Recht und Staat: Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21.8.1972 [1 ed.] 9783428427697, 9783428027699


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German Pages 1054 [1055] Year 1972

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Recht und Staat: Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21.8.1972 [1 ed.]
 9783428427697, 9783428027699

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RECHT UND STAAT

RECHT UND STAAT Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21. 8.1972

I1erausgegeben von

Hans Hablitzel und Michael Wollenschläger

Erster I1albband

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten. @ 1972 Duncker & Humblot, Berl1n 41 Gedruckt 1972 bel Buchdruckerei Bruno Luck, Berl1n 65 Pr!nted In Germany JSBN 3 428 02769 8

Zum Geleit 'H ÖE ÖLXaLOO'UVTj l'tOAmXOV· T] '(ag ötXTj l'tOAL"tLxii~ 't6.SL~ EO''tLv, T] ÖE ÖLxaLOO'UVTj 'toll öLxaLou XglO'L~.

xOLvrovLa~

Aristoteles, Politikon

Professor Dr. Günther Küchenhoff, Ordinarius für öffentliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht sowie Rechtsphilosophie an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg, vollendet am 21. 8. 1972 das 65. Lebensjahr. Schüler, Freunde und Kollegen habe sich zusammengetan, um gemeinsam dem hochverehrten Lehrer, väterlichen Freund und geschätzten Kollegen mit dieser Festschrift, der zweiten, als äußeres Zeichen herzlicher Verbundenheit und tief empfundenen Dankes zu gratulieren. Gestalt und Werdegang des Jubilars sind bereits in der ersten Festschrift! gebührend gewürdigt worden; doch seien auch hier nochmals die wichtigsten Stationen im Leben Günther Küchenhoffs vergegenwärtigt: Am 21. August 1907 in Breslau geboren, legte er im Jahre 1925 das Abitur am humanistischen Gymnasium seiner Heimatstadt ab. Nach dem Studium der Jurisprudenz und Nationalökonomie an der Universität Breslau, der mit Auszeichnung bestandenen ersten Juristischen Staatsprüfung (1928) folgten Referendarzeit, Promotion summa cum laude (1929) bei Helfritz, schließlich glänzend bestandenes Assessorexamen. Nach Ernennung zum Amts- und Landgerichtsrat blieb der Jubilar weiterhin der juristischen Fakultät seiner Heimatstadt als wissenschaftlicher Assistent verbunden. Der Beförderung zum Oberlandesgerichtsrat folgte im Jahre 1939 die Habilitation auf Vorschlag Hans Helfritz'. Im Jahre 1943 nahm der Jubilar einen Ruf auf ein Ordinariat der Universität Greifswald an. Einen ehrenvollen Ruf an die Universität Wien lehnte er ab. Nach einer praktischen Tätigkeit in der Nachkriegszeit als Rechtsanwalt in Werl und Syndikus ärztlicher Berufsorganisationen, zog es Günther Küchenhoff wieder an die Universität zurück, indem er einem Ruf der Universität Würzburg folgte und zum Vorstand der Seminare für allgemeines, deutsches und bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht, für Arbeits- und Sozialrecht, sowie Rechtsphilosophie berufen ! Staat und Gesellschaft, Festgabe für Günther Küchenhoff, herausgegeben von Franz Mayer, Göttingen 1967.

VI

Zum Geleit

wurde. In Würz burg, das ihm zur zweiten Heimat geworden ist, wird unser Jubilar nicht nur von seinen Kollegen sämtlicher Fakultäten geschätzt; auch weiten Kreisen der Bevölkerung ist er durch sein Wirken in zahlreichen Institutionen und Vereinigungen bestens bekannt. Aber nicht nur in Deutschland ist der Jubilar als Wissenschaftler und Praktiker zugleich anerkannt. Sein Wirken geht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus; dies zeigt auch seine Mitgliedschaft in vielfältigen internationalen Vereinigungen (wie beispielsweise als Vorstandsmitglied im Europäischen Institut für Zeitarbeit in Brüssel, im Rosmini Institut in Bozen, im Direktorium des Centro Internazionale di Studi e di Relazioni Culturali in Rom und Mitglied der Societe Europeenne de Culture in Venedig). Wenn auch noch nicht die Zeit gereift ist, das rechtswissenschaftliche Bemühen unseres in ungebrochener Schaffenskraft und Schaffensfreude wirkenden Jubilars zu würdigen, so soll doch die gewählte Thematik dieser Festschrift "Recht und Staat" hinweisen auf das Anliegen, das letztlich immer bei Günther Küchenhoff im Mittelpunkt stand: Der Mensch in seinem Dasein, das auch ein-im-Recht-sein ist, hineingestellt in die Ambivalenz von Staat und Gesellschaft. Günther Küchenhoff hat dieses Im-Recht-sein nie isoliert zu begreifen versucht, vielmehr sich stets um eine Deutung in einer ganzheitlichen Rechtsbesinnung, vor allem in philosophischen Bezügen bemüht, die Einheit und Vieleinheit, Logos und Telos, Statik und energeia als Seinsconstitutiva zu ergründen. Auch so ist wohl sein rechtsphilosophisches Bemühen um eine existentielle Grundrechtstheorie zu verstehen, anknüpfend an beste scholastische Traditionen einer philosophia perennis. Perennität - jedoch nicht in ihrer antiexistentiellen Mißdeutung - und Existentialität, Anerkennung zwar von Autorität und Tradition auf der einen Seite, stetige Selbstbesinnung und Selbstverantwortung auf der anderen Seite, also Wesensbestandteile, sich zum Ganzen organisch und harmonisch verbindend2 • So auch das Bemühen von einer im Sinne Leibniz' "caritas sapientis" ausgehenden Menschenliebe ein Naturrecht praktisch auszugestalten. Günther Küchenhoff hat die praktischen Bezüge und Ausformungen dieser Menschenliebe als aus der Metaphysik in die Menschenwelt, aus der Idealität in die Realität, aus der Ethik ins Recht, vor allem ins Arbeitsrecht einfließend, immer betont. Der großartigen Spannweite seines ganzheitlichen Bemühens entspricht es, wenn Günther Küchenhoff dabei auch Grundprinzipien und Grundstrukturen eines zu schaffenden europäischen Rechts herauszuarbeiten versuchte, schließlich auch für den mundanen, weltweiten 2

Hans Pfeil, Einführung in die Philosophie, Aschaffenburg 1960, S. 76.

Zum Geleit

VII

Raum Ordnungskriterien und rechtsphilosophische Fundierung eines Weltraumrechts aufzeigte. Die inzwischen weit über Würzburg hinaus bekannt gewordenen rechtsphilosophischen Seminare aus dem Weltraumrecht legen dafür beredtes Zeugnis ab - für den jeweiligen Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis der Dynamik und kraftvollen Persönlichkeit unseres Jubilars! Die Herausgeber dieser Festschrift, langjährige Assistenten des Jubilars, sind bei der Initiierung ihrer Pläne allenthalben auf begeisterte Zustimmung gestoßen, die die Wertschätzung unseres Jubilars zum Ausdruck brachte. Dabei wurde auch und gerade den Schülern Günther Küchenhoffs Gelegenheit gegeben, sich zu beteiligen. Zusammen mit der Schar seiner Doktoranden, der Schüler, Freunde und Kollegen gratulieren wir Günther Küchenhoff zu seinem Geburtstag recht herzlich und wünschen ihm alles erdenklich Gute - ad multos annos! Unser Dank gilt an dieser Stelle auch dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, Berlin, der die Veröffentlichung der Festschrift bereitwillig übernommen hat. Ferner möchten wir Herrn Universitätsassistenten Jörg Friedrich, Würzburg, danken, der uns bei den Korrekturen tatkräftig unterstützt hat. Würzburg - Kronach/Obfr. - Mosbach/Bd., im August 1972

Hans Hablitzel- Michael Wollenschläger

Inhaltsverzeichnis Erster Halbband

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Zum Geleit

Philosophie, Theologie und Rechtsgesdlichte La secolarizzazione e il futuro dell'uomo Von Prof. Dr. P. Benedetto D'Amore, Roma

3

Das Werk Heinrich Rommens (21. Februar 1897-19. Februar 1967) Von Prof. Dr. Giovanni Ambrosetti, Universita di Modena. . . .. . . . . . . . . .

7

Das Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen Von Prof. Dr. Othmar F. Anderle, Universität Salzburg ................

25

Rechtspolitische und rechtsphilosophische Grundsätze der kaiserlichen Rechtsfortbildung in der römischen Klassik Von Univ.-Doz. Dr. Manfred Just, Universität Würzburg ..............

69

Droit naturel et histoire Par Prof. D. Luis Legaz y Lacambra, Universidad de Madrid . . . . . . . . . . . .

95

Der homo politicus symbioticus und das ius symbioticum bei Johannes Althusius Von Prof. Dr. Dr. Friedrich Merzbacher, Universität Würzburg ... . . . . . . . 107 Cultura de la imagen y formacion humana Por el Prof. D. Adolfo Munoz-Alonso, Universidad de Madrid. . . . . . . . . . ..

115

Der Wustvieler Körperschaftswald, ein lebendiges Relikt altwürzburgischen Rechts Von Prof. Dr. Dr. Hermann Nottarp, Universität W'ürzburg ... ..... . ..... 127 überlegungen zur Gerechtigkeit des Rechts Von Prof. Dr. Hans-Martin Pawlowski, Universität Mannheim . . . . . . . . . .

139

Zur heutigen Diskussion über das Bußsakrament Von Prälat Prof. Dr. Michael Schmaus, Universität München. . . . . . . . . . . .

163

Zur philosophischen Anthropologie des sogenannten Naturrechts Von Prof. Dr. Amadeo Silva-Tarouca t, Universität Graz ... ',' . . . . . . . . . . .

179

Gutes altes Recht und consuetudo - Aus den Anfängen der Rechtsquellenlehre im Mittelalter Von Prof. Dr. Dr. Winfried Trusen, Universität Würzburg ..............

189

x

Inhaltsverzeichnis Privatrecht, Arbeits- und Sozialrecht

Gesundheitsvorsorge durch ärztliche Maßnahmen - Forderung der Gesellschaft und Gegenstand staatlicher Rechtsordnung Von Prof. Dr. Heinz Fleckenstein, Universität Würzburg . . . . . . . . . . . . . . .. 207 Das deutsche Zivilrecht im Dienste ethischer Gebote Vor Prof. Dr. Walther J. Habscheid, Universitäten Würzburg und Genf..

221

überindividualrechtliche Elemente im Privatrecht Von Ministerialdirektor Prof. Dr. Wilhelm Herschel. Universität Köln. . ..

245

Tendenzbetrieb und Betriebsverfassung Von Minister a. D. Prof. Dr. Faul Mikat MdB, Universität Bochum ......

261

Die Stellung des Gesamtbetriebsrates und des Konzernbetriebsrates nach dem neuen Betriebsverfassungsgesetz Von Prof. Dr. Gerhard Müller, Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Kassel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Grundsätzliche Rechtsfragen zur Nachfolge von Todes wegen in die Apothekengesellschaft Von Dr. Horst Rauch, Richter am Sozialgericht Bayreuth, Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Personalvertretung und Selbstverwaltung in der Universität Von Dr. Andreas Reich, Syndikus an der Universität Augsburg . . . . . . . . ..

333

Die postmortale Organentnahme als zivilrechtliches Problem Von Notar Dr. Wolfgang Reimann, Regensburg ........................

341

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur gefahrengeneigten Arbeit V0';l La~d:?eri0tsvizepräsident Prof. Dr. Maximilian Ronke, Umversltat Wurzburg ................................................ 351 Vorteil, Schaden und Wert im Bereicherungsrecht Von Priv.-Doz. Dr. Günter H. Roth, Universität Würzburg . . . . . . . . . . . . . .

371

Rechtsfragen einer Reform der inneren Struktur der Krankenhäuser in der Bundesrepublik (Unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter am Chefarzthonorar) Von Prof. Dr. Karl-Jürgen Schilling, Rektor der katholischen Fachhochschule für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Religionspädagogik Mainz .. 389 Zum Begriff des Sozialrechts Von Arbeitsminister a. D. Dr. Gerard M. J. Veldkamp, s'Gravenhage

401

Weshalb berechtigt der Eigenschaftsirrtum zur Anfechtung? Von Priv.-Doz. Dr. Eberhard Wieser, Universität Würzburg ............

409

Zweiter Halbband Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht Die Abgrenzung Verwaltungsakt - Verordnung Von Prof. Dr. Manfred Abelein, MdB, Universität Regensburg ..........

419

Inhaltsverzeichnis

XI

Bedeutung und Verfahren der Rechtsetzung im politischen System der DDR Von Prof. Dr. Georg Brunner, Universität Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 "Leistungsrecht" im sozialen Rechtsstaat Von Prof. Dr. Peter Häberle, Universität MarburgJLahn ................ 453 Entwicklungshemmungen auf der Mittelstufe der bayerischen Verwaltung Vor Prof.Dr. Dr. Friedrich August Frhr. von der Heydte, Universität Würzburg ................................................ 475 Die Gemeinschaftsaufgaben und die Gemeinden Von Prof. Dr. Josef Hölzl, Staatssekretär a. D., Universität Würzburg . . . . Die Region - Planungs- oder Verwaltungskörperschaft der Zukunft? Von Oberregierungsrat Dr.Heinz Honnacker, München. . . . . . . . . . . . . . . .. . Die rechtliche Verbindlichkeit des Subsidiaritätsprinzips Von Oberstaatsanwalt Dr. Dr. Helmut Kalkbrenner, München ..........

485 501 515

Rechtsverordnung und Ermächtigungsnorm: Möglichkeiten der vorherigen Verkündung und des Nachschiebens der Rechtsgrundlage Von Prof. Dr. Otto Kimminich M. A., Universität Regensburg . . . . . . . . . . .. 541 Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Verwaltungsreformen Von Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer, Universität Würzburg . . . . . . . . .. 557 Das Verfassungsverständnis in den sozialistischen Staaten Von Prof. Dr. Ferdinand O. Kopp, Universität Graz ....................

573

Der Bildungsanspruch in verfassungsrechtlicher Sicht Von Prof. Dr. Theodor Maunz, Universität München. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

605

Arzt und Apotheker - Zur Abgrenzung ihrer Aufgabenbereiche Von Syndikus Dr. Johannes Pieck, Frankfurt/Main ........... . ..........

617

Kein Amtssessel für Verfassungsfeinde! Von Regierungsrat Dr. Egon PZümer, Mainz ............................

639

Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten (Art. 18 GG) Von Prof. Dr. Hans Heinrich Rupp, Universität Mainz ....... . . . . . . . . . . .

653

Der enteignungsrechtliche Rückgewährungsanspruch nach bayerischem Recht Von Prof. Dr. Rudolf Schiedermair, Verwaltungsgerichtspräsident a. D., Universität Würzburg ............................•................... 663 Strafrechtlicher Persönlichkeitsschutz und die Schranken der Persönlichkeitsentfaltung (insbesondere bei Tötung, Körperverletzung und Abtreibung) Von Prof. Dr. Georg Schwalm, Universität Erlangen-Nürnberg . . . . . . . . . . 681 Anordnungen nach Art. 100 Satz 1 und Satz 2 BayBO gegen den Störer und seinen Rechtsnachfolger Von Oberregierungsrat Dr. Hans-Joachim Wachsmuth, Würzburg . . . . . . . . 715 Das Asylrecht - Idee und praktische Verwirklichung Von Verwaltungsgerichtsrat Dr. Vinzenz Weinfurtner, Ansbach. .. .... ...

727

Die grundrechtliche Eigentumsgarantie im sozialen Wandel Von Dr. Dr. Hans-Jürgen Wipfelder, Bonn. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

747

XII

Inhaltsverzeichnis Völkerrecht

INTELSAT und die Raumnot im Synchronkorridor - Neue Probleme des Weltraumrechts Von Adrian Bueckling, Richter am Oberlandesgericht Koblenz ... . . . . . . . 765 Rechtsstaatliche Bilanz der Europäischen Gemeinschaften Von Prof. Dr. Ernst-Werner Fuß, Universität Würzburg .............. 781 Zur Bedeutung und Auslegung von Art. 25 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland Von Dr. Eckhart Heinz, wissenschaftl. Mitarbeiter, Universität Bonn .... 805 Einige Aspekte des Viermächteabkommens über Berlin vom 3. September 1971 Von Prof. Dr. Heinrich Kipp, Ministerialrat a. D., Universität Innsbruck 817 Bemerkungen zum Internationalen Wasserverwaltungsrecht Von Prof. Dr. Ludwig Schnorr von Carolsfeld, Universität ErlangenNürnberg ............................................................

827

Zum Annexionsproblem im Völkerrecht Von Prof. Dr. Christian Starck, Universität Göttingen ... . . . . . . . . . . . . . . .

851

Der Weltraumvertrag vom 27. Januar 1967 (Treaty of Outer Space) Von Dr. Michael Wollenschläger und Dr. Hans Hablitzel, Universität Würzburg ............................................................ 869 Staat, Politik und Gesellschaft Gesellschaft, Jugend, Bewußtseinsveränderung - ein neues bellum omnium contra omnes im 20. Jahrhundert? Von Prof. Dr. Gerhard Funke, Universität Mainz. ...... .... . ... .... ..... 897 Die einstufige Juristenausbildung in Bayern Von Ministerialdirigent Dr. Engelbert Niebler, Vorsitzender des Landesjustizprüfungsamtes, München ........................................

929

Bemerkungen zur Staatsstreich-Definition Edward Luttwaks in seinem Werk "Coup d'Etat" Von Univ.-Doz. Dipl.-PoIit. Dr. Gerhard Ritter, Universität Würzburg. . .. 947 Ist Gewaltlosigkeit in der Politik realisierbar? Politikwissenschaftliche überlegungen zur Irenologie Von Univ.-Doz. DDr. Wilhelm Sacher, Universität Linz ................ 963 Staatsanwaltschaft und Dritte Gewalt Von Oberlandesgerichtspräsident Dr. Johann Schütz, Bamberg . . . . . . . . ..

985

Wirtschaftswissenschaften Allgemeines System des Unternehmensberatungswesens Von Dr. Franz Hablitzel, Dipl.-Kfm., Kronach .......................... 1003 Unternehmensführung und Recht - Zur Notwendigkeit juristisch-betriebswirtschaftlicher Fortbildung von Führungskräften Von Prof. Dr. Carl W. Meyer, Universität Würzburg .................... 1011 Aus den Schriften von Günther Küchenhoff .......................... 1031

Philosophie Theologie und Rechtsgeschichte

La secolarizzazione e il futuro delI' uomo DeI Prof. Dr. P. Benedetto D'Amore Supponendo ehe per secolarizzazione si itenda il fenomeno secondo cui le realta costitutive della vita umana (realta scientifiehe, culturali, sociali, ecc.) tendono a stabilirsi in una sempre maggiore autonomia riguardo alle norme 0 istituzioni dipendenti dall'ambito deI sacro 0 deI religioso, e ehe il fatto della secolarizzazione, con il progresso straordinario della scienza edella tecnica e con la costituzione di societa democratiehe e pluralistiehe e percio collegate ai fenomeni dell'urbanizzazione edella laicizzazione, si e andato sempre piu affermando anehe nel mondo della cultura, qui si vogliono esaminare gli ultimi sviluppi di questo fenom€no e la sua relazione ad una visione deI futuro, all'escatologia, nella concezione di filosofi e teologi ehe in modo particolare si occupano di esso. L'attenzione si e spostata sul futuro, sull'escatologia, ripiegandosi pero sullo stesso mondo e sull'uomo considerato come comunita.

