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German Pages 947
Recht und Staat im sozialen Wandel
Recht und Staat im sozialen Wandel Festschrift für HANS ULRICH SCUPIN zum 80. Geburtstag
Herausgegeben von
Norbert Achterberg . Werner Krawietz Dieter Wyduckel
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Recht und staat im sozialen Wandel: Festschr. für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag / hrsg. von Norbert Achterberg ... - Berlin : Duncker und Humblot, 1983. ISBN 3-428-05347-8 NE: Achterberg, Norbert [Hrsg.]; Scupin, Hans Ulrich: Festschrift
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Obersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1983 Duncker &: Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05347 8
Vorwort der Herausgeher Über tiefgreifende Umbrüche hinweg haben sich Recht und Staat in diesem Jahrhundert in Deutschland in ihren gesellschaftlichen Grundlagen gewandelt. Wie sonst wenigen deutschen Staatsrechtslehrern außer lihm, ist es Hans Ulrich Scupin vergönnt, aus unmittelbarem Miterleben und !aktiver Anteilnahme an seinem 80. Geburtstag auf diese Entwicklung des deutschen Staatswesens zu blicken. Hans Ulrich Scupin wurde am 13. April 1903 in Dölau bei Halle a. d. Saale geboren. Vielleicht lag es am väterlichen Vorbild - sein Vater war Ordinarius für Geologie! -, daß er sich zunächst einem naturwissenschaftlichen Studium sowie der Philosophie zuwandte. Nach fünf Semestern, in denen er unter dem Einfluß von Endemann zunehmend sein Interesse am Recht und an der Rechtswissenschaft entdeckte, kehrte er den Naturwissenschaften den Rücken und nahm in Heidelberg das Studium der Jurisprudenz auf. Während seiner ersten juristischen Fachsemester beeindruckten ihn wohl am meisten Anschütz, 'aber auch Graf zu Dohna und später in Breslau vor allem der Zivilrechtler Hans Albrecht Fischer. Seinen über das engere Fachstudium hinausweisenden Interessen folgend, beschäftigte er sich ferner mit den für alles Rechtsdenken grundlegenden Fragen der Rechts- und Struatsphilosophie. Nach weiteren Studienjahren an den Universitäten Halle und Breslau legte er im Jahre 1929 die erste juristische Staatsprüfung ab. Während des juristischen Vorbereitungsdienstes promovierte er noch im selben Jahre mit einer unter der Betreuung seines Breslauer Lehrers Helfritz entstandenen Untersuchung über das Thema "Der Staat als Fiskus und als Hoheitsperson bei seinem Tätigwerden auf Grund der Sozialisierungsmöglichkeiten des Art. 156 der Reichsverfassung" . Im Jahre 1930 unterbrach er seine Referendarausbildung, um sich im Rahmen einer einjährigen Tätigkeit bei einem deutsch-französischen Stahltrust in Paris auch einen praktischen Einblick in Wirtschaftsprobleme und in das Ausmaß ihrer internationalen Verflechtungen zu verschaffen. Trotz der Anziehungskraft, die sein Lehrer Helfritz wegen seiner Aufgeschlossenheit für 'geschichtliche Fragen auf ihn ausübte, wurde Scupin Assistent bei Freiherr von Freytagh-Loringhoven, mit dem ihn das Interesse am Völkerrecht verband. In den Jahren 1932 bis 1938 war er neben seiner Tätigkeit im juristischen Vorbereitungsdienst als Fakul-
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Vorwort der Herausgeber
tätsassistent tätig; im Dezember 1934 legte er die zweite juristische Staatsprüfung ab. Im Juni 1938 habilitierte sich Scupin an der juristischen Fakultät der Breslauer Universität mit einer Schrift über "Volk und Reich bei Justus Möser", dessen aus tätiger Erfahrung und seinem Sinn für die regionale Eigenart und die geschichtliche Bedingtheit seiner Umwelt bestimmtes Rechts- und Staatsdenken für Scupin in exemplarischer Weise die Auffassung von einem Gemeinschaftsleben, insbesondere von demjenigen in einer staatlich organisierten Rechtsgemeinschaft zum Ausdruck brachte, in der die Überlieferung von Sitte und Recht verbunden wurde mit einer den je aktuellen Erfordernissen gerecht werdenden selbstmächtigen Lebensgestaltung. In der Tat kann die Publizistik des westfälischen Staatsmannes und Geschichtsschreibers Justus Möser als Paradigma für ein Rechts- und Struatsdenken gelten, das schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dezidierter Hinwendung zur Geschichtlichkeit allen sozialen Lebens auch die Vorstellungen von Recht und Staat - hierin der deutschen Philosophie des Idealismus von Kant bis Hegel folgend! - einzubetten suchte in die Vorstellungen einer geschichtlichen Welt des menschlichen Geistes. Hier setzt sich ganz zweifellos ein Erkenntnisstreben fort, das der junge Scupin, bezogen auf das Verhältnis von Staat, Recht und Wirtsch.aft und orientiert am Verfassungsstaat der Weimarer Republik, bereits in seiner Dissertation aufgegriffen hatte. In philosophischer Hinsicht ein Leben lang bestimmend blieb für Scupin jedoch nicht das Rechts- und Staatsdenken Hegels, sondern dasjenige Kants, mit dessen Auffassung vom Rechtsstaat nach der Metaphysik der Sitten er sich bereits in seinem Habilitationsvortrag befaßte. Der Privatdozent mit einer venia legendi für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie übernahm 1940 eine Lehrstuhlvertretung in Greifswald. Am 1. Oktober 1941 wurde er zum außerordentlichen Professor, am 1. Juni 1944 - noch während des Kriegsdienstes - zum ordentlichen Professor in Posen ernannt. Nach seiner im Jahre 1947 erfolgten Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, die er zum großen Teil in Afrika verbracht hatte, war Scupin 1947/48 als Mitredakteur der Dokumente des ersten Nürnberger Prozesses, danach als Verteidiger jm zweiten "Generalsprozeß", sowie als korrespondierender Verteidiger im "Shanghai-Prozeß" vor dem Supreme Court in Washington tätig. Auch nach seiner im Sommersemester 1949 erfolgten Ernennung als Lehrbeauftragter an der Universität Münster wirkte er daneben noch mehrere Jahre lang als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Hamm. Am 1. Oktober 1952 wurde Scupin zum ordentlichen Professor an der Universität Münster ernannt, wo er seither bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1971 Öffentliches Recht mit Berücksichtigung der Politischen Wissenschaft und Rechtsphilosophie
Vorwort der Herausgeber
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lehrte. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Politik wirkte er in zahlreichen universitären und außeruniversitären Gremien und Institutionen mit. Im akademischen Jahr 1956/57 war er Dekan der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät. Zu den Schwerpunkten der wissenschaftlichen Arbeit Scupins im Bereich des Öffentlichen Rechts gehören neben dem Völker- und Staatsrecht und dem vergleichenden ausländischen Öffentlichen Recht vor allem das Polizei- und Ordnungs recht, aber auch das Wirtschaftsrecht und das Staatskirchenrecht (unter Einschluß des evangelischen Kirchenrechts). Das thematisch weitgespannte Werk von Hans Ulrich Scupin hat schon im Rahmen einer im Jahre 1973 unter dem Titel "Öffentliches Recht und Politik" erschienenen Festschrift zu seinem 70. Geburtstag eine erste Würdigung erfahren. Auch die vorliegende Festschrift zu seinem 80. Geburtstag zeigt wiederum, welcher kollegialen Wertschätzung sich der Jubilar erfreut. Jedoch läßt sich heute im zeitlichen Abstand eines weiteren Jahrzehnts, der einen noch detaillierteren Rückblick auf den bisherigen Ertrag und damit zugleich auch einen wesentlich fundierte ren Ausblick auf die mutmaßlichen Auswirkungen der von ihm vorgelegten Forschungsergebnisse gestattet, durchaus sagen, daß einige Aspekte seiner bisherigen Lebensleistung als Forscherpersönlichkeit eher noch an Bedeutung gewonnen haben bzw. auch weiterhin noch an wissenschaftlicher Relevanz gewinnen werden. Es handelt sich dabei vor allem um den Grenzbereich zwischen Öffentlichem Recht und Politik sowie der Rechts- und Staatsphilosophie. Scupin hat im Rahmen seiner Arbeiten zur Erforschung der Naturrechtslehren und der Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, vor allem der politischen Theorie sowie der Rechts- und Staatstheorie des Johannes Althusius (1557-1638), der nicht ganz ohne Grund als der deutsche Rousseau bezeichnet wird, im Rahmen der von ihm zusammen mit Ulrich Scheuner im Jahre 1959 begründeten Johannes-Althusius-Gesellschaft e. V., Sitz Münster, nicht nur die tradierte Souveränitätslehre seit Bodin auf eine gänzlich neue Grundlage gestellt, sondern auch nachgewiesen, daß die Staatslehre des Althusius wegen der in ihr enthaltenen, 'aber allzu lange ignorierten "demokratischen Elemente" einen Vergleich mit modernen demokratietheoretischen Überlegungen durchaus nicht zu scheuen braucht. Er hat damit einen ganz entscheidenden Beitrag zur Lehre von den Geltungs- und Legitimationsgrundlagen des frühmodernen deutschen Staates geleistet, dessen Konsequenzen für die moderne Rechts- und Staatstheorie und das zeitgenössische Staatsrechtsdenken bislang noch gar nicht hinreichend überdacht worden sind. Was damit ansteht, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Revision der über-
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kommenen Rechts- und Staatslehre, die nur dann bewerkstelligt werden kann, wenn es gelingt, in der kritischen Reflexion auf die Geltungsgrundlagen des frühmodernen Staates die bisherige Sicht ihrer Beziehungen zur deutschen Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts und zur Entstehung des historischen Positivismus der Reichsrechtswissenschaft zu revidieren. Angesichts der Herkunft :allen Denkens über Naturrecht und positives Recht aus der praktischen Philosophie und ihrer Geschichte und der sich heute zunehmend durchsetzenden Einsicht in die wechselseitige Verflechtung dieser Entwicklung mit der vom frühmodernen Staat ausgehenden Rechts- und Staatstheorie muß die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich vollziehende, bis in die Gegenwart hinein ihre Fernwirkungen entfaltende positivistische Ausscheidung aller historischen, politischen und philosophischen Aspekte aus der sich auf das geltende Recht verengenden Rechtsbetrachtung als unzeitgemäße Fehlentwicklungerscheinen, welche die Rechtswissenschaft in die Irre geführt hat. Erst in der Gegenwart wird, nicht zuletzt dank der grundlegenden Forschungen von Hans Ulrich Scupin deutlich, in welchem Ausmaße aus dem frühmodernen Staat und der Epoche des rationalen Natur- und Vernunftsrechts stammende Vorstellungen nicht nur die Begrifflichkeit, sondern auch die systematischen Grundlagen des modernen staatsrechtlichen Denkens mitbestimmen. Nach mehr als fünfzehnjähriger Arbeit hat Scupin im Jahre 1973 noch nach seiner Emeritierung mit seiner zweibändigen, insgesamt mehr als tausend Seiten umfassenden Althusius-Bibliographie zur politischen Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungs geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts (mit ihren aus 60000 Titeln ausgewählten 16000 Titelangaben!) das zur Durchführung der obigen Forschungen unerläßliche Arbeitsinstrument vorgelegt, das es heute überhaupt erst gestattet, die im Grenzgebiet von Jurisprudenz, Politikwissenschaft, Philosophie und Theologie bis auf den heutigen Tag bestehende "Dunkelzone" systematisch zu erhellen. Auch hat er hierzu seither eine Reihe weiterer Beiträge geleistet, wie aus seinem dieser Festschrift beigefügten Schrifttumsverzeichnis hervorgeht. Ad multos annos! Münster, im März 1983 Norbert Achterberg
Werner Krawietz
Dieter WyduckeZ
Inhaltsverzeichnis I. Politische Wissenschaft
Bethusy-Huc, Viola Gräfin von Staatsbild und pluralistische Gesellschaft
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Grosser, Dieter Ökonomische Rationalität und politische Entscheidungslogik. Erfahrungen aus der Bundesrepublik 1969-1982 ................ . . . . . . . . ..
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Landheer, Bart The Role of the Image of Man in International Relations
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Meissner, Boris Wandlungen des sowjetkommunistischen Einparteistaates
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Pardon, Fritz Politik und Recht
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Schäfers, J osef Ordnungspolitische Aspekte im Wandel der sozialen Frage
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11. Verfassungs- und Rechtsgeschichte
Kühn,Oskar Westfälische Religionsprozesse vor dem Reichskammergericht ........ 103 Moorman van Kappen, Olav Politische und verfassungsrechtliche Aspekte der mißlungenen Inkraftsetzung der Kriminellen Ordonnanzen Philipps II. im Herzogtum Geldern und in der Grafschaft Zutphen ........................ 123 Neve, Paul L. / Sprenger, Regina M. Das Plenum des Reichskammergerichts als Spruchkörper. Zwei Jahre während des "rechtlichen Krieges": 1535-1537 ...................... 145 Sellert, Wolfgang Die Bedeutung und Bewertung des Inquisitionsprinzips aus rechtshistorischer Sicht .................................................. 161 Thieme, Hans Friedrich Pilger. Ein vergessener Vorkämpfer der Juden-Emanzipation 183 Wegener, Wilhelm Die staatsrechtliche Stellung der italienischen Reichsteile am Ende des alten Reiches im Spiegel der späten Reichspublizistik .... . . . . . . . . . . .. 195
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Inhaltsverzeichnis
111. Geschichte der Staatsideen Eikema Hommes, Hendrik J. van Die Bedeutung der Staats- und Gesellschaftslehre des Johannes Althusius für unsere Zeit ................................................ 211 Kuriki, Hisao Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft ........................................... 233 Unruh, Georg-Christoph von Die "Schule der Rechts-Staats-Lehrer" und ihre Vorläufer in vorkonstitutioneller Zeit. Anfang und Entwicklung von rechtsstaatlichen Grundsätzen im deutschen Schrifttum .............................. 251 Zippelius, Reinhold Ein Reisebericht über den Staat des alten China .................... 283
IV. Rechts- und Staatstheorie Achterberg, Norbert Die Verfassung als Sozialgestaltungsplan ........... . . . ........... . .. 293 Böckenförde, Ernst-Wolfgang Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft ... . .. 317 Kaulbach, Friedrich Rechtsrationalität in der Perspektive einer transzendentalen Handlungstheorie ....................................................... 333 Krawietz, Werner Juristische Argumentation in rechtstheoretischer, rechtsphilosophischer und rechtssoziologischer Perspektive ................................ 347 Petev, Valentin Der Staat als politische Organisation der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . .. 391 V. Völker- und Europarecht, ausländisches öffentliches Recht
Bleckmann, Albert Die Völkerrechtsordnung als System von Rechtsvermutungen ........ 407 Dicke, Detlev Christian Der Streit um die Falkland-Inseln oder Malvinen ....... . .... . ....... 429 Münch, Fritz Staatsangehörigkeit und Gebietswechsel ...........................
441
Reiners, Heinz Zur geschichtlichen und staatsrechtlichen Entwicklung des heutigen Sultanats Oman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 453
Inhaltsverzeichnis
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Rengeling, Hans-Werner Fragen zum allgemeinen Verwaltungsrecht in der Europäischen Gemeinschaft ......................................................... 475 Steiger, Heinhard Gerechter Friede. Das zweite Vatikanische Konzil und die Päpste zur Internationalen Friedensordnung ................................... 489
VI. Staats- und Verfassungsrecht Berg, Wilfried Hilfsdienste der Wirtschaft für den Staat. Neuere Aspekte der Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft .............................. 519 Degenhart, Christoph Rechtsstaat - Sozialstaat. Anmerkungen zum aktuellen Problemstand 537 Doehring, Karl Das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation .................. 555 Dreier, Ralf Widerstandsrecht im Rechtsstaat? Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam ............................................................ 573 Kimminich, otto Die Friedensproblematik als Prüfstein des demokratischen Staatsrechtsdenkens ..................................................... 601 Ma unz, Theodor Die Privatisierung von Verkehrsbetrieben des Bundes in der Sicht des Grundgesetzes ..................................................... 615 Stern, Klaus Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte ..... . .. 627 Stober, Rolf Entwicklung und Wandel der Grundpfiichten ..... . ...... . ........... 643 Wyduckel, Dieter Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung in der DDR? ............................................................. 663
VII. Verwaltungsrecht Barbey, Günther Fremdheit als Thema des Ausländerrechts
689
Campenhausen, Axel Freiherr von Kirchenfreiheit im Sozialstaat. Zur Anwendung des Schwerbehindertengesetzes auf Geistliche .......................................... 705
Inhaltsverzeichnis
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Erichsen, Hans-Uwe Elternrecht und staatliche Verantwortung für das Schulwesen ....... 721 Hoppe, Werner Verwirklichung von Umweltschutz durch Raumordnung und Landesplanung ........................................................... 737 Jülich, Christian Kooperativer Bildungsföderalismus und Gesetzesvorbehalt im Schulrecht .............................................................. 755 Kirchhof, Paul Gesetz und Billigkeit im Abgabenrecht .... . .. . . . .................... 775 Knemeyer, Franz-Ludwig Kommunale Selbstverwaltung im Wandel ............ . ............. 797 Küchenhoff, Günther I>er ~ensch im Arztrecht .......................................... 813 Schmidt-Jortzig, Edzard Beendigung polizeilicher Zustandsverantwortlichkeit durch I>ereliktion? .............................................................. 819 Wilke, I>ieter I>er Anspruch auf behördliches Einschreiten im Polizei-, Ordnungsund Baurecht ...................................................... 831
VIII. Verwaltungsverfahrensrecht, Verwaltungsprozeßrecht Christian-Friedrich Rechtskraft bei vorläufigem Rechtsschutz? ........... . .... . . . ...... 847
~enger,
Redeker, Konrad Entwicklungen und Probleme verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung 861 Schlichter, Otto Planungsrechtlicher Betroffenenschutz im Wandel .... . . . .. . . . ...... 881 R"hnapp, Friedrich E. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Verwaltungsverfahrensrecht .... 899 Vieth, Willi VerwaItungsverfahren und I>atenschutz im Sozialrecht ............. 923
Wyduckel, I>ieter Bibliographie Hans Ulrich Scupin .. . ........................... . ... 937 Verzeichnis der
~itarbeiter
........................................... 943
I. Politische Wissenschaft
Staatsbild und pluralistische Gesellschaft Von Viola Gräfin von Bethusy-Huc, Münster Die Suche nach der Staatsidee im modernen demokratischen Staat scheint - zumindest in Deutschland - oft aus dem Bewußtsein eines Verlustes motiviert zu sein. Ernst Forsthoffs Schlagwort von der "staatsideologischen Unterbilanz" oder We1'ner Webers These von der "Demontage des Staatlichen im Staat"l lassen diese Motivation sehr deutlich erkennen, und wenn Bernard Willms die Neufundierung der Theorie "der schützenden Schichten" als die politikwissenschaftliche Aufgabe apostrophiert, die in der heutigen Zeit vordringlich zu leisten ist2 , so knüpft er damit direkt an eine These von Carl Schmitt an, nach der die Zerstörung der schützenden Schichten der Gesellschaft das moderne Verhängnis schlechthin sei3 • Was hier als Verlust beklagt wird, ist der monistische Staat, der jenseits oder über der Gesellschaft als ordnende und gestaltende souveräne Willensmacht und als autonomes Herrschaftssubjekt steht, und der Gesellschaft um den Preis ihres politischen Gehorsams die Entfaltung, d. h. die Entwicklung einer prinzipiell individualisierten und zum materiellen und geistigen Konkurrenzkampf befriedeten Lebensordnung ermöglicht, also jene fundamentale "natürliche" Unsicherheit überwindet, in der - nach Thomas Hobbes - das Leben nicht anders sein kann als "solitary, poor, nasty, brutish and short"4. Auf den ersten Blick könnten für den monistischen Staatsgedanken gewisse Argumente sprechen: Sofern es im gegenwärtigen Zeitalter, angesichts rapider allseitiger Veränderungen auf rasches Reagieren, Sichanpassen an stets sich wandelnde Situationen, sofern es auf Entschlossenheit, Entscheidung und Schlagkraft ankommt, scheint eine Staatsführung, die über dem Hin und Her widerstreitender gesellschaftlicher Interessen und Meinungen steht und sich plebiszitär des "Vertrauens des Volkes" zu versichern weiß, einen beträchtlichen Vor1 Werner Weber, Der Staat und die Verbände, hrsg. von Beutler, Stein, Wagner, Heidelberg 1957, S.21. 2 Bernard Willms, .in: Der Staat, 4/1963, S. 502 f. S Der Begriff "Schützende Schichten" stammt von J. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 3. Aufl. München 1972, S. 219 ff. 4 Zitiert nach eh. Graf v. Krockow, Staatsideologie oder demokratisches Bewußtsein, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg.6, 2/1965, S.119.
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Viola Gräfin von Bethusy-Huc
sprung zu haben. Aber dieser Schein trügt. Denn in Wahrheit krankt die monistische Staatsideologie gerade an dem unaufhebbaren Widerspruch, in den sie sich zu der modernen gesellschaftlichen Entwicklung stellt, denn Staat und Gesellschaft haben sich in unserem Jahrhundert so ineinander verflochten, daß eine Trennung beider Sphären nicht mehr möglich ist. Die in Gruppen gegliederte Gesellschaft ist heute am staatlichen Handeln unmittelbar interessiert, und zwar nicht nur aus der politischen Erfahrung heraus, daß das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte in der bürgerlichen und hochkapitalistischen Zeit zu schweren sozialen Störungen geführt hatte, sondern auch, weil der moderne Staat zu einem maßgebenden Gestalter des g'esamten öffentlichen Lebens geworden ist. Denn die Tätigkeit des Staates besteht heute im großen Umfang darin, das Funktionieren der pluralistischen Gesellschaft zu ermöglichen und ihre produktiven Kräfte zu 'Stärken. In dem Maße, in dem der Staat zum Adressaten der Interessengruppen wurde, drang er aber auch regulierend in die Gesellschaft ein; aus dem alten Polizeiund Rechtsstaat wurde der moderne Daseinsvorsorge- und Sozialstaat. Parallel zu der wachsenden Anteilnahme des Staates an der gesellschaftlichen Entwicklung organisierten sich die verschiedenen funktionalen Gruppen der Gesellschaft zu Interessenverbänden, deren Aufgabe primär darin besteht, ihre partikularen Interessen bei den staatlichen Organen zur Geltung zu bringen. Mit der strukturellen Verfestigung dieser sozialen Organisationen entstanden politische Machtfaktoren, auf die das Staatshandeln nicht nur Rücksicht nehmen muß, sondern die durchaus auch in der Lage sind, die Staatsorgane selbst, zumindest temporär, unter ihren Einfluß zu bringen. Dadurch aber, daß der Prozeß der staatlichen Willensbildung nicht mehr das Monopol staatlicher Organe ist, weil an ihm nunmehr auch die gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind, entfällt die Möglichkeit, von einer souveränen Macht des Staates als Herrschaftssubjekt und von der Einheit einer nur staatlichen Willensbildung zu sprechen. Aus dem Prozeß der Usurpation staatlich-politischer Macht durch die gesellschaftlichen Gruppen ergibt sich zugleich ein Transformationsprozeß des Staates selbst. Damit muß aber auch die traditionelle deutsche Staatsidee, die den Staat als ursprüngliche, nicht abgeleitete und unparteiische Hoheitsgewalt versteht, aufgegeben werden, bzw. sie entlarvt sich als restaurative Ideologie. Unter den modernen gesellschaftlichen Bedingungen kann es nämlich kein staatliches Handeln und keinen Akt der Gesetzgebung mehr geben, der nicht gesellschaftliche Interessen berührt und durch gesellschaftliche Interessen mitbestimmt wird, der also in seiner praktischen Auswirkung nicht zur Parteinahme im Widerstreit der
Staatsbild und pluralistische Gesellschaft
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gesellschaftlichen Gruppen gerinnt, so daß die überparteilichkeit des Staates - wie Gustav Radbruch es ausdrückt - zur Lebenslüge des Obrigkeitsstaates geworden ist. Wenn aber die Durchstaatlichung der Gesellschaft und die Vergesellschaftung des Staates die Scheidung der Sphären von Staat und Gesellschaft unmöglich machen, und damit auch das traditionelle deutsche Staatsbild das politische Leben nicht mehr zu erklären vermag, drängt sich die Frage auf, welches Staatsbild den modernen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht. Zur Charakteristik dieses Staatsbildes kann auf die angelsächsische Vertragstheorie der Demokratie verwiesen werden, welche die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zwar auch kennt, sie aber niemals zum Angelpunkt ihrer Staatstheorie gemacht hat. Vielmehr gibt sich die Gesellschaft eine politische Ordnung, in der jeder einzelne frei leben und sein Glück verwirklichen kann. Dazu errichtet sie eine Regierung, die dank ihrer Herrschaft durch Gesetz dem Bürger Sicherheit, Wohlstand und freies Leben garantiert. Diese Herrschaft ist nichts Vorgegebenes, sie ist nicht eo ipso legitimiert, sondern sie legitimiert sich durch ihre Ausrichtung an einer vorgegebenen generell akzeptierten Wertordnung, die neben verfassungsrechtlichen Verfahrensvorschriften und Spielregeln eines fair play auch ein Minimum von regulativen Ideen generellen Charakters enthalten muß. Das kennzeichnende Merkmal jeder pluralistischen Demokratie ist aber - nach Ernst Fraenkel - in der offenen Anerkennung der Tatsache zu finden, daß es neben dem allgemein anerkannten Wertkodex der Gesellschaft und dem ebenfalls akzeptierten System VOn Verfahrensregeln einen anderen Sektor des Gemeinschaftslebens gibt, einen Sozialbereich, in dem keine generelle übereinstimmung über politische Ziele und Erfordernisse besteht, ja nicht einmal bestehen soll. Das ist der Bereich der praktischen Politik5 • Denn jede Gesellschaft, insbesondere jede moderne Industriegesellschaft zerfällt in Gruppen entsprechend ihrer verschiedenartigen Interessen, wobei es sich bei diesen Interessen um Sonderinteressen handelt, um Teile eines Interessenspektrums, das sich aus vielen partikularen Gesichtspunkten zusammensetzt. In einer freien Gesellschaft müssen die gesellschaftlichen Gruppen in der Lage sein, diese ihre jeweiligen Interessen ungehindert zu vertreten, sie also im politischen Raum legitim zur Geltung zu bringen, weil diese kollektive Geltendmachung partikularer Interessen erforderlich ist, um zu verhüten, daß entweder der Wille einer autokratischstaatlichen oder der Wille eines Oligopols nicht minder autokratischa Vgl. hierzu Ernst Fraenkel, Demokratie und öffentliche Meinung, in: Zeitschrift für Politik, Jg.10 N. F., 1963, S. 319 ff. 2 Festschrift für H. U. Scupln
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privater Bürokratie in kontroversen Fragen entscheidet. Die offene Austragung der in jedem Staat unvermeidbaren Meinungsverschiedenheiten und die Kompromisse, durch welche diese Konflikte beigelegt werden, erscheinen in der freiheitlichen Demokratie als der einzig geeignete Weg, eine tragbare Lösung für solche politischen Probleme zu finden, die im Schnittpunkt divergierender Interessen liegen. Das Parlament als politischer Repräsentant des Volkes ist zwar in vielen seiner Vertreter durch Teilinteressen bestimmt, aber seine Aufgabe liegt darin, Regelungen und Gesetze zu erlassen, die auch dem Interesse des Ganzen gerecht werden. Daher spricht Ernst Fraenkel6 auch davon, daß sich Interessenrepräsentation und Gemeinwohl in einer dialektischen Spannung befinden, die nicht aufhebbar ist, wenn nicht die freiheitliche Ordnung als solche aufgehoben werden soll. Die Demokratie, wie sie in dieser Gestalt auch vom Grundgesetz gefordert wird, will also dem Gemeinwohl dienen, ohne die autonome Repräsentation der Interessen auszuschalten. Deswegen ist der freiheitlich-demokratische Staat auch auf die Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Gruppen angewiesen, ja, der gesellschaftliche Pluralismus konstituiert ihn geradezu. Er ist also nicht mehr als eine in irgend einer Weise übergeordnete Wesenheit zu verstehen, sondern als Instrument zur Sicherung von Leben und Freiheit, zur Förderung der Wohlfahrt und des Glücks von Individuen und Gruppen, als ein Instrument, das an diesem seinen instrumentalen Wert jederzeit kritisch zu messen ist. Das ist auch der Grund dafür, warum der Richtpunkt demokratischer Politik heute nicht mehr allein der Staat ist, sondern das demokratische Gemeinwesen oder - um ,es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichtes zu sagen - "die freiheitlich-demokratische Grundordnung". Sie überwölbt den alten kontinentalen Gegensatz von Staat und Gesellschaft und hebt ihn in einer Synthese von Freiheit und Ordnung auf. Freilich kann auch das moderne pluralistische Gemeinwesen nicht ohne verantwortliche politische Führung auskommen, welcher Macht übertragen werden muß. Weil aber die Handhabung der Macht immer der Gefahr des Mißbrauchs ausgesetzt ist, soll - nach Thomas Jefferson - nicht blindes Vertrauen, sondern im Gegenteil ein gesundes Mißtrauen als die erste Bürgerpflicht des Demokraten gelten. Er drückt dies in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung folgendermaßen aus: "Es wäre eine gefährliche Täuschung, wenn das Vertrauen in die Männer unserer Wahl unsere Befürchtungen um die Sicherung unserer Rechte zum Schweigen bringen würde.... Eine freie Regierung ist auf Argwohn, nicht 6
Ernst Fraenkel, Deutschland und die westliche Welt, in: Dokumente,
Jg. 15, Mai 1960.
Staatsbild und pluralistische Gesellschaft
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auf Vertrauen gegründet. Argwohn und nicht Vertmuen schreibt begrenzte Regierungen vor, um jene zu binden, denen wir Macht anvertrauen müssen. Unsere Verfassung hat deshalb die Grenzen festgelegt, bis zu denen - und nicht weiter! - unser Vertrauen gehen darf. In den Fragen der Macht soll also nicht mehr von dem Vertrauen auf einen Menschen die Rede sein, sondern er soll vor Unheil abgehalten werden durch die Kette der Verfassung." Die Furcht der amerikanischen Verfassungsväter vor hemmungslosen, unkontrollierbaren, politischen Entscheidungen, die aus diesen Sätzen hervorgeht, scheint derjenigen Besorgnis gar nicht unähnlich zu sein, welche vor allem die Befürworter des autoritären Obrigkeitsstaates im Deutschland der Weimarer Republik bestimmt hat und auch manche Kritiker der Bundesrepublik motiviert, wie z. B. Winfried Martini, für den das Ende aller politischen Sicherheit eben darin beschlossen liegt, daß eine Politisierung der Massen alle staatliche Entscheidungen kurzschlüssigen Interessen und Emotionen und damit zugleich unvorhersehbaren potentiell immer blindwütigen Aktionen ausliefert7 • In der Tat ist es möglich, einen geistesgeschichtlichen Ort der Übereinkunft zu bezeichnen: Denn in Thomas Hobbes "Leviathan" sind die autoritären Momente mit den Prämissen liberal-demokratischer Entwicklung zu einer fast bruchlosen Einheit verschmolzen. Aber seit John Locke haben sich die Wege unwiderruflich getrennt, ja führen die Lösungsversuche in einander diametral entgegengesetzte Richtungen: Während es dort darum geht, den Staat möglichst eindeutig über die gesellschaftlichen Gruppen und Parteien hinauszuheben, soll hier die Verfassungsordnung möglichst in die Gesellschaft eingebaut werden, um, gewissermaßen als gegen alle Interessen, Gruppierungen und Anschauungen neutralisiertes Spielregelsystem die maximale Entfaltung aller Individuen und Gruppen und ihrer Anschauungen und Interessen zu ermöglichen und zu sichern. Diese Aufgabe ist aber nur zu leisten, wenn die Freiheit und die Chancengleichheit aller optimal gewahrt wird. Weil jedoch Ehrgeiz und Machtstreben, weil Anschauungen und Interessen die Berücksichtigung dieser Elementarrechte jederzeit gefährden, bedarf es einer wechselseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane, bedarf es ihres Systems der "checks and balances" sowie - nicht zuletzt - der kritischen Kontrolle durch die Staatsbürger, welche bei den regelmäßig stattfindenden Wahlen Machtmißbräuche oder Kompetenzübertretungen durch Machtentzug beantworten können. Versteht man den Staat also lediglich als die politische Ordnung der Gesellschaft, als ein System von Spielregeln, nach denen die sozialen und politischen Konflikte ausgetragen werden, oder um mit Arthur F. 7
W. Martini, Das Ende aller Sicherheit, eine Kritik des Westens, Stuttgart
1964. 2·
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Viola Gräfin von Bethusy-Huc
Bentley 8 zu reden, als "the sum of the activities comprised within the intermediate sense of the word government. All those activities which together make up the whole process would correspond fairly wen to ,the politically organized society"', so ist Staatsherrschaft nur insoweit legitimiert, als sie die Werte, auf denen das Gemeinwesen beruht unrl welche dem politischen Spielregelsystem zugrundeliegen, durchsetzt und selbst an sie gebunden ist. Deswegen ist jede demokratische Ordnung in einem substantiellen Sinn durch einen konservativen Verfassungsformalismus geprägt, wenn sie auch in einem nicht minder substantiellen Sinn durch gesellschaftliche Liberalität bestimmt ist. Denn indem mit Hilfe des Verfassungsformalismus der politische Apparat wie eine technische Maschine funktioniert, gewährt er den Individuen und gesellschaftlichen Gruppen ein Maximum an Spielraum und Sicherheit für ihre freie Entfaltung innerhalb bestimmter Grenzen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, welche die älteste geschriebene Verfassung besitzen, die noch in Kraft ist, beweisen vielleicht am eindruckvollsten die Richtigkeit jener politischen Grundeinsicht, die von Edmund Burke in seinem Kampf gegen die Ideologien der französischen Revolution klassisch formuliert wurde, daß es nämlich für die Bewahrung von Freiheit, Recht und Sicherheit auf das nüchterne Festhalten an Institutionen ankommt, die sich praktisch, vor der Erfahrung, bewährt haben - und die eben deshalb, weil sie im offenen Horizont praktischer Erfahrungen statt in geschlossenen Ideologien gründen, ebenso für Reformen offen stehen, wie sie Revolutionen ausschließenll • Der formal-konservative Charakter demokratischer Verfassungsordnungen wird allerdings häufig nicht gesehen; er wird sozusagen durch die gesellschaftliche Dynamik verdeckt, mit der sich die westlichen Gesellschaften ständig um- und weiterbilden. Dieser rapide Gesellschaftswandel widerlegt indessen die formal-konservative Prägung der Verfassungssysteme keineswegs, sondern bestätigt sie. Die gesellschaftliche Dynamik findet vielmehr in dieser formalen Konservativität erst ihre Basis, die Bedingung ihrer Möglichkeit: Die Bewahrung von Freiheit und Chancengleichheit für alle gesellschaftlichen Kräfte läßt diese eben in einer Weise zur Entfaltung kommen, wie dies in keiner anderen politischen Ordnung denkbar wäre. Andererseits findet aber auch der formale Konservativismus im sozialen Dynamismus seine Rechtfertigung, denn dieser gesellschaftliche Dynamismus beweist, daß sich die politische Ordnung im Sinne des pluralistischen Strebens nach Glück bewährt. 8 Arthur Bentley, The Process of Government, ed. by Peter H. Odegard, Cambridge/Mass., The Belknap Press of Harvard UniveTsity 1967, S. 263. 9 Zitiert nach Ch. Graf v. Krockow, Staatsideologie (Fn.4), S. 126.
Staats bild und pluralistische Gesellschaft
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Allerdings muß dieser formale Konservatismus, das Festhalten an bestimmten politischen Institutionen und Verfahrensweisen scharf vom kontinentalen materialen Konservatismus unterschieden werden, der versucht, inhaltliche Positionen ideeller oder materieller Art festzuhalten, der also nicht Basis und Bedingung der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern eine Reaktion auf sie ist und - nach Graf v. Krockow zu einer Blockierung der gesellschaftlichen Transformation im Zeitalter allgemeiner Transformation führeo, dessen Gegenstück daher auch nicht Liberalität sondern Totalität ist. Der materiale Konservatismus, der seinen Ausdruck im französischen Verfassungs verschleiß seit 1789, im Verschleiß der politischen Ordnungsideen im Deutschland der Weimarer Republik und schließlich in seiner letzten Konsequenz im totalitären Regime des "Dritten Reiches" fand, bedeutet - solange er lebendig ist - daß völliges Unverständnis für die Eigenart freiheitlich-demokratischer Ordnungen besteht und zwar nach dem Muster der anglo-amerikanischen Demokratie. Diese substantielle Liberalität - wiederum am eindeutigsten in der amerikanischen Verfassungsidee zum Ausdruck gebracht - basiert darauf, daß sie jede inhaltlich-autoritative Festlegung vermeidet, also keine ideellen oder materiellen Entscheidungen trifft, welche politische Moralität oder politische Rechte im Sinne bestimmter Interessen und Anschauungen, welcher Art auch immer, monopolisieren könnte. Moralität und Recht kommen vielmehr einzig und allein den politischen Verfahrensweisen zu, die die Freiheit und die Chancengleichheit aller Gruppen und Individuen sichern sollen. Dies mag formalistisch erscheinen. Aber gerade aus dieser substantiellen Liberalität ergeben sich zwingend diejenigen Rechte, die es erst ermöglichen, daß sich die Gesellschaft in ihrer ganzen Pluralität entfaltet.
10 Tocqueville und das Problem der Gleichheit in Deutschland, in: Humanität und politische Verantwortung, hrsg. v. R. Reich, Erlenbach - Zürich und Stuttgart 1964, S. 157.
Okonomische Rationalität und politische Entscheidungslogik Erfahrungen aus der Bundesrepublik 1969-1982
Von Dieter Grosser, München I. Problemstellung
Gesetzt den Fall, die Regierung einer parlamentarischen Demokratie mit Konkurrenzparteiensystemen, Föderalismus, hohem internationalen Verflechtungsgrad und einer limitierten Marktwirtschaft versuche, eine ökonomisch rationale Wirtschaftspolitik zu verwirklichen. Kann sie das überhaupt? Oder gibt es Zielkonflikte zwischen ökonomischer Rationalität und politischer Entscheidungslogik, die nicht aufgelöst werden können, und in denen sich in der Regel die politische Entscheidungslogik zu Lasten ökonomischer Rationalität durchsetzen wird? Das Problem ist aktuell. So sagte Armin Gutowski kürzlich im Bergedorfer Gesprächskreis, der regulierende Staat stehe sich mittlerweile selbst so im Wege, daß seine Wirtschaftspolitik auch dann schnell in den Bereich abnehmender Ertragszuwächse politischen und finanziellen Mitteleinsatzes gerät, wenn das Konzept seiner Politik grundsätzlich richtig ist. Abschreibungserleichterungen nützten nichts, wenn überzogene Grenzsteuersätze die Leistungsbereitschaft erstickten oder in die Untergrundwirtschaft abdrängten1 . Ich möchte die Frage noch schärfer und grundsätzlicher stellen: Gibt es Anzeichen dafür, daß die Regierung Ziele, die sie selbst als wirtschaftlich vernünftig und notwendig gesetzt hat, und die auch von der Wissenschaft als richtig angesehen werden, gar nicht realisieren kann, weil die dazu erforderlichen Mittel aus politischen Gründen nicht oder nur unter extremen Schwierigkeiten und Gefährdung anderer, ebenfalls hochrangiger Ziele eingesetzt werden können? Es geht also nicht um bloße Unfähigkeit von Politikern und Verwaltungsbeamten, nicht um unzureichende Informationsverarbeitungskapazitäten in den Ministerien und im Kabinett, auch nicht um das, was wir den "administrative lag" bei der Implementation wirtschaftspolitischer Maßnahmen 1
Süddeutsche Zeitung 137/1982, S.33.
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nennen. Es geht darum, daß der Politiker weiß, was er tun müßte, aber zugleich überzeugt ist, wenn er es tut, dann verliert er Zustimmung von Wählern, Interessengruppen außerhalb und innerhalb seiner Partei, d. h. dann riskiert er die politische Macht. 11. Definitionen Definieren wir zunächst unsere Begriffe. Was heißt "ökonomische Rationalität", bezogen auf die Wirtschaftspolitik? Herbert Giersch hat "rationale Wirtschaftspolitik" als eine Politik definiert, die einen möglichst hohen Fortschritt der Arbeitsproduktivität und eine möglichst geringe Preissteigerungsrate unter den Nebenbedingungen Vollbeschäftigung, Währungskonvertibilität und Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung bewirkt2 • Mit der weiteren Nebenbedingung "Verteilungsgerechtigkeit" ist diese Definition rationaler Wirtschaftspolitik dann ohne weiteres vereinbar, wenn die interpersonellen Verteilungskorrekturen, ebenso wie regionale und sektorale Subventionen, einen Produktivitätsfortschritt erwarten lassen. Wem das nicht ausreicht, der möge bedenken, daß durch Umverteilung bedingte Behinderungen der Arbeitsproduktivität langfristig dazu führen, daß der Lebensstandard der Arbeitnehmer niedriger bleibt, als es bei geringerer Umverteilung, dafür höherem Produktivitätsfortschritt, möglich wäre. Auch mit der Nebenbedingung "Umweltschutz" ist die Definition von Giersch vereinbar, wenn wir nur, wie es schon Eucken gefordert hat, die externen Kosten der Produktion nach dem Verursacherprinzip konsequent berücksichtigten. Die politische Entscheidungslogik zielt nicht auf Wohlstandsmaximierung, sondern auf Zustimmungsmaximierung. Es geht allerdings nicht nur um Wählerstimmenmaximierung bei den allgemeinen Wahlen. Partei-interne Wahlen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Da die politischen Interessen von Mitgliedern und Wählern einer Partei beträchtlich differieren können, führt die politische Entscheidungslogik nicht selten zu einem Lavieren zwischen Wählerstimmenmaximierung und Zustimungsmaximierung in der eigenen Partei. Außerdem sind Rücksichten auf Interessengruppen zu nehmen, die der Partei Wählerstimmen und/oder finanzielle Unterstützung bieten. Schließlich ist auch darauf zu achten, daß den eigenen aktiven Anhängern Karrierechancen in 2 H. Giersch, Rationale Wirtschaftspolitik in der puralistischen Gesellschaft, Verhandlungen auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik 1966, in: E. Schneider (Hrsg.), Rationale Wirtschaftspolitik und Planung in der Wirtschaft von heute. Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Bd.45,
1967.
