodann, der Leistende sei von der gegenteiligen Rechtsansicht (Fehlen des Rechtsgrundes) überzeugt gewesen. Ohnehin wird im Prozess auch widersprüchlicher Tatsachen­ vortrag für zulässig erachtet, sofern er in ein Eventualverhältnis gestellt wird und nicht bewusst unwahr ist.173 Der Ausschluss von §  814 BGB muss daher anders begründet werden. Das gelingt, wie gesehen, wenn man berücksichtigt, wie un­ wahrscheinlich es ist, dass der Leistende den Rechtsstandpunkt des Empfängers für ausgeschlossen erachtet, aber gleichwohl leistet. Das typische Bestehen von Zweifeln bzw. Unkenntnis wird in einer praktisch rele­ vanten Fallgruppe bislang weitgehend ausgeblendet. Es geht um die Sachverhalte, in denen ein Verbraucher nach dem Widerruf eines Darlehensvertrags weitere Leistun­ gen erbracht, insbesondere eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt hatte. Die Wirk­ samkeit des Widerrufs hing von der zwischen den Parteien umstrittenen Rechts­ konformität der Widerrufsbelehrung ab. Teile der Rechtsprechung und Literatur verwehrten dem Verbraucher eine Rückforderung unter Verweis auf §  814 BGB.174 168 

Vergleiche oben II. Mot. II, 833; siehe dazu auch H. Koch, Bereicherung, S.  118. 170  So AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 346; ähnlich OLG Frank­ furt a. M., Urt. v. 15.2.2012 − 4 U 148/11, NJW-RR 2012, 1200, 1202. 171  Siehe RG, Urt. v. 24.4.1937 – V 24/37, RGZ 154, 385, 397; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.5.2013  – 15 U 78/12, BeckRS 2014, 12832; AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316. 172  So v. a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.5.2013 – 15 U 78/12, BeckRS 2014, 12832. 173  Siehe bereits §  7 C. I. 3. a) bb) m.N. in Fn.  316. 174  So LG Düsseldorf, Urt. v. 10.7.2015 – 10 O 277/14, BeckRS 2016, 3636; OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.5.2015 – 17 U 59/14, WM 2015, 1712, 1714 (obiter). 169 

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

Dies überzeugt – ungeachtet weiterer Begründungsdefizite175 – schon wegen der so­ eben angestellten Erwägungen nicht: Wenn der Darlehensgeber den Widerruf für unwirksam erachtet und auf Vertragserfüllung bestanden hat, liegt es nahe, dass der Verbraucher zumindest auch deshalb geleistet hat, weil er nicht vollends von der Wirksamkeit des Widerrufs überzeugt war.176 Selbst wenn dem Leistenden höchstrichterliche Rechtsprechung zu seinen Guns­ ten bekannt ist, kann die Kundgabe der abweichenden Auffassung durch den spä­ teren Empfänger relevante Zweifel – nämlich solche an der Einschlägigkeit der be­ stehenden Judikatur – säen. Es begegnet bereits aus diesem Grund Bedenken, in solchen Fällen trotz Streits zwischen den Parteien die Kenntnis des Leistenden an­ zunehmen.177 Gleiches gilt für das Bestehen rechtlicher Beratung auf Seiten des Leistenden. Auch aus diesem Umstand könnte man ansonsten eventuell einen Be­ weis des ersten Anscheins für Rechtskenntnis herleiten.178 Doch zumindest wenn der Gegner seinerseits anwaltlich beraten ist und die Gegenauffassung einnimmt, wird der zur Leistung Aufgeforderte typischerweise Zweifel nicht vollständig bei­ seiteschieben können.179 Anderes mag allenfalls dann gelten, wenn der Gegner zwar auf Leistung besteht, aber weder über einen Berater noch über ersichtliche eigene juristische Expertise verfügt. Vor den geschilderten Hintergründen ergibt sich ferner, dass auch eine vereinzelt erwogene sekundäre Darlegungslast des Leistenden180 nicht das passende Werk­ zeug für die betroffenen Situationen darstellt. Zwar dient die Figur zur Überwin­ dung eines Informationsgefälles, das sich zulasten des Darlegungsbelasteten ergibt, wenn die betroffenen Verhältnisse im Wahrnehmungsbereich des Gegners liegen und diesem nähere Angaben zuzumuten sind.181 Dann kann es dem Gegner oblie­ gen, sich statt eines einfachen Bestreitens substanziiert zu erklären.182 Dafür ist jedoch Voraussetzung, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der primären Behauptung spricht.183 Daran dürfte es bezüglich der Kenntnis des Leis­ 175 

Siehe bereits oben II. 2. a). Feldhusen, NJW 2018, 1209, 1212 (zur Parallelfrage bei §  815 BGB). 177  Schon aus diesem Grund bedenklich AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727; zu weiteren Defiziten dieser Entscheidung siehe oben (2) bei Fn.  160 sowie unten §  15 B. II.; zutreffend dagegen AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316. 178  So ist, wie oben (unter 1.) geschildert, die „Zurechnung“ einer anwaltlichen Beratung im Kontext des §  814 Var.  1 BGB, wenn überhaupt, zu verstehen. 179  Siehe auch AG Ludwigslust, Urt. v. 26.3.2014 – 5 C 9/13, WuM 2014, 345, 347. 180  Siehe OLG Stuttgart, Urt. v. 1.8.2018 − 3 U 19/18, RdTW 2019, 234, 236 Rn.  20. 181  Siehe etwa BGH, Urt. v. 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, 2397; BGH, Urt. v. 17.1.­2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982, 984 Rn.  16; BGH, Urt. v. 24.10.2014 – V ZR 45/13, NJW 2015, 619, 621 Rn.  22; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  22 Rn.  30–34; um­ fangreiche Nachweise zur Entwicklung der Rechtsprechung bei Laumen, a. a. O., Rn.  4 –25; zur umstrittenen Rechtsgrundlage Laumen, a. a. O., Rn.  26–29 m. w. N. 182  Exemplarisch BGH, Urt. v. 17.1.2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982, 984 Rn.  16; BGH, Urt. v. 13.6.2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774, 3776 Rn.  20; Greger, in: Zöller, vor §  284 Rn.  34, 34c; Saenger, in: Hk-ZPO, §  286 Rn.  93. 183  BGH, Urt. v. 13.6.2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774, 3775 Rn.  17; BGH, Urt. v. 18.1.2018  – 176 Zutreffend

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss

535

tenden vom fehlenden Rechtsgrund in aller Regel fehlen.184 Insoweit ist wiederum die Vermutung zu berücksichtigen, dass keine Leistung erbracht wird, von der be­ kannt ist, dass sie nicht geschuldet ist. Soweit die Rechtsprechung gleichwohl die sekundäre Darlegung durch den Leistenden verlangt, ist für den Empfänger damit ohnehin kaum ein Vorteil verbunden: Es wird letztlich als ausreichend angesehen, dass der Leistende mitteilt, er habe bei der Zahlung angenommen, eine entspre­ chende Verbindlichkeit bestünde.185 Angesichts der vorstehenden Ergebnisse verdient es im Grundsatz Zustimmung, dass der BGH zuletzt von jeglichen Beweiserleichterungen für den Bereicherten im Rahmen von §  814 BGB Abstand genommen hat.186 (4) Denkbarer Anscheinsbeweis bei anspruchsverneinender Äußerung des späteren Empfängers Wesentlich anders liegen die Dinge nur, wenn sich der Leistungsempfänger aus­ nahmsweise auf den für ihn selbst negativen Rechtsstandpunkt stellt, es bestehe keine Leistungsverpflichtung. Unter diesen Umständen erscheint eine Vermutung für entsprechendes Wissen des Leistenden regelmäßig gerechtfertigt. Rechtsaus­ führungen des Gegners, die diesem selbst nachteilig sind, wird man in der Regel vertrauen dürfen.187 Demzufolge ergibt sich für den späteren Leistungsempfänger die Möglichkeit, eine Anwendung von §  814 BGB selbst herbeizuführen, indem er sein Gegenüber auf das Fehlen des Rechtsgrundes hinweist. Dies wird etwa mit Blick auf Klauseln in Maklerverträgen thematisiert, mit denen Zahlungen des Kun­ den, die trotz Fehlens der Provisionsvoraussetzungen erfolgen, kondiktionsfest ge­ staltet werden sollen.188 Auch der Gesetzgeber scheint von einer entsprechenden Möglichkeit auszugehen. §  556g Abs.  1 S.  4 BGB, der §  814 BGB für unanwendbar erklärt, wäre weitgehend überflüssig, wenn nicht der Vermieter durch Offenbarung eines Verstoßes gegen die „Mietpreisbremse“ entsprechendes Wissen des Mieters erzeugen könnte.189 Grundsätzlich ist die Annahme von Kenntnis (und somit die I ZR 150/15, NJW 2018, 2412, 2414 Rn.  26; Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap.  22 Rn.  31. 184 Zurückhaltend bezüglich der Annahme einer sekundären Darlegungslast auch OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  29. 185  Siehe OLG Stuttgart, Urt. v. 1.8.2018 − 3 U 19/18, RdTW 2019, 234, 236 Rn.  20; ähnlich (ohne Thematisierung einer sekundären Darlegungslast) LG Berlin, Urt. v. 21.8.2019 – 64 S 190/18, BeckRS 2019, 25774 Rn.  25: „Die Kläger haben […] vorgetragen, ihnen sei bei Zahlung der Mieten nicht bekannt gewesen, dass der Vermieter […] einstehen müsse.“ 186  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  9. 187  Die Dinge liegen hier anders als bei „parteiischen“ Äußerungen des Gegners, aus denen man in der Regel keine Überzeugung ableiten muss, siehe §  9 C. IV. 4. b). 188 So D. Fischer, WuM 2016, 391, 399, bei zu Unrecht gezahlter Maklerprovision, wenn der Makler eine Klausel verwendet hat, „mit der die erforderlichen Rechtskenntnisse vermittelt wer­ den“. 189 Vergleiche Fleindl, in: BeckOGK, §  556g BGB Rn.  4 4 (auf Grundlage von Begr. RegE Miet­ NovG, BT-Drs. 18/3121, 33); dazu oben II. 1. e). Nachvollziehbarerweise skeptisch bezüglich ei­ nes Kenntnisnachweises durch Verweis auf eine Mietvertragsklausel, „wonach der Mieter über die

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

Anwendung der Kondiktionssperre) in den beschriebenen Konstellationen auch systemkonform. Die sonst angebrachte Zurückhaltung wurde wesentlich damit begründet, dass dem möglichen Schuldner im Angesicht der Leistungsaufforde­ rung eine zumutbare Möglichkeit zustehen muss, eine drohende Haftung wegen Nicht- bzw. Zuspätleistung zu vermeiden.190 Wenn der denkbare Anspruchsin­ haber aber selbst äußert, die Verbindlichkeit bestehe nicht, gerät der Schuldner gar nicht erst in diese missliche Lage.191 Jedoch ist eine Rückausnahme von den vorstehenden Maßstäben anzuerkennen, wenn das Fehlen des Rechtsgrundes gerade im Interesse des späteren Empfängers liegt. Das ist insbesondere der Fall, wenn er selbst die zugehörige Gegenleistung nicht erbringen möchte.192 In solchen Situationen äußert der Empfänger, der das Vorliegen des Rechtsgrundes verneint, eine für ihn (teilweise) günstige Rechtsan­ sicht. Der Leistende wird in diesem Fall regelmäßig skeptisch bleiben und deshalb keine positive Überzeugung erlangen. d) Zwischenfazit Der Nachweis der (Rechts-)Kenntnis im Sinne von §  814 BGB ist für den Leis­ tungsempfänger schwierig zu führen. Dies war den Verfassern der Vorschrift aller­ dings bewusst. Es hat sich gezeigt, dass in aller Regel auch die Annahme eines entsprechenden Anscheinsbeweises ausscheiden muss. Nach der Lebenserfahrung spricht im Gegenteil viel dafür, dass eine nicht geschuldete Leistung nur deshalb erbracht wird, weil der Leistende – insbesondere nach einer Aufforderung durch den Gegner – nicht sicher ist, nichts zu schulden. Die Schwierigkeiten des Empfän­ gers beim Kenntnisnachweis eröffnen an dieser Stelle jedoch kein nennenswertes Missbrauchspotenzial.193 Dies gilt erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass es dem Empfänger offensteht, den Leistenden über die für diesen günstige Rechtslage zu unterrichten und auf diesem Weg die Voraussetzungen für die Anwendung von §  814 BGB zu schaffen.

Folgen einer Zahlung in Kenntnis der Nichtschuld aufgeklärt wird“, indes Reichelt/Lye, ZfIR 2019, 18, 19. 190  Siehe oben II. 1. c). 191  Insb. wird es unter solchen Umständen an einer Mahnung fehlen, vergleiche Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  12; siehe allgemein zur Rücknahme der Mahnung Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  103; im Übrigen wäre an §  242 BGB (widersprüchliches Verhalten) zu denken. 192  So lagen die Dinge bei OLG Hamm, Urt. v. 8.8.2016 – 8 U 23/16, GmbHR 2017, 245, 247, wo die Klägerin die Rückzahlung einer Karenzentschädigung verlangte, die an den Beklagten auf Basis einer Wettbewerbsverbotsabrede geflossen war, deren Wirksamkeit der Beklagte angriff. 193  So auch Reichelt/Lye, ZfIR 2019, 18, 19, unter Hinweis darauf, dass der Leistende in den allermeisten Fällen eben nicht bewusst auf eine Nichtschuld leisten werde. H. Koch, Bereiche­ rung, S.  156, weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass eine Missbrauchsgefahr (etwa beim reu­ igen Schenker) gleichermaßen den Tatsachenirrtum beträfe.

§  13 Nachteil durch Kondiktionsausschluss

537

D. Fazit Der Rechtsnachteil einer Kondiktionssperre ereilt denjenigen, der auf eine ver­ meintliche Verbindlichkeit leistet, nur dann, wenn er das Fehlen der Schuld auch in rechtlicher Hinsicht (laienhaft) positiv erkannt hat. Dass Rechtszweifel nicht scha­ den, ergibt sich nicht zuletzt als systematische Konsequenz aus der streng ausge­ stalteten Haftung für die unberechtigte Leistungsverweigerung. Dem potenziellen Schuldner muss mit dem Modell „leiste und kondiziere“ zumindest ein Weg offen­ stehen, um ohne zusätzliche Nachteile die Klärung offener Rechtsfragen zu errei­ chen. Die Ebene des Erkenntnisgrades passt sich demnach in stimmiger Weise in die Systematik der übrigen Quadranten ein. Anders stellt sich die Lage dar, soweit es um eine Substitution der subjektiv nicht erreichten Erkenntnis durch den Vorwurf der Unkenntnis geht. Ein solches Vorge­ hen ist dadurch versperrt, dass §  814 Var.  1 BGB Wissen des Leistenden voraussetzt. Dies passt zu der Zweckrichtung der Vorschrift, widersprüchliches Verhalten zu sanktionieren. Das Vertrauen des Empfängers wird anderweitig (insbesondere durch §  818 Abs.  3 BGB und das Verjährungsrecht) geschützt. Hilfe beim Kenntnis­ nachweis darf der Leistungsempfänger normalerweise nicht erwarten. Insbesonde­ re scheidet ein Anscheinsbeweis in der Regel aus, weil die Lebenserfahrung gerade gegen eine positive Kenntnis desjenigen spricht, der eine nicht geschuldete Leistung erbringt.

§  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung Wer seine eigene Rechtsposition unterschätzt, kann es versäumen, den Eintritt der Rechtskraft einer nachteiligen Gerichtsentscheidung zu verhindern. Dies hat sich schon beim irrtümlichen Verzicht auf die (Weiter-)Verfolgung eines bestehenden Anspruchs gezeigt.1 Für den Verzicht auf die Verteidigung gegen einen nicht beste­ henden Anspruch gilt im Grundsatz nichts anderes.

A. Nachteilszuweisung Verkennt der vermeintliche Schuldner die Aussichten seiner Rechtsverteidigung und wehrt er sich deshalb nicht gegen eine belastende Entscheidung, kann die Rechts­k raft fortan einer Korrektur entgegenstehen. Nach Ablauf der Fristen für denkbare Rechtsbehelfe erwächst die Entscheidung in formelle Rechtskraft (§  705 ZPO); dies wiederum hat zur Folge, dass angesichts der materiellen Rechtskraft (§  322 ZPO) zwischen den Parteien fortan der Inhalt der Entscheidung maßgeblich ist.2

B. Ansatzpunkte für Nachteilsvermeidung infolge Rechtsirrtums Eine Durchbrechung der Rechtskraft kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.3 Die Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch des Putativschuldners aus §  826 BGB4 werden in aller Regel nicht erfüllt sein, denn hierfür muss der An­ spruchsteller einen materiell unrichtigen Titel wissentlich ausnutzen, was als sitten­ widrig bzw. besonders unerträglich erscheinen muss.5 Das kommt vor allem in Be­ tracht, wenn der Titel arglistig erschlichen wurde. 6 Dieser Fall ist kaum denkbar, wenn es – wie hier – allein um eine unzutreffende rechtliche Bewertung, nicht aber 1 

Dazu oben §  8. Näher dazu §  8 A. 3  Siehe nur Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  49–51; vergleiche bereits §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (b). 4  Zur Rechtsfolge Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  55 m. w. N. 5  Vergleiche etwa BGH, Urt. v. 24.9.1987 – III ZR 187/86, BGHZ 101, 380 = NJW 87, 3256, 3257–3258 m. w. N.; BGH, Urt. v. 11.7.2002 – IX ZR 326/99, BGHZ 151, 316 = NJW 2002, 2940, 2943. 6  Siehe m.N. Oechsler, in: Staudinger, § 826 Rn 497–502. 2 

540

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

um eine falsche Tatsachengrundlage geht.7 Soweit der Verurteilte bei besserer Rechtserkenntnis noch Rechtsmittel hätte einlegen können, mag er immerhin ver­ suchen, durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§  233 ff. ZPO) die Rechtskraft zu überwinden (dazu I.). Daneben eröffnet sich dem ver­ meintlichen Schuldner gegebenenfalls eine weitere Möglichkeit, die für den mit der Klage rechtskräftig gescheiterten Gläubiger keine Relevanz hat: Der Schuldner kann die nachteiligen Auswirkungen auf Vollstreckungsebene zu hindern versu­ chen. Konkret ist zu erwägen, ob ihm die Vollstreckungsabwehrklage (§  767 ZPO) zur Verfügung steht (dazu II.).

I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Der Umstand, dass eine Partei ihre Erfolgsaussichten unterschätzt hat, bietet keine Grundlage für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dies wurde oben be­ reits eingehend untersucht und begründet. 8 Entsprechendes muss gelten, wenn der beklagte Schuldner ein zweites Versäumnisurteil gegen sich hat ergehen lassen. Ein Einspruch ist nicht statthaft (§  345 ZPO), die Berufung nur insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe (§  514 Abs.  2 S.  1 ZPO). Bei der erforderlichen Verschuldensprüfung sind anerkann­ termaßen die gleichen Maßstäbe anzulegen wie hinsichtlich der Wiedereinsetzung.9

II. Vollstreckungsabwehrklage Umso größere Bedeutung kommt der Frage zu, ob dem Verurteilten immerhin die Vollstreckungsabwehrklage offensteht, um eine Vollstreckung der falschen10 Ent­ scheidung zu verhindern. Mit dieser Klage lassen sich Einwendungen gegen den titulierten Anspruch vorbringen (§  767 Abs.  1 ZPO). Insoweit scheint der Rechts­ behelf auf die hier betrachtete Situation durchaus zu passen. Schließlich geht es um Fälle, in denen der angenommene Anspruch bei zutreffender rechtlicher Bewer­ tung nicht besteht. Aus §  767 Abs.  2 ZPO folgt in aller Deutlichkeit, dass ein Erfolg der Vollstre­ ckungsabwehrklage nur bei nachträglichen Entwicklungen in Betracht kommt, die auf das Bestehen des Anspruchs einwirken. Neu gewonnene Rechtseinsichten des vermeintlichen Schuldners stellen offensichtlich keine solchen Umstände dar. Falls 7  Vergleiche schon oben §  9 A. I. bei Fn.  46. Erst recht gilt dies, wenn die ursprüngliche Ent­ scheidung sogar der damals herrschenden höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprach, siehe M. Vollkommer/G. Vollkommer, in: FS Kerameus, S.  1555, 1556. 8  Oben §  8 C. I. 9  Siehe etwa BGH, Urt. v. 25.11.2008 – VI ZR 317/07, NJW 2009, 687, 688 Rn.  11; BGH, Beschl. v. 11.11.2015 – XII ZB 407/12, NJW-RR 2016, 505, 505 Rn.  7; Wöstmann, in: Hk-ZPO, §  514 Rn.  6. 10  Es mag Vorbehalten begegnen, dem Verurteilten einen Irrtum zu attestieren, wenn er von einer Verbindlichkeit ausgegangen ist, deren Bestehen rechtskräftig feststeht. Nach der hier ge­ wählten Rechtsirrtumsdefinition kommt es jedoch nicht auf die rechtskräftige, sondern auf die jeweils letzte Entscheidung an, siehe oben §  4 A. und §  8 A.

§  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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§  767 ZPO ihn vor Nachteilen infolge rechtlicher Fehlvorstellungen schützt, dann ist dies also unabhängig von einer Kausalität des Irrtums: Es kommt nicht darauf an, dass der als Schuldner Verurteilte bei besseren Erkenntnissen die nun in Rechts­ kraft erwachsene Entscheidung hätte vermeiden können. Die Klage nach §  767 ZPO kann sich insbesondere auch gegen eine höchstrichterliche Entscheidung rich­ ten, die der Verurteilte, gänzlich unabhängig von einem Irrtum, nicht mehr hätte anfechten können. In diesem Punkt ergibt sich ein Unterschied zur Wiedereinset­ zung, die nach §  233 ZPO an die Kausalität des Hindernisses gebunden ist. Von einer nachträglichen Entwicklung im Sinne von §  767 Abs.  2 ZPO lässt sich mit Blick auf die rechtliche Bewertung allenfalls sprechen, wenn sich die Rechtslage bzw. Rechtserkenntnisquellen11 zwischenzeitlich gewandelt haben. Der Verur­ teilte könnte dann darauf verweisen, nach neuer Rechtslage, neuer Judikatur, neuer herrschender Rechtsauffassung etc. sei der Anspruch nicht mehr zuzusprechen. Bereits das Reichsgericht hat indes darauf hingewiesen, dass ein nachträglicher Wandel der Rechtsprechung nicht zur Unbeachtlichkeit sämtlicher rechtskräftiger Urteile führen könne, die auf der aufgegebenen Rechtsauffassung beruhten.12 Der BGH hat dies aufgegriffen:13 Die bloße Änderung der Rechtsanschauungen recht­ fertige es nicht, von der rechtskräftigen Entscheidung abzuweichen. Gleiches gelte, wenn eine neue Gesetzesbestimmung einen bei Erlass des rechtskräftigen Urteils bestehenden Meinungsstreit nachträglich kläre. Das BAG und die Literatur haben sich dem angeschlossen.14 Zur Vollstreckungsabwehrklage hat die Rechtspre­ chung diese Sichtweise übernommen: Der Wandel der höchstrichterlichen Judika­ tur stelle grundsätzlich keine nach §  767 ZPO zu berücksichtigende Einwendung dar.15 Das Schrifttum teilt diese Einschätzung.16 Nachträgliche Entwicklungen der Rechtsprechung sind allerdings nicht aus­ nahmslos unbeachtlich. So erklärt §  79 Abs.  2 S.  2 BVerfGG17 die künftige Voll­ streckung aus einer Entscheidung für unzulässig, wenn Letztere auf einer vom BVerfG für nichtig erklärten Norm beruht. §  79 Abs.  2 S.  3 BVerfGG verweist den 11 

Siehe zum Begriff §  4 C. II.; vergleiche auch Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  9. RG, Urt. v. 25.6.1929 – II 566/28, RGZ 125, 159, 161–162 (allerdings streng genommen eine Rechtsverfolgungskonstellation betreffend). 13  BGH, Urt. v. 11.3.1953 – II ZR 180/52, BeckRS 1953, 31203555 (betreffend eine Bereiche­ rungsklage nach Zahlung auf ein rechtskräftiges Urteil hin). 14  BAG, Urt. v. 12.6.1990 – 3 AZR 524/88, BAGE 65, 194 = AP BetrAVG §  1 Hinterbliebenen­ versorgung Nr.  10 (unter I. 4.); BAG, Beschl. v. 20.3.1996 – 7 ABR 41/95, BAGE 82, 291 = NZA 1996, 1058, 1060; Althammer, in: Stein/Jonas, §  322 Rn.  255; Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  159. 15  BAG, Urt. v. 30.1.2019 – 10 AZR 155/18, NZA 2019, 860, 863 Rn.  47; BGH, Urt. v. 11.7.2002  – IX ZR 326/99, BGHZ 151, 316 = NJW 2002, 2940, 2943; BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  19 – Mescher weis; OLG Köln, Beschl. v. 28.2.2001  – 13 W 8/01, WM 2002, 438, 438–439. 16  Baur/Stürner/Bruns, ZVR, Rn.  45.13; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  40 Rn.  50; Herget, in: Zöller, §  767 Rn.  13.1; Klein, JZ 2018, 64, 66; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  767 Rn.  28; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  767 Rn.  24; Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  25; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  73. 17  Ggf. i. V. m. §  95 Abs.  3 S.  3 BVerfGG im Fall der Verfassungsbeschwerde. 12 

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

Schuldner insoweit auf die Vollstreckungsabwehrklage.18 Das BVerfG hat die An­ wendung von §  79 Abs.  2 BVerfGG auf sämtliche Beanstandungsvarianten er­ streckt, die in Absatz  1 der Vorschrift als Wiederaufnahmegründe für Strafverfah­ ren benannt werden (neben der Nichtigerklärung auch die Unvereinbarerklärung bzw. die Beanstandung einer bestimmten Auslegung).19 Die übrige Rechtspre­ chung und das Schrifttum sind dem inzwischen weitgehend gefolgt.20 Auch für den Erfolg der „verfassungsrechtlichen“ Vollstreckungsabwehrklage21 müssen indes die Voraussetzungen des §  767 Abs.  2 ZPO erfüllt sein. Die Entscheidung des BVerfG muss also nachträglich in diesem Sinne ergangen sein.22 Dagegen führt der Umstand, dass – auf Grundlage eines deklaratorischen Verständnisses – schon die rechtskräftig gewordene Entscheidung anders hätte ausfallen müssen, selbst­ redend nicht zu einer Präklusion nach §  767 Abs.  2 ZPO.23 Als weitere spezialgesetzliche Regelung ist §  10 UKlaG zu beachten. Wem die Verwendung einer AGB-Klausel untersagt worden ist, kann danach gegebenenfalls über §  767 ZPO einwenden, „dass nachträglich eine Entscheidung des Bundesge­ richtshofs oder des Gemeinsamen Senats […] ergangen ist, welche die Verwendung dieser Bestimmung für dieselbe Art von Rechtsgeschäften nicht untersagt“. Ange­ sichts von §  11 S.  2 UKlaG bedarf es dazu streng genommen nicht einmal der Kla­ ge.24 Voraussetzung ist aber nach §  10 UKlaG wiederum, dass es sich um eine nachträgliche Entwicklung in der Rechtsprechung handelt.25 Auch über den An­ wendungsbereich von §  10 UKlaG hinaus wird Entwicklungen der höchstrichter­ lichen Judikatur mitunter Bedeutung zugemessen. Weil im Wettbewerbsrecht die BGH-Entscheidungen zu den Generalklauseln ein Äquivalent zum Gesetzesrecht darstellten, wird in der Änderung solcher Judikatur eine Einwendung im Sinne von §  767 ZPO erblickt.26 18  Siehe auch §  183 S.  2 , 3 VwGO zur Verwerfung von Landesrecht durch Landesverfassungs­ gerichte. 19  Zum ersten: BVerfG, Beschl. v. 22.3.1990 – 2 BvL 1/86, BVerfGE 81, 363 = NVwZ 1990, 1061, 1064; zum zweiten (und gar noch weiter gehend auch zur Anleitung für die Auslegung von Gene­ ralklauseln): BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, BVerfGE 115, 51 = WM 2006, 23, 25–26 (dort auch näher zum Hintergrund der Ergänzung von §  79 Abs.  1 BVerfGG im Jahr 1970), entgegen BGH, Urt. v. 11.7.2002 – IX ZR 326/99, BGHZ 151, 316 = NJW 2002, 2940, 2941–2942. 20  BAG, Urt. v. 30.1.2019 – 10 AZR 155/18, NZA 2019, 860, 863 Rn.  51; BGH, Urt. v. 25.4.2006  – XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024, 1025; OLG Hamm, Urt. v. 17.2.2010 – 3 U 106/09, ZUM 2010, 453, 454; Herget, in: Zöller, §  767 Rn.  12.5; Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  48; S. Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, §  767 Rn.  30; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  73; kritisch z. B. Sachs, JuS 2006, 454, 456 (siehe unten C. II. 2. a) mit Fn.  43); zweifelnd auch Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  1. 21  M. Vollkommer/G. Vollkommer, in: FS Kerameus, S.  1555, 1559. 22  BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, BVerfGE 115, 51 = WM 2006, 23, 27; OLG Hamm, Urt. v. 17.2.2010 – 3 U 106/09, ZUM 2010, 453, 454; Sachs, JuS 2006, 454, 456. 23  M. Vollkommer/G. Vollkommer, in: FS Kerameus, S.  1555, 1561. 24  Micklitz/Rott, in: MüKo-ZPO, §  10 UKlaG Rn.  4; siehe auch Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  7. 25  Zu den umstrittenen Einzelheiten näher Micklitz/Rott, in: MüKo-ZPO, §  10 UKlaG Rn.  9; Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  17–18 m. w. N. 26  BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  20–24  –

§  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

543

C. Analyse Trotz rechtskräftiger Verurteilung kann sich der (vermeintliche) Schuldner zumin­ dest unter besonderen Umständen auf nachträgliche Entwicklungen der höchst­ richterlichen Rechtsprechung berufen. Zwar steht die Wiedereinsetzung hierfür nicht zur Verfügung (dazu I.). Eine Vollstreckungsabwehrklage ist aber gegebenen­ falls möglich (dazu II.).

I. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand §  233 ZPO bietet keine Möglichkeit, die Einlegung eines Rechtsmittels, auf die we­ gen vermeintlich fehlender Erfolgsaussicht verzichtet wurde, nach einer positiven Rechtsprechungsänderung nachzuholen.27 Vordergründig ergibt sich ein Konflikt zu der großzügigen Behandlung, die der Putativschuldner im Rahmen von §  814 BGB erfährt.28 Dem in Anspruch Genommenen soll schließlich die Gelegenheit gewährt werden, vorläufig nachzugeben, ohne allzu große Nachteile fürchten zu müssen. Tatsächlich besteht aber kein Widerspruch. Der Nachteil der Rechtskraft kann den vermeintlichen Schuldner nämlich nur dann ereilen, wenn er sich auf ein Verfahren einlässt. Diesen Rechtsnachteil kann er vermeiden, indem er auf das Ver­ langen des vermeintlichen Gläubigers hin leistet, bevor es zu einem Prozess kommt. Das steht gerade im Einklang mit den bisher identifizierten Wertungen. Der in Anspruch Genommene entgeht einem Nachteil, indem er sich umgehend in die Po­ sition des (Rückgewähr-)Gläubigers begibt. Der Eintritt der Rechtskraft lässt sich sogar noch im Prozess vermeiden, indem der Leistungskläger durch Erfüllung zur Abgabe einer Erledigungserklärung bewegt wird. Schließt sich der Beklagte an, ergeht ein Beschluss nach §  91a Abs.  1 S.  1 ZPO. Dieser entfaltet keine Rechtskraft hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs.29 Macht der vermeintliche Schuld­ ner von der Möglichkeit der (frühzeitigen) Befriedigung keinen Gebrauch, muss er mit dem Nachteil der Rechtskraft leben.

II. Vollstreckungsabwehrklage Auch die grundsätzlichen Vorbehalte, die gegen eine Berücksichtigung von nach­ träglichen Rechtsprechungsänderungen im Rahmen von §  767 ZPO vorgebracht werden, sind uneingeschränkt zu teilen.

Mescher weis; zustimmend BGH, Urt. v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874, 1876 Rn.  22; Spohnheimer, in: Wieczorek/Schütze, §  767 Rn.  70. 27  Siehe oben §  8 C. I. 28  Dazu näher §  13. 29  Siehe nur Gierl, in: Hk-ZPO, §  91a Rn.  34; Schulz, in: MüKo-ZPO, §  91a Rn.  39.

544

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

1. Schutz der Rechtskraft Der Sinn der Rechtskraft, Rechtssicherheit zu stiften, würde ansonsten erheblich beeinträchtigt.30 Die Rechtskraft erweist sich nicht ohne Grund als besonders resis­ tent gegenüber einer entlastenden Berücksichtigung rechtlicher Fehlvorstellungen des Betroffenen.31 Eröffnete man die Vollstreckungsabwehrklage, würde jeder Rechtsprechungswandel dazu führen, dass auf Basis der überholten Anschauung getroffene Entscheidungen fortan unbeachtlich wären.32 Das ist nicht hinzuneh­ men. Man kann darauf abheben, dass die neue Judikatur lediglich die ursprüngliche Unrichtigkeit der früheren Bewertung belege,33 der Unterlegene zur Überprüfung der Richtigkeit jedoch auf die einschlägigen Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung verwiesen sei; sind diese ausgeschöpft oder verfristet, soll die Rechtskraft eine er­ neute Befassung mit der Richtigkeitsfrage gerade ausschließen.34 Die vorgetragene Argumentation scheint eng verknüpft mit einem deklaratorischen Verständnis des Richterrechts.35 Das Ergebnis – Schutz der Rechtskraft – lässt sich aber auch bei einer konstitutiven Deutung halten.36 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch Gesetzesänderungen, wenn sie nicht ausnahmsweise (zumindest ihrer Natur nach 37) bereits titulierte Ansprüche erfassen wollen, die Rechtskraft unangetastet lassen und eine Vollstreckungsabwehrklage nicht begründen.38 Angesichts der vor­ stehenden Beobachtungen ist der Weg über §  767 ZPO – entgegen vereinzelter Auf­ fassung im Schrifttum – grundsätzlich nicht einmal dann zu eröffnen, wenn eine „grundlegende Wandlung der gesamten Rechtsauffassung“39 erfolgt. 30  RG, Urt. v. 25.6.1929 – II 566/28, RGZ 125, 159, 162; BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  21 – Mescher weis; Brox/Walker, ZVR, Rn.  1337. 31  Siehe bereits §  8 C. I. 2. 32 Zutreffend RG, Urt. v. 25.6.1929 – II 566/28, RGZ 125, 159, 162; siehe auch Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  25: Entscheidungen stünden sonst „unter dem Vorbehalt gleichbleibender Rechtsansichten des Gerichts“. 33 BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.   19  – ­Mescher weis; OLG Köln, Beschl. v. 22.1.1992 – 20 W 82/91, WM 1992, 713, 714; S. Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, §  767 Rn.  29; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  73. 34  Spohnheimer, in: Wieczorek/Schütze, §  767 Rn.  70; vergleiche auch BAG, Urt. v. 30.1.2019  – 10 AZR 155/18, NZA 2019, 860, 863 Rn.  47. 35  Dies zeigt sich besonders deutlich bei M. Vollkommer/G. Vollkommer, in: FS Kerameus, S.  1555, 1556; siehe zudem Klein, JZ 2018, 64, 66, der davon ausgeht, dass wegen der Rückwirkung der Rechtsprechungsänderung §  767 ZPO nicht greife. 36  Hier gilt entsprechend das oben bei §  3 A. II. 3. mit Fn.  88 zum fehlenden Einfluss der jewei­ ligen Präferenz auf die Vertrauensschutzproblematik Gesagte. 37  Gemeint sind v. a. die Pflicht zur Erbringung wiederkehrender Leistungen bzw. sonstige in die Zukunft gerichtete Verhaltens-, insb. Unterlassungspflichten, siehe BGH, Urt. v. 26.9.1996  – I ZR 265/95, BGHZ 133, 316 = NJW 1997, 1702, 1704 – Altunterwerfung I; BGH, Urt. v. 2.7.2009  – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3304 Rn.  18 – Mescher weis; Herget, in: Zöller, §  767 Rn.  12.13; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  73. 38  Althammer, in: Stein/Jonas, §   322 Rn.  256; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  40 Rn.  52; Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  155; Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  24; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  73. 39  Lackmann, in: Musielak/Voit, §  767 Rn.  28.

§  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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2. Anzuerkennende Ausnahmen Gleichermaßen zustimmungswürdig wie der beschriebene Grundsatz sind die an­ erkannten Ausnahmen. a) Feststellung verfassungswidriger Grundlage der Entscheidung Soweit die Anwendung von §  767 ZPO durch §  79 Abs.  2 S.  3 BVerfGG eröffnet wird, ist dies durch die besondere Qualität der betroffenen Rechtsnormen zu er­ klären. §  79 Abs.  2 BVerfGG wahrt einen Kompromiss zwischen dem Schutz des Vertrauens in rechtskräftige Entscheidungen und der aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit gebotenen Wirkung verfassungsrechtlicher Beanstandungen.40 Ent­ scheidungen, deren Grundlagen als verfassungswidrig identifiziert wurden, sollen fortan nicht mehr mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden.41 Vor diesem Hin­ tergrund ist auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs von §  79 Abs.  2 BVerf­ GG über die Nichtigerklärung hinaus42 nicht zu beanstanden. Allerdings existie­ ren durchaus Argumente dagegen. So trifft es zu, dass eine verfassungskonforme Auslegung schon im Ausgangsrechtsstreit – ohne Befassung des BVerfG – hätte vorgenommen werden können.43 Es entspräche ferner der formalen Sichtweise, wie sie etwa im Zusammenhang mit der Erledigungsproblematik vorherrscht,44 Vorga­ ben zur verfassungskonformen Auslegung nicht als nachträgliche Änderung zu begreifen. Sperrte man unter Berufung darauf die verfassungsrechtliche Vollstre­ ckungsabwehrklage, böte dies dem zunächst Unterlegenen zudem Anreize, die Rechtslage selbst – notfalls verfassungsgerichtlich – klären zu lassen, weil er wüss­ te, dass ihm spätere Ausführungen des Verfassungsgerichts in anderen Verfahren nicht mehr zum Vorteil gereichten. Allerdings greift die Ratio hinter §  79 Abs.  2 BVerfGG – die Durchsetzung von Entscheidungen, die auf verfassungswidriger Grundlage beruhen, sei zu verhindern – bezüglich einer verfassungswidrigen Ge­ setzesauslegung in vergleichbarer Weise wie bei verfassungswidrigen Gesetzen.45 Da für die Korrektur einer solchen Auslegung nicht zwingend eine Entscheidung des BVerfG erforderlich ist, ist die Forderung nachvollziehbar, §  79 Abs.  2 BVerf­ GG sei auch dann analog anzuwenden, wenn ein oberstes Bundesgericht die be­ troffene Auslegung als verfassungswidrig monierte.46 Dagegen ließe sich zwar ein­ wenden, dass nur bei einer Intervention durch das BVerfG eindeutig feststellbar ist, dass gerade verfassungsrechtliche Erwägungen zu der Korrektur gezwungen ha­ 40 Ausführlich

Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, §  79 Rn.  2–7. Spohnheimer, in: Wieczorek/Schütze, §  767 Rn.  7. 42  Dazu oben B. II. mit Fn.  19 f. 43  Diesen Unterschied zur Nichtigerklärung (Verwerfungsmonopol des BVerfG, Art.  100 GG) betont die Kritik von Sachs, JuS 2006, 454, 456: Das BVerfG setze hier „recht nonchalant Ent­ wicklungen seiner Rechtsprechungsgrundsätze […] mit Änderungen der Rechtslage gleich“. 44  Dazu kritisch oben §  10 C. I. 2. d) bb). 45  Auf diesem Gedanken fußt BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, BVerfGE 115, 51 = WM 2006, 23, 25–26; siehe auch Spohnheimer, in: Wieczorek/Schütze, §  767 Rn.  71. 46  Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  48; S. Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, §  767 Rn.  30. 41 

546

6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

ben. Es erscheint aber bedenklich, denjenigen, der auf Basis einer verfassungswid­ rigen Normauslegung verurteilt wurde, nur deshalb schlechter zu stellen, weil der BGH nachfolgend selbst die Verfassungswidrigkeit dieser Auslegung festgestellt hat, sodass es zu einer Befassung des BVerfG nicht mehr kommt.47 b) Rechtsprechungsänderung im Fall „zukunftsbezogener“ Titel Auch §  10 UKlaG belegt, dass die formale Betrachtungsweise nicht in Stein gemei­ ßelt ist.48 Die Norm erkennt den Wandel der höchstrichterlichen Beurteilung aus­ drücklich als relevante Einwendung im Sinne von §  767 ZPO an. Diese Wertung wird zu Recht aufgegriffen, um auch in vergleichbaren, ungeregelten Fällen die Vollstreckungsabwehrklage zu eröffnen.49 Betont wird der gemeinsame Grundge­ danke, dass der früher Verurteilte keinen Nachteil gegenüber seinen Wettbewer­ bern erleiden soll, welche sich auf Basis der neuen Rechtsanschauung künftig frei entfalten dürfen.50 Eine Anwendung von §  767 ZPO im Fall von Rechtsprechungsänderungen ist aber auch über diese Sondererwägung hinaus anzuerkennen, soweit zukunftsbezo­ gene Ansprüche betroffen sind.51 Der VI. Zivilsenat des BGH hat die Frage für Un­ terlassungstitel wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen zwar offengelassen.52 Ein entscheidendes Argument lässt sich allerdings §  323 ZPO entnehmen. Die Norm betrifft die Abänderung von Urteilen, aus denen sich die Verpflichtung über künftig fällig werdende, wiederkehrende Leistungen ergibt. Es besteht eine enge Verwandt­ schaft zu §  767 ZPO.53 Auch der I. Zivilsenat des BGH hat die Anwendung von §  767 ZPO bei Änderung wettbewerbsrechtlicher Rechtsprechung nicht nur auf §  10 UKlaG, sondern auch auf die Judikatur zu §  323 ZPO gestützt.54 Letztere hatte sich dahin entwickelt, auch nachträgliche Änderungen der höchstrichterlichen Recht­ sprechung als hinreichenden Anpassungsgrund – mit Wirkung für die Zukunft55  – anzuerkennen.56 Dieses Verständnis ist vom Gesetzgeber gebilligt worden. Im Zuge 47 

Raebel, in: Schuschke/Walker, §  767 ZPO Rn.  48, verweist auf die „Rechtsschutzgleichheit“. Ihr gleichwohl zuneigend Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  10. 49  So verfahrend BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  24 – Mescher weis; Baur/Stürner/Bruns, ZVR, Rn.  45.13. 50  BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  21, 24  – Mescher weis; zustimmend Brox/Walker, ZVR, Rn.  1338a; S. Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, §  767 Rn.  29; K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  75. 51  Generell formulierend etwa BAG, Urt. v. 30.1.2019 – 10 AZR 155/18, NZA 2019, 860, 863 Rn.  50; Lackmann, in: Musielak/Voit, §  767 Rn.  23, 28. 52  BGH, Urt. v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874, 1876 Rn.  2 2. 53  Zur Schwierigkeit der Abgrenzung siehe nur BGH, Urt. v. 21.12.1977 – IV ZR 4/77, NJW 1978, 753, 755; Kindl, in: Hk-ZPO, §  767 Rn.  3. 54  BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.   22  – ­Mescher weis. 55  Siehe etwa BGH, Urt. v. 5.2.2003 – XII ZR 29/00, BGHZ 153, 372 = NJW 2003, 1796, 1798; BGH, Urt. v. 28.2.2007 – XII ZR 37/05, BGHZ 171, 206 = NJW 2007, 1961, 1964 Rn.  36; BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  22 – Mescher weis. 56  Siehe BGH, Urt. v. 5.2.2003 – XII ZR 29/00, BGHZ 153, 372 = NJW 2003, 1796, 1798; BGH, 48 

§  14 Nachteil durch Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung

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der Schaffung des FamFG und der Modifikation der §§  323 ff. ZPO durch das FGG-Reformgesetz von 2008 ist die Variante einer Veränderung der rechtlichen Verhältnisse ausdrücklich berücksichtigt worden (§  323 Abs.  1 S.  2 ZPO, §  238 Abs.  1 S.  2 FamFG; siehe zudem §  48 Abs.  1 S.  1 FamFG). Darunter soll ausweislich der Gesetzesmaterialien insbesondere eine Änderung der höchstrichterlichen Recht­ sprechung fallen können.57 Vor diesem Hintergrund begegnet ein entsprechendes Verständnis von §  323 ZPO heute keinen Zweifeln mehr.58 Gleichermaßen zutref­ fend ist der Hinweis, dass eine solche Anpassung nicht schon dann in Betracht kommt, wenn die ursprüngliche Entscheidung schlicht fehlerhaft war.59 Die in §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO, §  238 Abs.  1 S.  2 FamFG zum Ausdruck kommende Wertung ist konsequenterweise auch im Zusammenhang mit §  767 ZPO zu beach­ ten. Einer Judikaturwende kann dort Bedeutung zukommen, wo ein Titel betroffen ist, der beansprucht, auch mit Wirkung für die Zukunft eine zutreffende Beurtei­ lung zu enthalten.60 Der Verweis auf wiederkehrende Leistungen61 erfasst dies im Grundsatz zutreffend. Orientierung bietet auch der Begriff der „Dauerwirkung“ in §  48 Abs.  1 S.  1 FamFG. Im Einklang mit den soeben angesprochenen Vorstellungen des Reformgesetzgebers ist allerdings stets vorauszusetzen, dass es um Entwicklun­ gen der höchstrichterlichen Judikatur geht. Für ausreichend erachtet wurden weder Änderungen einer obergerichtlichen Rechtsprechung62 noch die einer nur erstin­ stanzlichen Beurteilung. 63 Es genügt also insbesondere nicht, dass lediglich ein all­ gemeines Umdenken in Instanzrechtsprechung und Literatur eingesetzt hat.

D. Fazit Der Anspruchsgegner, der in Verkennung seiner eigentlich günstigen Rechtspositi­ on ein nachteiliges Urteil rechtskräftig werden lässt, hat in der Regel keine Mög­ lichkeit, sich von diesem Nachteil zu befreien. Dieses Ergebnis ist durch die Funk­ tion der Rechtskraft gerechtfertigt. Ausnahmen sind nur dort anzuerkennen, wo Beschl. v. 5.11.2004 – IXa ZB 57/04, BGHZ 161, 73 = NJW-RR 2005, 222, 223 (zu §  850g S.  1 ZPO); OLG Hamm, Beschl. v. 11.4.2002 – 3 WF 3/02, FamRZ 2003, 50; vergleiche bereits BGH, Urt. v. 5.9.2001 – XII ZR 108/00, BGHZ 148, 368 = NJW 2001, 3618, 3620, m.N. zum damaligen Streitstand. 57  Begr. RegE FGG-RG, BT-Drs. 16/6308, 257 (zu §   238 Abs.  1 S.  2 FamFG), 325 (zu §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO), 198 (zu §  48 FamFG). 58  Einhellig BGH, Urt. v. 23.5.2012 − XII ZR 147/10, NJW 2012, 2514, 2515 Rn.  16; BGH, Urt. v. 16.1.2013 − XII ZR 39/10, NJW 2013, 866, 867 Rn.  16; Borth, in: Musielak/Voit, §  323 Rn.  21; Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  323 Rn.  60; Saenger, in: Hk-ZPO, §  323 Rn.  32. 59  Borth, in: Musielak/Voit, §  323 Rn.  21. 60  Im Kontext des §  323 ZPO lässt sich vom Vorhandensein eines Prognoseelements der Ent­ scheidung sprechen, siehe etwa Borth, in: Musielak/Voit, §  323 Rn.  21a. 61  Siehe bereits oben 1. Fn.  37. 62  BGH, Urt. v. 5.9.2001 – XII ZR 108/00, BGHZ 148, 368 = NJW 2001, 3618, 3619. 63  BGH, Urt. v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874, 1876 Rn.  2 2, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 1.10.1996 – VI ZR 206/95, NJW 1997, 1152, 1154.

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6. Teil: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche

sich nachträglich die Verfassungswidrigkeit der Grundlagen der Verurteilung her­ ausstellt oder sich die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig zugunsten des Schuldners ändert. Ein solcher Wandel ist allerdings nur insoweit beachtlich, wie die rechtskräftige Entscheidung den Anspruch erhebt, auch für die Zukunft richtig zu sein.

7. Teil

Synthese Die zu Beginn der Untersuchung geäußerte Hoffnung, durch die Zusammenschau der verschiedenen Quadranten weiter gehende Erkenntnisse zur Topografie der Rechtsirrtumsproblematik zu gewinnen, hat sich erfüllt. Der Umgang des Privat­ rechts mit Rechtsirrtümern wurde ein Stück weit „entmystifiziert“. Das gilt vor allem für die Kontroverse um eine strenge bzw. milde Haftung des im Rechtsirr­ tum befindlichen Schuldners. Diese wird verbreitet als identitätsstiftend für die Rechtsirrtumsdogmatik empfunden.1 Es ist jedoch offenbar geworden, dass inso­ weit zumindest Rechts- und Tatsachenzweifel im Kern gleichzubehandeln sind.2 Andererseits lassen sich in der Gesamtschau der Untersuchungsquadranten auch verschiedene Faktoren identifizieren, die der Rechtsirrtumsproblematik eigen sind. Es haben sich vor allem drei Aspekte als wesentlich erwiesen. Erstens: Rechtsfragen werden in der Regel nur dann mit Autorität geklärt, wenn sie nicht nur von Gestal­ tungspraxis und Wissenschaft, sondern von Gerichten beurteilt werden. Dies un­ terscheidet sie von Tatsachenfragen.3 Die Behandlung von Rechtsirrtümern muss deshalb dafür Sorge tragen, dass offene Rechtsfragen einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden. Zweitens: Wo die Rechtsprechung bereits (vermeintliche) Sicher­ heit für die Beantwortung bestimmter Rechtsfragen erzeugt hat, wird Vertrauen enttäuscht, wenn dieselbe Frage fortan anders beantwortet wird. Die Rechtsirr­ tumslehre muss sich dieses Problems annehmen. Es betrifft ganz überwiegend rechtliche, nicht tatsächliche Erkenntnisse.4 Drittens: Zur Vermeidung rechtlicher Fehlvorstellungen hält die Rechtsordnung spezialisierte Intermediäre vor.5 Die Existenz dieser institutionalisierten Rechtsberatungsmöglichkeiten hat Einfluss auf die Handhabung von Rechtsirrtümern. Die Untersuchung der einzelnen Quadranten hat überdies gezeigt, dass die Rechtsirrtumsdogmatik sowohl auf übergreifende als auch auf differenzierende Maßstäbe zurückgreift. Schematische Einheitslösungen – wie ein streng verstande­ ner Satz „error iuris nocet“ – verbieten sich ebenso6 wie völlig variable Konzepte, die über die Behandlung des Rechtsirrtums stets kontextabhängig entscheiden. 1 

Siehe §  11 (vor A.). Siehe oben §  11 C. II. 4. Daneben zeigen sich auch im Kontext des §  814 BGB (oben §  13) keine wesentlichen Unterschiede zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern. 3  Siehe dazu §  3 A. II. 1.–2. 4  Siehe dazu §  3 A. II. 3. 5  Siehe dazu §  3 A. III. 2. 6  Insoweit kann der entsprechenden Äußerung von Rittner, in: FS v. Hippel, S.  391, 420 (siehe bereits oben §  1 A. III. Fn.  33), nach wie vor beigepflichtet werden. 2 

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7. Teil: Synthese

Weitgehend einheitliche Maßstäbe gelten vor allem hinsichtlich der Berücksichti­ gung von überraschenden Rechtsprechungswenden. Hier ist eine Nachteilszuwei­ sung zum Irrenden weitgehend ausgeschlossen.7 Umgekehrt ist, soweit die ein­ schlägigen Tatbestände dies erlauben, quadrantenübergreifend eine Pflicht bzw. Obliegenheit zur Konsultation qualifizierter Rechtsberater anzuerkennen.8 Dif­ ferenzierungen zwischen den einzelnen Teilkomplexen sind dagegen angebracht, soweit es darum geht, Anreize zur gerichtlichen Klärung offener Rechtsfragen zu setzen.9 Zur Motivation greift das Recht zu „Zuckerbrot“ (vor allem in Form der Haftungsprivilegierung) und „Peitsche“ (insbesondere durch eine strenge Verjäh­ rung). Eine Haftungsverschonung erfährt allerdings nur derjenige, der den Rechts­ streit aus der Position des Petenten ohne Zugriff auf die begehrte Rechtsposition führt. Insofern ergeben sich Unterscheidungen zwischen Anspruchsteller und An­ spruchsgegner.10 Aus den vorstehend skizzierten Erkenntnissen lassen sich übergreifende Vorga­ ben zur Behandlung von Rechtsirrtümern ableiten. Dabei erweist sich die zugrun­ de gelegte Trennung in die Ebenen des Erkenntnisgrades und der Substitution durch Vorwerfbarkeit11 als förderlich. Die identifizierten Wertungen wirken je­ weils auf unterschiedlichen Stufen. Auf der Ebene des schädlichen Erkenntnisgra­ des entscheidet sich vor allem, wie mit Rechtszweifeln umzugehen ist. Der jeweils anzulegende Maßstab lenkt den Betroffenen entweder in Richtung einer gerichtli­ chen Rechtsklärung oder weg von dieser. Außerdem wird bei der Festlegung des nachteilsauslösenden Erkenntnisgrades die Frage des Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen verhandelt. Die bestehenden Rechtsberatungsmög­ lichkeiten sind dagegen innerhalb der Vorwerfbarkeitsprüfung zu berücksichtigen: Während auf der Ebene des Erkenntnisgrades stets von der Warte eines Rechtskun­ digen geurteilt wird, stellt sich hier die Frage, ob diese Perspektive auch dann maß­ geblich ist, wenn der Betroffene diese Erkenntnis subjektiv verfehlt hat. Die Nachteile, die mit einer übermäßigen Vermischung der Ebenen verbunden sind, sind deutlich zutage getreten. Insbesondere besteht das Risiko, aus einschlä­ gigen Wertungen falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. So besagt beispielsweise der Umstand, dass Rechtsrat stets verfügbar ist, nichts darüber, wie mit rechtlichen Zweifeln zu verfahren ist, die auch nach Konsultation eines gewissenhaften Exper­ ten verbleiben.12 In vergleichbarer Weise ist die Sorge um eine Normerosion oder den Geltungsanspruch des Rechts nur insoweit beachtlich, wie dem Irrenden vor­ geworfen werden soll, er habe eine objektiv mögliche Erkenntnis nicht erlangt.13 Ohne hinreichende Trennung der verschiedenen Ebenen läuft man Gefahr, in eine 7 

Dazu im Folgenden §  15 A. III. 3. Dazu im Folgenden §  16 B. 9  Dazu im Folgenden §  15 A. III. 1. 10  Dazu im Folgenden §  15 A. III. 2. 11  Siehe dazu §  6 B. 12  Siehe dazu v. a., anhand der Verjährungsproblematik, §  7 C. I. 1. c) cc)–dd). 13  Siehe dazu v. a. §  11 C. II. 2. a) aa). 8 

7. Teil: Synthese

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allumfassende Abwägungsentscheidung abzugleiten.14 Die Vielfalt der zu be­ achtenden Faktoren droht in Abwesenheit einer klar formulierten Rangfolge in ei­ ner Beliebigkeit der Ergebnisse zu münden. Jedenfalls resultiert sie in einer miss­ lichen Unsicherheit für den Rechtsanwender und steht der Nachvollziehbarkeit für die Betroffenen im Wege. Das gilt nicht nur für die allgemeinen Grundsätze, son­ dern gleichermaßen für die Behandlung von Rechtsirrtümern in spezielleren Zu­ sammenhängen, wie etwa bei der Hinterlegung (§  372 S.  2 Var.  2 BGB).15 Stellen­ weise hat sich gar gezeigt, dass erst die Aufteilung auf die verschiedenen Ebenen den Weg zu einer überzeugenden Verteilung einzelner Aspekte auf bestimmte Tat­ bestandsmerkmale ebnet. So ist nach hier vertretener Ansicht die Grenze zur Pflichtverletzung bzw. Rechtswidrigkeit bei der unberechtigten Anspruchsgel­ tendmachung (erst) überschritten, wenn der schädliche Erkenntnisgrad objektiv erreicht ist; die bloß subjektive Verfehlung dieser Erkenntnis kann dagegen allen­ falls auf Ebene des Vertretenmüssens bzw. Verschuldens berücksichtigt werden.16 Die Trennung zwischen Erkenntnisgrad und Vorwerfbarkeit bietet nicht zuletzt ein Denkgerüst für weitere Teilausschnitte der Rechtsirrtumsproblematik, die hier nicht behandelt wurden. Dies hat sich ansatzweise bei der nur am Rande gestreiften Frage gezeigt, welche Auswirkungen ein Rechtsirrtum auf die Feststellung von Vorsatz hat:17 Ob im jeweiligen Kontext schon Eventualvorsatz schadet, betrifft den Erkenntnisgrad. Ob auch vermeidbare Unkenntnis (so die Schuldtheorie18) oder zumindest „Rechtsblindheit“ genügt,19 ist eine Frage der Substitution durch Vorwerfbarkeit. Die hier vorgeschlagene Ordnung bietet ein einheitliches Vokabu­ lar zur Erfassung der Zusammenhänge und gewährleistet so eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse innerhalb der Rechtsirrtumsdiskussion. Im Folgenden sollen zunächst die auf der Stufe des Erkenntnisgrades gewonne­ nen Erkenntnisse konsolidiert werden (dazu §  15). Sodann wird entsprechend mit der Ebene der Vorwerfbarkeit verfahren (§  16). Im Anschluss lässt sich die in ver­ schiedenen Zusammenhängen aufgekommene Frage beantworten, in welchem Ausmaß, auf welchen Ebenen und anhand welcher Tatbestandsmerkmale eine Ver­ antwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden zu berücksichtigen ist (dazu §  17). Soweit sich Besonderheiten der Behandlung von Rechtsirrtümern im Vergleich mit 14  Diese v. a. im Kontext der Putativgläubigerhaftung betonte Gefahr (siehe §  9 C. I. 2. b)) be­ stünde gleichermaßen im Bereich der Schuldnerhaftung, wollte man den Stimmen folgen, die eine Gleichbehandlung fordern (Kritik daran v. a. bei §  11 C. II. 2. b), d) aa)–bb)). 15  Siehe §  11 C. II. 6. b) aa) (1) zu den Vorzügen eines Modells, das bereits auf Ebene des Er­ kenntnisgrades ansetzt. 16  Siehe dazu §  9 C. VI. 17  Siehe dazu §  11 C. V. 1. 18 Zum Streit um die Vorzugswürdigkeit der Schuld- oder der Vorsatztheorie siehe bereits oben §  1 A. II. Fn.  23. 19  Siehe etwa im Kontext von §  37a WpHG a. F. (dazu oben §  11 C. V. 1. mit Fn.  945): OLG München, Urt. v. 19.12.2007 – 7 U 3009/04, BKR 2008, 129, 130 (unter Verweis auf Rechtspre­ chung zur vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung im Versicherungsrecht: BGH, Urt. v. 18.2.1970  – IV ZR 1005/68, NJW 1970, 1082, 1082); siehe auch Casper, ZIP 2009, 2409, 2411.

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7. Teil: Synthese

Tatsachenirrtümern gezeigt haben, bedarf es schließlich entsprechender Kriterien zur Abgrenzung der beiden Kategorien (dazu §  18).

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades Zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn führt die Zusammenschau der einzelnen Untersuchungsquadranten hinsichtlich der Frage, wie mit rechtlicher Ungewissheit umzugehen ist. Bereits zu Beginn der Abhandlung wurde darauf hingewiesen, dass diese Frage inzwischen zu einer prägenden Kontroverse der Rechtsirrtumsthematik geworden ist.1 Die unterschiedliche Festlegung des schädlichen Erkenntnisgrades in den Quadranten lässt sich gerade aus der systematischen Gesamtschau des Problems heraus erklären (dazu im Folgenden A.). Für die Rechtsanwendung resultiert ein enormer Vorteil: Man kommt trotz der differenzierenden Behandlung von Rechts­ zweifeln in den jeweiligen Gebieten letztendlich mit einem einzigen übergreifenden Maßstab aus (dazu B.). In Anbetracht der zentralen Bedeutung ist dieser Maßstab unter C. zu präzisieren, um ihn für die Rechtsanwendung operabel zu machen.

A. Grundsätze und zugrunde liegende Wertungen Es ist zunächst überblicksartig darzustellen, wie sich das hier vorgeschlagene Kon­ zept aus der Zusammenschau der einzelnen Untersuchungsquadranten ergibt (I.). Anschließend werden diese Grundsätze näher mit den jeweils zugrunde liegenden Wertungen verknüpft (II.). Zuletzt sind systematische Abweichungen in besonde­ ren Konstellationen zu erörtern (III.)

I. Schlüssiges Gesamtsystem aus den einzelnen Quadranten Einen Großteil ihrer Überzeugungskraft schöpfen die hier vorgeschlagenen Maß­ stäbe zur Behandlung der Rechtsungewissheit daraus, dass sie sich als Elemente eines schlüssigen Gesamtsystems begreifen lassen. Dieses lässt sich in knapper Form wie folgt beschreiben: Den Ausgangspunkt bildet §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Diese Vorschrift lässt deutlich erkennen, dass die Verjährung auch dann anlaufen soll, wenn rechtliche Zweifel an der Anspruchsberechtigung bestehen (Quadrant 1). Diese Ausgestaltung drängt potenzielle Gläubiger dazu, mögliche Ansprüche gel­ tend zu machen, um nicht den Verlust durch die Verjährung zu riskieren. Wer trotz rechtlicher Zweifel vermeintliche Ansprüche geltend macht, darf daher nicht mit 1 

Oben §  4 C. IV.

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7. Teil: Synthese

einer strengen Haftung bedroht werden (Quadrant 2). Die Haftungsprivilegierung ist allerdings nur insoweit geboten, wie es darum geht, die Anspruchsberechtigung zu klären. Strebt der potenzielle Gläubiger eine einstweilige Verwirklichung bzw. vorzeitige Sicherung des Anspruchs an, haftet er streng. Eine vergleichbar strenge Haftung verdient in der umgekehrten Situation ein Schuldner, der bei ungewisser Rechtslage die Erfüllung vor der abschließenden Rechtsklärung verweigert (Quad­ rant 3). Auch er führt, wie der vorzeitig vollstreckende Putativgläubiger, den Streit aus der „komfortablen“ Stellung heraus – nämlich unter Zugriff auf die streitbefan­ gene Rechtsposition. Um einer strengen Haftung zu entgehen, kann er die gefor­ derte Leistung vorerst erbringen und sich damit in die Rolle des ungesicherten An­ spruchstellers (Rückforderungsgläubigers) begeben („leiste und kondiziere“). Die­ sen Weg darf ihm das Bereicherungsrecht nicht versperren. Eine Auslegung von §  814 Var.  1 BGB, die die Kondiktion einer trotz Rechtszweifeln erbrachten Leis­ tung ermöglicht (Quadrant 4), erscheint daher dringend geboten. Es handelt sich bei den vorstehend beschriebenen Ableitungen nicht um for­ mal-logische Schlüsse. In einem solchen Sinne wäre es beispielsweise kein unzuläs­ siger Widerspruch, die Verjährung trotz zweifelhafter Rechtslage anlaufen zu las­ sen und gleichwohl die Geltendmachung eines zweifelhaften, letztlich nicht beste­ henden Anspruchs mit einer strengen Haftung zu belegen. Hinter den einzelnen Ableitungsvorgängen stehen vielmehr bestimmte Wertungen, die sogleich (II.) noch zu skizzieren sind. An dieser Stelle geht es vorerst nur darum aufzuzeigen, dass sich eine schlüssige Herleitungskette zwischen den einzelnen Quadranten konstruieren lässt, und dass diese prima facie für sich beanspruchen kann, zu ge­ rechten Ergebnissen zu führen. 1. Eröffnung jeweils einer zumutbaren Verhaltensoption Der Gerechtigkeitswert liegt vor allem darin begründet, dass dem Betroffenen bei ungewisser Rechtslage stets eine zumutbare Verhaltensoption eröffnet wird. Dem­ jenigen, der in rechtlicher Hinsicht an der eigenen Anspruchsberechtigung zwei­ felt, stehen zwei Verhaltensalternativen offen: Er kann den zweifelhaften Anspruch geltend machen oder sich zurückhalten. Es erschiene ungerecht, wenn die Rechts­ ordnung ihm beide Alternativen verleiden wollte, indem die Inaktivität mit Verjäh­ rung bestraft würde und die Aktivität von einer Haftung bedroht wäre. Das kommt zum Ausdruck, wenn von einer „Zwickmühle“2 oder einem „Dilemma“3 gespro­ chen wird. Aus Sicht des potenziellen Schuldners ergibt sich eine vergleichbare Si­ tuation. Er steht vor der Wahl, die Leistung bis zur Rechtsklärung zu verweigern oder sie vorerst zu erbringen. Es erschiene untragbar, die Nichtleistung streng zu sanktionieren, zugleich aber die Rückforderung einer nicht geschuldeten Leistung zu sperren. Bezeichnenderweise ist auch in diesem Zusammenhang wiederum die 2  3 

Siehe oben §  9 C. III. 2. a). Siehe §  9 C. III. 2. b) aa) unter Verweis auf Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  144.

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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Rede von einer „Zwickmühle“, ja gar einer „Wahl zwischen Pest und Cholera“, vor der der mögliche Schuldner sonst stünde.4 2. Verknüpfung bestehender Verbindungslinien Die übergreifende Verbindungslinie zwischen den einzelnen Quadranten der Pro­ blematik wird in der bisherigen Diskussion lediglich vereinzelt und, wenn über­ haupt, nur in Teilen erfasst. Mancher Versuch, die verschiedenen Bereiche in Bezie­ hung zueinander zu setzen, mutet geradezu tollkühn an. Beispielsweise wird im verjährungsrechtlichen Kontext vorgeschlagen, die zu §  814 BGB entwickelten Maßstäbe fruchtbar zu machen.5 Dabei wird ignoriert, welche Funktion diesen grundverschiedenen Stellschrauben bei der Auflösung rechtlicher Zweifel zu­ kommt. Dagegen erkennt Schwab zutreffend die Verknüpfung, die zwischen der Eröffnung des Bereicherungsanspruchs und der strengen Verzugshaftung besteht. 6 An anderer Stelle betont er überdies die unterschiedliche Behandlung von Rechts­ zweifeln bei §  814 BGB einerseits (mild!) und im Verjährungsrecht andererseits (streng!),7 bleibt allerdings eine Erklärung schuldig. Aus der Perspektive des mögli­ chen Anspruchsinhabers hat vor allem Harnos die bestehenden Zusammenhänge zwischen milder Putativgläubigerhaftung und strenger Verjährung korrekt identi­ fiziert.8 Die Ableitungsrichtung ist allerdings umzukehren.9 Wenn Harnos zusätz­ lich betont, dass eine verjährungsrechtliche Milde schwer vereinbar mit der stren­ gen Linie zur Schuldnerhaftung erschiene,10 trifft auch dies im Ergebnis zu. Der Gleichklang bedarf aber der Herleitung über die oben geknüpfte Begründungs­ kette. Ein unmittelbares Band zwischen strenger Schuldnerhaftung und strenger Verjährung im Fall rechtlicher Ungewissheit besteht nicht. Nicht zu überzeugen vermag der anderswo zu findende Hinweis auf einen vermeintlichen Konflikt der milden Haftung des Anspruchstellers mit der „scharfen“ Schuldnerhaftung.11 Das Verdienst, die strenge Linie zur Leistungsverweigerung bei Ungewissheit unter

4  Schwab, JuS 2012, 937, 939, zu der verwandten Frage, ob eine Leistung unter Vorbehalt zu ermöglichen ist (siehe oben §  13 C. II. 1. c)). 5  So aber – betreffend die nötigen Erkenntnisse eines Mandanten beim Beraterregress  – ­Nassall, jurisPR-BGHZivilR 11/2014 Anm.  1; allgemeiner auch Schefe, Modifizierungen, S.  88 (siehe dazu bereits die Kritik bei §  7 C. I. 4. a)). 6  Schwab, JuS 2012, 937, 939; in diese Richtung auch R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 727. 7  Schwab, JuS 2015, 168, 170–171; im Ansatz auch OLG Koblenz, Urt. v. 21.1.2020 – 3 U 321/19, ZIP 2020, 526, 530–531. 8  Harnos, WM 2015, 1658, 1660; ohne ausdrücklichen Bezug zur Verjährung ebenfalls in die richtige Richtung deutend K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  119–120; Henckel, Prozeßrecht, S.  303; allgemein auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906; Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  75; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  111. 9  Siehe bereits oben §  9 C. III. 2. a). 10 So Harnos, WM 2015, 1658, 1660; so auch Schefe, Modifizierungen, S.  105–106. 11  So insb. Thole, AcP 209 (2009), 498, 518–519, sowie im Ergebnis auch die weiteren bei §  11 B. I. 1. Fn.  29 Genannten.

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7. Teil: Synthese

Bezugnahme auf die korrespondiere Haftung des vollstreckenden Gläubigers be­ gründet zu haben, gebührt vor allem Häsemeyer.12 In der Selektion, Bündelung und systematischen Staffelung der vereinzelt ge­ knüpften Verbindungen zwischen den einzelnen Untersuchungsquadranten liegt ein wesentlicher Wert des hier entwickelten übergreifenden Modells. Dieses stützt überwiegend die Ergebnisse, zu denen die herrschende Rechtsprechung gelangt. So praktiziert der BGH letztlich eine weitgehende Diskriminierung rechtlicher Zwei­ fel im Verjährungsrecht und bei der Schuldnerhaftung. Demgegenüber stellt er den Zweifelnden weitgehend von einer Haftung für eine unberechtigte Anspruchsgel­ tendmachung und von einer Kondiktionssperre frei. Diese Ergebnisse sind aller­ dings vielfach nicht überzeugend begründet13 und in der „Feinjustierung“ zum Teil bedenklich.14 Das vorgeschlagene Modell stärkt das Fundament der vorherr­ schenden Ergebnisse und trägt zugleich zur schärferen Konturierung bei. 3. Dogmatische Fundierung Ein weiterer Vorzug des Modells liegt darin, dass es durchgängig auf entsprechende „Anschlussstellen“ im Gesetz verweisen kann. Die verjährungsrechtliche Unbe­ achtlichkeit rechtlicher Zweifel lässt sich aus der Regelung in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, die nur auf die Umstands-, nicht aber eine Rechtskenntnis abhebt, herleiten. Die Unschädlichkeit von Rechtsungewissheit bei §  814 BGB folgt ebenfalls bereits aus dem Normwortlaut. Dieser setzt ausdrücklich Wissen voraus. Schwieriger ist die Ausgangslage lediglich betreffend die Haftungsverschonung des Putativgläubi­ gers und die strenge Haftung des nichtleistenden Schuldners. Diese Differenzie­ rung mutet, dogmatisch betrachtet, zunächst seltsam an. Im Kern geht es schließ­ lich in beiden Fällen um eine Haftung für Verschulden bzw. Vertretenmüssen. Al­ lerdings erscheinen diese Begriffe für eine Ausfüllung durch die unterschiedlichen Wertungen durchaus offen.15 Nach vorzugswürdigem Verständnis lässt sich die Problematik gar auf einem dogmatisch eleganten Weg auflösen: In den Fällen der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung ist bei zweifelhafter Rechtslage regel­ mäßig schon die Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit des Vorgehens zu verneinen; auf ein Verschulden kommt es nicht mehr an.16 Der die Leistung verweigernde Schuld­ ner verletzt hingegen stets seine erfolgsbezogene Leistungspflicht. Deshalb steht 12  Siehe dazu v. a. §  11 C. II. 2. b) bb) unter Verweis auf Häsemeyer, Schadenshaftung, insb. S.  7, 32, 50, 124. Häsemeyer mahnt bereits a. a. O., S.  2, an, die systematischen Verbindungslinien nicht auszublenden. Die unterschiedliche Ausgangsposition von Gläubiger und Schuldner wird auch von anderen gesehen, aber oftmals nicht mit der zutreffenden Konsequenz verknüpft (siehe dazu §  11 C. II. 2. b) aa) m. w. N.). 13  Zum Verfahrensprivileg bei der Anspruchsgeltendmachung siehe die Kritik bei §  9 C. I. 2. b), zur Begründung der strengen Verzugshaftung die Kritik bei §  11 C. II. 2. a) aa). 14  Das gilt exemplarisch für die zu weitgehende Annahme einer verjährungsrechtlichen Unzu­ mutbarkeit (Kritik v. a. bei §  7 C. II. 2. c) bb)) oder die zu weitgehende Kondiktionssperre zulasten des mindernden Mieters (dazu §  13 C. II. 2. b)). 15  Vergleiche zum normativen Charakter des Fahrlässigkeitsmaßstabs §  11 C. V. 2. 16  Dazu oben §  9 C. VI.

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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dort nur die Prüfung des Verschuldens bzw. Vertretenmüssens zur Verfügung, um Rechtszweifel zu berücksichtigen.17 Die normativen Unterschiede zwischen unbe­ rechtigter Anspruchsverfolgung und unberechtigter Leistungsverweigerung wer­ den durch diese dogmatische Differenzierung unterstrichen.

II. Zugrunde liegende Wertungen Allein die dogmatische Anschlussfähigkeit und der intuitive Gerechtigkeitsgehalt reichen als Stützen des entwickelten Konzepts jedoch kaum aus. Was in den vorlie­ gend betroffenen Zusammenhängen „zumutbar“, was „gerecht“ ist, lässt sich ohne den Rückgriff auf vorhandene Wertungen kaum sagen. Die dem Modell zugrunde liegenden Wertungszusammenhänge gilt es deshalb im Folgenden offenzulegen. Nach hier vertretener Ansicht erweisen sich vor allem zwei spezifische Gesichts­ punkte für die privatrechtliche Behandlung rechtlicher Ungewissheit als prägend: Das Allgemeininteresse, rechtliche Zweifelsfragen einer möglichst verbindlichen Klärung zuzuführen (dazu 1.), sowie der Gedanke, das Vertrauen in eine bereits erfolgte Klärung sei schützenswert (dazu 3.). Vollständig zu erklären ist das System allerdings nur unter Rekurs auf einen weiteren Aspekt, der für rechtliche wie für tatsächliche Zweifel gleichermaßen Geltung beansprucht: Das Privatrecht geht of­ fenbar davon aus, dass eine Klärung der Anspruchsberechtigung aus der Rolle des Petenten erfolgen soll (dazu 2.). 1. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen Gerade der Blick ins Prozessrecht belegt, dass die Rechtsordnung – ungeachtet der Diskussion um eine Einordnung als Prozesszweck – die Klärung offener Rechtsfra­ gen für ein Anliegen hält, das im Allgemeininteresse liegt.18 Es erscheint daher kon­ sequent, dass dieses Ziel nicht nur durch die Eröffnung der Revision verfolgt wird. Vielmehr muss dafür gesorgt werden, dass streitige Rechtsfragen überhaupt vor die Gerichte gelangen. Die Sorge um hinreichendes „Fallmaterial“19 ist heute akuter als früher.20 Dem Erstarren der Rechtsordnung gilt es vorzubeugen.21 Das Ziel einer Klärung offener Rechtsfragen wird im Rahmen des hier vertretenen Modells in mehrerlei Hinsicht gefördert (dazu a)). Allerdings ist nicht jedes der Ergebnisse mithilfe des Anreizgedankens zu erklären. Manche der zur Anwendung gelangen­ den Maßstäbe sind anders zu begründen und bleiben dabei „anreizneutral“ (dazu b)). An anderen Stellen ergeben sich gar abschreckende Wirkungen. Diese markie­ ren die Grenze, ab der die Rechtsordnung eine gerichtliche Klärung nicht mehr für förderungswürdig erachtet (dazu c)). 17 

Dazu §  11 C. V. (vor 1.). Siehe bereits oben §  3 A. II. 2. 19  Gaier, NJW 2016, 1367, 1370; Maultzsch, Streitentscheidung, S.  306. 20  Siehe §  7 C. I. 1. c) dd). 21  Siehe bereits oben §  5 B. II. 2. 18 

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7. Teil: Synthese

a) Anreizfreundliche Ausgestaltung Bereits zu Beginn der Untersuchung wurde herausgestellt, dass die Behandlung von Rechtsirrtümern auf zweierlei Wegen einer Rechtserstarrung vorbeugen kann:22 Das Recht kann den Irrenden von Nachteilen verschonen und ihm Frei­ raum zur Rechtsklärung bieten. Es kann aber für den Irrtumsfall auch Nachteile androhen, um so zur gewünschten Klärung zu motivieren. Das deutsche Privat­ recht macht tatsächlich von beiden Mechanismen Gebrauch. Darauf zielt das oben verwendete Bild von Zuckerbrot und Peitsche23 ab. aa) Belastung des Gläubigers durch strenge Verjährung Ein Nachteil droht dem in rechtlicher Hinsicht Zweifelnden in Gestalt der Ver­ jährung. Es hat sich gezeigt, dass sich die im Ausgangspunkt rigorose Schlechter­ stellung rechtlicher Fehlvorstellungen durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ohne das Ziel, Klärungsanreize zu setzen, kaum überzeugend erklären lässt.24 Zu Recht wird da­ rauf hingewiesen, dass eine verjährungsrechtliche Verschonung des Gläubigers im Fall der Rechtsunsicherheit zu der paradoxen Folge führte, dass die Rechtsunsi­ cherheit fortbestünde.25 Auch dem Gesetzgeber des reformierten Verjährungs­ rechts kann ein Bewusstsein für diesen Zusammenhang attestiert werden.26 In die­ ses Bild passt ferner die Verwehrung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn von einem Rechtsbehelf wegen Zweifeln an den Erfolgsaussichten kein Ge­ brauch gemacht wurde.27 Der Betroffene soll den Rechtsbehelf gerade nutzen, nun seine Zweifel klären zu lassen.28 bb) Privilegierung des Putativgläubigers durch milde Behandlung unberechtigter Anspruchsgeltendmachung Eine die Rechtsklärung begünstigende Entlastung erfährt derjenige, der trotz rechtlicher Unsicherheit erfolglos einen Anspruch geltend macht. Das „Klageprivi­ leg“, wie es die ständige Rechtsprechung vertritt, ist zwar unzureichend begründet und im Ergebnis zu eng.29 Sofern man es mit dem Zweck einer Klärung rechtlicher Zweifelsfragen unterlegt, erweist es sich indes auf Ebene des Erkenntnisgrades als überzeugend. Es verdient daher Zustimmung, wenn das Privileg in der Literatur 22 

Siehe wiederum §  5 B. II. 2. Soeben oben vor §  15. 24  Siehe §  7 C. I. 1. c). 25  Bitter, JZ 2015, 170, 174; Piekenbrock, in: BeckOGK, §   199 BGB Rn.  131; Schmal/Trapp, NJW 2015, 6, 8. 26  Siehe oben §  7 C. I. 1. c) dd): Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 119, unter Verweis auf BAG, Urt. v. 6.12.1961 – 4 AZR 297/60, BAGE 12, 97 = NJW 1962, 1077, 1078 (freilich gerade den Fall der entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung betreffend, in dem eine Un­ zumutbarkeit im Ergebnis bejaht werden sollte). 27  Siehe §  8 C. I. 2. 28  Siehe v. a. BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772. 29  Zum Ganzen §  9 C. I. 23 

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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gerade unter Verweis auf die dadurch ermöglichte Klärung offener Rechtsfragen bzw. Rechtsfortbildung begründet wird.30 Das so gewährte Haftungsprivileg kann seine volle Wirkung nur dann entfalten, wenn es auf die Folgen der ursprünglichen Anspruchsgeltendmachung erstreckt wird. Ein unsicherer Gläubiger geriete wiederum in ein Dilemma, wenn er zwar die Leistung haftungsbefreit anfordern, eine freiwillige Leistung des in Anspruch Ge­ nommenen aber nicht ohne Haftungsrisiko annehmen dürfte. Der Anspruchsteller könnte eine Haftung nur durch Ablehnung der zuvor verlangten Leistung verhin­ dern. Ein solches Verhalten mutete nicht nur hochgradig widersprüchlich an, son­ dern ginge auch mit dem Risiko einher, in Annahmeverzug zu geraten.31 Von der Aussicht auf eine solche „Zwickmühle“ müssten sich potenzielle Gläubiger oft von vornherein abgeschreckt sehen. Die Anreizwirkung würde verpuffen. Um dies zu verhindern, ist zum einen die Entgegennahme einer freiwilligen Leistung in gleicher Weise haftungsfrei zu stellen wie die ursprüngliche Leistungsaufforderung.32 Zum anderen hat sich gezeigt, dass der ursprüngliche Anspruchsteller nach Empfang ei­ ner freiwilligen Leistung bei fortbestehender Rechtsunsicherheit auch in seiner Rol­ le als potenzieller Kondiktionsschuldner zu privilegieren ist: Das lässt sich durch eine entsprechende Auslegung von §§  818 Abs.  4, 819 Abs.  1 BGB gewährleisten.33 Unter Anreizgesichtspunkten sollte die Verschonung des Putativgläubigers überdies solche Nachteile erfassen, die ihn – anders als eine Schadensersatzhaftung – ver­ schuldensunabhängig ereilen könnten (zum Beispiel eine Vertragslösung durch die Gegenseite). Dies ist dadurch zu erreichen, dass bei objektiver Rechtsunsicherheit schon das Vorliegen einer Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit verneint wird.34 cc) Gewährung des Rückforderungsanspruchs zugunsten des Putativschuldners Von Nachteilen verschont wird gleichermaßen derjenige, der bei zweifelhafter Rechtslage zunächst als Schuldner in Anspruch genommen wurde, sich aber durch vorläufige Erfüllung in die Rolle des Rückforderungsgläubigers versetzt hat. Zwar ist er einer Klärung offener Rechtsfragen zunächst ausgewichen. Es spricht aber nichts dagegen, ihn anschließend zur Rechtsklärung im Wege der Rückforderung zu veranlassen. §  814 Var.  1 BGB ermöglicht eine Kondiktion überhaupt erst, indem 30  In diese Richtung v. a. K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  254–255 mit Fn.  1, S.  259; Stritter, ZErb 2015, 264, 265 (näher §  9 C. III. 2. a)). 31  Dazu oben §  9 C. III. 4. b) aa) (5). 32  Siehe wiederum §  9 C. III. 4. b) aa) (5). Damit erledigt sich im Übrigen der von Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  12, im Wesentlichen anhand der Schutzrechtsverwarnung (für die aber teils besondere Maßstäbe gelten, siehe §  9 C. III. 4. b) cc)) monierte Konflikt zwischen den Auswirkun­ gen eines freiwilligen Nachgebens des Gläubigers (der Schuldner hafte mangels Mahnung nicht) und der eines freiwilligen Nachgebens des Putativschuldners (der Putativgläubiger hafte). Die letztgenannte Annahme ist für den Regelfall unzutreffend. 33  Siehe zum Ganzen §  11 C. II. 6. c). Der Zusammenhang wird nur ganz vereinzelt erkannt (namentlich von Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  43) und nicht einmal dort in vollends überzeu­ gender Weise berücksichtigt. 34  Dazu oben §  9 C. VI.

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7. Teil: Synthese

die Norm darauf verzichtet, die Leistung unter rechtlichen Zweifeln von der Rück­ forderung auszuschließen. Der ursprünglich in Anspruch Genommene erfährt so­ dann in seiner Position als potenzieller Kondiktionsgläubiger die gleiche Haftungs­ privilegierung wie sonstige Anspruchsteller. Insbesondere ist in der unberechtigten Rückforderung (etwa eines vermeintlich überzahlten Mietbetrags) schon keine Pflichtverletzung eines bestehenden (zum Beispiel: Miet-)Vertrags zwischen den Parteien zu erblicken. Der ursprüngliche Gläubiger (im Beispiel: der Vermieter) darf eine solche unberechtigte Kondiktion nicht zum Anlass für eine Kündigung nehmen. dd) Begrenzung des Rückgriffs auf prozesskostenvermeidende Erledigungserklärung Das Motiv einer Förderung der Rechtsklärung schlägt sich innerhalb des vorge­ schlagenen Modells auch im Bereich der Prozesskostenhaftung nieder.35 Der Partei, deren anfänglich nahezu sicher Erfolg versprechende Rechtsauffassung infolge nachträglicher Entwicklungen zweifelhaft geworden ist, ist ein Rückgriff auf die Erledigungserklärung bzw. das sofortige Anerkenntnis zu verwehren. Sie soll nicht die „Waffen strecken“, sondern aufgekommene Zweifel einer Klärung zuführen.36 b) Anreizkompatible Ausgestaltung der Haftung für Vollstreckung, Sicherung und Leistungsverweigerung Nicht unter Verweis auf erstrebte Klärungsanreize begründen lässt sich die strenge Haftung, die im Fall einer rechtlich zweifelhaften Lage Vollstreckungsgläubiger bzw. Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz (§§  717 Abs.  2, 945 ZPO) sowie nicht leistende Schuldner trifft (§§  280, 281, 286 BGB), wenn sich abschließend he­ rausstellt, dass diese nicht im Recht waren. Diese Ausgestaltung folgt vielmehr aus der eigenständigen Wertung, welche in §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zutage tritt.37 Es konnte aber immerhin gezeigt werden, dass diese Haftungsregeln den ansonsten gesetzten Klärungsanreizen zumindest nicht evident zuwiderlaufen und somit die­ ses gesetzgeberische Anliegen nicht in Frage stellen. aa) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Putativgläubigers aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Zur Haftung des Putativgläubigers nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO wurde festgestellt, dass diese nur mittelbar und zumeist allenfalls in geringfügigem Ausmaß von der Rechtsklärung abschrecken dürfte.38 Der mutmaßliche Gläubiger wird schließlich nicht davon abgehalten, sein Recht – notfalls auch gerichtlich – geltend zu machen, sondern nur davon, es frühzeitig zu sichern. Die unterschiedliche haftungsrecht­ 35 

Obwohl diese an und für sich ambivalente Anreizwirkungen zeitigt, siehe c) cc). Siehe §  10 C. I. 2. d) bb) (3), §  12 C. I. 2. a) aa) (2) (b). 37  Dazu unten 2. 38  Siehe §  9 C. III. 4. b) aa) (1). 36 

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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liche Behandlung von (auch: klageweiser) Anspruchsgeltendmachung und Voll­ streckung lässt sich unter Verweis darauf erklären, dass nur die Erstgenannte zur Klärung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anspruchsberechtigung beiträgt. In einer besonderen Konstellation ist die strenge Haftung für ein vollstreckungs­ ähnliches Vorgehen sogar eindeutig förderlich für die Rechtsklärung. Dies betrifft die Schutzrechtsverwarnung, die nicht gegen den Hersteller des beanstandeten Produkts, sondern gegen dessen Abnehmer gerichtet ist. Dieses Vorgehen ist unter anderem aus dem Grund problematisch, dass die Abnehmer oftmals kein hinrei­ chendes Interesse an einem Streit haben werden.39 Die Androhung der strengen Haftung lenkt den potenziellen Schutzrechtsinhaber in Richtung einer (haftungs­ privilegierten) Streitaustragung mit dem Produkthersteller. Dort wird es eher zu einer Klärung von Zweifelsfragen kommen. bb) Anreizkompatibilität strenger Haftung des Schuldners aus §§  280, 281, 286 BGB Auch die strenge Haftung des irrtümlich nicht oder zu spät leistenden Schuldners verhält sich zu den im Übrigen angestellten Anreizerwägungen neutral:40 Die dro­ hende Haftung kann zwar den Schuldner von einer Austragung des Streits über offene Rechtsfragen abhalten bzw. in Gestalt des Vorgehens „leiste und kondiziere“ höhere Transaktionskosten verursachen. Zugleich kann die Aussicht auf eine Schuldnerhaftung aber gegebenenfalls den entscheidenden Impuls bedeuten, den der mögliche Anspruchsinhaber benötigt, um zur Geltendmachung zu schreiten. Ob die strenge Schuldnerhaftung im konkreten Fall eher klärungsfördernd oder -hindernd wirkt, hängt von der im Übrigen bestehenden Bereitschaft der jeweiligen Parteien ab, auf ihrer Rechtsposition zu beharren.41 Nimmt man an, dass sich inso­ weit keine abstrakt-typischen Aussagen treffen lassen, muss man aufs Ganze be­ trachtet von einer weitgehenden Anreizneutralität ausgehen. Wenn überhaupt, dürfte die praktizierte einseitige Haftungsbegünstigung des Anspruchstellers unter Anreizgesichtspunkten den Vorzug verdienen. Hierfür lässt sich von der von Breyer zur Prozesskostenthematik geäußerten Prämisse aus­ gehen, „dass es im Durchschnitt mehr Schuldner gibt, die ihre Leistungspflicht gerne umgehen würden, als vermeintliche Gläubiger, die eine Leistung beanspru­ chen, die ihnen noch nicht einmal dem Grunde nach zusteht“.42 Breyer räumt zwar ein, dass die Annahme empirisch nicht fundiert sei.43 Allerdings erscheint es zumindest plausibel, dass derjenige, der eine Änderung des Ist-Zustands anstreben muss  – der also die Last der Anspruchsgeltendmachung trägt – hierfür eine stärke­ re Motivation benötigt, als derjenige, der sich schlicht auf die Verteidigung verlegen 39 

Näher m. w. N. §  9 C. III. 4. b) cc) (3). Zum Folgenden siehe bereits §  11 C. II. 2. c) bb). 41  Insb. von einem möglichen Machtgefälle zwischen den Beteiligten, siehe abermals §  11 C. II. 2. c) bb) m. w. N. 42 So Breyer, Steuerung, S.  231; siehe dazu schon §  10 C. I. 1. b) bb) (2). 43  Breyer, Steuerung, S.  230–231. 40 

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7. Teil: Synthese

kann.44 Bestünde eine solche Ausgangslage, bräuchten Gläubiger im Schnitt einen stärkeren Anreiz, ihre Rechtsposition geltend zu machen, als Schuldner, die ohne­ hin häufiger auf ihrer Position beharrten. Ergänzend lässt sich darauf verweisen, dass dem Gläubiger bei Untätigkeit des Schuldners nur die Aktivklage bleibt und dass er hierfür im Normalfall einen Gerichtskostenvorschuss (§  12 Abs.  1 S.  1 GKG) erbringen muss. Den Schuldner trifft ein solcher Zwang zur Vorfinanzierung nicht. Letzten Endes brauchen die eher spekulativen Überlegungen zu einem eventuellen Ungleichgewicht zwischen Gläubiger und Schuldner indes nicht weitergeführt zu werden. Es genügt die Feststellung, dass die strenge Schuldnerhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB der Überzeugungskraft des Anreizgedankens nicht entgegensteht. c) Grenzen des Anreizgedankens Dem Ziel, Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen zu setzen, zieht die privat­ rechtliche Behandlung rechtlicher Zweifel zum Teil bewusst Grenzen. Insofern ist die Untersuchung vor allem im Bereich des Prozessrechts fündig geworden. aa) Wertung aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO Als wichtige Grenze für denkbare Anreizbemühungen hat sich die aus §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO folgende Wertung erwiesen.45 Für die Gewährung von Prozesskostenhil­ fe setzt die Norm hinreichende Erfolgsaussichten voraus. Diese Aussage ist für den vorliegend betrachteten Zusammenhang beachtlich, weil es in §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO gerade um diejenigen Bedingungen geht, unter denen der Gesetzgeber bereit ist, öffentliche Ressourcen für eine (gegebenenfalls mit der Klärung offener Rechtsfra­ gen verbundene) gerichtliche Anspruchsgeltendmachung zur Verfügung zu stellen. Daraus lässt sich die Wertung ablesen, dass das Ziel einer Rechtskonkretisierung bzw. -fortbildung jedenfalls dort in den Hintergrund tritt, wo die Erfolgsaussich­ ten eines gerichtlichen Vorgehens im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO zu gering sind. Der für die Staatskasse und den Gegner entstehende Aufwand wird unter diesen Bedingungen offenbar im Vergleich zu dem zu erwartenden Ertrag als ex­ zessiv angesehen.46 Prinzipiell ist es nicht undenkbar, dass eine Klage auch bei ganz gering erschei­ nenden Erfolgsaussichten gelegentlich Verfeinerungen oder Änderungen der Rechtsprechung erreichen kann. Aufgrund der aus dem Prozesskostenhilferecht abgeleiteten Wertung darf in solchen Situationen gleichwohl kein Anreiz zur Klage 44  Siehe – unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung der Initiativlast – Fries, AnwBl 2018, 86, 88; Hau, ZZP 129 (2016), 133, 146. Aus verhaltensökonomischer Sicht wird dies insb. auf die ­prospect theory (dazu m. w. N. Schäfer/Ott, Analyse, S.  107–108; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 19–21) zurückgeführt, weil die Bereitschaft, durch die Verteidigung einer bestehenden Position einen ansonsten sicheren Verlust zu vermeiden, größer ist als die Bereitschaft, sich aktiv einen „Gewinn“ zu erstreiten – der Nutzen von Gewinn und Verlustvermeidung in gleicher Höhe wird unterschiedlich empfunden (Fries, a.a.O, 88; Korch, Haftung, S.  55). 45  Dazu oben §  7 C. I. 3. c) bb), II. 3. b), §  9 C. III. 3. a). 46  Dazu §  7 C. I. 3. c) bb), §  9 C. III. 3. a).

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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gesetzt werden. Unter solchen Umständen entfällt daher das ansonsten bestehende Motiv für die rigide verjährungsrechtliche Diskriminierung von Rechtsirrtümern. Der Gläubiger ist folglich durch die Figur der „Unzumutbarkeit“ zu entlasten. Die­ ser Zusammenhang zwischen §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB und §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO wird bislang nur vereinzelt erkannt.47 Etwas stärker verbreitet ist die Heranzie­ hung der Wertungen des Prozesskostenhilferechts im Bereich der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung:48 Hier ist das sonst geltende Haftungsprivileg kon­ sequenterweise außer Kraft zu setzen, sofern ein bedürftiger Putativgläubiger für die Anspruchsgeltendmachung mangels Erfolgsaussicht nicht einmal mit der Un­ terstützung durch Prozesskostenhilfe hätte rechnen können. bb) Wertung aus §  93 ZPO und weiteren Normen Eine kompromisslose Betonung des Anreizgedankens müsste überdies dazu füh­ ren, dass die streitenden Parteien zu einer möglichst raschen Anrufung der Gerich­ te bewegt werden. Rechtsentwicklung und Rechtssicherheit würden am stärksten durch eine (möglichst höchst-)richterliche Befassung gefördert.49 Schon das gegenüber Rechtszweifeln strikte Verjährungsrecht drängt potenzielle Gläubiger indes nicht zwingend zur Klageerhebung (§  204 Nr.  1 BGB). Es erkennt eine Hemmungswirkung außergerichtlicher Streitbeilegungsversuche an (§§  203, 204 Nr.  4 BGB).50 Vorschriften wie §§  93, 278, 278a ZPO und §  15a EGZPO bele­ gen, dass die Rechtsordnung eine vorgerichtliche Streitbeilegung für vorrangig er­ achtet.51 Das Ziel, offene Rechtsfragen zu klären, gewinnt nach dem gesetzgebe­ rischen Konzept erst ab dem Punkt Bedeutung, ab dem eine außergerichtliche Bei­ legung ausscheidet. Das auf die unberechtigte Anspruchsgeltendmachung bezogene Haftungsprivileg muss diese Rangfolge beachten. Es darf nicht einseitig die Klage bevorzugen. Wegen der vorrangigen Wertung aus §  93 ZPO (usw.) muss es bereits die außergerichtliche Geltendmachung erfassen. cc) Tragung des Prozesskostenrisikos Die im Übrigen durch das Verjährungsrecht und die Haftungsprivilegierung ge­ setzten Klärungsanreize werden durch das nach §§  91 ff. ZPO bestehende Prozess­ kostenrisiko teilweise konterkariert. Das geltende Kostenrecht honoriert den Puta­ 47  V. a. von Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  136; Piekenbrock, LMK 2016, 376136; Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1358–1359; nunmehr auch BVerwG, Urt. v. 16.6.­ 2020  – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1764 Rn.  31. 48  Siehe oben §  9 C. III. 3. a) und die dort genannten Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248; Derkum, Folgen, S.  231; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  254 mit Fn.  5; Schultz-Süchting, Untersuchungen, S.  134–141. 49  Obschon in dieser Hinsicht teils auch der außergerichtlichen Rechtsdurchsetzung gewisse positive Wirkungen zugeschrieben werden, siehe Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 806. 50  Siehe dazu oben §  9 C. I. 1. b) bb). 51  Siehe hierzu und zum Folgenden oben §  9 C. I. 1. b) aa) m.N. in Fn.  163 ff.; exemplarisch etwa G. Wagner/Thole, NJW 2005, 3470, 3472.

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tivgläubiger nicht für seinen eigentlich „zu fördernden Dienst am (objektiven) Recht“52 . Es fällt, wie oben näher dargelegt,53 auch schwer, den Kostenerstattungs­ regeln eine insgesamt anreizneutrale Wirkung zuzuschreiben, wie sie der strengen Schuldnerhaftung zukommt.54 Zwar könnte die Aussicht auf einen verschuldens­ unabhängigen Kostenerstattungsanspruch ihrerseits mögliche Gläubiger zur Klage animieren.55 Jedoch ist zu bedenken, dass diesen bereits durch die großzügige Ge­ währung eines materiellen Kostenerstattungsanspruchs (als Resultat der strengen Schuldnerhaftung) weitgehend geholfen wäre und dass jedenfalls die Pflicht zur Tragung der Gerichtskosten eine ausschließlich abschreckende Wirkung zeitigt. §§  91 ff. ZPO sind demnach in einer Reihe mit den zuvor behandelten §§  93, 114 ZPO zu sehen. Sie sind Ausdruck des Zielkonflikts zwischen dem Allgemeininter­ esse an einer gerichtlichen Rechtsklärung und der Schonung öffentlicher (Justiz-) Ressourcen:56 In vergleichbarer Weise wie die Beschränkung der Prozesskosten­ hilfe und die Veranlassung zur vorgerichtlichen Leistungsaufforderung verletzt die Kostenerstattungspflicht des Unterliegenden das erstgenannte Ziel, um ein anderes zu fördern. Es lässt sich gewiss hinterfragen, ob diese Ausgestaltung wohlfahrts­ maximierend wirkt. An dieser Stelle sind indes Nutzengrößen in Relation zu set­ zen, die kaum punktgenau messbar sind. Daher wird man das geltende Konzept zumindest als ansatzweise plausibel akzeptieren können – mögen auch bei rechts­ politischer Betrachtung überzeugendere Ansätze denkbar erscheinen.57 In Anbetracht der abschreckenden Wirkung des Kostenrechts tritt die Notwen­ digkeit, die Anspruchsgeltendmachung im Übrigen haftungsrechtlich zu privile­ gieren, umso deutlicher hervor.58 Insbesondere muss unter diesen Bedingungen eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Putativgläubigers für außerge­ richtliche Rechtsverteidigungskosten des vermeintlichen Schuldners ausscheiden. De lege lata dürfte sich eine – vom BGH abgelehnte59 – Analogie zu §§  91 ff. ZPO60 spätestens seit Einfügung von §  97a Abs.  4 S.  1 UrhG ohnehin nicht mehr vertreten lassen. 61 Angenommen wird aber vereinzelt, die Rechtsverteidigung stelle eine Geschäftsführung ohne Auftrag dar.62 Dem ist, ebenso wie rechtspoli­ tischen Bestrebungen, eine verschuldensunabhängige Kostenerstattungspflicht des Putativgläubigers einzuführen, 63 vorbehaltlich eines umfassenden Systemwech­ 52 

Formulierung von Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 807. Zum Folgenden §  10 C. I. 1. b) bb) (2). 54  Dazu soeben b) bb). 55  So v. a. Breyer, Steuerung, S.  230; Haertlein, Exekutionsintervention, S.  369–370. 56  Näher zum Folgenden §  10 C. I. 1. b) bb) (3), D. 57  Dazu unten §  19 B. 58  Dazu oben §  10 D. gegen Thole, AcP 209 (2009), 498, 514. 59  Siehe BGH, Urt. v. 12.12.2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458, 1459–1460 Rn.  19–23. 60  Dafür etwa Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 831–839; in Richtung einer stärkeren Einstands­ pflicht des Putativgläubigers auch Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249. 61 Zutreffend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 174. 62  So vornehmlich Hösl, Kostenerstattung, S.  141–152. 63  Siehe etwa Hofmann, ZfPW 2018, 152, 174–175 (auf das Verhältnis Verbraucher/Unterneh­ mer bezogen). 53 

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sels eine Absage zu erteilen. Eine solche Einstandspflicht würde die wünschens­ werten Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen beeinträchtigen, ohne hierfür in gleichem Maße wie §§  91 ff. ZPO in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich auf das konkurrierende Ziel einer Schonung öffentlicher Ressourcen verweisen zu kön­ nen. 64 Insofern braucht es kein vergleichbares „Korrektiv“65. Nichts einzuwen­ den wäre unter den genannten Gesichtspunkten gegen die Annahme, die unberech­ tigte Inanspruchnahme lasse ein Schuldverhältnis entstehen (culpa in petendo),66 sofern nur der Haftungsmaßstab bei Rechtszweifeln hinreichend mild ausfällt. 67 2. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand Wer im Streit über die Anspruchsberechtigung den Zugriff auf die umstrittene Rechtsposition behält (Schuldner) bzw. erzwingt (Vollstreckungsgläubiger), haftet, wenn er nach der abschließenden Bewertung im Unrecht war, streng auf Schadens­ ersatz (nach §  717 Abs.  2 ZPO bzw. nach der vorherrschende Linie zu §§  280, 281, 286 BGB). Gleiches gilt für die Erlangung einer einstweiligen Sicherung (§  945 ZPO). Es wurde bereits festgestellt, dass sich diese Ausgestaltung nicht schon durch das Motiv, die Klärung offener Rechtsfragen zu fördern, rechtfertigen lässt. 68 Man wird das vom Gesetz gewählte Konzept stattdessen schlicht auf die in §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zutage tretende Wertung zurückführen müssen. Eine weitere teleologi­ sche Unterfütterung fällt schwer. Rechtspolitisch betrachtet wäre eine abweichende Lösung denkbar. 69 De lege lata ist die Wertung hinzunehmen. a) Erstreckung auf vergleichbare Vorgehensweisen des Putativgläubigers Die angesprochene Wertung ist auch für vergleichbare Konstellationen gültig, die dem Anwendungsbereich der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO nicht unmittelbar unterfal­ len.70 Insbesondere rechtfertigt sie die strenge Haftung, die denjenigen ereilt, der eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung gegenüber Abnehmern des beanstan­ deten Produkts ausspricht.71 Auch die verschuldensunabhängige Haftung für die rechtsirrtümlich geübte Selbsthilfe (§  231 BGB) lässt sich als Ausdruck desselben Gedankens begreifen.72

64  Vergleiche dazu insb. die Kritik an einer Lösung über die Regeln zur GoA: Seidl, Anspruchs­ berühmung, S.  135; Thole, AcP 209 (2009), 498, 540–541. 65  So aber Hofmann, ZfPW 2018, 152, 172. 66  Siehe zum Meinungsstand (überwiegend ablehnend) oben §  9 A. I. Fn.  20 f. 67  Wie bei Althammer, in: FS Stürner, S.  95, 105 (als Befürworter der culpa in petendo). 68  Siehe soeben 1. b). 69  Dazu ausführlich unten §  19 C. 70  Siehe insoweit auch §  9 C. III. 4. b) aa) (2). 71  Siehe §  9 C. III. 4. b) cc) (3). 72  Dazu §  9 C. III. 4. b) bb).

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b) Erstreckung auf Schuldnerhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB Die Wertung ist nach überzeugender Ansicht grundsätzlich auch für die Haftung des die Leistung zu Unrecht verweigernden Schuldners einschlägig. aa) Übertragbarkeit der Wertung auf Leistungsverweigerung Die Gründe für den Wertungstransfer wurden oben eingehend dargelegt.73 Die un­ berechtigte Leistungsverweigerung steht nicht der unberechtigten Anspruchsgel­ tendmachung, sondern dem voreiligen Vollstreckungszugriff gleich. Dem in An­ spruch Genommenen bietet sich prinzipiell in gleicher Weise wie dem Anspruch­ steller die Möglichkeit, den Rechtsstreit ohne Zugriff auf die umstrittene Position und unter Übernahme des Insolvenzrisikos zu führen. Während der Anspruchstel­ ler hierzu auf eine vorläufige Vollstreckung und einstweiligen Rechtsschutz ver­ zichten muss, hat der potenzielle Schuldner die Leistung vorerst zu erbringen und sich auf die Rückforderung zu verlegen. Diese Vorgabe basiert nicht etwa auf dem problematischen Gedanken einer Generalkompensation74: Der Schuldner wird nicht darauf vertröstet, im Lauf der Zeit werde er gelegentlich als Gläubiger in den Genuss der scharfen Schuldnerhaftung gelangen. Der Rollenwechsel steht dem Schuldner vielmehr „im Hier und Jetzt“ frei. Ein fundamentales Defizit der verbreiteten milden Linie zur Schuldnerhaftung75 liegt darin, dass sie den Wertungszusammenhang mit §§  717 Abs.  2, 945 ZPO außer Acht lässt. Der Verdacht liegt nicht fern, dass dies auch in der generellen Tendenz begründet liegt, bei der Betrachtung der privatrechtlichen Rechtsirrtumsthematik prozessrechtliche Normen eher stiefmütterlich zu behandeln. Angesichts des Vorbil­ des der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO begegnet auch die verschuldensunabhängige Haftung des irrtümlich die Leistung verweigernden Schuldners für Prozesskosten (§§  91 ff. ZPO) und Prozesszinsen (§  291 BGB) im Ausgangspunkt76 keinen Bedenken. bb) Zeitgleiches Bestehen des Risikos strenger Haftung für beide Parteien Nach dem Gesagten ist nicht ausgeschlossen, dass zugleich beide Parteien einer Rechtsbeziehung in einer Art und Weise streiten, die sie einer Gefahr der strengen Haftung aussetzt. Ein Beispiel hierfür bildet der Fall, dass der Schuldner sich wei­ gert, den begehrten Leistungsgegenstand herauszugeben, der Gläubiger aber im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung einer Verwahrung der Sa­ che77 erreicht. Hier enthält jede Seite der jeweils anderen die einstweilige Nutzung des Gegenstands vor. Stellt sich schlussendlich heraus, dass der Anspruch bestand, haftet der Schuldner im Fall des Unterliegens streng nach §§  280, 281, 286 BGB. Im 73  Zum Folgenden siehe §  11 C. II. 2. b), v. a. anknüpfend an die (zu weitgehenden) Überlegun­ gen bei Häsemeyer, Schadenshaftung, passim; dazu bereits oben I. 74  Dazu §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (d) Fn.  635. 75  Dazu §  11 B. I. 2. m.N. 76  Siehe sogleich noch 3. zur Frage des Schutzes vor Rechtsprechungsänderungen. 77  Siehe dazu nur Drescher, in: MüKo-ZPO, §  938 Rn.  25.

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umgekehrten Szenario (Anspruch bestand nicht) folgt die Haftung des vermeint­ lichen Gläubigers aus §  945 ZPO. Eine vergleichbare Situation ergibt sich im Ver­ hältnis zweier Prätendenten, die sich gegenseitig durch Verweigerung der Freigabe eines hinterlegten Gegenstands „sperren“.78 cc) Grenze des Wertungstransfers bei Streitverhalten ohne Zurückhalten der Leistung Der Vergleich des Schuldners mit dem Vollstreckungsgläubiger trägt aber eben nur insoweit, wie der Schuldner den Streit gerade unter Zurückhalten des begehrten Leistungsgegenstands führt. Die Wertung der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO ist nicht für jegliches Streitverhalten des Schuldners im Fall der Rechtsunsicherheit einschlägig. (1) Privilegierung des Streitverhaltens „an sich“ Die Grenze lässt sich anhand eines von Kaiser 79 auf Basis eines frühen BGH-Ur­ teils80 gebildeten Beispiels aufzeigen. Aus Sicht Kaisers zieht die Weigerung, eine geschuldete Übereignung zu bewirken, prinzipiell die gleichen Haftungsfolgen nach sich wie eine der Übereignung nachfolgende Behauptung des Schuldners, der Gläubiger dürfe aus der Übereignung keine Rechte herleiten.81 Im letztgenannten Szenario soll eine Haftung erst infolge eines überwiegenden Mitverschuldens des Gläubigers entfallen.82 Diese Konstruktion ist unnötig kompliziert. Tatsächlich übt der Schuldner, der seiner Übereignungspflicht vorerst nachkommt, sie aber nach­ träglich bestreitet, keinerlei Zwang, der einen Rückgriff auf die Wertung von §§  717 Abs.  2, 945 ZPO rechtfertigen würde. Er hat sich vielmehr in die Position des Pe­ tenten begeben und verdient daher aus den gleichen Gründen wie andere Gläubiger bei der Anspruchsgeltendmachung das Haftungsprivileg.83 Dieser Befund leitet über zu der allgemeinen Erkenntnis, dass auch der Schuld­ ner im Fall von Rechtszweifeln solange nicht streng haftet, wie er nur „redet“, als bestehe keine Leistungspflicht, nicht aber so handelt. Es wurde bereits darauf hin­ gewiesen, dass die Abgrenzung zwischen Reden und Handeln im Einzelfall schwie­ rig sein kann, weil im Gegensatz zum Verhalten des Putativgläubigers kein Akt der Vollstreckung bzw. Androhung als Anknüpfungspunkt zur Verfügung steht.84 Zur Einordnung lässt sich im Wesentlichen darauf abstellen, ob die Voraussetzun­ gen einer Schadensersatzpflicht nach §§  280 Abs.  1, 2, 286 BGB bzw. §§  280 Abs.  1, 3, 281 BGB erfüllt sind. In Analogie zu §  281 BGB lässt sich auch der Fall einer endgültigen Leistungsverweigerung vor Fälligkeit der strengen Schuldnerhaftung 78 Dazu

Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  56–57, 125–126. Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 537–538. 80  BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787. 81  Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538. 82  Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 548–549. 83  Dazu soeben 1. a) bb). 84  Dazu und zum Folgenden §  11 C. II. 3. 79 

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zuordnen. Es ist sorgsam darauf zu achten, dass der Schuldner nicht schon für die Leugnung der Verbindlichkeit trotz Rechtsunsicherheit streng sanktioniert wird. Dies drohte beim Abstellen auf eine vermeintliche „Leistungstreuepflichtverlet­ zung“.85 Die rigide Haftung verdient der Schuldner erst, wenn das Abwarten der Fälligkeit auf eine reine Förmelei86 hinausliefe, weil er eindeutig klar gemacht hat, er werde die Leistung keinesfalls erbringen. (2) Insbesondere: Unberechtigte Ausübung nicht bestehender Vertragslösungsrechte Die vorstehend skizzierte Problematik kulminiert in der umstrittenen Frage, wie die unberechtigte Geltendmachung rechtlich zweifelhafter Vertragslösungsrechte, etwa die Kündigung eines Mietvertrags, in das entwickelte Gefüge einzuordnen ist. Die vorliegende Untersuchung hat diese Thematik bislang nur angerissen.87 Sie kann an dieser Stelle unter Beachtung der konsolidierten Ergebnisse zu den einzel­ nen Quadranten abschließend behandelt werden. Das Spannungsfeld stellt sich wie folgt dar: Die unberechtigte Verfolgung vermeintlicher Rückgewähransprüche nach einer (letztlich unberechtigten) Lösung vom Vertrag ist als privilegierte An­ spruchsgeltendmachung einzustufen. Mit der Berufung auf die vermeintliche Kün­ digung88 negiert der Kündigende allerdings zugleich seine nach dem Vertrag gege­ benenfalls fortbestehenden Verpflichtungen.89 Insoweit liegt die Einordnung als Leistungsverweigerung nahe, bei der vorhandene Rechtszweifel nach der strengen Linie grundsätzlich zur Haftung führen. In Anbetracht dieser Gemengelage ver­ wundert es nicht, dass die unberechtigte Ausübung von Vertragslösungsrechten mitunter als dritte Fallgruppe neben Anspruchsberühmung und Anspruchsvertei­ digung behandelt wird.90 Tatsächlich lässt sich aber eine eindeutige Zuordnung vornehmen. Das ist im Folgenden zu demonstrieren. (a) Meinungsstand Dem unberechtigt kündigenden Vermieter wird insbesondere in der Instanzrecht­ sprechung ein großzügiger Haftungsfreiraum gewährt. Solange der Vermieter le­ diglich durch eine falsche rechtliche Bewertung der zutreffend erfassten Tatsachen davon ausgehe, zur Kündigung berechtigt zu sein, schulde er dem Mieter grund­ sätzlich keinen Schadensersatz.91 Der Mieter sei, gegebenenfalls mit fachkundiger Hilfe, ebenso gut imstande, auf Basis der zutreffenden Tatsachen die Wirksamkeit 85  Siehe die bei §  11 C. II. 3. c) geübte Kritik, insb. betreffend das Verständnis von Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  69, 72, 78. 86  Begriff z. B. bei Ernst, in: MüKo-BGB, §  281 Rn.  67. 87  Siehe oben §  11 C. II. 3. c). 88  Diese wird im Folgenden als Beispiel zugrunde gelegt. 89  Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538; Thole, AcP 209 (2009), 498, 519. 90  So etwa bei Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 533. 91  OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1045–1046; LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 19.1.1989 – 7 S 133/88, BeckRS 1989, 7546, Rn.  5; LG Heidelberg, Urt. v. 12.4.1990 – 5 S 222/89, DWW 1990, 151, 152; LG Koblenz, Urt. v. 9.7.1990 – 12 S 61/90, Rn.  3, juris;

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der Kündigung zu beurteilen.92 Vergleichbar ist die Argumentation des BGH, wenn er dem Mieter bei einer formell unwirksamen Kündigung das Risiko zuweist, in rechtlicher Hinsicht zutreffend zu beurteilen, ob dem gesetzlichen Begrün­ dungserfordernis (§  573 Abs.  3 S.  1 BGB) genügt wurde.93 Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass der BGH im Verbund mit der herrschenden Meinung davon aus­ geht, ein Irrtum des Vermieters über die materielle Berechtigung der Kündigung könne eine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen.94 Der BGH hat auf die unberechtigte Kündigung ursprünglich die strengen Maß­ stäbe zur Rechtsirrtumshaftung des Schuldners zur Anwendung gebracht.95 Auch in jüngerer Zeit haben Obergerichte auf diese Linie zurückgegriffen.96 Im Schrifttum findet die Sichtweise ebenfalls Anklang.97 Auf Ebene der Untergerichte sind schon früh großzügigere Maßstäbe angelegt worden. So wurde Fahr­lässigkeit des Kündigenden verneint, weil er der Auffassung habe sein können, dass ihm ein Kündigungsrecht zustehe.98 Das entspricht im Ergebnis der milden Linie.99 In de­ ren Richtung deutet auch die neuere Rechtsprechung des BGH zur Haftung für eine unberechtigte Anspruchsgeltendmachung.100 Das zweite wegweisende Urteil dieser Rechtsprechungsreihe betraf gerade einen unberechtigten Rücktritt.101 Dies ist vielfach auf Kündigungen übertragen worden: Es soll ausreichen, dass der Kün­

w.N. bei LG Berlin, Urt. v. 29.10.1993 – 64 S 199/93, ZMR 1994, 330, 330–331; im Ergebnis ebenso Klinkhammer, NJW 1997, 221, 221–222. 92  OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1046; LG Frei­ burg i. Br., Beschl. v. 19.1.1989 – 7 S 133/88, BeckRS 1989, 7546, Rn.  5; LG Heidelberg, Urt. v. 12.4.1990 – 5 S 222/89, DWW 1990, 151, 152; Klinkhammer, NJW 1997, 221, 221. 93  BGH, Urt. v. 15.12.2010 – VIII ZR 9/10, NJW 2011, 914, 915 Rn.  11. 94  BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; BGH, Urt. v. 1.10.1987 – III ZR 175/86, NJW-RR 1988, 763, 765; BGH, Urt. v. 28.11.2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, 731; auch BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  16; LG Duisburg, Urt. v. 18.11.2009 – 11 S 106/09, NZM 2010, 898, 89; AG Dortmund, Urt. v. 15.12.1998 – 125 C 9590/98, NZM 1999, 120, 120–121; Blank, in: Schmidt-Futterer, §  573 BGB Rn.  79; Hinz, WuM 2009, 331, 334; Rolfs, in: Staudinger, §  573 Rn.  229. Treffende Kritik an dieser Diskrepanz bei Sternel, NZM 2011, 688, 691. 95  Deutlich BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; zustimmend BGH, Urt. v. 29.10.1986 – VIII ZR 144/85, Rn.  21, juris; auf das Urt. v. 11.1.1984 Bezug nehmend auch BGH, Urt. v. 1.10.1987 – III ZR 175/86, NJW-RR 1988, 763, 765; BGH, Urt. v. 28.11.2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, 731. 96  OLG Brandenburg, Urt. v. 18.2.2020 – 3 U 65/19, Rn.  38, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.4.­2013 – I-10 U 68/12, Rn.  5, juris; mit Blick auf sonstige Lösungsrechte: OLG Hamm, Urt. v. 6.5.­2015 – I-20 U 141/14, Rn.  61, juris. 97  Hinz, WuM 2009, 331, 334; Sternel, NZM 2011, 688, 691; von Anwendbarkeit der strengen Maßstäbe ausgehend offenbar auch Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  143. 98  AG Konstanz, Urt. v. 20.4.1977 – C 141/77, WuM 1977, 254; ähnlich AG Berlin-Charlotten­ burg, Urt. v. 19.7.1989 – 13 C 304/89, ZMR 1989, 431, 433. 99  Siehe §  11 B. I. 2. 100  Dazu §  9 B. I. 3., ausgehend von BGH, Urt. v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147. 101  BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  16, dennoch wurden a. a. O., 1264 Rn.  20, Rechtszweifel mild behandelt.