11 problema della secolarizzazione edella sacralita in questi ultimi tempi ha preso un tale sviluppo da porre la societa come termine della speranza, come futuro dell'uomo, come ultimo fine della vita umana, come escatologia. Ad una radicale prospettiva, quella della teologia biblica della salvezza ehe, sotto !'influenza di Barth, difende l'intervento salvifico di Dio ma si disinteressa dei problemi della civilizzazione operata dall'uomo, si oppone quella della filosofia marxista d€l materialismo storico (a cui si possono ridurre, per quanta riguarda la questione dell'Assoluto, le altre filosofie immanentistisehe), ehe difende l'azione civilizzatrice dell'uomo ma si disinteressa, misconoscendoli, dei problemi uitimi deI destino umano. Una terza prospettiva, quella dei teologi progressisti (di cui fan parte anehe alcuni cattolici), vuol conciliare le esigenze essenziali delle due precedenti; ma scartando, come prive di senso 0 di forza, ogni metafisica ed ogni teologia tradizionale (ehe, secondo essi, riguarder€bbero il rapporto dell'uomo con Dio soltanto in quanta rivolto al passato, alla creazione, al Trascendente in una forma statica) e rivolgendosi fiduciosa totalmente alle potenzialita deI futuro, si Iascia in realta insensibilmente sfuggire clalle mani l'Assoluto, an ehe se questo resta come vaga e inde-

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P. Benedetto D'Amore

finita aspirazione, e si rifugia nel relativo, nel mondo storieo, nell'immanente, nella soeieta in quanta ipostatizza le infinite aspettative insoddisfatte degli uomini e vede il nostro futuro eome un semplice prolungamento delle nostre proprie possibilita, avvineinandosi eosi alla tesi dell'alienazione dell'uomo religioso di Marx. L'atteggiamento eulturale dominante deI nostro tempo, sia scientifieo ehe filosofico e teologieo, e in netto favore deI divenire, deI farsi, deI progetto, dell'evoluzione, deI futuro, dell'eseatologia. Ed anehe quando la eultura s'interessa della storia, delle civilta, della religione, predilige l'aspetto finale, il futuro, a scapito totale deI dato, deI fatto, della storia, deI passate, dell'essere, della metafisica, della teologia della ereazione. Cosi essa, eredendo di salvare meglio e irrobustire il fine, l'escaton, distrugge, 0 almeno trascura, il fondamento. Da ci scaturisce ehe la stessa speranza cristiana e l'escatologia hanno un signifieato prevalentemente pratico, un impegno rivoluzionario nel mondo, un'impronta fortemente sociale. La speranza cristiana, diee Metz, non puö mai realizzarsi in un'attesa puramente eontemplativa. La pura eontemplazione infatti si riferisce per definizione sempre a un gia avvenuto, ehe resta fisso e saldo. Il futuro deI monde invece ricereato e voluto della speranza cristiana, e tuttora una realta in via di sorgere e costituirsi. Perciö tale speranza dev'essere essenzialmente creatrice e battagliera; deve promuovere lotta e, seeondo S. Paolo, vittoria sul mondo; deve trasformare, come diee Moltmann, il volto deI mondo nel quale si crede, si spera e si ama.

Ragion per eui - e sempre la tesi di Metz e di altri della stessa corrente di pensiero - la fede eristiana non puö piu stabilirsi esclusivamente sulla privata soggettivita deI singolo 0 nella intersoggettiva esperienza lo-Tu, non deve continuare a svolgere nel private puramente individuale eiö ehe il messaggio di Gesu ha di socialmente provoeante, ma deve prendere parte alla disputa intorno al mondo, deve entrare in rapporto col pubblico, con la socialita, eon la storia eonereta di queste mondo, deve mettersi in diseussione e competere con le forze rivoluzionarie trasformatrici deI mondo, con le grandi utopie politieo-sociali, con le promesse di una pace universale e di una giustizia sociale ehe maturano dall'interno della societa moderna. Al duplice comandamento espresso da Cristo in risposta al dottore della leggeehe gli chiedeva cosa fare per ottenere la vita eterna: « ama il Signore Dio tuo con tutto il tuo euore, con tutta l'anima tua, con tutte le tue forze, eon tutta la tua mente, e il prossimo tuo come te stesso » (Luca X, 25-27), bisognerebbe sostituire quest'unico: « ama soltanto il tuo prossimo, in cui vedrai Dio ».

La secolarizzazione e il futuro deU' uomo

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La scomparsa 0 l'affievolimento dell'Assoluto, anche dal mondo escatologico, e una conseguenza logica della sua negazione come principio, come trascendente, come creatore deI mondo. Ora noi possiamo e dobbiamo domandare a questi nuovi filosofi e teologi la ragione della ripulsa nell'ammettere un trascendente come principio all'inizio deI mondo e deI tempo. Si possono e si devono purificare ed eliminare da tale trascendente le forme materializzate e antromorfiche, ma con questo non si vede giustificata alcuna ragione da eliminarlo come principio. Se si toglie come principio, non e facile dopo ritrovarlo e ammetterlo come fine. Non sembra possibile la fondazione di un trascendente, di un vero trascendente, tagliando alla radice la sua possibilita di esistenza e di influsso nel mondo. Si potra astrarre da un aspetto e accentuare la considerazione sull'altro, ma con questo non si pUD negare totalmente quello da cui ci si astrae.

Das Werk Heinrich Rommens* (21. Februar 1897 - 19.Februar 1967) Von Prof. Dr. Giovanni AmbTosetti 1. Die Gestalt und der Gedankenkreis

Als wir vor einiger Zeit das Werk Heinrich Rommens darstellten und einige Zitate aus seinen ersten Schriften, diese - wegen seiner Auswanderung aus Deutschland im Jahr 1938 - nicht wieder zusammenbringen konnten und die wir uns vornahmen, in den deutschen Bibliotheken aufzufinden, waren wir fern davon zu glauben, daß diese unsere Arbeit nach ihrer Vollendung das letzte, treue und dankbare Zeichen zu Ehren seines Andenkens bilden sollte. Nach vielen Wechselfällen starb er in Arlington am 19. Februar 1967. Er wurde in Köln am 21. Februar 1897 geboren. Während seine strenge und doch liebenswerte Gestalt mit seiner einprägsamen und lebhaften Ausdrucksweise im Herzen der Jünger eingemeißelt bleibt, ist es unsere Pflicht, des Werkes des außerordentlichen Meisters zu gedenken und uns gleichzeitig des unvergeßlichen Freundes zu erinnern. Mehr als ein Werk möchten wir hier Gedankenkreise darstellen, die von einer starken Persönlichkeit ausgelegt und zusammengefaßt wurden. Man kann wohl sagen, daß Rommen wegen der Schule, unter deren Einfluß er steht, im besonderen aber wegen der Arbeitsmethode mit ausgeprägten persönlichen Zügen und mit fördernder Kraft die deutsche thomistische überlieferung in der Rechts- und Staatsphilosophie vertritt, eine überlieferung, die - im Gegensatz zu anderen Ländern, wo sie wenige Förderer gefunden hat, wie z. B. in Italien - wegen ihres Bewußtseins, ihrer Strenge, ihrer ausgedehnten und ständigen Zuhilfenahme von allgemeinen Voraussetzungen der Philosophie und der Geschichte eine so große Bedeutung gehabt hat und noch hat. Aber es gibt noch mehr. Was uns anzog und uns noch jetzt anzieht, was für diese Gestalt besonderes Interesse erregt, ist das persönliche und tiefgehende Wiedererleben eines überlieferten Gedankenbildes, wie es Jacques Maritain in der allgemeinen Philosophie getan hat. Rommen war nicht nur Professor der Rechts- und Staatsphilosophie, da sein Werk und seine

* Vgl. auch mein L'Opera di Heinrich Rommen in Rivista "JUS" 1967, Fase. III-IV.

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Giovanni Ambrosetti

Interessen aus besonderen geschichtlichen Bedingungen hervorkamen. Wie wir später ausführlich sehen werden, entstanden seine Themen von authentischem und klassischem Allgemeinwert in einem ganz bestimmten historischen Zusammenhang; und wenn sie auch von diesem letzten hervorgerufen wurden, so gab es doch immer einen regen Wechsel mit wirklichkeitsnahen Forderungen. Grade das stellt eines der stärksten Interessen in Rommens Werk dar. Dieses ist nicht abstrakt; es hängt mit besonderen Augenblicken zusammen, aber nimmt universelle Wesenszüge an. Eben darum verdient es erwähnt zu werden. Das katholische Leben nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland, die wissenschaftliche Deutung und die Unterstützung der Zeit der Weimarer Republik waren die Umwelt, in der sich Rommens Werk und Persönlichkeit bildeten. Er pflegte nicht nur die Studien, sondern widmete sich auch, besonders in der ersten Lebenshälfte, der sozialen Tätigkeit. Er stand lange im Mittelpunkt des Volksvereins für das katholische Deutschland; außerdem gründete und leitete er das Institut für Gesellschaft und Wirtschaftsordnung bis zur freiwilligen Auswanderung nach Amerika 1938. Rommens Gedanken sind eng mit der klassischen Metaphysik verbunden, und seine Stellungnahme ist klar thomistisch. Trotzdem zeigt seine Gestalt bedeutende besondere Wesenszüge. Rommens Thomismus kann eine "offene Philosophie" genannt werden. Seine Geistesverwandtschaft mit Max Scheler und seine Freundschaft mit Dietrich von Hildebrand sind die Zeichen einer Hinneigung zur christlichen Philosophie der Werte, die eine fortwährende Geistesarbeit erfordert, um die klassischen Stellungen zu erobern und zu vertiefen. Mit dem Blick auf Rommen könnte man Maritains kürzlich ausgesprochene Worte über den Thomismus wiederholen: «C'est une doctrine ouverte et sans frontü~res; ouverte a toute realite ou qu'elle soit et a toute verite d'ou qu'elle vienne; notamment aux verites nouvelles que l'evolution de la culture e celle de la science la mettront en etat de degager ... c'est une doctrine ouverte, aussi, aux diverses problematiques dont il peut lui convenir de faire usage, soit qu'elle les suscite elle-meme avec le progres du temps, soit qu'elle aille les chercher, - en les renouvelant a la lumiere de ses propres intuitions fondamentales, dans d'autres univers de pensee formes sous d'autres ciels ... Et parce qu'elle est ainsi une doctrine ouverte, une faim et une soif jamais rassasiees de la verite, la doctrine de saint Thomas est une doctrine indefiniment progressive; et une doctrine libre de tout sauf du vrai et libre a l'egard d'elle-meme, et de ses imperfeetions a corriger et de ses vides a combler, et de ses formulateurs et de ses commentateurs, et du maUre lui-meme qui l'a instituee, je veux dire libre de lui comme il etait lui-meme, pretre, comme lui, aux changements et refontes re-

Das Werk Heinrich Rommens

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quis par une meilleure vue des choses, et aux depassements et approfondissements demandes par une enquete toujours en progres ... 1 » An diesem Punkt gibt es eine "Variation", und vielleicht gerade die "Variation", die für Rommens Thomismus suggestiv ist: nämlich einen lebendigen und frischen "Kontenutismus", gepaart mit einem starken und biegsamen Intellektualismus, der immer wachsam und bereit ist, zu dem breiten Kreis der klassischen Gedanken zurückzukehren. Rommens Werk hat besonders wegen seiner Gradlinigkeit eine große Anziehungskraft. Seine Thesen sind genau, klar umrissen und verknüpft. Trotzdem fehlen nicht Wiederholungen, Betonungen und wiederkehrende Gedanken, die den Rhythmus seiner Bemühungen ausdrücken. Rommen war ein Schriftsteller auf den ersten Anhieb, mit rhapsodischen Elementen, was eng mit seiner Persönlichkeit verbunden ist. Er vereinte in sich in großartiger Weise den vollen Besitz der philosophischen Tradition und persönliche Kraft, Energie und Unabhängigkeit. Er war wohl Thomist, aber er kannte auch den tiefgehenden Scharfsinn der entgegengesetzten Ansichten, seitdem er im Seminar von earl Schmitt in Bonn, wie Schmitt selbst es ausdrückte, die Rolle eines intelligenten und systematischen Gegners übernommen hatte. 2. Das Problem des Staates. Geschichte und Theorie Wollte man Rommens akademisches "curriculum" umreißen, wenn auch nur, um sein Werk ins richtige Licht zu stellen, so würde man bald einsehen, wie schwer das ist; denn seine Themen sind eben nicht "akademisch". Wahrscheinlich fällt es leichter, ein geistiges und gedankliches "curriculum" aufzuzeichnen. Seine Doktorarbeit schrieb er über Scheler als Soziologe2 , worin er den großartigen Versuch unternimmt, auf phänomenologischer Grundlage eine "Theorie aller möglichen Sozialformen" zu geben; dabei stellte er einige Schlüsselpunkte, wie z. B. die übereinstimmung zwischen Werten und Gemeinschaften, ins rechte Licht. Er beschäftigte sich weiter mit Gegenständen wie z. B. mit der Zukunft des Kapitalismus 3 , dem Begriff von Pazifismus 4 und Beruf5 , die 1 J. Maritain, Le paysan de la Garonne. Un vieux laie s'interroge apropos du temps present, Paris 1966, S. 193-194. 2 H. Rommen, Max Scheler als Soziologe, Unveröffentlichte Dr.-Dissertation, Münster i. W. 1925, S. 186. 3 Id., Die Zukunft des Kapitalismus, in "Soziale Kultur" (Der Zeitschrift "Arbeiterwohl" und der Christlich-sozialen Blätter) neue Folge, 1925, XLV, S.175-185. 4 Id., Pazifismus und Staatsidee, in "Soziale Kultur", 1926, XLVI, S.148 bis 158. 5 Id., Rationalisierung und Berufsgedanke, in "Soziale Kultur", 1926, XLVI, S.287-297.

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seinen Einsatz in diesen Jahren für die soziale Tätigkeit offenbaren. Aber bald sollten bestimmtere Probleme hervortreten: Rommen fühlte sich von einem zentralen klassischen Thema der Rechtsphilosophie angezogen, nämlich dem des Staates. Dazu wurde er durch einen besonderen Arbeitskreis und durch ein besonderes Klima getrieben. Wir haben schon über die "Zeit" der Weimarer Republik und über die Anstrengung in katholischen Kreisen gesprochen, diese zu rechtfertigen. In dieser Stimmung wurde das Thema über den Ursprung der politischen Macht Gegenstand einer neuen Forschung; so begann man im Bereich der katholischen Kultur den rationellen und demokratischen Ursprung gemäß der scholastischen Überlieferung und ganz im besonderen gemäß der zweiten Scholastik zu untersuchen. So sehen wir uns einigen symptomatischen Schriften konfrontiert. Das Buch von Peter Tischleder über den Ursprung und den Träger der politischen Gewalt6 ist der Ausdruck eines wichtigen Moments, ja sogar eines kulturellen Klimas, das eine Akzentverschiebung bewirken wollte, und zwar von der Lehre der "Bestimmung" des Trägers der politischen Gewalt - eine Theorie, die vor allem das Autoritätsprinzip hochschätzt - zu der der direkten Übertragung von seiten des Volks, das die ursprüngliche Souveränität besitzt; und diese Theorie unterstrich das Prinzip der beiderseitigen Zustimmung. In diesem Moment der Spannung wird das systematische Interesse Rommens für das Problem des Staates stärker und erweitert sich. Hier liegen zwei wichtige Arbeiten vor: eine von historisch-rekonstruktivem und die andere von theoretischem Charakter. Auf diesen beiden beruht größtenteils der Ruhm von Rommen, denn beide verlassen, wie sein ganzes Werk, das konkrete Motiv, trennen sich von diesem und nehmen universelle Charakterzüge an. Die erste Arbeit erforscht in einem großen Schriftsteller der Zweiten Scholastik, nämlich bei Franz Suarez, die klassischen Belege mit modernen Forderungen betreffs der Staatslehre. Man könnte sagen, daß dieses Werk vielleicht etwas von dem akademischen Kreis verspürt, denn es steht unter dem Einfluß des schon genannten Buches von Tischleder, und setzt dieses gewissermaßen fort. In Münster i. W., wo Tischleder und auch Joseph Mausbach seine Professoren waren, schrieb Rommen: Die Staatslehre des Franz Suarez7 , ein Buch, das die Arbeitsmethode und 6 P. Tischleder, Ursprung und Träger der Staatsgewalt nach der Lehre des hl. Thomas und seiner Schule, Mönchengladbach 1923, S. 250. 7 H. Rommen, Die Staatslehre des Franz Suarez, Mönchengladbach 1926, S. 383. Siehe die Rezension von G. De Lagarde in "Revue historique de droit franc;ais et etranger", 1928, VII. Die Abhandlung wurde in der spanischen übersetzung mit einer langen Einleitung vom jetzt verschiedenen Enrique Gomez Arboleya besorgt: H. Rommen, La teoria deI Estado y de la Communidad Internacional en Francisco Suarez, herausgegeben von E. Gomez Arboleya, übersetzung von V. Garcia Yebra, Buenos Aires-Madrid 1951, S. XLIII-523.

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den Geist dieser Schule genau widerspiegelt. In diesem grundlegenden Werk über den großen Jesuiten sahen einige Kritiker Motive und Ausdrücke einer Geistesrichtung, die sich auf die kulturelle und nicht nur kulturelle Zeit des damaligen Deutschland beziehen sollten. J. Candela Martinez8 meint, daß sich Rommen, und mit ihm seine Studiengefährten, in diesen Untersuchungen bedeutend von der von Georg von Hertling und von der domenikanischen Schule verfochtenen, konservativeren Tradition entfernten und so eher der jesuitischen Überlieferung folgten; dabei nennt er einen gewissen T. Meyer, einen gewissen A. Lehmkuhl, einen Costa-Rossetti, einen J. Biederlack, denen sich die Gedankenwelt der Schule von Münster angepaßt haben soll. Wenn man unter jesuitischer Betonung versteht, daß man in der politischen Auffassung zu einer besonderen Bewertung des Problems der Freiheit und der Verantwortlichkeit des Menschen zurückkehren wollte, dann kann man diesen Standpunkt wohl annehmen; besonders wenn man sich dar an erinnert, daß die klassische jesuitische Philosophie - man braucht nur Molina zu zitieren - grade diesen Themen ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat (daß andererseits Suarez ein der deutschen Kultur nahestehender Schriftsteller war, ist wohl bekannt: man denke nur an die einzigartige und für die Geschichte der abendländischen Philosophie entscheidende "Aufnahme", die die jesuitische Philosophie und im besonderen das große Werk von Suarez, die Disputationes Metaphysicae, in Deutschland und in Holland nach der Reformation gefunden hat). Betreffs des Einflusses der "jesuitischen Auffassung" darf man im übrigen nicht die lange Freundschaft vergessen, die Rommen mit Pater Gustav Gundlach (t 1963), dem Mann der "Soziologie der Welt der Jesuiten", verband, dessen Weite und tiefgehende Interessen ihn stark beeinflußtenD• Das Studium des Problems des Staates bei Suarez bedeutete für Rommen die Suche nach einem Beleg und nach einer Methode für eine 8 J. Candela Martinez, Heinrich Rommen y el pensamiento politieo eatolieo, in "Anales de la Universidad de Murcia", 1956--1957, XV. Es kann außerdem interessant sein zu berichten, was in dem kurzen Stichwort über Rommen in M. Hoehn, OSB, Catholie Authors, Contemporary Biographical Sketsches2 Newark 1952, S.488 gesagt ist: "His first important book, on Suarez, was the effeet of the attacks of eonservative Catholies and writers against popular sovereignity and the theory of politieal revolution, the eonstant eonfusion of the latter with Rousseau, praeticed by these eonservatives against the modern demoeratie eonstitution, especially against the Weimar Constitution." • Die Bedeutung, die Rommen dem Gedanken von Gundlach zuschrieb, wurde später von den Untersuchungen bestätigt; diesem Professor zu Ehren sammelte J. Höffner obige Untersuchungen in dem Band Freiheit und Verantwortung in der modernen Gesellschaft, Festschrift zum 70. Geburtstag des Prof. G. Gundlach SJ, Münster i. W., 1962; außerdem wurden dessen gesammelte Werke herausgegeben: G. GundIaeh, Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, Köln 1964.