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Politik und öffentlicher Verwaltung geboten werden können; das stärkt nicht nur die Parteiorganisation, sondern auch die Macht der Parteiführungen. Dieser letzte Gesichtspunkt ist für das Verhältnis von Staat und Wirtschaft nicht unwichtig; er erklärt, warum alle Politiker dazu neigen, Forderungen von Interessenten nach zusätzlichen Staatsleistungen bereitwillig nachzukommen: je mehr Staatsleistungen, desto mehr Beamte, desto mehr Karrierechancen für verdiente Parteimitglieder ... 111. Ausgangshypothesen
Auf den ersten Blick könnte es verwunderlich erscheinen, daß ein Spannungsverhältnis zwischen Wohlstandsmaximierung und Zustimmungsmaximierung angenommen wird. Wollen nicht die allermeisten Wähler Wohlstandsmaximierung in dem Sinne, wie sie die ökonomisch rationale Wirtschaftspolitik verspricht, vor allem, wenn wir die genannten Nebenbedingungen der Verteilungsgerechtigkeit und des Umweltschutzes in die Definiton mit hineinnehmen? Wie kann es dann zu Spannungen zwischen Wohlstandsmaximierung und Zustimmungsmaximierung kommen? Die Neue politische Ökonomie hat inzwischen eine ganze Reihe von teils am Modell gewonnenen, teils aus der Empirie erarbeiteten Hypothesen vorgelegt, die zeigen, daß das Verhältnis unserer bei den Globalziele keinesfalls so unproblematisch ist. Auch die Politikwissenschaft hat sich z. B. in den Untersuchungen zum Problem "Regierbarkeit" mit der Frage beschäftige. Weithin akzeptiert sind inzwischen die folgenden groben Hypothesen: -
Einkommens- und Konsuminteressen stehen für die meisten Wähler nach wie vor ganz oben auf der Liste der Prioritäten. Unmittelbare und gegenwärtige Vorteile werden mittelbaren und zukünftigen vorgezogen. Mit ähnlich hoher Priorität wie die materielle Güterversorgung wird die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes bewertet. Einmal gewährte Gratifikationen, seien es nun höhere Löhne oder Sozialleistungen, werden nach kurzer Zeit als selbstverständliche Rechtsansprüche betrachtet und können daher nicht zurückgenommen werden, ohne scharfe politische Abwehrreaktionen zu provozieren. Wähler erliegen leicht einem illusionären Verständnis der Möglichkeiten, Staatsleistungen in Anspruch nehmen zu können, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen. Sie fordern Staatsleistungen für
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Hennis/Kielmannsegg/Matz,
Regierbarkeit, 1979.
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Dieter Grosser sich, weil sie erwarten, daß die entsprechenden Kosten nicht von der eigenen begünstigten Gruppe allein, sondern von allen Zahlern der Solidargemeinschaft "Bundesrepublik" getragen werden. Sie übersehen, daß alle anderen Gruppen ebenso vorgehen. Die steigende Abgabenlast empfinden sie daher nicht als Konsequenz ihrer eigenen Forderungen; im Gegenteil: sie fordern mehr Staatsleistungen für sich, beklagen aber zugleich die hohe Abgabenlast an den Staat.
Sollten diese Hypothesen zutreffen, so genügten sie bereits, um das Spannungsverhältnis von ökonomischer Rationalität und politischer Entscheidungslogik zu erklären. So wäre den Politikern eine auf Geldwertstabilität zielende Haushaltspolitik aufs äußerste erschwert, wenn es politisch beinahe unmöglich wäre, einmal gewährte Gratifikationen, etwa Steuerermäßigungen, wieder zurückzunehmen. Die ständige Ausweitung der Staatsverschuldung wäre vorprogrammiert, wenn unmittelbare und gegenwärtige Vorteile stets höher bewertet würden als zuküftige. Die Politiker kämen in eine gerade übermenschliche Versuchung, Staatsleistungen zu gewähren, sie aber nur teilweise durch Steuern zu finanzieren, sondern Kredite aufzunehmen; der Schuldendienst wird dann künftigen Steuerzahlern aufgebürdet und kann überdies dadurch erleichtert werden, daß Inflation weiter zugelassen, sogar etwas gefördert wird. Eine Strukturpolitik, die die Anpassung an veränderte Wettbewerbsbedingungen, die Mobilität von Kapital und Arbeit förderte, wäre politisch kurzfristig weniger ertragreich als eine auf Erhaltung bestehender Strukturen gerichtete Politik; denn die Erhaltung bestehender Strukturen bedeutet die Erhaltung bestehender Arbeitsplätze und den Schutz investierten Kapitals zugleich; durch Wettbewerb erzwungene Mobilität aber ist für alle, die nicht höchstleistungsfähig sind, unbequem. Es könnte eingewendet werden, daß hier den Politikern wie den Wählern eher eine kurzfristige statt einer langfristigen Sicht unterstellt wird. Das stimmt. Die politische Entscheidungslogik ist tatsächlich primär auf kurz- und allenfalls mittelfristige Optimierung angelegt; rationale Wirtschaftspolitik aber setzt mittel- und langfristige Optimierung voraus. IV. Prüfung der Ausgangshypothesen 1. Das Scheitern der Stabilitätspolitik 1969 -1974
So umstritten die Ursachen und die angemessene Therapie der gegenwärtigen Beschäftigungskrise sein mögen - in einem sind sich die Wirtschaftswissenschaftler einig: Der Einbruch 1974/75 wäre weniger heftig, die darauf folgende langjährige Stagflation weniger ausgeprägt gewesen, wenn nicht schon in den Jahren 1969-1974 die Stabilitätspolitik des
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Staates versagt hätte. Unsere Ausgangshypothese war, daß dieses Versagen weniger an unzureichenden Instrumenten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes und auch nicht an einer Fehleinschätzung der Lage durch die Akteure lag, sondern daß die politische Entscheidungslogik im Widerspruch zum Stabilitätsgebot stand. Läßt sie sich empirisch absichern? Betrachten wir zunächst die wichtigsten Daten (s. Tabelle S. 38): 1969 war noch ein Jahr mit hohem realen Wachstum (über 8 Ofo) und mäßiger Inflation (2,5 fJ/ o). 1970/71 gab es eine leichte Konjunkturabschwächung, aber keinen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil blieben Arbeitskräfte knapp, der mächtige Zustrom ausländischer Arbeitskräfte setzt jetzt erst ein. Ausgerechnet in dieser Phase der Konjunkturabschwächung beginnen aber die Preise schneller zu steigen. 1972/73 kommt es zu einer neuen Hochkonjunktur; die Inflation nimmt zu, eine erhebliche Fehlkalkulation von Kapital wird durch die Flucht in Immobilien hervorgerufen, von denen sich die Käufer eine inflationssichere Anlage versprechen.
Im Herbst 1973 folgt dem Yom-Kippur-Krieg der erste Ölschock; er löst zunächst einen Rückschlag der Inlandsnachfrage aus, während die Auslandsnachfrage noch bis zum Sommer 1974 lebhaft bleibt. Im Spätsommer 1974 bricht auch die Auslandsnachfrage zusammen. 1974 wird zum typischen Stagflationsjahr: 7 Ofo Inflation, nur 0,5 Ofo Wachstum, steil steigende Arbeitslosigkeit. Im Rückblick erscheint die Inflation 1970-1974 als wichtigstes Indiz für wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Die Inflation läßt sich auf drei Ursachen zurückführen: -
Sie war importiert, weil die Mark gegenüber dem Dollar bis 1973, von kurzen Ausnahmezeiten abgesehen, unterbewertet war. Die auf Stabilität gerichtete Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank war dadurch erheblich behindert. Im übrigen hatte der wechselkursbedingte Exportboom eine weitere unerwünschte Folge: viele Unternehmen in der Bundesrepublik gewöhnten sich an leichte Exporterfolge und vernachlässigten Produkt- und Verfahrensinnovationen, die ihre Konkurrenzfähigkeit unter zukünftigen, mit Sicherheit schwierigeren Bedingungen sichern würden. Die rechtzeitige Aufwertung der Mark unterblieb aber aus politischen Gründen. Sie wurde während der Großen Koalition unter dem Druck von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften immer wieder hinausgeschoben, im Endstadium der Großen Koalition zwar von der SPD, nicht aber von der CDU/CSU befürwortet und 1969 sogar Wahlkampf thema. Nach dem Regierungswechsel kam es Ende 1969 zur Aufwertung, aber um
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Dieter Grosser einen zu niedrigen Satz; wieder verhinderten Rücksichten auf die an überbeschäftigung und entsprechend hohen Lohnsteigerungsraten interessierten Gewerkschaften und auf die an leichten Exporterfolgen interessierten Unternehmen eine rationale Wirtschaftspolitik. Erst der übergang zu flexiblen Wechselkursen gegenüber dem Dollar im März 1973 beseitigte die außenwirtschaftlich induzierte Inflation.
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Eine weitere Ursache der Inflation waren steigende Lohnstückkosten, die teilweise auf die Preise über- und damit auf den Verbraucher abgewälzt wurden, teilweise aber auch die Gewinne der Unternehmen reduzierten. Die Hauptverantwortung dafür trugen die Tarifparteien; der Staat war allerdings nicht unschuldig. Die öffentlichen Arbeitgeber selbst verstießen gegen den Grundsatz einer stabilitätskonformen Lohnpolitik. Zwar blieben bis 1973 die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst etwa im Rahmen dessen, was in der Privatwirtschaft üblich war. Erhebliche Höherstufungen für gleiche Tätigkeit bewirkten jedoch, daß die Effektivverdienste deutlich schneller stiegen als in der Privatwirtschaft. Noch Anfang 1974, als sich die Möglichkeit eines schweren Konjunkturrückschlags bereits abzeichnete und die Inflation 7 {l/o betrug, wurden die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst zwischen 12 und 18 Ofo erhöht. Triebkraft dieser Entwicklung war nicht nur die ÖTV; es zeigte sich auch sehr deutlich, daß öffentliche Arbeitgeber, die von Volksvertretungen abhängen, in denen Beamte eine überaus starke Gruppe darstellen, Beamtenforderungen wenig Widerstand entgegensetzen können. Wieder ist auf eine Nebenwirkung hinzuweisen, die uns heute noch belastet: Zusammen mit der Vermehrung der Stellen im Öffentlichen Dienst bewirkte diese Besoldungspolitik, daß ein beträchtlicher Teil der expandierenden Staatsausgaben in diesen Jahren für Personalkosten aufgewendet werden mußten und die Ausgaben des Staates für Güter und Dienste, vor allem für Investitionen, demgegenüber relativ zurückblieben. Die Privatwirtschaft wiederum sah nicht ein, weshalb sie schwere Verteilungskämpfe mit den Gewerkschaften riskieren sollte, wenn der Staat das nicht tat. Anfang 1974 gewannen die Unternehmen den Eindruck, der Staat setze auf Vollbeschäftigung, weitere nominale Lohnsteigerungen und Inflation.
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Die dritte Ursache der Inflation ist im Versagen der staatlichen Globalsteuerung zu sehen. 1969 war die Haushaltspolitik noch antizyklisch: Einnahmenüberschüsse sorgten für eine leichte Dämpfung der Hochkonjunktur. Zwischen 1970 und 1973 wirkten die öffentlichen Haushalte durchweg expansiv und durchkreuzten das Ziel der Inflationsbekämpfung. Dafür waren politische Gründe maßgebend: Kar! Schiller versuchte im Frühjahr 1970, das im Stabilitäts- und
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Wachstumsgesetz vorgesehene "harte" Instrument der befristeten Steuererhöhung einzusetzen. Das Kabinett verweigerte ihm jedoch die Zustimmung, weil vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland unpopuläre Maßnahmen unterbleiben sollten. Erst im Juli 1970, nach den Wahlen, wurde das "weiche" Instrument des rückzahlbaren Konjunkturzuschlags angewendet. Im Mai 1973" ging die Bundesregierung mit einem Stabilisierungsprogramm gegen die Inflationstendenzen vor, das den privaten Verbrauch nahezu ungeschoren ließ, dafür aber die Investitionen mit einer Zusatzsteuer von 11 (J/o belastete. Die Dämpfung des Preisauftriebs wurde nicht erreicht; das Stabilitätspogramm wirkte sich eher prozyklisch aus: die Unternehmen zogen nämlich Investitionen vor, um die Steuer zu vermeiden. Anschließend, vom Sommer 1973 an, bewirkten Investitionssteuer, restriktive Geldpolitik und DM-Aufwertung, daß die Investitionsneigung drastisch sank; die Krise 1974 bahnte sich an. Nicht nur Rücksichten auf Wähleraktionen, sondern auch der Föderalismus standen der Globalsteuerung im Wege. Im Finanzplanungsrat, in dem sich Bund, Länder und Gemeinden über eine stabilitätskonforme Ausgabenpolitik einigen sollten, wurden zwar meist vertretbare Obergrenzen der gesamten Ausgabenerhöhungen festgelegt. Anschließend einigten sich die Gebietskörperschaften aber nie über die Verteilung der zusätzlichen Ausgaben. Vor allem die Länder und Gemeinden gingen regelmäßig weit über die festgelegten Zuwachsraten hinaus. Das ist leicht zu erklären: erfolgreiche Stabilitätspolitik wird primär der Bundesregierung, nicht aber Landes- oder Kommunalregierungen zugeschrieben. Politisch zahlt sich daher eine Sparpolitik auf Landes- und Gemeindeebene kaum aus. Die Enttäuschung über das Versagen seines eigenen Konzepts der Globalsteuerung war der Hauptgrund für den Rücktritt Karl Schillers als Finanz- und Wirtschaftsminister im Sommer 1972. Die "Synthese von Eucken und Keynes", mit der er Stabilität und Wachstum erreichen wollte, setzte ganz offsichtlich einen Staat voraus, der ohne politische Rücksichten auf Wähler und Verbände agieren konnte - was bisher die Ökonomie nicht beachtet hatte. 2. Politisclte Hindernisse für eine rationale Strukturpolitik
Wird die Höhe der eingesetzten Finanzmittel als Kriterium gewählt, so ist die Strukturpolitik die weitaus dominierende Form staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft der Bundesrepublik. Die Finanzhilfe von Bund, Ländern und Gemeinden an Unternehmen und private Haushalte (ohne Bundesbahn und ohne EG) erreichten 1978 24 Mrd. DM. Die
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Steuervergünstigungen für Unternehmen und private Haushalte, die mit strukturpolitischen Argumenten begründet wurden, betrugen über 26 Mrd. DM. Werden dazu noch die Subventionen für die Bundesbahn und die Zahlungen an den EG-Agrarfonds gerechnet, so ergibt sich ein strukturpolitisch begründeter Aufwand von weit über 60 Mrd. DM. Eine Untersuchung der Wirtschaftsminister von Bund und Ländern vom Februar 1981 ergab, daß der Staat inzwischen an 80 {l/o aller privater Investitionen durch Finanzhilfen und Steuerermäßigungen beteiligt ist. Der überwiegende Teil dieser Subventionen fällt im Rahmen der "sektoralen Strukturpolitik" an: einzelne Wirtschaftszweige oder Unternehmen werden subventioniert. Dafür lassen sich die folgenden Begründungen anführen: -
Veränderungen der Nachfrage- und Wettbewerbsbedingungen können vorübergehend sein. Läßt sich etwa erkennen, daß die einheimische Kohle durch billiges Öl nur vorübergehend verdrängt wird, wäre es unverantwortlich, die Bergwerke stillzulegen.
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Sicherheitsinteressen können die Aufrechterhaltung eines international nicht mehr wettbewerbsfähigen Wirtschaftszweiges verlangen. Die Landwirtschaft ist ein Beispiel dafür; denn bei internationalen Krisen könnte die Lebensmitteleinfuhr unterbrochen werden.
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Die sozialen Kosten rascher Anpassung an veränderte Wettbewerbsbedingungen könnten zu hoch sein. So drohte 1974 als Folge zunehmender Konkurrenz aus Billiglohnländen einigen großen Textilproduzenten der Konkurs; Subventionen, die Zeit für Produkt- und Verfahrens innovationen lassen und hohe Arbeitslosigkeit in den betroffenen Gemeinden verhindern, lassen sich begründen.
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Manche Entwicklungen neuer Produkte und Verfahren sind so teuer und risikoreich, daß sie die Leistungsfähigkeit auch von Großunternehmen übersteigen: Kernkraft, Kohlehydrierung, Flugzeuge. Staatliche Subventionen, die mindestens teilweise allerdings rückzahlbar sein müssen, sind dann unvermeidlich.
Für unser Thema ist nun aufschlußreich, daß Wirtschaftswissenschaft und alle Bundesregierungen sich über diese Begründungen sektoraler Strukturpolitik stets einig waren. Seit 1966 ein Kabinettsausschuß "Grundsätze sektoraler Strukturpolitik" ausarbeitete, wurde Strukturpolitik stets als Wachstumsstützungspolitik verstanden. In der Praxis aber ließ sich diese Zielsetzung nicht verwirklichen. Sektorale Strukturpolitik ist vielmehr in erheblichem Maße, nach Urteil der meisten Kritiker sogar in überwiegendem Maße, reine Strukturerhaltungspolitik geworden. Die amtlichen Statistiken verschleiern das Ausmaß der Abweichung von den ursprünglichen Zielen. Nur ein Beispiel: 1980 wurden
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362 Mio. an Finanzhilfen für die Werftindustrie als Erhaltungssubventionen, 3·60 Mio. Finanzhilfen für den Bau von Handelsschiffen als Anpassungssubventionen ausgewiesen. Erhaltungssubventionen aber sind in den meisten Fällen ökonomisch nicht rational, stehen der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung im Wege und sind, wie gezeigt, nur in Fällen lediglich vorübergehender Schwierigkeiten oder unter Sicherheitsgesichtspunkten vertretbar. Die Ursache dieses Scheiterns des ursprünglichen Konzepts ist nur zu offensichtlich: Sowohl Kapitaleigner als auch Arbeitnehmer sind an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert: Die Kapitaleigner im Interesse optimaler Nutzung des investierten Kapitals, die Arbeitnehmer im Interesse der Sicherheit bestehender Arbeitsplätze. Dem gemeinsamen Druck von Kapital- und Arbeitnehmerinteressen können sich die Politiker und Beamten nicht entziehen. 3. Die Erfahrungen nach 1974: Wirtschaftspolitik in der Sackgasse
Während sich das Versagen der Stabilitätspolitik 1970-1974 und das Scheitern der ~trukturpolitik mit unseren Ausgangshypothesen gut erklären läßt, ist das Bild der staatlichen HaushaItspolitik nach 1974 keinesfalls so eindeutig von Spannungen zwischen ökonomischer Vernunft und politischer Entscheidungslogik geprägt. Für viele Politologen waren die Reaktionen der Wähler und auch der Gewerkschaften in der 1974 beginnenden Periode geringer realer Einkommenssteigerungen und hoher Arbeitslosigkeit eine Überraschung. Die oft prognostizierte Radikalisierung der Wähler blieb aus. Die jüngsten Erfolge der "Grünen" haben mit der Wirtschaftskrise, anders als die der NPD 1966, offenbar wenig zu tun; die Grünen verlangen den Ausstieg aus der Wachstumsgesellschaft, nicht hingegen eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Eine Ursache könnte darin liegen, daß die wirtschaftliche Entwicklung weniger der Bundesregierung als nicht beeinflußbaren weltwirtschaftlichen Faktoren zugeschrieben wurde. Hinzu kommt, daß die meisten Arbeitslosen nur kurze Zeit arbeitslos sind; 1979 war zum Beispiel fast die Hälfte der arbeitslos gemeldeten Männer weniger als 4 Wochen arbeitslos. Die mehrfach und dauerhaft von Arbeitslosigkeit Betroffenen aber sind die Älteren, sind gesundheitlich Beeinträchtigte, Frauen, Ausländer, also Personen, die politisch schwer organisierbar sind. Nach allen empirischen Untersuchungen tendieren sie eher zur Apathie als zum Radikalismus. Die noch relativ hohen Sozialleistungen, die die langfristig Arbeitslosen vor bitterer Not schützen, begünstigen diese Tendenz. Die Gewerkschaften wiederum stützen sich nach wie vor auf die "Kerngruppe" des Arbeitsmarktes: den Facharbeiter. Diese Kerngruppe war bisher von Arbeitslosigkeit wenig bedroht. Ihr Interesse besteht nach wie vor in der Sicherung,
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möglichst in der Steigerung des erreichten, im internationalen Vergleich sehr hohen Reallohnniveaus. Die Gewerkschaften gewannen daher Spielraum für eine Politik, die die sozialliberale Koalition lohnpolitisch und arbeitsmarktpolitisch wesentlich stützte: Sie begnügten sich mit relativ geringen Lohnsteigerungen, die zur Zeit noch nicht einmal ausreichen, um das Reallohnniveau zu sichern; sie forderten zwar unentwegt staatliche Beschäftigungsprogramme, nahmen aber dann doch immer wieder die vorsichtige staatliche Haushaltspolitik hin. Die politische Logik dahinter war klar erkennbar: eine harte gewerkschaftliche Lohnpolitik, ein Druck der Gewerkschaften auf einseitige Nachfrageorientierung der Konjunktur- und Wachstumspolitik hätte den Bruch der Regierungskoalition herbeiführen können. Vertreter der herrschenden Lehre, etwa die Mehrheit des Sachverständigenrates, könnte somit die These aufstellen: die FDP und die Rücksicht der Gewerkschaften auf den Bestand der Koalition schufen die politischen Voraussetzungen für eine rationale Wirtschaftspolitik in der Stagftationskrise nach 1974. Das Problem ist nur: Niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, welche Konzeption am besten geeignet war, Vollbeschäftigung und Stabilität wiederherzustellen, also das Prädikat "rational" verdiente. Die Ökonomen sind sich nicht einig. Die noch dominierende Richtung, repräsentiert durch die Mehrheit des Sachverständigenrates, tritt für den Vorrang angebotsorientierter Politik ein, ergänzt durch nachfragestützende Maßnahmen dann, wenn sich die Nachfrage als unzureichend erweisen sollte. Entsprechend lobt der Sachverständigenrat, die Bundesregierung für ihre "konsequente Stabilisierungspolitik" seit 1973. Sie habe der Versuchung widerstanden, durch massive Sonderprogramme zur Stützung der Nachfrage der Rezession 1974/75 entgegenzutreten. Sie habe eine Konsolidierung eingeleitet, sobald 1976 ein neuer Aufschwung in Sicht war, und die staatliche Kreditaufnahme drastisch reduziert. Sie habe die angebotspolitische Konzeption durch Innovationsförderung, Zuschüsse zur Gründung neuer Unternehmen, durch wachstumsfreundliche Änderungen des Steuerrechts berücksichtigt. Diese rationale Politik habe bis 1977 gedauert. Als dann eine neue Nachfrageschwäche auftrat, habe die Bundesregierung unter dem Druck von Interessengruppen und Wählern die Linie der Vernunft verlassen und die Staatsausgaben weit schneller ausgeweitet, als das Sozialprodukt gestiegen sei. So hätte die Staatsverschuldung ein gefährliches Maß erreicht, eine neue Konsolidierung sei notwendig. Das angesehene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sieht die Entwicklung anders. Die öffentlichen Haushalte hätten 1974, vor allem 1975, stark expansiv gewirkt und eine schwerere Krise verhüten helfen. Doch der expansive Kurs sei vorschnell aufgegeben wor-
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den. 1976 und 1977 hätten die öffentlichen Ausgaben unter dem Niveau gelegen, das zur Konjunkturanregung notwendig gewesen sei. Ab 1973 sei dann die Finanzpolitik wieder expansiv geworden; doch allenfalls 1979 seien die öffentlichen Ausgaben etwas zu hoch gewesen, vor allem sei damals die Baukonjunktur durch öffentliche Aufträge so angeheizt worden, daß die, als Folge zu restriktiver Finanzpolitik, vorher reduzierten Kapazitäten nicht ausreichten und Preissteigerungen eintraten. 1980 und 1981 sei trotz hoher Haushaltsdefizite ein eher restriktiver Effekt der Haushaltspolitik zu beobachten. Die Höhe der Staatsverschuldung sei ökonomisch noch unbedenklich, d. h. ein politisches, kein ökonomisches Problem; der oft behauptete Effekt, daß die Inanspruchnahme des Kreditmarktes durch den Staat die privaten Kreditnehmer verdränge, sei in der Bundesrepublik nicht zu beobachten. Auch diese Analyse setzt nicht auf einseitige Nachfrageorientierung oder gar expansive Lohnpolitik, aber sie ist von der Linie des Sachverständigenrates doch deutlich unterschieden. Was soll angesichts dieser Widersprüche zwischen wissenschaftlichen Analysen der Politiker tun? Da er keine eindeutigen Empfehlungen seiner wirtschaftswissenschaftlichen Berater mehr erhält, kann er auch nicht ante mit einiger Sicherheit sagen, welche Politik sachlich am besten wäre und gegen die Partikularinteressen durchgesetzt werden sollte. So wächst für ihn die Versuchung, dem jeweils kräftigsten Druck einer der vielen Sonderinteressen nachzugeben. Gibt er dieser Versuchung nach, so läuft er Gefahr, auch die letzte Erfolgschance zu verspielen. Denn gerade in der Wirtschaftspolitik ist ein langer Atem notwendig. Euckens Prinzip "Konstanz der Wirtschaftspolitik" gehört zu den wichtigsten Regeln, die der Politiker zu beachten hat. Läuft er den jeweils stärksten Partikularinteressen in dem für ihn maßgebenden politischen Kräftefeld nach und wechselt opportunistisch die Konzeptionen und Rezepte, so richtet er mehr Schaden an als Nutzen. Den Unternehmen fehlt dann jede Planungssicherheit; also riskieren sie nichts und beschränken sich darauf, vom Staat angebotene Vergünstigungen mitzunehmen. Immerhin: Bisher ist es der Politik in der Bundesrepublik gelungen, dieser Gefahr einigermaßen auszuweichen. Sie hat einen Mittelweg zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung, einen Mittelweg auch zwischen unvermeidbar hoher und nicht mehr vertretbar hoher Staatsverschuldung eingehalten. Dieser Mittelweg könnte sich auch als die beste zur Zeit erreichbare Lösung erweisen. Wie lange er noch durchzuhalten ist, hängt auch davon 'ab, ob die Gewerkschaften ihn weiterhin akzeptieren. Einer CDU-Regierung dürften sie weniger Nachsicht entgegenbringen als der sozialliberalen Koalition. 3 Festschrift für H. U. Scupin
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Gerade in dieser Situation großer Unsicherheit ist es nützlich, die Empfehlungen herauszustellen, über die alle Sachkenner einig sind und zu fragen, ob sie im gegenwärtigen Bedingungsrahmen realisierbar scheinen. So umstritten die Höhe der Staatsausgaben und damit auch der Staatsverschuldung sein mag, in einem Punkte besteht Konsens: Die Zusammensetzung der Staatsausgaben ist unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten ungünstig. Öffentliche Investitionen, etwa Bauaufträge, sind um ein Vielfaches beschäftigungswirksamer als Transferzahlungen, etwa Sozialleistungen. Die öffentlichen Investitionen waren aber in der gesamten Periode nach 1974, vor allem auch nach 1978 relativ niedrig, die Transferleistungen und natürlich erst recht die Personalkosten im Öffentlichen Dienst hingegen hoch. Die Folgerung ist eindeutig: mehr öffentliche Investitionen - Stadtsanierung, Umweltschutz, Nahverkehr böten wohlbegründete Möglichkeiten - hingegen mehr Zurückhaltung bei den Sozialleistungen und bei den Lohn- und Gehaltserhöhungen im Öffentlichen Dienst. In einer ernsten Beschäftigungskrise wie heute scheint das sogar durchsetzbar zu sein. Mit dem Problem der öffentlichen Investitionen hängt die Koordinierung der Ausgabenpolitik zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zusammen. Zwei Drittel der öffentlichen Investitionen werden von den Gemeinden vorgenommen. Die Steuereinnahmen der Gemeinden schwanken mit der Konjunktur; um antizyklisch investieren zu können, müßten sie entweder antizyklische Zuschüsse von Bund und Ländern erhalten und/oder Kredite aufnehmen. Die Zuschüsse von Bund und Ländern reichten aber nicht aus, um ein antizyklisches Investitionsverhalten der Gemeinden zu ermöglichen. Die Kreditaufnahme wiederum ist in vielen Ländsern durch haushaltsrechtliche Vorschriften mit konjunkturell schwankenden Steuer- und Gebühreneinnahmen gekoppelt und für antizyklische Politik daher prinzipiell unbrauchbar. Hier wäre noch Spielraum für rechtlich-institutionelle Änderungen. Von größter Bedeutung ist die Frage, wie die Wirksamkeit staatlicher Beschäftigungsprogramme erhöht werden kann. Die zahlreichen Programme der letzten Jahre sind zwar keineswegs unwirksam gewesen; es läßt sich jedoch nicht leugnen, daß sie meist "Strohfeuereffekte" hatten und nicht ausreichten, eine dauerhafte Erholung einzuleiten. Die Unternehmen brauchen offenbar längerfristige Perspektiven, bei auf ein bis zwei Jahre befristeten Programmen überwiegend oft die Mitnehmereffekte. Besser als viele kurzfristige wären somit wenige langfristige Programme. In der Energieversorgung, im Verkehr und im Umweltschutz böten sich entsprechende Möglichkeiten. Voraussetzung dafür wären verbindliche Planungen, die zur Zeit nicht zuletzt wegen der Sorge vor Bürgerinitiativen unterbleiben.
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In der Bundesrepublik wie auch in den anderen Mitgliedstaaten der EG zeigte sich nach 1974 besonders deutlich ein Konflikt zwischen den Geboten ökonomischer Rationalität und politischer Entscheidungslogik, der unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen unlösbar scheint: Die ökonomische Rationalität verlangt unabweisbar die Koordinierung der Wirtschaftspolitik wenigstens der wichtigsten demokratischen Industrieländer. Seit dem Ausbruch der Krise 1974 wird diese Koordinierung aber immer schwieriger, weil kurzsichtige und kurzfristig kalkulierte politische Interessen in den einzelnen Staaten die Anpassungszwänge scheuen, die sich bei internationaler Koordinierung ergeben würden. Das beginnt bei ökonomisch langfristig unvernünftigen Erhaltungssubventionen für die eigene Stahlindustrie, reicht über administrative Behinderungen des Handels zwischen den EG-Mitgliedern bis zu dem amerikanischen Versuch, die eigenen Probleme durch eine Mischung von Steuererleichterungen und Hochzinspolitik zu lösen - was die Bundesrepublik zu einer marktwidrigen und konjunkturwidrigen Hochzinspolitik zwingt. Wenn irgendeine Folgerung aus den Erfahrungen der letzten Jahre gezogen werden kann, so diese: auf einzelstaatlicher Ebene sind die Beschäftigungsprobleme nicht zu lösen; internationale Koordinierung ist notwendig. Da die USA schon wegen ihrer Größe und ihrer geringeren Außenhandelsabhängigkeit in einer anderen Interessenlage sind als die Europäer, drängt sich als zwingende Konsequenz die Wiederaufnahme der europäischen Intergration auf. Auf der Ebene eines mittelgroßen europäischen Landes wie der Bundesrepublik ist Wiedergewinnung wirtschaftspolitischer Handlungsfähigkeit nicht möglich.
v. Schlußfolgerungen Unsere Ausgangshypothesen müssen somit etwas korrigiert und ergänzt werden. Der Bedingungsrahmen für eine rationale Wirtschaftspolitik war gerade in den Krisenjahren nach 1974 offenbar etwas günstiger, als es nach den pessimistisrl1en Erwartungen vieler Vertreter der politischen Ökonomie und der Politikwissenschaft erwartet wurde. Die gewerkschaftliche Lohnpolitik erwies sich als maßvoll; die Regierung konnte einen Mittelweg zwischen angebotsorientierter und nachfrageorientierter Politik steuern, der keine der großen Gruppen zufriedenstellt, aber sachlich eher begründbar war als alle möglichen Alternativen. In der seit 1981 jedem deutlichen massiven Beschäftigungskrise waren sogar Einschränkungen staatlicher Gratifaktionen an mächtige, bisher stets ungeschorene Gruppen durchsetzbar: der Öffentliche Dienst mußte Federn lassen. Dabei sind allerdings die besonderen politischen Bedingungen zu berücksichtigen, die der Regierung das Handeln erleichterten: die Entschlossenheit der Gewerkschaften, die
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sozialliberale Koalition zu stützen, und auch die Möglichkeit, innerhalb des Regierungslagers den jeweils schwarzen Peter dem Koalitionspartner zuzuschieben: der FDP, wenn bei den Wählern der SPD Unpopuläres durchgesetzt werden mußte, und umgekehrt. Wie kann es weitergehen? Fritz Scharpf, einer der bekanntesten sozialdemokratischen Politikberater, setzt angesichts der Erfahrungen der Jahre seit 1969 auf seine spezielle Konzeption des "Korporatismus": Die wirtschaftspolitischen Probleme könnten nur durch enge Zusammenarbeit zwischen Staat, Gewerkschaften und Großunternehmen gelöst werden. Da der Staat sowieso schon an den meisten Investitionen teilhabe, sei die Systematisierung des Subventionssystems unabwendbar. Im Klartext heiße das: Investitionslenkung durch Verbote und systematische Anreize, Arbeitskräftelenkung, Forschungsplanung, das alles in institutionalisierter Kooperation von Staat, Unternehmen, Gewerkschaften. Nur durch diese Kooperation sei die lohn- und einkommenspolitische Absicherung der Stabilitäts- und Wachstumspolitik zu erreichen, nur durch diese Kooperation sei auch der soziale Friede zu sichern. Also: Ausbau der Mitbestimmung, von Unternehmen, Staat und Gewerkschaften paritätisch besetzte Wirtschaftsräte. Für mich ist das eine politökonomische Horrorvision. Wettbewerb würde endgültig ruiniert; denn in der Kooperation Staat-UnternehmenGewerkschaften wäre eine faktische Kartellierung der Branchen nicht zu vermeiden. Mobilität von Arbeit und Kapital würde weiter reduziert; denn Unternehmen und Gewerkschaften könnten noch weit hemmungsloser als bisher dem Staat die Kosten für unterlassene Anpassung auferlegen. Eine vorübergehend vielleicht größere Sicherheit von Arbeitsplätzen und investiertem Kapital würde mit sinkender Effizienz, geringer Arbeitsproduktivität und VOr allem weiter nachlassender Innovationsfähigkeit bezahlt. Der Filz zwischen politischen und gewerkschaftlichen Mandatsträgern sowie Unternehmen würde dichter. Marxistisch gesprochen: Die politischen Machthaber hätten endlich das, was ihre Macht stabilisiert: eine ökonomische Basis. Bis zum Monopol der Karrierechancen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft bei den jeweiligen politischen Machthabern, bis zur Manipulation der öffentlichen Meinung durch von den Machthabern abhängigen Medien und ZUr Ausschaltung der Opposition wäre es nicht mehr weit. Die Alternative heißt mehr Wettbewerb in Wirtschaft und Politik, Beschränkung des Staates auf das, was er tun muß und auch tun kann: Ordnungspolitik, langfristig konzipierte, stetige Wachstumspolitik, Garantie eines Mindestmaßes an sozialer Sicherheit für jeden unter Verzicht auf Übernahme aller materiellen Lebensrisiken. Doch diese liberale Alternative ist heute sr:hwer durchsetzbar. Sie verlangt nicht nur
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den Verzicht auf manche Versprechung des Wohlfahrtsstaates - diese Korrektur überzogener Erwartungen ist in der Einstellung der Bürger zum Staat bereits sichtbar. Sie verlangt, daß dem Zugriff der Parteien auf das Patronagepotential der öffentlichen Verwaltung Grenzen gezogen werden; denn sonst wird im erwünschten Konkurrenzparteiensystem die Versuchung der Politiker, die Staatsleistungen auszudehnen, übermächtig bleiben. Sie verlangt vor allem, daß das zu kleine, schon daher nicht mehr funktionsfähige politisch-ökonomische System Bundesrepublik durch Koordinierung der Wirtschaftspolitik mindestens auf EG-Ebene gestützt wird.
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7,5
2,5
-4,2
9
Leistungsbilanz ..............
Finanzierungssaldo der öffentlichen Haushalte .....
Konjunktureller Impuls der öffentlichen Haushalte .....
Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in ,% des Produktionswertes ................ 8,4
9,8
-8,3
3,5
149
3,4
6,0
1970
QueUe: Jahresgutachten des Sachverständigenrates.
179
2,5
8,2
.......
Arbeitslosigkeit (1 000)
Verbraucherpreise
Wachstumsrate des realen Bruttosozialproduktes
1969
3,3
12,4
273
6,9
5,5 246
4,9
1973
3,7
1972
26,6
583
7,0
0,5
1974
8
16,1
7,3
7,8
6,5
1,8
6,2
12,0
5,6
36
5,8
16,5
6,1
2,5
6,1
16,7
6,1
31,1
5,5
43,5
-54,1
-16,6
-29,5 -11,0 18,4
9,5
9,9
9,9
1256
889
876
993
1030
1060
1074
5,1
47,9
-72,5
5,9
5,5
4,1
2,7
3,7
4,3
6,0
1,8
4,4
2,8
3,6
-0,5
I 1976 I 1977 I 1978 I 1979 I 1980 I 1981 5,3
-1,8
1975
-15,6 -14,6 -11,0 -18,4 -57,0 -41,2 -25,5 -32,2 -39,7
3,1
185
5,3
3,2
1971
Daten zur Wirtschaftslage und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1969 - 1981
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The Role of the Image of Man in International Relations By Bart Landheer, Wassenaar At first mention, one would be inclined to think that the image of Man would not differ greatly in various socia! systems. However, at second thought one would quickly realize that, on the contrary, there are very significant differences between the images of Man, as weIl in the contemporary worldsystem as in various historical periods. The reasons for these divergencies are manifold: situation, identity, military and economic capability, etc. These various factors give rise to an image of self in which reality, expectations and role-projections are interwoven into a pattern of eonseiousness which does not eorrespond to reality although also the latter term must be handled with eare. It is amazing that the image of Man is based upon different assumptions of the nature of Man hirns elf and of his relations to Nature. These interpretations of Man are not the result of philosophie or abstract thinking but the result of the evolutionary phase in which a given society finds itself and of its situation and social structure.
This explains, at least to some extent, the startling variety in the number of images of Man which have played an important role in the history of Mankind. The images of Man are, as it were, the banners behind which social groups gather and which express their identity and their ambitions. For this reason it is evident that they ean be highly antagonistie and mutuaIlY almost exclusive, although in asense, this is obviously a philosophie impossibility. This impossibility is, however, no hindranee to the self-assertion of these images which is neither impeded by the diffieulty that aglobai system requires at least a minimal agreement on what Man really iso However, we live not in aperiod of philosophie refleetions but perhaps such refleetion eould be one of the useful starting points to arrive ~t better global eoordination,
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Bart Landheer
It is perhaps a minimal starting point to bring forward that Man belongs to the same species as this raises immediately the question of how it is possible that there is such a wide divergence in his thinking.
Man generally does not see hirnself in biological terms but as a social or aspiritual being. This makes hirn into a social animal but stillleaves open the question of his transcendental attributes. It is an intriguing phenomenon that his three basic attributes-the transcendental, the mental and the physical-have in turn been given priority in the development of the thinking of the Western world.
The religious image of Man was dominant in the Middle Ages; his mental attributes found expression in the period of rationalism while it was reserved to our present society to view Man as a physical being with no other concerns than to take care of his physical wen-being. In other parts of the world we find more of a co-existence of these various images which has perhaps been a factor in their more static character. The West has been dynamic because it could not arrive at a natural equilibrium between these basic attributes. However, this complexity makes the question of the so ci al role of the image of Man all the more difficult as we must guard against giving a subconscious preference to one of the prevailing images. There is also the danger that we operate with an image without being aware of its implications as we may attribute certain motivations to Man which are the condition of a specific social system and not of human nature as such. To protect oneself agairrst all these pitfalls, it is essential to begin an analysis of the role of the image of Man with an attempt to arrive at a holistic approach which seeks to determine the function of Man's basic attributes. Strangely enough, this seems to give a priority to Man's physical being as we can relate his other attributes to his physical being but not vice versa. Man simply exists: to state a fundamental fact in simple terms. Man has never been able to leave this fact unexplained but he has also never succeeded in explaining it. Perhaps it is the fate of our times to base our existence upon the unexplainable. But there is no continuation to this analysis if we do not attempt to arrive at a holistic concept which is at least admissible as a hypothesis. This is perhaps possible if we consider his basic attributes in terms of their social function as, at least, the existence of Man as a groupanimal is an empirie al observation.
The Role of the Image of Man in International Relations
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In that context the transcendental sector of human consciousnessMan's most complex reaction, can be seen as a projection of the future which occurs in many different forms: religious, ideological, futurethinking, innovation patterns, etc. Rational thinking has been the instrument by which Man gained increased control over the natural and social environment while the sector of physical impulses and desires forms the basis of modern industrial society. Reduced to simple terms this means that Man is equipped with three reaction patterns: transcendental or longterm; rational as the tool with which more complex societies are buHt and physical as the basic motivation of all social systems but in the form of a more directly conscious motivation in modern society. In Plato's myth in "The Republic", these attributes are metaphorically presented as "gold", "silver" and "bronce", indicating that these basic reaction-patterns consist of various forms of energy. Modern thinking would add that these energy-forms interact within a structural pattern while there is also constant interaction with the natural and social environment. This would make Man a very complex energy-structure various aspects of which are presented in his image of self although a complete image of self may never be possible as the awareness of our own energystructure seems to be limited by the reactions to situations which are largely determined by nature and not by Man himself. By these observations it has perhaps become possible to classify the different images of Man in a more satisfactory mann er. Different categories of the image of Man We have distinguished three categories of the image of Man: transcendental, rational and physical-anthropological. If they are considered in relation to the time-factor, the transcendental image can be regarded as long-term. It dominates in the early stages of a civilisation. In a more general sense, the transcendental re action can be linked to the evolutionary process of which it can be seen as a function. Herbert Spencer defined evolution as the integration of matter and the dissipation of motion. In other words: highly complex forms of energy are transformed into more concrete forms. Like in any process of growth, the more complex form of energy is at the beginning; the later stages of evolution bring the more manifest and concrete forms of energy which the popular mind designates as progress. However, in reality, the seed precedes the oak.
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The rational image of Man belongs to the period of concretisation of the evolutionary process. It constitutes a onesided image of Man which is partially responsible for the contemporary crisis of our society. While it has been largely corrected in our thinking about the individual by sciences like psychology, sociology, etc., it still plays a considerable role in our thinking about society, particularly about worldsociety as such. There is a noticeable lag in our thinking: innovation takes first place in the realm of the individual but it often takes a very long time before it penetrates the more complex structures of society which very often cling for a long time to conventional forms of thinking. In the Western world the rational image of Man began its long development with the emergence of the exact sciences at the end of the Middle Ages. It penetrated very slowly into the thinking ab out law and society. It is highly instructive to consider the time which elapsed between the beginnings of the exact sciences and the late triumph of positivistic internationallaw in the nineteenth century. Also in economics we find a cleavage between more universalistic ways of thinking and the positivistic trends of progress-thinking. However, in the case of economic thinking there was a very marked influence of class-thinking, not altogether surprising if one considers that the economy forms the basis of all social systems. The final triumph of the rational image of Man, but also the beginning of its global decline came with the assumption that rational thinking must also be empirieal, a non-essential conclusion which in reality meant an effort to preserve the existing form of society as the most rational one. The image of "economic Man" is only partially rational as the structure of impulses and economic wants can be termed perhaps a vitalistic but not a rational whole. As thinking penetrates the more complex social structures, it becomes more linked to power and it often looses its more general human appeal. Rational thinking never had the same human impact as the transcendental forms of thinking in terms of religious and ethical thinking. Not without reason was economics at one stage designated as "the dismal science" . However, it is not the intention to belittle the significance of rational thinking. As social structures become more complex, the role of rational thinking and rational attitudes increase but, on the other hand, it is wen to remember that the rational image of Man has very severe and essentiallimitations.