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digende seine Rechtsauffassung als plausibel ansehen durfte.102 Eine Haftung schei­ de demgegenüber aus, wenn auch nach sorgfältiger Prüfung die Kündigungsbe­ rechtigung „nicht sicher“ sei.103 (b) Analyse und Bewertung Im ersten Schritt gilt es mit der herrschenden Meinung festzuhalten, dass die unbe­ rechtigte Kündigung prinzipiell eine Schadensersatzhaftung nach sich ziehen kann. Es gibt keinen Grund, die unberechtigte Ausübung von Lösungsrechten haftungs­ rechtlich gegenüber der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung zu privilegie­ ren. Für Letztere ist die Möglichkeit einer Haftung – auch außerhalb von Vorsatz­ fällen – zu Recht anerkannt.104 An diesem Punkt kommt es auch nicht auf die ­früher geführte Diskussion, ob in der Kündigung eine Verletzung der Leistungstreue­ pflicht zu erblicken ist,105 an: Jedenfalls kommt eine vertragliche Ersatzhaftung in Betracht.106 Es besteht kein Anlass, eine solche Haftung auf jene Lossagung vom Vertrag zu beschränken, die auf falscher Tatsachengrundlage erfolgt, und rechtsirr­ tumsbedingte Kündigungen auszunehmen. Abermals ist dem Argument entgegen­ zutreten, bei Rechtsfragen könne der Kündigungsempfänger gleichermaßen die Rechtslage prüfen (lassen) und auf diesem Wege Nachteile vermeiden.107 An ande­ rer Stelle wurden bereits die Defizite eines solchen Ansatzes dargestellt:108 Er lässt vor allem außer Acht, dass manche Nachteile, wie insbesondere Rechtsberatungs­ kosten, bereits durch die Vertragslösungserklärung an sich, nicht erst durch die Beugung des Erklärungsempfängers entstehen. Damit bleibt die eigentliche Frage zu klären, ob der rechtsirrtümlich Kündigende schon dann zu Ersatz verpflichtet ist, wenn er mit der Unwirksamkeit der Kündi­ gung rechnen musste, oder ob ihn eine plausible Aussicht auf Erfolg entlastet. Die Antwort hängt davon ab, ob der Kündigende als säumiger Schuldner oder als über­ eifriger Anspruchsteller anzusehen ist. Eindeutig zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Kündigende die vermeintliche Vertragslösung zum Anlass nimmt, dem Vertragspartner die geschuldete Leistung vorzuenthalten und dabei die Voraus­ 102  OLG Bamberg, Urt. v. 2.3.2011 – 3 U 182/10, GuT 2011, 50, 51; OLG Brandenburg, Urt. v. 21.3.2013 – 5 U (Lw) 28/11, Rn.  30, juris; OLG Köln, Beschl. v. 20.8.2012 – 19 U 51/12, Rn.  23, juris; LG Aachen, Urt. v. 15.3.2018 – 1 O 336/17, Rn.  52, juris (zur Kündigung eines Bausparvertrags); AG München, Urt. v. 16.12.2016 – 411 C 45/16, ZMR 2017, 982, 982 (zu tatsächlichen Zweifeln); auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  75 mit Fn.  235; siehe zudem zur Kündigung von Ver­ sicherungsverträgen die bei §  11 C. II. 3. c) erwähnten OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2014  – 5 U 45/13, Rn.  86, juris; OLG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2016 – 7 U 149/15, VersR 2016, 1488, 1491–1492. 103  OLG Köln, Beschl. v. 20.8.2012 – 19 U 51/12, Rn.  23, juris. 104  Siehe dazu eingehend §  9. 105 Unter diesem Gesichtspunkt ablehnend etwa OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984  – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1045; zur Figur der Leistungstreuepflicht bereits oben §  11 C. II. 3. c). 106 Richtig Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 815; insoweit zutreffend auch Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538–539. 107  Zu diesem Argument oben a) mit Fn.  92. 108  Oben §  9 C. IV. 2. b).

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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setzungen von §  286 bzw. §  281 BGB erfüllt. So verhält es sich etwa, wenn der Ver­ sicherer versucht, sich durch Anfechtung bzw. Rücktritt einer bestehenden Leis­ tungspflicht zu entziehen, und hierdurch Verzugsschäden eintreten109 oder wenn einem Unternehmen infolge der unberechtigten Kündigung eines Handelsvertre­ ters Gewinn entgeht.110 Der strengen Schuldnerhaftung unterliegt gleichermaßen ein Darlehensgeber, wenn er die weitere Auszahlung unter Verweis auf eine (un­ wirksame) Kündigung verweigert.111 In umgekehrter Richtung zweifelsfrei sind die Fälle, in denen erst nach vollständiger Leistungserbringung ein vermeintliches Vertragslösungsrecht ausgeübt und die Leistung zurückverlangt wird. So haftet etwa der Käufer, der nach Kaufpreiszahlung die Minderung erklärt und einen Teil des Kaufpreises zurückfordert, für dieses Verhalten nur dann, wenn praktisch jede Erfolgsaussicht fehlt.112 Einordnungsschwierigkeiten bereiten solche Fallgestaltungen, in denen die vor­ übergehende Überlassung eines Gegenstands geschuldet und bislang erfolgt ist, der Überlassende nun aber die Vertragslösung erklärt und den Gegenstand zurückfor­ dert. An dieser Stelle ist insbesondere die Diskussion zur unberechtigten Kündi­ gung durch den Vermieter anzusiedeln. Vergleichbar ist der Fall einer Kündigung durch den Darlehensgeber nach vollständiger Valutierung.113 In der Literatur fehlt mitunter das Bewusstsein dafür, dass diese Fälle anders zu beurteilen sein könnten als die anfängliche Weigerung, den Gegenstand zu überlassen.114 Die Gretchenfra­ ge lautet, ob der Vermieter, der nach Überlassung der Mietsache den Vertrag unbe­ rechtigterweise kündigt, damit zugleich die Leistung verweigert. Nur dann wäre die Anwendung der strengen Schuldnerhaftung zu rechtfertigen. Der BGH und Teile der Literatur scheinen von einem solchen Rollenverständnis auszugehen, wenn der kündigende Vermieter als Schuldner angesehen wird, der die Leistungs­ pflicht zur Gebrauchsgewährung (§  535 Abs.  1 BGB) verletze.115 Der BGH betont 109  Im Ergebnis zutreffend daher die Anlegung strenger Maßstäbe bei OLG Hamm, Urt. v. 6.5.­2015 – I-20 U 141/14, Rn.  57, 61, juris (allerdings fälschlich nur auf §  280 Abs.  1 BGB gestützt, statt die Voraussetzungen von §  281 bzw. §  286 BGB zu bejahen, vergleiche oben §  11 C. II. 3. c); richtig dagegen OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.5.2014 – 5 U 45/13, Rn.  86, juris; OLG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2016 – 7 U 149/15, VersR 2016, 1488, 1491–1492. Anders zu beurteilen ist der Fall, dass es zur Zeit der Kündigung an fälligen Forderungen des Versicherten mangelt, OLG Nürnberg, Urt. v. 9.7.2020 – 8 U 49/20, NJOZ 2020, 1362, 1365 Rn.  45–46. 110  So die Konstellation bei BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00, NJW-RR 2001, 1542. 111  Siehe LG Bonn, Urt. v. 17.9.2020 – 19 O 251/19, ZIP 2020, 2451, 2452; Weber, DStR 2014, 213, 214. 112  Siehe auch Weber, DStR 2014, 213, 214. Eine vergleichbare Situation war im Fall des unbe­ rechtigten Rücktritts von einem vollständig erfüllten Vertrag bei BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, gegeben. 113 Zutreffende Differenzierung zur Kündigung vor vollständiger Auszahlung bei Weber, DStR 2014, 213, 214. Im Folgenden wird als Beispiel indes die Vermieterkündigung genutzt. 114  Das ist insb. Sternel, NZM 2011, 688, 691, entgegenzuhalten. Dies erstaunt umso mehr, als dort im Ausgangspunkt richtig erkannt wird, dass der Vermieter hier lediglich einen nicht beste­ henden Rückgabeanspruch aus §  546 Abs.  1 BGB geltend macht, dort aber seine Pflicht aus §  535 BGB nie erfüllt hat. 115  So BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269; ähnlich BGH, Urt. v.

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auch in jüngerer Vergangenheit explizit die Abgrenzung zur unberechtigten An­ spruchsgeltendmachung.116 Es wäre dann konsequent, die resultierende Haftung auf §§  280, 281, 283, 286 BGB zu stützen117 und streng auszugestalten. Andere Stimmen möchten das Vorgehen des Vermieters hingegen der privilegierten Rechts­ verfolgung zuordnen.118 Besser zu dieser Klassifizierung passt auch die An­ spruchsgrundlage, die der BGH üblicherweise wählt. Dieser stellte früher auf die positive Vertragsverletzung ab119 und zieht heute §  280 Abs.  1 BGB (ohne §§  281 ff. BGB) heran.120 Teile der Literatur verfahren, obgleich sie im Verhalten des Ver­ mieters ein „Streitigmachen“ des Besitzes erblicken, ebenso.121 Man mag zwar er­ wägen, auf §§  280, 282 BGB (Schadensersatz statt der Leistung) zurückzugreifen.122 Selbst wenn man dies für richtig hielte, würde indes an die Verletzung einer Rück­ sichtnahmepflicht,123 nicht an die der Hauptleistungspflicht angeknüpft. Viele Stellungnahmen, einschließlich der des BGH, schwanken demnach zwi­ schen der Annahme einer Leistungspflichtverletzung (dafür wäre die strenge Haf­ tung angebracht) und der einer bloßen Rücksichtnahmepflichtverletzung (diese wäre mild zu behandeln).124 Die besseren Gründe streiten für eine milde Haftung des Kündigenden im Fall der rechtlichen Ungewissheit. Die strenge Rechtsirrtums­ haftung des leistungsunwilligen Schuldners ist nur gerechtfertigt, soweit dieser  – wie ein Vollstreckungsgläubiger im Sinne von §  717 Abs.  2 ZPO – den Rechtsstreit austrägt, während er seinem Gegenüber die Nutzung des begehrten Gegenstands 28.11.2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, 731; die Schuldnereigenschaft betonend bereits BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; siehe aus der Literatur etwa Blank, in: Schmidt-Futterer, §  573 BGB Rn.  79; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  140; Hinz, WuM 2009, 331, 332; Schwarze, in: Staudinger, §  280 Rn. C 52 und E 64. 116  So BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1263 Rn.  16. 117 So Grigoleit/Bender, ZfPW 2019, 1, 62; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  139; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 538; Schwarze, in: Staudinger, §  280 Rn. E 64; zur Darlehenskündigung nach Valutierung auch Mülbert, in: Staudinger, §  490 Rn.  228. 118  So etwa OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1046; OLG Hamm, Urt. v. 25.1.1996 – 22 U 98/95, NJW-RR 1996, 1294, 1294; Klinkhammer, NJW 1997, 221, 222. 119  BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269; BGH, Urt. v. 8.7.1998 – XII ZR 64/96, NZM 1998, 718, 718; BGH, Urt. v. 28.11.2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, 731; BGH, Urt. v. 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, 2396. 120  BGH, Beschl. v. 7.9.2011 – VIII ZR 343/10, WuM 2011, 634; BGH, Urt. v. 10.6.2015 – VIII ZR 99/14, NJW 2015, 2324, 2324 Rn.  14; so auch OLG Brandenburg, Urt. v. 18.2.2020 – 3 U 65/19, Rn.  38, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.4.2013 – I-10 U 68/12, Rn.  2, juris; OLG Köln, Urt. v. 14.12.2018 – 19 U 27/18, BeckRS 2018, 35098 Rn.  9 0–91; AG München, Urt. v. 16.12.2016 – 411 C 45/16, ZMR 2017, 982, 982. 121  So etwa Hinz, WuM 2009, 331, 332; Hösl, Kostenerstattung, S.  73; Lützenkirchen, in: Er­ man, §  573 Rn.  57. 122 Siehe Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  281 Rn.  11.1; vergleiche auch Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  139 Fn.  580, der betont, man müsste, wenn man schon nicht §  281 BGB heranziehe, den Weg über §  282 BGB gehen. 123  Explizit BGH, Urt. v. 15.12.2010 – VIII ZR 9/10, NJW 2011, 914, 914 Rn.  8; ebenso Sternel, NZM 2011, 688, 690. 124  Siehe zur Abgrenzung oben §  11 C. II. 3.

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verwehrt und ihm das Insolvenzrisiko aufbürdet.125 Diese Erwägungen passen nicht, wenn der Überlassungspflichtige ein Dauerschuldverhältnis nach erfolgter Überlassung unberechtigterweise kündigt. Die Kündigung und das darauf gestütz­ te Rückgabeverlangen lassen die bestehende Gebrauchsüberlassung, etwa den Mie­ terbesitz, faktisch unberührt.126 Wenn dem entgegengehalten wird, der Vermieter leiste ab der Kündigung nicht mehr freiwillig,127 wird verkannt, dass sich hier nur der subjektive Wille des Kündigenden, nicht aber die objektive Güterzuordnung ändert.128 Ergänzend lässt sich auf die Parallele verweisen, dass die herrschende Meinung in der bloßen Anspruchsberühmung keine Besitzbeeinträchtigung er­ kennt.129 Auch der kündigende Vermieter „redet“ vorerst nur, ohne die faktischen Zugriffsverhältnisse zu ändern. Er gleicht insoweit jedem anderen Anspruchsteller, der sich um die Durchsetzung seines vermeintlichen Anspruchs bemühen muss, ohne sein Recht vorläufig verwirklichen zu können. Zwar trägt der Vermieter anders als sonstige Anspruchsteller nicht das Insol­ venzrisiko mit Blick auf den begehrten Gegenstand. Er kann die Mietsache in der Insolvenz des Mieters aussondern (§  47 InsO).130 Das ändert jedoch am hier gefun­ denen Ergebnis nichts. Mit dem fortdauernden Besitz des Mieters gehen für den Vermieter sehr wohl Risiken einher, etwa mit Blick auf eine Beschädigung des Ge­ genstands. Darüber hinaus steht der Vermieter zumindest insoweit nicht besser als sonstige Anspruchsteller, als er den Rechtsstreit führt, ohne den begehrten Gegen­ stand währenddessen nutzen zu können. Auch abgesehen davon ist das Bestehen einer „Sicherung“ infolge Eigentums am begehrten Gegenstand kein Grund für eine Haftungsverschärfung. Die Rechtsordnung privilegiert nicht das ungesicherte Vorgehen an sich, sondern das Vorgehen aus der Position des (Rückgewähr-)Gläu­ bigers. Dass der Vermieter in dieser Position durch sein fortbestehendes Eigentum „gesichert“ ist, ist schlicht Folge des vereinbarten Leistungsprogramms: Er schul­ det nach dem Mietvertrag nur die Gebrauchsüberlassung. Nach den bisher erarbeiteten Maßstäben haftet der Vermieter nach einer zweifel­ haften Kündigung nicht einmal dann, wenn sich der Mieter dem Räumungsverlan­ gen beugt und dadurch Schäden131 entstehen. Zwar könnte man argumentieren, 125 

Oben §  11 C. II. 2. b). bereits OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1045; AG Konstanz, Urt. v. 20.4.1977 – C 141/77, WuM 1977, 254; Klinkhammer, NJW 1997, 221, 221; ferner Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  115. 127 So Hösl, Kostenerstattung, S.  68–69. 128  Zutreffend formuliert von Klinkhammer, NJW 1997, 221, 221. 129  Siehe dazu BGH, Urt. v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 = NJW 1956, 787, 788; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  325; Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 450; a. A. Hopt, Schadens­ ersatz, S.  237–239. 130  Siehe nur BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – XII ZR 158/09, NZM 2011, 75, 75 Rn.  8 –10. 131  Zu den möglichen Posten siehe den Überblick bei Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  147; Rolfs, in: Staudinger, §  573 Rn.  235–237; etwa entgangener Gewinn: BGH, Urt. v. 8.7.1998 – XII ZR 64/96, NZM 1998, 718, 718; nutzlos gewordener Investitionsaufwand: BGH, Urt. v. 11.1.1984  – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1030; Aus- bzw. Umzugskosten: BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1268. Von der Rückerlangung der Sache unabhängige 126  Siehe

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spätestens an diesem Punkt würde der Vermieter nun unzweifelhaft seine mietver­ tragliche Überlassungspflicht verletzen, da er den Besitz an der Mietsache zurück­ erlange. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass die Rückerlangung – sofern sie ohne Zwang bzw. Druck im Sinne von §  717 Abs.  2 ZPO vonstattengeht – als bloße Folge der privilegierten Geltendmachung in gleicher Weise haftungsfrei zu stellen ist. Der Vermieter sähe sich ansonsten der absurden Vorgabe ausgesetzt, zwar auf Rückgabe pochen zu dürfen, die angebotene Rückgabe sodann aber zurückweisen zu müssen, um der Haftungsgefahr zu begegnen.132 Man muss sich folglich in sol­ chen Fällen regelmäßig nicht mit Fragen des Mitverschuldens des Mieters133 ausein­ andersetzen, weil es bereits am haftungsbegründenden Tatbestand fehlt. Die Geltung der milden Linie hat zur Folge, dass der kündigende Vermieter ent­ lastet ist, sofern nicht die Annahme eines Kündigungsrechts unvertretbar bzw. höchstrichterlich verworfen war. Zu Recht ist eine Schadensersatzpflicht für eine „Verdachtskündigung“ wegen potenziellen Eigenbedarfs bejaht worden, da deren Unwirksamkeit so eindeutig sein dürfte, „wie im Mietrecht eine Rechtsfrage über­ haupt nur unstrittig sein kann“.134 Vergleichbares gilt für die Eigenbedarfskündi­ gung durch eine juristische Person wegen Wohnbedarfs.135 Auch andere Fragen des Eigenbedarfsrechts sind von der höchstrichterlichen Rechtsprechung längst ent­ schieden.136 Schlicht unvertretbar ist auch das Verkennen einer eindeutigen gesetz­ lichen Wartefrist.137 Wenn eine Schadensersatzpflicht unter Verweis darauf begrün­ det wird, es sei eine „völlig unbegründete“138 oder vollständig haltlose Kündigung139 ausgesprochen worden, ist auch auf Grundlage des milden Verständnisses nichts dagegen einzuwenden. Hingegen lässt sich einem Vermieter, der wegen der Verlet­ zung einer Mieterpflicht gekündigt hat, die aber aus Sicht des Gerichts kein hinrei­ chendes Gewicht besaß, nicht vorwerfen, er habe die ihm „bekannten gesetzlichen Regelungen“ nicht beachtet.140 Das wäre nur dann richtig, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich geklärt worden oder nur in eine Richtung vertretbar zu lösen wäre. Umgekehrt ist die Entlastung des Kündigenden dort nicht unproblema­ tisch, wo die betroffene rechtliche Thematik angesichts einer dazu ergangenen Viel­ zahl von höchstrichterlichen Entscheidungen an sich geklärt ist.141 Solange nach den Schäden sind insb. Rechtsverteidigungskosten, dazu LG Duisburg, Urt. v. 18.11.2009 – 11 S 106/09, NZM 2010, 898; Rolfs, in: Staudinger, §  573 Rn.  235. 132  Siehe dazu oben 1. a) bb). 133  Siehe dazu eingehend (gerade auch zu Fällen der unberechtigten Kündigung) §  9. C. V. 134  AG Dortmund, Urt. v. 15.12.1998 – 125 C 9590/98, NZM 1999, 120, 121. 135  LG Duisburg, Urt. v. 18.11.2009 – 11 S 106/09, NZM 2010, 898, 899. 136  Vor diesem Hintergrund zu verstehen: LG Kiel, Urt. v. 12.3.1975 – 1 S 148/74, NJW 1975, 1973. 137  AG Hannover, Urt. v. 25.11.1983 – 515 C 12450/83, Rn.  7, 10, juris. 138  LG Mannheim, Urt. v. 25.10.1972 – 6 S 35/72, MDR 1973, 676 (Ls. 1). 139 Trotz vordergründiger Anlegung eines strengen Maßstabs im Ergebnis nachvollziehbar OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.4.2013 – I-10 U 68/12, Rn.  4 –5, juris. 140  So aber AG Hamburg-Altona, Urt. v. 23.8.1984 – 317b C 351/84, WuM 1985, 121. 141  Der zur Entlastung gedachte Verweis auf die „Vielzahl der höchstrichterlichen Entschei­ dungen“ zur betroffenen Frage bei OLG Bamberg, Urt. v. 2.3.2011 – 3 U 182/10, GuT 2011, 50, 51,

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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vorstehenden Grundsätzen eine Haftung des Vermieters dem Grunde nach in Be­ tracht kommt, bleibt jeweils zu fragen, inwiefern auch der Mieter die eindeutige Rechtslage hätte erkennen und Schäden vermeiden können.142 c) Privatautonome Abweichungen Den Parteien einer Rechtsbeziehung bleibt unbenommen, in Ausübung ihrer Privat­ autonomie eine Risikozuordnung zu vereinbaren, die von der Grundwertung der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO abweicht. Das ist selbstverständlich, verdient aber besondere Erwähnung, weil sich solche Risikozuweisungen in gewissem Umfang typisieren lassen. Insbesondere ist eine strenge Haftung des Vollstreckungsgläubigers ausge­ schlossen, soweit es um die Vollstreckung aus nicht rechtskraftfähigen Titeln wie Vergleichen und Urkunden im Sinne von §  794 Abs.  1 Nr.  1, 5 ZPO geht. Der Grund dafür liegt nicht in dem vom BGH beschworenen Verfahrensprivileg,143 das bei der Vollstreckung vor abschließender gerichtlicher Klärung ansonsten ebenso wenig greift. Vielmehr ist eine privatautonome Risikoübernahme des Titelschuldners da­ rin zu erblicken, dass er an der Schaffung des Titels mitgewirkt hat.144 Ähnliche Überlegungen treffen auf den Fall zu, dass ein Putativgläubiger trotz Rechtszwei­ feln an seinem Anspruch auf eine vom Schuldner bestellte Sicherheit zugreift. Dies ist nicht mit der „erzwungenen“ Sicherung im Sinne von §  945 ZPO vergleichbar.145 Auch für die umgekehrte Konstellation der Schuldnerhaftung können selbstredend privatautonome Abweichungen von der strengen Linie vereinbart werden. d) Bedeutung von §  717 Abs.  3 ZPO So überzeugend der Rückgriff auf die Wertung des §  717 Abs.  2 ZPO ist, kann je­ doch nicht ignoriert werden, dass Absatz  3 derselben Vorschrift für eine bestimmte Konstellation eine Modifikation vorsieht. Bei der vorläufigen Vollstreckung kontra­ diktorischer Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten trifft den Vollstreckungsgläubiger keine verschuldensunabhängige Einstandspflicht. Viel­ mehr haftet er lediglich wie ein verklagter Bereicherungsschuldner (§  818 Abs.  4 BGB).146 Die Frage, welche Konsequenzen sich daraus bei zweifelhafter Rechtslage ergeben, ist oben offengeblieben. Zunächst war zu klären, welche Maßstäbe im ori­ ginären Anwendungsbereich von §  818 Abs.  4 BGB gelten.147 Mittlerweile ist festgestellt worden, dass ein verklagter Kondiktionsschuldner nach vorzugswürdiger Ansicht nicht nach der strengen Linie zu §§  280, 286 BGB ist also nur dann richtig, wenn trotz der zahlreichen Entscheidungen gerade eine Kontroverse fortbestand. 142  Dazu oben §  9 C. V. 143  So aber offenbar BGH, Urt. v. 20.4.2018 – V ZR 106/17, NJW 2018, 3441, 3442 Rn.  17. 144  Zum Ganzen §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (d) m.N. in Fn.  391. 145  Siehe oben §  9 C. III. 4. b) aa) (6) gegen den bei OLG Braunschweig, Urt. v. 19.3.2001 – 7 U 97/00, Rn.  8 , juris, angelegten Maßstab. 146  Näher oben §  9 C. III. 4. b) aa) (4). 147  Siehe wiederum §  9 C. III. 4. b) aa) (4).

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7. Teil: Synthese

haftet, obwohl die Rechtshängigkeit gemäß §  286 Abs.  1 S.  2 BGB die Mahnung ersetzt.148 Kraft der Verweisung auf das Bereicherungsrecht resultiert bei unbefan­ gener Betrachtung auch für den Vollstreckungsgläubiger im Sinne von §  717 Abs.  3 ZPO eine milde Haftung.149 Konsequent zu Ende gedacht müsste sich diese Milde im Bereich der Schuldnerhaftung fortsetzen. Denn beruft man sich für die strenge Schuldnerhaftung entscheidend auf die Wertung aus §  717 Abs.  2 ZPO, liegt es nahe, auch die Ausnahme aus Absatz  3 zu übertragen.150 Ein zweifelnder Schuld­ ner wäre dann unter gespiegelten Voraussetzungen – nach einem ihm günstigen kontradiktorischen Berufungsurteil – ebenfalls von einer strengen Haftung befreit. Hier zeigen sich besonders eindrucksvoll die Zusammenhänge zwischen den ein­ zelnen Quadranten. Es käme zu einer wahren Privilegierungskaskade: Der Verjäh­ rungsdruck bedingt eine milde Putativgläubigerhaftung, diese bedingt eine milde Haftung des Kondiktionsschuldners, diese wiederum bedingt eine milde Haftung aus §  717 Abs.  3 ZPO, und diese bedingt schließlich eine milde Haftung des Schuld­ ners aus §§  280, 281, 286 BGB im Parallelfall. Die Berechtigung einer solchen Ableitung lässt sich hinterfragen. Im Ergebnis sachgerecht erscheint jedenfalls die Übertragung der zu §  818 Abs.  4 BGB entwi­ ckelten Haftungsmaßstäbe auf den Kontext des §  717 Abs.  3 ZPO. Die Präferenz für eine milde Haftung im originären Anwendungsbereich von §  818 Abs.  4 BGB stützt sich wesentlich auf den Gedanken, dass der ursprüngliche Anspruchsteller nach Annahme einer freiwilligen Leistung nicht in der neuen Rolle als Kondik­ tionsschuldner doch noch streng haften soll.151 §  717 Abs.  3 ZPO findet nach inzwi­ schen herrschender Lesart – anders als Absatz  2 – auch auf Leistungen Anwendung, die nicht durch Vollstreckungsdruck, sondern lediglich durch das ungünstige Be­ rufungsurteil veranlasst sind.152 Unter diesen Vorzeichen ist die zum Schutz des zweifelnden Leistungsempfängers entwickelte Argumentation einschlägig: Der ur­ sprüngliche Anspruchsteller darf durch die Entgegennahme einer freiwilligen Leistung nicht einer strengen Haftung ausgesetzt sein. Problematisch ist jedoch, ob sich die Wertung des §  717 Abs.  3 ZPO auch auf die umgekehrte Situation übertragen lässt, in der der Schuldner die Leistung im An­ schluss an ein ihm günstiges Berufungsurteil (weiterhin) verweigert. Auch ihn könnte unter diesen Umständen ausnahmsweise schon die rechtliche Ungewissheit entlasten. Freilich kann es beim Schuldner, anders als beim Putativgläubiger, nicht darum gehen, eine anfängliche Haftungsprivilegierung zu bewahren. Diese Schutz­ 148 

§  11 C. II. 6. c) bb) und soeben 1. a) bb). Damit wäre zumindest im Ergebnis die Entscheidung LAG Hamm, Urt. v. 27.11.1975 – 8 Sa 788/72, NJW 1976, 1119 (dazu oben §  9 C. III. 4. b) aa) (4) Fn.  395), richtig. 150  Das wurde bei §  11 C. II. 6. a) noch offengelassen. 151  Siehe wiederum §  11 C. II. 6. c) bb) und soeben 1. a) bb). 152  So BGH, Urt. v. 5.5.2011 − IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 = NJW 2011, 2518, 2520–2521 Rn.  17–19; BGH, Urt. v. 15.3.2012 − IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717, 1718 Rn.  12; dem zuneigend zuvor schon BAG, Urt. v. 19.3.2003 – 10 AZR 597/01, ZTR 2003, 567, 568; ebenso Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  22; G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  29; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  11. 149 

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richtung der milden Haftung nach §  717 Abs.  3 ZPO, §  818 Abs.  4 BGB spielt hier keine Rolle. Es kommt deshalb darauf an, ob die Ratio, die hinter dem in §  717 Abs.  3 ZPO enthaltenen Privileg steht, wenigstens im Übrigen auf die Schuldner­ haftung übertragbar ist. Nach herrschender Auffassung beruht die Haftungsmil­ derung des §  717 Abs.  3 ZPO wesentlich auf dem Gedanken, die dort genannten Berufungsurteile böten eine höhere Richtigkeitsgewähr als erstinstanzliche Ent­ scheidungen.153 Hinsichtlich der Berechtigung dieser Prämisse werden jedoch Zweifel angemeldet, seitdem Berufungsentscheidungen auch durch den Einzelrich­ ter ergehen können (§  526 Abs.  1 ZPO).154 Gleichwohl erscheint ein gewisser Qua­ litätsvorsprung der höheren Instanzen plausibel.155 Außerdem ließe sich statt der höheren Gewähr inhaltlicher Richtigkeit auf die größere faktische „Bestandschan­ ce“ abstellen.156 Diese beruht zwar vornehmlich darauf, dass in der Revisions­ instanz grundsätzlich keine neuen Tatsachen mehr zu prüfen sind.157 Allerdings findet auch eine rechtliche Überprüfung der Berufungsentscheidung nur unter en­ gen Voraussetzungen statt. Hat das Berufungsgericht die Revision nicht zugelas­ sen, besteht angesichts der Notwendigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde (§§  543 Abs.  1 Nr.  2, 544 ZPO) gerade auch mit Blick auf die rechtliche Bewertung eine erhöhte Bestandschance.158 Sofern das Berufungsgericht selbst die Revision zugelassen hat, ist der Bestand des Urteils zwar formal betrachtet eher gefährdet; unter diesen Umständen ist jedoch auch heutzutage noch die Vermutung einer er­ höhten Richtigkeitsgewähr gerechtfertigt, denn bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache (Zulassungsgrund nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) muss nach wie vor eine Kollegialentscheidung ergehen (§  526 Abs.  1 Nr.  3, Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO).159 Im Er­ gebnis wird man daher weiterhin von einer erhöhten Richtigkeits- bzw. Bestands­ wahrscheinlichkeit der rechtlichen Wertung, die in Berufungsurteilen zum Aus­ druck kommt, ausgehen können. Dieser Gedanke hat im Bereich der Schuldnerhaf­ 153  BGH, Urt. v. 25.10.1977 – VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373 = NJW 1978, 163, 164; BGH, Urt. v. 20.3.2014 – IX ZR 25/12, NJW-RR 2014, 1268, 1270 Rn.  18; Brox/Walker, ZVR, Rn.  82; Kindl, in: Hk-ZPO, §  717 Rn.  11; Saenger, JZ 1997, 222, 223. Das Motiv zur Einführung der Vorschrift lag ausweislich der Gesetzesmaterialien hauptsächlich darin, Revisionen zu verhindern, die einzig die Vollstreckung hinauszögern sollen, indem ein Schadensersatzrisiko für den Gläubiger ge­ schaffen wird, RT-Drs. II. Sess. 1909/10 Nr.  309, 21. Diese Begründung wird mittlerweile für überholt gehalten, Hau, NJW 2005, 712, 712; Piekenbrock, JR 2005, 446, 446. 154  Braun, in: Schuschke/Walker, §  717 ZPO Rn.  2 2; Hau, NJW 2005, 712, 712–713; Seiler, in: Thomas/Putzo, §  717 Rn.  19. Die Entscheidung durch den Einzelrichter ist allerdings ausweislich der Justizstatistik eindeutig die Ausnahme, siehe Greger, ZZP 131 (2018), 317, 338. 155  Zu entsprechenden Faktoren siehe G. Wagner, in: Analyse, S.  157, 176. 156 So Piekenbrock, JR 2005, 446, 447; im Ergebnis zustimmend Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  26 Fn.  131. In ähnlicher Weise spricht Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  85, von einer hö­ heren prozessualen Maßgeblichkeit. 157 Vergleiche Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  85, 118, 120; auch Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  26 Fn.  131 („maßgeblich ist die Bestätigung des Urteils in zwei Tatsacheninstanzen, die die Richtigkeitsgewähr auslöst“; Herv. d. Verf.). 158 Zutreffend Piekenbrock, JR 2005, 446, 447; ansatzweise auch Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  118. 159 Überzeugend Piekenbrock, JR 2005, 446, 447–448.

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7. Teil: Synthese

tung die gleiche Daseinsberechtigung. Unter den in §  717 Abs.  3 ZPO beschriebenen Umständen ist deshalb eine entsprechende Abmilderung der Haftung für eine un­ berechtigte Leistungsverweigerung geboten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass §  717 Abs.  3 ZPO nach herrschender Auffassung nur solche Schäden erfasst, die im Vertrauen auf die Berufungsentscheidung verursacht werden.160 Das ist auf die Schuldnerhaftung zu übertragen. Daher gilt für Verzugsschäden vor dem Beru­ fungsurteil weiterhin die strenge Haftung. 3. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen Während die Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO Rechts- wie Tatsachenirrtümer gleichermaßen betrifft, ist abschließend wiederum ein rechtsirrtumsspezifisches Element zu berücksichtigen: der Vertrauensschutz im Fall von Rechtsprechungs­ änderungen.161 a) Partielle Abmilderung der strengen Schuldnerhaftung Im Lauf der Untersuchung hat sich gezeigt, dass der Vertrauensschutz bei Judika­ turwenden vor allem im Bereich der Schuldnerhaftung eine Rolle spielt. Der Ge­ danke führt dort zu einer gewissen Korrektur der durch den Wertungstransfer aus §  717 Abs.  2 ZPO veranlassten Strenge.162 Der Schuldner haftet infolge einer letzt­ lich als unberechtigt zu bewertenden Nichtleistung eben nicht schon für jeden ­abstrakten, nie auszuschließenden Zweifel.163 Vielmehr scheidet eine Haftung aus, sofern der Schuldner mit praktischer Gewissheit davon ausgehen konnte, im Recht zu sein – selbst wenn diese Gewissheit nachträglich enttäuscht wurde. An einer hinreichenden Vertrauensgrundlage kann es fehlen, sobald sich die Anzeichen für einen möglichen Rechtsprechungswandel verdichten.164 Die Gewährung einfachrechtlichen Vertrauensschutzes setzt allerdings voraus, dass die nachteilszuweisenden Normen entsprechende Anknüpfungspunkte zur Verfügung stellen. Im Bereich der Vertragslösungsrechte wird zumeist ein Verschul­ den bzw. Vertretenmüssen gefordert,165 sodass sich an dieser Stelle das berechtigte 160 

Siehe bereits §  9 A. I. mit Fn.  65. Dazu eingangs §  3 A. II. 3., §  5 C. III. 3. 162  Siehe oben §  11 C. II. 5. b) aa) (1); exemplarisch: RG, Urt. v. 25.6.1935 – II 264/34, RGZ 148, 225, 234–235; BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  32; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 Wx 120/98, FGPrax 2001, 60, 61; U. Huber, Leistungs­ störungen I, S.  715–716, 722; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  147. 163  Besonders deutlich U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713, 722, 723; aus der Rechtspre­ chung z. B. BAG, Urt. v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, BAGE 152, 213 = NJW 2015, 3678, 3679 Rn.  32; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735 Rn.  19 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen. 164  Näher oben §  11 C. II. 5. b) aa) (2); siehe v. a. BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  147. Zu den Maßstäben später näher C. II. 3. 165  §  11 B. I., II. 161 

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Vertrauen des Schuldners berücksichtigen lässt. Dagegen bietet insbesondere §  323 BGB keinen Ansatzpunkt für Vertrauensschutz. Ausweislich der Gesetzesmateria­ lien ist der Verzicht auf das Vertretenmüssen als bewusste Abkehr von §  326 BGB a. F. gedacht gewesen: Geschützt wird einzig das Gläubigerinteresse, gleich welchen Grund das Ausbleiben der Leistung hat.166 Mit diesem Gedanken geht notwendiger­ weise der Verzicht auf Vertrauensschutz für den Schuldner einher. Das scheint auch mit Blick auf die verfassungsrechtliche Dimension der Problematik tragbar, wird doch der Schuldner zumindest weitgehend vor Haftungsnachteilen oder der Been­ digung sensibler Dauerschuldverhältnisse geschützt. Eine bewusste gesetzgeberi­ sche Entscheidung gegen die Berücksichtigung unverschuldeter Rechtsirrtümer liegt auch §  291 BGB (Rechtshängigkeitszinsen) zugrunde.167 Damit wird die Ge­ währung von Vertrauensschutz bei Rechtsprechungswenden unmöglich. Dass dies in rechtspolitischer Hinsicht fragwürdig ist, wurde bereits angemerkt.168 Wiederum kann man sich damit trösten, dass die Wirkungen zulasten des Schuldners verhält­ nismäßig gering ausfallen. Anders als die Verzugsschadensersatzpflicht ist die Ver­ zinsungspflicht stets eine gut kalkulierbare Größe. Sie schöpft außerdem bloß einen, wenngleich pauschalierten, Vorteil ab, den der Schuldner infolge des Zurückhaltens des geschuldeten Geldbetrags theoretisch selbst erlangen kann.169 b) Verhältnis zur verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit Die Maßstäbe, die bei Rechtsprechungsänderungen zugunsten des Schuldners wir­ ken, ähneln denjenigen, die für eine verjährungsrechtliche Entlastung des Gläubi­ gers anzulegen sind. Dieser erfährt unter vergleichbaren Bedingungen den Schutz der Unzumutbarkeit.170 Man könnte versucht sein, auch insoweit von Vertrauens­ schutz zu sprechen. Schließlich geht es um Fälle, in denen der Gläubiger – wie der nichtleistende Schuldner im Kontext der Haftung aus §§  280, 281, 286 BGB – bei realistischer Betrachtung vom Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung ausgehen musste. Die Charakterisierung als Vertrauensschutz wäre gleich­ wohl unpassend. Während sich der Schuldner in den beschriebenen Fällen auf eine ihm günstige Rechtsauffassung verlässt, findet sich der Gläubiger im Verjährungs­ szenario mit einer ihm ungünstig erscheinenden Lage ab.171 Durch die Annahme verjährungsrechtlicher Unzumutbarkeit wird nicht ein Vertrauen des Gläubigers geschützt, sondern dessen von Art.  14 GG erfasster Anspruch.172 Aufgrund der Wertung des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verfängt die sonst einschlägige Ratio für einen 166 

Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 184. Dazu §  11 C. I. 1. mit Fn.  139. 168  Wiederum §  11 C. I. 1. v. a. unter Verweis auf Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1392. 169  Dass nach dem zu §  11 C. II. 2. a) ff) Gesagten der Aspekt der Gewinnabschöpfung nicht vollumfänglich die strenge Schadensersatzhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB erklären kann, steht diesem Gedanken nicht entgegen, soweit es nur um die Zinspflicht geht. 170  Siehe oben §  7 C. II. 2. c) und soeben 1. c) aa). 171  Siehe bereits den Hinweis bei §  7 C. I. 3. c). 172  Siehe oben §  7 C. I. 3. c) aa), insb. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  52. 167 

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7. Teil: Synthese

von der Rechtserkenntnis unabhängigen Verjährungsbeginn nicht.173 Deshalb wird an dieser Stelle die Diskriminierung, die Rechtsirrtümer bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ansonsten erfahren, teleologisch reduziert. Dass die Ergebnisse der verjährungs­ rechtlichen Unzumutbarkeitsprüfung und der Reduktion einer Schuldnerhaftung im Fall der Rechtsprechungsänderung sich ähneln, liegt demnach nicht an der ein­ heitlichen Begründung. Vielmehr hat sich der für §  114 ZPO und §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB entwickelte Maßstab auch im Rahmen der Schuldnerhaftung als tauglich er­ wiesen, um den Gedanken des Vertrauensschutzes zu implementieren.174 c) Weitgehend fehlende Bedeutung bei der Putativgläubigerhaftung Echten Vertrauensschutz – wie ein Schuldner im Rahmen von §§  280, 281, 286 BGB  – verdient hingegen ein Anspruchsteller, der im Einklang mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgegangen ist, aber aufgrund einer plötz­ lichen Judikaturwende unterliegt. Allerdings erfährt der Putativgläubiger durch das Klärungsanreize setzende Haftungsprivileg175 ohnehin eine weiter gehende Verschonung. Diese erfasst als Teilmenge die Fälle einer Rechtsprechungswende. Der Rekurs auf den Vertrauensschutzgedanken ist folglich zulässig, aber überflüs­ sig. Der in der Rechtsprechung vereinzelt herangezogene Vergleich mit der verjäh­ rungsrechtlichen Unzumutbarkeit176 stimmt demnach nur insofern, als jeweils im Ergebnis ein gleichartiger Mindestschutz vor Nachteilen gewährt wird. Darin er­ schöpfen sich die Parallelen:177 Zum einen geht die Privilegierung des Putativ­ gläubigers deutlich darüber hinaus. Zum anderen stellt die verjährungsrechtliche Unzumutbarkeitsprüfung, wie gerade gesehen, keine Ausprägung von Vertrauens­ schutz dar.178 Die angesprochene Rechtsprechung bietet folglich ein weiteres Beispiel für eine im Motiv lobenswerte, aber in der konkreten Ausführung frag­ würdige Verknüpfung der einzelnen Problemquadranten.179 d) Partielle Abmilderung der strengen Prozesskostenlast Das Prozesskostenrecht scheint auf den ersten Blick keinen Raum für eine Entlas­ tung desjenigen zu bieten, der einen Prozess verliert, weil eine zu Prozessbeginn noch bestehende günstige Rechtsprechung zwischenzeitlich revidiert worden ist. In vergleichbarer Terminologie wie bei §  291 BGB180 wird festgehalten, der Unter­ legene handele auf eigenes Risiko.181 173 

Siehe abermals §  7 C. I. 3. c) bb) sowie soeben oben 1. c) aa). §  11 C. II. 5. a). Zum Vorteil einer solchen Vereinheitlichung der Maßstäbe sogleich noch B. I. 175  Dazu soeben schon 1. a) aa) und bb). 176  LG Düsseldorf, Beschl. v. 5.6.2015 – 8 T 2/15, Rn.  69, juris. 177  Siehe schon ansatzweise oben §  9 C. III. 3. b) bb). 178  Siehe oben b). 179  Zu solchen teils abenteuerlich anmutenden Verknüpfungen siehe bereits oben bei I. 180  Siehe §  11 C. I. 1. unter Verweis auf Mugdan, Materialien II, S.  535. 181  Siehe etwa OLG Köln, Beschl. v. 6.6.1979 – 2 W 71/79, MDR 1979, 941, 942; OLG Köln, Beschl. v. 1.10.1993 – 2 W 138/93, NJW-RR 1994, 767, 767. 174  Siehe

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Es hat sich indes gezeigt, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Sie beruht wesent­ lich auf der Prämisse, dass die letzten Endes getroffene gerichtliche Entscheidung nur die von Anfang an bestehende Rechtslage erkennt. Das wird selbst für den Fall angenommen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Prozessbeginn die Rechtslage noch anders eingeschätzt hatte.182 In dieser Auffassung zeigt sich deut­ lich ein deklaratorisches Verständnis von Richterrecht. Auch wenn man dieses teilt, erübrigt sich indes nicht die Befassung mit dem Vertrauensschutzgedanken.183 Mit den Zielen der grundsätzlichen Unterliegenshaftung nach §§  91 ff. ZPO geriete die Gewährung von Vertrauensschutz nicht in Konflikt.184 Eine Befreiung von der Kostentragungspflicht träfe zum einen die Staatkasse (Gerichtskosten), was auf­ grund des Ingerenzgedankens sachgerecht erscheint.185 Zum anderen müsste der Gegner seine eigenen Kosten selbst tragen. Auch das ist nicht zwingend ungerecht: Waren die Erfolgsaussichten des letztlich Unterlegenen zu Beginn des Prozesses noch praktisch sicher, muss sich der Gegner seinerseits den Vorwurf gefallen lassen, sich auf einen ex ante aussichtslosen Prozess eingelassen zu haben, den er nur durch Zufall gewonnen hat.186 Nach der Wertung des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verdient eine Streitaustragung unter solchen Umständen keine Unterstützung.187 Die vorstehenden Überlegungen weisen deutlich mehr Substanz auf als der for­ malistische Hinweis, dass die schlussendlich festgestellte Rechtslage von Anfang an bestanden habe. Das formale Argument steht deshalb nach hier vertretener Auffas­ sung der Annahme einer Erledigung nicht entgegen, welche dem Kläger im Fall einer nachteiligen Rechtsprechungswende einen kostensparenden Ausweg eröffnet. Die (ungeschriebene) Erledigungsdefinition kann das verfassungsrechtlich begrün­ dete Vertrauensschutzelement aufnehmen.188 Dass eine solche Interpretation ent­ gegen der herrschenden Auffassung nicht fernliegt, zeigt auch der Meinungsstand zur spiegelverkehrten Konstellation. Hier wird dem Beklagten, dessen Verteidi­ gung nach dem anfänglichen Stand der Judikatur praktisch sicheren Erfolg ver­ sprach, verbreitet die Gelegenheit eröffnet, eine Kostenbelastung per sofortigem Anerkenntnis zu vermeiden.189 In der Sache überzeugt dies aus den soeben ge­ 182  Siehe etwa zur nachträglich festgestellten Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes §  10 B. III. 1. mit Fn.  27. 183  Siehe zum Ganzen §  3 A. II. 3. mit Fn.  88. 184  Siehe §  10 C. I. 2. c) bb). 185  §  10 C. I. 2. c) aa); vergleiche zudem §  5 C. III. 2. 186  Siehe v. a. §  12 C. I. 2. a) aa) (1). 187  Auch dazu §  12 C. I. 2. a) aa) (1); zur Wertung aus §  114 ZPO soeben 1. c) aa). 188  §  10 C. I. 2. d) bb) (2). Nach hier vertretener Auffassung tritt eine Erledigung indes erst bei einem (höchstrichterlich) vollzogenen Rechtsprechungswandel ein, nicht schon, wenn sich nach Prozessbeginn erste Anzeichen dafür ergeben, §  10 C. I. 2. d) bb) (3). U.a. soll der Kläger hierdurch motiviert werden, aufgekommene Zweifel klären zu lassen, statt vorschnell aufzugeben (siehe so­ eben 1. a) dd)). Gelangt das Gericht zu einer nachteiligen, von der etablierten höchstrichterlichen Judikatur abweichenden Entscheidung, ohne dass der höchstrichterliche Wandel bereits vollzo­ gen ist, wird der Kläger nach hier vertretener Auffassung immerhin von den Gerichtskosten ent­ lastet (§  21 Abs.  1 S.  3 GKG; §  10 C. I. 2. d) cc)). 189  Siehe §  12 B. III. 2. m. w. N., u. a. unter Verweis auf OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1337–1338.

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nannten Gründen. Überdies konnte gezeigt werden, dass der formalen Sichtweise im Zusammenhang mit den Kosten des Anordnungsverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls verbreitet die Gefolgschaft versagt wird.190 Die Defizite der formalen Sichtweise zeigen sich besonders deutlich, wenn man betrachtet, wie mit Gesetzesänderungen verfahren wird. In solchen Fällen wird eine erfolgreiche Erledigungserklärung grundsätzlich ebenso uneingeschränkt für mög­ lich erachtet191 wie in der umgekehrten Anordnung ein sofortiges Anerkenntnis.192 Die Diskrepanz zur Behandlung von Judikaturwenden ist nicht nur deshalb miss­ lich, weil solche Wenden oftmals (auch) durch Änderungen im gesetzlichen Umfeld bedingt sind.193 Vielmehr hat sich an anderer Stelle gezeigt, dass mittlerweile auch der Gesetzgeber im Bereich des Zivilverfahrensrechts Änderungen der höchstrichter­ lichen Rechtsprechung solchen des Gesetzesrechts weitgehend gleichstellt. So erfasst die für eine Abänderung gerichtlicher Entscheidungen nach §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO, §§  48 Abs.  1 S.  1, 238 Abs.  1 S.  2 FamFG vorausgesetzte Änderung der Rechtslage auch den Wandel der höchstrichterlichen Judikatur.194 Es geht hingegen fehl, wenn die Vertreter der formalen Sichtweise als systematisches Argument anführen, eine Rechtsprechungsänderung stelle keine neu entstandene Einwendung im Sinne von §  767 ZPO dar.195 Denn auch eine Gesetzesänderung vermag die Vollstreckungsab­ wehrklage grundsätzlich nicht zu begründen,196 wird aber als erledigendes Ereignis anerkannt. Soweit es hingegen um die Auswirkungen auf Titel geht, die in die Zu­ kunft wirken, werden Gesetzes- und Rechtsprechungsänderung nicht nur im Zu­ sammenhang von §  323 ZPO, §§  48, 238 FamFG, sondern auch als Grundlage für eine Vollstreckungsabwehrklage gleichermaßen für relevant gehalten.197 Der Vergleich mit §  767 ZPO spricht daher gerade dafür, Änderungen der höchstgerichtlichen Judi­ katur wie Gesetzesänderungen als erledigendes Ereignis zu berücksichtigen. Dabei ist indes sorgfältig darauf zu achten, ob die unterlegene Prozesspartei Ver­ trauensschutz wirklich verdient. Wiederum gilt: Gab es bereits beachtliche Anzei­ chen für einen möglichen Umschwung der Rechtsprechung, war ein Vertrauen von vornherein nicht berechtigt.198 Weder eine kostenvermeidende Erledigungserklä­ rung noch ein Anerkenntnis im Sinne von §  93 ZPO sind dann möglich.199 190 

Siehe §  10 C. I. 2. b) m.N. in Fn.  96. Siehe oben §  10 B. III. 1. m.N. in Fn.  26. 192  Siehe oben §  12 B. III. 2. m. w. N. in Fn.  9. 193  Siehe näher §  10 C. I. 2. d) bb) (1) a. E. 194  Siehe oben §  14 C. II. 2. b), u. a. unter Verweis auf Begr. RegE FGG-RG, BT-Drs. 16/6308, 198, 257, 325. 195  So – im Kontext des §  927 ZPO (dazu soeben bei Fn.  190) – OLG Schleswig, Urt. v. 28.1.­ 2016  – 6 U 4/15, BeckRS 2016, 4411 Rn.  14 – Pippi Langstrumpf. 196  Siehe oben §  14. C. II. 1. m.N. in Fn.  38. 197  Siehe oben §  14 B. II. m.N. in Fn.  26, v. a. BGH, Urt. v. 2.7.2009 – I ZR 146/07, BGHZ 181, 373 = NJW 2009, 3303, 3305 Rn.  20–24 – Mescher weis. Zur Auswirkung von Gesetzesänderun­ gen auf solche Titel siehe a. a. O. Fn.  37, v. a. BGH, Urt. v. 26.9.1996 – I ZR 265/95, BGHZ 133, 316 = NJW 1997, 1702, 1704 – Altunterwerfung I. 198  Siehe bereits soeben a). 199  Siehe oben §  10 C. I. 2. d) bb) (3) sowie §  12 C. I. 2. a) aa) (2) (a). 191 

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e) Partielle Abmilderung der strengen Haftung nach §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Schließlich bleibt die Frage, ob – ähnlich wie hinsichtlich der Kostenpflicht  – auch im Bereich der Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO entgegen der tradierten Auffas­ sung Vertrauensschutz gewährt werden kann. Die grundsätzlichen verfassungs­ rechtlich eingefärbten Erwägungen zu dessen Notwendigkeit verfangen hier prin­ zipiell nicht weniger als anderswo. Ein Vollstreckungsgläubiger bzw. Antragsteller, der nach der ursprünglich herrschenden höchstrichterlichen Rechtsprechung prak­ tisch fest mit seiner Anspruchsberechtigung rechnen durfte, würde durch die Judi­ katurwende nachträglich mit dem harschen Nachteil einer verschuldensunabhängi­ gen Haftung belegt. Wie gesehen lehnt jedoch die herrschende Meinung einschließlich des BGH eine Entlastung des Vollstreckungsgläubigers in solchen Konstellationen ab.200 Diese Auffassung lässt sich im Wesentlichen auf eine einzelne Grundsatzentscheidung zurückführen. Diese wird weitgehend kritiklos hingenommen. Die damalige Be­ gründung erschöpfte sich indes in der Behauptung, §§  717 Abs.  2, 945 ZPO berück­ sichtigten als Kompromiss bereits den Aspekt des Vertrauensschutzes: Es entspre­ che „gebotener Risikoverteilung, daß den Schaden aus solcher erlaubten, aber ge­ fahrbeladenen Ausübung der trägt, der seine Interessen auf Kosten des anderen verfolgt“.201 Schon früh ist dargelegt worden, dass man die Interessenbewertung auch genau umgekehrt vornehmen könnte: Derjenige, der auf die bisherige Rechts­ lage vertraue, sei vor dem Risiko einer Rechtsprechungsänderung, das nicht aus seinem „Betriebskreis“ stamme, zu schützen.202 Vergleichbares lässt sich dem Ar­ gument entgegenhalten, es bleibe dem vermeintlichen Gläubiger unbenommen, mit der Vollstreckung bzw. Sicherung bis zu einer positiven rechtskräftigen Entschei­ dung zuzuwarten.203 Eine entscheidende Verwerfung zeigt sich im Abgleich mit der Haftung des un­ berechtigterweise die Leistung verweigernden Schuldners. Darauf hat vor allem Häsemeyer hingewiesen.204 Der Schuldner verfolgt ebenso wie der vorläufig Voll­ streckende „seine Interessen auf Kosten des anderen“205. Das typische Argument für die strenge Schuldnerhaftung lautet gerade, der Schuldner schiebe dem Gläubi­ ger durch die Verweigerung das Risiko zu.206 Und auch den Schuldner könnte man 200  Siehe oben §  9 C. II. 2. b), siehe v. a. BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZR 165/07, NJOZ 2010, 896, 896 Rn.  3; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.1987 – 2 U 268/86, NJW-RR 1987, 1205, 1205; G. Götz, in: MüKo-­ ZPO, §  717 Rn.  17; Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  14 Fn.  66. 201  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461. 202  In diese Richtung Kroitzsch, GRUR 1976, 509, 511. 203  Dieses Arguments bedient sich z. B. Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  945 Rn.  9. 204  Besonders deutlich bei Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  92–93. 205  So die soeben zitierte Stelle aus BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461. 206  Z. B. BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; BGH, Urt. v. 27.9.1989  – IVa ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160, 161; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 735 Rn.  19 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR

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mit gleicher Berechtigung darauf verweisen, er könne doch zunächst (leisten und sodann über die Kondiktionsklage) eine rechtskräftige Klärung herbeiführen.207 Trotz alldem erfährt jedoch der Schuldner eine Entlastung bei nachteiligen Recht­ sprechungswenden.208 Hält man Letzteres, wie hier vertreten, für richtig, wäre ein Gleichklang über eine Abmilderung der Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO her­ zustellen, nicht – wie von Häsemeyer befürwortet209 – über eine Verschärfung der Schuldnerhaftung. Der in Sachen Vertrauensschutz gemachte Unterschied zwischen Vollstreckungs­ gläubiger- und Schuldnerhaftung lässt sich auch nicht überzeugend dadurch be­ gründen, dass dem Vollstreckungseingriff eine höhere Intensität zugeschrieben wird.210 Das gilt insbesondere für das Argument, der Vollstreckungsgläubiger kön­ ne auf das gesamte Vermögen des Gegners zugreifen und dort Schäden verursa­ chen.211 Der Zugriff auf das gesamte pfändbare Vermögen steht nur offen, sofern es um die Vollstreckung wegen einer Geldforderung geht. Auch der leistungsunwillige Schuldner einer Geldforderung kann aber im gesamten sonstigen Vermögen des Gläubigers Schäden verursachen. Beispielsweise kann der Gläubiger dazu gezwun­ gen sein, durch die Verwertung anderer Vermögensgegenstände die Wartezeit zu überbrücken oder währenddessen auf gewinnbringendes Verhalten zu verzichten. In einem Punkt besteht indes ein Unterschied zwischen dem Vorgehen des Voll­ streckungsgläubigers und dem des Schuldners. Die unberechtigte Verweigerung durch den Schuldner kann wenigstens mittelbar zur Klärung der rechtlich unsiche­ ren Anspruchsberechtigung beitragen (wenn sie nämlich den Gläubiger zur Klage provoziert). Die vorläufige Vollstreckung hat keinen solchen klärenden Effekt. Aus diesem Unterschied wird lediglich im Normalfall keine Besserstellung des Schuld­ ners hergeleitet, weil man ihn darauf verweist, er könne selbst aktiv die Klärung als Kondiktionsgläubiger betreiben. Allerdings ist oben angeklungen, dass Konstel­ lationen denkbar erscheinen, in denen mangels Kondiktionsfähigkeit des Leis­ tungsgegenstands dem Schuldner nur die Vermengung von Rechtsklärung und Leistungsverweigerung bleibt.212 Darin könnte man eventuell eine Rechtfertigung erblicken, den Schuldner graduell milder zu behandeln als den Vollstreckungsgläu­ biger. Es erscheint aber mehr als zweifelhaft, ob sich daraus eine Art „Abstands­ gebot“ herleiten lässt, welches ausgerechnet dadurch zu verwirklichen wäre, dass dem Vollstreckungsgläubiger Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen verwehrt wird. Näher läge es, wenn überhaupt, für die Fälle einer fehlenden Kon­ diktionsfähigkeit eine passgenaue Ausnahme zur sonst strengen Schuldnerhaftung 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  24; BGH, Urt. v. 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, 2720 Rn.  36; siehe näher oben §  11 C. II. 2. a) cc) einschließlich der Kritik an dieser apodiktischen Herleitung. 207  So gerade das Argument für eine strenge Haftung bei §  11 C. II. 2. b) cc). 208  Siehe soeben oben a). 209  Häsemeyer, Schadenshaftung, insb. S.  93. 210  So aber K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  151. 211 So K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  152. 212  Siehe oben §  11 C. II. 6. d) dd) (4).

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zu formulieren, also den Schuldner über die Gewährung von Vertrauensschutz ­hinaus zu entlasten.213 Insgesamt erscheint demnach in Sachen Vertrauensschutz eine Gleichstellung des Vollstreckungsgläubigers (bzw. Antragstellers) mit dem Schuldner geboten. Diese könnte jedoch de lege lata daran scheitern, dass der Tatbestand von §  717 Abs.  2 ZPO (bzw. §  945 ZPO) im Gegensatz zu §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB keinen offensichtlichen Anknüpfungspunkt bereithält. An die eingangs der Unter­ suchung zitierte Warnung, keinen vom einfachen Recht losgelösten, diskretionären Vertrauensschutz zu gewähren, 214 sei erinnert. Bei näherem Hinsehen offenbart sich allerdings ein gangbarer Weg. So hält die ganz herrschende Meinung zu §  717 Abs.  2 ZPO die Norm für unanwendbar, wenn das vollstreckte Urteil lediglich auf­ grund von neu entstandenen Umständen aufgehoben wird.215 Bei §  945 ZPO be­ sagt bereits der Wortlaut, dass nur die von Anfang an ungerechtfertigte Anordnung schadet. Auf dieser Grundlage ließe sich möglicherweise zugunsten des vermeint­ lichen Gläubigers berücksichtigen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung bei Erlass des vollstreckten Urteils bzw. der einstweiligen Verfügung noch eindeutig nahelegte, er sei im Recht. Nach der schon zitierten Auffassung des BGH kann eine Rechtsprechungsände­ rung indes nicht als nachträglicher Umstand qualifiziert werden.216 Auf die fehlen­ de Überzeugungskraft dieser Grundsatzentscheidung ist bereits hingewiesen wor­ den. Wie wenig zwingend die dortige Argumentation ist, zeigt sich an dieser Stelle besonders deutlich. Es heißt, das Risiko (gemeint: das Risiko, dass ein anspruchs­ begründendes Gesetz für verfassungswidrig erklärt wird) sei eher dem Gläubiger (als Veranlasser) denn dem Schuldner anzulasten. Dieselbe Behauptung ließe sich aber auch mit Blick auf das Entstehen von Einwendungen nach der vorläufigen Vollstreckung aufstellen (jedenfalls sofern solche nicht gerade vom Schuldner „ver­ ursacht“ wurden). Die Konsequenz, §  717 Abs.  2 ZPO auf solche Konstellationen anzuwenden, wird aber, wie angedeutet, nur ganz vereinzelt gezogen.217 Die herr­ schende Meinung entlastet den Vollstreckungsgläubiger hingegen. Zuzugeben ist allerdings, dass eine Rechtsprechungsänderung grundsätzlich kein nachträglicher Umstand ist, der im Sinne von §  767 Abs.  2 ZPO eine Voll­ streckungsabwehrklage begründen könnte.218 Der Grund für diese Einstufung ist allerdings im Schutz der Rechtskraft zu sehen.219 Dieser Gedanke verfängt im Zu­ 213  Zu den Schwierigkeiten einer rechtssicheren Bestimmung des Maßstabs siehe aber §  11 C. II. 6. d) dd) (4) a. E. 214  Siehe bei §  3 A. II. 3. und dort insb. Bydlinski, JBl 2001, 2, 21–22. 215  §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (c) m.N. in Fn.  385. 216  Eindeutig etwa Münzberg, in: Stein/Jonas, §  717 Rn.  14 Fn.  66. 217  Zumindest folgerichtig ist es, wenn G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  17, eine Entlastung des Vollstreckenden sowohl für den Fall ablehnt, dass erst eine nachteilige Rechtsprechungswende zur späteren Aufhebung des Urteils führt, als auch für das Szenario, dass zwischenzeitlich neue Einwendungen entstehen. 218  Siehe dazu §  14 B. II. m.N. in Fn.  15, 16. 219  Oben §  14 C. II. 1.

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7. Teil: Synthese

sammenhang mit §  717 Abs.  2 ZPO (Vollstreckung auf Basis eines bloß vorläufig vollstreckbaren Urteils) bzw. §  945 ZPO nicht. Es liegt näher, sich für die Frage der Nachträglichkeit an der Einordnung als erledigendes Ereignis zu orientieren. Die bestehende Verknüpfung zur Prozesskostenfrage zeigt sich etwa in einer jüngeren Entscheidung des OLG Hamburg zur Haftung aus §  945 ZPO nach einer Recht­ sprechungsänderung.220 Dort heißt es zunächst: Eine Judikaturwende bedeute, dass frühere Entscheidungen „nachträglich betrachtet, bereits von vornherein un­ richtig waren“. Diese Sichtweise wird sodann durch die Beobachtung gestützt, dementsprechend hätten die Beklagten „die Klage auch nicht für erledigt erklärt, was in der Konsequenz eines erst nachträglich weggefallenen Unterlassungsan­ spruchs gelegen hätte.“ Auch die Grundsatzentscheidung des BGH hatte es als fol­ gerichtig bezeichnet, dass der Antragstellerin (die nun nach §  945 ZPO haften soll­ te) die Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden.221 Hat man den Zusammenhang zur Prozesskostenhaftung erkannt, lassen sich die dazu bereits vorgebrachten Ar­ gumente222 übertragen. Insbesondere macht ein deklaratorisches Verständnis höchstrichterlicher Entscheidungen 223 den Vertrauensschutz nicht entbehrlich.224 Wie auch im Zusammenhang mit §§  91 ff., 927 ZPO sind mit der hier vertretenen Auffassung keine tektonischen Verschiebungen verbunden. Es geht lediglich um einen maßvollen Vertrauensschutz in Extremfällen. Dieser setzt insbesondere vor­ aus, dass im Vollstreckungszeitpunkt (bzw. bei Erlangung einstweiligen Rechts­ schutzes) der Gläubiger (bzw. Antragsteller) noch mit praktischer Gewissheit da­ von ausgehen durfte, die höchstrichterliche Rechtsprechung liege in den entschei­ denden Punkten klar auf seiner Linie. Insbesondere darf es noch keine ernsthaften Anzeichen für einen Rechtsprechungswandel gegeben haben. Sogar die Auffas­ sung, wonach die verfassungsgerichtliche Nichtigerklärung eines Gesetzes kein nachträgliches Ereignis darstellte, das von einer Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO entbände,225 lässt sich vor diesem Hintergrund unter Umständen halten. Das Ergebnis ist dort sachgerecht, wo schon im Zeitpunkt der betroffenen Maßnahme ein relevantes verfassungsrechtliches Risiko bestand.226 Darüber hinaus wird man selbst im Fall der anfänglichen (vermeintlichen) Gewissheit eine strenge Haftung  – unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz – spätestens ab dem Zeitpunkt einer vollzo­ genen Rechtsprechungswende in Erwägung ziehen müssen, wenn der Vollstre­ ckungsgläubiger (bzw. Antragsteller) die vorläufige Sicherung nicht schnellstmög­ lich aufgibt.227 220 Zum Folgenden OLG Hamburg, Urt. v. 23.11.2017 – 5 U 254/15, BeckRS 2017, 152663 Rn.  59. 221  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1460. 222  Dazu soeben d). 223 Ein solches Verständnis tritt besonders deutlich bei der soeben zitierten Entscheidung OLG Hamburg, Urt. v. 23.11.2017 – 5 U 254/15, BeckRS 2017, 152663 Rn.  59, zutage. 224  Siehe schon soeben d) mit Fn.  183. 225  BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1460. 226  Siehe zu solchen Konstellationen unten C. II. 3. f). 227  Vergleiche bereits §  9 C. III. 6.

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III. Denkbare Ausnahmen von den Grundsätzen Die Untersuchung hat gleichfalls zutage gefördert, dass es bestimmte Konstellatio­ nen gibt, in denen – quadrantenübergreifend – systematische Abweichungen von den ansonsten zu präferierenden Grundsätzen zu erwägen sind. 1. Abweichungen bei Unklarheit über Person des Gegenübers Das vorliegend entwickelte Gesamtkonzept hat den Anspruch, dem in rechtlicher Hinsicht Zweifelnden jeweils eine zumutbare Verhaltensoption zur Verfügung zu stellen.228 Das gelingt im Normalfall: Der potenzielle Gläubiger muss zwar zur Verhinderung der Verjährung seinen Anspruch geltend machen, darf dies aber ohne erhebliches Haftungsrisiko tun. Der mögliche Schuldner muss vorsichtshal­ ber leisten, um eine Haftung zu verhindern, verliert dadurch aber nicht seinen Rückforderungsanspruch. Dieses ausgewogene Modell droht allerdings ins Wan­ ken zu geraten, wenn die rechtlichen Zweifel gerade die Frage betreffen, wer auf der anderen Seite der Anspruchsbeziehung steht. Ist in rechtlicher Hinsicht unsicher, wer von mehreren alternativ in Betracht kommenden Personen passivlegitimiert ist, ist im Verhältnis zu jeder dieser Personen zweifelhaft, ob ein Anspruch besteht. Nach den üblichen Grundsätzen zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB (schädlicher Erkennt­ nisgrad: Ungewissheit) liefe damit im Verhältnis zum wahren Schuldner die Verjäh­ rung an.229 Der Gläubiger müsste zeitgleich gegen sämtliche Kandidaten vorgehen, um die Verjährung zu hindern. Ihm würde damit deutlich mehr zugemutet als an­ deren zweifelnden Anspruchsinhabern. Im Normalfall trägt der Anspruchsteller bei der Geltendmachung lediglich das Risiko, den eigenen Aufwand nicht ersetzt zu bekommen und bei Unterliegen im Prozess die Kosten nach §  91 Abs.  1 S.  1 ZPO tragen zu müssen. Bei einem Vorgehen gegen mehrere Alternativkandidaten be­ stünde jedoch die Gewissheit, in mindestens einem der Verfahren zu unterliegen. Der potenzielle Gläubiger würde also in diesem Fall nicht in hinreichendem Maße aus der „Zwickmühle“230 befreit. Es hat sich gezeigt, dass das Verjährungsrecht und die dazu ergangene Rechtsprechung dieses Problem adressieren.231 Unter Berück­ sichtigung der ungünstigen Lage des Gläubigers wird der Verjährungsbeginn durch die Annahme von Unzumutbarkeit weitgehend gehindert.232 Die gegenüber dem Gläubiger geübte Nachsicht darf allerdings nicht weiter gehen als nötig. Insbeson­ dere darf der Gläubiger keinen Freibrief für eine vollständige Inaktivität erhalten. Das Vorgehen gegen zumindest einen der denkbaren Anspruchsgegner ist ihm nicht weniger zumutbar als anderen Gläubigern.233 Schon vorgelagert ist indes zu 228 

Siehe oben I. Unter der Prämisse, dass Name und Anschrift bekannt (bzw. infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt) sind, dazu §  7 B. II. 2. b). 230  Dazu siehe schon I. 231  Zum Folgenden §  7 C. I. 3. e). 232  Die schlechte Ausgangslage für den Gläubiger treffend beschreibend insb. OLG Hamm, Urt. v. 3.12.1992 – 27 U 194/91, NZV 1993, 270; Bitter/Alles, NJW 2011, 2081, 2083. 233  Siehe BGH, Urt. v. 18.1.1972 – VI ZR 204/70, VersR 1972, 394, 395. 229 

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7. Teil: Synthese

berücksichtigen, dass das Verjährungsrecht in Gestalt der Hemmung durch Streit­ verkündung (§  204 Abs.  1 Nr.  6 BGB) ein Instrument bereithält, mithilfe dessen sich die beschriebene Konfliktlage vielfach in zumutbarer Weise lösen lassen wird.234 Wenn dem Gläubiger dieser Weg offensteht, wird sein Risiko auf das üb­ liche Maß zurückgestutzt. Er steht dann nicht schlechter als Gläubiger, die über andere Punkte als die Person des Passivlegitimierten im Zweifel sind. Ein Vorzug der quadrantenübergreifenden Betrachtung liegt darin, dass die zum Verjährungsrecht gefundenen Ergebnisse sich durch die Erkenntnisse zur spiegel­ verkehrten Konstellation stützen lassen. Zur Haftung des zweifelnden Schuldners ergibt sich eine parallele Problematik.235 Wenn die Rechtszweifel gerade die Frage betreffen, wer Gläubiger ist, wird der ansonsten vorgezeichnete Weg für den Schuldner deutlich beschwerlicher. Er müsste zur Vermeidung einer Verzugshaf­ tung jeden der potenziellen Anspruchsinhaber vorerst befriedigen. Der Aufwand und das Insolvenzrisiko würden sich vervielfachen. Die vorläufige Leistungser­ bringung erfolgte zudem in der Gewissheit, mindestens in einem Fall nicht dazu verpflichtet zu sein. Ein solcher Aufwand erscheint allenfalls dann zumutbar, wenn der Schuldner selbst die unsichere Lage in vermeidbarer Weise heraufbeschworen hat – etwa durch nachlässige Rechtsgestaltung.236 Außerhalb solcher Sonderfälle gestaltet sich die Lösung des Problems hingegen ganz ähnlich wie im Verjährungs­ recht. Primär ist der zweifelnde Schuldner auf die vom Gesetz vorgesehenen Aus­ wege verwiesen. Er wird den Leistungsgegenstand oftmals mit verzugshindernder Wirkung hinterlegen können (§§  372 S.  2 Var.  2, 378, 379 BGB; zum prozessualen Pendant siehe §  75 ZPO237). Wenn ihm diese Möglichkeit offensteht, muss er sie nutzen, möchte er ein Haftungsrisiko ausschließen.238 Die Hinterlegung gleicht insoweit der Streitverkündung durch den unsicheren Gläubiger. Ist der Gegenstand hingegen nicht hinterlegungsfähig, berechtigt dies den Schuldner nicht zum Nicht­ stun. Er muss vielmehr, wiederum spiegelbildlich zum Verjährungsszenario, zu­ mindest einen der potenziellen Anspruchsinhaber befriedigen.239 In dem Sonder­ fall, dass die Ungewissheit über die Person des Gläubigers gerade auf rechtlichen Zweifeln an einer wirksamen Abtretung beruht, kann der Schuldner zudem mit befreiender Wirkung an den ursprünglichen Anspruchsinhaber leisten (§  407 Abs.  1 BGB).240 Auch hier hängt die Entlastung also davon ab, dass zumindest einer der Prätendenten befriedigt wird. Es wird deutlich, dass rechtliche Zweifel des Gläubigers über die Person des Schuldners und solche des Schuldners über die Person des Gläubigers nach weitge­ hend einheitlichen Maßstäben behandelt werden. Auch diese besondere Problema­ 234 

Eine Klage ist dann zumutbar, siehe §  7 C. I. 3. e) m.N. in Fn.  412 und zur a. A. Fn.  414. Dazu §  11 C. II. 6. b). 236  Dazu §  11 C. II. 6. b) aa) (1). 237  Dazu §  12 B. IV. 2., C. II. 2. 238  §  11 C. II. 6. b) aa) (2). 239  §  11 C. II. 6. b) aa) (3). 240  Dazu §  11 C. II. 6. b) bb) (1). 235 

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tik lässt sich daher zufriedenstellend in das übergreifende Konzept einbetten. Überdies zeigt sich ein tauglicher Ausgangspunkt für die Entwicklung ähnlich ge­ lagerter Ausnahmen. So befindet sich beispielsweise der Schuldner in einer ähnlich ungünstigen Lage, wenn ihm nicht zwei Prätendenten gegenüberstehen, sondern ein potenzieller Gläubiger die Leistung einfordert, während das Strafrecht die Leis­ tungserbringung möglicherweise verbietet. In einer solchen „Entscheidungsnotla­ ge“241 ist es dem Schuldner nicht ohne Weiteres zuzumuten, zur Vermeidung einer Haftung den geltend gemachten Anspruch zu erfüllen.242 Abschließend könnte man sich indes fragen, ob nicht die befürworteten Abmilde­ rungen betreffend Verjährung und Schuldnerhaftung zu einer korrespondierenden Verschärfung der milden Maßstäbe in den übrigen beiden Quadranten führen müs­ sen. So könnte ein Bereicherungsanspruch gegenüber einem Putativgläubiger ge­ sperrt sein, wenn der Schuldner bei Zweifeln über die Person des Anspruchsinha­ bers schlicht alle Prätendenten befriedigt hat, obwohl schon die Hinterlegung bzw. die Leistung an einen der Prätendenten die Gefahr einer Schuldnerhaftung gebannt hätte. Das ließe sich aber allenfalls dann vertreten, wenn §  814 BGB im Interesse des Leistungsempfängers ein Gebot zu entnehmen wäre, möglichst nicht durch Leis­ tungen ohne Rechtsgrund unberechtigtes Vertrauen zu erzeugen. Das ist, wie oben aufgezeigt, nicht der Fall.243 Vielmehr geht es um den Vorwurf eines widersprüchli­ chen Verhaltens.244 Dieser lässt sich aber gegenüber einem Schuldner, der zunächst sicherheitshalber – etwa um bestehende Beziehungen nicht zu belasten – mehrere Prätendenten befriedigt, kaum erheben. In ähnlicher Weise lässt sich fragen, ob ein Gläubiger, der sich über die Person des Schuldners im Rechtszweifel befindet, die Geltung des Haftungsprivilegs verdient, wenn er sämtliche Kandidaten parallel in Anspruch nimmt. Es könnte darauf verwiesen werden, dass das Verjährungsrecht ihm ein solches Vorgehen „auf breiter Front“ gerade nicht abverlange. Anders als soeben zu §  814 BGB geäußert, lässt sich an dieser Stelle auch nicht behaupten, der Schutz des Gegners sei durch das Haftungsrecht gar nicht intendiert. Allerdings ist zu beachten, dass der Gläubiger zur Verjährungshinderung im Regelfall gerade doch gezwungen sein wird, zeitgleich gegen Alternativkandidaten vorzugehen. Zwar wird dies zumeist nur in Form der Streitverkündung vonnöten sein, doch wird eine solche häufig kaum weniger Schäden beim Betroffenen verursachen (Bera­ tungskosten, Zeitaufwand usw.) als eine direkte Inanspruchnahme. Überdies ist zu berücksichtigen, dass schon die im Fall einer Niederlage verschuldensunabhängig drohende Prozesskostenbelastung den Gläubiger normalerweise davon abhalten wird, mehr zeitgleiche Verfahren zu führen als unbedingt nötig.245 241  Haertlein, Exekutionsintervention, S.   411; die dort ebenfalls erfolgende Bezeichnung als „Dilemma“ demonstriert in terminologischer Hinsicht, dass es auch hier darum geht, den Zwei­ felnden aus einer „Zwickmühle“ (siehe dazu allgemein I.) zu befreien. 242  Dazu ausführlich §  11 C. II. 6. b) dd) (3) mit weiteren Beispielen. 243  Siehe oben §  13 C. III. 1. 244  Auf diesem Gedanken fußt §  814 BGB, siehe §  13 C. II. 1. b). 245  Hier zeigt sich demnach ein besonders wünschenswerter Effekt der als Gegengewicht wir­ kenden Pflicht zur Tragung der Prozesskosten (dazu oben II. 1. c) cc) sowie §  10).

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7. Teil: Synthese

2. Keine Abweichungen bei Ermessensentscheidungen Über Abweichungen von den sonst geltenden Maßstäben lässt sich auch für Kon­ stellationen nachdenken, in denen der Bestand des streitgegenständlichen An­ spruchs zumindest dem Umfang nach von einer gerichtlichen Ermessensentschei­ dung abhängt. Als Beispiele lassen sich Schätzvorgänge (§  287 ZPO) im Bereich der billigen Entschädigung nach §  253 Abs.  2 BGB246 oder – mag hier auch nicht im engeren Sinne Ermessen bestehen 247 – der Mietminderung nach §  536 BGB anfüh­ ren.248 Die Rechtslage249 ist in solchen Situationen „objektiv zweifelhaft“ im hier verwendeten Sinne, sofern, wie häufig, 250 auch Rechtsexperten eine exakte Progno­ se nicht möglich ist. Welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, wird insbesondere im Kontext der rechtsirrtümlichen Nichtleistung diskutiert.251 Eine beachtliche Meinungsgruppe vertritt die Auffassung, ein Zahlungsrückstand, der auf einer vom Mieter zu hoch angesetzten, aber vertretbaren Minderungsquote beruhe, rechtfertige im Regelfall keine Kündigung.252 Zu Recht verweigern sich andere Stimmen aus Rechtspre­ chung und Literatur solchen Tendenzen:253 Tatsächlich unterscheidet sich die Situ­ ation nicht von sonstigen objektiven Zweifelslagen. Der Schuldner, der einen Ver­ zug sicher ausschließen will, kann auch hier vorleisten und zur Kondiktion überge­ hen. Ein solches Vorgehen darf dem Mieter dann allerdings nicht durch eine Überdehnung von §  814 BGB versperrt werden. Soweit für den Mieter die Minde­ rung nicht „gewiss“ ist, lässt sich keine kondiktionshindernde Kenntnis annehmen. Die neue Rechtsprechung des BGH, die von einer Kenntnis schon dann ausgehen möchte, wenn der Leistende die Quote bloß ungefähr richtig bestimmt hat, 254 ist vor diesem Hintergrund zu kritisieren.255 Erhellend ist auch der Blick auf die Rechtsirrtumsproblematik im Verjährungs­ recht. Stellte die Abhängigkeit von gerichtlichen Schätzungen tatsächlich eine be­ 246 

Vergleiche nur Oetker, in: MüKo-BGB, §  253 Rn.  36. sowie zur gleichwohl bestehenden Vergleichbarkeit zu echten Ermessensentschei­ dungen Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  518. 248 Vergleiche Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  365, sowie BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483 (Ls. 1) und 1484 Rn.  15; OLG Koblenz, Urt. v. 15.12.2006 – 10 U 1013/05, NZM 2008, 405, 406. 249  Man könnte am Vorliegen eines Rechtsirrtums zweifeln, weil es um die Schätzung der tat­ sächlichen Wohnwertminderung geht (so offenbar Harke, NZM 2016, 449, 453). Anders als Irrtü­ mer über die Tatsachengrundlage (z. B. Vorliegen und Ursache von mängelbegründenden Um­ ständen) stehen jedoch bei der Wertbestimmung die Besonderheiten der rechtlichen Beurteilung im Vordergrund, siehe dazu noch unten §  18 C. II. (im Bereich des Schuldnerverzugs ergibt sich daraus, worauf auch Harke, a. a. O., hinweist, kein Unterschied, siehe §  11 C. II. 4.). 250  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484–1485 Rn.  20; Harke, NZM 2016, 449, 453. 251  Dazu eingehend §  11 C. II. 6. d) cc). 252  Nachweise bei §  11 B. I. 1. Fn.  38. 253  Zum Folgenden ebenso LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 2.5.2019 – 3 S 10/18, BeckRS 2019, 12113 Rn.  6; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  79. 254  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484–1485 Rn.  20. 255  Siehe näher §  13 C. II. 2. b). 247 Dazu

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sonders zu behandelnde Zweifelskategorie dar, wäre es folgerichtig, den Gläubiger in dem Umfang, in dem der Anspruch von einer Ermessensentscheidung abhängt, vom Verjährungsrisiko zu entlasten. An solchen Ansätzen fehlt es aber augenschein­ lich; vielmehr wird in der Instanzrechtsprechung ausdrücklich der Verjährungs­ beginn bejaht.256 Es bleibt demnach bei der allgemeinen Regel, wonach eine vorsich­ tige Teilklage die Verjährung nur bezüglich des geltend gemachten Anspruchsteils hemmt.257 Auch im Zusammenhang mit der irrtümlichen Anspruchsgeltendma­ chung erfahren „ermessensbedingte“ Zweifel keine Sonderbehandlung. Die Zuviel­ forderung infolge eines „Schätzfehlers“258 bringt kein erhöhtes Haftungsrisiko mit sich.259 Eine Entlastung des Putativgläubigers lässt sich hier gar besonders gut be­ gründen: Wo die (partielle) Niederlage auf einer Ermessensentscheidung beruht, kann das Gericht nach §  92 Abs.  2 Nr.  2 Var.  1 ZPO sogar die Prozesskosten, die der unterlegene Putativgläubiger grundsätzlich stets zu tragen hat, vollständig dem Gegner auferlegen. Diese spezielle Kostenvorschrift lässt sich dagegen nicht für die oben abgelehnte Privilegierung des übermäßig mindernden Mieters ins Feld führen. Dem klaren Wortlaut nach begünstigt sie nur den Forderungsinhaber. Das ist, wenn überhaupt, ein weiterer Beleg für die hier verfolgte Linie: Nachsicht mit einer „Zu­ vielforderung“, Strenge gegenüber der „Zuwenigleistung“. Festhalten lässt sich somit, dass es – entgegen vorhandener Ansätze zur Schuld­ nerhaftung und zu §  814 BGB – nicht zu einer Modifikation der allgemeinen Grundsätze kommt, wenn die betroffenen Rechtszweifel gerade auf der Abhängig­ keit von einer gerichtlichen Ermessensentscheidung beruhen.

B. „Praktische Gewissheit“ als einheitlicher Maßstab Das vorgeschlagene Konzept zur Behandlung rechtlicher Zweifel über die An­ spruchsberechtigung versucht stärker, als es bislang geschieht, die anzulegenden Maßstäbe auf konkrete Wertungen und systematische Zusammenhänge zurück­ zuführen. Der wesentliche Wert für die praktische Rechtsanwendung ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass im Grundsatz in sämtlichen Quadranten ein einheit­ licher Maßstab zur Anwendung gelangt. Letztlich kommt es stets darauf an, ob die Rechtslage praktisch gewiss war. Wie die folgende Übersicht zeigt, ist beim Wech­ sel zwischen den einzelnen Quadranten lediglich die Perspektive anzupassen: Es 256  Eindeutig eine Sonderbehandlung verweigernd LG Frankfurt a. M., Urt. v. 11.1.2019 – 2-18 O 211/18, WM 2019, 1393, 1395, bei Abhängigkeit von einer Zinsanpassung, die im Ermessen des Gerichts steht. 257  Siehe nur BGH, Urt. v. 9.1.2008 – XII ZR 33/06, NJW-RR 2008, 521, 522 Rn.  14; Grothe, in: MüKo-BGB, §  204 Rn.  15 m. w. N. 258  Begriff bei OLG Köln, Urt. v. 13.10.1988 – 18 U 37/88, NJW 1989, 720, 721 (zu §  92 Abs.  2 Nr.  2 ZPO; dazu sogleich). 259  Vergleiche LG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.2016 – 5 O 518/11, Rn.  94, juris (zur Gebührenbe­ stimmung durch einen Steuerberater); eine Haftung käme in solchen Fällen ohnehin nur insoweit in Betracht, wie gerade die Zuvielforderung Schäden verursacht hat.

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7. Teil: Synthese

geht je nach Konstellation um eine aus Sicht des Betroffenen positive oder negative Gewissheit über das Bestehen des Anspruchs; diese kann ent- oder belastend wir­ ken. Die Vorzeichen sind invers, das anzulegende Maß bleibt indes stets dasselbe. Übersicht 3: Funktionen des Maßstabs „praktische Gewissheit“ entlastende Wirkung

belastende Wirkung

negative Gewissheit („Ich bin nicht im Recht.“)

irrtümlicher Verzicht auf Anspruchsverfolgung (Verjährung)

irrtümliche Anspruchs­ verfolgung (Schadens­ ersatzhaftung)

positive Gewissheit („Ich bin im Recht.“)

irrtümliche Anspruchs­ verteidigung (Schadensersatzund Prozesskostenhaftung) irrtümliche Anspruchs­verfolgung (Prozesskosten­ haftung)

irrtümlicher Verzicht auf Anspruchsverteidigung (§  814 BGB)

I. Herleitung des einheitlichen Maßstabs Wie es zu dem grundsätzlich einheitlichen Maßstab der Gewissheit in sämtlichen Quadranten kommt, ist kurz zu rekapitulieren. Sowohl bei der irrtümlich unterlassenen als auch bei der irrtümlich durchge­ führten Anspruchsverfolgung (Quadranten 1 und 2) wurde eine Begrenzung der sonst gebotenen Klärungsanreize260 für erforderlich gehalten, wenn sich aus der in §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO verkörperten Wertung ergibt, dass eine Anspruchsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht im Allgemeininteresse liegt.261 An einer solchen Aussicht fehlt es erst dann, „wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist“.262 Betreffend die Haftung des irrtümlich nicht leistenden Schuldners (Quadrant 3) wird im Fall der vermeintlichen Gewissheit, dass ein Anspruch nicht besteht, die sonst geltende strenge Linie durchbrochen. Die eigentlich einschlägige Wertung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO263 wird hier durch den verfassungsrechtlich eingefärb­ ten Gedanken des Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen graduell

260 

Dazu oben A. II. 1. a) aa), bb). Dazu oben A. II. 1. c) aa). Dagegen finden selbst bei Vorliegen der subjektiven Prozesskosten­ hilfevoraussetzungen die Punkte, die trotz hinreichender Erfolgsaussichten zu einer Mutwillig­ keit führen, keine Berücksichtigung. Ob beispielsweise im konkreten Fall Vollstreckungsaussich­ ten bestehen oder nicht, tangiert nicht die Wertung, ob eine entsprechende Klage im Interesse der Rechtsklärung (die schon durch die Entscheidung im Erkenntnisverfahren eintritt) förderungs­ würdig ist, siehe oben §  7 C. II. 2. b) aa). 262  BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 21.3.2013 – 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12, NJW 2013, 2013, 2014; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13, NJW 2015, 2173, 2174 Rn.  12. 263  Dazu oben A. II. 2. 261 

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verdrängt.264 Allerdings fehlt es an einer gesetzlichen Präzisierung, in welchem Ausmaß Vertrauensschutz zu gewähren ist. Der Einsatz des einfachen Rechts zum Zweck des Vertrauensschutzes erfolgt oftmals „nicht systematisch, sondern eher selektiv“265. Abhilfe ist dadurch zu schaffen, dass man sich an den Maßstäben der übrigen Quadranten orientiert. So geht es zwar bei der Anerkennung verjährungs­ rechtlicher Unzumutbarkeit nicht um echten Vertrauensschutz, aber doch im Kern um das gleiche Sachproblem: Das Verhalten wurde an einer vermeintlich sicheren Rechtsauffassung ausgerichtet.266 Dieser Zusammenhang wird im Schrifttum ver­ einzelt gestreift.267 Für den Umfang des Vertrauensschutzes bei der Schuldnerhaf­ tung lässt sich demnach wiederum auf die Wertung des Prozesskostenhilferechts zurückgreifen, die in den ersten beiden Quadranten herangezogen wurde.268 Das Abstellen auf die hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO bildet nicht nur die Ergebnisse der herrschenden strengen Linie zur Schuld­ nerhaftung relativ genau ab, sondern fügt sich in systematischer Hinsicht gut ein und erscheint unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten passend: Ein irrender Schuld­ ner sollte jedenfalls dort von einer Haftung befreit sein, wo seinem Gegner für die Anspruchsgeltendmachung mangels hinreichender Erfolgsaussicht keine Prozess­ kostenhilfe hätte gewährt werden können. Im vierten Quadranten folgt die Maßgeblichkeit der „Gewissheit“ schon unmit­ telbar aus §  814 BGB. Aus Wortlaut und Telos der Vorschrift ergibt sich eindeutig, dass nur positives Wissen schaden soll.269 Angesichts der Ergebnisse zu den ersten drei Quadranten passt dieser Maßstab ausgezeichnet ins Gesamtbild.

II. Vorzüge des einheitlichen Maßstabs Die Vorteile der hier vorgeschlagenen Maßstabsbildung liegen auf der Hand. Nicht nur gelingt es, für die vier Untersuchungsquadranten ein einheitliches Prüfungs­ programm auf der Ebene des Erkenntnisgrades zu entwickeln. Vielmehr werden auch die Wertungen des Prozesskostenhilferechts und des einfachrechtlichen Ver­ trauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen integriert. Der dieser Vereinheitlichung innewohnende Gerechtigkeitswert ist soeben schon angedeutet worden. Er tritt besonders deutlich zutage, wenn anhand eines einzel­ nen Sachverhalts die Behandlung von Rechtszweifeln unter mehrerlei Gesichts­ punkten relevant wird. Dies betrifft insbesondere den Fall, dass der Schuldner trotz 264 

Dazu oben A. II. 3. a). die treffende Kritik von Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 350; Nachweise zur Recht­ sprechung bei §  3 A. II. 3. 266  Siehe oben A. II. 3. b). 267  So verweist Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 363 Fn.  58, 59, betreffend den Vertrauensschutz auf den Beitrag von Bitter, JZ 2015, 170, der sich gerade mit der Rechtsprechung des BGH zum Hinausschieben des Verjährungsbeginns wegen unklarer Rechtslage befasst. 268  Siehe bereits §  11 C. II. 5. a). 269  Siehe §  13 C. II. 1. (dort insb. b)). Hinzu kommt das Bedürfnis nach einer spiegelbildlichen Ausgestaltung im Vergleich zur Schuldnerhaftung (siehe §  13 C. II. 1. c)). 265  So

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Zweifeln an seiner Verpflichtung wegen seiner Leistungsverweigerung haftet (Quadrant 3). Auch der Gläubiger erfährt hier eine Belastung, weil die Verjährung seines Ersatzanspruchs trotz der zweifelhaften Rechtslage beginnt (Quadrant 1).270 Umgekehrt wird der Schuldner zwar bei Bestehen von Rechtsungewissheit von der negativen Wirkung des §  814 BGB befreit (Quadrant 4), sieht sich aber zu­ gleich einer Belastung durch die beginnende Verjährung des Bereicherungsan­ spruchs ausgesetzt (Quadrant 1). Dieses mögliche Zusammenspiel hat sich in der Praxis zuletzt anhand der rechtlich zweifelhaften Erhebung von Darlehensentgel­ ten gezeigt.271 Ebenso kann im Kontext der unwirksamen Verpflichtung zur Durchführung von Schönheitsreparaturen 272 zu fragen sein, ob Bereicherungs­ ansprüche des Mieters schon an §  814 BGB scheitern 273 oder (nur) die Verjährung droht.274 Hinzutreten kann die Problematik einer eventuellen Schadensersatz­ pflicht des Vermieters, der den vermeintlichen Renovierungsanspruch geltend ge­ macht hat (Quadrant 2).275 Wenn man hier keinen einheitlichen Maßstab für die Behandlung von Rechtszweifeln anlegte, führte dies zu untragbaren Ergebnissen. Dies belegt exemplarisch eine Entscheidung des AG München.276 Das Gericht stell­ te dort fest, dass ein Bereicherungsanspruch des Mieters, welcher der unberechtig­ ten Renovierungsaufforderung des Vermieters nachgekommen war, an §  814 BGB scheitern sollte, weil dem Mieter die BGH-Rechtsprechung zur Unwirksamkeit der betroffenen Klausel nicht habe entgehen können.277 Diese Sichtweise begegnet schon für sich genommen Bedenken.278 Jedenfalls ist es völlig inkonsequent, dem Mieter angesichts der entsprechenden Medienberichterstattung Kenntnis der Klau­ selnichtigkeit zu unterstellen, zugleich aber dem Vermieter zu attestieren, er habe bei seiner Geltendmachung einen plausiblen Standpunkt eingenommen und hafte deshalb nicht nach §  280 Abs.  1 BGB.279 Der Rückgriff auf einen einheitlichen Maßstab im Bereich des Erkenntnisgrades führt nicht nur zu gerechteren Ergebnissen, sondern auch zu einem enormen Ge­ winn an Rechtssicherheit. Es erübrigt sich, mit vier, fünf oder sechs verschiedenen Standards zu operieren. Diese würden ansonsten für die vier Quadranten sowie im 270 

Siehe wiederum oben I. zur Verjährungsfrage die grundlegenden Entscheidungen BGH, Urt. v. 28.10.2014  – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716, und BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2994 Rn.  100; zur Anwendung von §  814 BGB in diesen Fällen BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  110. Die Fragen einer Kenntnis der Nichtschuld und einer möglichen Verjährung unmittelbar nacheinander behandelnd etwa Lammeyer/Singbartl, GWR 2016, 482, 484. 272  Grundlegend BGH, Urt. v. 23.6.2004 – VIII ZR 361/03, NJW 2004, 2586, 273  Dazu einerseits AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727, und andererseits AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316. 274  Dazu etwa BGH, Beschl. v. 31.1.2012 − VIII ZR 141/11, NJW 2012, 1572, 1572–1573 Rn.  5 –6. 275  Siehe dazu KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; AG München, Urt. v. 2.9.­ 2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727; siehe zudem noch §  17 A. I. 1. 276  AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727. 277  AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727. 278  Siehe §  13 C. III. 2. c) bb) (2)–(3). 279  So aber AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727. 271  Siehe

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Kontext des Vertrauensschutzes und der Prozesskostenhilfe benötigt. Der einheit­ liche Maßstab erlaubt es dem Rechtsanwender zudem, Rechtsprechung aus anderen Teilfeldern der Problematik nahezu ohne Modifikation heranzuziehen. Fehlt es in einem Fall an Judikatur zu einer denkbaren verjährungsrechtlichen Unzumutbar­ keit, kann beispielsweise in der Rechtsprechung zu §  114 ZPO nach einer einschlä­ gigen Antwort gesucht werden. Bei der Behandlung des privatrechtlichen Rechts­ irrtums lässt sich so von dem reichhaltigen Fundus an Rechtsprechung profitieren, der insbesondere zum Prozesskostenhilferecht vorhanden ist.280 Der Verlockung ad hoc zu schaffender, aber letztlich unvorhersehbarer Lösungen wird damit vorge­ beugt.281 Zugleich verklammert die Rechtsirrtumsproblematik vordergründig disparat erscheinende Anwendungsfelder und begünstigt auch insoweit einen Wer­ tungs- und Rechtsprechungstransfer (etwa zwischen Prozesskostenhilferecht und einfachrechtlichem Vertrauensschutz). Dem Befund, „dass die (Rechts-)Irrtums­ doktrin inzwischen fast konturenlos ist“,282 lässt sich so entgegentreten. Das hier entwickelte Modell dürfte angesichts dessen nicht nur in der Herleitung, sondern auch in seiner Praktikabilität alternativen Ansätzen zur Bestimmung des schädlichen Erkenntnisgrades vorzuziehen sein. So wurde etwa zur Putativgläubi­ gerhaftung bereits kritisiert, dass der Vorschlag einer Gesamtabwägung unter Ein­ schluss der ex ante bestehenden Erfolgsaussichten 283 eine rechtssichere Prognose für die Beteiligten praktisch unmöglich macht.284 Auch im Verjährungsrecht betrifft ein Hauptkritikpunkt an der Unzumutbarkeitsprüfung den damit einhergehenden Ver­ lust an Rechtssicherheit.285 Der hier stattdessen vorgeschlagene Maßstab kennt im Grundsatz kaum Graustufen: Entweder bestand praktische Gewissheit oder nicht.286 Der binäre Charakter der Beurteilung entlastet den Rechtsanwender in be­ achtlichem Maße. Sobald Zwischenstufen eröffnet werden, wird die Bewertung für subjektive Präferenzen des jeweiligen Anwenders anfällig. Das zeigt sich etwa, wenn  – außerhalb des Bereichs der vorliegenden Untersuchung – vorgeschlagen wird, die Innenhaftung von Geschäftsleitern für Rechtsverstöße davon abhängig zu machen, wie gut die gewählte Rechtsauffassung vertretbar war.287 Dies gipfelt in 280  Auf die dort erprobten Kriterien wies bereits – im Zusammenhang mit der Prozesskosten­ haftung – Pawlowski, JZ 1975, 197, 199, hin, siehe §  10 C. I. 1. b) bb) (1). 281  Siehe zum Verjährungsrecht §  7 C. II. 2. b) cc), zum Vertrauensschutz §  3 A. II. 3. und dort insb. Bydlinski, JBl 2001, 2, 21–22. 282 So Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 929. 283  Darauf läuft insb. der Ansatz von Thole, AcP 209 (2009), 498, 538, hinaus: „Letzte Klarheit muss jeweils […] im Einzelfall erzielt werden, und zwar ohne pauschale Vorfestlegungen“; dem im Wesentlichen folgend Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169; ähnlich Derkum, Folgen, S.  150 („Einzel­ fallgerechtigkeit durch hohe Flexibilität“); Lindemann, Haftung, S.  142 („den besonderen Um­ ständen des Einzelfalls Rechnung […] tragen“). 284  Siehe oben §  9 C. I. 2. c) mit dem Hinweis, dass Thole, AcP 209 (2009), 498, 533, selbst an­ merkt, sein Konzept sehe sich dem Einwand fehlender Praktikabilität ausgesetzt. 285  Vergleiche §  7 C. I. 3. a) bb); siehe zudem speziell zur Unzumutbarkeitsausnahme §  7 C. II. (u. a. mit Kritik am qualitativ ansetzenden Maßstab von Abeling, Kenntnis, S.  55, 88–91). 286  Zur Präzisierung des Begriffs sogleich noch ausführlich C. 287 Zu den verschiedenen Ansätzen vergleiche die Nachweise bei Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 936 m.N.; J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  45a.

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Forderungen wie derjenigen, es müsse die am besten vertretbare Ansicht ermittelt werden.288 Die damit einhergehenden Gefahren einer uneinheitlichen Handhabung sind evident.289 Wo möglich, sollte ihnen ausgewichen werden. Ein rein „normativ-­ qualitativer Prognosemaßstab“, wie er im Schrifttum mitunter für die Schuldner­ haftung formuliert wird,290 ist mit ähnlichen Problemen behaftet, sofern er zwischen „vertretbaren“ und „gerade noch so vertretbar[en]“ Argumenten differenzieren möchte.291 Auch zur Frage des Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen verdienen entsprechende Warnungen Gehör. So wird angeführt, Theorien zur Ver­ trauensabwägung, die eine zuverlässige Prognose des Resultats nicht erlaubten, würden selbst ein wünschenswertes Vorgehen gegen eine bestimmte Rechtspre­ chungslinie unattraktiv machen.292 Diese Gefahr ist real. Eine Konsolidierung des einfachrechtlichen Vertrauensschutzes mit der Behandlung des Rechtszweifels in den einzelnen Quadranten beugt ihr vor.

III. Überlagerung durch rechtskräftige Entscheidung Der Maßstab praktischer Gewissheit, der in sämtlichen Quadranten zur Anwen­ dung kommt, wird nur dann verdrängt, wenn zwischen den Parteien bereits rechts­ kräftig über den Anspruch entschieden worden ist. Dass es in solchen Fällen über­ haupt zu einem „Rechtsirrtum“ kommen kann, liegt, wie erläutert, an den Mög­ lichkeiten, die Rechtskraft zu durchbrechen.293 So kann etwa infolge einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder einer Verfassungsbeschwerde die neu­ erliche gerichtliche Bewertung der bereits rechtskräftig bejahten bzw. verneinten Anspruchsberechtigung eröffnet werden. Will man die Rechtskraft als Institut nicht nachhaltig entwerten, muss man allerdings während ihres Bestehens die Rechtslage als geklärt betrachten. Selbst wenn nicht praktisch gewiss erscheint, dass es bei der rechtskräftigen Entscheidung bleiben wird, kann es den Parteien nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie ihr Verhalten an dem rechtskräftigen Be­ fund über das Bestehen des Anspruchs ausrichten. Das droht verkannt zu werden, wenn es zur Verschuldenshaftung im Allgemei­ nen heißt, eine Rechtsunsicherheit werde „nicht einmal zwingend durch höchst­ richterlichen Entscheid im betroffenen Rechtsstreit selbst“ ausgeräumt, sofern sich

288 So

Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22. Kritisch zur Anknüpfung an den missverständlichen Begriff der Vertretbarkeit bei J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  45. J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 429–431, gelingt es, die divergent erscheinenden Maßstäbe einigermaßen zu konsolidieren. Dazu bedarf es dann allerdings doch des Abstellens auf die realistischen Erfolgsaussichten unter Einbeziehung der existierenden Judika­ tur, siehe dazu auch noch unten C. II. 3. (vor a)). 290  Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 934–935. 291  So vorgehend indes Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 936; kritisch wiederum J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  45a: „bedenkliche[] Ausdehnung“. 292  Bydlinski, JBl 2001, 2, 12. 293  Dazu bereits §  8 A. 289 

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eine verfassungsgerichtliche Überprüfung anschließe.294 In dem dort in Bezug ge­ nommenen Urteil des BGH 295 ging es, soweit ersichtlich, lediglich um ein Verhal­ ten, das der Schädiger vor Eintritt der Rechtskraft an den Tag gelegt hatte. Insoweit entlastet die spätere Rechtskraft den Schädiger tatsächlich nicht.296 Verweigert in­ des ein Schuldner, dessen Verbindlichkeit zunächst rechtskräftig verneint wurde, in der Folgezeit bis zur Rechtskraftdurchbrechung die Leistung, kann daraus keine Schadensersatzpflicht erwachsen.297 Dieses Ergebnis entspricht der Behandlung des Putativgläubigers im umgekehr­ ten Fall: Diesen trifft nicht einmal die verschuldensunabhängige Haftung aus §  717 Abs.  2 ZPO, wenn er nach rechtskräftiger Bestätigung seines Anspruchs voll­ streckt, bevor das Urteil im Zuge einer Verfassungsbeschwerde aufgehoben wird.298 Selbst der Umstand, dass es gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Beseitigung der Rechtskraft kommt, ändert nichts. Das BVerfG geht selbst da­ von aus, dass während eines laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens rechts­ kräftige Entscheidungen vorerst zu befolgen sind.299 Die Vorschrift des §  79 Abs.  2 BVerfGG belegt, dass selbst bei verfassungsrechtlichen Einwänden die infolge rechtskräftiger Entscheidung erfolgte Güterzuteilung unangetastet bleibt.300 Auch im Verjährungskontext finden die vorstehend besprochenen Konstellationen ein Pendant. Betroffen ist der Fall, dass ein Anspruch rechtskräftig, aber zu Unrecht abgewiesen wurde, die Rechtskraft anschließend durchbrochen wird und der Schuld­ ner nunmehr die Einrede der Verjährung erhebt. Auch hier darf es dem Betroffenen (Gläubiger) nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sein Verhalten zunächst an der rechtskräftigen Abweisung ausrichtet und resigniert. Die Verjährung muss ab Ein­ tritt der Rechtskraft nach §  206 BGB gehemmt sein, weil für den Gläubiger bis zur Durchbrechung schlicht keine Möglichkeit besteht, den Anspruch erneut geltend zu machen.301 Dass das BAG in einer schon angesprochenen Entscheidung302 eine Hem­ mung verneint hat, lag an der besonderen Ausgangskonstellation: Im zugrunde lie­ genden Verfahren war nicht der (Lohn-)Anspruch, sondern ein vorgreifliches Rechtsverhältnis (Arbeitsverhältnis) infolge einer abgewiesenen Kündigungsschutz­ klage rechtskräftig verneint worden. Deshalb sah sich das BAG imstande, den Ar­ 294 So

Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74. BGH, Urt. v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, NJW 1982, 635, 636–637. 296  Vielmehr ergibt sich nur die Frage, wie plausibel ein Verschuldensvorwurf unter solchen Umständen ist, siehe näher §  11 C. III. 3. b). 297  Siehe §  11 C. II. 6. a). 298  Siehe §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (b) und die dort zitierte Entscheidung BGH, Urt. v. 7.7.2016  – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.  53. 299  BVerfG, Beschl. v. 18.1.1996 – 1 BvR 2116/94, BVerfGE 93, 381 = NJW 1996, 1736. 300  Zu der Wirkungsweise der Norm siehe §  14 C. II. 2. a): Lediglich die weitere Vollstreckung kann verhindert werden, §  79 Abs.  2 S.  2, 3 BVerfGG. 301  Siehe §  7 B. IV. und dort auch LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.1998 – 9 (13) Sa 1726/97, MDR 1998, 784, 785. Vergleiche zudem M. Vollkommer/G. Vollkommer, in: FS Kerameus, S.  1555, 1569 (zwar ohne dogmatische Verortung, doch lässt die Aussage, „[e]ine zunächst vorliegende Kennt­ nis vom [A]nspruch fiel damit später wieder weg“, nur die Einordnung als Hemmung zu). 302  BAG, Urt. v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01, BAGE 103, 290 = NJW 2003, 2849, 2850–2851. 295 

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7. Teil: Synthese

beitnehmer darauf zu verweisen, er hätte eine Lohnklage erheben können. Diese wäre zwar aufgrund der rechtskräftigen Kündigung ohne objektive Erfolgsaussicht gewesen, doch belege die Erhebung der Verfassungsbeschwerde, dass der Arbeitneh­ mer subjektiv durchaus mit einem späteren Erfolg der Lohn­k lage gerechnet habe.303

C. Präzisierung des Gewissheitsmaßstabs Damit der soeben beschriebene Gewissheitsmaßstab die erwünschte Entlastungs­ wirkung für die Rechtsanwendung entfalten kann, ist es unerlässlich, ihn möglichst präzise zu fassen. Dabei ist zunächst zu klären, auf welche Quellen bei der Ausfor­ mulierung zurückgegriffen werden kann (I.). Sodann ist zu zeigen, dass praktische Gewissheit dadurch vermittelt wird, dass einschlägige, fortwährend maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu der jeweiligen Rechtsfrage vorliegt (dazu II.) oder andere Rechtsauffassungen mangels Vertretbarkeit ausscheiden (dazu III.).

I. Quellen des einheitlichen Maßstabs Die Konkretisierung speist sich angesichts des übergreifenden, verklammernden Charakters des Maßstabs aus verschiedenen Quellen. Die Vorbildfunktion, die den hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO zukommt, wurde oben bereits herausgestellt.304 Gelegentlich formuliert der BGH, Prozess­ kostenhilfe sei jedenfalls dort zu gewähren, wo es um die Klärung einer Rechtsfra­ ge geht, hinsichtlich derer die Revision zuzulassen wäre.305 Angesichts dessen kann zur Präzisierung des Maßstabs auch Rechtsprechung und Literatur zu §  543 Abs.  2 S.  1 ZPO einbezogen werden. Die Anforderungen des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO taugen nach hier vertretener Auffassung überdies zur Konkretisierung des einfachrechtli­ chen Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen.306 Daneben verspricht jedoch auch die allgemeine Rechtsprechung und Literatur zum Vertrauensschutz­ problem wertvolle Erkenntnisse dazu, welche Momente den Rechtsunterworfenen hinreichend sichere Orientierung bieten. Rückschlüsse für den Maßstab der rechtlichen Gewissheit erlaubt ferner das An­ waltshaftungsrecht.307 Der Zusammenhang ist zum Teil gar zwingend, denn bei der „objektiven“ Feststellung einer (vermeintlich) sicheren Rechtslage geht es um nichts anderes als die Sicht eines fachkundigen, fehlerfrei arbeitenden Rechtsexperten.308 303 

Zum Ganzen §  7 C. III. 1. Soeben B. I. 305  Siehe oben §  7 C. II. 2. b) (vor aa)), insb. unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 21.11.2002 – V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127; BGH, Beschl. v. 17.3.2004 – XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022. 306  Siehe B. I. 307 Im verjährungsrechtlichen Zusammenhang darauf rekurrierend z. B. Abeling, Kenntnis, S.   77–78, 86–88, 96–98; im Zusammenhang mit der unberechtigten Rechtsverfolgung etwa Decken­brock, NJW 2009, 1247, 1248. 308  Das zeigt sich am deutlichsten bei der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeitsprüfung, die aus der Perspektive eines Rechtskundigen erfolgt, siehe oben §  7 B. II. 1. b) m.N. in Fn.  46. 304 

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Die Frage, welche Kenntnisse von einem solchen zu erwarten sind, wirkt sich dem­ nach bereits auf Ebene des Erkenntnisgrades aus. Insbesondere erlangt die Recht­ sprechung zur Beraterhaftung Relevanz hinsichtlich der Frage, in welchem Ausmaß der maßgebliche „Rechtskundige“ Judikatur- und Literaturkenntnisse aufzuweisen hat.309 Ansonsten ist jedoch Vorsicht vor der unbesehenen Übertragung anwaltshaf­ tungsrechtlicher Maßstäbe geboten. Insbesondere ist die dort zu stellende Frage nach dem sichersten Weg zur Verwirklichung des Mandantenziels310 nicht identisch mit der hier zu klärenden Frage, ob die rechtliche Bewertung ex ante praktisch ge­ wiss erschien. So kann etwa ein Anspruch auch dann verjähren, wenn ein sorgfälti­ ger Rechtsberater angesichts objektiv ungewisser Erfolgsaussichten dem Mandanten pflichtgemäß zum Abwarten geraten hätte.311 Andererseits haftet ein Anspruchstel­ ler, der sich bei bestehender Rechtsungewissheit gegen den sichersten Weg ent­ schließt, nicht automatisch für die schlussendlich unberechtigte Anspruchsgeltend­ machung.312 Der Klärungsanreiz bei rechtlicher Unsicherheit 313 wirkt gerade, indem das Verjährungsrisiko und die Haftungsfreiheit als zusätzliche Faktoren in die Pro­ zessrisikoanalyse eingestellt werden müssen und eine Geltendmachung attraktiver wird. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Anreiz mitunter wirkungslos bleibt, da angesichts der Umstände des Einzelfalls – etwa weil der Auftraggeber ein Vorgehen nur bei überwiegenden Erfolgschancen wünscht314 – ein Abwarten dem Mandan­ tenbegehren eher gerecht wird. Der BGH bestätigt diese Unterscheidung, wenn es heißt, die verjährungsrechtliche Sichtweise sei „für das anwaltliche Haftungsrecht nicht unmittelbar einschlägig“.315 Das stimmt, denn im Verjährungsrecht geht es um praktische Gewissheit des Misserfolgs, bei der Wahl des sichersten Wegs dagegen meistens um eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das ändert nichts daran, dass hinsichtlich der Quellen, aus denen die jeweilige Prognose zu schöpfen ist, auf die Vorgaben des Anwaltshaftungsrechts zurückzugreifen ist.

II. Vorliegen einschlägiger, maßgeblicher höchstrichterlicher Rechtsprechung Praktische Gewissheit hinsichtlich der Rechtslage kann grundsätzlich nur ein­ schlägige höchstrichterliche Rechtsprechung vermitteln. Dies gilt, solange nicht bereits erhebliche Zweifel an deren Fortbestand angebracht sind. 309  Insoweit zustimmungswürdig Abeling, Kenntnis, S.  96–98. Es kommt hier auch nicht etwa zu einem Zirkelschluss, weil ein gewissenhafter Anwalt wiederum alle Kenntnisse vorzuhalten hätte, die für eine Verjährungshinderung erforderlich sind. Ausgangspunkt ist vielmehr die gleichsam autonome Frage, was einem Anwalt abverlangt werden kann. 310  Siehe dazu oben §  3 A. III. 2. a). 311  Siehe etwa Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  133, dazu, dass der sichere Weg auch das Abwarten einer Klärung sein kann. 312  Nicht unproblematisch ist daher der Verweis von Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248, auf die Beraterhaftungsrechtsprechung im Kontext der Haftung für unberechtigte Rechtsverfolgung. 313  Dazu oben A. II. 1. a). 314  So z. B. bei OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.6.2015 – I-6 U 200/14, NJOZ 2016, 337, 338 Rn.  2 2. 315  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324.