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klassische, aber gleichzeitig rationelle und kritische, endgültige demokratische Anschauung des grundlegenden politischen Themas, so wie der Augenblick es forderte. All das - wir wollen es nochmals energisch betonen - beschränkte nicht Rommens Bemühung und Ergebnisse im Kontingenten: wenn auch im Zusammenhang mit einem besonderen Augenblick nimmt die Studie von Suarez in juristischem und politischem Schlüssel die Nachforschungen über die großen Spanier und die Zweite Scholastik im allgemeinen wieder auf und kann dem Einfluß gleichgestellt werden, den - von einem allgemeinen Standpunkt aus - die äußerst bekannte Monographie von R. de Scoraille hatte1o• Die einleitenden Sätze des Werkes bilden nicht nur eine Rechtfertigung und Darlegung des Themas, sondern auch einen immer noch gültigen Aufruf des Geistes von Rommens Werk und der Schule, aus der er hervorkam. Er gesteht gern die Begeisterung und Bewunderung, die er für die Schriftsteller der Zweiten Scholastik empfindet. Da er sich der Schwierigkeiten seines Unternehmens wohl bewußt ist, macht er sich die Worte von Pietro di Blois zu eigen: " Nos quasi nani super gigantum humeros sumus, quorum beneficio longius quam ipsi speculamur dum antiquorum tractatibus inhaerentes elegantiores eorum sententias, quas vetustas aboleverat hominumve neglectus, quasi iam mortuas in quandam novitatem essentiae suscitamus tt ." Dieser Begriff sollte das Motto von Rommens Werk werden. Aber das genügt nicht. Rommen verweilt auch, um die universellen Gründe aufzuklären, die ihn zu der Forschung getrieben haben: "Ähnlich die Staatslehre. Sie sucht die Sollensgesetze, wie sie aus Wesen und objektivem, d. h. vom menschlichen Willen wesentlich unabhängigem Ziel des Staates als einer notwendigen Lebensgemeinschaft, der sozialen Natur des Menschen und seinem Ziel entstammend, abgeleitet werden können, wissenschaftlich zu erfassen. Der Staatsphilosoph weiß, daß er keinen Staat aufbauen kann, daß er keine konkrete Staatsidee, wie sie aus dieser historischen, politischen Umwelt notwendig ist, vermitteln kann. Nun aber ist der Staat nicht bloß Gewachsenes, nicht bloß ein biologisches Etwas. Er ist vor allem auch Erzeugnis vernünftigen Wollens. Die ,Vernunft' dieses Wollens richtet sich nun nach dem Wesen und objektiven Ziel des Staates. Hier fängt die Aufgabe des Staatsphilosophen an. Erkenntnis des Wesens des Staates; Bestimmung der Wesensgesetze, unter denen und innerhalb deren allein staatliches Leben sich ,vernünftig', d. h. ohne Widerspruch zu sich selbst entwickeln kann. So ist die Staatsphilosophie gewissermaßen ein Korrektiv des R. De ScarraiZle, Francois Suarez, 2. Bd. Paris, 1913. J. P. Migne, P. L., CCVII, S.290, in H. Rammen, Die Staatslehre des Franz Suarez, s. oben, Einleitung, S. XIII-XIV. 10

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politischen Wollens. Sie ist das um so mehr, wenn sie als Teil der Moralphilosophie, der Verlängerung der Metaphysik, von einer realistischen Philosophie herkommt, wo Sein und Sollen einander entsprechen' 2 ." Mit diesen Begriffen faßt Rommen das zentrale und theoretische Problem ins Auge: und zwar behauptet und entwickelt er mit außergewöhnlichen historisch-wissenschaftlichen Belegen den zentralen spekulativen Punkt der politischen Philosophie der scholastischen Tradition, wonach Gott die formale Ursache der politischen Gewalt ist, während die historische Gründung, wenn auch mit verschiedenem Nachdruck, den causae secundae übertragen wird. In den Bemühungen unseres Rommens bleibt das Argument der Persönlichkeit und der Zeit von Suarez immer im Mittelpunkt, auch in kürzlich veröffentlichten Werken, besonders anläßlich der Feier zum 100. Geburtstag. Noch vor kurzem und immer mit lebhafter und schöpferischer Begeisterung für seinen Autor, umriß Rommen die starke Persönlichkeit von Suarez, sowohl betreffs der Staatstheorie wie auch der Rechtstheorie und der Schilderung eines christlichen Humanismus und Personalismus: "I am of the opinion that what Suarez has to say in these chapters will offer the best foundation for a satisfactory solution of the modern problem of the relations between the Church and the modern democratic and religiously neutral (not indifferent) State. Suarez' efforts to delineate on the basis of the Natural Law by stressing the rights of the person, the right of self-determination of the body politic, the definite circumscription of the term bonum commune politicum furnished in his excellent theory that the bonum commune arises out of and regularly coincides with the bonum of the persons that form the community are, similarly, a most fruitful theory upon which a right balance between individual rights and liberties and social interests and responsibilities may be based. Suarez' passages on liberty of the person, his accentuation of Jus as meaning 'rights' and not only the objective Justum are signs of a humanist and Christian Personalism to which our time should be especially receptive as an alternative to the threatening all-provident state, which in the name of a tremendously enlarged concept of the common good forgets the primary principle of social philosophy, namely that of Subsidiarity. It is neither the duty nor the right of the state to make everybody happy in his private life. The state pro duces only those conditions in his legal and social order in which the individual person perfects his own individual happiness"'3. H. Rommen, zuletzt zitierter Band. Wir zitieren aus dem Artikel The "De Legibus" of Francisco Suarez, S. J. in "Notre-Dame Lawyer. A Quarterly Law Review", 1948, XXIV, S. 79 12

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Und an diesem Punkt vervollständigt und erweitert Rommen die historisch-wissenschafliche Untersuchung mit einem weiteren systematischen Werk, Der Staat in der katholischen Gedankenwelt 14 • Wir haben es hier mit einer wirklichen Synthese zu tun, worauf sich der Verfasser mit verschiedenen motivierten Arbeiten vorbereitet hatte 15, einer Synthese, die einen grundlegenden "Gedankenkreis" in Rommens Thematik festlegt. Das Werk wurde weiter durchdacht auch in bezug auf die neuzeitliche Geschichte und wird später vom Verfasser gründlich umgearbeitet; so entsteht ein nicht nur orientierendes, sondern auch informierendes, in Amerika überall bekanntes Buch18 • Mit diesem umfangreichen Band in englischer Sprache finden wir Rommen nunmehr in Amerika ansässig, wohin er viele Jahre vorher gekommen war; zuerst lebt er im S. Thomas-College, Saint Paul (Minnesota), später an der Georgetown University in Washington, wo er als Professor of PoliticaZ Theory lehrte und er am Ende feierlich mit dem Titel eines Magister Insignis ausgezeichnet wurde. In diesem systematischen Profil nimmt das Problem des Staates, eine allgemeingültige Gestaltung an. Dem Geist der Scholastik gemäß stellte Rommen die überlieferung einer Demokratie ins rechte Licht, die nicht formell und alles gleichsetzend, sondern organisch, laut den natürlichen und christlichen Werten geordnet, von dem historischen Bewußtsein bis 80. Weitere Arbeiten über Suarez, die in die Reifezeit Rommens fallen, sind: Francis Suarez, in "The Review of Politics", 1948, X, S. 437-461; Variaciones sobre la filosofia juridica y politica de Francisco Suarez, in "Pensamiento", 1948, IV, S. 493-507; Gesetz und Freiheit in der Rechts- und Staatslehre des Franz Suarez, in "Actas deI IV Centenario deI Nacimiento de F. Suarez", 1948, 11, S. 243-258. Außerdem hat Rommen die Stichworte Suarez in dem Staatslexikon5 Freiburg i. Br. 1929, V. cc. 207-210 und in der Encyclopaedia Britannica London 1961, XXI, S. 490, verfaßt. 14 Id., Der Staat in der katholischen Gedankenwelt Paderborn, 1934, S. 360, italienische Übersetzung von G. Ambrosetti, Mailand 1959. Für diese Veröffentlichung schrieb der Autor ein neu es Kapitel mit dem Titel "Friedliche Ordnung durch die Organisierung der internationalen Gemeinschaft", dieser ersten Auflage unserer Übersetzung schickte F. Battaglia eine ausführliche Abhandlung voraus, die Rommens Idee erörtert; die zweite Auflage (Mailand, 1964) enthält ein originales Vorwort des Autors. 15 Id., Neue Wege in der katholischen Staatsphilosophie, in " Schweiz. Rundschau", 1928-1929, XXVIII, S.24-37. Siehe auch die drei Essays, die in "Führerkorrespondenz, Zeitschrift für das soziale Vereinswesen", 1932, XLV: Das Drängen vom reinen Rechtsstaat zum totalen Wirtschaftsstaat (S. 13-24); Berufständische Ordnung und Staatsordnung (S. 100--107); Demokratie oder was sonst? (S. 154-162) veröffentlicht wurden. 16 Id., The State in Catholic Thought. A treatise in Political Philosophy', St. Louis-London 1955, S. VIII-748. Auf diesen Band stützt sich die spanische Übersetzung von F. Tierno Galvan, Madrid, 1956. Derselbe Verfasser hat Rommen und seinem Werk eine Abhandlung gewidmet: F. Tierno Galvan, H. Rommen y el Estado en el pensamiento catolico, in "Boletin deI Seminatio de derecho politico" (Universidad de Salamanca), 1956.

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durchdrungen und von der abgestuften Verpflichtung aller Mitglieder der politischen Gemeinschaft getragen wird. Man könnte sagen, daß dieses Werk sich in zwei Richtungen hin bewegt und zwei Begriffe unterstreicht: die philosophische Rechtfertigung des Staates von rationellen Gesichtspunkten aus, mit der Betonung der unmittelbaren Genesis in dem Willen der Menschen (Beleuchtung der scholastischen Theorie von der übertragung der Gewalt seitens des Volkes, die sich toto coelo von dem Gründungsakt der Naturrechtslehre unterscheidet); gleichzeitig Forderung der objektiven und unersetzbaren Funktion des Staates, dessen demokratische Gestaltung und dessen personenbedingter Sinn dem Vorrang in suo ordine des spezifischen Zwecks des Staates, d. h. des Gemeinwohls nichts anhaben können. Mit diesem zweiten Werk gelangt Rommen absolut nicht zu einer überschätzung des Staates, sondern er betrachtet den Staat nur als eine politische Ordnung, die ordo rerum humanarum. Sein Vertrauen in den Geist der Gemeinschaft, das ein wenig germanische Kultur umfaßt, reicht aber nie bis zum Punkt der Substantialisierung des Staates. Hier können wir einer kleinen Episode gedenken: wir befanden uns in Madrid und trafen den genialen spanischen Rechtsphilosophen Eustaquio Galan y Gutierrez; da drückte Rommen seine Bewunderung für Felice Battaglia aus, erklärte sich aber gleichzeitig davon überzeugt, daß dessen in der ersten italienischen Auflage erhobene Kritik - nämlich das Werk zeige eine substantialistische Auffassung des Staates - unbegründet sei. Auch wenn mit einem Anflug von germanischer Kultur, meinen wir, daß Rommens Auffassung des Staates sich innerhalb der scholastischen Tradition bewegt und sogar deren Gesichtsfeld erweitert.

3. Das Problem des Naturrechts. Metaphysische Wurzeln und Gegenwart im Rechtsleben Wir haben schon gesagt, daß wir den geistigen und gedanklichen Lebensweg des Verfassers zu beschreiben beabsichtigen. Nun gut, man wäre der Wahrheit nahe, wenn man behauptete, daß die Stellungnahme in Rommen langsam an Theoretik zunimmt. So muß man in der Tat das Buch Die ewige Wiederkehr des Naturrechts 17 als das zweifellos gelun17 H. Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, München, 1936, 2. Auflage München 1947, S.261 (französische Übersetzung von E. Marmy, Paris, 1945; englische Übersetzung von Th. R. Hanley, St. Louis, 1947; spanische Übersetzung von H. Gonzales Vrribe, Mexiko, 1950; japanische Übersetzung von Prof. Anan, Law Series, Kyoto, 1956; alI diesen Übersetzungen schließt sich jetzt die italienische von G. Ambrosetti besorgte Übersetzung an (Rom, 1965). Dabei muß angemerkt werden, daß ein Abschnitt des historischen Teils des Bandes schon vorher von P. B. Lavaud übersetzt und veröffentlicht worden ist. Vgl. Id., Le droit naturel chretien de la Scolastique, in "Nova et Vetera", 1943, XVIII, S. 62-84.

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gens te und bekannteste Werk Rommens - in einem weiteren Kreis von Interessen und Rechtfertigungen des politischen Themas, ja sogar in einer theoretischen Erweiterung des potentiell schon im Band über den Staat enthaltenen Gesichtspunktes - betrachten. Wir wollen es gleich sagen: diese Arbeit hat vorwiegend einen synthetischen und ausdeutenden Charakterzug; die Anmerkungen fehlen auch im ersten, der Geschichte gewidmeten wertvollen Teil fast ganz; es ist fast das Gegenstück zu einem anderen wundervollen Buch, das nur kurze Zeit vor seinem in Österreich erschien: Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts von Johann Sauter18 ; dieses Werk ist analytischer, aber doch sehr tiefgründig. Über diese Abhandlung Rommens müssen wir länger sprechen: sie bleibt - neben der von Sauter und anderen Büchern - das Zeugnis für die Beständigkeit und Fruchtbarkeit der klassischen Formulierung des Problems des Naturrechts; sie erhebt sich über den nur deutschen Gesichtspunkt hinaus und nimmt universelle Züge an; diesem Werk folgen später andere, wie das von A. Verdross l9 , und noch vorher das von A. Auer20 , um nicht noch andere anzuführen. Mit diesem Buch erreicht der Verfasser, wie schon gesagt, eine theoretische Intensivierung und gelangt zu seinem hauptsächlichen Problem. All das kann man ruhig behaupten, auch wenn Rommen - fast in einem bedeutsamen Parallelismus mit dem Problem des Staates - sich aus einer Forderung des Zeitrnoments heraus, mit dem Naturrecht konfrontiert sieht, und zwar im Kampf gegen den Positivismus. Ohne befürchten zu müssen, den tiefsten Sinn der Bemühungen des Autors zu verändern, kann man sagen, daß dieses Buch ganz und gar von einer strengen, aber gleichzeitig leidenschaftlichen Reaktion gegen die posi· ;v;stischen Schemen, nämlich von der Antwort auf den Kampf gegen die klassische Auffassung des Naturrechts, durchzogen ist; dieser Kampf war zuerst von der historischen Schule aufgenommen worden, hatte sich aber dann weiter entwickelt, bis zu den unheilvollen Verzerrungen des Nationalsozialismus. In gewissen Teilen des Werks (siehe vor allem die letzten Kapitel des ersten Teils) untersucht der Verfasser die verschiedenen positivistischen Auffassungen und macht eine haarscharfe Kritik; aber wie schon angedeutet, ist dieser Begriff so stark in dem ganzen Buch 18 J. Sauter, Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts. Untersuchungen zur Geschichte der Rechts- und Staatslehre, Wien 1932. Siehe über Sauter, einen Schriftsteller, dem wegen seiner grundlegenden Kenntnisse und seines Scharfblickes wohl eine größere Anerkennung zuteil werden sollte, ein Stichwort von uns in der zweiten Auflage der Enciclopedia filosophica, v. B., Firenze, 1967, C. 1029. 19 A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie. Ihre Grundlagen und Hauptprobleme in geschichtlicher Form2 , Wien, 1963. 20 A. Auer, Der Mensch hat Recht, Naturrecht auf dem Hintergrund des Heute, Graz-Wien-Köln, 1954.

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anwesend, daß man es vielleicht als ein anti-positivistisches Manifest und eine gemäßigte, bewußte und begeisterte Verteidigung des klassischen Naturrechts, von Aristoteles bis zum heiligen Augustinus, Thomas d' Aquino und Suarez betrachten kann. Trotzdem sind die Physiognomie und die Kraft des Buches weit davon entfernt, mit dem Moment des Kampfes gegen den Positivismus verknüpft zu sein. Auch wenn Rommen zu sagen pflegte, daß dieser Kampf noch jetzt notwendig sei (dabei bezieht er sich z. B. auf den Einfluß von Hans Kelsen), so nehmen in diesem Werk seine Betrachtungen - gemäß einem wichtigen Wesenszug seiner Persönlichkeit - doch universelle Aspekte, universellen Sinn und Wert an. Ja, man kann sogar sagen, daß - wie für die anderen Werke - die Tatsache, auf Grund von konkreten Situationen überlegungen anzustellen, den allgemeinen Schemen mehr Kraft und Scharfsinn verleiht. Und damit haben wir schon das wichtigste Element berührt. Es gibt hier eine philosophische Grundlage des Naturrechts, ein rigoroses System; wir finden hier die Forderung des unersetzbaren philosophischen Ursprungs des Problems des Naturrechts und dessen Lösung. Es genügen hier keine wenn auch intelligente Anschauungen von Juristen, keine soziologischen Meinungen, keine Lösungen politischer Philosophie. All das kann wohl eine Beschreibung des Rechts im Universellen geben, aber nur eine philosophische Konstruktion vermag zu einer Auslegung und Erklärung zu gelangen. Man begreift sofort den Wert von all diesem, wenn man untersucht, welches nach Rommen die spekulativen Bausteine des Naturrechts sind. Sie sind eben die allgemeine Stellungnahme der thomistischen Philosophie; dadurch befindet sich das Naturrecht als Idee und Prinzip schon in die Philosophie verwickelt und besitzt eine innerlich philosophische Größe. Es genügt, einen Blick auf die behandelten Probleme des Verfassers zu werfen, um die Rigorosität der Behandlung festzustellen. Von den metaphysischen Spitzenflügen aus entwickeln sich die Gedanken bis zu der Verwirklichung der Person und zu deren Recht, und fließen dann zu den allgemeinen Prinzipien zurück. Diese Meinungen entsprechen treu und genau, aber gleichzeitig mit einer persönlichen Note den klassischen aristotelisch-thomistischen Anschauungen. Was uns dargelegt wird, ist eine breite, genaue Konstruktion, die von ganz allgemeinen Voraussetzungen deduktiv ausgeht. Die Grundsätze Rommens (siehe den zweiten Teil des Bandes) sind klar: enge und dynamische Verbindung zwischen Wirklichkeit und Wissen, zwischen Kennen und Handeln im Menschen, einheitliche Auffassung der beschreibenden Vorgänge des Wirklichen (Wissenschaften) und deren Verwurzelung in der Grundwissenschaft des Seins (Metaphysik) 2 Festschrift Küchenhoff

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wie auch in der Wissenschaft der Voraussetzungen, folgerichtiger Vorrang des objektiven Prinzips in der moralisch-sozialen Regelung (Gesetz). Die Grundidee, ein wahrer Eckstein, worauf sich das Gebäude des Naturrechts erhebt, ist die notwendige Verbindung der praktischen Ordnung mit der ontologischen Ordnung. Die praktische Vernunft ist nur eine Verlängerung des Prinzips des Seins bezüglich der Pflicht. InteHectus speculativus fit practicus. Die Realität des Naturrechts entsteht eben aus der Gegenwart und der Kraft des Seins auf dem Gebiet des Real-Sozialen. Was zu dem Wesen selbst des Menschen in seiner sozialen Ordnung gehört, ist im Grunde recht, d. h. gemäß dem Sein (hier haben wir das natürlich Richtige oder das Naturrecht). Die Metaphysik oder Grundwissenschaft des Seins verleiht den einzelnen menschlichen Wissenschaften ihre Gültigkeit und, was vom Gesichtspunkt des sozialen spezifischen Seins des Menschen aus verpflichtet, gibt ihnen eine unumgängliche Notwendigkeit, nämlich das Naturgesetz. Hierin bestehen die Züge von Rommens System. Wie man sieht, haben sie einen deduktiven und rationalen Charakter und Gang. Gemäß dem Einfluß der Scholastik führt Rommen die philosophische Dimensionalität streng durch und durchläuft dabei den Hauptweg des thomistischen Gedankens, d. h. den der Analogie; er besteht auf der Vernunft Gottes (lex aeterna) als letzter Quelle des Naturrechts, Vernunft, die Norm des göttlichen Willens ist und dementsprechend der Bestimmungen des natürlichen Wirklichen, so wie diese in dem Sein selbst der menschlichen Natur erscheinen. Man muß jedoch ganz energisch betonen, daß die Grundlinien dieses Gebäudes und dieses Systems keine rein intellektualistische Auslegung der Welt des Rechts bilden. Der rigorose philosophische Ursprung hebt den Kontakt mit der sozialen und politischen Erfahrung und Wirklichkeit nicht auf. Dies ist einer der wichtigsten und bedeutendsten Aspekte von Rommens Werk, der einen besonderen Wesenszug darstellt (wir haben schon auf die offene Haltung zu Scheler und seinen unbesiegbaren Kontenutismus hingewiesen). Wirklich suggestiv in seiner Gedankenwelt ist das Sich-Abwechseln und das Sich-Verbinden der sinkenden demonstrativen Linie des Naturrechts und der ansteigenden Linie, die aus der Analyse und aus dem Studium des Menschen hervorgeht. In den Mittelpunkt des Systems wird die Tatsache der objektiven Qualität der menschlichen Handlungen gestellt, d. i. ein Begriff, der von Sankt Thomas geregelt und von der zweiten Scholastik entwickelt wurde; der Grotius und auch Locke berührt und als wahre philosophische Dimension eben von der scholastischen überlieferung bewahrt wurde. Auf diese Weise wird die menschliche Natur nicht nur von einem rationalen Gesichtspunkt aus und in der intellektuellen Beobachtung des Seins geprüft; sie ist auch sich selbst bewußt und sozusagen selbst-transparent,