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It is also of significance to remember that vested interests tend to strengthen rational images as social motion may lead to projections of the future that can furnish a rallying point for ambitions but they are less amenable to rational guidance.
The economic images which play such a large part in modern society are partially rationalistic but partially "vitalistic" as they furnish a response to impulses and need-fulfillment. They were perhaps more rational in the case of middlec1ass images which frequently combined ethical and materialistic values than the socialist images which represented a more purely materialistic outlook. It is amazing that these economic images became "horizontalized" in the worldsystem by forming the basis of the self-images of the contemporary superpowers. "Natura non facit saltus" makes us realize that social progress is generally presented in images which project the situation of a social system that seems attainable in terms of social distance. For this reason global images often appear as unrealistic because they lack the element of an attainable social distance. This also partially explains why global images have changed from political legal ones to economic images which try to project aglobaI industrial system but not upon the basis of a more natural image of Man. This can also be said of the vitalistic images of Man which do not rest upon a basis which can be trans la ted into constructive social policies. As the prevailing images of Man project group-interests, it is quite logical that they are further apart as groups become more antagonistic. A typical example is the concept of "co-existence" which was a symbol of detente but it practically disappeared with the present situation of renewed tension. The fact that the ideology of the modern industrial society and that of communism arose within the structure of European society and was, to someextent, moderated by the structure of that society hardly plays a role in the present power-bloc antagonism although it could furnish some alleviating concepts. The conc1usion that human thinking often expresses social situations more than it forms them should lead to more stocktaking and analyses of the factors which create our mental patterns. The logic of a given viewpoint is often not more than the logic of a given situation. History seems to require considerable periods to bring forth more balanced mental patterns and perhaps experience should often be given
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more value than power. In fact, power has a tendency to distort the self-image of a social group and cultural values are able to correct this tendency to a certain extent and over prolonged periods. As social processes are cumulative, distortions in the image of Man tend to worsen unless they are corrected by transcendental and cultural factors. Transcendental and cultural factors constitute a long term projection which almost automatically leads to a humanisation of our thinking. As modern society lacks this longterm dimension, it is in danger of limiting itself the period of its existence. The conclusion is simple as weIl as logical: only a more complete image of Man, taking into account his transcendental, mental and vitalistic attributes, can create the mentality which is needed for a reasonable und integrated worldsystem. A worldsystem must show a certain cohesion, and a more integrated image of Man could be most helpful in overcoming the antagonism which now remain unsurmountable. There can be no fruitful discussion without a common basic motivation which can be found in our common human quality which seems as undeniable as light and darkness.
The image of Man in the worldsystem In the development of the modern worldsystem the rationalist image of Man has played a very significant role. The modern state is founded upon the ideas of sovereignty and equality and this meant that it was assumed that rational conduct of the governments of the states would lead to a reasonable functioning of the worldsystem. Several corrections in relation to the vastly differing power of nation-states proved necessary but this did not cause any basic change in the prevaling conceptual scheme. Perhaps it must be considered significant that a certain degree of economic development was gradually recognised as essential in order to reach a certain realism in the concept of state-equality. It is interesting to observe how ideas acquire a certain general acceptance but this general acceptance changes them often into formalized concepts of which the real significance becomes secondary. This is all the more true if the ideas in question function in a superstructure of which the role is largely symbolic. The image stabilizes itself, and it is no longer questioned in regard to its real and original meaning.
This process occurred in the Western world in the period from the second half of the nineteenth century up to the present time. When positivistic international law became dominant and natural law lost most of its significance, the motivation for preserving the dominant
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form of the nation-state beeame evident. It was assumed that in the proeess of evolution astate had been reached which needed only further perfection but not any basic alteration and which could be applied to the emerging world-strueture in all parts of the world. It needed only organizationand this idea of the organised instead of the "grown" society, was at the root of the international organizations which attempted to ereate a state-like strueture upon aglobaI seale. The state instead of having a largely ordering funetion aequired the task of guidance of an assumed evolutionary proeess toward a unified worldsystem. This trend was undoubtedly to a large degree inspired by the developments within the Western nation-states. The idea that evolution was already reaching the state of an integrated global system was far more a politieal than a seientific theory. The theory of evolution which beeame dominant toward the end of the nineteenth eentury branched off in two direetions. On the one hand, it developed scientifieally in the exaet as weIl as in the social sciences, while-on the other hand, it aequired more popular forms in the theories of progress which motivated politieal theories of the more progressive type, running from liberalism to socialism and eommunism. The philosophie theory of evolution as developed by Herbert Spencer saw evolution as a proeess of differentiation followed by integration: the emergence of larger social systems based upon an increasingly eomplex division of social labor. In this perspective the idea of equality was the social and purposive human eorreetion of the natural proeess toward greater differentiation. The natural and the human world drew further apart; a proeess which still divides our eontemporary society to a eonsiderable degree. The idea that human volition is the dominant factor in the shaping of society has eaused the assumption of "perfeetion-within-our-reach" which underlies the propagandistic thinking which plays such a tremendous role in our modern so ci al systems quite apart from the fact on which side of the ideological divide they find themselves. It is a highly polarised situation. On the one hand, we are inclined to project ourselves as apart of nature; on the other, we cling to our concept of rationality which finds no confirmation in nature. Thus we have become part of a statistieal formula which must be counted as belonging to the "unknowable". The signposts of the past have become illegible and no new ones are visible on our path.
The possibility of a worldsystem has beeome an existential problem: ean more than 4000 million people form a reasonably funetioning social system?
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It is no use to cast away the tools of the past as long as new ones are not available. We must ask ourselves in what situation we find ourselves at present, and-in order to stick to the topic of this article, what changes in the concept of Man might be socially constructive.
The transcendental image of Man has gained more influence in various parts of the world. This is not surprising if it is related to its emotional roots, and its, perhaps largely symbolic expression of expectations for peace and social harmony. Mankind cannot live without such projections which express the existential situation of millions of people who have little understanding for rationalistic formulas which are not "real" in terms of their situation. It should also not be overlooked that Man always brings his basic attributes into play, and that is one of the fundamental weaknesses of the rationalistic projections.
As the transcendental image has a strong emotional foundation, it can easily become the carrier of more limited national and regional goals which undermine the realisation of a more rational type of worldsystem. If we take into account, however, the conflict between "nature and nurture", it is fundamental to be aware of the fact that only an image which corresponds to the basic emotions and expectations of Mankind can play a significant role in the emergence of an acceptable and reasonably acceptable worldsystem. The rational images alone have proved to be insufficient although they are undoubtedly very much needed to create continuity and stability.
The situation is confusing because rational images are needed; yet, they are insufficient. Perhaps we must go deeper into the interior problems of Western society which have undergone and are still witnessing the problems created by overly rational and optimistic projections of human nature and of human society. Many of the corrective processes have not fully er.tered into our awareness. Originally rationality was the outer projection of the attribute of "reason" which was also a moral concept: the capacity to take the interests of "the others" into ac count. We see it perhaps too much as the tool which led to greater dominance over nature and Man but this is the image of reason as it was transmitted from the natural to the social sciences, unaware perhaps of its origins in philosophy and metaphysics.
In metaphysical as weIl as in rational thinking evolution was seen as the realisation of a moral, not a natural purpose. This is a great
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problem for us moderns because we no longer contribute moral purposes to natural processes. Relating Man to nature has become our foremost problem which requires a rethinking of the human situation. We must try to project ourselves in terms of social continuity and stability in which traditional forms of thinking and of political and economic power are no longer functional. It is popular nowadays to say that what we need is "functionalism" but it is not easy to say what this functional image of Man consists of.
An attitude or an object is functional in relation to a certain value but these values have become difficult to determine because they become so largely verbal. They often relate verbally to a worldsystem while in reality they represent the interests of a more limited group. Rationalism has encouraged the "partial" approach to problems because motivation as well as long term perspectives, either secular or transcendental, are absent. This difficulty is a grave one as we are not aware of our incompleteness. Philosophically this unawareness can perhaps be partially contributed to the entrenched belief that the rational image of the world and reality are one and the same thing. We know that this is impossible because life is a motion, and the images in our consciousness are subject to the motion outside us as weH as to the motion within our own consciousness. The success of the rational approach in modern science has made us overlook this fundamental truth. It cannot be re-established because deeply ingrained habits of thought me an a concretisation of our consciousness which seems unable to come to a more holistic approach. The pessimistic conc1usion would be that a shock is needed to bring ab out a change in the structure of our consciousness. However, enlightenment may perhaps play a comparable role if the problem is universally recognised. This may be the case as our present world shows an increasing reluctance to take excessive risks.
In the image of Man the rational dimension should be replaced by a social one. We need solidarity more than an increase in technical power. This implies that functionality means that any attitude or object should be considered as a relation to "the others". The others should then mean Mankind as a whole instead of specific groups. Such an attitude has been long prepared by religion, ideology, ethics and law but it has never penetrated into the forms of daily living. The
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crisis of the modern economic system may help to bring about this transition because it shows clearly that a different social system is under way although it has found no clear conscious formulation until now. A more holistic image of Man has come to the surface in so far that the existential and economic images have become interwoven although a clearly formulated longterm aspect is missing. The longterm image is needed to overcome the static tendencies of contemporary thinking which stresses change, but not upon the basis of a holistic philosophy. General terms have often very little concrete meaning but they may help to set concrete trains of thought into motion. A different perspective on the existing situation is more important than radical changes in the situation itself. Our socia! cohesion is often too forced, too radical and not sufficiently rooted in the emotional sector of our being. In history an overly materialistic and power-conscious attitude leads almost automatically to a renewal in thinking, and, as a result, to social innovation. Our task in this period seems to lie in the necessity to develop social techniques in order to achieve an economic balance upon a lower level of mass-production but of increased social integration. We have no experience in these techniques as we have only become accustomed to integrate upward economic movements into our social systems. The success of these upward movements was generally attributed to rational methods but it is abundantly clear that the adjustment to a predominantly socially oriented society can not be achieved by purely rational techniques and rational forms of thinking. Necessity may create the methods needed for this innovation which may come sooner out of "trial and error"-techniques than out of preconceived blueprints. It is also a type of innovation which is linked to specific social groups with specific skills or forms of educations. It is a generally human problem for which anybody may become a social innovator.
In asense, this is the meaning of the needed innovation: holistic Man must achieve total participation in society. So far we have participated in society up to a certain point of our being. It was a partial participation with "private life" as the necessary compensation. In other words, we were dualistic because society was dualistic. It is obviously a question of more or less because no society can engage Man completely. There is a large subconscious part of our lives
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of which every cultural system activates only a certain percentage. It is logical that a pluralistic system will aetivate Man more completely than a linear system wh ich is too exclusively direeted at certain forms of power. It must be stressed again that the evolutionary proeess is vertical as wen as horizontal but over long periods the horizontal dimension dominates as is evident from the quantitative inerease of Mankind. More and more people have to live within highly integrated sodal systems. Consequently, the horizontal dimension is dominant in the evolutionary proeess. The tendency towards increased societalisation is unmistakable, and the resistance against it proves mostly futile. This trend makes also law into system of increased coneretisation with the need for certain principles of equity or natural law in order to prevent over-stabilisation.
Population inerease is a strong motive for sodal innovation but it is a logical eonclusion that a more stabilised worldsystem will cause a stabilisation of this increase although the sodal mechanism ean also work into the opposite direction. Perhaps the most diffieult task is to find a meaningful compromise between the trends of natural evolution and purposive human guidance. We possess insuffident knowledge of this relationship as the more recent periods of Western history have possibly shown an over-estimation of purposive guidanee, and this has led to an unbalance in our patterns of eonseiousness. We must unlearn in order to learn. This is a task that many of the younger generation would welcome with enthousiasm. Conclusions To many it may be a startling idea that the image of Man can be a divisive concept instead of one that forms a bridge between conflicting ideologies and philosophies. The earth has become so sm all and we are so proud of our technologie al achievements and the perfeetion of our communication system that it seems unreal that the concept of Man is not a simple and universal one. We can also reverse the problem and say: "How is it possible to have a worldsystem if we cannot agree upon the nature of its inhabitants?" Undoubtedly there is at the moment a certain amount of erosion, and very few people really believe in the verbal patterns that have become 4 Festschrift für H. U. Seupln
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an almost automatie re action to eertain situations and problems. These verbal patterns are often status defenses that we use in the mann er that seems preseribed in a given situation. In reality, we have beeome rather pragmatie and tend to see the human being as an animal who derives his attitudes from a mixture of eonseious and subeonseious reaetion. His rationality beeomes then the outer form of his behavior in which the subeonscious eomponent is the dominant faetor. This poses a great problem for legal thinking, and perhaps we must return to the natural law thinker of the seventeenth eentury in order to find a eoneept of Man that avoids the perplexity of rational thinking which has lost its nimbus of c1arity. We tend to say: "We must eonsider the human aspeets of this or that situation", although we know at the same time that this abandons the assumed rationality of every given situation. The image of Man in all his eomplexity is hard to handle; yet, we need this approach in the eomplexity of our given situation. It is this eomplexity which gives the social dimension priority over the power dimension which tends to give simplistie answers to eomplex questions.
In a eomplex situation it ean be more eonstruetive to ask the relevant questions which may ans wer themselves. Such an approach might be the right one in regard to the problem of the image of Man. We don't want a highly eomplex and artificial eonstruction, nor do we want a sentimental response. It might be more useful to ask the question and to hope that the illogie of the given situation will have a eorreeting influenee on our thinking. If we ean pieree the defense mechanisms of our word-strueture, pragmatie thinking may be the only solution which is left, but it might be the solution which is logieal in terms of the evolutionary proeess, as our existenee is a motion.
Motion and stability are not eontradietory beeause they are both aspeets of the changing dynamism of the evolutionary proeess. If we are in the transition period from adynamie phase to a more stable one-and this would be the logieal eonsequenee from the change of eompeting powerbloes to an integrated worldsystem. This integrated worldsystem looms large in our thinking and in the imagery of our projeetions but it needs perhaps a more sober, a more human vision to beeome a reality. Complexity drowns out the visions that are most needed.
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The naturallaw thinkers saw nature as a structured whole, an entity which manifested itself in complementarity. Society was conceived as structured: this structure was given by nature but could be corrected by Man by tolerance, understanding, corrections of excessive inequality in power, possession, education, ·etc. We have reversed this view and believe that we deal with purely human constructions. Perhaps the more modest view has more meaning for our present situation and for the future.
Wandlungen des sowjetkommunistischen Einparteistaates Von Boris Meissner, Köln I. Der historische Ursprung und die besondere Eigenart des sowjetkommunistischen Einparteistaates Die tiefgehenden Veränderungen, denen die Staatenwelt im 20. Jahrhundert unterworfen wurde, sind in entscheidendem Maße durch die Einflüsse bedingt worden, die vom Modellcharakter der Staats- und Gesellschaftsordnung der Sowjetunion und ihrer weltpolitischen Machtstellung ausgegangen sind. Die Sowjetunion ist dabei in ihrer heutigen Gestalt als das Ergebnis von zwei sozialen Revolutionen anzusehen. Die eine bildete die Große Russische Revolution, die nach dem Auftakt von 1905 über die Februarrevolution in die Oktoberrevolution von 1917, die in erster Linie ein Werk Lenins war, einmündete. Die zweite stellte Stalins "Revolution von oben" ab 1928/29 dar, die eine noch größere Tiefenwirkung aufwies. Bei dem Staat, der aus der Oktoberrevolution und dem anschließenden Bürgerkrieg zwischen Rot und Weiß hervorging, war von vornherein die äußere von der inneren Staatsform zu unterscheiden, was nicht immer hinreichend beachtet worden ist. Die äußere Staatsform bildet das System der Sowjets, der Räte, das im Verlauf des Bürgerkrieges mit einer föderativen Ordnung auf der Grundlage des Nationalitätenprinzips verbunden wurde. Die Sowjets sind als Arbeiter- und Soldatenräte zuerst in der Revolution von 1905 spontan entstanden. Nach der Februarrevolution von 1917 traten Räte der Bauern und teilweise auch der Intelligenz hinzu. Sie waren im Grunde genommen nichts anderes wie mit lokalen Befugnissen ausgestattete Standesvertretungen, die von den Zielsetzungen der in ihnen vertretenen verschiedenen sozialistischen Parteien bestimmt wurden. Die bolschewistische Partei, die sich erst 1912 als der radikale Flügel der russischen Sozialdemokratie organisatorisch verselbständigt hatte, bildete nur eine unter vielen politischen Gruppierungen. Sie unterschied sich zunächst nur wenig von den anderen sozialistischen Parteien, die hauptsächlich im Untergrund tätig waren. Sie wies nur aufgrund der
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Parteilehre Lenins einen höheren Grad von Disziplin und eine größere Geschlossenheit auf. Dies machte sie fähiger, in einer gesamtnationalen Krise, wie sie durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges in Rußland herbeigeführt wurde, die revolutionären Möglichkeiten im Kampf um die Macht besser zu nutzen. Die politische Tätigkeit der Sowjets erfolgte nach der Februarrevolution parallel zu derjenigen der bestehenden Staatsorgane. Sie bildeten sehr bald einige zentrale Organe in Gestalt des Allrussischen Sowjetkongresses und des Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees, der neben dem Petersburger Sowjet als der zweite Träger der revolutionären "Doppelherrschaft" an die Seite der bürgerlichen Provisorischen Regierung trat. Die für die spätere sowjetische Staatsordnung charakteristischen Institutionen bestanden somit bereits vor der Oktoberrevolution. Die Herausbildung eines Sowjetstaates mit einem sozialistischen Mehrparteiensystem wäre durchaus eine mögliche Alternative nicht nur zum parlamentarischen System, das mit der Konstituierenden Versammlung angestrebt wurde, sondern auch zu dem diktatorischen System, das sich nach der Oktoberrevolution herausbildete, gewesen. Erst mit ihr trat eine grundlegende Änderung in der Verfassungslage ein. Die gemäßigten ~ozialistischen Parteien, die rechten Sozialrevolutionäre, die bei den Wahlen zu der Konstituierenden Versammlung die absolute Mehrheit gewannen, und die Menschewisten, der gemäßigtere Flügel der Sozialdemokratie, schieden unter Protest gegen den von den Bolschewisten ausgelösten Aufstand aus dem Sowjetkongreß aus. Im Sommer 1918 folgten die linken Sozialrevolutionäre, die mit den Bolschewisten zunächst eine Koalitionsregierung eingegangen waren. Es verblieben so nur einzelne sozialistische Splittergruppen neben den Bolschewisten. Diese waren es, welche die Räte im Grunde genommen gegen ihren Willen in Staatsorgane, den Staat in einen Sowjetstaat verwandelten, gleichzeitig aber das alleinige Machtmonopol für sich beanspruchten. Die Einparteiherrschaft, die sich auf diesem Wege herausbildete und im Bürgerkrieg behauptete, war somit das Ergebnis einer bestimmten historischen Konstellation und ergab sich keineswegs zwangsläufig aus dem Rätesystem. Die diktatorische Herrschaft der bolschewistischen Partei wurde damit für die innere Staatsform Rußlands charakteristisch, der eine weit größere Bedeutung zukam als den Institutionen, die aufgrund des Rätesystems für die äußere Staatsform bezeichnend waren. Zu ihnen gehörte außer dem Allrussischen Sowjetkongreß und dem Allrussischen Zentralen Exekutivkomitee seit der Oktoberrevolution die Sowjetregierung in Gestalt des Rates der Volkskommissare und das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees als kollegiales Staatsober-
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haupt der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Die anderen Sowjetrepubliken, die miteinander in einer Vertragsföderation verbunden waren, wiesen den gleichen Aufbau auf. Im Verlauf des Bürgerkrieges verschoben sich die Gewichte im Verhältnis der Sowjets zu der bolschewistischen Partei immer mehr zu Gunsten der Partei. Der institutionelle Ausbau des Einparteistaates konnte dabei noch vor der Errichtung des sowjetischen Bundesstaates in Gestalt der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, abgekürzt UdSSR oder Sowjetunion, Ende 1922 abgeschlossen werden. Die innere Logik dieser Entwicklung, die zu einem Übergewicht des Parteiapparates im Verhältnis zum Staatsapparat führte, lag in den autoritären Zügen der Parteilehre Lenins begründet, die auf seinen Schriften "Was tun?" (1902) und ein "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" (1904) beruhte, die zwangsläufig zu der von ihm selbst ursprünglich abgelehnten Minderheitsdiktatur im Staate führte. Gemäß dieser Lehre, die nicht nur eine marxistische, sondern auch eine russisch-revolutionäre Wurzel aufwies, war nur eine auserwählte Elite von meist intellektuellen Berufsrevolutionären, die in einer straff organisierten Kaderpartei zusammengefaßt war, allein in der Lage, in einem tieferen Sinne zu verstehen, was das eigentliche Wohl des Proletariats und damit des Volkes bildete. Aus diesem ideologisch begründeten Erkenntnismonopol leitete Lenin den alleinigen Führungsanspruch und damit das unbeschränkte Machtmonopol in einem Staat ab, der als "Diktatur des Proletariats" aus seiner Sicht den Übergang zu einer klassenlosen und damit herrschaftsfreien kommunistischen Idealgesellschaft bilden sollte. Aus der ideologischen Konstruktion, daß die Partei in Vertretung des Proletariats und damit der Gesellschaft dem Staat übergeordnet ist, ergab sich der für den sowjetkommunistischen Einparteistaat typische Aufbau der gesamtstaatlichen Organisation der UdSSR. Wenn in den Sowjets ein Mehrparteiensystem, gebildet durch gleichberechtigte sozialistische Parteien, bestanden hätte, wäre vielleicht die besondere Form einer Rätedemokratie zu verwirklichen gewesen. Durch den Einparteistaat, der von einer ideologisch befristeten, tatsächlich aber permanenten Einparteiherrschaft ausging, mußten die Hoffnungen, die Lenin im Einklang mit Marx auf die Möglichkeit einer volksnaheren und damit vollkommneren Demokratie setzte, unabhängig von dem fehlenden gesellschaftlichen Entwicklungsstand, als illusorisch erweisen. Hinter der Fassade der Sowjetdemokratie bildete sich aufgrund der permanenten Parteidiktatur tatsächlich eine neue Erscheinungsform der Autokratie in einem eindeutigen Gegensatz zu einer rechtsstaatlichen Demokratie heraus.
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Durch das Prinzip der Gewalteneinheit, das imperative Mandat und vor allem durch die autoritäre Auslegung des Prinzips des "demokratischen Zentralismus" ist diese Entwicklung wesentlich gefördert worden. 11. Die Entwicklung vom autoritären zum totalitären Einparteistaat Die Oktoberrevolution stellte die Machtergreifung einer straff organisierten Minderheit in Gestalt der bolschewistischen Partei im Rahmen einer noch nicht zum Abschluß gekommenen spontanen Volksrevolution dar. Von Lenin ist dieser Staatsstreich zu einem revolutionären Umsturz ausgeweitet worden. Er fand im städtisch-industriellen Bereich in dem ersten Versuch einer Vollsozialisierung im Rahmen einer durchgehenden Kommandowirtschaft und auf dem Lande in einer Agrarreform ihren Ausdruck, die den privaten Besitz der Bauern größtenteils nicht beseitigte. Die im März 1921 verkündete "Neue Ökonomische Politik" (russische Abkürzung "NEP") bedeutete eine begrenzte Rückkehr zum "Markt", die sich vor allem auf dem landwirtschaftlichen Sektor voll auswirkte. Bei den wichtigsten Wirtschaftszweigen, insbesondere der Großindustrie, behielt sich das bolschewistische Regime die entscheidenden Kommandohöhen vor. Die Voraussetzung zu dieser Entwicklung vom "Kriegskommunismus" zur "Neuen Ökonomischen Politik" bildete die Festigung der bolschewistischen Einparteiherrschaft, die während des Bürgerkieges erfolgt war. Sehr bald sollte sich zeigen, daß es die bolschewistischen Berufsrevolutionäre und nicht die Sowjets als Vertreter des Arbeiter- und Bauernproletariats waren, die den neuen Staat nach ihrem Bilde formten. Die autoritären Organisationsprinzipien der bolschewistischen Partei wurden dem Aufbau der sowjetischen Staatsund Gesellschaftsordnung zugrunde gelegt. Soweit die Sowjets wirkliche Macht besaßen, wurde sie ihnen von der bolschewistischen Partei entzogen. Bereits 1919 wurde der unitarische und nicht nur zentralistische Aufbau der Partei festgelegt. Die Kommandozentrale der Partei bildeten das Polit- und Orgbüro und das Sekretariat mit einem Generalsekretär, der später Erster Sekretär genannt wurde, an der Spitze. Die Stellung eines Generalsekretärs, die Stalin seit 1922 bekleidete, bot ihm nach dem Tode Lenins 1924 die Möglichkeit, die Kontrolle des hauptamtlichen Parteiapparats über die Sowjets und Massenorganisationen zu verstärken und sie völlig gleichzuschalten. Die Beherrschung des Parteiapparats sollte sich in der Auseinandersetzung Stalins mit der "linken" und "rechten" Opposition in der Parteiführung von 1924 bis 1929 von ausschlaggebender Bedeutung erweisen.
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Die Einparteiherrschaft wies in dieser übergangszeit noch eine freiere, autoritäre Form auf, die eine ganze Reihe von Freiräumen enthielt. Der übergang zu einer totalitären Form der Einparteiherrschaft ist entscheidend durch das von Stalin verfolgte Ziel einer beschleunigten Umgestaltung Rußlands aus einem vorwiegend agrarischen Entwicklungsland in ein Industrieland und zugleich durch sein Streben nach der Alleinherrschaft bedingt worden. Der Einparteistaat bot ihm mit seiner Machtkonzentration das geeignete Instrument, um die Mobilisierung gewaltiger Kräfte herbeizuführen, der es bedurfte, um diesen tiefgehenden revolutionären Umbruch, den er selbst als "Revolution von oben" bezeichnet hat, zu vollziehen. Die forcierte Industrialisierung und der damit verbundene Verstädterungsprozeß, die Vollsozialisierung aller wesentlichen Lebensbereiche und eine zweite Agrarrevolution in Gestalt der Zwangskollektivierung sollten sich auf die ökonomisch-soziale Struktur Rußlands und seine Machtstellung stärker auswirken als die revolutionären Ereignisse von 1917. Die Vollsozialisierung in der Stadt beseitigte das selbständige Kleinbürgertum und die Ansätze einer mittelständischen Entwicklung aus der NEP-Periode. Sie führte auch zur Herausbildung einer neuen Intelligenz im Rahmen der sozialen Großgruppe der Angestelltenschaft, der sehr bald gegenüber der Arbeiterschaft, die sich hauptsächlich aus dem Bauerntum ergänzte, der soziale Vorrang zufallen sollte. Die Herrschaft der bürokratischen Machtelite, welche die soziale Basis für den Aufstieg Stalins bildete und die formal ebenfalls der Angestelltenschaft angehörte, konnte sich weiter festigen. Die Zwangskollektivierung auf dem Lande, die mit der Vernichtung der Kulaken verbunden war, hatte die Umwandlung der Einzelbauern, soweit sie nicht Landarbeiter auf den Sowchosen, den Staatsgütern, wurden, zu Kolchosbauern zur Folge. Das Jahr 1934 brachte neben der Konsolidierung der mit der planökonomischen "Revolution von oben" erreichten Ergebnisse einen weiteren Umbruch, der durch die große Verwaltungsreform, die mit einer Umgestaltung der Parteiorganisation verbunden war, die Erhebung des Sowjetpatriotismus zu einem integralen Bestandteil der Staatsideologie und den Beginn der "Großen Säuberung", die in den Jahren 1936 bis 1938 ihren Höhepunkt erreichen sollte, gekennzeichnet war. Durch die Verwaltungsreform wurde eine klare Abgrenzung zwischen dem Partei- und Staatsapparat, der eine wesentliche Ausweitung erhielt, ermöglicht. Der "demokratische Zentralismus", dessen Merkmale im zweiten Parteistatut der KPdSU von 1934 erstmals aufgezählt wurden, ist nunmehr zum bestimmenden Organisationsprinzip der Sowjets und damit des Staatsapparats erhoben worden. Außerdem wurde durch die Einführung des produktions-territorialen Prinzips die dualistische
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Struktur des sowjetischen Gesamtstaates klarer herausgearbeitet und dem hauptamtlichen Parteiapparat eine bessere Möglichkeit geboten, auf den einzelnen Verwaltungsstufen auf den Staatsapparat einzuwirken. Besondere Bedeutung kam der Einführung der Einmannleitung und damit des "Führerprinzips" im Bereich von Partei und Staat unter Beseitigung des bis dahin geltenden "kollektiven Führungsprinzips" zu. Die kollegiale Führungsstruktur im Rat der Volkskommissare und in den Volkskommissariaten wurde durch eine monokratische ersetzt. Stalin ist auf dem XVII. Parteikongreß im Januar 1934, auf dem die Verwaltungs reform beschlossen wurde, als" ,Woshd'" (Führer) gefeiert worden. Die von ihm angestrebte Stellung eines unbeschränkten Selbstherrschers setzte er aber erst mit Hilfe der Großen Säuberung durch. Die herrschende Stellung der Partei wurde bis 1936 in den Sowjetverfassungen, die dem Grundgesetz der RSFSR von 1918 nachgebildet worden waren, einschließlich der ersten Bundesverfassung der UdSSR von 1923/24, nicht vermerkt. Erst in der unter maßgeblicher Beteiligung Stalins zustande gekommenen zweiten Bundesverfassung der UdSSR von 1936 ist die für die politische und rechtliche Ordnung des Sowjetstaates entscheidende Tatsache der Einparteiherrschaft an zwei Stellen eindeutig zum Ausdruck gebracht worden. Damit ist das Machtmonopol der Partei ausdrücklich im formellen Verfassungsrecht verankert und die Partei als selbständige Herrschaftsinstitution in das weitere staatliche Organisationsgefüge einbezogen worden. Eine gewisse Modifizierung des Prinzips der Gewaltenvereinigung wurde durch eine bis dahin fehlende Abgrenzung der einzelnen Organe herbeigeführt. An die Stelle des Sowjetkongresses und des Zentralen Exekutivkomitees trat der Oberste Sowjet der UdSSR als "höchstes Organ der Staatsgewalt". Auch er wies, wie das Zentrale Exekutivkomitee,zwei Kammern, den Unionsrat und den Nationalitätenrat, auf. Die KPdSU ist durch die Folgen von Stalins "Revolution von oben" einem tiefgehenden Funktions- und Strukturwandel unterworfen. In der Hülle des kommunistischen Einparteistaats bildete sich ein stalinistischer Führerstaat heraus, der trotz einer anderen ideologischen Grundlage viele gemeinsame Züge mit faschistischen Einparteistaaten aufwies. Die Partei und mit ihr der Parteiapparat waren ihrer zentralen Stellung als "Kern der Macht" trotz der verfassungsrechtlichen Verankerung verlustig gegangen, wenn ihr ideologischer Vorrang auch erhalten blieb. Die Partei bildete jetzt nur eine von mehreren "Transmissionen" und auch nur einen von vielen "Hebeln" im System der permanenten Diktatur in Gestalt einer persönlichen Autokratie. Träger der letzten Entscheidungsgewalt und damit der Souveränität im Staat war allein der selbstherrliche Diktator und die von ihm erkorenen Ratgeber.
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Die Wandlungen der sozialen Struktur, die mit dem revolutionären Umbruch verbunden waren, festigten die Machtstellung der politischadministrativen Bürokratie~ und zwar sowohl der Partei- als auch der Staatsbürokratie, und förderten den sozialen Aufstieg der "neuen Intelligenz" . Die beschleunigte Umwandlung Rußlands in ein Industrieland, die aufgrund der angewandten totalitären Methoden mit ungeheuren Opfern erreicht wurde, war eine wesentliche Voraussetzung, daß die Sowjetunion den Zweiten Weltkrieg siegreich bestehen konnte. Wenn die neue Staats- und Gesellschaftsordnung im Kriege ihre Bewährungsprobe bestand, so nicht zuletzt durch einen Appell an den allrussischen Nationalismus, der in der Verhüllung des Sowjetpatriotismus der Bewußtseinslage der "Intelligenz" wie darüber hinaus des ganzen Volkes, mehr entsprach als ein pervertierter Sozialismus stalinistischer Prägung. Hinzu kam, daß die Deutschen, die in das Land einbrachen, sich als Unterdrücker und nicht als Befreier erwiesen. So wurde das Gefüge der Sowjetgesellschaft, das anfangs starke Risse aufwies, wieder zusammengeschweißt. Der Nationalismus ermöglichte es, eine Brücke zu der Vergangenheit Rußlands zu schlagen und in Verbindung damit vorrevolutionäre Traditionen wiederzubeleben. Beispiele dafür waren die Schaffung eines die meisten Lebensbereiche erfassenden Rangklassensystems, die Wiedereinführung der goldenen Schulterstücke für die Offiziere und die Umbenennung des Rates für Volkskommissare in Ministerrat und der Volkskommissariate in Ministerien. Die überreste einer internationalistischen Gesinnung im MarxismusLeninismus wurden durch eine nationalistische Grundeinstellung überdeckt, die in der These Stalins von den Groß russen als dem "führenden Volk" der Sowjetunion zum Ausdruck kam und in der LinguistikDiskussion 1950 ideologisch begründet wurde. In der Nachkriegszeit führte die despotische Entartung der Selbstherrschaft Stalins zur Herausbildung einer ganz spezifischen Form des aus der "Revolution von oben" hervorgegangenen autokratisch-totalitären Herrschaftssystems, die durch den Führerkult, den weiter fortbestehenden Massenterror und durch die ausgesprochene Tendenz zur Ständegesellschaft gekennzeichnet war. In der Sowjetunion hat es zwar keinen Thermidor wie in der Französischen Revolution gegeben, aber ähnlich wie der Bolschewismus, d. h. der Sowjetkommunismus, in ökonomischer Hinsicht einen Ersatz-Kapitalismus bildete, stellte er in seiner stalinistischen Erscheinungsform einen Ersatzbonapartismus dar. Revolution und Konterrevolution sind im Stalinismus eine eigenartige Verbindung eingegangen, deren Er-
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gebnis ungeachtet der inzwischen stattgefundenen Veränderungen im wesentlichen noch heute das Bild der Sowjetunion bestimmt. 111. Der sowjetkommunistische Einparteistaat zwischen Kräften der Beharrung und Reform Die unbeschränkte Selbstherrschaft Stalins beruhte auf dem Gleichgewicht zwischen mehreren Herrschaftssituationen: dem Parteiapparat, dem Staatsapparat im engeren Sinn, d. h. dem Regierungsapparat, einschließlich der Wirtschaftsverwaltung der Polizei und Armee. Die Koordination dieser vier Machtsäulen, unter denen die Polizei (MGBMWD) einen "Staat im Staat" bildete, wurde durch das persönliche Sekretariat des "Woshd'" (Führers) bewirkt, das im stärkeren Maße als das ZK-Sekretariat die eigentliche Schaltstelle der Macht bildete. Nach dem Tode Stalins im März 1953 hat es Chruschtschow, der Malenkow sehr bald von der Macht verdrängte, verstanden, eine Herrschaftsinstitution nach der anderen der Kontrolle der Partei und des hauptamtlichen Parteiapparats zu unterwerfen. Damit wurde der Einparteistaat in der verfassungsgemäßen Form wiederhergestellt. Das verkleinerte ZK-Präsidium gewann wieder die Bedeutung des Politbüros. Das Gremium der Stellv. Ministerpräsidenten trat als Präsidium des Ministerrates der UdSSR stärker in Erscheinung. Die innenpolitische Entwicklung unter Chruschtschow ist einerseits durch die "Entstalinisierung", andererseits durch Maßnahmen im Zeichen des umfassenden "Aufbaus des Kommunismus", der auf dem XXI. Parteikongreß im Januar 1959 verkündet wurde, bestimmt worden. Die bei den Entstalinisierungswellen, die von Chruschtschow auf dem XX. Parteikongreß im Februar 1956 und auf dem XXII. Parteikongreß im Oktober 1961 ausgelöst wurden, haben neben der "neuen Kurs"-Politik Malenkows wesentlich zu einer Abkehr vom Stalinismus beigetragen. Dies hat zu einer Auflockerung des autokratisch-totalitären Herrschaftssystems geführt und die Sowjetgesellschaft nach innen und teilweise auch nach außen offener gemacht. Diesem Zweck diente außer der Aufhebung der meisten von Stalin eingeführten Rangklassenordnungen im Jahre 1954 die Wiederherstellung des "kollektiven Führungsprinzips" und die Einführung eines abgestuften Turnussystems der gewählten Funktionäre. Das Verdienst Chruschtschows war vor allem, daß er mit dem Massenterror, dem übertriebenen Personenkult und dem übergewicht der Polizei, die unter Stalin entstandene despotische Entartung der Einparteiherrschaft beseitigt hat. An der totalitären Form der Einparteiherrschaft hat sich unter ihm nur wenig geändert. Mit den von Stalin
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übernommenen Organisationsprinzipien wurde der autokratische Aufbau der Partei, von der oligarchischen Struktur der Führungsspitze abgesehen, beibehalten. Innerhalb des "Führerkollektivs", das durch die Vollmitglieder des ZK-Präsidiums -gebildet wurde, verstand es Chruschtschow, eine dominierende Stellung zu gewinnen. Wesentlich trug dazu bei, daß ihm, ebenso wie Stalin, seit 1958 mit dem Amt des Ministerpräsidenten der UdSSR der Staatsapparat unmittelbar unterstand. Die "Entstalinisierungspolitik" Chruschtschows, die ständigen Schwankungen unterworfen war, hat in zahlreichen Reformmaßnahmen, die vor allem die Partei-, Staats- und Wirtschaftsverwaltung, die Erziehung und Bildung, das Recht und das Wehrwesen betrafen, ihren Niederschlag gefunden. Durch eine liberalere Nationalitätenpolitik hat er auch zu einer Wiederbelebung des Sowjetföderalismus beigetragen. Durch seine Verwaltungsreformen war Chruschtschow bestrebt, nicht nur dem Parteiapparat im Verhältnis zum Staatsapparat mehr Macht zu geben, sondern auch der Partei mit der unmittelbaren Leitungsfunktion in bestimmten Bereichen der Wirtschaft eine zeitgemäße Aufgabe zu übertragen. Mit seinen Dezentralisierungsmaßnahmen, die mit einer Umgestaltung der gesamtstaatlichen Organisation unter fachlich-funktionellen Gesichtspunkten verbunden waren, sollte Chruschtschow kein Erfolg beschieden sein. Bereits vor seinem Sturz, der im Oktober 1964 erfolgte, machten sich verstärkte Zentralisierungstendenzen bemerkbar. Die ideologische Begründung des Einparteistaates ist durch die von Chruschtschow entwickelte Lehre vom "Staat des gesamten Volkes" einer tiefgehenden Revision unterworfen worden. Sie ging davon aus, daß mit der "Diktatur des Proletariats" auch der Klassenkampf in der Sowjetunion ein Ende gefunden habe. Aus dem Staat der "Diktatur des Proletariats" sei ein "Staat des gesamten Volkes", ein allgemeiner Volksstaat, geworden. Die KPdSU habe sich gleichzeitig aus einer "Avantgarde des Proletariats" in eine "Partei des gesamten Volkes, eine allgemeine Volkspartei", gewandelt. Die Volksstaatslehre diente Chruschtschow zur Begründung der von ihm verfolgten Reformpolitik, der sie zur vollen Entfaltung verhelfen sollte. Ihren Höhepunkt sollte die Verfassungsreform bilden, die Chruschtschow nicht mehr verwirklichen konnte. Auch wenn die Reformmaßnahmen Chruschtschows aufgrund ihres widersprüchlichen Charakters nur Teilzugeständnisse an die Realität darstellten und infolge des fehlenden freien Marktes mit Lenins NEPPolitik in keiner Weise vergleichen ließen, mußten sie dennoch bei der
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herrschenden Hochbürokratie Befürchtungen wecken. Sie wurden durch seinen hektischen Führungsstil noch verstärkt. Chruschtschows Versuch, die "Neue-Kurs-Politik" Malenkows von 1953, d. h. einer stärkeren Berücksichtigung der Landwirtschaft und der Konsumgüterindustrie auf Kosten der Schwer- und Rüstungsindustrie, wieder aufzunehmen, hat ebenfalls wesentlich zu seinem Sturz beigetragen. Er erfolgte zwar äußerlich in legaler Formen, stellte aber tatsächlich eine Palastrevolution dar, die mit konspirativen Mitteln bewirkt wurde. Nach dem Sturz Chruschtschows ist die "kollektive Führung" im vollen Umfang wiederhergestellt worden. Auf dem ZK-Plenum im Oktober 1964 wurde nicht nur die Trennung der Ämter des Partei- und Regierungschefs, sondern auch eine gegenseitige Kontrolle im Rahmen des ZK-Präsidiums, das 1966 wieder in Politbüro umbenannt wurde, beschlossen. Die Abkehr vom autoritären Führungsstil Chruschtschows kam in einer Duumviratskonstruktion der Führungsspitze - Breshnew als Erster Sekretär (seit 1966 Generalsekretär), Kossygin als Ministerpräsident der UdSSR - zum Ausdruck. Das Turnussystem wurde abgeschafft. Unter den Nachfolgern Chruschtschows ist die "Entstalinisierung" begrenzt, aber nicht völlig aufgegeben worden. Dagegen sind seine Verwaltungsreformen größtenteils rückgängig gemacht worden. Mit der Rückkehr zum vertik,alen Leitungssystem der Ministerien bei gleichzeitiger Auflösung der Volkswirtschaftsräte ist die zentralistische Einheit zwischen der Staats- und Wirtschaftsverwaltung und damit zugleich die dualistische Organisationsstruktur des Sowjetstaates wiederhergestellt worden. Dies führte zu einer Stärkung des Staatsapparats gegenüber dem Parteiapparat und zu einem relativen Gleichgewicht beider Apparate. Die Bedeutung der Polizei (KGB -MWD) und vor allem der Armee ist nach dem Sturz Chruschtschows gewachsen. Breshnew, der als Generalsekretär in zunehmendem Maße die sowjetische Innen- und Außenpolitik bestimmen sollte, hatte es wesentlich schwerer als Chruschtschow, innerhalb des "Führerkollektivs" eine dominierende Stellung zu erringen. Seine Versuche, neben seinem Parteiamt die Kontrolle über den Staatsapparat zu gewinnen, hatten zunächst keinen Erfolg. Die Widerstände, auf die er dabei stieß, und der fehlende Konsens in der Kreml-Führung in einer Reihe wichtiger verfassungspolitischer Fragen dürften die Hauptgründe gewesen sein, warum das Projekt einer neuen Bundesverfassung der UdSSR, an dem seit 1962 gearbeitet wurde, erst im Oktober 1977 verwirklicht werden konnte.