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7. Teil: Synthese

1. Abstellen auf höchstrichterliche Rechtsprechung Der Gewissheit begründende Charakter von Rechtsprechung hängt demnach von deren Urheber ab. a) Normative Sonderstellung Die Rechtsordnung erkennt eine Sonderstellung der höchstrichterlichen Recht­ sprechung an. Den von ihr geäußerten Rechtsansichten kommt daher eine heraus­ gehobene Bedeutung zu. Auf die wesentlichen Gesichtspunkte wurde oben schon hingewiesen:316 Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist gegen Abweichungen der nachgeordneten Gerichte nicht nur durch eine faktische Bindungswirkung, sondern auch durch die Verpflichtung zur Zulassung von Rechtsmitteln bei Diver­ genzen abgesichert. Zugleich sorgt das Rechtsmittelrecht dafür, dass Meinungsun­ terschiede zwischen den Instanzgerichten einer höchstrichterlichen Klärung zuge­ führt werden können. Die Großen Senate bzw. der Gemeinsame Senat (§  132 Abs.  2 GVG, §  2 Abs.  1 RsprEinhG) gewährleisten, dass die Höchstgerichte intern wie untereinander mit einer Stimme sprechen. Im vierten Untersuchungsquadranten haben sich weitere Stellen gezeigt, an de­ nen der Gesetzgeber höchstrichterlicher Judikatur eine Sonderrolle zuweist. So lässt §  10 UKlaG eine Vollstreckungsabwehrklage wegen nachträglicher Entwick­ lungen der Rechtsprechung nur dann zu, wenn es sich um eine Entscheidung des BGH oder des Gemeinsamen Senats handelt.317 Die Vorschrift „unterstreicht da­ mit die Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die mit ihren Leitsatz­ entscheidungen zwar keine Rechtsnormen, wohl aber Rechtsverhaltensnormen setzt“.318 Auch versteht der Reformgesetzgeber der §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO, §§  48 Abs.  1 S.  1, 238 Abs.  1 S.  2 FamFG unter einer Änderung der rechtlichen Verhältnis­ se, die zur Modifikation bestehender Urteile führen kann, höchstrichterliche Rechtsprechungsänderungen.319 Der BGH hat im gleichen Kontext klargestellt, dass dem ein Wandel der instanzgerichtlichen Beurteilung nicht gleichstehe.320 b) Verhinderung von Fehlanreizen und Rückschaufehlern Stellt man die Anreizwirkungen 321 in die Überlegungen ein, erscheint es konse­ quent, die Annahme von rechtlicher Gewissheit auf höchstrichterlich entschiedene Fallgestaltungen zu beschränken. In allen übrigen Konstellationen besteht schließ­ lich Raum, die Rechtssicherheit durch gerichtliche Stellungnahme weiter zu för­ 316 

Zum Folgenden siehe bereits §  3 A. II. 3. Dazu oben §  14 B. II., C. II. 2. b). 318  Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  8 . 319  Begr. RegE FGG-RG, BT-Drs. 16/6308, 198, 257, 325; siehe bereits §  14 C. II. 2. b). 320  BGH, Urt. v. 5.9.2001 – XII ZR 108/00, BGHZ 148, 368 = NJW 2001, 3618, 3619; BGH, Urt. v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874, 1876 Rn.  22; so auch zu §  850g S.  1 ZPO BGH, Beschl. v. 5.11.2004 – IXa ZB 57/04, BGHZ 161, 73 = NJW-RR 2005, 222, 223. 321  Siehe wiederum oben A. II. 1. 317 

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dern. Hier wäre es misslich, wenn der Betroffene durch die Annahme von prakti­ scher Gewissheit von einem Klärungsversuch abgehalten würde. Die Beschränkung auf höchstrichterliche Entscheidungen bringt zudem erhebli­ che Vorteile in puncto Rechtssicherheit mit sich. Wenn zu prüfen ist, ob die Rechts­ lage praktisch gewiss war, ergibt sich ein klares Abgrenzungskriterium.322 Hiermit lässt sich insbesondere die Gefahr von Rückschaufehlern (hindsight bias) bei der nachträglichen Feststellung vermeintlicher Gewissheit eindämmen. Nachgewiesen worden ist bislang insbesondere die Tendenz, dass die vor einem Schadensereignis (ex ante) bestehende Eintrittswahrscheinlichkeit bei rückblickender Betrachtung überschätzt wird, wenn bekannt ist, dass tatsächlich ein Schaden eingetreten ist.323 Übertragen auf die hier interessierenden Fälle besteht beispielsweise das Risiko, dass ein Richter nach einer erfolgten Stellungnahme des Höchstgerichts das dort favorisierte Ergebnis rückblickend für ex ante „gewiss“ erachtet. Richter sind gegen hindsight bias nicht immun,324 und Rückschaufehler sind insgesamt schwer zu ver­ meiden.325 Umso wichtiger sind vorab – nicht erst ex post – festgelegte Beurtei­ lungskriterien.326 Der Raum für entsprechende Fehler wird in den vorliegend inte­ ressierenden Fällen beschränkt, indem eine rechtliche Gewissheit primär an den einigermaßen verlässlich festzustellenden Stand der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung im maßgeblichen Zeitpunkt geknüpft wird. c) Anerkennung der Sonderstellung Es ist nach alldem folgerichtig, dass der BGH Rechtsberater für verpflichtet hält, ihr Vorgehen an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren, da diese richtungsweisend für die Rechtswirklichkeit sei.327 Bei günstiger höchstrichte­ licher Judikatur soll der Mandant grundsätzlich nicht einmal hinsichtlich verein­ zelter abweichender Sichtweisen zu beraten sein.328 Bei der Prozessrisikoanalyse spielt die Entscheidungspraxis der Höchstgerichte ebenfalls eine hervorgehobene Rolle.329 Zu begrüßen ist es, wenn auch die Annahme einer subsidiären oder „präsumtiven“ Verbindlichkeit von Richterrecht auf höchstrichterliche Entschei­ 322 Vergleiche Eichel, NJW 2019, 393, 395, zur restriktiveren Annahme der Unzumutbarkeit in der neuesten BGH-Rechtsprechung: Darin möge „ein Versuch des BGH liegen, die Figur über die ‚unsichere Rechtslage‘ wieder etwas rechtssicherer zu fassen“. 323 Näher Ahrendt, Entscheidungen, S.  85–86 m. w. N.; Korch, Haftung, S.  42–43, 168, 180–181; Staake, JURA 2018, 661, 674–675; Stöhr, in: Unsicherheiten, S.  295, 303–304. 324  Nicht zuletzt die Kodifizierung der Business Judgment Rule in §  93 Abs.  1 S.  2 AktG ist Ausdruck dessen, siehe nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  60 m.w.N; für w.N. zur Empirie siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  106–107; ferner Ahrendt, Entscheidungen, S.  82–84, 88–89 m. w. N. 325  Korch, Haftung, S.  181–183 m. w. N. 326  Korch, Haftung, S.  185–186. 327  Siehe oben §  3 A. III. 2. a) m.N. in Fn.  194. 328  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324–3325; BGH, Urt. v. 6.11.­ 2008  – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9, 16; siehe bereits oben §  3 A. III. 2. a). 329 Vergleiche Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  62, 216, 220.

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7. Teil: Synthese

dungen beschränkt wird.330 Es ist nur folgerichtig, dass die dominierende Mei­ nungsströmung Vertrauensschutz ausschließlich bei Änderungen der höchstrich­ terlichen Judikatur gewähren möchte.331 Konsequenterweise zieht die vorherrschen­ d­e Auffassung eine Entlastung des Schuldners, der auf günstige Judikatur vertraut hat, ebenfalls nur im Fall höchstrichterlicher Rechtsprechung in Betracht.332 Deren besondere Orientierungsfunktion wird auch in anderen Zusammenhängen aner­ kannt.333 In vergleichbarer Weise ist daher die verjährungsrechtliche Unzumutbar­ keit auf Fälle entgegenstehender höchstrichterlicher Judikatur zu begrenzen. Aus den Reihen des BGH ist zuletzt eine begrüßenswerte Tendenz in diese Richtung zu vernehmen gewesen.334 Damit korrespondiert es, wenn eine Schadensersatzpflicht für die rechtsirrtümliche Anspruchsgeltendmachung abgelehnt wird, weil höchst­ richterlich ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden waren.335 d) Keine Gleichstellung sonstiger Orientierungspunkte Im Grundsatz nicht zu halten sind somit alle Versuche, neben der höchstrichterli­ chen Rechtsprechung andere Verlautbarungen als Grundlage für eine vermeintliche Rechtsgewissheit heranzuziehen (sofern sie nicht zugleich Ausdruck der einzigen vertretbaren Rechtsansicht sind336).

330  Unmissverständlich z. B. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  257; siehe näher §  3 A. II. 3. m. w. N. 331  BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  15–16; BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62 Rn.  11; Höpfner, RdA 2006, 156, 158; Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  358–359; Langenbucher, Entwicklung, S.  125; Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 363; zweifelnd dagegen z. B. Bydlinski, JBl 2001, 2, 11. Zu einer Ausnahme in der Rechtsprechung siehe BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = NJW 1991, 1830, 1833 (dazu unten d) aa) Fn.  351). 332  Siehe §  11 C. II. 5. b) aa) (vor (1)) unter Verweis v. a. auf BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046, und auch BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23; BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direk­ tionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.); ebenso BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 486/83, FamRZ 1986, 263, 265; BAG, Urt. v. 23.11.1988 – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433, 435; vergleiche abseits der Verzugs­ problematik auch BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905; BGH, Urt. v. 22.11.­ 2007 – III ZR 9/07, BGHZ 174, 255 = NJW 2008, 840, 842 Rn.  17; BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268, 2269 Rn.  19. 333  BGH, Urt. v. 25.4.2019 – I ZR 93/17, GRUR 2019, 754, 757 Rn.  34 – Prämiensparverträge, zur Täuschungsrelevanz i. S. v. §  5 Abs.  1 UWG bei Äußerung einer Rechtsauffassung („nicht be­ hauptet, dass diese Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspreche“). BVerfG, Beschl. v. 28.2.1989 – 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147, 1147, zur Verschuldens­ grenze bei der Wiedereinsetzungsprüfung (siehe §  8 B.). 334  BGH, Urt. v. 21.2.2018 – IV ZR 304/16, WM 2018, 512, 514 Rn.  18; BGH, Urt. v. 21.2.2018  – IV ZR 385/16, NJW 2018, 1469, 1470 Rn.  18, sowie zum „Dieselskandal“ BGH, Urt. v. 17.12.2020  – VI ZR 739/20, juris. 335  BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1936; dagegen kann ein Vorgehen im Widerspruch zur etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Haf­ tung nach sich ziehen, siehe LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390. 336  Dazu unten III.

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aa) Herrschende Instanzrechtsprechung, Behördenpraxis bzw. Literatur Das gilt namentlich für das Abstellen auf instanzgerichtliche Entscheidungen. So geht es nicht an, einen Putativgläubiger, der in vertretbarer Weise einen nur von der obergerichtlichen Rechtsprechung verneinten Anspruch geltend macht, auf Scha­ densersatz haften zu lassen.337 Ebenso wenig ist, wo der schädliche Erkenntnisgrad schon bei Ungewissheit erreicht ist, eine Entlastung geboten, wenn sich der Betrof­ fene im Einklang mit der bisherigen Instanzrechtsprechung verhält.338 Auch In­ stanzentscheidungen, die im Verfahren unter Beteiligung des Betroffenen ergangen sind, kommt keine Gewissheit stiftende Wirkung zu.339 Sie sind allenfalls im Rah­ men der Vorwerfbarkeitsprüfung zu berücksichtigen.340 Beispielsweise begründet der Umstand, dass ein Instanzgericht dem Gläubiger gegenüber das Bestehen eines Anspruchs verneint hat, keine verjährungsrechtliche Unzumutbarkeit.341 Prakti­ sche Gewissheit wird erst recht nicht durch obergerichtliche Judikatur vermittelt, die den Entscheidungen anderer Obergerichte bzw. des Höchstgerichts wider­ spricht. Diese Selbstverständlichkeit ist zu betonen, weil gerade im Zusammenhang mit §  814 BGB manches Gericht anders verfährt.342 Die Ausführungen zur Instanzrechtsprechung gelten in vergleichbarer Weise für eine publizierte Behördenpraxis. Beispielsweise scheitert eine Verzugshaftung nicht daran, dass die veröffentlichte Auslegungshilfe eines sachnahen Ministeriums die Rechtsposition des Schuldners stützte.343 Die Praxis richtet sich verständlicher­ weise an der Handhabung durch die Verwaltung aus, so zum Beispiel Arbeitgeber an der Auffassung der Arbeitsagentur.344 Doch ist stets zu beachten, dass die ver­ bindliche Feststellung der Rechtslage in letzter Instanz nicht den Behörden, son­ dern den Gerichten zugewiesen ist.345 Nichts anderes kann deshalb für Rundschrei­ ben der Finanzverwaltung gelten. Insbesondere begründet eine dort geäußerte, für 337  So dem Entscheidungswortlaut nach aber KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688 (es dürfte aber die höchstrichterliche Rechtsprechung gemeint gewesen sein). 338  Unter solchen Umständen eine Gerichtskostenverschonung nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG of­ fenbar erwägend Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  91 Rn.  11b. 339  Vergleiche v. a. §  9 C. IV. 6. d), §  11 C. III. 3. b), allgemein auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74; konsequent beispielsweise auch (obgleich den hier abgelehnten milden Maßstab im Rahmen der Schuldnerhaftung anlegend) Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  169. 340  Siehe unten §  16 D. III. 2. d) bb). 341  Siehe §  7 C. II. 2. c) bb). 342  Siehe oben §  13 C. II. 2. a): OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.5.2015 – 17 U 59/14, WM 2015, 1712, 1714; LG Düsseldorf, Urt. v. 10.7.2015 – 10 O 277/14, BeckRS 2016, 3636; zu Recht energisch da­ gegen OLG Zweibrücken, Urt. v. 23.11.2016 – 7 U 77/15, BeckRS 2016, 119010 Rn.  86; richtig auch BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133, 1135 Rn.  110. 343  OLG Naumburg, Urt. v. 29.1.2016 – 7 U 52/15, Rn.  84, juris. 344  Darauf stützt BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = NJW 2006, 3161, 3165 Rn.  38, wesentlich die Gewährung von Vertrauensschutz bei einer unterlassenen Massenent­ lassungsanzeige; dieses Ergebnis dürfte aber nur deshalb nicht zu beanstanden sein, weil auch die damalige höchstrichterliche Rechtsprechung die gleiche Ansicht vertreten hatte. 345  So auch zum Vertrauensschutz BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 25.4.2015  – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867, 1868 Rn.  18; Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 355.

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potenzielle Gläubiger negative Rechtsansicht keine verjährungsrechtliche Unzu­ mutbarkeit.346 Die Eigenschaft als Vertrauensgrundlage ist zwar gegen eine abwei­ chende höchstrichterliche Beurteilung durch §  176 Abs.  2 AO besonders abgesi­ chert. Doch betrifft diese Norm das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Auf das Privatrecht lässt sich der Gedanke grundsätzlich nicht übertragen.347 Wenn mit ei­ ner Behördenauffassung ein Sanktionsrisiko für den Fall abweichenden Verhaltens einhergeht, kann dies gegebenenfalls durch eine Abmilderung des schädlichen Er­ kenntnisgrades berücksichtigt werden. So kommt es zu Modifikationen der stren­ gen Linie zur Schuldnerhaftung, wenn sich der Schuldner durch die Leistung der Gefahr einer Bestrafung aussetzen würde.348 Dann ist zwar immer noch nicht von Gewissheit auszugehen, doch hat die bestehende Ungewissheit eine Haftungsfrei­ heit zur Folge. Ebenfalls nicht als Gewissheitsbasis taugt eine noch so herrschende Literaturbzw. Praxisauffassung (sofern auch andere Auffassungen vertretbar sind).349 Auch die verfassungsrechtlich geprägte Vertrauensschutzdiskussion sieht eine erstmalige gerichtliche Äußerung zu einem in der Literatur anders beurteilten Gesichtspunkt überwiegend nicht als problematisch an.350 Dass der BGH in einem Einzelfall ein abweichendes Verständnis offenbart hat, dürfte sich durch den besonders gelager­ ten Sachverhalt erklären lassen.351 Zu Recht ist eine verjährungshindernde Unzu­ mutbarkeit abgelehnt worden, wenn die Geltendmachung des Anspruchs unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Erfolg versprach, die bisherige Praxis diese Rechtsauffassung allerdings nicht beachtet hatte.352 Dadurch, dass eine herrschende Meinung nicht für Gewissheit begründend gehalten wird, wird zugleich verhindert, dass der Meinungsstand in Instanzrechtsprechung bzw. Lite­

346  In diese Richtung aber FG Niedersachsen, Urt. v. 29.10.2015 – 5 K 80/15, MwStR 2016, 172, 177 Rn.  71. Relevant dürfte allenfalls die zur Behördenansicht parallel laufende BFH-Rechtspre­ chung sein. 347  Vergleiche zur Unanwendbarkeit des Ingerenzgedankens §  5 C. III. 2. 348  Siehe §  11 C. II. 6. d) dd) (2), (3). 349  Das ist nicht gleichbedeutend damit, dass die Berufung auf eine herrschende Meinung den Irrenden nie entlasten könnte. Wo der schädliche Erkenntnisgrad nicht schon bei Zweifeln er­ reicht ist, ist dies selbstredend denkbar. So erklärt sich, dass Geschäftsleitern in Abwesenheit klarer höchstrichterlicher Leitlinien die entlastende Orientierung an der herrschenden Litera­ turansicht zugestanden wird, etwa von J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 429, 431–432; zum ein­ schlägigen Erkenntnisgrad: §  11 C. II. 6. d) dd) (3). 350  Siehe schon soeben c) m.N. in Fn.  331; eine h. M. als Vertrauensbasis in Erwägung ziehend aber offenbar Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 205 Fn.  3; ablehnend betreffend eine vorherrschen­ de Geschäftspraxis hingegen Knops/Brocker, WM 2010, 1101, 1105. 351  Siehe die Erwägung bei BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = NJW 1991, 1830, 1833, dass die Aufrechterhaltung des nach neuer Rechtsprechung unwirksamen Vertrags voraussetze, dass „es das Aufsichtsratsmitglied wirtschaftlich ungleich schwerer als die Aktien­ gesellschaft treffen würde, wenn diese sich auf die Unwirksamkeit des Beratungsvertrages beru­ fen könnte“. 352 So LG Braunschweig, Urt. v. 23.5.2018 – 9 O 2167/17 (307), GRUR-RR 2018, 371, 371 Rn.  25  – Umsatzsteuer auf Abmahnkosten.

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ratur ausgezählt werden muss.353 Das wäre nicht nur mühsam, sondern eröffnete Beurteilungsspielräume, die der Rechtssicherheit abträglich wären.354 Erst recht keine Gewissheit besteht, sofern es an einer Problematisierung der betroffenen Rechtsfrage in der Praxis vollständig fehlt. Das gilt jedenfalls, sofern nicht höchstrichterlichen Äußerungen in anderen Zusammenhängen durch das Schweigen zu dieser Frage eine konkludente Aussage zu entnehmen ist.355 Der Umstand, dass bis zu einer Entscheidung des BGH zur Nichtigkeit von Verträgen wegen eines Verstoßes gegen das RBerG keine anderen Stellungnahmen „eindeutig für die Erlaubnispflicht gesprochen“ hatten,356 konnte demnach grundsätzlich kei­ ne hinreichende Gewissheit vermitteln. Ein Verjährungsaufschub war – entgegen der Ansicht des BGH – nicht geboten.357 Dass der BGH im gleichen Zusammen­ hang die Haftung des beurkundenden Notars abgelehnt hat,358 gerät nicht in Kon­ flikt zu der hier vertretenen Ansicht. Dort wurde der amtshaftungsrechtliche Maß­ stab angelegt, wonach der Amtsträger entlastet sein soll, wenn seine „nach sorgfäl­ tiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht für rechtlich vertretbar gehalten werden kann“.359 Nach diesem Maßstab können, anders als bei der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeitsprüfung, schon Zweifel entlasten. Vergleichbares gilt für die Aus­ sage des BGH, wonach die Unkenntnis der auf dem RBerG-Verstoß beruhenden Nichtigkeit einer Vollmacht keine Fahrlässigkeit im Sinne von §  173 BGB begrün­ de, weil man „nicht nach bis dahin in Rechtsprechung und Literatur unentdeckten rechtlichen Problemen suchen“ müsse.360 Auch dies erklärt sich durch die abwei­ chende Ausgestaltung des Erkenntnisgrades: Bei §  173 BGB schadet nicht schon die einfache Rechtsungewissheit.361 Die hier vertretene Ansicht, dass eine Gewissheit stiftende Wirkung einer herr­ schenden Meinung bzw. Praxis abzulehnen ist, zeitigt im Rahmen der irrtümlichen Anspruchsverteidigung die größten Auswirkungen. Das Grundsatzurteil des 353  So auch Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 937, 939; vergleiche zu den Problemen bei der Feststellung einer „allgemein geteilten Rechtsüberzeugung“ plakativ R. Zimmermann, ZEuP 1999, 716, 726 („wessen? der an derartigen Geschäften beteiligten Verkehrskreise? der mit ein­ schlägigen Fragen befaßten Kautelarjurisprudenz?“). 354  Entsprechende Schwierigkeiten gesteht auch J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 431 (im Kon­ text der Geschäftsleiterhaftung), ein; exemplarischer Streit um das Bestehen einer „h. M.“ bei Knops/Brocker, WM 2010, 1101, 1105. 355  Das wird nicht selten der Fall sein, vergleiche Kähler, Strukturen, S.  37. Zum Ausreichen eines eindeutigen Gegenschlusses unten 2. a). 356  So formuliert BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 73 (wo a. a. O., 70–72, erstmals eine solche Erlaubnispflicht bejaht wurde) (Herv. d. Verf.). 357  Siehe oben §  7 C. II. 2. c) bb): zutreffend Abeling, Kenntnis, S.  8 0–84, gegen BGH, Urt. v. 23.9.­2008 – XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547, 548 Rn.  19, und Abeling, a. a. O., S.  96, gegen OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.7.2006 – 17 U 320/05, BKR 2007, 419, 422; überzeugend hingegen OLG Saar­ brücken, Urt. v. 24.4.2007 – 4 U 410/06, BeckRS 2007, 10186 (unter B. III. 1. bb.). 358  BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 72–73. 359  BGH, Urt. v. 28.9.2000 – IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265 = NJW 2001, 70, 72. 360  BGH, Urt. v. 9.11.2004 – XI ZR 315/03, NJW 2005, 668, 669–670; BGH, Urt. v. 11.1.2005  – XI ZR 272/03, NJW 2005, 1190, 1191–1192. 361  Auf Evidenz von Zweifeln abstellend etwa Schilken, in: Staudinger, §  173 Rn.  2 m. w. N.

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BGH zum Rechtsirrtum in der Verschuldenshaftung hat eine Befreiung des Schuld­ ners, der im Einklang mit der herrschenden Meinung handelte, vordergründig für möglich gehalten.362 Der mitgeteilte Sachverhalt könnte sich indes auch so verste­ hen lassen, dass eine dem Schuldner günstige höchstrichterliche Klärung erfolgt war und sich danach keine neue, substanzielle Kritik ergeben hatte. Allerdings zieht auch die jüngere BGH-Judikatur eine Entlastung bei Bestehen einer günsti­ gen herrschenden Meinung in Erwägung.363 Auf Ebene der Instanzgerichte ist an­ genommen worden, das Verhalten im Einklang mit einer „wohl herrschenden“ Auffassung der Kommentarliteratur ziehe keine Haftung nach sich.364 Teile der Literatur stellen ebenfalls auf eine günstige herrschende Meinung ab.365 Klar in die Gegenrichtung deutet die ebenfalls vom BGH geäußerte Ansicht, obergerichtliche Entscheidungen genügten nicht, „um dem Schuldner die Gewißheit zu geben, […] er müsse nicht mit einer abweichenden Entscheidung anderer Gerichte oder des BGH rechnen“.366 Auf Grundlage der strengen Linie zur Schuldnerhaftung muss der letztgenannten Sichtweise zugestimmt werden. Zuzugeben ist, dass sich die Praxis in Abwesenheit höchstrichterlicher Entscheidungen regelmäßig an der herrschenden Meinung (bzw. derjenigen Auffassung, die im herangezogenen Werk als solche bezeichnet wird) orientieren wird.367 Die vorherrschende Praxis ist aber eben nicht mit den gleichen normativen Weihen versehen wie eine höchstrichterliche Rechtsprechung.368 Zudem zeigen sich auch hier die angesprochenen Abgrenzungsschwierigkeiten: Welche Quote an Befürwortern verdient die Bezeichnung als „herrschend“? Die Bestim­ mung wird kaum leichter, wenn man die Existenz einer „vollkommen gefestigten herrschenden Meinung“ fordert.369 Die Rechtssicherheit bleibt endgültig auf der Strecke, wenn man auf eine „gerechtfertigte herrschende Meinung“370 abstellt. Da­ für bedürfte es eines qualitativen Urteils. Im Rahmen der Verzugshaftung wird dem Schuldner die Orientierung an einer herrschenden Meinung vereinzelt mit dem Argument gestattet, das Fehlen ein­ schlägiger höchstrichterlicher Judikatur könne auf Zufall oder darauf beruhen, dass Revisionen wegen Fehlens der grundsätzlichen Bedeutung nicht zugelassen worden seien.371 Diesem Argument käme allenfalls dann Gewicht zu, wenn das 362 

BGH, Urt. v. 9.2.1951 – I ZR 35/50, NJW 1951, 398, 399. So weist BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  26, darauf hin, es habe auch keine ganz h. M. zugunsten des Schuldners bestanden (damit offenlassend, ob diese h. M. entlastet hätte). 364  OLG Köln, Urt. v. 24.4.1985 – 17 U 32/84, WM 1985, 1369, 1370. 365  Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  120; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  60; auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  166. 366  BGH, Urt. v. 18.4.1974 – KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905. 367 So U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  722. 368  Dazu soeben a). 369 So Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  166; dagegen beiläufig J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  146 Fn.  65: „vollkommen gefestigte h. M. (wann gibt es die einmal?)“. 370 So Seichter, in: jurisPK-BGB, §  286 Rn.  53 (Herv. d. Verf.). 371  Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  166. 363 

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Bestehen einer solchen herrschenden Auffassung eine Zulassung der Revision aus­ schlösse. Allerdings ist anerkannt, dass auch Rechtsfragen, die nicht Gegenstand eines Meinungsstreits sind, klärungsbedürftig sein können.372 Der Klärung bedür­ fen nach Ansicht des BGH solche höchstrichterlich unentschiedenen Fragen, „de­ ren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden“.373 Das Fehlen eines Meinungsstreits wird jedoch häufig darauf hindeuten, dass überhaupt nur eine einzige rechtliche Lösung vertretbar ist. Wo dies der Fall ist, besteht in der Tat Gewissheit.374 Dem entspricht das Vorgehen des BGH, wenn dieser eine grundsätzliche Bedeutung ablehnt, dabei aber nicht auf die einhellige Judikatur der Obergerichte abhebt, sondern inhaltlich begründet, war­ um eine abweichende Sicht „de lege lata offensichtlich“ nicht tragfähig sei.375 Auf Grundlage der vorstehenden Ergebnisse zu kritisieren ist eine jüngere Ent­ scheidung des LAG Düsseldorf: Ein Arbeitgeber, der irrtümlich von der Wirksam­ keit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung ausging, soll keine Verzugszinsen auf den Annahmeverzugslohn schulden, wenn sich nach Ausspruch der Kündigung „sämtliche in erster und zweiter Instanz in ca. 100 Kündigungsschutz- und ca. 20 Berufungsverfahren mit der Prüfung der Rechtslage beschäftigte Kammern von ArbG und LAG“ seiner Rechtsauffassung angeschlossen haben und erst das BAG die gegenteilige Position eingenommen hat.376 Selbst wenn die genannten Instan­ zentscheidungen schon zur Zeit der Kündigung vorgelegen und entsprechendes Vertrauen hätten begründen können, wäre der Arbeitgeber in Verzug geraten. Das Risiko einer abweichenden Beurteilung durch das BAG bestand – und hat sich schließlich auch verwirklicht. bb) Klare Gesetzesnorm An die faktische wie normative Verbindlichkeit höchstrichterlicher Entscheidungen reichen auch vermeintlich klare Gesetzesnormen nicht heran. Dennoch wird in ver­ schiedenen Bereichen eine Gleichstellung befürwortet.377 Dieser Gedanke ist, wenn überhaupt, zu präzisieren: Es kann nicht allein um das Vertrauen in den Normwort­ laut gehen; vielmehr muss der Wortlaut zusätzlich deckungsgleich mit der gesetzge­ berischen Regelungsabsicht bzw. „objektiv-teleologischen Kriterien“ sein.378 Solan­ ge eine solche Ausgangslage zur Unvertretbarkeit aller anderen Aus­legungsvarianten führt, lässt sich – aber eben unter Vertretbarkeitsgesichtspunkten 379 – von rechtli­ 372  BGH, Beschl. v. 18.9.2003 – V ZB 9/03, NJW 2003, 3765, 3765; ferner Ball, in: Musielak/ Voit, §  543 Rn.  5a; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  7. 373  BGH, Beschl. v. 9.6.2020 – VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312, 3312 Rn.  10 (Herv. d. Verf.). 374  Dazu unten III. 375  BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047, 1047 Rn.  3 –6 (Zitat: Rn.  5). 376  LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2017 – 3 Sa 864/16, ZIP 2018, 94 (Ls. 2). 377  Allgemein zum Vertrauensschutz Bydlinski, JBl 2001, 2, 17; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 207–208; zur verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit: Herrler, NJW 2009, 1845, 1846; zur Bera­ terhaftung: BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  8. 378  So eingehend Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 209–211. 379  Dazu unten III.

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cher Gewissheit sprechen. Diskutiert werden indes vornehmlich Fälle, in denen das Höchstgericht die vermeintlich klare Gesetzeslage überwunden hat.380 Man kann dem Gericht dann vorhalten, dass es die Entscheidung besser unterlassen hätte. Der Verweis auf eine Unvertretbarkeit führt indes nicht weiter, denn spätestens das Höchstgericht würde die eigene Auffassung als vertretbar verteidigen. Wird dem­ nach der „wortlautferne“ Standpunkt, den das Höchstgericht – in der Regel veran­ lasst durch eine europarechts- bzw. verfassungskonforme Aus­legung – eingenom­ men hat, nicht als unvertretbar eingestuft, lässt sich auch nicht sagen, es sei vor dem erstmaligen Ausspruch praktisch gewiss erschienen, dass sich diese Auffassung nicht durchsetzen werde. Auslegungsvarianten, die europa- oder verfassungsrecht­ lich bedingt sind, sind ebenso „einzukalkulieren“ wie solche, die primär auf Wort­ laut, Genese oder Telos fußen.381 Erst recht gilt dies, wo für die unionsrechts- bzw. verfassungskonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung schon vor der höchstrich­ terlichen Entscheidung zahlreiche Stimmen plädiert haben.382 Auch das BVerfG steht der Gewährung von Vertrauensschutz in derartigen Kon­ stellationen ablehnend gegenüber: Der Rechtsunterworfene dürfe sich nicht auf eine bestimmte wortlautnahe Auslegung verlassen, sondern müsse beispielsweise die „methodische Möglichkeit einer teleologischen, an der Rechtsprechung des EuGH orientierten Reduktion“ akzeptieren.383 Das passt im Übrigen zur Wertung des §  79 Abs.  2 BVerfGG, der das Vertrauen in eine später für verfassungswidrig erklärte Norm nur insoweit schützt, wie ein darauf beruhendes Urteil Rechtskraft erlangt hat. Konsequenterweise wird Prozesskostenhilfe selbst dann gewährt, wenn für den Prozesserfolg eine vermeintlich eindeutige Gesetzeslage überwunden werden muss, sofern ernstliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der be­ troffenen Norm bestehen.384 Ein Verjährungsaufschub ist unter diesen Bedingun­ gen folglich nicht angezeigt.385 Auch kann der Schuldner, der im Einklang mit einer verfassungswidrigen Norm die Leistung verweigert, auf Schadensersatz haften. e) Begriff des Höchstgerichts: Verhältnis zu BVerfG und EuGH In den vorstehenden Ausführungen ist ein Problem angeklungen, das sich beim Abstellen auf die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ergeben kann: Die­ se Gerichte haben nicht zwingend das „letzte Wort“. Auch höchstrichterliche Rechtsprechung kann sich infolge von Entscheidungen des BVerfG bzw. des EuGH 380 Siehe Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 211–213, u. a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 26.11.­ 2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427 (Quelle-Fall). 381 Anders Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 211–214. 382  So lagen die Dinge etwa im von Neuner herangezogenen Quelle-Fall, siehe die Nachweise bei BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427, 430 Rn.  33; ähnliche Ausgangslage bei LAG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2010 – 12 Sa 1311/07, NZA-RR 2010, 240, 242–243. 383 BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15, 2231/15, NJW-RR 2016, 1366, 1371 Rn.  58. 384  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 16.11.1989 – 11 W 66/89, FamRZ 1990, 315, 316; F.  O. ­Fischer, in: Musielak/Voit, §  114 Rn.  20; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  25. 385  Siehe oben §  7 C. II. 2. c) bb) mit Fn.  590 zur Versagung der Hemmung nach §  206 BGB.

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als verfassungs- oder unionsrechtswidrig erweisen und zu revidieren sein. Man könnte angesichts dessen geneigt sein, den Begriff des Gewissheit vermittelnden Höchstgerichts zu modifizieren. So hat das BAG jüngst angemerkt, es selbst sei „bei der Auslegung und Anwendung spezifischen Verfassungsrechts […] nicht die ‚höchste‘ Instanz, so dass insofern auch kein entsprechend geschütztes Vertrauen auf den Fortbestand einer ‚höchstrichterlichen‘ Rechtsprechung entstehen kann“.386 Diese Überlegungen sind legitim.387 Sie sollten jedoch nicht zur Aufgabe des bis­ herigen Begriffsverständnisses führen. Eine solche Modifikation ließe sich schon nicht sinnvoll begrenzen. Zumindest in der Theorie kann jede Entscheidung des BGH (bzw. des BAG usw.) später für verfassungs- oder europarechtswidrig befun­ den werden. Wären BVerfG und EuGH die wahren Höchstgerichte, könnte bis zu ihrer (wohl gar kumulativen) Billigung niemals praktische Rechtsgewissheit entste­ hen. Das stünde in offenem Widerspruch zu der Sonderstellung, die die Rechtsord­ nung den obersten Gerichtshöfen des Bundes zuweist.388 Ergänzend heranziehen lässt sich der Umstand, dass die Rechtskraft einer im ordentlichen Instanzenzug ergangenen Entscheidung nicht etwa suspendiert bleibt, bis eine darauf bezogene Urteilsverfassungsbeschwerde vom BVerfG beschieden ist.389 Für die hier verfolgten Zwecke ist deshalb am tradierten Begriff des Höchstge­ richts festzuhalten. Die Judikatur von BGH, BAG usw. vermittelt generell Rechts­ sicherheit. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Fortbestand der höchstrichter­ lichen Linie im Einzelfall angesichts verfassungs- bzw. europarechtlicher Beden­ ken in Zweifel stehen kann. Ein solcher konkreter Verlust der Maßgeblichkeit ist später näher zu betrachten.390 2. Anforderungen an die Rechtsprechung Mit der grundsätzlichen Feststellung, nur höchstrichterliche Rechtsprechung kön­ ne hinreichende Gewissheit vermitteln, ist noch nicht gesagt, welche weiteren An­ forderungen eine solche Judikatur erfüllen muss. a) Einschlägigkeit Eine weitgehend sichere Einschätzung der Rechtslage erlauben naturgemäß nur solche Entscheidungen, die für den konkreten Sachverhalt einschlägig sind. Unpro­ 386 

BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705. Ähnlich bereits OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.1979 – 15 W 223/79, NJW 1980, 242, 244, zur Frage der Verjährungshemmung wegen Aussichtslosigkeit: „Während […] bei der schlichten Ge­ setzesauslegung die Gerichte in letzter Instanz entscheiden und eine anspruchsfeindliche Recht­ sprechung möglicherweise eine Rechtsverfolgung hindern kann, obliegt die ausstehende und ab­ schließende Klärung der Verfassungswidrigkeit einer Norm allein dem BVerfG“. 388  Dazu oben a) m. w. N. 389  BVerfG, Beschl. v. 18.1.1996 – 1 BvR 2116/94, BVerfGE 93, 381 = NJW 1996, 1736; BGH, Urt. v. 7.7.2016 – III ZR 28/15, BGHZ 211, 88 = NJW 2017, 829, 834 Rn.  53; siehe bereits oben §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (b). 390  Siehe unten 3. f). 387 

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blematisch ist die Feststellung der Einschlägigkeit beispielsweise, wenn die Wirk­ samkeit derselben Standardvertragsklausel entscheidend ist.391 Das kann vorkom­ men, stellt aber nicht den Regelfall dar. Schon im Zusammenhang mit der Verjäh­ rungsproblematik wurde der Hinweis zitiert, höchstrichterliche Entscheidungen könnten eine ganz unterschiedliche „Abstraktionshöhe“ aufweisen.392 Aussagen auf einem zu hohen Abstraktionsniveau erlauben für konkrete Problemfälle viel­ fach keine eindeutigen Schlüsse; anstelle der Deduktion bleibt allenfalls eine „Par­ allelableitung“ aus der vorhandenen Kasuistik zu anderen Fallgruppen.393 Mit dieser Schwierigkeit muss man sich arrangieren. Die Frage der Einschlägig­ keit vorhandener Judikatur gilt es nicht nur in Rechtsordnungen zu bewältigen, in denen die Präjudizienbindung eine bedeutende Rolle spielt,394 sondern auch an vie­ len Stellen im deutschen Recht. Der Revisionszweck der „Sicherung einer einheit­ lichen Rechtsprechung“ (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Var.  2 ZPO) setzt voraus, dass die potenziell divergierenden Entscheidungen tatsächlich „ein und dieselbe Rechtsfra­ ge“ betreffen.395 Nichts anderes gilt für die Feststellung einer beabsichtigten Ab­ weichung, welche die Befassung des Großen Senats erfordert (§  132 Abs.  2 GVG).396 Selbst wenn lediglich eine Änderung der eigenen Senatsrechtsprechung im Raum steht, ist die ratio decidendi der früheren Entscheidung(en) herauszuschälen, um zu ermitteln, ob die ins Auge gefasste Entscheidung eine Aufgabe der früheren Recht­ sprechung darstellte und somit besonderen Voraussetzungen unterläge.397 Auch im Rahmen der Sondervorschrift des §  10 UKlaG kommt es auf die Billigung einer inhaltsgleichen Bestimmung für eine inhaltsgleiche Art von Rechtsgeschäften an.398 Ob eine bestimmte Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden ist, kann nicht zuletzt dafür entscheidend sein, ob hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO bestehen.399 Kurzum: Ob ein Sachverhalt Maß­ stäben unterfällt, die anderswo bereits formuliert wurden, ist gerade „eine typische und alltägliche Frage unserer Profession“.400 391  Deshalb die Einschlägigkeit im Rahmen der Prüfung von §  814 BGB verneinend, wenn ver­ schiedene Klauseln betroffen sind: OLG Rostock, Beschl. v. 17.7.2019 – 4 U 66/19, BeckRS 2019, 23551 Rn.  29; dagegen entfällt eine Schadensersatzpflicht wegen der Verwendung unwirksamer AGB (vergleiche dazu unten §  17 A. I. 1.), wenn die betroffene Klausel kurz vor der Verwendung noch vom BGH gebilligt worden war, BGH, Urt. v. 27.5.2009 – VIII ZR 302/07, BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, 2590–2591 Rn.  12. 392  Herresthal, WM 2018, 401, 407 (siehe oben bei §  7 C. II. 2. c) aa)). 393 Treffend G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 836–837. 394  Darauf verweisend Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 938; siehe übergreifend und einge­ hend zur Ermittlung der ratio decidendi: Langenbucher, Entwicklung, S.  63–93. 395  BGH, Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 = NJW 2003, 1943, 1945 m. w. N.; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  14. 396  Dazu etwa W. Zimmermann, in: MüKo-ZPO, §  132 GVG Rn.  7. 397 Dazu Klein, JZ 2018, 64, 68; siehe oben §  3 A. II. 3. 398  Micklitz/Rott, in: MüKo-ZPO, §  10 UKlaG Rn.  10; zu §  10 UKlaG siehe oben §  14 B. II. 399  Illustrativ BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413, 414. 400  Hassemer, ZRP 2007, 213, 215; ähnlich Becker, in: Baumbach/Lauterbach, Einl. III Rn.  46.

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Als Leitlinie für die Beurteilung der Einschlägigkeit sollte man sich zunächst zu Herzen nehmen, dass die gesamte Begründung der betroffenen Entscheidung zu erfassen ist. Einem reinen „Leitsatzpositivismus“401 ist eine Absage zu erteilen. Auch konkludente bzw. per Gegenschluss herauszufilternde Aussagen der Ent­ scheidung sind grundsätzlich beachtlich.402 Allerdings bedarf es handfester An­ haltspunkte dafür, dass einem Judikat zugleich eine stillschweigende Negativaussa­ ge zu entnehmen ist. Insgesamt wird man sich mit folgender Kontrollüberlegung behelfen können: Wäre es dem Höchstgericht möglich gewesen, den nun betroffe­ nen Fall zeitgleich mit seiner früher gefällten Entscheidung in vertretbarer Weise abweichend zu beurteilen?403 Lässt sich diese Frage nur verneinen, ist die höchst­ richterliche Stellungnahme als einschlägig anzusehen. Oft werden indes unterschiedliche Auffassungen zur Einschlägigkeit der frühe­ ren Judikatur vertretbar sein (und gegebenenfalls auch tatsächlich vertreten werden). Insofern gilt: Auch Unsicherheit über die Einschlägigkeit hindert praktische Ge­ wissheit. Man muss dann mit einem abweichenden Ergebnis rechnen. Beispielsweise ist dem Beklagten ein kostenvermeidendes sofortiges Anerkenntnis im Sinne von §  93 ZPO zu verweigern, wenn schon anfänglich umstritten war, ob eine günstige BGH-Rechtsprechung auch den betroffenen Sachverhalt erfasst, und der BGH diese Frage während des laufenden Verfahrens verneint hat.404 Auch ist anerkannt, dass es für die Zulassung der Revision genügt, dass „begründete Bedenken“ hinsichtlich einer möglichen Divergenz bestehen.405 Das praktische Problem verschiebt sich so­ mit von der Prüfung der Einschlägigkeit zu der Frage, ob zumindest Unsicherheit bei der Beurteilung der Einschlägigkeit bestand. Das lässt sich annehmen, wenn eine Verneinung der Einschlägigkeit zumindest vertretbar erscheint. Zwar ist eine Ver­ tretbarkeitsprüfung mit der Gefahr wenig transparenter Entscheidungen und dem Risiko von Rückschaufehlern406 belastet. Es wäre jedoch kaum mit einem Gewinn an Rechtssicherheit verbunden, wollte man stattdessen auf Mehrheitsverhältnisse in der sonstigen Rechtsprechung bzw. Literatur abstellen407  – zumal Äußerungen zur Frage der Einschlägigkeit nicht immer vorliegen werden. Mit der Vertretbarkeits­ prüfung wird dem Gericht auch nichts Außergewöhnliches abverlangt: Hätte keine 401 

Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 68. Siehe im Vertrauensschutzkontext Herdegen, WM 2009, 2202, 2207; vergleiche auch K ­ ähler, Strukturen, S.  59–60. 403  Lepsius, JZ 2019, 793, 796–798, spricht sich nachdrücklich für eine stärkere „Kontextuali­ sierung“ bei der Betrachtung der früheren Entscheidung aus. Deren Entstehungsbedingungen seien intensiver in den Blick zu nehmen, statt sie gesetzesgleich zu interpretieren. 404  So die Konstellation bei OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2009 – 1 W 41/08, MDR 2009, 562 (betreffend BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 = NJW 2009, 910, 911 Rn.  11, 13–14); zur Möglichkeit eines sofortigen Anerkenntnisses bei ungünstigen Entwicklungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung siehe oben §  12 C. I. 2. a) aa). 405  BGH, Urt. v. 30.10.1961 – VII ZR 218/60, BGHZ 36, 56 = NJW 1962, 299, 299, in Anbe­ tracht des Umstands, dass die Frage, ob eine Abweichung vorliegt, „nicht immer leicht und ein­ deutig zu beantworten“ sei. 406  Zu diesen siehe oben 1. b). 407  Siehe oben 1. b), d) aa). 402 

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7. Teil: Synthese

höchstrichterliche Rechtsprechung vorgelegen, deren Einschlägigkeit zumindest im Ansatz in Betracht käme, hätte das Gericht ohnehin die Vertretbarkeit untersuchen müssen.408 b) Quantität Um praktische Gewissheit zu erzeugen, genügt bereits das Vorliegen einer einzigen höchstrichterlichen Stellungnahme. Zwar soll schutzwürdiges Vertrauen aufgrund höchstrichterlicher Judikatur nach verbreiteter Formulierung regelmäßig nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung, bestehen.409 Allerdings ist nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Var.  2 ZPO die Revision schon bei Divergenz zu einer einzelnen Vorentscheidung zuzulas­ sen.410 Zu bedenken sind auch die Schwierigkeiten, die eine genauere Definition des Kriteriums „gefestigt“ mit sich brächte.411 Daher ist die Annahme konsequent, be­ reits eine einzelne höchstgerichtliche Entscheidung entfalte faktische Bindungs­ wirkung und lasse so schutzwürdiges Vertrauen entstehen.412 Die Quantität bzw. Regelmäßigkeit der Entscheidungspraxis ist allenfalls hinsichtlich der Frage zu be­ rücksichtigen, ob die bestehende Rechtsprechung ihre Maßgeblichkeit zwischen­ zeitlich verloren hat.413 c) Form und Entscheidungserheblichkeit Welche Form das einschlägige höchstrichterliche Judikat hat, ist unerheblich.414 Insbesondere ist es gleichgültig, ob es sich um ein Urteil oder einen Beschluss han­ delt. Insoweit gilt das Gleiche wie hinsichtlich der Vorlage nach §  132 Abs.  2 GVG und der Divergenz im Sinne von §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Var.  2 ZPO.415 Eine relevan­ te höchstrichterliche Äußerung kann auch in der begründeten Ablehnung der Re­ visionsannahme nach früherem Recht416 oder in der Zurückweisung einer Nicht­ zulassungsbeschwerde (§  544 ZPO) wegen fehlender Erfolgsaussichten liegen.417 Fraglich ist indes, ob die betroffene höchstrichterliche Aussage entscheidungs­ erheblich gewesen sein muss. Die Möglichkeit der Entstehung schutzwürdigen Vertrauens in obiter dicta ist umstritten.418 Der Rechtsverkehr ist selbstredend gut 408 

Dazu unten III. So die übliche Formulierung des BVerfG, siehe oben §  3 A. II. 3. m.N. in Fn.  124. 410  Vergleiche die Formulierung bei Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 43 Rn.  13. 411 Vergleiche Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  364–366. 412  So etwa Brehm, in: FS Schumann, S.  57, 65 Fn.  26; Höpfner, RdA 2006, 156; Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  367; in anderem Zusammenhang ebenso Bär, Verjährung, S.  173; ähnlich zur Beraterhaftung BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324. 413  Dazu unten 3. 414  So zur Vertrauensschutzfrage auch Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  359–360. 415 Dazu Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §   543 Rn.  38; W. Zimmermann, in: MüKo-ZPO, §  132 GVG Rn.  6. 416  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §  5 43 Rn.  38. 417 So Kaulich, Haftung, S.  127. 418 Ablehnend Bydlinski, JBl 2001, 2, 20; skeptisch offenbar auch Knops/Brocker, WM 2010, 409 

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beraten, sich in Abwesenheit entscheidungserheblicher Stellungnahmen an obiter getätigten Aussagen zu orientieren.419 Das gilt umso mehr, wenn sich der BGH ausnahmsweise zur Veröffentlichung420 eines Hinweisbeschlusses entscheidet, um seine Rechtsauffassung trotz Revisionsrücknahme421 kundzutun und die Rechts­ sicherheit zu stärken.422 In normativer Hinsicht bestehen indes Unterschiede zu entscheidungserheblichen Ausführungen. So ist anerkannt, dass eine Vorlage an den Großen Senat nach §  132 Abs.  2 GVG nur dann erforderlich ist, wenn von den tragenden Gründen der Entscheidung eines anderen Senats abgewichen werden soll.423 Auch für den Revisionsgrund der Divergenz wird vorausgesetzt, dass das Gericht „einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentschei­ dung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt“.424 Die Abwei­ chung von einer durch den BGH in einem obiter dictum geäußerten Auffassung zwingt nach dieser Formel nicht zur Zulassung der Revision.425 Selbst wenn man nach heutigem Recht eine Revision in einer solchen Konstellation für denkbar hält,426 bleibt doch der „Makel“ der fehlenden Verbindlichkeit. Dieser wird gerade bei Hinweisbeschlüssen schon anhand der Formulierung greifbar.427 Konsequen­ terweise begründet ein Hinweisbeschluss, der von der sonstigen Instanzjudikatur abweicht, aus Sicht des BGH als „bloße Zwischenentscheidung“ keinen die Revi­ sion eröffnenden Meinungsstreit.428 Die Veröffentlichung solcher Beschlüsse birgt ohnehin die Gefahr, deren „vorläufigen und systembedingt fehleranfälligeren Cha­ rakter“ zu verdecken.429 Dieses Risiko sollte nicht noch verstärkt werden, indem unter Verweis auf Hinweisbeschlüsse von praktischer Gewissheit im Sinne der Rechtsirrtumsdogmatik ausgegangen wird – mit fatalen Folgen für die Anreize, eine verbindliche Entscheidung herbeizuführen. 1101, 1106; abgestufte Relevanz annehmend hingegen Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  374 (m. w. N. a. a. O., S.  373–374). 419  Siehe nur Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §  5 43 Rn.  4 4. 420  Siehe zu dieser Voraussetzung sogleich e). 421  Zu dieser Verhinderungstaktik siehe §  3 A. II. 2. sowie §  565 S.  2 ZPO. 422  So zu deuten: BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 (zum „Diesel­ skandal“); zum Hintergrund näher Arnold, JuS 2019, 489, 490. 423  W. Zimmermann, in: MüKo-ZPO, §  132 GVG Rn.  8; siehe etwa BGH, Urt. v. 1.11.1955  – 5 StR 186/55, BGHSt 9, 24 = NJW 1956, 557, 558. 424  BGH, Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 = NJW 2003, 1943, 1945 m. w. N. (Herv. d. Verf.); so auch Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  15. 425  Vergleiche BGH, Beschl. v. 6.11.1985 – IVa ZB 5/85, BGHZ 96, 198 = NJW 1988, 59, 59; siehe auch Hergenröder, Grundlagen, S.  195. 426  Jacobs, in: Stein/Jonas, §  5 43 Rn.  24; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §  5 43 Rn.  4 4 (Letzte­ rer allerdings ohne einen Zwang zur Zulassung anzunehmen). Keine Divergenz besteht im umge­ kehrten Fall (Abweichung durch obiter dictum): BGH, Beschl. v. 19.7.2011 − XI ZR 191/10, NJW 2011, 3229, 3230 Rn.  8. 427  Exemplarisch BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133, 1333 Rn.  3 –4: „Mit der vom BerGer. gegebenen Begründung dürfte – nach vorläufiger Einschätzung des Senats  – der vom Kl. geltend gemachte Anspruch […] nicht zurückzuweisen sein. […] Es dürfte […] vom Vorliegen eines Sachmangels auszugehen sein.“ (Herv. d. Verf.). 428  BGH, Beschl. v. 9.6.2020 – VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312, 3312 Rn.  13. 429 Zutreffend Voß, JZ 2020, 286, 292.

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d) Zuständigkeit Problematisch ist ferner, ob bei der Beurteilung von Rechtsirrtümern auch höchst­ richterliche Stellungnahmen relevant sind, die aus einer anderen Gerichtsbarkeit stammen als derjenigen, in der über die Anspruchsberechtigung zu befinden ist. Vermittelt beispielsweise eine einschlägige Entscheidung des BAG praktische Ge­ wissheit zu einer Rechtsfrage, die im konkreten Fall von den Zivilgerichten zu be­ antworten ist? Die Gewährung von Vertrauensschutz wird im Schrifttum mitunter auf Präjudi­ zien aus der „konkret zuständigen Fachgerichtsbarkeit“ beschränkt.430 Bei der Prüfung, ob eine Rechtsfrage der Beantwortung durch das Revisionsgericht bedarf, wird hingegen die frühere höchstrichterliche Klärung durch andere Fachgerichte als beachtlich angesehen.431 Auch zur Frage der Divergenz werden Entscheidun­ gen aus anderen Gerichtsbarkeiten für relevant erachtet.432 Allerdings ist der Kreis der für eine Divergenz im Sinne von §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Var.  2 ZPO zu beachten­ den Entscheidungen insgesamt weit gezogen. Jedenfalls verfängt aber der Hinweis auf die Zuständigkeit des Gemeinsamen Senats (§  2 Abs.  1 RsprEinhG). Durch die­ se ist sichergestellt, dass die Spitze einer Gerichtsbarkeit nicht in „Eigenregie“ von einer konfligierenden Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts abwei­ chen kann. Es ergibt sich demnach im weiteren Sinne eine Bindungswirkung über die Grenzen der Gerichtszweige hinaus. Dazu passt auch, dass Entscheidungen grundsätzlich gerichtsbarkeitsübergreifend Rechtskraftwirkung entfalten.433 Für die Beachtlichkeit höchstrichterlicher Judikate aus anderen Gerichtsbarkeiten spricht nicht zuletzt ein praktischer Gesichtspunkt: Ansonsten müsste etwa ein potenzieller Schuldner bei der Entscheidung, ob er sich auf günstige höchstrichter­ liche Rechtsprechung verlassen und die Leistung verweigern kann, vorab die unter Umständen problematische Frage der Zuständigkeit für ein hypothetisches späte­ res Verfahren prüfen. Unter Anwendung der vorstehend erarbeiteten Maßstäbe zweifelhaft erscheint eine jüngere Entscheidung des BVerwG zum Verjährungsrecht. Das Gericht hielt die Kla­ ge eines Gläubigers für zumutbar (im Sinne der verjährungsrechtlichen Judikatur), obwohl das BAG zuvor die einschlägige Rechtsfrage eindeutig negativ beantwortet hatte: Für den konkret betroffenen Anspruch seien nämlich nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zuständig.434 Diese Bemerkung wird zu Recht als „lapidar“ kritisiert.435 Richtig erscheint es vielmehr, zunächst den 2002 geäußerten Standpunkt des BAG für maßgeblich zu erachten. Diese Maßgeblichkeit kann aller­ 430 So

Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 363. BGH, Beschl. v. 24.6.2003 – VI ZR 327/02, NJW 2003, 2527, 2528; Jacobs, in: Stein/Jonas, §  543 Rn.  7. 432  Exemplarisch BGH, Beschl. v. 18.7.2013 – IX ZR 23/10, BeckRS 2013, 13004; so auch Kessal-­ Wulf, in: BeckOK-ZPO, §  543 Rn.  26. 433 Dazu Gottwald, in: MüKo-ZPO, §  322 Rn.  67; Saenger, in: Hk-ZPO, §  322 Rn.  18. 434  BVerwG, Urt. v. 16.6.2020 – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1764 Rn.  30. 435 So Wittkowski, NVwZ 2020, 1767, 1767. 431  Vergleiche

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dings, wie noch näher auszuführen ist,436 verloren gehen. Insoweit verfängt der Hin­ weis des BVerwG, dass spätestens dessen eigene Vorlage der einschlägigen Rechtsfrage an den EuGH im Jahr 2003 die Klage zumutbar habe erscheinen lassen.437 e) Veröffentlichung Erfüllt eine Entscheidung die vorstehend formulierten Anforderungen, bleibt die Frage zu beantworten, wann die hierdurch vermittelte „Rechtsgewissheit“ eintritt. Zumindest für Dritte kann die Zustellung an die Parteien des Anlassverfahrens naturgemäß nicht ausreichen. Stattdessen ist an die Veröffentlichung anzuknüpfen. Auf diesen Zeitpunkt wird in den Untersuchungsquadranten an zahlreichen Stellen abgestellt, so im Grundsatz bei der Verjährung438 sowie bezüglich der Putativgläu­ biger- 439 und der Schuldnerhaftung.440 In der Debatte zum Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen wird ebenso überwiegend die Publikation der höchst­ richterlichen Entscheidung für maßgeblich erachtet.441 Auch im Rahmen von §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Var.  2 ZPO soll es darauf ankommen, dass die höchstrichterliche Entscheidung, von der abgewichen wird, bereits veröffentlicht ist.442 Damit steht allerdings noch nicht fest, auf welchen Ort der Veröffentlichung es ankommt. Im Rahmen der Diskussion zur verjährungsrechtlichen Zumutbarkeit wird unter anderem auf die Publikation in der NJW,443 eine hinreichend deutliche Pressemitteilung444 und das Einstellen im Onlineportal des Höchstgerichts445 ab­ gestellt. Im Kontext der Putativgläubigerhaftung ist vereinzelt die Veröffentlichung einer anspruchsfeindlichen BGH-Entscheidung in einer mietrechtlichen Fachzeit­ schrift für maßgeblich erachtet worden.446

436 

Siehe unten 3., v. a. c) sowie f). Siehe BVerwG, Urt. v. 16.6.2020 – 2 C 20/19, NVwZ 2020, 1761, 1764 Rn.  30. 438  BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547, 548 Rn.  19; BGH, Beschl. v. 31.1.­­2012 − VIII ZR 141/11, NJW 2012, 1572, 1572–1573 Rn.  5 –6; Abeling, Kenntnis, S.  97; ­Herrler, NJW 2009, 1845, 1847; zu unionsrechtlich veranlassten Modifizierungen im Verbraucherschutz­ recht siehe §  7 C. I. 2. b). 439  LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390. 440  BGH, Urt. v. 1.6.1951 – I ZR 120/50, NJW 1951, 758, 759; LAG Berlin, Urt. v. 12.1.1998  – 9 Sa 136/97, NZA-RR 1998, 245, 248; zu §§  412, 407 BGB: OLG Celle, Urt. v. 2.12.1976  – 5 U 26/76, VersR 1977, 549, 550. 441  BAG, Urt. v. 20.11.1990 – 3 AZR 573/89, BAGE 66, 228 = NZA 1991, 477, 480; Bydlinski, JBl 2001, 2, 13; Langenbucher, JZ 2003, 1132, 1139; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 355; anders noch BAG, Urt. v. 10.3.1972 – 3 AZR 278/71, BAGE 24, 177 = AP BGB §  242 Ruhegehalt Nr.  156 (unter A. IV. 1.), das auf die Verkündung abstellte. 442  BGH, Beschl. v. 8.4.2003 – XI ZR 193/02, NJW 2003, 2319, 2320; Kessal-Wulf, in: BeckOKZPO, §  543 Rn.  26. 443  BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547, 548 Rn.  19. 444  OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.11.2019 – 1 A 1590/18, NVwZ-RR 2020, 503, 505 Rn.  40, 506 Rn.  57; Herrler, NJW 2009, 1845, 1847. 445  Bartlitz, ZBB 2014, 233, 240. 446 LG Stendal, Urt. v. 12.10.2006 – 22 S 86/06, MDR 2007, 389, 390 (Veröffentlichung in „WuM“). 437 

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7. Teil: Synthese

Wenn man die praktische Gewissheit aus der Perspektive eines fachkundigen und gewissenhaft agierenden Rechtsberaters beurteilt, kommt man nicht umhin, die Anforderungen zu berücksichtigen, die für die Kenntnisnahme von neuen höchst­ richterlichen Entscheidungen durch Rechtsberater gelten.447 Ausgangspunkt ist dabei die Forderung, dass der Berater sich grundsätzlich über die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern auch durch Lektüre der einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften un­ terrichten muss.448 Eine lückenlose Sichtung höchstrichterlicher Rechtsprechung sei hingegen aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwands derzeit nicht zu er­ warten.449 Welche Zeitschriften ein entsprechendes „Gütesiegel“ verdienen, beant­ wortet der BGH nicht abschließend, formuliert aber immerhin, es müsse „sich um Zeitschriften handeln, welche die für die Beratungspraxis benötigten Informatio­ nen dank einer redaktionellen Aufarbeitung gebündelt auffinden lassen“450 und eine gewisse „Filterfunktion“ übernehmen.451 Mehrfach ist auf die Publikation in der NJW abgehoben worden.452 Auf dem Gebiet des Steuerrechts kämen vor allem das Bundessteuerblatt und die Zeitschrift DStR in Betracht.453 Weitere „wenig ver­ breitete[] Periodika“454 und reine Entscheidungssammlungen müssten nicht voll­ ständig ausgewertet werden.455 Nach diesen Vorgaben dürfte auch bzw. erst recht keine umfassende Recherche in Online-Datenbanken hinsichtlich der (nur) dort veröffentlichten Entscheidungen zu verlangen sein.456 Strengere Anforderungen formuliert die Rechtsprechung lediglich für den Fall, dass ein Rechtsgebiet ersicht­ lich in der Entwicklung begriffen und neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist: Dann sollen auch Spezialzeitschriften zu konsultieren sein.457 Die Herangehensweise der Rechtsprechung ist im Ansatz nachvollziehbar. Doch welche Zeitschriften zählen zu den „allgemein zu verfolgenden“, welche zu den 447 Zutreffend

Abeling, Kenntnis, S.  96–98; siehe schon oben I. Siehe oben §  3 A. III. 2. a) m.N. in Fn.  195. Zum Anwaltsverschulden (§  85 Abs.  2 ZPO) im Kontext der Wiedereinsetzungsprüfung (§  233 S.  1 ZPO) auch BGH, Beschl. v. 17.7.2013 − XII ZB 700/12, NJW 2013, 2971, 2972 Rn.  14; H. Roth, in: Stein/Jonas, §  233 Rn.  50 („Rechtsirrtum (An­ walt)“). 449  BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053–2054 Rn.  26. 450  BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  14. 451  BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  2 2. 452  BGH, Beschl. v. 18.10.1984 – III ZB 22/84, NJW 1985, 495, 496; LG Braunschweig, Urt. v. 28.11.1984 – 2 O 434/84, NJW 1985, 1171, 1172; zur Wiedereinsetzung auch BGH, Beschl. v. 20.12.­ 1978 – IV ZB 115/78, NJW 1979, 877. 453  BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  14. „Der Ertragsteuerbera­ ter“ zähle hingegen nicht zur „Pflichtlektüre“, a. a. O. Rn.  16. 454  BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  24. 455  BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  14; so schon BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  25, 2054 Rn.  27. 456  Aus BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  20, ergibt sich, dass der Beschluss, dessen Kenntnis vom Berater nicht erwartet wurde, über juris auffindbar war; auch BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  16, hält es für unbeachtlich, dass eine Datenbankrecherche zum Ziel geführt hätte. 457  BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  17. 448 

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„Spezialzeitschriften“ und welche müssen nie ausgewertet werden? Es könnte eine Vereinfachung bedeuten, schlicht auf die Auffindbarkeit der Entscheidung in einer der „üblichen“ Online-Datenbanken – an diesem Punkt käme man indes um eine Präzisierung458 nicht umhin – abzustellen. Der IX. Zivilsenat des BGH hat sich schon vor rund zehn Jahren für eine künftige Verschärfung der Anforderungen angesichts der Fortschritte der Informationstechnologie offen gezeigt.459 Noch größere Vorzüge für die Bestimmbarkeit brächte es mit sich, schlicht auf die Kon­ sultation der Webpräsenz des jeweiligen Höchstgerichts zu verweisen.460 Verlan­ gen dürfen wird man jedenfalls, dass Rechtsberater die E-Mail-Newsletter der obersten Bundesgerichte abonnieren und so über besonders bedeutsame Entschei­ dungen zeitnah informiert werden. Derart publizierte Entscheidungen kann man dann bereits mit dem Tag der Pressemitteilung als „bekannt“ ansehen, soweit die Mitteilung den maßgeblichen Inhalt hinreichend deutlich wiedergibt.461 Für eine tiefer gehende, kritische Stellungnahme zu den Recherchepflichten der rechtsberatenden Berufe ist hier kein Raum. Es genügt festzuhalten, dass sich der Zeitpunkt, ab dem eine höchstrichterliche Entscheidung praktische Gewissheit auslöst, gleichsam akzessorisch an den Grundsätzen zur Beraterhaftung ausrichten muss, um keine normativen Widersprüche zu verursachen. Vergleichbares gilt auch für die Frage, ob nach der Veröffentlichung in einem maßgeblichen Medium noch ein „realistischer Toleranzrahmen“462 für eine Kenntnisnahme einzuräumen ist. 3. Verlust der Maßgeblichkeit Grundsätzlich kann mit der Beständigkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung ge­ rechnet werden.463 Die theoretisch stets bestehende Möglichkeit, dass in Abwei­ chung von dieser Judikatur entschieden werden könnte, hat nach dem hier präfe­ rierten Maßstab außer Betracht zu bleiben. Eine solche Sichtweise korrespondiert mit dem Ansatz, in der Prozessrisikoanalyse fernliegende Risiken statt mit einem 458  Siehe auch Hoch, AcP 219 (2019), 646, 696–697, insb. zu der Problematik, dass die Online-­ Datenbanken modular aufgebaut und zu buchen sind; vergleiche ferner Jungk, in: Borgmann/ Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  50. 459  BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2054 Rn.  26; offen gegenüber einer Pflicht zur Konsultation von Online-Quellen (und einer Begrenzung über die Zumutbarkeit) auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  50. 460  So neben dem schon zitierten Bartlitz, ZBB 2014, 233, 240, auch OLG München, Urt. v. 17.7.2007 – 4 UF 108/07, BeckRS 2007, 12213; in anderem Zusammenhang ebenso Piekenbrock, in: Staudinger, §  10 UKlaG Rn.  19. 461  Insoweit überzeugend OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.11.2019 – 1 A 1590/18, NV­ wZ-RR 2020, 503, 505 Rn.  40, 506 Rn.  57, und Herrler, NJW 2009, 1845, 1847. 462  BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; siehe auch schon BGH, Urt. v. 10.12.1957  – VIII ZR 243/56, NJW 1958, 825. Das ist als Frage, ab wann objektive Gewissheit herrscht (Ebene des Erkenntnisgrades), zu trennen von der Frage, ob ein Verschulden des konkret Betroffenen erst nach Ablauf einer Prüfungsfrist angenommen werden kann, dazu oben §  11 C. III. 4. Zur Toleranz­ frist näher H. Roth, in: Stein/Jonas, §  233 Rn.  50 („Rechtsirrtum (Anwalt)“) m. w. N. 463  Siehe abermals §  3 A. II. 3.

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„Erinnerungswert“ gleich als Nullrisiko einzustellen.464 Das kann sich zugunsten des Irrenden auswirken. Beispielsweise scheidet eine Haftung wegen einer unbe­ rechtigten Leistungsverweigerung unter diesen Umständen grundsätzlich aus.465 Zu Recht wird bei echten Überraschungsvolten der Rechtsprechung auch eine ver­ jährungsrechtliche Unzumutbarkeit bejaht.466 Umgekehrt ist eine negative Wir­ kung der Bestandserwartung denkbar. So ist beispielsweise ein Putativgläubiger, der einen von der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abgelehnten Anspruch geltend macht, nicht etwa allein deshalb zu entlasten, weil er vertretbare Gegenargumente vorbringt.467 Die Anbindung an die Wertungen der §§  114, 543 ZPO fordert eine Berücksichtigung der tatsächlichen Erfolgsaussichten, nicht bloß eine qualitative Analyse der vorgebrachten Rechtsauffassung.468 Ein Grundvertrauen in den Fortbestand der Rechtsprechung ist allerdings dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn ein konkreter Anlass zu Zweifeln besteht. Insoweit ist der Ausspruch, nur eine „gefestigte“ – im Sinne von: nicht ins Wanken geratene  – höchstrichterliche Judikatur vermittle hinreichendes Vertrauen, nicht zu beanstan­ den.469 Das zeigt sich schon daran, dass Prozesskostenhilfe für ein Angehen gegen eine höchstgerichtliche Entscheidungspraxis gewährt wird, wenn hinreichen­de An­ haltspunkte gegen deren künftigen Fortbestand sprechen.470 Konsequenterweise ist eine Anspruchsgeltendmachung in solchen Fällen verjährungsrechtlich zumutbar.471 Korrespondierend schadet es dem leistungsunwilligen Schuld­ner, wenn er mit einer Änderung der für ihn günstigen Rechtsprechung rechnen musste.472 464 So

Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  134 mit Fn.  116. Siehe oben A. II. 3. a) m. w. N. 466  Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  133: „überraschende Kehrtwende“. 467  Siehe oben §  9 C. III. 3. b) bb). In diese Richtung aber AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202; Hopt, Schadensersatz, S.  255 (Fn.  1), 280. Die überzeugende Ansicht zur Innenhaftung von Geschäftsleitern bei Rechtsverstö­ ßen setzt ebenfalls Anhaltspunkte für einen Judikaturwandel voraus, J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 433–434 (m. w. N. zur Diskussion); Verse, ZGR 2017, 174, 191. 468  Siehe bereits oben B. II. Es ist keineswegs so, dass der hier vertretene Maßstab „nicht aus einer rechtsdogmatischen, sondern der praktischen Erwägung“ der Änderungserwartung folgte (so aber Ahrendt, Entscheidungen, S.  53, zur Geschäftsleiterhaftung), sondern aus der Einbettung in die Wertungen der §§  114, 543 ZPO. Auch die Vorschläge für einen normativ-qualitativen An­ satz kommen letztlich nicht umhin, eine „realistische“ Chance auf einen Prozessgewinn zu for­ dern, sodass auch eine Orientierung an der höchstrichterlichen Judikatur erfolgt (siehe Damler/ Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 938–939). Es kann nicht um eine „Hörsaalvertretbarkeit“ (treffend J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 429) gehen. Man sollte die normativ-faktische Bedeutung höchst­ richterlicher Judikatur deshalb besser sogleich unmittelbar berücksichtigen. 469  Vergleiche etwa BVerfG, Beschl. v. 16.5.2011 – 2 BvR 1230/10, BeckRS 2011, 52468 Rn.  17. Das Verständnis, es sei mehr als eine einzelne höchstrichterliche Entscheidung erforderlich, ist hingegen abzulehnen, siehe oben 2. b). 470  Siehe §  7 C. II. 2. b) (vor aa)) und dort z. B. OLG Bremen, Beschl. v. 30.9.2008 – 3 W 17/08, MDR 2009, 219, 219–220; Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  25. 471  Vergleiche §  7 C. II. 2. c) aa): OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019 – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  23–25; Piekenbrock, LMK 2016, 376136. 472  Siehe §  11 C. III. 5. b) aa) (2) und dort v. a. BGH, Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, BGHZ 201, 91 = NJW 2014, 2720, 2722 Rn.  23. 465 

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Es kommt folglich darauf an, wo die Grenze zwischen erheblichen und unerheb­ lichen Risiken für den Fortbestand von höchstrichterlicher Judikatur verläuft. Zu­ stimmung verdient der Vorschlag, insoweit auf die Rechtsprechung zur Rechtsbe­ raterhaftung zurückzugreifen.473 Der in der Beraterhaftung herangezogene Maß­ stab ist bereits angerissen worden:474 Eine mögliche Judikaturwende soll in Betracht zu ziehen sein, wenn ein oberstes Gericht darauf hinweist oder neue Ent­ wicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entsprechende Auswir­ kungen haben können.475 Es soll stets darauf ankommen, mit welchem Grad an Evidenz nach den Umständen des Einzelfalls eine Rechtsentwicklung eine neue Antwort auf eine bislang abweichend entschiedene Frage nahelegt.476 a) Eigene Kategorisierung denkbarer Anhaltspunkte für Rechtsprechungsänderungen Der zitierte Maßstab ist nur bedingt geeignet, das Bedürfnis nach einer vorherseh­ baren Rechtsanwendung zu befriedigen. Der BGH gesteht selbst ein, allgemeine Regeln ließen sich kaum finden.477 Gerade bei der Frage, inwiefern eine herrschen­ de Rechtsprechung schon „ins Wanken“ geraten ist, dürfte aber wiederum die Ge­ fahr von Rückschaufehlern478 bestehen: In Kenntnis der Rechtsprechungswende mag man rückblickend die ex-ante-Wahrscheinlichkeit dieses Wandels überschät­ zen. Ebenso steht zu vermuten, dass Rechtsanwender im umgekehrten Fall – das Höchstgericht hält an seiner Rechtsprechung fest – häufig rückblickend davon aus­ gehen, die Judikatur habe nie ernsthaft in Zweifel gestanden. Es soll daher im Fol­ genden ein eigener Versuch unternommen werden, den bisher vagen Vorgaben schärfere Konturen zu verleihen und so die Ergebnisse der Rechtsanwendung bes­ ser prognostizierbar zu machen. Hierzu sind zunächst die Ausführungen des BGH zur Rechtsberaterhaftung ge­ nauer zu analysieren. Es zeigt sich, dass es offenbar verschiedene Kategorien von Ereignissen bzw. Faktoren geben soll, die in unterschiedlicher Weise für die Prog­ nose von Rechtsprechungsänderungen Relevanz erlangen können. Eine erste Diffe­ renzierung lässt sich der Vorgabe entnehmen, wonach der Berater, wenn ein Rechts­ 473  Zur Verschuldenshaftung allgemein Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 938, und zur Ge­ schäftsleiterhaftung etwa Kaulich, Haftung, S.  79, 197. Beachte zur bedingten Vorbildfunktion der Beraterhaftung oben I. An dieser Stelle taugt sie wiederum als Vorbild, weil es nicht um die Wahl des sichersten Wegs, sondern nur darum geht, welche Umstände generell in Rechnung zu stellen sind. 474  Siehe §  3 A. III. 2. a) mit Fn.  197. 475  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324–3325; BGH, Urt. v. 6.11.­ 2008  – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  12. 476  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3325; BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  10; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  12. 477  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3325. 478  Siehe dazu oben 1. b).

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gebiet „auf Grund eindeutiger Umstände“ in der Entwicklung begriffen ist, auch Instanzrechtsprechung und Literatur konsultieren müsse.479 Das legt eine Zweitei­ lung nahe. Es gibt demnach einerseits Umstände, die eine intensivere Befassung mit dem Meinungsbild erforderlich machen, und andererseits Anzeichen für einen Rechtsprechungswandel, auf die man bei dieser Befassung stößt. Zu unterscheiden sind also die „Auslöser“ näherer Nachforschungen von deren Ergebnissen. Der BGH scheint darüber hinaus eine weitere Kategorie anzuerkennen. Manche Ent­ wicklungen sind so gewichtig, dass sie nicht bloß eine verstärkte Untersuchungsbzw. Beobachtungspflicht begründen, sondern bereits selbst eine Änderung der Judikatur möglich erscheinen lassen. Exemplarisch lässt sich die Aussage anführen, wonach eine Änderung in Betracht zu ziehen sei, wenn ein oberstes Gericht darauf hinweise.480 Es ergibt sich eine grobe Dreiteilung denkbarer Faktoren: Manche Umstände sind so gewichtig, dass sie schon für sich genommen die frühere Gewissheit besei­ tigen (Kategorie 1). Andere Faktoren zwingen hingegen nur zur besonders intensi­ ven Beobachtung der Entwicklung (Kategorie 2). Als deren Ergebnis kann sich eine dritte Art von Umständen zeigen, die ansonsten grundsätzlich nicht beachtlich gewesen wären (Kategorie 3). Das lässt sich in einfacher Form veranschaulichen. Übersicht 4: Anhaltspunkte für eine anstehende Rechtsprechungsänderung für sich genommen Gewissheit erschütternd

für sich genommen nicht Gewissheit erschütternd

anlasslos zu verfolgen

Kategorie 1

Kategorie 2

nur bei Veranlassung zu verfolgen

Kategorie 3

Ausgerüstet mit diesem Raster können nun verschiedene Faktoren daraufhin un­ tersucht werden, ob sie eine bestehende Gewissheit zerstören. b) Veränderungen des normativen oder tatsächlichen Umfeldes Der BGH hat zur Beraterhaftung geäußert, es seien die Auswirkungen zu berück­ sichtigen, die der Erlass neuer Gesetze auf eine Judikatur haben könne, die noch zum alten Rechtszustand ergangen ist.481 Durch zwischenzeitliche Gesetzesände­ rungen hervorgerufene Zweifel am Fortbestand einer ungünstigen Rechtsprechung sollen auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen.482 Spiegelbildlich 479  So BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; ähnlich BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  17; Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  52. 480  BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9. 481  BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324. 482  OLG Bremen, Beschl. v. 30.9.2008 – 3 W 17/08, MDR 2009, 219, 219–220; Schultzky, in: Zöller, §  114 Rn.  25; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  15.

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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soll schutzwürdiges Vertrauen auf frühere günstige Entscheidungen durch „Verän­ derungen der Normsituation“ ausgeschlossen werden können.483 Konsequent ist es, solche Veränderungen des rechtlichen Umfeldes auch im Rahmen der Verschul­ denshaftung zu berücksichtigen.484 Relevanz erlangen können neben Gesetzesre­ formen auch die Änderung von relevanten (Norm-)Tatsachen485 oder ein außer­ rechtlicher Wertewandel in dem betroffenen Gebiet.486 Damit ist noch nicht gesagt, in welche der soeben gebildeten Kategorien solche „Umfeldänderungen“ einzuordnen sind. Überzeugend erscheint eine differenzie­ rende Betrachtung:487 Zum einen sind Fälle denkbar, in denen aufgrund einer Ge­ setzesänderung die frühere Rechtsprechung zu einer Rechtsfrage eindeutig über­ holt ist. So liegen die Dinge vor allem, wenn eine unmittelbar einschlägige Vor­ schrift eine relevante Änderung erfährt. Ein anschauliches Beispiel bietet die Streichung einer gesetzlichen Ausnahme, von der die Rechtsprechung zuvor Ge­ brauch gemacht hatte. Auch kann sich aus den Gesetzesmaterialien gerade der ge­ setzgeberische Wille ergeben, die bisherige Rechtsprechung zu korrigieren. Solche Entwicklungen sind der ersten Kategorie zuzuordnen. Sie führen schon für sich betrachtet zum Wegfall der früher bestehenden Gewissheit. Dasselbe wird man an­ nehmen müssen, wenn Gesetzesmaterialien den Fortbestand der früheren Recht­ sprechung ausdrücklich (nur) in Frage stellen. Auch hier wird in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gesetzesänderung deutlich, dass der Fortbestand der bis­ herigen Judikatur gefährdet ist. Mit eben dieser Situation hatte sich eine Entschei­ dung des BAG zur Schuldnerhaftung auseinanderzusetzen:488 Dort existierte zwar schuldnerfreundliche höchstrichterliche Rechtsprechung. Allerdings war es nachfolgend zu einer Gesetzesänderung gekommen. Der Bundesrat hatte im Ge­ setzgebungsverfahren auf resultierende Zweifel an der bisherigen Ansicht hinge­ wiesen, die Bundesregierung mit einer Gegenäußerung Stellung im Sinne des jetzi­ gen Schuldners bezogen. Das BAG hielt den Schuldner für entschuldigt. Das er­ scheint zumindest auf Basis der vorzuziehenden strengen Linie fragwürdig. Angesichts des Hinweises des Bundesrates führte bereits das Gesetzgebungsver­ fahren an sich zur Unsicherheit darüber, inwieweit die frühere Beurteilung fortgel­ ten konnte. Unter solchen Gegebenheiten muss ein Schuldner grundsätzlich damit rechnen, die Leistung nach neuer Rechtslage zu schulden. 483 Formulierung von Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 363 (siehe auch 354); Beispiele bei Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 336–338; zu nennen ist z. B. BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, BAGE 122, 74 = NZA 2007, 965, 971–972 Rn.  58 (kein schutzwürdiges Vertrauen ab grundlegender Neukonzeption durch die Schuldrechtsmodernisierung). 484 Allgemein Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 937; zur Geschäftsleiterhaftung etwa J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 434. 485  Herdegen, WM 2009, 2202, 2207 (Beispiel: „neue Erkenntnisse der Wissenschaft“); Kähler, Strukturen, S.  85–86; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 338. 486 Dazu Kähler, Strukturen, S.  87–88; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 338–339. 487 Auch Kähler, Strukturen, S.  83–85, unterscheidet zwischen unmittelbaren und Fernwir­ kungen von Gesetzesänderungen. 488  BAG, Urt. v. 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, BAGE 71, 350 = NZA 1993, 500.

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Häufig werden Auswirkungen auf die frühere Rechtsprechung jedoch weder aus dem neuen Normtext klar ersichtlich noch im Gesetzgebungsverfahren diskutiert. Denkbar ist zudem, dass Reformen auch hinsichtlich unveränderter Vorschriften zu abweichenden Auslegungsergebnissen führen. Solche Konstellationen sollte man in die zweite der oben genannten Kategorien einordnen. Sie stellen den Fort­ bestand der früheren Rechtsprechung nicht unmittelbar in Frage, bilden aber ein­ deutige Belege dafür, dass sich der betroffene Normbereich im Zustand der Trans­ formation befinden könnte. Dadurch werden besondere Beobachtungspflichten ausgelöst. Zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass ein erheblicher Teil489 der In­ stanzrechtsprechung bzw. Literatur die Gesetzesänderung zum Anlass nimmt, die betroffene Rechtsfrage anders als bisher zu beantworten, ist die Gewissheit pas­ sé.490 Unter Geltung dieses Maßstabs verdient es Zustimmung, dass die verjäh­ rungsrechtliche Unzumutbarkeit der Rückforderung einer unwirksam vereinbar­ ten Vorfälligkeitsentschädigung verneint wurde:491 Zwar war die Rückforderung nach der früheren BGH-Rechtsprechung aussichtslos gewesen. Zwischenzeitlich hatte jedoch die Schuldrechtsreform die maßgebliche Vorschrift neugefasst. In der Folge hatte sich eine erhebliche Zahl von Obergerichten und Literaturstimmen der Gegenauffassung angeschlossen.492 c) Höchstgerichtliche Äußerungen Überragende Bedeutung für die Prognose des Fortbestands höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt naturgemäß eigenen Äußerungen des Höchstgerichts zu. Das erkennt auch die Judikatur zur Beraterhaftung: Der Berater müsse mit einem Wandel rechnen, wenn das Höchstgericht diese Möglichkeit selbst in Aussicht ­stelle.493 Zu denken ist dabei vor allem an Ausführungen in obiter dicta. Solche begründen selbst keine neue Gewissheit.494 Sie sind aber geeignet, Zweifel am Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung zu säen.495 So wird die obiter erfolgte Ankündigung möglicher Rechtsprechungsänderungen als geeignetes Instrument zur Zerstörung von Vertrauen qualifiziert.496 Auch im Rahmen der Prüfung nach §  114 ZPO kann es 489 

Zum Maßstab sogleich noch d). So offenbar auch die von J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 434 (im Kontext der Geschäfts­ leiterhaftung), gestellten Anforderungen. 491  Zum Folgenden OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.7.2019 – 1 U 169/18, NJW-RR 2019, 1451, 1452 Rn.  23–25, zur Vorfälligkeitsentschädigung mit Blick auf §  497 Abs.  1 BGB. 492  Als Gegenbeispiel siehe etwa BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718 Rn.  63, zur Frage der Bearbeitungsentgelte. Dort wurde eingehend darge­ legt, warum die Schuldrechtsmodernisierung noch keine Auswirkungen auf die frühere Recht­ sprechung hatte. 493  So, mit unterschiedlichen Formulierungen, BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324; BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  12. 494  Siehe oben 2. c). 495  Im Kontext der Innenhaftung von Geschäftsleitern etwa Verse, ZGR 2017, 174, 191. 496  Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 = NJW 2009, 490 

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sich auf die hinreichenden Erfolgsaussichten auswirken, wenn das Höchstgericht obiter angedeutet hat, nicht mehr an der bisherigen Rechtsauffassung festzuhalten.497 Angesichts dessen verwundert die Behandlung, die obiter dicta im Rahmen der Rechtsirrtumsproblematik zum Teil erfahren. So hat der I. Zivilsenat des BGH eine verjährungsrechtliche Unzumutbarkeit angenommen, obwohl der Senat selbst aus­ drücklich offengelassen hatte, ob er an seiner anspruchsfeindlichen Rechtspre­ chung festhalte.498 Dieses Ergebnis begegnet erheblichen Bedenken. Wie sonst, wenn nicht aufgrund eigener Andeutungen des Gerichtshofs, sollte klarer zum Ausdruck kommen, dass Chancen bestehen, die frühere Judikatur zu stürzen? Sol­ che höchstrichterlichen Aussagen sind geradezu als Einladung an potenzielle An­ spruchsinhaber zu verstehen, mit einer Klage ihr Glück zu versuchen. Gerade unter Berücksichtigung der Anreizfunktion des Verjährungsrechts499 sind daher solche obiter dicta als „Zweifel begründend“ zu klassifizieren. Nichts anderes gilt mutatis mutandis für die Verschuldenshaftung. Sofern man dort eine strenge Linie für angebracht hält, verdient es Kritik, wenn ein Schuldner als entlastet angesehen wird, obwohl der BGH zuvor schon obiter Bedenken gegen die ursprünglich schuldnerfreundliche Rechtsprechung geäußert hatte.500 Der Schuldner musste aufgrund der Bemerkung des Senats mit einem Unterliegen rech­ nen.501 In vergleichbarer Weise war die mögliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR spätestens, seitdem der BGH die Frage unter Verweis auf die Dis­ kussion ausdrücklich offengelassen hatte,502 einzukalkulieren. Einem Beklagten, der sich trotz des Risikos dieser Judikaturwende auf die frühere Rechtsansicht ge­ stützt und auf einen Prozess eingelassen hatte, ist daher die Möglichkeit eines Aner­ kenntnisses nach §  93 ZPO zu verwehren.503 Vorbehalte, die das Höchstgericht ge­ genüber der eigenen Judikatur obiter (oder durch einen Hinweisbeschluss504) vor­ 1469, 1475 Rn.  86; Brocker, NJW 2012, 2996, 2999, 3000; Bydlinski, JBl 2001, 2, 19–20; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 356 m. w. N. Gleiches gilt, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung ausdrücklich offenlässt, ob früherer Rechtsprechung weiterhin zu folgen ist, BVerfG, Beschl. v. 16.5.2011 – 2 BvR 1230/10, BeckRS 2011, 52468 Rn.  18. 497  Siehe OLG Köln, Beschl. v. 28.2.2000 – 14 WF 11/00, MDR 2000, 601. Dies betraf aller­ dings die Frage, ob höchstrichterliche Judikatur, die für den Antragsteller günstig ist, bei der Prozesskostenhilfeentscheidung außer Acht gelassen werden darf. Das ist richtigerweise zu ver­ neinen, solange das Höchstgericht den Umschwung nicht vollzogen hat. 498  BGH, Urt. v. 16.6.2016 – I ZR 222/14, GRUR 2016, 1291, 1295 Rn.  4 4 – Geburtstagskara­ wane. 499  Siehe oben A. II. 1. a) aa). 500  BGH, Urt. v. 18.12.1962 – I ZR 54/61, BGHZ 38, 356 = NJW 1963, 651, 654; dem folgend etwa Benicke/Nalbantis, in: Soergel, §  286 Rn.  169; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  120; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  717–718. 501  Zutreffendes Ergebnis bei Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  286 Rn.  61. 502  Zur Rechtsfähigkeit: BGH, Urt. v. 15.7.1997 – XI ZR 154/96, BGHZ 136, 254 = NJW 1997, 2754, 2755; ähnlich zur Frage der akzessorischen Haftung: BGH, Urt. v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483, 3485. 503  Anders OLG Celle, Urt. v. 6.12.2001 – 22 U 155/00, juris; Kritik dazu bei §  12 C. I. 2. a) aa) (2) (a). 504  Vergleiche dazu oben 2. c).

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bringt, sind demnach stets der oben gebildeten ersten Kategorie zuzuschlagen: Sie ziehen schon aus sich heraus den Fortbestand der Rechtsprechung in Zweifel. Solche explizit geäußerten Zweifel an der eigenen Rechtsprechung unterscheiden sich von einer zweiten Fallgruppe. In dieser stellt das Höchstgericht nicht offen die einschlägige Judikatur in Frage, sondern nimmt lediglich zu einer verwandten Rechtsfrage einen abweichenden Standpunkt ein. Das kann die Erwartung schü­ ren, das Gericht werde auch auf die einschlägige Frage künftig eine andere Antwort geben als bislang.505 In bestimmten Fällen wird die Entscheidung zu einem ver­ wandten Thema sogar nicht nur die bisherige Gewissheit beseitigen, sondern selbst als „einschlägig“ auch für die konkret betroffene Frage anzusehen sein und somit fortan als maßgebliches Judikat die frühere Rechtsprechung ersetzen.506 Es sind allerdings ebenso Situationen denkbar, in denen es zwar möglich, aber nicht zwin­ gend erscheint, dass eine neue Rechtsprechungslinie auch in anderen Bereichen übernommen werden wird. Hier stellt sich die Lage letztlich wie bei entsprechen­ den Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen dar.507 Es handelt sich nicht um einen Umstand der ersten Kategorie, der unmittelbar die bisher bestehen­ de Gewissheit zerstört. Vielmehr sind solche Entwicklungen der zweiten Kategorie zuzuordnen. Der betroffene Bereich gilt fortan als in der Entwicklung begriffen. Es ist folglich zu beobachten, welche Schlussfolgerungen die Instanzrechtsprechung und das Schrifttum ziehen. Anschauliche Beispiele für die letztgenannte Konstellation bietet abermals die Entwicklung rund um die Rechtsfähigkeit der GbR. Der Gesellschaftsrechtssenat des BGH hatte bereits 1991 angenommen, die Außen-GbR könne als Teilnehmerin am Rechtsverkehr grundsätzlich jede Rechtsposition einnehmen.508 Jedenfalls in Verbindung mit zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen (unter anderem im UmwG), die die Literatur als Argument aufgegriffen hatte,509 waren die betroffe­ nen Rechtsfragen als „in der Entwicklung begriffen“ zu qualifizieren. Vergleichba­ res gilt für die Folgen des Grundsatzurteils zur Rechtsfähigkeit und zur akzessori­ schen Haftung von BGB-Gesellschaftern aus dem Jahr 2001.510 Zwar wurde in dessen Folge noch darüber gestritten, ob auch die Vorschrift des §  130 HGB analog auf die GbR anzuwenden sei oder eine Altschuldenhaftung weiterhin ausschei­ de.511 Die Frage war demnach noch nicht mit (neuer) Gewissheit geklärt. Zugleich war aber zumindest die frühere Gewissheit, eine Altschuldenhaftung komme nicht in Betracht, erschüttert. Daher befremdet es, dass der BGH sämtlichen Personen Vertrauensschutz gewährte, die BGB-Gesellschaften beigetreten waren, bevor der 505 

Vergleiche dazu Kähler, Strukturen, S.  9 0. Herdegen, WM 2009, 2202, 2208, verneint konsequenterweise Vertrauensschutz, wenn die Folgeentscheidung einzig als Frage der Zeit erscheint. 507  Dazu soeben b). 508  BGH, Beschl. v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86 = NJW 1992, 499, 500. 509  Siehe BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056, 1057. 510  BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 511  Nachweise zur Diskussion bei Hasenkamp, DNotZ 2003, 768, 768–769. 506 

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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BGH (im Jahr 2003) die Analogie zu §  130 HGB schließlich selbst anerkannte.512 Diese großzügige Erstreckung des Schutzfensters lässt sich allenfalls damit erklä­ ren, dass sich der Punkt, ab dem die Grundsatzentscheidung von Januar 2001 hin­ reichend verbreitet zum Anlass genommen war, auch eine analoge Anwendung von §  130 HGB zu befürworten, kaum genau bestimmen ließ. Demgegenüber über­ zeugt es, dass im prozessualen Kontext die Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit der WEG nicht als erledigendes Ereignis angesehen wurde, weil seit der einige Jah­ re zuvor gefällten Entscheidung zur Rechtsfähigkeit der GbR eine Übertragung auf die WEG diskutiert worden war.513 Aus vergleichbaren Gründen zutreffend er­ scheint es, dass der XI. Zivilsenat des BGH, als er Bearbeitungsentgelte bei Unter­ nehmer- und Bauspardarlehen entgegen seiner früheren Judikatur514 für unzuläs­ sig erklärte,515 jeweils von einem früheren Verjährungsbeginn entsprechender Rückforderungsansprüche ausging.516 Tatsächlich hatte die Entscheidung zur Pa­ rallelproblematik bei Verbraucherdarlehen im Jahr 2014 eine kontroverse Diskus­ sion über die Übertragbarkeit dieser Judikatur ausgelöst.517 Schon im Zusammen­ hang mit dem Urteil zu Verbraucherdarlehen stellte sich im Übrigen die Frage, in­ wieweit Rechtsprechung zu verwandten Fragen bereits früher den Boden für die nunmehr erfolgte Judikaturwende bereitet hatte. Der BGH stellte fest, die allge­ meinen Rechtsprechungsgrundsätze zur Inhaltskontrolle von Entgeltklauseln hät­ ten die frühere höchstrichterliche Annahme einer Zulässigkeit von Bearbeitungs­ entgelten nicht hinreichend in Zweifel gezogen.518 Dem ist jedenfalls unter der Prämisse zuzustimmen, dass Instanzrechtsprechung und Schrifttum entsprechen­ de Schlüsse aus der Entgeltklausel-Rechtsprechung zumindest nicht in erheblichen Ausmaß gezogen hatten.519 Zu Recht unbeeindruckt gezeigt hat sich der BGH auch davon, dass sich nachträglich Stimmen zu Wort gemeldet hatten, die meinten, 512 

So vorgehend BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803, 1805. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.8.2006 – 1 W 37/06, NJW-RR 2007, 788, 789; siehe allgemein zur Möglichkeit einer Erledigung nach Rechtsprechungsänderungen §  10 C. I. 2. d) bb). 514  Nachweise zur früheren Billigung von Bearbeitungsentgelten bei BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 = NJW 2014, 2420, 2422 Rn.  23. 515  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2987–2993 Rn.  15–83, respektive BGH, Urt. v. 8.11.2016 – XI ZR 552/15, BGHZ 212, 363 = NJW 2017, 1461. 516  BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99; BGH, Urt. v. 19.3.­2019 – XI ZR 95/17, NJW 2019, 2162, 2163–2164 Rn.  34–35. 517  Zum damaligen Streitstand siehe OLG Dresden, Urt. v. 3.8.2016, 5 U 138/16, WM 2016, 1980, 1982. Der Umstand, dass BGH, Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2993–2994 Rn.  99, die Zumutbarkeit der Klage sogar bereits für die Zeit vor 2014 bejahte und auf den gleichen Zeitpunkt wie die Rechtsprechung zu Verbraucherdarlehen (dazu BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  59) abhob, lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass angesichts der dort zitierten flächendeckenden Opposition der Ober­ gerichte praktisch die gesamte höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Thematik unsicher erscheinen musste (vergleiche – im Zusammenhang mit BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713 – noch unten d) aa) a. E.). 518  Dazu BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718 Rn.  60–62. 519  Zur fehlenden Rezeption in der Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718–3719 Rn.  65; zum Maßstab siehe sogleich d). 513  So

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eine Übertragung der Grundsätze habe schon immer nahegelegen.520 Hier ist die Gefahr des hindsight bias521 greifbar. Damit die vorstehend behandelten höchstrichterlichen Äußerungen eine (unmit­ telbar oder mittelbar) Gewissheit vernichtende Wirkung entfalten können, ist – wie auch bei Gewissheit begründenden höchstrichterlichen Entscheidungen – stets die Veröffentlichung in einem Medium nötig, von dessen Inhalt ein gewissenhafter Rechtsberater Kenntnis nehmen muss.522 Dabei ist zu beachten, dass erweiterte Recherchepflichten bestehen, sobald das betroffene Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwicklung begriffen ist (also Umstände der zweiten Kategorie vorliegen). d) Äußerungen der Instanzrechtsprechung bzw. der Literatur Zur Frage des Vertrauensschutzes wird verbreitet angenommen, dass auch aufkom­ mende Kritik in der Instanzjudikatur und/oder im Schrifttum hinreichende Zwei­ fel am Fortbestand einer höchstrichterlichen Entscheidungspraxis wecken kön­ ne.523 In vergleichbarer Weise wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ge­ fordert, wenn die entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung sich gewichtigen Einwänden aus der Lehre oder der Reihe der Instanzgerichte ausge­ setzt sieht.524 Konsequenterweise soll unter solchen Umständen auch die Revision wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) zuzulassen sein.525 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass eine verjährungsrechtliche Unzumutbarkeit gelegentlich unter Hinweis darauf verneint wird, dass die anspruchsfeindliche höchstrichterliche Rechtsprechung im Schrift­ tum bestritten gewesen sei.526 Spiegelbildlich ergäbe sich das Bedürfnis, von einer Schadensersatzhaftung solche Putativgläubiger auszunehmen, die zwar wider eine höchstrichterliche Rechtsprechung prozessieren, sich dabei aber auf eine von In­ stanzgerichten und/oder Schrifttum vertretene Sichtweise stützen können.527 520  Zu diesen siehe BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718 Rn.  62. 521  Dazu 1. b). 522  Dazu 2. e). 523  Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 = NJW 1991, 2549, 2550; BAG, Beschl. v. 2.9.1975 – 1 ABR 50/74, BAGE 27, 246 = AP BetrVG §  76 Nr.  22 (unter III. 4.); BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705; Brocker, NJW 2012, 2996, 3000; Klappstein, Rechtsprechungsänderung, S.  375–377; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 344; Medicus, NJW 1995, 2577, 2583. Entsprechende Aussagen beziehen sich allerdings teils auf Fälle, in denen zugleich Äußerungen des Höchstgerichts die Gewissheit beeinträchtigt hatten, so etwa bei BVerfG, Beschl. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 = NJW 2009, 1469, 1475 Rn.  86; BVerfG, Beschl. v. 16.5.2011 – 2 BvR 1230/10, BeckRS 2011, 52468 Rn.  18. 524  Bork, in: Stein/Jonas, §  114 Rn.  25; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, §  114 Rn.  15. 525  Siehe etwa Ball, in: Musielak/Voit, §  5 43 Rn.  5a; Krüger, in: MüKo-ZPO, §  5 43 Rn.  7. 526  So etwa Piekenbrock, LMK 2016, 376136; ähnlich zu einer Hemmung wegen höherer Ge­ walt bei einer die Verjährungsfrist betreffenden Rechtsprechungsänderung BGH, Urt. v. 2.12.­ 1976  – VII ZR 88/75, NJW 1977, 375, 376. 527  So vorgehend OLG Köln, Urt. v. 8.1.2013 – 24 U 83/12, Rn.  2 2, juris; AG Bingen, Urt. v. 12.3.­­2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264.

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aa) Vorüberlegungen zur Kategorisierung Bevor näher untersucht werden kann, unter welchen qualitativen und quantitativen Voraussetzungen Widerspruch der Instanzgerichte oder der Literaturstimmen be­ achtlich ist, ist zu überlegen, in welche der oben gebildeten Kategorien 528 solche Gegenstimmen einzuordnen sind. In der Rechtsprechung zur Beraterhaftung heißt es einerseits, der Berater habe „nach Möglichkeit neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissen­ schaft, namentlich das Entstehen neuer Rechtsfiguren zu verfolgen und im Rahmen des ihm Zumutbaren deren mögliche Auswirkungen auf eine ältere Rechtsprechung […] zu bedenken“.529 Das klingt zunächst, als könnten Äußerungen der Instanz­ rechtsprechung bzw. der Lehre in der Regel schon für sich genommen beachtlich, sprich der ersten Kategorie zuzuordnen, sein.530 Allerdings wird zugleich stetig betont, eine Pflicht des Beraters, Instanzrechtsprechung und Schrifttum heranzu­ ziehen, bestehe allenfalls in beschränktem Maße, sofern ein Rechtsgebiet nicht er­ sichtlich in der Entwicklung begriffen sei.531 Wenn aber die Literatur und die Judi­ katur unterhalb der Höchstgerichte im Grundsatz nur bei besonderem Anlass zur Kenntnis zu nehmen sind, legt dies eine Einstufung in der dritten Kategorie nahe. Für eine anlasslose Beachtlichkeit im Sinne der ersten Kategorie ließen sich An­ reizgesichtspunkte anführen: Wissenschaftlicher oder instanzgerichtlicher Wider­ spruch würde dann häufiger eine praktische Gewissheit beseitigen; ein Angehen gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung wäre aus verjährungsrechtlicher Sicht öfter zumutbar und zugleich seltener mit einem Haftungsrisiko beschwert. Im Er­ gebnis sprechen gleichwohl die besseren Gründe dafür, Literatur und Instanzrecht­ sprechung der dritten Kategorie zuzuordnen und ihnen grundsätzlich nur dort Bedeutung zuzumessen, wo bereits andere Umstände einen Umschwung möglich erscheinen lassen. Problematisch erscheint bereits die Prämisse, dass instanzge­ richtliche bzw. aus der Lehre stammende Kritik an der herrschenden Rechtspre­ chung regelmäßig geeignet sei, die faktische „Kontinuitätserwartung“ zu beein­ trächtigen.532 Häufig genug zeigen sich die Höchstgerichte völlig immun gegen langjährigen Widerstand aus der Wissenschaft.533 Indem man Literatur und In­ stanzrechtsprechung im Grundsatz nur unter besonderen Vorzeichen als beacht­ 528 

Siehe oben a). So BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324–3325; auch – jeweils für den Fall, dass es an neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung fehlt – BGH, Urt. v. 6.11.2008  – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 199/13, NJW 2015, 770, 771 Rn.  12. 530  So klingen auch die Ausführungen zum Vertrauensschutz bei Rosenkranz, ZfPW 2016, 351, 363. 531  BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1594 Rn.  9; zuvor schon BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678; siehe zudem BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 26/09, WM 2010, 2050, 2053 Rn.  17. 532  So aber Bydlinski, JBl 2001, 2, 12, unter Verweis auf die ebenfalls stark in diese Richtung deutenden Ausführungen von Langenbucher, Entwicklung, S.  133–134. 533 Richtig Höpfner, RdA 2006, 156, 160. 529 

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lich einstuft, hält man zugleich die Anforderungen an Rechtsberater auf einem maßvollen Niveau. Auch dürfte ansonsten für Gerichte die Versuchung bestehen, das selbst gefundene, aber von der früheren Judikatur abweichende Ergebnis als von der Kritik antizipiert anzusehen.534 Überdies erübrigt sich weitgehend die missliche Aufgabe, vorhandene Kritik anhand wenig scharfer Kategorien wie „we­ sentlich“ oder „erheblich“ qualifizieren zu müssen.535 Vor diesem Hintergrund ist der mögliche Effekt, dass im Einzelfall Anreize zu einer gerichtlichen Klärung eli­ miniert werden könnten, hinzunehmen. Die Verhinderung einer „Rechtserstar­ rung“ ist schließlich nicht der einzige Aspekt, dem im vorliegenden Kontext Be­ deutung zukommt. Als gegenläufiger Gesichtspunkt ist in gewissem Umfang auch die Schonung der Justizressourcen zu berücksichtigen.536 Die Zuordnung zur drit­ ten Kategorie erscheint insoweit als tauglicher Kompromiss.537 Akzeptiert man diesen Vorschlag, bedarf es regelmäßig einer vorherigen „Bewegung“ im betroffe­ nen Rechtsgebiet, damit solcherlei Kritik Relevanz erlangen kann. Als Auslöser kommen vor allem die bereits behandelten Gesetzesänderungen oder höchstrich­ terlichen Andeutungen in Betracht.538 Eine eigenständige Gewissheit erschütternde Bedeutung – im Sinne der ersten Kategorie – wird man Kritik aus Lehre und Instanzrechtsprechung nur in seltenen (und daher verhältnismäßig leicht zu identifizierenden) Ausnahmefällen zukom­ men lassen können. Dazu lässt sich wiederum auf die Grundsätze zur Berater­ haftung rekurrieren. Diese entlassen den Berater eben nicht vollständig aus der Pflicht, auch rechtswissenschaftliche Entwicklungen zu beobachten.539 Bestimmte „Trends“ dürfen einem gewissenhaften Berater schlichtweg nicht verborgen blei­ ben, selbst wenn sie noch nicht in die höchstrichterliche Judikatur Eingang gefun­ den haben. Das lässt sich beispielsweise erwägen für den Fall, dass sich die prak­ tisch einhellige Meinung in der Kommentarliteratur inzwischen in Opposition zu einer früheren höchstrichterlichen Stellungnahme befindet. An dieser Stelle zu ver­ orten sein dürfte auch die Entscheidung des BGH, wonach die verjährungsrecht­ liche Unzumutbarkeit einer Rückforderung von Bearbeitungsentgelten endete, „nachdem sich im Jahre 2011 eine gefestigte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung

534  In diese Richtung auch Herdegen, WM 2009, 2202, 2204. Es werde oft vorschnell eine Vor­ hersehbarkeit der Rechtsprechungsentwicklung bejaht, insb. „durch die (zuweilen ins Beliebige abgleitende) Berufung auf mehr oder weniger entlegene Äußerungen des Schrifttums“. 535  Zutreffende Kritik bei Höpfner, RdA 2006, 156, 160. 536  Siehe oben A. II. 1. c) zu Grenzen des Anreizgedankens und A. II. 3. zum Vertrauensschutz. 537  Er dürfte aus Anreizgesichtspunkten einer vollständigen Unerheblichkeit wissenschaftli­ cher Kritik (in diese Richtung etwa betreffend den Vertrauensschutz: Herdegen, WM 2009, 2202, 2208; Höpfner, RdA 2006, 156, 160) vorzuziehen sein. 538  Dazu soeben b) und c). Siehe exemplarisch BGH, Urt. v. 8.10.1969 – I ZR 7/68, BGHZ 52, 365 = NJW 1970, 141, 142 – Ein-Tannen-Zeichen, wo darauf abgestellt wurde, dass schon das Reichsgericht dem Missbrauch von Abwehrzeichen in zunehmendem Maße entgegengetreten sei und das Schrifttum seit Langem eine entsprechende Entscheidung gefordert habe. 539  Siehe v. a. BGH, Urt. v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675, 678 („in beschränktem Maße“); siehe auch BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3325.

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herausgebildet hatte“.540 Wenn, wie dort, gleichsam bundesweit die Obergerichte von der früheren BGH-Linie abweichen, darf dies einem gewissenhaften Rechtsbe­ rater, der das Bestehen von Ansprüchen im betroffenen Bereich zu prüfen hat, nicht verborgen bleiben. Die praktische Bedeutung solcher Ausnahmefälle dürfte indes begrenzt sein. Oftmals wird sich das Entstehen der Opposition gerade darauf zu­ rückführen lassen, dass sich das betroffene Rechtsgebiet bereits durch andere be­ achtliche Entwicklungen „im Fluss“ befindet. Dann sind ohnehin auch Umstände der dritten Kategorie relevant. bb) Innovation als Grundvoraussetzung Unabhängig von der Frage der Kategorisierung lässt sich eine Grundanforderung formulieren, die wissenschaftliche oder instanzgerichtliche Kritik erfüllen muss, um die Gewissheit der Rechtslage erschüttern zu können: Die Stellungnahme muss „innovativ“ sein. Stützt sie sich einzig auf Gegenargumente, die dem Höchstgericht bei dessen Entscheidung bereits bewusst waren, lässt dies eine Wende der höchst­ richterlichen Rechtsprechung nicht erwarten. Konsequenterweise wird eine grund­ sätzliche Bedeutung im Sinne von §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO verneint, solange die Kritik keine Argumente entwickelt, mit denen sich der BGH noch nicht auseinan­ dergesetzt hat.541 Die Gesetzesmaterialien zur ZPO-Reform von 2002 gehen eben­ falls von diesem Zusammenhang aus: Bedenken, es könne zu einer „Rechtserstar­ rung“ kommen, wird dort entgegnet, das Revisionsgericht werde sich zur erneuten Prüfung einer Rechtsfrage veranlasst sehen, „wenn hierzu neue Gesichtspunkte vorgetragen werden“.542 Maßgeblicher Referenzpunkt für die Frage nach dem neu­ artigen Charakter des Arguments muss stets die letzte einschlägige höchstrichter­ liche Entscheidung sein. Alle damals bekannten und (gegebenenfalls implizit) ver­ worfenen Kritikpunkte sind fortan im Grundsatz unbeachtlich.543 Vorliegen wird ein innovatives Element vor allem, wenn das betroffene Rechtsgebiet nach der letz­ ten höchstrichterlichen Entscheidung „in Bewegung“ geraten ist und die Kritik an die auslösenden Umstände, etwa eine Gesetzesänderung zu einer benachbarten Frage, anknüpft. Ausgestattet mit den erarbeiteten Parametern ist die zum Verjährungsrecht geäu­ ßerte Ansicht zu hinterfragen, wonach es zulasten des Gläubigers gehe, dass eine für diesen negative, aber später revidierte höchstrichterliche Judikatur „im Schrift­ tum nie unangefochten geblieben war“.544 Übertrüge man diese Sichtweise, die zur 540  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  59, unter Verweis auf sieben verschiedene Oberlandesgerichte. 541  Deutlich BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 15.4.2012 – 1 BvR 1951/11, NJW 2012, 2947, 2948 Rn.  21 (betreffend einen beim OLG endenden Instanzenzug); BGH, Beschl. v. 27.11.2013 – VII ZR 371/12, NJW 2014, 456, 457 Rn.  9; BGH, Beschl. v. 19.7.2016 – II ZB 3/16, NJW-RR 2016, 1529, 1530 Rn.  18; R. Koch, in: Hk-ZPO, §  543 Rn.  9. 542  Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, 67 (Herv. d. Verf.). 543  Siehe dazu unten 4. 544  So BGH, Urt. v. 2.12.1976 – VII ZR 88/75, NJW 1977, 375, 376 (dazu schon §  3 A. II. 3.).

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Verjährungshemmung beim Irrtum über die Verjährungsfrist entwickelt wurde, auf den anspruchsbezogenen Irrtum, wäre eine verjährungsrechtliche Unzumut­ barkeit konsequenterweise zu verneinen. Das würde nicht überzeugen.545 Der bloß fortgeschriebenen Kritik im Schrifttum mangelte es an einem innovativen Ele­ ment. Ein vergleichbarer Vorwurf ist einer amtsgerichtlichen Entscheidung zu ma­ chen, die eine Ersatzpflicht wegen unberechtigter Anspruchsgeltendmachung ver­ neinte:546 Zwar konnte das Gericht darauf verweisen, dass die Rechtsauffassung des Anspruchstellers, die der mehrfach geäußerten Sicht des BGH zuwiderlief, immerhin von einem Verwaltungsgericht und einem Großkommentar geteilt wur­ de. Diese Sachlage genügt allerdings für eine haftungsrechtliche Privilegierung nicht. Der innovative Charakter der Kritik wurde nicht hinreichend überprüft.547 Das gilt gleichermaßen für die Begründung einer Haftungsprivilegierung, die da­ rauf verweist, dass der anspruchsfeindliche Standpunkt des BGH „im Schrifttum durchaus umstritten“ sei.548 Auch wenn der höchstrichterliche Entscheid eines Meinungsstreits nicht für dessen Befriedung sorgt, ist doch fortan sehr wahrschein­ lich, dass das Gericht die eingeschlagene Linie weiter verfolgen wird, solange nicht neue Elemente die Diskussion bereichern. cc) Weitere Anforderungen Es fragt sich, ob sich neben dem Innovationskriterium weitere generalisierte Vor­ aussetzungen für eine „Gewissheitserschütterung“ durch instanzgerichtliche bzw. wissenschaftliche Kritik ausmachen lassen. Besondere Anforderungen könnte man vor allem mit Blick auf den jeweiligen Urheber der Kritik formulieren. Soweit es sich um Gerichte handelt, ließe sich an deren Position im Instanzenzug anknüpfen. So hat der BGH die verjährungsrechtliche Zumutbarkeit einer Klage, die gegen die be­ stehende höchstrichterliche Auffassung ankämpfen musste, an die Existenz gegen­ sätzlicher Entscheidungen der Obergerichte geknüpft.549 Dem wird man im Grund­ satz folgen können. Gerichtsentscheidungen können den Fortbestand höchstrich­ terlicher Judikatur allenfalls dann in Zweifel ziehen, wenn es sich um solche der Obergerichte handelt.550 Dafür lässt sich auf deren besondere Stellung in der Ge­ richtshierarchie – unmittelbar unterhalb der Höchstgerichte – und die grundsätzlich vorgesehene Befassung dreier Berufsrichter (§  122 Abs.  1 GVG) verweisen.551 Vor 545  Kritisch auch Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  59 (aus der Perspektive der Beraterhaftung). 546  AG Bingen, Urt. v. 12.3.2015 – 25 C 21/14, ZErb 2015, 263, 264. 547  Das in Bezug genommene Urteil des VG Düsseldorf, Urt. v. 22.8.2008 – 21 K 4231/06, Rn.  88–92, juris, zitierte wörtlich die entgegenstehende Rechtsprechung des BGH, gelangte dann aber (offenbar unter vermeintlichem Anschluss daran) zum gegensätzlichen Ergebnis. 548  OLG Köln, Urt. v. 8.1.2013 – 24 U 83/12, Rn.  2 2, juris. 549  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716, 3717– 3718 Rn.  4 4, 59. 550  In diese Richtung wohl auch die Deutung von John, EWiR 2019, 481, 482. 551  Beachte indes die Ausnahmen zu diesem Grundsatz, allen voran in §  526 ZPO; zu deren Auswirkungen oben A. II. 2. d).

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allem begrenzt die klare Beschränkung auf diese Hierarchieebene die Masse poten­ ziell beachtlicher Entscheidungen, erleichtert somit die Rechtsanwendung und för­ dert die Vorhersehbarkeit der Behandlung von Rechtsirrtümern. Auch für die Be­ achtlichkeit obergerichtlicher Entscheidungen kommt es selbstredend darauf an, dass diese an einer Stelle publiziert sind, die ein sorgfältiger Rechtsberater unter den jeweiligen Umständen zur Kenntnis nehmen muss.552 Bezüglich Kritik aus den Reihen des Schrifttums wird offenbar zum Teil an eine ähnliche Hierarchisierung gedacht. So soll das Vertrauen in eine scheinbar klare Rechtslage nicht von Stellungnahmen im Schrifttum gestört werden, die „nicht von Autoren aus der 1. oder allenfalls der 2. Reihe stammen“.553 Welchen Quellen eine solche Einteilung juristischer Autoren entnommen werden soll, wird bezeichnen­ derweise nicht mitgeteilt. Der Ansatz ist, ebenso wie das Abstellen auf „namhafte[] Fachjuristen“554, mangels geeigneter objektiver Kriterien kaum praxistauglich. In­ teressanter ist die Frage, ob nur unabhängige Stellungnahmen beachtlich sind.555 Dass rechtswissenschaftliche Publikationen mitunter von „strategischen Erwägun­ gen“556 motiviert sind, lässt sich nicht von der Hand weisen.557 Sollen also etwa Einschätzungen, die auf einer „Anfrage aus der Praxis“ beruhen,558 per se uner­ heblich sein? Auch publizierte Gutachten können innovative und bedenkenswerte Argumente enthalten. Ohnehin: Welche Voraussetzungen wären an die Unabhän­ gigkeit zu stellen? Dürfte man noch auf Beiträge von Rechtsanwälten rekurrieren, die möglicherweise mit dem Inhalt Klientelpolitik oder Werbung bei einer be­ stimmten Mandantengruppe betreiben möchten? Sinnvoller erscheint es, auf das Kriterium der Unabhängigkeit zu verzichten. Es erweist sich als weitgehend über­ flüssig. Die Relevanz von Literaturkritik ist nach hier vertretener Auffassung ohne­ hin schon dadurch eingeschränkt, dass in der Regel eine Entwicklung in dem be­ troffenen Rechtsgebiet vorangegangen sein muss.559 Zudem müssen Literaturauf­

552  Siehe etwa BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3717 Rn.  58, zu einer Entscheidung des OLG Dresden, die erst im Folgejahr veröffentlicht wurde (für die Ultimoverjährung von Bedeutung); zum Publikationserfordernis oben c) und 2. e). 553  So LAG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2010 – 12 Sa 1311/07, NZA-RR 2010, 240, 242, zugleich unter Verweis auf „prominente und seriöse Vertreter der Rechtswissenschaft […] und aus der Fachgerichtsbarkeit“; in ähnlicher Weise stellt J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  57, auf „anerkannte[] […] Autoren“ ab. 554  Deren Stellungnahmen für exkulpierend haltend LG Köln, Urt. v. 13.6.1984 – 24 O 554/83, ZIP 1984, 1132, 1133, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 18.5.1955 – I ZR 8/54, BGHZ 17, 266 = GRUR 1955, 492, 501. 555  So beiläufig J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  57. 556  Höpfner, RdA 2006, 156, 160. 557  Vergleiche auch J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 431, der feststellt, dass „das Meinungsbild von interessengetriebenen Stellungnahmen geprägt wird“; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  57 Fn.  176. 558 Zur gebotenen Offenlegung vergleiche die Leitlinien zur Gutachtertätigkeit der Zivil­ rechtslehrervereinigung, http://www.zivilrechtslehrervereinigung.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/­ Leitlinien_zur_Gutachter-_und_Schiedsrichtertaetigkeit.pdf (unter (iii); abgerufen am 31.12.­2020). 559  Siehe oben aa).