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denn sie erkennt sofort die Stufen des Seins, sie erkennt sie transzendental mit den anderen Wesen, und mit diesen soll sie diese Stufen ausüben. Was nun notwendigerweise zur Vollkommenheit gehört, d. h. zum Leben und zur Dynamik des sozialen Seins, bildet eben das natürlich Richtige oder das Naturrecht, den teilnehmenden Aspekt der Ordnung, des Ewigen Gesetzes, und die dem Menschen selbst innere Ordnung. Auch andere Aspekte, die scheinbar eine intellektualistische Auslegung des Systems Rommens rechtfertigen könnten, wenn sie in ihrem genauen Sinn begriffen werden, offenbaren hingegen eine Aussicht, die ins Innere des Wirklichen führt und dieses auslegt. Der Vorrang des Seins, und, vom methodisch-erkennenden Standpunkt aus, der Vorrang der Metaphysik, endet nicht in einer Unbeweglichmachung der Kräfte der Wirklichkeit. Mit diesem Vorrang verlangt man nicht, daß die Metaphysik die erste Wissenschaft in der chronologischen Ordnung der Erkenntnis ist, sondern daß ihre Prinzipien jede Wissenschaft, auch die der Praxis 2 " ermöglichen. Es handelt sich hier also eher um eine innere Legitimation des Wertes der rational-sozialen Wirklichkeit. Man begreift so den Sinn des von Rommen erwähnten Parallelismus zwischen Metaphysik, Epistemologie (oder Methode der Erkenntnis) und Naturrecht. Die Vorrangstelle des Gesetzes selbst bedeutet weder Objektivismus noch Immobilismus oder Abstraktion. Rommen hat einen außerordentlich klaren Ausdruck hierfür gefunden, der für seine Denkart und für seine Auslegung des Thomismus typisch ist: "Mit einer gewissen Zuspitzung könnte man sagen, daß erst die individualistische Epoche Rechtsphilosophie (,Philosophie der Rechte' in subjektivem Sinne) getrieben habe, während die vorhergehende Zeit eher eine Gesetzesphilosophie ausgebaut hat. Das wäre namentlich dann berechtigt, wenn man Recht mehr als subjektives Forderndürfen und -können auffaßt, Gesetz aber als objektive Ordnung und Grund der Pflichten und Rechte. Das suum wäre dann das erste, während die Norm, durch die das suum bestimmt und gewährleistet würde, das nachfolgende wäre. Von der christlichen Naturrechtslehre werden aber nicht das suum und die Person zuerst gesetzt und erst dann das Gesetz; sondern wie mit der Person bereits die Gemeinschaft mitgeschaut, weil mitgegeben ist, so ist auch mit dem suum die Norm, die es bestimmt, mitgesetzt. Der Mensch wird immer schon in einer zugleich mitgegebenen Ordnung gesehen, deren natürliche, aus dem Wesen der Seinsordnung entstammende Gesetze Befolgung erfordern. Indem man so nicht vom isolierten abstrakten Individuum ausging, nicht vorerst fragte, was als dessen un21 Auf diesem Punkt besteht E. Serrano ViHafafie, La filosofia deI derecho y el derecho natural de Heinrich Rommen, eine ausführliche Abhandlung, die in "Revista de la Facultad de Derecho de la Universidad de Madrid" 1961, V, S. 7-80 und 245-278, erschienen ist (siehe dafür auch S. 24).



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veräußerliche Rechte zu gelten habe, sondern den Menschen immer als Glied einer von Gott gesetzten, im Wesenssein sich kundtuenden Ordnung sah, wandte sich die Aufmerksamkeit mehr dem ,Gesetze', dem Recht im objektiven Sinne zu. Wer übrigens dafür hält, daß Recht und Sittlichkeit nicht getrennt werden dürfen, Rechtsgesetz und Sittengesetz also zusammengehören, der wird gerade für diese Anschauung Verständnis haben22 ." An einer anderen Stelle unterstreicht Rommen die ganze psychologische und ontologische Grundlage der Anschauung von seinem Recht (von Ihering), d. h. vom Recht des Menschen im Konkreten und nicht vom Recht im Abstrakten: "Das personale Sein des Menschen ist allem positiven Rechte, zum wenigsten für die Konstituierung der Rechtsgemeinschaft, vorgegeben. Das bedeutet aber, daß es auch für den rechtstheoretischen Positivismus vorgegeben ist. Denn eben dieses Personsein, dieses sich selbst Zweck sein ist das erste, und in ihm liegt der Urkeim des Rechtes. Nicht das Recht, sondern sein Recht (Ihering) steht am Anfang23 ." Diese einfachen Angaben genügen, um die Wirklichkeitsnähe an die positiven Normen und die Einrichtungen in dem vor uns liegenden Werk zu betonen, und zwar hinsichtlich der wachsamen und gewissenhaften Annahme der Aufforderung des heiligen Thomas, die in den moralischen Anwendungen entscheidende Bedeutung der Umstände zu berücksichtigen. So gewinnt Rommens Werk an Bedeutung, nicht nur für die deutsche Erziehung zu den positiven Bildungen, sondern gerade auf Grund der philosophischen, wesentlichen und gleichzeitig dynamischen Anschauung des Naturgesetzes für die Kenntnis auf dem Gebiet des positiven Rechts, das nicht eine Neben- und Hilfsformation darstellt, sondern die historische, konkrete, sich ausbreitende Dimensionalität der höchsten Prinzipien. Das Werk behauptet sich dort, wohin das Naturgesetz nicht gelangen kann, und historisch gesehen kann es kein Naturgesetz ohne die geschichtlichen Umrisse der positiven Bildung geben. Auch um die geschichtliche Kenntnis der Einrichtungen des positiven Rechts, des romanistischen und germanischen Rechts hat Rommen sich in seinem Werk verdient gemacht24 • Wie aus diesem raschen orientierenden Andeutungen hervorgeht, haben wir eine offensichtlich philosophische Struktur des Naturrechts H. Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, oben zitiert, S. 198. Id., schon zitierter Band, S. 233. 24 Interessant und symptomatisch ist Rommens Schrift Deutsches und Römisches Recht, in "Deutsches Volk", 1935, III, S. 218-230, in dem der Verfasser kritisch die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland durch die Nachglossatoren prüft und feststellt, daß diese Aufnahme von einem individualistischen Geist durchzogen ist und im Gegensatz zu dem deutschen Volksrecht steht. 22

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vor uns. Dieses Recht wird im Zusammenhang mit den allgemeinen Stellungen des Philosophierens betrachtet und untersucht. Das Naturrecht hält sich an die wesentliche Anordnung des Menschen, hat also einen verstandesmäßigen oder wesentlich normativen Charakter. Wir finden hier, vom geschichtlichen Standpunkt aus, einen äußerst wichtigen Unterschied von einer anderen großen Lehrformation, nämlich der des verstandesmäßigen Naturrechts. Das klassische Naturrecht ist als innere Ordnung des Menschen aufgefaßt. Das ist einer der Punkte der thomistischen "Typologie"; er besteht aus wenigen wesentlichen Prinzipien, deren wichtigste (denen man nicht zuwiderhandeln darf) die negativen Gebote sind, die einen unüberwindbaren Widerspruch zwischen einer Handlung und dem vernunftgemäßen und sozialen Wert der menschlichen Natur aufzeigen. Also kein Charakter eines Gesetzbuches oder ausgearbeiteter Vorschriften, wie es hingegen für den juristischen Naturalismus geschieht. Dieser Aspekt des Naturrechts, so wie er von Römmen untersucht und von neuem dargelegt wurde, leitet sich von dem philosophischen Charakter der Behandlung her: man könnte sagen, daß von der Metaphysik des Menschen die wesentliche Eigenart selbst des Naturrechts stammt. Hiermit ist, wenn auch in wenigen Zügen, der wichtigste und umfassendste Punkt des geistigen Weges von Rommen beleuchtet. An diesem Punkt angelangt wird auch der Sinn des Buchtitels selbst klar. Er ist weniger polemisch, als es scheinen könnte. In dem theoretischen Charakter des Naturrechts liegt der Grund zu seiner ewigen Rückkehr. Es wurde schon erwähnt, daß die kontingente Ursache für diese "Wiederholung" und für die "neue Darstellung" der Thesen des klassischen Naturrechts von seiten Rommens in dem Verlassen des Naturrechts seitens der Historischen Schule und in dem Triumph des Positivismus lag. Es wurde aber auch schon gesagt, daß über die verschiedenen Perioden innerhalb der Geschichte der Rechtsphilosophie hinaus diese Krisen immer bestehen; und so kann man und muß man sogar von einer "ewigen Wiederkehr des Naturrechts" sprechen. Unnötig ist es zu erwähnen, daß das eben besprochene Problem, ebenso und vielleicht mehr als das des Staates, im Mittelpunkt von Rommens Interessen blieb. Das belegen die verschiedenen Abhandlungen, die er veröffentlichte 2s • Ein, wenn auch äußerer Beweis ist die Tat25 Id., Wiederkehr des Naturrechts?, in "Der katholische Gedanke", 1931, IV, S. 58-76; The Natural Law in Renaissance Period, in "Natural Law Institute Proceedings, Notre-Dame University", 1949, 11, S.89-124; Natural Law and War-Crimes-Guilt, in ,Proceedings of the American Catholic Philosophical Association' (Twenty-fourth Annual Meeting, April 11-12, 1950: The Natural Law and International Relations), Washington, 1950, S. 40--57; Natural Law, Man and Society, in "Fordham Law Review", 1955, IV, S.128-140; Natural Law in Decisions of the Federal Supreme Court and of the Constitu-

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sache, daß Rommens Namen durch die Darlegung der Lehre vom thomistischen Naturrecht in Europa und in Amerika außerordentlich bekannt ist2s •

4. Die Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Themen. Hinwendung zur Theologie. Schluß Die Persönlichkeit des Verfassers und vor allem seine juristische Bedeutung werden durch andere Interessen belegt, die ihn ständig begleitet haben; diese Interessen und Themen, die er wohl in ganz verschiedenen Zeitumständen gepflegt und behandelt hat, bleiben aber trotzdem organisch angeordnet. Außer dem Thema des Eigentums 27 , außer dem großen Thema der tiefen Wesenheit der Kirche und deren Recht, das sich neben das zweite große Thema, das des Staates28, stellt, zogen Rommen besonders die internationalen Probleme an; auch auf diesem Gebiet war er ein aufmerksamer und wachsamer Vertreter der Lehren der Zweiten Scholastik2D • Man darf auch nicht die Beiträge zu der allgemeinen Politik und zur sozialen Pädagogik30 vergessen. tional Courts in Germany, in "Natural Law Forum", 1959, IV, S.I-25; The Revival of Natural Law Thinking in the USA, in ,Estudios de derecho natural y filosofia deI derecho en Homenaje a M. Sancho Izquierdo', Zaragoza, 1960, S.63-74; Stichwort Naturrecht, in Staatslexikon, Freiburg i. Br. 1960, V, (Geschichtlicher überblick, Altertum, Mittelalter, von der Aufklärung zur Gegenwart) cc. 932-936, 938-940. 25 Hierüber siehe auch unser Diritto naturale cristiano (Christliches Naturrecht), Rom, 1970, besonders in den systematischen Teilen. 27 H. Rommen, Familie und Eigentum, in "Das Heilige Feuer, Religiöskulturelle Monatsschrift", 1930, XVII, S. 538-545; Id., Eigentumsbegriff und Eigentumsordnung, in "Die Schildgenossen, Zweimonatschrift aus der katholischen Lebensbewegung" , 1931, XI, S. 520-535. 28 Id., Die Kirche, ihr Recht und die neue Volksordnung, Mönchengladbach, 1929, S. 68; Liebeskirche und Rechtskirche in "Das Heilige Feuer", 1931, XVIII, S. 104-113; Church and State, in "The Review of Politics", 1950, XII, S. 321 bis 340; Die Trennung von Staat und Kirche und die Schuldfrage in den USA, in Gegenwartsprobleme des Rechts; Beiträge zum Staats-, Völker- und Kirchenrecht sowie zur Rechtsphilosophie - Festschrift Godehard Ebers, Paderborn, 1950, I, S. 143-156. 29 Id., Die Erklärung der internationalen Menschenrechte, in "Hochland, Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst", 1930 bis 1931, XXVIII, S.324-327; Grundrechte, Gesetz und Richter in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ein Beitrag zur Angelsächsisch-Nordamerikanischen Staatsrechtkunde, Münster i. W., 1931, S. 145; Abrüstung und Sicherheit, in "Hochland", 1931-1932, XXIX, S.385-396; Realism and Utopianism in World Affairs in "The Review of Politics", 1944, VI, S.193-215; The Genealogy of Natural Rights in "Thought, Fordham University Quarterly", 1954, XXIX, S.402-425; Vers l'internationalisation des droits de l'homme", in "Justice dans le monde" 1959-1960, I, S.147-177 (erschienen auch in der englischen Ausgabe derselben Zeitschrift); The Church and Human Rights, in W. Gurian-M. A. Fitzimons (edrs.), The Catholic Church in World Affairs, Indiana, 1954, neu veröffentlicht in Modern Catholic Thinkers, Vor-

Das Werk Heinrich Rommens

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Aber es gibt etwas, das wir unbedingt ins rechte Licht rücken wollen; etwas, was wir bis zum Schluß aufgehoben haben, d. h.: den Rahmen, das Milieu, den Geist der christlichen Philosophie, worin sich die Struktur der Lehre vom Naturrecht des Verfassers abzeichnet und behauptet. Die Formulierung und der philosophische Verlauf des Systems stehen in vollem Einklang mit dem Christentum. Diesen Begriff hat Rommen selbst wiederholt ausgedrückt: Gratia non destruit naturam, sed perficit. So erhebt und erweitert sich das philosophische Gebäude des Naturrechts: aus dem Begriff der menschlichen Natur und der menschlichen Person nicht nur, sondern auch aus dem von Gottvater; aus dem Begriff der Gerechtigkeit nicht nur, sondern auch aus dem der Liebe entsteht eine ganze Anschauung der Welt und des Lebens. Dieser Punkt der harmonischen Vereinigung des Christentums mit dem Naturrecht, und allgemeiner ausgedrückt: der Verpflanzung der übernatürlichen Theologie in die Philosophie, und vom prinzipiellen Standpunkt aus: des Sinnes einer christlichen Philosophie: eben dieser Punkt gehört zum inneren Kern der Philosophie und der Überzeugung des Verfassers, der auf diese Weise ein Christ und gleichzeitig ein aufmerksamer und manchmal sympathisch polemischer Verteidiger der "Rechte der Philosophie" sein kann. In der Einleitung des Buches The State in Catholic Thought erklärt der Schriftsteller eben die Bedeutung des Wortes "katholische Philosophie": "For the sake of simplicity I have frequently used the term 'Catholic political philosophy'. The Adjective 'Catholic' here means, so to speak, the place where this philosophy grew and found its horne. It does not imply that this political philosophy is based on theology or revelation. It is based on natural reason and on rational principles. Political philosophy is a branch of social philosophy and of moral philosophy, not of dogmatic theology or moral theology31." Pater Hanley legt in der Einleitung für die englische Ausgabe von Die ewige Wiederkehr ausführlich die Grundwahrheiten dar, die auch in den Lehren der Päpste bekräftigt wurden und die die praktische Notwendigkeit der Hilfe der Offenbarung und der Gnade für die Kenntnis der Entwort von A. R. Caponigri, Einleitung von M. C. D'Arcy S. J., London 1960, S. 385-413, das außer der Abhandlung von Rommen auch Essays von L. Sturzo, J. Maritain, Y. Simon, J. C. Murray usw. enthält. 30 H. Rommen, Die gesellschaftliche und politische Situation und der gesellschaftliche Wille der deutschen Katholiken, in "Die berufständische Ordnung" 1932, I, S. 9-26; Lebensraum und Sittlichkeit, in "Magazin für Pädagogik, Monatsschrift für katholische Bildung und Erziehung", 1934, XCVII, S. 365-369; Die Wandlung der sozialpädagogischen Aufgabe, in "Magazin für Pädagogik", 1935, XCVII, S.16-22; Catholicism and American Democracy, in Catholicism and American Culture (Semicentenary Lecture Series 1953 bis 1954, College of New Rochelle), New York, 1954, S.61-90; Tradition and Edueation, in ,The Me Auley Leetures', 1959 (Tradition: Heritage and Responsibility), Saint Joseph College (Conneeticut) 1960, S. 295-306. 31 Id., The State in Catholie Thought, zitiert S. V.

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wicklung des Naturgesetzes vom Anfang an und der Hilfe selbst für die Ausführung des ganzen Naturgesetzes betreffen; andererseits wird noch mehr die übernatürliche Hilfe für die Treue gegenüber den Verpflichtungen natürlicher Herkunft benötigt, die eben die Offenbarung und die Gnade bilden32 • So sind wir an das Ende unserer Arbeit gelangt; wir verstehen zu wohl, daß diese Worte nur schwach den Wert des Werkes des Toten wiederzuspiegeln vermögen. Wir wären aber trotzdem froh, wenn sie zu einer tieferen Kenntnis von Rommens Werk auffordern könnten. Unser Wunsch ist, daß seine starke Persönlichkeit, seine Hingabe an die Philosophie, sein eingeborener Sinn für die Probleme der Gerechtigkeit und endlich seine spontane, einfache und sichere Haltung den Fragen der katholischen Theologie gegenüber eine Mahnung und eine Anregung für die Jugend bleiben mögen.

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Id., The Natural Law, zitiert, S. VI ff.

Das Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen Von Prof. Dr. Othmar F. AnderZe 1.

Der folgende Versuch maßt sich nicht an, einen irgendwie nennenswerten Beitrag zur Lösung des in der überschrift genannten Problems darzustellen; für ein solches Unternehmen würden übrigens alle sachlichen Voraussetzungen fehlen, indem die Forschungslage dazu noch nicht reif wäre. Angeregt durch viele einschlägige Gespräche mit dem Gelehrten, dem die vorliegende Festschrift gewidmet ist, und vor allem fasziniert von dessen Konzeption eines "Liebesrechts" , eines Jus Amoris, dessen Bedeutung, wie man sehen wird, auch in die kulturmorphologische Problematik hineinspielt, möchte der Verfasser nur den Anlaß benützen, die juridische Fachwelt, die anzusprechen er ja sonst kaum Gelegenheit hat, darauf aufmerksam zu machen, daß hier ein Problem und zwar ein sehr gewichtiges vorliegt, dessen Bearbeitung des Schweißes auch der "Edlen" der Jurisprudenz wohl wert wäre, und in die Fragestellung als solche einführen. So umfangreich das Gebiet der Rechtshistorie einerseits, der Vergleichenden Rechtswissenschaft andererseits nämlich auch bereits geworden ist, so fehlen doch noch systematische Untersuchungen größeren Maßstabes über die Rolle des Rechts im Hochkulturprozeß als solchem, Betrachtungen des Rechtsphänomens sub specie civiHsationis also; sogar in dem uns Abendländern nächstliegenden Fall der abendländischen Rechtshistorie hat das für die Zivilisationologie charakteristische "Denken in KuZturen"l noch kaum Fuß gefaßt, geschweige denn sich durchgesetzt, so daß schon hier der Rechtsbetrachtung und Rechtsvergleichung das maßgebende Bezugssystem fehlt. Man kann also nicht umhin, von einem gewissen "Nachhinken" (Zagging 2 ) der Jurisprudenz hinter der Zivilisationologie zu sprechen. Der Grund für dieses "Nachhinken" ist wohl darin zu sehen, daß sich die letztere, obwohl sich ihre Anfänge bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, als Wissenschaft selbst noch in statu nascendi befindet und sich eben erst anschickt, als solche feste Umrisse anzunehmen. Die 1

~

Anderle 1955 a, p. 71. William F. Ogburn, Social Change etc.,

New York 1923, p. 200.