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Soweit die Unionsverfassung einen normativen Charakter aufweist, läßt sie zwei abweichende Entwicklungstendenzen erkennen. Auf der einen Seite wird die diktatorische Einparteiherrschaft, die in der neuen Verfassung sehr viel klarer zum Ausdruck kommt, gestärkt. Auf der anderen Seite sind bestimmte Ansätze zu einer rechtsstaatlichen Entwicklung festzustellen. Breshnew ist es zwar gelungen, als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR, dessen Befugnisse in der neuen Unionsverfassung auf Kosten des Ministerrates der UdSSR erweitert worden sind, die Verbindung des höchsten Parteiamts mit dem zweitwichtigsten Staatsamt herzustellen. Er hat auch im Range eines Marschalls der Sowjetunion den Vorsitz im Verteidigungsrat, der jetzt auch in der Verfassung vorgesehen ist, übernommen. Doch ist durch diese Machtkonzentration infolge seines Alters und des schwankenden Gesundheitszustandeseine wesentliche Schwächung der fortbestehenden "kollektiven Führung" nicht erfolgt. Breshnew hat auch nicht die Kraft gehabt, die von ihm angestrebte umfassende Verwaltungs reform, die zu einer erneuten Stärkung des Parteiapparats gegenüber dem Staatsapparat im engeren Sinn geführt hätte, zu verwirklichen. Welchen Weg Andropow einschlagen wird, der nach dem Tode Breshnews im November 1982 als Generalsekretär ein schweres Erbe übernommen hat, ist vorläufig unklar. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich der institutionelle Aufbau des sowjetkommunistischen Einparteistaates nur im geringen Umfange verändert hat. Dagegen ist seine soziale Struktur erheblichen Wandlungen unterworfen worden. Auf dem XXVI. Parteikongreß der KPdSU 1981 hat Breshnew die These vertreten, daß in den siebziger Jahren, "eine weitere Annäherung aller Klassen und sozialen Gruppen der sowjetischen Gesellschaft erfolgt sei. Tatsächlich hat ein solcher Annäherungsprozeß nur in einem sehr geringen Maße stattgefunden. Statt dessen hat sich die soziale Differenzierung in der gesamten Gesellsch'aft und ihren einzelnen Teilgruppen weiter verstärkt. Diese Entwicklung ist durch die Fortführung des Verstädterungsprozesses, die territoriale Ausdehnung der Industrialisierung und die qualitative Erhöhung des Bildungsstandes der Bevölkerung, die von Breshnew besonders hervorgehoben wurde, wesentlich gefördert worden. Bei einer Gesamtbevölkerung von 264,5 Millionen machte die Stadtbevölkerung 1980 166,2 Millionen (63 Prozent) und die Landbevölkerung 98,3 Millionen (37 Prozent) aus. Der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten hat sich entsprechend verringert, ist aber verglichen mit den westlichen Industrieländern noch immer sehr hoch (1977 21,8 Prozent gegenüber 2-12 Prozent).
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Der Anteil der Angestellten hat allgemein in Stadt und Land zugenommen, der der Arbeiter dagegen nur auf dem Land, während der Anteil der Kolchosbauern weiter abgenommen hat. Der Hauptteil der Angestelltenschaft wird heute aus der Intelligenz gebildet, d. h. vor allem von Speziali:sten mit höherer Bildung. Ihre Zahl betrug 1980 28.6 Millionen, davon hatten 12,0 Millionen Hochschul- und 16,5 Millionen mittlere Fachschulbildung (42 zu 58 Prozent). 1977 machten bei insgesamt 25,2 Millionen Personen dieser Gruppe die Männer 10,4 Millionen und die Frauen 14,8 Millionen aus (41,3 zu 58,7 Prozent). Dieser hohe Anteil der Frauen ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß sie zur gleichen Zeit nur ein Viertel der Parteiangehörigen ausmachten und dabei in der Kreml-Führung gar nicht vertreten waren. Bei der Intelligenz ist zwischen den beiden Teilgruppen der technischen und der wissenschaftlich-kulturellen Intelligenz, die etwa gleich stark sind, zu unterscheiden. In beiden Teilgruppen ist eine zunehmende Differenzierung festzustellen, ebenso wie in der Arbeiterschaft und in geringerem Maße in der Kolchosbauernschaft. Sie hat nicht nur die sozialen Unterschiede zwischen Hochschul- und Fachschulabsolventen, sondern auch zwischen hochqualifizierten Arbeitern und der Masse der Arbeiterschaft vergrößert. Diese Entwicklung hat nicht, wie Breshnew behauptete, die "führende Rolle der Arbeiterklasse" gefestigt, wohl aber zur Verfestigung des sozialen Vorranges der akademisch gebildeten Teile der Intelligenz und einer bereits in Ansätzen vorhandenen "Arbeiteraristokratie" geführt. Neben einer Oberschicht, der nicht nur Teile der herrschenden Machtelite angehören, sind somit diejenigen Mittelschichten besonders zu beachten, die allmählich zu einem Mittelstand, zu einer Art "Staatsbourgeoisie" verwachsen. Nicht weiter überraschend ist, daß von Breshnew bei der Betrachtung der sozialen Struktur der Gesamtbevölkerung und der Partei die "führende Rolle" der Bürokratie als einer besonderen sozialen Großgruppe verschwiegen worden ist. Die Bürokratie überschneidet sich mit der Intelligenz, deckt sich aber nicht mit ihr. Diese Feststellung gilt auch für die an der Macht befindliche politisch-administrative Bürokratie, die sich überwiegend aus der technischen Intelligenz rekrutiert, wobei die eigentliche Herrschaft von ihrer Oberschicht, die als eine Hochbürokratie bezeichnet werden kann, ausgeübt wird. Aus den Ergebnissen des XXVI. Parteitages und der Entwicklung zwischen den Parteitagen ist zu ersehen, daß die Hochbürokratie ihre absolute Herschaft in politischer und sozialer Hinsicht wahren konnte. Andererseits ist auch innerhalb der Bürokratie eine zunehmende Differenzierung festzustellen. Ihre Teilgruppen machen Sonderinteressen
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geltend. Gleichzeitig haben die anderen sozialen Gruppen und Schichten wesentlich an Selbstbewußtsein gewonnen. Der Kreml-Führung, welche vor allem die Gesamtinteressen der herrschenden Hochbürokratie vertritt, fällt es in zunehmendem Maße schwer, die auseinanderstrebenden Kräfte zu koordinieren und einen Konsens auf der bürokratischen Ebene herbeizuführen. Darum empfindet sie die Aktivitäten der Dissidenten, obgleich auf dem XXVI. Parteitag bewußt von ihnen nicht gesprochen wurde, als besonders störend. Im Falle der Dissidenten und anderer Kräfte, die einen beschleunigten gesellschaftlichen Wandel anstreben, ist es vor allem die wissenschaftlich-kulturelle Intelligenz, die ihre soziale Basis bildet. Die Dissidenten sind gleichsam als die Vorhut dieser Kräfte anzusehen, deren politische Bedeutung darin liegt, daß sie das aussprechen, was auch in anderen Teilen der Intelligenz gedacht wird, und zugleich die unartikulierte Meinung in breiten Schichten der Sowjetgesellsch'aft, in zunehmendem Maße auch der Arbeiterschaft, zum Ausdruck bringen. Es sind vor allem zwei Gründe, welche die Reformkräfte in der sowjetischen Intelligenz dazu bewegen, eine Verbesserung oder Veränderung des bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftssystems anzustreben. An erster Stelle geht es dabei um die Sicherung der Freiheitsrechte und erst in zweiter Linie um das fortbestehende Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, das vom Sowjetkommunismus nur in einem begrenzten Maße befriedigt worden ist. An zweiter Stelle steht das Bewußtsein von der Notwendigkeit, den Anschluß an die neue Etappe der Modernisierung in der WeIt zu finden, die durch die wissenschaftlich-technische Revolution ausgelöst worden ist. In der ersten Frage sind es hauptsächlich die fortschrittlichen Teile der Intelligenz, welche die Forderung nach mehr Freiheit erheben, um einerseits die Anwendung der Menschenrechte in der Sowjetunion zu gewährleisten, andererseits mit der individuellen Initiative die schöpferischen Kräfte in der sowjetischen Gesellschaft zu mobilisieren. An der Lösung der zweiten Frage, die eine Erweiterung der Freiheitsräume in der geschlossenen Gesellschaft voraussetzt, ist auch ein Teil der sowjetischen Hochbürokratie, insbesondere der stärker technokratisch eingestellten Staatsbürokratie, interessiert. Sie versucht jedoch, dieses Ziel ohne wesentliche Veränderungen des bestehenden Systems zu erreichen. Wenn sich bisher die Reformkräfte in der Sowjetunion nicht durchsetzen konnten, so liegt es am Beharrungsvermögen des Hauptteils der politisch-administrativen Bürokratie, insbesondere der Parteibürokratie, die an der Erhaltung der bestehenden Form der Einparteiherrschaft existentiell interessiert ist. Eine Änderung in dieser Lage und damit 5 Festschrift für H. U. Scupin
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eine Verringerung der Kluft zwischen dem Staat und der Gesellschaft wird daher nur zu erwarten sein, wenn es den Reformkräften gelingt, eine grundlegende Veränderung der bestehenden Einparteiherrschaft zu erreichen, was in absehbarer Zeit durchaus möglich erscheint.
IV. Die besondere Herrschaftsstruktur des sowjetkommunistischen Einparteistaates und seine Wandlungsmöglichkeiten Die bisherigen Erfahrungen mit Einparteistaaten, insbesondere solchen, die sich als "sozialistische Staaten" bezeichnen, hat gezeigt, daß die Machtkonzentration und der Intensitätsgrad der Einparteiherrschaft wesentliche Unterschiede aufweisen können. Unter Berücksichtigung der sich damit verbundenen Merkmale lassen sich drei Grundformen des Einparteistaates unterscheiden, die ihr besonderes Wesen und den Grad ihre Wandlungsfähigkeit kennzeichnen. Dies gilt vor allem für den kommunistischen Einparteistaat, der eine totalitäre, autoritäre oder konstitutionelle Form mit entsprechenden Übergängen aufweisen kann. Ebenso wie in der Vergangenheit die Entwicklung der absoluten Monarchie über den aufgeklärten Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie geführt hat, ist eine ähnliche Entwicklung bei einem Einparteistaat denkbar. Es ist eigenartig, daß in der Diskussion, wie das sowjetische Herrschaftssystem seit dem Tode Stalins zu charakterisieren ist und ob der Begriff des Totalitarismus auf dieses System noch anzuwenden ist oder nicht, der Ausgangspunkt, daß es sich bei der Sowjetunion in jedem Fall um einen Einparteistaat handelt, meist nicht genügend beachtet worden ist. Wenn man sich den Blick für die Entwicklungsmöglichkeiten eines solchen Staates freihalten will, ohne in Illusionen zu verfallen, sollte man zwischen den oben erwähnten drei Grundformen klar unterscheiden und nicht einfach den Begriff des Totalitarismus beiseite schieben, ohne an seine Stelle einen gleichwertigen Begriff zu setzen. Die verschiedenen Versuche, vor allem im anglo-amerikanischen Schrifttum das sowjetische Herrschaftssystem unter Umgehung des Totalitarismusbegriffs durch andere Begriffe zu umschreiben, tragen der sowjetischen Wirklichkeit nicht genügend Rechnung. Teilweise wird aufgrund einzelner Tendenzen bereits auf ein späteres Entwicklungsstadium geschlossen, das noch gar nicht erreicht worden ist. Es ist sicher kein Zufall, daß von den meisten prominenten sowjetischen Dissidenten das gegenwärtige Herrschaftssystem in der Sowjetunion als "totalitär" und nicht "autoritär" bezeichnet wird.
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Es ist wichtig festzustellen, daß auch ein autokratisch-totalitäres Herrschaftssystem, wie aus der Entwicklung in der Sowjetunion nach Stalins Tod ersehen werden konnte, veränderbar ist. Es hat sich gezeigt, daß der Einparteistaat in seiner totalitären Grundform nach Abschluß der revolutionären Phase weder auf einen übertriebenen Führerkult noch auf Massenterror angewiesen ist. Nicht ein extensiver Terror, wie er für die Stalin-Ära typisch war, sondern das Bestreben, die ganze Gesellschaft zu durchdringen und ihre einzelnen Teile einer umfassenden Kontrolle und Planung zu unterwerfen, das zwecks seiner Durchsetzung mit einem "dosierten Terror" verbunden ist, dürfte als der grundlegende Wesenszug eines rationalen totalitären Einparteisystems anzusehen sein. Im Zeichen der "Entstalinisierung" hat sich eine begrenzte Abkehr vom Totalitarismus vollzogen. Die entscheidenden Strukturmerkmale des totalitären Einparteisystems sind jedoch geblieben. Sie sind sogar nach dem Sturz Chruschtschows wieder deutlicher in Erscheinung getreten. Auf der anderen Seite ist auch die Bereitschaft erkennbar geworden, den Entwicklungsnotwendigkeiten einer Industriegesellschaft stärker Rechnung zu tragen. Das ist aus einer Reihe von Faktoren zu ersehen, die auch in der neuen Unionsverfassung sichtbar geworden sind. Auf der anderen Seite stehen verstärkte Repressivmaßnahmen gegen alle diejenigen Personen, die eine wesentliche Verbesserung oder Veränderung des bestehenden Systems anstreben. Die unter Chruschtschow und Breshnew betriebene Politik läßt sich trotz gewisser Unterschiede als eine Politik der gelenkten Evolution bezeichnen, die auf die Interessen der Volksrnassen stärker Rücksicht nahm. Diese Politik ist aber vorläufig zu widersprüchlich gewesen, um von einer posttotalitären Entwicklungsphase zu sprechen. Der Begriff des "konsultativen Totalitarismus" läßt sich auf das gegenwärtige Stadium eher anwenden als der aus der Industriesoziologie übernommene Begriff des "konsultativen Autoritarismus", der eine sichtbare Beschränkung der absoluten bürokratischen Herrschaft voraussetzt, die vorläufig noch nicht festzustellen ist. Die bisherigen Beispiele zeigen, daß beim übergang von einem totalitären zu einem freieren 'autoritären Einparteisystem drei Grundbedingungen erfüllt sein müssen: 1. eine wesentliche Beschränkung der Parteidiktatur. Dies setzt eine
bestimmte Autonomie der Sowjets und der Gewerkschaften sowie eine Ausweitung der Grundrechte bei einer gleichzeitigen Verbesserung ihres Rechtsschutzes voraus;
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2. eine Freigabe von großen Bereichen der Gesellschaft von der Kontrolle "von oben" durch eine Beschränkung des Kontrollsystems, insbesondere der Polizei, und einen Verzicht der Partei auf die totale Beherrschung aller Massenmedien; 3. eine Rahmenplanung, die sich an den gesellschaftlichen Bedürfnissen der Gegenwart orientiert und sich nicht auf größere autonome Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens erstreckt, sowie eine weitgehende Dezentralisierung der Wirtschaftsverwaltung, verbunden mit einer begrenzten "sozialistischen Marktwirtschaft". Alle diese Bedingungen sind heute in der Sowjetunion nicht gegeben. Selbst die mit der Wirtschaftsreform von 1965 verbundenen Ansätze einer Neuorientierung sind nicht recht vorangekommen. Die drakonischen Justizurteile gegen zahlreiche Dissidenten, die sich für die Verwirklichung von Menschenrechten einsetzen, und die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit mißliebiger Bürger zeigen deutlich, was in der Praxis von den Grundrechtsbestimmungen der neuen Unionsverfassung zu halten ist. Unter diesen Umständen läßt sich das gegenwärtige sowjetische Einparteisystem kaum als "konsultativer Autoritarismus" charakterisieren. Sicher spricht manches dafür, daß sich die Sowjetunion trotz häufiger Rückschläge in diese Richtung bewegt, doch steht ihr noch ein weiter Weg bevor, bis sie dieses Ziel erreicht haben wird. Noch weiter ist der Weg zu einem "konstitutionellen Einparteistaat", der eine noch größere Beschränkung der Parteidiktatur bei verfassungsmäßiger Festlegung der Grenzen der Einparteiherrschaft, einen "sozialistischen Parlamentarismus", die Unabhängigkeit der Justiz, ergänzt durch eine Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, und eine volle Verwirklichung der Menschenrechte im Einklang mit den beiden Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen erfordert. Hinzu käme bei einem Vielvölkerstaat wie der Sowjetunion die Notwendigkeit, bei dem Übergang von einem totalitären zu einem autoritären Einparteisystem im Sinne reformkommunistischer Vorstellungen die Kompetenzen der einzelnen Gliedrepubliken zu erweitern und die KPdSU föderativ zu organisieren. Der Übergang zu einem konstitutionellen Einparteisystem würde neben einem weiteren Ausbau der Eigenständigkeit der einzelnen Nationen die Einführung eines Verfahrens erfordern, das die Verwirklichung des in der Unions verfassung verankerten Sezessionsrechts ermöglicht. Eine solche Entwicklung erscheint in der Sowjetunion nur vorstellbar, wenn es einer charismatischen Führerpersönlichkeit oder einer Gruppe von entschlossenen Reformern gelingen sollte, die politische Führung zu erringen, um unter Ausnutzung des sich verstärkenden Eliten-
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pluralismus und der Konkurrenz der einzelnen Herrschaftsinstitutionen und Teilgruppen der Bürokratie, der Parteibürokratie ihr Reformprogramm aufzuzwingen. Der Erfolg eines solchen Reformprogramms könnte in jedem Fall nur bei der Unterstützung durch starke soziale Kräfte, die eine Beseitigung der bürokratischen Alleinherrschaft anstreben, erreicht werden. Dies setzt ein Bündnis der Intelligenz, insbesondere der wissenschaftlich-kulturellen, welche die eigentliche soziale Basis der Reformkräfte darstellt, mit den entwickelten Teilen der Arbeiterschaft voraus. Allerdings ist auch eine andere Entwicklungsmöglichkeit denkbar, die zur Verfestigung einer freieren autoritären Einparteiherrschaft unter russisch-nationalistischen Vorzeichen führen könnte. Schon heute macht sich die alte Unterscheidung von "Westlern", die sich den Westen zum Vorbild nehmen, und "Slawophilen", welche die besondere Eigenart Rußlands hervorheben, in einer veränderten Form bemerkbar. Welche der beiden Richtungen sich durchsetzen wird, ist schwierig vorauszusehen. Das gleiche gilt für konkrete Gestalt, welche dieser Nationalismus annehmen wird. Die Breshnew-Ära, die zuletzt durch eine zunehmende Stagnation gekennzeichnet war, hat inzwischen ihr Ende gefunden. Voraussichtlich wird nach dem Führungswechsel, der zunächst nur eine übergangslösung erbracht hat, ein doppelter Generationswechsel 'zu erwarten sein. Danach wird die Entscheidung über die Entwicklung der Sowjetunion in der einen oder anderen Richtung, die den bisherigen Charakter der sowjetischen Staats- und Gesellschaftsordnung wesentlich verändern würde, kaum noch lange zu umgehen sein.
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Politik und Recht Von Fritz Pardon, Münster I.
Albert Einstein hat einmal gesagt: "Politik ist viel schwerer als Physik." Ob das stimmt, sei dahingestellt. Wenn man die phänomenalen Erfolge der modernen Physik betrachtet, so möchte man geneigt sein, das Gegenteil anzunehmen, wenn vom Erfolgsergebnis auf den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe zu schließen wäre. Das aber eben ist fragwürdig. Während bei der Physik, um bei dieser zu bleiben, gewisse Erfolge meßbar sind, ist das bei der Politik keineswegs sicher feststellbar. Was für die einen ein Erfolg ist, bedeutet für andere oft das Gegenteil. Es läßt sich nicht leugnen, daß Politik im überkommenden Sinne eine mit viel Emotionen geladene Angelegenheit ist. Man könnte geneigt sein, zu sagen, daß sie ohne solche Emotionen überhaupt nicht be werkstellbar ist. Dabei schlägt noch zu Buche, daß nach einem alten Erfahrungssatz nichts erfolgreicher ist, als der Erfolg. Das bedeutet, daß oft schwer feststellbar ist, ob und inwieweit ein politischer Einsatz überhaupt für einen Erfolg kausal war. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Politiker schwer der Versuchung widersteht, einen Erfolg auch für ein Politiker schwer der Versuchung widersteht, einen Erfolg auch dann für sich zu buchen, wenn er nicht mit Sicherheit auf ihn zurückzuführen ist. Es entspricht ebenso allgemeiner Beobachtung, daß ein Politiker es weit von sich weist, einen Mißerfolg auf sein Tun zurückzuführen, wenn die Sache schiefgegangen ist. Darin sind aber die Politiker nicht alleinstehend. Auch bei der Frage, ob und inwieweit Politik mit dem Recht in übereinstimmung stehen müsse, stoßen wir auf die befremdlichsten Aussagen. Noch klingen in unseren Ohren Aussagen wie die: "Recht ist alles, was dem Volke nützt." Das bedeutet, auf die Politik bezogen, daß diese gegenüber dem Recht einen Freibrief hätte, der sich in der Realität als schrankenlos erwiese. Was aber ist Politik? Geht man dieser Frage nach, so stellt man fest, daß schon in der begrifflichen Abgrenzung Unklarheit besteht. Mir scheint, daß dies nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß im Laufe der Jahrhunderte so viele Thesen und Antithesen aufgestellt worden
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sind. Oft zeigt sich, daß das Unergiebige des Streits lediglich darin gelegen hat, daß man von verschiedenen Begriffen oder Ausgangslagen ausgegangen ist. Was die Politik und ihre Träger angeht, so hat es an bewundernden Attributen, die man ihnen gezollt hat, nicht gefehlt. Man hat die Schöpferkraft, den Ideenreichtum, die Genialität, die Intuition gelobt. Dabei kann nicht übersehen werden, daß Lob und Tadel oft erst nach Jahrhunderten kamen und miteinander wechselten. Das hat der Politiker aber auch mit dem Richter gemein. Auch dessen Entscheidungen werden gelobt und getadelt. Auch bei ihm folgt beides oft erst nach geraumer Zeit. Auch die spektakuläre Gerichtsentscheidung findet oft erst Ruhe in der Distanz der Geschichte. Und selbst da ist man nie sicher, wie dieselbe Entscheidung morgen gesehen wird. Darin liegen Schicksal und Wagnis bei Politik und Recht in gleicher Weise. Um zum begrifflichen Ausgangspunkt zurückzukehren, sei exemplikativ gesagt, was gemeinhin unter Politik verstanden werden kann. Faßt man diesen Begriff in einem sehr generalisierenden Sinne auf, so gehört dazu alles, was mit der "Polis" zu tun hat. Das ist das öffentliche Gemeinwesen, wie uns das von den griechischen Stadtstaaten überkommen ist. Es gehören dann zur Politik alle Lebensvorgänge, die hiermit in Bezug stehen. Das ist so allgemein und umfassend, daß für konkrete Aussagen dieser Begriff wenig praktikabel erscheint. Im engeren Sinne versteht man unter Politik die Beeinflussung und Ordnung sozialer Beziehungen. So wird er durchweg in der neueren Soziologie gebraucht. Dieser Begriff wird jedoch vielfach mit dem Machtmoment angereichert. Politik muß mit Macht verbunden sein, Macht rst die Voraussetzung politischer Gestaltung1 . Vom Gegenstand her wird Politik dahingehend gekennzeichnet, daß "der zentrale Gegenstand des Politischen ... die Entscheidung (ist), die für einen politischen Verband gefällt wird und gilt"2. Lübbe3 trifft die Abgrenzung wie folgt: "Politik ist, worum es der Sache nach auch immer zu tun sein mag, als Politik die Kunst, Zustimmungsbereitschaft zu erzeugen, auf die man, in welchen Gremien und lOtto StammeT, Gesellschaft und Politik, in: Handbuch der Soziologie, hrsg. von W. Ziegenfuß, Stuttgart 1955, S. 530-611 (571 ff.). 2 ATnold BergstTaesseT, Zum Begriff des politischen Stils, in: Faktoren der politischen Entscheidung. Festgabe für Ernst Fraenkel zum 65. Geburtstag, hrsg. von G. A. Ritter und G. Ziebura, Berlin 1963, S. 39-55 (40). 3 HerTmann Lübbe, in: Politik und Wissensch'aft, 1972, S.33.
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welchen Öffentlichkeiten auch immer, angewiesen ist, um jene Machtlagen aufbauen zu können, die es erlauben, praktische Ziele durchzusetzen." Mir scheint, daß mit dieser Definition das Wesentliche getroffen ist. Danach ist Politik etwas dynamisches, das in der Gesellschaft Machtlagen final um der Erreichung praktischer Ziele wegen aufbaut. Mit Recht sagt Lübbe, daß es sich hierbei um eine Kunst handelt. Wenn es richtig ist, daß Kunst von Können kommt, dann setzt sie also bei aller Intuition und Genialität auch ein spezifisches Können voraus. Das würde bedeuten, daß sich dieses Können schwerlich in dem erschöpfen dürfte, was vor über 2000 Jahren in Platons Gorgias so formuliert wurde: "Diese Kunst braucht nicht die Dinge selbst, wie sie sind, zu kennen, sondern nur einen Kunstgriff der überredung ausgefunden zu haben, so daß sie das Ansehen bei den Nichtwissenden gewinnt, mehr zu verstehen, als die Wissenden." Man möchte geneigt sein zu sagen, daß dieser Satz heute nicht mehr die Berechtigung hat, wie er sie vielleicht zu Sokrates' Zeiten gehabt haben mag, als einem politischen Redner noch nicht die Wissensquellen oder Stäbe oder sachverständigen Gremien oder Hilfsarbeiter zur Verfügung standen, wie das heute der Fall ist oder sein sollte. Wie dem auch sei, in jedem Fall fordert das Politische auch im engeren Sinne dazu heraus zu klären, in welchem Verhältnis dazu das Recht steht. 11.
Hier stoßen wir aber auf die gleiche Kalamität wie bei der begrifflichen Fixierung der "Politik". Es ist bekannt, daß mancher Denker, der ein ganzes Leben darüber nachgedacht hat, um festzustellen, was "Recht" ist, am Schluß erklärt hat, er habe das zwar zeitweilig geglaubt zu wissen, aber jetzt wisse er, daß er es nicht wisse. Wir sollten nicht so skeptisch sein. Wir brauchen es auch nicht zu sein, wenn wir nicht nach etwas Absolutem suchen, das es auf dieser Welt nicht gibt. Von den Versuchen, den Begriff "Recht" zu umreißen, darf ich wiederum exemplikativ nur einige herausgreifen: Nach Radbruch4 ist Recht die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen. Nach Sauer ist Recht zugleich Macht. Recht kann ohne Macht nicht bestehen. "Schwache Staaten berufen sich auf Recht und Moral durch Protestnoten, weil sie keine Macht zur Selbstdurchsetzung mehr besitzen ... Aber umgekehrt kann Macht ohne Recht nur auf 4
Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Auf!. 1963, S. 123.
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kurze Dauer b€stehen; sie ist dem Verfall geweiht. Macht ist von Bestand nur, wenn sie auf Werten beruht, Werte fördert und Werte schafft ... Aber ebenso wichtig ist die Umkehrung: Werte setzen Macht voraus, sonst können sie nicht wirken, Ideale ohne werterzeugende Kraft bleiben Luxus für das Volks." Kelsen6 abstrahiert: "Die Normen einer Rechtsordnung regeln menschliches Verhalten." Eine Rechtsordnung kann, "obgleich keineswegs alle ihre Normen Zwangsakte statuieren, dennoch als Zwangsordnung insofern gekennzeichnet werden ... , als alle Normen, die nicht selbst einen Zwangsakt statuieren und daher nicht gebieten, sondern zur Setzung von Normen ermächtigen oder positiv erlauben, unselbständige Normen sind, da sie nur in Verbindung mit einer einen Zwangsakt statuierenden Norm gelten."
Das sind, vereinfacht ausgedrückt, Stimmen westlicher Provenienz. III.
Ganz anders klingt es, wenn wir Stimmen aus dem sozialistischen Bereich hören. Da heißt es dann so: "Staat und Recht werden von der herrschenden Klasse entsprechend ihren politischen und ihren juristischen Anschauungen geschaffen, die ihrerseits letzen Endes durch die materiellen Existenzbedingungen der betreffenden Klasse bestimmt werden7 ." Danach ist Recht nichts anderes, als in einen Rechtssatz umgeformte Macht der "übermächtigen". Da sich der Totalitätsanspruch auch auf Verwaltung und Rechtsprechung erstreckt, steht der herrschenden Klasse folgerichtig auch die Verfügungsgewalt über den Rechtssatz bei seiner Rechtsanwendung zu. Erweist er sich nicht mehr mit den Interessen der Klasse, mit ihrer politischen Zielsetzung vereinbar, wird er geändert oder aufgehoben. Das bedeutet, daß das Recht selbst zur Revolution wird8 • Nach Marx kann das Recht nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und die dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft 9 • Auch nach der materialistischen Geschichtsauffassung hat jede Rechtsnorm den Zweck, menschliches Verhalten zu bestimmen. Das wird jedoch nur als Nahziel begriffen. Erst mit der Frage nach dem Endzweck setzt der Maßstab für Wilhelm Sauer, Rechts- und Sozialphilosophie, 2. Auf!. 1949, S. 188. e Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S.32, 59. 7 N. G. Alexandrow, Theorie des Staates und des Rechts im Lichte
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der StaUnschen Lehre von Basis und überbau, in: Sowjetische Beiträge zur Staats- und Rechtstheorie, BerUn 1953, S. 191. 8 Vgl. Ernst-Woljgang Böckenjörde, Die Rechtsauffassung im kommuruistischen Staat, München 1967, S.37. 9 Marx I Engels, Ausgewählte Schriften Bd. II, S.7.
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die Bewertung des objektiven Rechts ein. über eine Anzahl von Stufenleitern ist als Endzweck die sozialistische Gesellschaft entscheidend1o . Damit gewinnt das Recht einen Instrumentalcharakter. Es hat die "schöpferische Rolle", den Aufbau des Sozialismus voranzutreiben. Auf dem Wege zu diesem Ziel durchläuft die Lehre von der Gesellschaft als Basis und dem Recht als überbau viele Etappen. Man würde die Dinge zu undifferenziert sehen, wenn man nicht beachten würde, daß im Wandel der Anschauungen und der Entwicklung auch im sozialistischen Herrschaftsbereich durchaus das Recht oft als mehr als bloß ein "überbau" angesehen wird. Auch dort gibt es Epochen, in denen dem Recht seine Eigengesetzlichkeit, seine eigene "Produktivkraft" zugebilligt wird. Bei allem Primat der Politik gegenüber dem "Überbaurecht" ist es also durchaus denkbar, daß sich der funktionale Rechtsbegriff durchaus temporär mit einem Rechtsbegriff deckt, der in westlich orientierten Bereichen entwickelt oder existent ist. Das bedeutet, daß in einer solchen, wenn auch vielleicht nur vorübergehenden Epoche, beide Bereiche sich, wenn auch vielleicht auf einer relativ geringen Bandbreite, treffen können. Es liegt in der Natur der Sache, daß bei virulentem Basisdenken auf der einen oder anderen oder auf beiden Seiten die Bandbreite des Deckungsbegriffes im Zweifel verhältnismäßig gering sein wird. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Deckungsgleiche hinsichtlich der innerstaatlichen Strukturen allenfalls in Bereichen vorstellbar ist, die aus Sachzwängen zu gleichen Regelungen führen. Das werden im Zweifel eher Rechtsgebiete sein, die auf neuere Entwicklungsstufen gesetzt werden, die mit weniger antithetischen politischen Emotionen aufgeladen sind. Das ist aber nicht unbedingt so. Es kann durchaus sein, daß gerade eine neuere gesellschaftliche oder wirtschaftliche oder kulturelle Struktur so politisch aufgeladen ist, daß sie sich schon um deswillen sträubt, auch nur in den Verdacht von dergleichen zu kommen. Was das Planungs recht angeht, so werden sich im Zweifel bei zentraler Planung einerseits und liberaler Wirtschaft andererseits nur rechtliche Identifikationen einstellen, für die partielle Lockerungen im einen System und partielle Straffungen im anderen System Raum geben. Im Außenrecht zwischen einem sozialistischen und einem nichtsozialistischen Staat sieht es so aus: Sobald die politische Grundstruktur tangiert wird, gibt es kaum oder gar nicht eine Rechtsbegegnung auf der Grundlage eines gemeinsamen Rechtsverständnisses. Die Virulenz 10 Vgl. Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, 5. Aufl. Berlin 1924, S. 440 f.
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des Politischen kann derart sein, daß für eine gemeinsame Rechtsnorm etwa in einem zwischenstaatlichen Vertrag keine Chance ist. Das ist dann der Fall, wenn die Vertragsnorm nur angestrebt wird, um über sie mittels einer temporären Koexistenz den anderen Staat innen- und schließlich außenpolitisch zu eliminieren oder zu assimilieren. Von welcher Seite das auch immer angestrebt wird, es widerspricht einer Rechtsfunktion, die allein zwischen Staaten mit verschiedener politischer und gesellschaftlicher Struktur angestrebt werden sollte. Hieraus erhellt aber zugleich, daß bei virulenter antithetischer gesellschaftspolitischer Einstimmigkeit zweier konträrer Staaten das Recht die Funktion hat, auf einer wenn auch dünnen Linie ein Band zu sein, das Widerstrebendes und Gegensätzliches, wenn schon nicht verbindet, so doch nebeneinander erträglich macht. Dann schafft Recht Abgrenzungen und Klarstellungen, die ihren Eigenwert darin haben, daß sie Sicherheitsfaktoren sind, die dem menschlichen Leben dienen. Damit erfüllt das so gesetzte Recht die Funktionen, die die Funktion allen Rechtes sein sollte, dem Menschen zu dienen. IV. Auch bei der Politik wird man differenzieren müssen. Analog dem, was zum Recht gesagt ist, wird man auch unterscheiden müssen, auf welchen Gebieten Politik betrieben wird. Bei Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und dem totalitären Primat der Politik nimmt diese naturgemäß für sich in Anspruch, das ausschließliche Movenz zu sein. Dabei ist nicht zu übersehen, daß dieses Movenz keineswegs immer in der Transformation in Recht als überbau mündet. Politik ergreift darüber hinaus alle Lebensgebiete und, wenn es schlimm kommt, die letzte Intimsphäre. Ob sie das vom "Sollen" her tun sollte, ist eine andere Frage als die, ob sie das objektiv, also vom "Sein" her tut. Das letzte ist keine Utopie, sondern in Vergangenheit und Gegenwart etwas, was durchaus existent ist oder sein kann. Dies erhellt, daß die Funktion der Politik keineswegs lediglich in der Transformation von Impulsen in Gesetze besteht. Ihr Wirkungsfeld liegt in dem weiten Feld der Bewußtseinsbildung der Gesellschaft. Das bedeutet, daß sie funktional im Verhältnis zum Recht Bewußtseinsänderungen hervorruft. Diese können als Basis für die Schaffung neuer Gesetze dienen. Sie können aber das Rechtsbewußtsein oder das gesellschaftliche Bewußtsein im Verhältnis zu bestehenden Gesetzen so aushöhlen, daß diese Gesetze ihre Effektivität verlieren. Wenn keiner mehr an die Richtigkeit eines Gesetzes glaubt, dann ist das fast so, als wenn das Gesetz nicht mehr bestünde. Seine Abschaffung ist dann nur
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noch eine Formalität. Aus den Gesetzen ist dann der Geist ausgeströmt, wie es Hölderlin hinsichtlich der Dinge dieser Welt formuliert hat, aus denen der Geist entwichen ist.
v. Nach welchen Maßstäben aber ist es erlaubt, zu beurteilen, was "Recht" ist. Die Frage stellt sich ebenso auch bei der "Politik". Vom sprachlichen aber schon spürt man den Unterschied. Beim "Recht" braucht man eigentlich nicht hinzuzufügen, ob es sich bei der Frage um die Frage nach dem "richtigen Recht" handelt, wie sie von Stammler und vielen anderen gestellt worden ist. Das kommt daher, daß man unterschwellig mit dem "Recht" sofort auch das "richtige Recht" meint. Das ist anders bei der Politik. Ihr steht man offenbar skeptischer gegenüber. Wenn man nach "Politik" fragt, so denkt man nicht sofort daran, daß man nach der "richtigen Politik" fragt. Der Grund für diesen Unterschied dürfte in der Tat darin liegen, daß im gemeinen Verständnis Politik sehr wohl gut und schlecht sein kann, ohne daß sie aufhört, Politik zu sein. Das trifft aber beim "Recht" ebenso zu. Das Recht ist zu oft glorifiziert worden. Es ist auf die Götter zurückgeführt worden. Es ist auf ewige Wahrheiten zurückgeführt worden. Ihm sollte der "Weltgeist" innewohnen. Es steckte in ihm der "Geist der Zeit". In dieser Hinsicht ist eine Entgötterung eingetreten. Selbst naturrechtliche Bezüge, wie man auch immer darüber denken mag, erscheinen als Grundlage des "Rechts" nicht mehr als die essentiale Basis. Nach einer verhältnismäßig kurzen Rückorientierung auf naturrechtliche Gedankengänge in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik ist nicht zu verkennen, daß wir in eine Epoche eingetreten sind, die eine verhältnismäßig nüchterne Betrachtung des "Rechts" hat. Allein die perfektionierte Produktion von hunderten oder gar tausenden von Gesetzen innerhalb einer Legislaturperiode bringt es mit sich, daß sich in dem Bewußtsein aller Beteiligten eine rationell-funktionale formelle Betrachtungsweise herausbildet. Einher hiermit geht die Erkenntnis, daß kausal für die einzelne Norm das politische Bewußtsein der betreffenden Gesellschaft ist. Mit den Wandlungen des Bewußtseins kommen und gehen Gesetze, kommt und geht Recht. Mit ihm lebt Recht, mit ihm stirbt Recht. Das bedeutet, wie man auch immer die Dinge sieht, daß in der Tat der politische Wille die Basis des "Rechts" ist. Ist dieser Wille eine Mehrheit, die die Macht hat, dann ist es ihr Wille. Ist es der Wille einiger weniger oder eines einzelnen, der die Macht hat, dann ist er es oder die Gruppe oder
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die "Elite", wie man es auch nennen mag. Ist es einer Minderheit gelungen, über den organisierten Willen des Ganzen einem Gesetz zum Leben zu verhelfen, dann ist sie die causa des Gesetzes, bis die Mehrheit es wieder abschafft. Es liegt auf der Hand, daß dies nur die halbe Wahrheit sein kann. Wir würden die Dinge zu undifferenziert sehen, wenn wir nicht hinzufügten, daß in vielen Gesetzen der politische Wille gebrochen ist. Das sind die Kompromißgesetze. Das sind die Blankettgesetze, in denen die Entscheidung auf die rechtsanwendende oder rechtsauslegende Instanz verlagert wird. In dieser wird, wenn sie unabhängig ist, der Wille der Mehrheit oder der Herrschenden oder des Herrschenden ebenso gebrochen wie bei einem Kompromißgesetz. Wenn man aber die Vielzahl der Gesetze des modernen Lebens unvoreingenommen ansieht, dann wird man feststellen, daß die überwältigende Mehrzahl der Gesetze bei der Vielzahl der Bewußtseinslagen und der Vielzahl der Interessenlagen und der Vielzahl der Wertungen in weitem Maße Kompromißcharakter trägt. Das ist gewiß bei einer pluralistischen Gesellschaft der Fall. Das ist aber auch bei näherem Zusehen in sozialistischen oder kommunistischen oder totalitär-faschistoiden Staaten der Fall. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich Sachzwänge oder wirtschaftliche Notwendigkeiten oder außenpolitische Gegebenheiten einer ideologischen Politik widersetzen. Das wird einsichtig, wenn man sich vergegenwärtigt, was unter einer Ideologie zu verstehen ist. Wenn der Begriff nicht ganz farblos sein soll, so wird man darunter eine "unangemessene Verallgemeinerung partiell sinnvoller Aussagen zu einem holistischen System" erblicken müssenl l . Hiermit ist nicht gesagt, daß es keine Wertung von "Politik" und "Recht" gäbe. Natürlich gibt es gute und schlechte Politik. Die Meinungen darüber, welche Politik gut und welche schlecht ist, sind in einer Welt, die von verschiedenen Ideen und Ideologien geschüttelt wird und auf der verschiedene Menschen leben, die das Recht haben, ihre eigene Meinung zu haben, verschieden. Das ist kein Werte-Nihilismus. Das ist nur eine Befreiung von Engen, die den Blick trüben. Keiner kann leugnen, daß es "Recht" in der Form gesetzten Unrechts gibt. Bis in die jüngste Geschichte hinein gibt es Beispiele dieser Art genug. Die Erschüttterung der Juristen, als sie das erste Mal "gesetztes Unrecht" sahen, bestand gerade darin, daß sie das gesetzte Recht nur mit einem Heiligenschein umgeben sehen konnten. Jeder Rechtssatz, jede Norm steht in dem Brechungswinkel der Wertungen derjenigen, 11 Rene König und Walfgang Kaupen, Ideologie und Recht, in: Werner Maihofer (Hrsg.), Ideologie und Recht, Frankfurt/M. 1969, S.147-167 (147).