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7. Teil: Synthese

fassungen vertretbar sein, um eine gewissheitsstörende Wirkung zu entfalten.560 Völlig einseitige Abhandlungen ohne hinreichende Berücksichtigung der Gegenar­ gumente werden diese Anforderung oft nicht erfüllen.561 Es fragt sich, ob Gegenäußerungen zur höchstrichterlichen Ansicht auch quanti­ tative Anforderungen erfüllen müssen, um Relevanz zu erlangen. So könnte man Kritik beispielsweise nur dann für beachtlich halten, wenn sich eine gefestigte Ten­ denz zeigt.562 Auf die Schwierigkeiten, die mit einem nachträglichen „Durchzäh­ len“ von Meinungsgruppierungen verbunden sind, ist allerdings schon hingewiesen worden.563 Auch aus Anreizgesichtspunkten erscheint es wenig ratsam, nur Mehr­ heitsmeinungen Relevanz zuzuschreiben. Gerade eine gut begründete, innovative Stellungnahme, die noch nicht die Mehrzahl der Betrachter erreicht hat, kann es verdienen, vor Gericht präsentiert und zur Diskussion gestellt zu werden. Fraglich bleibt, ob zumindest mehr als vereinzelte Stimmen erforderlich sind, um die Gewissheit beeinträchtigen zu können. Soweit vereinzelte obergerichtliche Stel­ lungnahmen nicht für ausreichend erachtet werden,564 kann dem nicht gefolgt wer­ den.565 Die bis hierhin aufgestellten Erfordernisse setzen der Beachtlichkeit in­ stanzgerichtlicher Kritik bereits hinreichende Grenzen: Nicht nur finden lediglich innovative und vertretbare Stellungnahmen Beachtung566 – und auch dies in der Regel erst, wenn zuvor Bewegung in das betroffene Gebiet gekommen ist. Viel­ mehr ist die Relevanz auf die Obergerichte beschränkt. Sind all diese Vorausset­ zungen erfüllt, erscheint es unter Anreizgesichtspunkten durchaus wünschens­ wert, dass die kritische Sichtweise in weiteren Verfahren auf den Prüfstand gestellt wird. Ein weiterer Vorteil der hier vertretenen Ansicht liegt darin, dass sich die nähere Bestimmung einer „hinreichenden“ Zahl von Entscheidungen erübrigt. Im verjährungsrechtlichen Schrifttum werden insoweit „aleatorische Ergebnisse“ be­ fürchtet, weil retrospektiv der Stand der Kritik beurteilt werden müsse.567 Die Be­ urteilung wird vereinfacht, wenn grundsätzlich jede hinreichend publizierte Ge­ genstimme aus dem Kreis der Obergerichte beachtlich ist. Dass der XI. Zivilsenat 560 

Siehe unten III. 1. zur Revisionszulassung wegen Literaturkritik Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  7: Nicht ausreichend seien „abwegige Bedenken oder ein ersichtlich von einseitiger Interessenvertre­ tung geleiteter Widerspruch“. 562 In diese Richtung bezüglich OLG-Rechtsprechung BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3716, 3717–3718 Rn.  59; ähnlich LG Stuttgart, Urt. v. 20.9.2017 – 4 S 88/17, ZIP 2018, 16, 17. 563  Siehe oben 1. d) aa) unter Verweis auf Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 937, 939; siehe zudem die unter aa) angesprochenen Probleme bei der Qualifikation von Kritik als „zahlreich“ usw., auf die Höpfner, RdA 2006, 156, 160, hinweist. 564  So zur Verzugshaftung BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046; ähn­ lich zum Vertrauensschutz LAG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2010 – 12 Sa 1311/07, NZA-RR 2010, 240, 242. 565  In diese Richtung auch Radke, jM 2015, 64, 67: Die Annahme verjährungsrechtlicher Un­ zumutbarkeit bis zu dem Punkt, an dem die entgegenstehende OLG-Rechtsprechung gefestigt sei (dazu soeben Fn.  562), sei „ein bisschen viel an Risikominimierung“. 566  Dazu soeben bb) und später III. 567  Herresthal, WM 2018, 401, 407. 561  Siehe

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des BGH in seiner Entscheidung zur Rückforderung von Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherdarlehen gleichwohl eine gefestigte obergerichtliche Judikatur ver­ langt hat,568 lässt sich anders erklären: Solange kein Umstand der zweiten Katego­ rie eine Pflicht zur Beobachtung der obergerichtlichen Rechtsprechung ausgelöst hat, kann allenfalls eine flächendeckende OLG-Judikatur (als Umstand der ersten Kategorie) die bestehende Gewissheit beeinträchtigen.569 Schwieriger stellen sich die Dinge bezüglich Stellungnahmen des Schrifttums dar. Hier fehlt ein Vorfilter, wie er in der Beschränkung auf Obergerichte liegt. Daher ist es verständlich, dass im Verjährungsrecht die Zumutbarkeit einer gegen die höchstrichterliche Auffassung gerichteten Klage bezweifelt wird, wenn bloß vereinzelt anspruchsfreundliche Literaturstimmen laut geworden sind.570 Solange man sich (mit guten Gründen) weigert, Kritik aus dem Schrifttum stets für unbe­ achtlich zu halten,571 bleibt nichts anderes übrig, als mit verhältnismäßig vagen Relevanzkriterien zu operieren. Die Erheblichkeitsschwelle ist dabei nach dem bis­ her Gesagten nicht so hoch anzusetzen, dass, relativ betrachtet, eine herrschende Meinung vorliegen müsste. Stattdessen sollte auf ein hinreichendes absolutes Ge­ wicht der Kritik abgestellt werden. Um die Bedeutung zu beurteilen, wird man sich in gewissem Maße auch an der faktischen Verbreitung der jeweiligen Publikation orientieren können.572 e) Äußerungen von Richtern des Höchstgerichts Einen Sonderfall der Literaturkritik stellen Beiträge von Richtern der Höchstge­ richte dar. Auch wenn diese Praxis kritisiert wird,573 haben in der Vergangenheit Senatsmitglieder mehrfach die Gelegenheit ergriffen, der bestehenden Judikatur ihre eigene Rechtsauffassung entgegenzusetzen.574 Es liegt nahe, dass solche Beiträ­ ge faktische Zweifel an der Fortführung der Entscheidungspraxis wecken können.575 568 

Siehe soeben Fn.  562. Dazu oben aa) a. E. 570  Siehe BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718 Rn.  6 4–65, wo dies offenbleiben konnte; siehe ferner Bartlitz, ZBB 2014, 233, 239–240. 571  Siehe dazu aa) mit Fn.  537. 572  Zum Ort der Veröffentlichung vergleiche bereits oben 2. e). 573 Siehe Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 358 m. w. N.; vergleiche auch Kähler, Strukturen, S.  75. 574  Siehe insb. die gegen die bis dahin bestehende Linie des BGH gerichtete Stellungnahme von Nobbe, WM 2008, 185, zur Zulässigkeit von Darlehensbearbeitungsentgelten (zur Diskussion um die Bedeutung dieses Aufsatzes für die Frage der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeit siehe bereits §  7 B. II. 1. b) bb)); siehe zu weiteren Beispielen Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 357–358. Kaulich, Haftung, S.  62, verweist auf eine Äußerung des damaligen Vorsitzenden des Gesell­ schaftsrechtssenats, Goette, der in einem Beitrag ankündigte: „[E]rforderlich werden kann ferner […] eine Überprüfung der bisherigen Judikatur zur sog. Haftung wegen evidenter materieller Unterkapitalisierung“ (Goette, ZIP 2005, 1481, 1487; dazu später BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 – Gamma). 575  Siehe nur Ahrendt, Entscheidungen, S.  53; v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 455–456; Kaulich, Haftung, S.  62. 569 

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7. Teil: Synthese

Der XI. Zivilsenat des BGH hat hingegen befunden, allein die Veröffentlichung ei­ ner von der etablierten Senatslinie abweichenden Auffassung des Senatsvorsitzen­ den Nobbe habe einen Angriff gegen die bestehende Judikatur nicht zumutbar ge­ macht.576 Das wird im Schrifttum verbreitet anders gesehen.577 Tatsächlich lässt sich ein Unterschied zu sonstigen Literaturbeiträgen nicht leug­ nen. Insbesondere wird man auf das sonst erforderliche Innovationskriterium 578 verzichten können, wenn sich Mitglieder eines Spruchkörpers äußern, in dessen Zu­ ständigkeitsbereich sich die betroffene Rechtsfrage naheliegenderweise stellen kann. Der persönliche Einfluss des Autors auf künftige Entscheidungen ersetzt hier mate­ rielle Faktoren. Das wird man für Senatsvorsitzende wie für sonstige Senatsmitglie­ der gleichermaßen annehmen können.579 Anders als sonstige Stellungnahmen des Schrifttums lassen sich solche Beiträge der ersten der oben gebildeten Kategorien zuordnen. Sie greifen bereits für sich genommen die bisherige Gewissheit an. Zwar hat das einzelne Senatsmitglied gegebenenfalls noch Überzeugungsarbeit bei den Kollegen zu leisten. Mit der bewussten Entscheidung für eine Publikation der eige­ nen Rechtsauffassung zeigt sich jedoch ein „interner“ Wahrscheinlichkeitsfaktor für einen Umschwung, an dessen faktische Relevanz „externe“ Literaturkritik nicht he­ ranreicht. Die Veröffentlichung ist, wie ein obiter dictum, als Einladung zu deuten, die bisherige Spruchpraxis überprüfen zu lassen.580 Dies wird nicht zuletzt dadurch belegt, dass nach der oben zitierten Veröffentlichung Nobbes sogleich Verbraucher­ verbände gegen die betroffenen Klauseln vor Gericht zogen.581 Einer Einordnung in die erste Kategorie könnte einzig entgegenstehen, dass von Rechtsberatern grund­ sätzlich nur die anlasslose Beobachtung von Entwicklungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nicht auch des Schrifttums, verlangt wird. Dieses Anforderungs­ programm ist jedoch explizit nur als Grundsatz formuliert.582 Eine Ausnahme wird man für Beiträge von Senatsmitgliedern machen können, die in denjenigen Publika­ tionen, die Berater ohnehin durchzusehen haben, erscheinen bzw. aufgegriffen wer­ den. Es dürfte davon auszugehen sein, dass sich derartige Äußerungen innerhalb des Fachpublikums rasch verbreiten. Die beschriebene Relevanz sollte allerdings grund­ sätzlich auf solche Beiträge beschränkt werden, die mindestens in zeitlicher Nähe zur Senatsmitgliedschaft des Autors publiziert wurden. Nur bei solchen lässt sich davon ausgehen, dass damit künftige Rechtsprechungsänderungen angedeutet wer­ den sollen. Der Praxis wird somit die Suche nach „Jugendsünden“ im wissenschaft­ lichen Œuvre der Senatsmitglieder erspart. 576  BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3718–3719 Rn.  66. Diese Entscheidung erging wohlgemerkt nach dem Ausscheiden Nobbes am 31.1.2009 (sie­ he ZIP 2009, A12, Personalia (Nr.  43)). 577  Siehe §  7 B. II. 1. b) bb) m.N. in Fn.  85. 578  Siehe oben d) bb). 579  Zum (erheblichen) Einfluss des jeweiligen Berichterstatters neben dem Vorsitzenden einge­ hend Weiß, in: JbJZ 2014, S.  239, 250–255. 580 Zutreffend Harnos, WM 2015, 1658, 1660; zum obiter dictum oben c). 581  Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  155.4. 582  Siehe oben d) aa).

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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Nach den hier erarbeiteten Leitlinien ist demnach entgegen der referierten An­ sicht des BGH davon auszugehen, dass die angesprochene Stellungnahme Nobbes entsprechende Klagen zumutbar machte. Der Vorsitzende des Bankrechtssenats hatte sich während seiner Mitgliedschaft zu einem bankrechtlichen Thema in einer verbreiteten Fachzeitschrift geäußert. Man könnte das Ergebnis des BGH allenfalls mit dem Hinweis zu stützen versuchen, dass Nobbe rund ein Jahr nach der Veröf­ fentlichung in den Ruhestand getreten war.583 Damit war sein unmittelbarer Ein­ fluss auf künftige Beurteilungen der betroffenen Rechtsfragen erloschen. Aller­ dings begann die Verjährung bereits mit der Feststellung der Zumutbarkeit ab Ver­ öffentlichung des Beitrags zu laufen. Die Wirkung des Ausscheidens aus dem Senat lässt sich über §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nicht berücksichtigen. f) Verfassungs- oder europarechtliche Kritikpunkte Besonders gelagert sind Situationen, in denen die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung mit verfassungs- oder europarechtlichen Problemen behaftet ist, zu denen das BVerfG bzw. der EuGH noch keine Entscheidung gefällt haben. Es ist bereits festgestellt worden, dass sich an der Klassifizierung als „Höchstgericht“ in solchen Fällen nichts ändert.584 Allerdings erscheint es denkbar, dass die nicht ab­ schließend geklärte verfassungs- bzw. europarechtliche Lage die Aussagekraft ei­ ner höchstrichterlichen Entscheidung – gegebenenfalls gar von Beginn an – ein­ schränkt. Im Bereich der vorliegenden Untersuchung hat diese Problematik im dritten Quadranten Bedeutung erlangt. Das OLG Jena hat einem Schuldner einen unverschuldeten Rechtsirrtum attestiert, da jener bis zum Bekanntwerden der ne­ gativen EuGH-Entscheidung „auf die gefestigte nationale Rechtsprechung“ habe vertrauen dürfen.585 Anderswo wird die Auffassung vertreten, ein „umfassender Vertrauensverlust in die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung“ sei bereits mit Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens anzunehmen.586 Wenig Schwierigkeiten bereitet es, wenn das Höchstgericht neuerdings selbst Zweifel an seiner bisherigen Sichtweise hegt und die Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegt (Art.  267 AEUV) oder die konkrete Normenkontrolle initiiert. Art.  100 Abs.  1 S.  1 GG setzt explizit voraus, dass das vorlegende Gericht die Norm für verfassungswidrig hält. Bei einer EuGH-Vorlage kommt es zwar vor, dass das Gericht eine bestimmte Auslegung bloß für denkbar hält, sie aber selbst nicht präferiert.587 Die Vorlageentscheidung ist in einem solchen Fall aber zumin­ 583 

Siehe dazu oben Fn.  576. Siehe oben 1. e). 585  OLG Jena, Urt. v. 11.5.2011 − 2 U 1000/10, NJOZ 2012, 481, 482; zustimmend Hager, in: Erman, §  286 Rn.  65. 586  LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.3.2016 – 5 Sa 148/15, BeckRS 2016, 68146 Rn.  20; verglei­ che auch (zum Verschulden im Sinne von §  233 S.  1 ZPO) BayObLG, Beschl. v. 26.1.2000 – 3Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 772, wo die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde anstand. 587  Beispiel: BGH, Beschl. v. 30.11.1999 – XI ZR 91/99, NJW 2000, 521, 523 (unter Verweis darauf Vertrauensschutz verneinend BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 26.9.­ 2011  − 2 BvR 2216/06 u. a., NJW 2012, 669, 672 Rn.  66); gleichzustellen sein dürfte der Vorlage­ 584 

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7. Teil: Synthese

dest funktional vergleichbar mit einem obiter dictum: Bestehende Zweifel werden offenbar. Problematisch sind hingegen Sachverhalte, in denen verfassungs- bzw. europa­ rechtliche Bedenken lediglich im Schrifttum vorgetragen werden bzw. eine Vorlage durch ein Instanzgericht erfolgt. Äußerungen aus diesen Reihen wurden oben in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Beraterhaftung grundsätzlich der dritten Kategorie zugeordnet.588 Sie sind regelmäßig erst dann zu beachten, wenn ein An­ lass für besondere Aufmerksamkeit in einem bestimmten Rechtsgebiet besteht. Ei­ nen solchen beachtlichen Impuls wird man etwa darin erblicken können, dass das zuständige Höchstgericht die verfassungs- oder europarechtliche Problematik selbst anspricht, sich aber im Ergebnis gegen eine Vorlage entscheidet. Dann ist das Thema öffentlichkeitswirksam platziert und Literatur und Instanzrechtsprechung sind mit Blick darauf genauer zu beobachten. Ähnliches gilt, wenn die maßgebliche Entscheidung des Höchstgerichts zu einer Rechtsfrage Neuheitswert aufweist, ins­ besondere ihrerseits mit einer früheren Judikatur bricht. Dann gibt es „Bewegung“ im betroffenen Feld. Reaktionen der Literatur und der Instanzrechtsprechung sind genauer als sonst zu beachten. Werden dort in relevantem Umfang verfassungsoder europarechtliche Bedenken geäußert, entfaltet die neue höchstrichterliche Entscheidung keine Gewissheit begründende Wirkung, solange mit einer mögli­ chen Korrektur gerechnet werden muss. Ein anschauliches Beispiel liefert das Ur­ teil des BAG aus dem Jahr 2019, in dem das Gericht anmerkte, für spezifisch ver­ fassungsrechtliche Fragen sei es selbst nicht die höchste Instanz.589 Das ist, wie ausgeführt, nicht wörtlich zu verstehen,590 doch das Ergebnis erscheint richtig. Schutzwürdiges Vertrauen in eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung kann nicht entstehen, wenn diese sogleich von erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik begleitet wird, eine Entscheidung des BVerfG aber noch aussteht.591 Welche Kritik der dritten Kategorie als „erheblich“ zu qualifizieren ist, richtet sich wiede­ rum nach den oben erarbeiteten Maßstäben.592 Ganz vereinzelt vorgetragene ver­ fassungsrechtliche Bedenken der Literatur bleiben ohne Auswirkungen.593 Einzel­ ne Äußerungen sind dagegen relevant, sofern sie von Obergerichten stammen. Sol­ che Stellungnahmen können in ein Vorabentscheidungsersuchen eingekleidet sein. beschluss im sogenannten Quelle-Fall (BGH, Beschl. v. 16.8.2006 – VIII ZR 200/05, NJW 2006, 3200), der (a. a. O., 3201 Rn.  15) klar zu erkennen gab, dass sich der Senat zu einer ggf. erforder­ lichen richtlinienkonformen Auslegung nicht imstande sah. Dass man sich gleichwohl für eine Vorlage an den EuGH entschied, ließ zumindest die Möglichkeit erahnen, dass ein Richtlinienver­ stoß doch noch abgewendet würde (wie dann bei BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427, tatsächlich geschehen). 588  Oben d) aa). 589  BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705 Rn.  46. 590  Siehe 1. e). 591  So im Kern BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705–706 Rn.  45–47, m.N. zur Kritik in der Literatur. 592  Siehe d) bb)–cc). 593  So zur Beraterhaftung BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258 = NJW 2009, 1593, 1595 Rn.  16.

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So kann zum Beispiel eine EuGH-Vorlage durch ein Landesarbeitsgericht Zweifel am Fortbestand der BAG-Rechtsprechung wecken.594 Vor diesem Hintergrund erscheint es bedenklich, dass das oben zitierte Urteil des OLG Jena erst die Ent­ scheidung des EuGH als wesentliches Moment ansah.595 Demgegenüber hat die Vorlage durch ein erstinstanzliches Gericht für sich genommen keine gewissheits­ beeinträchtigende Wirkung.596 g) Abhängigkeit von Eigenschaften der höchstrichterlichen Judikatur Bereits eine einzelne einschlägige höchstrichterliche Entscheidung kann nach zutref­ fender Ansicht die Rechtslage als praktisch gewiss erscheinen lassen.597 Diese Fest­ stellung schließt es nicht aus, bestimmte Eigenschaften der betroffenen höchstrich­ terlichen Judikatur immerhin bei der Frage zu berücksichtigen, wann die geschaffene Gewissheit wieder verloren geht. Insbesondere könnte man einen solchen Gewiss­ heitsverlust umso eher annehmen, je weniger höchstrichterliche Entscheidungen zu der betroffenen Rechtsfrage vorliegen.598 Damit würde man indes ein weiteres relati­ ves Element einfließen lassen. Die Prüfung, ob praktische Gewissheit vorlag, drohte in eine Gesamtabwägung ohne klare Leitlinien zu münden. Für diesen Schritt be­ steht kein Bedürfnis. Dass das Höchstgericht keine Gelegenheit gefunden hat, seine frühere Aussage zu wiederholen, mag schlicht daran liegen, dass die Auffassung in der Praxis akzeptiert und nicht mehr infrage gestellt wurde. Ist das Gegenteil der Fall, werden sich häufig Anknüpfungspunkte finden lassen, die ihrerseits zu einem Gewissheitsverlust geführt haben. Auf die fehlende Quantität der höchstrichterli­ chen Entscheidungspraxis braucht dann nicht abgestellt zu werden.599 Ähnliches gilt für das Alter der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtspre­ chung. In der Rechtsirrtumsdiskussion wird teils darauf hingewiesen, dass eine durch das Höchstgericht vermittelte Gewissheit bereits dort fraglich werde, wo die Judikatur seit Längerem nicht mehr auf die Probe gestellt worden sei.600 Abstrakt 594 

76.

Siehe BAG, Urt. v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119 = NZA 2009, 538, 545 Rn.  74–

595 Die dort betroffene Vorlage an den EuGH erfolgte durch das OLG Köln, siehe EuGH (1.  Kammer), Urt. v. 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008, 1935 – 01051 Telecom. 596 Insofern überzeugend zum Vertrauensschutz BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = NJW 2006, 3161, 3166 Rn.  42. 597  Siehe oben 2. b). 598  In diese Richtung zur Vertrauensschutzproblematik BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 62-63 Rn.  13, 16; BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3325; siehe z. B. auch Langenbucher, Entwicklung, S.  133, und, im Rahmen einer Interessenabwä­ gung, Höpfner, RdA 2006, 156, 160. 599  So verwies BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, NZG 2016, 61, 63 Rn.  17, darauf, dass ein Gesetzentwurf ein rasches gesetzgeberisches Handeln in der maßgeblichen Frage abge­ lehnt hatte, weil die wissenschaftliche Diskussion beobachtet werden sollte. Hier lässt sich von einem Umstand der zweiten Kategorie ausgehen, der aufkommender Kritik (dritte Kategorie; im konkreten Fall siehe a. a. O., 62 Rn.  14) Relevanz verleiht. 600  So die Interpretation von Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 908; ansatzweise auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  165; R. Zimmermann/Jansen, in: Obligations, S.  285, 310.

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7. Teil: Synthese

betrachtet dürfte die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsprechungswende unter sol­ chen Umständen tatsächlich höher liegen. Schließlich kommt es zu Judikaturände­ rungen überproportional häufig im Zusammenhang mit Zuständigkeitswechseln der Senate bzw. Veränderungen der personellen Zusammensetzung. 601 In normati­ ver Hinsicht sind jedoch auch neu zusammengesetzte Senate in gleichem Maße an die frühere Rechtsprechung „gebunden“. 602 Zudem führte die Einbeziehung des Entscheidungsalters in die Gewissheitsprüfung in Richtung der soeben abgelehn­ ten Gesamtabwägung. In dem hier vorgeschlagenen Maßstab findet das Alter einer Entscheidungspraxis stattdessen mittelbar Berücksichtigung: Je länger eine Ent­ scheidung zurückliegt, desto eher werden sich in der Zwischenzeit Veränderungen im Umfeld ergeben haben, die ihrerseits zu einem Gewissheitsverlust führen kön­ nen. 603 4. Rückerlangung der Maßgeblichkeit Hat bestehende höchstrichterliche Judikatur nach den vorstehenden Grundsätzen ihre Gewissheit begründende Wirkung eingebüßt, muss dieser Zustand seinerseits kein dauerhafter sein. Die frühere Maßgeblichkeit kann wiedererlangt werden. Das setzt voraus, dass sich das Höchstgericht nach Aufkommen des unsicherheitsbe­ gründenden Faktors erneut äußert und an der bestehenden Linie festhält. Einer solchen Äußerung kommt eine Zäsurwirkung zu. Vor allem erfüllt verworfene Kritik fortan nicht mehr das Innovationskriterium. 604 Im Revisionsrecht äußert sich dies darin, dass die kritische Ansicht keine grundsätzliche Bedeutung mehr begründet. 605 Wo die Verschonung des Rechtsirrenden von Nachteilen voraussetzt, dass praktische Gewissheit herrschte, ist solche infolge des neuerlichen Judikats wiederum zu bejahen. 606

601  Zu diesem Umstand Lepsius, JZ 2019, 793, 800; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 339–340; Weiß, in: JbJZ 2014, S.  239, 242–243. 602  Dazu näher §  3 A. II. 3. 603  Siehe oben b). Beispiel: BVerfG, Beschl. v. 16.5.2011 – 2 BvR 1230/10, BeckRS 2011, 52468 Rn.  18: Die betroffene Entscheidung lag fast 50 Jahre zurück, der BGH hatte die Fortführung der Judikatur zwischenzeitlich ausdrücklich offengelassen; siehe ferner Höpfner, RdA 2006, 156, 160; Neuner, in: FS Canaris II, S.  205, 214. 604  Dazu siehe oben 3. d) bb); siehe auch J. Koch, in: FS Bergmann, S.  413, 434: Eine Judikatur­ änderung sei bloßes „Wunschdenken“, wo sich die Rechtsprechung der fortdauernden Kritik der Literatur beständig verschließe. Ein anschauliches Beispiel liefert BGH, Urt. v. 14.9.2018 – V ZR 213/17, NJW 2018, 3523, 3524 Rn.  8 –9, wo die wegen vermeintlich veränderter Verhältnisse geäu­ ßerte Kritik an der Rechtsprechung zu formfreien Änderungen von Grundstückskaufverträgen nach Auflassung explizit zurückgewiesen wird. 605  Anschaulich BGH, Beschl. v. 19.7.2016 – II ZB 3/16, NJW-RR 2016, 1529, 1530 Rn.  18. 606  Vergleiche die Entlastung des Schädigers bei BGH, Urt. v. 14.3.1995 – VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631, 2632; siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  57 („Besonders vertrauensverstärkend wirkt, wenn das Urteil in einer ausdrücklichen Bestätigung der früheren, heftig angegriffenen Rechtsprechung ergeht“.); ferner BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = NJW 2006, 3161, 3166 Rn.  42.

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

639

An dieser Stelle fügt sich die Entscheidung des OLG Koblenz ein, dem Beklag­ ten, der sich im Einklang mit der früheren Rechtsprechung verteidigt hatte, nach deren Wandel ein sofortiges Anerkenntnis (§  93 ZPO) zu gestatten: Der Um­ schwung der höchstrichterlichen Judikatur war trotz früherer Abweichungen der Instanzrechtsprechung überraschend gekommen, weil der BGH die Gegenansicht zwischenzeitlich explizit abgelehnt hatte.607 Bedenklich erscheint dagegen die Entscheidung des BGH, nach Aufgabe der langjährigen Rechtsprechung zur Wirk­ samkeit von Blankobürgschaften im Jahr 1996 keinen Vertrauensschutz zu gewäh­ ren. 608 Der BGH verwies darauf, dass sich die Unwirksamkeit angesichts von aus den 1960er- bzw. 1970er-Jahren stammenden höchstrichterlichen Ausführungen zur vergleichbaren Problematik bei Grundstücksgeschäften aufgedrängt habe. In der Tat können Judikate zu verwandten Themengebieten als Umstände der zweiten Kategorie zur besonders wachsamen Beobachtung von Rechtsprechung und Lite­ ratur veranlassen.609 Und tatsächlich hatte sich das Schrifttum in der Folge zu ei­ nem erheblichen Teil gegen die Wirksamkeit von Blankobürgschaften gewandt. 610 Die Rechtslage mag angesichts dessen zwischenzeitlich ungewiss gewesen sein. Al­ lerdings bejahte der BGH noch im Jahr 1984 ausdrücklich die Wirksamkeit von Blankobürgschaften. 611 Damit war es zur Zäsur gekommen. Die Rechtslage muss­ te ab diesem Zeitpunkt wieder als praktisch geklärt angesehen werden. Der BGH machte es sich folglich zu leicht, als er anmerkte, die Rechtsprechung habe es „le­ diglich versäumt, die sich bei Blankobürgschaften aufdrängenden Rechtsfolgen auszusprechen“. 612 Eine „gewissheitsrestaurierende“ Wirkung kann höchstrichterlicher Rechtspre­ chung nur innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets zukommen. Anders liegen die Dinge vor allem, wenn die aufgekommene Kritik europa- bzw. verfassungsrechtli­ che Punkte betrifft und noch keine Entscheidung des EuGH bzw. BVerfG zu der Frage vorliegt. Hier kann naturgemäß auch eine Bestärkung der früheren Linie durch das Höchstgericht nicht die entstandene Unsicherheit ausräumen. So lässt sich erklären, warum Vertrauensschutz zu verwehren war, obwohl das BAG eine später wieder aufgegebene Rechtsprechungslinie zunächst gegen aufgekommene Kritik verteidigt hatte: Problematisch war nämlich eine verfassungsrechtliche Fra­ ge, deren Beantwortung durch das BVerfG noch ausstand. 613 607  Siehe OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2012 – 6 W 557/12, NJOZ 2013, 1337, 1338; dazu näher §  12 C. I. 2. a) aa) (2) (a). 608  BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1470. Es ging zwar um den Schutz des Vertrauens in den Bestand des Bürgschaftsvertrags. Wenn auf Grundlage dieses Vertrauens ein Anspruch geltend gemacht bzw. eine Leistung verweigert würde, befände man sich aber im Bereich der vorliegenden Untersuchung. 609  Siehe oben 3. c). 610  Nachweise bei BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1468. 611  BGH, Urt. v. 12.1.1984 – IX ZR 83/82, NJW 1984, 798, 798. 612  So BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1470. 613  BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, 705 Rn.  46; dazu soeben 3. f).

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7. Teil: Synthese

5. Zwischenfazit Praktische Gewissheit zu einer Rechtsfrage vermitteln einschlägige höchstrichter­ liche Entscheidungen. Es kommt dabei im Ausgangspunkt weder auf deren Anzahl noch darauf an, von welchem Höchstgericht sie stammen. Voraussetzung ist aller­ dings, dass die Ausführungen entscheidungserheblich waren und so veröffentlicht wurden, dass ein gewissenhafter Rechtsberater sie wahrnehmen müsste. Dagegen vermitteln eine überwiegende Instanzrechtsprechung oder eine herrschende Mei­ nung im Schrifttum für sich genommen614 keine praktische Gewissheit. Die durch höchstrichterliche Judikatur erzeugte Erwartungssicherheit kann ver­ loren gehen. Manche Faktoren führen unmittelbar zu einem Gewissheitsverlust. Dies betrifft neben bestimmten Änderungen im Normumfeld vor allem eigene An­ deutungen des Höchstgerichts bzw. von dessen Richtern. In anderen Fällen kommt zunächst lediglich „Bewegung“ in ein bestimmtes Rechtsgebiet. Unter solchen Umständen ist zu beobachten, ob sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung bzw. in erheblichen Teilen des Schrifttums innovative Kritik formiert. Die frühere höchstrichterliche Judikatur gewinnt ihre gewissheitsstiftende Maßgeblichkeit zu­ rück, wenn das Höchstgericht die aufgekommene Kritik verwirft.

III. Vertretbarkeitsgrenze Selbst in Abwesenheit einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann hin­ reichende rechtliche Gewissheit bestehen: Die Antwort auf eine bestimmte Rechts­ frage ist praktisch sicher, wenn eine abweichende Beurteilung nicht als vertretbar angesehen werden kann. Es ist zunächst zu erörtern, an welchen Stellen eine solche Vertretbarkeitsprüfung vorzunehmen ist (dazu 1.). Anschließend kann der Maß­ stab konkretisiert werden (dazu 2.). 1. Bedarf für Vertretbarkeitsprüfung Der soeben beschriebene Zusammenhang zeigt sich bereits bei §  114 ZPO: Die Ge­ währung von Prozesskostenhilfe setzt jedenfalls voraus, dass der vom Antragsteller vorgetragene Rechtsstandpunkt vertretbar ist. 615 Hinreichende Erfolgsaussichten sind trotz des Fehlens ungünstiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zu vernei­ nen, wenn sich die Rechtslage ohne Weiteres zum Nachteil des Antragstellers beur­ teilen lässt. 616 Folgerichtig ist es, für eine Haftungsfreiheit des unberechtigten An­ spruchstellers zu verlangen, dass dieser sich zumindest auf eine vertretbare Rechts­ ansicht stützen konnte. 617 Wo dagegen beachtliche Argumente für die vom Gericht letztlich nicht geteilte Ansicht des Putativgläubigers stritten, ist er von einer Scha­ 614 

Außer sie sprechen die einzig vertretbare Lösung aus, dazu sogleich III. Siehe §  9 C. III. 3. b) aa) m.N. in Fn.  305. 616  Siehe §  7 C. II. 2. b) (vor aa)) m.N. in Fn.  536. 617  Siehe §  9 C. III. 3. b) aa) m.N.; grundlegend BGH, Urt. v. 16.1.2009 – V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 = NJW 2009, 1262, 1264 Rn.  26. 615 

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

641

densersatzhaftung zu verschonen, sofern nicht höchstrichterliche Rechtsprechung seinem Anliegen entgegenstand. 618 Über eine Verneinung der Vertretbarkeit lassen sich gegebenenfalls auch Entscheidungen halten, die eine Schadensersatzpflicht des Putativgläubigers annehmen, obwohl dem Anliegen lediglich die obergerichtliche Praxis entgegenstand. Wenn diese Praxis die einzige vertretbare Auffassung ver­ körpert, ist das Ergebnis richtig. 619 In vergleichbarer Weise ist ein Schuldner jeden­ falls dort nicht wegen eines Rechtsirrtums entlastet, wo sein Rechtsstandpunkt unvertretbar war. 620 Das Hauptanwendungsfeld für die Vertretbarkeitsprüfung liegt innerhalb des hier präferierten Konzepts dort, wo den Irrenden – wie bei der unberechtigten An­ spruchsgeltendmachung – erst das Bestehen praktischer Gewissheit belastet. Ge­ ringere Relevanz besitzt die Vertretbarkeit hingegen, wo nur praktische Gewissheit entlastet. Letzteres betrifft die Verjährungsproblematik und – auf Grundlage der hier bevorzugten strengen Linie – die Fälle der unberechtigten Anspruchsverteidi­ gung. Eine Nachteilszuweisung steht dort jeweils nur dann im Raum, wenn das zuletzt entscheidende Gericht das Bestehen eines Anspruchs bejaht. Der Irrende muss sich zur Nachteilsvermeidung darauf berufen, das Fehlen eines Anspruchs sei zuvor praktisch gewiss erschienen. Dies gelingt, wenn sich auf entsprechende höchstrichterliche Judikatur verweisen lässt, die erst später aufgegeben wurde. Demgegenüber wird der Hinweis, die Anspruchsbejahung sei unvertretbar gewe­ sen, kaum verfangen. Dazu müsste sich schließlich das Gericht, das von einem An­ spruch ausgeht, selbst attestieren, eine unvertretbare Entscheidung gefällt zu ha­ ben. Von Bedeutung ist die zusätzliche Vertretbarkeitsprüfung daher allenfalls dort, wo nach verbindlicher Entscheidung über den Anspruch ein anderes Gericht über die Folgen des Rechtsirrtums zu befinden hat. 621 Mittelbar kann die Annahme einer Unvertretbarkeit abweichender Ansichten allerdings auch dem Gläubiger, der irrtümlich auf eine Geltendmachung verzichtet, bzw. dem Schuldner, der sich irrtümlich gegen eine Leistungspflicht wehrt, zugute kommen. Dies betrifft nicht die fehlende Vertretbarkeit der Anspruchsbejahung an sich, sondern diejenige spezifischer Begründungsansätze. So wirkt, wie gesehen, eine Ausrichtung an anspruchsfeindlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung so­ 618  Vorbildlich etwa OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2011 – I-5 U 135/11, Rn.  10, juris: „Der Rechts­ standpunkt der Klägerin war danach jedenfalls vertretbar […]. Es bestehen hinreichende Argu­ mente, die […] den Rechtsstandpunkt der Klägerin plausibel machen, mögen sie auch nicht durch­ greifen“; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.8.2009 – 16 U 59/09, NJW-RR 2010, 568, 569: „vielmehr durfte sie ihren eigenen Rechtsstandpunkt in der Sache für vertretbar halten, zumal es sich […] um eine Bewertungsfrage handelt, deren Ergebnis nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt“; vergleiche zudem BGH, Urt. v. 10.6.2011 – V ZR 233/10, BeckRS 2011, 19048 Rn.  23. 619  Siehe bereits oben II. 1. d) (insb. aa)), wo jeweils der Vorbehalt angebracht wurde, eine ab­ weichende Auffassung müsse vertretbar sein; exemplarisch der Ansatz von LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 715, das zwar auf die obergerichtliche Rechtspre­ chung, aber zugleich auf eine Evidenz der rechtlichen Lösung verweist; ähnlich zu §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO: BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047, 1047 Rn.  3 –6. 620  U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  711. 621  Siehe §  11 C. II. 5. b) bb).

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7. Teil: Synthese

lange entlastend, wie Letztere ihre Gewissheit begründende Wirkung nicht verlo­ ren hat. Um Kritik, etwa aus dem Schrifttum, als gewissheitsschädlich anzusehen, ist neben den bereits dargestellten Voraussetzungen622 stets zu verlangen, dass die Kritik ihrerseits vertretbar ist. Unvertretbare Opposition bringt eine bestehende Entscheidungspraxis nicht ins Wanken. Das zeigt sich deutlich im Revisionsrecht: Aufgekommene Kritik an einer Judikaturlinie begründet keine grundsätzliche Be­ deutung, sofern die Kritik „abwegig[]“623 bzw. nicht „nachvollziehbar begrün­ det“624 ist. Auch der Schuldner ist deshalb von einer Haftung befreit, wenn er die Leistungsverweigerung auf eine höchstrichterliche Praxis stützen konnte, die bis dahin nur mit unvertretbarer Begründung angegriffen worden war. 625 2. Prüfungsmaßstab Soweit es auf die Vertretbarkeit ankommt, bleibt tatsächlich nichts anderes übrig, als auf einen „normativ-qualitativen“ Maßstab626 zurückzugreifen. Anwendungs­ felder und Grundlagen der Vertretbarkeitsprüfung sind bereits dargestellt wor­ den. 627 Zu konstatieren ist, dass die Rechtsordnung, obschon sie an vielen Stellen Urteile über die Vertretbarkeit von Rechtsauffassungen voraussetzt, selbst kein kla­ res Prüfungsprogramm vorzeichnet. Die Bewertung ist daher keineswegs frei von Unwägbarkeiten. 628 Die Gefahr von kognitiven Verzerrungen erscheint wiederum groß:629 Es gibt Anzeichen dafür, dass auch Richter einem false consensus bias un­ terliegen, also davon ausgehen die eigene Auslegung des Rechts sei die „normale“, die von den übrigen Betrachtern geteilt werde. 630 Es ist leicht vorstellbar, dass es unter solchen Vorzeichen mitunter schwerfallen wird anzuerkennen, dass ex ante auch andere Ergebnisse vertretbar schienen. Nicht nur über die richtige Lösung, sondern auch über die Vertretbarkeit von Alternativansätzen kann trefflich gestrit­ ten werden. Es kommt bisweilen sogar vor, dass ein BGH-Senat die Auffassung eines anderen Senats als „nicht vertretbar“ bezeichnet. 631 622 

Siehe oben II. 3. d) bb)–cc). Krüger, in: MüKo-ZPO, §  543 Rn.  7. 624  BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978, 979 Rn.  3; ebenso Ball, in: Musielak/Voit, §  543 Rn.  5a; R. Koch, in: Hk-ZPO, §  543 Rn.  9. 625  So lässt sich möglicherweise die Entscheidung BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 169/70, NJW 1972, 1045, 1046, erklären. 626  Einen solchen Maßstab schlagen v. a. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 934–939, vor; siehe zur Kritik daran oben II. 3. (vor a)) sowie zuvor schon B. II. 627  Siehe oben §  3 A. I. 628  Vergleiche Guski, JZ 2020, 129, 133: Das mit der „Kontingenz des Rechts“ einhergehende Pro­ blem werde durch die Vertretbarkeitsprüfung zwar abgefedert, aber zugleich „in die Differenz ver­ tretbar/unvertretbar“ verschoben; siehe auch Hefendehl, in: MüKo-StGB, §  263 Rn.  96, dazu, dass „sich kaum zweifelsfrei wird bestimmen lassen, was eine nicht mehr vertretbare Rechtsauffassung ist“; im Kontext der Rechtsirrtumsproblematik in diese Richtung J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  147. 629  Zu Rückschaufehlern siehe bereits oben II. 1. b). 630  Siehe etwa zur Vertragsauslegung Solan/Rosenblatt/Osherson, Colum. L. Rev. 108 (2008), 1268, 1268–1269, 1291–1294; zudem Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 748 m. w. N. in Fn.  31. 631  So BGH, Beschl. v. 26.3.2019 – XI ZR 372/18, NJW 2019, 1739, 1741 Rn.  17 (die gegenteilige Auffassung des III. Zivilsenats sei „nicht vertretbar“). 623 

§  15 Übergreifendes Modell zur Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades

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Nichtsdestotrotz erscheint der Einsatz einer Vertretbarkeitsprüfung an den zu­ vor identifizierten Stellen unumgänglich. Umso bedeutsamer ist es, dass nach den hier vorgeschlagenen Maßstäben der Anwendungsbereich für eine solche Prüfung schmal gehalten wird: Soweit der schädliche Erkenntnisgrad schon bei Rechts­ zweifeln erreicht ist, spielt die Frage der Vertretbarkeit in aller Regel keine Rolle. 632 Wo dem Irrenden erst Gewissheit schadet, wird man vielfach schon angesichts der Existenz einschlägiger höchstrichterlicher Judikatur zu einem eindeutigen Ergeb­ nis gelangen. An diesem Punkt zeigen sich abermals die Vorzüge gegenüber einer rein normativ-qualitativen Betrachtungsweise.

632  Hier kann in der Regel allenfalls die Vertretbarkeit von Kritik an der höchstrichterlichen Judikatur zu prüfen sein (siehe soeben 1.). Insoweit begrenzen aber die übrigen Voraussetzungen, die an solche Kritik zu stellen sind (II. 3. d) bb)–cc)), die Bedeutung der Vertretbarkeitsprüfung. Sie nehmen überdies bereits Elemente auf, die mancherorts als Teil der Vertretbarkeitsprüfung angesehen werden, wie v. a. die Einbettung einer Ansicht in den fachlichen Konsens, dazu Neupert, JuS 2016, 489, 493.

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit Auf der vorstehend betrachteten Ebene des schädlichen Erkenntnisgrades ist zu entscheiden, ob dem Irrenden ein Rechtsnachteil schon dann zugewiesen wird, wenn die Rechtslage zweifelhaft war, oder erst dann, wenn die Frage der An­ spruchsberechtigung mit praktischer Gewissheit zu beantworten war. Nachgela­ gert ist zu fragen, inwieweit es den Irrenden vor den betroffenen Nachteilen be­ wahrt, wenn die Einsicht in die objektiv bestehende Zweifelhaftigkeit respektive Gewissheit der Rechtslage nicht gewonnen hat. Anders gewendet: Inwieweit setzen die Nachteilstatbestände nicht subjektive Zweifel bzw. Gewissheit voraus, sondern ein bloßes „Zweifelnmüssen“ bzw. „Wissenmüssen“? Dieser Frage wurde in den einzelnen Quadranten unter dem Stichwort einer möglichen Substitution der sub­ jektiven Erkenntnis nachgegangen. Von zentraler Bedeutung sind Bestehen und Ausmaß von Rechtserkundigungs-, Rechtsprüfungs- und Kontrollpflichten. Die nähere Betrachtung hat gezeigt, dass sich die Dinge zumindest im Bereich der vorliegenden Untersuchung zumeist eindeutig gestalten. Wo das Gesetz Rechts­ kenntnis verlangt, scheidet eine Substitution des subjektiven Erkennens weitestge­ hend aus (dazu im Folgenden A.). Ansonsten werden dem Irrenden Rechtsnachteile oft schon dann zugewiesen, wenn ein gewissenhafter Rechtsberater die schädliche Einsicht hätte gewinnen müssen. Funktional betrachtet wird insoweit eine Pflicht bzw. Obliegenheit zur Intermediärskonsultation angenommen (dazu B.). Ebenso hat der Irrende regelmäßig für eine sorgfaltswidrige Beurteilung durch den gewähl­ ten Berater einzustehen (dazu C.). Insgesamt verliert die Vorwerfbarkeitsprüfung somit an Bedeutung Die Frage der Nachteilszuweisung entscheidet sich zumeist bereits auf Ebene des Erkenntnisgrades, wo die objektiv zu erwartende Einschät­ zung eines gewissenhaften Experten den Maßstab bildet. Nur dort, wo keine pau­ schale Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit anzunehmen ist bzw. wo Fehler des Intermediärs nicht zurechenbar sind, kommt es auf eine genauere Untersuchung der Vorwerfbarkeit an (dazu D.). Auf eine bemerkenswerte Beobachtung lässt sich vorab hinweisen: Auf Ebene des Erkenntnisgrades alternieren die anzuwendenden Maßstäbe je nach betroffe­ nem Quadranten (Schädlichkeit von Gewissheit versus Schädlichkeit von Zwei­ feln). Auf der Stufe der „Substitution durch Vorwerfbarkeit“ setzt sich diese kom­ plementäre Gestaltung nicht fort. Vielmehr gelten weitgehend übergreifende Vor­ gaben. Soweit gefordert wird, die rechtsirrtümliche Anspruchsgeltendmachung der

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7. Teil: Synthese

irrtümlichen Verteidigung haftungsrechtlich gleichzustellen,1 lässt sich dem auf dieser Ebene – im Gegensatz zu der des Erkenntnisgrades – weitgehend beipflich­ ten.

A. Weitgehender Ausschluss einer Substitution bei Kenntnistatbeständen Eine Sonderstellung kommt Tatbeständen zu, die die Zuweisung von Rechtsnach­ teilen an Rechtskenntnis bzw. -wissen knüpfen. Im Bereich der vorliegenden Un­ tersuchung betrifft dies §§  407 Abs.  1, 814 Var.  1, 819 Abs.  1 BGB.

I. Fehlender Raum für Objektivierung der Rechtskenntnis Trotz des Kenntniserfordernisses ist insbesondere bei §  407 Abs.  1 BGB verbreitet eine objektivierte Prüfung der Rechtskenntnis vorgenommen worden.2 Der BGH hat dies inzwischen stark relativiert und sieht nur abwegige oder „schlechterdings unvernünftig[e]“ Fehlvorstellungen des Schuldners als unbeachtlich an.3 Selbst in abgeschwächter Form begegnen solche Objektivierungstendenzen jedoch erhebli­ chen Bedenken. Schon der systematische Abgleich mit der Handhabung im Rah­ men von anderen Kenntnistatbeständen begründet Skepsis. Zu §  819 Abs.  1 BGB entspricht es gerade der herrschenden Meinung, dass ein subjektiver Maßstab anzu­ legen sei.4 Betreffend §  814 BGB ist diese Auffassung sogar praktisch einhellig.5 Wer der Kenntnis die vorwerfbare Unkenntnis gleichstellen möchte – und sei es nur in extremen Fällen –, müsste unterstellen, der Gesetzgeber wisse nicht um den Unterschied zwischen Kennen und Kennenmüssen. Dass eine solche Annahme fehlginge, hat sich schon im ersten Untersuchungsquadranten gezeigt. Der Gesetz­ geber hat in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB im Vergleich zu §  852 BGB a. F. bewusst die Variante grober Fahrlässigkeit ergänzt. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass er den Kenntnisbegriff offenbar eng versteht.6 Im Zusammenhang mit dem Kennt­ nismerkmal des §  819 Abs.  1 BGB werden vergleichbare Gegenschlüsse aus der Pa­ rallelvorschrift des §  990 Abs.  1 S.  1 BGB gezogen.7 Angesichts dieser bewussten Entscheidungen rücken Bedenken in den Hintergrund, wonach das subjektive Ver­ 1  So v. a. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 932; Kaiser, in: FS Canaris I, S.  531, 547–548; Thole, AcP 209 (2009), 498, insb. 523, 539. 2  Siehe dazu §  11 C. III. 5. a) bb) (1) m.N. in Fn.  863 und 865; ursprünglich ausgehend von RG, Urt. v. 21.9.1910 – V 587/09, RGZ 74, 117, 120. 3  BGH, Urt. v. 18.3.2004 – IX ZR 177/03, NJW-RR 2004, 1145, 1148. 4  Siehe etwa RG, Urt. v. 29.10.1909 – VII 572/08, RGZ 72, 152, 155; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27, sowie §  11. C. III. 5. b) aa) Fn.  9 02 ff. 5  §  13 B. m.N. in Fn.  16. 6  Siehe auch Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638. Allerdings betrifft §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB unmit­ telbar nur die Tatsachenkenntnis. 7  Siehe §  11 C. III. 5. b) aa) mit Fn.  9 04.

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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ständnis der Kenntnis zu Beweisschwierigkeiten und somit zu Missbrauchspoten­ zial führe.8 Gerade die Entstehungsgeschichte von §  814 BGB belegt, dass sich die Verfasser des BGB dieser Schwierigkeiten bewusst waren.9 Soweit sie sich nicht anderweitig lindern lassen,10 sind sie deshalb hinzunehmen.11 Nichts anderes gilt für den Hinweis, der subjektive Maßstab privilegiere besonders Uneinsichti­ ge12 bzw. „Nachlässige und Pflichtvergessene“13. Hierin liegt eben der Unter­ schied zur Fahrlässigkeitsprüfung. Es ist auch nicht etwa so, als ließe sich die Ent­ scheidung für ein Kenntniserfordernis als offensichtlicher gesetzgeberischer Fehl­ griff abtun. So entbindet §  407 Abs.  1 BGB den Schuldner, ohne dessen Beteiligung sich die Abtretung vollzieht, davon, sich Gedanken über deren Wirksamkeit ma­ chen zu müssen.14 Lediglich in den Fällen eines gesetzlichen Forderungsüber­ gangs (§  412 BGB) wird der schuldnerschützende Gedanke durch das Ziel, Sozial­ leistungsträger zu entlasten, zum Teil überlagert. Dort kommt es ausnahmsweise zu einer partiellen Objektivierung der Kenntnis.15 Bei §  814 BGB ist die zurück­ haltende Annahme von Kenntnis ebenfalls aus dem Normzweck abzuleiten.16 Soweit Rechtsnachteile von Rechtskenntnis des Betroffenen abhängen, trifft die­ sen insbesondere keine Pflicht bzw. Obliegenheit, Rechtsrat einzuholen. Das er­ kennt im Kontext des §  407 Abs.  1 BGB mittlerweile auch der BGH an.17 Zu §  814 BGB besteht daran ohnehin kein Zweifel.18 Der Umstand, dass ein vorhandener Berater die Rechtslage hätte erkennen müssen, führt ebenfalls nicht zur Annahme von Kenntnis beim Beratenen.19

8  Diese Sorge dürfte die Objektivierungstendenzen zu §  407 Abs.  1 BGB erklären, siehe RG, Urt. v. 21.9.1910 – V 587/09, RGZ 74, 117, 120, sowie §  11 C. III. 5. a) bb) (1). Zu §  819 Abs.  1 BGB vergleiche Martinek, JZ 1996, 1099, 1100. 9  Siehe §  13 C. III. 2. a) mit dem Hinweis auf Mot. II, 833. 10  Dazu sogleich noch II. 11  Vergleiche auch die mahnenden Worte von Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 161, zur hier nicht behandelten Frage des Vorsatzes und des Rechtswidrigkeitsbewusstseins bei §  823 Abs.  2 BGB: „Die Vereinfachung der Beweisproblematik darf nicht zur Preisgabe gesetzgeberischer Grundsatzentscheidungen führen.“ 12  So zu §  819 Abs.  1 BGB v. a. Schreiber, JuS 1978, 230, 231. 13  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 36. 14  Siehe oben §  11 C. III. 5. a) bb) (1) unter Hinweis v. a. auf Lieder, in: BeckOGK, §  407 BGB Rn.  61; siehe zudem den Hinweis a. a. O., §  405 BGB Rn.  39.1, wonach Kenntnistatbestände Infor­ mationsaufwendungen obsolet machen und Kosten senken. 15  Siehe näher §  11 C. III. 5. a) bb) (3). 16  Siehe insb. §  13 C. III. 1. gegen eine Deutung als Vertrauensschutznorm zugunsten des Leis­ tungsempfängers. Siehe zum Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ratio §  13 A. 17  BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 97/04, BGHZ 172, 278 = NJW 2007, 3352, 3354 Rn.  26; Nachweise zur entsprechenden Ansicht im Schrifttum bei §  11 C. III. 5. a) bb) (1) Fn.  872. 18  Siehe näher §  13 C. III. 1. 19  Siehe zu §  407 Abs.  1 BGB oben §  11 C. III. 5. a) bb) (1) und zu §  814 BGB oben §  13 C. III. 1. Zum Problem einer solchen Zurechnungslücke siehe Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 38, sowie unten noch näher C. III.

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7. Teil: Synthese

II. Erleichterungen der Kenntnisfeststellung Die mit einer streng subjektiven Kenntnisinterpretation einhergehenden Darle­ gungs- und Beweisschwierigkeiten lassen sich nach den Erkenntnissen der Unter­ suchung zumindest zum Teil lindern. 1. Anforderungen auf Ebene des Erkenntnisgegenstands und des Erkenntnisgrades Die Feststellung von Kenntnis wird bereits durch die Anforderungen erleichtert, die auf Ebene des Erkenntnisgegenstands und des Erkenntnisgrades gestellt wer­ den. Wo die Rechtslage zum nachteilsbegründenden Erkenntnisgegenstand zählt, wird regelmäßig nicht eine detaillierte Rechtskenntnis, sondern bloß eine zutref­ fende Würdigung in der Laiensphäre gefordert. Das gilt für §  407 Abs.  1 BGB20 ebenso wie für §  819 Abs.  1 BGB21 und §  814 Var.  1 BGB22 . Insbesondere muss die Herleitung des zutreffenden Ergebnisses nicht juristisch präzise erfolgen. Bei­ spielsweise wird man es für eine Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit im Sinne von §§  814, 819 Abs.  1 BGB ausreichen lassen können, dass der Betroffene sicher davon ausgeht, dass sich sein Gegner wirksam vom Vertrag gelöst hat, mag er auch nicht das konkret einschlägige Gestaltungsrecht, geschweige denn die richtige Norm, be­ nennen können.23 Man kann sich an der Verwendung der „Parallelwertung“ im Strafrecht orientieren, woher die Figur ursprünglich stammt.24 Auf Ebene des Erkenntnisgrades ist auch bei den Kenntnistatbeständen keine vollkommene Sicherheit, sondern bloß das sonst übliche Maß praktischer Gewiss­ heit erforderlich.25 Hierbei handelt es sich nicht um eine unzulässige Objektivie­ rung, sondern bloß um eine hinreichende Konkretisierung des weiterhin subjektiv verstandenen Kenntnismerkmals. Eine ebensolche erfolgt, wenn man es genügen lässt, dass sich der Betroffene mit einer gewissen Gedächtnisanspannung erinnern könnte.26 Ein Abstellen auf den Grad praktischer Gewissheit hat den Vorteil, dass man die anderswo dazu formulierten Maßstäbe27 nahtlos übertragen kann. Durch die konkrete Fassung des Bezugspunkts der Kenntnis wird zudem deren Nachweis 20 

So z. B. OLG Oldenburg, Urt. v. 6.3.1986 – 1 U 164/85, NJW 1987, 655, 656. z. B. BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2653; Schmidt-Kessel/Hadding, in: Soergel, §  819 Rn.  3. 22  So z. B. BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, NJW 2020, 170, 173 Rn.  35; BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  17; Lorenz, in: Staudinger, §  814 Rn.  4; w.N. bei §  13 C. I. Fn.  28. 23  Vergleiche zu §  990 Abs.  1 BGB BGH, Urt. v. 22.10.1997 – XII ZR 142/95, NJW-RR 1998, 803, 805, zu dem Fall, dass der Betroffene den Verstoß gegen ein apothekenrechtliches Verbot er­ kannt hatte; auf die genaue Subsumtion unter eine der verschiedenen Verbotsnormen kam es nicht an. 24  Siehe etwa so schon BGH, Urt. v. 28.10.1952 – 1 StR 450/52, BGHSt 3, 248 = NJW 1953, 113, 113; eingehender zum Hintergrund Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  173–174 m. w. N. 25  Siehe etwa schon §  11 C. III. 5. a) bb) (2). 26  So allgemein Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638–2639; siehe auch OLG Oldenburg, Urt. v. 16.1.­ 1991 – 2 U 162/90, NJW-RR 1991, 1185, 1186. 27  Siehe dazu §  15 C. 21  So

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erleichtert. So genügt etwa die Feststellung, dass der Betroffene wusste, dass nach einschlägiger, aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Anspruch bestand bzw. nicht bestand, mögen auch vertretbare Gegenansichten existiert haben. 2. Ersetzung der Kenntnis durch missbräuchliches Sichverschließen Im Zusammenhang mit den hier relevanten Kenntnistatbeständen hat sich zudem gezeigt, dass ein Rückgriff auf die in §  162 Abs.  1 BGB zutage tretende Wertung in Betracht kommt. Der treuwidrigen Vereitelung des Bedingungseintritts steht die treuwidrige „Kenntnisnahmevereitelung“ nahe. Bei §  407 Abs.  1 und §  819 Abs.  1 BGB kann man auf diesen Gedanken zurückgreifen.28 Der Vergleich mit der in §  162 Abs.  1 BGB geregelten Situation ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Betroffene einer erwarteten Kenntnisvermittlung bewusst entzieht. Diese Hür­ de ist hoch. Der Vorwurf muss lauten, der Betroffene habe sich der Einsicht ver­ schlossen, nicht: Er sei passiv geblieben, obwohl ihm einfache Nachforschungen zur Kenntnis verholfen hätten.29 Ansonsten hielte über einen Umweg die zu ver­ meidende Fahrlässigkeitsprüfung Einzug.30 Im Kontext von §  814 Var.  1 BGB liegt der Vorwurf eines missbräuchlichen „Sichverschließens“ von vornherein fern, weil sich der Leistende gerade zum eigenen Nachteil verhält.31 3. Weitgehendes Ausscheiden eines Anscheinsbeweises Eine aus objektiver Sicht besonders gute Erkennbarkeit der Rechtslage lässt sich allenfalls mittelbar über das Beweisrecht berücksichtigen. Aus einem zu §  814 BGB geäußerten obiter dictum des VIII. Zivilsenats des BGH32 wurde vielfach gefolgert, Mieter wüssten typischerweise um die Mietminderung als Folge von Mängeln.33 Darüber hinaus wird ein Beweis des ersten Anscheins befürwortet, wenn im be­ troffenen Verkehrskreis üblicherweise entsprechende Rechtskenntnisse vorhanden sind.34 Im Bereich von §  819 Abs.  1 BGB wird mitunter, zumindest der Sache nach, ebenfalls ein Anscheinsbeweis für Kenntnis in Betracht gezogen.35 Die Bedenken gegenüber einer vorschnellen Annahme des Prima-facie-Beweises wurden im Kontext des §  814 Abs.  1 BGB bereits artikuliert.36 Sie treffen in wei­ 28  Siehe oben §   11 C. III. 5. a) bb) (2), b) bb) m. w. N., z. B. BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246 = NJW 1996, 2652, 2653; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790, 2793 Rn.  27, 29; BGH, Urt. v. 16.1.2018 – VI ZR 474/16, NJW 2018, 1602, 1605 Rn.  32. 29  Bedenklich weit zu §  819 Abs.  1 BGB daher OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2012 – 16 U 159/­11, BeckRS 2012, 16339. 30 Zutreffende Kritik bei Buck, Wissen, S.   71–72; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  260; Schrader, Wissen, S.  245. 31  Siehe §  13 C. III. 2. b) und auch noch sogleich noch 3. 32  BGH, Urt. v. 16.7.2003 – VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 = NJW 2003, 2601, 2603. 33  Siehe die Nachweise in §  13 C. III. 2. c) aa) Fn.  128. 34  OLG Stuttgart, Urt. v. 1.8.2018 − 3 U 19/18, RdTW 2019, 234, 237 Rn.  21; Sprau, in: Palandt, §  814 Rn.  11. 35  Siehe v. a. OLG Köln, Urt. v. 19.12.1985 – 12 U 102/85, NJW 1986, 1350, 1354. 36  Siehe §  13 C. III. 2. c) bb).

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ten Teilen ebenso auf die Feststellung der Rechtskenntnis in anderen Bereichen, beispielsweise bei §  819 Abs.  1 BGB, zu. Mitunter sind dort sogar die gleichen Sach­ verhalte betroffen wie im Zusammenhang mit §  814 BGB. Ein anschauliches Bei­ spiel bietet die Annahme, jeder (geprüfte) Jäger kenne das Schriftformerfordernis für Jagdpachtverträge.37 Die einen Anscheinsbeweis befürwortende Rechtspre­ chung scheint entweder das bei Laien vorhandene Rechtswissen zu überschät­ zen 38 oder die beweisrechtliche Figur als Hintertür zu nutzen, um doch auf ein „Kennenmüssen“ abheben zu können.39 Beides verdient Kritik. Nur wenn ein empirisch (nicht bloß normativ) begründeter Erfahrungssatz besteht, dass typi­ scherweise bei einer bestimmten Gruppe entsprechende Rechtskenntnis vor­ liegt,40 kann auf den Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden. Das ist deutlich kritischer zu prüfen, als dies bislang oftmals geschieht. Es bedeutet einen Schritt in die richtige Richtung, dass der VIII. Zivilsenat des BGH inzwischen von der groß­ zügigen Annahme von Kenntnis zulasten von Mietern in Minderungssituationen abgerückt ist.41 Die Zurückhaltung hinsichtlich der Annahme eines Anscheins­ beweises ist besonders wichtig, sofern es um den Nachweis der Kenntnis des Leis­ tenden im Sinne von §  814 BGB geht. Hier spricht die Lebenserfahrung gerade da­ für, dass derjenige, der eine Leistung erbringt, nicht positiv weiß, dass der Rechts­ grund fehlt.42 Das wurde bereits in den Motiven zum BGB angedeutet.43 Die Annahme eines Anscheinsbeweises ist zudem immer dann problematisch, wenn ein anderer Beteiligter dem Irrenden gegenüber die im Ergebnis falsche Rechtsansicht vertreten hat. Das hat sich wiederum bei §  814 BGB besonders deut­ lich gezeigt: Hat der Leistungsempfänger selbst geäußert, ein Rechtsgrund bestehe, liegt der Schluss, der Leistende sei vom Fehlen der Verbindlichkeit ausgegangen, noch ferner als sonst.44 Ähnlich verhalten sich die Dinge bei §  407 Abs.  1 BGB, wenn der Zedent auf den Schuldner einwirkt, indem er die Rechtswirksamkeit der Abtretung bestreitet. Auch dies dürfte typischerweise dazu führen, dass sich der Schuldner zumindest nicht sicher ist, dass der Zessionar Forderungsinhaber ist. Ein Anscheinsbeweis erscheint lediglich in der umgekehrten Situation denkbar, in der dem Betroffenen die zutreffende Rechtsansicht von einer Person mitgeteilt wurde, der diese Rechtslage zum Nachteil gereicht. Das ist vor allem der Fall, wenn der spätere Leistungsempfänger den späteren Leistenden darüber unterrichtet hat, es 37  Bei §  814 BGB: OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269; OLG Koblenz, Urt. v. 28.9.1999 – 1 U 890/96, BeckRS 1999, 17158 Rn.  32–33; betreffend §  819 Abs.  1 BGB: OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2009 – 30 U 182/08, BeckRS 2010, 8384 (im Ergebnis aber offen­ gelassen). 38  Vergleiche §  3 A. III. 1. zu fehlenden Rechtskenntnissen in der Bevölkerung. 39  Ausführliche Kritik bei §  13 C. III. 2. c) bb) (2)–(3). 40  Siehe zu den Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis die Nachweise bei §  13 C. III. 2. c) bb) Fn.  145. 41  BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZR 100/18, NJW-RR 2018, 1483, 1484 Rn.  18; dies begrü­ ßend auch Eisenhardt, WuM 2019, 5, 6–8. 42  Dazu ausführlicher §  13 C. III. 2. c) bb) (3). 43  Mot. II, 833; siehe dazu auch H. Koch, Bereicherung, S.  118. 44  Ausführlich §  13 C. III. 2. c) bb) (3).

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bestehe keine Verpflichtung.45 Eine Ausnahme gilt, wenn das Fehlen des Rechts­ grundes auch für den Erstgenannten günstig wäre, insbesondere mit Blick auf eine unerwünschte Gegenleistungspflicht.46 Vor dem gleichen Hintergrund wird ver­ ständlich, warum eine Abtretungsanzeige des Zedenten dem Schuldner im Nor­ malfall zuverlässige Kenntnis vermittelt:47 Wenn der frühere Gläubiger freiwillig die für ihn ungünstige Position eingesteht, spricht viel dafür, dass dies zutrifft.48 Wo keine solche Ausgangslage besteht, muss der Beweisbelastete hoffen, dass das Gericht nach freier Beweiswürdigung von der Kenntnis überzeugt sein wird. Aus­ geschlossen ist das nicht.49

B. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit Außerhalb der Kenntnistatbestände fällt es deutlich leichter, dem Irrenden trotz subjektiven Fehlens der objektiv möglichen Rechtserkenntnis einen Nachteil zuzu­ weisen. Die Untersuchung hat zutage gefördert, dass dem Irrenden in weiten Berei­ chen bereits der Umstand schadet, dass er auf die Befragung eines Rechtskundigen (genauer: eines Rechtsanwalts50) verzichtet hat.

I. Verjährung Im Verjährungsrecht sorgt schon die prinzipielle Diskriminierung von Rechtsirr­ tümern durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB dafür, dass den Gläubiger funktional betrach­ tet eine Obliegenheit trifft, Rechtsrat einzuholen, wenn er die Lage nicht selbst beurteilen kann:51 Die Unzumutbarkeitsausnahme hindert den Verjährungsbeginn nur, wenn „selbst die besten und fähigsten Rechtsberater“52 keine hinreichenden Aussichten einer Geltendmachung bejaht hätten. Die Verfügbarkeit von Rechtsrat wird von vielen Stimmen, einschließlich des BGH, zu Recht als ein tragender Grund dafür angesehen, dass §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB grundsätzlich nur Tatsachen­ 45 

Siehe §  13 C. III. 2. c) bb) (4). Siehe wiederum §  13 C. III. 2. c) bb) (4) mit dem Beispiel OLG Hamm, Urt. v. 8.8.2016  – 8 U 23/16, GmbHR 2017, 245, 247. 47  Siehe zur Annahme eines entsprechenden Anscheinsbeweises oben §  11 C. III. 5. a) bb) (2) mit Fn.  888, wobei v. a. RG, Urt. v. 21.12.1915 – III 189/15, RGZ 87, 412, 418, zu entnehmen ist, dass nicht nur Kenntnis von der Anzeige, sondern auch Kenntnis von der wirksamen Abtretung ver­ mutet wird. 48  Vergleiche auch Schrader, Wissen, S.  274. 49  Siehe z. B. zu §  819 Abs.  1 BGB: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.8.2013 – II-3 UF 92/13, Fam­ RZ 2014, 566, 567, sowie insgesamt §  11 C. III. 5. b) bb) Fn.  915. Auch in den zu §  814 Var.  1 BGB ergangenen Entscheidungen OLG Koblenz, Urt. v. 29.3.2018 – 1 U 544/17, NJOZ 2019, 281, 285 Rn.  50, und OLG Jena, Urt. v. 7.8.2002 – 2 U 1353/01, NJW-RR 2003, 267, 269, dürfte die Annah­ me der Kenntnis des Leistenden nach den Umständen jeweils vertretbar gewesen sein. 50  Dazu unten III. 51  Siehe §  7 C. III. 2. a). 52  Otto, Bestimmung, S.  173. 46 

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kenntnis verlangt.53 Ein anderes Verständnis lässt sich allenfalls im Bereich des §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB vertreten. Weil dort auch grob fahrlässige Unkenntnis der Bewertung als Kartellverstoß vorausgesetzt wird, kann den Gläubiger die feh­ lende Wirtschaftlichkeit einer Beraterkonsultation eventuell entlasten.54

II. Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung Die Behandlung im Verjährungsrecht belegt, dass der Gesetzgeber es offenbar nicht per se für unzumutbar hält, Rechtsunterworfene pauschal darauf zu verwei­ sen, sie könnten jederzeit juristischen Rat einholen, um ihre Rechte zu wahren. Dieser Gedanke ist im Grundsatz auf die Felder der Putativgläubiger- und Schuld­ nerhaftung bei anspruchsbezogenen Rechtsirrtümern zu erstrecken. 1. Gründe für Annahme einer generellen Konsultationspflicht Im Zusammenhang mit der Haftung des aufgrund Rechtsirrtums säumigen Schuld­ ners entspricht die Annahme einer pauschalen Konsultationspflicht 55 der nahezu einhelligen Auffassung.56 Diese Sichtweise herrscht im Bereich der Verschuldens­ haftung auch im Übrigen vor.57 Ebenso verlangt der II. Zivilsenat des BGH von Geschäftsleitern, die eine Binnenhaftung gegenüber der Kapitalgesellschaft meiden möchten, im Grundsatz, „alle verfügbaren Informationsquellen […] rechtlicher Art auszuschöpfen“.58 Das ist in der Literatur jedoch als zu weitgehend kritisiert wor­ den.59 Der 5. Strafsenat des BGH hat die Anforderungen konkretisiert: Der Um­ fang der erforderlichen Informationsgewinnung hänge von Faktoren wie Zeit, Kos­ ten und Bedeutung der Sache ab. 60 Diese Nachsicht dürfte sich allerdings auch da­ durch erklären lassen, dass es jeweils um eine Schädigung der Gesellschaft geht, die der Geschäftsleiter gegebenenfalls auf (Mandatierungs-)Kosten ebenjener Gesell­ schaft hätte verhindern können. Der Präventionsaufwand würde hier die Geschütz­ te selbst treffen. Im Bereich der vorliegenden Untersuchung ist das Bestehen einer pauschalen Pflicht zur Einholung von Rechtsrat vor allem im Kontext der Putativgläubigerhaf­ 53  Siehe die Nachweise bei §  7 B. II. 1. a) Fn.  37, so z. B. BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  18. 54  So ausdrücklich Franck, in: Immenga/Mestmäcker, §  33h GWB Rn.  20; siehe zum Ganzen §  7 B. II. 2. a). 55  Diesen Begriff nutzt z. B. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73. 56  Siehe die umfangreichen Nachweise bei §  11 C. III. 2. a) aa) Fn.  713. 57  Siehe die Nachweise bei §  9 C. IV. 5. a) bb) (4) Fn.  6 40 sowie RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 100–101; RG, Urt. v. 7.5.1910 – V 354/09, RGZ 73, 333, 337; OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.4.1970 – 5 U 56/69, OLGZ 1971, 322, 325. 58  BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361, 3362 Rn.  11; BGH, Urt. v. 18.6.­ 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = NJW 2013, 3636, 3638 Rn.  30. 59 Exemplarisch J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  20 (mit großzügigerem eigenem Ansatz bei Rn.  4 4a); Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  55 (großzügigerer Ansatz bei Rn.  61). 60  BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017, 578, 580 Rn.  34.

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tung umstritten. Hier bietet sich ein breites Spektrum an vertretenen Abstufun­ gen. 61 Dieses reicht bis zu der Ansicht, vor einer Anspruchsgeltendmachung müsse grundsätzlich kein rechtlicher Rat eingeholt werden, da dem Gegner die gleichen Erkenntnismittel zur Verfügung stünden. 62 Die Sichtweise ist abzulehnen:63 Durch die vorschnelle Verneinung einer Haftung würde verhindert, dass die beiderseits bestehenden Informationsmöglichkeiten im Rahmen einer Mitverschuldensprü­ fung abgewogen werden können. Wichtiger noch: Manche Schäden des vermeint­ lichen Anspruchsgegners beruhen schon auf der Inanspruchnahme an sich. 64 Der Putativschuldner könnte für solche Schäden keinen Ersatz erlangen, obwohl er sie durch die Einholung von Rechtsrat gerade nicht hätte verhindern können. Das Kon­ zept einer pauschalen Konsultationspflicht sollte daher auch im Bereich der unbe­ rechtigten Anspruchsgeltendmachung nicht vorschnell verworfen werden. Letztlich spricht für die Anerkennung einer solchen Pflicht nicht nur der Aspekt, dass das Problem in verwandten Bereichen wie der Schuldnerhaftung und der Ver­ jährungsfrage in vergleichbarer Weise gehandhabt wird. Zugrunde liegt vielmehr eine einheitliche materielle Wertung: Der Umstand, dass die Rechtsordnung pro­ fessionellen Rechtsrat in institutionalisierter Form zur Verfügung stellt, rechtfer­ tigt es, auf die Konsultation solcher Intermediäre zu verweisen. Dieser Zusammen­ hang wurde oben als eine zentrale Besonderheit identifiziert, die bei der Behand­ lung von Rechtsirrtümern zu berücksichtigen ist. 65 Im weiteren Verlauf der Untersuchung hat sich gezeigt, dass sich diese Eigenheit gerade auf Ebene der „Sub­ stitution durch Vorwerfbarkeit“ auswirkt. Als Anker in der Normgenese dient die in den Motiven zutage tretende Annahme, „daß in Ansehung der Rechtsnormen einem jeden ein meist zum Ziele führender Weg zur Erkenntnis gewiesen ist“. 66 An dieser Stelle – nicht schon auf Ebene des Erkenntnisgrades67 – hat überdies der (ambivalente68) Hinweis, der „Geltungsanspruch des Rechts“ sei zu schützen,69 eine gewisse Daseinsberechtigung. Durch die Annahme einer Konsultationspflicht (bzw. -obliegenheit) wird der Betroffene nicht übermäßig belastet. Wer bei einem Intermediär Informationen 61 

Siehe §  9 C. IV. 5. a) aa) m. w. N. Haertlein, MDR 2009, 1, 2; ähnlich zur unwirksamen Kündigung (dazu oben §  15 A. II. 2. b) cc) (2)) AG Konstanz, Urt. v. 20.4.1977 – C 141/77, WuM 1977, 254. 63  Ausführlich §  9 C. IV. 2. b). 64  Vergleiche §  11 C. IV. 65  Siehe §  5 C. IV. Bei Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 28–29, schwingt ebenfalls deutlich die Erwä­ gung mit, dass in „modernen hochkomplexen Rechtsordnungen“ nur die Verfügbarkeit von Rechtsrat eine strengere Behandlung von Rechts- gegenüber Tatsachenirrtümern rechtfertigen könne. Auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 73 sieht eine „im Recht unausgesprochene norma­ tive Anforderung an den Normadressaten […]: Wenn er das Recht nicht versteht, muss er es sich erklären lassen.“ 66  Mot. I, 281; siehe §  11 C. V. 3. zum danach noch gebotenen Entschuldbarkeitsspielraum. 67  Siehe die Kritik bei §  11 C. II. 2. a) aa). 68  Siehe §  5 B. I. 69  Siehe in übergreifendem Kontext etwa Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  55: Es müsse „ver­ mieden werden, dass Rechtsunkenntnis zu einer bequemen Ausrede für den Schuldner wird“. 62 

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einholt, ist vor den Folgen einer Falschberatung in der Regel durch eine (versicher­ te) Berufshaftung geschützt.70 Auch im Verjährungskontext wird die Belastung des in rechtlicher Hinsicht irrenden Gläubigers teils mit der Regressmöglichkeit verknüpft.71 Bedenken, wirtschaftlich Schwächere könnten der Konsultations­ pflicht nicht nachkommen, lassen sich unter Verweis auf die Beratungshilfe und die Möglichkeit der Beiordnung nach §  121 ZPO weitgehend entkräften.72 Rechtsökonomischen Kontrollüberlegungen hält das Konzept einer pauschalen Konsultationspflicht ebenfalls stand. Zwar wäre mitunter ineffizienter Beratungs­ aufwand zu betreiben, um sicher zu einer Nachteilsbefreiung zu gelangen. Wird ein überspannter Schadensvermeidungsaufwand – zu dem im Ausgangspunkt auch der Informationsaufwand zählt73 – gefordert, führt dies jedoch nicht zwingend zu ineffizienten Ergebnissen:74 Für den jeweiligen Betroffenen wird es bei geringer Schadenserwartung oftmals rational sein, auf eine Beratung zu verzichten und das Haftungsrisiko auf sich zu nehmen. Bei der Bestimmung der Sorgfaltsanforderun­ gen, die bei der Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche zu beachten sind, wird mitunter gleichwohl der Kostenaufwand bzw. das drohende Schadensausmaß be­ rücksichtigt.75 Das ist erwägenswert. Eine übermäßig strenge Haftung des Puta­ tivgläubigers könnte nämlich – anders als eine entsprechende Haftung des Schuld­ ners, der eine Rechtsklärung unter Einbehalt der umstrittenen Position ohnehin nicht provozieren soll76 – einen unerwünschten Abschreckungseffekt haben.77 Bei überschlägiger Betrachtung scheint sich diese Wirkung allerdings in Grenzen zu halten.78 Zumindest geht mit der Statuierung der pauschalen Konsultations­ pflicht ein zusätzlicher Nutzengewinn einher: Der Rechtsanwender wird von der mühevollen Aufgabe entbunden, für jeden Einzelfall aufs Neue festlegen zu müs­ sen, ob die Einholung von Rechtsrat unter den konkreten Umständen geboten war.79 Schon eingangs der Untersuchung wurde überdies der Befund zitiert, wo­ nach der Verweis auf die Konsultation von Intermediären es erlaube, Normen wohlfahrtssteigernd komplex zu gestalten.80 70  Dazu allgemein §  3 A. III. 1. a); insoweit zutreffend der Hinweis von Lindemann, Haftung, S.  150. 71  Zur Verjährungshemmung BGH, Urt. v. 4.5.1955 – VI ZR 37/54, BGHZ 17, 199 = NJW 1955, 1225, 1227. 72  Siehe dazu im Zusammenhang der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung §  9 C. IV. 5. a) bb) (1); im Verjährungskontext auf Beratungshilfe verweisend auch Piekenbrock/Ludwig/Rodi, ZIP 2014, 1353, 1355; allgemein §  3 A. III. 2. a). 73  Korch, Haftung, S.  167; Schäfer/Ott, Analyse, S.  189. 74  Siehe ausführlich m.N. §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (a); siehe auch §  11 C. III. 2. a) bb). 75  In diese Richtung v. a. BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.  29; siehe nochmals zum Meinungsstand §  9 C. IV. 5. a) aa). 76  Siehe oben §  15 A. II. 2. 77  Siehe zum Gedanken des Klärungsanreizes §  15 A. II. 1. a) bb). 78  Näher §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (b). 79  Siehe §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (c); siehe zudem §  11 C. V. 3. und den dortigen Hinweis auf Kötz, JuS 2018, 1, 6, der hinter der Einstandspflicht für die eigene Zahlungsfähigkeit („Geld hat man zu haben“) v. a. das Motiv erkennt, Gerichte von aufwändigen Feststellungen zu entlasten. 80  Siehe §  5 IV. unter Verweis auf Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 35, 55–56, 70, 73; siehe zu­

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2. Dogmatische Grundlage: Verschuldensunabhängiges Vertretenmüssen Im Bereich der Verjährung ergibt sich die funktionale Obliegenheit, Rechtsrat ein­ zuholen, bereits aus der gesetzlichen Diskriminierung von Rechtsirrtümern. 81 Bei der Haftung des Putativgläubigers bzw. des Schuldners besteht kein vergleichbarer Anknüpfungspunkt für eine Unterscheidung. Dementsprechend bedurfte es einge­ henderer Überlegungen zur Umsetzung. Diese haben ergeben, dass sich die funk­ tionale Konsultationspflicht am überzeugendsten als Fallgruppe eines verschul­ densunabhängigen Vertretenmüssens im Sinne von §  276 Abs.  1 BGB abbilden lässt.82 Es lassen sich Anleihen bei der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht für die finanzielle Leistungsfähigkeit („Geld hat man zu haben“) 83 nehmen. 84 Es gilt dann gewissermaßen: „Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben“. Mit der beschriebenen Verortung steht zugleich fest, dass sich bei Tatbeständen, die gerade ein Verschulden voraussetzen, keine pauschale, insbesondere von Kosten und Schadensrisiko gelöste, Konsultationspflicht verankern lässt. In diesem Punkt wäre die Rechtsprechung des BGH, die üblicherweise im Rahmen einer Fahrlässig­ keitsprüfung zu den geschilderten Ergebnissen gelangt, 85 demnach zu präzisieren. Man entfernte sich ansonsten zu weit von den im Übrigen geltenden Maß­stäben der Verschuldensprüfung.86 Dass in diesem Punkt ein Unterschied zwischen Vertre­ tenmüssen und Verschulden besteht, scheint der BGH in anderem Zusammenhang selbst zu erkennen. So lässt sich zumindest erklären, warum mit Blick auf die von §  372 S.  2 Var.  2 BGB (Hinterlegung) genannte Fahrlässigkeit einzelfallbezogen ge­ prüft wird, ob die Mandatierung eines Rechtsberaters geboten war.87 Das wäre für andere verschuldensabhängige Tatbestände, etwa die Kündigung nach §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB, zu übernehmen. dem die a. a. O., 53, 57, 70, geäußerte Vermutung, dass die Einschaltung von Intermediären die Inter­nalisierung von Normen stärken könne. 81  Siehe oben I. 82  Dazu und zum Folgenden §  11 C. V. 3. Dass diese Überlegungen nicht auf die Schuldnerhaf­ tung beschränkt, sondern auf die Haftung des Putativgläubigers übertragbar sind, zeigt Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  143, der die für den Mieter entwickelten Grundsätze (a. a. O., §  571 Rn.  5, §  573 Rn.  81) auf die Haftung des Vermieters für eine unberechtigte Kündigung übertragen möchte. 83  Zu diesem Grundsatz etwa Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 132; BGH, Urt. v. 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296, 1297 Rn.  18. 84  Auf die Parallele weist auch Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49, hin; dieser geht allerdings mit seinem Ansatz zu weit, weil er eine Haftung selbst dann annimmt, wenn die Rechtslage objektiv betrachtet eindeutig die Position des Schuldners zu stützen schien, siehe §  11 C. V. 3. 85  BGH, Urt. v. 19.9.1957 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759, 1760; BGH, Urt. v. 17.12.1969  – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464; BGH, Urt. v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382, 383 Rn.  15; BGH, Urt. v. 23.2.2018 – V ZR 101/16, NJW 2018, 2550, 2557 Rn.  83, 86. 86  Näher §  11 C. V. 3.; zu den üblichen Maßstäben siehe allgemein §  9 C. IV. 3. b). 87  Siehe §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) m. w. N., etwa BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; ebenso BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657. Zu diesem Unterschied siehe ebenfalls schon §  11 C. V. 3.

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7. Teil: Synthese

III. Gewissenhafter Rechtsanwalt als maßgeblicher Intermediär Der zur Verjährung und zum Vertretenmüssen formulierte Maßstab stellt den Be­ troffenen jeweils effektiv so, als hätte er den Erkenntnisstand eines gewissenhaften Rechtsanwalts erlangt. Es kommt somit grundsätzlich darauf an, welche Kenntnis­ se von einem Anwalt erwartet werden können; maßgeblich sind die haftungsrecht­ lichen Anforderungen, die schon auf Ebene des Erkenntnisgrades die Beurteilungs­ grundlage bilden. 88 Damit steht erstens fest, dass nicht bloß die Kenntnisse unterstellt werden, über die sonstige Intermediäre verfügen, für die keine ähnlich strengen Anforderungen wie für Anwälte gelten.89 Die Rechtsordnung eröffnet nämlich gerade flächende­ ckend die Beratung durch Rechtsanwälte als „berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten“ (§  3 Abs.  1 BRAO). Wer dennoch auf ei­ nen weniger qualifizierten Intermediär zurückgreift, handelt im Bereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB und des Vertretenmüssens demnach auf eigenes Risiko. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass unter einer solch rigiden Sichtweise wirtschaft­ lich schwächere Personen zu leiden hätten. Zwar verweist §  1 Abs.  1 Nr.  2 BerHG Rechtsuchende vorrangig auf andere zumutbare Beratungsangebote. Allerdings lässt sich der Begriff der Zumutbarkeit ohne Schwierigkeiten so deuten, dass der Zugang zu einem Rechtsanwalt nur in solchen Fällen nicht eröffnet wird, in denen auch ein sonstiger Intermediär hinreichend fachkundige Beratung verspricht. Wenn die Annahme einer generellen Konsultationspflicht zum Teil unter Verweis darauf gerechtfertigt wird, dass der Kreis der in Betracht kommenden Intermediäre nicht zu eng sei,90 sollte dies daher nicht missverstanden werden. Der Rechtsuchende hat eine Pflichtverletzung auch dann zu vertreten (bzw. sein Anspruch ist der Verjäh­ rung ausgesetzt), wenn ihm ein weniger qualifizierter Intermediär eine nach dessen Verkehrskreis sorgfaltsgemäße Auskunft erteilt hat, ein gewissenhafter Rechtsan­ walt aber zu einem anderen (nämlich: dem richtigen) Ergebnis gekommen wäre. Der weite Kreis möglicher Intermediäre gewährleistet bloß, dass man bei weniger kom­ plizierten Fragen auch ohne Konsultation eines Anwalts eine zutreffende Auskunft erhält. Außerdem kann im Bereich der Verschuldenstatbestände der Rückgriff auf einen nichtanwaltlichen Intermediär gegebenenfalls entlasten.91 Zweitens ist zu überlegen, inwiefern auf die Kenntnisse nicht bloß irgendeines, sondern gerade eines spezialisierten Anwalts abzustellen ist. Wenn bei der verjäh­ rungsrechtlichen Unzumutbarkeit auf die Sicht der „besten und fähigsten Rechts­ berater“ abgehoben wird,92 klingt ein solches Verständnis an. Nach dem hier be­ vorzugten Verständnis haben jedoch an dieser Stelle Differenzierungen innerhalb 88  Dazu, dass sich die Haftungsfrage in diesen Konstellationen zumeist schon auf Ebene des Erkenntnisgrades entscheidet, siehe A. 89  Siehe dazu §  3 A. III. 2. b). 90  So v. a. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73. 91  Siehe unten D. III. 2. c). 92  Siehe das Zitat von Otto, Bestimmung, S.  173, oben bei I.

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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der Anwaltschaft keine Bedeutung.93 Zu unterstellen ist stets, dass der Betroffene einen gewissenhaft arbeitenden Anwalt, wie ihn das Berufshaftungsrecht zum Maßstab nimmt,94 mit der Prüfung beauftragt, ob ein Anspruch besteht. Von ei­ nem gewissenhaften Anwalt, mag er auch nicht in dem betroffenen Gebiet spezia­ lisiert sein, ist in einer solchen Situation eine von zwei Reaktionen zu erwarten: Er kann das Mandat annehmen, muss sich dann aber die für eine Beurteilung des An­ spruchs erforderlichen Rechts- und Rechtsprechungskenntnisse verschaffen, selbst wenn diese sonst zum „Spezialistenwissen“ zählen.95 Andernfalls muss er das Mandat ablehnen bzw. auf eine Beschränkung hinwirken; der auf Sicherheit be­ dachte Rechtsuchende kann dann einen anderen Berater mandatieren, der sich der Aufgabe gewachsen fühlt.96 Von diesem darf er dann eine fachkundige Auskunft erwarten. Im Ergebnis ist es daher gerechtfertigt, im Bereich des Vertretenmüssens und des Verjährungsbeginns stets die Kenntnisse eines für das konkrete Rechts­ gebiet hinreichend informierten Anwalts zu unterstellen. Die Frage, ob es genügt, anstelle eines Spezialisten, Fachanwalts usw. einen sonstigen Anwalt zu konsultie­ ren, stellt sich wiederum nur im Bereich der Verschuldenstatbestände.97

IV. Einschränkungen wegen Zeitnot oder fehlenden Beratungsanlasses Der Verweis auf stets verfügbaren Rechtsrat könnte allerdings unter bestimmten Umständen fragwürdig erscheinen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang dem Verhalten des Gegners zukommen kann, ist später gesondert zu erörtern.98 An die­ ser Stelle ist zunächst eine Ausnahme von der generellen Konsultationspflicht für Fälle der besonderen Eilbedürftigkeit zu erwägen.99 Im Verjährungsrecht sorgt al­ lerdings bereits der Fristlauf dafür, dass kein umgehendes Handeln erforderlich ist. Die Frist kann daher „sofort“ beginnen, obwohl erst später die Gelegenheit zur Konsultation eines Beraters besteht.100 Ebenso wenig ist derjenige, der einen nicht bestehenden Anspruch geltend macht, mit dem Argument zu hören, er habe nicht ausreichend Zeit gehabt, einen Berater zu befragen. In aller Regel wird vor der Gel­ 93 

Zum Folgenden vergleiche bereits §  9 C. IV. 5. a) cc). Siehe nur BGH, Urt. v. 7.2.1967 – VI ZR 101/65, VersR 1967, 704, 705; Borgmann, in: Borg­ mann/Jungk/Schwaiger, §  26 Rn.  45; Fahrendorf, NJW 2006, 1911, 1912. 95  Siehe bereits oben §  9 C. IV. 5. a) cc) mit Fn.  660. 96  Deshalb sind die hohen Anforderungen, die gestellt werden, wenn der Anwalt das Mandat annimmt, zumutbar; diesen Zusammenhang ganz deutlich herausstellend BGH, Urt. v. 21.6.2018  – IX ZR 80/17, NJW 2018, 2476, 2478 Rn.  17; siehe auch Fahrendorf, NJW 2006, 1911, 1912. Eine konkludente Beschränkung des anwaltlichen Mandats wird man z. B. oftmals hinsichtlich steuer­ rechtlicher Spezialfragen annehmen dürfen (näher BGH, Urt. v. 9.1.2020 – IX ZR 61/19, NJW 2020, 1139, 1140 Rn.  16). 97  Dazu unten D. III. 2. a). 98  Dazu unten §  17 A. 99 So etwa allgemein Grundmann, in: MüKo-BGB, §   276 Rn.  73; Kaulich, Haftung, S.  228; ­siehe auch J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  106, 114, und bereits Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 25, 26. 100  Vergleiche auch BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8 („[…] drei Jahre zur Verfügung, um den Vorgang rechtlich prüfen und sich entsprechend beraten zu lassen“). 94 

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7. Teil: Synthese

tendmachung eines Anspruchs zumindest Zeit sein, einen Berater zu befragen.101 Demgegenüber kann der Schuldner von der Inanspruchnahme überrascht werden. Es ist daher konsequent, ihm eine Prüfungsfrist zuzugestehen.102 Vor deren Ablauf hat er eine rechtliche Fehleinschätzung nicht zu vertreten und gerät nicht in Verzug. Ungerecht muss der Verweis auf die bestehenden Rechtsberatungsangebote je­ doch scheinen, wo für den Betroffenen schlechthin kein Anlass für eine solche Be­ ratung ersichtlich war.103 Im Verjährungsrecht ist deshalb eine Kenntnis der Um­ stände im Sinne von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nur bei hinreichender „Kontextuie­ rung“ zu bejahen: Die potenzielle rechtliche Relevanz muss erkannt oder grob fahrlässig verkannt worden sein.104 Allerdings sind die Anforderungen recht nied­ rig zu halten.105 Sie sind insbesondere regelmäßig erfüllt, wenn der Betroffene eine vertraglich vereinbarte Leistung erbringt; dann lässt sich nicht sagen, dass jeglicher Anlass zur Konsultation eines Rechtskundigen gefehlt habe.106 In den übrigen Quadranten ergeben sich im Grundsatz ebenso wenig Probleme. Derjenige, der einen vermeintlichen Anspruch geltend macht, ist sich der rechtlichen Relevanz bewusst.107 Bei der unberechtigten Nichtleistung gewährleisten die Voraussetzun­ gen der §§  281, 286 BGB eine hinreichende „Kontextuierung“.108

V. Kausalitätserfordernis Aufgrund der Struktur des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bzw. durch die Verortung im verschuldensunabhängigen Vertretenmüssen erledigt sich die Frage, ob es dem Be­ troffenen zum Nachteil gereicht, wenn er keinen Rechtsanwalt befragt, ein solcher ihm aber bei sorgfaltsgemäßem Handeln ebenfalls nicht den schädlichen Erkennt­ nisgrad verschafft hätte (zum Beispiel weil eine spätere Änderung der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung noch nicht abzusehen war). Es gilt weiterhin: „Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben.“ Einsichten, zu de­ nen auch ein gewissenhafter Anwalt nicht gekommen wäre, werden dem Betroffe­ 101 

Siehe bereits §  9 C. IV. 6. b). Siehe näher §  11 C. III. 4. m.N.; allgemein auch Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 103  Siehe etwa zu §  17 StGB Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  63–66a, zum „Anlass zur Über­ prüfung“. Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 30, gibt ebenfalls zu erkennen, dass eine Obliegenheit zur Konsultation von Rechtsberatern grundsätzlich nur dort gerecht erscheint, wo bei objektiver Be­ trachtung ein hinreichender Anlass besteht; allgemein zur Schuldnerhaftung RG, Urt. v. 7.5.1910  – V 354/09, RGZ 73, 333, 337; ähnlich RG, Urt. v. 15.12.1927 – VI 209/27, RGZ 119, 265, 268 (Kon­ sultationspflicht an das Vorliegen einer „zweifelhafte[n] Rechtslage“ geknüpft); siehe auch bereits Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 25, 26. 104  Schrader, Wissen, v. a. S.  157–158 (unter Hinweis auf entsprechende Andeutungen bei BGH, Urt. v. 29.6.1989 – III ZR 92/87, NJW 1990, 176, 179; BGH, Urt. v. 17.10.1995 – VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118; BGH, Urt. v. 23.9.2008 – XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544, 546 Rn.  32); ähnlich U. Theisen/B. Theisen, in: FS Nobbe, S.  453, 469–470. 105  Zum Folgenden §  7 C. I. 2. 106  Vergleiche BGH, Beschl. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237, 1238 Rn.  8 , unter Verweis auf Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 103; auch Schrader, Wissen, S.  428. 107  Siehe §  9 C. IV. 6. a). 108  Näher §  11 C. III. 2. a) bb). 102 

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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nen nicht unterstellt. Eine Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit besteht bloß in funktionaler Hinsicht; an ihre Verletzung sind keine eigenständigen Nachteile ge­ bunden.109

C. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Hat der Irrende tatsächlich einen Berater mandatiert, kann es vorkommen, dass ihm Letzterer aufgrund sorgfaltswidrigen Arbeitens nicht die eigentlich erzielba­ ren Erkenntnisse verschafft. Es fragt sich, ob der Irrende im Verhältnis zu seinem Gegenüber für solche Beraterfehler einzustehen hat.

I. Unerheblichkeit im Bereich der Verjährung und des verschuldensunabhängigen Vertretenmüssens Das Modell, das vorstehend für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB und für diejenigen Tatbe­ stände, die an ein Vertretenmüssen anknüpfen, skizziert wurde, erübrigt zugleich die Zurechnungsfrage. Es wird schließlich stets die Rechtserkenntnis eines gewis­ senhaften Anwalts zugrunde gelegt. Ist der konkret mandatierte Berater hinter die­ sem Standard zurückgeblieben, ändert dies am Verjährungsbeginn bzw. am Vertre­ tenmüssen nichts.110 Ebenso wenig entlastet es den Betroffenen in diesen Bereichen, wenn ihm ein Gericht oder eine Behörde eine unzutreffende Vorstellung von der Rechtslage bzw. den rechtlichen Erfolgsaussichten vermittelt hat. An einem Ver­ schulden kann es dann zwar unter bestimmten Umständen fehlen,111 zumal eine Zurechnung nach §  278 BGB problematisch ist.112 Das verschuldensunabhängige Vertretenmüssen lässt hingegen keinen Raum für eine solche Entlastung.113 Das er­ scheint nicht untragbar. Andernfalls hätte nämlich das Gegenüber die Folgen des falschen gerichtlichen bzw. behördlichen Hinweises zu tragen. Im Bereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gilt im Ergebnis nichts anderes. Es ließe sich höchstens an eine 109  Siehe bereits §  9 C. VI. 2.; zur Bedeutung eines schuldlosen Alternativverhaltens bei Ver­ schuldenstatbeständen siehe noch unten D. III. 3. 110  Siehe allgemein Caspers, in: Staudinger, §  278 Rn.  60. Auf dieser Annahme beruht gerade das Modell von Häublein, PiG 97 (2014), 35, 49–50, der mit dem Abstellen auf das Vertretenmüs­ sen (auch) die Zurechnungsproblematik lösen möchte. Wenn man hingegen (wie hier, sogleich II.) eine Anwendbarkeit von §  278 BGB im Grundsatz bejaht, ist ein Rückgriff auf das Vertretenmüs­ sen nicht schon aus Zurechnungsgründen notwendig, siehe §  11 C. V. 3. 111  Siehe unten D. III. 2. d). 112  Siehe sogleich II. 2. 113  In vergleichbarer Weise sieht der BGH einen Sozialleistungsträger, auf dessen Leistungen der Mieter zur Entrichtung der Miete angewiesen ist, nicht als Erfüllungsgehilfen an, wo Ver­ schulden erforderlich ist (BGH, Urt. v. 29.6.2016 – VIII ZR 173/15, NJW 2016, 2805, 2805 Rn.  16 m. w. N.). Im Kontext von §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB, wo es auf ein Vertretenmüssen gemäß §  286 Abs.  4 BGB ankommt, entlastet den Mieter hingegen, aufgrund der Einstandspflicht bei Geld­ schulden, die fehlende Leistung durch den Sozialleistungsträger nicht, BGH, Urt. v. 4.2.2015  – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296, 1297 Rn.  17–21.

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7. Teil: Synthese

Hemmung nach §  206 BGB wegen falscher amtlicher Auskünfte denken. Deren An­ wendungsbereich wird aber in der Regel allenfalls bei unrichtigen Hinweisen zu den Modalitäten der Geltendmachung eröffnet sein; überdies hat der Gläubiger schon für das geringste Verschulden seines Prozessbevollmächtigten einzustehen.114

II. Zurechnung nach §  278 BGB Wo ein Verschulden vorausgesetzt wird, kann es dagegen entscheidend darauf an­ kommen, ob Beraterfehler zurechenbar sind. Innerhalb bestehender Schuldverhält­ nisse bietet §  278 BGB eine Grundlage. Vorwegzuschicken ist jedoch, dass sich die Sorgfaltsanforderungen, die an den Betroffenen zu stellen sind, grundsätzlich nicht durch die Einschaltung eines Experten erhöhen.115 Der Irrende muss sich den Vor­ wurf, sein Berater habe gegen berufsspezifische Sorgfaltsanforderungen verstoßen, daher grundsätzlich nur dort gefallen lassen, wo dem Irrenden selbst (als eigene Sorgfaltspflicht) die Konsultation eines fachkundigen Beraters oblag. Bestand hin­ gegen keine solche Konsultationspflicht, ist im Verhältnis zum Gegner nur solches Beraterverhalten als sorgfaltswidrig zuzurechnen, dass auch für den Irrenden selbst  – nach dem insoweit einschlägigen verkehrskreisabhängigen Maßstab – einen Sorgfaltsverstoß bedeutet hätte. Ob §  278 BGB bei einer rechtlichen Fehlbeurteilung des Beraters überhaupt zu Lasten des Irrenden wirken kann, wird nicht einheitlich beurteilt: Im Rahmen der unberechtigten Anspruchsverfolgung wird offenbar ohne Bedenken auf die Norm zurückgegriffen.116 Im Bereich der Schuldnerhaftung entspricht die Zurechnung über §  278 BGB der überwiegenden Meinung, wird aber mitunter dezidiert bestrit­ ten.117 1. Zurechnung von Fehleinschätzungen des Rechtsberaters Es hat sich gezeigt, dass von der Zurechnungsmöglichkeit innerhalb bestehender Sonderverbindungen unbedingt Gebrauch zu machen ist. Würden Fehler dem Mandanten nicht zugerechnet, wirkte sich dies letztlich zugunsten des pflichtver­ gessenen Beraters aus: Dem Mandanten wäre mangels Zurechnung kein Haftungs­ schaden entstanden, für den der Berater (bzw. dessen Haftpflichtversicherer) ein­ stehen müsste. Wenn man nicht eine Direkthaftung gegenüber dem Gegner anneh­ men wollte,118 würde der Berater gänzlich ungeschoren davonkommen. Das 114 

Siehe zum Ganzen §  7 B. IV. m. w. N. BGH, Urt. v. 7.10.2008 – XI ZR 89/07, BGHZ 178, 149 = NJW 2008, 3700, 3701 Rn.  17, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 26.4.1991 – V ZR 165/89, BGHZ 114, 263 = NJW 1991, 2556, 2558 (wobei jeweils nur dann eine Ausnahme anerkannt wird, wenn dem Gegner zuvor besonderes Vertrauen in die besseren Fähigkeiten des Gehilfen vermittelt wurde); aus der Litera­ tur etwa Grundmann, in: MüKo-BGB, §  278 Rn.  50. 116  Siehe §  9 C. IV. 5. b) aa) (1) mit Fn.  675, 676. 117  Ausführliche Nachweise bei §  11 C. III. 2. b) aa) Fn.  755 ff. 118  Dazu sogleich III. 2. 115  Prägnant

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

661

erscheint, quadrantenübergreifend, bedenklich119 – nicht zuletzt unter Anreiz­ gesichtspunkten.120 Diesen Bedenken lässt sich mit dem Rückgriff auf §  278 BGB in dogmatisch stimmiger Weise Rechnung tragen. Zur Schuldnerhaftung ist zwar der Einwand vorgebracht worden, der Berater wirke nicht an der Erfüllung der (ver­ letzten) Leistungspflicht mit.121 Es führt aber kein Weg daran vorbei, den Berater auch insoweit als Erfüllungsgehilfen anzusehen: Wenn das Verkennen der Leis­ tungspflicht prinzipiell von einer Schadensersatzpflicht befreien kann, müssen den Schuldner – umgekehrt – Fehler der zur Erkenntnis der Leistungspflicht eingesetz­ ten Hilfsperson belasten können.122 Aus den genannten Gründen sind auch im Kontext der Fahrlässigkeitsprüfung nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB – entgegen der offenbar vorherrschenden Sichtweise123  – Fehler eines Beraters zuzurechnen.124 Der Rückgriff auf §  278 BGB ist hier nicht zuletzt deshalb sachgerecht, weil die wirksame Hinterlegung den Verzug aus­ schließt und im Rahmen von §§  280, 286 BGB die Vorschrift des §  278 BGB, wie gerade gesehen, zur Anwendung käme. 2. Keine Zurechnung von Fehleinschätzungen durch Gerichte bzw. Behörden Keine zurechenbare „Beratungsleistung“ stellen unzutreffende Stellungnahmen von Gerichten und Behörden dar.125 Es erscheint bedenklich, diese im Verhältnis zum Gegner als Erfüllungsgehilfen des Irrenden anzusehen. Zwar können Amtsträ­ ger Erfüllungsgehilfen sein, sofern sie eine Aufgabe übernehmen, die im Verhältnis zum Gläubiger dem Schuldner selbst zukommt.126 Auch lässt sich, wie soeben gese­ hen, annehmen, dass die Rechtsprüfung dem Schuldner gegenüber dem Gläubiger in diesem Sinne obliegt. Doch kann bei Gerichten oder Behörden, die in ihrem Zuständigkeitsbereich rechtliche Entscheidungen treffen, kaum davon gesprochen werden, diese übernähmen – vergleichbar mit einem Rechtsanwalt – die Aufgabe der Rechtsprüfung. In den Sachverhalten, in denen der BGH eine Erfüllungsgehil­ feneigenschaft des Amtsträgers bejaht hat, war jeweils ein Notar in einen Vertrags­ 119  Generelle Bedenken bereits bei J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118–119; im Bereich der unbe­ rechtigten Rechtsverfolgung erkennt BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 = NJW 1972, 1048, 1048–1049, das Problem zutreffend, kann aber durch Rückgriff auf §  278 BGB ausweichen; darauf im Verzugskontext verweisend BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 430 Rn.  23; ferner OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.9.2004 – 14 U 173/03, NJW 2005, 515, 516; Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  173; Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357, 358, 363. 120  Dazu näher §  9 C. IV. 5. b) bb). 121  So v. a. Lorenz, WuM 2013, 202, 206; w.N. bei §  11 C. III. 2. b) bb) Fn.  766. 122  Siehe oben §  11 C. III. 2. b) bb); so wohl auch Harke, NZM 2016, 449, 451–452. 123 Ausdrücklich Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  65; viele weitere Stimmen gestatten es dem Schuldner grundsätzlich, auf eingeholten Rechtsrat zu vertrauen (siehe oben §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (b) mit Fn.  859), womit eine Zurechnung mutmaßlich ausgeschlossen sein soll. 124  Siehe (auch zum Folgenden) §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (b). 125  Siehe bereits I. 126  Siehe nur BGH, Urt. v. 8.2.1974 – V ZR 21/72, BGHZ 62, 119 = NJW 1974, 692, 693; BGH, Urt. v. 13.1.1984 – V ZR 205/82, NJW 1984, 1748, 1749; BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781, 3782 Rn.  29.

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7. Teil: Synthese

vollzug eingespannt gewesen.127 Dieser Fall unterscheidet sich wesentlich von ge­ richtlichen oder behördlichen Rechtseinschätzungen. Eher vergleichbar ist inso­ weit die Rolle, die ein Jobcenter bei der Beschaffung von Mitteln für eine pünktliche Mietzahlung spielt. Diesbezüglich lehnt der BGH eine Einordnung als Erfüllungs­ gehilfe gerade ab.128 Das Ergebnis ist zwar nicht unbestritten.129 Allerdings dürfte eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Gerichts bzw. der Behörde in den hier be­ trachteten Situationen noch ferner liegen als die des Jobcenters bei der Mietzah­ lung. Die zentrale Aufgabe von Sozialleistungsträgern liegt schließlich gerade da­ rin, Bedürftige finanziell zu unterstützen. Demgegenüber sind Gerichte und Be­ hörden zwar mit ihren Äußerungen in gewisser Weise Intermediäre,130 fällen aber ihre Entscheidungen nicht primär, um „Daseinsvorsorge“ durch Rechtsberatung zu betreiben. Die falsche Rechtseinschätzung, die eine Behörde oder ein Gericht innerhalb ei­ ner Entscheidung gegenüber dem Irrenden geäußert hat, kann Letzteren also theo­ retisch entlasten. Dabei sind jedoch hohe Hürden zu beachten, auf die zum Teil an anderer Stelle schon hingewiesen wurde:131 Die „amtliche“ Äußerung muss gerade die Erlangung des schädlichen Grades an Rechtserkenntnis verhindert haben (also Zweifel begründet haben, wo objektiv die schädliche Gewissheit bestand, oder  – selten denkbar – Gewissheit vermittelt haben, wo objektiv eine schädliche Un­ gewissheit bestand). Die Äußerung muss für das Verhalten des Irrenden kausal ge­ worden sein, und ihn darf kein Verschulden treffen, soweit er auf die rechtliche Äußerung vertraut hat.132 Dabei kann es ihm insbesondere schaden, dass ein (oft schon wegen des Anwaltszwangs nach §  78 Abs.  1 S.  1 ZPO) vorhandener Rechts­ berater die Fehleinschätzung nicht erkannt hat.133 Der Beraterfehler ist nämlich wiederum nach §  278 BGB zurechenbar.134

127  Diese Konstellation betreffend: BGH, Urt. v. 8.2.1974 – V ZR 21/72, BGHZ 62, 119 = NJW 1974, 692, 693; BGH, Urt. v. 13.1.1984 – V ZR 205/82, NJW 1984, 1748, 1749. 128  BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781, 3782–3783 Rn.  30; BGH, Urt. v. 29.6.2016 – VIII ZR 173/15, NJW 2016, 2805, 2805 Rn.  16 m. w. N. 129  Kritisch z. B. Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  7 7; Lorenz, WuM 2013, 202, 206. 130  Siehe oben §  3 A. III. 2. b) sowie unten D. III. 2. d). 131  Siehe §  9 C. IV. 6. d) und §  11 C. III. 3. b) sowie sogleich noch D. III. 2. d) bb). 132  Dazu unten D. III. 2. d) bb). 133  Siehe §  9 C. IV. 6. d) und §  11 C. III. 3. b) a. E. Zwar ist die Ansicht des BGH umstritten, wonach ein Rechtsanwalt dem Mandanten auch bei gerichtlichen Rechtsanwendungsfehlern, die er nicht verhindert hat, haften soll (siehe §  3 A. III. 2. a) mit Fn.  206). Das heißt aber nicht, dass der Anwalt davon befreit wäre, Mandanten auf ersichtliche Fehler einer Instanzentscheidung hinzu­ weisen (etwa auf einen Verstoß gegen die etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung). 134  Auch im Kontext der Verjährungshemmung nach §  206 BGB ist anerkannt, dass bei der Äußerung unzutreffender Rechtsansichten durch Gerichte schon das geringste Verschulden des Prozessvertreters höhere Gewalt ausschließt, vergleiche Grothe, in: MüKo-BGB, §  206 Rn.  5, ­sowie BGH, Urt. v. 30.7.2008 – XII ZR 18/07, NJW 2008, 3061, 3062–3063 Rn.  33–34 (zur Frist des §  1600b Abs.  1 S.  1 BGB).

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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III. Zurechnungslücke außerhalb des Anwendungsbereichs von §  278 BGB Die Anwendung von §  278 BGB setzt ein bestehendes Schuldverhältnis voraus. Im Rahmen der Haftung aus §§  823 ff. BGB lässt sich demnach nicht darauf zurück­ greifen. Im Fall von Beraterfehlern hat der Irrende im Deliktsrecht allenfalls nach §  831 BGB einzustehen. Selbst wenn man einen Rechtsanwalt als Verrichtungsge­ hilfen im Sinne dieser Norm qualifiziert, wird dem Irrenden vielfach die Exkulpa­ tion nach §  831 Abs.  1 S.  2 BGB gelingen.135 Dann ergibt sich die zuvor beschriebene Haftungs- bzw. Zurechnungslücke, die sich zulasten des Gegners und zugunsten des pflichtvergessenen Beraters auswirkt.136 Es vermag in dogmatischer Hinsicht nicht zu überzeugen, wenn diese Lücke dadurch geschlossen wird, dass in exzes­ siver Weise Sonderbeziehungen konstruiert bzw. die eigenen Auswahl- und Kon­ trollpflichten des Mandanten über jedes realistische Maß hinaus ausgeweitet wer­ den.137 1. Ausweitung der bzw. Verzicht auf die Zurechnung Ebenso wenig stichhaltig erscheint der Ansatz, auf eine Erfüllung der Vorausset­ zungen von §§  278, 831 BGB schlicht zu verzichten, um die gewünschte Einstands­ pflicht des Irrenden zu erreichen.138 Das lässt sich nur dort begründen, wo der Ir­ rende das Fehlen der objektiv möglichen Rechtseinsicht verschuldensunabhängig zu vertreten hat.139 In diesem Bereich (§§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB) wäre aber zugleich stets der Boden für eine Anwendung von §  278 BGB gelegt. Für die hier problematische deliktische Haftung ergibt sich hingegen keine Lösung. Auch der Rückgriff auf die prozessuale Zurechnungsnorm des §  85 Abs.  2 ZPO140 lässt sich nach den gewonnenen Erkenntnissen nicht schlüssig begründen.141 2. Deliktische Außenhaftung des Beraters Es ist deshalb eingehend geprüft worden, ob das unerwünschte Ergebnis durch eine Direkthaftung des Rechtsberaters gegenüber dem Gegner des Mandanten ver­ mieden werden kann.142 Insbesondere in der BGH-Rechtsprechung finden sich ent­ sprechende Ansätze.143 Diese haben in der Literatur jedoch erhebliche Kritik erfah­ 135 

Siehe dazu m.N. §  9 C. IV. 5. b) aa) (2). Siehe dazu soeben bei II. 1. 137  Zur Kritik siehe m.N. §  9 C. IV. 5. b) cc) (1), (2). 138  Siehe §  9 C. IV. 5. b) cc) (6) gegen J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  119 mit Fn.  35 (kritisch auch Haertlein, Exekutionsintervention, S.  401 Fn.  4 4). 139  Dazu soeben I. sowie B. II. 2. 140 Im Verzugskontext beiläufig (neben §   278 BGB) erwähnt von OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.7.2013 – 10 U 114/12, BeckRS 2015, 12325. 141  Siehe dazu eingehend §  9 C. IV. 5. b) cc) (3); grundlegend zur Ablehnung einer erweiterten Zurechnung BGH, Urt. v. 15.2.1957 – VI ZR 335/55, BeckRS 1957, 31199918. 142  Siehe §  9 C. IV. 5. b) cc) (4). 143  Aus jüngerer Zeit v. a. BGH, Urt. v. 1.12.2015 – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112 Rn.  18–20 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II; zuvor schon zur Zwangsvoll­ 136 

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ren.144 Es konnte gezeigt werden, dass die Beanstandungen in vielerlei Hinsicht nicht verfangen:145 Insbesondere drohte keine uferlose Haftung des Beraters. Eine großzügige Festlegung des haftungsbegründenden Erkenntnisgrades (so vor allem bei der Anspruchsgeltendmachung) käme auch ihm zugute.146 Für weisungsgebun­ denes Handeln nach hinreichender Aufklärung des Mandanten müsste er ebenfalls nicht einstehen.147 Sofern danach überhaupt noch eine Haftung in Betracht käme, würde diese grundsätzlich nicht schwerer wiegen als die Einstandspflicht, die ge­ genüber dem Mandanten besteht, wenn Anwaltsfehler nach §  278 BGB zugerechnet werden. Der Hinweis darauf, die Rücksichtnahme auf die Belange des Gegners zwinge den Anwalt zur Vertretung widerstreitender Interessen,148 geht fehl, weil sich hinsichtlich der Rechtsermittlung die Interessen des Mandanten und des Geg­ ners nicht unterscheiden. Die Notlage des Rechtsanwalts, sich im Haftungsprozess gegenüber dem Gegner nur mit der Preisgabe von Interna aus dem Mandatsverhält­ nis verteidigen zu können, ließe sich durch eine entsprechende Beschränkung der Verschwiegenheitspflicht (§  2 Abs.  4 lit.  b BORA) lindern. Der Mandant könnte einer solchen Offenlegung zuvorkommen, indem er sich verhielte, als sei ihm der Anwaltsfehler doch nach §  278 BGB zurechenbar gewesen – sprich: erst Entschädi­ gung des Gegners, dann Regress beim eigenen Berater. Im Ergebnis ist trotz alldem Zurückhaltung bei der Annahme einer „Außenhaf­ tung“ des Anwalts geboten.149 Dass den Berater Sorgfaltspflichten im Verhältnis zum Gegner des Mandanten treffen, ließe sich nämlich in überzeugender Weise nur insoweit begründen, wie es gerade darum geht, eine kompensationslose Schädi­ gung zu verhindern.150 Die Direkthaftung drohte aber auch solche Fälle zu erfas­ sen, in denen angesichts einer Haftung des Mandanten (infolge Zurechnung nach §  278 BGB) keine Veranlassung dazu besteht, dem Gegner einen zusätzlichen Haf­ tungsschuldner zur Verfügung zu stellen. Eine präzise Erfassung nur solcher Fälle, in denen sonst eine Haftungslücke klaffte, wäre allenfalls durch die Figur der Drittschadensliquidation möglich.151 Allerdings sind auch insoweit Vorbehalte anzumelden:152 Die Schadensverlagerung erscheint nicht in gleichem Maße zufällig streckung BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1353; BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015–2016. 144  Siehe die Nachweise bei §  9 C. IV. 5. b) cc) (4) (a) Fn.  716. 145  Zum Folgenden ausführlich §  9 C. IV. 5. b) cc) (4) (b). 146  Siehe auch BGH, Urt. v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 = NJW 1979, 1351, 1352; BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1935. 147  Siehe auch BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201 = NJW 1992, 2014, 2015. 148  Baumert, LMK 2016, 379287; Chab, AnwBl 2016, 514, 515; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372. 149  So auch BGH, Urt. v. 15.1.2019 – VI ZR 506/17, NJW 2019, 781, 784 Rn.  28. 150 Vergleiche dazu v. a. G. Wagner, in: MüKo-BGB, §   823 Rn.  383. Mit nachvollziehbaren Gründen gegen die Herleitung einer entsprechenden Garantenpflicht bei BGH, Urt. v. 1.12.2015  – X ZR 170/12, BGHZ 208, 119 = NJW 2016, 2110, 2112, wenden sich z. B. Chab, AnwBl 2016, 514, 515; H.-F. Müller, ZIP 2016, 1368, 1372. 151  Diese wird v. a. von J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118–119, erwogen. 152  Zum Folgenden näher §  9 C. IV. 5. b) cc) (5).

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wie in den anerkannten und nach verbreiteter Sichtweise abschließend zu ver­ stehenden Fallgruppen; zudem bereitete es Probleme, den Haftungsanspruch, der zunächst in der Person des Mandanten entstünde, auf dessen Gegner überzuleiten. Es bleibt demnach bei einer rechtspolitischen Haftungs- bzw. Zurechnungslücke.

D. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden Der Bereich, in dem eine subjektive Fehlbeurteilung der rechtlichen Aussichten entlastend wirkt, ist nach den bisherigen Erkenntnissen begrenzt. Erstens darf es nicht pauschal auf die Sicht eines gewissenhaften Rechtsberaters ankommen. Das ist nur dort der Fall, wo der Nachteil nicht an ein verschuldensunabhängiges Ver­ tretenmüssen („Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben“) oder an den Tatbestand des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB anknüpft.153 Zu denken ist also im Wesentlichen an die deliktische Haftung des Putativgläubigers, die nach §  823 Abs.  1 BGB Verschulden voraussetzt, sowie an verschuldensabhängige Ver­ tragslösungsrechte (zum Beispiel §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB) und die Hinterlegungs­ befugnis (§  372 S.  2 Var.  2 BGB). Zweitens ergibt sich stets eine Belastung, wo der Irrende einer bestehenden Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit zwar nachge­ kommen, aber dem Berater ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist, welcher dem Mandanten nach §  278 BGB zugerechnet wird. Für die verbleibenden Fälle sind im Folgenden die Kriterien zu umschreiben, nach denen sich trotz subjektiver Verfehlung des schädlichen Erkenntnisgrades eine Nachteilszuweisung ergeben kann. Es hat sich gezeigt, dass ein Fahrlässig­ keitsvorwurf im Sinne von §  276 Abs.  2 BGB im Wesentlichen unter drei Gesichts­ punkten denkbar ist: Der Irrende hätte schon kraft der Fähigkeiten, die von einem typischen Angehörigen seines Verkehrskreises zu verlangen sind, die Rechtslage erkennen müssen (dazu I.); er hätte infolge von Hinweisen des Gegners154 oder ei­ nes Dritten den schädlichen Grad an Rechtserkenntnis erreichen müssen (dazu II.); oder er hätte einen geeigneten Intermediär befragen155 und dessen Rat kritisch überprüfen müssen (dazu III.).

I. Verkehrskreisspezifische Erwartungen an Rechtskenntnis Im Zusammenhang mit der Verzugshaftung des Irrenden ist die Ansicht begegnet, der Schuldner müsse alle für seine Verbindlichkeit einschlägigen Rechtsvorschrif­ ten kennen.156 Dies steht im Einklang mit allgemein zu §  276 Abs.  2 BGB getätigten 153 

Siehe soeben B. Die umgekehrt gelagerte Frage, ob ihn das gegnerische Verhalten entlasten kann, wird un­ ter §  17 A. angesprochen. 155  Nur soweit die Konsultation nach der gebotenen Sorgfalt erforderlich ist, kommt, wie unter C. II. (vor 1.) erörtert, eine Zurechnung von Beraterfehlern nach §  278 BGB in Betracht. 156  Siehe die Nachweise bei §  11 C. III. 1. a) Fn.  701. 154 

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Aussagen, wonach die im jeweils betroffenen Lebensbereich notwendigen Rechts­ kenntnisse stets von der Verkehrsanschauung verlangt würden.157 Solche pauscha­ len Annahmen sind nur solange unproblematisch, wie man sie nicht einem ver­ schuldensunabhängigen Vertretenmüssen zuordnet. Soll damit hingegen ein Fahr­ lässigkeitsvorwurf begründet werden, trifft der Vorwurf Jörg Mayers zu, die Orientierung „an der idealisierten Normalperson, die das Recht kennt und auch richtig auslegt“, berge die „Gefahr einer Fiktion umfassender Rechtskenntnis“.158 Das Problem ergibt sich im Bereich der vorliegenden Untersuchung jedoch nur in geringem Ausmaß. Nicht nur nimmt die Haftung wegen Vertretenmüssens, bei der die „Fiktion“ zulässig ist, großen Raum ein. Gerade im Kontext der unberechtigten Nichtleistung sorgt zudem die Ausgestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades für eine weitgehende Belastung des Irrenden. Dort wirken schon Rechtszweifel haftungsbegründend. Deshalb wird es auch bei verschuldensabhängigen Tatbe­ ständen (wie §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB) selten darauf ankommen, dem Schuldner de­ taillierte Rechtskenntnisse zu unterstellen bzw. deren Fehlen vorzuwerfen. Wenn es an Fachwissen mangelt, dürfte es im Normalfall gerade naheliegen, dass sich der Betroffene zumindest nicht sicher im Recht gewähnt hat.159 Größere Bedeutung kann dem Fehlen von Rechtskenntnissen allenfalls dort zukommen, wo erst prak­ tische Gewissheit den schädlichen Erkenntnisgrad bildet. Das betrifft vor allem den Fall der unberechtigten Anspruchsgeltendmachung.160 Hier kann der An­ spruchsteller infolge fehlenden Wissens um bestimmte Normen oder einschlägige Rechtsprechung verkannt haben, dass er sicher im Unrecht war. Vergleichbares gilt im Kontext der Hinterlegung für die sichere Erkenntnis, wer aktivlegitimiert ist. Eine Pflicht zur Rechtskenntnis ist nach vorzugswürdiger Betrachtungsweise nur in begrenztem Umfang anzunehmen.161 Die verbreitete Forderung, grund­ sätzlich müsse ein jeder die zur Ausübung des gewählten Berufs unerlässlichen Rechtskenntnisse vorhalten,162 ist reichlich vage: Was gilt als „Beruf“ – nur selbst­ ständiges Handeln? Was ist „unerlässlich“? Die Gefahr, in der Rückschau immer gerade das als unerlässlich anzusehen, was konkret unbeachtet geblieben ist, liegt 157 So

Caspers, in: Staudinger, §  276 Rn.  56; Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  112. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  93–94. 159  Die Problematik wird weiter entschärft, wenn der Schuldner für die entlastenden Umstän­ de selbst die Darlegungs- und Beweislast trägt, wie etwa bei §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB (siehe Blank, in: Schmidt-Futterer, §  573 BGB Rn.  41 m. w. N.). 160  Das gilt, sofern dort nur eine deliktische Haftung in Betracht kommt; nach §§  280 Abs.  1, 276 BGB hat der Putativgläubiger hingegen für das Verkennen der objektiven rechtlichen Aus­ sichtslosigkeit verschuldensunabhängig einzustehen, siehe oben B. II. 2. 161 Zutreffend Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 29, der dies im Zusammenhang mit einer (abzuleh­ nenden) Objektivierung des Kenntniserfordernisses (dazu oben A. I.) äußert (siehe a. a. O., S.  36– 37). Da er hierbei aber auf die verkehrserforderliche Sorgfalt abhebt (a. a. O., S.  35 Fn.  38), sind die Ausführungen für den Bereich der Fahrlässigkeit brauchbar. 162  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 29, 32; ähnlich J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  105; Pfeiffer, in: ­S oergel, §  276 Rn.  112; Raiser, Rechtssoziologie, S.  343; betreffend die Kenntnis von Schutzgesetzen BGH, Urt. v. 10.7.1984 – VI ZR 222/82, NJW 1985, 134, 135: Jeder, „der im Geschäftsleben steht“, sei „im Rahmen seines Wirkungskreises verpflichtet, sich über das Bestehen von Schutzgesetzen zu un­ terrichten“. 158 

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auf der Hand. Es muss vor allem darum gehen, solches Wissen zu verlangen, das sich der Betroffene nur einmal beschaffen muss und sodann vielfach wiederver­ wenden kann. So erklärt sich beispielsweise, dass im Zusammenhang mit einer un­ berechtigten Anspruchsgeltendmachung erhöhte Anforderungen an die rechtliche Beurteilung durch eine Bank163 oder ein Immobilienunternehmen, das in größerem Umfang Wohnungen vermietet,164 gestellt wurden. Im Kontext der Hinter­legungs­ berechtigung bzw. der Verzugshaftung sind Entscheidungen begegnet, die strenge Anforderungen an Versicherer stellen, die ihre Eintrittspflicht zu überprüfen ha­ ben.165 Weil sich für solche Unternehmen in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Sach­ verhalte vergleichbare Rechtsfragen stellen, ist es ökonomisch, wenn sie die hierfür benötigten Kenntnisse vorhalten. Dies schließt ein regelmäßig aktualisiertes Wis­ sen um maßgebliche Judikatur ein, die den Kernbereich des Geschäfts betrifft.166 Dieser Umstand ist gerade bei der Anspruchsgeltendmachung wichtig, weil sich daraus der haftungsbegründende Vorwurf ergeben kann, man habe erkennen müs­ sen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung einem Anspruch eindeutig entge­ genstand. Die gewonnenen Erkenntnisse erklären auch, warum von einem als An­ spruchsteller auftretenden Notar167 ebenso wie von einem Arzt168 Kenntnisse des jeweils einschlägigen Kosten- und Gebührenrechts zu erwarten sind. Zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB hat schon das Reichsgericht verlangt, dass Großkaufleute, die am inter­ nationalen Wechselverkehr teilnehmen, Rechtskenntnisse in diesem Bereich vor­ halten müssen.169 Dass allein die Unterschrift auf einem Bestellformular noch kei­ nen Kaufvertrag zustande bringt, sollte ein Kaufmann ebenfalls wissen.170 Die Beispiele erlauben zugleich entsprechende Umkehrschlüsse. Einem Kleinvermieter lässt sich nicht abverlangen, sämtliche Rechtskenntnisse, die im Mietverhältnis Re­ levanz erlangen können, vorzuhalten. Für ihn steht eben nicht zu erwarten, dass er sie bei einer Vielzahl von Gelegenheiten benötigen wird. Es verdient daher Zustim­ 163 Siehe Jordans/Müller-Sartori, MDR 2009, 779, 781 (Bank, Versicherung, Inkassobüro); Weber, DStR 2014, 213, 214 (Kreditinstitut). 164  OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.4.2013 – I-10 U 68/12, Rn.  5, juris („Immobiliengesellschaft mit eigener Rechtsabteilung“); AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  15, juris („ge­ werbliche Groß-Vermietung“); zum gewerblichen Hausverwalter ähnlich KG, Urt. v. 18.5.2009  – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688. 165  RG, Urt. v. 14.11.1922 – VII 741/21, RGZ 105, 356, 359; OLG Hamm, Urt. v. 28.9.2012 – I-20 U 42/12, NJW-RR 2013, 407, 408; OLG Nürnberg, Urt. v. 21.12.2015 – 8 U 1255/15, NJW-RR 2016, 737, 738 Rn.  24. 166  Zu Versicherern: RG, Urt. v. 14.11.1922 – VII 741/21, RGZ 105, 356, 359; SG Reutlingen, Urt. v. 13.11.2019 – S 1 KR 2623/18, BeckRS 2019, 34855 Rn.  33; zu Banken: Eichel, ZfPW 2016, 52, 66; zur gewerblichen Hausverwaltung: KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688; siehe auch Ackermann, in: FS Köhler, S.  1, 12, der unternehmerisch tätigen Marktteilnehmern „die Kenntnis der für den Wettbewerb geltenden gesetzlichen Vorschriften einschließlich ihrer richter­ rechtlichen Konkretisierung“ abverlangt. 167  BGH, Urt. v. 11.11.1970 – VIII ZR 242/68, BGHZ 55, 20, 31. 168 Siehe Haertlein, MDR 2009, 1, 3. 169  RG, Urt. v. 20.12.1902 – I 383/02, RGZ 53, 204, 211. 170  Zur unberechtigten Anspruchsgeltendmachung: AG Münster, Urt. v. 4.5.1994 – 48 C 9/94, NJW-RR 1994, 1261, 1262.

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mung, wenn die Anforderungen im Vergleich zu Großvermietern abgesenkt wer­ den.171 Auch bei Arbeitnehmern ist zu beachten, dass sie im Gegensatz zu vielen Arbeitgebern nicht Partei zahlreicher Arbeitsverhältnisse sind. Eigene Rechts­ kenntnisse sollten daher nur zurückhaltend verlangt werden.172 Generell sollte man die Anforderungen an Laien nicht überspannen. Wenn das Wissen um „elementare Rechtspflichten“173 bzw. den „Grundstock“ der konsens­ fähigen „sozialethischen Normen“174 gefordert wird, lässt sich dem im Grundsatz zwar zustimmen. Nur muss man sich vor Augen führen, dass nur wenige evidente Verhaltensgebote existieren.175 Selbst wenn der erwähnte „Grundstock“ Elemente wie Vertragstreue, Schädigungsverbot und Rücksichtnahmepflicht enthält,176 ist damit in aller Regel nicht gewährleistet, dass konkrete Rechtsfragen zutreffend be­ antwortet werden können. Sämtliche der genannten Grundsätze gelten schließlich nicht absolut. Auch eine vorauszusetzende „Grundration von Rechtskenntnissen für den Alltag“, etwa zu den wichtigsten Rechtsgeschäften wie Kauf und Miete,177 führt kaum weiter: In welcher Detailtiefe muss sich ein Laie etwa im Gewährleis­ tungsrecht auskennen? Abhängig vom Kaufgegenstand (Beispiel: Immobilie) lässt sich bei Kaufverträgen auch nicht zwingend von einem Alltagsgeschäft sprechen. Noch weniger wird man von Privaten Kenntnisse der Rechtsprechung verlangen dürfen. Zwar bieten sich im Internetzeitalter gewisse Möglichkeiten, anlassbezogen Recherchen zu betreiben. Doch wurde dazu schon angemerkt, dass auch der Ein­ satz von Suchmaschinen häufig keine zuverlässigen Hinweise zur konkret betroffe­ nen Rechtsfrage liefern wird.178 Nach alldem kann – außerhalb einer unternehmerischen Tätigkeit gewisser Grö­ ßenordnung – der Vorwurf an den Irrenden regelmäßig nicht lauten, er habe selbst über die nötigen rechtlichen Kenntnisse verfügen müssen. Die Fahrlässigkeitsprü­ fung hat sich stattdessen darauf zu konzentrieren, bei welchem Anlass die ver­ kehrserforderliche Sorgfalt die Konsultation eines juristischen Experten verlangt.179

II. Hinweise durch die Gegenseite bzw. Dritte Auch ohne Rückgriff auf eine Konsultationspflicht kann sich indes gegebenenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf ergeben, wenn der Irrende von anderer Seite auf die zutreffende Rechtseinschätzung hingewiesen wurde. Allerdings ist festgestellt 171  So zur unberechtigten Geltendmachung AG Dortmund, Urt. v. 24.6.2016 – 410 C 10064/15, Rn.  15, juris. 172  So wohl auch Eufinger, RdA 2018, 224, 228. 173  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  106 (ähnlich zudem a. a. O., S.  117). 174  Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 31. 175  Siehe bereits §  3 A. III. 1. und zur fehlenden Fahrlässigkeit bei Verkennung der Sittenwid­ rigkeit BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 31/12, NJW-RR 2013, 1028, 1032 Rn.  65. 176  So die Forderung von Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 31. 177 Wiederum Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 31; ähnlich zur unberechtigten Anspruchsgeltend­ machung K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  202. 178  Siehe §  3 A. III. 1. 179  In diesem Sinne auch Bauer, in: GS Schultz, S.  21, 29.

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worden, dass die (hinreichend substanziierte) Äußerung einer abweichenden Rechtsansicht durch den Gegner oder ein Gericht bzw. eine Behörde in aller Regel nur Zweifel an der Rechtslage begründen wird.180 Dass der Gegner oft eine konträ­ re Rechtsansicht vertritt, liegt in der Natur des Streits. Der Betroffene muss daraus normalerweise keine Überzeugung gewinnen.181 In den Konstellationen, in denen dem Irrenden erst praktische Gewissheit schadet, ergibt sich also in der Regel kein hinreichender Verschuldensvorwurf. Eine Ausnahme wurde für den Fall erwogen, dass auf höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen wird, aus der sich die Rechtslage mit praktischer Gewissheit ergibt.182 Genau genommen dürfte zu diffe­ renzieren sein: Teilen Gerichte oder Behörden, die die Rechtslage im konkreten Fall geprüft haben, als neutrale Stellen mit, die Rechtslage sei nach höchstrichterlicher Judikatur eindeutig, wird man dem im Normalfall Glauben schenken müssen. Wer dies nicht tut, verhält sich fahrlässig. Stammt der Hinweis auf einschlägige Judika­ tur hingegen vom Gegner, darf der Betroffene wiederum skeptischer sein. Oft wird für ihn nicht ohne Weiteres zu ersehen sein, ob es sich dabei tatsächlich um ein­ schlägige und weiterhin aktuelle Rechtsprechung des Höchstgerichts handelt. Im Regelfall wird also nur ein zusätzlicher Anlass geliefert, Rechtsrat einzuholen.

III. Erforderliche Intermediärskonsultation Die Frage, in welchem Ausmaß es dem Betroffenen obliegt, den Rat eines Rechtsex­ perten zu suchen, ist nicht ohne Schwierigkeiten zu beantworten. Ein wesentlicher Vorzug des hier vertretenen Konzepts liegt darin, dass sie sich nur selten stellt.183 1. Verhältnismäßigkeit des Beratungskostenaufwands Allerdings führt, soweit eine Fahrlässigkeitsprüfung nach §  276 Abs.  2 BGB durch­ zuführen ist, kein Weg daran vorbei, die aufzuwendenden Beratungskosten und das drohende Schadensausmaß in Relation zu setzen.184 Mit dem Fahrlässigkeitsbe­ griff wäre es nicht vereinbar, wie im Bereich des Vertretenmüssens stets von der Perspektive eines Rechtsexperten auszugehen.185 Konsequent ist es daher, dass im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung des §  372 S.  2 Var.  2 BGB (Hinterlegung) an­ 180 

Siehe §  9 C. IV. 4. b)–c) und §  11 C. III. 1. b)–c). §  9 C. IV. 4. b) und den dortigen Verweis auf Bergmann, AcP 211 (2011), 803, 830; vergleiche auch allgemein BGH, Urt. v. 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, NJW 1981, 1098, 1099, zu Rechts­ auskünften, die der Versicherungsnehmer vom Versicherer erhält, wenn mit diesem gerade Streit besteht. Auch die Rechtsprechung zur gerichtlichen Hinweispflicht geht offenbar davon aus, dass Rechtsirrtümer trotz gegnerischer Hinweise fortbestehen können, siehe BGH, Beschl. v. 10.7.­ 2012  − II ZR 212/10, NJW 2012, 3035, 3036 Rn.  8 (dazu bereits §  3 A. II. 1.). 182  Siehe wiederum §  9 C. IV. 4. b)–c). 183  Siehe schon soeben zur geringen Bedeutung eigenen Verschuldens vor I. Zur Entlastung für den Rechtsanwender oben B. II. 1. 184 Allgemein Bauer, in: GS Schultz, S.   21, 29–30; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  109; zu diesen Zusammenhängen auch Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 51, 54. 185  Vergleiche auch Spickhoff, LMK 2004, 230, 231. 181  Siehe

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stelle einer pauschalen Konsultationspflicht die Einzelfallumstände für maßgeblich erachtet werden.186 Wenn in diese Prüfung unter anderem der Wert der betroffenen Forderung und der Beratungsaufwand einfließen sollen,187 entspricht dies just dem soeben verlangten Vorgehen. Soweit §  276 Abs.  2 BGB im Kontext der unberechtigten Anspruchsgeltendma­ chung anzuwenden ist, ist daher denjenigen Stimmen uneingeschränkt beizupflich­ ten, die in diesem Rahmen die verkehrserforderliche Sorgfalt unter anderem an den beim Gegner drohenden Schäden ausrichten möchten.188 Das gilt im Speziellen für die Frage, ob Rechtsrat einzuholen ist:189 Vor der Geltendmachung einer Forde­ rung im sechsstelligen Bereich190 erscheint die Befragung eines Rechtskundigen regelmäßig zwingend. Auch bei einer „einschneidenden Willenserklärung“ wie ei­ ner Eigenbedarfskündigung191 oder bei einer Schutzrechtsverwarnung192 dürfte es regelmäßig eine Haftung begründen, wenn der schädliche Erkenntnisgrad infol­ ge eines Verzichts auf Rechtsrat subjektiv verfehlt wird. Umgekehrt überzeugt es, dass Wohnungsmieter oder Käufer eines Alltagsgegenstands in der Regel kein Ver­ schulden treffen soll, wenn sie vor der Geltendmachung von Mängelrechten nicht zunächst ein Gutachten zu der Frage einholen, ob diese Rechte bestehen.193 Es hat sich indes gezeigt, dass sich keine Regel dahingehend bilden lässt, Rechtsrat sei nur in denjenigen Angelegenheiten einzuholen, in denen bei einem gerichtlichen Vorgehen Anwaltszwang herrschte.194 Die einschlägigen Vorschriften (§  78 Abs.  1 ZPO, §  23 GVG) sind nicht primär auf andere Zwecke (wie den Schutz des Gegners) ausgerichtet und taugen daher im vorliegenden Zusammenhang nicht als normative Orientierungspunkte.195 Ähnlich problematisch ist es, die Konsultation eines Rechtsexperten regelmäßig dann zu fordern, wenn die Lage juristisch schwierig ist. Dies geschieht sowohl im Zusammenhang mit der Anspruchsgeltendmachung196 als 186  Siehe §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) u. a.: BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138; BGH, Urt. v. 3.12.2003 – XII ZR 238/01, NJW-RR 2004, 656, 657. 187 So Ulrici, in: BeckOGK, §  372 BGB Rn.  68. 188  Hopt, Schadensersatz, S.  255–256; zustimmend Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366; aus jünge­ rer Vergangenheit Hösl, Kostenerstattung, S.  106–107; auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169–170. 189 Vergleiche Hopt, Schadensersatz, S.  256; siehe zum Folgenden ferner §  9 C. IV. 5. a) aa), bb) (3) (auf die dort angeführten Punkte kommt es nur dann nicht an, wenn ein Vertretenmüssen zu prüfen ist). 190  Vergleiche LG Wuppertal, Urt. v. 18.10.2011 − 16 S 16/11, NJW-RR 2012, 714, 716. 191  Dazu macht LG Hamburg, Urt. v. 28.10.2010 – 307 S 55/10, Rn.  5, juris, die Vorgabe, sich über die einzuhaltenden Formalien zu erkundigen. 192  So BGH, Urt. v. 19.1.1979 – I ZR 166/76, NJW 1979, 916, 916 – Brombeerleuchte; BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung. 193 Siehe BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143–144 Rn.   29, sowie ­Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 194  In diese Richtung aber Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366; Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  319; anders im Ergebnis Hopt, Schadensersatz, S.  256. 195  Ausführlich §  9 C. IV. 5. a) bb) (2). 196  Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366 (siehe oben bei §  9 C. IV. 5. a) aa)); ähnlich, wenngleich all­ gemeiner, möglicherweise auch Thole, AcP 209 (2009), 498, 534.

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auch betreffend §  372 S.  2 Var.  2 BGB197. Dem ist nicht nur die Unbestimmtheit des Kriteriums entgegenzuhalten.198 Vielmehr ist entscheidend, dass sich die Komplexi­ tät der Rechtslage vielfach ohne vorherigen Rechtsrat gar nicht erkennen lassen wird.199 Beachtung verdient hingegen im Einzelfall ein anderer Faktor, der ebenfalls vornehmlich im Zusammenhang mit §  372 S.  2 Var.  2 BGB angesprochen wird. Hat der Irrende im Vorhinein einfache (insbesondere rechtsgestalterische) Möglichkei­ ten ungenutzt gelassen, die nun entstandene Rechtsungewissheit zu vermeiden, kann es zumutbar sein, ihm einen erhöhten Ermittlungsaufwand abzuverlangen.200 In den Hinterlegungssachverhalten lässt sich dies nach hier bevorzugter Ansicht indes schon über eine Verschärfung des schädlichen Erkenntnisgrades – bei selbst heraufbeschworenen Zweifeln ist eine entlastende Hinterlegung ausgeschlossen  – erreichen.201 Wo erst Gewissheit schadet, wird die Forderung nach einem erhöhten Klärungsaufwand jedoch relevant. 2. Qualifikation des Intermediärs Was für das „Ob“ einer Konsultation gilt, lässt sich auf das „Wie“ übertragen: Wel­ che Qualifikation der befragte Intermediär haben muss, hängt bei Anlegung des Fahrlässigkeitsmaßstabs im Grundsatz ebenfalls von Faktoren wie dem drohenden Schadensausmaß ab.202 Im Detail ergeben sich allerdings zahlreiche Fragen. a) Erfordernis der Konsultation eines Spezialisten Insbesondere fragt sich, ob der Betroffene verpflichtet sein kann, nicht bloß irgend­ einen, sondern einen besonders qualifizierten Rechtsanwalt zu konsultieren. Diese Problematik umgeht man, wenn auf ein verschuldensunabhängiges Vertretenmüs­ sen abgestellt werden kann: Dort ist letztlich immer auf einen für die konkrete Anspruchsprüfung befähigten Anwalt abzuheben.203 Die Frage ist hingegen für die Haftung entscheidend, wo es auf ein Verschulden des Betroffenen ankommt und zugleich die Zurechnung von Fehlverhalten des Beraters (dem zumindest der Ver­ zicht auf die Ablehnung des Mandats vorzuwerfen wäre204) ausscheidet. Fahrlässig­ keit wird sich dort oftmals nur mit dem Vorwurf begründen lassen, der Irrende habe einen besseren Berater auswählen müssen. Ungeachtet des Umstands, dass ein 197  BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; BGH, Urt. v. 19.9.1984 – IVa ZR 67/83, VersR 1984, 1137, 1138. 198  Siehe oben §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) unter Verweis auf Buck-Heeb, in: Erman, §  372 Rn.  3; Olzen, in: Staudinger, §  372 Rn.  18. 199  Siehe wiederum §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) unter Verweis insb. auf Fetzer, in: MüKo-BGB, §  372 Rn.  12. 200  Siehe §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) und die bei §  11 B. III. 2. Fn.  133 Genannten. Zur Berück­ sichtigung einer „Gestaltungsingerenz“ des Gegners siehe unten §  17 A. I. 1. 201  Siehe §  11. C. II. 6. b) aa) (1). 202  Siehe allgemein Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940. 203  Siehe oben B. III. 204  Siehe dazu wiederum B. III. sowie §  9 C. IV. 5. a) cc) und im vorliegenden Kontext auch Kaulich, Haftung, S.  233.

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gewissenhafter Berater ein Mandat, dem er nicht gewachsen ist, eigentlich ablehnen bzw. beenden müsste, erscheint es denkbar, dem Rechtsuchenden aufzugeben, die Aussichten auf eine solche Überforderung durch Beauftragung eines besonders qualifizierten Anwalts wenigstens zu minimieren. Sowohl hinsichtlich der Putativgläubiger-205 als auch der Schuldnerhaftung206 sind in diesem Punkt Meinungsdifferenzen offenbar geworden. Stimmen, die die Mandatierung irgendeines Rechtsanwalts für ausreichend erachten, 207 stehen sol­ chen gegenüber, die unter bestimmten Umständen die Konsultation eines Spezialis­ ten verlangen.208 Diese Kontroverse setzt sich im allgemeinen Schrifttum zur Ver­ schuldenshaftung fort.209 Besondere Beachtung findet die Problematik im Kontext der Innenhaftung von Geschäftsleitern für Rechtsanwendungsfehler (vor allem nach §  93 AktG).210 Dort besteht jedoch die Besonderheit, dass der zu rechtmäßigem Ver­ halten Verpflichtete (der Geschäftsleiter) Rechtsrat auf Kosten der Gläubigerin (der Gesellschaft) einholen kann.211 Gleichwohl kann auf diese Diskussion ergänzend zurückgegriffen werden. Interessant ist die Ausgangslage vor allem i­nsoweit, als dort eine Zurechnung des Beraterverschuldens nach §  278 BGB ausscheidet.212 Ge­ rade unter solchen Bedingungen werden, wie gesehen, auch im vorliegenden Unter­ suchungsfeld die bei der Beraterauswahl zu wahrenden Sorgfaltspflichten virulent. Ob die erforderliche Sorgfalt gegebenenfalls erst bei Kon­sul­ta­tion eines ausgewiese­ nen Spezialisten gewahrt ist, wird indes auch im Zusammenhang mit der Geschäfts­ leiterhaftung uneinheitlich beantwortet. Der BGH bleibt vage, indem er die Bera­ tung durch einen „fachlich qualifizierten Berufsträger“ verlangt.213 Manche möch­ ten die „Formalqualifikation“ der Anwaltszulassung ausreichen lassen.214 Andere

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Siehe §  9 C. IV. 5. a) cc). Siehe §  11 C. III. 2. a) cc). 207 Zur unberechtigten Geltendmachung v.  a. Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  319–320; zum Verzug BGH, Urt. v. 17.12.1998 – V ZR 200/97, BGHZ 140, 223 = NJW 1999, 1470, 1474. 208 Zur unberechtigten Geltendmachung Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366; Hopt, Schadens­ ersatz, S.  256; speziell zur Schutzrechtsverwarnung BGH, Urt. v. 30.11.1995 – IX ZR 115/94, NJW 1996, 397, 399 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung (der Anwalt müsse über die für eine sachgerechte Beurteilung der Schutzrechtslage „nötige Sachkunde und Erfahrung“ verfügen); zur Verzugshaftung U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713. 209 Zurückhaltend Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  63; wohl auch Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113; unter Umständen die Konsultation eines Spezialisten für erforderlich haltend dage­ gen J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940, fordern Sachkunde im betroffenen Rechtsgebiet. 210 Von zentraler Bedeutung ist die Entscheidung BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670 – ISION; zur (umfassenden) Behandlung der Thematik im Schrifttum ver­ gleiche bereits §  1 A. III. Fn.  4 4. 211  Vergleiche bereits oben B. II. 1. 212  BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672 Rn.  17: Der im Namen der Gesellschaft beauftragte Berater ist nicht Hilfsperson des Geschäftsleiters. 213  BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672 Rn.  18; BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 991 Rn.  28. 214  So etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35b m. w. N. in Fn.  212; Hoch, AcP 219 (2019), 646, 676 m. w. N. in Fn.  92. 206 

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fordern eine spezielle Expertise für das betroffene Rechtsgebiet.215 Diese Linie scheint auch die jüngere BGH-Rechtsprechung zur Vermeidbarkeit des strafrecht­ lichen Verbotsirrtums (§  17 StGB – im Zivilrecht über §  823 Abs.  2 BGB von Rele­ vanz) zu verfolgen.216 Auf die Probleme, die die rechtssichere Bestimmung der hinreichenden Quali­ fikation im konkreten Fall bereiten kann, ist schon hingewiesen worden.217 Zu­ mindest unter Kategorien wie die des „Winkelkonsulenten“218 lässt sich nicht sub­ sumieren. Aus praktischen Gründen spricht daher viel für das Anknüpfen an die formale Zulassung als Rechtsanwalt.219 Soweit eine Fahrlässigkeitsprüfung vorzu­ nehmen ist, kann aber bei allem Interesse an rechtssicheren Kategorien das im Ein­ zelfall bestehende (gegebenenfalls erhebliche) Schutzbedürfnis des Gegners nicht ohne Einfluss auf die Sorgfaltsanforderungen bleiben.220 Deshalb erscheint eine Differenzierung überzeugend: In einem ersten Schritt ist festzustellen, inwieweit der Rechtsuchende nach den verkehrskreistypischen Fähigkeiten 221 überhaupt in der Lage ist, die Expertise von Anwälten sachgerecht zu beurteilen.222 So lässt sich den Bedenken, Laien sei dies regelmäßig unmöglich,223 Rechnung tragen. Dann bleibt die formale Qualifikation das einzige relevante Kriterium. Soweit dem Rechtsuchenden hingegen Differenzierungen zwischen verschiedenen Anwälten zumutbar sind, richtet sich die Auswahl aus den unterschiedlichen Gruppen wiede­ rum nach den üblichen Kriterien, insbesondere nach der Bedeutung der Sache.224 Eine gewisse Orientierung bieten hier die Fachanwaltschaften 225 und die Kundga­ be entsprechender Spezialisierungen 226 . Im Normalfall wird man darauf vertrauen können. Abstrakte Aussagen lassen sich an dieser Stelle indes kaum treffen. Bei Angelegenheiten mit außergewöhnlich hohem Schadenspotenzial ist es zumindest ratsam, die Gründe für die Auswahl des konkreten Beraters und etwaige Recher­ chen zu dessen Hintergrund sorgfältig zu dokumentieren.

215  Z. B. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  301 m. w. N.; Kaulich, Haftung, S.  232–233; J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  4 4b. 216  BGH, Urt. v. 16.5.2017 – VI ZR 266/16, NJW 2017, 2463, 2465 Rn.  30 (Anfrage an „einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt“); BGH, Urt. v. 18.7.2018 – 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467, 3468 Rn.  11 (Erkundigung „bei einem auf Fragen des Bankaufsichtsrechts spe­ zialisierten Rechtsanwalt“). 217  §  9 C. IV. 5. a) cc). 218  Hopt, Schadensersatz, S.  256. 219  So auch das Ergebnis bei §  9 C. IV. 5. a) cc). 220  Vergleiche bereits 1. 221  Dazu oben I. 222  BGH, Urt. v. 18.7.2018 – 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467, 3468 Rn.  11 (zu §  17 StGB), verlangt die Mandatierung eines spezialisierten Anwalts einem „geschäftserfahrenen“ Angeklagten ab. 223  Konzen, Rechtsverhältnisse, S.  320. 224  Vergleiche zu §  93 AktG etwa Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  93. 225  So im Ansatz schon Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 366. 226  Siehe z. B. Kaulich, Haftung, S.  233.

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b) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung Uneinheitlich beurteilt wird auch, inwiefern der Sorgfaltspflicht durch Beauftra­ gung einer unternehmenseigenen Rechtsabteilung genügt werden kann (dazu unter bb)). Man kann allerdings auch umgekehrt fragen, ob vorhandene Hausjuristen stets befragt werden müssen (dazu zunächst aa)). aa) Erfordernis der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung Das letztgenannte Verständnis hat sich vor allem im Zusammenhang mit der Fahr­ lässigkeitsprüfung bei §  372 S.  2 Var.  2 BGB (Hinterlegung) offenbart.227 Dafür muss man sich regelmäßig nicht einmal auf die vielfach zutage tretende Annahme stützen, wonach die Befragung einer Rechtsabteilung gleichsam kostenfrei sei.228 Dieses Verständnis erscheint nicht unproblematisch, denn zumindest das Vor­ halten der Abteilung verursacht Kosten 229 und die konkrete Befassung bindet Res­ sourcen. Man kann stattdessen darauf verweisen, dass die Konsultation einer eige­ nen Rechtsabteilung in Unternehmen einer gewissen Größenordnung schlicht der verkehrserforderlichen Sorgfalt entspricht.230 Maßgeblich ist das rechtliche Ein­ schätzungsvermögen, welches in einem Unternehmen eines solchen Verkehrs­ kreises typischerweise vorhanden ist, gleich ob im betroffenen Fall tatsächlich eine Rechtsabteilung existiert und mit der Sache befasst wurde. bb) Ausreichen der Konsultation der eigenen Rechtsabteilung Die Frage, ob bei Befassung der Rechtsabteilung auf externen Rechtsrat verzichtet werden kann, hat das BAG, wie im Zusammenhang mit der Schuldnerhaftung gese­ hen, verneint.231 Auch im allgemeinen Schrifttum zur Verschuldenshaftung wird hier fehlende Objektivität befürchtet.232 Oben wurde bereits betont, dass Sorgen, der Schuldner könne sich sonst einer Haftung entziehen, 233 zumindest dort unbe­ rechtigt sind, wo Fehler nach §  278 BGB zugerechnet werden.234 Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass fehlende Objektivität auch bei externen Beratern nicht zwin­ gend ausgeschlossen ist.235 Im Normalfall dürften externe wie interne Rechtsberater 227 

Siehe die umfangreichen Nachweise bei §  11 B. III. 2. Fn.  124. Siehe wiederum §  11 B. III. 2. Fn.  124. 229  Wenngleich diese regelmäßig als Fixkosten einzustufen sein dürften. Sie fallen schließlich unabhängig von der konkreten Prüfung an. 230  Siehe zu diesen Anforderungen oben I. Darauf abstellend, ob vom konkreten Schuldner das Vorhalten einer Rechtsabteilung erwartet werden könne, auch Regenfus, JA 2017, 161, 164. 231  Siehe bei §  11 C. III. 2. a) cc): BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhältnis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 232  Siehe etwa Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 233  BAG, Urt. v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, BAGE 24, 318 = AP BGB §  611 Ausbildungsverhält­ nis Nr.  1 (unter III. 2. b)). 234  §  11 C. III. 2. a) cc). 235  Siehe etwa Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  300 Fn.  298; vergleiche zu diesem Problem auch Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  94. 228 

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jedoch gleichermaßen Vorbehalte hegen, bewusst falsche Gutachten zu erstatten.236 Die eigene Rechtsabteilung mag im Einzelfall gar spezielle Expertise vorweisen und deshalb als Ansprechpartner besonders geeignet erscheinen.237 Auch ist zu beden­ ken, dass es einem Putativschuldner mitunter als Mitverschulden ausgelegt wird, wenn er statt der eigenen Rechtsabteilung einen „teuren“ externen Berater konsul­ tiert.238 Teilt man diese Ansicht, erscheint es widersprüchlich, einem Schuldner, der nach einer Inanspruchnahme bloß seine eigene Rechtsabteilung zum möglichen Be­ stehen der Verbindlichkeit befragt, einen Verschuldensvorwurf zu machen. Der Seitenblick auf die Innenhaftung von Geschäftsleitern für Rechtsverstöße239 bestätigt die beschriebene Tendenz. Für eine Haftungsfreiheit legt der BGH hier ausdrücklich Wert auf die Unabhängigkeit des herangezogenen Beraters.240 Dieses Erfordernis hat er aber mittlerweile dahingehend konkretisiert, es sei keine persön­ liche, sondern sachliche Unabhängigkeit erforderlich, also das Fehlen von unmit­ telbaren oder mittelbaren Ergebnisvorgaben.241 Es erscheint daher konsequent, dass die Literatur zumindest keine prinzipiellen Vorbehalte gegen eine Befassung (nur) der eigenen Rechtsabteilung hegt.242 §  46 Abs.  3 und 4 BRAO dokumentieren jedenfalls, dass auch Juristen, die im Unternehmen angestellt sind, fachliche Unab­ hängigkeit zukommen kann. Ob eine reine „Inhouse-Beratung“ der Bedeutung der Angelegenheit gerecht wird, wird man schlussendlich wiederum anhand des jewei­ ligen Einzelfalls beurteilen müssen.243 c) Ausreichen der Konsultation sonstiger Intermediäre Als Auskunftspersonen kommen neben Rechtsanwälten und hauseigenen Juristen theoretisch auch sonstige Intermediäre in Betracht. Im Zusammenhang mit der Schuldnerhaftung sind jedoch gewisse Vorbehalte gegen die Befassung von Ge­ werkschaften durch beratungsbedürftige Arbeitnehmer begegnet.244 Solche Beden­ ken sind zu pauschal formuliert.245 Auch Gewerkschaften kommen abstrakt be­ 236 

Vergleiche auch Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, §  17 Rn.  68 m. w. N. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107. 238  Siehe bei §  9 C. V. 3.: Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249. 239  Siehe zum Rückgriff auf die dortige Diskussion soeben a). 240  BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672 Rn.  18; BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 991 Rn.  28. 241  BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 992 Rn.  36. 242  Siehe z. B. Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35c m. w. N. in Fn.  215; Kaulich, Haftung, S.  234–235; J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  45; Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  92, 94. 243 Siehe Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  300; Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  92. 244  Siehe §  11 C. III. 2. a) cc) und dort insb. die von LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678, geäußerte Annahme, nach der BAG-Rechtsprechung entschuldige eine falsche Auskunft durch eine Gewerkschaft einen Rechtsirrtum nicht. 245  Näher §  11 C. III. 2. a) cc). V. a. betraf das von LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2016 – 18 Sa 1140/15, BeckRS 2016, 68678, in Bezug genommene BAG, Urt. v. 12.4.1973 – 2 AZR 291/72, AP BGB §  611 Direktionsrecht Nr.  24 (unter II. 7.), einen Fall, in dem die gewerkschaftliche Auskunft die Zweifel des Arbeitnehmers nicht beseitigt hatte. Er hatte also bereits subjektiv den schädlichen Erkennt­ nisgrad erreicht. 237 Siehe

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trachtet als hinreichend fachkundige Ratgeber in Betracht.246 In vergleichbarer Weise erkennt der BGH an, dass in Fragen des Mietrechts die Erkundigung bei ei­ ner Mietervereinigung die erforderliche Sorgfalt wahren könne.247 Dem ist beizu­ pflichten. Das Rechtssystem stellt, wie sich vor allem am RDG zeigt, 248 bewusst sonstige Intermediäre neben den kammergebundenen Berufen zur Verfügung.249 Überdies verweist §  1 Abs.  1 Nr.  2 BerHG den an anwaltlichem Rat Interessierten vorrangig auf andere zumutbare Beratungsangebote.250 Dazu sind solche von Be­ rufs- und Interessenverbänden, insbesondere in Bereichen wie dem Arbeits- und Mietrecht zu zählen.251 In bestimmten Angelegenheiten geht die Rechtsordnung also offensichtlich selbst davon aus, dass eine fachkundige Beratung nicht allein durch einen Rechtsanwalt erfolgen kann. Wann die Konsultation sonstiger Inter­ mediäre die erforderliche Sorgfalt wahrt, richtet sich abermals nach den oben be­ nannten Faktoren, insbesondere nach dem erkennbaren Schadensrisiko.252 d) Erfordernis bzw. Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten Zu den sonstigen Intermediären im weiteren Sinne lassen sich auch Gerichte und vor allem Behörden (vergleiche §  8 Abs.  1 Nr.  4 RDG) zählen.253 Es erscheint gar denkbar, dass die Sorgfaltsanforderungen in manchen Fällen die Befragung einer Behörde anstelle eines Rechtsanwalts verlangen (dazu aa)). Mit umgekehrter Stoß­ richtung lässt sich fragen, inwieweit sich ein Rechtsunterworfener ausschließlich auf eine behördliche bzw. gerichtliche Einschätzung verlassen darf (dazu bb)). aa) Erfordernis der Konsultation einer bestimmten Behörde Die Rechtsprechung zu §  823 Abs.  2 BGB formuliert, soweit sie sich mit der Ver­ meidbarkeit eines Verbotsirrtums (§   17 StGB) auseinanderzusetzen hat, dass Rechtsrat zur Erlaubnispflichtigkeit einer Tätigkeit vorrangig bei der zuständigen Erlaubnisbehörde einzuholen sei.254 Im Schrifttum wird zu Recht darauf verwie­ sen, dass diese Annahme zu pauschal sein dürfte – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Erlaubnisbehörden nicht primär Rechtsberatung leisten sollen.255 Im originären Anwendungsbereich von §  17 StGB scheint auch der BGH zuletzt 246 

So z. B. Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  172; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107. Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428, 429 Rn.  14 (obgleich eine Zu­ rechnung des Beraterfehlers nach §  278 BGB annehmend, siehe dazu oben C. II.). 248  Auf §§  7, 8 RDG verweist auch Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 249  Siehe oben §  3 A. III. 2. b). 250  Siehe bereits oben B. III. 251  Siehe nur Wache, in: MüKo-ZPO, §  114 Rn.  13. 252 Vergleiche auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §   276 Rn.  73: „abgestuft nach Schwierig­ keitsgrad“. 253  Siehe ausführlicher §  3 A. III. 2. b). 254 BGH, Urt. v. 15.5.2012 − VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177, 3180 Rn.   23; BGH, Urt. v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004, 1005 Rn.  17; BGH, Urt. v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250, 1253 Rn.  28. 255 So Holle, BKR 2018, 500, 503–504. 247  BGH,

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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eher von einer Gleichrangigkeit von Aufsichtsbehörde und spezialisiertem Rechts­ anwalt auszugehen.256 Die bevorzugte Konsultation der Behörde erschiene allen­ falls dort geboten, wo deren Auskunft eine höhere Richtigkeits- bzw. Bestands­ gewähr als die eines qualifizierten Anwalts hätte. Daran lässt sich am ehesten bei verbindlichen Stellungnahmen denken.257 Soweit indes Zivilgerichte eine Bin­ dungswirkung verneinen, 258 dürfte der Vorteil der Behördenauskunft dahin sein. Im Grundsatz ist deshalb nicht von einem Vorrang entsprechender Behördenanfra­ gen auszugehen. bb) Ausreichen der Konsultation von Behörden bzw. Gerichten Eine andere Frage ist es, ob der Rechtsuchende auf den Gang zum Anwalt verzich­ ten darf, weil ihm von „amtlicher“ Seite eine Rechtsansicht mitgeteilt wurde. Es kann dabei von vornherein nur um solche Stellungnahmen gehen, die konkret ge­ genüber dem Irrenden ergangen sind.259 Die Grenzen einer entlastenden Berück­ sichtigung wurden schon mehrfach aufgezeigt:260 Insbesondere muss die „Aus­ kunft“ dem Schädigerverhalten vorangegangen sein und darf nicht zugleich ein zuzurechnender Fehler eines Beraters vorliegen. Eine Entlastungswirkung scheidet darüber hinaus in aller Regel aus, soweit der schädliche Erkenntnisgrad bei Zweifeln liegt, sich der Irrende also darauf berufen müsste, er habe die Rechtslage infolge der amtlichen Äußerung für gewiss gehalten. Das mag im Zusammenhang mit §  17 StGB möglicherweise anders zu beurteilen sein.261 Dort ist indes der Gedanke staatlicher Ingerenz tragend.262 Im Privatrecht ginge der Irrtum hingegen zulasten des unbeteiligten Gegners. Zudem ist die Wer­ tung des §  717 Abs.  2 ZPO263 auch auf Ebene der Vorwerfbarkeitsprüfung zu be­ achten: Eine positive gerichtliche Entscheidung vermittelt grundsätzlich keine hin­ reichende Gewissheit, im Recht zu sein.264 Konsequenterweise geht der BGH des­ halb zulasten des irrenden Schuldners davon aus, die Billigung seiner Rechtsansicht durch eine Aufsichtsbehörde oder eine Instanzentscheidung bedeute nicht, dass er mit einem späteren Unterliegen nicht mehr rechnen müsse.265 Sofern im Bereich der unberechtigten Anspruchsverfolgung ausnahmsweise schon das Bestehen von

256 

Siehe BGH, Urt. v. 18.7.2018 – 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467, 3468 Rn.  11. wiederum §  3 A. III. 2. b) und den dort zitierten Hinweis von Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 60. 258  Siehe dazu oben bei §  3 A. III. 2. b) mit Fn.  215. 259  Näher §  11 C. III. 3. b). 260  Zuletzt C. II. 2.; ausführlich §  9 C. IV. 6. d) sowie §  11 C. III. 3. b). 261  Siehe dazu etwa Neumann, in: NK-StGB, §  17 Rn.  73. 262  Siehe oben §  1 A. II. mit Fn.  15. 263  Siehe oben zum Erkenntnisgrad §  15 A. II. 2. 264  So z. B. auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  74. 265  Siehe §  11 C. III. 3. b) und dort v. a. BGH, Urt. v. 24.9.2013 – I ZR 187/12, NJW-RR 2014, 733, 736 Rn.  32 – Verrechnung von Musik in Werbefilmen; siehe zudem OLG Hamm, Urt. v. 19.11.­ 2015 – 5 U 74/15, NJOZ 2016, 459, 461–462 Rn.  61; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.  713–714. 257  Siehe

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Rechtszweifeln schadet, ist diese Linie zu übertragen.266 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind allenfalls insoweit denkbar, wie das Gericht oder die Behörde fälschlich den Eindruck einer objektiven Gewissheit der Rechtslage vermittelt hat.267 Dazu sind indes besondere Momente erforderlich. Zu denken ist vor allem an fälschliche Ausführungen dahingehend, die geäußerte Rechtsansicht sei die ein­ zig vertretbare oder stehe im Einklang mit unangefochtener, einschlägiger Recht­ sprechung des Höchstgerichts. Deutlich eher denkbar ist eine Entlastung, falls auf Ebene des Erkenntnisgrades erst praktische Gewissheit schadet. Wenn solche objektiv vorliegt, kann die Äuße­ rung einer gegenteiligen Rechtsansicht durch ein Gericht oder eine Behörde gege­ benenfalls den Eindruck erwecken, die Rechtslage sei zumindest nicht eindeu­ tig.268 So hat der BGH zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung geäußert, vom vermeintlichen Inhaber könne keine bessere Rechtseinschätzung erwartet werden als von der Behörde, die das Schutzrecht geprüft und erteilt habe.269 Auch in ande­ ren Zusammenhängen haben sich ähnliche Tendenzen gezeigt.270 Die Literatur zur allgemeinen Verschuldenshaftung und zur Geschäftsleiterhaftung hält behördli­ chen Rechtsrat ebenfalls für potenziell entlastend.271 3. Kausalitätserfordernis Im Verlauf der Untersuchung ist an mehreren Stellen die Frage aufgekommen, ob die Nachteilszuweisung zum Irrenden schon allein deshalb gerechtfertigt ist, weil er auf die ex ante gebotene Einholung von Rechtsrat verzichtet hat.272 Fragwürdig ist dies, wenn im konkreten Fall auch der beste Rechtsberater den schädlichen Grad an Rechtserkenntnis nicht hätte vermitteln können (etwa weil sich erst später die höchstrichterliche Rechtsprechung gewandelt hat). Soweit an ein verschuldensun­ 266  Siehe dazu §  9 C. IV. 6. d). Zutreffend daher BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269; problematisch hingegen zum Teil die Rechtsprechung zur Abnehmerverwar­ nung: BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2163 – Spritzgießmaschine; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 4.10.2018 – 6 U 206/16, GRUR 2019, 67, 72 Rn.  53 – Penisextensionsvor­ richtung. 267  Siehe bereits §  11 C. III. 3. b) unter Verweis darauf, dass die rigorose Wertung des §  717 Abs.  2 ZPO auf den Bereich der Verschuldenshaftung nicht in vollem Umfang übertragbar ist. 268  Dazu und zum Folgenden siehe §  9 C. IV. 6. d). 269  BGH, Urt. v. 22.6.1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2163 – Spritzgießmaschine; BGH, Urt. v. 19.1.2006 – I ZR 98/02, NJW-RR 2006, 832, 833–834 Rn.  25 – Verwarnung aus Kennzei­ chenrecht II. 270  Siehe etwa im Kontext der Schuldnerhaftung (wo allerdings in der Regel gerade der strenge Erkenntnisgrad gilt) bei §  11 C. III. 3. b): OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.4.1970 – 5 U 56/69, OLGZ 1971, 322, 326–327. 271 Exemplarisch Pfeiffer, in: Soergel, §   276 Rn.  113, sowie Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  313; J. Koch, in: Hüffer/Koch, §  93 Rn.  45. Vergleiche auch bereits soeben aa): Soweit die behörd­ liche Auskunft dort für mindestens gleichwertig gehalten wird, muss sie konsequenterweise ent­ lasten können. 272  Siehe zum Folgenden §  9 C. IV. 5. a) dd), wo die Frage vorerst offengelassen wurde, sowie §  11 C. III. 2. a) dd).

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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abhängiges Vertretenmüssen angeknüpft wird, ergibt sich kein Problem:273 Dem Irrenden wird die Rechtserkenntnis eines Rechtsexperten unterstellt. Wenn auch ein solcher die maßgebliche Einsicht nicht gewonnen hätte, ist der Irrende entlastet. Dieses Ergebnis ist auf die sonstigen Nachteilstatbestände zu übertragen. Im Be­ reich der Putativgläubigerhaftung ergibt sich dies regelmäßig schon daraus, dass eine unberechtigte Anspruchsgeltendmachung, wenn sie unter objektiver Rechtsunge­ wissheit erfolgt, nicht als pflichtwidrig anzusehen ist.274 Ein etwaiges Verschulden spielt dann keine Rolle. Soweit die Haftung dagegen an die Verletzung einer erfolgs­ bezogenen Leistungspflicht anknüpft, kann erst auf nachgelagerter Ebene für Ent­ lastung gesorgt werden. Eine solche scheint dem Schuldner indes verweigert zu wer­ den, wenn schon im Unterlassen einer gebotenen Konsultation ein haftungsbegrün­ dendes Verschulden erblickt wird.275 Andere Stimmen sehen den Schuldner, der auf Rechtsrat verzichtet hat, dagegen als entlastet an, wenn sich seine Einschätzung gleichwohl mit derjenigen eines objektiven Beraters deckt.276 Entsprechende Ten­ denzen zeigen sich auch im Zusammenhang mit der Fahrlässigkeit als negative Vor­ aussetzung einer wirksamen Hinterlegung (§  372 S.  2 Var.  2 BGB).277 Traditionell ist die privatrechtliche Diskussion um die hypothetisch erfolglose Beraterkonsultation wenig ausgeprägt.278 Die frühe reichsgerichtliche Judikatur deutete eher in Richtung einer Entlastung.279 Stimmen aus dem Schrifttum liegen ebenfalls auf dieser Linie.280 Der BGH hat es zuletzt im Zusammenhang mit §  823 Abs.  2 BGB mehrfach für haftungshindernd gehalten, dass auch eine hypothetische Auskunft bei einer qualifizierten Stelle nicht zur zutreffenden Rechtserkenntnis geführt hätte.281 Dass er die Prüfung dort jeweils an §  17 StGB festmachte, schwächt indes die Aussagekraft für das Privatrecht.282 Auch ist das Ergebnis nicht unwider­ sprochen geblieben.283 Zuzugeben ist der Kritik, dass sich ein gewisses „Unbehagen“ einstellen mag, wenn das Zivilrecht denjenigen vor einer Haftung bewahrt, der „blindlings“ auf seine Berechtigung vertraut.284 Es geht hier jedoch – anders als möglicherweise bei 273 

Siehe oben B. V. Zum Ganzen §  9 C. VI.; dort auch zur deliktsrechtlichen Einordnung. 275  Siehe §  11 C. III. 2. a) dd); insb. Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  167, 172. 276  Nachweise bei §  11 C. III. 2. a) dd) Fn.  749. 277  Siehe §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (a) und den dortigen Hinweis auf J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  248. 278  Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  308; Holle, BKR 2018, 500, 502; zur intensiveren Dis­ kussion im Strafrecht siehe Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, §  17 Rn.  71–74. 279  Siehe v. a. RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 101. 280  So im Ergebnis etwa J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  48–49; Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 281  BGH, Urt. v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004, 1005–1006 Rn.  16–17; BGH, Urt. v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250, 1253 Rn.  28, 31; zustimmend etwa Förster, in: BeckOK-BGB, §  823 Rn.  284; zuvor bereits ähnlich OLG Schleswig, Urt. v. 6.6.2008 – 1 U 175/08, NZBau 2008, 646, 649. 282 Näher Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 394. 283  Kritisch v. a. Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 395 (allerdings durch BGH, Urt. v. 10.7.­ 2018 – VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250, 1253 Rn.  28 zurückgewiesen). 284  So, einschließlich der Zitate, Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 390. 274 

680

7. Teil: Synthese

der Gutgläubigkeit nach §  932 Abs.  2 BGB285 – nicht primär um die Schutzwürdig­ keit des Irrenden, sondern darum, ob sich pflichtwidrig-schuldhaftes Verhalten zulasten des Geschädigten ausgewirkt hat.286 Ausräumen lässt sich jedenfalls die Sorge, dem Schädiger werde eine systemwidrige Möglichkeit eröffnet, sich durch die Beachtlichkeit hypothetischer Auskünfte auf einen entschuldigenden Rechts­ irrtum zu berufen.287 Dem wird bereits auf Ebene des Erkenntnisgrades entgegen­ gesteuert.288 Der dort formulierte Maßstab wird durch die entlastende Berücksich­ tigung eines hypothetischen Alternativverhaltens gerade nicht unterlaufen. Setzt man den schädlichen Erkenntnisgrad schon bei Rechtszweifeln an, bringt es dem Schuldner keinen Vorteil, dass ein Rechtsanwalt ihm bei hypothetischer Konsulta­ tion immerhin gewisse Erfolgschancen attestiert hätte.289 Wo als Erkenntnisgrad dagegen erst negative Gewissheit schadet, ist es schon in dieser Weichenstellung angelegt, dass sich der Irrende weitgehend entlasten kann.290 Selbst dort wird einer übermäßigen Haftungsbefreiung vorgebeugt, indem nicht auf die Vertretbarkeit der günstigen Rechtsansicht, sondern auf die realistischen Erfolgsaussichten abge­ hoben wird.291 Für die Beachtlichkeit des hypothetischen Verhaltens dürfte auch eine rechtsökonomische Einsicht streiten, auf die an anderer Stelle schon hingewie­ sen wurde: Mechanismen, welche eine Haftung für solcherlei Schäden verhindern, die auch bei der Einhaltung der geforderten Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen wären, kommt eine wichtige Rolle bei der effizienten Ausgestaltung von Sorgfalts­ pflichten zu.292 Zugleich wird der mit der Haftungsfrage befasste Rechtsanwender entlastet. Wenn dieser feststellt, dass eine Anspruchsgeltendmachung nicht prak­ tisch aussichtslos war, muss er nicht noch ergründen, ob auch der konkrete An­ spruchsteller sorgfaltsgemäß zu dieser Einsicht gelangt ist.293

285 

Dazu m. w. N. Wiegand, in: Staudinger, §  932 Rn.  84. Vergleiche auch Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  309. 287  So aber Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 396. 288 Ähnlich Holle, BKR 2018, 500, 503 (naturgemäß ohne Bezug auf die vorliegend zugrunde gelegte Konzeption): „Wer das Risiko beim Rechtsirrtum zu tragen hat, entscheidet sich nämlich eine Stufe zuvor“. 289  Vergleiche zu §  823 Abs.  2 BGB Holle, BKR 2018, 500, 503: Der Schädiger müsse darlegen, „dass seine ex post unzutreffende Rechtsaufassung ex ante in einem verlässlichen anwaltlichen Gutachten in einer Weise darstellbar gewesen wäre, die bei ihm keine begründeten Zweifel hin­ sichtlich der Richtigkeit seines Rechtsstandpunkts wecken konnte“. 290  Exemplarisch OLG Schleswig, Urt. v. 6.6.2008 – 1 U 175/08, NZBau 2008, 646, 649. 291  Siehe dazu ausführlich §  15 C. 292 Siehe Schäfer/Ott, Analyse, S.  198–201. Neben der dort behandelten Differenzmethode bei der Schadensberechnung dient auch die Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens der Be­ schränkung einer Ersatzpflicht auf den sogenannten Zusatzschaden, siehe Engert, in: FS Kirchner, S.  735, 742. 293  Shavell, J. Legal Stud. 21 (1992), 259, 269: „A court does not have to know whether informa­ tion about risk was obtained in fact. (This can be a significant advantage; exactly what a defendant knew about risk may be hard to establish even when what he should have known and his level of care can be fairly well determined.)“ 286 

§  16 Übergreifende Maßstäbe zur Substitution durch Vorwerfbarkeit

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In dogmatischer Hinsicht dürfte die Problematik am Merkmal der Kausalität der Sorgfaltswidrigkeit angesiedelt sein.294 Verbreitet ist der Verweis auf das sogenann­ te rechtmäßige Alternativverhalten.295 Genauer erscheint die Bezeichnung als schuldloses Alternativverhalten.296 4. Kontrolle der Auskunft Ein Verschuldensvorwurf gegen den Rechtsuchenden kann sich gegebenenfalls auch dann ergeben, wenn ihm hinsichtlich der Auswahl des Beraters keine Nach­ lässigkeit vorzuwerfen war. Ein solcher eigenständiger Vorwurf gewinnt naturge­ mäß besondere Bedeutung, wo sich keine Möglichkeit zur Zurechnung von Bera­ terfehlern ergibt. Vor diesem Hintergrund ist wiederum die Paralleldiskussion um die Innenhaftung von Geschäftsleitern für Rechtsverstöße erhellend.297 Fahrlässiges Verhalten kann theoretisch in der Fassung des Prüfungsauftrags oder einer unzureichenden Offenlegung des Sachverhalts an den Berater liegen.298 Inso­ weit kommt es indes darauf an, ob der Mandant – oftmals ein juristischer Laie  – da­ von ausgehen durfte, die relevante Rechtsfrage werde geprüft299 und es seien keine zusätzlichen Angaben erforderlich.300 Etwas größere Bedeutung hat im Bereich der vorliegenden Untersuchung die Frage erlangt, inwieweit der Mandant eine erhaltene Auskunft noch selbstständig prüfen muss. Bei der unberechtigten Anspruchsgel­ tendmachung wurde ein eigenes Verschulden des Anspruchstellers in Betracht ge­ zogen, wenn sich hinreichender Anlass zu Zweifeln an der Rechtseinschätzung des Beraters ergibt.301 Im Bereich der Schuldnerhaftung gilt Vergleichbares.302 Das ent­ spricht den allgemeinen Stellungnahmen zur Fahrlässigkeit303 und denen zur Haf­

294 Dazu allgemein Riehm, in: BeckOGK, §   280 BGB Rn.  196; so auch die Verortung von ­ empelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 394; zustimmend Holle, BKR 2018, 500, 503; deutlich bereits K RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 94, 101 (dazu schon Fn.  279). 295 So Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  73; Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  308–309; Kaulich, Haftung, S.  129, 229; Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113. 296  Haertlein, Exekutionsintervention, S.  411; Holle, BKR 2018, 500, 503; dies als Alternativbe­ griff nennend auch Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  82; siehe ferner Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 395 (die darin, wie oben angedeutet, jedoch nicht nur einen sprachlichen Unter­ schied sehen). 297  Siehe dazu oben 2. a). 298  Siehe zur Geschäftsleiterhaftung BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672 Rn.  18; BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 991 Rn.  28. 299  Näher BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 991 Rn.  30; zustimmend Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  63 Fn.  222. 300  Siehe nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35d, wonach der Rechtsberater den Sachver­ halt häufiger durch gezielte Nachfragen zu erschließen haben wird. 301  Siehe bei §  9 C. IV. 5. a) cc): BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf (darauf Bezug nehmend J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  107); Hopt, Schadensersatz, S.  257. 302  Siehe die Nachweise bei §  11 C. III. 2. a) cc) Fn.  751, 753. 303 Etwa Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940–941; J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  118; Pfeiffer, in: Soergel, §  276 Rn.  113.

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tung von Geschäftsleitern.304 Allerdings ist sowohl zur Putativgläubiger- als auch zur Schuldnerhaftung und zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB bereits darauf hingewiesen worden, dass für die Kontrolle des erhaltenen Rechtsrats selbstredend nicht auf die Sorgfalt eines Rechtskundigen, sondern nur auf die Anforderungen abzustellen ist, die für den Verkehrskreis des Beratenen gelten.305 Grundsätzlich darf man auf erhaltene Aus­ künfte vertrauen.306 Vergleichbares wird in allgemeinerem Kontext festgehalten.307 Auch zur Geschäftsleiterhaftung hat der BGH klargestellt, dass keine rechtliche Überprüfung verlangt wird.308 Letztlich besteht weitgehende Einigkeit, dass es vor allem um den Einsatz von „gesundem Menschenverstand“309 sowie das Erkennen lo­ gischer Widersprüche310 und offensichtlicher Gefälligkeitsgutachten 311 geht. Hier lässt sich eine Brücke zum Verjährungsrecht schlagen: Dort zählen hinsichtlich anwalts­ haftungsrechtlicher Ansprüche ausnahmsweise auch rechtliche Momente zum Er­ kenntnisgegenstand. Eine grob fahrlässige Unkenntnis lässt sich diesbezüglich in der Regel erst annehmen, wo dem Mandanten der Fehler mithilfe verkehrskreis­ typischer Fähigkeiten – etwa angesichts simpler logischer Widersprüche  – hätte auf­ fallen müssen.312 An dieser Stelle besteht also abermals Gelegenheit zum quadran­ tenübergreifenden Maßstabstransfer.

304 

V. a. BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670, 1672 Rn.  18. Siehe §  9 C. IV. 5. a) cc) sowie §  11 C. III. 2. a) ee), 5. a) aa) (2) (a) und die dort zitierten BGH, Urt. v. 17.10.1952 – I ZR 45/52, BGHZ 7, 302 = NJW 1953, 19, 21; LG Karlsruhe, Urt. v. 22.3.1990  – 5 S 563/89, Rn.  2, juris. 306  Das wird zu §  372 S.  2 Var.  2 BGB besonders deutlich ausgesprochen, siehe §  11 C. III. 5. a) aa) (2) (b) m.N. in Fn.  859. 307  Zum „Vertrauendürfen“ etwa BGH, Urt. v. 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, NJW 1981, 1098, 1099; zur Verkehrskreisabhängigkeit z. B. Schaub, in: BeckOGK, §  276 BGB Rn.  63. 308  BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 991–992 Rn.  33. 309  Schaub, in: BeckOGK, §  276 BGB Rn.  63. 310  Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.   304; Kaulich, Haftung, S.  237–238; siehe auch BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988, 992 Rn.  33; ferner Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 940–941: Prüfung auf Logik und Stringenz. 311 Siehe Fleischer, in: Spindler/Stilz, §  93 Rn.  35f; ähnlich der Begriff der Feigenblattfunktion, der im Kontext von §  17 StGB verwendet wird, siehe etwa BGH, Urt. v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461, 461; Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, §  17 Rn.  68 m. w. N. 312  Siehe oben §  7 C. III. 3. 305 

§  17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis An verschiedenen Stellen der Untersuchung ist die Frage aufgekommen, ob der ­Irrende von Rechtsnachteilen zu verschonen ist, weil (auch) sein Gegenüber eine Verantwortung für die zutreffende Rechtserkenntnis trifft. Die einschlägigen Pro­ blemstellungen sind bislang weitgehend isoliert betrachtet worden. Diese Einzel­ beobachtungen sollen nun zusammengeführt und systematisiert werden, um über­ greifende Erkenntnisse zu gewinnen. Auf einer ersten Gliederungsebene lassen sich zwei Gesichtspunkte auseinanderhalten, an die eine Verantwortung des Gegen­ übers anknüpfen könnte: Es kann einerseits um dessen Einfluss auf die (fremde) Rechtserkenntnis des Irrenden gehen (dazu A.). Andererseits kann der Vorwurf lauten, dessen Gegenüber habe selbst zur richtigen Rechtserkenntnis gelangen und die Entstehung eigener Schäden verhindern können (dazu B.).

A. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die fremde Rechtserkenntnis Die Fälle einer denkbaren Verantwortung des Gegenübers für rechtliche Einsich­ ten des Irrenden sind zunächst zu ordnen (dazu I.). Als zentrale Frage ergibt sich, inwieweit im Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten Rechtsaufklärungspflich­ ten bzw. -obliegenheiten anzunehmen sind (dazu II.). Nach Klärung dessen ist zu überlegen, wie sich solche Pflichten bzw. Obliegenheiten in die Rechtsirrtums­ dogmatik einpassen lassen (dazu III. und IV.).

I. Denkbare Anknüpfungspunkte Der Gedanke an eine Verantwortlichkeit der Gegenseite liegt vor allem dort nahe, wo der Irrende infolge des gegnerischen Verhaltens den für die Nachteilszuweisung erforderlichen Erkenntnisgrad subjektiv nicht erreicht. Das betrifft etwa den Fall, dass ein Schuldner von der eigenen Berechtigung zur Leistungsverweigerung über­ zeugt ist, während objektiv mindestens Zweifel bestehen. Vergleichbar ist die Situa­ tion, dass ein Putativgläubiger das Bestehen eines Anspruchs immerhin für denk­ bar hält, während dieses bei objektiver Betrachtung mit praktischer Gewissheit ausgeschlossen ist. Die Betrachtung darf sich aber nicht auf solche Fälle beschrän­

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ken. Die Berücksichtigung einer Verantwortlichkeit des Gegners scheidet nicht zwingend aus, sobald der Irrende subjektiv den schädlichen Erkenntnisgrad er­ reicht hat. So wird etwa ein Ausschluss der Verzugshaftung auch dort diskutiert, wo der Schuldner Zweifel an seiner Verweigerungsberechtigung hatte – dies wäre nach der strengen Linie eigentlich haftungsbegründend –, sein Gegenüber aber für die Ungewissheit (mit-)verantwortlich war.1 Im Lauf der Untersuchung ist offenbar geworden, dass sich der Vorwurf der (Mit-)Verantwortlichkeit an verschiedene Momente knüpfen lässt. Diese sind im Folgenden zu systematisieren. 1. Gestaltung des Rechtsverhältnisses vor Entstehen der Streitsituation Zugunsten des Irrenden wird bisweilen berücksichtigt, dass ein Vorverhalten des Gegenübers bei der Gestaltung des Rechtsverhältnisses schlussendlich einen fal­ schen Eindruck von der bestehenden Rechtslage erweckt bzw. Rechtsunsicherheit herbeigeführt hat. Prototypisch ist die Entlastung des Verzugsschuldners von der ansonsten strengen Haftung, wenn der Gläubiger durch die „unzulängliche For­ mulierung“ eines Pfändungsbeschlusses die Rechtsungewissheit selbst hervorgeru­ fen hat.2 Man kann hier von einer „Gestaltungsingerenz“ sprechen. Es erscheint nicht unplausibel, in solchen Fällen Milde zugunsten des Irrenden walten zu lassen. So wurde in der umgekehrten Konstellation – Gestaltungsingerenz des Irrenden  – befürwortet, eine ansonsten geltende milde Linie zu seinen Lasten zu verschärfen. Dies betraf die Fälle einer Unsicherheit über die Person des Gläubigers.3 Eine Sank­ tionierung der Ingerenz im Rahmen der Rechtsirrtumsdogmatik könnte Anreize für eine sorgfältige, vorausschauende und die Gesamtkosten minimierende Gestal­ tung von Rechtsverhältnissen setzen.4 Wann von einer Gestaltungsingerenz auszugehen ist, bedarf der Konkretisie­ rung. Das zuletzt angeführte Beispiel betraf die angemessene Risikoverteilung zwischen (mindestens) drei Beteiligten (Schuldner und Prätendenten). Es leuchtet ein, dass hier im Regelfall Schutz verdient, wer außerhalb der Beziehung steht, in welcher die Rechtsunsicherheit ihre Ursache hat.5 Dagegen ist in den üblichen zweipoligen Beziehungen des Privatrechts seltener eine Partei bei der Gestaltung des Rechtsverhältnisses gänzlich außen vor. Auch der später Irrende wird zumeist über Einfluss verfügt haben. Vor diesem Hintergrund dürfte sich erklären, warum eine gestalterische Vorverantwortung des Gegenübers für Rechtsirrtümer nur sel­ ten angesprochen wird. Zudem erschließt sich, warum der BGH in der zitierten

1  Siehe §  11 C. II. 6. e). Im hier verfolgten Konzept besteht die Konsequenz darin, dass eine Entlastung bereits durch eine Modifikation auf Ebene des schädlichen Erkenntnisgrades herbei­ geführt werden müsste. 2  Siehe bei §  11 C. II. 6. e) aa), ausgehend von BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464. 3  Siehe oben §  11 C. II. 6. b) aa) (1), §  16 D. III. 1. a. E. 4  Siehe bereits §  11 C. II. 6. b) aa) (1). 5  Siehe abermals §  11 C. II. 6. b) aa) (1).

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Entscheidung zur Verzugshaftung6 von einer Gestaltungsingerenz ausgehen konnte. Dort gründete die Rechtsungewissheit nicht auf der von beiden Seiten zu gestaltenden Rechtsbeziehung. Vielmehr stand ein bereicherungsrechtlicher An­ spruch in Rede, der seinerseits auf dem Vollstreckungszugriff beider Parteien auf die Forderung eines Dritten beruhte. Die Unsicherheit war ausschließlich durch den vom Gläubiger beantragten Pfändungsbeschluss verursacht worden. Eine ver­ gleichbare Ausgangslage ergibt sich bei vertraglichen Beziehungen nur dort, wo die Verantwortung für eine bestimmte Gestaltung einseitig zugewiesen werden kann. In diesem Punkt lässt sich auf die Rechtsprechung zurückgreifen, die denjenigen Vertragspartner, welcher für die Unwirksamkeit eines Vertrags verantwortlich zeichnet, für Schäden haften lässt, die der Gegenpart infolge des Vertrauens auf die Wirksamkeit erleidet.7 Konsequent ist die Fortschreibung dieser Rechtsprechung für die Verwendung unwirksamer AGB.8 In solchen Konstellationen ist die An­ nahme verfehlt, beide Parteien hätten Einfluss auf die betroffene Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses gehabt. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem das Szenario relevant, in dem der Irrende die Unwirksamkeit einer vom Gegner gestellten Klausel verkennt und in der Folge seine eigene Rechtsposition unterschätzt. Das lässt sich am Beispiel un­ wirksamer Schönheitsreparaturklauseln demonstrieren: Der Mieter, der die Un­ wirksamkeit verkennt, geht irrtümlich davon aus, zur Renovierung verpflichtet zu sein. Für diese fällt Aufwand an. Es kann sich ein Bereicherungsanspruch des Mie­ ters ergeben.9 Dafür bedarf es jedoch keiner gesonderten Berücksichtigung der Vorverantwortlichkeit des Vermieters: Der aus §  814 BGB folgende Rechtsnachteil eines Kondiktionsausschlusses trifft den irrtümlich renovierenden Mieter in aller Regel nicht.10 Anders verhält es sich mit Blick auf die Kompensation weiterer (fak­ tischer) Nachteile, deren Betrachtung die vorliegende Untersuchung ausgespart hat.11 Diese werden gegebenenfalls von dem vorhin angesprochenen Schadenser­ satzanspruch wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung abgedeckt. War die Un­ wirksamkeit der Klausel im Zeitpunkt der Verwendung noch nicht höchstrichter­ lich festgestellt, fehlt es jedoch regelmäßig an einem Verschulden.12 Ein Ersatz­ anspruch des Irrenden kann dann unter Umständen an die spätere Geltendmachung des nicht bestehenden Renovierungsanspruchs anknüpfen. Dies setzt nach den 6 

BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464. bei BGH, Urt. v. 12.11.1986 – VIII ZR 280/85, BGHZ 99, 101 = NJW 1987, 639, 640; Grüneberg, in: Palandt, §  311 Rn.  38. 8  Siehe nur BGH, Urt. v. 27.5.2009 – VIII ZR 302/07, BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, 2590 Rn.  10 m. w. N. 9  BGH, Urt. v. 27.5.2009 – VIII ZR 302/07, BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, 2592 Rn.  21–24. 10  Zutreffend AG Nürtingen, Urt. v. 28.2.2007 – 42 C 1047/06, WuM 2007, 316; einen Kondik­ tionsausschluss vorschnell bejahend hingegen AG München, Urt. v. 2.9.2010 – 432 C 13289/10, ZMR 2013, 725, 727 (siehe dazu die Kritik bei §  13 C. III. 2. c) bb) (2)–(3) sowie §  15 B. II.). 11  Vergleiche §  6 A. mit Fn.  2. 12  Siehe BGH, Urt. v. 27.5.2009 – VIII ZR 302/07, BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, 2590– 2591 Rn.  11–14; genauer Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer, §  538 BGB Rn.  167. 7  Überblick

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oben zur Putativgläubigerhaftung entwickelten Maßstäben indes voraus, dass die Unwirksamkeit der AGB zur Zeit der Geltendmachung praktisch gewiss, also höchstrichterlich geklärt, war.13 Bestanden im Zeitpunkt der Geltendmachung lediglich Zweifel an der Wirksamkeit oder hat der Mieter die Renovierung unauf­ gefordert vorgenommen, ließe sich ein Schadensersatzanspruch allenfalls an die Verletzung einer entsprechenden Warnpflicht des Vermieters knüpfen.14 Eine sol­ che Hinweispflicht nach der Verwendung unwirksamer AGB wird verbreitet be­ fürwortet.15 Selbst wenn ein Bereicherungs- und gegebenenfalls auch ein Schadens­ ersatzanspruch des irrenden Mieters bejaht wird, kann sich allerdings ein w ­ eiterer Rechtsnachteil ergeben: Eine fortdauernde Unkenntnis der Klauselunwirksamkeit mag dazu führen, dass der Mieter die Geltendmachung seiner Ansprüche versäumt und diese verjähren. Nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB kommt es schließlich im Grund­ satz nur auf die objektive Zumutbarkeit der Anspruchsverfolgung an. Auch vor der Verjährung könnte den Irrenden demnach im Regelfall nur die Berücksichtigung einer Verantwortlichkeit des Vermieters bewahren. 2. Dulden der irrigen Rechtsauffassung Gewisse Ähnlichkeiten zu der Fallgruppe der Gestaltungsingerenz sind zu erken­ nen, wenn dem Gegenüber angelastet wird, durch das frühere Vertreten einer un­ zutreffenden Rechtsauffassung zum Irrtum beigetragen zu haben. Die Vorzeichen verkehren sich hier allerdings: Es geht um die Überschätzung der eigenen Position durch den Irrenden. Einschlägig sind Konstellationen, in denen sich der Irrende in Sicherheit gewogen hat, weil die für ihn günstige Rechtsauffassung auch vom Ge­ genüber geteilt wurde. Mitunter wird festgehalten, eine jahrelange Duldung der falschen Rechtsansicht durch den Gegenpart könne den Rechtsirrtum entschuldigen.16 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann dies relevant werden, wo der Irrende nicht ohne­ hin schon durch die großzügige Gestaltung des schädlichen Erkenntnisgrades vor Nachteilen geschützt ist. So hat der BGH im Kontext einer unberechtigten Schutz­ rechtsverwarnung eine Haftungsfreiheit unter anderem darauf gestützt, dass auch die Patentanwälte des Verwarnten eine Löschung des betroffenen Gebrauchs­ musters für unwahrscheinlich gehalten hatten.17 Im Bereich der Schuldnerhaftung, 13  So die Konstellation bei KG, Urt. v. 18.5.2009 – 8 U 190/08, NJW 2009, 2688, auch wenn dort ungenau auf die Klärung durch die „obergerichtliche“ Rechtsprechung abgehoben wird (ge­ meint sein dürfte der BGH). Zum Haftungsmaßstab insgesamt siehe oben §  9. C. III. 14  Ebenso zu den potenziellen Anknüpfungspunkten Flatow, jurisPR-MietR 23/2009 Anm.  1 (unter C.). 15  Bonin, in: BeckOGK, §  306 BGB Rn.  91; Grüneberg, in: Palandt, §  306 Rn.  19; H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, §  306 Rn.  31; etwas vorsichtiger indes – anlassbezogene Aufklärung bei Ge­ fahr  – H. Schmidt, WuM 2010, 191, 198; noch zurückhaltender Artz, NZM 2007, 265, 272. 16  J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  114, 117. 17  BGH, Urt. v. 11.12.1973 – X ZR 14/70, BGHZ 62, 29 = NJW 1974, 315, 318 – Maschenfester Strumpf. Solange keine Abnehmerverwarnung vorgenommen wird, gilt indes ohnehin der groß­ zügige Erkenntnisgrad.

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wo grundsätzlich eine strenge Linie gilt, wurde eine Entlastung des säumigen Mie­ ters erwogen, wenn der Vermieter eine ungerechtfertigte Mietminderung jahre­lang hingenommen hatte.18 Wo es um anspruchsbezogene Rechtsirrtümer eines Schuldners geht, erscheint eine entschuldigende Wirkung des Gläubigerverhaltens allerdings regelmäßig überflüssig. Die Duldung steht, sofern man sie nach §  242 BGB für erheblich erach­ tet, in der Regel schon dem Anspruch selbst entgegen.19 Nur wo das Gläubiger­ verhalten nicht einmal eine Einrede des Schuldners begründet, bleibt zu fragen, ob dieser stärker als sonst vom Verzugsrisiko zu entlasten ist. Man könnte ausnahms­ weise von der strengen Linie abrücken und eine Entlastung schon bei Bestehen ei­ ner zweifelhaften Rechtslage annehmen. Dieser Ansatz ist indes oben abgelehnt worden:20 Schutzwürdig erscheint der Schuldner lediglich insoweit, wie er sich aufgrund der früheren Duldung in Gewissheit, im Recht zu sein, wähnen durfte. Die Ausgangslage ändert sich, sobald der Gläubiger deutlich macht, nach neu ge­ wonnener Rechtsauffassung nunmehr von einer Anspruchsberechtigung auszuge­ hen. Dem Schuldner kommt im Anschluss an diesen Umschwung eine Prüfungs­ frist zugute. Nach deren Ablauf gerät er indes regelmäßig in Verzug. Würde man hingegen eine Haftung schon dann ausschließen, wenn der Schuldner Zweifel ha­ ben durfte, wäre es einem Gläubiger kaum mehr möglich, seine einmal eingenom­ mene Sichtweise zu korrigieren und den Schuldner in Verzug zu setzen. Mehr als auf die neu gewonnene Einsicht hinzuweisen, kann er nicht tun. 3. Unzutreffende Ausführungen zur Rechtslage Mit dem vorgenannten Szenario verwandt ist der Fall, dass sich der Gläubiger ur­ sprünglich auf eine unzutreffende rechtliche Begründung seines Anspruchs ge­ stützt hat. Mitunter wird der säumige Schuldner bis zum Zeitpunkt des Wechsels zur zutreffenden Begründung als entlastet angesehen.21 In vergleichbarer Weise ist im Kontext von §  93 ZPO zugunsten des beklagten Schuldners eine Klageveranlas­ sung verneint worden, solange der klagende Gläubiger sich auf eine falsche Begrün­ dung stützte und die im Ergebnis durchgreifenden rechtlichen Aspekte von beiden Parteien übersehen wurden.22 Diese Sachverhalte unterscheiden sich jedoch in ei­ 18  So (unter Verweis auf OLG Köln, Urt. v. 4.2.2000 – 1 U 92/99, Rn.  34, juris) BGH, Urt. v. 11.4.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, 325 Rn.  34; siehe auch die entsprechende Deutung von Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121; Hinz, NJW 2013, 337, 339. 19  Zur möglichen Anwendung von §  242 BGB siehe bereits §  11 C. II. 6. e) bb); zur umstrittenen dogmatischen Einordnung der Verwirkung näher C. Schubert, in: MüKo-BGB, §  242 Rn.  388– 390. Auch bei einer Klassifizierung als Einrede wäre aber eine verzugshindernde Wirkung nicht ausgeschlossen, siehe allgemein Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  23. 20  Zum Folgenden §  11 C. II. 6. e) bb). 21  RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313, 316 (Verwandtschaft zur Duldung, soweit das Gericht festhält, die Gläubigerin könne der Schuldnerin „nicht eine unrichtige Rechtsauffassung zum Vorwurf machen, die sie im langen Geschäftsverkehr nie beanstandet […] hat“); ebenso LG Duisburg, Urt. v. 27.2.1996 – 23 (7) S 270/95, NJW-RR 1996, 718, 719. Dazu oben §  11 C. III. 3. a). 22  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.1.1981 – 6 W 152/80, JurBüro 1981, 1095, 1095; siehe

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nem bedeutenden Punkt von den zuvor besprochenen „Duldungsfällen“: Ein Ver­ trauen des Schuldners, dem Gläubiger gegenüber nicht verpflichtet zu sein, kann sich hier regelmäßig nicht entwickeln. Das Vertrauen bezieht sich allenfalls auf die Begründung, nicht aber auf das Ergebnis. Hier erscheint der Schuldner von vorn­ herein wenig schutzwürdig. Zudem ist zu beachten, dass der Gläubiger zumindest im Prozess zu Rechtsausführungen grundsätzlich nicht verpflichtet ist – „iura novit curia“.23 Auch die Kundgabe unzutreffender Ansichten darf ihm deshalb nicht zum Nachteil gereichen. Anderes kann wiederum nur dort gelten, wo es dem Gläubiger ausnahmsweise obliegt, dem Schuldner (vorprozessual) zutreffende Erläuterungen zur Rechtslage zu unterbreiten.24 Eine Entlastung des Irrenden lässt sich nicht nur dann in Erwägung ziehen, wenn das Gegenüber die falsche Begründung für einen tatsächlich bestehenden Anspruch wählt. Man kann noch allgemeiner an unzutreffende rechtliche Hinwei­ se der Gegenseite anknüpfen.25 Bedeutung erlangt diese Fallgruppe vor allem, wenn der falsche Hinweis – anders als bei der ursprünglich falschen Anspruchs­ begründung – nicht zu einer überoptimistischen Einschätzung des Irrenden führt, sondern dazu, dass dieser verkennt, im Recht zu sein. Insoweit besteht eher eine Verwandtschaft zu den oben besprochenen Fällen einer Gestaltungsingerenz bei Verwendung unwirksamer AGB.26 Jedenfalls für den Fall, dass das Gegenüber arglistig über die für den Irrenden günstige Lage getäuscht hat, erscheint eine Entlastung des Letztgenannten nahe­ liegend. So wird etwa das arglistige Vorspiegeln einer Kündigungsberechtigung als Zulassungsgrund für eine verspätete Kündigungsschutzklage (§  5 Abs.  1 S.  1 KSchG) angesehen.27 Es ist indes bereits darauf hingewiesen worden, dass der Äußerung von Rechtsansichten grundsätzlich kein Täuschungscharakter zukommt.28 Wie sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Betrugstatbestand (§  263 StGB) und der prozessualen Wahrheitspflicht (§  138 Abs.  1 ZPO) zeigt, 29 kommt eine Täuschung allenfalls dann in Betracht, wenn falsche Angaben zu vermeintlich vorhandenen Rechtserkenntnisquellen gemacht werden, insbesondere Judikatur „erfunden“ wird.30 Dies wird bestätigt durch aktuelle Rechtsprechung des BGH zur irreführen­ den geschäftlichen Handlung im Sinne des §  5 Abs.  1 UWG: Rechtsausführungen ferner OLG Hamburg, Beschl. v. 20.7.2006 − 5 W 86/06, GRUR-RR 2007, 175, 175 – Währungs­ angabe; KG, Beschl. v. 11.9.2007 − 5 W 85/06, GRUR-RR 2008, 29, 30 – „in voller Länge und/oder in Teilen“; dazu §  12 B. III. 3., C. I. 2. b). 23  Siehe oben §  11 C. III. 3. a); darauf verweisend §  12 C. I. 2. b). Dazu allgemein §  3 A. II. 1. 24  In diese Richtung etwa die bei §  12 B. III. 3. erwähnte Entscheidung OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.11.1983 – 6 W 127/83, GRUR 1984, 164 – Inhalt der Abmahnung; dazu näher unten II. 3. e). 25  Vergleiche etwa Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  76. 26  Siehe soeben 1. 27  Siehe §  8 D. II. m.N. in Fn.  72. 28  §  8 D. III. 29  Siehe dazu §  9 A. I. 30  Hefendehl, in: MüKo-StGB, §  263 Rn.  97; Hopt, Schadensersatz, S.  273. Zu Recht einschrän­ kend aber Hefendehl, a. a. O., sowie OLG Koblenz, Beschl. v. 25.1.2001 – 2 Ws 30/01, NJW 2001,

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fehle es als Meinungsäußerung31 grundsätzlich an der Täuschungseignung. Anderes gelte nur, wenn der Empfänger die Ausführungen als objektive Feststellung verste­ hen müsse, wenn also zum Beispiel fälschlich behauptet werde, die Auffassung ent­ spreche höchstrichterlicher Rechtsprechung.32 Für wettbewerbswidrig hält der BGH auch eine Abnehmerverwarnung, die auf eine vom Verwarnenden erwirkte günstige Gerichtsentscheidung verweist, ohne klarzustellen, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist.33 Außerhalb solcher außergewöhnlichen Fälle darf dem Gegenüber die Äußerung einer unzutreffenden Rechtsansicht dagegen grundsätzlich nicht schaden. Dem Empfänger muss normalerweise klar sein, dass es sich nur um eine Meinungskund­ gabe handelt, die er nicht ungeprüft lassen sollte. Der Umstand, dass auf Rechtsaus­ führungen des Gegners kein Verlass ist, findet im umgekehrten Fall, dass die geg­ nerische Rechtsansicht zutrifft, gerade zugunsten des Irrenden Berücksichti­ gung.34 Eine Entlastung des Irrenden wegen falscher Rechtshinweise des Gegners kommt demnach grundsätzlich nur unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass in der unzutreffenden Äußerung zugleich das Unterlassen einer dem Gegner oblie­ genden zutreffenden Belehrung liegt. Demnach ist wiederum die Frage zentral, in­ wieweit Rechtsauskunftspflichten bzw. -obliegenheiten des Gegenübers bestehen. Das gilt insbesondere für den im Verjährungskontext angesprochenen Fall einer rechtlich unzutreffenden Belehrung durch einen Notar, die den Blick auf eine Amtspflichtverletzung verstellt.35 Auch hier liegt es näher, nicht an die falsche, sondern an das Unterbleiben der richtigen Auskunft über die mögliche Amts­ pflichtverletzung anzuknüpfen.36 4. Unterlassen von Hinweisen Nach den vorstehenden Erkenntnissen erweist sich im hier beleuchteten Problem­ komplex das Bestehen einer Rechtsaufklärungspflicht bzw. -obliegenheit des Ge­ genübers regelmäßig als zentrale Voraussetzung für eine Entlastung des Irrenden. Ein prototypisches Beispiel ist bereits im ersten Untersuchungsquadranten begeg­ net: Möchte der Rechtsanwalt sicherstellen, dass mögliche Regressansprüche seines 1364: aus normativen Gründen grundsätzlich keine „Täuschung“ im gerichtlichen Verfahren möglich, da dort „iura novit curia“ gilt. 31  Dazu schon bei §  9 A. I. m.N. in Fn.  43. 32  BGH, Urt. v. 25.4.2019 – I ZR 93/17, GRUR 2019, 754, 756–757 Rn.  30–35 – Prämienspar­ verträge; in diese Fallgruppe könnte auch das von Grundmann, in: MüKo-BGB, §  276 Rn.  76, angeführte Beispiel zur Falschbelehrung durch einen Versicherungsagenten fallen. 33  BGH, Urt. v. 23.2.1995 – I ZR 15/93, NJW-RR 1995, 810, 811 – Abnehmerverwarnung. 34  Siehe oben §  16 D. II. 35  BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  21, 1955 Rn.  23. 36  So in der Tendenz auch A. Mayer, NotBZ 2019, 256, 258. Dass einem Notar aufgrund seiner Stellung ein derartiger Hinweis obliegt, erscheint zumindest nicht fernliegend, näher unten II. 3. b) aa). Nunmehr allerdings eindeutig gegen einen Verjährungsaufschub, sofern der Notar nicht gera­ de irreführend belehrt hat, BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 468 Rn.  19.

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Mandanten zu verjähren beginnen, muss er diesen darüber unterrichten, dass es möglicherweise zu einer Pflichtverletzung gekommen ist. Hier handelt es sich, funktional betrachtet, um eine Hinweisobliegenheit des Anwalts.37 Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob sich solche Obliegenheiten auch in anderen Situationen ergeben.

II. Bestehen einer Aufklärungsverantwortung Die Aufklärungsverantwortung zwischen Privatrechtssubjekten wird als übergrei­ fendes Thema wahrgenommen, das die Grenze zwischen Prozessrecht und materi­ ellem Recht überspannt.38 Betrachtet man die Literatur zu Aufklärungsobliegen­ heiten im Kontext von §  286 BGB respektive §  93 ZPO39, fällt indes ins Auge, dass rechtliche Hinweise weitgehend außen vor bleiben. So weist Leuschner in seiner Betrachtung zwar anfänglich auf die Bedeutung „rechtliche[r] Zweifelsfragen“ für den Schuldner hin.40 Im Folgenden steht aber einzig die Information über die tat­ sächlichen Grundlagen des Anspruchs im Mittelpunkt.41 Diese habe der Schuldner „gegebenenfalls unter Einholung von Rechtsrat“ zu analysieren.42 Schon Rolf ­Stürners grundlegendes Werk zur Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozes­ ses fokussierte ausschließlich die Tatsachenaufklärung.43 Diese Schwerpunktset­ zung ist repräsentativ.44 Sie könnte implizieren, dass rechtliche Aufklärungsoblie­ genheiten schlichtweg nicht existieren bzw. deutlich geringere Bedeutung besitzen. Möglichen Gründen dafür ist nachzugehen. 1. Prinzipieller Unterschied zur Tatsachenaufklärung: Verfügbarkeit von Rechtsrat Ohne Weiteres einsichtig ist es, dass rechtliche Hinweise ausgeblendet werden, so­ fern es um Aufklärungspflichten im Prozess geht.45 In diesem Stadium ist dem Ge­ 37  Zu einem Verjährungsbeginn kann es zwar auch kommen, wenn der Mandant von anderer Seite belehrt wird. Dies hat der Berater allerdings nicht selbst in der Hand. 38 Zutreffend Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 74 Fn.  37. 39  Dazu oben §  12 B. III. 3. 40  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 65. 41 Deutlich Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 100 („Informationsdefizit bezüglich der den An­ spruch begründeten Tatsachen“); auf die tatsächliche Ebene konzentriert sich auch R. Koch, Mit­ wirkungsverantwortung, S.  141, 143. 42  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 65. 43  R. Stürner, Aufklärungspflicht, passim; siehe bereits die einleitenden Beispiele a.  a. O., S.  1–3; mit der a. a. O., S.  265, erwähnten „besseren Beurteilung der Sach- und Rechtslage“ ist of­ fenbar auch nur das subjektive Recht (dazu §  3 B. I.) gemeint, dass durch Tatsachenaufklärung erkennbar wird. 44  Siehe z. B. Becker-Eberhard, Kostenerstattung, S.  79–81 (auch S.  232–233), der zur Aufklä­ rung durch den Putativschuldner keine Fälle anspricht, in denen es um eine Aufklärung der Rechtslage geht. Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  46, führt im Zusammenhang mit seinem Kon­ zept der „Streitbegründung“ aus, eine Darlegung der eigenen Rechtsauffassung erscheine nicht erforderlich. 45  So v. a. bei R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  4 –260.

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richt die Ermittlung der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen überantwortet; es gilt: „iura novit curia“. Ersichtliche Rechtsirrtümer der Parteien sind über einen gerichtlichen Hinweis zu korrigieren.46 Für das vorprozessuale Stadium fällt eine Erklärung nicht gleichermaßen leicht. Man sollte sich hier zunächst vor Augen halten, dass Auskunftsobliegenheiten des Gläubigers im Rahmen von §  286 BGB und §  93 ZPO aus denselben Grundsätzen hergeleitet werden wie Auskunftsansprüche47 nach §  242 BGB innerhalb von Son­ derverbindungen.48 Nach der langjährigen Rechtsprechung existiert allerdings keine generelle Aufklärungsverantwortung für Umstände, die für die Gegenseite wichtig sind.49 Vielmehr hat sich ein relativ fest umrissenes Prüfungsprogramm etabliert:50 Erstens dürfe der Schuldner in entschuldbarer Weise nicht in der Lage sein, sich die benötigten Informationen selbst zu beschaffen, also keine andere In­ formationsquelle zur Verfügung haben (Gedanke der Subsidiarität51). Dass die Aufklärung durch den Gläubiger für den Schuldner gegebenenfalls bequemer sei, spiele keine Rolle. Zweitens dürfe die Informationsgewährung für den Gläubiger keinen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Insbesondere sei der Gläubiger nicht gezwungen, auf den kostenpflichtigen Rat Dritter, etwa von Rechtsanwälten, zurückzugreifen.52 Zieht man diese Voraussetzungen für die Frage nach rechtli­ chen Aufklärungspflichten heran, ist das Ergebnis eindeutig: Zwar mag ein rechtli­ cher Hinweis häufig zumutbar sein. Das wird man vor allem annehmen können, soweit eine Partei bei verkehrskreisbezogener Betrachtung typischerweise mit eige­ ner Kenntnis der rechtlichen Aspekte ausgestattet ist und demnach nicht auf kos­ tenpflichtigen Rat zurückgreifen müsste. Jedoch dürfte in aller Regel ausgeschlos­ sen sein, dass dem anderen Teil für die benötigten Rechtsinformationen keine alter­ native Quelle zur Verfügung steht. Er kann selbst Rechtsrat einholen. Dass dies gegebenenfalls einen höheren Kostenaufwand verursacht, ist nach dem dargestell­ ten Maßstab unerheblich. Eine rechtliche Aufklärungsverantwortung des Gegners scheidet somit im Regelfall aus. 46 

Siehe oben §  3 A. II. 1. Vorliegend geht es v. a. um das ungefragte Offenbaren, nicht die Erklärung nach vorheriger Anforderung; zur Unterscheidung vergleiche §  666 BGB. Vorliegend ist Var.  1 einschlägig (so auch das Verständnis von Peters, JR 2011, 93, 95). 48 Siehe ausführlich Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 72–73; R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  275–278, 326–339. Zur Frage der Sonderbeziehung beispielsweise Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  260 Rn.  10–14; R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  317–322, 326–328. 49  So z. B. BGH, Urt. v. 7.5.1980 – VIII ZR 120/79, NJW 1980, 2463, 2463–2464; BGH, Urt. v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151, 3151; Krüger, in: MüKo-BGB, §  259 Rn.  6; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  260 Rn.  9. 50  Zum Folgenden etwa RG, Urt. v. 4.5.1923 – II 310/22, RGZ 108, 1, 7; BGH, Urt. v. 22.1.1957  – VI ZR 334/55, NJW 1957, 669, 669; BGH, Urt. v. 7.5.1980 – VIII ZR 120/79, NJW 1980, 2463, 2463–2464; BGH, Urt. v. 5.6.1985 – I ZR 53/83, BGHZ 95, 274 = NJW 1986, 1244, 1245; BGH, Urt. v. 7.5.2003 – XII ZR 229/00, NJW 2003, 3624, 3625; R. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S.  140–143; Lorenz, in: BeckOK-BGB, §  260 Rn.  9 –18; R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  275–278, 326–339. 51  Etwa bei R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  276, 336. 52  Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 74 mit Fn.  36. 47 

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7. Teil: Synthese

Dieses Ergebnis mag drastisch erscheinen. Bei genauerem Hinsehen fügt es sich jedoch ausgezeichnet in die Grundsätze zur Behandlung des Rechtsirrtums im Pri­ vatrecht ein und knüpft an dessen Eigenheiten an. Wie an verschiedenen Stellen gesehen, misst die Rechtsirrtumsdogmatik dem Umstand, dass Rechtsrat in insti­ tutionalisierter Form zur Verfügung steht, Bedeutung zu. Dem Irrenden wird viel­ fach das Risiko zugewiesen, die Rechtslage nicht gleichermaßen gut zu erkennen, wie es unter Inanspruchnahme juristischer Expertise möglich gewesen wäre.53 Es bedeutet lediglich eine konsequente Fortschreibung dieses Gedankens, wenn es im Grundsatz bei dieser Risikozuweisung selbst dann bleibt, wenn auch der Gegner für rechtliche Aufklärung hätte sorgen können. Tatsachen mögen nicht ohne Wei­ teres zugänglich sein, sodass man auf die gegnerische Unterstützung angewiesen ist. Rechtsinformationen hingegen sind ein öffentliches Gut.54 Dieser Gedankengang prägt offenbar die oben55 zitierte Annahme, eine Klage­ veranlassung im Sinne von §  93 ZPO bestehe auch ohne vorherige rechtliche Erläu­ terungen des späteren Klägers: Der Beklagte habe die Nachteile seiner rechtlichen Fehlbeurteilung selbst zu tragen;56 der Kläger sei nicht für dessen Rechtserkennt­ nisse verantwortlich.57 Vergleichbare Tendenzen werden zulasten desjenigen er­ kennbar, der irrtümlich die Anspruchsverteidigung unterlässt, sprich rechtsgrund­ los die Leistung erbringt. Dies betrifft etwa den Mieter, der die Wohnung renoviert hat, weil der Vermieter ihn nicht darauf hingewiesen hat, dass der BGH die ent­ sprechende AGB-Klausel mittlerweile für unwirksam hält.58 Ein Schadensersatz­ anspruch wird hier mitunter mit dem Hinweis abgelehnt, es sei auch am Mieter, sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten; er dürfe nicht da­ rauf vertrauen, „dass sein Vertragspartner, dessen Interessenlage eine völlig andere ist, ihn auf jegliche sich ergebende Benachteiligung aufmerksam macht“.59 Auch im Bereich des Wettbewerbsrechts wird vertreten, eine unzutreffende rechtliche Wertung im Rahmen einer Abmahnung löse keine Ersatzansprüche des Abge­ mahnten aus, weil dieser die Rechtslage „in eigener Verantwortung“ zu beurteilen habe. 60 Rechtsausführungen seien regelmäßig nicht erforderlich. 61

53 Siehe zuletzt §   16 B. m. w. N. Dass aus diesem Gedanken nicht die Konsequenz gezogen wurde, den Anspruchsteller von jeder rechtlichen Vorprüfung freizustellen, lag v. a. daran, dass es insoweit auch Schäden zu vermeiden gilt, die nicht erst infolge rechtlicher Fehlannahmen des Putativschuldners entstehen, siehe §  9 C. IV. 2. b). 54 Richtig Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  163, m. w. N. 55  §  12 B. III. 3., C. I. 2. b). 56  LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 19.10.1989 – 8 T 102/89, WuM 1990, 225, 225–226. 57  Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, §  93 Rn.  5. 58  Zu diesem Szenario oben I. 1. 59  So für Fall, dass ohne Zutun des Vermieters renoviert wurde, Artz, NZM 2007, 265, 272. 60 So Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, §  12 Rn.  17. 61  Siehe oben §  12 C. I. 2. b) m.N. in Fn.  108. Mitunter wird jedoch ein Hinweis auf eigene Rechtszweifel verlangt, siehe §  9 C. III. 5., so v. a. Chudziak, GRUR 2012, 133, 134, 139–140.

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2. Gebotenheit von Ausnahmen Der Gedanke der Eigenverantwortung des in rechtlicher Hinsicht Irrenden er­ scheint als Grundsatz tragfähig. Es ist indes davor zu warnen, ihn zum Dogma zu erheben. So lässt sich nicht ausblenden, dass private Rechtsbelehrungspflichten62 in den letzten Jahrzehnten immer stärker Einzug ins deutsche Privatrecht gehalten haben. Am prominentesten sind die Belehrungspflichten des Verbraucherrechts (zum Beispiel §  312a Abs.  2 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246 EGBGB und §  312d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246a EGBGB). Weitere Beispiele reichen vom Mietrecht (§  568 Abs.  2, §  555c Abs.  2 BGB) bis zum Recht der Zahlungsdienste (§  675d BGB i. V. m. Art.  248 EGBGB). 63 Ein absolut geltender Grundsatz, wonach die Beschaffung der erforderlichen Rechtskenntnisse stets Sache des Einzelnen sei – „ius vigilantibus“64 –, lässt sich damit nicht vereinbaren. Die Statuierung privater Rechtsbelehrungs­ pflichten steht vielmehr im Konflikt mit dem Grundsatz „error iuris nocet“.65 Die­ ser Zusammenhang wird bislang nur selten offen benannt. 66 Es hat sich überdies gezeigt, dass die Annahme, ein jeder könne stets und überall Rechtsrat einholen, an Grenzen stößt. Solche sind vor allem erreicht, wenn es um das Erkennen von Ansprüchen gegenüber dem eigenen Rechtsberater geht. 67 Eine pauschale Ablehnung rechtlicher Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten riefe zu­ dem in rechtsökonomischer Hinsicht Bedenken hervor. Das lässt sich vor allem am Beispiel der irrtümlichen Anspruchsverteidigung demonstrieren. Je stärker es ge­ lingt, dem Schuldner die bestehende Anspruchsberechtigung vor Augen zu führen, desto größer sind die Aussichten darauf, dass dieser die Leistung nicht unberech­ tigterweise verweigert. So lassen sich Verzögerungsschäden des Gläubigers sowie gegebenenfalls Aufwendungen für die Anspruchsdurchsetzung (Prozesskosten usw.) vermeiden. Selbst wenn deren Kompensation sichergestellt wäre, entstünde zumindest durch die Abwicklung zusätzlicher Transaktionsaufwand. Die Gesamt­ kosten für die Schadensverhütung dürften in der Regel am geringsten ausfallen, wenn der Gläubiger den Schuldner über die Rechtslage ins Bild setzt und dies we­ niger Aufwand verursacht als eine eigene Recherche durch den Schuldner. Unter solchen Bedingungen ist der Gläubiger cheapest cost avoider.68 In diesen Fällen 62 

So der Titel der Monografie von Giller, Rechtsbelehrungspflichten. Ausführlicher Überblick bei Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  48–146. 64  Zu Herkunft und Bedeutung dieses Satzes Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  38–39. 65  Im Ergebnis auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  45–46. Dieser spricht a. a. O., S.  46, von einem „neue[n] Spielball auf dem Terrain der Irrtumsdogmatik“. Die Statuierung solcher Pflichten deutet er a. a. O., S.  148, als Zugeständnis an die Kritik am Satz „error iuris nocet“. Zu­ rückzuführen seien diese auf das erkannte „Schutzbedürfnis der rechtsunkundigen Partei“, a. a. O., S.  147. 66  So auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  35. 67  Siehe zur Verjährung §  7 C. I. 5.; dagegen hat sich für sonstige Fälle gezeigt, dass es für eine hinreichende „Kontextuierung“ in aller Regel kaum zusätzlicher Informationen bedarf, siehe §  7 C. I. 2. unter Rückgriff auf die Bezeichnung von Schrader, Wissen, insb. S.  157, sowie §  16 B. IV. 68  Dazu schon oben §  9 C. IV. 2. b) m. w. N.; im Zusammenhang mit den gesetzlichen Beleh­ rungspflichten darauf eingehend auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  163. 63 

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erschiene es nachvollziehbar, einen Anreiz für einen entsprechenden Rechtshin­ weis des Gläubigers zu setzen, indem man die Haftung des Schuldners davon ab­ hängig macht. Es ist auch nicht etwa so, als seien Hinweise auf die Rechtslage technisch betrach­ tet unmöglich. Zwar wurde oben die Rechtslage für Zwecke der Rechtsirrtums­ lehre mit der jeweils letzten gerichtlichen Entscheidung über das Bestehen des An­ spruchs gleichgesetzt. 69 Auf eine künftige Entscheidung lässt sich naturgemäß nicht hinweisen. Ohne Weiteres möglich ist jedoch die Information über bestimm­ te Wahrscheinlichkeitsfaktoren, etwa Gesetzesvorschriften oder Rechtsprechungs­ akte, bzw. über Einschätzungen von Rechtsexperten, die auf diesen Faktoren be­ ruhen.70 3. Wesentliche Faktoren für Statuierung einer Rechtsaufklärungsverantwortung Die soeben angeführten Punkte zwingen dazu, zumindest in gewissem Ausmaß eine Rechtsaufklärungsverantwortung zwischen Privaten zu erwägen. Dabei könn­ ten verschiedene Aspekte Bedeutung erlangen. a) Hinweisgegenstand: Günstige bzw. ungünstige Umstände Als erste wesentliche Weichenstellung kann danach differenziert werden, für wel­ che der Parteien der rechtliche Gesichtspunkt, auf den hingewiesen werden soll, günstig ist. Rechtshinweise können einerseits dazu dienen, dem Empfänger die Rechtswahrnehmung zu ermöglichen. Dies bezwecken vor allem viele der gesetz­ lich normierten Hinweise, wie etwa die Widerrufsbelehrung. Andererseits können Hinweise dem Empfänger die Einsicht in die für ihn nachteilige Rechtslage vermit­ teln und ihn von unnötigen Abwehr- oder Verweigerungsmaßnahmen abhalten. Um diese Situation geht es vor allem im Zusammenhang mit §  286 BGB, §  93 ZPO.71 Wenn rechtlichen Hinweispflichten mitunter attestiert wird, sie wiesen dem Hin­ weisgeber „eine Aufgabe zu, die grundsätzlich nicht seinen Interessen entspricht“,72 liegt dies für den Fall auf der Hand, dass der Hinweisgeber Aspekte offenbaren muss, die für ihn selbst negativ sind. Insbesondere der Verweis auf eine eigene Scha­ densersatzpflicht würde eine „Selbstbezichtigung“73 bedeuten. Zwar wird mitunter argumentiert, im Zivilrecht sei dies wenig problematisch.74 Zu Recht wird indes be­ 69 

Siehe §  4 A. Vergleiche §  4 B.–C.; dazu, dass auch eine Aufklärung über rechtliche Risiken (anstelle einer Aufklärung über die „Rechtslage“) denkbar ist, siehe nur BGH, Urt. v. 21.3.2005 – II ZR 149/03, NZG 2005, 476, 478. 71  Dazu oben 1. 72  Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  26; auch Artz, NZM 2007, 265, 272, führt aus, ein Mie­ ter könne nicht erwarten, „dass sein Vertragspartner, dessen Interessenlage eine völlig andere ist, ihn auf jegliche sich ergebende Benachteiligung aufmerksam macht“ (Herv. d. Verf.). 73  Im vorliegenden Zusammenhang als Begriff verwendet von Schwarz, Pflicht, S.  2 23. 74 Siehe R. Stürner, Aufklärungspflicht, S.  57–60, zum Zivilprozess und sodann a. a. O., S.  275, auf das vorprozessuale Stadium übertragen. 70 

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tont, eine flächendeckende Pflicht zum Hinweis auf eigene Fehler würde „Verant­ wortungsbereiche und Risikolasten“ innerhalb von Vertragsverhältnissen „völlig neu verteil[en]“.75 Es ist daher Zurückhaltung geboten, was die Forderung nach selbstschädigenden Hinweisen angeht.76 Dies betrifft vorrangig den Hinweis auf ei­ gene Ersatzpflichten. Vorsicht ist indes auch angezeigt, soweit von einem Anspruch­ steller verlangt wird, auf bestehende Zweifel an seiner eigenen Berechtigung hinzu­ weisen bzw. nachteilige Gerichtsentscheidungen vorzulegen.77 Er würde auch hier praktisch gezwungen, als Anwalt des Gegners zu fungieren. Dafür ließe sich nur dann bedenkenlos eintreten, wenn die Alternative darin bestünde, den Anspruch­ steller für das Vorgehen unter Rechtszweifeln in jedem Fall haften zu lassen; im Vergleich dazu wäre der selbstschädigende Hinweis die geringere Belastung.78 Dem­ gegenüber erscheinen Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten weniger kritisch, so­ fern sie sich auf Umstände beziehen, die dem Hinweisgeber günstig sind. Dann kann die Unterrichtung gerade im eigenen Interesse des Hinweisgebers liegen. Dies betrifft insbesondere den Fall, dass der Gläubiger den Schuldner über das Bestehen des Anspruchs aufklärt. Wenn daraufhin eine irrtümliche Leistungsverweigerung unterbleibt, erspart sich der Hinweisgeber Einbußen, die er ansonsten – wiederum mit Aufwand verknüpft – vom Gegner ersetzt verlangen müsste.79 b) Art der Sonderverbindung Es liegt nahe, dass die Frage, ob unter Privaten rechtliche Hinweise erteilt werden müssen, stark von der Rechtsbeziehung abhängt, die zwischen den Beteiligten be­ steht. aa) Rechtsberatung und Vermögensbetreuung Eine Sonderstellung nimmt die Beziehung zwischen Rechtsberater und Mandant ein. Dem Berater kann eine Aufklärung über rechtliche Wertungen, nicht bloß die tatsächliche Information über haftungsbegründende Vorkommnisse, obliegen. In­ soweit verfängt nämlich das Argument, der Vertragspartner könne sich Rechtsrat 75  Schauf, Kenntnis, S.  207; vor dem Hintergrund der Privatautonomie für einen Ausnahme­ charakter der Selbstanzeige eintretend bereits Schwarz, Pflicht, S.  71. 76  Schwarz, Pflicht, S.  67–68, weist zutreffend auf den qualitativen Unterschied zu vorvertrag­ lichen Aufklärungspflichten hin, durch die der Aufklärende sein Gegenüber möglicherweise von einem Vertragsschluss abbringt (worin ebenfalls ein Nachteil für den Aufklärenden läge): Die Aufklärung über eigenes Fehlverhalten führt nicht bloß zu einer Abwendung des Gegenübers vom Aufklärenden, sondern zu einer Rechtsverfolgung gegen den Aufklärenden. 77  Dazu §  9 C. III. 5.; dies verlangend v. a. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Abnehmerverwarnung; Chudziak, GRUR 2012, 133, 134, 139–140. 78  Daher, wie schon bei §  9 C. III. 5. ausgeführt, immerhin nachvollziehbar OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Abnehmerverwarnung, wo eine Abnehmerverwarnung betroffen war, für die nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich der strenge Erkenntnisgrad gilt. 79  Siehe zu diesem Gedanken bereits oben 2.

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einholen,80 nicht uneingeschränkt. Das wurde im Zusammenhang mit der Verjäh­ rung von Beraterhaftungsansprüchen eingehend erläutert:81 Soweit der Mandant die zum Erkennen der Pflichtverletzung nötige rechtliche Wertung nicht selbst ohne Weiteres vornehmen kann, würde ihn ein Beginn der Regelverjährung unan­ gemessen benachteiligen. Er hat schließlich bereits einen rechtlichen Berater und soll diesem grundsätzlich vertrauen dürfen. Damit wäre es nicht vereinbar, schon bei den geringsten Anzeichen für eine Pflichtverletzung zu verlangen, der Mandant müsse sich an einen anderen Anwalt wenden, um eine mögliche Haftung des ersten Beraters prüfen zu lassen. Zumindest bei funktionaler Betrachtung folgt aus dieser Ausgangslage eine Aufklärungsobliegenheit des Anwalts.82 Eine Aufklärungs­ pflicht im engeren Sinne besteht hingegen nach vorzugswürdigem Verständnis nicht. Für deren Anerkennung ist vor allem Peters83 eingetreten. Der gegen seinen Vorschlag gerichtete Vorwurf, er begründe nicht, woher die Pflicht rühre, 84 ist zwar verfehlt, denn Peters knüpft eindeutig an §  666 Var.  1 BGB an.85 Allerdings ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die frühere Annahme einer Aufklärungs­ pflicht des Rechtsberaters (mit der Folge der Sekundärhaftung) Probleme des Ver­ jährungsrechts beheben sollte, die der Gesetzgeber nunmehr für gegenstandslos erachtet. 86 Eine aus §  666 Var.  1 BGB abgeleitete selbstständige Pflicht des Anwalts zur Mitteilung rechtlicher Bewertungen bezüglich eigener Fehler stünde zu der vom Verjährungsrecht gewählten Risikoverteilung in Widerspruch.87 Bereits von vornherein anders darstellen dürfte sich die Interessenlage hingegen, soweit der Rechtsanwalt seinerseits Ansprüche (zum Beispiel auf Honorarzahlung) gegen den Mandanten verfolgt. Ist die Anspruchsberechtigung objektiv zweifelhaft, wird man den Anwalt trotz des überlegenen Fachwissens nicht in der Pflicht sehen kön­ nen, präventiv auf diese Zweifel hinzuweisen. Schließlich weiß der Mandant, dass der Anwalt bei der Geltendmachung im eigenen (Gebühren-)Interesse handelt. Das ändert selbstredend nichts daran, dass auch ein Anwalt für die Verfolgung eines mit praktischer Gewissheit nicht bestehenden Honoraranspruchs gleich jedem anderen Putativgläubiger einstehen muss. 88 80 

Dazu oben 1. Zum Folgenden §  7 C. I. 5., III. 3. 82  Siehe bereits I. 4. 83  Peters, JR 2011, 93, insb. 95. 84 So Schauf, Kenntnis, S.  209. 85  Peters, JR 2011, 93, 95. 86  Siehe §  7 C. III. 3. im Zusammenhang mit der Frage, ob für den Verjährungsbeginn positive Kenntnis des Mandanten vorauszusetzen ist. 87 So auch Schwarz, Pflicht, S.   196–201, 205, sowie zusammenfassend (auch zur fehlenden Möglichkeit der Herleitung einer solchen Pflicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung) a. a. O., S.  276–277; so im Ergebnis auch Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Haftung Rn.  528, der eine offene Korrektur der früheren Rechtsprechung zur Sekundärhaftung durch Angleichung an die Haftung anderer Berufsgruppen anmahnt, bei denen entsprechende Aufklärungspflichten mangels verjährungsrechtlicher Probleme nicht angenommen wurden. 88  Siehe BGH, Urt. v. 5.6.2014 – IX ZR 137/12, BGHZ 201, 334 = NJW 2014, 2653, 2656 Rn.  36 (dazu bereits §  9 C. IV. 4. a)). 81 

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Die im Verjährungsrecht zur Rechtsanwaltshaftung entwickelten Grundsätze könnten sich auch auf die Haftung von Notaren übertragen lassen. 89 Die Amts­ haftung liegt allerdings außerhalb des Untersuchungsbereichs dieser Arbeit.90 An­ gemerkt sei lediglich, dass die Statuierung amtlicher Informationspflichten, die dem Bürger die Rechtswahrung erlauben, weniger problematisch erscheint als die An­ nahme privater Rechtsbelehrungspflichten.91 Unter Verweis auf die Beteiligung ei­ ner öffentlich-rechtlichen Körperschaft ließe sich eventuell auch die Entscheidung des Reichsgerichts erklären, nach der kein Verzug eingetreten war, bis die Gläubige­ rin in zweiter Instanz zur zutreffenden rechtlichen Begründung ihres Anspruchs übergegangen war.92 Die Gläubigerin war nämlich eine Gemeinde, und der den An­ spruch begründende, aber zunächst übersehene Gesichtspunkt war ein Formmangel kommunalrechtlichen Ursprungs. Der Gedanke, eine Gemeinde müsse auf solche Hindernisse, die aus ihrer Sphäre stammen, hinweisen, liegt nicht fern.93 Wichtiger als Besonderheiten bei staatlicher Beteiligung erscheint indes die Fra­ ge, ob auch innerhalb anderer privater Rechtsbeziehungen als dem Beratungsman­ dat rechtliche Hinweise erforderlich werden können. Peters möchte nicht nur An­ wälten, sondern – genereller – Inhabern einer Vermögensbetreuungspflicht (im Sinne von §  266 StGB) einen selbstbezichtigenden Hinweis auf vermögensschädi­ gende Pflichtverletzungen abverlangen.94 Dazu passt vordergründig, dass der BGH einen Wohnungseigentumsverwalter unter Verweis auf §  27 Abs.  1 Nr.  2 WEG selbst dann als verpflichtet angesehen hat, auf mögliche Mängelansprüche gegen den Bauträger (und deren drohende Verjährung) hinzuweisen, wenn der Verwalter mit dem Bauträger identisch ist.95 Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Verwalter stets in rechtlicher Hinsicht über eigene Schadensersatzpflichten aufklären müssen. Der BGH verlangt weder vom Verwalter, sich in dieser Eigenschaft selbst zu be­ zichtigen, noch vom Bauträger, auf eigene Gewährleistungspflichten hinzuweisen. Vielmehr muss der Verwalter auf Ansprüche gegen den Bauträger aufmerksam ­machen. Dass sich dieser Hinweis im konkreten Fall praktisch gegen ihn selbst 89  So tendenziell auch A. Mayer, NotBZ 2019, 256, 258, betreffend BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 = NJW 2019, 1953, 1954 Rn.  21, 1955 Rn.  23 (siehe bereits oben I. 3.). Nunmehr aber eindeutig gegen einen Verjährungsaufschub wegen unterlassener richtiger Beleh­ rung BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 468 Rn.  19. 90  Siehe §  2 A. 91  Vergleiche dazu Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  233–238. 92  RG, Urt. v. 10.10.1919 – III 73/19, RGZ 96, 313; dazu z. B. oben I. 3. 93  Alternativ könnte man womöglich bereits den formwidrigen Vertragsschluss als Verletzung vorvertraglicher Pflichten ansehen und den Schuldner so stellen, als habe er nie auf die Abrede vertraut und deshalb die Leistung nicht verweigert, vergleiche BGH, Urt. v. 20.6.1952 – V ZR 34/51, BGHZ 6, 330 = NJW 1952, 1130, 1131 (zur Schadensersatzpflicht einer Gemeinde bei wegen kommunalrechtlicher Formvorschriften unwirksamer Vollmachterteilung). 94  Peters, JR 2011, 93, 95: Übertragung z. B. auf Haus- bzw. Vermögensverwalter. 95  BGH, Urt. v. 19.7.2019 – V ZR 75/18, NJW-RR 2020, 68, 69 Rn.  11, spricht vom Hinweis auf Gewährleistungsansprüche „gegen sich selbst“. A. a. O., 70 Rn.  13, zeigt sich, dass offenbar nicht nur ein Hinweis auf (tatsächliche) Mängel, sondern auch auf das (rechtliche) Bestehen von Ge­ währleistungsansprüchen erfolgen soll.