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naheliegende Folgerung, die übrigen Fachwissenschaften hätten dann eben zuzuwarten, bis diese Konsolidierung erfolgt sei, wäre jedoch fehl am Platze, denn die Zivilisationologie bedarf, schon um selbst als Wissenschaft ausreifen zu können, als eine auf Grund ihres hochkomplexen Gegenstandes ausgesprochen synoptisch-integrative Disziplin der Mitarbeit der mehr speziellen Fächer und der Unterstützung durch sie. Dies ist denn auch mit einer der Gründe, die zur Abfassung des vorliegenden Aufsatzes geführt haben. Möge es ihm gegeben sein, hier eine Bresche zu schlagen und Interessenten für die neue Fragestellung zu gewinnen! Material liegt ja genug bereit; was not tut, ist nur ein Blick auf die Grundlinien des zu errichtenden Baues.

II. Unter einer Hochkultur (Zivilisation, engl. civilization, franz. civilisation, ital. civilizzazione) versteht man im gegenwärtigen zivilisationologischen Sprachgebrauch jene im Raum und in der Zeit entfalteten menschlichen Groß gesellschaften von der Art der abendländischen (westeuropäisch-amerikanischen), antiken (griechisch-römischen oder altmediterranen), altägyptischen, altmesopotamischen, ostasiatischen (chinesisch-japanisch-koreanischen), indischen usw., die je einen bestimmten Typus ideenbestimmter Wirklichkeitsbewältigung ins Leben gerufen haben und als Ganze ein äußeres und inneres Schicksal aufweisen3 • Daß Hochkulturen als Ganze ein äußeres Schicksal haben, besagt, daß sie von der Umwelt deutlich abgehobene Objekte darstellen, auf die auch äußere Kräfte einwirken können und de facto einwirken - bis zur Zerstörung, wie die geschichtliche Erfahrung zeigt. Wenn ihnen die Definition außerdem expressis verbis ein "inneres Schicksal" zuschreibt, so wird damit zum Ausdruck gebracht, daß Hochkulturen nicht nur je in einem Zeitmoment als räumliche Gebilde gegeben sind, sondern daß sie sich dauernd in der Zeit ereignen, also im Grunde Prozesse sind, aber auch, daß diese Prozesse transsummativ strukturiert sind - in dem Sinne, daß das Ganze des Prozesses den ontologischen (und damit auch erkenntnistheoretischen) Primat vor dessen einzelnen Phasen hat, womit u.a. auch gesagt ist, daß mit dem Anfang das Ende, die Reihenfolge und Art der Phasen, deren Gliederung in Subphasen, die weitere Artikulierung in Subphasen 2., 3., n. Ordnung usw. bestimmt ist (Prinzip der holistischen Determination). Dabei ist allerdings speziell in Hin3 Man vergleiche dazu die Definitionen bei Bagby, Coulborn, Melko u. a. Eine nahezu erschöpfende übersicht (bis etwa 1950) gibt A. L. Kroeber, and Clyde Kluckhohn in Culture. - A Critical Review of concepts and definitions. Vintage Books, New York 1952, Random House.

Das Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen

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blick auf die folgenden Ausführungen über das Recht zu betonen, daß dieses Bestimmtsein der "Teile" (genauer Substrukturen) durch das "Ganze" (hier des Hochkulturprozesses und dessen Verlaufsgestalt) sich nur auf die formalen, strukturellen Züge des Geschehens, auf dessen "Wie", nicht aber auch auf das Material-Inhaltliche desselben, sein konkretes "Was" bezieht. Schließlich ist zur vorgestellten Definition zu bemerken, daß uns die Hochkulturen zwar in erster Linie als Gesellschaften entgegentreten, daß es sich bei ihnen aber nicht primär um Gesellschaften handelt. Genauer: Die Hochkulturprozesse führen zur Bildung von Gesellschaften - eben der Hochkulturgesellschaften -, sie drücken sich in ihnen aus, manifestieren sich in ihnen, so wie sie sich im gleichen Sinne in der Politik, im Recht, in der Religion usw., aber auch im gesamten Stil, im Rhythmus, in der spezifischen Geisteshaltung einer Hochkultur manifestieren, aber sie sind nicht diese Gesellschaften. Die Hochkulturprozesse sind das Produzierende, die Hochkulturgesellschaften das Produzierte oder kurz das Produkt. Diese Unterscheidung ist speziell im Hinblick auf gewisse moderne Tendenzen von Wichtigkeit, das Hochkulturphänomen als ein rein gesellschaftliches zu betrachten und die Zivilisationologie auf Kultursoziologie, wenn nicht gar auf Anthropologie zu reduzieren4 • III.

Einen Gegenstandsbereich morphologisch interpretieren heißt, nicht das unmittelbar Gegebene an ihm in seinem hic et nunc und phänomenalen Sosein zum Gegenstand der Untersuchung zu machen, sondern, die Kenntnis dieses "Tatsachenmaterials" voraussetzend, die Aufmerksamkeit auf seine formalen Züge zu richten, auf das Wie, das Gestalthafte, auf das, was man etwas vage auch "Stil" nennt, auf die syn- und diachrone Rhythmik, die Gliederung in räumliche und zeitliche Substrukturen, aber auch auf das Verhältnis von Form und Inhalt bzw. Gestalt und Substrat sowie auf das, was die erstere zum Ausdruck bringt, auf den sinnhaften Gehalt, dessen Erfassung letzten Endes das eigentliche Ziel der morphologischen Interpretation darstelUS. Die "morphologische" Fragestellung setzt voraus, daß es sich bei den betrachteten Gegenständen um gestaltete Objekte und zwar in dem anspruchsvollen und auszeichnenden Sinne handelt, den die moderne Gestaltpsychologie mit dem Ausdruck "Gestalt" verbindet, das heißt also 4 Vgl. Alfred Weber, KuUurgeschichte als KuUursoziologie, Neuausgabe München 1960, und Alfred L. Kroeber, Anthropology, rev. ed. New York 1948, Harcourt, Brace, and Company. 5 Vgl. Anderle 1969.

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um ein Figürliches, das nicht nur geordnet ist, sondern das gleichzeitig auch einen transsummativen Charakter hat, eine Ganzheit, diesmal im strengen Sinn der modernen Ganzheitstheorie, darstellt - ein Phänomen also, das als solches nicht nur "mehr", sondern etwas anderes als die Summe der an ihm eventuell unterscheidbaren "Teile", recte Substrukturen, ist und das diesen logisch und ontologisch vorangeht8 • Der letztere dieser bei den Punkte ist von besonderer Bedeutung, denn er schließt schwerwiegende Konsequenzen in sich, die gerade für die Zivilisationologie von höchster Relevanz sind. Die eine ist methodologischer Art. Sie besteht darin, daß bei Gebilden oder Prozessen, die der obigen Definition von "Ganzheitlichkeit" genügen, mit einer von "Teilen" ausgehenden und von ihnen summativintegrativ zum Ganzen des Komplexes aufsteigenden meristisch-synthetischen Betrachtungsweise E; u:rcoih11JL kein Auskommen wäre, sondern der umgekehrte, vom Ganzen ausgehende und zu Substrukturen immer niedrigeren Ranges absteigende holistisch-analytische Weg einzuschlagen ist. Die zweite Konsequenz besteht darin, daß bei Phänomenen der beschriebenen gestaltet-ganzheitlichen Art eben deshalb, weil sie ganzheitlich sind, das, was im einzelnen sich zeigt oder ereignet, in formaler Hinsicht - aber auch nur in solcher! - vom Ganzen her determiniert ist (Prinzip der holistischen Determination), so daß also bei Kenntnis des betreffenden Gestaltgesetzes eine Prognose über die formalen Züge dieses oder jenes Details möglich ist - eine Prognose, die rückwärts gewendet zur morphologischen Rekonstruktion, auf sonstige dunkle Bereiche aber gerichtet zum Verfahren des morphologischen Schlusses führt. Die dritte Konsequenz gilt nur für ganzheitlich-gestalthafte Prozesse. Sie besteht darin, daß bei solchen, wenn nicht von vornherein auf eine Erklärung verzichtet wird, notwendigerweise ein " hinter " dem Prozeß stehendes, ihm logisch und ontologisch antezedentes "X" immaterieller Art anzunehmen ist, welches das Geschehen in Gang setzt, ordnet, steuert und lenkt beziehungsweise es als letzte Instanz determiniert. Man mag diesen "Faktor X"7 als Idee, Seele oder sonstwie bezeichnen oder Vgl. Anderle 1960 b u. C. Wer auf dem Boden der philosophia perennis steht und mit der Position des ontologischen Realismus vertraut ist, wird keine Schwierigkeit haben, sich mit solchen Gedanken vertraut zu machen, schon weil ihm Goethes "Ehrfurcht vor dem Geheimnis" nicht fremd ist. Wer dieses Fundament nicht besitzt, wird sie als wissenschaftsfremd und spekulativ ablehnen; insofern handelt es sich hier in der Tat um eine vorwissenschaftliche Entscheidung auf weltanschaulicher Ebene - nur daß die Entscheidung zugunsten des ontologischen Realismus, sobald sie einmal gefallen ist, im vorliegenden Fall zwei8

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auch unbenannt lassen, um ihn selbst kommt man nicht herum, es sei denn, man läßt das Problem in Schwebe, was der Ausweg eines jeden Positivismus ist. Man sieht sich also, sofern man nicht resignieren will, angesichts dieser Sachlage gezwungen, für einen ontologischen Realismus bzw. einen objektiven Idealismus im Sinne der philosophia perennis zu optieren, was wiederum gerade für die Zivilisationologie, die in den Hochkulturen Prozesse solcher Art zu behandeln hat, von allergrößter Bedeutung ist8 • Das morphologische Verfahren setzt voraus, daß der Gegenstand, auf den es sich richtet, ganzheitlich-gestalthafter Art ist; nur wenn das der Fall ist, kann es angewendet werden. Zugleich geht aus dem Gesagten hervor, daß man sich unter solchen Voraussetzungen seiner auch bedienen muß, wenn anders man des Gegenstandes in seiner Eigenart habhaft werden will. Bei den Hochkulturen oder Zivilisationen, die den Gegenstand der Zivilisationologie darstellen, treffen diese Voraussetzungen, wie bereits in der Definition zum Ausdruck gebracht, zu. Es handelt sich bei ihnen in der Tat um Phänomene ganzheitlich-gestalthafter Art, und zwar, was nicht nachdrücklich genug betont werden kann, um ganzheitlich-gestalthafte Prozesse - zumindest primär, denn da sich diese Prozesse wie alle solchen materieller Art im Raum und in der Zeit entfalten, weisen sie auch einen räumlichen Aspekt auf, dergestalt, daß jedem Punkt der Zeitkurve eine statische Gestalt räumlicher Art zugeordnet ist, die sich mit den "euklidischen" Dimensionen unseres Sinnesraumes erfassen läßt. Ebensogut könnte man sagen, die Hochkulturen seien vierdimensionale, in Länge, Breite, Höhe und Zeit entfaltete Phänomene mit einer der zeitlichen Dimension entsprechenden Verlaufsgestalt und unendlich vielen, der Anzahl der vorstellbaren Punkte der Zeitkurve entsprechenden, aber untereinander natürlich zusammenhängenden, weil ineinander übergehenden Raumgestalten, deren jede als eine Funktion des jeweiligen Zeitgestaltmomentes aufzufassen ist. Es ergibt sich daraus, daß die Hochkulturen morphologisch behandelt werden können, ja müssen, daß also die morphologische Betrachtungsweise die legitime der Zivilisationologie ist. Darüber hinaus ist festzuhalten, daß für die Hochkulturen auch die oben genannten Konsequenzen ganzheitlicher Gestalthaftigkeit - insbesondere diejenige bei gleichzeitiger Prozeßhaftigkeit - zutreffen: daß zu ihrer Erfassung die holistisch-analytische Methode geboten ist, daß das Geschehen in ihnen formal determiniert ist und daß fellos ein gutes Stück näher an das Geheimnis des Werdens und Vergehens der Hochkulturen heranführt, somit also einen nicht abzuleugnenden heuristischen Wert besitzt. 8 So Jan Christiaan Smuts, Die holistische Welt, Berlin 1938 (deutsche übersetzung von HoZism and Evolution, London 19363 , p. 62 et pass.)

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bei ihnen, wenn auf eine letzte Erklärung nicht verzichtet werden soll, auf den ontologischen Realismus zu rekurrieren und ein determinierendes X immaterieller Art anzunehmen ist, das dem ganzen Ablauf zugrunde liegt. IV. Bei der morphologischen Interpretation der Hochkulturen wird es also zunächst darauf ankommen, die Verlaufsgestalten der einzelnen konkreten Hochkulturprozesse in ihren formalen Eigenschaften - Anfang, Ende, räumliche Begrenzung, Gliederung, Stil usw. - zu erfassen, das Verhältnis zum anthropologischen Substrat einerseits, zu den räumlichen bzw. physisch-geographischen Gegebenheiten andererseits klarzustellen sowie Art und Ausmaß der mitspielenden (modifizierenden) Faktoren der menschlichen, historisch-soziokulturellen Umwelt zu bestimmen. Ist das geschehen und die Gestalt des vorliegenden Prozesses in allen Einzelheiten und Aspekten "erhellt"9, so wird man versuchen, zum Wesenskern des Phänomens, zur fundierenden Idee vorzudringen, um das Phänomenale der Gestalt als Ausdruck derselben zu deuten. Es wird sich dabei herausstellen, daß schlechthin alle Aspekte eines Hochkulturgeschehens, seine kinetischen wie seine statischen Erscheinungsformen, sein Tempo, sein Rhythmus, sein Stil, die in seinem Rahmen sich abspielenden Ereignisse wie die von ihm ins Dasein gerufenen sozialen und politischen Ordnungen, die Religionen, Wissenschaften, Künste, Techniken, Wirtschafts- sowie, nicht zuletzt, seine Rechtsformen auf diese Idee zu beziehen, als ihr Ausdruck zu deuten sind. In allen diesen Dingen realisiert sich eine Hochkultur, "verwirklicht" sich ihr "Mögliches" (Spengler), spricht sie sich aus, tut sie sich kund. Es geschieht dies freilich niemals oder nur in seltenen Sternstunden rein und ungebrochen, sondern stets mehr oder weniger getrübt durch das Medium des von der Zeit und den Umständen bestimmten Substrats, so daß stets ein mehr oder minder arges Mißverhältnis besteht zwischen dem, was zum Ausdruck kommen sollte, und dem, was dann tatsächlich zum Ausdruck gebracht worden ist, nicht anders als beim Schaffen des Künstlers und bei jeder anderen schöpferischen Tätigkeit. Die Aufgabe des Morphologen besteht dann eben darin, die Entstellungen und Verfremdungen zu durchschauen und das jeweils "Eigentliche", auf die Grundidee Zurückweisende sichtbar zu machen. Im Ausdrucksfeld einer Hochkultur hängt somit alles mit allem zusammen, ist jede Einzelerscheinung ein "mirair vivant de Z'univers" (Leibniz) - des "Universums" der Gesamtkultur nämlich, aber über sie 9 Ferdinand Weinhandl, Die Gestaltanalyse, Erfurt 1927.

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auch der anderen Einzelerscheinungen insgesamt wie jeder für sich. So spiegelt die Gesellschaft die wirtschaftlichen, die Politik die sozialen Verhältnisse, die Religion den geistigen Zustand, die Kunst diesen und den sozialen, Wissenschaft und Philosophie werden erst auf dem religiösen, das Recht wird erst auf dem Hintergrund der Gesellschaft und Politik verständlich. Es ist dies die schon von Vico beobachtete und von Comte mit dem Begriff des "Consensus" umschriebene Erscheinung des Einklanges aller Aspekte einer Hochkultur, ihres Untereinander-inübereinstimmung-Stehens, an der noch kein Hochkulturmorphologe vorbeigegangen ist und vorbeigehen konnte. Sie ist auch methodologisch wichtig, denn nicht nur, daß sie dazu zwingt, die fachwissenschaftliche Beschränkung auf die einzelnen Sparten der Hochkultur - politische Geschichte, Kulturgeschichte, Kunst-, Religions-, Wirtschafts-, Rechtsgeschichte - aufzugeben und eine synoptische Blickrichtung zu verfolgen - wenn alles nur Aspekt und somit perspektivisch verengt ist, kann die Verengung nur durch die Zusammenfassung der Aspekte zu einem Gesamtbild überwunden werden -, sondern es kann auch ein fachlich ganz andersartiges Teilgebiet ein Licht auf einen Gegenstand - etwa die Religion auf das Recht einer Epoche - werfen, das dieser für sich allein niemals entläßt. Hochkulturmorphologie ist daher vom Wesen der Sache her interdisziplinär-synoptisch. Sie setzt Spezialisten mit ihren Spezialkenntnissen voraus, kann sich damit aber nicht beruhigen, sondern muß zu neuen Fragestellungen umfassenderer Art vorstoßen; das macht ihren Reiz, aber auch ihre methodologische Gefährdung aus, zumindest solange man sich über die wissenschaftlich zulässigen Methoden interdisziplinärer Synopsis nicht ganz im klaren ist10 • Mit der morphologischen Betrachtung einer einzelnen Hochkultur ist aber noch nicht viel gewonnen, denn es gibt eine Vielzahl von Hochkulturprozessen - mindestens neun, wenn nicht mehr. In dem Augenblick, in dem man von einer Hochkultur zu einer anderen übergeht, erhebt sich nämlich die Frage, ob es sich bei der Prozeßgestalt um die gleiche oder um eine andere Konfiguration handelt, und hinsichtlich der Gesamtheit der Hochkulturen, ob eine Mono- oder eine Polymorphie vorliegt - mit anderen Worten, ob alle Hochkulturen die gleiche Verlaufsgestalt aufweisen, ob jede in ihrer Art abrollt oder ob es vielleicht Gruppen typischer Entwicklung gibt. - Der derzeitige Stand der Forschung legt die Annahme einer Monomorphie nahe, das heißt, es hat durchaus den Anschein, als würden alle Hochkulturen, was die entscheidenden Züge ihres Ablaufs betrifft, einem und demselben Gestaltgesetz gehorchen. Dieses bestünde dann darin, daß der Hochkultur10

s. Anderle 1957 c.

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prozeß generell in vier typischen Phasen - einer Vorzeit, einer Frühzeit, einer Spätzeit und einer Ausgangszeit - abläuft, die durch drei ebenso typische Cäsuren in Gestalt von übergangskrisen voneinander getrennt sind. Die Vorzeit, dem Embryonalstadium der Säugetiere vergleichbar, umfaßt rund fünfhundert Jahre; sie dient der Vorbereitung und Anreicherung und weist als wichtigstes Produkt eine erste Großreichsbildung ("Erster Imperialismus") auf. Die Frühzeit, die nach einer Art Geburtskrise einsetzt und im allgemeinen ebenfalls an die fünfhundert Jahre umfaßt, zeigt eine vorwiegend metaphysische Orientierung, feudale Lebensordnung und intuitiv-emotionale Grundstimmung; in ihr gewinnt die Idee der betreffenden Hochkultur erstmals eine greifbare Gestalt. Auch sie endigt mit einer Krise, die - in etwa der Pubertätskrise vergleichbar - wie die Geburtskrise eine typische Umbildungskrise und als solche im Endergebnis positiv zu bewerten ist. Auf sie folgt die rund drei Jahrhunderte ausfüllende ausgesprochen intellektuell eingestellte, diesseitsorientierte Spätzeit mit ständischer Lebensordnung, in der der Kulturprozeß in allem Wesentlichen seine qualitativ-intensiven Maxima erreicht - das unter den gegebenen Umständen mögliche Optimum dessen, was ihm zur Realisierung und Darstellung vor- und aufgegeben ist. - Auch die Spätzeit endigt mit einer Krise, nur daß diese - dem Klimakterium des Menschen vergleichbar - nunmehr negativ akzentuiert ist. Bringt nämlich die Spätzeit morphologisch betrachtet auf allen Gebieten ein Höchstmaß an Form, an Durchgeformtheit, so besteht die Krise an ihrem Ende in erster Linie darin, daß diese Formen zerbrechen, daß die Formhaftigkeit abgebaut wird, daß genereller Formvertust eintritt. Das bedeutet für die betreffende Hochkultur eine existentielle Bedrohung, denn mit dem Formund Gestaltloswerden läuft sie Gefahr, ihre Umrisse zu verlieren und im (relativen) Chaos der Umwelt aufzugehen. Das zu verhüten oder wenigstens zu verzögern ist Ziel einer Tendenz, die sich bisher noch in allen entsprechend weit gediehenen Hochkulturen beobachten ließ: eine Tendenz nämlich auf äußere, mechanische Zusammenfassung des gesamten Hochkulturkomplexes in einem einzigen, zentralistisch-bürokratisch verwalteten, uniform gestalteten und absolutistisch-diktatorisch geführten Universalstaat cäsarischer Prägung ("Zweiter Imperialismus"). Der Cäsarismus ist somit diejenige Erscheinung, die den an die Alterskrise sich anschließenden und sie fortsetzenden Ausgangszeiten der Hochkulturen das Gesicht gibt. Er kann aber die im Formverlust zutage tretende allgemeine Desintegration der Hochkultur nur bremsen, nicht zum Stillstand bringen, geschweige denn eine rückläufige Bewegung einleiten. Der Verfall schreitet unter der schützenden Hülle des cäsarischen Imperialismus fort, bis auch diese letztere von ihm erfaßt wird; ist es einmal so weit gekommen, so ist es nur mehr eine Frage der zufälligen

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Umweltkonstellation, wann der Bau zusammenstürzt und in welchen Formen die letzten Akte der Verwesung sich vollziehen. Da in der Ausgangszeit die endogenen gestaltenden Kräfte zum Versiegen kommen, das Trägheitsmoment die Führung übernimmt und exogenen Kräften und Faktoren ein immer größerer Spielraum zukommt, ist dieselbe im Gegensatz zur Früh- und Spätzeit auch in zeitlicher Hinsicht nicht mehr von innen her begrenzt, sondern hinsichtlich ihrer Dauer vom Zufall dieser äußeren Faktoren abhängig. So kann sie sich auf wenige Generationen oder Jahrhunderte beschränken, aber auch über Jahrtausende hinziehen, freilich ohne auch im günstigsten Fall mehr zu bieten als erstarrte Formen mit einem Leben in denselben, das nicht mehr das der ursprünglichen Hochkultur ist, sondern grundsätzlich anderen soziologischen Kategorien angehört.