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die durch sie betroffen werden. Auf sie ist aber auch das kritische Auge aller gerichtet, die zu der betreffenden Gesellschaft gehören, für die die Norm Geltungskraft hat. Es hat aber nicht nur der rechtsanwendende Richter und der Gesetze ausführende Verwaltungsbeamte diese kritische Sonde anzulegen, sondern nicht minder der Politiker. Seine Aufgabe ist es vornehmlich, die Dynamik innerhalb einer menschlichen Gesellschaft zu artikulieren und zu movieren. Zu diesem kritischen Verständnis zum Recht muß sich aber auch die betroffene menschliche Gesellschaft nicht nur in ihren besten geistigen Exemplaren, sondern auch in der Breitenwirkung eines Demokratieverständnisses erheben, wenn anders sie die Gesetze hat oder behält, die ihr auferlegt sind. In diesem Sinne ist "Recht" nicht das, was Recht ist, sondern das, was "Recht sein soll". Das ist die Heimat des kritisch einsetzenden wissenschaftlichen Verstandes. Hier liegt das neue bewußtmachende Verständnis auch der Rechtswissenschaft. Die ganze breite Palette der Werte, wie sie aus meta-juristischen Bereichen ausströmen, werden damit Forschungsgegenstand und Aussage derjenigen, die berufen sind, das Bewußtsein einer Gesellschaft zu wecken und zu formulieren. "Im Anfang war das Wort", ein Satz, der jedem bekannt ist. Das bedeutet, daß im Pluralismus der Ideen nur diejenige die Chance hat, sich durchzusetzen, die den größten Wahrheitsgehalt hat. Mit Recht wird jeder mit Pilatus fragen: "Was ist Wahrheit?" Auch Wahrheit ist nichts Absolutes. Ebensowenig wie die Freiheit etwas Absolutes ist. Beides ist, in Bezug auf die menschliche Gesellschaft, etwas Relatives. Eine Struktur, die unter bestimmten Gegebenheiten zweckmäßig ist, ist es bei anderen Strukturen nicht. Man wird in den Bereichen der gesellschaftlichen Ordnung mit Wahrscheinlichkeitswerten rechnen müssen. Das ist nicht nur das Element des "Politischen", sondern auch einer Wissenschaft wie der Physik oder auch der modernen Mathematik. Wahrheit in diesem Sinne ist das, was unter bestimmten Gegebenheiten die relativ optimalste Form menschlichen Zusammenlebens darstellt. Dabei möchte man geneigt sein, das naturgesetzlich so zu sehen, daß sich unter mehreren Möglichkeiten im Wettkampf der Systeme das durchsetzt, das den existentiellen Vorgegebenheiten des Menschen in der betreffenden Epoche am homogensten ist. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß der Blick hierfür vordringlich derjenige des Politikers ist oder doch sein sollte. Ich möchte aber hinzufügen, daß hierin auch das Anliegen jeder Wissenschaft besteht, die auf den Menschen bezogen ist. In einem neuen Selbstverständnis ist das aber auch als sozialkritisches Wertungsvermögen und Funktion Aufgabe von Regierenden, Richtenden und Verwaltenden, aber auch jeden Bürgers.
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Ich fasse zusammen: Recht ist gefrorene Politik, dazu verurteilt, immer wieder von neuen Impulsen der Politik in einen anderen Aggregatzustand überführt zu werden. Politik aber ist dann eine richtige, wenn sie das ihrer Zeit und dem Zustand der Gesellschaft Homogene zu treffen versteht. Politik kann Revolution sein, auch Recht bricht altes Recht. Solange es jedoch besteht, bindet es alle, auch den Politiker. Ein Wesentliches ist hierbei jedoch noch außer Betracht geblieben. Das ist die Tatsache, daß wir nicht nur gesetztes Recht haben, sondern auch Recht, dessen Ursprünge nicht immer mit Sicherheit festzustellen sind, dessen Existenz aber nicht zu bestreiten ist. Das sind die Rechtssätze, die dem Gewohnheitsrecht zuzurechnen sind. Es ist das Recht, das im Rechtsbewußtsein der Rechtsgemeinschaft, der Gesellschaft lebt. Wie groß die Bandbreite dieser "Ediktsmasse" ist, ist je nach der Struktur des Rechtskreises verschieden. In einem mehr auf das Gewohnheitsrecht abgestellten Rechtskreis, wie es der angelsächsische ist, spielt dieses naturgemäß eine wesentlich größere Rolle als gesetztes Recht. In einem Rechtskreis hingegen, der auf eine möglichst perfekte Normsetzung ausgerichtet ist, spielt das Gewohnheitsrecht eine geringere Rolle. So ist der Tatbestand in vielen totalitären Systemen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich diktatorisch oder formal demokratisch geben. An diese Normen eines ungeschriebenen Rechts ist die Politik in gleicher Weise gebunden wie an die positiv rechtlich gesetzten Normen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß bei Krisensituationen die Berufung auf Normen des ungeschriebenen Rechts vorzugsweise zur Defensive gegenüber übergriffen aus dem politischen Raum geeignet ist und so auch praktiziert worden ist. Daß 'aber die Politik auch vor ehrwürdig überkommenem gewachsenem Gewohnheitsrecht nicht Halt macht, folgt aus ihrer Natur. Ihre Funktion beruht als dynamischer Faktor ja gerade darin, kritisch auch überkommene Sätze des Gewohnheitsrechts daraufhin zu überprüfen, ob sie mit einer gewandelten Welt noch übereinstimmen. Die Weisheit des Politikers besteht aber darin, daß er sich nicht in einer Kritik um der Kritik willen verHert, sondern konstruktiv auch hier das dem Menschen Homogene sucht. Nichts anderes obliegt der Rechtsprechung, soweit ihr die Funktion der Lückenfüllung und Ausfüllung von Blankettnormen funktional zusteht. Es kommt damit nur wieder der alte Sprachgebrauch zu seinem Recht, daß die Rechtsprechung in der "Rechtsfindung" besteht. Damit wird deutlich, daß insoweit Politiker und Richter in gleicher Funktion tätig werden.
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Daß hier der Zentralpunkt der rechts- und sozialkritischen Wissenschaft ist, bedarf weiterer Ausführungen nicht. VI. Was in Sonderheit die zwischenstaatlichen Verträge anlangt, so meinen viele, es sei ein neues Problem unserer Zeit, ob solche Verträge zwischen Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsstrukturen abgeschlossen werden können. Das ist nicht der Fall. Es ist ein altes Problem. Wir finden es bereits bei den alten Völkern ebenso wie im Mittelalter und der Neuzeit. In weiten Bereichen des Altertums wurde das Problem so gelöst, daß man unterworfene Völker lin die Sklaverei abführte. Mit dem Aufkommen von "Bündnisverträgen" wurde 'aber das Problem aktuell. Auch im Altertum kämpften verschiedene Ideologien, versch,iedene Götter, verschiedene Gesellschaftsstrukturen miteinander. Mit den "Bündnisverträgen" kam aber die Zeit auf, daß man auch die andere Gesellschaftsstruktur oder die anderen Götter gelten ließ. Damit zeichneten sich die ersten Konturen eines späteren Völkerrechts ab, das mit dem Ende des Mittelalters und dem Verblassen des römisch-rechtlichen Universalgedankens aufkam. Aber auch dann blieb noch lange der Gedanke erhalten, daß Verträge mit nichtchristlichen Staaten ungültig seien. Verträge mit Heiden und Türken u. a. brauchte man nicht zu halten. Erst die Moderne rückte hiervon unter den Gedanken des Rationalismus und der Liberalität aber auch des Gleichheitsgedankens ab. Kein geringerer als Hugo Grotius hat dies unter den Schmerzen des Dreißigjährigen Krieges in das Bewußtsein seiner Zeitgenossen gebracht. Niemand wird aber verkennen, daß in unseren Tagen wiederum Ideologien mit dem Anspruch auf Absolutheit eine Gefahr darstellen, daß sie Entstehung von übergreifendem Recht, wie es völkerrechtliches Vertragsrecht ist, verhindern. Das gilt in gleicher Weise für die politischen Träger einer Ideologie wie für ihre Gegner. Aus der beiderseitigen Furcht und dem beiderseitigen Mißtrauen entsteht das Patt gegenüber der Setzung von befriedigendem Vertragsrecht. Das bedeutet, daß die Funktion des Politikers in dem Abbau von Furcht und Mißtrauen besteht. Wenn und soweit dies effektiv geschieht, ist die Basis für echte Vertragsschlüsse gegeben. Geschieht dies nur zum Schein, wie es der "schönredende Politiker" im Gorgias macht, so bricht damit die Basis für den "Vertrag" in sich zusammen. Was die Bindungswirkung von Verträgen auch zwischen Staaten mit verschiedener Gesellschaftsstruktur anlangt, so gilt letzthin hierfür wie für alle anderen zwischenstaatlichen Verträge der Satz: "paeta sunt servanda". Es gilt aber zugleich im Völkerrecht die "clausula rebus sie 6 Festschrift für H. U. Scupin
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stantibus". Das bedeutet, daß bei veränderten Umständen ein Vertrag aus den Angeln gehoben werden kann. Es wäre schlecht, wenn bereits bei Abschluß eines Vertrages dieser im Hinblick auf diese Klausel geschlossen würde. Wir müssen das aber real sehen. An der Existenz dieses Rechtsinstituts kann im Völkerrecht und zwtschenstaatlichen Recht allgemein kein Zweifel sein. Das liegt darin begründet, daß gerade im zwischenstaatlichen Bereich der Wandel der Machtverhältnisse und der Wandel in den Bewußtseinsinhalten ein erheblicher ist. Wie alles im menschlichen Leben dem Wandel unterworfen ist, so ist alles ein Vorübergehendes und Vergängliches. Le provisoir c'est qui dure. Ich fasse zusammen: Es gibt keinen Grund, Verträge zwischen Staaten mit verschiedener gesellschaftlicher Struktur nicht zu schließen. Sie Siind wirksam unld verbindlich wie alle anderen Verträge. Allerdings müssen sie getragen sein von der be~del'seitigen Bereitschaft, sich der Grundnorm des Völkerrechts "pacta sunt servanda" zu unterwerfen. Das bedeutet, daß man geschlossene Verträge nach "Wortlaut und Geist" zu halten hat.
Es liegt auf der Hand, daß naturgemäß die Frage, was der "Geist des Vertrages" ist, mehr als dehnbar ist. Da ist die Stunde des Politikers, aber auch des Rechtsinterpreten und RechtswilSsenschaftlers, zu artikulieren, was der Geist eines Vertrages ist. Natürlich beginnt die ganze Schwierigkeit erst, wenn der Vertrag Blankettbereiche enthält, die der schöpferischen Ausfüllung bedürfen. Wo finden sich 'die Maßstäbe, nach denen im Pluralismus der Ideen, Meologien und Systeme Lücken zu schließen sind? Wie fest müssen "Brücken" sein, um über sie zu gehen, wie fest die Pfeiler, die sie tragen? Das sind Fragen, die sich aufdrängen in einer Zeit, die sich anschickt, in das Wagnis zu schreiten, in zunehmendem Maße Verträge zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsstrukturen zu schließen. Umso mehr ist der Jurist gefordert, das Seine zu tun, "Brücken" tragbar zu machen, wie schwach ,sieauch auf den ersten Blick erscheinen mögen. Nichts anderes gilt für den Politiker, wie auch immer sonst ihre Unterschiede sind. VII.
Was die Rechtsprechung anlangt, so darf ich mich im Rahmen dieser Ausführungen exemplikativ darauf beschränken, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 zu den Ostverträgen12 die Stelle zu zitieren, die das Verhältnis zwischen Politik und Rechtsprechung so formuliert: 12
BVerfGE 36, 14 f.
Politik und Recht
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"Zu den gerade in der Verbindung mit der verfassungsrechtlichen Prüfung von Verträgen bedeutsamen Auslegungsgrundsätzen gehört außerdem, daß bei der Auslegung von Verfassungsbestimmungen, die sich auf Beziehungen der Bundesrepublik mit anderen Staaten beziehen, deren schrankensetzender, also Spielraum für die politische Gestaltung lassender Charakter nicht außer Betracht bleiben darf. In dieser Begrenzung setzt das Grundgesetz jeder politischen Macht,auch im Bereich der auswärtigen Politik, rechtliche Schranken; das ist das Wesen einer rechtsstaatlichen Ordnung, wie sie das Grundgesetz konstituiert hat. Die Durchsetzung dieser Verfassungsordnung obliegt letztverbindlich dem Bundesverfassungsgericht. Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung Iseiner eben dargelegten Kompetenz, sondern den Verzicht "Politik zu treiben", d. h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt also darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten. " Zwar ist im weiteren Verlauf des Urteils zu einer Anzahl Punkte Stellung genommen, bei denen man manchmal versucht sein könnte zu fragen, ob es diese von ihm selbst zur Politik gesetzte Grenze immer eingehalten hat. Wie dem aber auch sei, seine Entscheidungsgründe sind, soweit ihnen Bindungswirkung zukommt, für den Politiker eine Richtschnur, die er von Rechts wegen beachten muß. Daß auch alle Folgeverträge einer solchen Rechtsprüfung unterliegen, wird im Urteil betont hinzugefügt. Deutlicher kann der Schwierigkeitsgrad der Schwelle zwischen Recht und Politik kaum Ausdruck finden. Bemerkenswert ist auch, daß im Urteil in Übereinstimmung mit der Präambel zum Grundlagenvertrag ausgeführt ist, daß die Verträge mit einem "Grunddissens" geschlossen sind, den die Vertragschließenden erklärterweise voraussetzen. Das ist etwas Phänomenales. Für die Kritiker gibt das Veranlassung zu fragen, ob es ohne Bereinigung eines Grunddissenses überhaupt sinnvoll ist, einen solchen Vertrag zu schließen. Für diejenigen, die das Risiko solcher Verträge auf sich nehmen wollen, bleibt die Frage, wie diese bei fortbestehendem Grunddissens "nach Wortlaut und Geist" interpretiert werden können, und was gilt, wenn der Grunddissens oder ein "Provisorium" wegfällt.
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Frltz Pardon VIII.
Abschließend darf ich folgende Thesen formulieren: 1. Politik ist ohne Macht wenig, wenn man sie nur -als machtanhäufende Dynamik versteht. Politik ohne Macht ist mehr, wenn sie darin besteht, das Bewußtsein einer Zeit durch Geist und Wissenschaft zu erhellen. 2. Friede durch Recht ist nur eine halbe Wahrheit. Erst wenn hinter dem Recht die Rechtsüberzeugung steht, kann es Frieden schaffen. 3. Recht hat nicht nur Dienstleistungsfunktion. Es ist nicht die Dienerin einer Ideologie. Sein Eigenwert besteht darin, daß es auch Verschiedenes bindet. 4. Auch Recht ist relativ. Seine Effizienz hängt von seiner materiellen Substanz ab. Davon hängt auch seine Lebensdauer ab. Was "Recht" ist, ist nicht unbedingt das, was Recht sein sollte. 5. Besser weniger Recht als mehr. Eine Verrechtlichung der Politik ist ebenso schädlich wie eine Politisierung des Rechts. 6. Es gibt so wenig eine Einheit des Rechts wie es eine Unteilbarkeit der Freiheit gibt. Auch das Recht ist relativ und die Freiheit teilbar. Es gibt auch "Recht gegen Recht". 7. Auch Politik ist nicht frei von Sachzwängen, aber ebensowenig frei von Wissenschaft und Recht. 8. Es gibt gute und schlechte Verträge. Schlechte werden später manchmal gut, gute später manchmal schlecht. Auch Verträge mit Dissens können leben. 9. Unklarheit von Normen oder Verträgen steht in reziprokem Verhältnis zu mangelnder Basis, verstecktem oder offenem Dissens. In die Leerräume strömt die Macht, wenn nicht Recht sie ausfüllt. 10. "Recht" sollte Mitte sein, Mitte zwischen Mächtigen und Schwachen, Mitte zwischen Vorteil und Nachteil. 11. "Recht" gewinnt nicht aus sich Wertung. Es verdankt sie stets menschlichen Wertungen. In diesem Sinne wirkt es kausal, -auch final zugleich. 12. "Richtiges Recht" sollte Frieden stiften, 'Sollte der Gleichheit dienen und am Humanen orientiert sein.
Ordnungspolitische Aspekte im Wandel der sozialen Frage Von J osef Schäfers, Mainz I. Zum Begriff und Inhalt der sozialen Frage Als Heinrich Heine 1840 in seiner Pariser Korrespondenz für die Augsburger Allgemeine Zeitung nachweislich erstmals im Deutschen die Formel von "alle sozialen Fragen" benutztet, ahnte er sicherlich nicht, daß solches Reden von allen, ja von "der sozialen Frage" (so Heine 18432 ) noch mehr als 140 Jahre später sozialwissenschaftliche und sozialpolitische Debatten nachhaltig bestimmen sollte. Heine beschrieb damals mit diesen Ausdrücken die verschiedenen sozialen Krisenerscheinungen, die im westlichen Ausland beim übergang zu einer sich industrialisierenden, von ständischen Bindungen gelösten Gesellschaft auftraten. Französische Sozialphilosophen und Sozialkritiker (u. a. Bazard, Fourier, Proudhon) hatten dafür das stenographische Gedankenkürzel "question sociale" geprägt3 • Unser Begriff von der "sozialen Frage" ist also eine dorther stammende Lehnübersetzung. Der spätere Mainzer Sozialbischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (1811-1877), ein geborener Münsteraner, war es, der wenige Jahre danach - 1848 - diesen Terminus und seine damaligen Bedeutungsinhalte in den Vordergrund des aktuellen Interesses einer breiten Öffentlichkeit rückte. Er sah darin die wichtigste und schwerste Aufgabe seiner Zeit und meinte: "Wer sie begreift, der erkennt die Gegenwart; wer sie nicht begreift, dem sind Gegenwart und Zukunft ein RätseI4 ." 1 L. H. Adolph Geck, über das Eindringen des Wortes "sozial" in die deutsche Sprache, Göttingen 1963, S. 35. 2 Ebd., S. 35, Anm. 81. 3W. Fischer, Der Wandel der sozialen Frage in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften, an: B. Külp und H. D. Haas (Hrsg.), Soziale Probleme der modernen Industriegesellschaft, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, N. F. Bd. 92/I, BerLin 1977, S. 35-68, hier S. 36. E. Pankoke, Sociale Bewegung Sociale Frage - Sociale Politik, Stuttgart 1970, S. 49. 4 E. Iserloh, Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, Sämtliche Werke und Briefe VI, Mainz 1977, S. 18 und 35. Ketteler betonte auch die besondere Verantwortung der Kirche, hier zu helfen, denn "die soziale Frage ist mit ihrem Lehr- und Hirtenamt unzertrennlich verbunden" (zitiert nach J. Mumbauer, W. E. v. Kettelers Schriften, Bd. 3 München 1911, S. 151). Diese Feststellung haben die Päpste seit Leo XIII. (1891) immer wieder bestätigt, zuletzt Papst Johannes Paul II. bei seinem Deutschland-Besuch am 16.11. 1980
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Sein und anderer Festhalten am Singular des Begriffs deutet darauf hin, daß man der stets anzutreffenden Neigung widerstehen wollte, Krisenphänomene in leicht überschaubare, abgrenzbare Problemfelder aufzusplittern. Der Blick für den inneren Sachzusammenhang, für die möglicherweise gemeinsame Ursache sollte nicht verlorengehen. Und in der Tat glaubte man, etwas allen sozialen Schwierigkeiten Gemeinsames zu erkennen, die mannigfachen Störungen in der Sozialordnung auf so etwas wie den Kern eines kritischen Werturteils zurückführen zu können. Logische Prämisse war dabei die Akzeptanz eines geradezu platonischen Orientierungsansatzes5 • Ganzheitliche Problemauffassungen und Lösungsversuche gingen immer wieder von vorgegebenen Wertmaßstäben und Leitbildern sozialethischen und sozialpolitischen Inhalts aus. So definierte z. B. H. von Scheel 1871 die soziale Frage als "den zum Bewußtsein gekommenen Widerspruch der volkswirtschaftlichen Entwicklung mit dem als Ideal vorschwebenden und im politischen Leben sich verwirklichenden gesellschaftlichen Entwicklungsprinzip der Freiheit und Gleichheit"6. Darauf aufbauend heißt es noch in unseren Tagen, die soziale Frage sei "die Frage nach den Fehlentwicklungen und Fehlwirkungen der Sozialordnung einer Gesellschaft hinsichtlich der ihr gestellten Gemeinwohlaufgaben, nach deren Ursachen und den Mitteln zu deren Überwindung"7. Oder kürzer und bündiger: "Die soziale Frage ist das Ergebnis der Nichtübereinstimmung von sozialer Idee und vorgefundener Wirklichkeifl." Solch politisch-normatives Verständnis ist also von Anfang an bis heute das entscheidende Kriterium in den tagespolitischen Auseinandersetzungen, aber auch in den einschlägigen wissenschaftlichen Kontroversen gewesen. Daran haben die Bemühungen Max W,ebers und seiner Freunde wenig geändere. Und das ist gut so! in Mainz. Darüber, daß die soziaLe Frage zu den Materialien des Vatikanums I (1869/70) gehörte, vgl. E. Gatz, Das erste Vatikanische Konzil und die soziale Frage, in: Annuarium Historiae Conciliorum 3 (1971), S. 156-173. Die erste parlamentarische Rede über die sozialen Aufgaben des Staates hielt ein Vertreter der christlichen Sozialbewegung, nämlich Franz-Joseph Ritter von Buß (1803-1878) am 25.4. 1837 in der 2. Badischen Kammer, vgl. J. Seiters, QueLlen zur Sozialpolitik des 19. Jahrhunderts, Münster 1962, S. 10. s W. W. Engelhardt, Alte und neue soziale Fragen - zu ihren begrifflichen, historischen, z'eitanalytischen und systematischen Zusammenhängen, in: H. P. Widmaier (Hrsg.), Zur Neuen Sozialen Frage, Berlin 1978, S. 33. G H. v. Scheel, Die Theorie der sozialen Frage, Jena 1871, S. 16. 7 J. Messner, Die Soziale Frage, Innsbruck 1965, S. 23. 8 A. Müßiggang, Die soziale Frage in der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie, Tübingen 1968, S. 4. 9 W. Fischer (Fn. 3), S. 39. Vgl. auch G. Weisser, Normative Sozialwissenschaft im Dienste der Gestaltung des sozialen Lebens, in: Katterle u. a., Beiträge zur Gesellschaftspolitik, Göttingen 1978, S. 28 f.; K. Lompe, Gesellschaftspolitik und Planung, 2. Aufl., Bern und Stuttgart 1976, S. 124; St. H. Pjürtner, Politik
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Je mehr nämlich Beziehungen zum Menschen berührt werden, um so mehr sind auch Erfahrungstatsachen werthaft oder wertgeladen. Soziale Ziel- und Interessenkonflikte lassen sich deswegen nicht einfach in einem magischen Vieleck aus scharfer Trennung von Seinsverhalten und Werturteilen lösen - schon gar nicht in unserer heutigen pluralistisch verfaßten Gesellschaft mit ihrer ständig weitergreifenden Orientierungskrise im sinnbezogenen Erleben und Handeln. Aus dem spannungsvollen Zusammenwirken von analytisch-nüchternem Realitätsbewußtsein und der lebendig-phantasievollen Fähigkeit zu normativem, ja utopischem Denken und Handeln erwachsen uns die vielfältigen Gestaltungskräfte schöpferischer Dynamik, auf die wir für das Überleben einer menschlichen Gesellschaft 'angewiesen sind. Zweifelsohne sind derartig stimulierende Verbindungen bei uns mitursächlich für das hohe Niveau unseres sozialpolitischen Leistungsstandards. Auf sie gründet sich zudem unser spezifischer Beitrag, mit dem wir das soziale Staatsziel in die Entwicklung des modernen westlichen Staates eingebracht haben. Das Konzept der sozialen Frage hat mithin zwei Seiten. Es versucht einerseits, den gesellschaftlichen Wandel in seinem historischen Kontext und die Verschiebung gesellschaftlicher Konfliktlinien zu erklären sowie auf einen begrifflichen Nenner zu bringen. Andererseits schärft es zugleich die politische Aufmerksamkeit für die Stellung eines jeden Menschen in der Gesellschaft, will Gleichgültigkeit gegen Menschliches überwinden, fragt danach, wie das menschliche Zusammenleben geordnet und gestaltet werden kann und muß, damit alle - auch der benachteiligte - einen ihrer personalen Würde entsprechenden Lebensraum erhalten10 • Politischer formuliert: Es geht um die Stabilität der Gesellschaftsordnung durch mehr Menschlichkeit, um die Frage nach einem angemessenen Machtgleichgewicht zwischen den Starken und den Schwachen im gesellschaftlichen Kräftespiel. Nun hat es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte unermeßlich viel Ausbeutung, Rechtlosigkeit und Elend gegeben. Die Sklaverei in und Gewissen - Gewissen und Politik, Grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis von Ethik und Politik, Zürich 1976, S. 19 ff.; E. Satin, Politische Ökonomie, Geschichte der wirtschaftspolitischen Ideen von Platon bis zur Gegenwart, 5. Auf!., Tübingen - Zürich 1967, S. 149. - In den englischspraehigen Ländern hat s'ich der Begriff von der sozialen Frage wegen seiner präskriptiven Implikationen im Unterschied zum deutschen und romanischen Sprachgebiet nicht durchgesetzt. 10 O. v. Nell-Breuning, Die Sozialpollitik als integraler Bestandteil der allgemeinen Politik; in: F. Karrenberg / H. Albert, Sozialwissenschaft und GeseIlschaftsgestaltung, Festschrift für Gerhard Weisser, Berlin 1963, S. 327 ff.; ders., Zur Sozialen Frage, Beiträge zu einem Wörterbuch der PoIitik III, Freiburg 1949, S. 2; L. Preller, Sozialpolitik als Strukturpolitik, in der vorerwähnten Festschrift, S. 345 ff.
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der antiken Welt und die weitverbreitete Armut als soziale Konstante des ganzen Mittelalters sind dafür zwei Stichworte. Bis in unsere neuere Geschichte hinein konnten die Wurzeln der Armut, damals definiert als "Ausgeliefertsein an jeglichen Wechselschlag des Lebens, die völlige Abhängigkeit von Ernteausgang und Wirtschaftslage, das Von-derHand-in-den-Mund-Ieben"11, nicht beseitigt werden. "Wo immer Mittellosigkeit, Schwachheit, Ungenügen sind, treten sie auf. Der größte Teil der Truppe besteht aus Arbeitern, die von einem Tag zum anderen leben. Es folgen die Arbeitslosen, die Inva1i:den, die Kranken jeder Art, die Waisen, die Witwen, die Alten ohne Mittel und schließlich die disparate Gruppe der Gescheiterten, der Deklassierten und der Ausgeschlossenen; Schwachsinnige, nicht resozialisierbare Verurteilte, Uneheliche und Prostituierte. Keiner kannte ihren Namen, und die Wörter, die sich auf sie beziehen, bezeichnen sie als Sammelbegriff, ohne sie zu personalisieren1:2." Anpassung an die gesellschaftliche Ordnung des Bürgertums ("Sozialdisziplinierung"13) im Einklang mit einer systematischeren Gliederung der Verwaltung, einer stärker formalisierten Justiz und einer wirksamer organisierten Aufsicht über Zünfte und Märkte war die Antwort darauf. Der später aufkommende Liberalismus befreite den einzelnen aus den einengenden Bindungen der 'alten Solidargemeinschaften, brachte ihn aber auf diese Weise auch um den Halt und die Unterstützung, welche Institutionen solcher Art geboten hatten. Bindungslos zu leben - und verbindungslos zu sterben, war jetzt dem einzelnen aufgegeben. Die Freiheit zum eigenen Erfolg hatte als Kehrseite die Schutzlosigkeit im Mißerfolg. So lieferten die von der Bauernbefreiung entwurzelten Bauernsöhne und die dem Zunftzwang entlaufenen Handwerksburschen den Nachschub für den "Pauperismus"am Ende des 18. und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, verschärft durch das schnellere Bevölkerungswachstum bei noch langsamen Produktionszuwächsen in 11 W. Fischer, Die Soziale Frage als soziales Grundproblem einer Epoche, (bisher) unveröffentlichtes Manuskript 1981, S. 22. Fischer stellt in dieser Untersuchung die Diskussion um die soziale Frage in eine längerfristige histor1sche Armuts-Perspektive. 12 So der Pariser Historiker Michel Mo Hat, einer der wohl besten Kenner der mittelalterlichen Armut, zitiert nach W. Fischer (Fn. 11), S. 11/12. Siehe auch den überblick bei H. Grebing / F. J. Stegmann, Zur Geschichte der sozialen Frage, in: H. Grebing (Hrsg.), Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, München 1969, S. 3 ff. 13 G. Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 53 (1968), S. 342, auch in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 191; ders., Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 9. Aufl., hrsg. von H. Grundmann, Bd. 2, Stuttgart 1970, S. 409 u. 425.
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Landwirtschaft und Industrie14. Die Lebenslage dieser Heim- und Landarbeiter sowie Kleinbauern war durch massenhaftes Elend gekennzeichnet, vor allem bei einem krankheits- oder altersbedingten Herausfallen aus dem Arbeitsprozeß. Der deutsche Idealismus hatte während seines philosophischen Höhenfluges die soziale Wirklichkeit vergessen. H. Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts -
die Arbeiterfrage
Bauernfrage und Pauperismus mündeten bei uns um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Gesellschaft, 'innere Politik und Kultur beherrschenden sozialen Gegensatz zwischen den Unternehmern und den industriellen Arbeitern. Die soziale Frage wurde zur Arbeiterfrage15. Im Zuge der fortschreitenden technisch-wirtschaftlichen Entwicklung waren die Arbeiter der damaligen Zeit ökonomisch und sozial unfrei, der Übermacht des "Kapitals" ausgeliefert. Der vom "naturalistischen Geist", vom Glauben an die bloß mechanistische Vorstellung einer stetig "aufsteigenden" Entwicklungslinie geprägte "homo oeconomicus"16 schuf sich eine neue, vom werthaft Substantiellen losgelöste Rangordnung. An der Spitze seiner Skala standen die materiellen Güter. Sein so zur inhumanen Betrachtungsweise verkommenes Denken kehrte den zentralen Sinn der Herrschaftsaufgabe des Menschen über die sichtbare Welt ins Gegenteil: Der Primat der Person über die Dinge, der Vorrang der Arbeit als personales Element mußten der Überordnung des Materiellen und der Voranstellung des nur instrumentalen Kapitals weichen. Individualistisches Selbstinteresse wurde mehr und mehr zur bestimmenden Richtschnur und zum Motor des Handelns im Produktionsprozeß von Marktgütern. An Stelle der vom Frühliberalismus Hegelscher Providenz vorausgesagten Harmonie und Brüderlichkeit waren menschenunwürdige soziale Verhältnisse entstanden. Darin lebende Arbeiter und deren Familien wurden dem, was Hegel den Weltgeist nannte, zum Opfer gebracht. Schlechte Lebensbedingungen, unzureichende Einkommensverteilung, lange Arbeitszeiten, Schädigung der Gesundheit, Kinderarbeit, man14 W. Fischer (Fn. 11), S. 70. Vgl. zudem H. Lampert, Sozialpolitik, Berlin 1980, S. 28 ff.; F. Seidel, Die soziale Frage in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 1964, S. 2 ff. und 258-275; G. Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Leipzig 1900, S. 558. 15 Dazu eingehend H. Lampert (Fn. 14), S. 37 ff.; M. Graser, Die Neue
Soziale Frage, !in: "Aus Politik und Zeitgeschichte" - Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", Bann, B 10/1978, S. 5; H. Aching'er, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 2. Auf!., Nr. 249 der Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Frankfurt 1971, S. 41. 16 L. Böckels u. a., Machtverteilung im Sozialstaat, Untersuchungen zur These: Öffentliche Armut bei privatem Reichtum, München 1976, S. 23 ff. Ideengeschichtlicher Rückblick bei E. Satin (Fn. 9), S. 70 ff.
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gelnde Rechtssicherheit, fehlende Mitspracherechte am Arbeitsplatz und soziale Not bei Verlust der Arbeit waren die bedrückenden Kennzeichen wirtschaftlicher Verelendung breiter Bevölkerungs:schichten. Für die einen mußte dies notwendig zur Revolution führen (Karl Marx mit seiner politischen Parole vom "Klassenkampf"), die anderen machten die Revolution durch soziale Reformen und gesellschaftliche Integration der Arbeiterschaft hinfällig (christliche und sozialdemokratische Selbsthilfeorganisationen sowie obrigkeitsstaatliche Sozialpolitik). Das wirtschaftliche Wachstum setzte dafür die finanziellen Mittel frei. Unbestritten hat sich dadurch die Lage der lohnabhängigen Arbeiter, später der Arbeitnehmer, im Laufe der letzten 120 Jahre entscheidend verbessert. Davon zeugen ihre politische Gleichberechtigung, ihr Anteil an der allgemeinen Wohlstandsmehrung, ihre Vertretungsmacht kraft gewerkschaftlicher Organisation sowie die verschiedensten sozialpolitischen Einrichtungen und Regelungen (wie z. B. Mitwirkungsrechte auf betrieblicher und überbetrieblicherEbene, VermögensbHdung, soziale Sicherheitsrechte, Arbeitsschutz)l"T. Der Arbeitnehmer ist heute in der Tat nicht mehr der "Unterprivilegierte" unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, nicht mehr funktionell arm und auch nicht mehr Minderheit. Der infolge fundamentalen menschlichen Versagens im vorigen Jahrhundert entstandene Konflikt zwischen Kapital und Arbeit ist somit - jedenfalls prinzipiell (vom Institutionellen her) - gelöst18 , zumindest nachhaltig entschärft. Es soll jedoch nicht bestritten werden, daß es nach wie vor strukturelle Ursachen von ungerechtfertigten Benachteiligungen gibt und auch problemgeladene Wirkungsweisen der vorherrschenden Verteilungsmechanismen. Betroffen sind hiervon in erster Linie in unteren Lohngruppen arbeitende Frauen, un- und angelernte Arbeiter, durch Alter oder schlechte Gesundheit weniger leistungsfähige Arbeitnehmer. Gerade sie erfahren in wirtschaftlichen Krisen, wie heute bei Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, eher als andere Bevölkerungsschichten ihre äußere Existenzenge und Daseinsunsicherheit. Ebensowenig darf der nach wie vor vorhandene Spannungsbogen in der unlösbaren Verbindung von Arbeit und Kapital weder bagatellisiert noch gar geleugnet werden. Ihn scharf anzusprechen, gehört zu dem 17 Einen näheren überbLick bieten u. a.: H. Lampert (Fn. 14), S. 122 ff.; F. Zacher, Sozialpolitik und Verfa,ssung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1980; A. Burghardt, Kompendium der Sozialpolitik, Berlin 1979, S. 57 ff.; V. Gräfin von Bethusy-Huc, Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschloand, 2. Aufl., Tübingen 1976, S. 58 ff. 18 W. Dettling u. a., Die Neue Soziale Frage und die Zukunft der Demokratie, 2. Aufl., München-Wien 1977, S. 50. H. Geißler, Die Neue Soziale Frage, Freiburg 1976, S. 14. K. Lompe (Fn. 9), S. 128. A. Müssiggang (Fn. 8), S. 236. W. Schreiber, Sozialpolitik 'in einer freien Welt, Osnabrück 1961, S. 83 f.
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politischen Versuch, taugliche Lösungen zu finden, um die Übel von der Wurzel her zu überwinden. So ist es trotz großer Erfolge in dem Bemühen, die Herrschaft technischer sowie ökonomischer Rationalität durch mehr Humanisierung der Arbeitsstrukturen19 zu bändigen, immer noch nicht gelungen, die bereits angesprochene Verdinglichung des arbeitenden Menschen aufzuheben. Es gibt weiterhin auch bei uns übermächtige ökonomisch-politische Interessen, die - im materialistischen Mengendenken verfangen - die Welt der Wirtschaft ethisch neutralisieren möchten und den darin arbeitenden Menschen praktisch zum bloßen, beliebig austauschbaren Mittel, zum technischen Sklaven abqualifizieren. Für sie ist letztlich der Mensch mit seiner personalen Lebendigkeit, seinen individuellen Erwartungen und als mitverantwortliches Glied einer solidarischen Dienstgemeinschaft nicht gefragt20 • Das läßt sich weder unter dem Zelebrieren eines rhetorischen Humanismus noch unter der Pflege eines feierlichen Heroismus verbergen. Wir weichen den Problemen der menschlich-sozialen Gestaltung von Arbeit und Betrieb aus, wenn wir uns damit zufriedengeben, in Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung und vermehrten Konsumchancen einen Ausgleich für inhumane Strukturbedingungen im Produktionsund Verteilungsprozeß zu suchen. Gewiß muß dort dem Quantitätsgebot maximalen Nutzens für die Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung Genüge getan werden. Jedoch steht diesem berechtigten Ziel gegenüber der menschliche Qualitätsanspruch. Beide Zielbereiche bedürfen auch gegenwärtig einer noch besseren relationalen Verschränkung. Das ist kein automatisch anfallendes Nebenprodukt des technisch-wirtschaftlichen Fortschritts, sondern eine bewußt zu gestaltende Ordnungsaufgabe. Allzuoft fehlt es uns dafür weniger an intellektueller Erkenntnisfähigkeit als vielmehr an moralischer Entscheidungskraft. Die Gerechtigkeit in der Ertragsteilung der Wirtschaft verlangt nach einer weitergehenden Beteiligung der Arbeitnehmer an der Vermögensbildung (einschließlich der Produktionsmittel). Dabei kommt es ordnungspolitisch auf persönlich verfügbares Vermögen an, damit vom Eigentum her menschliche Freiheit und persönliche Verantwortung gestützt werden können. Die Arbeitswelt muß zudem wieder stärker als ein Gemeinschaftserlebnis begriffen werden, nicht bloß als eine äußere Werkverbundenheit (zur Verdeutlichung mag das Bild vom Blutkreislauf dienen). Das führt zu der Forderung, durch mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer das die Geschichte beherrschende und oftmals schmerzhaft erfahrene Grundmuster von Herrn und Knechten zugunsten 19 R. Kramer, Arbeit, Theologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte, Göttingen 1982, S. 85 ff. 20 Man betrachte manche Vorgehensweisen bei Betriebsschließungen in der Gegenwart.
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einer partnerschaftlich21 angelegten Zusammenarbeit von Gleichberechtigten zu überwinden. Mitbestimmung ist authentischer Ausdruck menschlichen Selbstwertes. Ihr kommt gerade für eine technische Zukunft systemtheoretischer oder (umfassender) kybernetischer Veränderungen22 entscheidende Bedeutung zu. III. Zur Neuen Sozialen Frage Diese und andere noch vorhandene Aufgaben im Interessenfeld von Arbeit und Kapital täuschen jedoch zu leicht darüber hinweg, daß inzwischen schwere soziale Probleme außerhalb des wirtschaftlichen Produktionsbereiches entstanden sind. Die davon betroffenen Menschen stehen im toten Winkel öffentlicher Aufmerksamkeit. Ihre Sorgen und Nöte werden von vielen als peripher und relativ unbedeutendangesehen. MituI1Sächlich dafür ist eine staatliche Sozialpolitik, der es bisher kaum gelungen ist, aus ihrem traditionellen Bezugsrahmen herauszutreten. Eindimensional fixiert auf ein Rollenverständnis vom Menschen als einem nur produzierenden Wesen ist diese Politik der alten "Arbeiterfrage" , dem angeblich.en Grundwiderspruch von Arbeit und Kapital allzu stark verhaftet geblieben. Infolgedessen sind ihr die nicht in Produktionsmerkmalen und Geldgrößen faßbaren Bedürfnisse der Menschen (die sog. "neuen Mängel") weitgehend aus dem Blickfeld geraten. Gemeint sind hier beispielhaft die Lebensinteressen der ca. 1,3 Mio. wirklich Schwerstbehinderten unter uns. Sie können kaum in den Arbeits- und Berufsprozeß eingegliedert werden. Für sie wird zwar materiell zumeist ausreichend gesorgt. Sie müssen aber in einer Welt leben, die von den Nützlichkeitsmaßstäben Nichtbehinderter geprägt ist. Dementsprechend werden sie häufig nicht sozial ein-, sondern total ausgegliedert. - Gemeint sind hier die sich ausbreitende Gleichgültigkeit und die zunehmende Mißachtung des Grundbedürfnisses von Millionen alt gewordener Menschen unter uns. Sie möchten ihre durch Lebenserfahrung und Lebenssinngebung erworbene Sicherheit persönlicher Daseinsgestaltung in einem neu gewonnenen Freiheitsraum bewahren23 • 21 Zu Partnerschaft und Mitbestimmung :in der Arbeitswelt siehe H. Budde, Soziale Partnerschaft als gesellschaftliche Ordnungsaufgabe, in: Die Neue Ordnung Heft 4/19S2, S. 302 ff. 22 Dazu näher K. Steinbuch, Maßlos informiert, 2. Aufl., München-BerLin 1978, S. 38 ff.; ders., über die Zukunft unserer Gesellschaft, Sonderdruck der Studiengesellschaft für Information und Fortbildung e.V., Stuttgart 1973, S. 6; F. Vester, Kyberilietisches Denken in der Technologie, 'in: H. v. Nussbaum (Hrsg.), Die Zukunft des Wachstums, Düsseldorf 1973, S. 59. 23 Zu diesem Grundbedürfnis H. Schelsky, Die große Lücke in der SozialpoLitik, FAZ v. 1. 6. 1977, S. 11. 9,5 Mill. der Deutschen sind heute 65 Jahre alt und darüber. Der Anteil der mehr als sechzig Jahre alten Personen (gegenwärtig 20 % der deutschen Bevölkerung) wird bis zur Jahrtausendwende
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Viele von ihnen werden jedoch gleichsam "draußen vor der Tür" zum bloßen Objekt von Pflege- und Schutzbedürftigkeit degradiert, altern so in mehr oder weniger gut eingerichteten Heimen und sterben in der kalten Funktionalität moderner Groß-Krankenhäuser. Sie hatten geglaubt, für ihr Alter selbst vorgesorgt zu haben, und müssen nun - der Sozialhilfe bedürftig24 - die Schändlichkeit eines gescheiterten Lebensplanes ertragen. - Gemeint sind hier schließlich die kinderreichen Familien in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erfahren tagtäglich in einem der reichsten Länder der Erde, daß mehrere Kinder zu haben, ein Kennzeichen wirtschaftlicher Armut und g.esellschaftlicher Abseitsstellung geworden ist25 • Die höchste Zahl an Kinderunfällen einerseits und die niedrigste Geburtenziffer in der Welt andererseits erweisen, wie gravierend die materiellen, mehr noch die immateriellen Bedürfnisse unserer Familien, der Frauen und Kinder in ihnen, politisch vernachlässigt werden26 • - Andere Gruppen im toten Winkel öffentlicher Aufmerksamkeit sind: Allein erziehende Elternteile, ausländische Gastarbeiter-Familien, psychisch Kranke, Strafentlassene u. a. mehr. Die gemeinsamen Merkmale dieser Unterprivilegierten in unserer Gesellschaft von heute bestehen in ihrer Sozialposition außerhalb eines Produktionsverhältnisses und in ihrer fehlenden oder mangelhaften Organisationsmacht2'7. Sie erbringen keinen spezifischen Beitrag für die wirtschaftliche Leistungsgesellschaft, sind nicht direkt in den reflexiven Mechanismus von materieller Wertschöpfung und Verteilung eingebunden. Sie werden primär als Kostenauslöser verstanden. Ausgeschaltet aus dem Prozeß von wirtschaftlicher Wertschöpfung und materieller Verteilung, verfügen sie über keine maßgebliche Macht, über kein Droh- oder Störpotential, durch das sie den Gesellschaftsmechanisauf 25 Ofo ansteigen. Dabei nimmt vor allem die Anzahl derer zu, die mehr als siebzig Jahre alt sind. Zur Lage dieseT älteren Menschen und zum sog. Generationenkonflikt vgl. H. Geißler (Fn. 18), S. 21 f. 24 Ca. 450 000 über 60 Jahre alte Personen leben bei uns in Heimen (FAZ v. 2. 8. 1982 - "Radikale Veränderung der Bevölkerungsstruktur"). Für die weitaus überwiegende Mehrheit (70 Ofo) werden die Heimkosten durch die Sozialhilfe bezahlt. Im übrigen haben erheblich über 1 Mill. Rentner nur eine Rente unterhalb des Sozialhilfeniveaus. 25 H. Geißler (Fn. 18), S. 29. 26 Der Nestor der deutschen Sozialethiker, Oswald von Nell-Breuning SJ, am 27.7.1982 in einem NDR-Interview des 3. Fernsehprogramms (Hessen): "Die Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist unter den zivilisierten Ländern dieser Erde die schlechteste". 27 Zum Nachfolgenden vgl. besonders H. Geißler (Fn.18), S. 15 ff.; A. Rauscher, Grenzmoral im Sozialstaat, in: ders. (Hrsg.), Krise des Sozialstaats?, Köln 1977, S. 51. Diese Nichtproduzenten und Nichtorganisierten sind die "Hasen" in der bei Aristoteles (Po1iteia) teilweise dargestellten Tierfabel des Antisthenes, die im Gegensatz zu den "Löwen" keine "Klauen und Zähne" haben, dazu D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, Schriften II 1, Frankfurt 1978, S. 122 ff.