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richtete, lag einzig an der zufälligen Personenidentität.96 Die Beziehung zwischen Verwalter und Wohnungseigentümer gleicht mit Blick auf das Erkennen der Rechtslage durch den Auftraggeber auch nicht dem Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Der tragende Grund für eine verjährungsrechtliche Sonder­ behandlung fehlt. Es lässt sich keine funktionale Obliegenheit des Verwalters – ge­ schweige denn eine Pflicht – zur rechtlichen Aufklärung über eigenes Fehlverhalten annehmen. bb) Sonstige Beziehungen mit typischem Rechtsinformationsgefälle – Schlussfolgerungen aus gesetzlichen Rechtsbelehrungspflichten Es lassen sich weitere Verhältnisse identifizieren, die regelmäßig von einem Un­ gleichgewicht geprägt sind, was die Rechtskenntnisse der Parteien angeht. In dem typischen Bestehen eines solchen Gefälles liegt nicht zuletzt die bedeutendste Ge­ meinsamkeit der Konstellationen, in denen das Gesetz Rechtsbelehrungen ver­ langt.97 Es lässt sich zwar hinterfragen, ob es angesichts der institutionalisierten Verfügbarkeit von Rechtsrat überhaupt zu einer relevanten Informationsasym­ metrie hinsichtlich der Rechtslage kommen kann.98 Jedenfalls treffen gesetzliche Rechtsbelehrungspflichten im Normalfall eine Partei, die aufgrund ihrer geschäft­ lichen Aktivität die Rechtsinformationen günstig zur Verfügung stellen kann. Die eigene Erkundigung durch den Gegenpart wäre mit größerem Aufwand verbun­ den. Der Belehrungsverpflichtete ist dann, rechtsökonomisch betrachtet, der ­„cheapest information provider“.99 Diese Überlegung lässt eine Sonderbehandlung der so typisierten Rechtsbeziehungen im Rahmen der Rechtsirrtumsdogmatik denkbar erscheinen. Dabei sind zwei Fragen auseinanderzuhalten. Erstens: Wel­ chen Einfluss haben die gesetzlich vorgegebenen Hinweispflichten im Rahmen der hier beleuchteten Rechtsirrtumsfälle (dazu (1))? Zweitens: Lassen sich über die gesetz­ lichen Pflichten hinaus generalisierbare Schlüsse für die Notwendigkeit rechtlicher Aufklärung ziehen (dazu (2))? (1) Gesetzlich verankerte Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten Die gesetzlich vorgesehenen Rechtsbelehrungen beziehen sich überwiegend nicht auf das Bestehen von Ansprüchen. Zumeist geht es um die Information über Ge­ staltungsrechte und Ausübungsmodalitäten, wie etwa bei der prototypischen Wi­ derrufsbelehrung (§  312d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246a §  1 Abs.  2 EGBGB).100 96  In dem Sachverhalt von BGH, Urt. v. 19.7.2019 – V ZR 75/18, NJW-RR 2020, 68, lag nicht einmal strenge Identität vor, sondern war der Verwalter lediglich Geschäftsführer des Bauträgers. 97 Zutreffend Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  160–161. 98  Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  162–163; vergleiche zudem oben 1. 99  Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  163 m. w. N. 100  Die gesetzlichen Belehrungspflichten beruhen offenbar zu einem nicht unwesentlichen Teil auf dem Umstand, dass die Widerrufsfrist – gerade im Vergleich zur Verjährung – sehr knapp bemessen ist (überzeugend Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  164–165). Dieser Gedanke ver­ fängt hinsichtlich des Bestehens von Ansprüchen naturgemäß nicht.

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Derlei Aspekte sind nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.101 Gele­ gentlich werden aber auch Ansprüche zum Belehrungsinhalt erhoben. Außer Acht bleiben können dabei Fälle, in denen eine erfolgte Belehrung gerade Voraussetzung für die Anspruchsentstehung ist.102 Das Fehlen der Belehrung kann hier denk­ logisch nicht dazu führen, dass der zu Belehrende das Bestehen des Anspruchs ver­ kennt. Von größerem Interesse sind Belehrungen über mögliche Ansprüche des Beleh­ rungsempfängers. Zu nennen ist beispielsweise der Hinweis auf den Fortbestand der gesetzlichen Gewährleistungsrechte, wenn dem Verbrauchsgüterkäufer eine Garantie eingeräumt wird (§  479 Abs.  1 S.  2 Nr.  1 BGB).103 Die Hinweispflicht be­ treffend die gesetzliche Mängelhaftung ist mittlerweile auf weitere Bereiche ausge­ weitet worden (§  312a Abs.  2 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246 Abs.  1 Nr.  5 EGBGB bzw. §  312d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246a §  1 Abs.  1 S.  1 Nr.  8 EGBGB).104 Auch im Zusammenhang mit Pauschalreisen ist eine Information über die Gewährleistungs­ rechte vorgesehen (§  651d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  250 §  2 Abs.  1 EGBGB i. V. m. Anlage 11). §  675d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  248 §  4 Abs.  1 Nr.  5 lit.  e, f EGBGB verlangt Angaben zur Haftung des Zahlungsdienstleisters. Nach §  12 Abs.  5 AGG ist gar der vollständige Gesetzestext des AGG im Betrieb bekanntzumachen. Dies schließt naturgemäß den Wortlaut sämtlicher Anspruchsgrundlagen ein. Bleibt die Belehrung aus und verkennt der zu Belehrende seine Anspruchsberechtigung, stellt sich die Frage, ob er von resultierenden Nachteilen freizuhalten ist. Sonderregeln, wie etwa die Abhängigkeit des Beginns der Widerrufsfrist von der Belehrung (§  356 Abs.  3 S.  1 BGB), finden sich in den hier betrachteten Situationen nicht. Allerdings wird verbreitet – nicht zuletzt in den Gesetzesmaterialien – anerkannt, dass das Unterlassen der Rechtsbelehrung Schadensersatzansprüche gemäß §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB nach sich ziehen kann.105 Als denkbarer Schadensposten werden die Nachteile benannt, die daraus folgen, dass der zu Belehrende die Anspruchsver­ 101 

Siehe §  2 A. ist etwa die Belehrung über die Kosten- bzw. Wertersatzpflicht nach §  312d Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. Art.  246a §  1 Abs.  2 S.  1 Nr.  2, 3 EGBGB Voraussetzung dafür, dass der Unternehmer diese Posten später verlangen kann, §  357 Abs.  6 S.  1, Abs.  8 S.  2 BGB. 103  Dieser Hinweis richtet sich allerdings nach ganz h. M. nur auf den Fortbestand an sich, nicht auf einzelne Rechte (OLG Jena, Urt. v. 7.12.2017 – 1 U 194/17, NJW-RR 2018, 308, 309 Rn.  15; Faust, in: BeckOK-BGB, §  479 Rn.  9 m. w. N.; Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  134 m. w. N. in Fn.  349). Art.  17 Abs.  2 S.  3 lit.  a Warenkauf-RL verlangt nunmehr „einen klaren Hin­ weis, dass der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit der Waren ein gesetzliches Recht auf unentgelt­ liche Abhilfen des Verkäufers hat und dass diese Abhilfen von der gewerblichen Garantie nicht berührt werden“. 104 Zum nötigen Detailgrad Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.   112–113; Wendehorst, in: MüKo-BGB, §  312a Rn.  28. Vor Umsetzung der Verbraucherrechte-RL noch gegen einen entspre­ chenden Belehrungsbedarf: BGH, Urt. v. 4.10.2007 – I ZR 22/05, NJW 2008, 1595, 1597 Rn.  35. 105  Begr. RegE, BT-Drs. 17/12637, 51; Alexander, in: BeckOGK, §  651d BGB Rn.  78; Casper, in: MüKo-BGB, §  675d Rn.  11; Thüsing, in: Staudinger, §  312a Rn.  10; Wendehorst, in: MüKo-BGB, §  312a Rn.  38; im Zusammenhang mit §  12 Abs.  5 AGG dafür Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  245–246 m. w. N.; übergreifend Heiderhoff, EuPR, Rn.  4 49–450. 102  So

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folgung unterlassen hat, vor allem in Gestalt der Verjährung.106 Es kann folglich zu einer Entlastung des Irrenden kommen. Die Kausalität zwischen unterlassener Be­ lehrung und Versäumung der Geltendmachung lässt sich gegebenenfalls mithilfe von Erleichterungen belegen.107 (2) Fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit Man könnte versucht sein, innerhalb der Rechtsbeziehungen, für die das Gesetz Belehrungspflichten vorsieht, die Verantwortlichkeit der einen Seite für die Rechts­ erkenntnis der anderen zu einem übergeordneten Prinzip zu erheben. In diese Richtung geht es etwa, wenn hinterfragt wird, ob die Diskriminierung des Rechts­ irrtums durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gegenüber Verbrauchern mit den Wertungen vereinbar sei, die aus den Rechtsbelehrungspflichten im Verbraucherrecht spre­ chen.108 Solche Bestrebungen gingen indes zu weit. Gegen sie spricht schon der fragmen­ tarische Charakter der gesetzlichen Vorgaben zur Rechtsbelehrung.109 Zu Recht wird moniert, dass die bestehende Mischung aus europäisch determinierten und originär nationalen Belehrungspflichten ein durchgängiges Konzept vermissen las­ se.110 An diversen Stellen muss sich der Betrachter fragen, warum nur manche, nicht aber andere Konstellationen eines typischen Informationsungleichgewichts adressiert werden.111 Auch innerhalb der Rechtsverhältnisse, für die Rechtsbeleh­ rungspflichten vorgesehen sind, wird keineswegs ein generelles Fürsorgeverhältnis begründet. Es ist zumeist nur vor Vertragsschluss und lediglich über abstrakte Rechtssätze zu informieren.112 Eine situationsadäquate rechtliche Begleitung im Fortgang der Vertragsbeziehung, etwa eine Information über wichtige Rechtsent­ wicklungen, ist nicht vorgesehen.113 Deshalb erscheint es beispielsweise konse­ quent, eine Bank – trotz des Belehrungserfordernisses nach §  675d BGB – nicht als 106 Deutlich Hoffmann, ZIP 2005, 829, 838; vergleiche auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  250, 252, sowie Augenhofer, in: BeckOGK, §  479 BGB Rn.  32; Lorenz, in: MüKo-BGB, §  479 Rn.  14 (im Zusammenhang mit Ansprüchen gegen einen Dritten als Garantiegeber). 107  Dazu näher unten IV. 2. 108 So Nassall, NJW 2014, 3681, 3685; vergleiche schon §  7 C. III. 2. b) aa). 109  Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  172, spricht von einem lediglich punktuellen Schutz. 110  So der Befund von Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  293, der gar von einem „Fremdkör­ per“ spricht. Er sieht a. a. O., S.  157, eine „komplexe Melange europäischer und nationaler Rechts­ akte“. 111  Entsprechende Kritik bei Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  164 (siehe zudem S.  167, 173). 112  Das wird bei der vorliegend interessierenden Belehrung über Ansprüche besonders deut­ lich. Unter (1) hat sich gezeigt, dass regelmäßig nur eine ganz pauschale Information (z. B. über das Bestehen von Gewährleistungsansprüchen) verlangt wird (selbst dagegen ursprünglich noch BGH, Urt. v. 4.10.2007 – I ZR 22/05, NJW 2008, 1595, 1597 Rn.  35, siehe oben (1) Fn.  104). 113  Beispielsweise hat nach §  8 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 VVG der Versicherer gegenüber dem Versiche­ rungsnehmer über Bestehen und Rechtsfolgen des Widerrufsrechts zu belehren. Zu einem Hin­ weis auf die drohende Verjährung von Ansprüchen des Versicherungsnehmers soll der Versicherer hingegen nicht verpflichtet sein, siehe OLG Hamm, Urt. v. 14.5.1986 – 20 U 401/85, VersR 1987, 1081; OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.6.2004 – 10 U 236/03, BeckRS 2004, 16849 Rn.  35.

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verpflichtet anzusehen, Kunden auf bestehende Bereicherungsansprüche hinzu­ weisen.114 Das Gesetz statuiert nicht einmal in allen Fällen, in denen mit der Rechtsunkenntnis existenzielle Einschnitte verbunden sein können, Hinweis­ pflichten des überlegenen Vertragspartners. So können den Arbeitgeber zum Bei­ spiel nach §  613a Abs.  5 Nr.  3 BGB bei Betriebsübergängen Rechtsbelehrungspflich­ ten treffen. Im Zusammenhang mit einer Kündigung muss er hingegen nicht über Möglichkeit und Frist der Kündigungsschutzklage informieren.115 Gegen Tendenzen, die normierten Hinweispflichten zu generalisieren, lässt sich zudem ins Feld führen, dass mitunter zweifelhaft erscheint, ob der kraft Gesetzes Belehrungspflichtige wirklich typischerweise über überlegene Rechtskenntnisse verfügt. Entsprechende Zweifel werden etwa mit Blick auf §  568 Abs.  2 BGB ange­ meldet, wonach der Vermieter den Mieter im Kündigungsfall über die Wider­ spruchsmöglichkeit informieren soll – dies betrifft schließlich gleichermaßen Pri­ vatvermieter.116 Nicht zuletzt deshalb erscheint es im Wohnraummietrecht, trotz der möglichen existenziellen Bedeutung für den Mieter,117 grundsätzlich akzepta­ bel, dass eine Rechtsaufklärung durch den Vermieter nicht gefordert wird. So kann der Auffassung zugestimmt werden, ein Vermieter müsse den Mieter vor Klageer­ hebung nicht erst über die rechtlichen Hintergründe aufklären, damit von einer Klageveranlassung im Sinne von §  93 ZPO ausgegangen werden könne.118 Auch kann die Annahme einer Hinweispflicht des Vermieters nach Verwendung einer unwirksamen Renovierungsklausel zumindest nicht unter Verweis auf ein typi­ sches Rechtsinformationsgefälle zwischen den Parteien gerechtfertigt werden.119 Erst recht muss nicht – umgekehrt – der Mieter bei der Geltendmachung von Ge­ währleistungsansprüchen auf bestehende Rechtszweifel hinweisen, um in den Ge­ nuss der Haftungsprivilegierung zu kommen.120 c) Gestaltungsingerenz Eine besondere Aufklärungsverantwortung könnte immerhin insoweit bestehen, wie sich infolge der von einer Partei zu verantwortenden Vertragsgestaltung für den Partner die Gefahr eines Irrtums ergibt. Dies betrifft vor allem das oben ge­ nannte Szenario der Verwendung von AGB-Klauseln, die nach Vertragsschluss 114  So im Ergebnis Peters, JR 2011, 63, 65, der dieses Beispiel nutzt, um die Abgrenzung zu den Fällen einer Vermögensbetreuungspflicht (dazu oben aa)) zu illustrieren. 115  LAG Köln, Beschl. v. 18.8.2006 – 9 Ta 272/06, ZIP 2006, 2231, 2232; Fervers, RdA 2016, 205, 206–207; Hesse, in: Ascheid/Preis/Schmidt, §  4 KSchG Rn.  9; rechtspolitische Kritik bei ­Fervers, a. a. O., 208–209; Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  170. 116  Geib, in: BeckOGK, §  568 BGB Rn.  7 a. E. 117  So auch Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  169. 118  So im Ergebnis auch LG Freiburg i. Br., Beschl. v. 19.10.1989 – 8 T 102/89, WuM 1990, 225, 225–226. 119  Siehe zu diesen Fällen oben I. 1.; zur möglichen Begründung sogleich noch c). 120  BGH, Urt. v. 22.9.2010 – VIII ZR 285/09, NJW 2011, 143, 143 Rn.  29 (betreffend Unsicher­ heit über die Berechnungsvorschriften zur Wohnfläche), ist daher richtigerweise nicht dahin­ gehend zu verstehen; siehe zu dieser möglichen Deutung §  9 C. III. 5.

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vom Höchstgericht als unwirksam beurteilt werden.121 Generell hat sich gezeigt, dass eine Vorverantwortung des Gegners zum Anlass genommen werden kann, den Irrenden von Nachteilen zu entlasten.122 Bei der Verwendung unwirksamer AGB geschieht dies im Regelfall schon über einen Schadensersatzanspruch, der an die ursprüngliche Einführung in den Vertrag anknüpft.123 Doch auch für den Fall, dass sich die Unwirksamkeit einer Klausel erst nachträglich herauskristallisiert, scheint das Bestehen einer – an die Verletzung einer Hinweispflicht geknüpften  – Schadensersatzhaftung des Verwenders der herrschenden Meinung zu entspre­ chen.124 Das ist kritisch zu hinterfragen. In dogmatischer Hinsicht wenig problematisch erscheint noch die Herleitung einer entsprechenden Warnpflicht aus dem Ingerenzgedanken. Der Umstand, dass die ursprüngliche Verwendung nicht im Widerspruch zur damaligen höchstrich­ terlichen Judikatur stand, hindert die Annahme von Ingerenz nach dem herrschen­ den zivilrechtlichen Verständnis nicht.125 Stören muss man sich auch nicht daran, dass der AGB-Verwender auf einen aus seiner Sicht ungünstigen Aspekt hinweisen müsste. Mit der Gestaltungsingerenz bestünde nämlich ein besonderer Gesichts­ punkt, der dies ausnahmsweise rechtfertigen könnte.126 Ohnehin würde sich der Verwender nicht einer Einstandspflicht „bezichtigen“, sondern lediglich ein für ihn günstiges Verhalten des Gegners unterbinden. Auch das ist selbstschädigend, aller­ dings kaum in gleicher Intensität wie etwa die Selbstbezichtigung eines Anwalts gegenüber dem Mandanten. Als weiteres Argument für die Tragbarkeit einer ent­ sprechenden Hinweispflicht ließe sich auf die Rechtsfolgen verweisen: Es kommt eine Kürzung des Schadensersatzes im Wege des §  254 Abs.  1 BGB in Betracht; wenn auch der Gegner des Verwenders die Unwirksamkeit hätte erkennen kön­ nen.127 Auf diesem Wege ließe sich möglicherweise eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Parteien erreichen.128 Eine solche Quotelung setzt jedoch voraus, dass man eine Einstandspflicht des AGB-Verwenders überhaupt für gerecht erachtet. Das erscheint zweifelhaft. Be­ zeichnenderweise steht der BGH auf dem Standpunkt, der Verwender unwirksa­ mer AGB, der im Verbandsprozess nach dem UKlaG unterlegen sei, müsse seine Vertragspartner nicht vorsorglich auf die Unwirksamkeit der beanstandeten Klau­ 121 

Siehe oben I. 1. Siehe abermals I. 1. 123  Siehe BGH, Urt. v. 27.5.2009 – VIII ZR 302/07, BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, 2590 Rn.  10 m. w. N. 124  Zum Meinungsstand oben I. 1. Fn.  15. 125  Zu diesem Verständnis §  9 C. III. 6. m.N. in Fn.  491. 126  Siehe zu der grundsätzlichen Weichenstellung oben a). 127  Siehe auch (wenngleich offen) Basedow, in: MüKo-BGB, §  306 Rn.  51. Die Berücksichti­ gung eines Mitverschuldens ist konsequent: Die Nachteilsentlastung des irrenden Mieters erfolgt hier gerade im Wege einer Putativgläubigerhaftung. Hinsichtlich dieser ist aber der vermeintliche Gläubiger seinerseits bei einer Mitverantwortlichkeit des Gegners für den Schaden (partiell) zu entlasten (dazu §  9 C. V. und sogleich B.). 128  Vergleiche die entsprechende Argumentation bei §  9 C. IV. 2. b). 122 

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sel aufmerksam machen.129 Dabei läge unter solchen Umständen eine Aufklä­ rungspflicht, wenn überhaupt, besonders nahe.130 Jedenfalls kann nicht unberück­ sichtigt bleiben, dass in den hier betrachteten Fällen die ursprüngliche Verwendung der AGB nicht vorwerfbar war. Das mag, wie ausgeführt, der Annahme von Inge­ renz nicht grundsätzlich im Wege stehen. Doch wird zu Recht darauf verwiesen, dass der Vergleich zur Produkthaftung, für die die Annahme einer schuldlosen Ingerenz zentral ist,131 hinkt: Der Gegner des Klauselverwenders (im Beispiel der Renovierungsklausel: der Mieter) habe anders als der Nutzer eines Produkts im Normalfall eine „realistische Möglichkeit“, Schäden selbst zu vermeiden.132 Gera­ de unter Verweis auf die eigenen Möglichkeiten der Rechtserkenntnis wird auch in der Literatur eine Aufklärungspflicht des Vermieters vereinzelt verneint.133 Die Ablehnung einer entsprechenden Warnpflicht führt auch nicht zu einer unausge­ wogenen Berücksichtigung der gegenläufigen Parteiinteressen. Dem irrenden Ver­ tragspartner (Mieter) steht schließlich ein Bereicherungsanspruch zu, der nicht nach §  814 BGB gesperrt ist.134 Auch ein Schadensersatzanspruch ist keineswegs ausgeschlossen: Macht der Verwender (Vermieter) den nicht bestehenden Anspruch trotz höchstrichterlicher Missbilligung der Klausel aktiv geltend, haftet er nach §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB.135 Man kann eine solche Haftung auf Fälle ausdeh­ nen, die einer aktiven Geltendmachung wertungsmäßig gleichkommen, etwa wenn im Rahmen eines Abwicklungsgesprächs zwischen Vermieter und Mieter gegensei­ tige Ansprüche umfassend erörtert werden und der Vermieter dennoch nicht auf das Nichtbestehen der Renovierungspflicht hinweist.136 Der Mieter ist demnach keineswegs schutzlos. Die prinzipielle Ablehnung einer Aufklärungspflicht ist zu­ dem allemal überzeugender als wohlgemeinte Kompromisslösungen. So wird teils  – unter Verweis auf den sonst anfallenden Aufwand im Massengeschäft – nur dort ein Hinweis verlangt, wo der AGB-Verwender eine konkrete Gefahr erkennen muss, dass der Vertragspartner im Irrtum über die Klauselwirksamkeit eine nach­ teilige Disposition treffen könnte.137 Es liegt auf der Hand, dass eine solche Einzel­ fallprüfung Verwender im Massengeschäftsverkehr eher überfordern würde als ein simples Rundschreiben an sämtliche Kunden. Insgesamt sprechen die besseren Gründe dafür, dem Verwender von nachträglich für unwirksam befundenen AGB-Klauseln keine eigenständige Rechtsaufklä­ 129  BGH, Urt. v. 11.2.1981 – VIII ZR 335/79, NJW 1981, 1511, 1512 (zum AGBG); ebenso zum UKlaG: BGH, Urt. v. 12.12.2007 – IV ZR 130/06, BGHZ 175, 28 = NJW 2008, 1160, 1162 Rn.  17. 130 Sogar Artz, NZM 2007, 265, 272, befürwortet für diesen Fall ausnahmsweise eine Hinweis­ pflicht. 131  Die bei §  9 C. III. 6. Fn.  491 Zitierten beziehen sich gerade vornehmlich auf Produkthaf­ tungsfälle. 132  H. Schmidt, WuM 2010, 191, 198. 133  Namentlich von Artz, NZM 2007, 265, 272; siehe bereits oben 1. 134  Siehe oben I. 1. 135  Siehe ebenfalls I. 1. sowie die bei §  9 entwickelten Haftungsgrundsätze. 136 Überzeugend Artz, NZM 2007, 265, 271–272. 137 So H. Schmidt, WuM 2010, 191, 198.

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rungspflicht aufzubürden. Der Aspekt der Gestaltungsingerenz trägt an dieser Stelle nicht. Eine Hinweispflicht kann also in den hier beleuchteten Fällen nur mit anderer Begründung statuiert werden. Wollte man diesem Ergebnis nicht folgen und stattdessen eine entsprechende Warnpflicht des Verwenders annehmen, wäre diese zumindest auf die Fälle einer höchstrichterlichen Missbilligung der Klausel zu beschränken.138 Dem Verwender kann nicht zugemutet werden, bereits über potenziell beachtliche Entwicklungen auf der Ebene der Obergerichte oder im Schrifttum zu informieren. Ebenso wenig käme es in Betracht, die Hinweispflicht auf Ansprüche zu erstrecken, die dem Gegenüber infolge der Klauselunwirksam­ keit zustehen. Insbesondere muss der Verwender nicht nach einer erfolgten Dispo­ sition des Vertragspartners darüber unterrichten, dass sich Bereicherungs- und ge­ gebenenfalls Schadensersatzansprüche ergeben. Das ist vor allem mit Blick auf die Verjährung wichtig. Diese läuft grundsätzlich, anders als bei der Rechtsanwaltshaf­ tung,139 an, selbst wenn kein Hinweis erfolgt ist.140 Ein Schädiger muss schließ­ lich auch sonst nicht den Geschädigten über die Rechtslage aufklären, um in den Genuss der Verjährung zu kommen. Ein gewisser Schutz des Vertragspartners wird aber zumindest im Anwendungsbereich der Klausel-RL dadurch erreicht, dass mit Blick auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz für den Verjäh­ rungsbeginn vorausgesetzt wird, dass der Verbraucher einen hinreichenden Anlass hat, Rechtsrat zu einer denkbaren Klauselunwirksamkeit einzuholen.141 d) Individualwissen Der Grundsatz, jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr könne rechtliche Aufklärung bei den zur Verfügung stehenden Experten einholen, trifft auf eine eng begrenzte Kategorie an Informationen nicht zu. Gemeint sind Rechtserkenntnisquellen142 , insbesondere Gerichtsentscheidungen, die noch nicht öffentlich geworden, aber ei­ ner Partei (insbesondere aus eigener Betroffenheit) bereits bekannt sind. Insofern erscheint eine Hinweisverpflichtung bzw. -obliegenheit nicht von vornherein ab­ wegig.143 Es steht gerade keine alternative Informationsquelle zur Verfügung. Das 138  So offenbar auch Flatow, jurisPR-MietR 23/2009 Anm.  1 (unter C.), die für ein Verschulden bei der Nichtaufklärung den gleichen Maßstab anlegen möchte wie bei der ursprünglichen Ver­ wendung unwirksamer AGB. 139  Siehe dazu oben b) aa). 140  Ansonsten hätte sich hinsichtlich der Rückforderung AGB-rechtswidriger Darlehensbear­ beitungsentgelte die Verjährungsfrage (BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713; siehe §  7 B. II. 1. b) bb)) gar nicht gestellt. 141  Siehe näher §  7 C. I. 2. b). 142  Vergleiche zum Begriff bereits §  4 C. II. 143  So hat nach Ansicht von OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Abnehmerverwarnung, derjenige, der eine Abnehmerverwarnung durchführt, ihm gegenüber ergangene Gerichtsentscheidungen zum Verwarnungsgegenstand dem Verwarn­ ten mitzuteilen, der „aus eigenem Wissen keinen Einblick hat“ (näher oben bei §  9 C. III. 5.). Als Mittel zum Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen (dazu §  3 A. II. 3.) zieht Bydlinski, JBl 2001, 2, 22, in Ausnahmefällen schadensersatzbewehrte Aufklärungspflichten in Betracht, will diese aber begrenzen auf „Situationen krass unterschiedlichen Informationsstandes“. Er

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Subsidiaritätskriterium144 ist erfüllt. Die Aufklärungspflicht wird man allerdings schon aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit auf solche Entscheidungen beschränken müssen, deren Existenz objektiv für die Frage, ob Gewissheit besteht, relevant ist. Das betrifft – im Zeitraum vor ihrer absehbaren Veröffentlichung  – höchstrichterliche Entscheidungen sowie Judikate der Obergerichte, die eine beste­ hende höchstrichterliche Judikatur mit neuen Argumenten angreifen.145 Eine Pflicht, den Gegner mit allerhand unveröffentlichter Instanzjudikatur aus ver­ gleichbaren Verfahren zu überhäufen, erschiene schon mit Blick auf die Kosten-­ Nutzen-Relation fragwürdig. Zu beachten ist ferner, dass eine Offenlegung vor­ nehmlich dann zumutbar ist, wenn es um Judikatur geht, die für den Hinweisgeber selbst günstig ist.146 Zu denken ist etwa an eine Obliegenheit zur Übersendung im Vorfeld einer beabsichtigten Klage, um die Veranlassung im Sinne von §  93 ZPO zu begründen.147 e) Kostenersparnis Die Zuweisung der Verantwortlichkeit für die Rechtserkenntnis der Gegenseite könnte sich in bestimmten Fällen auch mit dem Gedanken an eine Gesamtkosten­ minimierung begründen lassen. Angesprochen ist abermals die Figur des cheapest cost avoider.148 Für eine pauschale Verantwortlichkeit derjenigen Partei, die am günstigsten die rechtliche Erkenntnis herbeiführen kann, lässt sich indes keine hinreichende Grundlage ausmachen. Zwar berücksichtigen auch die gesetzlichen Belehrungs­ pflichten diesen Gesichtspunkt.149 Allerdings wurde schon festgestellt, dass die normierten Fälle nicht zur flächendeckenden Verallgemeinerung taugen.150 Man wird allenfalls besonders eindeutig gelagerte Fälle in den Blick nehmen können. Als kumulative Voraussetzungen ließe sich fordern, dass eine Seite bereits über die be­ nötigte Information verfügt – etwa entsprechende Rechtsprechung oder eindeutige Gutachten in Händen hält – und dass eine Offenlegung mit sehr hoher Wahrschein­ lichkeit Einbußen vermeiden würde. Solche Sachverhalte begegnen in der wettbe­ werbsrechtlichen Rechtsprechung zu §  93 ZPO. Dort wurde dem Abmahnenden beispielsweise auferlegt, eine durch Expertenrat neu erkannte, bisher zwischen den nennt als Beispiel den Fall, dass eine Partei aus eigener Betroffenheit ein noch unveröffentlichtes Urteil kennt, dessen rechtliche Wertung für den Partner eines künftigen Vertrags ungünstig wäre. 144  Siehe oben 1. 145  Näher oben §  5 C. II., insb. 1., 3. 146  Siehe oben a). Dass nach Ansicht von OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Abnehmerverwarnung, auch nachteilige Entscheidungen mitzuteilen sein sollen, ist dadurch zu rechtfertigen, dass es um eine Abnehmerverwarnung geht, für die nach hier vertretener Ansicht gar noch strengere Haftungsmaßstäbe gelten; siehe dazu bereits §  9 C. III. 5. 147  Siehe dazu sogleich e). 148  Siehe schon oben 2. 149  Siehe oben b) bb) unter Verweis auf Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  163. 150  Siehe soeben b) bb) (2).

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Parteien nicht diskutierte und für nicht spezialisierte Juristen kaum auszumachen­ de Begründung für den Unterlassungsanspruch mitzuteilen.151 Damit wird kon­ kludent berücksichtigt, dass die Herbeiführung einer zutreffenden Rechtseinsicht des Schuldners für den Gläubiger mit wesentlich geringerem Aufwand zu bewerk­ stelligen war als für den Schuldner selbst. Die Befreiung des Schuldners von der Prozesskostenlast erscheint zumindest unter der Prämisse sachgerecht, dass hin­ reichend wahrscheinlich erschien, dass er nach Mitteilung des neuen rechtlichen Aspekts dem Verlangen des Abmahnenden umgehend Folge leisten werde. Vor die­ sem Hintergrund rechtfertigt sich auch die Entscheidung, der Abmahnende müsse vorhandene Judikate, die seine Berechtigung eindeutig erscheinen lassen, dem Ab­ gemahnten zur Verfügung stellen, bevor er zur Klage schreite.152 Der betroffene Sachverhalt zeichnete sich nämlich dadurch aus, dass praktisch sichere Aussicht darauf bestand, der Abgemahnte werde nach Übermittlung der (von ihm angefor­ derten) Entscheidung der Aufforderung des Gläubigers sogleich nachkommen.153 Ansonsten wird man Erläuterungen zum Stand der Rechtsprechung hingegen nicht verlangen können.154 Zu beachten ist überdies, dass es in den vorgenannten Entscheidungen jeweils darum ging, dass der mit besseren Kenntnissen ausgestattete Gläubiger seine eigene Rechtsstellung untermauern und eine unberechtigte Weigerung des Gegenübers verhindern konnte. In dieser Anordnung ist es besonders naheliegend, auf das Prinzip des cheapest cost avoider zu rekurrieren. Im besten Fall ist die Aufklärung hier nämlich nicht nur insgesamt effizient, sondern auch aus der Perspektive des Hinweisgebers vorteilhaft.155 Eine Pflicht zur Offenlegung nachteiliger Judikate lässt sich dagegen nicht gleichermaßen überzeugend begründen.156

151  OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.1.1981 – 6 W 152/80, JurBüro 1981, 1095, 1095 (siehe oben I. 3.). 152  So OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.11.1983 – 6 W 127/83, GRUR 1984, 164 – Inhalt der Abmahnung. 153  So die Einschränkung durch OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.6.1984 – 6 W 45/84, AnwBl 1984, 513; ähnlich Achilles, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap.  2 Rn.  30; Brüning, in: Harte-­ Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  42; Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, §  12 Rn.  17. 154 Zutreffend Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, §  13 Rn.  17; Brüning, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, §  12 Rn.  42; Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, §  12 Rn.  17; Nümann/M. A. Mayer, ZUM 2010, 321, 323. 155  Siehe oben a). Der Gläubiger erspart sich zumindest den Aufwand für die Durchsetzung etwaiger Ersatzansprüche. 156  Siehe allgemein schon zur Weichenstellung oben a). Dagegen möchte Tyra, ZUM 2009, 934, 942, offenbar die Annahme einer entsprechenden Aufklärungspflicht in OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.6.2008 – I-2 U 95/07, NJOZ 2009, 748, 751 – Irreführende Abnehmerverwarnung, auf Abmah­ nungen übertragen. Zu Recht weisen aber Nümann/M. A. Mayer, ZUM 2010, 321, 323, darauf hin, dass die Entscheidung des OLG (nur) dadurch gerechtfertigt ist, dass dort die besonders ein­ schneidende Abnehmerverwarnung betroffen war (siehe bereits §  9 C. III. 5. sowie soeben c) Fn.  146).

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f) Zwischenfazit Außerhalb der gesetzlich normierten Tatbestände scheidet eine Verantwortlichkeit für die rechtliche Aufklärung der Gegenseite in aller Regel aus. Anzuerkennende Ausnahmen beschränken sich im Wesentlichen auf Konstellationen, in denen beste Aussichten bestehen, dass ein Anspruchsinhaber durch die Unterrichtung über ihm günstige Aspekte verhindern kann, dass sich der Gegner zu Abwehrmaßnah­ men veranlasst sieht. Hinweise auf ungünstige rechtliche Gesichtspunkte sind demgegenüber grundsätzlich nicht zu verlangen. Eine Ausnahme gilt vor allem für die Beziehung zwischen Rechtsberater und Mandant.

III. Voraussetzungen für Berücksichtigung zum Nachteil des Gegenübers Spiegelverkehrt zur Prüfung einer Nachteilszuweisung zum Irrenden lässt sich fra­ gen, ob eine „Rechtsaufklärungsverantwortung“ des Gegners voraussetzt, dass dieser die Rechtslage subjektiv erkannt hat, oder ob eine Erkennbarkeit genügt.157 Soweit das Gegenüber lediglich aufgefordert ist, ihm bekannte Quellen zu offenba­ ren,158 wird die Frage naturgemäß nicht akut. Bei der praktisch relevanten Aufklä­ rungsobliegenheit des Rechtsberaters159 erschiene es konsequent, schon die fahr­ lässige Unkenntnis des Beraters von seiner möglichen Pflichtverletzung ausreichen zu lassen. Das entspricht dem allgemein für die Beratung des Mandanten geltenden Maßstab (§§  280, 276 BGB) und der früheren Rechtsprechung zur Sekundär­ haftung.160 Löst man die vormals mithilfe der Sekundärverjährung gehandhabten Konstellationen indes, wie vorgeschlagen, durch eine analoge Anwendung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bezüglich der Rechtserkenntnis des Mandanten,161 erübrigt sich die Frage, ob den Berater ein Verschulden treffen muss. Solange dem Mandan­ ten nicht mindestens grob fahrlässige Rechtsunkenntnis zu attestieren ist, läuft die Verjährung nicht an – ganz gleich wie sich die Lage für den Berater darstellte. Es handelt sich eben nur funktional betrachtet um eine Belehrungsobliegenheit.

IV. Dogmatisches Instrumentarium zur Berücksichtigung Soweit das Gegenüber nach den vorstehenden Ausführungen ausnahmsweise Ver­ antwortung für das Fehlen der Rechtserkenntnis des Irrenden trägt, stellt sich die Frage, wie sich dies in die Rechtsirrtumsdogmatik einpassen lässt. Zu unterschei­ den ist zwischen zwei denkbaren Mechanismen. 157 

Zur Frage der „Substitution“ mit Blick auf den Irrenden ausführlich §  16. Dazu soeben II. 3. d)–e). 159  Dazu II. 3. b) aa). 160  BGH, Urt. v. 23.5.1985 – IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380 = NJW 1985, 2250, 2252 und 2253; BGH, Urt. v. 11.5.1995 – IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 = NJW 1995, 2108, 2109; siehe auch BGH, Urt. v. 13.11.2008 – IX ZR 69/07, NJW 2009, 1350, 1350–1351 Rn.  12 (Abstellen auf Erkennbar­ keit); näher Schauf, Kenntnis, S.  58–60 m. w. N. 161  Siehe oben §  7 C. III. 3. sowie unten IV. 1. 158 

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7. Teil: Synthese

1. Berücksichtigung im Nachteilstatbestand Eine Verletzung von Hinweispflichten bzw. -obliegenheiten lässt sich vielfach schon im Rahmen des Tatbestands berücksichtigen, der für eine Nachteilszuwei­ sung zum Irrenden erfüllt sein muss. So wird, wie soeben nochmals gesehen, vor allem dort verfahren, wo der Rechtsberater den Mandanten nicht über eine eventu­ elle Pflichtverletzung aufklärt. Dann läuft die Verjährung nach §  199 Abs.  1 BGB vorbehaltlich anderweitiger Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis des Man­ danten gar nicht erst an. Ein vergleichbarer Mechanismus kommt zum Tragen, sofern man ausnahmsweise eine Verantwortung des Gläubigers dafür anerkennen möchte, den Schuldner in rechtlicher Hinsicht über das Bestehen des Anspruchs aufzuklären. Zum Teil wird hier §  254 BGB gewählt, um die Verantwortung des Gläubigers abzubilden.162 Der BGH sowie andere Vertreter des Schrifttums verneinen unter den geschilderten Be­ dingungen schon ein Vertretenmüssen des Schuldners.163 Das passt dazu, dass das Schrifttum tatsachenbezogene Hinweisobliegenheiten des Gläubigers ebenfalls schon im Rahmen von §  286 Abs.  4 BGB berücksichtigt.164 Wollte man dies auf die rechtliche Ebene übertragen, müsste man jedoch auf der Stufe des Vertretenmüssens eine Ausnahme von der sonst präferierten verschuldensunabhängigen Einstands­ pflicht („Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu ha­ ben“165) machen. Dieser dogmatische Ausfallschritt wäre zwingend erforderlich, um bei der Kündigung wegen rechtsirrtumsbedingten Schuldnerverzugs (siehe §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 BGB) die Verantwortung des Kündigenden zu berücksichtigen: §  254 BGB steht hier nicht als Korrektiv zur Verfügung. Im Fall des schuldnerischen Rechtsirrtums existiert auch mit Blick auf die Prozesskostenbelastung ein Mittel, um das Entstehen eines Nachteils von vornherein zu verhindern. Die Nichterfül­ lung einer Rechtsaufklärungsobliegenheit des klagenden Gläubigers eröffnet dem beklagten Schuldner die Option des sofortigen Anerkenntnisses nach §  93 ZPO.166 2. Gewährung eines eigenständigen Ersatzanspruchs Unterschiede zu den eben geschilderten Mechanismen einer Nachteilsprävention können sich ergeben, wenn dem Irrenden lediglich die Nachteilskompensation im Wege eines Ersatzanspruchs zugestanden wird. Ein solcher Anspruch bleibt hinter der nachteilsvermeidenden Berücksichtigung auf Tatbestandsebene zurück, sofern er selbstständig eingeklagt werden muss. Dieses Problem besteht nicht, wenn es der Gläubiger infolge fehlender Aufklärung versäumt hat, die Verjährung zu hindern. 162 So

Haertlein, Exekutionsintervention, S.  412. BGH, Urt. v. 17.12.1969 – VIII ZR 10/68, NJW 1970, 463, 464; Ernst, in: MüKo-BGB, §  286 Rn.  121 mit Fn.  383; Hinz, NJW 2013, 337, 339. 164 Eingehend Leuschner, AcP 207 (2007), 64, 79–81. 165  Siehe oben §  16 B. II. 2. 166  Das betrifft Sachverhalte wie den bei II. 3. e) behandelten, der OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.11.1983 – 6 W 127/83, GRUR 1984, 164 – Inhalt der Abmahnung, zugrunde lag. 163 

§  17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis

709

Hier kann ein Schadensersatzanspruch, so gestellt zu werden wie ohne den Verjäh­ rungseintritt, unmittelbar der Verjährungseinrede des Schuldners entgegengehal­ ten werden. Das hat sich bei der früheren Sekundärhaftung von Rechtsberatern gezeigt. Dogmatisch vorzugswürdig ist dort indes mittlerweile die Lösung über eine Analogie zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, sodass sich der Umweg über den Scha­ densersatzanspruch erübrigt.167 Ein der Verjährung entgegenzuhaltender Ersatz­ anspruch spielt aber immerhin bei der Verletzung gesetzlicher Belehrungspflichten über Ansprüche eine Rolle.168 In anderen Konstellationen stellt eine Nachteilskompensation über das Scha­ densersatzrecht von vornherein die einzige Möglichkeit dar, um die Verantwort­ lichkeit der Gegenseite zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere Nachteile, die – anders als die vorliegend untersuchten – nicht rechtlich (etwa über §§  195, 281, 286, 814 BGB) vermittelt werden. Zu denken ist zum Beispiel an faktische Einbu­ ßen durch die nicht geschuldete Weggabe des streitbefangenen Gegenstands.169 Beim Rückgriff auf Ersatzansprüche steht der Irrende allerdings im Grundsatz vor der Herausforderung, die Kausalität zwischen dem Unterlassen des Hinweises und dem Nachteilseintritt belegen zu müssen.170 Die Problematik wird vor allem im Zusammenhang mit unterlassenen Widerrufsbelehrungen intensiv diskutiert. Es lässt sich nämlich nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sich der korrekt Be­ lehrte tatsächlich für einen Widerruf entschieden hätte. Ein Rückgriff auf die Ver­ mutung aufklärungsrichtigen Verhaltens soll demnach ebenso ausscheiden171 wie das Ausweichen auf einen Anscheinsbeweis.172 Allerdings möchte der BGH aus Schutzzwecküberlegungen eine Beweislastumkehr zugunsten des Aufklärungs­ empfängers anerkennen.173 Solcher normativen Begründungsansätze wird es in den Fällen des anspruchsbezogenen Irrtums allenfalls selten bedürfen. Unterlässt der Irrende die Geltendmachung eines eigenen Anspruchs, dürfte in der Regel schon nach der Lebenserfahrung eine Vermutung dafürsprechen, dass er den An­ spruch bei Kenntnis der Berechtigung verfolgt hätte.

B. Verantwortlichkeit des Gegenübers für die eigene Rechtserkenntnis Bisher wurden Fälle betrachtet, in denen das Gegenüber für die fehlende Rechts­ erkenntnis des Irrenden (mit-)verantwortlich zeichnet. Davon zu unterscheiden ist der Vorwurf, das Gegenüber habe durch bessere eigene Rechtserkenntnis die Nach­ 167 

Zum Ganzen oben §  7 C. III. 3. Dazu II. 3. b) bb) (1) m.N. in Fn.  106. 169  Siehe dazu 6.  Teil (vor §  13). 170  Siehe zu diesem Grundsatz nur Ernst, in: MüKo-BGB, §  280 Rn.  146. 171  BGH, Urt. v. 19.9.2006 – XI ZR 204/04, BGHZ 169, 109 = NJW 2007, 357, 360 Rn.  43; näher zum aufklärungsrichtigen Verhalten Grüneberg, in: Palandt, §  280 Rn.  39. 172  Giller, Rechtsbelehrungspflichten, S.  251; Heiderhoff, EuPR, Rn.  451; allgemein zum An­ scheinsbeweis oben §  13 C. III. 2. c) bb) (vor (1)). 173  BGH, Urt. v. 8.5.2012 − XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 = NJW 2012, 2427, 2430 Rn.  33–35. 168 

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7. Teil: Synthese

teile für den Irrenden geringhalten können. Eine solche Fallgestaltung kann sich nur dort ergeben, wo der dem Irrenden auferlegte Nachteil gerade in einem Ersatz­ anspruch des Gegenübers besteht. Dies betrifft die Quadranten der irrtümlichen Anspruchsgeltendmachung und -verteidigung. Sedes materiae ist regelmäßig §  254 BGB.174 Grundlegende Bedenken gegen eine Berücksichtigung des Mitverschul­ dens bestehen – entgegen einer vereinzelt geäußerten Auffassung175 – nicht.176 Die Prüfung, ob eine Verkennung der Rechtslage durch das geschädigte Gegen­ über die Ersatzpflicht des Irrenden mindert, kann gleichermaßen gegliedert wer­ den, wie die ursprüngliche Prüfung der Haftung des Irrenden. Zunächst ist auf Ebene des Erkenntnisgrades zu klären, ob schon dann von einem Mitverschulden des Gegenübers ausgegangen werden kann, wenn dieses im Zustand der Rechts­ ungewissheit selbstschädigendes Verhalten an den Tag gelegt hat. Anhand der Haftung für die rechtsirrtümliche Anspruchsgeltendmachung wur­ de bereits geklärt, dass das Gegenüber (dort: der Putativschuldner) bei objektiv zweifelhafter Rechtslage zumindest kostenpflichtigen Rechtsrat einholen darf, ohne Gefahr zu laufen, die Aufwendungen im Fall einer Haftung des Putativgläu­ bigers nicht vollständig ersetzt zu bekommen.177 Dafür lässt sich nun ein weiteres Argument anbringen: Für den Fall, dass der geltend gemachte Anspruch besteht, der in Anspruch Genommene die Leistung aber irrtümlich verweigert, müsste er sich regelmäßig den Vorwurf gefallen lassen, keinen Rechtsrat eingeholt zu ha­ ben.178 Schon deshalb darf es ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn er bei beste­ hender Unsicherheit Kosten für eine Rechtsberatung aufwendet. Auch bezüglich sonstiger Schadensposten wurde im Kontext der Putativgläubigerhaftung bereits die Vermutung geäußert, bei zweifelhafter Rechtslage komme ein Mitverschul­ densvorwurf gegen den Putativschuldner nicht in Betracht. Es geht dabei um Ein­ bußen, die dieser erleidet, weil er sich der Aufforderung zur Anspruchserfüllung zunächst beugt bzw. weil er Vorsicht walten lässt (Rückstellungen bildet usw.).179 Die herrschende, vom BGH geteilte Meinung zieht ein Mitverschulden des Putativ­ schuldners bezüglich solcher Schäden erst dann in Betracht, wenn sich die Rechts­ lage eindeutig zu dessen Gunsten gestaltete.180 Bei quadrantenübergreifender Be­ trachtung erscheint diese Sicht zwingend. In Fällen objektiver rechtlicher Zweifel drängt die Rechtsordnung den potenziellen Schuldner gerade dazu, die geforderte Leistung vorerst zu erbringen. Andernfalls droht ihm eine Schadensersatz­ 174 

Näher §  9 C. V. 1. OLG Hamm, Rechtsentsch. v. 31.1.1984 – 4 REMiet 7/83, NJW 1984, 1044, 1046. 176  Siehe wiederum §  9 C. V. 1. 177  Dazu näher §  9 C. V. 2. 178  Siehe oben §  16 B. II., D. III. 179  Siehe oben §  9 C. V. 2. 180  Siehe etwa BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1031; BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – VIII ZR 180/09, WuM 2010, 575, 576; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.­1987 – 2 U 268/86, NJW-RR 1987, 1205, 1205; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.2015 – 11 U 18/14, WRP 2015, 1004, 1008 Rn.  39; Häublein, in: MüKo-BGB, §  573 Rn.  149; Oetker, in: MüKo-­ BGB, §  254 Rn.  95; a. A. etwa Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 369; Klinkhammer, NJW 1997, 221, 222. 175 

§  17 Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden für die Rechtserkenntnis

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pflicht.181 Damit verträgt sich die Annahme nicht, bei Bestehen von Zweifeln be­ gründe das vorläufige Nachgeben ein Mitverschulden. §  254 BGB würde sonst just das Verhalten sanktionieren, welches §§  280, 281, 286 BGB nahelegen. Es drohte eine „Zwickmühle“, wie sie die Rechtsirrtumsdogmatik vermeiden sollte.182 Auch der BGH erkennt diesen Zusammenhang: Was einem unberechtigterweise gekün­ digten Mieter an Gegenwehr zumutbar sei, hänge auch davon ab, inwiefern er sich einer Haftungsgefahr aussetze, wenn er der Kündigung entgegentrete.183 So er­ klärt sich auch, warum der Anspruchsteller an dem Schaden, der aus der vorläufi­ gen Beugung folgt, im Duktus des Großen Senats für Zivilsachen „näher dran“184 ist als der Anspruchsgegner. Für sich genommen bliebe dieses Argument farblos. Der Große Senat führt immerhin aus, so wie der Verwarnte das Risiko trage, den geltend gemachten Unterlassungsanspruch irrtümlich zu verneinen, so müsse der Verwarnende umgekehrt das Risiko tragen, den Anspruch fälschlich zu bejahen.185 Darin kommen die hier formulierten Gedanken ansatzweise zum Ausdruck. Vergleichbar liegen die Dinge hinsichtlich der Schuldnerhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB:186 Dem Gläubiger kann es bei ungewisser Rechtslage nicht zum Vorwurf gereichen, dass er den Eintritt von Verzugsschäden nicht durch eine vor­ läufige Vollstreckung oder durch die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes verhindert hat. Die strenge Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO hält ihn gerade davon ab. Würde §  254 BGB ihm ein solches Verhalten abverlangen, entstünde wie­ derum ein Dilemma. Für die Schuldnerhaftung gilt demnach nichts anderes als für die Putativgläubigerhaftung. Den übergreifenden Zusammenhang hat Häsemeyer treffend zum Ausdruck gebracht: Entschließe sich eine der Streitparteien zunächst für die Selbstschädigung, so könne „daraus doch nicht eine Beschränkung ihres eigenen Ersatzanspruchs bei günstigem Prozeßausgang folgen“.187 Häsemeyer geht jedoch davon aus, dass eine Kürzung des jeweiligen Ersatzan­ spruchs kategorisch ausgeschlossen sei.188 Das ist als Spiegelbild der von ihm prä­ ferierten rigorosen Durchsetzungshaftung konsequent. Nach vorzugswürdiger Auffassung haftet der Schuldner hingegen nicht, wenn im Zeitpunkt der Verweige­ rung ein Bestehen des Anspruchs praktisch ausgeschlossen erschien (Fallgruppe der Rechtsprechungsänderung).189 Unter solchen Umständen besteht daher für den in Anspruch Genommenen kein Dilemma. Er kann gegenüber der Inanspruch­ nahme ohne Haftungsrisiko standhaft bleiben. Deshalb ist es folgerichtig, wenn 181 

Siehe oben §  11 C. II. Vergleiche bereits §  15 A. I. 1. 183  BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1031. 184  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3144 – Un­ berechtigte Schutzrechtsverwarnung. 185  BGH (GrSZ), Beschl. v. 15.7.2005 – GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3144 – Un­ berechtigte Schutzrechtsverwarnung. 186  Siehe zum Folgenden §  11 C. IV. 187  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  105. 188  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  95–96. 189  Siehe §  11 C. III. 5., §  15 A. II. 3. a). 182 

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7. Teil: Synthese

der BGH die Verteidigung gegen eine unberechtigte Kündigung für zumutbar hält, „wenn das Fehlen eines Kündigungsgrundes auf der Hand liegt“.190 Hier kommt eine Anspruchskürzung zulasten des Putativschuldners in Betracht, wenn er sich vorschnell gebeugt und dadurch eigene Schäden verursacht hat. Das ist bedeutsam. Schließlich ist eine Haftung des Putativgläubigers für die bloße Anspruchsgeltend­ machung nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich überhaupt nur in solch eindeutig gelagerten Konstellationen denkbar.191 In den seltenen Fällen einer Puta­ tivgläubigerhaftung wird daher häufig zugleich ein Mitverschulden des Putativ­ schuldners zu berücksichtigen sein.192 Auf Basis der hier vertretenen Konzeption wäre es gleichermaßen konsequent, Ansprüche des Gläubigers gegen den irrenden Schuldner aus §§  280, 281, 286 BGB zu kürzen, sofern die Rechtslage eindeutig positiv für den Gläubiger erschien. Das gilt beispielsweise, sofern sich Schäden durch die Beantragung einer einstweiligen Verfügung hätten vermeiden lassen. Nach vorzugswürdiger Ansicht besteht nämlich unter den geschilderten Gegeben­ heiten kein Haftungsrisiko des Gläubigers aus §  945 ZPO (Grund: Vertrauens­ schutz).193 Eine Zwickmühle ergäbe sich nicht. Allerdings widerspricht der hier befürwortete Ausschluss einer Haftung aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO bei plötzlichen Rechtsprechungsänderungen der Linie des BGH.194 Deshalb müssten Gerichte derzeit eine entsprechende Schadensverhütung durch Vollstreckungs- oder Siche­ rungsakte des Gläubigers für unzumutbar erachten. Abschließend ist anzumerken, dass ein Mitverschulden von Putativschuldnern bzw. Gläubigern in den genannten Konstellationen nicht voraussetzt, dass diese die für sie sprechende Rechtslage auch subjektiv zutreffend eingeschätzt haben. Es ge­ nügt das fahrlässige „Nichterkennen“ (§  254 i. V. m. §  276 Abs.  2 BGB).195 Grund­ sätzlich bleibt Raum für eine Berücksichtigung der verkehrskreistypischen Fähig­ keiten und Kenntnisse. Sofern es nicht gerade um den Rechtsberatungsaufwand des Geschädigten, sondern um andere Selbstschädigungen geht, ist jedoch wiederum zu berücksichtigen, dass Rechtsrat flächendeckend zur Verfügung steht. Bei der Abwägung der jeweiligen Verschuldensbeiträge der Parteien196 sollte allerdings nicht unter Verweis auf das Motto „Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechts­ kundigen hat man zu haben“197 stets eine hälftige Quote ausgeworfen werden. Viel­ mehr kann hier beiderseits nach den oben für eine Fahrlässigkeitsprüfung entwi­ ckelten Maßstäben198 verfahren werden. 190 

BGH, Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028, 1031. Siehe §  9 C. III. 2.–3., §  15 A. II. 1. a) bb), c) aa). 192  Diesen Zusammenhang betonen zutreffend Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1249; Haertlein, MDR 2009, 1, 2–3; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 174. 193  Näher §  15 A. II. 3. e). 194 BGH, Urt. v. 26.5.1970 – VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76 = NJW 1970, 1459, 1461; BGH, ­Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZR 165/07, NJOZ 2010, 896, 896 Rn.  3. 195  Dazu sowie zum Folgenden §  9 C. V. 3. 196  Dazu etwa Schiemann, in: Staudinger, §  254 Rn.  114–115. 197  §  16 B. II. 2. 198  §  16 D. 191 

§  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum Zum Ende der Untersuchung lässt sich nunmehr auf die anfänglich aufgeworfene Problematik der Abgrenzung des Rechts- zum Tatsachenirrtum1 zurückkommen.

A. Erforderlichkeit einer Unterscheidung Eine Differenzierung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern wird mitunter für verzichtbar gehalten.2 Verwiesen wird auch auf die Schwierigkeit der Abgrenzung.3 Eine Unterscheidung zwischen den beiden Irrtumsarten erübrigt sich allerdings nur in Teilen des Untersuchungsbereichs. So macht insbesondere §  814 BGB keinen Unterschied zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern.4 Im Bereich der Haftung des irrenden Schuldners bestehen ebenfalls keine Vorbehalte gegen eine weitgehen­ de Gleichsetzung, soweit die Ebene des Erkenntnisgrades betroffen ist. Die für die strenge Ausgestaltung wesentlichen Wertungsgrundlagen (§§  717 Abs.  2, 945 ZPO) sind für Rechts- wie Tatsachenirrtümer gleichermaßen einschlägig.5 Auch im Kon­ text von §  233 ZPO sind anspruchsbezogene Tatsachenirrtümer in gleicher Weise unerheblich wie rechtliche Fehlvorstellungen. 6 An anderen Stellen hat sich hinge­ gen gezeigt, dass das Recht unterschiedliche Folgen an Tatsachen- und Rechtsirrtü­ mer bzw. entsprechende Zweifel knüpft. Das betrifft vor allem die grundsätzliche Unbeachtlichkeit der rechtlichen Vorstellungen für den Verjährungsbeginn nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB (Quadrant 1). Diese bildet zugleich einen wesentlichen Stützpfeiler für die spiegelbildliche Privilegierung rechtlicher Zweifel bei der irr­ tümlichen Anspruchsgeltendmachung (Quadrant 2).7 Eine gleich starke Privilegie­ rung tatsächlicher Unsicherheit ist nicht kategorisch ausgeschlossen, müsste aber eigenständig begründet werden.8 Auch im Rahmen der Vorwerfbarkeitsprüfung, 1 

Siehe §  3 B. etwa Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  237; Thole, AcP 209 (2009), 498, 533; ähnlich Herrler, MittBayNot 2008, 473, 474–475; so letztlich auch schon die Gleichbehandlungsthese von Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, passim (dazu bereits eingangs §  1 A. III.). 3 Siehe Thole, AcP 209 (2009), 498, 533, sowie die weiteren bei §  9 C. III. 2. b) bb) Fn.  289 Ge­ nannten; im Zusammenhang mit §  814 BGB auch R. Zimmermann/Hellwege, in: FS Großfeld, S.  1367, 1384. 4  Siehe die Nachweise bei §  13 B. und die Begründung bei §  13 C. 5  Siehe oben §  11 C. II. 4. 6  Siehe oben §  8 C. I. 7  Siehe oben §  9 C. III. 2. a). 8  Siehe den Hinweis bei §  9 C. III. 2. b) bb). 2 So

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7. Teil: Synthese

wie sie im Zusammenhang mit der Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung (Qua­ dranten 2 und 3) vorzunehmen ist, haben sich Besonderheiten des Rechts als Er­ kenntnisgegenstand gezeigt. Die prinzipielle Verfügbarkeit von Rechtsrat wird re­ gelmäßig zulasten des Irrenden berücksichtigt. Nach hier bevorzugter Auffassung sind rechtliche Fehleinschätzungen, die einem sorgfältigen Rechtsexperten nicht unterlaufen wären, im Bereich der §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB sogar unab­ hängig von einem Verschulden zu vertreten.9 Der Anwendungsbereich der insoweit postulierten Regel „Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben“ muss demnach ebenfalls abgesteckt werden. Für die erforderliche Abgrenzung zu tatsächlichen Fehlvorstellungen bietet sich das Prozessrecht als Vorbild an. Es wurde bereits zu Beginn der Untersuchung aufgezeigt, dass dieses von der Trennbarkeit von Recht und Tatsachen ausgeht.10 Es greift dabei nicht auf eine übergreifende begrifflich-logische Teilung zurück. Vielmehr wird die Trennlinie je nach Normkontext unter Rücksicht auf teleologi­ sche Überlegungen gezogen. So ergeben sich zwischen den Fragen der Revisibilität, der Geltung des Verhandlungsgrundsatzes und der Eignung als Beweisgegenstand im Einzelnen Unterschiede. Im Folgenden ist zu ergründen, ob und inwieweit die prozessualen Abgrenzungskriterien zur Bestimmung des Anwendungsfeldes der hier entwickelten Rechtsirrtumsdogmatik fruchtbar gemacht werden können.

B. Übergreifende Überlegungen Vorwegzuschicken ist, dass sich manche vermeintliche Unterscheidungsschwierig­ keit bei näherer Betrachtung von vornherein auflöst.

I. Maßgeblichkeit der Natur des Ausgangsirrtums So stimmt es zwar, dass ein Rechtsirrtum gegebenenfalls dazu führen kann, dass auch benötigte Tatsachen nicht mehr ermittelt bzw. zur Kenntnis genommen wer­ den. In solchen Fällen lässt sich jedoch an die Natur des Ausgangsfehlers anknüp­ fen.11 Das wurde im Bereich des Verjährungsrechts demonstriert:12 Der Rechtsirr­ tum ist, wie auch sonst, grundsätzlich unbeachtlich; deshalb ist eine zutreffende Rechtserkenntnis zu unterstellen und auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob die Unkenntnis der notwendigen Tatsachenkenntnis unter diesen Umständen als grob fahrlässig anzusehen wäre. Der umgekehrte Fall wurde bereits zu Beginn der Un­ tersuchung geklärt: Wer wegen Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen seine rechtliche Berechtigung nicht erkennt, unterliegt zwar einem Rechtsirrtum 9 

§  16 B. II. 2. Zum Folgenden §  3 B. II.–IV. 11  So auch S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  12, zum Schweizer Recht. 12  Siehe v. a. §  7 C. I. 4. b). 10 

§  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum

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im weiteren Sinne (Irrtum über das subjektive Recht),13 aber eben keinem eigent­ lichen Rechtsirrtum, für den die hier erarbeiteten Bewertungsmaßstäbe gelten.

II. Keine Trennung zwischen tatbestandsmerkmalsbezogenen und anspruchsbezogenen Rechtsirrtümern Abzulehnen sind, zumindest im hier untersuchten Bereich, Versuche, zwischen dem Rechtsirrtum über die (eigene oder fremde) Anspruchsberechtigung und einem vor­ gelagerten Rechtsirrtum über normative Tatbestandsmerkmale der jeweiligen An­ spruchsgrundlage zu differenzieren. Das wurde wiederum anhand des Verjäh­ rungsrechts eingehend belegt:14 Die Erwägungen, die für eine Sonderbehandlung des anspruchsbezogenen Rechtsirrtums streiten, gelten gleichermaßen, wenn dieser seinerseits durch einen vorgelagerten Rechtsirrtum über ein normatives Merkmal verursacht wurde. Häufig lassen sich die beiden Kategorien nicht einmal sinnvoll trennen. Zum Beispiel wird eine Verkennung eines Bereicherungsanspruchs in aller Regel auf einem Fehlurteil über das Bestehen des Rechtsgrundes beruhen.15 Die Idee einer Unterscheidung dürfte wesentlich vom Strafrecht inspiriert sein. Dort kommt ihr für die Abgrenzung zwischen dem Tatumstandsirrtum des §  16 StGB und dem Verbotsirrtum des §  17 StGB Bedeutung zu.16 Selbst im dortigen Kontext wird jedoch von manchen eine weitgehend einheitliche Behandlung vorge­ schlagen.17 Die Versuche, die Berücksichtigung von Rechtsirrtümern auf die bei­ den Elemente Vorsatz und Schuld aufzuteilen, werden teils harsch kritisiert.18 Ein Grund für die Differenzierung mag darin liegen, dass man die Zuordnung jedes Rechtsirrtums zu §  17 StGB scheut, weil man die regelmäßig resultierende Vorsatz­ strafbarkeit als unangemessen empfindet.19 Vergleichbare Gesichtspunkte spielen in den hier untersuchten Ausschnitten des Privatrechts keine Rolle. Im Vergleich zu fragwürdigen Binnendifferenzierungen ist die schlichte Abgrenzung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum überdies einfacher zu handhaben.20 Mit ihr hat es im vorliegend untersuchten Bereich sein Bewenden. 13 

§  3 B. I., u. a. unter Verweis auf J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  7, 12–13; S. Wolf, Rechtsirrtum, S.  11. Siehe §  7 C. I. 4. a). 15  Es ist daher richtig, dass der BGH den Rechtsirrtum über den Rechtsgrund im Kontext des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB gleichermaßen für unbeachtlich hält, siehe BGH, Urt. v. 20.1.2009 – XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 = NJW 2009, 2046, 2050 Rn.  47; BGH, Urt. v. 15.6.2010 – XI ZR 309/09, NJW-RR 2010, 1574, 1575 Rn.  12; BGH, Urt. v. 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 = NJW 2014, 3713, 3715 Rn.  35. 16  Siehe bereits §  1. A. II. 17  Für eine Gleichbehandlung aller Rechtsirrtümer (nämlich als Verbotsirrtümer) z. B. Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  208–213 (m. w. N. zu ähnlichen Ansätzen a. a. O., S.  186 Fn.  163); Christoph Wolf, Error facti, S.  637–638, 684; siehe auch Kindhäuser, JuS 2019, 953, 959, der bei einem „Irrtum über den Sinn der Oberprämisse des Subsumtionsschemas“ stets einen Verbotsirrtum annehmen möchte. 18  Deutlich etwa Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  178, 187, 193–200. 19  So der Erklärungsansatz von Kindhäuser, JuS 2019, 953, 959. 20  So auch Harnos, Geschäftsleiterhaftung, S.  204, 210. 14 

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7. Teil: Synthese

C. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung „klärungswürdiger“ Rechtszweifel Eine exakte Trennung von Rechts- und Tatsachenirrtümern wird, wie angedeutet, vornehmlich im Bereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB virulent. Die Abgrenzung muss maßgeblich von der Ratio der Norm ausgehen. Als eines21 der wesentlichen Motive für die dortige Indifferenz gegenüber rechtlichen Fehlvorstellungen wurden die Anreizwirkungen identifiziert: Der potenzielle Gläubiger soll im Interesse der Rechtskonkretisierung und -fortbildung veranlasst werden, zweifelhafte Rechts­ fragen klären zu lassen.22 Hält man diesen Gedanken für entscheidend, erscheint als Vorbild für eine Abgrenzung die revisionsrechtliche Unterscheidung zwischen revisiblen und nicht revisiblen Gesichtspunkten 23 prädestiniert. Die Eröffnung der Revision beruht schließlich gerade auf der Annahme, dass eine klärende Entschei­ dung durch das Revisionsgericht im Allgemeininteresse geboten ist.24

I. „Klärungswürdige“ Rechtszweifel bei Bezug zu revisiblem Gegenstand Die (isolierte25) Heranziehung der revisionsrechtlichen Maßstäbe führte zu einer eher großzügigen Annahme verjährungsrechtlich unbeachtlicher Rechtsvorstel­ lungen. So wird etwa die Auslegung von AGB und Satzungsrecht der revisionsge­ richtlichen Kontrolle unterstellt.26 Demnach sind bei Auslegungszweifeln hinsicht­ lich solcher privater Regelwerke Anreize zur Klärung wünschenswert. Vergleich­ bares lässt sich annehmen, wenn Ungewissheit darüber besteht, ob bekannte Tatsachen in beweisrechtlicher Hinsicht Berücksichtigung finden dürfen. Beweis­ regeln im weiteren Sinne – das Beweismaß, Beweiserleichterungen oder vermeint­ liche Beweisverwertungsverbote – unterliegen der Revision.27 Sie sind damit zu­ gleich als Gegenstand rechtlicher Zweifel im hier gebrauchten Sinne zu klassifizie­ ren. Das führt vor allem dazu, dass sie den Verjährungsbeginn grundsätzlich nicht hindern. Der Gläubiger erfährt allenfalls bei Unzumutbarkeit der Rechtsverfol­ gung Nachsicht.28 Dazu muss jedoch bei objektiver Betrachtung praktisch ausge­ schlossen erscheinen, dass der Nachweis der bekannten Tatsachen geführt werden kann – beispielsweise angesichts eines höchstrichterlich anerkannten Beweisver­ wertungsverbots.29 21 

Zum Bestehen institutionalisierter Rechtsberatungsmöglichkeiten sogleich noch D. Siehe oben §  7 C. I. 1. c) dd). 23  Dazu oben §  3 B. III. 24  Siehe oben §  3 A. II. 2. 25  Abermals sei auf die weiteren Beschränkungen unter D. hingewiesen. 26  §  3 B. III. m.N. in Fn.  240. 27  §  3 B. III. m.N. in Fn.  231. 28  Dazu passen die Ausführungen von BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, Rn.  23–24, juris, zum verjährungsrechtlichen Einfluss der Anerkennung einer dem Käufer günstigen sekun­ dären Darlegungslast des Herstellers. 29  Das vollständige Fehlen verwertbarer Beweise hindert also den Verjährungsbeginn, siehe 22 

§  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum

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Ferner wäre es bei ausschließlicher Betrachtung des Anreizgedankens folgerich­ tig, den Irrtum über Normtatsachen 30 als einen für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB unbe­ achtlichen Rechtsirrtum zu qualifizieren. Zwar herrscht Streit über die revisions­ rechtliche Behandlung. Insbesondere für die Unterkategorie der Erfahrungssätze sieht aber auch der BGH die revisionsgerichtliche Überprüfung als eröffnet an.31 Diese Einstufung ist entgegen der BGH-Rechtsprechung auf die Verkehrssitten einschließlich der Handelsbräuche zu erstrecken.32 Jedenfalls handelt es sich um klärungswürdige Fragen, sodass bei Zweifeln entsprechende Anreize gesetzt wer­ den sollten. Überzeugend ist das Argument, dass in der Literatur gegen die vom BGH zugleich präferierte Anwendung des Verhandlungsgrundsatzes auf Verkehrs­ sitten 33 bemüht wird: Deren wesentliches Charakteristikum liegt gerade in der über den Einzelfall hinausreichenden Bedeutung, sodass eine Parteidisposition un­ angebracht erscheint.34 Der einzelne Rechtsstreit bietet für die Feststellung nur den Anlass, nicht aber den Grund.35

II. Erstreckung über revisible Gegenstände hinaus: Gegenstand einer Beurteilung von Amts wegen Richtet man die Einstufung als Rechtszweifel, für dessen Klärung Anreize wün­ schenswert sind, an der revisionsrechtlichen Beurteilung aus, gewinnt man ein ei­ nigermaßen verlässliches Abgrenzungskriterium. Es lässt sich indes hinterfragen, ob damit unter teleologischen Gesichtspunkten der Kreis der Rechtszweifel hinrei­ chend weit gefasst ist. Die verjährungsrechtliche Unbeachtlichkeit und die Privile­ gierung bei der Putativgläubigerhaftung dienen schließlich nicht ausschließlich dem Ziel, eine höchstrichterliche Befassung zu ermöglichen. Zwar kommt den Ent­ scheidungen der Höchstgerichte eine besondere Orientierungsfunktion zu. Doch hat die Rechtsklärung nicht nur dann einen Wert, wenn sie von „höchster Stelle“ betrieben wird. Auch die Rechtsanwendung durch die Instanzgerichte kann in ge­ wissem Umfang Führungshilfen produzieren.36 Piekenbrock, in: BeckOGK, §  199 BGB Rn.  112–113, mit überzeugendem Hinweis auf die Recht­ sprechung des BGH betreffend den Fristbeginn bei der Vaterschaftsanfechtung (§  1600b Abs.  1 S.  2 BGB). Die Frist soll nicht beginnen, wenn die tatsächlich vorhandene Kenntnis des Anfech­ tungsberechtigten einzig auf einem prozessual unverwertbaren DNA-Gutachten beruht, BGH, Urt. v. 1.3.2006 – XII ZR 210/04, BGHZ 166, 283 = NJW 2006, 1657, 1658 Rn.  16. 30  Zur Definition oben §  3 B. III. 31  §  3 B. III. m.N. in Fn.  253. Wenn Foerste, in: FS Schilken, S.  261, 261, anmerkt, dass auf diese Weise im Bereich der Anscheinsbeweise „einige Rechtssicherheit“ geschaffen werden konnte, dann belegt dies, dass es sinnvoll ist, betreffend solche Fragen hinreichende Klärungsanreize zu setzen. 32  Siehe zur herrschenden Rechtsprechung §  3 B. III. Fn.  254 sowie zum hier präferierten Ver­ ständnis die Nachweise a. a. O., Fn.  255. 33  §  3 B. III. m.N. in Fn.  281. 34  Siehe v. a. Oestmann, JZ 2003, 285, 289 (zu Verkehrssitten); ähnlich zu Normtatsachen im Allgemeinen Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 450. 35 Treffend E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  8 07, 811 (zu Normtatsachen im Allgemeinen). 36  Siehe §  3 A. II. 2.

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7. Teil: Synthese

Dies zeigt sich besonders deutlich im Bereich der Ermessensentscheidungen. Zwar wird die Bemessung der billigen Entschädigung nach §  253 Abs.  2 BGB nur als beschränkt revisibel eingestuft.37 Allerdings bieten Entscheidungssammlun­ gen in Form sogenannter Schmerzensgeldtabellen eine Orientierungshilfe für die Praxis; sie besitzen mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz gar eine gewisse norma­ tive Bedeutung.38 Die Erstellung solcher Tabellen setzt möglichst reichhaltiges instanzgerichtliches Fallmaterial voraus.39 Vergleichbares gilt für Sammlungen zur Mietminderung.40 Vor diesem Hintergrund sollte ein potenzieller Gläubiger, der objektiv nachvollziehbare Zweifel hegt, ob das insoweit bestehende gerichtliche „Ermessen“41 zu seinen Gunsten ausgeübt werden wird, zur Klärung bewegt werden. Dazu sollte die Verjährung drohen und die Geltendmachung ohne erheb­ liches Schadensersatzrisiko möglich sein. Anders liegen die Dinge dagegen, wenn schon die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung unklar sind: An deren Klärung besteht in der Regel kein über die konkrete Rechtsbeziehung hinausreichendes In­ teresse.42 Nach dem bisher Gesagten müssen konsequenterweise auch Zweifel hinsichtlich der Auffüllung unbestimmter Rechtsbegriffe als Rechtszweifel qualifiziert werden, die dem Verjährungsbeginn nicht entgegenstehen. Zwar wird auch insoweit eine volle revisionsgerichtliche Überprüfung verbreitet abgelehnt.43 Diese (in sich we­ nig konsistente und umstrittene44) Beschränkung wird aber nicht einhellig auf den Gedanken gestützt, eine höchstrichterliche Klärung sei angesichts des Einzel­ fallcharakters ohne Nutzen für die Allgemeinheit.45 Mitunter scheinen eher prak­ tische Schwierigkeiten im Vordergrund zu stehen.46 Selbst wenn es in diesen Be­ reichen weniger auf höchstrichterliche Leitentscheidungen ankommen sollte, lässt sich zumindest nicht leugnen, dass die dogmatische Behandlung unbestimmter Rechtsbegriffe wesentlich auf eine umfangreiche Kasuistik angewiesen ist.47 Die gerichtliche Befassung mit einzelnen Fallgruppen hat insoweit einen Nutzen für die Allgemeinheit. Es ist sinnvoll, wenn hier Klärungsanreize gesetzt werden. 37  Siehe nur BGH, Urt. v. 17.11.2009 – VI ZR 64/08, NJW 2010, 930, 931 Rn.  16 m. w. N.; Oetker, in: MüKo-BGB, §  253 Rn.  74; vergleiche bereits §  3 B. III. 38  Näher OLG Nürnberg, Urt. v. 20.8.2020 – 13 U 1187/20, NJW 2020, 3603, 3604 Rn.   10 m. w. N.; allgemein Röthel, Normkonkretisierung, S.  266–269 m. w. N. 39  Zum Ganzen etwa C. Huber, in: NK-BGB, §  253 Rn.  8 0–83. 40  Zur Relevanz Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  365. 41  Zur praktischen Äquivalenz mit einer Ermessensentscheidung näher §  15 A. III. 2. 42  Vergleiche allgemein §  7 C. I. 1. c) dd) mit Fn.  232. Wenn man sie dahingehend versteht, ist die Warnung von J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  149, berechtigt, nicht jeder Irrtum über die nach bil­ ligem Ermessen festzulegende Anspruchshöhe sei ein Rechtsirrtum. 43  §  3 B. III. m.N. in Fn.  259 ff. 44  Siehe auch insoweit §  3 B. III. m.N. in Fn.  264–265. 45  In diese Richtung aber etwa Scheuerle, AcP 157 (1958/59), 1, 49; E. Schmidt, KritV 1989, 303, 315. 46  So bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  143 Rn.  30 („Grenzen der Leistungsfähigkeit des […] Revisionsgerichts“). 47  So auch das Argument für eine volle Revisibilität bei Prütting, in: Wieczorek/Schütze, §  5 46 Rn.  15; siehe allgemein schon §  3 A. II. 2. mit Fn.  6 4.

§  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum

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Es zeigt sich somit, dass der revisionsrechtliche Rechtsbegriff der §§  545, 546 ZPO nur den Kernbereich an Gegenständen erfasst, auf die sich „klärungswürdi­ ge“ Rechtszweifel beziehen können. Exakter ist es, nicht auf die Revisibilität, son­ dern auf die Unanwendbarkeit des Verhandlungsgrundsatzes abzustellen. Die Kontrollfrage muss lauten, ob es um Aspekte geht, die ein Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen hätte und für die es keine Darlegungs- und Beweislast und kei­ ne Geständnismöglichkeit gibt.48 Hat man das Begriffsverständnis auf diese Weise abgesteckt, bereitet auch die Einordnung der Auslegung von Individualerklärungen bzw. -verträgen keine Schwierigkeiten mehr. Diese wird zwar verbreitet für nur eingeschränkt revisibel gehalten,49 hat aber zweifelsohne von Amts wegen zu erfolgen.50 Es handelt sich nach dem Gesagten bei Auslegungszweifeln also um Rechtszweifel. Auch solche Auslegungsfragen, die nicht Gegenstand der Revision sein können (zum Beispiel betreffend die Wahl zwischen mehreren „relativ“ richtigen Auslegungsvarian­ ten 51), sind „klärungswürdig“. Das Verjährungsrecht muss daher gewährleisten, dass die Klärung nicht ausgesessen wird. Zugleich ist der Putativgläubiger von einer Schadensersatzhaftung befreit, wenn er auf Grundlage einer vertretbaren, aber aus Sicht des entscheidenden Gerichts ferner liegenden Vertragsauslegung zur An­ spruchsgeltendmachung geschritten ist.52 Stellt man auf die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes ab, muss man auch die von §  293 ZPO aufgeführten (insbesondere ausländischen) Normen als tauglichen Gegenstand der hier zu definierenden „Rechtszweifel“ verstehen.53 Die verbreite­ te Annahme der Nichtrevisibilität ausländischer Normen beruht indes wesentlich auf dem Argument, dass der Revisionszweck der Rechtsfortbildung nicht einschlä­ gig sei:54 Bei der Anwendung ausländischen Rechts seien die deutschen Gerichte dazu aufgerufen, so vorzugehen, wie es „Richter des betreffenden Landes“ täten. Von einer vermeintlichen „Klärung“ durch den BGH, wie sie auf eine Revision hin erfolgen würde, dürften sich die Gerichte nicht ohne Weiteres leiten lassen. Viel­ mehr müssten sie, weil die ausländische Praxis und deren Entwicklung maßgeblich blieben, diese stets aufs Neue überprüfen. Diese Argumentation lässt sich vor allem deshalb hinterfragen, weil deutsche Gerichte im Zusammenhang mit bestimmten Rechtsordnungen gerade mit stetig wiederkehrenden Fragen befasst werden.55 48 

Dazu §  3 B. IV. Siehe §  3. B. III. m.N. in Fn.  233 ff. 50  §  3 B. IV. m.N. in Fn.  271. 51  §  3. B. III. m.N. in Fn.  234. 52  Siehe (eine Haftung aus §  826 BGB ablehnend) BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NJW 2001, 3187, 3189; BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269 = NJW 2003, 1934, 1936; die Vertragsauslegung in diesem Kontext als Rechtsfrage einstufend auch Haertlein, MDR 2009, 1, 2; Lindemann, Haftung, S.  147; Thole, AcP 209 (2009), 498, 534. 53  Siehe dazu §  3 A. II. 1. m.N. in Fn.  4 4. 54  Deutlich zum Folgenden BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = NJW 2013, 3656, 3658 Rn.  21. Zum Meinungsstand zur Revisibilität siehe oben §  3 B. III. Fn.  232. 55  Siehe nur die bei Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 42, genannten Beispiele aus dem Fami­ lienrecht. 49 

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7. Teil: Synthese

Ein Bedürfnis für eine Rechtsfortbildung, die nicht bloß ad hoc56 für den Einzel­ fall erfolgt, sondern zukunftsgerichtet ist, lässt sich zumindest erblicken, soweit sich Besonderheiten gerade daraus ergeben, dass das ausländische Recht in Deutsch­ land zur Anwendung kommt.57 Im Mindesten wird man anerkennen müssen, dass die instanzgerichtliche Anwendung ausländischen Rechts bei den soeben er­ wähnten „Standardfragen“ Orientierung schaffen kann. Dies rechtfertigt den Schluss, dass auch die Ungewissheit über ausländisches Recht Rechtszweifel im hier interessierenden Sinne begründen kann.

D. „Rechts“-Begriff zur Bestimmung verschuldensunabhängiger Risikozuweisung Die Unbeachtlichkeit rechtlicher Vorstellungen des Gläubigers für den Verjäh­ rungsbeginn, wie sie §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ausdrückt, rechtfertigt sich allerdings nicht allein dadurch, dass Rechtszweifel einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden sollen. Würde ausschließlich dieser Zweck verfolgt, könnte der Verjäh­ rungsbeginn zumindest dort verneint werden, wo der Gläubiger eine objektiv be­ stehende Rechtsungewissheit (ohne grobe Fahrlässigkeit, §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB) subjektiv nicht erkannt hat. Dass auch der unvermeidbare oder nur leicht fahrlässi­ ge Rechtsirrtum den Verjährungsbeginn nicht hindert, beruht auf der zusätzlichen Erwägung, dass Rechtsrat flächendeckend zur Verfügung steht.58 Die flächende­ ckende Diskriminierung des Rechtsirrtums im Verjährungsrecht erklärt sich erst durch die Kombination der beiden genannten Komponenten. Ohne Einfluss auf den Verjährungsbeginn sind folglich nur solche Aspekte, bei denen beide Beweg­ gründe einschlägig sind. Es muss nicht nur der soeben definierte „Rechtszweifels­ begriff“59 erfüllt sein. Zusätzlich muss es um eine Materie gehen, für die die An­ nahme berechtigt ist, die Rechtsordnung stelle zur Beurteilung qualifizierte Inter­ mediäre zur Verfügung. Auf den zuletzt genannten Punkt kommt es auch für ein Vertretenmüssen nach §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB an – dann gilt: „Recht­ liche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben“.60 Im Folgen­ den muss daher näher bestimmt werden, in welchem Umfang der Verweis auf flä­ chendeckend verfügbaren Rechtsrat gerechtfertigt ist. Dazu ist zu ermitteln, in­ wieweit bei abstrakter Betrachtung sichergestellt ist, dass die betroffene Frage durch die von der Rechtsordnung vorgesehenen Intermediäre fachgerecht beurteilt werden kann. 56 

Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §  112 Rn.  17. Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 41–44, die sich daher a. a. O., 44–49, (je­ denfalls de lege ferenda) für eine Revisibilität aussprechen; ebenso Jacobs, in: Stein/Jonas, §  545 Rn.  23. 58  Siehe §  7 C. I. 1. c) cc) sowie §  7 B. II. 1. a) m.N. in Fn.  37, z. B. BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, NJW 2020, 466, 467 Rn.  12. 59  Soeben C. 60  Dazu schon A. sowie §  16 B. II. 2. 57 Überzeugend

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I. Orientierung am engen Anwendungsbereich der Vorgabe „iura novit curia“ Ausgehen lässt sich von der zur Beraterhaftung formulierten Anforderung, wonach ein Anwalt alle einschlägigen Rechtsnormen kennen bzw. ermitteln müsse, mögen diese auch speziell sein. 61 Damit ist jedoch für die problematischen Grenzbereiche des Rechtsbegriffs noch wenig gewonnen. Beachtung verdient die Annahme des BGH, die Geltung des Grundsatzes „iura novit curia“ entbinde den Rechtsanwalt im Prozess nicht von seiner Verpflichtung, „das Rechtsdickicht zu lichten“ und Fehlentscheidungen zu vermeiden.62 Der Satz „iura novit curia“ betreffe nur das Verhältnis von Gericht und juristisch nicht gebildeter Naturalpartei, während der Anwalt nach §  4 BRAO eine vergleichbare Qualifikation wie der Richter aufweisen müsse. 63 In diesen Ausführungen tritt die Wertung zutage, dass die Pflichten des Anwalts in Sachen Rechtskenntnis bzw. -ermittlung den entsprechenden Anforde­ rungen an den Richter in nichts nachstehen. Man könnte formulieren: „iura novit advocatus“.64 Diese Wertung überzeugt. Insbesondere angesichts der einheitlichen Juristenausbildung kann „vom Richter auf den Juristen generalisiert werden“. 65 Den Juristen als Gruppe kommt die Aufgabe zu, Laien das Recht zu vermitteln.66 Das legt einheitliche Maßstäbe nahe. Die These einer Gleichbehandlung lässt sich durch den Hinweis stützen, dass auch Gerichte – neben Anwälten, Notaren etc.  – von Gesetzes wegen eine Intermediärsfunktion wahrnehmen; diese erfährt gerade im Grundsatz „iura novit curia“ eine Ausprägung. 67 So ist im Ansatz ein handhabbarer Maßstab gefunden: In institutionalisierter Weise steht Rechtsrat zumindest für diejenigen Bereiche zur Verfügung, in denen auch ein Richter über entsprechendes Wissen verfügen muss. Diese Maßgabe ließe sich allerdings noch in verschiedene Richtungen deuten. Man könnte wiederum darauf abstellen, dass der betroffene Gegenstand nicht dem Verhandlungsgrund­ satz unterfällt, sondern von Amts wegen zu berücksichtigen ist.68 Allein damit wäre jedoch nicht gesagt, dass der Richter für das entsprechende Wissen selbst ver­ antwortlich ist. Soweit ihm gestattet ist, zur Ermittlung auf den Sachverständigen­ beweis zurückzugreifen, besteht gerade keine normative Wissenserwartung. Das zeigt sich schon an den Kostenfolgen: Die rechtliche Beurteilung im engeren Sinne ist für die Parteien durch die regulären Gerichtskosten abgedeckt, die sachverstän­ dige Unterstützung verursacht weitere Kosten. 69 Welche Expertise das deutsche 61 

Siehe oben §  3 A. III. 2. a) m.N. in Fn.  193. BGH, Urt. v. 10.12.2015 – IX ZR 272/14, NJW 2016, 957, 958 Rn.  8; vergleiche zudem bereits §  3. A. III. 2. a) m.N. in Fn.  206. 63  BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987, 988 Rn.  14. 64 So Römermann, NJW 2009, 2924, 2924–2925. 65  Treffend (im Zusammenhang mit dem Gebot der Normenklarheit) Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 69; vergleiche zur Ausbildung der Intermediäre auch §  3 A. III. 2. a). 66  Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 69. 67  Vergleiche §  3 A. III. 2. b). 68  So soeben schon C. II. 69  Siehe etwa M. Huber, in: Musielak/Voit, §  293 Rn.  14; Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  70, zur Ermittlung ausländischen Rechts. 62 

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7. Teil: Synthese

Recht von einem Rechtskundigen erwartet, lässt sich demnach präziser danach be­ urteilen, ob der betroffene Gegenstand dem engen Anwendungsbereich des Grund­ satzes „iura novit curia“ unterfällt, in dem der Richter nicht auf Kosten der Parteien nach Art einer Beweiserhebung vorgehen darf.

II. Anwendung des Maßstabs Legt man den umschriebenen Maßstab zugrunde, gelangt man zu folgenden Ergeb­ nissen: Bei Anwälten kann man wie bei Richtern Kenntnisse des inländischen Rechts einschließlich des transformierten Völkerrechts und des EU-Rechts erwar­ ten.70 Auch die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen ist – trotz der eingeschränkten Revisibilität – Sache des Richters.71 Insoweit wird von den hier be­ trachteten Intermediären also eigene Fachkunde erwartet. Folglich hat ein Verzugs­ schuldner Auslegungsfehler, ohne Rücksicht auf ein Verschulden, im Sinne von §  286 Abs.  4 BGB zu vertreten. Ebenso wenig hindert eine fehlerhafte Vertragsausle­ gung durch den Gläubiger den Beginn der Verjährung nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Anders liegen die Dinge bei Irrtümern über ausländisches Recht. Zwar ist auch dieses von Amts wegen zu ermitteln, der Richter darf jedoch auf sachverständige Hilfe zurückgreifen (§  293 ZPO).72 Dazu passt es, dass die Rechtsprechung zur Beraterhaftung eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt, soweit es um eine Ver­ pflichtung des Beraters zur Kenntnis ausländischer Normen geht.73 Allerdings sei ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht von der Verpflichtung befreit, „sich die für die Ausführung des ihm erteilten Auftrags erforderlichen Kenntnisse ausländi­ schen Rechts zu verschaffen“.74 Darin muss man keinen Wertungswiderspruch zu §  293 ZPO erblicken.75 Es gilt zu bedenken, dass der Anwalt darin frei ist, das Mandat abzulehnen oder zu beschränken, wenn ihn die Prüfung des ausländischen Rechts überfordert.76 Nimmt er es gleichwohl an, ist es ihm zumutbar, sich in die 70  Zum Richter bereits §  3. A. II. 1.; zum Rechtsanwalt OLG Koblenz, Urt. v. 9.6.1989 – 2 U 1907/87, NJW 1989, 2699, 2699–2700; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  517, 523, 533–534. 71  Vergleiche bereits §  3 B. IV. mit Fn.  271; besonders deutlich etwa BGH, Urt. v. 10.5.1989  – IVa ZR 66/88, NJW-RR 1989, 1282: Nur das der Würdigung zugrunde liegende Material ist mit Mitteln des Beweises festzustellen. 72  Siehe etwa Prütting, in: MüKo-ZPO, §  293 Rn.  29, sowie bereits §  3 A. II. 1. 73  Insb. durch Berücksichtigung eines Zumutbarkeitsvorbehalts (so z. B. bei LG München I, Urt. v. 14.1.2015 – 30 O 27783/13, ZEV 2016, 152, 154 Rn.  5) oder dadurch, dass dem deutschen Anwalt zugestanden wird, sich auf die Vorarbeiten eines ausländischen Kollegen zu verlassen (so BGH, Urt. v. 22.2.1972 – VI ZR 135/70, NJW 1972, 1044, 1044; noch weiter gehend Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.  527); so auch die Einschätzung von Grundmann, in: MüKo-­ BGB, §  276 Rn.  132; Kilian, ZEV 2016, 155. 74  BGH, Urt. v. 22.2.1972 – VI ZR 135/70, NJW 1972, 1044, 1044; ebenso Jungk, in: Borgmann/­ Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  45. 75  Auf diese denkbare Argumentation hinweisend etwa Kilian, ZEV 2016, 155; vergleiche auch Vollkommer/Greger/Heinemann, AnwHaftR, §  11 Rn.  16. 76  Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn.   531–532; Jungk, in: Borgmann/Jungk/ Schwai­ger, §  19 Rn.  45; Kilian, ZEV 2016, 155; allgemein bereits §  16 B. III.

§  18 Trennung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum

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Materie einzuarbeiten. Dieser Aspekt ist aber für die vorliegend zu beurteilende Frage unerheblich. Es kommt, wie angedeutet, auf eine abstrakt-normative Be­ trachtung dessen an, was Intermediäre an Rechtskenntnis vorhalten müssen. Der Umstand, dass es hierzulande sowohl Richter als auch Rechtsanwälte gibt, die über gute Kenntnis fremder Rechtsordnungen verfügen,77 ändert nichts daran, dass die deutsche Rechtsordnung solche Kenntnisse nicht zwingend erwartet. Eben dies folgt aus §  293 ZPO. Der Umstand, dass sich gegebenenfalls auch im Inland ohne großen Aufwand ein Kenner einer einschlägigen fremden Rechtsordnung finden lässt, kann im Rahmen einer Fahrlässigkeitsprüfung durchaus zu berücksichtigen sein. Nur die verschuldensunabhängige Unterstellung, rechtliche Erkenntnisse habe man auch bezüglich ausländischen Rechts „zu haben“, ist nicht gerechtfertigt. Ein starkes Indiz für die Richtigkeit dieser These liefert überdies §  17 Abs.  3 S.  2 BeurkG. Danach ist ein Notar – seinerseits ein wichtiger Intermediär 78 – von Ge­ setzes wegen nicht zur Belehrung über den Inhalt ausländischer Rechtsordnungen verpflichtet. Im Übrigen zeigt sich auch im Rechtsvergleich, dass die Risikozu­ weisung nach der Maxime „error iuris nocet“ verbreitet Einschränkungen erfährt, sofern es um fremdes Recht geht.79 Nicht zuletzt wird in der Diskussion um die Innenhaftung von Geschäftsleitern für Verstöße gegen die Legalitätspflicht80 eine Ausweitung des Haftungsfreiraums erwogen, sofern es um die Einhaltung auslän­ dischen Rechts geht. 81 Die Ausführungen zum ausländischen Recht sind gleichermaßen für die weite­ ren in §  293 S.  1 ZPO genannten Normen einschlägig. So sollen anwendbare Tarif­ verträge nicht einmal uneingeschränkt von Amts wegen zu berücksichtigen sein. 82 Eine eventuelle Ermittlung durch das Gericht unterfällt jedenfalls §   293 S.   2 ZPO.83 In der Konsequenz kann insoweit im Rahmen der §§  199 Abs.  1 Nr.  2, 280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB eine zutreffende Erkenntnis nicht verschuldensunab­ hängig unterstellt werden.84 Rechtsirrtümer über die in §  293 ZPO bezeichneten Normen hindern also – wie Tatsachenirrtümer – die Verjährung, sofern sie nicht 77 

Etwa infolge eines Auslandsstudienaufenthalts, M. Huber, in: Musielak/Voit, §  293 Rn.  3. Siehe §  3 A. III. 2. a). 79  Siehe die Nachweise bei Bolgar, Iowa L. Rev. 52 (1966/67), 626, 637 (USA); S. Wolf, Rechts­ irrtum, S.  13–15 (zu englischem, US-amerikanischem und indischem Recht) sowie S.  16–17 (aus Schweizer Perspektive zustimmend und auf die UNIDROIT PICC verweisend, wo in Kommen­ tar 1 zu Art.  3.2.1 [Definition of mistake] die Gleichstellung von Rechts- und Tatsachenirrtümern im Anfechtungsrecht auch damit begründet wird, dass gerade beim grenzüberschreitenden Han­ del besondere Probleme aufgrund einer fehlenden Vertrautheit mit fremden Rechtsordnungen aufträten); vergleiche auch zum deutschen Recht aus der Anfangszeit des BGB Oertmann, SeuffBl 67 (1902), 25, 28. 80  Allgemein zum (beschränkten) Vorbildcharakter oben §  16 D. III. 2. a). 81  Siehe etwa Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  111; für Gleichbehandlung allerdings K ­ aulich, Haftung, S.  260–261. 82  Siehe näher BAG, Urt. v. 29.3.1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37, 39 = NJW 1957, 1006 (Ls.); BAG, Urt. v. 12.7.1972 – 1 AZR 445/71, AP TVG §  4 Ausschlußfristen Nr.  51 (unter II. 2.). 83  BAG, Urt. v. 29.3.1957 – 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37, 39 = NJW 1957, 1006 (Ls.); BAG, Urt. v. 9.8.1995 – 6 AZR 1047/94, BAGE 80, 316 = NZA 1996, 994, 996; Saenger, in: Hk-ZPO, §  293 Rn.  5. 84  Dazu passt, dass offenbar auch im Anwaltshaftungsrecht wiederum gewisse Zurückhaltung 78 

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7. Teil: Synthese

grob fahrlässig sind. Im Rahmen der Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung be­ darf es zumindest einfacher Fahrlässigkeit. Der schlichte Rekurs auf das Vertreten­ müssen genügt nicht. Vergleichbares wie zu §  293 ZPO muss für den Irrtum über Normtatsachen gel­ ten.85 Diese sind zwar nach zutreffender Auffassung revisibel.86 Gleichwohl stößt der Verweis auf die institutionalisierte Verfügbarkeit von Rechtsrat auch hier an seine Grenzen. Soweit die Ermittlung solcher Tatsachen, etwa Verkehrssitten und Erfahrungssätze, überhaupt von Amts wegen zu erfolgen hat,87 darf das Ge­ richt jedenfalls sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen.88 Die Kenntnis bzw. eigenständige Ermittlung der Normtatsachen wird Richtern grundsätzlich nicht abverlangt. Diese (fehlende) Erwartungshaltung ist auch bei der Frage zu berück­ sichtigen, was von sonstigen Intermediären abstrakt-normativ verlangt werden kann. Ein Satz „Kenntnis von Normtatsachen hat man zu haben“ lässt sich dem­ nach nicht formulieren. Deshalb erweist es sich auch als zutreffend, dass fehlende Kenntnis (bzw. fehlende grob fahrlässige Unkenntnis) von maßgeblichen Gepflo­ genheiten89 oder Standards, etwa aus Industrie oder Medizin,90 den Verjährungs­ beginn nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB hindern soll. Wenn in diesem Kontext geäußert wird, die Feststellung des üblichen ärztlichen Vorgehens sei eine mit sachverständi­ ger Hilfe zu klärende Tatfrage,91 entspricht dies exakt der vorliegend präferierten Abgrenzung. Entgegengesetzt fällt das Ergebnis konsequenterweise aus, sofern es um die Pro­ gnose von Ermessensentscheidungen bzw. Schätzungen geht.92 Nach Ermittlung der zugrunde liegenden Tatsachen ist die entsprechende Bewertung (etwa im Rah­ men einer Mietminderung) Sache des Gerichts.93 Daher gilt insbesondere: Bezieht sich eine subjektive Fehlvorstellung lediglich auf das Ergebnis der Ermessensaus­ übung bzw. Schätzung, hat der Betroffene diesen Irrtum im Sinne von §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB zu vertreten. geübt wird ( Jungk, in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, §  19 Rn.  43; Vollkommer/Greger/Heinemann, AnwHaftR, §  11 Rn.  15 Fn.  53). 85  Für deren Ermittlung wird, wie bei §  3 B. IV. gesehen, ohnehin verbreitet auf §  293 ZPO verwiesen, siehe Konzen, in: FS Gaul, S.  335, 348; Oestmann, JZ 2003, 285, 289; Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 450. 86  Siehe soeben C. I. 87  Die besseren Gründe sprechen gegen eine Anwendung des Verhandlungsgrundsatzes, von der indes der BGH ausgeht, siehe soeben C. I. sowie oben §  3. B. IV. 88  Siehe dazu näher §  3. B. IV. m.N. in Fn.  277. In einer Kammer für Handelssachen erlaubt es die vorhandene kaufmännische Expertise, über das Bestehen von Handelsbräuchen aufgrund ei­ gener Sachkunde zu entscheiden (§  114 GVG). 89  Dazu BGH, Urt. v. 10.4.1990 – VI ZR 288/89, NJW 1990, 2808, 2809; zu wirtschaftlichen Zusammenhängen ebenso BGH, Urt. v. 3.6.2008 – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576, 2578 Rn.  27; BGH, Urt. v. 11.9.2014 – III ZR 217/13, WM 2015, 445, 447 Rn.  15. 90 Dazu Spindler, in: BeckOK-BGB, §  199 Rn.  31; dagegen indes Schmidt-Räntsch, in: Erman, §  199 Rn.  18b. 91  Nassall, NJW 2014, 3681, 3684. 92  Zu diesen soeben unter C. II. 93  Vergleiche nur Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, §  536 BGB Rn.  520.

8. Teil

Rechtspolitischer Ausblick unter Berücksichtigung technologischer Entwicklungen In der vorstehenden Synthese wurde die Behandlung anspruchsbezogener Rechts­ irrtümer durch das geltende Recht umfassend beleuchtet. Es hat sich gezeigt, dass die lex lata ein System vorhält, das in sich weitgehend schlüssig ist. Dieser Befund besagt nicht, dass in rechtspolitischer Hinsicht kein Optimierungspotenzial be­ stünde. Diesem soll im Folgenden nachgespürt werden. Dabei geht es darum, die Wertungen, die der aktuellen Rechtsirrtumsdogmatik zugrunde liegen, auf ihre Überzeugungskraft hin zu überprüfen und zu evaluieren, inwiefern sie in taug­ licher Weise umgesetzt werden. Darüber hinaus sollen, wo möglich, denkbare Aus­ wirkungen des technologischen Fortschritts antizipiert und in die Erwägungen eingestellt werden. Über die künftigen Entwicklungen, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, lässt sich zum Teil nur spekulieren. Die Betrachtung möchte aber zumindest ein Problembewusstsein für bestimmte Aspekte schaffen, deren Relevanz für die Rechtsirrtumsproblematik sich abzeichnet. Die Auswirkungen technologischen Fortschritts im juristischen Kontext sind dabei eng verbunden mit dem Schlagwort „Legal Tech“. Dieses fungiert als Sammelbegriff für verschiedene informations­ technische Anwendungen im Bereich juristischer Tätigkeiten.1 Die Vorteile wer­ den im Potenzial für Arbeits- und Kostenerleichterungen gesehen.2 Moderne Technik kann vor allem bei der Prozessrisikoanalyse helfen; auf Basis des zur Ver­ fügung stehenden Datenmaterials lassen sich Gerichtsentscheidung prognosti­ zieren.3 Vielfach erleichtert die Technik vor allem die Tatsachenerfassung, etwa durch automatische Sichtung umfangreichen Datenmaterials.4 Doch auch über die rechtliche Bewertung lassen sich unter Rückgriff auf frühere Entscheidungen und weiteres Material Prognosen abgeben.5 Ein Beispiel für die Nutzung solcher 1  Hoch, AcP 219 (2019), 646, 648 (Darstellung von aktuellen Anwendungsfeldern bei 648–652); Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 15–17; J. Wagner, Legal Tech, S.  2 (zu Grundlagen S.  2–17, zu Anwendungsfeldern S.  19–53). 2  Fries, NJW 2016, 2860, 2861; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17; J. Wagner, Legal Tech, S.  77. 3  Fries, NJW 2016, 2860, 2863 (auch zur Nutzung durch Rechtsschutzversicherungen); Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 16. 4  Hoch, AcP 219 (2019), 646, 649–651; J. Wagner, Legal Tech, S.  43–44. 5  Siehe etwa J. Wagner, Legal Tech, S.  48 (zu sogenannten „Rechtsgeneratoren“). Nicht über­ sehen werden sollte im Übrigen der schon heute bestehende erhebliche Einfluss der Suchalgorith­ men der großen juristischen Datenbanken, siehe nur Fries, NJW 2016, 2860, 2863.

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

Systeme liefern Anbieter, die im Bereich der Fluggastentschädigung die Angaben von Kunden prüfen und bei hinreichender Erfolgsaussicht die Durchsetzung über­ nehmen. 6 Andere Unternehmen befassen sich etwa mit der Anspruchsgeltendma­ chung gegenüber Lebensversicherern.7 Der BGH hat am Maßstab des RDG die Zulässigkeit eines Geschäftsmodells bejaht, das Mietern erlaubt, Ansprüche wegen Verstößen gegen die sogenannte Mietpreisbremse zu realisieren: Mieter können eine eventuelle Anspruchsberechtigung über die Eingabe weniger Daten auf einer Webseite automatisiert überprüfen lassen und Rückzahlungsansprüche an den An­ bieter abtreten, der diese – ohne Kosten für den Mieter, aber gegen Einbehalt einer Provision im Erfolgsfall – durchsetzt.8 Neben solchen Anwendungsmöglichkeiten lässt sich die Erstellung automatisierter Schlichtungsvorschläge, etwa im Bereich der Online Dispute Resolution,9 und sogar bindender Entscheidungen andenken.10 Als technische Grundlage11 spielt die auf Algorithmen12 basierende künstli­ che Intelligenz die zentrale Rolle. Diese entwickelt in Nachbildung menschlichen Lernverhaltens – Machine Learning – auf Basis von Trainingsdaten (Ausgangsda­ ten und Lösungen) durch Wiederholung Erfahrungen im Umgang mit bestimmten Problemen.13 Erleichtert wird dies durch Datenverarbeitungskapazitäten, die es heutzutage ermöglichen, „bislang undurchdringliche Datenhaufen“ zu sichten.14 Durch den Einsatz künstlicher neuronaler Netze wird das sogenannte Deep Learning ermöglicht: Diese soll dazu führen, dass Systeme ihre eigenen Programme in „kreativer“ Weise fortentwickeln.15 In solchen Zusammenhängen kann sich aller­ dings das „Black-Box-Problem“ ergeben: Für den Menschen sind die Lernvorgänge nach derzeitigem Stand vielfach nicht nachvollziehbar.16 Im juristischen Kontext erweist sich neben der semantischen Komplexität vor allem das Bestehen von Auslegungs- bzw. Wertungsspielräumen als Herausfor­ derung für den Einsatz maschinellen Lernens.17 Für Zwecke der Rechtsberatung dürfte die wesentliche Schwierigkeit nicht darin liegen, dass wegen der genannten 6 

Fries, NJW 2016, 2860, 2863; Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334, 336. Dazu beispielsweise Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 332. 8  BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208; BGH, Urt. v. 8.4.2020 – VIII ZR 130/19, NJW-RR 2020, 779; siehe bereits §  3 A. III. 2. b). 9  Siehe etwa Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17; Rühl, JZ 2020, 809, 811; J. Wagner, Legal Tech, S.  33–34. 10  Siehe etwa Engel, JZ 2014, 1096, 1100 (jedenfalls vorläufige Entscheidungen); Hoffmann-­ Riem, AöR 142 (2017), 1, 17; Rühl, JZ 2020, 809, 814–817; dazu gleich noch im Text. 11  Für Grundlagen zum Folgenden siehe J. Wagner, Legal Tech, S.  56–71; knapper Hoch, AcP 219 (2019), 646, 653–658; Zetzsche, AG 2019, 1, 5. 12  Zum Begriff siehe Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 1–2 („eine eindeutige Handlungs­ vorschrift […], die dafür eingesetzt wird, bestimmte Probleme in definierten Einzelschritten zu lösen“); Zetzsche, AG 2019, 1, 5. 13  Hoch, AcP 219 (2019), 646, 655; J. Wagner, Legal Tech, S.  63; Zetzsche, AG 2019, 1, 5. 14 So Zetzsche, AG 2019, 1, 3, zu „Big Data“. 15  Zum Ganzen Hoch, AcP 219 (2019), 646, 656; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 2. 16 Dazu Hoch, AcP 219 (2019), 646, 656 m. w. N.; siehe auch Greco, RW 2020, 29, 42–46, 51–52. 17  Hoch, AcP 219 (2019), 646, 659; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17; J. Wagner, Legal Tech, S.  70. 7 

8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

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Spielräume allenfalls die Entscheidungsprognose, nicht dagegen die „Rechtsfin­ dung“18 möglich sein soll.19 Denn auch im Übrigen lässt sich eine Beurteilung der Rechtslage durch einen anderen als den Entscheider als Prognose der künftigen Entscheidung verstehen.20 Die Abbildung von (wahrscheinlichen) Wertungsent­ scheidungen in einem Beratungsszenario ist demnach nicht ausgeschlossen.21 Äu­ ßerst problematisch ist dagegen, ob die auf Basis solcher Technik erreichten Rechts­ einschätzungen auch als bindende Entscheidungen Anerkennung finden können. Es geht letztlich um die Frage, ob auch ein „Subsumtionsautomat“22 Recht spre­ chen kann. Lässt sich die juristische Entscheidungsfindung mit ihrer Kontext­ abhängigkeit 23 und der potenziellen Existenz mehrerer vertretbarer Lösungen 24 durch Algorithmen abbilden?25 Würde hier, die technische Umsetzbarkeit unter­ stellt, Rechtsfindung nicht bloß ­ simuliert?26 Noch grundlegender formuliert: ­Dürfen wir menschliche Richter durch solche Entscheidungsmechanismen erset­ zen?27 Nicht Rechtsentscheidung bzw. -beratung, sondern vorausschauende Rechtsge­ staltung steht hingegen beim Einsatz von sogenannten Smart Contracts im Mittel­ punkt. Dahinter verbergen sich trotz der irreführenden Bezeichnung28 (Compu­ ter-)Programme. Diese setzen, grob umschrieben, formulierte Regeln automatisch um, sobald vorab definierte Ereignisse eintreten (was gegebenenfalls über ver­ knüpfte Datenquellen erkannt wird).29 Die Diskussion um Smart Contracts ist 18  Diesen Begriff nutzt Hoch, AcP 219 (2019), 646, 652, außerhalb von rechtlichen Entschei­ dungen. 19  So aber wohl das Verständnis von Hoch, AcP 219 (2019), 646, 699. 20  Siehe oben §  4 A. und B. 21 Auch Engel, JZ 2014, 1096, 1098–1099, geht davon aus, dass die Probleme sich verringern, wenn „Rechtsfindung unterhalb der Schwelle der Rechtserzeugung“ (Herv. im Orig.) stattfindet; vergleiche auch Enders, JA 2018, 721, 723; Rühl, JZ 2020, 809, 815; unter diesem Blickwinkel op­ timistisch Römermann, NJW 2020, 2678, 2682 Rn.  37–38. 22  Zu seiner heutigen Bekanntheit hat dem Begriff v. a. das Werk von Regina Ogorek, Richter­ könig oder Subsumtionsautomat? – Zur Justiztheorie im 19.  Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, verholfen (zur Begriffsgeschichte ausführlich Clara Günzl, Subsumtionsautomaten und -maschi­ nen, JZ 2019, 180). Im hier betroffenen Kontext auf den Begriff zurückgreifend etwa Greco, RW 2020, 29, 48; Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334, 339; Kotsoglou, JZ 2014, 451. 23  Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17. 24  Siehe oben §  3 A. I.; vergleiche im vorliegenden Kontext auch Kotsoglou, JZ 2014, 451, 453. 25  Problemüberblick bei Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334, 334 und 337; Rühl, JZ 2020, 809, 814–817; skeptisch Enders, JA 2018, 721, 725; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17; Kotsoglou, JZ 2014, 451, insb. 455; zumindest hinsichtlich der Überwindung technischer Schwierigkeiten zuversichtlich Fries, NJW 2016, 2860, 2862; Greco, RW 2020, 29, 32–46; für eine Erprobung im Kostenfestsetzungsverfahren AG Modernisierung, Thesenpapier, S.  4. 26  Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17, spricht von „imitieren“. 27 Eingehend Greco, RW 2020, 29, 46–61; siehe auch Duve/Zollitsch, AnwBl 2020, 486, 488– 489; Markou/Deakin, Machina, S.  29–30. 28  Siehe etwa Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 259. 29  Vergleiche die entsprechenden Beschreibungen bei Fries, AnwBl 2018, 86, 86 m. w. N. in Fn.  2 ; Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 260–261; D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 433–434; Wilhelm, WM 2020, 1807, 1808–1809.

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

eng mit dem Aufkommen der Blockchain-Technologie verknüpft.30 Die Grund­ idee ist indes nicht daran gebunden.31 Als Anwendungsbeispiel genannt werden vor allem automatisch ausgelöste technische Zugangssperren bezüglich eines gemiete­ ten bzw. auf Raten gekauften Gegenstands, sobald der Kunde in Verzug gerät.32 Auch anderswo ließe sich die Erfüllung von Primärpflichten technisch von der Er­ füllung der Gegenleistung abhängig machen.33 Als weiteres Anwendungsfeld wird verbreitet auf Schadensersatzzahlungen bzw. Minderungsrechte verwiesen, die au­ tomatisch ausgelöst werden, sobald bestimmte gemessene Parameter (nicht mehr) erfüllt sind. Erwähnung finden zum Beispiel die automatische Entschädigung von Gläubigern im Fall der Zuspätlieferung34 bzw. von Passagieren bei Verspätung von Verkehrsmitteln,35 die Rückzahlung eines Kaufpreisanteils bei registrierter Stö­ rung des gekauften Smart Products36 und die Mietminderung bei Absinken der Raumtemperatur unter einen bestimmten Wert.37 Auch in anderen Lebensberei­ chen erscheint der Einsatz denkbar.38 Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zur Unwirksamkeit bestimmter Vertragsabreden könnte automatisch in allen betroffe­ nen Vertragsbeziehungen umgesetzt werden.39 Sogar deliktische Schadensersatzan­ sprüche sollen sich – bei Messung aller relevanten Unfalldaten – auf automatischem Weg vorläufig regulieren lassen.40 Insgesamt verspricht man sich vom Einsatz von Smart Contracts Effizienzgewinne.41 Das Pflichtenprogramm wird in solchen Fäl­ len von selbst vollzogen, ohne dass es des Rückgriffs auf staatliche Organe bedarf.42 Zum Teil werden Smart Contracts allerdings nur dort für geeignet gehalten, wo sich die Voraussetzungen für bestimmte Rechtsfolgen mithilfe von verfügbaren Daten nahezu sicher prüfen lassen.43 Soweit Wertungsfragen, etwa ein Verschulden oder eine richterliche Ermessensentscheidung nach §  287 ZPO, eine Rolle spielten, sei der Einsatz von Smart Contracts, jedenfalls beim heutigen Stand der Entwick­

30 Ausführlich D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 433, 435–438; ferner Fries, AnwBl 2018, 86, 86; Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 261. 31  Fries, AnwBl 2018, 86, 86; D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 433. 32  Fries, NJW 2019, 901, 902, 905; Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 262, 264; C. G. Paulus/Matzke, CR 2017, 769, 772, 773. Zu denken ist etwa an die Sperrung von Geräten, deren Funktionieren von einem Internetzugang abhängig ist über die Internetverbindung, oder physisch wirkende „Smart Locks“, D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 434, 463; Riehm, in: Smart Contracts, S.  85, 86. 33  Siehe etwa Fries, NJW 2016, 2860, 2861 (Heizöl); Riehm, in: Smart Contracts, S.  85, 86 (Gas). 34  Zu Vertragsstrafen Fries, AnwBl 2018, 86, 86; allgemein zu Zuspät- bzw. Schlechtleistung D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 434, 462. 35  Fries, NJW 2019, 901, 902; Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018; Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 262. 36  Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 37  Fries, NJW 2019, 901, 902. 38  Zu denkbaren Einsatzgebieten Wilhelm, WM 2020, 1807, 1809. 39  Etwa betreffend Bankentgelte, siehe Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 40  Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 41 Siehe Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 263. 42  Fries, AnwBl 2018, 86, 86; Fries, NJW 2019, 901, 902. 43  Fries, NJW 2019, 901, 902.