V. Aus alledem ergibt sich, daß wie die Religion, die Kunst, das Geistesleben, die Politik, die Wirtschaft usw. so auch das Recht der sogenannten Kulturvölker stets auf dem Hintergrund der Hochkulturen und in bezug auf sie betrachtet werden muß. Auch im Recht realisiert und manifestiert sich eine Hochkultur - genauer das, was einer Hochkultur als Idee zugrundeliegt -, auch in ihm drückt sich dieselbe aus, auch das Recht gehört zu ihrer Verkörperung und ist insofern als einer ihrer Aspekte zu betrachten. Damit ist schon gesagt, daß auch für das Recht - zumindest für dasjenige der Hochkulturvölker - die entscheidenden Aufschlüsse nur im Rahmen der morphologischen Interpretation der Hochkulturen zu gewinnen sind. Erst von dieser Interpretation her kann die Eigenart eines bestimmten Rechtes oder einer Gruppe von Rechten, können konkrete Rechtsentwicklungen sowie spezifische Rechtskonzeptionen bis auf den Grund durchleuchtet werden - verständlich, denn nach der hier vertretenen ganzheits theoretisch -holistischen und idealistischen Auffassung der Hochkulturen sind die letzteren beziehungsweise die ihnen zugrunde liegenden Ideen wie allen anderen Manifestationen der Kultur so auch dem Recht gegenüber das Fundierende, das Recht aber das von ihnen Bestimmte, Geformte, ja Hervorgerufene. - Umgekehrt kann aber freilich auch vom konkreten Recht einer Hochkultur, einer Hochkulturphase oder einer Hochkulturlandschaft Licht für die Gesamtgestalt der betreffenden Hochkultur zu gewinnen sein, wie denn überhaupt zwischen Gehalt und Gestalt, Idee und Wirklichkeit ein reziprokes Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit besteht, das es ungeachtet der grundsätzlichen Priorität der ersteren stets erlaubt, die Blickrichtung gelegentlich auch umzuwenden und den Ausdruck auf das Auszudrükkende hin zu befragen, sei es auch nur, um eine Verifikation (oder, was 3 Festschrift Küchenhoff

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auch vorkommen kann, eine Falsifikation) einer struktur-analytisch gewonnenen Einsicht zu erlangen. Die Forschung als solche hat sich allerdings bisher, von zwei bedeutsamen Ausnahmen abgesehen, die indes über das Stadium erster Ansätze ebenfalls kaum hinausreichen - sie werden im folgenden behandelt -, mit dem Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen kaum befaßt. Es gibt zwar eine außerordentlich umfangreiche rechtshistorische Literatur - es wurde ihrer schon Erwähnung getan -, aber abgesehen davon, daß sich dieselbe zum weitaus größten Teil auf die Rechtsgeschichte der abendländischen Völker einerseits und die der klassischen Antike - speziell in ihrer römischen Ausprägung andererseits beschränkt, fehlt in ihr doch der eigentlich morphologische Gesichtspunkt, die bewußte Bezugnahme auf die entsprechende Hochkultur und das für alle "morphologische" Interpretation so bezeichnende Bemühen, die gegebene Rechtsform als Manifestation und Ausdruck eben dieser Hochkultur verständlich zu machen. In dieser Hinsicht gibt es bisher nur die zwei im Nachfolgenden behandelten Ansätze. Sie zeigen den Weg, der hier zu beschreiten sein wird, wenn anders die Betrachtung des Rechts, möge diese nun von einem systematischen, philosophischen, geisteswissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen, sozialpsychologischen oder historischen Standpunkt aus erfolgen, in den Dienst der Zivilisationologie gestellt werden und zur Lösung der Probleme der letzteren etwas beitragen soll. Der erste, der - unter anderem - auch das Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen planmäßig berücksichtigt hat, war der neapolitanische Geschichtsphilosoph Giambattista Vico (1668 bis 1744), der Schöpfer und erste Vertreter dieser Betrachtungsweise überhaupt, der Begründer der modernen Zivilisationologie, der erste "Kulturmorphologe" der Geschichte l1 • Es ist kein Zufall, daß Vico dem Recht in seiner Zivilisationologie eine besondere Beachtung geschenkt hat, denn Vico war von Haus aus Jurist, wollte ursprünglich Rechtsanwalt werden, hat sich, bevor er in die akademische Laufbahn einschwenkte, vorübergehend als solcher betätigt und ist auch als Gelehrter zunächst mit rechtswissenschaftlichen Arbeiten hervorgetreten. Das Recht hat aber auch in dem Sinne bei ihm die Absprungbasis gebildet, daß ihm auf diesem Gebiet die spezifische Problematik einer morphologischen und gleichzeitig auf jene makrosozialen Phänomene, die wir heute als Hochkulturen bezeichnen, gerichteten Fragestellung zuerst aufging. Dabei spielt von Anfang an eine spezifische Anlage zum Ganzheitsdenken l2 , wie es für die morphologische 11 12

Ad Vico s. Bibliographie. Vgl. dazu speziell Anderle 1956, pp. 89 f.

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Betrachtungsweise unentbehrlich ist, eine entscheidende Rolle, sagt er doch selbst in seiner Vita, daß er, der sich durch das Studium der Metaphysik frühzeitig daran gewöhnt hat, "a formare la mente universale, eragionar de' particolari per assiomi 0 sien massime" (VIta F. 370), sich bald von den konkreten Fällen der kleinfügigen Praxis der Jurisprudenz abgestoßen und dem Wunsch gegenübergestellt sah, so etwas wie ein System des allgemeinen Rechts zu erschließen, aus dem die konkreten Formen des positiven Rechts abzuleiten wären, eine "scienza intera e ehe si corrisponda in tutte le parti" , wie er hinzufügt (V. F. 374), weil nur ~ine solche vor schwerwiegenden Irrtümern bewahren könne. Mit diesem ganzheitstheoretisch-holistischen Ansatz ist bereits eine wichtige Position für eine morphologische Interpretation des Rechts gewonnen, denn er impliziert, daß das zu findende Allgemeine Recht den historisch gegebenen Rechtsformen logisch und ontologisch antezedent und daher auch nicht aus ihnen abzuleiten oder zu abstrahieren sei, sondern daß vielmehr diese als Manifestationen und Modifikationen des ersteren 7.U verstehen seien. Äußerlich betrachtet stellt sich Vico mit dieser seiner Zielsetzung ganz in den Zusammenhang der naturrechtlichen Bemühungen seiner Zeit, wie sie vor allem in Gestalt des Suarez (1548-1617) und Grotius (1583-1645) - beim einen in katholisch-dogmatischer, beim anderen in protestantisch-aufklärerischer Form - vorlagen. Suarez wird von Vico als einer seiner wichtigsten Lehrmeister (vor allem in metaphysicis) bezeichnet; Grotius hat er zwar erst (literarisch) kennengelernt, als sein eigenes System vor dem Abschluß stand (1714/16), er bekennt aber, daß er in ihm eine außerordentliche Ermutigung in der Verfolgung seiner eigenen Absichten fand. Dennoch konnte sich Vico, was für die besondere Note seiner Fragestellung bezeichnend ist, weder mit den Ergebnissen des einen noch mit denen des andern zufrieden geben, denn was er suchte, war nicht eine philosophische Abstraktion (das "natürliche Recht der Philosophen"), sondern ein ontologisches fundamentum, das "aus den Sitten der Völker" sich ableiten läßt und die konkreten Rechtsformen von sich aus bestimmt. Das gewann noch deutlichere Gestalt, als sich Vico in seiner Vatolla-Zeit (1692-97, als Hauslehrer bei einem Neffen des Bischofs von Ischia) mit Platon zu beschäftigen begann und anschließend daran die geistige Welt einerseits des Tacitus, andererseits des Bacon (of Verulam) für sich entdeckte, denn bei dem einen lernte er den ontologischen Realismus, die Möglichkeit, Ideelles als ontologisch Fundierendes zu konzipieren, aus erster Hand kennen, von den beiden anderen aber wurde ihm der Respekt vor der historischen Realität und der Würde der gegenständlichen Erfahrung beigebracht, wofür er freilich schon von Hause aus ein entsprechendes Organ mitbrachte. So gewinnt der Gedanke eines fundamentalen und allgemeinen Naturrechtsprinzips auf der einen Seite eine platonische Färbung, während 3·

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auf der anderen der Zusammenhang mit der historisch-soziokulturellen Realität mehr denn je Berücksichtigung forderte. Angesichts der faktischen Verflechtung des Rechts mit allen übrigen Manifestationen der Kultur liegt es auf der Hand, daß es auf diesem Wege nicht bei einer Betrachtung des ersteren allein bleiben konnte, sondern daß auch die anderen Sparten des kulturellen Lebens eine entsprechende Beachtung erzwangen und daß sich so die Idee eines allumfassenden Naturrechtsprinzips, aus dem die einzelnen konkreten Ideen abzuleiten wären, zu der einer "Storia ideale eterna" erweitern mußte, "sulla quale corresse la Storia universale di tutti i tempi, conducendovi sopra certe eterne proprietci delle cose civili e cominciamenti, stati, decadenze di tutte le nazioni: onde se ne formasse il sapiente insieme e di sapienza riposta qual e quel di Platone, e di sapienza volgare qual e quello di Tacito" (V. F. 397). Es kann dabei aber nicht nachdrücklich genug betont werden, daß das, was Vico in Gestalt dieser Storia ideale eterna vorschwebt, weder eine induktiv-generalisierend zu gewinnende Abstraktion von der realen Geschichte. noch ein kausal determinierendes Prinzip nach Art der Naturgesetze darstellt, sondern ein immaterieller, das reale Geschehen hervorrufender, ordnender und steuernder Wirkfaktor ganz in der Weise einer platonischen Idee ist, eine metaphysische Potenz, die sich in der Immanenz, indem sie dieselbe gestaltet, d. h. ihr die je spezifische Form verleiht, realisiert, manifestiert und zugleich ausdrückt. Es ist dieser letztere Gesichtspunkt, der die Betrachtungsweise Vicos über den ontologischen Realismus hinaus immer deutlicher zu einer ausgesprochen morphologischen macht, so daß Vico zum Schluß als ein erklärter Kulturmorphologe - der erste der abendländischen Geistesgeschichte, ja der Geschichte überhaupt - vor unseren Augen dasteht13 • Die rechtswissenschaftliche oder rechtsphilosophische Absprungbasis und das spezifische Interesse des geschulten Juristen am Recht verrät sich aber noch lange Zeit in den verschiedenen Ansätzen Vicos, seine Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen - der 1709 gedruckten Auguralrede von 1708 "De nostri temporis studiorum ratione" , der Abhandlung "De antiquissimum Italorum Sapientia ex Linguae Latinae originibus eruenda" von 1710 und dem zweibändigen Werk "De universi Juris uno principio et fine uno" bzw. "De constantia jurisprudentis" von 1720 und 1721 - bis hin zu seinem Hauptwerk, den 1725 in ihrer ersten Fassung erschienenen "Principj di una scien::a nuova d'intorno alla natura delle n.azioni", gemeinhin bekannt als die "Scienza Nuova", dessen einer Aspekt, wie Vico selbst es sieht, nicht zuletzt darin besteht, ein System des natürlichen Rechts der Völker "vom Anbeginn der gentes an" zu liefern (V. F. 437; ähnlich ebd. 440 f.). 13

Anderle 1. c. p. 89, 97.

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Die Storia ideale eterna, zu der Vico auf diesem Wege teils durch intuitive Einsicht, teils durch empirische Erhebung, so gut sie zu seiner Zeit und mit den damaligen Mitteln eben möglich war, kommt, die "ideale", das heißt eben metaphysische Grundgestalt der Geschichte, ihr Paradigma oder Urphänomen gleichsam besteht nach den abschließenden Formulierungen Vicos in einem sich stets wiederholenden Zyklus (corso-ricorso) von drei Zeitaltern: einem Z e i tal t erd erG ö tte r" (Tempo divino oder oscuro), "in dem die heidnischen Menschen glaubten, sie lebten unter göttlicher Herrschaft und alles sei ihnen befohlen durch Orakel", einem "Z e i tal t erd e r Her 0 e n" (Tempo eroice oder favoloso), "in dem diese überall in aristokratischen Republiken herrschten, auf Grund ihrer, wie sie glaubten, von den Plebejern verschiedenen und überlegenen Natur", und einem "Z e i tal t erd e r Me n sc h e n" (Tempo umano oder istorico), "in denen es volksfreie Republiken und später Monarchien gab, die beide humane Regierungsformen sind" (S. N. p. 18). Dem ersten Auftreten dieser Zyklen ging nach der Vorstellung Vicos voran eine Urzeit (primo mondo), von ihm nach 1 Mos. 6 als "Z e i tal t erd erG i g a n t e n" bezeichnet und als ein solches der eigentlichen Menschwerdung im physischen, psychischen und kulturellen Sinn beschrieben: durch die ungezähmten Naturgewalten erschreckt, in denen doch bereits das Wirken des Göttlichen geahnt wird, läßt ein Teil der "Giganten" von seinem wilden Leben in Isolation, Nomadismus, Promiskuität, Rechts- und Religionslosigkeit ab, geht zu Seßhaftigkeit, Bestattung, Anbau, geselligem Leben, Familiengründung und Monogamie, ersten religiösen Vorstellungen und ersten Rechtsformen, kurz zu einem geordneten, vom Blick auf eine Transzendenz beherrschten Dasein über, das sich zunächst in patriarchalischen Zuständen äußert. Der übergang vom prima mondo zum ersten Zyklus der im eigentlichen Sinne "kulturmenschlichen" Geschichte ergibt sich gleichsam von selbst durch eine Weiterentwicklung der patriarchalischen zu feudalen Zuständen mit gleichzeitiger Konkretisierung der religiösen Vorstellungen. Auch die Ablösung des "göttlichen" durch ein "heroisches" und dieses durch ein "humanes" Zeitalter erfolgt nach Vico auf Grund der gleichen inneren Dynamik, wie sie sich aus der Beschaffenheit des Menschen und der Gewalt der äußeren Umstände ergibt unter voller Wahrung des Prinzips der Willens- oder besser Entscheidungsfreiheit (liberum arbitrium), aber letzten Endes doch auf den Willen der göttlichen Vorsehung zurückgehend, die beides, das So-undnicht-anders-Sein des Menschen und jene Umstände eingerichtet hat. Am eindrucksvollsten tritt das zutage, wenn Vico beschreibt, wie das dritte Zeitalter, das des Menschen, notwendigerweise wieder zur Barbarei des prima mondo zurückführt (S. N. p. 224 f.), womit denn auch die Voraussetzung für den Beginn eines neuen Zyklus, eines ricorso, geschaffen wird.

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Spielt das Recht schon als ein zunächst zwar nicht formuliertes, sondern nur faktisches beim übergang vom ur- zum kulturmenschlichen Zustand durch seine ordnenden Funktionen in der Gesellschaft (Ehe, Patriarchat, Asylrecht, Ackergesetze) eine entscheidende Rolle, so wendet ihm Vico in den folgenden Zyklen erst recht seine Aufmerksamkeit zu, stellt es doch in seiner Perspektive neben Religion, Sprache, Verfassung und Sitten einen der wichtigsten Aspekte der Kultur bzw. Manifestationen der Storia ideale eterna dar. Das Recht des Ersten Zeitalters, des Tempo divino, beschreibt Vico als Naturrecht (Diritto Naturale), das heißt seiner Idee und Anlage nach betrachtet, dem Gesamtcharakter des Zeitalters entsprechend als "göttlich", womit gemeint ist, daß die Menschen sich und ihren Besitz als unter den Göttern stehend betrachten, indem die Götter als alles beherrschend und alles bewirkend angesehen werden. Die Rechtsansichten (ragioni), genauer die Ansichten über das, was rechtens sei, werden allein den Göttern zugeschrieben; der Mensch kann, muß aber nicht an ihnen - durch Offenbarung - teilhaben. Eine Vorstellung von einem Recht als solchem ist noch nicht ausgebildet, wohl aber eine Idee von Recht und Unrecht, je nachdem man die Götter dem betreffenden Verhalten geneigt oder abgeneigt findet. "Das Gerechte" wird erblickt in der Solennität göttlicher Zeremonien, woraus sich später dann eine Art Aberglaube an als legitim angesehene Akte ergibt. Dabei sei, meint Vico, "die Vorsehung zu bewundern, die in den frühesten Zeiten, wo die Menschen des Heidentums noch keine Vernunft verstanden, ihnen den Irrtum gestattete, an Stelle der Vernunft der Autorität der Auspizien zu folgen und sich nach diesen vermeintlich göttlichen Ratschlägen zu richten, gemäß dem ewigen Gesetz: daß, wo die Menschen in den menschlichen Dingen die Vernunft nicht sehen, und noch mehr, wo sie im Gegensatz zu ihr stehen, sie sich beruhigen bei den unerforschlichen Ratschlüssen, die sich im Abgrund der göttlichen Vorsehung verbergen" (Weber p.183). So ist es zumindest in den Augen Vicos "zur Zeit der höchsten Wildheit des menschlichen Geschlechts, als die Religion das einzig wirksame Mittel war, sie zu zähmen", auf das Walten der Vorsehung zurückzuführen, "daß die Menschen unter göttlicher Herrschaft lebten und überall heilige, das heißt geheime und der Menge des Volkes verborgene Gesetze herrschten". Diese Verborgenheit gehörte zum Wesen der Familienverfassung einer- und ebendieser Gesetze anderseits, weshalb die letzteren eben unartikuliert, "mit stummer Sprache" bewahrt blieben, die sich "mit geheiligten Feierlichkeiten" ausdrückte. "Solche geheiligten Formen wurden von jenen dumpfen Geistern für ebenso notwendig gehalten, um sich von dem wirksamen Willen des andern hinsichtlich mitzuteilender Vorteile zu überzeugen, wie es jetzt bei unserer natürlichen Intelligenz genügt, sich darüber mit einfachen Worten oder selbst

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mit förmlichen Zeichen zu verständigen" (1. c. 186). Dementsprechend stellte denn auch die Rechtswissenschaft nicht mehr und nicht weniger als eine von Auspizien, Orakeln und Riten beherrschte "Teologia mistica" dar, eine Kunde eher als eine Wissenschaft von der Sprache der Götter und den Weissagungen. Die ganze Jurisprudenz dieses Zeitalters tritt somit nach Vico als eine Art Poetik auf, als eine "severa Poesia", ein "serioso Poema"14. Wer in solchen Zeiten glaubt, ein Unrecht erlitten zu haben, ruft die Götter als Zeugen und Richter an (implorare Deorum fidem, der Akt der Obsekration), worauf der vermeintlich Schuldige verflucht, in feierlichen Gelübden den Furien geweiht - gleichsam exkommuniziert - und anschließend daran, wenn man seiner habhaft werden kann, getötet wird. In Zusammenhang damit betrachtet man auch den Zweikampf noch über das Zeitalter der Götter hinaus als ein Gottesgericht, bei dem der Ausgang einem göttlichen Urteil gleichkommt. Auch die Kriege des Zeitalters beziehen nach Vico von da her ihren gleichsam sakralen Charakter "pro aris et focis"; sie sind im Grunde alle Religionskriege, indem sie als Auseinandersetzungen zwischen den Göttern der beteiligten Gemeinschaften erlebt werden; die Besiegten werden als von ihren Göttern in Stich gelassen, somit als gottlos, religionslos, somit als entkleidet der eigentlichen Menschlichkeit, als rechtlose, jeder beliebigen Behandlung ausgesetzte Bestien oder Gegenstände angesehen (S. N. 187 ff.). Als das grundlegende Prinzip des Rechts - genauer des "natürlichen Rechts" (Diritto Naturale) des Zweiten Zeitalters ("der Heroen") bestimmt Vico, der feudalen Struktur der Gesellschaft entsprechend, die civilis aequitas, die bürgerliche Billigkeit, wobei die römische Zwölftafelgesetzgebung Modell steht. Da der Staat nichts anderes als die Gesamtheit der patrizischen "Familienmonarchien" darstellt, das öffentliche Interesse - die Ragion di Stato - also identisch mit der Gesamtheit der Einzelinteressen der Adelsgeschlechter ist, kann der Satz "Suprema lex populi salus esto"15 gelten und allgemeine Anerkennung finden. "In den heroischen Zeiten, in denen die Staaten aristokratisch waren, hatte nämlich ein jeder der Heroen" (d. h. der Adelshäupter; d. Vf.) "persönlich bedeutenden Anteil an dem öffentlichen Nutzen, denn er bestand in der Erhaltung ihrer Familienmonarchien durch das Vaterland, die patria; und wegen dieses großen besonderen Interesses, das ihnen der Staat verbürgte, stellten sie natürlicherweise die geringeren Privatinteressen zurück; weshalb sie naturgemäß sowohl das öffentliche Wohl, welches das Wohl des Staates ist, großmütig verteidigten, als auch in Staatsangelegenheiten weisen Rat erteilten. Dies", fügt Vico auch hier 14 S.N.M. 552, Au. 207, bezogen auf das altrömische Recht. Vgl. Dante Severgnini, 11 serioso poema. 15 Cicero, De Legibus 111,3, zit. S.N.W. 184.