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mus im Sinne von Protest-Politik oder Leistungsverweigerung erschüttern und so die Berücksichtigung ihrer Interessen erzwingen könnten. Es fehlt ihnen an sozialer Homogenität oder an Konstanz der gemeinsamen Bedürfnisse, so daß sie als Gruppe weder recht organisationsfähig noch ernsthaft konfliktfähig sind. Sie sind die wirklich Schwachen in unseren Tagen, zu deren Lasten die machtvoll Organisierten ihre Vorteile erringen. Hier wird die alte Kernsubstanz der sozialen Frage wieder sichtbar, die Frage nach den elementaren Lebensrechten der sozial Ohnmächtigen im Verhältnis zur vorfindbaren Wirklichkeit, die Frage nach der Symmetrie der Interessenrepräsentanz. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien haben sich verschoben. Jetzt geht es nicht mehr vorrangig darum, politische Mehrheiten auf Arbeitnehmerseite zusammenzubringen, damit diese zu ihren eigenen Gunsten und zu Lasten des Kapitals die Umverteilung materieller Güter durch den Staat beschließen können. Nun geht es vielmehr darum, die "neuen" Mehrheiten gesellschaftlicher Macht (Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen) dazu zu bewegen, "neue" Minderheiten zu unterstützen und damit sich selbst zu belasten. Dies ist das Problem der in den letzten Jahren bei uns wissenschaftlich und politisch diskutierten Neuen Sozialen Frage 28 • Erste analytische Erkenntnisse dazu finden sich in den sechziger Jahren bei H. Achinger29 und bei ehr. v. Ferber~o. H. Geißler kommt das Verdienst zu, in den siebziger Jahren mit umfänglichen Daten und Fakten die politische Sensibilität dafür geweckt zu haben31 • Nach ihm gehört das advokative 28 Einige Autoren betonen stärker die "drückende Abhängigkeit" des einzelnen Bürgers von staatlicher und verbandlicher übermacht sowie die damit verbundene Gefährdung menschlicher Freiheit. So (im Anschluß an W. Eucken) W. Dettling, Neue Wege der Ordnungspolitik, in: ders. (Hrsg.), Die Zähmung des Leviathan, Baden-Baden 1980, S. 8 ff.; ders. u. a., Die Neue Soziale Frage und die Zukunft der Demokratie (Fn. 18), S. 46 ff.; Ph. HerderDorneich, Soziale Ordnungspolitik, Mit neuen Strategien gegen Steuerungsdefizite, Stuttgart 1979, S. 54 ff. 29 H. Achinger, Die Vergessenen in der Sozialpolitik, Vortrag im SDR am 20. 11. 1961; ders., Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik (Fn. 15), S. 49 f. und 143 f. 30 ehr. v. Ferber, Sozialpolitik in der WohlfahrtsgeseUschaft, Hamburg 1967, besondem S. 9, 27 f. und 33. Vgl. auch L. Neundörfer, Die Vergessenen, in: A. Blind u. a., Sozialpolitik und persönliche Existenz, Festschrift für Hans Ach:inger, Berlin 1969, S. 201 ff. 31 H. Geißler (Fn. 18), mit Dokumentationsteilen zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen (S. 98 ff.) und zur Armutsproblematik (S. 45 ff.). Ders., Mut zur Alternative, München-Berlin 1981, S. 88 ff. Es gehört zu den bedauerlichen Mißverständnissen -in der sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen AuseinandeI1setzung der letzten Jahre, die mit dem Ruf nach einer Neuorientierung in der Sozialpolitik verbundene These von der "Neuen Sozialen Frage" 'auf das bloße Erscheinungsbild privater Armut in der deutschen Wohlstandsgesellschaft und unzulänglicher Verteilungsmathematik verkürzt zu haben. Zu diesen "statistischen Florettgefechten" (so Ph. Herder-Dorneich, Neue Soziale Frage und Ordnungspolitik, in: Sonde Nr. 4/1977, S. 18) z. B.
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"Engagement für die Schwachen und Bedürftigen, für diejenigen, die sich nicht selbst artikulieren können"32, zum zentralen Aufgabenbereich der Neuen Sozialen Frage, muß sich der Sozialstaat33 gerade in der politischen Absicherung dieser seiner Bürger bewähren. IV. Soziale Ordnungspolitik Die Antwort auf die Neue Soziale Frage besteht nicht in einer neuen und weiteren Umverteilung wirtschaftlicher Erträgnisse. Instrument ihrer Bewältigung ist das "komparative"34, d. h. für stete Anpassung an den natürlichen und sozialen Wandel und für kritisch-alternatives Denken offene Programm einer sozialen Ordnungspolitik35 . Ein solches Programm knüpft an das Prinzip, alle konkreten Handlungen von Politik und Staat unter den Anspruch des Sozialen einschließlich seiner geistigethischen Dimension zu stellen. Es will so den verlorengegangenen Blick für gesellschaftliche Ordnungszusammenhänge wieder schärfen und die vielfältige Interdependenz der Werte aufdecken. Damit befreit es die überkommene Sozialpolitik aus ihrem größtenteils lediglich korrigierenden Anhängsel-Dasein und macht sie zum "Katalysator und Koordinator aller anderen auf -Politik endenden Aktionsbereiche"36, zum "Kernstück des politischen Lebens"37 überhaupt. F. ButUer u. a., über den Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Armut Das alte an der "Neuen Sozialen Frage", in: H. P. Widmaier (Hrsg.), Zur Neuen Sozialen Frage, Neue Folge Bd. 95 der Schriften des Vereins für So:nialpoLitik, Berlin 1978, S. 9 ff., und dort auch H. Winterstein, Armut: Grundlage der Neuen Sozialen Frage, S. 57 ff. Zur Armutstheorie E. Bodzenta, Die Neue Armut (Soziologische Aspekte), in: Die Neue Soziale Frage, Nr. 2/1978 der Schriftenreihe des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, Wien, S. 20 ff. 32 H. Geißler, Neue Soziale Frage: Z,ahlen, Daten, Fakten, Bonn 1975, S.3. Nach C. F. v. Weizsäcker ist die Zuwendung zum schwächsten Menschen der Mutterboden alLes Sozialen, in: Deutlichkeit, Beiträge zu politischen und religiösen Gegenwartsfragen, 2. Aufl., München-Wien 1979, S. 123. 33 Die Leitideen dieses Staatszreles haben Gesetzescharakter erhalten :im § 1 des Allg. Teils des Sozialgesetzbuches vom 11. 12. 1975 (BGBL I, S. 3015). 34 Zum Problem komparativer Bewertung vgl. H. Albert, Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft, Tübingen 1982, S. 10 f. 35 So bereits im ursprünglichen Verständnis des Begriffs "Sozialpolitik" angelegt, wie er 1851 erstmals im wissenschaftlichen Sprachgebrauch bei Wilhelm Heinrich Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, 1. Aufl., Tübingen 1851, S. 4 f. erscheint. 36 W. Schreiber, Zur Frage des Standorts der Sozialpolitik-Lehre im Ganzen der Sozialwissenschaften, in: F. Karrenberg u. a., Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung (Fn.10), S.360. In gleicher Richtung O. v. Nell-Breuning, Die SOZLalpolitik als integraler Bestandteil der allgemeinen Politik (Fn.10), S. 332. F,erner schon vorher L. Preller, Sozialpolitik - Theoretische Ortung, Tübingen und Zürich 1962, S. 288, und B. Molitor, Bausteine einer Theorie der Sozialpolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und GesellschaftspoHhlk, Tübingen 1957, S. 153.
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Für die Erfüllung dieses Programm auftrages ist das Menschenbild, das ihm (nicht voraussetzungslos) zugrunde liegt, von ausschlaggebender Bedeutung. In der Pluralität einer demokratischen Industriegesellschaft bleibt es umstritten. Unser Grundgesetz verweist auf die Idee der Menschenrechte, die gemeinsame und gleiche Würde aller, die Menschenantlitz tragen. Sein Freiheitspostulat, in dem solidare Verbundenheit konstitutiv verankert ist, bindet jedoch alle Ordnungsmodelle. Am Anfang steht die Neubestimmung dessen, was "sozial" ist. Dieser Begriff hat weithin sein Profil verloren. Das skizzierte Konzept von der Neuen Sozialen Frage verlangt eine Inhaltsbestimmung, die weniger von den Kategorien massenhafter Umverteilung (A. Gehlen: "Züge einer leviathanschen Milchkuh") und klassenkämpferischer Parolen ausgeht, dafür mehr an anthropologisch-humanitären Grundvorstellungen orientiert ist. Das hat zur Folge38 : -
die Einführung qualitativer Kriterien als Ordnungselemente einer wertbezogenen Sozialpolitik. Soziale Gerechtigkeit nimmt nicht unbesehen zu mit dem Anwachsen der Sozialleistungsquote. Es kommt darauf an, soziale Leistungen und politische Strukturgestaltungen -gezielter den wirklich Bedürftigen zugute kommen zu lassen (Einkommensgrenzen und "übermaß"-Verbot). In der Organisation dieser Leistungen werden Humanität und Wirtschaftlichkeit durch personennahe Hilfe und durch präventives39 Durchbrechen des Gesetzes von der sozialen Verspätung stärker miteinander verbunden. die Einführung einer institutionellen Rahmen- und Verfahrensordnung, durch welche die "List des Marktes" (Verfolgung des Eigeninteresses der Person wird an die Erfüllung eines sozialen Zweckes gekoppelt) auch im sO:zJialen Bereich wirksam wird.
Die wichtigsten Programmbestandteile sind freilich die bei den eng verzahnten Sozialprinzipien der Solidarität und Subsidiarität. Ihr gemeinsamer Ansatz ist die empirisch feststellbare Ergänzungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Menschen40 • Die von dorther solidar zu verant37 F. Fürstenberg, Der Bürger im Sozialstaat, Von der bürokratischen Daseinsvorsorge zur Sicherung demokratischer Lebensformen, in: O. Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, Düsseldorf, 1981, S. 28. 38 Vgl. Ph. Herder-Dorneich, Soziale Ordnungspolitik (Fn. 28), insbes. S. 28 ff.; W. Dettling, Die Neue Soziale Frage - E1n neuer Bezugsrahmen für die Sozialpolitik, in: Die Neue Ordnung, Heft 4/1977, S. 249 f.; H. Geißler, Die Neue Soziale Frage, Freiburg 1976, S. 38. 39 Zur Prävention siehe die Beitragssammlung bei Ph. Herder-Dorneich (Hrsg.), Vorsorge zwischen Versorgungsstaat und Selbstbestimmung, Stuttgart u. a. 1982. 40 O. v. Nell-Breuning, Die Sozialpolitik als integraler Bestandteil der allgemeinen PoHtik (Fn. 10), S. 328; W. Kerb er, Subsidiarität und Demokratie, Philosophische Abgrenzungen, in: O. Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität (Fn. 37),
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wortende Bindung des einzelnen und gemeinwohlorientierte Rückbindung aller41 (das integrierte "Fürsich-" und "Füreinander-Sein") müssen mit einer vertieften Sensibilisierungsstrategie neu erwiesen und belebt werden. Der gesetzlich verordnete Steuerabzug vom Einkommen ist kein Freikaufen des Starken von der Verpflichtung, die Lasten des Schwachen mitzutragen. Diese Pflicht ist bedingender Teil menschlicher Selbstverwirklichung und gibt ihr erst den werthaltigen Sinn. Was sie fördert, ist hilfreicher Beistand subsidiär geordneter Strukturgebilde. Solch gegliederte Solidarität durchbricht die Fixierung auf den immer belastender werdenden Dualismus von Staat und Individuum42 • Sie eröffnet zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse (wieder) neue Gelegenheiten im intermediären Raum43, neue Wirkungsmöglichkeiten für die vorrangigen Existenzrechte der "kleinen Netze" m Familie und Nachbarschaft. Gerade diese überschaubaren Lebensräume mit "menschlichem Gesicht" drohen gegenwärtig in der Spurenlosigkeit anonymer Großinstitutionen verloren zu gehen. Wer will, kann dieses hier nur grob umschriebene Programm sozialer Ordnungspolitik dahin interpretieren, daß es sich bei ihm wesentlich darum handele, den Anspruch des Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft einzulösen, nämlich ein umfassender geselIschaftspolitischer Ordnungsentwurf zu sein. Eine solche Sichtweise einfacher Modellübertragung (vielleicht im gedanklichen Hintergrund mit dem schon zum überdruß strapazierten und ökonomisch wenig durchdachten Wort: eine gute Wirtschaftspolitik sei zugleich die beste Sozialpolitik) ist aber zu vordergründig und deswegen verkürzt. Sie würdigt insbesondere nicht ausreichend genug den immateriellen Gegenstandsbereich der Neuen Sozialen Frage, das, was über die Dimension politischer Ökonomie hinS. 81; H. B. Streithofen, Macht und Moral - Die Grundwerte in der Politik, Stuttgart u. a. 1979, S. 87. U Zum vertragstheoretischen Erklärungsmuster demokratischer Solidarität vgl. W. DettHng, D.iJe Neue Soziale Frage (Fn. 38), S. 249. ehr. Watrin, Ordnungspolitische Aspekte des Sozialstaates, in: B. Külp und H. D. Haas (Hrsg.), Soziale Probleme der modernen Industriegesellschaft, (Fn. 3), 2. Halbband, S. 972 ff. 42 W. DettHng, Die Neue Soziale Frage (Fn. 38), S. 250. 43 Dezentralisierung mannigfacher Kompetenzen auf die kommunale Ebene und auf staatlich 'eingerichtete Selbstverwaltungskörperschaften. Es gilt vor allem, der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung mehr Autonomie zurückzugeben (ebenso Ph. Herder-Dorneich, Der Sozialstaat in der Rationalitätenfalle, F AZ v. 30. 4. 1982) und so die Hoffnung Lorenz v. Steins zu verwirklichen, derzufolge die Selbstverwaltung auch 'ein Mittel zur Kontrolle von Staatsmacht sein sollte. Gemeint ist ferner eine vermehrte Ausgliederung von Funktionen aus dem staatlichen Bereich auf freie Träger und den Markt, nicht zuletzt deswegen, um die oftmals sachlich inkompe'tenten und überforderten Staatskräfte wieder zu stärken. Was hier politisch Widerstände mobiHsiert, ist weithin die Sorge vor dem Verlust von Machtchancen, den die Verwirklichung solcher Subsidiaritätsgedanken zur Folge hätte. 7 Festschrift für H. U. Scupin
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ausweist. Beide Ordnungsideen schöpfen aber aus demselben geistigen Quellwasser, aus der abendländisch-christlichen Vorstellung44 von der Freiheit und Würde des gemeinschaftsbezogenen Menschen, der für sein eigenes Handeln verantwortlich und gehalten ist, den Erfolg seiner Leistung entsprechend einem allgemeinen Lebensgesetz mit anderen zu teilen.
V. Mut zum Handeln Die programmatische Antwort auf die ordnungspolitischen Probleme im Wandel der sozialen Frage ist ein Weg stück in dem nie fertig werdenden Bemühen, das Grundbekenntnis unserer Verfassung zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20, 28 GG) in die Tat umzusetzen. Ihre Wirksamkeit erweist sich weniger in der Effizienz abstrakter Regelungsmechanismen und ausgefeilter Sozialtechniken, schon gar nicht im kurzatmigen Management technokratischer Funktionalisten, die über die Berechtigung von Interessen allein nach der Kopfzahl von Wählern oder Mitgliedern urteilen. Entscheidender ist die Lebendigkeit eines geänderten geistig-politischen Bewußtseins zugunsten eines Ordnungsmaßstabes, der die freie Entfaltung auch der Schwächsten unter uns zum Ziele hat. Erst daraus kommt die mitreißende Kraft, in der ständigen Spannung zwischen der unendlichen Fülle sozialer Gerechtigkeit und der jeweiligen Verwirklichung über den Tag hinaus zu denken45 • Wende des Bewußtseins setzt voraus, daß alle (nicht nur die politisch Verantwortlichen) in der eigentlichen Mitte ihres Menschseins getroffen und von daher bereit sind, sich persönlich mit der ganzen Lebenslage gesellschaftlich Benachteiligter zu identifizieren. Ohne eine solche Wirklichkeitserfahrung von innen her bleiben Halbherzigkeit und Distanz. Was wir aber brauchen, um eine gerechtere Sozial ordnung zu schaffen, ist genau das Gegenteil: bürgerschaftliches Engagement und politischer Mut. Daran, insbesondere am politischen Mut, scheint es zu fehlen, seitdem die öffentlichen Kassen leer, zumindest leerer geworden sind. Dieser Mangel an Mut deutet darauf hin, daß die Antwort auf die soziale Frage von heute immer noch von zu vielen mit dem Suchen nach neuen, weiteren Finanzierungsspielräumen gleichgesetzt wird. Zu wenige verstehen offenbar, daß die ordnungspolitische Aufgabe, in 44 Vgl. dazu W. Friedberger, Theologische Ethik der Neuen Sozialen Frage, in: Die Neue Soziale Frage, Heft 2/1978 der Schriftenreihe des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, Wien, S. 33 ff. 45 Und dabei dem sitUichen Anspruch zu genügen. Denn alle ordnungstheoretische und ordnungspolitische Erkenntnis vermag dte Wahrheit des Kantschen Satzes nicht zu erschüttern: "Die wahre Politik kann keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben" (zit. nach J. Habermas, über das Verhältnis von Politik und Moral, in: Strohm/Wendland, Politik und Ethik, Darmstadt 1969, S. 61).
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unseren Städten und Dörfern die Lebensbedingungen z. B. kinder- und familienfreundlicher, behinderten- und altengerechter zu gestalten, in erster Linie geistige Anstrengungen und dann freilich den politischen Einsatz kostet, andere Prioritäten zu setzen. Das menschlich Wahre ist nun mal auf der Seite des Schwereren. Darin liegt die große Herausforderung, aber auch "aristotelische"46 Chance für den politischen Geist.
46 D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik (Fn. 27), S. 140. F.-J. v. Rintelen, Philosophie des lebendigen Geistes in der Krise der Gegenwart, Göttin-
gen u. a. 1977, insbes. S. 64/65. 7·
H. Verfassungs- und Rechtsgeschichte
Westfälische Religionsprozesse vor dem Reichskammergericht Von Oskar Kühn, Bielefeld Nach dem vom Staats archiv Münster im Jahre 1968 herausgegebenen wertvollen Register der Reichskammergerichtsprozesse in den Jahren 1495 bis 1806 sind insgesamt etwa 6340 Verfahren aus Westfalen beim Reichskammergericht - künftig RKG - anhängig gewesenl • Nur ein sehr kleiner Teil waren Prozesse, die zum Bereich der Religionsprozesse gehören, worunter im folgenden Religions- und Glaubenssachen sowie Angelegenheiten der Kirchen und ihrer Diener und der Klöster ge faßt werden sollen. Bei der nachstehenden Darstellung dieser Rechtsstreitigkeiten, die sich auf eine Auswahl beschränkt, sollen vor allem die Prozeßmaterien verdeutlicht werden, da sie ein Zeugnis ihrer Zeit sind und auch einen Einblick in die jeweiligen kirchenrechtlichen Fragen geben. Bei der Behandlung der Prozesse muß in Kauf genommen werden, daß der judizielle Teil der beigezogenen Akten sich im wesentlichen auf Mandate des RKG beschränkt und Endentscheidungen im Bundesarchiv nur aus der letzten Zeit der Tätigkeit des RKG vorliegen. I.
Der Prozeß zwischen den Stiften St. Martini und St. Johannis sowie den Klöstern st. Mauritii und Simeonis zu Minden gegen den Bürgermeister und den Rat der Stadt Minden, der seit dem Jahre 1531 beim RKG wegen landesfriedensbrüchiger Beraubung der Kläger, Beschlagnahme ihrer Güter und Keinodien, des Abbruchs einer Kapelle anhängig war, ist von den Religionsprozessen aus WesUalen der bekannteste geworden. Das RKG sprach im Jahre 1538 die Reichsacht über die Stadt Minden aus; im Jahre 1541 wurde das Urteil der Reichsacht suspendiert. 2 I Vgl. Günter Aders ! Helmut Richtering, Gerichte des Alten Reichs. Reichskammergericht. - Das Sta'atsarchiv Münster und seine Bestände, 3 Bände, Münster 1966---1968. Im folgenden zitiert: StAM. 2 Vgl. zum folgenden: Albert Fr. Culemann, Mindische Geschichte. 1747, IV. Abt., insbes. S. 36 ff., S. 82 ff., S. 102 ff.; C. F. Pauli, Geschichte von Minden. In: Allgemeine preußische Staatsgeschichte, Halle 1760-1769, S. 87 ff.,
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Im Frühjahr 1530 wandten sich die katholischen Geistlichen, die nach der Reformation Mindens bei der alten Lehre verblieben waren, von Rinteln aus mit Beschwerden und Klagen an Kaiser Karl V. und an den Herzog J ohann von Cleve. Sie forderten die Rückgabe der abgenommenen Güter und Kleinodien sowie die ungestörte Gottesdienstausübung. Der Kaiser versicherte durch einen Schutzbrief vom 14. Juli 1530 das Domkapitel, den Klerus und alle Kirchen in der Stadt Minden und im Stift seines besonderen Schutzes. Er verwies die Klageschrift über den Reichsfiskal an das RKG, nachdem der Klerus nochmals Beschwerde geführt hatte. Das RKG erließ darauf, wie Culemann 3 berichtet, "sofort Mandata sine clausula bei Strafe sechzig Mark lötigen Goldes, daß die Stadt Minden den Collegiatstiftern St. Martini und Johannis wie auch dem Kloster St. Simeonis alle abgedrungenen Siegel, Briefe und Verschreibungen wiederum zustellen, die mit Gewald abgenötigten Obligationen cassieren, auch die abgenommenen Kleinodien restaurieren, alles, was zerbrochen, wiederum bauen, die Kläger in ihre Häuser wiederum kommen lassen, die schuldigen Renten, Zinsen und Gulden richtig abführen, selbige in ihrem Gottesdienst nicht behindern und aller Tätlichkeiten sich enthalten sollte." Die Stadt Minden lehnte eine Befolgung der Mandate ab; sie nahm danach auch den Pauliner Brüdern ihre Kleinodien und Reliquien ab. Darauf erließ das RKG unter dem 15. März 1531 erneut ein Poenalmandat und verlangte auch die Rückgabe der den Paulinern abgenommenen Kleinodien. Dieses Mandat wurde "bei Vermeydung der Kayserlichen und Reichsacht erlassen." Die Stadt erklärte sich nicht bereit, dem Mandat nachzukommen. Danach erhoben die Stifte und Klöster im eigenen Namen gegen die Stadt Klage beim RKG wegen landfriedensbrüchiger Beraubung und Beschlagnahme ihrer Güter, Kirchen und Kleinodien und verlangten die Verhängung der Reichsacht über die Stadt Minden4 • In der Klageerwiderung wies der Vertreter der Stadt Minden auf die vollzogene Reformation in Minden hin. Er wandte ein, "sowenig der Papst in Glaubenssachen Richter sein könne, stände auch dem Kammergericht eine Erkenntnis in diesen Sachen zu". Auch gezieme es den Geistlichen nicht, gegen die Bürger ihrer Stadt auf "Blutstraffen (Reichsacht) zu S. 115 ff.; Wilhelm Schröder, Chronik der Stadt Minden, Minden 1883, S.426 ff.; Martin Krieg, Die Einführung der Reformation ·in Minden, Jahrbuch des Vereins für westfäLisch'e Kirchengeschichte, Band 43 (1950), S. 31 ff.; Robert Stupperich, Geistige Strömungen und kirchLiche Auseinandersetzungen im Zeitalter der Reformation. Zwischen Dom und RathaUJs, Beiträge zur Kunstund Kulturgeschichte Mindens 1977, S. 203 ff. 3 Culemann (Fn.2), S. 42 f. Vgl. ferner Schröder (Fn.2), S.431, Krieg (Fn. 2), S. 26 ff. 4 StAM Nr.3611 = M 1190.
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klagen". Die Klage sei "inept, ungeschickt und stehe dem Klerus nicht zu". Ein Landfriedensbruch liege nicht vor, wegen der verlangten Wiedergutmachung sei das ordentliche Gericht zuständig 5 • Unter dem 27.3'.1536 erließ das RKG ein Urteil, "daß die Beklagten in Pön der Acht noch zur Zeit nit zu erkleren seien, aber dem Mandat von 1531 bei Vermeidung solcher Acht in sechs Wochen und drei Tagen nachzukommen, auch alles das schon darmit wider den Inhalt und nach Ausgang bemalts Mandats gehandelt worden, in den vorigen Stand zu stellen und Kosten und Schäden zu ersetzen seien"6. Vermittlungsversuche des Bischofs zwischen dem Klerus und der Stadt scheiterten. Der Klerus bestand auf der Vollstreckung der Mandate des RKG. Im Urteil vom 19.3. 1537 entschied das RKG nochmals, daß die Kleinodien zurückzugeben, die abgebrochene Kapelle wiederaufzubauen und die Kirchen und Kapellen wieder zum ungehinderten Gottesdienst zu übergeben seien'1. Die Stadt Minden fügte sich dem Spruch des RKG nicht. Das RKG verhängte darauf durch Urteil vom 9. Oktober 1538 im Namen des Kaisers über die Stadt Minden die Reichsacht8 • Der Mindener Religionsprozeß muß im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die dem Schmalkaldischen Bund 'angehörenden protestantischen Landesfürsten und Städte gesehen werden. Im Januar 1534 legten die im Schmalkaldischen Bund vertretenen protestierenden Reichsstände feierlich beim RKG Verwahrung - Rekusation - gegen den Kammerrichter Graf Adam von Beichlingen und den "Mehrteil" der Beisitzer wegen Befangenheit ein und wiesen ihre Entscheidungen als "argwöhnisch und parteiisch" zurück. Außer der persönlichen Ablehnung der Mitglieder des RKG machten die Vertreter des Schmalkaldischen Bundes die mangelnde Zuständigkeit des RKG in Religionssachen und die Nichtigkeit ihrer Entscheidungen geltend. Auch wurde die exceptio immanentis gravis scandali - der Einwand des drohenden schweren Unheils - erhoben. Damit wurde auf die möglichen politischen Auswirkungen einer Fortsetzung der Religionsprozesse, insbesondere bei Verhängung der Reichsacht und ihrer Vollstreckung hingewiesen9 • 6 6
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Culemann (Fn. 2), S. 44 f, Schröder (Fn. 2), S. 433; Krieg Culemann (Fn. 2), S. 89.
(Fn. 2), S. 30 f.
8 Die Urteilsabschrift befindet sich in den RKG-Akten StAM Nr.3631 M 1157 pag. 98 ff. - Vgl. auch Culemann (Fn. 2), S. 92 f. g Vgl. hieTzu Rudolf Sm end, Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung, Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, Band IV, Heft 3, Weimar 1911, S. 144 ff. Gerd Dommasch, Die ReHgionsprozesse der rekusieTenden Fürsten und Städte und die Erneuerung des Schmalkaldischen Bundes. Tübingen 1961.
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Das RKG war damals überwiegend mit Anhängern der katholischen Kirche besetzt. Es erklärte die Rekusation der Richter des RKG in Religionssachen unter Hinweis auf die Reichsabschiede von Speyer 1529 und Augsburg 1530 für nichtig. Das RKG erließ Poenalmandate gegen den Landgraf Philipp von Hessen, die Herzöge von Pommern, Braunschweig-Lüneburg, Württemberg und Holstein und hob ihre reformatorischen Maßnahmen auf. Insbesondere das Vorgehen gegen die Städte ist hervorzuheben. Gegen die Stadt Augsburg wurde ein Mandat die "restitution der abgethanen ceremonien belangendt" erlassen. Innerhalb 12 Tagen sollten die katholischen Prediger wieder predigen können, alles aus den Kirchen Entnommene sei wieder zurückzugeben, die gesperrten Kirchen und Kapellen seien wieder zu öffnen und überhaupt dürfe in kirchlichen Sachen keine Änderung vorgenommen werden. Ähnliche Mandate wurden gegen die Städte Esslingen, Frankfurt, Heilbronn, Isny, Konstanz, Lindau, Memmingen, Straßburg und Ulm erlassen. Die niederdeutschen Städte Bremen, Göttingen, Hamburg, Lübeck und Magdeburg führten Religionsprozesse vor dem RKG. Gegen die Stadt Goslar wurde am 25.10. 1540 die Reichsacht verhängt1o. Die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes hatten sich 1537 einander versprochen, "sich mit gesamter Hand im Falle der Not zur Wehr zu setzen". Das Mindener Urteil erklärte der Bund in einer öffentlichen Erklärung für null und nichtig und warnte vor einer Executionl l . Martin Luther hat im Jahre 1541 in seiner "Vermahnung zum Gebet wider die Türken" dem RKG mit Rücksicht auf die Entscheidungen gegen die Städte Goslar und Minden vorgeworfen, daß es "in Sachen, was das Evangelium oder die Kirche betreffe, nicht Richter, sondern Partei sei"12. Die Reichsacht gegen die Stadt Minden wurde nicht vollstreckt. Zwar hatte Kaiser Karl V. durch Befehl vom 12. März 1540 Bischof Franz II. mit der Vollstreckung beauftragt. Aber bereits am 28. Januar 1541 erließ der Kaiser ein Edikt, "daß alle Prozesse so vor dem RKG in Sachen des Glaubens und was dem anhängig geführt würden samt der Achtserklärung der Städte Minden und Goslar suspendiert sein sollten". Der Reichsabschied von Regensburg bestimmte: "Und was die Achten und Process, so bissher in Religion und andern Sachen an unserm Kayserl. Cammergericht anhängig gemacht und ergangen synd ... , dieselben Bernhard Diestelkamp, Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16.
Jahrhunderts, Festschrift für Adalbert Erler zum 70. Geburtstag, Aalen 1976, S. 435 ff., S.457. 10 Dommasch (Fn. 9), S. 86-94. 11 KrieJl (Fn. 2), S. 30; Culemann (Fn. 2), S. 123. 12 R. Smend (Fn. 9), S. 162, Anm. 1.
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Achten und Process wollen wir zur Erhaltung des Friedens, Ruhe und Einigkeit im heiligen Reich teutscher Nation und aus unsern Kayserl. Macht Vollkommenheit, so lang, bis das gemein oder National-Concilium, oder in dieser Sachen ein gemeinsame Reichsversammlung gehalten würden, suspendiert und eingestellt haben." Der Reichsabschied von Speyer 1544 ordnete die Suspension für die Dauer von weiteren fünf Jahren anl3 . Culemann berichtet, daß sich der Rat der Stadt in den folgenden Jahren bemüht habe, die "mit dem Clero habenden DemeIes in Güte beizulegen"14. Doch kam es später zu erneuten Streitigkeiten, da die Stadt, wie Pauli berichtet, "fortfuhr, sogar Geistliche aus der Domkirche zu holen und in Eisen zu schmieden und dem Bischof in seiner Landeshoheit allerhand Eintrag zu tun"15. Die Folge war, daß der Bischof, das Domkapitel und die Klöster einen Schutzbund gründeten, "um die geistlichen und weltlichen Stiftsrechte zu verteidigen und auf gemeinschaftliche Unkosten die Vollstreckung der ehemaligen Reichsacht zu verlangen, von welcher die Stadt Minden bis jetzt noch nicht losgezählet war"HI. Wegen der Sperrung aller Zufuhren zu Wasser und zu Lande wandte sich die Stadt Minden danach an das RKG. Bald kam es schließlich im Lübecker Rezeß vom 25. 4. 1573 zu einer Einigung. Der Streit zwischen dem Bischof, dem Stift und der Stadt Minden wurde endgültig beigelegt. Das RKG bestätigte ausdrücklich den Rezeß, dessen Auslegung das RKG noch später beschäftigtel7 • So trifft der Bericht von Culemann über das Jahr 1577 zu, daß nun "der Klerus in Minden in guter Ruhe wohne und jederzeit guten Willen und Freundschaft genieße"18. Die Wogen "de Westfalico tumultu" hatten sich endgültig gelegt.
11. Bei den Religionsprozessen im 16. und 17. Jahrhundert sind weltliche und geistliche Streitigkeiten oft eng miteinander verknüpft. So stehen Prozesse um die territoriale Jurisdiction, wegen Landfriedensbruchs, wegen überfällen und Schatzungen im Zusammenhang mit Prozessen wegen Bedrückung der Religion und wegen Eingriffen in das religiöse, kirchliche und klösterliche Leben. Es handelt sich um Prozesse, die ört13 Culemann (Fn.2), S. 95; Joset Paetsch, Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neuen Zeit, Neudruck Aalen 1971, S. 211; R. Smend (Fn. 9), S. 155 ff. 14 Culemann (Fn. 2), S. 129. 15 Pauli (Fn. 2), S. 133. 1e Schröder (Fn. 2), S. 464 ff. 17 Vgl. StAM: M 1162 (RKG 1595), M 1176 (RKG 1623), M 1181 (RKG 1640). 18 Culemann (Fn. 2), S. 129.