8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

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lung künstlicher Intelligenz, kaum denkbar.44 Andere Stimmen scheinen die auto­ matische Zuweisung durch Smart Contracts hingegen vornehmlich als vorläufige Weichenstellung zu verstehen, die schon dann möglich sei, wenn eine bestimmte materielle Rechtslage hinreichend wahrscheinlich sei.45 Welche Auswirkungen die dargestellten Entwicklungen im Bereich „Legal Tech“ auf die Rechtsirrtumsproblematik haben könnten und wo darüber hinaus Verbes­ serungspotenzial schlummert, soll im Folgenden anhand der bereits bekannten Aufteilung untersucht werden: Zunächst wird die Ebene des schädlichen Erkennt­ nisgrades in den Blick genommen (§  19), sodann steht die Vorwerfbarkeitsprüfung im Fokus (§  20).

44  C. G. Paulus/Matzke, CR 2017, 769, 772 (z. B. Minderung, Schmerzensgeld); D. Paulus/ Matzke, ZfPW 2018, 431, 463; siehe auch Wilhelm, WM 2020, 1807, 1810. 45  So insb. Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018; auch das oben genannte Beispiel von Fries, NJW 2019, 901, 902, bezieht sich gerade auf die Mietminderung. Dagegen halten die soeben in Fn.  4 4 Genannten gerade die Minderung für problematisch.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades Für die Behandlung rechtlicher Ungewissheit – die Frage des schädlichen Erkennt­ nisgrades – sind dem geltenden Recht drei wesentliche Wertungen entnommen worden:1 Es sollen Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen gesetzt werden (dazu im Folgenden B.), Streitverhalten soll sanktioniert werden, sofern es nicht unter einstweiligem Verzicht auf den streitbefangenen Gegenstand erfolgt (dazu C.), und bei plötzlichen Änderungen der höchstrichterlichen Judikatur soll Vertrauens­ schutz gewährt werden (dazu zunächst A.). Es gilt zu untersuchen, ob diese Wer­ tungen überzeugen und auch künftig in der Rechtsordnung verankert sein sollten. Soweit dies zu bejahen ist, ist zu evaluieren, inwieweit diese Wertungen bereits optimal verwirklicht werden.

A. Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderungen Rasch abhandeln lässt sich der Aspekt des Vertrauensschutzes bei Umschwüngen in der höchstrichterlichen Judikatur. Die dahinterstehende Wertung wird in über­ zeugender Weise aus dem Verfassungsrecht abgeleitet.2 Es hat sich gezeigt, dass be­ reits de lege lata überwiegend ausreichende Möglichkeiten bestehen, sie im einfa­ chen Recht zu berücksichtigen. Entgegen der jeweils vorherrschenden Ansicht bieten sowohl das Prozesskosten­ recht der §§  91 ff. ZPO als auch die Haftungsvorschriften der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO Raum für Vertrauensschutz, sofern das maßgebliche Verhalten des Irrenden in der objektiv nachvollziehbaren Annahme erfolgte, praktisch sicher im Recht zu sein.3 Man könnte allenfalls daran denken, entsprechende Klarstellungen gesetz­ lich zu verankern. Dies erübrigte sich indes insoweit, wie im Bereich der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO bereits aus anderen Gründen eine Abmilderung der Haftung vor­ zunehmen wäre.4 Im Bereich des Prozesskostenrechts erscheint der hier vorge­ schlagene Rückgriff auf die Instrumente der Erledigungserklärung bzw. des sofor­ tigen Anerkenntnisses sachgerecht, weil diese den Irrenden zugleich von den Par­ teikosten entlasten. Der jeweilige Gegner hat schließlich einen ex ante aussichtslosen 1 

Siehe §  15 A. II. Siehe §  3 A. II. 3. 3  §  15 A. II. 3. d)–e). 4  Dazu unten C. I., III. 2 

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

Prozess angestrengt und ist nicht schutzwürdig.5 Offensichtliche Ansatzpunkte für entsprechende gesetzliche Klarstellungen, etwa in §§  91a, 93 ZPO, bieten sich angesichts des dort nur lose vorgegebenen Prüfungsprogramms nicht. Man könnte allenfalls im Gerichtskostenrecht den Ausnahmetatbestand des §  21 Abs.  1 S.  3 GKG6 deutlicher auf Fälle des Prozessverlustes erstrecken, in denen zu Prozess­ beginn die höchstrichterliche Judikatur eindeutig in Richtung eines Erfolgs des später Unterlegenen deutete. Dafür ließe sich gegebenenfalls mit dem Vokabular des §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO arbeiten, der von einer „wesentliche[n] Veränderung der […] zugrunde liegenden […] rechtlichen Verhältnisse“ spricht und damit auch den Fall der Judikaturwende erfassen möchte.7 Mit Blick auf den Vertrauensschutzgedanken erscheint lediglich an einer Stelle eine Gesetzesänderung zwingend erforderlich. Der verklagte Schuldner, um dessen Erfolgsaussichten es vor der Judikaturwende noch bestens bestellt war, hätte die Schuld nach §  291 BGB in gleicher Höhe zu verzinsen wie ein Verzugsschuldner, obwohl ein Verzug wegen §  286 Abs.  4 BGB ausgeschlossen wäre. Das ist, wie oben festgestellt, nicht sachgerecht. 8 Diese Belastung sollte aufgehoben werden.

B. Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen Die Unbeachtlichkeit (auch objektiv berechtigter) rechtlicher Zweifel für den Ver­ jährungsbeginn, wie sie §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB zum Ausdruck bringt, lässt sich in sinnvoller Weise nur mit dem Anliegen erklären, Anreize zur Klärung offener Rechtsfragen zu setzen; spiegelbildlich erklärt sich die Haftungsprivilegierung des zweifelnden Putativgläubigers.9

I. Zustimmungswürdigkeit des Ziels unter besonderer Berücksichtigung künftigen Datenbedarfs Das Anliegen verdient im Grundsatz Zustimmung. Die Förderung der Klärung rechtlicher Zweifelsfragen sollte als Motiv auch künftig beibehalten werden. Wie oben betont, müssen Gerichte hinreichende Gelegenheiten erhalten, das Recht im Interesse der Allgemeinheit zu konkretisieren und fortzubilden.10 Dies setzt vor­ aus, dass sie mit ausreichendem „Fallmaterial“11 versorgt werden. Diese Gedanken könnten in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Gerichtliche Entscheidungen über zweifelhafte Rechtsfragen bieten nicht nur den Rechtsunterworfenen Orien­ 5 

Siehe §  15 A. II. 3. d). Zu dessen möglicher Funktion v. a. §  10 C. I. 2. d) cc). 7  Siehe oben §  14 C. II. 2. b) unter Verweis auf Begr. RegE FGG-RG, BT-Drs. 16/6308, 325 i. V. m. 257. 8  Zur Kritik §  11 C. I. 1. unter Bezugnahme v. a. auf Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1392. 9  Zusammenfasend §  15 A. II. 1. a) aa)–bb). 10  §  7 C. I. 1. c) dd) und §  15 A. II. 1. 11  Gaier, NJW 2016, 1367, 1370. 6 

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tierung. Sie sind zugleich als „Futter“ für Legal-Tech-Anwendungen unerlässlich. Die mit solchen Anwendungen im Idealfall verbundene Kosten- und Aufwandser­ sparnis lässt sich nur dann erreichen, wenn zuverlässige Programme entwickelt werden. Möchte man Machine Learning einsetzen, müssen genügend Daten zur Verfügung stehen, anhand derer das System lernen kann.12 Im Bereich der Rechts­ beratung ist es daher elementar, dass vielfältiges Material in Form von Gerichtsent­ scheidungen zur Verfügung steht, anhand dessen erlernbar wird, wie aus Sachver­ halten auf bestimmte Rechtsfolgen geschlossen wird.13 Es erscheint ohne Weiteres einsichtig, dass die Behandlung von Grenz- und Zweifelsfällen, von Variationen bekannter Muster und von innovativen Argumenten besonderen Wert aufweist.14 Eine Versorgung damit ist nur dann sichergestellt, wenn hinreichende Anreize be­ stehen, gerade solche Fälle vor die Gerichte zu bringen. Die Frage ist also nicht, ob Rechtsfragen im Allgemeininteresse einer gericht­ lichen Klärung zugeführt werden sollen, sondern in welchem Umfang dies gesche­ hen muss, um die Gesamtwohlfahrt zu steigern.15 Dass eine gerichtliche Rechts­ klärung nicht um jeden Preis gewollt sein kann, wurde bereits festgestellt: Das geltende Recht enthält insoweit teils gegenläufige Wertungen.16 Aus deren Reihe überzeugt die in §  114 ZPO zutage tretende Aussage, dass Prozesse mit nur theore­ tischen Erfolgsaussichten nicht förderungswürdig sind. Hier geht es um eine Scho­ nung von Gerichts- wie Gegnerressourcen.17 In diese Richtung wirkt auch die vorrangige Veranlassung zur außergerichtlichen Streitbeilegung.18 Größere Skep­ sis verdient demgegenüber die Entscheidung des Gesetzgebers, die Prozesskosten­ pflicht grundsätzlich am Unterliegen im Prozess auszurichten.19 Ob hiermit An­ reiz und Hemmung in einem optimalen Verhältnis austariert sind, ist im Folgenden besonders kritisch zu hinterfragen. Auch darüber hinaus ist zu untersuchen, ob das grundsätzlich zu befürwortende Ziel einer Rechtsklärung bereits de lege lata in bestmöglicher Weise verfolgt wird.

II. Defizite des aktuellen Modells Es erscheint zweifelhaft, ob mit der derzeit praktizierten Kombination aus verjäh­ rungsrechtlicher Strenge, Privilegierung der Anspruchsgeltendmachung und Sank­ 12  Konkret zur Schaffung von „Legal Robots“ J. Wagner, Legal Tech, S.  71; allgemein Hoch, AcP 219 (2019), 646, 655; Markou/Deakin, Machina, S.  16–17. 13  Duve/Zollitsch, AnwBl 2020, 486, 488; Suliak, Legal Tribune Online v. 24.2.2018; J. Wagner, Legal Tech, S.  72. 14 Vergleiche Markou/Deakin, Machina, S.  25–26, 33 (gerade auch zu Ähnlichkeiten bei der Evolution rechtlicher Regeln und dem Machine Learning). 15  Siehe abermals die bei §  10 C. I. 1. b) bb) (3) zitierte Frage von Nöhre, AnwBl 2019, 91, 92: „Wie viel staatliche Zivilklagen pro Einwohner will, braucht und verträgt ein demokratischer Rechtsstaat überhaupt?“ 16  Zum Folgenden §  15 A. II. 1. c). 17  Siehe näher §  15 A. II. 1. c) aa). 18  Dazu §  15 A. II. 1. c) bb). 19  Dazu §  15 A. II. 1. c) cc).

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tionierung des säumigen Schuldners das optimale Anreizkonzept gefunden ist. Bedenken bestehen sowohl hinsichtlich der Effektivität (dazu 1.) als auch bezüglich der Effizienz (2.) sowie der einhergehenden Lastenverteilung (3.). 1. Effektivität Unter ökonomischen Gesichtspunkten hängt die Attraktivität einer Klageerhe­ bung (insbesondere gegenüber der Alternative eines Vergleichsschlusses20) wesent­ lich vom Erwartungswert ab:21 Zu errechnen ist zuerst das Produkt aus dem Wert des fraglichen Anspruchs und der Erfolgswahrscheinlichkeit in Prozent. Von die­ sem Produkt sind solche Kosten abzuziehen, die auch im Erfolgsfall vom Gegner nicht zu erstatten wären, 22 zum Beispiel besondere Beratungskosten, Finanzie­ rungskosten und Zeitaufwand.23 Um den Nettonutzen der Prozessführung zu er­ mitteln, ist der berechnete Wert zu vergleichen mit dem Produkt aus den Prozess­ kosten 24 (zuzüglich einer denkbaren Schadensersatzpflicht des Putativgläubigers) und der Wahrscheinlichkeit eines Unterliegens.25 Die Wirkung des Verjährungsrechts beschränkt sich, wie bereits angeklungen, 26 darauf, dass der Bestand des möglichen Anspruchs mit fortschreitender Zeit auf dem Spiel steht. Am Inhalt der beiden Waagschalen der genannten Vergleichsrech­ nung ändert sich im Grundsatz nichts. Der Gläubiger wird lediglich gezwungen, die Abwägung zeitnah vorzunehmen und eine ökonomisch vorteilhaft erscheinen­ de Anspruchsverfolgung nicht – etwa in der Hoffnung auf eine künftige Verbesse­ rung der Erfolgswahrscheinlichkeit – aufzuschieben. Ansonsten läuft er Gefahr, die Gewinnchance endgültig zu verlieren. Damit treten zugleich die Grenzen der Anreizwirkung des Verjährungsrechts offen zutage: Im Wesentlichen sorgt dieses dafür, dass es zu einer Anspruchsgeltendmachung früher kommt als ohne Verjäh­ rungsdruck. Nicht erhöht wird hingegen die Wahrscheinlichkeit, dass es als Folge der Geltendmachung gerade zu einer gerichtlichen Entscheidung – anstelle eines 20  Dass es nicht zu vorgerichtlichen Vergleichen kommt, erklärt sich durch die Inkongruenz der Prognosen beider Seiten, siehe eingehend Adams, Analyse, S.  17–22; auch Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 7; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 9–11. 21 Dazu Adams, Analyse, S.  6 –9; Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 8–10; Risse/Morawietz, Pro­ zessrisikoanalyse, S.  75, 78–79; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 8. 22 Bewusst vereinfachend blenden Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.   81 mit Fn.  75, S.  139 mit Fn.  117, aus, dass eine Erstattung denkbar ist. 23 Zu solchen Kosten etwa Adams, Analyse, S.   49–52, 63–65; K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  110. Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  75–76 Fn.  69, lassen diese Kosten der Einfachheit halber weitgehend außen vor. Auch ist ggf. eine Abzinsung vorzunehmen, wenn selbst bei einem Obsiegen erst mit einer verzögerten Anspruchsverwirklichung zu rechnen ist, siehe Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 11. 24  Hier wären neben den eigenen (vom Gegner dann regelmäßig nicht zu erstattenden Kosten) v. a. die Gerichtskosten und die zu erstattenden gegnerischen Kosten zu berücksichtigen; aus Ver­ einfachungsgründen nur die erstgenannten Kosten berücksichtigend Risse/Morawietz, Prozess­ risikoanalyse, S.  86–87 mit Fn.  77 (vergleiche zudem S.  131). 25  Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 12; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 8. 26  Siehe oben §  7 C. I. 1. c) dd).

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vorgerichtlichen Vergleichsschlusses – kommt. Die Haftungsprivilegierung des Anspruchstellers verringert demgegenüber das Gewicht der zweitgenannten Waag­ schale: Die Nachteile einer Anspruchsgeltendmachung im Fall des Unterliegens werden begrenzt. Auch hierdurch wird aber zunächst nur wahrscheinlicher, dass der Anspruch überhaupt geltend gemacht wird, nicht dass es infolgedessen gerade zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Zugleich macht die strikte Schuldnerhaf­ tung bei Rechtszweifeln eine Streitaustragung durch Leistungsverweigerung für den in Anspruch Genommenen unattraktiver – die zweite Waagschale füllt sich aus seiner Sicht. Unter Anreizgesichtspunkten ist dies hinnehmbar, weil sich durch die Aussicht auf eine Haftung des säumigen Schuldners zugleich für den potenziellen Gläubiger der Inhalt der ersten Waagschale vergrößert: Im Fall eines Obsiegens stehen ihm zusätzliche Schadensersatzansprüche zu.27 Bei isolierter Betrachtung, insbesondere bei im Übrigen exakt gleichem Informationsstand der Parteien,28 dürfte sich hierdurch aber lediglich das Ergebnis eines abzuschließenden außerge­ richtlichen Vergleichs zugunsten des potenziellen Gläubigers verschieben. Eine ge­ richtliche Klärung wird wiederum nicht wahrscheinlicher.29 Zweifel an der Effektivität des beschriebenen Modells weckt vor allem der Um­ stand, dass es wesentliche Faktoren, die für die Attraktivität einer rechtlichen Klä­ rung wichtig sind, außen vor lässt. Das ist im Kontext des Verjährungsrechts ange­ klungen.30 Insbesondere bei geringen Streitwerten mag es für Anspruchsinhaber selbst bei guten Erfolgsaussichten rational sein, untätig zu bleiben, weil der Auf­ wand prohibitiv hoch ausfiele (sogenannte rationale Apathie).31 Dabei ist auch der psychologische und soziale „Aufwand“ einzupreisen.32 Bei geringem Streitwert kann schnell das Kostenrisiko außer Verhältnis zur Anspruchshöhe stehen.33 Bei hohen Streitwerten mag zwar die Gebührendegression eine Geltendmachung at­ traktiver erscheinen lassen.34 Hier kann sich jedoch die drohende absolute Kos­ 27 

Siehe oben §  15 A. II. 1. b) bb). Zur Inkongruenz der Prognose als Ursache für Prozesse soeben oben Fn.  20. 29 Vergleiche Adams, Analyse, S.  57–60, zu den Auswirkungen des durch den Prozess eintreten­ den Zeitverlustes: Adams verfährt unter der Annahme, dass der Anspruch auf Zinsen (siehe heute §§  288, 291 BGB) und Verzugsschadensersatz (§§  280, 286 BGB) dem Anspruchsteller keinen vol­ len Ersatz der durch den Prozess verursachten Opportunitätskosten gewährt. Er zeigt, dass „zwar der Verzögerungsverlust des Gläubigers zu einer Vergrößerung des Verhandlungs­bereichs führt, dieser Vergrößerung jedoch der Verzögerungsgewinn des Schuldners prozeßtreibend ent­ gegenwirkt“. 30  Siehe §  7 C. II. 2. a). 31  Siehe etwa Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 329–330; Riehm, JZ 2016, 866, 872; Singer, BRAK-Mitt 2019, 211, 211; in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung wurde Ende 2019, soweit Angaben gemacht wurden, im Durchschnitt ein Wert von 1.840  € genannt, ab dem vermutlich eine gerichtliche Auseinandersetzung gesucht würde, ROLAND Rechtsreport 2020, S.  24. 32  Vergleiche dazu Adams, Analyse, S.  4, 49–50; Raiser, Rechtssoziologie, S.  322–323, 325; Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn.  150. Es geht also oftmals um nicht ersatzfähige Kosten im Sinne der bei Fn.  23 beschriebenen. 33  Darauf hinweisend etwa Basedow, JZ 2018, 1, 8. 34 Siehe Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn.   151, dazu, dass Prozesskosten v. a. bei kleineren 28 

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tenbelastung als Hemmschuh erweisen.35 Insgesamt stellen die Prozesskosten eine bedeutende Hürde auf dem Weg zur Streitaustragung vor Gericht dar.36 Ge­ rade an dieser Stellschraube dreht das geltende Recht aber zulasten einer Rechtsklä­ rung.37 Dabei ist der Gedanke verständlich, dass eine gewisse Balance zwischen Klärungsanreizen und Schonung der Justizressourcen herzustellen ist.38 Auch wenn Kompromisslösungen unausweichlich sind, muss indes hinterfragt werden, ob nicht die Kostenbelastung teils überschießend wirkt. Ob offene Rechtsfragen einer Klärung zugeführt werden, kann darüber hinaus von einer Reihe weiterer Faktoren abhängen. Insbesondere kann eine Mobilisierung schon an fehlenden rechtlichen Kenntnissen scheitern 39 – denkbare Anreize gehen dann ins Leere. Ferner ist zu bedenken, dass die Entscheidung über eine Anspruchsverfolgung kein homo oeconomicus, sondern ein echter Mensch fällt. Menschen sind anfällig für Wahrnehmungsfehler.40 So können kognitive Dissonanzen dazu führen, dass die eigene Position überoptimistisch eingeschätzt wird.41 Umgekehrt mag die verbrei­ tete Verlustaversion dazu verleiten, ein wirtschaftlich vernünftiges Risiko der Pro­ zessniederlage zu meiden.42 In Anbetracht solcher Aspekte scheint ein Modell, das zur Wahrung des Klärungsanreizes primär auf verjährungsrechtlichen Druck und haftungsrechtliche Entlastung setzt, unterkomplex. Dessen Wirkung dürfte in Anbetracht der vielfältigen weiteren Faktoren oft marginal ausfallen. 2. Effizienz Selbst wenn man unterstellte, dass der verjährungs- und haftungsrechtliche Rah­ men potenzielle Gläubiger bei Rechtszweifeln in effektiver Weise zur Geltendma­ chung bewegte, bliebe die Frage nach der Effizienz dieses Modells. Erhebliche Be­ denken ergeben sich vor allem bezüglich der Klärung von Rechtsfragen, die sich innerhalb zahlreicher Rechtsbeziehungen in gleicher Weise stellen. Das Verjäh­ Streitwerten abschreckend wirken; siehe zudem Christian Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 92–93 (mit grafischem Überblick zum Prozesskostenrisiko im Verhältnis zum Streitwert a. a. O., 89). 35 Siehe K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  98–99 m. w. N.; ansatzweise auch Pawlowski, JZ 1975, 197, 198, 199. Ein ungünstiges Ergebnis (hier: Prozessniederlage) kann zwar unwahrscheinlich sein, aber im Eintrittsfall zu einem solch bedeutenden Verlust führen, dass er in jedem Fall zu vermeiden ist, vergleiche zur sogenannten Streuungsanalyse Risse/Morawietz, Prozessrisikoana­ lyse, S.  87–94; allgemeiner Adams, Analyse, S.  66–73. 36  Siehe bereits §  10 C. I. 1. a) m.N. in Fn.  38. 37  §  10 C. I. 1. b) bb) (3). 38  Siehe wiederum §  10 C. I. 1. b) bb) (3). 39 Vergleiche Baer, Rechtssoziologie, §  7 Rn.  12–13; Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 329– 330. 40  Siehe allgemein Schäfer/Ott, Analyse, S.  95–116. 41  Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 7; Fries, NJW 2016, 2860, 2863; Korch, Haftung, S.  35–37; Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  12–13; G. Wagner, ZZP 121 (2008), 5, 13–15. 42  Siehe etwa Korch, Haftung, S.  4 4–46; Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, S.  103; ferner Basedow, JZ 2018, 1, 5, 8, sowie bereits Bokelmann, ZRP 1973, 164, 164. Dazu, dass Verluste stär­ ker empfunden werden als entsprechende entgangene Gewinne, siehe oben §  15 A. II. 1. b) bb) mit Fn.  4 4.

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rungsrecht steuert in solchen Situationen sämtliche Gläubiger dahin, ihre Ansprü­ che geltend zu machen. Insbesondere wird nicht einmal dann ein Verjährungs­ aufschub gewährt, wenn die Rechtsfrage in einem Parallelverfahren bereits in die Revisionsinstanz gelangt ist.43 Dieses Ergebnis dürfte angesichts der klaren Dis­ kriminierung rechtlicher Ungewissheit durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB de lege lata hinzunehmen sein.44 Man mag dafür noch anführen, die Aussicht, dass es zur ge­ richtlichen Klärung der Rechtsfrage komme, erhöhe sich mit jedem angestrengten Verfahren zumindest marginal. Aufwand und Nutzen stehen jedoch außer Verhält­ nis.45 Mit Eike Schmidt kann man von einer „Individualisierungsfeindlichkeit von Massenkonflikten“ sprechen:46 Der Einsatz konventioneller Individualprozesse erscheint hier fragwürdig. 3. Lastenverteilung Auch außerhalb solcher „Massenkonflikte“ lässt sich kritisch hinterfragen, ob die Indienstnahme Privater für die Rechtsklärung unter den derzeit geltenden Rah­ menbedingungen sachgerecht ist. Insoweit ergibt sich nicht zwingend ein Effizi­ enz-,47 im Mindesten aber ein Verteilungsproblem.48 Den konkreten Parteien wird im Allgemeininteresse viel zugemutet. Der potenzielle Gläubiger muss, wenn er nicht auf seinen denkbaren Anspruch praktisch verzichten möchte, das Prozess­ kostenrisiko eingehen. Insoweit ergibt sich trotz der weitgehenden Freistellung von einer Schadensersatzpflicht eine gewisse „Zwickmühle“.49 Umgekehrt bleibt der vermeintliche Schuldner auf Schäden sitzen, die durch eine unberechtigte, aber ex ante nicht aussichtslose Inanspruchnahme entstanden sind. Den Nutzen aus der Rechtskonkretisierung und -fortbildung zieht die Allgemeinheit, die Kosten hat der Einzelne.50 Es handelt sich gleichsam um ein „Sonderopfer“.51 Inwieweit ein solches erwartet werden kann, erscheint diskutabel.52 43  Siehe §  7 C. II. 2. b) bb), insb. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 4.6.2009 – III ZR 144/05, BGHZ 181, 199 = EuZW 2009, 865, 870 Rn.  34. 44  Siehe abermals §  7 C. II. 2. b) bb). 45  Vergleiche etwa Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 331. 46  E. Schmidt, KritV 1989, 303, 305, mit näheren Ausführungen dazu bei 305–308. 47  Man kann indes zumindest daran denken, dass die (ggf. hohen) Kosten eines zur Rechts­ klärung geführten Prozesses für den Einzelnen höhere sekundäre Kosten nach sich ziehen (wegen des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens), als wenn die Risiken gestreut, die Kosten also z. B. auf alle Steuerpflichtigen verteilt würden (vergleiche allgemein Schäfer/Ott, Analyse, S.  159– 163). 48  Siehe zur Frage der Effizienzausrichtung schon §  2 C.; zur Kritik an der Annahme einer Generalkompensation siehe §  9 C. IV. 5. a) bb) (3) (d) Fn.  635. 49  Zum Ziel, solche Dilemmata zu vermeiden, vergleiche §  15 A. I. 1. 50  Vergleiche zu diesem Zusammenhang bereits Landes/Posner, J. Legal Stud. 8 (1979), 235, 241. 51  Von einem solchen spricht E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  8 07, 815, in etwas anderem Zusammenhang (betreffend die Beschaffung von Rechtsfortbildungstatsachen, zu solchen §  3 B. III.). Insoweit ergeben sich durchaus Parallelen, siehe sogleich III. 2. 52  Vergleiche zur Diskussion um einen über die individuelle Rechtsverwirklichung hinausge­ henden Prozesszweck (dazu §  3 A. II. 2.) Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 25: Die Parteien würden es „kaum verstehen […], wenn man ihnen erklären wollte, sie führten den Prozess im Interesse

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

III. Alternativen zum aktuellen Modell Das geltende Konzept, mit dem das materielle Privatrecht und das Prozessrecht die Klärung zweifelhafter Rechtsfragen bewerkstelligen möchten, weist Schwächen auf. Abstrakt denkbar erscheint eine Reihe an Regelungsansätzen, mit denen sich  – alternativ oder gar kumulativ eingesetzt – den beschriebenen Defiziten beikommen ließe. 1. Herbeiführung von Grundsatzentscheidungen Als Orientierungspunkte haben höchstrichterliche Entscheidungen einen besonde­ ren Wert.53 Es würde die Effizienz des Anreizsystems steigern, wenn vorrangig si­ chergestellt würde, dass diejenigen Rechtsfragen eine höchstrichterliche Beantwor­ tung erfahren, bei denen damit ein Gewinn an Rechtssicherheit verbunden ist. Zum einen wäre dafür zu sorgen, dass der BGH nicht mit anderen Verfahren in Beschlag genommen wird, sondern sich tatsächlich auf Rechtsfragen von grund­ sätzlicher Bedeutung konzentrieren kann.54 Erwägenswert erscheint es zum an­ deren, die Befugnis der Höchstgerichte, zu solchen Rechtsfragen Stellung zu neh­ men, zum Teil von der Parteidisposition zu entkoppeln. Dazu muss man nicht zwingend an den Grundfesten des deutschen Rechtsmittelrechts rütteln, wie es etwa durch Einführung einer generalanwaltlichen Vorlage an das Revisionsgericht, ähnlich dem französischen pourvoi dans l’intérêt de la loi (siehe Art.  639-1 Code de procédure civile), der Fall wäre. Ein weniger revolutionärer Schritt bestünde darin, die revisionsgerichtliche Befassung auch dann zu gestatten, wenn sich das Verfah­ ren erledigt hat. Hierin läge eine Fortentwicklung der bestehenden Regeln, mit de­ nen einer einseitigen Verhinderung von Revisionsentscheidungen begegnet werden soll (§§  555 Abs.  3, 565 S.  2 ZPO).55 Entsprechende Forderungen haben vor allem infolge der gerichtlichen Aufarbeitung des sogenannten Dieselskandals Auftrieb erhalten.56 Der BGH sah sich in diesem Kontext gezwungen, den ungewöhnli­ chen und nicht unbedenklichen Weg über die Veröffentlichung eines Hinweisbe­ schlusses zu beschreiten.57 Es finden sich Vorschläge, ein solches Vorgehen auf einer Bewährung der objektiven Privatrechtsordnung“; siehe auch – gegen die Aufopferung kon­ sensualer Lösungen zugunsten des Allgemeininteresses an einer Rechtsfortbildung – Riehm, JZ 2016, 866, 872. Dem trägt das geltende Recht bereits Rechnung, indem die außergerichtliche Bei­ legung Vorrang genießt, siehe §  15 A. II. 1. c) bb). 53  Siehe abermals §  3 A. II. 2.–3. 54 Richtig Greger, ZZP 131 (2018), 317, 345, 349, 350. 55  Dazu bereits §  3 A. II. 2. 56  Siehe etwa Klingbeil, GVRZ 2019, 14 Rn.  40–47; auf Grundlage eines Gutachtens von Gsell schlug ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen v. 16.10.2019 (BT-Drs. 19/14027, 4, 5–6, Gutachten als Anlage) vor, durch eine Ergänzung (§  557 Abs.  4 ZPO-E) zwar nicht – ent­ gegen der Parteidisposition – eine Entscheidung in der Sache, aber immerhin eine Stellungnahme zu den für grundsätzlich erachteten Fragen zu ermöglichen. 57  BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 (dazu bereits §  15 C. II. 2. c)); mit guten Gründen kritisch Voß, JZ 2020, 286 ff.

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eine feste gesetzliche Grundlage zu stellen.58 Die wirkungsstärkere Lösung läge indes in der Einführung eines gerichtlichen Vorlageverfahrens, bei dem die Partei­ en zwar nach wie vor über den Streitgegenstand disponieren, eine Entscheidung über die erfolgte Vorlage aber nicht mehr verhindern könnten.59 Der enorme Ef­ fizienzvorteil bestünde darin, dass Rechtsfragen mit Breitenwirkung rascher in die höchste Instanz katapultiert werden könnten und sich viele Einzelverfahren, zu denen es ansonsten in der Zeit bis zur Klärung käme, erübrigten.60 Soviel solche Ideen für sich haben, behöben sie die hier beleuchtete Problematik doch nur zum Teil. Die Wirkung wäre darauf beschränkt, klärungsbedürftige Fra­ gen, die ohnehin schon ihren Weg ins gerichtliche Verfahren gefunden haben, einer höchstrichterlichen Befassung zuzuleiten. Die Anreize, solche Fragen überhaupt vor Gericht zu bringen, würden allenfalls verstärkt, sofern es einem Beteiligten ausnahmsweise gerade darum geht, am Ende des Verfahrens eine höchstrichterliche Klärung zu erreichen. 2. Prozesskostenrechtliche Erleichterungen Bisweilen wird dem deutschen Kosten- und Gebührenrecht attestiert, es sei im in­ ternationalen Vergleich „überaus leistungsstark“, auch was die Gewährung des Zu­ gangs zum Recht betreffe.61 Nichtsdestotrotz erweist sich die drohende, prinzipiell verschuldensunabhängige Kostenbelastung als wesentlicher Abschreckungsfaktor für potenzielle Streitparteien. 62 Man kann dies allgemein unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zum Recht kritisch sehen. 63 Doch ergeben sich nachteilige Wirkungen gerade auch unter dem spezifischen Blickwinkel einer wünschenswerten Rechts­ konkretisierung und -fortbildung. 64 Um die Abschreckungswirkung zu verringern, ließe sich darüber nachdenken, die Pflicht des Unterliegenden zur Erstattung der gegnerischen Kosten zu beseitigen oder einzuschränken. 65 Es ist indes bereits festgestellt worden, dass ein Fortfall der Kostenerstattungspflicht ambivalente Wirkungen haben könnte:66 Für den Fall des Obsiegens müsste mit einem geringeren Ertrag kalkuliert werden. Die nachteiligen Auswirkungen auf den Klärungsanreiz für den potenziellen Gläubiger halten sich 58  Dazu schlug der in Fn.  56 genannte Entwurf (BT-Drs. 19/14027, 4, 5) eine Ergänzung in §  173 Abs.  3 GVG vor. 59 Dazu Rapp, JZ 2020, 294, passim (zur fortbestehenden Dispositionsmöglichkeit a. a. O., 302). 60 Siehe Rapp, JZ 2020, 294, 300–301. 61 So Breyer, Steuerung, S.  232. 62  Siehe soeben II. 1. 63  So insb. die Diskussion der 1970er-Jahre, dafür exemplarisch Bokelmann, ZRP 1973, 164 ff.; Fechner, JZ 1969, 349 ff. 64  Siehe oben §  10 C. I. 1. a) und Breyer, Steuerung, S.  236; Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  150; Lames, Rechtsfortbildung, S.  117; Muthorst, in: Stein/Jonas, vor §  91 Rn.  4; Pawlowski, JZ 1975, 197, 199, 202. 65  Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  150; siehe auch Bokelmann, ZRP 1973, 164, 169–170; be­ schränkt auf Verfahren, in denen sich Fragen von allgemeinem Interesse stellen: Breyer, Steue­ rung, S.  236 (siehe zu dessen Vorschlag sogleich noch im Zusammenhang mit den Gerichtskosten). 66  Siehe §  10 C. I. 1. b) bb) (2), §  15 A. II. 1. c) cc).

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nur dann in Grenzen, wenn man auf Basis der strengen Linie zur Schuldnerhaftung zugleich einen materiellen Kostenerstattungsanspruch gewährt.67 Inwieweit die hinter der strengen Schuldnerhaftung stehende Wertung sachgerecht ist, ist jedoch diskutabel. 68 Demnach steht nicht fest, ob sich aus einem Wegfall der Kostenerstat­ tungspflicht wirklich günstige Anreizwirkungen ergäben. Jedenfalls ist zu berück­ sichtigen, dass sich an dem identifizierten Verteilungsproblem nichts änderte: Der Aufwand für die im Allgemeininteresse liegende Rechtsklärung würde lediglich zwischen den Parteien verschoben. Dem Verteilungsproblem käme man nur dann bei, wenn man die Kosten für die Rechtskonkretisierung und -fortbildung externalisierte. 69 Zu belasten wäre als Profiteurin die Allgemeinheit. Als Stellschraube kommt zum einen die Bedürftig­ keitsgrenze im Prozesskostenhilferecht in Betracht.70 Um eine Überwälzung der Belastung auf den Prozessgegner zu vermeiden, müsste jedoch zugleich – entgegen §  123 ZPO – eine Übernahme der gegnerischen Kosten durch die Staatskasse vor­ gesehen werden.71 Zum anderen ist an Änderungen im Bereich der Gerichtskosten zu denken. Von deren Erhebung könnte ganz oder teilweise (etwa durch Absen­ kung des Gebührenstreitwerts) abgesehen werden.72 Hier ergibt sich eine Paralle­ le zu der verbreiteten Forderung, die Kosten für die Feststellung von Rechtsfortbil­ dungstatsachen de lege ferenda der Staatskasse aufzuerlegen.73 Zumindest auf den Gerichtskostenvorschuss könnte verzichtet werden.74 Die Idee einer vollständigen oder partiellen Befreiung von den Gerichtskosten kann für sich nicht nur in Anspruch nehmen, die Verteilungsproblematik zu lösen. Sie würde zugleich die Klageanreize erhöhen. Eine ambivalente Wirkung wie beim Verzicht auf eine Erstattung der Parteikosten ergäbe sich nicht.75 Der Gewinn an Effektivität könnte jedoch mit einem Verlust an Effizienz einhergehen. Dies wäre der Fall, wenn die Gerichtskostenfreiheit dazu führte, dass die Justizressourcen fortan in einem Umfang in Anspruch genommen würden, der nicht durch einen gleichwertigen Nutzengewinn in Form verstärkter Rechtsklärung aufgewogen würde. Die Gefahr erscheint real.76 Dass durch die Aufrechterhaltung eines Kos­ 67 

Siehe ebenfalls schon §  10 C. I. 1. b) bb) (2), §  15 A. II. 1. c) cc). Siehe unten C. IV. 69  Vergleiche auch Landes/Posner, J. Legal Stud. 8 (1979), 235, 241. 70 Etwa Pawlowski, JZ 1975, 197, 202. 71  Hier eine rechtspolitische Lücke erblickend Breyer, Steuerung, S.  240–241; zu entsprechen­ den Reformvorschlägen bereits Bokelmann, ZRP 1973, 164, 165. 72  Siehe z. B. Bokelmann, ZRP 1973, 164, 166; Breyer, Steuerung, S.  236–237 Fn.  818; in diese Richtung auch Lames, Rechtsfortbildung, S.  120–121. 73 So Hergenröder, Grundlagen, S.  467–473; Lames, Rechtsfortbildung, S.  121–122; Pohlmann, in: FS Stürner, S.  435, 454; E. Schmidt, in: FS Wassermann, S.  807, 815; Seiter, in: FS Baur, S.  573, 590 Fn.  57. Zum Begriff der Rechtsfortbildungstatsachen oben §  3 B. III. 74  Siehe allgemein betreffend den Zugang von Verbrauchern zum Gericht Hidding, Zugang, S.  223. 75  Siehe §  10 C. I. 1. b) bb) (2). 76  Siehe insb. Adams, Analyse, S.  106; vergleiche zur Subventionierung und der nachfolgenden „rasante[n] Vermehrung“ von Verbraucherstreitigkeiten Basedow, JZ 2018, 1, 9. 68 

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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tenrisikos unnötige Prozesse verhindert werden, ist ein im Grundsatz billigenswer­ tes Ziel, das einer grenzenlos effektiven Förderung von Klagen im Wege stehen muss.77 Wer die Gerichtskosten im Interesse einer gerechten Lastenverteilung nicht auf die Parteien abwälzen möchte, müsste daher auf anderem Wege für eine hinreichende Abschreckung mutwilliger Klagen sorgen. Man müsste über das Haf­ tungsrecht nachsteuern.78 Die kostenrechtliche Entlastung wäre dann nur um den Preis einer weniger starken Privilegierung bei der unberechtigten Anspruchsgel­ tendmachung zu haben. Ein solcher Tausch des Präventionsmittels wäre indes nicht unproblematisch. Während man im Kostenrecht wirtschaftlich Schwächere über §§  114 ff. ZPO entlasten kann, fehlt diese Möglichkeit im Haftungsrecht.79 Außer­ dem ist die Gerichtskostenbelastung einigermaßen gut kalkulierbar. Vergleichbares lässt sich über das Schadensersatzrisiko nicht immer sagen. Auch abgesehen davon wäre eine pauschale Absenkung des Gerichtskostenrisi­ kos ineffizient. Gefördert würde weiterhin nur die Prozessfreudigkeit in der Breite. Es drohten allerhand Prozesse initiiert zu werden, von denen nur ein Bruchteil zu einer für die Allgemeinheit nützlichen Rechtsklärung oder -präzisierung führte.80 Deshalb ist zu erwägen, die Befreiung von den Gerichtskosten daran zu knüpfen, dass tatsächlich eine klärungswürdige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Eine solche Verknüpfung wäre nicht ohne historische Vorbilder.81 Die Einfachheit des Kos­ tenrechts erscheint jedenfalls nicht als dermaßen große Errungenschaft, als dass man nicht (gerade zur mittelbaren Förderung der Rechtssicherheit) konkrete Aus­ nahmetatbestände schaffen könnte.82 Es ließe sich etwa an eine §  21 Abs.  1 S.  3 GKG83 nachgebildete Vorschrift den­ ken. Diese könnte die Niederschlagung der Gerichtskosten vorsehen, wenn der Unterlegene um Rechtsfragen gestritten hat, deren Beantwortung von allgemeinem Interesse war.84 Das Problem einer solchen Lösung bestünde indes darin, dass potenzielle Streitparteien ex ante nicht sicher wissen könnten, ob es schlussendlich zur Freistellung von den Gerichtskosten kommen wird. 85 Die Anreizwirkung drohte daher zu verpuffen. Sinnreicher erschiene es, über die verbindliche Ge­ richtskostenbefreiung schon vor Beginn des Hauptsacheverfahrens entscheiden zu lassen. Dann wäre die Kalkulationssicherheit frühzeitig gewährleistet. Gedanken in diese Richtung finden sich – allerdings mit Blick auf die Erstattung der gegneri­

77 

Dazu bereits §  10 C. I 1. b) bb) (2), D., §  15 A. II. 1. c) cc). zur Beseitigung der Kostentragungspflicht bei gleichzeitigem Ausgleich durch eine strenge Haftung bereits Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  150; dazu §  10 D. 79  So die Kritik von K.-J. Götz, Ersatzansprüche, S.  153, am Vorschlag Häsemeyers. 80  Vergleiche auch Adams, Analyse, S.  106. 81  Siehe §  10 C. I. 1. b) aa) m. w. N.; betreffend zweifelhafte Rechtsfragen insb. §  95 des Ent­ wurfs des Reichsjustizministeriums. 82  So schon Pawlowski, JZ 1975, 197, 199; näher §  10 C. I. 1. b) bb) (1). 83  Dazu §  10 B. II. 84  In diese Richtung Seetzen, ZRP 1971, 35, 37. 85  In eine ähnliche Richtung gehende Bedenken auch bei Bokelmann, ZRP 1973, 164, 166. 78  Vergleiche

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schen Kosten – vereinzelt im Schrifttum.86 Ein solches Vorgehen liefe gewisserma­ ßen auf eine besondere Art der Prozesskostenhilfeprüfung hinaus. Deren Maßstab könnte sich an den Zulassungsvoraussetzungen für Rechtsmittel orientieren (§§  511 Abs.  4 S.  1 Nr.  1, 543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO). Insoweit darf allerdings ein gravieren­ der Unterschied nicht übersehen werden: Gerichte haben über die Zulassung von Rechtsmitteln nach eingehender Prüfung des Falls zu befinden. Die hier geforderte Feststellung, dass es sich um einen Sachverhalt handelt, bei dessen Beurteilung sich Rechtsfragen ergeben, deren Klärung im Allgemeininteresse liegt, müsste hingegen ex ante erfolgen. Diese Aufgabe erscheint anspruchsvoll.87 Zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Arbeitsaufwands müssten sich Gerichte wohl auf eine Plau­ sibilitätskontrolle beschränken, wie sie im Kontext des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO er­ folgt. 88 Damit ginge aber die gewünschte Filterwirkung größtenteils verloren. Folglich stellt auch die Gerichtskostenbefreiung keine eindeutig überlegene Alter­ native zum derzeitigen Modell dar. 3. Förderung von Musterverfahren und kollektivem Rechtsschutz Zu einer zielgenaueren Behebung der Defizite könnte die stärkere Förderung von Musterverfahren89 und Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes beitragen. Mit diesen verbindet sich die Hoffnung auf deutliche Effizienzgewinne bei der Klä­ rung zweifelhafter Rechtsfragen.90 Soweit es in vielen Rechtsbeziehungen jeweils um die gleiche ungeklärte Frage geht, könnten die potenziellen Verfahren entweder gebündelt oder solange aufgeschoben werden, bis in einem Pilotverfahren die Klä­ rung erreicht wurde. So würde dem Kritikpunkt der „Individualisierungsfeind­ lichkeit von Massenkonflikten“91 begegnet. Die Folge wäre eine Schonung der Jus­ tizressourcen. In der Regel würde zugleich die Aussicht darauf erhöht, dass nicht frühzeitig die Waffen gestreckt werden und dass Rechtsfragen so gerade höchst­ richterlich geklärt werden.92

86 Siehe Breyer, Steuerung, S.  236: Möglichkeit für das Gericht, „auf Antrag noch vor Beginn des Verfahrens in der Hauptsache per Beschluss anzuordnen, dass wegen der Neuartigkeit der Rechts- und Tatfragen und der Bedeutung der Fragestellung für die Rechtsordnung die unterlie­ gende Partei nicht zur Erstattung der Prozesskosten verpflichtet ist“. 87  Vergleiche allgemein Kotsoglou, JZ 2014, 1100, 1101–1102: In welchen Fällen man ohne Er­ zeugung neuen Rechts auskomme, sei „keine offenkundige Tatsache, sondern geradezu das Er­ gebnis juristischer Bewertung“ (Herv. im Orig.). 88  Siehe dazu §  7 C. II. 2. b). 89 Zum Begriff etwa Maultzsch, Streitentscheidung, S.   310–311; Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 37–42. 90  Exemplarisch wiederum Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 41. Solche Verfahren dienten „ge­ genüber dem Einzelprozess verstärkt auch dem allgemeinen Interesse an einer effektiven und Kos­ ten sparenden Verfahrensweise sowie der Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit“; vergleiche auch Hau, ZZP 129 (2016), 133, 143. 91  E. Schmidt, KritV 1989, 303, 305 (siehe oben II. 2.). 92 Auch Klingbeil, GVRZ 2019, 14 Rn.  46, sieht die Stärkung kollektiver Rechtsschutzformen als potenzielles Instrument zur Herbeiführung höchstrichterlicher Entscheidungen.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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Bezeichnenderweise ist etwa die Entscheidung des BGH zu Bearbeitungsentgel­ ten bei Darlehensverträgen – ein wesentlicher Kristallisationspunkt für die verjäh­ rungsrechtliche Unzumutbarkeitsproblematik – auf eine Verbandsklage nach dem UKlaG hin ergangen.93 Nach diesem Gesetz können Stellen im Sinne der §§  3, 4 UKlaG (insbesondere Verbraucherverbände) vor allem die Unterlassung der Ver­ wendung unwirksamer AGB (§  1 UKlaG) bzw. sonstiger Verstöße gegen Verbrau­ cherschutzvorschriften (§  2 UKlaG) verlangen. Auf europäischer Ebene strebt die Verbandsklagen-RL eine Stärkung solcher Instrumente an. Ähnliche Verfahren sehen im Wettbewerbsrecht §§  8 Abs.  3, 10 UWG sowie §§  33 Abs.  4, 34a GWB vor. Betreffend die Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen wegen der Verlet­ zung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten ist ein Musterverfahren nach dem KapMuG möglich. Die Einführung der Musterfeststellungsklage in §§  606 ff. ZPO erlaubt es Verbänden (im Sinne von §  606 Abs.  1 S.  2 ZPO), zu sonstigen An­ sprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und Unternehmern Feststellungen in einem Musterverfahren zu erreichen. Als Feststellungsziel kom­ men nach §  2 Abs.  1 S.  1 KapMuG („Klärung von Rechtsfragen“) und §  606 Abs.  1 S.  1 ZPO („rechtlichen Voraussetzungen“) gerade auch rechtliche Aspekte in Be­ tracht. §  204 Abs.  1 Nr.  1a und Nr.  6a BGB sorgen für eine Verjährungshemmung während der Musterverfahren. Eine praktisch bedeutsame Rolle bei der Bündelung von Einzelbegehren kommt inzwischen auch Inkassodienstleistern zu, die sich in großem Stil Ansprüche po­ tenzieller Forderungsinhaber abtreten lassen und gesammelt einklagen.94 Inso­ weit bestehen Verbindungen zum Aufkommen von Legal Tech und den Möglich­ keiten, online eine kostenlose Vorprüfung der Anspruchsberechtigung vornehmen zu lassen.95 Entsprechende Angebote beziehen sich nämlich nicht ausschließlich, wie im Fall des Verstoßes gegen die Mietpreisbremse,96 auf die Durchsetzung in­ dividueller Ansprüche, sondern auch auf die Einleitung von Massenverfahren. In rechtlicher Hinsicht ist allerdings problematisch, ob eine schwerpunktmäßig auf die gerichtliche Durchsetzung gerichtete Tätigkeit eine „Inkassodienstleistung“ im Sinne von §  10 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 RDG darstellt.97 Außerdem könnte die Konstrukti­ 93  BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 = NJW 2014, 2420; dazu §  7 B. II. 1. b) bb). 94  Beispiele liefern die Geltendmachung von Käuferrechten im sogenannten Dieselskandal (sie­ he dazu LG Augsburg, Urt. v. 27.10.2020 – 11 O 3715/18, BeckRS 2020, 30625; LG Braunschweig, Urt. v. 30.4.2020 – 11 O 3092/19, WM 2020, 1743; LG Ingolstadt, Urt. v. 7.8.2020 – 41 O 1745/18, BeckRS 2020, 18773) oder von Kartellschadensersatzansprüchen (LG Hannover, Urt. v. 4.5.2020  − 18 O 50/16, NZKart 2020, 398 – Zuckerkartell; LG München I, Urt. v. 7.2.2020 – 37 O 18934/17, NZKart 2020, 145 – LKW-Kartell). 95 Siehe J. Wagner, Legal Tech, S.  7 7. 96  Dazu oben vor §  19 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208. 97  Dagegen LG Augsburg, Urt. v. 27.10.2020 – 11 O 3715/18, BeckRS 2020, 30625 Rn.  23–32; LG Hannover, Urt. v. 4.5.2020 − 18 O 50/16, NZKart 2020, 398, 399–400 – Zuckerkartell; LG München I, Urt. v. 7.2.2020 – 37 O 18934/17, NZKart 2020, 145, 147 – LKW-Kartell m.N. zum Streitstand; für eine weitgehende Verlagerung dieser Frage ins Registrierungsverfahren §  10 Abs.  3

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

on solcher finanzierter „Sammelklagen“ zu verbotenen Interessenkonflikten im Sinne von §  4 RDG führen.98 Zu beachten ist jedenfalls, dass bei sehr heterogenen Ansprüchen die Bündelung unter Effizienzgesichtspunkten keinen Vorteil bedeu­ ten muss – gegebenenfalls kommt es gar erst deutlich später zu einer Klärung einer einheitlichen Rechtsfrage.99 Bei der Musterfeststellungsklage nach §§  606 ff. ZPO stellt sich die Situation unterschiedlich dar. Dort werden zwar – anders als es Art.  9 Verbandsklagen-RL vorsieht – im Anschluss an die Feststellung gegebenenfalls in­ dividuelle Leistungsklagen erforderlich.100 Insoweit steht aber nur die Effizienz der Durchsetzung in Frage. Die hier interessierende Klärung von Rechtsfragen ist davon weitgehend entkoppelt. Der angestrebte Orientierungsgewinn wird – auch außerhalb des Bereichs echter rechtlicher Bindung nach §  613 ZPO – bereits durch das Musterfeststellungsurteil bzw. erst recht durch ein entsprechendes Revisions­ urteil (die grundsätzliche Bedeutung ist stets zu bejahen, §  614 S.  2 ZPO) erreicht. Kollektive Rechtsschutz- bzw. Musterverfahren lassen demnach Effizienzvortei­ le für die rechtliche Klärung erhoffen. Sie verringern zugleich das beschriebene Verteilungsproblem: Es werden nicht beliebige Individuen gleichsam zufällig mit dem Aufwand für eine im Allgemeininteresse stehende Rechtsklärung belastet. So­ weit Verbände die Verfahrensinitiative übernehmen, erfolgt zumindest mittelbar eine (Mit-)Finanzierung aus öffentlichen Fördermitteln.101 Im Musterverfahren nach dem KapMuG sind die Kosten von sämtlichen auf Klägerseite Beteiligten an­ teilig zu tragen (§  24 KapMuG).102 Sonstige (nicht auf spezialgesetzlicher Grund­ lage erfolgende) Pilotverfahren werden mitunter ebenfalls durch Verbände unter­ stützt.103 Zumindest werden die Initiatoren regelmäßig ein über das einzelne Ver­

RDG-E nach dem RefE eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechts­ dienstleistungsmarkt, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_Rechtsdienstleister. pdf?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 31.12.2020). 98  So LG Augsburg, Urt. v. 27.10.2020 – 11 O 3715/18, BeckRS 2020, 30625 Rn.  33–37; LG In­ golstadt, Urt. v. 7.8.2020 – 41 O 1745/18, BeckRS 2020, 18773 Rn.  116–137; LG München I, Urt. v. 7.2.­2020 – 37 O 18934/17, NZKart 2020, 145, 148–149 – LKW-Kartell; zurückhaltender LG Braunschweig, Urt. v. 30.4.2020 – 11 O 3092/19, WM 2020, 1743, 1747–1748 Rn.  97–106; für eine Entschärfung dieses Problems §  4 S.  2 RDG-E nach dem in Fn.  97 genannten RefE, bei gleichzei­ tigem Ausbau der Verbraucherinformation (§  13f RDG-E). 99  Zu solchen Bedenken näher LG München I, Urt. v. 7.2.2020 – 37 O 18934/17, NZKart 2020, 145, 148–149 – LKW-Kartell. 100  Das wird verbreitet kritisiert, siehe etwa Meller-Hannich, NJW-Beil. 2018, Heft 2, 29, 31; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 632–633 m. w. N.; dagegen aber etwa Scholl, ZfPW 2019, 317, 337– 338. 101  Vergleiche etwa zur Finanzierung der Verbraucherverbände die Angaben bei https://www. bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/verbraucherverbaende-399350 (ab­ gerufen am 31.12.2020). 102  Allerdings lässt sich durch die Anmeldung nach §  10 KapMuG auch ohne Kostenbeteili­ gung (indes unter Verzicht auf die rechtliche Bindungswirkung) die Verjährungshemmung nach §  204 Abs.  1 Nr.  6a BGB erreichen, Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 342–343. Auch wenn sich die Kostensozialisierung infolgedessen auf eine kleinere Gruppe beschränkt, bringt dies immer noch eine Entlastung für den Einzelnen mit sich, siehe Freitag/Lang, a. a. O., 343–344. 103  Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 41–42.

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fahren hinausreichendes Interesse an einer grundlegenden Klärung haben104 und somit überproportional davon profitieren. Dann erscheint auch die alleinige Kos­ tentragung eher zumutbar. Während im letztgenannten Fall von vornherein ein hinreichender Anreiz be­ steht, die Rechtsklärung zu betreiben, kann dies in anderen Konstellationen anders sein. Diese sind oben unter dem Stichwort der rationalen Apathie angesprochen worden.105 Insbesondere bei Streuschäden kann ein rationales Desinteresse der ein­ zelnen Geschädigten an einer Verfolgung von Ersatzansprüchen bestehen  – nicht zuletzt als Reaktion darauf sind die Verbandsklagen-RL und die Einführung der Musterfeststellungsklage zu verstehen.106 In derartigen Konstellationen erscheint eine von Verbandsseite bzw. anderweitig zentral initiierte Klage nicht nur als das einzige Erfolg versprechende Mittel zur Abschöpfung des Verletzergewinns,107 sondern auch als Weg zur Klärung einschlägiger offener Rechtsfragen.108 Die Sorge um effektive Verfolgungsanreize ist damit allerdings nicht erledigt. Es verschiebt sich nur der Bezugspunkt. Es muss nunmehr gewährleistet sein, dass die klage­ befugten Stellen hinreichend motiviert werden. Insoweit ist vor allem deren aus­ reichende Finanzierung sicherzustellen. Bei Kollektivverfahren sind jedoch – im Interesse einer Missbrauchsvermeidung109 – spürbare Restriktionen für die Mittel­ beschaffung vorgesehen (vergleiche etwa §  606 Abs.  1 S.  2 Nr.  4, 5 ZPO; Art.  10 Ver­ bandsklagen-RL).110 Der Rückgriff auf eine externe Prozessfinanzierung erweist sich auch im Bereich der Verbandsklage nach dem UWG als problematisch.111 Die mit §  4 RDG verbundenen Schwierigkeiten bei der fremdfinanzierten Geltend­ machung gebündelter Forderungen durch Legal-Tech-Inkassodienstleister wurden oben bereits angedeutet.112 Eine öffentliche Subventionierung klagebefugter Ver­ bände113 wird mitunter kritisch gesehen, weil aus deren Prozessführung Nutzen für Private entstehe.114 Soweit allerdings der Verbandsprozess tatsächlich zu einer Konkretisierung bzw. Fortbildung des Rechts führt, erscheint eine partielle Verge­ 104 

Vergleiche auch Breyer, Steuerung, S.  236 Fn.  817. Siehe oben II. 1. 106  Siehe ErwGrd. 9 Verbandsklagen-RL sowie die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 19/2507, 1. 107  Als missliche Folge des Desinteresses wird v. a. angesehen, dass der Gewinn aus pflichtbzw. rechtswidrigem Verhalten beim Verletzer verbleibt, siehe wiederum die Begründung in BTDrs. 19/2507, 1. 108  Vergleiche auch Riehm, JZ 2016, 866, 872; zum UKlaG Walker, in: NK-BGB, Vorb. UKlaG Rn.  6. 109  Vergleiche ErwGrd. 1, 10, 52 Verbandsklagen-RL sowie zur Musterfeststellungsklage BTDrs. 19/2507, 15; zum Missbrauchspotenzial etwa Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635–646. 110  Kritisch zur Musterfeststellungsklage Scholl, ZfPW 2019, 317, 334; zu den Vorschlägen für die Verbandsklagen-RL Domej, ZEuP 2019, 446, 465–467, 469–470; siehe bereits Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 650–651; zum UKlaG Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 347–348; zur Gewinn­ abschöpfung nach dem UWG bzw. GWB Meller-Hannich, NJW-Beil. 2018, Heft 2, 29, 30. 111  Siehe nur BGH, Urt. v. 9.5.2019 – I ZR 205/17, NJW 2019, 2691 – Prozessfinanzierer II. 112  Soeben im Text bei Fn.  97. 113  Zurückhaltend ErwGrd. 70 Verbandsklagen-RL. 114  So argumentieren z. B. Domej, ZEuP 2019, 446, 468; Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 348. 105 

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sellschaftung der Kosten durchaus sachgerecht.115 Im Vordergrund mag zwar, wie gesehen, die effektive Rechtsdurchsetzung stehen, und zumindest im Fall eines Vergleichsschlusses (siehe insbesondere Art.   11 Verbandsklagen-RL bzw. §   611 ZPO) bleibt die gerichtliche Rechtsklärung auf der Strecke. Dennoch erhöht die Existenz kollektiver Rechtsschutzinstrumente die Aussichten auf eine Rechtskon­ kretisierung bzw. -fortbildung durch die Gerichte.116 Mitunter wird gar formuliert, „dass die Verbandsklage der gerichtlichen Normkonkretisierung dient“.117 Bei entsprechender Ausgestaltung erscheinen Musterverfahren und Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes demnach prinzipiell geeignet, effektivere Anreize zur Rechtsklärung zu setzen und dabei zugleich für mehr Effizienz und eine ge­ rechtere Lastenverteilung zu sorgen. Vor diesem Hintergrund wäre über eine wei­ ter gehende Erschließung von Streitigkeiten außerhalb der Rechtsbeziehungen zwi­ schen Verbrauchern und Unternehmern nachzudenken.118 Dass es zu der genann­ ten Effizienzsteigerung und der wünschenswerten Lastenverteilung kommt, setzt zudem voraus, dass potenzielle Anspruchsinhaber nicht gezwungen werden, zur Wahrung ihrer Rechte doch eine Individualklage zu erheben. Die in §  204 Abs.  1 Nr.  1a, 6a BGB angeordnete Verjährungshemmung sorgt im Bereich der Muster­ feststellungsklage für Sicherheit. Vergleichbare Vorgaben macht Art.   16 Ver­ bandsklagen-RL. Demgegenüber könnten sonstige Musterverfahren – mangels Einschlägigkeit der verjährungsrechtlichen Unzumutbarkeitsausnahme119 – nur dann abgewartet werden, wenn es nach Klageerhebung zu einer Aussetzung des Verfahrens in Analogie zu §  148 Abs.  1 ZPO käme.120 Der BGH lehnt ein solches Vorgehen im Grundsatz ab.121 Das erscheint vor dem Hintergrund der Sonder­ regelungen in §  148 Abs.  2 ZPO (zur Musterfeststellungsklage) sowie §  8 KapMuG de lege lata konsequent,122 ist aber in rechtspolitischer Hinsicht zu überdenken.123 115  Siehe bereits oben 2. zur denkbaren Gerichtskostenfreiheit, sofern das Verfahren die im Allgemeininteresse liegende Rechtskonkretisierung bzw. -fortbildung erlaubt. 116 Siehe Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 285; Schilken, in: Rechtsschutz, S.  21, 43 (Herbeifüh­ rung von Rechtssicherheit). 117 So Guski, ZZP 131 (2018), 353, 362 (siehe zum Ganzen a. a. O., 360–363). 118 Vergleiche Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329, 345–346; Meller-Hannich, NJW-Beil. 2018, Heft 2, 29, 30, 31, 32; Scholl, ZfPW 2019, 317, 338–339 m. w. N. 119  Siehe oben §  7 C. II. 2. b) bb). 120  Zur Verjährung in diesem Fall siehe Stadler, in: Musielak/Voit, §  148 Rn.  9. 121  BGH, Beschl. v. 30.3.2005 – X ZB 26/04, BGHZ 162, 373 = NJW 2005, 1947, 1947–1948; BGH, Beschl. v. 28.2.2012 − VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575, 576 Rn.  7; eher ablehnend z. B. auch Fritsche, in: MüKo-ZPO, §  148 Rn.  8 , 19; zur Diskussion Stadler, in: Musielak/Voit, §  148 Rn.  5a. 122  Ablehnung einer planwidrigen Regelungslücke unter Verweis auf die geregelten Fälle bei BGH, Beschl. v. 8.4.2014 – XI ZB 40/11, NJW-RR 2014, 758, 759 Rn.  14–16; OLG Köln, Beschl. v. 16.8.2018 – 4 W 34/18, NJW-RR 2018, 1388, 1389–1390 Rn.  11–12. 123  Der Weg über Prozessaussetzungen ist allerdings im Vergleich zu Verfahren, die von An­ fang an als Gruppenverfahren geführt werden, „außerordentlich mühsam“ (Meller-Hannich, NJW-­Beil. 2018, Heft 2, 29, 31). In Abwesenheit solcher Gruppenverfahren dürfte die Aussetzung aber immer noch vorzugswürdig sein. Zu deren sinnvollem Anwendungsbereich Kähler, NJW 2004, 1132 ff., insb. 1136–1137.

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4. Erleichterungen zugunsten des irrenden Schuldners in Fällen der rechtlichen Ungewissheit Nicht zu einer Effizienzsteigerung oder breiteren Lastenstreuung, sondern einzig zur Steigerung der Klärungsanreize könnte eine Abmilderung der strengen Schuld­ nerhaftung nach §§  280, 281, 286 BGB im Fall der Rechtsungewissheit führen. Das gilt allerdings nicht für eine flächendeckende Anpassung des Erkenntnisgrades. Es wurde schließlich festgestellt, dass die strenge Schuldnerhaftung nur vordergrün­ dig anreizfeindlich wirkt: Gegenüber einer milderen Variante dürfte sie sich in der Gesamtkalkulation mindestens anreizneutral, wenn nicht gar anreizförderlich ver­ halten.124 Indes wurde zugleich festgestellt, dass die Anreizwirkung im Einzelfall stark von der unterschiedlichen Klageneigung der konkret beteiligten Parteien abhängt: Steht die weniger klagegeneigte (insbesondere wirtschaftlich unterlegene) Partei auf der Schuldnerseite, dürfte eher eine milde Schuldnerhaftung zur Streitaustra­ gung führen.125 Es ließe sich über die Implementierung entsprechend passgenauer Ausnahmen von der strengen Haftung, insbesondere zugunsten von Wohnraum­ mietern, nachdenken. De lege lata ist dies oben vor allem unter Verweis auf das Bestehen sonstiger Schutzinstrumente (insbesondere Kündigungsvoraussetzungen und Zurückbehaltungsrechte) abgelehnt worden.126 Auch de lege ferenda müsste man nicht zwingend am einheitlichen Maßstab für die Schuldnerhaftung rütteln. Man könnte sich stattdessen auf einen Ausbau der genannten Schutzinstrumente verlegen. So könnten der mietrechtliche Kündigungsschutz sowie das Zurückbe­ haltungsrecht bei Mängeln punktuell gestärkt werden.127 Dadurch würde zugleich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Wohnraummieter einem Anspruchsbegeh­ ren des Vermieters standhält und es zur rechtlichen Klärung kommt. Damit würde allerdings nicht nur ein Anreiz zur streitigen Auseinandersetzung über klärungs­ würdige Rechtsfragen gesetzt. Vielmehr resultierte allgemein eine Verschiebung zugunsten der Mieterinteressen. Eine solche müsste man dementsprechend gene­ rell  – insbesondere aus sozialen Gründen – für gerechtfertigt halten. Eine Rechtsklärung wird im Übrigen nicht nur dadurch begünstigt, dass der weniger klagegeneigte Schuldner die Leistung ohne Haftungsrisiko verweigern kann. Die Chancen darauf, dass die unterlegene Vertragspartei trotz Rechtsunge­ wissheit nachgibt, werden schon dadurch verringert, dass diese Partei überhaupt auf der Schuldnerseite steht. In diesem Fall muss sie wenigstens keine Veränderung des Ist-Zustands anstreben.128 Mit Blick auf diesen Zusammenhang könnte man an Verschiebungen der „Initiativlast“ zugunsten der weniger streitbereiten Partei den­ 124 

§  11 C. II. 2. c) bb), §  15 A. II. 1. b) bb). Siehe wiederum §  11 C. II. 2. c) bb). 126  Siehe insb. §  11 C. II. 6. d) aa) (2) (a), (e), bb) (1). 127  Siehe etwa die Vorschläge von Raabe, WuM 2017, 65, 69–70, 72; vergleiche zudem Hau, ZZP 129 (2016), 133, 149–150, zum Schutz des Mieters bei Mieterhöhungen. 128  Siehe bereits §  15 A. II. 1. b) bb) m.N. 125 

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

ken.129 Insoweit könnten künftig auch Smart Contracts zum Einsatz gelangen:130 Das Gesetz könnte den Rückgriff auf solche in bestimmten von Ungleichgewicht geprägten Beziehungen vorsehen. Auf diesem Wege würde sichergestellt, dass bei Vorliegen bestimmter objektiver Parameter, die etwa auf einen Mangel am Ver­ tragsgegenstand hindeuten, automatisch eine vorläufige Entschädigung ausgelöst wird, die sich die überlegene Vertragspartei (etwa der Vermieter) zurückerstreiten müsste.131 Eine Rechtfertigung dafür wird sich jedoch nur insoweit finden, wie das Ergebnis der automatischen Zuweisung in der überwiegenden Zahl der Fälle dem materiell-rechtlich richtigen Zustand entspricht.132 5. Sonstige Förderung der Streitaustragung Es lassen sich weitere Ansätze finden, die die Effektivität der Klärungsanreize er­ höhen könnten. Angesprochen sind sämtliche Instrumente, die zu einer stärkeren Mobilisierung potenzieller Streitparteien beitragen. Insofern gilt es jedoch stets zu beachten, dass solche Mittel nicht zugleich die oben angesprochene Effizienz- und Verteilungsproblematik adressieren. Im Gegenteil können sich sogar Effizienz­ verluste ergeben. Zu solchen kommt es, wenn den Kosten der veranlassten Rechts­ streitigkeiten kein gleich großer Nutzen – insbesondere in Form der Rechtskonkre­ tisierung – gegenübersteht.133 Ein solcher Nutzen wird auch dann verfehlt, wenn ein unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklärung eigentlich „interessanter“ Streit zwar zu Gericht gelangt, dort aber ohne Urteil seine Erledigung findet.134 Das Spektrum denkbarer Maßnahmen zur Förderung der gerichtlichen Streitaus­ tragung beginnt bei einer Attraktivitätssteigerung des gerichtlichen Verfahrens, etwa durch eine Beschleunigung,135 aber auch durch sonstige Verbesserungen.136 129 Vergleiche Hau, ZZP 129 (2016), 133, 149, unter dem Stichwort der „Klagelast“, welches von ihm synonym zu Begriffen wie „Rechtsschutzinitiativlast“ verwendet wird (siehe a. a. O., 134). 130  Zum Einsatz von Smart Contracts (allgemein zu diesen oben vor §  19) zugunsten von Ver­ brauchern gegenüber Unternehmern insb. Fries, AnwBl 2018, 86, 88; Fries, NJW 2019, 901, 902, sowie – zur Fluggastentschädigung – Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 131  Siehe zu Anwendungsbeispielen oben vor §  19. Auf den Fall der automatischen Mietminde­ rung weist etwa Fries, NJW 2019, 901, 902, hin. 132  Auf dieser Grundlage operiert auch Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 133  Vergleiche dazu bereits oben 2. hinsichtlich einer Gerichtskostenbefreiung. Natürlich kann ein besserer Zugang zum Recht auch durch verfassungsrechtliche Gründe oder soziale Erwägun­ gen (vergleiche oben 4. zur Stärkung von Mieterrechten) gerechtfertigt sein, selbst wenn sich kein positiver (externer) Effekt in Form der Rechtsklärung (§  3 A. II. 2. mit Fn.  69) ergibt (zu den mög­ lichen Wohlfahrtsgewinnen Adams, Analyse, S.  82–83). 134  Greger, ZZP 131 (2018), 317, 350, fragt, „ob die Ressourcen der Justiz nicht primär für die originäre Rechtsprechungsaufgabe eingesetzt und konsensuale Konfliktlösungen besser außer­ gerichtlichen Verfahren überlassen werden sollten“. 135 Siehe dazu den kritischen Befund zu den Auswirkungen der bisherigen Reformen bei ­G reger, ZZP 131 (2018), 317, 348–350. 136  Hierzu zählt v. a. eine stärkere Digitalisierung, siehe AG Modernisierung, Thesenpapier, S.  1–4; Greger, ZZP 131 (2018), 317, 351; Rühl, JZ 2020, 809, 813; zu weiteren Vorschlägen Hidding, Zugang, S.  220–224; Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2526–2527; Riehm, JZ 2016, 866, 873.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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Ferner ließe sich im Bereich der Anwaltskosten ansetzen, um Betroffene nicht schon vom Gang zum kompetenten Berater abzuhalten.137 Insbesondere ist die rechtspoli­ tische Diskussion um anwaltliche Erfolgshonorare und Prozessfinanzierung (siehe bislang §  49b Abs.  2 BRAO, §  4a RDG) nicht zuletzt durch den Konkurrenzdruck von Legal-Tech-Inkassodienstleistern138 befeuert worden. Ein aktueller Referenten­ entwurf sieht eine stärkere Öffnung solcher Instrumente für Rechtsanwälte vor.139 Allerdings erscheint es nicht fernliegend, dass eine anwaltliche Prozessfinanzierung die Vergleichsneigung erhöht.140 Eine Erfolgsabhängigkeit der Vergütung könnte überdies dazu führen, dass weniger Mandate mit offenen Erfolgsaussichten – also gerade auch solche mit klärungsbedürftigen Rechtsfragen – angenommen werden.141 Die stärkere Verbreitung von Legal-Tech-Instrumenten bringt darüber hinaus eine weitere Gefahr mit sich: Soweit sich in bestimmten Bereichen eine außergerichtliche „algorithmische[] Problemlösung“ etabliert, erhalten staatliche Gerichte kaum mehr Gelegenheit, zu offenen Rechtsfragen auf den betroffenen Gebieten Stellung zu nehmen.142 6. Verstärkte Veröffentlichung von Entscheidungen und Integration nicht staatlicher Streitentscheidung Zur Förderung der Rechtsklärung würde es nicht zuletzt beitragen, wenn Ge­ richtsentscheidungen verstärkt veröffentlicht würden. Gerade für Legal-Tech-An­ wendungen, die auf Entscheidungsdaten angewiesen sind,143 wäre es wichtig, dass ergangene Gerichtsentscheidungen zur Auswertung zur Verfügung stehen.144 Für die Veröffentlichung höchstrichterlicher Entscheidungen ist zwar gesorgt. Auf Ebene der Instanzgerichte schlummert dagegen ein enormes, noch nicht gehobenes Potenzial.145 Zwar kommt Instanzentscheidungen nicht die gleiche prägende Funk­ 137  Zur Bedeutung als Abschreckungsfaktor siehe z. B. Singer, BRAK-Mitt 2019, 211, 211 m.N. Durch das KostRÄG 2021 sind die Gebührensätze indes erhöht worden. 138  Dazu oben vor §  19 sowie 3. 139  §  49b BRAO-E, §  4a RVG-E nach dem bei Fn.  97 genannten RefE. 140 Näher Christian Wolf, BRAK-Mitt 2020, 250, 253–254. 141 Siehe Christian Wolf, BRAK-Mitt 2020, 250, 254–255 (auch unter Hinweis auf das Ausrei­ chen deutlich geringerer Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilferecht); vergleiche zudem Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 639–640. 142 Siehe Wernicke/Mehmel, ZEuP 2020, 1, 7 (unter dem Stichwort der „Privatisierung von Recht“); vergleiche zu diesem Phänomen bereits §  7 C. I. c) dd), v. a. mit Blick auf Schiedsverfah­ ren. Rühl, JZ 2020, 809, 813 Fn.  47, weist indes zu Recht darauf hin, dass manche Legal-Tech-An­ bieter Fälle gezielt gerichtlich klären lassen. 143  Siehe oben vor §  19. 144  Suliak, Legal Tribune Online v. 24.2.2018: Es brauche eine „belastbare Rechtsprechungs­ datenbank, in der nicht nur obergerichtliche, sondern auch die große Masse an Amts- und Land­ gerichts-Entscheidungen dokumentiert sind“. 145  Suliak, Legal Tribune Online v. 24.2.2018, zitiert Aussagen aus der Legal-Tech-Branche, wonach im Jahr 2015 nur 0,6 Prozent der amtsgerichtlichen Entscheidungen dokumentiert wor­ den seien. J. Wagner, Legal Tech, S.  72, schätzt den Anteil der publizierten Entscheidungen auf ein Prozent. Perspektivisch für eine Veröffentlichung sämtlicher Entscheidungen AG Modernisie­ rung, Thesenpapier, S.  5.

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

tion wie höchstrichterlichen Judikaten zu. Doch ist erstens daran zu erinnern, dass auch instanzgerichtliche Stellungnahmen, zum Beispiel als Teil von Sammlungen zu Schmerzensgeldbeträgen oder Mietminderungsquoten, der Orientierung die­ nen.146 Zweitens verspricht die technikgestützte Auswertung großer Mengen an Urteilen und Beschlüssen die Aufdeckung mancher Entscheidungstendenz, die zu­ vor nicht offen zutage getreten ist. Auch damit ginge ein Gewinn an rechtlicher Orientierung einher. Allein durch eine verstärkte Pflicht zur Veröffentlichung von Entscheidungen wäre allerdings in denjenigen Rechtsgebieten nichts gewonnen, in denen Streitig­ keiten in der Regel nicht vor staatlichen Gerichten geführt werden. Um die Rechts­ klärung in Bereichen voranzutreiben, die zur klassischen Domäne der Schieds­ gerichte zählen, müsste dort eine entsprechende Veröffentlichungspraxis etabliert werden147 bzw. de lege ferenda an die Einführung entsprechender Vorlagemög­ lichkeiten aus der Schieds- in die staatliche Gerichtsbarkeit nachgedacht werden.148

IV. Schlussfolgerungen Die Behandlung der objektiven Rechtsungewissheit durch das Verjährungsrecht und die Grundsätze zur Putativgläubigerhaftung sind aus Anreizgründen nicht unverzichtbar (dazu 1.). Es lässt sich über entsprechende Gesetzesänderungen nachdenken (2.). Allerdings sprechen auch unter Ausblendung von Anreizgesichts­ punkten gewichtige Argumente für einen grundsätzlichen Verbleib beim Status quo (dazu 3.). 1. Verzichtbarkeit strenger Verjährung und milder Putativgläubigerhaftung unter Anreizgesichtspunkten Die Klärungsanreize, die das Verjährungsrecht und die Haftungsprivilegierung des Anspruchstellers im Fall der Rechtsungewissheit setzen, erscheinen nicht un­ entbehrlich. Es hat sich gezeigt, dass auch andere de lege ferenda zu schaffende bzw. zu stärkende Instrumente die Rechtsklärung gleich gut oder stärker fördern könn­ ten. Der Werkzeugkasten ist gut gefüllt. Um den Dreiklang aus Effektivität, Effizi­ enz und gerechter Lastenverteilung stärker als bislang zu erreichen, bietet sich ins­ besondere eine Stärkung von Musterverfahren und Verbandsklagen an. Hierdurch würden indes vornehmlich solche Rechtsfragen einer Klärung zuge­ führt, die in identischer Weise in vielen Parallelfällen relevant werden. In manchen Bereichen ist allerdings gerade eine Masse an Einzelentscheidungen hilfreich, um Orientierung zu gewinnen.149 So verhält es sich vor allem, wo nicht binäre Ent­ 146 

Siehe oben §  18 C. II. Dazu z. B. monografisch Philip Wimalasena, Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung, Tübingen 2016, zugl. Diss. Frankfurt a. M. 2014. 148  Dazu etwa Gaier, NJW 2016, 1367, 1371. 149  Dies verkennt E. Schmidt, KritV 1989, 303, 311–313, bei seinen Ausführungen zur „Genera­ lisierungsfeindlichkeit von Individualkonflikten“. 147 

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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scheidungen zu fällen sind, sondern aus einer Bandbreite denkbarer Ergebnisse zu wählen ist.150 Deshalb leisten auch Instanzgerichte überall dort einen wichtigen Beitrag, wo ihre dezentral gefällten Entscheidungen in der Akkumulation recht­ liche Standards präzisieren.151 Ebenso wurde bereits angedeutet, dass der Bedeu­ tungszuwachs von Legal Tech einhergeht mit einem erhöhten Bedarf an „Rohstoff“ in Gestalt von Entscheidungen. Selbstlernende Systeme lassen sich umso besser trainieren, je größer der Grundstock an Trainingsdaten ist.152 Auch dort, wo auto­ matisiert eine (vorläufige) Zuweisung von Rechtspositionen durch Smart Contracts stattfinden soll,153 wäre es wichtig, sich mit der Programmierung der materiellen Rechtslage möglichst stark anzunähern.154 Gerade wenn der Bereich richterlichen Ermessens betroffen ist, lässt sich eine solche Annäherung nur erreichen, wenn ein großer Fundus an Entscheidungen zu Einzelfragen zur Verfügung steht.155 Auch diese Überlegungen liefern jedoch keine Rechtfertigung für das derzeit geltende Anreizmodell. Der Bedarf an instanzgerichtlichen Stellungnahmen sollte nicht pri­ mär über eine ineffiziente Förderung gerichtlicher Streitigkeiten gedeckt werden. Als deutlich schonendere und effizientere Alternative bietet es sich an, Instanzent­ scheidungen zunächst einmal konsequent zu veröffentlichen.156 Damit wäre besser für einen ausreichenden Entscheidungsfundus gesorgt als durch die flächendecken­ de Förderung weiterer Entscheidungen, die ihrerseits nur zu einem geringen Teil veröffentlicht würden. 2. Denkbare Anpassungen im Gesetzesrecht und Konsequenzen Hält man die Anreizwirkung des Verjährungsrechts für entbehrlich, entfällt eine wesentliche Grundlage dafür, die rechtliche Ungewissheit als unbeachtlich für den Verjährungsbeginn anzusehen. Es erschiene daher auf den ersten Blick konsequent, wenn rechtliche in gleicher Weise wie tatsächliche Zweifel157 den Beginn der Regel­ verjährung hindern könnten. Dass der Schuldner in der Folge bis zum Eintritt der Maximalverjährung (§  199 Abs.  2–4 BGB) keine endgültige Sicherheit hätte, ist in der Grundentscheidung für eine subjektive Anknüpfung des Verjährungsbeginns angelegt.158 Eine Sonderbehandlung rechtlicher Zweifel wäre allenfalls insoweit zu begründen, wie sich darauf verweisen ließe, dass sich die subjektive Ungewissheit 150  Auf die exemplarische Bedeutung für die Erstellung von Tabellen ist unter III. 6. hingewie­ sen worden. 151  Siehe dazu §  3 A. II. 2., insb. unter Verweis auf Schäfer/Ott, Analyse, S.  88, 208, 214. 152  Siehe wiederum III. 6. 153  Dazu oben vor §  19 sowie III. 4. 154  Dies als entscheidenden Faktor ansehend Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018; zu­ stimmend Fries, NJW 2019, 901, 904; zum Verhältnis von Smart Contract und materiellem Recht siehe noch unten III. 2. 155  Zur teilweise geäußerten Skepsis betreffend den Einsatz von Smart Contracts bei der Ab­ hängigkeit von solchen Fragen siehe oben vor §  19 Fn.  4 4. 156  Dazu bereits III. 6. 157  Zu den insoweit einschlägigen Maßstäben siehe §  7 B. II. (vor 1.). 158  Vergleiche bereits §  7 C. I. 1. c) aa).

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

durch (stets verfügbaren) Rechtsrat hätte ausräumen lassen.159 Dieses Argument rechtfertigt aber nicht die Diskriminierung von Rechtszweifeln, die auch ein Ex­ perte nicht hätte beseitigen können.160 Eine künftige Fassung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB müsste diesem Umstand Rechnung tragen. Man könnte sich ansatzweise an der Formulierung von §  33h Abs.  2 Nr.  2 lit.  a GWB orientieren.161 Dort wird nicht nur Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände, sondern auch davon, „dass sich daraus ein Verstoß […] ergibt“, vorausgesetzt. Daran angelehnt ließe sich in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB formulieren (Ergänzung in kursiv): „2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen sowie davon, dass sich daraus ein Anspruch ergibt, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne gro­ be Fahrlässigkeit erlangen müsste.“

Um die Vorschrift verständlich zu halten, wäre eine Untergliederung in Buchsta­ ben wie in §  33h Abs.  2 Nr.  2 GWB zu erwägen. Wollte man zusätzlich abbilden, dass es für die rechtliche Einschätzung wegen der institutionalisierten Verfügbar­ keit von Rechtsrat nicht auf grobe Fahrlässigkeit ankommt, böte sich die Anfügung einer eigenen Nr.  3 an, um die Übersichtlichkeit zu wahren. §  199 Abs.  1 BGB könnte dann lauten (Löschungen durchgestrichen, Ergänzungen in kursiv): (1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist und, 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.- und 3. objektiv erkennbar ist, dass der Anspruch besteht.

Mit einer solchen Änderung wäre klargestellt, dass das Gesetz einen potenziellen Gläubiger bei rechtlicher Ungewissheit nicht uneingeschränkt zur Geltendma­ chung drängt. Damit würde auch die Grundlage für die weitgehende Haftungs­ privilegierung des Putativgläubigers brüchig.162 Der Weg wäre offen für eine stär­ ker abwägende Prüfung der Ersatzpflicht, wie sie im Schrifttum als Gegenmodell zum starren Klageprivileg der Rechtsprechung vorgeschlagen wird.163 Für die Haf­ tung des Schuldners wegen Nicht- oder Zuspätleistung ergäben sich hingegen keine Folgewirkungen. Die dortige strenge Behandlung von Rechtszweifeln beruht im Kern nicht auf einer spiegelbildlichen Ausgestaltung im Vergleich zur Putativgläu­ bigerhaftung, sondern auf der Wertung der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO.164

159  Zu dieser zusätzlichen Ratio §  7 C. I. 1. c) cc); zur rechtspolitischen Diskussion um die Sub­ stitution durch Vorwerfbarkeit siehe unten §  20. 160  Siehe §  7 C. I. 1. c) dd). 161  Näher dazu §  7 B. II. 2. a). 162  Zur Verknüpfung siehe §  9 C. III. 2. a), §  15 A. I. 1. 163  Siehe dazu §  9 C. I. 2. a), z. B. Thole, AcP 209 (2009), 498, 533–534, 535–536, und auch Hofmann, ZfPW 2018, 152, 169–170; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  823. 164  Siehe §  15 A. II. 2. b); zur rechtspolitischen Kritik daran siehe unten C.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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3. Präferenz für Beibehaltung der geltenden Konzeption unter Flankierung durch weitere Instrumente Es erscheint nach den bisherigen Ergebnissen ebenso vertretbar wie umsetzbar, so­ wohl die verjährungsrechtliche Diskriminierung von Rechtszweifeln als auch die korrespondierende Privilegierung des Putativgläubigers abzuschwächen. Letzten Endes dürften aber trotz der entbehrlichen Anreizwirkungen die besseren Gründe für eine Beibehaltung des derzeit geltenden Modells streiten. Für einen Verbleib beim bisherigen Verjährungskonzept spricht vor allem dessen Einbettung in einen weitgehenden internationalen Konsens. So orientiert sich §  199 BGB ausdrücklich an Art.  10 Abs.  1 der ProdHaftRL sowie an den PECL.165 Auch weitere internationale Modellregeln haben sich für eine vergleichbare Konzeption entschieden.166 Insgesamt zeigt der Rechtsvergleich eine gewisse Konvergenz, was die Anknüpfung an die Tatsachenkenntnis als Verjährungsvoraussetzung be­ trifft.167 Das deutsche Recht müsste aus dieser Reihe ausscheren, wollte man die oben erwogenen Änderungen vornehmen. Für einen Verbleib bei der großzügigen Haftungsprivilegierung des zweifelnden Anspruchstellers spricht vor allem der dadurch erreichte Gleichklang mit dem Maßstab des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO.168 Unter dem geltenden anreizgetriebenen Konzept dient dieser Maßstab hauptsächlich als normative Grenze für wünschens­ werte Anreizwirkungen.169 Doch selbst wenn man sich von den Anreizerwägun­ gen löste, hätte eine Orientierung an §  114 ZPO ihre Berechtigung. Es drohte ein Wertungswiderspruch, wenn Streitverhalten prozesskostenhilferechtlich als förde­ rungswürdig, haftungsrechtlich hingegen als unerwünscht bewertet würde.170 In dem Hinweis auf §  114 ZPO klingt zudem ein weiteres wichtiges Argument an. Das de lege lata verfolgte Konzept wurde oben vor allem wegen der dadurch eröffneten Möglichkeit, einen übergreifenden Maßstab zu entwickeln, gelobt.171 Zwar ist nicht gesagt, dass sich nicht auch auf Grundlage weniger starker Diskrimi­ nierungen und Privilegierungen einheitliche Maßstäbe schaffen ließen.172 Zumin­ dest die Verbindung zu den Vorgaben von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO müsste jedoch ge­ löst werden, wollte man den hier diskutierten Konzeptwechsel durchführen. Zu­ 165 

Siehe Begr. SchuldRModG-E, BT-Drs. 14/6040, 104 bzw. 103. bereits §  7 A. sowie Abeling, Kenntnis, S.  164, zum Beruhen auf „denselben Grund­ überlegungen“. 167 Siehe Bär, Verjährung, S.  155–162 m.N. 168  Dazu §  9 C. III. 3. a). 169  Siehe §  15 A. II. 1. c) aa). 170  Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein sich verteidigender Schuldner in den Genuss von Prozesskostenhilfe kommen kann, obwohl er zeitgleich streng auf Verzugsschadensersatz haftet. Dies erklärt sich dadurch, dass die Haftung an die Leistungsverweigerung anknüpft. Das Streitverhalten an sich ist hingegen unter den gleichen Voraussetzungen wie auf Seiten des An­ spruchstellers haftungsfrei, siehe §  15 A. II. 2. b) cc) (1). 171  Siehe insb. §  15 B. II. 172  Zur (dort abgelehnten) Idee einer weitgehenden Angleichung von Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung siehe etwa §  11 C. II. 2. d) aa)–bb). 166  Siehe

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

dem liegt der Vorzug der gespiegelten Maßstäbe im Kontext des Verjährungsrechts bzw. der Putativgläubigerhaftung nicht allein im übergreifenden Charakter, son­ dern auch im weitgehenden Verzicht auf „Graustufen“.173 Die klare Diskriminie­ rung bzw. Privilegierung erhöht die Vorhersehbarkeit für die Beteiligten und er­ leichtert die Bewertung aus der ex-post-Perspektive.174 Diese Vorteile sollten nicht leichtfertig geopfert werden, mag auch die Begründung über Anreizerwägungen unter einem rechtspolitischen Blickwinkel nicht zwingend erscheinen. Die Orien­ tierungssicherheit ist ein Wert für sich, der sich durchaus gegen die Einzelfallge­ rechtigkeit behaupten kann.175 Die verhältnismäßig klare Trennung in zweifels­ freie und zweifelhafte Fälle mit jeweils eindeutigen Rechtsfolgen hätte auch für die Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen Vorteile. Für die Programmierung liegt, wie beschrieben, eine erhebliche Schwierigkeit in der Integration juristischer Wertungsentscheidungen.176 Je stärker man solche Unwägbarkeiten reduziert und je mehr man bestimmten Sachverhalten eindeutige Rechtsfolgen zuweist, desto ein­ facher wird die Bereitstellung entsprechender Software – mit all ihren Vorteilen.177 Auch die übergreifende Geltung der formulierten Maßstäbe ist insoweit von Nut­ zen. So könnte Machine Learning auch auf Basis von Entscheidungsdaten zu den übrigen Quadranten stattfinden. Im Ergebnis sprechen somit gute Gründe für einen Erhalt des derzeitigen Rege­ lungskonzepts im Bereich des Verjährungsrechts und der Putativgläubigerhaftung. Das bedeutet jedoch nicht, dass de lege ferenda überhaupt keine Änderungen rat­ sam sind. Es ist keineswegs ausgeschlossen, mit Blick auf die wünschenswerte Rechtskonkretisierung und -fortbildung flankierende Maßnahmen zu ergreifen. Insoweit lässt sich auf die oben gewonnenen Erkenntnisse zurückkommen:178 Eine Schlüsselrolle dürfte, neben einer verstärkten Veröffentlichungspraxis, der mit Au­ genmaß vorgenommenen Förderung von kollektiven Rechtsschutzinstrumenten und Musterverfahren zukommen. Auch ein Ausbau der Gelegenheit zur revisions­ gerichtlichen Stellungnahme erscheint erwägenswert.179

173  Auch das aktuelle Modell kommt freilich nicht ohne jegliche wertende Entscheidung aus, siehe insb. zur Maßgeblichkeit der Vertretbarkeit §  15 C. II. 2. a), III. 174  Siehe dazu §  15 B. II.; vergleiche zudem §  15 C. II. 1. b) zur Verhinderung von Rückschau­ fehlern. 175  Vergleiche allgemein etwa G. H. Roth, in: FS Bosch, S.  827, 838. 176  Siehe oben vor §  19. 177  Gerade deshalb funktionieren entsprechende Anwendungen im Bereich der Fluggastent­ schädigung, siehe Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334, 336; Hoch, AcP 219 (2019), 646, 649. 178  Zusammenfassend 1. sowie zuvor die ausführliche Diskussion unter III. 179  Dazu oben III. 1.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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C. Sanktionierung von Streitverhalten ohne vorläufigen Verzicht auf umstrittenen Gegenstand Der aktuellen Behandlung von Rechtszweifeln liegt als dritte wesentliche Wertung zugrunde, dass Entlastung nur verdient, wer die Klärung der Zweifel betreibt, ohne auf die streitbefangene Rechtsposition zuzugreifen. Diese Wertung ist §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zu entnehmen. Sie erklärt insbesondere die strenge Haftung des zweifeln­ den Schuldners, der seine Leistungspflicht nicht erfüllt.180

I. Fehlende Überzeugungskraft der Wertung aus §§  717 Abs.  2 , 945 ZPO Im Unterschied zu den beiden bereits behandelten Wertungen (Vertrauensschutz, erwünschte Klärungsanreize)181 verdient im Kontext der strengen Durchsetzungsbzw. Verweigerungshaftung bereits das Motiv rechtspolitische Kritik. Daran, dass der Gesetzgeber der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO gerade eine verschul­ densunabhängige Haftung statuieren wollte, besteht kein Zweifel.182 Diese Rich­ tungsentscheidung sollte indes de lege ferenda korrigiert werden. Das Petitum be­ trifft vor allem die Regelung des §  717 Abs.  2 ZPO. Diese führt zur größtmöglichen Bevorzugung des Schuldners.183 In ihrer Kompromisslosigkeit sticht die Lösung im Rechtsvergleich hervor.184 Allerdings gelangt der Gläubiger nach deutschem Recht auch in beachtlichem Ausmaß in den Genuss der vorläufigen Vollstreckbarkeit.185 Unter Verweis auf diesen Umstand wird §  717 Abs.  2 ZPO im rechtspolitischen Diskurs mitunter verteidigt.186 Überzeugender erscheint es allerdings, in der weit­ gehenden Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit keinen Faktor zu er­blicken, der durch eine rigide Haftung auszugleichen wäre. Vielmehr sind die Vollstreck­ barkeitsregeln ihrerseits als Ausgleich anzusehen – nämlich für die schlechtere Ausgangslage, in der sich der Gläubiger im Vergleich zum Anspruchsgegner, der die begehrte Rechtsposition innehat, befindet. Der Schuldner kann sich durch schlichte Verweigerung den Zugriff auf die umstrittene Position erhalten. Dafür besteht jedenfalls dann kein überwiegender Grund mehr, wenn der Gläubiger sei­ nerseits von einem Gericht Recht bekommen hat.187 Zutreffend wird darauf hin­ 180 

Siehe oben §  15 A. II. 2. b). Dazu soeben A. und B. I. 182 Siehe Mugdan, Materialien II, S.  1164–1165. 183  Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  2. 184  Umfangreiche Nachweise bei Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  3; zur Rechtslage in Italien bzw. Frankreich näher Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  160, 167–172 bzw. S.  149, 166. Das französische Recht gleicht allerdings in diesem Punkt dem deutschen. 185  Darauf weist Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  3 Fn.  8 , selbst hin (näher a. a. O., vor §§  708–720a Rn.  4); siehe auch G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  704 Rn.  2 Fn.  5. Allerdings ist auch in Italien eine vorläufige Vollstreckung weitgehend möglich, Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  78– 82. 186 So G. Götz, in: MüKo-ZPO, §  717 Rn.  8 . 187  Siehe oben §  11 C. II. 2. b) bb). Ebenfalls nachdrücklich für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen der obsiegenden Partei Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  76–77. 181 

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

gewiesen, die strenge Haftung widerspreche der „Rechtmäßigkeitsvermutung der Ausgangsentscheidung“.188 Das Gesetz bringt durch §  717 Abs.  2 ZPO ein fragwür­ diges Misstrauen gegenüber erstinstanzlichen Entscheidungen zum Ausdruck.189 Das gilt in besonderem Maße für die vorliegend relevanten Fälle einer (ausschließ­ lich) rechtlichen Korrektur im Instanzenzug. Zur Aufhebung in der Berufungs­ instanz mag es gegebenenfalls infolge neuen Tatsachenmaterials (§  529 Abs.  1 Nr.  2 ZPO) kommen.190 Insoweit besteht von vornherein eine gewisse Unsicherheit. Die rechtliche Bewertung ist indes – sieht man von Gesetzesänderungen oder Wenden der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab – grundsätzlich keinem vergleichbaren Risiko unterworfen.191 Die Gefahr besteht lediglich darin, dass dem Gericht in ers­ ter Instanz ein Bewertungsfehler unterlaufen ist. Im Kern vergleichbare Kritik war in den Gesetzesberatungen zum heutigen §  717 Abs.  2 ZPO schon innerhalb der Kommission vorgebracht worden: Soweit man die vorläufige Vollstreckung zulasse, sei es inkonsequent, diese mit einer verschuldens­ unabhängigen Haftung zu belegen;192 der Vollstreckungsgläubiger müsse grund­ sätzlich auf die Richtigkeit der zu vollstreckenden Gerichtsentscheidung vertrauen dürfen.193 Das gegenläufige Verständnis der Kommissionsmehrheit, wonach es sich bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit um eine „außerordentliche Befugniß [sic]“ handele,194 ist inzwischen einer weitgehenden Akzeptanz dieses Instituts ge­ wichen.195 Selbst dem BGH ist die starke Belastung des in erster Instanz erfolg­ reichen Vollstreckungsgläubigers offenbar suspekt: Es erscheine „nicht billig, den Schuldner, der immerhin in einer Instanz unterlegen war, auch insoweit von jedem Risiko zu entlasten“.196 Auf Grundlage des geltenden Rechts kann der BGH je­ doch nur durch eine Begrenzung des Haftungsumfangs reagieren.197 Diese Lösung ist ihrerseits dogmatisch fragwürdig.198 De lege ferenda sollte man das Problem an der Wurzel packen. Zustimmung verdienen daher die Stimmen, die sich für eine Abschaffung von §  717 Abs.  2 ZPO aussprechen.199 Es erscheint im Normalfall ausreichend, dem Vollstreckungsschuldner einen Erstattungsanspruch nach Art 188  Hess, in: Wieczorek/Schütze, §   717 Rn.  5; Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  172; in diese Richtung auch Hau, NJW 2005, 712, 713; Lindemann, Haftung, S.  161. 189  Lindemann, Haftung, S.  173, 175; Saenger, JZ 1997, 222, 225. 190  Überblick bei Wöstmann, in: Hk-ZPO, §  531 Rn.  9. 191  Vergleiche die in diese Richtung deutende Argumentation zu §  945 ZPO bei Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  945 Rn.  9. Diese wird jedoch de lege lata durch die Existenz von §  717 Abs.  2 ZPO widerlegt, näher §  9 C. II. 2. a). 192  Mugdan, Materialien II, S.  1165. 193  Mugdan, Materialien II, S.  1165–1166. 194 So Mugdan, Materialien II, S.  1164. 195 Vergleiche Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  76; Stolz, Rechtsschutz, S.  36. 196  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 233. 197  BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232, 233. 198  Siehe §  9 C. II. 2. c), III. 4. b) aa) (3) (a) m. w. N. 199 Insb. Gottwald, NJW-Beil. 1996, Heft 23, 9, 10, 12; Hau, NJW 2005, 712, 713; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  5; Lindemann, Haftung, S.  171–172, 175; in dieselbe Richtung Saenger, JZ 1997, 222, 225.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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des §  717 Abs.  3 S.  2, 3 ZPO zu gewähren 200 – erst recht, wenn sich in zweiter Ins­ tanz nur die rechtliche Bewertung geändert hat. Dies bedeutete eine Rückkehr zur Rechtslage, wie sie nach §  655 Abs.  2 der CPO von 1877 galt:201 Es war lediglich ein Erstattungsanspruch vorgesehen, gegen den materielle Einwendungen nicht zuge­ lassen wurden.202 Eine verschuldensunabhängige Haftung wurde erst im Zuge der Schaffung des BGB durch die Zweite Kommission vorgeschlagen.203 Diese Ent­ scheidung wurde für die in §  717 Abs.  3 ZPO genannten Berufungsurteile wenig später revidiert.204 Man sollte auch den zweiten Schritt zurück machen, primär auf das Rückgewährmodell des §  717 Abs.  3 ZPO setzen und daneben nur eine (unter Anwendung des milden Maßstabs) verschuldensabhängige Schadensersatz­ pflicht205 annehmen. Die Interessen des Schuldners ließen sich in ausreichendem Maße wahren. Dieser könnte je nach Lage des Falles eine Einstellung der Zwangs­ vollstreckung erreichen.206 Das Erfordernis einer Sicherheitsleistung durch den Gläubiger könnte man de lege ferenda erweitern. Es stellt sich die Frage, ob die an §  717 Abs.  2 ZPO geübte rechtspolitische Kritik gleichermaßen §  945 ZPO trifft.207 Dem wird teils widersprochen, da einstweiliger Rechtsschutz aufgrund einer bloß summarischen Entscheidung gewährt werde.208 In der Tat erscheint deshalb das Risiko einer späteren Korrektur größer. Dieser Hinweis verfängt jedoch nur mit Blick auf die Tatsachengrundlage. Die rechtliche Bewertung erfolgt nicht summarisch.209 Dass §  945 ZPO de lege lata auch bei rechtlichen Korrekturen Anwendung findet, rechtfertigt sich vielmehr dadurch, dass §  717 Abs.  2 ZPO gleichfalls eine verschuldensunabhängige Haftung vorsieht, obwohl auch dort in erster Instanz keine summarische Entscheidung erfolgt.210 Würde man §  717 Abs.  2 ZPO streichen, entfiele in den genannten Fällen die Grund­ lage für eine strenge Haftung nach §  945 ZPO. Wollte man die Vorschrift angesichts des insgesamt höheren Korrekturrisikos gleichwohl unverändert lassen, wäre sie fortan im Fall einer ausschließlich in rechtlicher Hinsicht ungerechtfertigten An­ ordnung teleologisch zu reduzieren. Keiner Änderung bedarf nach dem Gesagten 200  Gottwald, NJW-Beil. 1996, Heft 23, 9, 10; Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  5; siehe auch Hau, NJW 2005, 712, 713; Saenger, JZ 1997, 222, 225 (zu §  945 ZPO). 201  Zur historischen Entwicklung Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZVR, §  15 Rn.  4; Lindemann, Haftung, S.  54–55. 202  RG, Urt. v. 24.9.1894 – VI 131/94, RGZ 34, 354, 355; einen solchen Anspruch erkennt auch BGH, Urt. v. 3.7.1997 – IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601, 2602–2603, als eines von zwei Teilelementen des §  717 Abs.  2 ZPO an, siehe oben §  11 C. II. 2. b) bb) mit Fn.  260. 203  Siehe (auch zum heutigen §  945 ZPO) Mugdan, Materialien II, S.  1163–1169. 204 Durch das Gesetz betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts v. 22.5.1910, RGBl. S.  767; dazu RT-Drs. II. Sess. 1909/10 Nr.  309, 22: insoweit solle „der frühere Rechtszustand wie­ der hergestellt“ werden; siehe bereits §  15 A. II. 2. d). 205  Zur Konkretisierung sogleich III. 206  Hess, in: Wieczorek/Schütze, §  717 Rn.  5; siehe auch Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  76–77. 207  Gerade auf §  945 ZPO bezieht sich die Kritik von Saenger, JZ 1997, 222, 225. 208  Lindemann, Haftung, S.  161, 171, 175. 209 Vergleiche Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, §  945 Rn.  9. 210  §  9 C. II. 2. a).

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

hingegen die Vorschrift des §   231 BGB.211 Diese sanktioniert die irrtümliche Selbsthilfe in Fällen, in denen noch keine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Handelnden in der Welt ist. Die an §  717 Abs.  2 ZPO geübte Kritik ist nicht ein­ schlägig.

II. Besondere Gebotenheit einer Anpassung infolge denkbaren Bedeutungszuwachses von „Selbstvollzug“ durch Smart Contracts Eine rechtspolitische Neubewertung der strikten Haftung nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO könnte spätestens die künftige technische Entwicklung erforderlich machen. Anlass zu solchen Überlegungen bieten die mit Smart Contracts212 verbundenen Möglichkeiten. Diese könnten eine Rechtsdurchsetzung mithilfe staatlichen Zwangs in Teilen entbehrlich werden lassen.213 Auch die durch Smart Contracts ausgelöste und technisch umgesetzte vorläufige Zuordnung einer Rechtsposition kann jedoch im Widerspruch zum materiellen Recht stehen. Zwischen den Parteien gilt nämlich im Grundsatz das vertragliche oder gesetzliche Recht, nicht dagegen das Softwareergebnis „als Recht“.214 Zu einer Abweichung zwischen technisch her­ beigeführter Lage und materiellem Recht kann es insbesondere kommen, wenn gebotene Ausnahmen nicht im Programmiercode abgebildet wurden.215 Bei der au­ tomatischen Entschädigung von Passagieren kann beispielsweise ein seltener Ent­ lastungsgrund nicht einprogrammiert sein.216 Bei der Mietminderung wegen Tem­ peraturunterschreitung217 mag unberücksichtigt bleiben, dass der Mieter die Woh­ nung selbst hat auskühlen lassen. Smart Contracts gewährleisten also allenfalls die korrekte Zuordnung im Regelfall. Einen materiell-rechtlich zutreffenden Endzu­ stand garantieren sie nicht.218 Der materiell Berechtigte kann nach Vollzug auf die konventionelle Anspruchsgeltendmachung und -durchsetzung – Kondiktionsver­ langen und notfalls staatliche Vollstreckung – verwiesen sein.219 In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Empfänger der vorläufigen Zuwei­ sung nicht nur das Erlangte zurückgewähren, sondern zusätzlich Schadensersatz leisten muss. Das erscheint einerseits nicht fernliegend, da für die irrtümliche Selbsthilfe (§   231 BGB) ebenso eine verschuldensunabhängige Schadensersatz­ pflicht vorgesehen ist wie für die vorläufige Vollstreckung (§  717 Abs.  2 ZPO). An­ dererseits hält die Rechtsprechung automatische Sperren, die Softwarelieferanten 211 

So auch Lindemann, Haftung, S.  161, 172. Dazu oben vor §  19. 213  Siehe etwa Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 265. 214  Fries, NJW 2019, 901, 902; Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 270; Riehm, in: Smart Contracts, S.  85, 86–89. 215  Siehe das Beispiel bei Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 281. 216 Vergleiche Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 217  Dieses Beispiel nutzt Fries, NJW 2019, 901, 902 (siehe oben vor §  19). 218  Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018. 219  Fries, NJW 2019, 901, 905; Guggenberger, F.A.Z. Einspruch v. 2.5.2018; siehe auch Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 281, 283–284. 212 

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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für den Fall von Pflichtverletzungen des Nutzers verankern, grundsätzlich für zu­ lässig.220 Letztlich ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der in §§  229 ff., 858 ff. BGB zutage tretenden Beschränkung privater Gewalt und der anerkennens­ werten Möglichkeit, auch die vorläufige (automatisch erfolgende) Zuordnung von Rechtspositionen privatautonom zu gestalten.221 Jedenfalls außerhalb des Anwen­ dungsbereichs der auf Sachen bezogenen §§  229 ff.222 , 858 ff. BGB223 erscheint die Vereinbarung einer die Vollstreckung ersetzenden Smart-Contract-Lösung prinzi­ piell denkbar, insbesondere hinsichtlich einer automatischen Auslösung von Geld­ zahlungen.224 Es wäre allerdings im Einzelnen auszutarieren, inwieweit Schuld­ nerschutzvorschriften wie §§  721, 765a oder §  850c ZPO vor einer Umgehung zu schützen wären 225 und inwiefern die Einführung eines Smart-Contract-Mecha­ nismus durch AGB möglich ist.226 Bei wirksamer Vereinbarung einer Smart-Contract-Zuweisung dürfte deren Empfänger – vorbehaltlich anderweitiger Abreden – regelmäßig nicht streng (wie nach §§  717 Abs.  2, 945 ZPO) haften. Der Fall erscheint wertungsmäßig vergleich­ bar mit der Vollstreckung aus einem Vergleich oder einer notariellen Urkunde (§  794 Abs.  1 Nr.  1, 5 ZPO). Hierzu wurde festgestellt, dass §  717 Abs.  2 ZPO nicht anwendbar ist, weil der Schuldner durch privatautonome Mitwirkung die vorläufi­ ge Zuweisung der begehrten Rechtsposition zum Anspruchsteller gestattet hat.227 Je stärker es zu einer weitgehenden Verdrängung der klassischen Zwangsvollstre­ ckung durch Smart-Contract-Lösungen käme, desto eher würde eine strenge Haf­ tung desjenigen, der vorerst auf die umstrittene Rechtsposition zugreifen kann, zur Ausnahme werden. Dadurch würden die Zweifel an der Daseinsberechtigung von §  717 Abs.  2 ZPO noch verstärkt. Dies würde erst recht gelten, wenn künftig sogar der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen Smart-Contract-Lösungen vorschreiben und somit die vorläufige Erfüllung nicht abschließend beurteilter Ansprüche zum Regelfall machen würde.228 Illusorisch ist dies nicht, wie entsprechende politische Initiativen belegen.229 Ordnete das Gesetz bereits auf Basis typisierter Wahr­ scheinlichkeitsurteile Rechtspositionen vorläufig zu, ohne dass der Empfänger der 220  Darauf hinweisend m. w. N. C. G. Paulus/Matzke, CR 2017, 769, 773–775; grundlegend BGH, Urt. v. 3.6.1981 – VIII ZR 153/80, NJW 1981, 2684–2685 (kein Rücktrittsrecht des Kun­ den). 221 Siehe Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 281–282; Wilhelm, WM 2020, 1807, 1811. 222  Zur Problematik der fehlenden Abdingbarkeit Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 282. 223  Zur Bedeutung für Smart Contracts ausführlich Riehm, in: Smart Contracts, S.  85, 89–97; Wilhelm, WM 2020, 1807, 1811–1812. 224  Möslein, ZHR 183 (2019), 254, 283; Riehm, in: Smart Contracts, S.  85, 98. 225  Eine Umgehung befürchtend C. G. Paulus/Matzke, CR 2017, 769, 776; für Beachtlichkeit der Pfändungsfreigrenzen Zetzsche, AG 2019, 1, 5. 226  Zu dieser Problematik Fries, AnwBl 2018, 86, 86 mit Fn.  5, 87–88; D. Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431, 459–460; Wilhelm, WM 2020, 1849, 1852–1854. 227  §  9 C. III. 4. b) aa) (3) (d), §  15 A. II. 2. c). 228  Zu solchen Überlegungen vergleiche bereits B. III. 4. 229  Siehe die Entschließung des Bundesrates „Fahrgastrechte stärken – Entschädigungsansprü­ che der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Verspätungen und Ausfällen im Flug- und Bahn­ verkehr automatisieren“, 14.12.2018, BR-Drs. 571/18 (B); auch Koalitionsvertrag 2018, https://

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

Gefahr einer strengen Haftung ausgesetzt wäre, läge es nahe, auf die Haftung aus §  717 Abs.  2 ZPO insgesamt zu verzichten. Schließlich kann der dort betroffene Vollstreckungsgläubiger infolge der günstigen Gerichtsentscheidung sogar auf die konkrete Wahrscheinlichkeit verweisen, dass ihm die Rechtsposition zusteht.

III. Konkretisierung des neuen Haftungsmaßstabs Die befürwortete Streichung von §  717 Abs.  2 ZPO hätte zur Folge, dass die im Zusammenhang mit §  717 Abs.  3 S.  2–4 ZPO entwickelten Maßstäbe zur Behand­ lung von Rechtszweifeln zur Anwendung gelangten. Demnach müsste ein Vollstre­ ckungsgläubiger, der objektiv nachvollziehbare rechtliche Zweifel an seiner Berech­ tigung hegt, abgesehen von der Rückgewährpflicht nach §  717 Abs.  3 S.  2–4 ZPO, §  818 Abs.  4 BGB, grundsätzlich nicht haften.230 Man könnte allenfalls eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Art und Weise der Vollstreckung verlangen.231 Die weitgehende Haftungsverschonung lässt sich vor dem Hintergrund rechtfertigen, dass immerhin ein erstinstanzliches Gericht den Vollstreckungsgläubiger im Recht gesehen hat. Eine Haftung käme nur dort in Betracht, wo für den Vollstreckungs­ gläubiger praktisch gewiss sein musste, dass die rechtliche Beurteilung durch die erste Instanz nicht haltbar war.232 Darunter fällt beispielsweise ein Fall, der bereits in den Gesetzesberatungen zum heutigen §  717 Abs.  2 ZPO angesprochen wurde: Wenn der Rechtsberater des Vollstreckungsgläubigers zutreffend darauf hinweist, dass der Titel wahrscheinlich aufgehoben werde, weil die zugrunde liegende Rechtsauffassung der höchstrichterlichen Judikatur widerspreche,233 ist eine Haf­ tung geboten.234 Die hier vorgeschlagene weitgehende Haftungsfreistellung hat gegenüber ver­ mittelnden Lösungen den Vorzug der einfachen Handhabbarkeit; zugleich erlaubt sie weiterhin eine Orientierung an den Maßstäben, die zur Verjährung und zur Haftung wegen unberechtigter Anspruchsgeltendmachung entwickelt wurden.235 Die bisherige Behandlung rechtlicher Zweifel durch §  717 Abs.  2 ZPO entspricht weitgehend der nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB angezeigten (strengen) Vorgehenswei­ se; die de lege ferenda vorzugswürdige Haftung nach Art des §  717 Abs.  3 ZPO www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/ 2018-­03-14-koalitionsvertrag-data.pdf, S.  124 (abgerufen am 31.12.2020). 230  Siehe oben §  15 A. II. 2. d). 231  Erwägenswerte Überlegungen bei Raffelsieper, Rückabwicklung, S.  171, 174. Insofern kann die italienische Verschuldenshaftung nach Art.  96 Abs.  2 Codice di procedura civile (CPC) (a. a. O., S.  168) als Vorbild dienen. 232 Auch Raffelsieper, Rückabwicklung, S.   170–171, 173, wendet sich gegen die herrschende Auslegung des italienischen Art.  96 Abs.  2 CPC, wonach bereits die objektive Möglichkeit, dass ein eingelegtes Rechtsmittel des Schuldners Erfolg haben wird, einen Fahrlässigkeitsvorwurf ge­ genüber dem Gläubiger begründen soll (siehe dazu a. a. O., S.  169). 233  Mugdan, Materialien II, S.   1166, zu dem (wegen Annahme des Hauptantrags obsoleten) Hilfs­a ntrag 1, a. a. O., S.  1164. 234  Vergleiche allgemein zum Maßstab praktischer Gewissheit §  15 C. 235  Zu diesen Aspekten bereits soeben B. IV. 3.

§  19 Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades

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kann sich demgegenüber an den spiegelbildlichen (milden) Maßstäben ausrichten, wie sie für die Haftung wegen unberechtigter Anspruchsgeltendmachung greifen.