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erläuternd hinzu, "war ein hoher Ratschluß der göttlichen Vorsehung, weil die kyklopischen Väter" (patres, Patriarchen; d. Vf.) "nicht anders aus ihrem wilden Urwaldleben zur Gesellschaftsbildung geführt werden konnten als durch ein so bedeutendes privates Interesse, das sich mit dem öffentlichen vereinte" (1. c.). - Dieses Recht ist ein nur durch die Religion gezügeltes Gewaltrecht der Patrizier bzw. Adeligen gegenüber den Plebejern bzw. Hörigen, ein Recht der Stärkeren gegenüber den Schwächeren, kommt deshalb auch nur den "Heroen", d. h. den Adeligen und Freien zu. Der abhängige Unfreie bzw. Hörige ist minderen Rechts, im Rechtsraum gleichsam großmütig und auf Widerruf geduldet, während der Fremde, der Besiegte und der Sklave (dieser als Sache) eo ipso rechtlos ist l6 • Das gleiche Recht kennt auch keine Gesetze gegen Privatunbilden und Beleidigungen der Edlen selbst; diese mochten mit Gewalt der Waffen zusehen, wie sie zu dem Ihrigen kamen; im übrigen sind der Zweikampf, das Gottesurteil und der "heilige" Krieg im Namen der Götter die vom Ersten Zeitalter her herrschenden Rechtssitten. - Aus der Identifikation des privaten mit dem öffentlichen Interesse ergibt sich nach Vico auch die besondere Strenge dieses Rechts, seine konsequente, erbarmungslose Anwendung und die Grausamkeit der Strafen. Im übrigen, meint Vico, sei es bezeichnend, daß es in diesem Zeitalter als eine Sache für Kenner angesehen und im übrigen geheimgehalten werde, wie das ursprünglich mit dem Zwölftafelgesetz (als ius latens) der Fall war; denn das, was zur Erhaltung des menschlichen Geschlechts notwendig ist, sei (nach Ulpian) "nicht jedem Menschen von Natur bekannt, sondern nur wenigen erfahrenen Staatskundigen" , wie sie "naturgemäß" in den "heroischen Senaten" von der Art des republikanisch-römischen versammelt waren (S. N. W. p. 183). Nach wie vor spielt die exakte Beobachtung der Rechtsformeln eine entscheidende Rolle. Das Recht wird dadurch zu einer religio verborum (1. c. p. 190), wiederum nach dem Willen der Vorsehung, die, um zu verhindern, daß die Menschen mit den ungezügelten Temperamenten und Leidenschaften jener Zeiten sich in Streit und Mord aufrieben, dafür sorgte, daß sie für ihr Recht jeweils gerade so viel hielten, "wie mit feierlichen Wortformeln ausgedrückt sei" (ebd., mit Hinweis auf das altrömische Cautelieren, den Schutz der Rechtsheischenden durch Formeln). Auch sonst betont Vico die vom Ersten Zeitalter her sich behauptende enge Verbindung des Rechts mit der Religion bzw. die sakrale Note, die das erstere auch jetzt noch, wenn auch in langsamer Abschwächung, beibehält; es spiegelt dies wohl die Tatsache, daß Vico 16 Weshalb denn auch die Ungastlichkeit nach Vico ein notwendiger Wesenszug aller "heroischen" Völker ist und der Raub - auch und insbesondere der Seeraub - von ihnen als ein natürlicher Brauch ausgeübt wird. S.N.W. 136 f.

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bei der schroffen Trennung eines "Zeitalters der Götter" von einem .,Zeitalter der Heroen", wie sie sein Paradigma stipuliert, doch mitunter Bedenken hat, ob sie mit der geschichtlichen Wirklichkeit immer in Einklang zu bringen sei. Als das Prinzip (ragione) des (natürlichen) Rechts des Dritten Zeitalters, desjenigen des Menschen, bestimmt Vico in übereinstimmung mit dem Grundcharakter des letzteren als eines "humanen", "bürgerlichen" oder "gesittigten" die ratio oder aequitas naturalis, die natürliche Billigkeit, diejenige, auf die jeder Mensch als Individuum "vernünftigerweise" Anspruch hat (1. c. p. 185). Auf Grund dieses Prinzips wird das Recht nun konzipiert als ein fas naturae, als "das unveränderliche Recht der vernünftigen menschlichen Gesittung, welche die wahre und eigentliche Natur des Menschen ist" (ebd. p. 192). "Menschlich" ist dieses Recht wie das ganze Zeitalter, dem es entspringt, insofern es von der voll entwickelten menschlichen Vernunft diktiert und auf den gleichen Vorteil der Streitteile gerichtet ist, so daß "jeder zu dem Seinen", d. h. zu dem kommt, worauf er als menschliches Individuum vernünftiger- und billigerweise Anspruch machen kann. Dementsprechend ist auch die Rechtsprechung "human", das heißt sie sieht auf die "Wahrheit der Fakten" einer- und auf das Bedürfnis der Rechtsheischenden andererseits und ordnet das Gesetz, indem sie sich "nicht an das Gewisse, sondern an das Wahre" hält, der "Billigkeit der Sachen" unter (1. c. p. 709). Dem gleichen Geiste folgend sind auch die Strafen in diesem Zeitalter mild, denn jetzt "gebietet die Menge, die, weil sie aus Schwachen besteht, naturgemäß zum Mitleid geneigt ist" (1. c. p. 204). "Alles in allem", heißt es zusammenfassend am Ende des Vierten Buches der "Neuen Wissenschaft", "begann das Gewisse in bezug auf die Gerechtigkeit in den stummen Zeiten mit dem Körper; dann, als die sogenannten artikulierten Sprachen gefunden waren, ging es über auf die gewissen Ideen oder Formeln aus Worten; endlich, als sich unsere menschliche Vernunft ganz entwickelt hatte, endete es in dem Wahren der Ideen über das Gerechte, die von der Vernunft bestimmt werden nach den jeweiligen Tatumständen" (S. N. p. 210). Jedoch es bleibt nicht bei diesem vernunftbeherrschten Gleichgewicht, weder in den Gesellschaftskörpern noch im Recht. "Die Menschen wünschen zunächst sich der Unterwerfung zu entziehen und sehnen sich nach Gleichheit: so verhalten sich die Plebejer in den aristokratischen Republiken" (des Zweiten Zeitalters), "die schließlich" (im Dritten Zeitalter) "zu volks freien werden; dann streben sie, ihresgleichen zu überflügeln: so verhalten sich die Plebejer in den volksfreien Republiken (Repubbliche popoLari), die auf diese Art zu Republiken der Machthaber (Repubbliche di Potenti) , verdorben werden - schließlich wollen sie die Gesetze sich unterwerfen: das ist die Anarchie oder zügellose Volksrepublik, die schlimmste Tyran-

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nei, die es gibt, wo so viele Tyrannen sind, wie tollkühne und entartete Menschen im Gemeinwesen sich finden" (S. N., Axiom 95, p.44). Da der Weg zu den Ehrenrechten und Ämtern "in den Volksrepubliken dem habgierigen Pöbel, der in ihnen herrscht, gesetzlich offensteht, so bleibt im Frieden nichts übrig, als um die Macht zu kämpfen, ... und die Macht dazu zu gebrauchen, Gesetze zur Bereicherung zu geben, ... woraus zugleich Bürgerkriege im Innern und ungerechte Kriege nach außen entstehen (ebd., Axiom 93, mit Hinweis auf die Agrargesetze der Gracchen). Das Recht wird damit einerseits zu einem Kampfobjekt, andererseits zu einem Machtinstrument. Das schafft die psychologische und soziologische Voraussetzung für den Cäsarismus (bei Vico einfach, aber irreführend als "Monarchie" bezeichnet), denn das Elend, in das die Massen durch diese Entwicklung kommen, wird bald so groß, daß diese es vorziehen, sich der sei es auch willkürlichen Herrschaft eines einzelnen zu unterwerfen, als die Anarchie totaler Rechtlosigkeit zu ertragen (ebd., Axiom 96, p. 45). Um nämlich den Anhang der Massen zu haben, müssen die "Monarchen" (recte die Cäsaren) "volkstümlich" regieren; das heißt, alle Untertanen werden durch die Gesetze gleichgestellt und vor der Bedrückung durch Mächtige geschützt, ihr Lebensunterhalt wird gesichert, ihre natürliche Freiheit geschützt, sie können sich ungehindert um ihre privaten Angelegenheiten kümmern, lediglich die öffentlichen sind ihnen nur soweit zugänglich, als der Monarch oder Tyrann es gestattet. Da die Menschen auf dieser Stufe aber im allgemeinen gar nicht mehr wollen, als ihren Frieden zu haben und in Ruhe gelassen zu werden, finden sie sich mit diesem Zustand ab, vor allem solange die Schrecken des vorangegangenen Bürgerkriegszeitalters noch einigermaßen in Erinnerung sind. Darum, findet Vico, sind denn auch die Monarchien "am geeignetsten für die menschliche Natur, wenn deren Vernunft ganz entwickelt ist" (S. N. p. 202). Das Recht der "Monarchien" bzw. der cäsarischen Imperien der Dritten Zeitalter ist demnach nach wie vor das humane und vernunftgemäße der aequitas naturalis, nur daß seine Wahrung jetzt in die Hände des Despoten gelegt ist, von dessen Willkür und Einsicht seine Handhabung abhängt. Das ist jedoch, um es zu wiederholen, weniger bedenklich, als es klingt, weil es, wie Vico ausdrücklich betont, im eigensten Interesse dieser Machthaber liegt, "human" zu erscheinen, das heißt ihrer Herrschaft einen sowohl vernunftgemäßen als auch billigen Anstrich zu geben. Nichtsdestoweniger ist wie jedes einmal erreichte Gleichgewicht der Geschichte auch dieses ein labiles, prekäres und vorübergehendes, denn der Mensch ist seiner Natur nach schwach, den Leidenschaften unterworfen und in allem seinem eigenen freien Willen preisgegeben, der ihn - vorübergehend, denn letzten Endes lenkt die göttliche Vorsehung

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doch alles zum Guten - ebensowohl in die Irre wie zum Heil führen kann. "Die Schwachen wollen Gesetze; die Starken weisen sie zurück; die Ehrgeizigen, um sich eine Gefolgschaft zu schaffen, fördern sie; die Fürsten, um die Starken mit den Schwachen gleichzustellen, beschützen sie" (S. N., Axiom 92, p. 43). So brechen die Gegensätze früher oder später erneut auf und es tritt derjenige Zustand ein, den Vico die Zweite Barbarei (barbaria seconda) oder die "Barbarei der Reflexion" nenntder Zustand, in dem die Völker "nach der Art wilder Tiere sich daran gewöhnt haben, an nichts anderes zu denken als an den besonderen Vorteil eines jeden, und in ihrer äußersten Verwöhnung oder vielmehr Hoffart wie wilde Tiere, wenn sie sich über ein Haar ärgern, sich empören und wild werden; so daß sie bei größter Pflege und Fülle der Leiber mit tierischer Verkommenheit in vollständiger Vereinsamung des Gemüts und des Willens leben, da kaum zwei miteinander sich verständigen können, indem jeder seinem eigenen Gefallen und seiner Laune folgt 17 da sie infolgedessen in ewigen Parteikämpfen und verzweifelten Bürgerkriegen die Städte zu Wäldern, die Wälder zu Menschenhöhlen machen -, so verrosten im Laufe langer barbarischer Jahrhunderte die schlechtgearteten Spitzfindigkeiten der bösen Verstandeskräfte, die sie durch die Barbarei der Reflexion zu unmenschlicheren Tieren gemacht hatten, als sie es vorher gewesen waren in der ersten Barbarei des sinnlichen Daseins. Denn diese zeigte eine großmütige Roheit, vor der ein anderer sich verteidigen oder entfliehen oder sich hüten konnte; doch jene zielt mit einer niedrigen Roheit zwischen Schmeicheleien und Umarmungen nach dem Leben und den Gütern von Vertrauten und Freunden ... " (S. N., "Beschluß des Werkes", p. 224 f.). In der Zweiten Barbarei kehrt die Erste Barbarei des Primo mondo wieder, und mit ihr die gänzliche Rechtlosigkeit der "Giganten", die Preisgabe an das Faustrecht des momentan Stärkeren. Jedoch es ist schon gesagt worden, daß Vico gerade darin die Voraussetzung für das Einsetzen eines neuen Zyklus und damit auch für eine Wiederholung der Rechtsentwicklung von einem "göttlichen" zu einem "heroischen" und weiter zu einem "humanen" Recht sieht. Denn auch die "Barbarei der Reflexion" ist kein Dauerzustand und kann es nicht sein, denn es "verlieren die Völker von solch reflektierter Bösartigkeit, abgestumpft und verblödet durch jenes letzte Heilmittel, das die Vorsehung anwendet, schließlich das Gefühl für die Annehmlichkeiten, Verfeinerungen, Vergnügen und Luxus und empfinden nur noch die notwendigsten Dinge des Lebens; bei der geringen Zahl der überlebenden und der Fülle des zum Leben Notwendigen werden sie auf natürliche Art wieder anständig; durch die wiedergekehrte ursprüngliche Einfachheit der frühesten Welt der Völker werden sie fromm, wahrhaft und treu; so kehren unter sie zurück Frömmigkeit, 17

Wer denkt da nicht an Riesmans "Lonely Crowd"! (s. Bibliographie)!

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Treue, Wahrheit, die natürliche Grundlagen der Gerechtigkeit sind und Gnaden und Schönheiten der ewigen Ordnung Gottes" (ebd.). Als Beispiele erfolgter Realisierungen seines Paradigmas, der "Storia ideale eterna", nennt Vico die Geschichte der Römer und Griechen, der alten Ägypter, der "Chaldäer", der Inder, der Chinesen, am Rande auch die der Indianer der Neuen Welt, schließlich - als noch in Gang befindlich - die des "Mondo moderno" der germanisch-romanischen Völker des Abendlandes, nach seiner Ausdrucksweise alles "popo li " und "nazioni". Der Inhalt dieser Liste einerseits, die Gestalt des Paradigmas andererseits zeigen aber, vor allem wenn man die Ansätze der neueren Zivilisationologie zum Vergleich heranzieht, daß das, was Vico mit diesen "popo li e nazioni" und ihrer Storia ideale eterna im Auge hatte, de facto die Altmediterrane, Altägyptische, Altmesopotamische, Indische, Chinesische, Altmittelamerikanische, Altperuanische und Westeuropäisch-Amerikanische (Abendländische) Hochkultur ganz in dem Sinne war, den wir heute mit diesen Bezeichnungen verbinden. Demgemäß entspricht denn auch sein Paradigma weitgehend den modernen Vorstellungen vom Ablauf einer Hochkultur. Im "Zweiten Zeitalter" läßt sich mühelos die "Frühzeit", im "Dritten Zeitalter" in etwa die "Spätzeit" der gegenwärtig üblichen Einteilung erkennen. Das "Erste Zeitalter" Vicos verbindet allerdings Züge der "Frühzeit" mit solchen der "Vorzeit" der modernen Terminologie, was übrigens Vico, wie bereits erwähnt, selbst mitunter etwas unsicher gemacht hat; in ähnlicher Weise umschließt sein "Drittes Zeitalter" außer der "Spätzeit" auch zur Gänze und völlig eindeutig diejenige Phase des Hochkulturprozesses, die wir heute als "Ausgangszeit" bezeichnen. Von diesen nicht sehr gewichtigen, weil mehr die Terminologie betreffenden diachronistischen Korrekturen abgesehen hat Vico jedoch ein durchaus brauchbares, auch heute noch gültiges Bild von der typischen Verlaufsgestalt des Hochkulturprozesses gegeben. Er hat den letzteren kunstgerecht und modernsten Ansprüchen genügend "morphologisch" behandelt und dabei auch die mit dieser Betrachtungsweise notwendig verbundenen ganzheitstheoretischen Gesichtspunkte berücksichtigt, ja sogar die ontologisch-realistischen Konsequenzen finden sich bei ihm mit bemerkenswerter Eindeutigkeit gezogen18 • Indem er in diesem Rahmen das Recht als eine der wichtigsten Manifestationen des Hochkulturprozesses behandelt hat, ist er auch zu einer Morphologie der Rechtsgeschichte vorgestoßen. Seine Schilderung der seinen drei "Zeitaltern" entsprechenden Abfolge dreier fundamentaler, dem Wesen dieser Zeitalter entsprechenden Rechtstypen umreißt nicht mehr und nicht weniger als die Verlaufsgestalt der Rechtsentwicklung innerhalb einer Hochkultur, ihre als substanziell fundierende Idee 18

Zu diesem Gesichtspunkt s. speziell Anderle 1956 sowie 1968. cu. d.

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aufzufassende J.to(>qJij; insofern hat Vico in der Tat Grundlegendes und Bahnbrechendes über das Recht in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen sowie ipso facta über die morphologische Interpretation des Rechtes selbst, die ja eine Morphologie der Hochkulturen zur Voraussetzung hat, deponiert. VI. Als zweites Beispiel einer systematisch durchgeführten Betrachtung des Rechts in der morphologischen Interpretation der Hochkulturen bietet sich dasjenige Oswald Spenglers 19 in seinem "Untergang des Abendlandes" an. Spengler ist der Hochkulturmorphologe Mt' e1;ox,ijv; kein Zivilisationologe vor oder - bisher - nach ihm hat die morphologische Betrachtungsweise in Hinblick auf die Hochkulturen so konsequent, einleuchtend und ertragreich durchgeführt wie er, keines Ansätze haben sich auch alles in allem genommen - so bewährt wie die seinen. Zwar hat es eine Zeitlang geschienen, als würde der naive Widerspruch gegen das, was man an seiner Kulturtheorie als pessimistisch, deterministisch und fatalistisch empfand, hinreichen, ihm eine weitergehende Wirkung zu nehmen; auch die organisistisch-biologistische, fälschlich als "naturalistisch" bezeichnete Fassung, die er dem holistischen Aspekt der ersteren leider gab ("Kulturen sind Organismen"; 1,139), ist ihm dadurch, daß sie allzu wörtlich genommen wurde - zweifellos wollte Spengler nur zum Ausdruck bringen, daß er in den Hochkulturen ideenbestimmte transsummative Abläufe sah, wie es unter anderem die Organismen sind -, sehr im Wege gestanden20 • In dem Maße jedoch, in dem von seinen mehr oder weniger qualifizierten Nachfolgern auf dem Gebiet der Hochkulturforschung - einem A. Weber, P. A. Sorokin, A. J. Toynbee, R. Coulborn, Ph. Bagby u. a. 21 - versucht wurde, ihn zu "überwinden" und seine Theorie durch eine bessere zu ersetzen, traten die Vorzüge der ersteren hervor. Gerade der mit dem größten Aufwand an Gelehrsamkeit in Angriff genommene, am weitesten gediehene und in seiner Art gewiß bewunderungswürdige Ansatz, Spengler endgültig zu entthronen und ad absurdum zu führen, derjenige Arnold J. Toynbees in dem zwölfbändigen Riesenwerk "A Study of History" (1934-1961)22, hat durch den Widerspruch, den er seinerseits - diesmal vorwiegend in der wissen19 20 21 22

Ad Speng~er s. Bibliographie! Zur Speng~er-Kritik vgl. speziell Manfred Schroeter (s. Bibliographie)! s. Bibliographie! Ad Toynbee s. Bibliographie!