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lich von Bedeutung waren, aber für den Bereich von Westfalen keinen den Religionsfrieden bedrohenden Charakter gewannen. Die Streitigkeiten zwischen dem Grafen von Tecklenburg-Rheda und dem Bischof von Osnabrück und zwischen der Grafschaft Steinfurt und dem Bistum Münster sollen hervorgehoben werden. 1. Zwischen dem Grafen von Tecklenburg-Rheda und dem Bischof von Osnabrück bestand schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts Streit über die Herrschaft der in ihrem Bereich liegenden Kirchspiele Gütersloh, Herzebrock und Clarholz. Nach anfänglichen Grenzstreitigkeiten kam es im Jahre 1549 zu heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Grafen Konrad von Tecklenburg und dem Bischof Franz von Waldeck. Die Folge war auch eine erhebliche Zahl von Prozessen vor dem RKG. In den Jahren 1549 bis 1553 machten sich beide Parteien wechselseitig den Vorwurf des Landfriedensbruchs, gewaltsamer Überfälle und unzulässiger Eingriffe in die Jurisdiction19 • Graf Konrad beschuldigte weiterhin die Osnabrücker, sie seien gewaltsam in die Kirche in Gütersloh eingedrungen und hätten den "gemeinen Kasten" erbrochen20 • Auch warf er dem Stift vor, daß es die Gefangennahme des in Gütersloh amtierenden Pfarrers Koch geduldet hätte21 • Im Jahre 1552 ließ Graf Konrad Pfarrer Dott festnehmen, da er sich geweigert hatte, obrigkeitliche Verfügungen der Herrschaft Rheda in der Kirche bekannt zu geben22 • Hiergegen erhob das Stift Osnabrück Klage beim RKG. Der Prozeß wurde nach dem Tode des Pfarrers Dott wegen der Beschlagnahme kirchlichen Eigentums fortgeführt und fand erst im Jahre 1557 - dem Todesjahr Graf Konrads - sein Ende23 • Die durch diese Streitigkeiten in Mitleidenschaft gezogenen Klöster in der Umgebung von Gütersloh, nämlich das Zisterzienserkloster Marienfeld, das Benediktinerinnenkloster Herzebrock und das Prämonstratenserstift Clarholz sahen sich zu einem Zusammenschluß genötigt24 und erhoben im Jahre 1549 gegen Graf Konrad Klage beim RKG wegen Eingriffen in ihr klösterliches Leben, die Anmaßung von Vogteirechten Vgl. StAM Nr.239 = B 559, Nr.242 = B 562, Nr.243 = B 563; Nr.4183 Anhang 0 2. - Im einzelnen: Paul Eickhoff, Osnabrückisch-rheddscher Grenzstreit (1524-15ß5) unter Berücksichtigung des Kirchspiels Gütersloh. Osnabrücker Mitteilungen 1897, S.107-194; Oskar Kühn, Westfä1ische Prozesse vor dem Reichskammergericht. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 1981, S. 104 ff. 20 Eickhoff (Fn. 19), S. 147; Kühn (Fn. 19), S. 108. 21 Hans Richtier, Die Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Gütersloh, 'in: Die ev. Gemeinde Gütersloh, Festschrift 1928, S. 61 f. 22 Ebd., S. 63 ff. 23 StAM Nr. 4'186 = Anh. 07. 24 Vgl. Harm Klueting, Die Landstände der Herrschaft Rheda, Westfälische Zeitschrift 1976, S. 67 ff., S. 80 f. 19
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und wegen Bedrückung der Religionsausübung25 • Graf Konrad hatte nach der Einführung der Reformation in seinem Land26 vergeblich versucht, die neue Lehre in den Klöstern durchzusetzen27 • Im Jahre 1551 beschuldigten der Bischof von Münster für das Kloster Marienfeld und das Kapitel in Osnabrück für die Klöster Herzebrock und Clarholz den Grafen vor dem RKG des Eingriffs in die Rechte und Besitzungen der Klösters. Das RKG ordnete für beide Verfahren eine umfangreiche Beweisaufnahme an. Im Jahre 1563 entschied das RKG die Prozesse zu Gunsten der Klöster. Die Tochter des Grafen Konrad, die Gräfin Anna, die Gemahlin des Grafen Ewerwiem von Bentheim, die das Land nach dem Tode ihres Vaters regierte, verglich sich danach im Jahre 1564 mit den Klöstern29 • Wegen der territorialen Streitigkeiten in den Kirchenspiel'en Gütersloh, Herzebroch und Clarholz kam es im Bielefelder Rezeß von 1565 30 zu einer endgültigen Einigung zwischen der Gräfin und dem Bischof von Osnabrück. Bereits im Jahre 1541 erhoben Prior und Convent des Kreuzherrenklosters Osterberg bei Tecklenburg Klage gegen Graf Konrad beim RKG wegen der Besetzung des Klosters und des Verbots des Messelesens31 • Graf Konrad hatte das Kloster bereits im Jahre 1538 besetzen und teilweise abbrechen lassen; die Mönche waren in das Osnabrücker Stift Leye gezogen. Das RKG erließ nach der Klageerhebung im Jahre 1541 ein Poenalmandat, wonach dem Grafen bei Strafe von 40 Mark lötigen Goldes befohlen wurde, alles binnen kürzester Frist wiederherzustellen. Graf Konrad berief sich auf seine landesherrlichen Rechte. Im Jahre 1552 kam es durch Vermittlung des Grafen Arnold von Bentheim-Steinfurt zu einer Einigung 32 • Die Kreuzherren kehrten in das Kloster zurück, ihr Eigenleben wurde ihnen bestätigt; das Kloster erkannte den Grafen als ihren Landesherrn an. Der Konvent blieb im Besitz der zurückgegebenen Güter und Einkünfte. StAM Nr.3404 = M 427. VgJ.. hierzu Friedrich Große-Dresselhaus, Die Einführung der Reformation ,in der Grafschaft Tecklenburg, Osnabriicker Mitteilungen 41. Band (1918), s. 1 ff.; Joseph Prinz, Aus dem Anschreibebuch des Osnabriicker Offizials Reiner Eissinck (1488-1509), Osn. Mitteilungen 67. Band (1956), S. 81 ff., S.107 f.; Os kar Kühn, Landesherr und Kirche - 450 evangelische Kirchengemeinde Rheda, 1977, S. 9 ff. 27 Vgl. W. Honselmann, Der Reformationsversuch von 1543 in Herzebrock, Westfäl. Zeitschrift 114. Band (1964), S. 353 ff. 28 StAM Nr.3745 = Anhang M 10. 29 Vgl. Franz Darpe, Verzeichnisse der Güter, Einkünfte und E)innahmen des Klosters Marienfeld, Münster 1900, S. 306. 3Q Vgl. O. Kühn, Westfälische Prozesse (Fn. 19), S. 105; S. 107. 31 StAM Nr 4210 = Anhang 09. Weiterhin: Große-Dresselhaus (Fn.26), S. 64 ff.; Hans-Ulrich Weiß, Die Kreuzherren in Westfalen, 1963, S. 32 ff., S. 82 ff.; Alois Schröer, Die Reformation in Westfalen, Münster 1979, S.191. 32 Weiß (Fn. 3;1), S.85. 25
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2. Zwischen dem Bistum Münster und der Grafschaft Steinfurt bestanden seit dem 15. Jahrhundert erhebliche Spannungen, die im 16. Jahrhundert zu vielen Prozessen vor dem RKG führten 33 • Das Bistum bestritt der Grafschaft die Reichsunmittelbarkeit und nahm die territoriale Herrschaft über die Grafschaft für sich in Anspruch 34 • Die Grafen beriefen sich auf den jahrhundertelangen Besitz der Grafschaft und die stetige Zahlung der Reichslasten für den ganzen Umfang des streitigen Gebietes. Das Stift Münster erkannte nur den freien Besitz der Stadt und der Burg Steinfurt an. Seit 1530 waren die Grafschaften Bentheim und Steinfurt vereinigt. Die Gegensätze vertieften sich, nachdem Graf Arnold IH. von Bentheim-Steinfurt im Jahre 1544 in der Grafschaft Steinfurt die Reformation eingeführt hatte 35 • So traten zu den territorialen Streitigkeiten die geistlichen Auseinandersetzungen hinzu. Seit dem Jahre 1548 waren Prozesse vor dem RKG anhängig 36 • Der Graf sah sich genötigt, den Bischof von Münster wegen Landfriedensbruchs, wegen Eingriffen und Schatzungen und insbesondere wegen Eingriffen in die Jurisdiction in der Grafschaft Steinfurt zu verklagen. Das RKG hob durch Mandat vom 1. April 1552 die vom Stift Münster vorgenommenen Pfändungen und Schatzungen in den Kirchspielen Steinfurt und Borghorst auf3"T. Wegen der weiteren Vorwürfe ordnete das RKG Beweisaufnahmen an. Der Chronist berichtet, daß unter den damaligen Wirren "namentlich die kirchlichen Personen der Grafschaft zu leiden hatten. Sie wußten nicht, ob sie der geistlichen oder der weltlichen Obrigkeit gehorchen sollten"38. Ein vorläufiges Ende der Streitigkeiten und Prozesse39 brachte im Jahre 1569 der Flintringsche Vergleich40 , der die Reichsunmittelbarkeit der Grafschaft auf die Stadt und die Burg Steinfurt beschränkte und die Jurisdiction des Münsterischen Offizials mit Ausnahme des Kirchspiels Steinfurt und einiger Bauerschaften bestätigte. StAM Nr.248 = B 570; StAM Nr.251 = B 571 (RKG 1553). Vgl. Otto Nerlich, Der Stredt um die Reichsunmittelbarkeit der ehemaligen Herrsch-aft und späteren Grafschaft Steinfurt bis zum Flinteringischen Vertrage (1569), Hildesheim 1913. 35 A. Schröer (Fn. 31), S. 202. 38 Nerlich (Fn. 34), S. 112 ff. 37 Abgedruckt bei Joseph Niesert, Urkundensammlung zur Geschichte der Herrschaft Steinford, Zweite Abteilung, Neudruck Osnabrück 1977, Seite 243-248; StAM Nr.248 = B 570. 38 Nerlich (Fn. 34), S. 112. 39 StAM Nr.252 = B 2345 (RKG 1558); StAM Nr.253 = B 601 (RKG 1560); Nr. 256 = B 603 (RKG 1564). 40 J. Niesert (Fn.37), S. 248-256; Nerlich (Fn.34), S. 140 ff.; Schröer (Fn.31), S.206. 33
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Im Jahre 1581 kündigte das Bistum den Flintringschen Vertrag, weil er angeblich von Stein furt nicht eingehalten sei41 • Erneut kam es im Jahre 1583 zu einem Prozeß wegen des Schatzungsrechts in der Grafschaft42 • Weitere Prozesse wegen verpfändeter Höfe und Güter, die zunächst beim Hofgericht Münster anhängig waren, schlossen sich an43 • Zu einem umfangreichen Prozeß mit der Vernehmung von 77 Zeugen kam es im Jahre 1587. Graf Arnold IV. von Bentheim-Steinfurt44 erhob Klage gegen das Stift Münster wegen Verhaftungen und Übergriffen und insbesondere wegen Eingriffen in die Jurisdiction45 • Der Chronist berichtet, daß "Mandate auf Mandate des RKG folgten, aber keine Execution"Ml. Die konfessionellen Gegensätze hatten sich verschärft. In den Kirchspielen Borghorst, Laer und Holthausen hatte sich die evangelische Lehre nicht halten können. Sie blieb auf das Kirchspiel Steinfurt beschränkt47 • In den Jahren 1587 und 1589 klagte Graf Arnold gegen das Stift beim RKG wegen Störung des Religionsfriedens in der Herrschaft Gronau48 • Das Stift hatte dem Ortspfarrer unzulässige Auflagen wegen des Gottesdienstes gemacht und seine Absetzung betrieben. Der in Steinfurt geborene Pfarrer Wassenborgh blieb Pfarrer von Gronau von 1588 bis 163449 • Die Gronauer Streitigkeiten fanden erst durch den Vergleich zwischen dem Hochstift Münster und dem Grafen von Bentheim-Steinfurt vom 4. Mai 169950 ihr Ende. Wegen der "Ecc1esiastica" hieß es in dem Vergleich, man habe sich dahin verglichen, daß die in Wigbold Gronau früher gestandene Kirche gemeinsam von den Katholiken und Reformierten wieder aufgebaut, unterhalten und künftig beiderseits zum öffentlichen Gottesdienst gebraucht werden solle. Im Jahre 1667 kam es unter dem Münsterschen Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (1650-1678) zum Prozeß vor dem RKG51 • Der Bischof hatte die Stadt Steinfurt besetzt und versuchte, sich Stadt und Nerlich (Fn. 34), S. 144. StAM Nr. 258 = B 604. 43 StAM Nr.259 = B 591; StAM Nr.261 = B 590 (RKG 1584). 44 Vgl. Karl Döhmann (nach den Handschriften herausgegeben). Das Leben des Grafen Arnold von Bentheim 1554-1606, Burgsteinfurt 1903. Graf Arnold IV. führte ,im J'a'hre 1587 die reformierte Lehre in den Grafschaften Bentheim und Steinfurt ein. 45 StAM Nr. 262 = B 587. 48 Nerlich (Fn. 34), S. 145. 47 Nerlich (Fn. 34), S. 146. 48 StAM Nr. 263 = B 572; StAM Nr. 264 = B 588. 4V Vgl. Friedrich Wilhelm Bauks, Die evangeLischen Pfarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945, Bielefeld 1980, Nr. 6669 (S.537). 50 Abgedruckt bei J. Ni,esert (Fn. 37), S. 498-515. 51 StAM Nr. 331 = B 581. 41
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Burg untertänig zu machen. Durch Mandat vom 20. April 1667 52 ordnete das RKG den Rückzug der Besatzung und die Freistellung der Stadt von allen Lasten an. Das RKG nahm in dem Mandat eingehend auf seine früheren Entscheidungen Bezug. In den Jahren 1678 und 1680 waren die freie Religionsausübung und die geistliche Jurisdiction in Steinfurt Gegenstand von Prozessen vor dem RKG53 • Die Streitigkeiten wurden schließlich durch einen umfassenden Vergleich vom 4./7. Dezember 1716 54 über die politischen und kirchlichen Verhältnisse in der Grafschaft Steinfurt beigelegt. Das Hochstift Münster garantierte die Unverletzlichkeit der Grafschaft. Die katholische Religion sollte in der Grafschaft öffentlich ausgeübt und toleriert werden. Der Vergleich wurde am 1. Oktober 1717 vom RKG bestätigt65 •
III. Das RKG ging in seiner Rechtsprechung in Religions- und Glaubenssachen von einer weitgehenden Zuständigkeit aus. Für die katholische Kirche galt, daß ihre jurisdictio ecc1esiastica nicht der Zuständigkeit des RKG unterlag. Hiervon bestanden Ausnahmen, soweit es sich z. B. um den Mißbrauch geistlicher Gewalt und die Qualifizierung zur weltlichen Sache wegen der Gefahr von Unruhen handeIte 56 • Die evangelischen Sachen wurden - unter der Herrschaft des landesherrlichen Kirchenregiments - als "weltliche" Angelegenheiten behandelt57 • Bei allem ist das Bestreben des RKG erkennbar, im Interesse des Rechts- und Religionsfriedens weitgehenden Rechtsschutz zu gewähren. Dies wird dadurch bestätigt, daß das RKG in Religions- und Glaubenssachen mehrfach an Stelle des üblichen bedingten mandatum cum clausula justificatoria ein unbedingtes, sofort vollziehbares mandatum sine c1ausula justificatoria erließ58 • Abgedruckt bei J. Niesert (Fn. 37), S. 349-563. StAM Nr. 333 = B 585; Nr. 334 = B 586. S4 Abgedruckt im Inventar des Fürstlichen Archivs zu Burgsteinfurt. Allgemeine Regierungssachen der Grafschaften Bentheim und Steinfurt. Bestand A., bearb. von Alfred Bruns und Wilhelm Kohl, hrsg. von Alfred Bruns, Münster 1971, S. 112-115 (Urkunde 72); J. Niesert (Fn.37), S.400-446. 55 StAM Nr. 355 = B 624. 58 Hierzu: Heinz Christian Hafke, Zuständigkeit in geistlichen Streitigkeiten und konfessionelle Besetzung der höchsten Reichsgerichte nach dem Westfälischen Friedensschluß, Diss. jur. Frankfurt 1972, S. 39 H. 57 Vgl. ebd., S. 90 f. 58 Vgl. Abschnitt XXIII des Zweiten Teils der Reichskammergerichtsordnung von 1555 "Von mandaten und dn was fellen dieselben ohne oder mit justifie,atori-clausel erkendt werden mögen" (abgedr. bei Adolf Laufs, Die RKGO von 1555, Köln-Wien 1976, S. 200 f.). - Das mandatum sine elausula konnte' ergehen, wenn "die sach und handlung, darüber die kayserliche mandata zu erkennen gebetten, an ir selbst von rechts oder gewohnheyt wegen verbotten und, wo dieselbig begangen, auch on eyniche weiter erkanntnus'S 52
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1. Aus der Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 sollen folgende Prozesse genannt werden: Im Jahre 1586 kam es zwischen den Domstiften Osnabrück und Minden zu einem Prozeß wegen der geistlichen Jurisdiction über das Kloster Quernheim59, das im Territorialbereich des Bistums Minden lag, während die geistlichen Diözesanrechte dem Bischof von Osnabrück zustanden. Der Bischof von Minden hatte die ihm nicht genehme Wahl einer neuen Äbtissin zum Anlaß genommen, das Kloster zu besetzen. Auf die Klage des Domstiftes Osnabrück erließ das RKG unter dem 28. Februar 1587 ein "mandatum sine clausula de relaxando arresto das Kloster Quernheim betreffend" und gebot dem Bischof von Minden, sich aller Repressalien zu enthalten und insbesondere die geistlichen Rechte des Stiftes Osnabrück und das Recht des Klosters auf freie Wahl ihrer Äbtissin zu achten. Der Prozeß zog sich danach einige Jahre hin. Im Jahre 1595 teilte der Prokurator des Stiftes Minden mit, daß das Stift "es bei getaner Folgeleistung bleiben lasse"6o. Einige Prozesse vor dem RKG hatten den Zuständigkeitsbereich der katholischen Gerichtsbarkeit in Ehesachen zum Gegenstand, soweit eine Partei evangelisch war 61 • Im Jahre 1589 war ein Prozeß zwischen dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt Dortmund gegen den kurkölnischen Offizial Joh. Kempis anhängig, in dem die Stadt die Kassation der Entscheidung des Offizials begehrte62 . In einem Verfahren wegen Verletzung des Ehegelöbnisses durch die evangelische Braut hatte der Dortmunder Rat den Anspruch des klagenden Mannes zurückgewiesen. Darauf rief dieser den Offizial an, der gegen den Pfarrer der Braut und die Braut eine Strafverfügung wegen Verweigerung der Eheschließung erließ. Das RKG hob diese Entscheidung durch "Mandatum auff den Religionsfrieden" vom 15. September 1589 auf. In der Begründung nahm das RKG Bezug auf den Passauer Vertrag von 1552 und den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Es betonte, daß ein jeder in Religions- und Zeremoniensachen die ordentlichen Rechte der anderen Religionspartei zu achten habe. für straffwürdig oder unrechtme'ssig zu halten" war und konnte "ohne eynich widerrede oder verbJinderung volnzogen" werden. - Vgl. auch Heinrich Wiggen horn, Der Reichskammergerichtsprozeß am Ende des alten Reiches, Diss. jur. Münster, S. 84 ff.; Haflve (Fn. 56), S. 135 ff. 59 StAM Nr. 4198 = 0178. 60 Vgl. auch A. Falkmann, Beiträge zur G€schichte des Fürstentums Lippe, Bd. 6 (1902), - Vogtei über das Kloster Quirnheim -, S.267-270; Gustav Engel, Beiträge zur Geschichte der Klosterbauerschaft, 1963, S.164/165. 61 Vgl. StAM Nr.I541 = D 612 (RKG 1595); Nr.3644 = M 1168 (RKG 1607); Nr. 3652 = M 1172. 62 StAM Nr. 1540 = D 610. 8 Festschrüt für H. U, Scupin
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2. Nach dem westfälischen Frieden von 1648 sollen folgende Prozesse erwähnt werden: Im Jahre 1697 hatte der Bischof zu Paderborn, Hermann Werner, gegen den Oberstleutnant Joh. Friedrich Spiegel zum Desenberg eine Strafe über 100 Thaler festgesetzt, weil dieser sein Kind durch einen evangelischen Pastor in Waldeck habe taufen lassen. Hiergegen erhoben die Gebrüder Spiegel im Jahre 1698 Einspruch beim RKG. Sie legten Kirchenbuchauszüge zum Nachweis vor, daß sie ihre Ehen durch evangelische Geistliche hätten einsegnen und ihre Kinder durch sie hätten taufen lassen. Das RKG hob die Straffestsetzung durch mandatum de cassatorio sine clausula vom 17. Mai 1698 auf63. Der Prozeß dauerte noch bis zum Jahre 1726; eine weitere Entscheidung konnte nicht festgestellt werden. Im Jahre 1725 hatte der Bischof von Paderborn gegen den Landmarschall Rabe Heinrich Spiegel zu Peckelsheim eine Strafe von 1000 Thalern festgesetzt, weil dieser sich in der Schloßkapelle zu Schweckhausen von einem evangelischen Geistlichen das Abendmahl habe reichen lassen. Hiergegen erhob Graf Spiegel Einspruch beim RKG und machte geltend, seit dem Jahre 1659 seien in der Schloß kapelle von Schweckhausen evangelische Amtshandlungen vollzogen worden. Das RKG kassierte durch Mandat vom 6. Juni 172664 die Straffestsetzung wegen Verstoßes gegen den Religionsfrieden. Es bestätigte diese Entscheidung durch Sententia publicata vom 3. Dezember 173065 • Die Regierung des Fürstentums Siegen katholischen Teils66 hatte im Jahre 1734 gegen 31 Gemeindeglieder der reformierten Gemeinde Eisern eine Geldstrafe von 100 Gulden festgesetzt, weil diese Gemeindeglieder am Sonntag nachmittag in der Kapelle zu Eisern reformierten Lesegottesdienst hielten67 • Die Gemeinde Eisern - damals etwa 80 Seelenwar eine Filialgemeinde der Muttergemeinde Rödgen. Beide Gemeinden gehörten damals zum Amt Siegen vor dem Hain des katholischen Teils des Fürstentums Siegen68 • Nachdem die reformierte Gemeinde Eisern gegen die Straffestsetzung eine "untertänige Remonstration" vorgelegt hatte, bestätigte die Siegener Regierung durch Decret vom 4. Juni 173469 die Straffestsetzung. In dem Decret hieß es zur Begründung der Strafe, StAM Nr. 5429 = S 1962. StAM Nr. 5485 = 2008. 85 Bundesarchiv Außenstelle Frankfurt - : AR 1 - IIII40 fol. 217. GO Vgl. F. A. Höynck, Geschichte des Dekanats Siegen, Bistum Paderborn, 1904, S. 43 ff., S. 256 ff. 87 Vgl. StAM Nr.1743 = E 227. 88 Vgl. Karl Stenger / Johannes Boyde, Chronik der evangelischen Kirchengemeinde Rödgen, Siegen 1930, S. 8 ff.; Höynck (Fn. 66), S.274. 69 Akten E 227 pag. 48. 83 64
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die Gemeinde habe den Gottesdienst in der Kapelle eigenmächtig nicht durch einen Pfarrer, vielmehr "durch einen jeden Buben zum Despect ihrer eigenen Religion" halten lassen. Gegen dieses Decret erhoben die Vorsteher der reformierten Gemeinde Eisern im Jahre 1736 Klage beim RKG gegen die Fürstlich Nassau-Siegensche Landesadministrationsregierung katholischen Teils70 • Zur Begründung machten sie geltend, der Pfarrer der Muttergemeinde Rödgen halte am Sonntag vormittag auch für die Eiserner Gemeinde den Gottesdienst in der Pfarrkirche zu Rödgen und am Sonntag nachmittag werde durch Schulmeister in der Kapelle zu Eisern ein Lesegottesdienst gehalten, wie es ständiger übung in den reformierten Gemeinden des Fürstentums Siegen entspreche. Der Ortspfarrer von Rödgen, Pastor Johann Culbach71 , führte in einer schriftlichen Erklärung vom 8. August 1736 72 hierzu aus, "die Vorlesung sei geschehen aus einer approbierten Postille, wie auch im geringsten nicht zu meinem, des Predigers Nachteil, sondern weil solches bekanntermaßen aller Orten in der Welt bei reformierten Gemeinden gebräuchlich, auch von undenklichen Zeiten hier in diesem Kirchspiel auf allen Capellen, also auch zu Eysern, geschehen ist". Das RKG erließ unter dem 12. Dezember 1736 73 mit der Ladung der Beklagten zur mündlichen Verhandlung ein Mandat, durch das die Vollstreckung der festgesetzten Strafe ausgesetzt wurde. Die Akten ergeben lediglich, daß der Beklagten eine weitere Frist zur Erklärung bewilligt wurde. Eine Entscheidung des Prozesses konnte im Bundesarchiv nicht festgesellt werden.
IV. Die nachstehend behandelten drei Prozesse vor dem RKG stehen im Zusammenhang mit den pietistischen und separatistischen religiösen Bewegungen in der evangelischen Kirche im Ausgang des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Sie sind auch deshalb bemerkenswert, weil das RKG in ihnen jeweils Mandate sine clausula erlassen hat14 • 1. Die Prinzessin Elisabeth von der Pfalz, die Tochter des Winterkönigs Friedrich V., war im Jahre 1661 zur Koadjutorin und im Jahre 1667 zur Äbtissin des Reichsstiftes Herford berufen worden. Sie war eine sehr kluge Frau und hatte Verbindung mit Descartes und später mit Leibniz und dem Gründer der Quäker, William Penn. Sie hatte einen Hang zum Mystischen und fühlte sich dem Konventikel-
Akten E 227 (Fn.67). Vgl. F. W. Bauks (Fn. 49), Nr. 1106 (S. 85). P. Culbach war von 1725 bis 1737 Pfarrer in Rödgen und Eisern (vorher Hofprediger in Siegen). 72 Akten E 227 pag. 32. 73 Akten E 227 pag. 3 ff. 7' Vgl. hierzu Fn. 58. 70
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wesen der Pietisten und ihrer Anhänger recht verbunden. Durch die Vermittlung ihrer Jugendfreundin Anna Maria von Schurmann erklärte sie sich bereit, die Gemeinschaft der Labadisten im November 1670 im Donopshof zu Herford aufzunehmen75 • Es waren etwa 50 Frauen und Männer, die mit J ean de Labadie von Amsterdam aus in Herford ankamen. "Der Rath, die Geistlichkeit und das Volk in Herford sahen die Ankunft dieser reformierten Separatisten oder dieser ,Quäker und Wiedertäufer', wie man sie nannte, höchst ungerne76 ." Die lutherischen Pfarrer in Herford, die Handwerker und die Bevölkerung wandten sich gegen die Neuankömmlinge, die ein lebhaftes geistliches Leben in ihrem Kreis entfalteten. In der Mitte des Jahres 1671 verklagten Bürgermeister und Rat der Stadt Herford beim RKG die Äbtissin des Stiftes Herford und verlangten die Ausweisung der Sekte des Predigers Jean de Labadie und seiner AnhängerT7 • Bereits unter dem 31. Oktober 1671 erließ das RKG gegen die Äbtissin ein Mandat sine clausula78 , in dem der Äbtissin bei Androhung der Reichsacht und einer Strafe von 30 Loth Goldes befohlen wurde, nicht den Gesetzen und der Verfassung des Reiches zuwiderzuhandeln und die Sektierer nicht aufzunehmen, sondern sie zu vertreiben. In der Begründung des Mandats hieß es, die Ausweisung leide keinen Verzug, da aus der Anwesenheit der Labadisten im Reich "große Weiterung, Aufruhr, Empörung und Blutvergießen" entstehen könnte. Ihr Leben bei Vielweiberei sei "der Ehrbarkeit, dem gemeinen Besten, Nutz und Wohlfahrt zuwider und öffne besorglich Sünde, Schande und Laster Tür und Tor und infiziere viele unschuldige Seelen'unten IV). Ein letzter Abschnitt behandelt einige der dagegen zu erwartenden Einwände (unten V).
11. Die Diskussion des Widerstandsrechts in der Bundesrepublik kann hier nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden2 • Ein großer Teil dieser Diskussion ist der rechtlichen und moralischen Beurteilung des Widerstands im "Dritten Reich" gewidmet. Dieser Teil der Debatte liegt außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung und kann daher hier - bis auf gelegentliche Bezugnahmen - außer Betracht bleiben. Was das Problem des Widerstandsrechts im Rechtsstaat betrifft, so beschränke ich mich darauf, einige Punkte und Ergebnisse des Gesprächsverlaufs in Erinnerung zu bringen. 1. Bereits vor Erlaß des Grundgesetzes war ein Widerstandsrecht in die Verfassung der Länder Hessen (1946) und Bremen (1947) aufgenommen worden. Die Aufnahme eines entsprechenden Artikels in das Grundgesetz wurde mehrfach beraten, scheiterte aber vor allem am Votum des Abgeordneten Carlo Schmid, der geltend machte, ein positiviertes Widerstandsrecht könne mißbraucht und als Aufforderung zum Landfriedensbruch mißverstanden werden3 • Gleichwohl fand ein solches 2 Eine monographische Aufarbeitung dieser Diskussion fehlt. Als Dokumentation vgl. A. Kaufmann / L. E. Backmann (Hrsg.), Das Widerstandsrecht, Darmstadt 1972 (mit Bibl.). Eine wertvolle MateriaIsammlung und Analyse enthält die Dissertation von G. Scheidle, Das Widerstandsrecht. Entwickelt anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1969. Aus Schweizer Sicht: R. Schneider, Das Widerstandsrecht in Staatsrecht und Staatstheorie der Gegenwart (Diss. Zürich), Winterthur 1964; als ältere Monographie: G. F. Rühoe, Widerstand gegen die Staatsgewalt? oder Der moderne Staat und das Widerstands recht ("Ein besonders heißes Eisen"), Berlin 1958; als Tagungsdokumentation: B. Pfister / G. Hildmann (Hrsg.), Widerstandsrecht und Grenzen der Staatsgewalt, Berlin 1976; als Textsammlung: F. Bauer (Hrsg.), Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dokumente der Jahrtausende, Frankfurt/M. 1965. Als neueste rechts- und staatsphilosophische Problemerörterung: M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, Göttingen 1979, S. 11 ff.; vgl. auch R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht - Moral- Ideologie. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt/M. 1981, S.180-216, 198 ff.; dort S. 213 f., Fn.30 weitere Hinweise. 3 Nachweise z. B. bei H. Schneider, Widerstand im Rechtsstaat, Karlsruhe 1969, S. 11.
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Recht noch 1950 Eingang in die Verfassung von Berlin. Die einschlägigen Vorschriften der Länderverfassungen lauten: Art. 147 I he. Verf.: "Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht." Art. 19 bre. Verf.: "Wenn die in der Verfassung festgelegten Menschenrechte durch die öffentliche Gewalt verfassungswidrig angetastet werden, ist Widerstand jedermanns Recht und Pflicht." Art. 231II berl. Verf.: "Werden die in der Verfassung festgelegten Grundrechte offensichtlich verletzt, so ist jedermann zum Widerstand berechtigt." Praktisch relevant geworden sind diese Vorschriften, soweit ersichtlich, bislang nicht. In der Judikatur finden sich zwar vereinzelte Berufungen auf sie, denen aber ein Erfolg nicht beschieden war4 • Eine ausführliche Kommentierung hat lediglich die hessische Regelung gefunden5 , die auch insofern eine Sonderstellung einnimmt, als sie mit einer Reihe ergänzender Vorschriften in einem besonderen Abschnitt über den "Schutz der Verfassung" (Art. 146-150 he. Verf.) zusammengefaßt ist. earl Heyland hat diesen Zusammenhang dah~n interpretiert, daß das in Art. 147 I he. Verf. statuierte Widerstandsrecht auf die Geltendmach'ung förmlicher Rechtsbehelfe, zu denen er auch die allgemeinen Rechtsweggarantien zählt, beschränkt sei6 • Ein Recht auf Gewaltanwendung oder auf Drohung mit Gewalt sei ausgeschlossen7 • Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Interpretation angeschlossen und offen gelassen, ob eine andere Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar sei8 • Gleichwohl ist die Interpretation nicht unbestritten geblieben, und jedenfalls muß festgestellt werden, daß der in ihr zum Ausdruck kommende Begriff des ,Widerstandsrechts atypisch ist und im Gegensatz zum herrschenden Wortgebrauch steht. Dieser versteht unter "Widerstandsrecht" ausschließlich das Recht auf formlosen (passiven oder aktiven) Widerstand. Im übrigen herrscht übereinstimmung darüber, daß formloser Widerstand nur in Betracht kommt, wenn eine rechtsförmliche Abhilfe nicht möglich ist. Ob danach für ein Widerstandsrecht im 4 Vgl. BGH NJW 1953, 1693 (zu Art. 147 I he. Verf.); BGH NJW 1972, 1571 (zu Art. 23 III berl. Verf.); fern€r die Hinweise bei Tiedemann, JZ 1969, 719; Diederichsen/ Marburger, NJW 1970, 778; s. a. Hans. OLG JZ 1980, 110. 5 C. Heyland, Das Widerstandsrecht des Volkes gegen verfassungswidrige Ausübung der Staatsgewalt im neuen deutschen Verfassungsrecht. Zugleich ein Beitrag zur Aus1egung des Art. 147 der Hessischen Verfassung vom 1. 12. 1946, Tübingen 1950, S. 84 ff.; H. J. Reh, in: Zinn/Stein (Hrsg.), Verfassung des Landes Hessen, Bad Homburg v. d. H./Berlin/Zürich, 11. Lieferung 1980, Art. 147. Vgl. T. Spitta, Kommentar zur Bremer Verfassung, Bremen 1960, Art. 19; E. Schwan, in: Pfennig/Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin. Kommentar Berlin/New York 1978, Art. 23. 6 Heyland (Fn.5), S. 84 ff. 7 Ebd., S. 100. 8 BGH NJW 1973, 1639.
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Rechtsstaat überhaupt Raum bleibt, ist, wie noch zu zeigen sein wird, kein Problem der Länderverfassungen, sondern des Bundesverfassungsrechts. 2. Im Jahre 1955 legten Rektor, Senat und alle Dekane der Universität Göttingen ihre Ämter nieder, um dadurch gegen die Ernennung des Verlagsbuchhändlers Schlüter, einer wegen rechtsextremistischer Ansichten umstrittenen Person, zum niedersächsischen Kultusminister zu protestieren. Die Studentenschaft unterstützte den Akt durch einen Fackelz'Ug und zeitweiliges Fernbleiben von den Vorlesungen. Der Protest hatte Erfolg. Minister Schlüter trat zurück. Julius von Gierke hat diesem Ereignis, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und breiten öffentlichen Beifall fand, eine Schrift gewidmet, die den Titel "Widerstandsrecht und Obrigkeit" trägt 9 • Er vertritt darin die Auffassung, die Amtsniederlegungen seien kraft Widerstandsrechts gerechtfertigt gewesen. Näherhin unterscheidet er drei Arten von Widerstandsrecht: erstens ein" Widerstandsrecht im engeren Sinne", das er als Recht definiert, "außerhalb der allgemeinen Schutznormen Maßnahmen der Obrigkeit entgegenzutreten unter Wahrung der bestehenden Rechtsordnung"lO, zweitens das "rein sittliche Widerstandsrecht" und drittens das "umstürzende, revolutionäre Widerstandsrecht"l1. Zur Rechtfertigung der Amtsniederlegungen zieht er das Widerstands recht im engeren Sinne heran, dessen Rechtsgrundlage er im Menschenrechtsbekenntnis des Art. 1 II GG erblickt, welches, historisch interpretiert, das Bekenntnis zum Widerstandsrecht einschließe 12 • Die Voraussetzungen dieses Rechts seien erfüllt gewesen, da im Fall Schlüter eine Verfassungsverletzung dadurch vorgelegen habe, "daß Würde, Ehre 'Und Ansehen der staatlichen Gemeinschaft insofern verletzt waren, als zum Kultusminister eine nicht einwandfreie Person ernannt worden war". Zur Ausübung des Widerstandes sei die Universität nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen, "da ihr nach ihrer Satzung die Pflege höchster Kulturaufgaben in Forschung und Lehre anvertraut ist"13. Die fachwissenschaftliche Reaktion auf diese Schrift war spärlich und widerspruchsvoll. W. Geiger hält es für "höchst fragwürdig", ob man den Göttinger Protest als durch das Widerstandsrecht gerechtfertigt erweisen könne. Damals sei gefährliche Poloitik bekämpft worden, aber weder Verfassungsbruch noch material,e Ungerechtigkeit14 • P. Schneider meint, es sei" überflüssig, ja falsch, die Aktion der Göttinger Studenten g J. v. Gierke, Widerstands recht und Obrigkeit. Gedanken anläßlich des Falles "Schlüter", Stuttgart 1976.
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;2 13
Ebd., S. 6. Ebd., S. 6 ff. Ebd., S. 19 ff.
Ebd., S. 23.
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und Professoren ... als Ausfluß des Widerstandsrechts zu deuten". Sie lasse sich "ohne weiteres als Ausübung eines verfassungsmäßigen Freiheitsrechts begreifen"15. Das dürfte für die Studenten zutreffen, nicht aber "ohne weiteres" für die Professoren, die zur Wahrnehmung ihrer Ämter universitäts- und beamtenrechtlich verpflichtet waren. J. Isensee wirft Gierke vor, dieser billige den Universitäten kraft Widerstandsrechts ein politisches Mandat zu, das jenseits der legalen Kompetenzen liege l6 ; wenig später vertritt er die These, es habe sich beim Göttinger Protest um eine zulässige demokratische Willenskundgebung gehandelt17 • Eine genauere Prüfung der Rechtslage findet sich nirgends. Sie soll auch hier nicht vorgenommen werden. Jedenfalls ist die Schrift Gierkes ein interessanter Beleg sowohl für die Mehrdeutigkeit und Vagheit des Ausdrucks "Widerstandsrecht" als auch für die Bereitschaft, ihn zu verwenden, wenn man einen rechtlich problematischen Protest, den man für billigenswert hält, rechtfertigen will. 3. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem Problem des Widerstandsrechts im Rechtsstaat ausdrücklich und ausführlich im KPDUrteil von 1956 befaßt l8 • Die KPD hatte sich auf dieses Recht nur hilfsweise berufen, da sie die Auffassung vertrat, ein verfassungsmäßiges Ziel, nämlich die Bekämpfung der verfassungswidrigen Remilitarisierungs- und Spaltungspolitik der Adenauer-Regierung, mit verfassungsmäßigen Mitteln, nämlich legalen Protest- und Streikaufrufen, zu verfolgen. Das Gericht hat diese Auffassung für falsch gehalten und sich daher mit der Eventualbegründung eingehend auseinandergesetzt. Dabei unterscheidet es zwischen dem "Widerstandsrecht gegen ein evidentes Unrechtsregime", das der neueren Rechtsauffassung nicht mehr fremd sei, aber im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme, und einem ,,\Viderstandsrecht gegen einzelne Rechtswidrigkeiten" in einem im übrigen funktionsfähigen Rechtsstaat l9 . Die Frage, ob ein solches Recht grundgesetzlich zu begründen sei und ob überhaupt ein Bedürfnis danach bestehe, läßt das Gericht offen. Doch formuliert es die Anforderungen, die bejahendenfalls an seine Ausübung zu stellen seien. Die einschlägigen Erwägungen sind in Leitsatz 10 der Entscheidung zusam14 W. Geiger, Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus. Grundfragen des Rechts, München 1963, S. 88-115, 104. 15 P. Schneider, Widerstandsrecht und Rechtsstaat, in: A. Kaufmann / L. E. Backmann (Fn.2), S.362-391, 377. 18 J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht. Eine staatsrechtliche Analyse des Art.20 Abs.4 Grundgesetz, Bad Homburg v. d. H./BerUn/Zürich 1969, S.49, Fn. 102. 17 Ebd., S. 59, Fn. 123. 18 BVerfGE 5, 85 (358 ff.). 19 Ebd., S. 376, 377.
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mengestellt: "Wenn es angesichts des grundgesetzlichen Systems der gegenseitigen Hemmungen und des Gleichgewichts staatlicher Gewalten und des wirksamen Rechtsschutzes gegen Verfassungsverstöße und -verfälschungen von Verfassungsorganen ein dem Grundgesetzt immanentes Widerstandsrecht gegen einzelne Rechtswidrigkeiten gibt, so sind an seine Ausübung jedenfalls folgende Anforderungen zu stellen: Das Widerstandsrecht kann nur im konservierenden Sinne benutzt werden, d. h. als Notrecht zur Bewahrung oder Wiederherstellung der Rechtsordnung. Das mit dem Widerstandsrecht bekämpfte Unrecht muß offenkundig sein. Alle von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe müssen so wenig Aussicht auf wirksame Abhilfe bieten, daß die Ausübung des Widerstands das letzte verbleibende Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Rechts ist"20. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des Gerichts im gegebenen Fall nicht vor. Wie groß der durch sie eröffnete Auslegungsspielraum ist, verdeutlicht ein 1963 veröffentlichter Vortrag von Bundesverfassungsrichter W. Geiger21 • Geiger erblickt wie Gierke die grundgesetzliche Begründung des Widerstandsrechts im Menschenrechtsbekenntnis des Art. 1 II GG. Zum Widerstandsrecht gegen einzelne Rechtswidrigkeiten im Rechtsstaat führt er aus, daß es nur gegen verfassungswidrige oder grob ungerechte Handlungen staatlicher Organe in Betracht komme, und auch dies nur dann, wenn dem Bürger ihnen gegenüber ein Rechtsbehelf entweder überhaupt nicht oder nur deshalb nicht gegeben sei, weil die Handlung nicht die Rechtspositionen des betreffenden Bürgers verletze. Als Beispiel nennt er das Nichteinschreiten zuständiger Organe gegen rechts- und linksextremistische Aktivitäten, ferner "Diffamierung einer politischen Gruppe durch die Regierung, Unterstützung von Unruhen in benachbarten Ländern, Benachteiligung von gesellschaftlichen Gruppen bei der Verteilung öffentlicher Mittel, Unterlassung der Erfüllung von VerIass'ungsaufträgen, Aushöhlung des Föderalismus mit Hilfe oder unter Duldung der Länder, Nichteinschreiten gegen Bedrohung oder Verunglimpfung der Kirchen oder grob ungerechte Praktiken und Tendenzen bei der Bearbeitung etwa von Wiedergutmachungsfällen, Restitutionsfällen, Ansprüchen nach dem 13"ler-Gesetz 'USW."22. In allen diesen Fällen ist nach Geiger vorausgesetzt, daß es sich um ververeinzelt bleibendes Unrecht handelt, das das herrschende Regime noch nicht zu einem Unrechtsregime stempelt. Zwar scheide dann aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips Gewalt als Mittel des Widerstandes aus. Doch könne "der organisierte Protest, die Niederlegung der 26
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Ebd., S. 86. W. Geiger (Fn. 14). Ebd., S. 109 f.
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Arbeit in den Ämtern und - in extremen Fällen - auch der politische Streik als adäquates Mittel in Betracht kommen"23. Die Gefahr, die sich aus einer solchen Interpretation ergibt, wird von Geiger selbst mit Nachdruck betont. Sie besteht darin, daß das Widerstandsrecht "die Falschen ermutigt und die Legitimierten lähmt"u. 4. Im Jahre 1968 wurde im Zuge der Notstandsgesetzgebung ein Widerstandsrecht als neuer Absatz 4 in Art. 20 GG eingefügt25 . Danach haben alle Deutschen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, das Recht auf Widerstand gegen jeden, der es unternimmt, die in Art. 20 I-lI! GG statuierte, d. h. die rechtsstaatlich-demokratische Ordnung zu beseitigen. In der Staatsrechtslehre hat diese Vorschrift ein überwiegend negatives bis vernichtendes Echo gefunden. Maßgebend für fast alle folgenden Kommentierungen wurde eine 1969 erschienene, scharfsinnige und materialreiche Monographie von J. Isensee26 • Ihr Fazit ist, das legalisierte Widerstands recht sei sowohl überflüssig als auch gefährlich. Es sei überflüssig nicht nur, weil in der staatlichen Normallage das vorhandene Rechtssch:utzsystem ausreiche, sondern auch, weil es für die Ausnahmelage dem Grundgesetz als Ausfluß des in Art. 20 I! statuierten Prinzips der Volkssouveränität ohnehin immanent sei27 . Es sei gefährlich, "nicht weil das Grundgesetz selbst ein pervertiertes Widerstandsrecht statuierte, sondern weil die Normierung die Gefahr von Mißdeutungen heraufbeschwört; nicht weil das Widerstandsrecht unglücklich formuliert wäre, sondern weil es überhaupt gesetzlich formuliert worden ist"28. Bei allem Scharfsinn weist die Schrift eine Reihe merkwürdiger Inkonsistenzen auf. Einerseits behauptet Isensee, mit der Positivierung des Widerstandsrechts habe die "längst totgesagte Naturrechtsrenaissance" einen späten Sieg errungen, der sich leicht als Pyrrhussieg erweisen könne29, andererseits hält er die Positivierung für deklaratorisch, weil das Widerstandsrecht dem in Art. 20 I! GG positivierten Prinzip Ebd., S. 110. Ebd., S. 115. 25 Zur Entstehungsgeschichte H. H. Klein, Der Ges,etzgeber und das Widerstandsrecht, DÖV 1968, 865-867; C. Böckenförde, Die Kodifizierung des Widerstanen. Zur Normenkontrolle eines Mieters siehe OVG Lüneburg, U. v. 19.5. 1981, 6 C 16/80, BauR 1982, 138. 39 U. v. 23.2.1979, 4 C 86.76 (Fn.37). 40 Vgl. VGH Bad-Württ., Beseh!. v. 9.4.1976, III 1711/75, BRS 30 Nr.136 S.253 sowie U. v. 30.11.1978, III 571/78.
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willens ist, etwaige Baugenehmigungen (die ihn ohnehin nicht mehr tangieren können) anzufechten,n. Auch in räumlicher Beziehung gibt es im Hinblick auf den Betroffenen- oder Nachbarschutz noch manche Ungereimtheiten; aber auch hier ist wiederum maßgebend die jeweils in Rede stehende Norm: Während die schon erwähnte Bauwichverletzung nur von dem Betroffenen, also von dem unmittelbar angrenzenden Nachbarn geltend gemacht werden kann, während sich die erdrückende Wirkung eines Hochhauses nur auf die in nächster Nähe vorhandenen Gebäude auswirken kann, erweitert sich der Kreis der Nachbarn (und wird deswegen zutreffender als der Kreis der Drittbetroffenen bezeichnet), wenn es um die Abwehr von Immissionen geht. Soll in einem allgemeinen Wohngebietetwa ein störender Gewerbebetrieb angesiedelt werden, so können sich dagegen die Eigentümer der betroffenen Grundstücke wehren, indem sie sich wie oben ausgeführt - auf die ihnen zugute kommende Schutzwirkung der Festsetzung "allgemeines Wohngebiet" berufen. Der Kreis der Abwehrberechtigten reicht dann so weit, wie die Störungen des Gewerbebetriebs das Wohngebiet nachteilig in einer Weise beeinflussen 42 , die dem Charakter eines allgemeinen Wohngebiets widerspricht. Zusammenfassend: In der Regel bestimmt sich die "Nachbareigenschaft" oder "Drittbetroffeneneigenschaft" einerseits nach dem Inhalt der Norm und andererseits danach, wie weit die Auswirkungen des angegriffenen Vorhabens reichen43 • Das wird übrigens besonders bei Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz deutlich. Und insoweit ist hinzuzufügen, daß gerade die drittschutzgewährenden Vorschriften dieses Gesetzes nicht auf das zivilrechtliche Eigentum abstellen. Demgemäß pflegen die Gerichte auch nur darauf abzustellen, ob der Kläger in dem von Immissionen betroffenen Bereich "wohnt". Ebensowenig ist die Drittklage im Atomrecht an das Eigentum gebunden; auch Mieter und Pächter sind im Grundsatz klagebefugt. Hier liegt das Problem eher in der Frage einer sinnvollen Begrenzung des Kreises der Anfechtungsberechtigten. Der Gedanke, derjenige, der nur in irgendeiner Weise potentiell durch nukleare Strahlung betroffen sein könne, sei auch stets anfechtungsberechtigt, hilft bei der nicht auszuschließenden Möglichkeit von Einwirkungen, die über Hunderte von Kilometern reichen können, nicht weiter44 • Die schon im Hinblick zur notwendigen 41 42 43
H
Vgl. hierzu BVerwG, U. v. 29.10. 1982, 4 C 51.79 (Fn.37). So schon BVerwG, U. v. 24. 10. 1967, 1 C 64.65, BVerwGE 28, 131 [137]. Vgl. BenderlDohle (Fn.32), Rdnr. 39 S. 20. Das BVerwG hat 1967 einen über 375 km vom KKW entfernt wohnenden
Kläger als klagebefugt angesehen, vgl. Beschl. v. 3.2.1967, 1 B 13.67, das OVG Lüneburg hat die Klagebefugnis bei einer Entfernung von 200 km bejaht, vgl. U. v. 20.6. 1974 in DVBl. 1974, 190 [192]; siehe hierzu auch Baumann, BayVBI. 1982, 257 [259].
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Abgrenzung von der Popularklage gebotene Eingrenzung ist von der Rechtsprechung erst später in Auslegung des § 45 der Strahlenschutzverordnung - StrlSchVO - gefunden worden: Anfechtungsberechtigt ist nur der, der darlegt, daß ihm gegenüber die (ihrer Natur nach drittschützende) Vorschrift des § 45 StrlSchVO, die die Dosisgrenzwerte bestimmt, verletzt sein könne. Auch darin liegt übrigens letztlich eine Bestätigung der Schutznormtheorie: Es wird ausgeführt, daß ein Restrisiko hinzunehmen und daß dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei 4 ::>. Demgemäß könne es nur um die Abwehr einer Strahlendosis gehen, die den zulässigen Dosiswert (nämlich einer Strahlenexposition von 30 millirem und ggf. im Hinblick auf die Ernährungskette von 90 millirem) überschreite. Der drittschützende Charakter der Dosisgrenzwerte wird bejaht, weil hierin eine Konkretisierung der äußersten, nicht mehr überschreitbaren Grenze der gemäß § 7 Abs.2 Nr. 3 AtomG erforderlichen Schadensvorsorge zu sehen sei 4G • Als nicht nachbarschützend werden dagegen eine Erhöhung des sogenannten "Bevölkerungsrisikos" angesehen; eine (große) Zahl von betroffenen Personen vermöge nicht zu einer Erhöhung oder Verbesserung des Individualrechtsschutzes zu führen. Dem Bevölkerungsrisiko sei zwar von der Genehmigungsbehörde Rechnung zu tragen; es gehe aber eben gerade nicht um Individualbelange, sondern um öffentliche Interessen. Auf die Kritik an dieser Entscheidung ist hier nicht einzugehen, weil es hier nur um einen Beleg dafür geht, daß sich nicht nur das "Ob" des Drittschutzes, sondern auch der Kreis der Geschützten und die Frage, wogegen und inwieweit Schutz zu gewähren ist, nach der jeweils anzuwendenden Norm beantworten läßt. Unterschiedliche Gesetze führen also häufig auch zu unterschiedlichen Abwehrrechten. Das heutige Rechtssystem ist, soweit es um den Drittschutz geht, höchst kasuistisch und unübersichtlich, mag man dies auch - wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit - beklagen oder - wegen der Orientierung an den jeweiligen praktischen Bedürfnissen - begrüßen. 4. Abschließend ist die Schutzwirkung von Verfahrensrechten zu behandeln. Ansatz der Überlegungen ist der Mühlheim-Kärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts4'7. Nach dieser Entscheidung kommt soweit sie hier interessiert - eine Grundrechtsverletzung auch dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche (atomrechtlichen) Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat gerade in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat. 45
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BVerfG, Beschl. v. 8.8. 1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 [143]. Vgl. BVerwG, U. v. 17.7.1980, 7 C 101.78, BVerwGE 60, 297 [301]. BVerfG, Beschl. v. 20.12. 1979, 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30.