IV. Auswirkungen auf die Schuldnerhaftung Die Streichung von §  717 Abs.  2 ZPO bliebe nach dem hier entwickelten Konzept nicht ohne Auswirkungen auf die Haftung des Schuldners. Der Norm ist schließ­ lich die entscheidende Wertung zugunsten einer strengen Schuldnerhaftung zu ent­ nehmen.236 Nach Abschaffung von §  717 Abs.  2 ZPO dürfte jedenfalls ein Schuld­ ner, der eine erstinstanzliche Entscheidung zu seinen Gunsten vorweisen kann, für die nachfolgende Leistungsverweigerung nicht mehr streng, sondern nur noch nach den zu §  717 Abs.  3 ZPO entwickelten Maßstäben haften.237 Er würde bei fortbeste­ hender objektiver Rechtsungewissheit kein Haftungsrisiko mehr tragen. Man könnte erwägen, die milde Linie zugunsten des Schuldners auf Fälle zu er­ strecken, in denen noch keine gerichtliche Entscheidung in der Welt ist. Für den Selbstvollzug durch den vermeintlichen Gläubiger würde indes unter solchen Be­ dingungen §  231 BGB eine strenge Haftung anordnen.238 Allerdings dient diese Beschränkung der Selbsthilfe der Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmono­ pols.239 Letzteres tastet der die Leistung verweigernde Schuldner nicht an. Bei wertender Betrachtung nimmt die Leistungsverweigerung, die unter objektiver Rechtsungewissheit und noch ohne erstinstanzliche Billigung erfolgt, somit eine Zwischenstellung ein. Dass der Schuldner sich den streitbefangenen Gegenstand anmaßt, ist einerseits nicht in gleicher Weise zu missbilligen wie die „gewaltsame“ Selbsthilfe (§§  229, 231 BGB). Andererseits kann er nicht mit gleicher Berechtigung wie ein Vollstreckungsgläubiger, zu dessen Gunsten ein erstinstanzliches Urteil er­ gangen ist, darauf verweisen, wahrscheinlich im Recht zu sein. Um diese ambivalente Position treffend abzubilden, könnte man einen haftungs­ rechtlichen Mittelweg wählen. Dazu wäre zum Beispiel die Vertretbarkeit der schuldnerischen Rechtsansicht qualitativ zu bewerten.240 Man müsste sich hierfür jedoch in den Bereich ebenjener Graustufen begeben, um die bislang erfolgreich ein Bogen gemacht werden konnte.241 Als erwägenswerte Alternative erscheint es, ei­ nen rechtspolitischen Vorschlag aufzugreifen, der in der Rechtsirrtumsdiskussion vereinzelt unterbreitet worden ist. Bei Bestehen rechtlicher Ungewissheit könnte man die Leistungspflicht des Schuldners von einer Sicherheitsleistung des Gläubi­ 236 

Siehe §  11 C. II. 2. b) bb), §  15 A. II. 2. b). Vergleiche zum bereits de lege lata gebotenen Wertungstransfer aus §  717 Abs.  3 ZPO oben §  15 A. II. 2. d). Würde §  717 Abs.  3 ZPO zur neuen Grundregel erhoben, wäre auch dies im Be­ reich der Schuldnerhaftung zu berücksichtigen. 238  Siehe §  9 C. III. 4. b) bb). 239  Siehe nur Häsemeyer, Schadenshaftung, S.  23; Repgen, in: Staudinger, §  231 Rn.  2. 240  Vergleiche (insb. zu den damit verbundenen Schwierigkeiten) bereits §  11 C. II. 6. d) dd) (4) a. E., §  15 B. II. 241  Siehe soeben III. sowie B. IV. 3. 237 

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

gers abhängig machen.242 Zwar ist diesbezüglich angemerkt worden, dass die Be­ stimmung einer hinreichenden Zweifelhaftigkeit der Rechtslage erhebliche Schwie­ rigkeiten bereite.243 Die Sorge lässt sich jedoch auf Grundlage des vorliegend ver­ tretenen Konzepts ausräumen. Hinreichende Zweifel wären stets zu bejahen, solange keine praktische Gewissheit im oben definierten Sinne244 vorläge. Unter solchen Bedingungen dürfte der Schuldner, solange der Gläubiger keine Sicherheit geleistet hat, ohne Haftungsrisiko die Leistung verweigern. Ab Leistung der Si­ cherheit wäre er hingegen zur vorläufigen Erfüllung gezwungen, um eine Haftung zu vermeiden. Auf diese Weise ließe sich die Anwendung der im Übrigen einheit­ lichen (inversen) Maßstäbe auch im Bereich der Schuldnerhaftung weiterhin ge­ währleisten. Von dem Erfordernis, Sicherheit zu leisten, um die strenge Schuldner­ haftung auszulösen, könnten im gesetzgeberischen „Feintuning“ gewisse gläubi­ gerschützende Ausnahmen vorgesehen werden.245

242 

J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  155; ansatzweise auch Feldmann, in: Staudinger, §  286 Rn.  162. J. Mayer, Rechtsirrtum, S.  155. 244  §  15 C. 245  Solche sind schließlich auch zugunsten des Vollstreckungsgläubigers nach §§  708 ff. ZPO zum Teil vorgesehen. 243 

§  20 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit Abschließend ist zu evaluieren, ob sich mit Blick auf die Prüfung der Vorwerfbar­ keit eines Rechtsirrtums rechtspolitischer Handlungsbedarf ergibt. Dabei kann wiederum entlang der in der Synthese gebildeten Teilfragen1 vorgegangen werden.

A. Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit Der Ansatz einer funktionalen Konsultationspflicht bzw. -obliegenheit sollte, so­ weit dogmatisch möglich, beibehalten werden. Dies betrifft das Anwendungsfeld des Vertretenmüssens ebenso wie den Bereich des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB.2 Die zu­ grunde liegende Wertung überzeugt, der Ansatz ist „sozialverträglich“ und er­ scheint auch unter Effizienzgesichtspunkten haltbar.3 Vorbehalte gegen die plakativ formulierte Vorgabe, rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen habe man zu haben bzw. zu beschaffen,4 dürften künftig eventuell gar einfacher zu ent­ kräften sein. Legal-Tech-Anwendungen könnten (gerade auch für Laien5) den mit der Einholung von Rechtsrat verknüpften Aufwand in vielen Bereichen senken.6 Schon dort, wo solche Anwendungen immerhin durch eine günstige Vorprüfung aufzeigen könnten, ob ein (teurerer) Gang zum Anwalt lohnt,7 würde es leichter als bislang fallen, eine entsprechende Pflicht bzw. Obliegenheit zu verteidigen. Der bestehende Zugriff auf Legal-Tech-Anwendungen könnte im Übrigen auch Auswirkungen auf die Feststellung haben, welche Kenntnisse von einem gewissen­ haften Rechtsanwalt zu erwarten sind. Zwar stünde man hinsichtlich der Auswahl aus verschiedenen Legal-Tech-Applikationen vor der Parallelfrage dazu, welche

1 

Siehe oben §  16 B.–D. Zu einer denkbaren Berücksichtigung im Fall einer (hier im Ergebnis abgelehnten, §  19 B. IV. 3.) Änderung des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB siehe §  19 B. IV. 2. 3  Näher §  16 B. II. 1. 4  §  16 B. II. 2. 5  Fries, NJW 2016, 2860, 2862. 6  Fries, NJW 2016, 2860, 2863; Hoch, AcP 219 (2019), 646, 670, 673. Siehe oben vor §  19. 7  Suliak, Legal Tribune Online v. 24.2.2018: „Der Rechtsuchende gibt Eckdaten eines Sachver­ halts in ein digitales Tool ein und erhält nach Auswertung eine belastbare Aussage darüber, ob der Gang zum Rechtsanwalt sinnvoll ist oder er lieber darauf verzichten sollte, weil die Erfolgsaus­ sichten später vor Gericht gering erscheinen.“ 2 

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

Datenbank-Abonnements ein Anwalt abschließen muss.8 Die Entwicklungen dürf­ ten aber im Mindesten dazu führen, dass die bisher gewährte Toleranzfrist für die Kenntnisnahme höchstrichterlicher Rechtsprechung schrumpft.9

B. Zurechnung von Fehlern des Intermediärs Eine rechtspolitische Lücke hat sich hinsichtlich der Zurechnung von Beraterfeh­ lern gezeigt:10 Sofern nur deliktische Anspruchsgrundlagen zur Verfügung stehen, wird die Exkulpationsmöglichkeit des §  831 Abs.  1 S.  2 BGB einer Haftung des Mandanten zumeist entgegenstehen. Eine Direkthaftung des Beraters gegenüber dem Gegner des Mandanten wird regelmäßig ebenso ausscheiden. Dies resultiert in einer Schutzlücke, die den Gegner be- und den pflichtvergessenen Berater entlastet. Diese Problematik beschränkt sich indes nicht auf die hier im Fokus stehenden Beratungsfälle. Die Wurzel des Übels liegt in der Entlastungsmöglichkeit nach §  831 Abs.  1 S.  2 BGB. In rechtspolitischer Hinsicht wird daher zu Recht über eine verschärfte Einstandspflicht des Geschäftsherrn nachgedacht.11 In einer solchen generellen Änderung läge die Lösung des Problems. Demgegenüber bereitet die Zurechnung von Beratungsfehlern innerhalb beste­ hender Schuldverhältnisse (§  278 BGB) bislang keine nennenswerten Schwierigkei­ ten.12 Insofern könnte jedoch das verstärkte Aufkommen von Legal-Tech-An­ wendungen Regelungsbedarf hervorrufen. Zu denken ist an die Situation, dass der Irrende ein solches Programm zur Ermittlung der Rechtslage genutzt hat, dieses aber eine nicht fachgerechte Einschätzung ausgeworfen hat. Wenn dem Irrenden kein eigenes Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden vorzuwerfen wäre,13 käme es darauf an, ob der „Beratungsfehler“ zurechenbar ist. Dieser Aspekt ist Teil der übergreifenden Diskussion um die Zurechnung von Maschinenverschulden.14 Für eine Zurechnung werden durchaus gewichtige Gründe angeführt.15 Aller­ dings tut sich die herrschende Meinung verständlicherweise schwer damit, die er­ sichtlich auf menschliches Verschulden ausgerichtete Vorschrift des §  278 BGB kurzerhand auf Maschinen bzw. Software anzuwenden.16 Zur Schließung dieser 8 Zutreffend

Hoch, AcP 219 (2019), 646, 697; siehe bereits §  15 C. II. 2. e). Vergleiche dazu §  15 C. II. 2. e). Wie dort beschrieben, muss sich die Rechtsirrtumsdogmatik in solchen Fragen akzessorisch zu den beraterhaftungsrechtlichen Anforderungen verhalten, wel­ che hier nicht im Detail erörtert werden. 10  Zum Folgenden §  16 C. III. 11 Exemplarisch G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  831 Rn.  4, 6, u. a. unter Verweis auf die Ent­ scheidung für den Grundsatz „respondeat superior“ in Art.  V I.-3:201 DCFR. 12  Siehe dazu §  16 C. II. 13  Dazu sogleich noch C. II. 14  Vergleiche die Nachweise bei Grundmann, in: MüKo-BGB, §  278 Rn.  46. 15  Siehe abermals Grundmann, in: MüKo-BGB, §  278 Rn.  46; auch Klingbeil, JZ 2019, 718, 719. 16  Z. B. Grundmann, in: MüKo-BGB, §  278 Rn.  46 m. w. N.; Klingbeil, JZ 2019, 718, 721; Möslein, ZIP 2018, 204, 210. 9 

§  2 0 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit

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Lücke wird vorgeschlagen, ein entsprechendes Verschulden zu fingieren.17 Der abweichende Ansatz einer außervertraglichen Gefährdungshaftung in Abhängig­ keit von Risikoklassen18 hätte demgegenüber den Reiz, zugleich die zuvor ange­ sprochene Problematik rund um §  831 Abs.  1 S.  2 BGB für den Bereich „algorithmi­ scher“ Rechtsberatung lösen zu können.

C. Verbleibende Bedeutung eigenen Verschuldens des Irrenden Bedeutende Auswirkungen könnte der Vormarsch von Legal Tech für die Verschul­ denshaftung haben. Diese spielt zwar im Bereich der vorliegenden Untersuchung eine untergeordnete Rolle.19 Nichtsdestotrotz sollen denkbare regulatorische He­ rausforderungen im Folgenden kurz skizziert werden. Auswirkungen sind prinzi­ piell in zweierlei Richtungen vorstellbar.

I. Erfordernis der Nutzung von Legal Tech Die Technik könnte künftig bis zu einem Punkt reifen, an dem die Entscheidungs­ prognosen solcher Programme denen menschlicher Berater qualitativ überlegen sind.20 Für dieses Szenario wird im Bereich der Geschäftsleiterhaftung eine künfti­ ge Pflicht zur Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen erwogen.21 Auch unterhalb der genannten Qualitätsschwelle wäre über eine entsprechende Nutzungspflicht nachzudenken. Dies betrifft Sachverhalte, in denen bislang infolge einer Kos­ ten-Nutzen-Abwägung ein Verzicht auf die Konsultation eines Rechtsberaters nicht als fahrlässig angesehen werden kann.22 Sofern eine kostengünstige Legal-­ Tech-Prüfung verfügbar wäre, könnte man es dem Betroffenen zumuten, wenigs­ tens diese Möglichkeit wahrzunehmen. Auch in diesem Punkt gilt Vergleichbares wie im Zusammenhang mit der Geschäftsleiterhaftung. Dort wird konstatiert: „Je erschwinglicher und treffsicherer Algorithmen werden, aber auch je verbreiteter ihr

17  Klingbeil, JZ 2019, 718, 723–724, der darauf abhebt, ob ein entsprechendes Verhalten des Erfüllungsgehilfen typischerweise schuldhaft gewesen wäre. Legt man die Maßstäbe an, die für Rechtsanwälte gelten, dürfte sich diese Frage in den vorliegend betrachteten Konstellationen eini­ germaßen rechtssicher beantworten lassen. 18 Dafür Heiderhoff/Gramsch, ZIP 2020, 1937, 1941–1943 (auf die Haftung des Nutzers kon­ zentriert; die a. a. O., 1943, nur knapp angesprochene Haftung des Herstellers wäre dagegen ein funktionales Äquivalent zur Eigenhaftung des menschlichen Beraters und somit ebenfalls poten­ ziell zur Problemlösung geeignet). 19  Siehe §  16 D. (vor I.). 20  Römermann, NJW 2020, 2678, 2682 Rn.  37–38. 21 Siehe Hoch, AcP 219 (2019), 646, 695, die darauf hinweist, dass der Vorteil v. a. darin liege, dass relevante Faktoren, wie insb. frühere Entscheidungen, nicht übersehen werden. Zur (be­ schränkten) Vorbildfunktion der Diskussion um die Geschäftsleiterhaftung siehe oben §  16 D. III. 2. a). 22  Siehe §  16 D. III. 1.

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8. Teil: Rechtspolitischer Ausblick

Einsatz in der […] Praxis, desto schwerer wird sich der Verzicht auf solche Unter­ stützung rechtfertigen lassen.“23 Eine eventuelle Nutzungspflicht ließe sich auf Grundlage von §  276 BGB vorse­ hen. Eine Gesetzesänderung wäre insoweit nicht erforderlich. Allerdings müsste für die Annahme einer solchen Pflicht zunächst an anderen Stellen das normative Feld bestellt werden. Insbesondere müsste die „algorithmische“ Beratung erlaubt sein. Das RDG stellt diesbezüglich Hürden auf.24 Zudem wäre für eine rechts­ sichere Beurteilung der Qualität unterschiedlicher Legal-Tech-Angebote an eine dem Prüfungs- bzw. Zulassungsverfahren für Rechtsberater entsprechende Zertifi­ zierung zu denken.25 Ob es dem Rechtsuchenden zumutbar ist, dass ihn das Haf­ tungsrecht auf eine automatisierte Beratung verweist, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit die Haftung entsprechender Anbieter der (mandantenfreund­ lichen) Haftung von Rechtsberatern angenähert wird.26 Zuletzt ist auf ein weiteres Problem hinzuweisen, das mit einem haftungsrechtli­ chen Zwang zur Nutzung bestimmter Legal-Tech-Instrumente einhergehen könnte. Sobald sich gewisse Standardprogramme am Markt etabliert hätten, könnte dies zu einer Gleichförmigkeit der Beratung zu bestimmten Konstellationen führen, wie sie sich bei der Befassung vieler verschiedener menschlicher Berater nicht ergäbe. Dies wiederum könnte zur Konsequenz haben, dass in Konstellationen, in denen die Software standardmäßig von einer Anspruchsgeltendmachung bzw. -verteidigung abrät, entsprechende Fälle kaum mehr vor die Gerichte gebracht würden. Letztere erhielten in der Folge keine Gelegenheit, das Recht zu konkretisieren, fortzubilden oder eine frühere Entscheidungspraxis zu revidieren.27 Mit anderen Worten drohte ebenjene „Rechtserstarrung“, vor der bereits mehrfach gewarnt wurde.28 Es wäre

23  Möslein, ZIP 2018, 204, 209–210; sehr offen gegenüber der Annahme entsprechender Nut­ zungspflichten auch Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  56; skeptischer z. B. J. Koch, in: Hüffer/ Koch, §  93 Rn.  20; Zetzsche, AG 2019, 1, 9. 24  Zwar haben BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208, und BGH, Urt. v. 8.4.2020 – VIII ZR 130/19, NJW-RR 2020, 779, das dortige Modell des Legal-Tech-Inkasso gebil­ ligt, bei finanzierten „Sammelklagen“ ist die Lage hingegen sehr umstritten, näher §  19 B. III. 3. Zur RDG-Konformität eines Online-Vertragsgenerators OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020 – 6 U 263/19, NJW 2020, 2734. 25  Zu denkbaren Regulierungsansätzen siehe Hoch, AcP 219 (2019), 646, 667–669; zu Schwie­ rigkeiten der Zertifizierung Zetzsche, AG 2019, 1, 8. Nach Durchlaufen eines geeigneten Prüfver­ fahrens bestünden indes keine gravierenden Bedenken dagegen, auf die Prüfung durch einen menschlichen Berater zu verzichten, Hoch, a. a. O., 676–679; Zetzsche, a. a. O., 9. Zu den derzeit geltenden Anforderungen siehe §  3 A. III. 2. a). 26  Zu diesem Fragenkomplex Hoch, AcP 219 (2019), 646, 688–692. Es stellt sich v. a. die Frage nach der Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen (siehe a. a. O., 689–690) sowie nach einer ver­ pflichtenden Versicherung. Zur aktuellen Beraterhaftung siehe oben §  3 A. III. 2. a). 27  Enders, JA 2018, 721, 727; J. Wagner, Legal Tech, S.  72; in eine ähnliche Richtung Duve/ Zollitsch, AnwBl 2020, 486, 487; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 17 („digitale[r] Neo-Positi­ vismus“); Markou/Deakin, Machina, S.  31–32. 28  Siehe exemplarisch §  5 B. II. 2., §  15 II. 1. (vor a)).

§  2 0 Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit

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beispielsweise an die verpflichtende Integration von Zufallselementen in Software zu denken, um Pfadabhängigkeiten zu vermeiden.29

II. Ausreichen der Nutzung von Legal Tech Unter Umkehrung des Blickwinkels lässt sich diskutieren, inwiefern die Nutzung von Legal-Tech-Angeboten – anstelle der Konsultation eines menschlichen Bera­ ters  – ein eigenes Verschulden des Irrenden auszuschließen vermag. Im Bereich der Geschäftsleiterhaftung wird mitunter für möglich erachtet, dass die „Beratung“ durch Algorithmen vor einer Haftung bewahren könne.30 Pauschale Aussagen sind indes kaum möglich. Schließlich hängt der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht zuletzt von Faktoren wie dem Schadenspotenzial und dem Beratungskostenaufwand ab.31 Dass der Rückgriff auf Legal-Tech-Anwendungen unter bestimmten Umständen als ausreichend anzusehen sein wird, erscheint keineswegs ausgeschlossen. Es wären Leitlinien dazu zu entwickeln, wann ein Auswahlverschulden bei der Entscheidung für eine bestimmte Software vorliegt.32 Fraglich ist zudem, inwie­ fern sich die gemeinhin geforderte Plausibilitätsprüfung durch den Beratenen 33 replizieren ließe.34 Zu befinden ist vor allem darüber, ob der Nutzer auch die tech­ nische Funktionsweise des Programms im Ansatz nachvollziehen können muss.35 Denkbar erscheint es, den Nutzern am Markt etablierter (und gegebenenfalls zerti­ fizierter36) Programme ein Vertrauen auf deren prinzipielle technische Funktions­ tüchtigkeit zu gestatten.37 Allerdings könnte wenigstens die im konkreten Fall vor­ geschlagene rechtliche Lösung vom „Mandanten“ auf logische Widersprüche hin zu überprüfen sein.38 Schwierigkeiten dürften sich vor allem bei selbstlernenden Systemen ergeben, bei denen sich das „Black-Box-Problem“39 stellt.40 Es wäre denkbar, hier anstelle einer Plausibilitätskontrolle die sorgfältige Recherche ausrei­ chen zu lassen, ob das Programm bei anderen Einsätzen im Ergebnis praktisch feh­ lerfrei funktioniert hat.

29  In anderem Zusammenhang für eine „‚Beimischung‘ von Zufallselementen“ zu Algorithmen, um den „Würgegriff“ vergangener Entscheidungen zu lockern, G. Wagner/Eidenmüller, ZfPW 2019, 220, 240. 30  So etwa Spindler, in: MüKo-AktG, §  93 Rn.  56. 31  Siehe §  16 D. III. 1. 32 Vergleiche Zetzsche, AG 2019, 1, 9. 33  Dazu §  16 D. III. 4. 34 Dazu Hoch, AcP 219 (2019), 646, 679–682; Zetzsche, AG 2019, 1, 8–9. 35  So für Geschäftsleiter z. B. Möslein, ZIP 2018, 204, 209. 36  Siehe oben I. 37  In diese Richtung Hoch, AcP 219 (2019), 646, 682. 38  So etwa Hoch, AcP 219 (2019), 646, 682; allgemein dazu §  16 D. III. 4. 39  Fehlende Einsicht in den Prozess, durch den das Ergebnis erreicht wird, siehe oben vor §  19. 40  Hoch, AcP 219 (2019), 646, 681; auf das Black-Box-Problem bei anwaltlicher Nutzung von Legal-Tech hinweisend auch Fries, NJW 2016, 2860, 2863.

Zusammenfassung in Thesen A. Grundlagen 1. Um die hier untersuchte Thematik in ihren praktisch bedeutsamen Dimensionen zu erfassen, ist ein weiter Rechtsirrtumsbegriff zugrunde zu legen. Zu einem Rechtsirrtum in diesem Sinne kommt es, wenn der Betroffene die letzte gericht­ liche Entscheidung zu einer Rechtsfrage nicht mit Sicherheit (Wahrscheinlichkeit von 1) prognostiziert hat. Auch Zweifel bzw. Ungewissheit werden also erfasst. Auf die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Betroffenen kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die Frage, ob das Wahrscheinlichkeitsurteil lege artis erreicht wurde. Rechtsirrtümer im Sinne dieser Definition sind allgegenwärtig. Sie wirken sich je­ doch nur dann zulasten des Irrenden aus, wenn dieser sein Verhalten an einer ande­ ren Rechtsauffassung ausgerichtet hat als an derjenigen, die das zuletzt entschei­ dende Gericht bevorzugt. (Zum Ganzen: §  4.) 2. Das Recht weist als Erkenntnisgegenstand im Vergleich mit Tatsachen relevan­ te Besonderheiten auf. Verschiedene Rechtsanwender können zu unterschiedlichen, aber dennoch jeweils „relativ“ richtigen (das heißt: vertretbaren) rechtlichen Lö­ sungen gelangen. Im Prozess ist das Recht nach dem Grundsatz „iura novit curia“ der Parteidisposition entzogen und der Erkenntnis durch den Richter unterstellt. Die Konkretisierung und Fortbildung des Rechts sind anerkannte Aufgaben der Gerichte, die auf diesem Wege Orientierung vermitteln und Rechtssicherheit schaf­ fen. Das insbesondere in höchstrichterliche Entscheidungen gesetzte Vertrauen kann durch Änderungen der Rechtsprechung enttäuscht werden. Dann ergibt sich, auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive, Bedarf für einen Vertrauensschutz, dem es im Bereich der Tatsachenerkenntnis an einem Pendant fehlt. (Zum Ganzen: §  3.) 3. Es lassen sich nur wenige übergreifende Vorgaben für die privatrechtliche Be­ handlung von Rechtsirrtümern identifizieren. Ausgehen lässt sich jedenfalls von der Vorstellung der Verfasser des BGB, wonach Rechtsirrtümer nicht getreu dem Grundsatz „error iuris nocet“ vollständig unbeachtlich sein sollten. Zugleich beto­ nen die Gesetzesmaterialien, dass ein Weg zur zutreffenden Rechtserkenntnis im Regelfall eröffnet sei. Im Übrigen lassen sich, in generalisierter Form, kaum ein­ deutige Wertungen entwickeln. Die Sorge um den Geltungsanspruch des Rechts, die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung oder die Durchsetzung des „richtigen“ Rechts kann je nach Kontext sowohl für als auch gegen eine Berücksichtigung von Rechtsirrtümern zugunsten des Irrenden sprechen. Gleiches gilt für den Gedan­

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ken, aufgrund der weitgehend fehlenden Evidenz des Rechts sei eine großzügige Entlastung des Irrenden geboten. Wo Letzterem der Staat gegenübersteht, wie ins­ besondere im Strafrecht, mag man eine solche Entlastung unter Verweis auf die Ingerenz erklären können. Soweit jedoch das Verhältnis zu anderen Privatrechts­ subjekten betroffen ist, muss bedacht werden, dass diese ihrerseits abgeschreckt werden könnten, wenn das Recht zu starke Rücksicht auf die Belange des Irrenden nimmt. (Zum Ganzen: §  5.) 4. Rechtsirrtümer, die das Bestehen eines Anspruchs (im Sinne von §  194 Abs.  1 BGB) betreffen, lassen sich mithilfe eines eingängigen Rasters ordnen und untersu­ chen. Unterschieden werden kann einerseits zwischen einem übereifrigen Vorge­ hen im Glauben, selbst im Recht zu sein, und einer Unterschätzung der eigenen Position, die zu einem Verzicht auf die Rechtswahrnehmung führt. Andererseits lässt sich zwischen Anspruchsverfolgung und Anspruchsverteidigung differenzie­ ren. In der Kombination ergibt sich eine Matrix aus vier Feldern. Diese werden hier als „Quadranten“ bezeichnet. Innerhalb dieser vier Quadranten lässt sich stets danach fragen, inwiefern das Vorliegen eines Rechtsirrtums die Zuweisung von Rechtsnachteilen verhindern kann. Zu diesem Zweck lassen sich die denkbaren Voraussetzungen einer Nachteils­ zuweisung in drei Elemente einteilen, die zur Strukturierung der Betrachtung und zur Kategorisierung verschiedener Tatbestände dienen. Zu ermitteln ist zunächst, ob und inwieweit die Zuweisung eines Nachteils überhaupt rechtliche Kenntnisse bzw. eine Erkennbarkeit der Rechtslage voraussetzt, das Recht also notwendiger Erkenntnisgegenstand ist. Sodann kann nach dem nachteilsbegründenden Grad der Rechtserkenntnis (Zweifel, Gewissheit usw.) gefragt werden. Auf einer dritten Ebe­ ne ist zu untersuchen, ob der schädliche Erkenntnisgrad vom Betroffenen subjektiv tatsächlich erreicht worden sein muss oder ob es – als Ersatz hierfür – genügt, dass das Fehlen der Erkenntnis vorwerfbar war. (Dazu: §  2 A., §  6.)

B. Untersuchungsquadranten Die so strukturierte Untersuchung hat in den vier Quadranten folgende Ergebnisse zutage gefördert:

I. Quadrant 1: Irrtümlicher Verzicht auf Verfolgung bestehender Ansprüche 1. Beginn und Lauf der Regelverjährungsfrist nach §§  195, 199 Abs.  1 BGB hängen grundsätzlich nicht davon ab, ob der Gläubiger seine Anspruchsberechtigung zu­ treffend eingeschätzt bzw. in fahrlässiger Weise verkannt hat. Die Rechtslage zählt also im Ausgangspunkt nicht zum schädlichen Erkenntnisgegenstand. Diese im Grundsatz einhellige Deutung ist in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB angelegt, der nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände abhebt. Die Ratio dahinter wird bislang nicht hinreichend genau benannt. Der mitunter anzutreffende Verweis auf

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die Verfügbarkeit von Rechtsrat ist richtig. Er erklärt aber nur, warum die Rechtsla­ ge aus der Perspektive eines Rechtskundigen zu beurteilen ist. Warum die Verjäh­ rung auch dann anläuft, wenn selbst ein Rechtsexperte das Bestehen des Anspruchs für ungewiss oder gar unwahrscheinlich gehalten hätte, ist damit nicht erklärt. Die­ ser Unterschied zur Tatsachenkenntnis rechtfertigt sich aus Anreizgesichtspunkten. Bei einer unklaren Rechtslage besteht, anders als bei ungeklärter Faktenlage, oft­ mals ein Interesse der Allgemeinheit an einer gerichtlichen Befassung. Nur indem Anreize zur Anspruchsgeltendmachung trotz Ungewissheit gesetzt werden, kann die Rechtsprechung mit genügend Ausgangsmaterial für die Rechtskonkretisierung und -fortbildung versorgt werden. Diese Wirkung des Verjährungsrechts wird bis­ lang allenfalls im Zusammenhang mit der Kritik an Ausnahmefallgruppen eines Verjährungsaufschubs identifiziert. Sie ist aber generell zu bedenken. Aus der beschriebenen Ratio folgt nicht bloß, dass eine rechtliche Fehleinschät­ zung der eigenen Anspruchsberechtigung grundsätzlich unbeachtlich ist. Gleicher­ maßen irrelevant ist es, wenn der Gläubiger das Vorliegen normativer Tatbestands­ merkmale der Anspruchsgrundlage infolge Rechtsirrtums verkennt. Gegenläufige Tendenzen sind verfehlt. (Dazu: §  7 C. I. 1., 4.) 2. Von der prinzipiellen Unbeachtlichkeit der rechtlichen Kenntnis bzw. Erkenn­ barkeit sind nur eng begrenzte Ausnahmen zuzulassen. Die wichtigste unter diesen versieht die Rechtsprechung mit dem Etikett der „Unzumutbarkeit“: Der Lauf der Verjährung beginnt trotz Tatsachenkenntnis nicht, solange die objektiven Aussich­ ten auf eine günstige rechtliche Beurteilung nicht hinreichend hoch erscheinen. Die hiergegen üblicherweise vorgebrachten Kritikpunkte verfehlen zum Großteil den Kern des Problems. Die durchgreifende Beanstandung lautet vielmehr: Die Frage nach der Zumutbarkeit einer Klage dient nur zur Präzisierung der von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB vorausgesetzten Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände. Weil die Vorschrift keine Rechtskenntnis voraussetzt, fehlt es der Zumutbarkeitsprü­ fung insoweit an einem Bezugspunkt. Der Verjährungsaufschub wegen Unzumutbarkeit muss daher anders begründet werden. Maßgeblich ist, wie bislang nur vereinzelt erkannt wird, die Wertung von §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO. Die Vorschrift besagt, dass Prozesskostenhilfe nur dann zu gewähren ist, wenn hinreichende Erfolgsaussichten bestehen. Ein wirtschaftlich bedürftiger Gläubiger kann daher seinen Anspruch nicht verfolgen, solange die ihm günstige Rechtsauffassung keine ausreichende Aussicht auf eine gerichtliche Anerkennung hat. Es erschiene widersprüchlich, die Regelverjährung zu seinen Lasten anlaufen zu lassen. Die Wertung des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO ist indes über den Kreis der bedürftigen Gläubiger hinaus zu erstrecken. Der Gesetzgeber bringt an dieser Stelle zum Ausdruck, welche Prozesse er unter Abwägung von Kosten und Nutzen für förderungswürdig erachtet. Diese Bewertung kann nicht unberück­ sichtigt bleiben, wenn sich die Unbeachtlichkeit rechtlicher Zweifel im Kontext von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB dadurch rechtfertigt, dass Anreize für eine im Allgemein­ interesse liegende Rechtsklärung gesetzt werden sollen. Ohne hinreichende Er­ folgsaussicht liegt eine gerichtliche Befassung gerade nicht im Allgemeininteresse.

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Die Diskriminierung rechtlicher Zweifel durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ist in die­ sem Umfang aus teleologischen Gründen zurückzunehmen. Dabei ist jedoch be­ hutsamer vorzugehen, als dies bislang vielfach geschieht. Den Vorzug verdient ein (sehr) enges Verständnis der Unzumutbarkeit. Hinreichende Erfolgsaussichten feh­ len praktisch nur in dem Fall, dass dem Begehren des potenziellen Gläubigers eine höchstrichterliche Judikatur entgegensteht und es an Anhaltspunkten für eine künftige Aufgabe fehlt. Ansonsten liegt eine Klärung der Rechtslage gerade im All­ gemeininteresse. Für die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussichten kommt es auf die objektive Sicht eines Rechtskundigen an. Dies führt für den Gläubiger, funktional betrachtet, zu einer Obliegenheit der Intermediärskonsultation. Diese rechtfertigt sich wiederum durch die Annahme, Rechtsrat sei stets verfügbar. (Dazu: §  7 C. I. 3., II., III. 2.) 3. Die zuletzt genannte Risikozuweisung ist nicht angebracht, soweit die Verjäh­ rung von Berufshaftungsansprüchen gegen Rechtsberater betroffen ist. Die jüngere BGH-Rechtsprechung erkennt dies zutreffend. Sie erhebt im Ergebnis die recht­ liche Bewertung, das Verhalten des Beraters sei pflichtwidrig gewesen, zum Er­ kenntnisgegenstand. Die Ratio für die Unbeachtlichkeit von Rechtsirrtümern (Verfügbarkeit von Rechtsrat) greift an dieser Stelle nicht. Der Gläubiger hat schließlich bereits einen Rechtsberater mandatiert. Er soll nicht gezwungen wer­ den, diesem fortdauernd mit Misstrauen zu begegnen oder ihn von einem weiteren Experten überwachen zu lassen. Dieses Ergebnis lässt sich in methodischer Hin­ sicht auf eine Analogie zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB (also eine Reduktion der Unbe­ achtlichkeit der Rechtserkenntnis) stützen. Dem Mandanten schadet demnach die grob fahrlässige Unkenntnis der Pflichtverletzung. Ein solcher Vorwurf darf aber vor dem soeben geschilderten Hintergrund – die Vertrauensbeziehung soll nicht gestört werden – nicht vorschnell erhoben werden. (Dazu: §  7 C. I. 5., III. 3.) 4. Noch unnachsichtiger als das Verjährungsrecht verfährt §  233 S.  1 ZPO mit demjenigen, der die eigene Anspruchsberechtigung rechtsirrtümlich verkennt. Ist eine abweisende Entscheidung ergangen und hat der Gläubiger diese rechtskräftig werden lassen, kann er nicht unter Berufung auf seinen Rechtsirrtum die Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand verlangen. Dies dient dem Schutz der Rechtskraft und gilt – im Unterschied zur Verjährung – selbst für den Fall, dass dem Anspruch (und somit dem Erfolg eines Rechtsbehelfs) eine etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung entgegenstand. Hierin liegt indes keine erklärungsbedürftige Schlechterstellung von Rechtsirrtümern. Die Versagung einer Wiedereinsetzung betrifft in gleicher Weise Tatsachenirrtümer, die zu einer Fehleinschätzung der Er­ folgsaussichten eines Rechtsbehelfs führen. Es fehlt jeweils an dem von §  233 S.  1 ZPO vorausgesetzten Hindernis. Vergleichbares gilt für die Zulassung einer ver­ späteten Kündigungsschutzklage nach §  5 Abs.  1 S.  1 KSchG. (Zum Ganzen: §  8.)

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II. Quadrant 2: Irrtümliche Verfolgung nicht bestehender Ansprüche 1. Rechtsprechung und Schrifttum gewähren demjenigen, der einen nicht bestehen­ den Anspruch verfolgt, weitgehende Haftungsprivilegien, wenngleich im Detail Meinungsunterschiede bestehen. Das Beharren des BGH auf einem großzügigeren Haftungsfreiraum für ein gerichtliches Vorgehen („Klageprivileg“) wird von der herrschenden Lehre mit guten Gründen kritisiert. Vor allem ignoriert diese Un­ gleichbehandlung die gesetzgeberische Richtungsentscheidung zugunsten einer Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung. Diese Wertung findet insbeson­ dere in prozessrechtlichen Normen wie §  93 ZPO Ausdruck. Auch die in der Lite­ ratur entwickelten Haftungsmaßstäbe weisen jedoch Schwächen auf. Verbreitet wird eine Gesamtschau unterschiedlicher Faktoren gefordert. Eine solche erlaubt indes weder für den potenziellen Gläubiger noch für seinen Gegner eine rechts­ sichere Prognose der Streitrisiken. Dem kann abgeholfen werden, indem nach den einzelnen Voraussetzungen der Nachteilszuweisung unterschieden wird: Die Frage nach dem schädlichen Erkennt­ nisgrad ist von dem nachgelagerten Vorwurf, eine Rechtsprüfungspflicht sei ver­ letzt worden, zu entkoppeln. Diese Aufspaltung lässt sich auch in dogmatischer Hinsicht nachvollziehen. Hinreichende objektive Erfolgsaussichten (Frage des Er­ kenntnisgrades) hindern bereits das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung. Ist eine Geltendmachung erfolgt, die nicht hinreichend aussichtsreich war, kann eine Entlastung des Putativgläubigers gegebenenfalls auf Ebene des Vertretenmüssens bzw. Verschuldens (Frage der Vorwerfbarkeit) stattfinden. (Dazu: §  9 C. I., VI.) 2. Hinreichend Erfolg versprechend im soeben beschriebenen Sinne ist eine An­ spruchsverfolgung grundsätzlich bereits dann, wenn sie nicht vollständig aus­ sichtslos ist. Der schädliche Erkenntnisgrad ist im Vergleich zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB spiegelverkehrt ausgestaltet. Potenzielle Gläubiger gerieten ansonsten im Fall objektiver Rechtsunsicherheit in ein Dilemma: Sie müssten entweder auf die Gel­ tendmachung verzichten und die Verjährung riskieren oder die Verjährung meiden, aber das Haftungsrisiko eingehen. Das erscheint nicht hinnehmbar, denn die Gel­ tendmachung von Ansprüchen, die in rechtlicher Hinsicht ungewiss sind, ist gera­ de Voraussetzung für die im Allgemeininteresse liegende Klärung offener Rechts­ fragen. Insoweit decken sich die Motive für die verjährungsrechtliche Strenge mit denen für die haftungsrechtliche Milde. Konsequenterweise ist für die nähere Be­ stimmung der hinreichenden Erfolgsaussichten wiederum auf den Maßstab aus dem Prozesskostenhilferecht (§  114 Abs.  1 S.  1 ZPO) zurückzugreifen. Danach muss die Annahme eines Anspruchs rechtlich vertretbar sein und darf nicht von der etablierten höchstrichterlichen Judikatur abgelehnt worden sein. Diese weitge­ hende Haftungsprivilegierung auf Ebene des Erkenntnisgrades ist im Grundsatz unabhängig von sonstigen Faktoren wie etwa dem drohenden Schadensausmaß. Der privilegierte Bereich wird allerdings verlassen, wo sich der mögliche Gläubi­ ger bei rechtlicher Ungewissheit nicht mehr auf die klärende Geltendmachung be­ schränkt, sondern zur vorläufigen Vollstreckung bzw. einstweiligen Sicherung

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übergeht. Dass unter solchen Umständen grundsätzlich eine scharfe Haftung gebo­ ten ist, bringen §§  717 Abs.  2, 945 ZPO sowie §  231 BGB zum Ausdruck. Die dahin­ terstehende Wertung ist auf „vollstreckungsähnliche“ Vorgänge zu übertragen. Davon erfasst werden insbesondere Schäden, die ein Produkthersteller dadurch erleidet, dass ein vermeintlicher Schutzrechtsinhaber unberechtigte Verwarnungen gegenüber den Produktabnehmern ausspricht. Dagegen muss die Entgegennahme einer (nach dem Maßstab von §  717 Abs.  2 ZPO) „freiwilligen“ Leistung den milden Haftungsmaßstäben unterliegen, um den Privilegierungseffekt nicht zu untergra­ ben. (Dazu: §  9 C. III.) 3. Auf Ebene der Vorwerfbarkeitsprüfung ist hingegen keine besondere Privile­ gierung rechtlicher Fehlvorstellungen geboten. Zwar wird darauf hingewiesen, auch der in Anspruch Genommene könne Schäden durch die zutreffende rechtliche Erkenntnis der fehlenden Anspruchsberechtigung verhindern. Dies stimmt jedoch nicht für alle Arten von Schäden. Zudem erscheint es vorzugswürdig, die Scha­ densverhütungsmöglichkeiten des Gegners erst im Rahmen von §  254 BGB zu be­ rücksichtigen, um die beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge in die Bewertung einstellen zu können. Es sprechen sogar gute Gründe dafür, es dem Putativgläubiger stets zum Vorwurf zu machen, wenn er nicht die gleiche Einsicht in die Rechtslage erlangt hat, die ihm ein objektiver Rechtsberater vermittelt hätte. Für die Annahme einer solchen Kon­ sultationspflicht lässt sich vor allem auf die institutionalisierte Verfügbarkeit von Rechtsrat und die Andeutungen des historischen Gesetzgebers verweisen. Auch nach rechtsökonomischen Kontrollüberlegungen erscheint eine solche Ausgestaltung hin­ nehmbar. Unter dogmatischen Gesichtspunkten kommt sie allerdings nur dort in Betracht, wo das Gesetz nicht explizit Verschulden verlangt (so aber vor allem §  823 BGB), sondern Vertretenmüssen ausreichen lässt (so insbesondere §  280 BGB). Wurde tatsächlich ein Berater mandatiert, sind Fehlauskünfte dem Anspruch­ steller nur im Geltungsbereich von §  278 BGB zurechenbar. Außerhalb dessen be­ steht infolge der Exkulpationsmöglichkeit des §  831 Abs.  1 S.  2 BGB eine missliche Haftungslücke. Diese lässt sich de lege lata nicht zuverlässig schließen. Insbesonde­ re kommt im Regelfall keine Direkthaftung des Beraters gegenüber dem geschädig­ ten Gegner des Mandanten in Betracht. (Dazu: §  9 C. IV.) 4. Den vermeintlichen Gläubiger, der einen nicht bestehenden Anspruch gericht­ lich geltend macht, trifft ohne Rücksicht auf ein Verschulden die Pflicht zur Tra­ gung der Prozesskosten gemäß §§  91 ff. ZPO. Dies schreckt prospektive Kläger im Fall der Rechtsungewissheit ab und hindert somit die gerichtliche Klärung. Diese Steuerungswirkung kollidiert mit der im Übrigen bestehenden Haftungsprivile­ gierung des Putativgläubigers. Dies liegt darin begründet, dass der Gesetzgeber einen Zielkonflikt bewältigen muss: Das Allgemeininteresse an einer Rechtskon­ kretisierung und Rechtsfortbildung ist mit der Schonung der Justizressourcen in Ausgleich zu bringen. Das Modell aus schadensersatzrechtlicher Befreiung und kostenersatzrechtlicher Belastung entbehrt zumindest nicht jeder Plausibilität. Es ist de lege lata hinzunehmen.

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Dennoch ist eine eng begrenzte Ausnahme von der Kostentragungspflicht ange­ zeigt. Entgegen der herrschenden Auffassung – aber im Einklang mit entsprechenden Tendenzen im Kontext von §§  93, 927 ZPO – kann der klagende Putativgläubiger den Rechtsstreit kostenvermeidend für erledigt erklären, wenn während des Verfahrens eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu seinen Lasten eintritt. Voraussetzung ist, dass eine günstige Entscheidung der betroffenen Rechtsfrage im Zeitpunkt der Klageerhebung noch praktisch sicher schien. Wo dies der Fall war, das befasste Gericht aber ohne einen zwischenzeitlichen Wandel der höchstrichterlichen Judikatur gegen den Kläger entschieden hat, ist Letzterer zumindest nach §  21 Abs.  1 S.  3 GKG von der Tragung der Gerichtskosten zu befreien. (Zum Ganzen: §  10.)

III. Quadrant 3: Irrtümliche Verteidigung gegen bestehende Ansprüche 1. Nach der hergebrachten „strengen“ Linie des BGH haftet ein Schuldner, der rechtsirrtümlich die Leistung verweigert, nur dann nicht, wenn er die Rechtslage sorgfältig geprüft hat und mit einem Unterliegen nicht rechnen musste. Das BAG positioniert sich, entgegen einer verbreiteten Deutung, überwiegend ähnlich. Die Begründung für die strikte Behandlung des irrenden Schuldners bleibt allerdings lückenhaft. Insbesondere erklärt der viel beschworene „Geltungsanspruch des Rechts“ nicht, warum der Schuldner anders als ein Putativgläubiger den Streit um offene Rechtsfragen nicht weitgehend risikofrei austragen darf. Erhebliche Begrün­ dungsdefizite weist ebenso die Ansicht auf, die rechtliche Fehleinschätzungen des Schuldners für vollständig unbeachtlich hält. Ein solches Modell bedeutete einen Rückfall in eine rigide Anwendung des Grundsatzes „error iuris nocet“, den die Verfasser des BGB bewusst verworfen haben. Nicht zu überzeugen vermag ferner die von weiten Teilen der Literatur favori­ sierte „milde“ Linie. Diese läuft im Grundsatz auf eine weitgehende Gleichbehand­ lung des irrenden Schuldners mit dem irrenden Putativgläubiger hinaus. Diese Sichtweise verkennt die gewichtigen Diskrepanzen zwischen den Parteien. Nur die Streitaustragung „an sich“ verdient die identische Haftungsprivilegierung. Der die Leistung verweigernde Schuldner führt den Streit allerdings aus einer deutlich komfortableren Position heraus. Er behält den begehrten Leistungsgegenstand einstweilen ein, kann diesen nutzen und meidet das Insolvenzrisiko. In diesem Punkt gleicht er folglich nicht einem Anspruchsteller, der bloß die Leistung ver­ langt, sondern einem Gläubiger, der die vorläufige Vollstreckung betrieben bzw. eine einstweilige Sicherung erlangt hat. §§  717 Abs.  2, 945 ZPO zeigen, dass ein solches Vorgehen weder bei Rechts- noch bei Tatsachenzweifeln eine Haftungs­ privilegierung verdient. In dogmatischer Hinsicht lässt sich die strenge Haftung an der Verletzung von Leistungspflichten festmachen, während Anspruchsverfolgung und -verteidigung für sich genommen bloß Rücksichtnahmepflichten verletzen. Zugunsten des Schuldners lässt sich auch nicht etwa darauf verweisen, er sei praktisch dazu gezwungen, das Betreiben der rechtlichen Klärung mit der Leis­ tungsverweigerung zu vermengen. Vielmehr kann er im Normalfall die Leistung

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zunächst erbringen und sich auf die Rückforderung verlegen, um die Rechtslage klären zu lassen. Insoweit handelt er dann als privilegierter (Bereicherungs-)Gläu­ biger. (Dazu: §  11 C. I. 2., II. 1.–4.) 2. Im Ergebnis erweist sich somit die strenge Ausgestaltung des schädlichen Er­ kenntnisgrades durch die herrschende Rechtsprechung als richtig. Eine Haftung setzt voraus, dass mit dem Bestehen der Leistungspflicht gerechnet werden konnte. Damit bleibt ein schmaler Bereich für eine Exkulpation: Solange die Leistungsver­ weigerung im Einklang mit einer damals etablierten höchstrichterlichen Recht­ sprechung erfolgt ist, zieht sie keine Schuldnerhaftung nach sich. Das ist nicht zu­ letzt Ausdruck des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes im Zusam­ menhang mit Rechtsprechungsänderungen. Eine „verworrene“ Rechtslage entlastet den Schuldner hingegen nicht. Allerdings sind in besonderen Konstellationen Ausnahmen vom strengen Er­ kenntnisgrad angezeigt. Dies kommt insbesondere dem Bereicherungsschuldner zugute. Die oben befürwortete Privilegierung des Anspruchstellers würde unter­ graben, wenn er nach einer freiwilligen Leistung des Gegners in der neuen Rolle als Kondiktionsschuldner streng haften würde. Das Kenntniserfordernis in §   819 Abs.  1 BGB bietet, richtig eingesetzt, hinreichenden Schutz. Nachsicht verdienen im Grundsatz auch diejenigen Schuldner, die nicht mit gleicher Berechtigung wie sonst auf das haftungsbefreite Vorgehen „leiste und kondiziere“ verwiesen werden können. Das betrifft insbesondere den Fall, dass sich die rechtliche Ungewissheit auf die Frage bezieht, wer von mehreren Personen Anspruchsinhaber ist. Hier müsste der zweifelnde Schuldner vorläufig sämtliche Prätendenten bedienen, um einer Haftung zu entgehen. Das ist nicht zumutbar. Ihm ist unter solchen Umstän­ den grundsätzlich die Hinterlegung nach §  372 S.  2 Var.  2 BGB zu gestatten. Bezie­ hen sich die einschlägigen Zweifel gerade auf die Wirksamkeit einer Abtretung, erlaubt es ihm §  407 Abs.  1 BGB, an den früheren Gläubiger zu zahlen und so einen Verzug gegenüber dem Zessionar auszuschließen. Tendenzen, die befreiende Wir­ kung schon bei Tatsachenkenntnis zu versagen, sind mit dem schuldnerschützen­ den Zweck von §  407 Abs.  1 BGB nicht zu vereinbaren. Anders liegen die Dinge allenfalls in bestimmten Fällen des gesetzlichen Forderungsübergangs (§  412 BGB), weil dort dem Schutz der Sozialleistungsträger der Vorrang eingeräumt wird. Der in §§  372, 407 BGB zutage tretende Gedanke lässt sich auf weitere Konstel­ lationen erstrecken. Eine Privilegierung kommt – unter dem Stichwort der Pflich­ tenkollision – erst recht zugunsten solcher Schuldner in Betracht, deren vorläufige Leistungserbringung zugleich andere (etwa strafrechtliche) Pflichten zu verletzen drohte. Weitere Ausnahmen von der strengen Linie sind hingegen nicht anzuerken­ nen. Insbesondere ist die strikte Herangehensweise prinzipiell auch gegenüber Wohnraummietern angezeigt. Vor einem irrtumsbedingten Verlust der Wohnung sind diese durch die Kündigungsvoraussetzungen sowie durch die Möglichkeit der vorläufigen Leistung geschützt. (Dazu: §  11 C. II. 5.–6.) 3. Dem Schuldner ist das subjektive Verfehlen des haftungsbegründenden Gra­ des der Rechtserkenntnis regelmäßig schon dann anzulasten, wenn ein gewissen­

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hafter Rechtsberater diesen Erkenntnisgrad erreicht hätte. Insoweit ergibt sich eine Parallele zur Haftung des Putativgläubigers. Die Annahme einer Konsultations­ pflicht beruht auf dem Gedanken der institutionellen Verfügbarkeit von Rechtsrat. Sie ist überall dort angezeigt, wo es §§  280 Abs.  1 S.  2, 286 Abs.  4 BGB ausreichen lassen, dass der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten hat. In diesem Bereich erledigt sich damit zugleich die Frage der Zurechnung von Beraterfehlern. Eine solche wäre aber ohnehin – mit der herrschenden, aber nicht unumstrittenen Auf­ fassung – nach §  278 BGB vorzunehmen. Fundamental anders liegen die Dinge, wo nach §  407 bzw. §  819 Abs.  1 BGB für eine Belastung des Schuldners Kenntnis vor­ ausgesetzt wird. Hier schadet weder Kennenmüssen noch werden Beraterfehler zugerechnet. (Dazu: §  11 C. III.) 4. Ein Schuldner, der gerichtlich zur Leistung verurteilt wird, hat die Prozess­ kosten grundsätzlich selbst dann zu tragen, wenn er seine Leistungspflicht infolge Rechtsirrtums verkannt hat. Allerdings kann er unter besonderen Umständen der Pflicht zur Kostentragung entgehen. Dies ist der Fall, wenn die Klage ursprünglich praktisch aussichtslos erschien, weil einem Erfolg die etablierte höchstrichterliche Judikatur entgegenstand. Unter solchen Bedingungen ist dem Beklagten die um­ strittene Möglichkeit eines kostenvermeidenden sofortigen Anerkenntnisses nach §  93 ZPO zu eröffnen. Zu diesem kann er greifen, wenn sich die Rechtsprechung nach Klageerhebung zu seinen Ungunsten wandelt. (Zum Ganzen: §  12.)

IV. Quadrant 4: Irrtümlicher Verzicht auf Verteidigung gegen nicht bestehende Ansprüche 1. Wer infolge eines Rechtsirrtums annimmt, zu einer Leistung verpflichtet zu sein, und deshalb die vermeintliche Pflicht „erfüllt“, erhält einen Bereicherungsanspruch. §  814 Var.  1 BGB sperrt zwar die Kondiktion, wenn der Leistende um das Fehlen des Rechtsgrundes für die Leistung wusste. Nach dem Willen des historischen Gesetz­ gebers ist hierfür jedoch positive Kenntnis erforderlich. Diese muss eine zutreffende rechtliche (Parallel-)Wertung der bekannten Tatsachen umfassen. §  814 Var.  1 BGB knüpft nicht an das Vertrauen des Leistungsempfängers in das Behaltendürfen der Leistung an – dieses wird über §  818 Abs.  3 BGB und die Verjährung geschützt. Vielmehr wird ein widersprüchliches Verhalten des Leistenden sanktioniert. Das ist bei der Auslegung der Norm zu berücksichtigen. (Dazu: §  13 C. I.) 2. Der schädliche Erkenntnisgrad ist nach der Konzeption von §  814 Var.  1 BGB erst bei praktischer Gewissheit über das Nichtbestehen des Anspruchs erreicht. Zweifel schaden nicht. Das ist konform mit dem Zweck, widersprüchliches Ver­ halten zu vermeiden. Zugleich hat die „milde“ Behandlung des Irrenden im Gesamt­ gefüge der Rechtsirrtumsdogmatik Bedeutung: Es wäre äußerst problematisch, den zweifelnden Schuldner zur Vermeidung einer Verzugshaftung auf das Vorgehen „leiste und kondiziere“ zu verweisen, wenn §  814 Var.  1 BGB unter solchen Um­ ständen die Kondiktion verhinderte. Für Fälle einer zu niedrig angesetzten Minde­ rungsquote gilt entgegen der Ansicht des BGH nichts anderes: Der überzahlte Be­

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trag kann kondiziert werden, soweit der Leistende nicht mit Gewissheit davon ausging, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein. (Dazu: §  13 C. II.) 3. Weil §  814 Var.  1 BGB positives Wissen fordert, schadet es dem Leistenden nicht, wenn er das Fehlen des Anspruchs in fahrlässiger Weise verkannt hat. Dieses Ergebnis darf auch nicht durch die exzessive Zubilligung eines Anscheinsbeweises für die Kenntnis des Leistenden umgangen werden. Unter Berücksichtigung der geringen Verbreitung von Rechtskenntnissen unter Laien ist Wissen um das Fehlen des Anspruchs im Regelfall nicht „typischerweise“ vorhanden. Im Gegenteil: Der Umstand, dass freiwillig eine Leistung erbracht wird, spricht nach der Lebenser­ fahrung gerade dafür, dass zumindest nicht mit Sicherheit von einer Nichtschuld ausgegangen wurde. Ein Anscheinsbeweis gewinnt allenfalls dort Bedeutung, wo sogar der spätere Empfänger auf das Fehlen eines Anspruchs hingewiesen hatte. (Dazu: §  13 C. III.) 4. Verteidigt sich der vermeintliche Schuldner gegen die gerichtliche Geltendma­ chung eines nicht bestehenden Anspruchs nicht (weiter), weil er über dessen Beste­ hen in rechtlicher Hinsicht irrt, kann eine Entscheidung, die den Anspruch bejaht, in Rechtskraft erwachsen. Damit die Rechtskraft ihre Funktion erfüllen kann, ist sie grundsätzlich zu schützen. Das geltende Recht erkennt indes Ausnahmen an. So wird dem Schuldner die Vollstreckungsabwehrklage (§  767 ZPO) eröffnet, wenn die Verurteilung aufgrund einer verfassungswidrigen Norm bzw. Normauslegung erfolgt ist (§  79 Abs.  2 S.  3 BVerfGG). In vergleichbarer Weise gestattet §  10 UKlaG die Vollstreckungsabwehrklage, wenn die AGB-Klausel, deren Verwendung nach dem Titel zu unterlassen ist, nachträglich höchstrichterlich gebilligt wurde. Ein vergleichbarer Gedanke liegt den Abänderungsmöglichkeiten nach §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO, §  238 Abs.  1 S.  2 FamFG zugrunde. Der Gesetzgeber versteht in diesem Zu­ sammenhang auch einen Wandel der höchstrichterlichen Judikatur als Änderung der rechtlichen Verhältnisse. Daraus lässt sich die übergreifende Wertung ableiten, dass die Vollstreckung von „zukunftsbezogenen“ Titeln verhindert werden kann, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung sich nachträglich gegen das Bestehen eines Anspruchs positioniert. (Zum Ganzen: §  14.)

C. Synthese Die Gesamtschau der vier Quadranten lässt ein weitgehend schlüssiges System er­ kennen und liefert eine zusätzliche Stütze für die in den einzelnen Bereichen ge­ wonnenen Erkenntnisse.

I. Ebene des Erkenntnisgrades 1. Der Grad der Rechtserkenntnis, der für eine Nachteilszuweisung zum Irrenden vorausgesetzt wird, alterniert zwischen den einzelnen Quadranten. Es lässt sich eine Ableitungskette bilden:

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(a) Die Regelverjährung beginnt, auch wenn das Bestehen des Anspruchs objek­ tiv ungewiss ist. Mögliche Gläubiger sind deshalb trotz Rechtszweifeln zur An­ spruchsgeltendmachung angehalten. (b) Daher darf unter solchen Umständen die Inanspruchnahme des Gegners kei­ ne Haftung nach sich ziehen, selbst wenn sich abschließend herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. Hingegen besteht kein Bedarf, zur Verhinderung der Ver­ jährung noch vor Erlangung einer rechtskräftig zusprechenden Entscheidung Voll­ streckungs- oder Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Für solche können §§  717 Abs.  2, 945 ZPO daher eine strenge Haftung vorsehen. (c) Aufgrund der Vergleichbarkeit der Leistungsverweigerung des unsicheren Schuldners mit der Vollstreckung durch einen zweifelnden Putativgläubiger ist auch insofern eine scharfe Haftung angebracht. Der Schuldner kann sich nämlich jederzeit freiwillig in die (haftungsprivilegierte) Position eines Gläubigers verset­ zen, indem er vorläufig leistet und sodann zur Rückforderung übergeht. (d) Diesen Weg darf ihm §  814 Var.  1 BGB nicht abschneiden. Nach einer trotz rechtlicher Zweifel an der eigenen Verpflichtung erbrachten Leistung ist die Kon­ diktion daher nicht ausgeschlossen. Das beschriebene Modell kann insofern auf seinen Gerechtigkeitswert verwei­ sen, als es dem Rechtsunterworfenen im Fall der rechtlichen Ungewissheit jeweils einen zumutbaren Ausweg bietet. Der potenzielle Gläubiger muss den Anspruch geltend machen, um Nachteile zu vermeiden; der potenzielle Schuldner muss leis­ ten und kondizieren. (Zum Ganzen: §  15 A. I.) 2. Hinter der skizzierten Ableitungskette verbirgt sich ein komplexeres Netz aus Wertungszusammenhängen. Auch diese werden in der Gesamtschau der Quadran­ ten erkennbar. Es lassen sich drei wegweisende Wertungen identifizieren, von de­ nen zwei – im Folgenden (a) und (c) – ihren Ursprung gerade in der Eigenart des Rechts als Erkenntnisgegenstand finden, während eine weitere – dazu (b) – Rechtsund Tatsachenirrtümer gleichermaßen betrifft. (a) Weil die Konkretisierung und Fortbildung des Rechts außerhalb der Gesetz­ gebung vornehmlich den Gerichten überlassen bleibt, besteht ein Allgemeininte­ resse daran, dass zweifelhafte Rechtsfragen nicht „ausgesessen“, sondern einer ge­ richtlichen Klärung zugeführt werden. Dieses Motiv erklärt die Diskriminierung rechtlicher Zweifel im Verjährungsrecht ebenso wie die korrespondierende Haf­ tungsprivilegierung des Anspruchstellers bei der reinen Geltendmachung (auch in seiner späteren Rolle als Bereicherungsschuldner nach freiwilliger Erfüllung). Die strenge Haftung des Vollstreckungsgläubigers und die des Schuldners erscheinen unter dem Gesichtspunkt der Klärungsanreize weder als dringend geboten noch als schädlich. Die Anreizwirkungen finden allerdings an anderer Stelle Grenzen. Aus den Anforderungen, die das Prozesskostenhilferecht an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Anspruchsverfolgung stellt (§  114 Abs.  1 S.  1 ZPO), lässt sich erse­ hen, ab welchem Punkt der Gesetzgeber die fiskalischen und gegnerischen Interes­ sen an einem Verzicht auf die Anspruchsgeltendmachung für überwiegend erach­ tet. In vergleichbarer Weise zeigt (insbesondere) §  93 ZPO, dass der Gesetzgeber

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trotz der Vorteile einer gerichtlichen Klärung zunächst einen außergerichtlichen Bereinigungsversuch wünscht. Das fein austarierte System aus Anreiz und Ab­ schreckung wird von §§  91 ff. ZPO komplettiert. Diese errichten im Interesse einer Schonung der Justizressourcen die Drohkulisse einer verschuldensunabhängigen Prozesskostenhaftung. (b) Neben den Anreizgedanken tritt als zweiter maßgeblicher Einflussfaktor die aus §§  717 Abs.  2, 945 ZPO abzulesende Wertung, dass nur derjenige privilegiert sein soll, der den Streit aus der ungesicherten Position des „Bittstellers“ führt. Aus diesem Gedanken folgt nicht zuletzt die strenge Haftung des Schuldners, der den Leistungsgegenstand im Streit einbehält. Die bloß verbale Loslösung von einem Vertrag ohne das Zurückhalten der geschuldeten Leistung (beispielsweise die Kün­ digung durch den Wohnungsvermieter) ist damit nicht vergleichbar. Die in §  717 Abs.  3 ZPO enthaltene Haftungsmilderung nach Ergehen eines günstigen Beru­ fungsurteils ist konsequenterweise auf die Schuldnerhaftung zu übertragen. (c) Der Irrende ist selbst dort, wo ihm schon Rechtszweifel schaden, weitgehend entlastet, wenn er sich im Einklang mit einer einschlägigen, etablierten, höchstrich­ terlichen Rechtsprechung wähnen darf. Das ist Ausfluss des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen. Die Wertung lässt sich auch im Rahmen der verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände der §§  717 Abs.  2, 945 ZPO sowie §§  91 ff. ZPO berücksichtigen. Nach der jeweils herr­ schenden Meinung steht einer solchen Interpretation entgegen, dass es sich bei einer Rechtsprechungsänderung nicht um ein nachträgliches Ereignis handelt. Auf Grundlage eines deklaratorischen Verständnisses wird betont, auch bei Judikatur­ wenden werde bloß die bereits bestehende Rechtslage (neu) erkannt. Diese forma­ listische Sichtweise ist zugunsten einer weitgehenden Gleichbehandlung mit Geset­ zesänderungen aufzugeben. Die in der Sache bestehende Vergleichbarkeit erkennt der Gesetzgeber nicht zuletzt im Zusammenhang mit §  323 Abs.  1 S.  2 ZPO aus­ drücklich an. (Zum Ganzen: §  15 A. II.) 3. Ein bedeutender Vorzug des hier entwickelten Modells liegt in dem Umstand, dass in allen vier Quadranten auf Ebene des Erkenntnisgrades der gleiche Maßstab zur Anwendung gelangt. Dieser wird lediglich, je nach Perspektive, gespiegelt. Stets erweist sich (vermeintliche) praktische Gewissheit als ent- bzw. als belastend. Der einheitliche Maßstab ist „anwenderfreundlich“ und sorgt für einen Gewinn an Rechtssicherheit bei allen Beteiligten. Er integriert zudem die Vorgaben des §  114 Abs.  1 S.  1 ZPO und des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen. Rechtsprechung zu einem dieser Themengebiete lässt sich somit weitgehend auf die übrigen Bereiche übertragen. (Dazu: §  15 B.) 4. „Praktische Gewissheit“ im hier verstandenen Sinne kann zum einen dadurch vermittelt werden, dass alle anderen Lösungswege unvertretbar sind. Zum anderen ist die Rechtslage hinreichend gewiss, wenn ein Höchstgericht – eine „herrschende Meinung“ bzw. Instanzjudikatur stehen dem nicht gleich – die betroffene Rechts­ frage bereits mindestens einmal in entscheidungserheblicher und veröffentlichter Form beantwortet hat. Dies gilt allerdings nur solange, wie diese Rechtsprechung

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ihre Maßgeblichkeit nicht eingebüßt hat. Dazu kann es insbesondere kommen, wenn aus den Reihen des Höchstgerichts selbst Zweifel an der Fortsetzung der be­ troffenen Judikatur geäußert werden. Kritik aus der Instanzrechtsprechung und der Literatur ist nur unter bestimmten quantitativen und qualitativen Vorausset­ zungen beachtlich. Insbesondere ist ein innovativer Charakter der vorgetragenen Argumente erforderlich. Durch eine bestätigende Entscheidung kann das Höchst­ gericht seiner früheren Linie die Maßgeblichkeit zurückverleihen. (Dazu: §  15 C.)

II. Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit 1. Ein subjektives Verfehlen des für eine Nachteilszuweisung vorausgesetzten Er­ kenntnisgrades kann nicht durch den Vorwurf der Erkennbarkeit ersetzt werden, sofern der betroffene Tatbestand Rechtskenntnis bzw. -wissen voraussetzt. Im Be­ reich der vorliegenden Untersuchung betrifft dies §§  407 Abs.  1, 814, 819 Abs.  1 BGB. Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Fahrlässigkeitsvariante darf nicht ignoriert werden. Dies drohte durch ein übermäßiges Ausweichen auf den Vorwurf, der Irrende habe sich der richtigen Einsicht in missbräuchlicher Weise verschlossen. Dieser Vorwurf ist nur dort gerechtfertigt, wo ein Verhalten an den Tag gelegt wurde, das dem in §  162 Abs.  1 BGB beschriebenen (treuwidrige Vereite­ lung eines Bedingungseintritts) gleicht. Zurückhaltung ist auch beim Rekurs auf den Anscheinsbeweis geboten. Mit Blick auf die Rechtskenntnisse der Betroffenen wird es zumeist an der vorausgesetzten Typizität mangeln. (Dazu: §  16 A.) 2. In weiten Teilen des vorliegend untersuchten Bereichs lässt sich zulasten des Irrenden der Kenntnisstand eines gewissenhaften Rechtsanwalts unterstellen. Der jeweilige Rechtsnachteil wird dem Irrenden dann bereits zugewiesen, wenn ein An­ walt den schädlichen Erkenntnisgrad hätte erreichen müssen. Darauf, ob tatsäch­ lich ein Berater mandatiert wurde, kommt es in diesen Fällen nicht an. Im Verjäh­ rungsrecht folgt eine solche funktionale Konsultationsobliegenheit schon aus der grundsätzlichen Diskriminierung von Rechtsirrtümern durch §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Im Bereich der Putativgläubiger- und Schuldnerhaftung kann auf ein ver­ schuldensunabhängiges Vertretenmüssen verwiesen werden. Im Anklang an den Satz „Geld hat man zu haben“ lässt sich formulieren: „Rechtliche Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben.“ Für eine solche Risikozuweisung spricht die institutionalisierte Verfügbarkeit von Rechtsrat ebenso wie die in den Materialien zum BGB geäußerte Auffassung, ein Weg zur rechtlichen Erkenntnis stehe regelmäßig offen. Eine Rückkehr zum Grundsatz „error iuris nocet“ ist hier­ mit nicht verbunden. Auf Ebene des Erkenntnisgrades verbleibt – teils gar in erheb­ lichem Umfang – Raum für eine Entlastung. (Dazu: §  16 B.) 3. Soweit dem Irrenden verschuldensunabhängig die Rechtskenntnisse eines ge­ wissenhaften Rechtsanwalts unterstellt werden, erledigt sich die Frage einer Zu­ rechnung von Beraterfehlern. Bei Tatbeständen, die auf ein Verschulden abheben, kann innerhalb bestehender Sonderbeziehungen ohne Schwierigkeiten auf §  278 BGB zurückgegriffen werden. Die Zurechnung führt zu dem sachgerechten Ergeb­

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nis, dass der Gegner des Irrenden nicht den eigenen Schaden zu tragen hat, während dem unsorgfältigen Rechtsberater aus seinem Fehler kein Nachteil erwächst. Zu ebendieser Situation kommt es jedoch bei der Anspruchsgeltendmachung außer­ halb einer bestehenden Sonderbeziehung. De lege lata lässt sich diese Haftungs­ lücke nicht schließen. Insbesondere scheidet eine „Außenhaftung“ des Beraters gegenüber dem Gegner regelmäßig aus. (Dazu: §  16 C.) 4. In einem relativ schmalen Korridor kommt es darauf an, ob der Irrende die objektiv erreichbare Rechtserkenntnis schuldhaft verfehlt hat. Dies betrifft vor al­ lem die Tatbestände der §§  372 S.  2 Var.  2, 573 Abs.  2 Nr.  1 und 823 BGB. Insbeson­ dere ist in diesem Bereich von einer Pflicht zur Expertenkonsultation nur insoweit auszugehen, wie der Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zu den drohenden Schäden steht. Vergleichbares gilt für die Auswahl unter verschiedenen Intermedi­ ären. Die Ausrichtung an einer günstigen Stellungnahme, die der Irrende von ei­ nem Gericht oder einer Behörde erhalten hat, entlastet ihn grundsätzlich nur dort, wo der schädliche Erkenntnisgrad nicht schon bei Ungewissheit erreicht ist. Eine instanzgerichtliche oder behördliche Äußerung ist nämlich nur unter besonderen Umständen geeignet, Zweifel zu eliminieren. Ungeachtet der Frage, ob Rechtsrat einzuholen war, ist zu prüfen, ob der Betroffene unter Anwendung der gebotenen (vom jeweiligen Verkehrskreis abhängigen) Sorgfalt bereits von allein zu der zutref­ fenden Erkenntnis hätte gelangen müssen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Regeln oder Entscheidungen betroffen waren, die dem Irrenden aus seiner beruflichen Tätigkeit hätten bekannt sein müssen. (Dazu: §  16 D.)

III. Verantwortlichkeit des Gegenübers des Irrenden 1. Unter besonderen Umständen kann es den Irrenden entlasten, dass es am Gegner gewesen wäre, die Fehlvorstellung zu verhindern. Dies kommt grundsätzlich nur dort in Betracht, wo den Gegner eine entsprechende Aufklärungsverantwortung trifft. Eine solche ist mit Blick auf die Rechtslage seltener anzunehmen als bezüg­ lich tatsächlicher Umstände. Wiederum verfängt der Gedanke, dass einem jeden die institutionalisierten Rechtsberatungsangebote offenstehen. Sieht man von den gesetzlich normierten Belehrungstatbeständen ab (die sich zumeist nicht auf das Bestehen von Ansprüchen beziehen), lassen sich Rechtsaufklärungspflichten bzw. -obliegenheiten nur unter außergewöhnlichen Umständen anerkennen. Betroffen sind vor allem Situationen, in denen der Hinweisgeber mit der Aufklärung über das eigene Recht eine für beide Seiten vorteilhafte Abwicklung erreichen kann. Dage­ gen folgt aus einer Vermögensbetreuungspflicht grundsätzlich keine Pflicht zu selbstbelastenden Hinweisen auf eigene Ersatzpflichten. Für Rechtsberater ergibt sich indes eine funktionale Obliegenheit zur Aufklärung über eigene Pflichtverlet­ zungen. Diese folgt aus dem Umstand, dass die Regelverjährung von Ersatzansprü­ chen des Mandanten nur dann anläuft, wenn dieser das Vorliegen einer Pflichtver­ letzung auch in rechtlicher Hinsicht nachvollzogen (bzw. in grob fahrlässiger Wei­ se verkannt) hat. (Dazu: §  17 A.)

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2. Eine Entlastung des Irrenden kann sich auch dort ergeben, wo der Gegner durch bessere Rechtserkenntnis den Eintritt selbst verursachter Schäden hätte ver­ meiden können. Das ist eine Frage des Mitverschuldens. Beugt sich ein vermeint­ licher Schuldner der Inanspruchnahme durch den Putativgläubiger einstweilen, folgt hieraus ein Mitverschuldensvorwurf aber grundsätzlich nur dann, wenn sich die Rechtslage für den Putativschuldner mit objektiver Gewissheit günstig gestalte­ te, er dies aber in vorwerfbarer Weise verkannt hat. (Dazu: §  17 B.)

IV. Abgrenzung des „Rechts“ als Gegenstand von Zweifel und Irrtum 1. Weil die verjährungsrechtliche Strenge ebenso wie die vorzugswürdige Begrün­ dung für eine Haftungsprivilegierung des Putativgläubigers nur Rechtsirrtümer betrifft, ist insoweit eine Abgrenzung zu Tatsachenirrtümern notwendig. Von Rechtszweifeln, wie sie das Verjährungsrecht grundsätzlich für unbeachtlich hält und wie sie bei der Anspruchsgeltendmachung privilegierend wirken, ist im Ergeb­ nis auszugehen, wenn der Gegenstand der Ungewissheit im Zivilprozess der Beur­ teilung von Amts wegen (nicht der Parteidisposition) unterläge. Mithilfe dieses Kriteriums wird der gesamte Bereich abgedeckt, in dem gerade eine gerichtliche Klärung im Allgemeininteresse liegen kann. Dies betrifft über die Rubrik der un­ streitig revisiblen Fragen hinaus beispielsweise auch Zweifel, die sich auf die Aus­ legung von Individualerklärungen oder die nach den (bekannten) Umständen ge­ botene Höhe einer Entschädigung nach §  253 Abs.  2 BGB beziehen. (Dazu: §  18 C.) 2. Dass ein Irrtum des Gläubigers als verjährungsrechtlich prinzipiell unbeacht­ licher Rechtsirrtum eingestuft werden kann, setzt ferner voraus, dass die Rechts­ ordnung für eine Beurteilung der betroffenen Frage kundige Intermediäre bereit­ hält. Auf ebendieses Moment kommt es auch für die Frage an, ob ein irrender Schuldner oder Putativgläubiger seine Unkenntnis nach dem Grundsatz „rechtli­ che Erkenntnisse gleich einem Rechtskundigen hat man zu haben“ zu vertreten hat. Der zu diesem Zweck zugrunde zu legende Rechtsbegriff erfasst alle Aspekte, de­ ren eigenständige Kenntnis bzw. Ermittlung nach der Vorgabe „iura novit curia“ dem Richter obliegen. In diesem Umfang besteht die abstrakte Erwartung, dass Rechtsunterworfene von einem Intermediär hinreichende Aufklärung erhalten können. Im Unterschied zum Recht, wie es Gegenstand von „Rechtszweifeln“ auf Ebene des Erkenntnisgrades ist, unterfällt dem so gebildeten (engeren) Begriff ins­ besondere das ausländische Recht (im Sinne von §  293 ZPO) nicht. Insoweit darf nämlich der Richter auf sachverständige Hilfe zurückgreifen. (Dazu: §  18 D.)

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D. Rechtspolitischer Handlungsbedarf Das identifizierte System zur Behandlung anspruchsbezogener Rechtsirrtümer lässt sich de lege ferenda in verschiedener Hinsicht verbessern.

I. Anpassungen auf Ebene des Erkenntnisgrades 1. Das Ziel, Anreize zur gerichtlichen Klärung offener Rechtsfragen zu setzen, soll­ te weiterhin verfolgt werden. Die Sorge um hinreichenden „Input“ für die Rechts­ konkretisierung und -fortbildung ist nicht nur aufgrund sinkender Klageeingangs­ zahlen akut. Legal-Tech-Anwendungen, die Erleichterungen versprechen, sind, gerade wenn sie auf maschinellem Lernen aufbauen, auf die Verfügbarkeit großer Mengen von Entscheidungsdaten angewiesen. Das derzeit verfolgte Anreizmodell ist aber nicht nur in puncto Effektivität ausbaufähig. Die Kombination aus verjäh­ rungsrechtlichem Druck und schadensersatzrechtlicher Verschonung wirkt zu sehr in die Breite, statt sich auf klärungsbedürftige Rechtsfragen zu konzentrieren. Zu­ gleich werden Rechtsunterworfene weitgehend zufällig mit dem Klärungsaufwand belastet, dessen Früchte die Allgemeinheit in Form gesteigerter Rechtssicherheit erntet. Abhilfe schaffen könnten vor allem eine zielgenauere Förderung höchstrichterli­ cher Stellungnahmen in wichtigen Fragen und ein Ausbau kollektiver Rechtsschutz­ instrumente. Punktuelle Erleichterungen im Bereich der Gerichtskosten erschei­ nen zwar ebenfalls denkbar, bereiten aber in der Umsetzung Schwierigkeiten. Ein wichtiger Schritt läge in der verstärkten Veröffentlichung von Instanzentscheidun­ gen. Die Strenge, die das Verjährungsrecht gegenüber Rechtszweifeln an den Tag legt, erscheint demgegenüber unter Anreizgesichtspunkten weitgehend verzicht­ bar. Dennoch sprechen gute Gründe für eine Beibehaltung des Status quo: Die ver­ jährungsrechtliche Unbeachtlichkeit rechtlicher Zweifel liegt im internationalen Trend. Darüber hinaus ermöglicht der anzulegende Maßstab (Entlastung nur bei praktischer Gewissheit) mit seiner Eindeutigkeit eine rechtssichere Beurteilung. Er erlaubt überdies den Anschluss an die übrigen Untersuchungsquadranten und an das Prozesskostenhilferecht. Diese Vorteile sollten nicht leichtfertig aufgegeben werden. (Dazu: §  19 B.) 2. Wenig überzeugend erscheint hingegen die hinter §  717 Abs.  2 ZPO stehende Wertung. Wer bereits eine erste gerichtliche Entscheidung zu seinen Gunsten vor­ weisen kann, sollte mit deutlich geringerem Haftungsrisiko die vorläufige Vollstre­ ckung betreiben dürfen. Es bietet sich an, die Erstattungsregel des §  717 Abs.  3 ZPO zum Grundsatz zu erheben und auf eine Schadensersatzhaftung weitestgehend zu verzichten. Dies überzeugt auch vor dem Hintergrund eines denkbaren Bedeu­ tungszuwachses der „privaten“ Vollstreckung mithilfe von Smart Contracts. Eine solche dürfte überwiegend nicht mit dem Risiko einer verschuldensunabhängigen Haftung belegt sein. In diesem Punkt könnte sich daher künftig eine Kluft zur staatlichen Vollstreckung auftun.

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Die Abmilderung der Vollstreckungshaftung hätte notwendigerweise Auswir­ kungen im Bereich der Schuldnerhaftung, deren bisherige (strenge) Ausgestaltung wesentlich auf einem Wertungstransfer aus §  717 Abs.  2 ZPO basiert. Schuldner wären nach einem ersten günstigen Urteil in gleicher Weise zu entlasten wie Voll­ streckungsgläubiger. In den übrigen Fällen der Rechtsunsicherheit erscheint es be­ denkenswert, die strenge Schuldnerhaftung von einer vorherigen Sicherheitsleis­ tung des Gläubigers abhängig zu machen. (Dazu: §  19 C.)

II. Anpassungen auf Ebene der Substitution durch Vorwerfbarkeit 1. Eine rechtspolitisch unerwünschte Lücke hat sich im Bereich der Zurechnung von Beraterfehlern außerhalb bestehender Sonderverbindungen offenbart. Die Fol­ gen solcher Fehler hat hier regelmäßig der Gegner des Mandanten zu tragen, wäh­ rend der Berater keine Nachteile fürchten muss. Um diesen Missstand zu beheben, müsste allgemein an der Exkulpationsmöglichkeit nach §  831 Abs.  1 S.  2 BGB an­ gesetzt werden. Darüber hinaus ist im Kontext von §  278 BGB – ebenfalls ganz generell  – über die Schaffung von Regeln nachzudenken, die auch bei Fehlern von Legal-­Tech-Anwendungen sicherstellen, dass nicht der Gegner des Nutzers resul­ tierende Schäden tragen muss. (Dazu: §  20 B.) 2. Die Frage, ob sich ein in rechtlicher Hinsicht Irrender auf fehlendes Verschul­ den berufen kann, wird künftig verstärkt davon abhängen, ob die Nutzung bzw. der Verzicht auf die Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen einen Sorgfaltsverstoß begründen. Die Zulässigkeit solcher Angebote muss rechtssicher geregelt sein. Zu­ gleich gilt es, Zertifizierungs- und Versicherungsfragen zu klären. (Dazu: §  20 C.)

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Sachregister Abänderung von Urteilen  546–547 Abgasskandal, siehe Dieselskandal ABGB 72 Abmahnung 226 – Geschäftsführung ohne Auftrag  210– 211, 222–223, 236–237 – Inhalt  490–491, 502, 705–706 – unberechtigte  210, 220, 236–237, 267–268 Abnehmerverwarnung  219–220, 228, 264–266 Abtretung  363–368, 375–376, 418–421, 471–474 AGB, Verwendung unwirksamer  685–686, 692, 701–704 Algorithmen 726–727 ALR 71–72 Alternative Streitbeilegung, siehe Schlich­ tung Alternativverhalten, schuldloses  321, 455–456, 678–681 Amtshaftung  12, 78, 396 – fehlende Umsetzung von Unionsrecht  104 – Kollegialgerichtsrichtlinie  245, 396, 442, 463 – Notar  44, 697 – Verjährung  104, 146–148 Anerkenntnis, sofortiges  225, 327, 342, 488–491, 494–500, 560, 708 – nach Gesetzesänderung  488, 496, 582 – nach Rechtsprechungsänderung  488– 489, 494–500, 581–582 Anfechtung  7, 12, 66, 76–77 Annahmeverzug, siehe Gläubigerverzug Anscheinsbeweis  474, 476, 481, 513, 527–536, 649–651 Anspruch 11–13 Anspruchsberühmung 211

Anspruchsgeltendmachung, unberechtigte, siehe rechtsirrtümliche Anspruchsverfol­ gung Anspruchsverfolgung – außergerichtliche  225–227, 250, 563 – rechtsirrtümliche  11, 205–349 – rechtsirrtümliches Unterlassen  11, 87–204 Anspruchsverteidigung – rechtsirrtümliche  11, 230, 351–505 – rechtsirrtümliches Unterlassen  11, 507–536 Anwalt, siehe Rechtsanwalt Anwaltszwang  285–286, 670 Apathie, rationale  735, 745 Arbeitskampf  361, 441–442 Arbeitsrecht  7, 9, 39 – Rechtsbelehrungspflicht 701 – Rechtsirrtum 360–361 – unberechtigte Arbeitsverweigerung  427–430, 433–434, 441 – Versäumung der Klagefrist für Kündi­ gungsschutzklage 201–203 – Vollstreckung 429–430 Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit  267–269, 329, 489–491, 501–502, 689–707 Aufrechnung 394–395 Aufwendungsersatz für Anspruchsvertei­ digung 210 Auslegung – bei klarem Gesetzeswortlaut  607–608 – europarechtskonforme 608 – Irrtum über Auslegung  63 – Rechtsanwendung  51, 719 – Revisibilität  48, 50–51, 716 – verfassungskonforme 608 Bearbeitungsentgelte  100, 159, 625–626, 628–629, 632–635

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Sachregister

Begleitschaden  208, 213–214, 234, 241, 253–254, 400–401 Behörde – als Erfüllungsgehilfin  458, 465, 661–662 – Orientierung an behördlicher Rechts­ auffassung  245–246, 311–312, 464–465, 603–604, 662, 677–678 – Rechtsauskunft  45, 171, 295, 676–677 Beibringungsgrundsatz  25, 47, 51, 719–720 Belehrungspflicht bzw. -obliegenheit, siehe Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit Beraterhaftung, siehe Rechtsberaterhaftung Beratungshilfe  42, 82, 117, 178, 284, 654, 676 Bereicherungsrecht 7 – Haftung des Schuldners  37, 79, 257, 421–426, 475–477, 559 – Kondiktionssperre  509–537, 559–560 – Verjährung  102–103, 125–126, 148–149 Berufshaftung, siehe Rechtsberaterhaftung Berufungsurteil – unberechtigte Leistungsverweigerung nach günstigem Berufungsurteil  576– 578 – Vollstreckung  214, 234–235, 257, 413–414, 575–578 Beweis 47 – Rechtskenntnis  94, 115–116, 473–474, 476, 526–536, 649–651 – Rechtssätze  25, 52 – Revisibilität 716 – unberechtigte Anspruchsverfolgung  320–321 – Verjährung 185–186 – Vertretenmüssen 480–481 BGB, Entstehungsgeschichte des  6–7, 69–71, 292 Black-Box-Problem  726, 767 Bösgläubigkeit, siehe Gutgläubigkeit Cheapest cost avoider  275–276, 317, 693–694, 705–706 Culpa in petendo  209, 565 Culpa in procedendo  209 Da mihi facta, dabo tibi ius, siehe Iura novit curia Darlegungslast, sekundäre  527, 534–535 Datenbank, juristische  39, 616–617, 763–764

DCFR  90, 511, 764 Deep Learning  726 Deliktsrecht  211–212, 215–221 Dieselskandal  101, 103, 738–739 Digesten  3, 70, 75–76, 80 Diskriminierung des Rechtsirrtums gegenüber Tatsachenirrtum  8, 70, 713–714 – siehe auch Privilegierung des Rechts­ irrtums – Kenntnis der Nichtschuld  510–511, 514 – Schuldnerhaftung  404, 483 – Verjährungsrecht  112, 149, 720 – Wiedereinsetzung 193–195 Dispositionsmaxime 30 Divergenz  248, 600, 610, 612–614 Dringlichkeitsvermutung, Selbstwider­ legung der  186–188 Drittschadensliquidation 306–307, 664–665 Drittwiderklage 498–499 Durchsetzungsschaden  207–208, 241, 348 Effizienz  16, 279, 287–288, 335, 453, 654, 680, 706, 736–737 – siehe auch Rechtsökonomie Einreden, rechtsirrtümliche Geltend­ machung von  394–395 Einschlägigkeit  167, 521, 609–612 Einstweiliger Rechtsschutz – Dringlichkeitsvermutung 186–188 – Haftung des Antragstellers  213, 215, 232–234, 251–252, 384, 429, 437, 560–561, 565, 583–586, 757 – Kosten des Anordnungsverfahrens  337– 338 – Verfügungsgrund 186–188 Einwendungen, rechtsirrtümliche Geltendmachung von  394–395 Erfahrungssätze – Ermittlung  530, 724 – Revisibilität 49–50 Erfolgsaussicht – siehe auch Prognose – irrige Einschätzung als Wiedereinset­ zungsgrund  193–199, 540 – irrige Einschätzung als Zulassungsgrund für verspätete Kündigungsschutzklage  202–203

Sachregister

– Voraussetzung für Prozesskostenhilfe  42, 161–166, 242–244, 332–333, 405–406, 562–563, 598, 610, 742, 753 – Voraussetzung für Verjährungsbeginn  95, 137–138 – Vorsatz bei Ungewissheit  236, 321, 357 Erfolgshonorar 749 Erfolgsunrecht 319 Erfüllungsgehilfe  458–460, 465, 470, 660–662 Erkennbarkeit, siehe Evidenz Erkenntnisgegenstand 84 – Haftung wegen unberechtigter An­ spruchsverfolgung 232–235 – Haftung wegen Verzugs bzw. unberech­ tigter Anspruchsverteidigung  371–376 – Kenntnis der Nichtschuld  513–514 – Prozesskostenhaftung  329–346, 493–503 – Recht als Erkenntnisgegenstand  21–46 – Verjährungsbeginn 112–157 – Wiedereinsetzung 193–199 Erkenntnisgrad  84, 550–551 – siehe auch Rechtsungewissheit – Haftung wegen unberechtigter An­ spruchsverfolgung  235–270, 558–559 – Haftung wegen Verzugs bzw. unberech­ tigter Anspruchsverteidigung  377–448, 566–578 – Kenntnis der Nichtschuld  514–524 – Mitverschulden des Putativschuldners bei unberechtigter Anspruchsverfol­ gung  314–316, 710–711 – Prozesskostenhaftung  347, 503–505 – Verjährungsbeginn  158–172, 558 – Wiedereinsetzung 199–200 Erledigung  327–328, 543, 560 – Folgen für Schadensersatz wegen vorläufiger Vollstreckung  213, 253 – infolge Gesetzesänderung  328, 342, 582 – infolge Rechtsprechungsänderung  328, 337–346, 581–582 Ermessensentscheidung  434–435, 590–591, 718, 724 Error iuris nocet  3, 6, 69–70, 373–374, 396–397, 510–511, 549 Europarecht – europarechtskonforme Auslegung  608 – Ungewissheit betreffend Europa­ recht  170, 608–609, 635–637, 639 Eventualvorsatz, siehe Vorsatz

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Evidenz – Recht  71, 75–76, 476 – Sitten 38 Existenzgefährdung 435–438 Fachanwalt  294, 673 Fachzeitschrift 615–617 Fahrlässigkeit, siehe Verschulden Fehlentscheidung  44, 56–58 Feststellungsklage, negative  227, 229, 250–251, 327 Fluggastentschädigung 726 Forderungsübergang, gesetzlicher  366– 368, 376, 419–421, 474–475 Fremdnützigkeit  358, 433–434, 440–441 Frist, Irrtum über  13, 196, 200 Geltendmachung, unberechtigte, siehe rechtsirrtümliche Anspruchsverfolgung Geltungsanspruch des Rechts  71–72, 356–357, 378–379, 550 Gemeinsamer Senat  31, 600, 614 Gerechtigkeit 76–77 Gericht – als Erfüllungsgehilfe  465, 661–662 – als Intermediär  45, 295 – Fehlentscheidung  44, 56–58 – Gerichtlicher Hinweis  26–27, 45, 281, 450, 668–669 – Orientierung an gerichtlicher Rechtsauf­ fassung  245–246, 309–311, 662, 677–678 – Rechtserkenntnis 24–37 Gerichtskosten  325, 334, 740–742 – siehe auch Prozesskosten – Gerichtskostenvorschuss  562, 740 – Niederschlagung  326–327, 345–346, 487–488, 500–501, 732, 741 Geschäftsführung ohne Auftrag – Abmahnung  210–211, 222–223, 236–237 – Rechtsverteidigung 210–211 Geschäftsgrundlage, Störung der  13, 37 Geschäftsleiterhaftung  7, 66, 442, 672–673, 765–766 Gesellschaft bürgerlichen Rechts  342, 498, 623–625 Gesetzesänderung  97, 328, 342, 367, 488, 496, 544, 582, 620–622 Gesetzesmaterialien  39, 63, 621 Gesetzesunkenntnis  71–72, 75 Gestaltungsrechte 13

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Sachregister

Gewerkschaft  46, 454–455, 675–676 Gewissheit  161, 244–248, 415, 520–521, 591–643 – siehe auch Rechtsungewissheit Gläubigerverzug 258–259 Großer Senat  29, 31, 600, 610, 613 Gutgläubigkeit – befreiende Leistung an Zedenten  364– 368 – Bereicherungsschuldner 422–424 – Gutglaubenserwerb  77, 123–124 Handelsbräuche – Feststellung 52 – Revisibilität  49–50, 717 Handlungsunrecht 319 Herrschende Meinung  603–607 Hindsight bias, siehe Rückschaufehler Hinterlegung  365, 368–370, 414–418, 440, 466–470, 492, 504–505, 588 Hinweis – durch Gegenseite  281, 309, 449–450, 533–536, 668–669 – durch Gericht  26–27, 45, 281, 450, 668–669 – durch Rechtsberater  44, 179–181 – Hinweisbeschluss  613, 738–739 – Hinweispflicht bzw. -obliegenheit, siehe Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit Höchstgericht 608–609 – siehe auch höchstrichterliche Recht­ sprechung Höhere Gewalt  37, 98, 109–111 Informationspflicht bzw. -obliegenheit, siehe Aufklärungspflicht bzw. -obliegen­ heit Ingerenz – Gestaltungsingerenz  684–686, 701–704 – nach unberechtigter Anspruchsverfol­ gung  269–270, 586 – staatliche  5, 78, 339, 395–396 Initiativlast  389, 432, 561–562, 747–748 Inkasso  46, 743–744 Insolvenzrisiko  384, 388–389, 414, 416–417, 440, 518, 566, 573, 588 Instanzentscheidung  29, 121, 310–311, 408, 462–464, 521, 547, 603, 605–607, 622, 626–633, 749–750 Intermediär  40–46, 80–81

– siehe auch Rechtsberater – Konsultation, siehe Rechtsrat – Qualifikation  293–296, 454–455, 656–657, 671–678 Irrtum – siehe auch Rechtsirrtum – Definition 55–68 – Irrtumsanfechtung, siehe Anfechtung – Prozessausgangsirrtum 60 – Prozessverlaufsirrtum  60, 67 – Recht auf Irrtum  216, 225, 229–231, 271 – Subsumtionsirrtum 62–63 – über normative Tatbestandsmerkmale  102–105, 147–151, 715 – über subjektives Recht  46 Iura novit curia  14, 24–27, 51, 238, 240–241, 462, 688, 690–691, 721–722 Ius finitum  75, 80 Justizgewährungsanspruch 230 Kartellrecht  7, 66 – Verjährung  105, 122–123, 150–151 Kenntnis 7 – siehe auch Rechtskenntnis – Bereicherungsschuldner 422–424, 475–477 – der Nichtschuld  510–537 – von Zession  363–368, 375–376, 418–421, 471–474 – Voraussetzung für Verjährungsbeginn  92–109 Klageerhebung, unberechtigte, siehe Verfahrensprivileg Klageprivileg, siehe Verfahrensprivileg Klagerücknahme  327–328, 339–341 Klageveranlassung, siehe sofortiges Anerkenntnis Klärungsanreiz  73–74, 117–121, 137–138, 159–161, 168, 188, 196, 240, 330–331, 333–336, 344, 391–394, 431–433, 557–565, 600–601, 732–754 Kollegialgerichtsrichtlinie  245, 396, 442, 463 Kollektiver Rechtsschutz  742–746 Kondiktion, siehe Bereicherungsrecht Konsultationspflicht, siehe Rechtsrat Kontextuierung  94, 124–129, 177–178, 308–309, 658

Sachregister

Kontrolle einer Rechtsauskunft, siehe Überprüfung einer Rechtsauskunft Kosten, siehe Prozesskosten Kostenerstattungsanspruch – siehe auch Prozesskosten – des außergerichtlich Belangten  210, 564–565 – materiell-rechtlicher 328 Kündigung, siehe Vertragslösung Kündigungsschutz – Arbeitnehmer 427–428 – Mieter  427, 747 – Versäumung der Klagefrist 201–203 Künstliche Intelligenz  726–727 Laie – Parallelwertung, siehe Parallelwertung in der Laiensphäre – Rechtskenntnis  38–39, 280, 366–368, 474, 481, 528, 668, 736 Learned-Hand-Formel  279, 286 Legal Judgment Rule  66 Legal Tech  725–729, 743, 754, 763–767 Legalzession, siehe gesetzlicher Forde­ rungsübergang Leichtfertigkeit  216–217, 229, 232, 236 Leistung – befreiende, siehe Abtretung – freiwillige  213, 257–259, 315–316, 509–510, 559, 576 – Leistungspflicht  390, 572 – Leistungstreuepflicht  401–403, 568 – Leistungsverweigerung, unberechtigte, siehe rechtsirrtümliche Anspruchsvertei­ digung Literatur, juristische  43, 192–193, 604–605, 622, 626–633 – Äußerungen von Richtern  633–635 Lösungsrechte, siehe Vertragslösung Machine Learning  726–727, 733, 751, 754 Methodenlehre 23 – Irrtum über Methodenlehre  62 Miete – Kündigungsschutz  427, 747 – Mieterverein  46, 454 – Mietpreisbremse  520, 726 – Minderungsquote  434–435, 522–524, 590, 718 – Rechtsbelehrungspflicht 701

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– Schönheitsreparaturen  594, 685–686, 692 – unberechtigte Geltendmachung von Mängelrechten 267 – unberechtigte Kündigung, siehe unberechtigte Vertragslösung – Verzug des Mieters  357–358, 389–390, 426–433 Mindermeinung  237, 240 Minderungsquote  434–435, 522–524, 590, 718 Mitverschulden – des Gläubigers bei unberechtigter Leistungsverweigerung  477, 711–712 – des Putativschuldners bei unberechtigter Anspruchsgeltendmachung  276, 284, 290, 313–317, 709–711 Musterfeststellungsklage 743–746 Musterverfahren 742–746 Mutwilligkeit 163–166 Nachweis, siehe Beweis Niederschlagung der Gerichtskosten  326– 327, 345–346, 487–488, 500–501, 732, 741 Normenklarheit 77 Normtatsachen – Feststellung  52–53, 724 – Revisibilität  49–50, 717 Notar  40–42, 280 – als Erfüllungsgehilfe  661–662 – Haftung  44, 605, 697 – Rechtsbelehrung  689, 697, 723 Obiter dictum  409–410, 612–613, 622–624 Ökonomische Analyse des Rechts, siehe Rechtsökonomie Österreich 72 Parallelwertung in der Laiensphäre  93, 103–104, 148, 475, 513, 648 PECL  90, 753 Pflichtenkollision  358, 439–442 Pflichtwidrigkeit  318–322, 556–557 Pilotverfahren 165–166 Plausibilitätskontrolle  222–225, 237, 262, 267, 271–274, 300, 470, 767 Präjudizien  23–24, 31–32, 599–640 Privilegierung des Rechtsirrtums gegen­ über Tatsachenirrtum – siehe auch Diskriminierung des Rechtsirrtums

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Sachregister

– unberechtigte Anspruchsverfolgung  274–277, 713–714 Prognose  59–65, 405, 725–727 Prozessausgangsirrtum 60 Prozessfinanzierung  160, 745, 749 Prozesskosten  325–349, 487–505, 563–565, 739–742 – siehe auch Erledigung – siehe auch sofortiges Anerkenntnis – Anordnungsverfahren 337–338 – einstweiliger Rechtsschutz  337–338 – Prozesskostenhilfe  41–42, 82, 138–140, 161–166, 225–226, 242–244, 284, 332–333, 405–406, 562–563, 598 Prozessrisikoanalyse  405, 599, 725–726, 734 Prozessverlaufsirrtum  60, 67 Prozessvertreter, siehe Rechtsanwalt Prozesszwecke 27 Prüfung der Rechtslage, siehe Rechts­ prüfung Prüfungsfrist  447, 465–466, 502–504, 657–658 Publikation, siehe Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen Putativgläubigerhaftung, siehe rechts­ irrtümliche Anspruchsverfolgung RBerG  130, 168–169, 605 Recht – als Erkenntnisgegenstand  21–46 – auf Irrtum  216, 225, 229–231, 271 – ausländisches  25, 48, 51–52, 719–720, 722–723 – Geltungsanspruch  71–72, 356–357, 378–379, 550 – Revisibilität  48–51, 716–717 – richtiges  74, 515–516 – römisches, siehe Digesten – Unterscheidung von Tatsachen  24, 33, 46–53, 713–724 Rechtsabteilung  369, 454–455, 467, 674–675 Rechtsanwalt 40–42 – siehe auch Rechtsberater – als Erfüllungsgehilfe  458–460, 470, 660–661 – als Verrichtungsgehilfe  298 – Anwaltszwang  285–286, 670 – Fachanwalt  294, 673 – Haftung, siehe Rechtsberaterhaftung

– Pflichten  42–44, 295 – Rechtskenntnis  43, 722 – Verschulden 193 Rechtsaufklärungspflicht bzw. -obliegen­ heit, siehe Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit Rechtsbelehrungspflicht bzw. -obliegen­ heit, siehe Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit Rechtsberater – siehe auch Intermediär – siehe auch Rechtsanwalt – Aufklärungspflicht bzw. -obliegenheit  695–697 – Haftung, siehe Rechtsberaterhaftung – Pflichten 42–44 – Wissensvertreter 183 – Zurechnung von Fehlern zum Mandan­ ten  175, 297–308, 456–460, 470, 472, 525, 659–661, 764–765 Rechtsberaterhaftung  42–44, 58, 81, 175, 598–599, 619–620, 627, 656–657 – Außenhaftung  220–221, 301–306, 663–665 – Drittschadensliquidation 306–307, 664–665 – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung  220–221 – Verjährung  106–109, 154–157, 172, 178–184, 696 Rechtsdienstleistung  41, 726, 743–745, 766 Rechtserkenntnis – Quellen 63 – Vorgang 85 Rechtserstarrung  32, 73–74, 121, 168, 240, 766–767 Rechtsfindung – deklaratorisches Verständnis  30, 33, 55–56, 58–59, 64, 496–497, 544, 581 – konstitutives Verständnis  30, 33, 55–56, 58, 64–65, 496, 544 Rechtsfortbildung  27–30, 74, 289, 330–331, 335 – Anreiz zur Ermöglichung, siehe Klärungsanreiz – Anspruchsentstehung 91–92 – Rechtsfortbildungstatsachen, siehe Normtatsachen Rechtsirrtum 19–68 – Arbeitsrecht 360–361

Sachregister

– betreffend Abtretung  363–366, 375–376, 471–474 – betreffend Einreden  394–395 – betreffend Einwendungen  394–395 – betreffend Frist  13, 196, 200 – betreffend gesetzlichen Forderungs­ übergang 366–368 – betreffend Minderungsquote  434–435, 522–524, 590, 718 – betreffend Person des Gläubigers  363, 375, 418–419, 466–475, 491, 502–503 – betreffend Person des Schuldners  105– 106, 151–154 – betreffend Rechtsgrund  511 – betreffend Zuständigkeit  13, 205 – Diskriminierung gegenüber Tatsa­ chenirrtum  8, 70, 112, 149, 193–195, 404, 483, 510–511, 514, 713–714, 720 – Folgen für Haftung wegen unberechtig­ ter Anspruchsverfolgung  232 – Folgen für Haftung wegen Verzugs bzw. unberechtigter Anspruchsverteidigung  372–374 – Folgen für Haftung wegen vorläufiger Vollstreckung 232–235 – Folgen für Prozesskostenhaftung  325– 326, 487 – Folgen für Rechtshängigkeitszin­ sen 371–372 – Folgen für Verjährungsbeginn  93–154 – im engeren Sinne  46 – im weiteren Sinne  46 – Privilegierung gegenüber Tatsachen­ irrtum  274–277, 713–714 – Selbsthilfe  260–261, 385, 565, 757–758 – Unterscheidung vom Tatsachenirr­ tum 713–724 – Verantwortlichkeit der Gegenseite  460– 462, 501, 683–712 – Wiedereinsetzungsgrund  193–199, 540, 543 Rechtskenntnis – siehe auch Kenntnis – siehe auch Rechtsunkenntnis – als Tatbestandsmerkmal  375–376, 422–423, 510–512, 646–651 – Anforderungen 665–668 – Beweis  94, 115–116, 473–474, 476, 526–536, 649–651

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– Laie  38–39, 280, 366–368, 474, 481, 528, 668, 736 – Rechtsanwalt  43, 722 – Substitution durch vorwerfbare Unkenntnis  84, 645–682 Rechtskonkretisierung, siehe Rechtsfort­ bildung Rechtskraft  56–58, 191, 411–412, 539–548, 596–598 – als rechtsirrtumsbedingter Nachteil  191 – Auswirkungen der Verfassungswidrig­ keit einer Norm  513–514, 541–542, 545–546 – Durchbrechung 539–540 – Haftung für anschließende Leistungs­ verweigerung  413, 596–597 – Haftung für anschließende Voll­ streckung  254–255, 413, 597 – Verjährung nach Durchbrechung  110, 597–598 – Wegfall infolge Wiedereinsetzung  192, 254, 540 Rechtslage 55–59 – Anreiz zur Klärung, siehe Klärungs­ anreiz – unübersichtliche  95, 99, 104, 158, 246–247, 359, 410–411 – verworrene, siehe unübersichtliche Rechtslage Rechtsmittel 29–30 – siehe auch Revision – Fristversäumung infolge Irrtums  191– 201 Rechtsökonomie  7, 15–16, 28–29, 278–279, 286–292, 333–334, 469, 654, 693–694, 734–737 Rechtsordnung, Funktionsfähigkeit der 72–74 Rechtspolitik  16, 731–767 Rechtsprechung – anderer Gerichtsbarkeiten  614–615 – anspruchsfeindliche  141–144, 162, 167–168, 247–248, 406–410 – Einschlägigkeit  167, 521, 609–612 – höchstrichterliche  31, 34–37, 43, 162, 167–171, 247–248, 406–409, 450, 497, 521, 600–602, 622–626 – Instanzrechtsprechung  29, 121, 310–311, 408, 462–464, 521, 547, 603, 605–607, 622, 626–633, 749–750

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– Unsicherheit über Fortbestand  499–500, 617–639 Rechtsprechungsänderung  30–37, 97, 110–111, 120–121 – Abänderung von Urteilen  546–547 – Anhaltspunkte für anstehende Ände­ rung  499–500, 617–639 – Erledigung  328, 337–346, 581–582 – Haftung nach vorläufiger Vollstre­ ckung  233–234, 583–586 – Kosten des Anordnungsverfahrens  338, 582 – Pflichten des Rechtsberaters  43, 619 – sofortiges Anerkenntnis  488–489, 494–500, 581–582 – Unterlassungsklagengesetz 542 – Vertrauensschutz  33–37, 74, 78–79, 137, 233–234, 338–340, 371, 408–410, 493–501, 513–514, 578–586, 731–732 – Vollstreckungsabwehrklage 541–547 Rechtsprüfung  271, 665–682 – siehe auch Plausibilitätskontrolle – Hinterlegung  369–370, 466–470 – Prüfungsfrist  447, 465–466, 502–504, 657–658 – vor Anspruchsverfolgung  270–312 – vor Anspruchsverteidigung  448–477 Rechtsrat 40–46 – Pflicht bzw. Obliegenheit zur Ein­ holung  175, 282–297, 316–317, 451–460, 467–470, 472, 484, 525, 647, 651–659, 669–682, 763–764 – Verfügbarkeit als Argument  80–82, 116–117, 203, 275, 483, 653, 691–692, 720 Rechtsrisiko  60, 362 Rechtssicherheit  32–33, 77, 129–130 Rechtsungewissheit  73, 84–85, 119, 199, 237 – siehe auch Erkenntnisgrad – siehe auch Gewissheit – siehe auch Rechtszweifel – betreffend Europarecht  170, 608–609, 635–637, 639 – betreffend Person des Gläubigers  363– 370, 414–421, 492, 503–505, 588–589 – betreffend Person des Schuldners  587– 589 – betreffend Verfassungsrecht  170, 345, 608–609, 635–637, 639 – betreffend Vertragslösungsrecht  403, 568–575

– Haftung des Bereicherungsschuldners  421–426 – Haftung wegen unberechtigter An­ spruchsverfolgung  235–237, 241–242, 752–761 – Haftung wegen Verzugs bzw. unberech­ tigter Anspruchsverteidigung  355–362, 377–448, 566–578, 761–762 – Hinterlegung  368–370, 414–418 – Hinweis auf Rechtsungewissheit  267– 269, 695 – Leistung trotz Rechtsungewissheit  511– 512, 514–524 – Leistungsverweigerungsrecht 361–362, 373, 761–762 – Prozesskostenhilfe 161–162 – Verantwortlichkeit der Gegenseite  445– 447, 468–469 – Verjährung trotz Rechtsungewissheit  161–162, 168–171, 558, 751–754 – Vorsatz  236, 321, 357 Rechtsunkenntnis  61–63, 70 – siehe auch Rechtskenntnis – Gesetzesunkenntnis 71–72 Rechtsverfolgung, siehe Anspruchs­ verfolgung Rechtsverteidigung, siehe Anspruchs­ verteidigung Rechtswissen, siehe Rechtskenntnis Rechtszweifel 65–67 – siehe auch Erkenntnisgrad – siehe auch Rechtsungewissheit Regress gegen Berater, siehe Rechtsberater­ haftung Revision  29–31, 47, 738–739 – Divergenz  600, 610, 612–614 – grundsätzliche Bedeutung  606–607, 629 – wegen Rechtsverletzung  48–51 Richter, private Äußerung durch  633–635 Richterrecht 29 – siehe auch Rechtsfindung – siehe auch Rechtsfortbildung Richtigkeit – einer Prognose  64 – einer rechtlichen Wertung  21–24, 56–57 Rückschaufehler  294, 601, 611, 619 Rücktritt, siehe Vertragslösung Rückwirkung einer Rechtsprechungsände­ rung 30–37

Sachregister

Schadensersatz – statt der Leistung  354 – Verjährung 103–104 – wegen unberechtigter Anspruchs­ verfolgung  207–209, 211–212 – wegen Verzugs bzw. unberechtigter Anspruchsverteidigung 353–354 – wegen Zwangsvollstreckung  213–214 Schätzung, siehe Ermessensentscheidung Schiedsverfahren  29, 119, 750 Schlichtung  29, 119, 726 Schönheitsreparaturen  594, 685–686, 692 Schrifttum, siehe juristische Literatur Schuldnerhaftung, siehe rechtsirrtümliche Anspruchsverteidigung Schuldnerschutz, siehe Abtretung Schuldnerverzug – siehe auch rechtsirrtümliche Anspruchs­ verteidigung – Bereicherungsschuldner 421–426 – Haftung  235, 329–330, 353–362, 561–562 – Vertragslösung 354 – Vertretenmüssen  355–362, 372–374, 430, 482–484 – Zinsen 354 Schuldtheorie  5, 551 Schuldverhältnis, Haftung in bestehendem  249, 278, 297 Schutzrechtsklage, unberechtigte  219–220, 265–266 – siehe auch unberechtigte Schutzrechts­ verwarnung Schutzrechtsverwarnung, unberechtigte  212, 218–219, 226, 261–266, 561, 565 – Abnehmerverwarnung  219–220, 228, 264–266 – Beraterhaftung  220–221, 301–306 – Mitverschulden des Verwarnten  315, 317 Sekundärverjährung  106–108, 156–157, 179 Selbsthilfe, rechtsirrtümliche  260–261, 385, 565, 757–758 Sicherheit – Sicherheitsleistung  213, 761–762 – Zugriff auf Sicherheit  259–260, 575 Sichverschließen  115, 267, 473, 476, 526–527, 649 Sitten 38 Sittenwidrigkeit – Bewusstsein 510 – Kondiktionssperre 510

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– unberechtigte Anspruchsverfolgung  215–216, 232 Smart Contract  727–729, 748, 751, 758–760 Sperrwirkung des Prozessrechts  230 Staatshaftung, siehe Amtshaftung Steuerberater 40–42 – siehe auch Rechtsberater Strafbarkeitsrisiko 438–440 Strafrecht  4–6, 75, 80–81, 277, 299, 673, 676–677, 679, 715 Streik, siehe Arbeitskampf Streitverkündung  145–146, 588 Subsumtionsautomat 727 Subsumtionsirrtum 62–63 Tarifvertrag 723–724 Tatbestandsirrtum, siehe Tatumstands­ irrtum Tatsache  24, 33, 46–53, 713–724 Tatumstandsirrtum  5, 715 Täuschung – arglistige  202, 688 – Äußerung einer Rechtsansicht  212, 688–689 Überoptimismus 736 Überprüfung einer Rechtsauskunft  296– 297, 456, 681–682, 767 Umsatzsteuerschuldnerschaft 91 Ungewissheit, siehe Rechtsungewissheit Unionsrecht, siehe Europarecht Unmöglichkeit 354 Unterlassungsklagengesetz  542, 610, 743 Unzumutbarkeit 554–555 – Hinterlegung  369–370, 415–416 – Leistung 426–448 – Verjährung  95–102, 109, 128–146, 158–172, 579–580 Urkunde, Vollstreckung aus notarieller  256, 575, 759 Verbandsklage, siehe kollektiver Rechts­ schutz Verbotsirrtum  4–6, 80–81, 277, 677, 715 Verbraucherschutzrecht – Rechtsbelehrungspflichten  693, 698–701 – Verjährung  127–128, 176–177 Verfahrensprivileg  219–221, 226–227, 254, 256, 265–266, 271–272, 274, 303, 318, 575 – siehe auch Recht auf Irrtum

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Verfassungsbeschwerde  110, 255 Verfassungsrecht – Irrtum über Verfassungsrecht  62 – Ungewissheit betreffend Verfassungs­ recht  170, 345, 608–609, 635–637, 639 – verfassungskonforme Auslegung  608 – Vertrauensschutz  35–36, 79, 82 Verfassungswidrigkeit – Folgen für rechtskräftige Entscheidun­ gen  513–514, 541–542, 545–546 – Vollstreckungsabwehrklage 541–542, 545–546 Verfügungsgrund 186–188 Vergleich 13 – Vollstreckung  256, 575, 759 Verhandlungsgrundsatz, siehe Beibrin­ gungsgrundsatz Verjährung  37, 79, 89–186, 238–239, 391 – Amtshaftung  104, 146–148 – Anspruchsentstehung  91–92, 130–131 – Auswirkungen von Rechtsirrtümern  93– 154 – Bereicherungsanspruch 102–103, 125–126, 148–149 – Beweis 185–186 – Hemmung  98, 109–111, 132, 164, 184–185, 227 – Kartellrecht  105, 122–123, 150–151 – Kenntnis der Person des Schuldners  105–106, 151–154 – Kenntnis normativer Tatbestandsmerk­ male  102–105, 147–151 – Rechtsberaterhaftung  106–109, 154–157, 172, 178–184, 696 – Schadensersatzansprüche 103–104 – Sekundärverjährung  106–108, 156–157 – Sonderverjährung 89–90 – trotz anspruchsfeindlicher Recht­ sprechung  141–144, 167–168 – trotz Rechtsungewissheit  161–162, 168–171, 558, 751–754 – Unzumutbarkeit  95–102, 109, 128–146, 158–172, 579–580 – Verbraucherschutz  127–128, 176–177 – Vertrauensschutz  114–115, 143–144, 579–580 – Wirtschaftsprüferhaftung  109, 156 Verkehrssitten – Feststellung  52, 724 – Revisibilität  49–50, 717

Verlustaversion 736 Veröffentlichung von Gerichtsentscheidun­ gen  615–617, 626, 749–750 Verrichtungsgehilfe 298 Verschulden  665–682, 765–767 – siehe auch Mitverschulden – siehe auch Vertretenmüssen – Fehlen als Voraussetzung für Wieder­ einsetzung 192–193 – Niederschlagung der Gerichtskosten  347–348 – unberechtigte Anspruchsverfolgung  229–231, 271–276, 278–279, 318–322 – Verschuldenshaftung 7 – Verzug bzw. unberechtigte Anspruchs­ verteidigung  448–477, 482–484 Vertragslösung – Rechtsungewissheit betreffend Vertrags­ lösung  403, 568–575 – unberechtigte  249–250, 275, 317, 360–361, 402–403, 568–575 – unberechtigtes Bestreiten  403 – wegen unberechtigter Anspruchs­ verfolgung  214, 223–224, 319–320 – wegen Verzugs bzw. unberechtigter Anspruchsverteidigung  354, 363, 426–431, 459–460 Vertrauensschutz – Rechtsprechungsänderung  33–37, 74, 78–79, 137, 233–234, 338–340, 371, 408– 410, 493–501, 513–514, 578–586, 731–732 – Verjährung  114–115, 143–144, 579–580 Vertretbarkeit  22–24, 60, 237, 244–247, 359, 411–412, 611–612, 640–643 Vertretenmüssen  308, 318–322, 355–362, 372–374, 430, 453–454, 460, 482–484, 655 Verzug, siehe Schuldnerverzug Vollstreckung, siehe Zwangsvollstreckung Vollstreckungsabwehrklage 540–547 – wegen Gesetzesänderung  544 – wegen Rechtsprechungsänderung  541– 547 – wegen Verfassungswidrigkeit einer Norm  541–542, 545–546 Vorbehalt, Leistung unter  428, 430, 512, 518–519 Vorsatz – bei unberechtigter Anspruchsverfol­ gung  215, 232, 236, 321

Sachregister

– bei unberechtigter Anspruchsverteidi­ gung 478–482 – bei ungewisser Erfolgsaussicht  236, 321, 357 – Vorsatztheorie  5, 551 Vorstandshaftung, siehe Geschäftsleiter­ haftung Vortrag, widersprüchlicher  131 Wahrscheinlichkeitsurteil, siehe Prognose Wettbewerbsrecht – siehe auch Abmahnung – Dringlichkeitsvermutung 186 – Ersatz von Rechtsverteidigungsaufwen­ dungen 210–211 – Vollstreckungsabwehrklage nach Rechtsprechungsänderung 546 Widerruf, siehe Vertragslösung Widersprüchliches Verhalten – Dulden unzutreffender Rechtsansicht  447, 461–462 – Kenntnis der Nichtschuld  509, 516–517 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  192–201, 254, 540, 543 Wirtschaftsprüfer 40–42 – Verjährung von Ersatzansprüchen  109, 156 Wissen, siehe Kenntnis Wissensvertreter 182–183

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Zeitschrift, siehe Fachzeitschrift Zession, siehe Abtretung Zinsen – Rechtshängigkeitszinsen  354, 362, 371–372, 381–382, 579, 732 – Verzugszinsen 354 Zumutbarkeit, siehe Unzumutbarkeit Zurechnung von Beraterfehlern  175, 297–308, 456–460, 470, 472, 525, 659–661, 764–765 Zuständigkeit, Irrtum über  13, 205 Zwangsvollstreckung – Arbeitsrecht 429–430 – aus Berufungsurteil  214, 234–235, 257, 413–414, 575–578 – aus notarieller Urkunde  256, 575, 759 – aus Prozessvergleich  256, 575, 759 – Eigentumsverletzung 211 – Haftung wegen vorläufiger Voll­ streckung  213–215, 232–235, 251–257, 384–388, 413–414, 429–430, 437, 560–561, 565, 583–586, 755–761 – Leistung zur Abwendung  258, 510 – nach Rechtskraft  254–255, 413, 597 – Schuldverhältnis  209, 297 – Vollstreckungsabwehrklage 540–547 Zweifel 65–67 – siehe auch Rechtsungewissheit – siehe auch Rechtszweifel