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Der Mühlheim-Kärlich-Beschluß hat zu einer heftigen Kontroverse in der Literatur geführt. Aus dem Beschluß ist einerseits der Beginn einer neuen Ära abgeleitet worden, einer Ära, die gekennzeichnet ist durch eine Aufwertung der Verfahrensrechte, durch ihre verfassungs rechtliche überhöhung sowie die hieraus - vermeintlich - folgende übertragung der zum Atomrecht entwickelten Grundsätze auch auf andere Rechtsbereiche, was u. a. von der Beantwortung der Frage abhängt, ob das Grundgesetz zur Bejahung eines allgemeinen "status activus prozessualis" zwingt4B • Andererseits mehren sich die kritischen und ablehnenden Stellungnahmen49 • Hier geht es nicht darum, Kritik an der überhöhung des einfachen Rechts durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu üben oder den Meinungsstand auszuloten. Vielmehr ist im Hinblick auf das hier zu behandelnde Thema - im Sinne der Formulierung Goerliehs 50 - zu prüfen, ob es Drittschutz oder Nachbarschutz durch Verfahrensrechte auch im (Bau-)Planungsrecht gibt: Bereits seit langem ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, daß jedenfalls im Fachplanungsrecht Verfahrensvorschriften einem Dritten unabhängig vom materiellen Recht eine selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliehe Position insoweit nicht gewähren, als das Verfahrensrecht nur objektivrechtliehe Regelungen enthält, die dem Dritten einen subjektiven Anspruch auf Durchführung des Verfahrens nicht einräumen"1. Diese Ansicht beruht auf folgenden Erwägungen: Auszugehen ist von der "materiellrechtlichen Relevanz" des Verwaltungsverfahrensrechts. Räumt das einfache Recht einen Anspruch auf Durchführung eines bestimmten Verfahrens nicht ein, so berührt das die materielle Rechtslage nicht in negativer Weise. Wird ein Vorhaben, das einer Zulassung z. B. in Form einer Planfeststellung bedarf, ohne Durchführung eines solchen Verfahrens betrieben, so kann sich ein 48 Dazu schon Häberle, VVDStRL 30 (1979), 43 ff.; Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, Referat auf der 49. Staatswissenschaftl. Fortbildungstagung 1981 'in Speyer, Redeker, Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, 1593, GoerHch, Nachbarsmutz durch Verfahrensrechte, DÖV 1982, 631 und ders., Schutzpflicht-Grundrechte-Verfahrensschutz, NJW 1981, 2616; vgl. auch Kimminich, 5. Atomrechtssymposion, 1977, 263 ff. 49 Dolde, Grundrechtsschutz durch einfaches Verfahrensrecht, NVwZ 1982, 65; Ossenbühl, Zur Bedeutung von Verfahrensmängeln im Atomrecht, NJW 1981, 375; ders., Kernenergie im Spiegel des VerJiassungsrechts, DÖV 1981, 1; Rauschning, Anm. 2lum Mühlheim-Kärlich-Beschl., DVBl. 1980, 831; Wahl, Referat auf der 49. Staatswissenschaftl. Fortbildungstagung 1981 in Speyer. 50 Goerlich (Fn. 48), DÖV 1982, 631. 51 Vgl. Zur Planfeststellung im Was.serrecht BVerwG, U. v. 29.5. 1981, 4 C 97.77, BVerwGE 62, 243 U:lJJd zur Planfeststellung im Fernstraßenrecht U. v. 15. 1. 1982, 4 C 26.78, Buchholz 407.4 § 17 FstrG Nr. 47, S.36 [41]; allerdings ist auch diese Rechtsprechung nicht ohne Kritik geblieben, vgl Goerlich (Fn.48).
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durch das planfeststellungsbedürftige Vorhaben (nachteilig) betroffener Dritter gegen Beeinträchtigungen seines materiellen Rechts, die durch das Vorhaben hervorgerufen werden, ohne weiteres wehren. Vorausgesetzt ist dabei eine materiellrechtlich abgesicherte Rechtsposition, also gemäß dem bisher Gesagten die Ableitung des "Nachbarschutzes" aus dem einfachen materiellen Recht. Dagegen kommt es nicht auf die Norm an, die als Grundlage der verfahrensrechtrichen Durchführung dient oder hätte dienen müssen. Im Grundsatz läßt sich diese Argumentation auch auf das Bauplanungs recht übertragen 52 • Die sich in letzter Zeit häufenden Sachverhaltskonstellationen sind dabei etwa folgende: Im Außenbereich wird ein (Groß-)Vorhaben genehmigt. Der Eigentümer eines benachbarten Grundstücks wehrt sich gegen die Genehmigung mit der Begründung, die Genehmigung hätte nicht nach § 35 Abs.l (oder Abs.2) BBauG erteilt werden dürfen; vielmehr hätte wegen der Größe, der inneren Zuordnung der verschiedenen Gebäude oder aus sonstigen Gründen ein Bauleitplanverfahren durchgeführt werden müssen. Wäre das geschehen, so hätte er, der Nachbar, gemäß § 2 a Abs. 6 BBauG Bedenken und Anregungen geltend machen können, die dann nach § 1 Abs. 6 und 7 BBauG bei der gebotenen Abwägung hätten berücksichtigt werden müssen f>3. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt 54 • Das Bundesbaugesetz schließt nämlich einen Rechtsanspruch auf Planung ausdrücklich aus (vgl. § 2 Abs. 7 BBauG). Durch das Unterbleiben der Planaufstellung, selbst wenn diese objektivrechtlich geboten sein sollte, kann deshalb der einzelne Bürger nicht im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in subjektiven Rechten verletzt sein, und zwar auch nicht dadurch, daß er nicht die Gelegenheit zu Einwendungen erhält, die er im Planaufstellungsverfahren hätte, die aber auch nur in einem solchen Verfahren zum Zwecke der Aufbereitung des Abwägungsmaterials sinnvoll sind. Gibt es einen Anspruch auf Plan aufstellung nicht, so gibt es noch viel weniger einen Anspruch auf Durchführung einzelner Verfahrensschritte, die lediglich integrierter Bestandteil des Planaufstellungsverfahrens sind. Freilich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob diese strenge Interpretation mit den Ausführungen des BundesverAnderer Ansicht Goerlich (Fn.48). Vgl. zu dem Problem des Planungserfordernis'Ses für industrielle Großvorhaben besonders Hoppe, Ungewißheiten beim bebauungsrechtlichen Pla!lJUI1gserfordernis fürindustrieUe Großvorhaben, DVB!. 1982, 914; SchmidtAßmann, Das bebauungsrechtliche Planungserfordernis bei §§ 34, 35 BBauG, Recht-Technik-Wirtschaft Bd.25 (1982) sowie Säfker, raumordnungs- und baupLanrungsreehtliehe Fragen bei der Verwirklichung überörtlieh bedeutsamer Vorhaben, Städte- und Gemeindebund 1982, 256; siehe aueh Dolde, Die Entwicklung des öffentlichen Baurechts 1981, NJW 1982, 1793. 54 BVerwG, Beseh!. v. 3.8.1982, 4 B 145.82, ZfBR 1982, 226. :;2
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fassungsgerichts über den Schutz von Grundrechten auch durch verfahrensrechtliche Vorschriften im "Mühlheim-Kärlich-Beschluß" vereinbar isf,5. Dort ist jedoch den Auslegungs- und Anhörungsvorschriften eine grundrechtsschützende Wirkung nur im Hinblick auf das Atomgesetz zuerkannt, und zwar im wesentlichen mit der Begründung, das Atomgesetz bezwecke ausdrücklich - und zwar vorrangig vor einer Förderung der Atomenergienutzung - Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie zu schützen56 . Von diesem Ansatz her kommt nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts im Atomrecht eine Grundrechtsverletzung auch dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche atomrechtlichen Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat. Eine solche Zielrichtung haben aber die Vorschriften über die Bauleitplanung und über die Bürgerbeteiligung an einer solchen Planung gerade nicht. Sie haben vielmehr - wie das Bundesverwaltungsgericht es formuliert hat 57 - "die dem Gemeinwohl dienende Aufgabe, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde ... vorzubereiten und zu leiten (§ 1 Abs. 1 BBauG)". Die in § 2a BBauG vorgesehene Bürgerbeteiligung dient dem Hinweis auf etwa berührte Interessen; die Anregungen und Bedenken der Bürger werden Bestandteil des Abwägungsmaterials und sind demgemäß mit in die Abwägung einzubeziehen. Der Schutz von Leben und Gesundheit tritt in den Fällen der Bauleitplanung im Vergleich zum Atomrecht in seiner Bedeutung zurück; er wird nur in Ausnahmefällen auch bei der Bauleitplanung von Bedeutung sein. Mag also die besondere Gefahrengeneigtheit der Ansiedlung von Kernkraftwerken die schützende Wirkung von Verfahrensrechten rechtfertigen, so ist das kein Grund, diesen Gedanken auch auf die allgemeine Bauleitplanung zu übertragen. In diesem Zusammenhang sollte schließlich nicht übersehen werden, daß gerade der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet der Bauleitplanung die Bedeutung der Verfahrensvorschriften durch die §§ 155 abis c BBauG relativiert hat. Würde man demgegenüber auch bei der Bauleitplanung den Verfahrensrechten die Bedeutung zuerkennen, die ihnen im Atomrecht zukommen mag, so würde sich daraus ein praktisch unlösbarer Widerspruch ergeben58 • Die Betroffenen 5;;
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BVerfG, Beschl. v. 20. 12. 1979, 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30.
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Siehe oben Fn. 48. übrigens greift auch das Argument nicht, im Falle der Aufstellung eines Bebauungsplanes hätte dIeser im Wege der Normenkontrolle angegriffen werden können. Besonders Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nicht, daß der Nachbar seine Rechte außer mit der AnfechtunglSklage gegen eine Baug'enehmigung zusätzlich noch durch einen Normenkontrollantrag schützen kann: vgl. dazu BVerfGE 31, 364 [368] sowie BVerwG, Beschl. v. 28.9.1973, 4 B 149.73, Buchholz 11 Art. 19 GG Nr. 47. 57
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sind in derartigen Fällen keineswegs schutzlos: Sie können gemäß dem oben Erörterten gegebenenfalls die Verletzung einfachen Rechts (besonders in seiner Ausprägung durch das Rücksichtnahmegebot) geltend machen, sie können sich darüber hinaus auch auf eine nachhaltige Veränderung der Grundstückssituation und einen damit verbundenen schweren und unerträglichen Eingriff in ihr Eigentumsrecht berufen, sie können sich schließlich - falls es um erhebliche Immissionen geht auf Art. 2 Abs. 2 GG berufen. Im Grundsatz läßt sich dieser Gedanke auf zahlreiche vergleichbare Fälle übertragen: Werden z. B. in einem Planbereich laufend Befreiungen von einer bestimmten - nicht nachbarschützenden - Festsetzung gewährt, obwohl diese Befreiungen in die Grundzüge der Planung eingreifen, so ist dies (objektivrechtlich) rechtswidrig: Die Grundzüge der Planung dürfen nur durch einen neuen Bebauungsplan geändert werden. Auch in solchen Fällen ist gelegentlich angenommen worden, drittschützende Verfahrensrechte würden verletzt, wenn in solchen Fällen eine Anhörung und deswegen auch eine Bauleitplanung erforderlich, aber eben unterblieben sei59 • Wiederum ist zu antworten, daß eine Verletzung von Vorschriften über einzelne Verfahrensschritte jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn ein Anspruch auf Einleitung eines Planaufstellungsverfahrens vom einfachen Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ausgeschlossen ist. Und wiederum beschränkt sich der Rechtsschutz auf die Prüfung, ob die objektiv rechtswidrige Befreiung in subjektive Rechte des betroffenen Nachbarn eingreift. Es erscheint denkbar, daß auch in solchen Fällen das Gebot der Rücksichtnahme aktiviert werden kann: Zwar mag die Rücksichtnahme bei einer Planung in der Regel in der gerechten Abwägung aufgehen; hält sich aber die Baugenehmigungsbehörde gerade nicht an den Bebauungsplan, erteilt sie Befreiungen und beachtet sie dabei nicht einmal die gesetzlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BBauG, so kann eine solche Genehmigung im Verhältnis zum betroffenen Nachbarn "rücksichtslos" sein. Und in besonders qualifizierten und individualisierten Fällen erscheint es auch bei dieser Konstellation möglich, Nachbarschutz selbst dann zu gewähren, wenn die Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans erfolgte: Wird eine übermäßige Geschoßzahl oder Geschoßflächenzahl in rechtswidriger Weise genehmigt und führt das zu einem übergroßen Baukörper mit erdrückender Wirkung, so ist diese Bebauung "rücksichtslos", gleich ob die Baugenehmigung auf § 30 in Verbindung mit § 31 Abs. 2 BBauG oder etwa auf § 34 BBauG gestützt wird60 • 59 00
OVG Hamburg, U. v. 19.10.1978, OVG Bf. Ir 25/75. Zur Rücksichtnahme bei der Anwendung des § 34 BBauG siehe oben Fn. 25.
Planungs rechtlicher Betroffenenschutz im Wandel
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Auf diese Weise wird die Bedeutung der Verfahrensrechte auf das Maß zurückgeführt, das dem Verfahrensrecht allgemein zukommt. Dieses restriktive Verständnis führt nicht zu einer Verweigerung des gebotenen Rechtsschutzo~ sollten sich Wissenschaft und Praxis gleichermaßen bemühen, an einer verfassungsgerechten Gestaltung des Datenschutzes mitzuwirken.
IV. Beziehungen der Leistungsträger zueinander und zu Dritten Das historisch gewachsene, gegliederte Sozialleistungssystem wird durch die angestrebte Harmonisierung des Sozialrechts nicht etwa beseitigt, sondern vorn SGB übernommen. Dieses sehr differenzierte und in der Vergangenheit um einige Bereiche erweiterte System führt naturgemäß zu zahlreichen Überschneidungen der Aufgabenbereiche und Kompetenzen, die den einzelnen Leistungsträgern zugewiesen sind. Aufgabe des am 1. Juli 1983 in Kraft tretenden Dritten Kapitels des SGB X ist es, die Rechtsverhältnisse innerhalb der verschiedenen Sozialleistungsträger unter Einbeziehung der Rechtsprechung möglichst einheitlich zu gestalten, vor allem im Hinblick auf die lückenhaften und komplizierten Erstattungsregelungen34 • Die inhaltlichen Schwerpunkte des Gesetzes, dessen Funktion sich wegen seiner Grundtendenz, dem materiellen Recht zur möglichst reibungslosen Geltung zu verhelfen, als "Besonderer Teil" des im Ersten Kapitel normierten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens beschreiben läßt, lassen sich wie folgt zusammenfassen: -
Die aus dem Allgemeinen Teil übernommene Grundnorm zur Zusammenarbeit der Leistungsträger (§ 17 Abs. 2 SGB-AT) wird durch Vorschriften ergänzt, die im Interesse des Leistungsberechtigten eine Aufgabenwahrnehmung durch andere Stellen erleichtern, eine beschleunigte Erbringung von Nachzahlungen ermöglichen und Mehrfachuntersuchungen vermeiden sollen. Die nunmehr gesetzlich geregelte Bildung von Arbeitsgemeinschaften der Leistungsträger und ihrer Verbände trägt einern Erfordernis der Praxis, insbesondere bei der Eingliederung Behinderter, Rechnung. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Übertragung weitreichender Kompetenzen zugunsten solcher Arbeitsgemeinschaften führte zu einer Kontroverse zwischen Bundestag und Bundesrat55 , in der auch auf allgemeine verfassungs- und organisationsrechtliche Fragen eingegangen wurde.
53 54
53
Leuze, Rückschlag im Datenschutz, DVBl. 192, S. 993 ff. Amtl. Begründung, BT-Drs. 9/95, S.16, 45. Amtl. Begründung, BT-Drs. 9/95, S.20, 35.
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Willi Vieth
-
Der rechtlich schwierige Bereich der Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander und gegen Dritte56 bildet den umfangreichsten Komplex des Gesetzes. Die bislang uneinheitlich und verstreut geregelte Materie wird unter Berücksichtigung der zu § 1542 RVO (Erstattungsansprüche der Leistungsträger gegen den Schädiger) ergangenen Rechtsprechung des BGH57 in relativ wenigen Vorschriften normiert.
-
Artikel II des neuen Gesetzes kommt, wie bei den anderen Gesetzen zum Sozialgesetzbuch, besonderes Gewicht zu. In ihm werden die überflüssig gewordenen Vorschriften - 55 ganz oder teilweise aufgehoben sowie die Anpassung der in den besonderen Teilen enthaltenen Bestimmungen an das neue Recht vorgenommen. Die Änderung einiger Vorschriften der erst seit dem 1. 1. 1981 geltenden ersten beiden Kapitel des SGB X, darunter auch eine Ergänzung der Datenschutzregelungen, kennzeichnet die rasche Entwicklung des Sozialrechts.
:;6 ;;7
Wundersame ErstattJUngsansprüche, 8Gb 1982, 8.98 ff. BGH, Urt. vom 29.11. 1977, NJW 1978, 8.640 m. w. N.
Neumann,
Bibliographie Hans Ulrich Scupin Von Dieter Wyduckel, Münster I. Selbständige Veröffentlichungen 1. Der Staat als Fiskus und als Hoheitsperson bei seinem Tätigwerden auf Grund der Sozialisierungsmöglichkeiten des Art. 156 der Reichsverfassung. Ohlau in Schlesien 1929. 52 S., Diss. Breslau
2. Die neuen lettländischen Wirtschaftsgesetze in ihrer Auswirkung auf die deutsche Volksgruppe in Lettland. Eine Abhandlung und Materialsammlung mit einem Vorwort von Freiherr v. Freytagh-Loringhoven. Hamburg 1936. 76 S. 3. Kants Auffassung vom Rechtsstaat nach der Metaphysik der Sitten. Breslau 1938. 24 S. 4. Die Rechtslage der Wirtschaft unter dem Bonner Grundgesetz. Münster 1950. 21 S. (Schriftenreihe der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe e.V., Heft 9) 5. Polizeirecht. Braunschweig 1955. 43 S. (Die Verwaltung, Schriftenfolge zur staatswissenschaftlichen Fortbildung der Beamten und Behördenangestellten, hrsg. v. Friedrich Giese, Heft 23)
6. Unvollendete Demokratien. Organisationsformen und Herrschaftsstrukturen in nicht kommunistischen Entwicklungsländern in Asien, Afrika und im Nahen Osten. Von Ernst-Albrecht von Renesse, Werner Krawietz und Christine Bierkämper. überarbeitet und ergänzt von Ernst-Albrecht von Renesse, hrsg. und eingeleitet von Hans Ulrich Scupin. Köln und Opladen 1965. 429 S. 7. Althusius-Bibliographie. Bibliographie zur politischen Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte de's 16. bis 18. Jahrhunderts, hrsg. von Hans Ulrich Scupin und Ulrich Scheuner, bearbeitet von Dieter Wyduckel. Berlin 1973. 2 Bände 11. Beiträge zu Kommentaren, Lexika, Sammelwerken, Zeitschriften 1. Der Prinz von Wales in Politik und Recht. In: Völkerbund und Völkerrecht 2 (1935/36), S. 311/312
2. Luxemburgs Stellung zum Völkerrecht und seine Neutralität. Ebd. 611 bis 616 3. Ende des Oberschlesienabkommens? Ebd. 4 (1937/38), S. 434--437 4. Rechtsfragen der britischen Palästina-Politik. In: Zeitschrift für Völkerrecht 23 (1939), S. 257-277 5. Volk und Reich bei Justus Möser. In: Zeitschrift für öffentliches Recht 19 (1939), S. 561-639, Habil.-Schrift Breslau
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Dieter Wyduckel
6. Das französische Mandat über Syrien und das Alexandrette-Problem. In: Zeitschrift für Völkerrecht 24 (1940), S. 1-30 7. Die Angelegenheiten der öffentlichen Ordnung. In: Recht, Staat, Wirtschaft. Schriften reihe für staatswissenschaftliche Fortbildung, hrsg. v. Hermann Wandersleb, Band 2, bearb. v. Erich Traumann. Stuttgart 1950, S.298-319 8. Der Bundesrat Art. 50-53. In: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Band 2. Hamburg 1950 9. Stand und Entwicklung der Ordnungsverwaltung in den Ländern der britischen Zone. Ebd. Band 3, bearb. v. Erich Traumann. Düsseldorf 1951, S.300-314 10. Anmerkung zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 5. 10. 1950 - IV A 287/50. [Zur Frage der Rechtsstellung der in der britischen Zone vor dem 1. 12. 1946 ernannten leitenden Kommunalbeamten]. In: Deutsches Verwaltungsblatt 66 (1951), S. 579-581 11. Über die Menschenrechte. In: Gegenwartsprobleme des internationalen Rechtes und der Rechtsphilosophie. Festschrift für Rudolf Laun zu seinem 70. Geburtstag, hrsg. v. D. S. Constantopoulos und Hans Wehberg. Hamburg 1953, S. 173-200 12. Justus Möser als Westfale und Staatsmann. In: Westfälische Zeitschrift 107 (1957), S. 135-152 13. Das Polizeirecht in der Bundesrepublik Deutschland. In: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, hrsg. v. Hans Peters, Band 2: Kommunale Verwaltung. Berlin 1957, S. 606-666 14. Die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Tonbandaufnahmen in polizeilichen Ermittlungsverfahren. In: Die Öffentliche Verwaltung 10 (1957), S.548-555 15. Deutscher Bundesstaat und Gleichheitssatz. In: Festschrift für Kar! Gottfried Hugelmann zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Wilhelm Wegener, Band 2. Aalen 1959, S. 579-603 16. Friedensbewegung. In: Wörterbuch des Völkerrechts. Begründet v. Karl Strupp. In völlig neu bearbeiteter 2. Auf!. hrsg. v. Hans-Jürgen Schlochauer [u. a.], Band 1. Berlin 19-60, Sp. 572-585 17. Grundrechte und Grundpflichten der Staaten. Ebd., Sp. 723-733 18. Völkerrechtsgeschichte IH. Erweiterung des europäischen Völkerrechts (1815-1914). Ebd. Band 3. Berlin 1962, Sp. 721-744 19. Die Souveränität der Reichsstände und die Lehren des Althusius. In: Westfalen 40 (1962), S. 186-196 20. Polizei. In: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 8. Stuttgart 1964, S. 396-407 21. über den Wandel der Wesensbestimmung der Demokratie in Deutschland während des letzten Jahrhunderts. In: Recht im Dienste der Menschenwürde. Festschrift für Herbert Kraus zur Vollendung seines 70. Lebensjahres von Freunden, Schülern und Mitarbeitern. Würzburg 1004, S. 313 bis 330
Bibliographie Hans Ulrich Scupin
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22. Der Begriff der Souveränität bei Johannes Althusius und Jean Bodin. In: Der Staat 4 (1965), S. 1-26
Erweiterte deutsche Fassung eines Vortrages vor der "FacuLte c1e Droit et des Sciences Economiques" der Universität Lille im November 1963 unter dem Titel: La notion de souverainete dans les reuvres de Jean Bodin et de Johannes AZthusius. Der französische Vortrag ist in den "AnnaZes de Za FacuZte de Droit et des Sciences Economiques de Lille" (Jg. 1963, S. 7 bis 27) erschienen.
23. Vorwort zu Scupin (Hrsg.), Unvollendete Demokratien, Köln und Opladen 1965, S. 5-8. Siehe oben I, Nr. 6 24. Fortschritte im Völkerrecht und die Grundrechte der Staaten. In: Die Dritte Gewalt 17 (1966), S. 1-15 25. Annexion und Vertreibung. In: Staat und Gesellschaft. Festgabe für Günther Küchenhoff zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Franz lVIayer. Göttingen 1967, S. 215-228 26. Freischärler, Guerrilleros, Partisanen, Gedanken zum Begriff des Kombattanten. In: Festschrift für Rudolf Laun zu seinem 90. Geburtstag, hrsg. v. Boris lVIeissner und Edgar Tomson. Kiel 1972 (Internationales Recht und Diplomatie, Jg. 1972), S. 201-217 27. Zum Verkehrsordnungsrecht. Tatbestände, Spruch- und Verwaltungspraxis. In: Verfassung, Verwaltung, Finanzen. Festschrift für Gerhard Wacke zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Klaus Vogel und Klaus Tipke. KölnlVIarienburg 1972, S. 355-373 28. Vorwort zu Scupin/Scheuner (Hrsg.), Althusius-Bibliographie, Berlin 1973, 1. Halbband, S. XI-XVIII. Siehe oben I, Nr. 7 29. Demokratische Elemente in Theorie und Praxis des Johannes Althusius. In: A Desirable World. Essays in Honour of Professor Bart Landheer, ed. by A. M. C. H. Reigersman - Van der Eerden and G. Zoon, The Hague 1974, S. 67-78 30. Nachruf für Friedrich Klein. In: Die Öffentliche Verwaltung 27 (1974), S.526/527 31. Die heutige Bedeutung der Lehren zum Seerecht aus dem frühneuzeitlichen Völkerrecht. In: Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, hrsg. v. Dieter Wilke und Harald Weber, München 1977, S. 483-499 32. Die Lehren des Johannes Althusius und seine Tätigkeit an der Arnoldinischen Akademie in Burgsteinfurt. In: 1853-1978. 125 Jahre wiederbegründetes Gymnasium Arnoldinum, Steinfurt 1978. 8 gez. S. 33. Untrennbarkeit von Staat und Gesellschaft in der Frühneuzeit. Althusius und Bodin. In: Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Friedrich Kaulbach und Werner Krawietz. Berlin 1978, S. 637-657 34. Justus Möser als Verwaltungsfachmann. In: Die Fortbildung. Studienund Mitteilungsblatt der deutschen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie 24 (1979), S. 6-9 35. Verfassungswandel im föderativen Bereich des Grundgesetzes durch Zusammenwirken von Bund und Ländern. In: Festschrift für Theodor Maunz zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Peter Lerche, Hans Zacher, Peter Badura. München 1981, S. 261-279
940
Dieter Wyduckel
36. Iudex praeceptor legis actoris? Gesetzgebungskontrolle als Rechts- und Sachkontrolle, nicht politische Verfassungskontrolle. In: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, hrsg. v. Joseph Listl und Herbert Schambeck. Berlin 1982, S. 555-568 37. Erich Becker
t.
In: Archiv des öffentlichen Rechts 107 (1982), S.297-300
38. Peace, Historical Movements towards. In: Encyclopedia of Public International Law. Published under the Auspices of the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law under the direction of Rudolf Bernhardt, Bd. 4, Amst'erdam 1982, S. 78-1ffi 39. History of International Public Law 1815-1914. Ebd., Bd. 7. Im Druck. 40. Staatsstrukturen und Staatsfunktionen in ständisch-patrimonialen Territorien im deutschen Nordwesten gegen Ende des Heiligen Römischen Reichs. In: Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag, hrsg. von Arno Buschmann, Franz-Ludwig Knemeyer, Gerhard Otte, Bielefeld 1983. Im Druck. 41. Die Reine Rechtslehre und der Streit zwischen Rechtspositivismus und moderner Jurisprudenz. In: Werner Krawietz, Helmut Schelsky, Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis, Berlin 1983. Im Druck.
111. Rechtsgutachten 1. Rechtsgutachten über die Frage des Erlasses einer Bundesärzteordnung. [Nebst] Nachtragsgutachen. Münster 1951. 37, 12 BI. 2. über die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Bereich des öffentlichen Rechts, erteilt im Auftrage der Vereinigten Anwaltskammer der Bundesrepublik Deutschland. Ebd. 1952. 25 BI. 3. Zur Frage der Rechtsgültigkeit der Berufsordnung für die Angehörigen des wirtschaftlichen Prüfungs- und Treuhandwesens. (Verordnung Nr.52 vom 8. 10. 1946. In: Amtsblatt der Militärregierung, Deutschland, Britisches Kontrollgebiet 1946, Nr. 14, S. 319/20). Münster 1954. 45 BI. 4. Gutachten über das Recht der evangelisch-lutherischen Kirchen-Gemeinden zu Leer zur Besetzung ihrer Pfarrstellen auf Grund des in Ostfriesland herkömmlichen Wahlrechts. Ebd. 1962. 41 S. 5. Welche Bestimmungen kann eine als Satzung erlassene Ärzteberufsordnung für die Tätigkeit des Werkarztes in den verfassungsrechtlichen Grenzen treffen? Rechtsgutachten. Ebd. 1964. 52 BI. 6. Die Rechtsnatur des Fernlehrwesens und die Staatsaufsicht. Ebd. 1972. 49 BI.
IV. Rezensionen 1. Rez. Karl H. Dietzel: Die Südafrikanische Union. Ihre Entstehung und ihr Wesen. Berlin 1934. 294 S. (Koloniale Rundschau, Beiheft 1). In: Völkerbund und Völkerrecht 2 (1935/36), S. 54/55 2. Rez Wilhelm G. Hertz: Das Problem des völkerrechtlichen Angriffs. Leiden 1935. VIII, 183 S. Ebd., S. 201/202
Bibliographie Hans Ulrich Scupin
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3. Rez. Fritz Münch: Die technischen Fragen des Küstenmeers. Kiel 1934. VIII, 187 S. (Aus dem Institut für Internationales Recht an der Univ€Tsität Kiel, 2/4). In: Völkerbund und Völkerrecht 2 (1935/36), S. 576 4. Rez. Konrad Reichhelm: Der Angriff. Eine völkerrechtliche Untersuchung über den Begriff. Berlin 1934. VII, 71 S. (Internationalrechtliche Abhandlungen, 27). Ebd., S. 134-136 5. Rez. Günther Wasmund: Die Nichtangriffspakte. Zugleich ein Beitrag zu dem Problem des Angriffsbegriffes. Diss. Leipzig 1935. XV, 126 S. (Abhandlungen des Instituts für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Leipzig, 41). Ebd., S. 266/267 6. Rez. Ernst Wolgast: Völkerrecht. Berlin 1934, S. 689-993 (Das gesamte Recht in systematischer Darstellung, hrsg. v. Rudolf Stammler, 13). Ebd., S. 406/407 7. Rez. Friedrich Grabau: Der Gebrauch fremder Nationalflaggen im Seekrieg. Berlin 1936. XIII, 126 S. Ebd. 3 (1936/37), S. 709-711 8. Rez. L'amvre legislative. Chambre des Deputes. Royaume de Roumanie. Bucarest 1935. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 30 (1936/37), S. 445-447 9. Rez. Kurt Witt: Die Teschener Frage. Berlin 1935. 291 S. In: Völkerbund und Völkerrecht 3 (1936/37), S. 55/56 10. Rez. E. H. Bockhoff: Völkerrecht gegen Boschewismus. Berlin 1937. 251 S. (Schriften des Instituts zur wissenschaftlichen Erforschung der Sowjetunion, 4). Ebd.4 (1937/38), S. 111-113 11. Rez. Mostafa Mesbah Zadeh: La politique de l'Iran dans la Societe des Nations. La conception iranienne de l'organisation de la paix. Paris 1936. XV, 176 S. Ebd., S. 313/314 12. Rez. Claus Heinrich v. Wendorff: Blockbildung innerhalb des Völkerbundes. Hamburg 1937. 98 S. Ebd., S. 602-605 13. Rez. Wilhelm Sauer: Lebendes Recht und lebende Wissenschaft. Tübingen 1936. 47 S. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 119). In: Zeitschrift für Völkerrecht 22 (1938), S. 121/122 14. Rez. Kurt Keppler: Die Neutralitätspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika 1937-1939. Berlin 1940. 211 S. (Zeitschrift für Völkerrecht, 24, Beiheft). Ebd. 24 (1940), S. 380-383 15. Rez. Hans Wehr: Englisch-französische Mandatspolitik im Nahen Osten und arabischer Nationalismus. Greifswald 1941. 22 S. (Greifswalder Universitätsreden, 54). Ebd. 25 (1941), S. 503/504
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Dieter Wyduckel
16. Rez. Paul Barandon: Die Vereinten Nationen und der Völkerbund in ihrem rechtsgeschichtlichen Zusammenhang. Hamburg 1948. 331 S. In: Archiv des Völkerrechts 2 (1950), S. 376--379 17. Rez. Wille m J. M. van Eysinga: Hugo Grotius. Eine biographische Skizze. Mit einem Vorwort von Werner Kaegi. Basel 1952. 140 S. Ebd.4 (1953/54), S. 503-505 18. Rez. Hans-Jürgen Schlochauer: Die Idee des ewigen Friedens. Bonn 1953. 236 S. Ebd.5 (1955/56), S. 484/485 19. Rez. Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit und Grenzen ihrer Verwendung im Rechtsstaat. Bericht über die Arbeitstagung des Instituts zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten e. V. am 16. und 17. November 1956 in Weinheim. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten. Mannheim 1957. 103 S. In: Die Öffentliche Verwaltung 10 (1957), S. 598/599 20. Rez. Boris Meissner: Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht. Köln 1956. XI, 377 S. In: Internationales Recht und Diplomatie 1959, S. 327/328 21. Rez. Franz Mayer: Die Eigenständigkeit des bayerischen Verwaltungsrechts, dargestellt an Bayerns Polizeirecht. München 1958. 320 S. In: Archiv des öffentlichen Rechts (1961), S. 501-507 22. Rez. Gottfried Dietze: über Formulierung der Menschenrechte. Berlin 1956. 178 S. In: Archiv des Völkerrechts 11 (1963/64), S. 382-384 23. Rez. Ernst Reibstein: Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Idee in Lehre und Praxis. Freiburg 1958--1963. 2 Bände (Orbis Academicus). Ebd. 12 (1964-65), S. 338--342 24. Rez. Carl Schmitt: Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. Berlin 1963. 96 S. In: Der Staat 5 (1966), S. 245-250 25. Rez. Otto Kimminich: Deutsche Verfassungsgeschichte. Frankfurt a. M. 1970. 703 S. (Lehrbücher des öffentlichen Rechts, 5). Ebd. 13 (1974), S. 440/441 26. Rez. Carl Joachim Friedrich: Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von deT Politik. Berlin 1975. 161 S. Ebd. 15 (1976), S. 427-431 27. Rez. Aldo V. Lombardi: Bürgerkrieg und Völkerrecht, Die Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen in nicht-zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten. Berlin 1976. 416 S. (Schriften zum Völkerrecht, 53). Ebd. 19 (1980), S. 118-123 28. Rez. Samuel Pufendorf: Die Verfassung des deutschen Reiches. übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Horst Denzer. Stuttgart 1976. 220 S. (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 966/3). In: Die Öffentliche Verwaltung 34 (1981), S. 643/644
Verzeichnis der Mitarbeiter Achterberg, Norbert, Prof. Dr. iur., Direktor des Instituts für Öffentliches
Recht und Politik, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland, Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof Kassel.
Barbey, Günther, Prof. Dr. iur., Richter am Bundesverwaltungsgericht; apl.
Professor am Fachbereich Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin.
Berg, WUfried, Prof. Dr. iur., Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fa-
kultät, Universität Bayreuth.
Bethusy-Huc, Viola Gräfin von, Prof. Dr., Fachbereich Politikwissenschaft,
Universität Münster.
Bleckmann, Albert, Prof. Dr. iur., Docteur en droit, Diplome d'etudes supe-
rieures es-sciences economiques, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; Vizepräsident der Gesellschaft für Afrikanisches Recht e. V.
Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Prof. Dr. iur., Dr. phil., Direktor des Instituts
für Öffentliches Recht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Freiburg.
Campenhausen, AxeZ Freiherr von, Prof. Dr. iur., Präsident der Klosterkam-
mer Hannover; Direktor des kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen; Honorarprofessor am Juristischen Fachbereich, Universität Göttingen.
Degenhart, Christoph, Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissenschaft, Univer-
sität Münster.
Dicke, Detlev Christian, Prof. Dr. iur., Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwis-
senschaftliche Fakultät der Universität Freiburg, Schweiz.
Doehring, KarZ, Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Universität Heidelberg;
Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffenUiches Recht und Völkerrecht.
Dreier, RaZf, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Allgemeine Rechtstheorie, Juristi-
scher Fachbereich, Universität Göttingen; stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen.
944
Verzeichnis der Mitarbeiter
Eikema Hommes, Hendrik J. van, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Rechtsenzyklo-
pädie und Rechtsphilosophie, Fakultät für Rechtswissenschaft, Vrije Universiteit Amsterdam.
Erichsen, Hans-Uwe, Prof. Dr. iur., geschäftsführender Direktor des Kom-
munalwissenschaftlichen Instituts, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster.
Grosser, Dieter, Prof. Dr. rer. pol., Geschwister Scholl-Institut für Politische
Wissenschaft, Fakultät Sozialwissenschaften, Universität München.
Hoppe, Werner, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Raumplanung und Öffentliches
Recht, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; geschäftsführender Direktor des Zentralinstituts für Raumplanung an der Universität Münster; geschäftsführender Direktor des Freiherr-vom-Stein-Instituts, Kommunalwissenschaftliche Forschungsstelle des Landkreistages Nordrhein-Westfalen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Jülich, Christian, Dr. iur., Leitender Ministerialrat, Leiter der Gruppe Schul-
recht! Schulgesetzgebung im Kultusministerium N ordrhein-Westfalen.
Kaulbach, Friedrich, em. o. Prof., Dr. phil., Dr. iur h. c., Fachbereich Philo-
sophie, Universität Münster.
Kimminich, Otto, Prof. Dr. iur., M. A. (Econ.), Juristische Fakultät, Universi-
tät Regensburg; Präsident der Otto-Benecke-Stiftung; Präsident der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste; Kurator der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung.
Kirchhof, Paul, Prof. Dr. iur., Direktor des Instituts für Finanz- und Steuer-
recht, Juristische Fakultät, Universität Heidelberg.
Knemeyer, Franz-Ludwig, Prof. Dr. iur., Vorstand des Instituts für Rechts-
philosophie, Staats- und Verwaltungsrecht, Juristische Fakultät, Universität Würzburg.
Krawietz, Werner, Prof. Dr. iur., Dr. rer. pol., Lehrstuhl für Rechtssoziologie,
Rechts- und Sozialphilosophie, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Münster; Direktor des Zentralinstituts für Raumplanung an der Universität Münster; Professe ur a la Faculte Europeenne des Sciences du Foncier, Strasbourg; stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland.
Küchenhoff, Günther, em. o. Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Univer-
sität Würzburg.
Kühn, Oskar, Dr. iur., Honorarprofessor am Fachbereich Rechtswissenschaft
der Universität Münster; Landeskirchenrat i. R.
Kuriki, Hisao, Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät der städtischen Universität
Osaka, Japan.
Landheer, Bart, Prof. Dr., Formerly Professor of the Sociology of Inter-
national Relations at the University of Groningen and Director of the Peace Palace Library, The Hague.
Verzeichnis der Mitarbeiter
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Maunz, Theodor, em. o. Prof. Dr. iur. utr., Juristische Fakultät, Universität
München, Staatsminister a. D.
Meissner, Boris, Dr. iur., Dipl.-Volkswirt, o. Prof. und Direktor des Instituts
für Ostrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Köln; o. Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (Klasse der Geisteswissenschaften), Legationsrat 1. Kl., a. D.
Menger, Christian-Friedrich, em. o. Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissen-
schaft, Universität Münster.
Moorman van Kappen, Olav, Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Katholische
Universität Nijmegen.
Münch, Fritz, em. apl. Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Universität Heidel-
berg; Membre de l'Institut de Droit International; em. wissensch. Mitglied des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.
Neve, Paul L., Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Katholische Universität
Nijmegen.
Pardon, Fritz, Dr. iur., Senatspräsident a. D. am Oberlandesgericht Hamm. Petev, Valentin, Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität
Münster.
Redeker, Konrad, Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der
Rechts- und Staatswissensch,aftlichen Fakultät der Universität Bonn.
Reiners, Heinz, Dr. iur., M. A. in Middle Eastern Studies (Harvard, USA);
Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Sultanat Oman (seit Oktober 1979).
Rengeling, Hans- Werner, Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissenschaften der
Universität Osnabrück.
Schäfers, Josef, Dr. iur., Honorarprofessor für christliche Staats- und Gesell-
schaftslehre an der Theologischen Hochschule Vallendar-Koblenz; Präsident des Landesamtes für Jugend und Soziales Rheinland-Pfalz.
Schlichter, Otto, Prof. Dr. iur., Richter am Bundesverwaltungsgericht; Hono-
rarprofessor am Juristischen Fachbereich der Universität Göttingen.
Schmidt-Jortzig, Edzard, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Öffentliches Recht,
Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Kiel; Richter am OVG Lüneburg.
Schnapp, Friedrich E., Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissenschaft, Uni-
versität Münster; Richter am Landessozialgericht a. D.
SeUert, Wolfgang, Prof. Dr. iur., Juristische Fakultät, Universität Göttingen. Sprenger, Regina M., Doktorand der Geschichtswissenschaft; Wissenschaft-
liche Mitarbeiterin, Gerard-Noodt-Instituut, Juristische Fakultät, Katholische Universität Nijmegen.
Steiger, Heinhard, Prof. Dr. iur., LLM. (Harvard), Lehrstuhl für Öffentliches
Recht, Fachbereich Rechtswissenschaften, Universität Gießen.
Verzeichnis der Mitarbeiter
946
Stern, KLaus, Prof. Dr. iur., Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und
Verwaltungslehre, Direktor des Instituts für Rundfunkrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Köln; Richter des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen.
Stob er, Rolf, Prof. Dr. iur., Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität
Münster.
Thieme, Hans, em. o. Prof. Dr. iur., Dres. h. c., Rechtswissenschaftliche Fakul-
tät, Universität Freiburg.
Unruh, Georg-Christoph von, em. o. Prof. Dr. iur., Rechtswissensch,aftliche
Fakultät, Universität Kiel; Kreisdirektor a. D., Richter am Oberverwaltungsgericht a. D.; Korrespondierendes Mitglied des Lorenz-vom-SteinInstituts für Verwaltungswissenschaften zu Kiel.
Vieth, Willi, Prof. Dr. iur., Fachhochschule für Sozialwesen, Osnabrückl
Vechta.
Wegener, Wilhelm, em. o. Prof. Dr. iur., Dipl.-Volkswirt, Fachbereich Rechts-
wissenschaft, Universität Saarbrücken.
Wilke, Dieter, Prof. Dr. iur., Direktor des Instituts für Staatslehre, Staats-
und Verwaltungsrecht, Fachbereich Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin.
Wyduckel, Dieter, Dr. iur., Privatdozent, Fachbereich Rechtswissenschaft,
Universität Münster; Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster; Profesor fundador del Ateneo Filosofico Mexico, D. F.
Zippelius, Reinhold, Prof. Dr. iur., Leiter des Instituts für Rechtsphilosophie
und Allgemeine Staatslehre, Juristische Fakultät, Universität ErlangenNürnberg.