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schaftlichen Welt - herausforderte23 , zu Spengler zurückgeführt. Indem man die Positionen der beiden miteinander verglich, über die Einkleidung hinweg zu ihren eigentlichen Intentionen vordrang und auch auf ihre Argumente näher einging, wurde man dessen gewahr, daß diejenigen Spenglers doch wesentlich mehr für sich hatten als diejenigen Toynbees. Noch wirksamer war es, daß man sich bei verschiedenen Versuchen, ohne Rücksichtnahme auf ältere Ansätze eine streng wissenschaftliche Zivilisationologie gleichsam ab ovo oder wenn schon mit einem Rückhalt, so etwa mit dem der Anthropologie aufzuziehen, unversehens inmitten Spenglerscher Gedankengänge und Vorstellungen befand, wofür als Beispiele nur R. Coulborn, Ph. Bagby, R. W. Wescott, M. Melkobezeichnenderweise alle aus der Schule des Anthropologen A. L. Kroeber - genannt seien24 • Als Ergebnis dieser Entwicklung stehen die Dinge heute so, daß die moderne Zivilisationologie, wie sie vor allem durch die eben genannte US-amerikanische Forschergruppe repräsentiert wird, Spengler weitaus näher steht als Toynbee, ja daß der erstere durch die Ergebnisse dieser Forschungen in fast allen seinen Positionen bestätigt erscheint 25 • In erster Linie gilt dies für sein Paradigma des Hochkulturprozesses selbst mit der Gliederung in eine Vor-, Früh-, Spät- und Ausgangszeit, aber auch für den jedem solchen Paradigma inhärenten morphologischen Determinismus, für die ganzheitstheoretischen Konsequenzen, die physiognomischen Aspekte, die integralistische Behandlung des Kultur-"Consensus" und anderes mehr; selbst auf die von Spengler identifizierten neun Hochkulturexemplare ist man zurückgekommen, wohlgemerkt mit Einschluß der seinerzeit mit soviel Ablehnung bedachten "Magischen" oder "Arabischen", heute vorwiegend als "Orientalisch" bezeichneten Hochkultur26 , nur daß man, den archäologischen Entdeckungen des letzten halben Jahrhunderts entsprechend, heute noch die Induszivilisation hinzu rechnet und der Minoischen Zivilisation, die Spengler nur als eine "Mondlichtzivilisation" der Ägyptischen Hochkultur betrachtet wissen wollte, eher den Status einer selbständigen Hochkultur zubilligen möchte 27 • Keinen Fortschritt hat es dagegen gegeben beziehungsweise zu keiner Rehabilitation ist es gekommen auf dem Gebiet des von Spengler mit ebensoviel Mut wie Nachdruck, freilich aber auch mit anstoßerregenden Formulierungen vertretenen ontologischen Realismus, demjenigen Punkt, an dem die innere Verwandts. speziell Anderle 1958 b. Ad Coulborn, Bagby, Wescott, Melko, Kroeber s. Bibliographie. 25 Es gilt dies vor allem für die Ansätze Ph. Bagbys, der Spengler näher kommt als irgendein anderer. 26 Bagby 1958, p.167; B. spricht von einer "Near-Eastern Civilization", meint aber genau denselben Komplex wie Spengler mit seiner "Magischen Kultur". 27 So spez. Fritz Schachermeyr 1964 (s. BibI. !). 23

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schaft Spenglers mit Vi co am deutlichsten hervortritt (Hochkulturen als "Organismen", die Existenz von Kultur"seelen", die "Idee" einer Hochkultur als das substanzhaft vor- und aufgegebene "Mögliche" gegenüber dem "Wirklichen" ihrer Ver-wirklichung). Das kann aber angesichts der nominalistisch-positivistischen Grundstimmung des Zeitgeistes, wie sie ja vor allem auch in der Wissenschaft festzustellen ist, nicht verwundern; die Zeit ist dafür eben noch nicht reif28 • Auf der anderen Seite handelt es sich dabei um Konsequenzen, die sich zwar aus der Auffassung der Hochkulturen als ganzheitlicher Prozesse geradezu zwangsläufig ergeben, die aber in der praktischen Arbeit nicht unbedingt gezogen werden müssen, indem man sie als allzuheiße Eisen einstweilen links liegen lassen kann. Jedenfalls scheint dies der unausgesprochene, aber de facto praktizierte Standpunkt der derzeitigen Zivilisationologie zu sein. Der morphologischen Behandlung der Hochkulturen tut dies zumindest auf der Ebene, auf der sie sich derzeit abspielt - der phänomenologischen keinen Abbruch; selbst der ganzheitstheoretische Gesichtspunkt kann ohne Behinderung durchgeführt werden. Die Einzelheiten der Hochkulturtheorie Spenglers mit ihrer Lehre von der jeweiligen im Laufe des Hochkulturprozesses sich realisierenden Kulturidee, dem Consensus der einzelnen kulturellen Manifestationen, deren Ausdrucksfunktion und der holistisch determinierten Abfolge einer Vor-, Früh-, Spät- und Ausgangszeit sind gewiß zu allgemein bekannt, als daß es notwendig wäre, hier näher auf sie einzugehen. Wie bei Vico spielt auch bei Spengler die Vorstellung einer inneren Einheit des kulturellen Spektrums eine entscheidende Rolle. Indem jeder Bereich, jede Facette dieses Spektrums die der betreffenden Hochkultur zugrundeliegende, im "Ursymbol" zur Anschauung kommende Idee mit seinen Mitteln zum Ausdruck bringt, ist alles Spiegel - des anderen einer-, des Ganzen andererseits. Das gilt denn auch für das Recht, dem Spengler ähnlich wie Vico, nur aus anderen, in bestimmten Problemlagen wurzelnden, mehr taktischen Gründen ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Wie für Vico, der Spengler seltsamerweise gänzlich unbekannt geblieben ist und den er in seinem ganzen Oeuvre kein einzigesmal auch nur im Vorübergehen nennt, stellt das Recht so wie die Religion, das Geistesleben, die Kunst, die Politik, die Wirtschaft, die Formenwelt der sozialen Organisation für Spengler einen der Aspekte dar, in denen eine Hochkultur sich entfaltet, und zwar keinen ihrer geringsten. Auch für Spengler kommt im Recht wie in allen anderen Facetten des kulturellen Spektrums primär die Idee der betreffenden Hochkultur zum Ausdruck, auch für ihn spiegelt das Recht und alles, was mit ihm zusammenhängt 28

Zu diesem Punkt s. spez. Anderle 1957 b!

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die Rechtstheorie und die Rechtswissenschaft, die Art der Rechtsprechung und die Gesamtheit der Rechtsbräuche, die Gerichte, die Strafen und die Vorstellungen von Schuld und Sühne - den Geist des jeweiligen Zeitalters, auch für ihn besteht die enge Verflechtung des Rechts mit allen anderen Sparten der Kultur und auch für ihn ist es ebenso notwendig, das Ganze des jeweiligen Hochkulturprozesses ins Auge zu fassen, um das Recht oder eine bestimmte Ausprägung desselben zu verstehen, wie das Recht und seine konkreten Formen, um ein vollständiges Bild der betreffenden Hochkultur zu gewinnen. In diesem Sinne wird denn auch bei Spengler das Recht Gegenstand einer morphologischen Interpretation der Hochkulturen im ganzen, zu Nutz und Frommen beider, denn vom Recht fällt Licht auf die jeweilige Hochkultur, und diese liefert Aufschlüsse über das Recht, die sich aus diesem allein niemals gewinnen lassen. Für Spengler kommt im Recht "die gewollte Form des Daseins" zum Ausdruck, "gleichviel ob sie" - im Gewohnheitsrecht - "gefühlsmäßig und triebhaft anerkannt oder - als "Gesetz" - "durch Nachdenken abgezogen, vertieft und in ein System gebracht worden ist" (UdA II,447). Er stellt es damit der Sitte als der unwillkürlichen, unbewußten Form des Daseins gegenüber, die unbeabsichtigt "aus dessen Takt und Gang entsteht", aber jederzeit zu Recht (oder Gesetz) werden kann, indem sie "mit Absicht gesetzt und zur Anerkennung gebracht wird" (1. c.). Es liegt nach Spengler im Wesen des Rechts als einer Setzung, daß es ein Subjekt und ein Objekt, einen Geber und einen Empfänger voraussetzt. Damit wird jede Rechtssetzung Ausdruck von Macht, setzt sie Macht voraus (II,447 f.). Im Reich der Tatsachen gibt es nur ein Recht, das Recht des Stärkeren, dem sich der Schwächere zu beugen hat. Im "Reiche der Wahrheit" - "das nicht von dieser Welt ist" -, in dem der "priesterlichen und ideologischen Moral" und ihrer Systeme von Gut und Böse, ihrer Unterscheidung von Recht und Unrecht wird dies freilich nicht anerkannt, doch ändert das nichts an der Tatsache, daß es sich in der geschichtlichen Wirklichkeit so verhält, "Ein abstraktes Ideal von Gerechtigkeit geht durch die Köpfe und Schriften aller Menschen, deren Geist edel und stark und deren Blut schwach ist, durch alle Religionen, durch alle Philosophien, aber die Tatsachenwelt der Geschichte kennt nur den Erfolg, der das Recht des Stärkeren zum Recht aller macht. Sie geht erbarmungslos über die Ideale hin, und wenn je ein Mensch oder Volk auf die Macht der Stunde verzichtet hat, um gerecht zu sein, so war ihm wohl der theoretische Ruhm in jener zweiten Welt der Gedanken und Wahrheiten gewiß, aber auch der Augenblick, wo er einer anderen Lebensmacht erlag, die sich besser auf Wirklichkeiten verstand als er" (II,448). Das klingt zynisch, jedoch der Zynismus Spenglers ist nur ein scheinbarer, durch die Ungewöhnlichkeit des Aspektes hervorgerufen.

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In Wirklichkeit geht es Spengler ja darum, den Zusammenhang des Rechts mit der Politik und damit mit den Gestaltwandlungen der Gesellschaft aufzuzeigen, die stets auch mit Verschiebungen der Macht verbunden sind beziehungsweise in solchen zum Ausdruck kommen. Das Recht stellt sich in dieser Perspektive als ein Spiegel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und weiterhin der Gesellschaft als solcher dar, zunächst derjenigen der jeweiligen soziologischen Einheit unterster Stufe wie der Familie, des Stammes, des Standes, der Innung, der Gemeinde usf., sodann des Volkes, weiter der Völkerbünde, schließlich der Hochkulturen. Letzten Endes ist jedes Recht, was immer auch seine Funktion und auf welchem Wege immer es zur Geltung gekommen sei, Träger der Symbolik der ihm entsprechenden Kultur, deren Weltgefühl es in seinen Grundbegriffen verkörpert, und bezieht von daher seine Würde. So bilden denn auch die Rechtssysteme jeder Hochkultur zusammengehörige Gruppen, deren sich so viele unterscheiden lassen, als es Hochkulturen gibt, und deren jede von einem ganz bestimmten, einmaligen und in keinem anderen Recht wiederkehrenden Stil geprägt ist, eben dem Stil der betreffenden Hochkultur (II,69 ff.). Auf die Rechtssysteme dreier Hochkulturen läßt sich Spengler näher ein: auf das der Altmediterranen (Griechisch-Römischen, bei ihm "Apollinischen"), der Jungorientalischen (bei ihm "Magischen" oder "Arabischen") und der Westeuropäisch-Amerikanischen (bei ihm "Abendländischen" oder "Faustischen") Hochkultur. Als das "Ursymbol" der Altmediterranen Hochkultur bestimmt Spengler den "nahen, fest umgrenzten, in sich geschlossenen Körper" (1,226), wie er den eigentlichen Gegenstand der euklidischen Geometrie darstellt und im Pteripteros-Tempel klassisch zur Anschauung gebracht wird. Für das antike Weltgefühl war - nach Spengler - der einzelne Körper das Sein. "Folgerichtig empfand man dessen im Licht sich darbietende Gestalt als das Wesenhafte, als den eigentlichen Sinn des Wortes ,Sein'. Was nicht Gestalt hat, ist überhaupt nicht" (1,508), Chaos, '"Co !!E ÖV, o.1tELQOV, uQXtl, Unform, etwas, das erst durch die Annahme einer (sinnlich greifbaren) Gestalt im eigentlichen Sinn ins Dasein treten kann. Dementsprechend ist die Altmediterrane Hochkultur die Hochkultur der sinnlichen Nähe, des Kleinen, Nahen und Greifbaren geworden (1,111). Das antike Weltgefühl kennt keinen Horizont, keine Perspektiven, keine Fernen, weder im zeitlichen, noch im räumlichen, noch im übertragenen, seelischen Sinn; es kennt nur Vordergrund und "euklidische Vereinzelung" (1,190). Die antike Seele ist "ahistorisch angelegt" (1,13, 171). Der antike Mensch hat kein ,Gedächtnis', keinen Sinn für Vergangenes und Künftiges. Die Dimension, in der sich das antike Welterleben so gut wie ausschließlich abspielt, ist das "Jetzt und Hier", die "reine Gegenwart". "Das antike Dasein, euklidisch, beziehungslos, punktförmig, war im 4 Festschrift KUchenhoff

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gegenwärtigen Moment völlig beschlossen. Nichts sollte an Vergangenes und Zukünftiges mahnen" (1,171 f.). Der antike Mensch "woHte keine Geschichte, keine Dauer, weder Vergangenheit noch Zukunft, weder Sorge noch Auflösung" (1,174 f.); er empfand sich mit dem, was er selbst an sich als wesentlich ansah, als Körper unter Körpern. Die Seele ist für ihn nichts als die Form des Leibes, der Leib selbst aber der vollkommenste Ausdruck des menschlichen Seins. Dieses Menschentum kannte kein ,Innenleben'. Worauf es bei ihm ankam, war nicht der Charakter - "das grundsätzlich Gleichbleibende in der Auswirkung des Lebens", sondern die Haltung, die Geste. Jede antike Ethik, stellt Spengler fest, ist eine Ethik der Haltung (1,439), so wie denn auch alle antike Moral durchaus statisch, "unimperativisch" ist (1,403). Ihr Ideal ist das Pathos schlechthin - von n:UOXELV, ertragen - , pleonastisch ausgedrückt das Pathos des Ertragens, des Hinnehmens - dessen, was die d!1u(I!1EV'I'J dem einzelnen zuteilt. Dementsprechend ist denn auch das antike Recht - im Grundsätzlich-Morphologischen unterscheidet Spengler nicht zwischen dem römischen und dem griechischen Recht, sondern er betrachtet das erstere einfach als eine Fortbildung des letzteren29 "ein Recht der Körper" (Il,78) auf der einen, "ein Recht des Tages, ja des Augenblicks" auf der anderen Seite (Il,71). Es kennt keine anderen als körperliche Personen und körperliche Sachen, zwischen denen es "als eine eu k lid i s c h e M a t h e m a t i k des ö f f e n t li c h e n Leb e n s" (Il, 78; Vf. die Beziehungen feststellt. "Das Rechtsdenken ist dem mathematischen am nächsten verwandt. Beide wollen von den optisch gegebenen Fällen das Sinnlich-Zufällige absondern, um das Gedanklich-Prinzipielle zu finden ... Da das antike Leben in der Gestalt, wie es sich dem antiken kritischen Wachsein darstellt, durchaus euklidische Züge besitzt, so entsteht ein Bild von Körpern, von Lageverhältnissen zwischen ihnen und von wechselseitigen Einwirkungen durch Stoß und Gegenstoß wie bei den Atomen Demokrits. Es ist eine juristische Statik" (I. c.). - Als ein "Recht des Augenblicks" wird das antike Recht stets ad hoc - in jedem einzelnen Fall für diesen Fall - geschaffen. Es hört mit dessen Erledigung auf, Recht zu sein - "seine Geltung auch für künftige Anlässe würden dem antiken Gegenwartssinnn widersprechen" (Il,72). Die Tatsache, daß es in der Altmediterranen Hochkultur doch trotzdem, und zwar sehr umfangreiche und bedeutsame Rechtskodifikationen gegeben hat, die von geschulten Juristen zusammengestellt und für eine dauernde 29 "Es gibt ein falsches Bild, wenn man griechisches und römisches Recht wie zwei Größen gleicher Ordnung gegenüberstellt. Das römische Recht ist in seiner ganzen Entwicklung ein einzelnes Stadtrecht unter vielen Hunderten gewesen, und ein griechisches Recht als Einheit hat es nie gegeben ... Nur weil Rom dahin gelangte, als einzelne Stadt das antike Imperium zu beherrschen ... , ist das römische Recht, nicht durch seine innere überlegenheit, sondern zuerst durch den politischen Erfolg und dann durch den Alleinbesitz der praktischen Erfahrung großen Stils an die Spitze getreten." (H, 70 f.)

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Geltung gedacht waren, erklärt Spengler damit, daß sich eben im Laufe der Zeit - dies ist vor allem in Hinblick auf Rom gesagt - erfahrungsgemäß ein Bestand von Sätzen herausbildete, der sich gleichsam zwangsläufig aus der Natur der immer wiederkehrenden Sachlagen ergab, "nicht weil man ihnen Gewalt für die Zukunft verliehen hat", sondern weil dieser Bestand "gewissermaßen immer aufs neue erzeugt wird" (II,72). Dieses Recht tritt somit als "die Summe dieser Sätze" auf, "kein System, sondern eine Sammlung" (ebd., mit speziellem Bezug auf die spätere Ediktalgesetzgebung der Prätoren)30. "Die echt antike Form, in welcher der Gesetzesstoff sich langsam sammelt, ist also eine fast von selbst erfolgende Summation der einzelnen nomoi, leges, edicta, wie zur Zeit des prätorischen Amtsrechts in Rom. Alle sogenannten Gesetzgebungen des Solon, Charondas, der XII Tafeln sind nichts als gelegentliche Zusammenfassungen solcher Edikte, die sich als brauchbar" - und, muß man im Sinne Spenglers (s. o. S. 48) hinzufügen, politisch zweckmäßig - "erwiesen haben" (II,73). Für die antike Rechtswissenschaftsie beginnt für Spengler "als planmäßiges Begreifen des Rechtes, welches man anwendet", mit dem Hellenismus, als ihre klassische Zeit betrachtet er die Epoche von 200-0, als ihr letztes "sichtbares Denkmal" die Institutionen des Gajus (um 161) - ist es demnach - nach Spengler charakteristisch, daß sie stets nur die einzelnen Fälle und ihre Einteilung kennt, jedoch nie zur Analyse eines grundlegenden Begriffs übergeht. Die Römer, bei denen das Vertragsrecht eine so große Rolle spielt, unterscheiden zum Beispiel sorgfältig die diversen Arten von Verträgen; "den Begriff des Vertrages kennen sie nicht und ebensowenig eine Theorie etwa der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit", so daß von einer römischen Rechtswissenschaft in unserem abendländischen Sinn eigentlich gar keine Rede sein könne" (ebd.). Unter der "Arabischen" oder "Magischen Kultur", die wir, unserer geographisch-chronologisch orientierten Terminologie entsprechend, als 30 "Der römische Prätor stellte zu Beginn seines Amtsjahres ein Edikt auf, in dem er die Rechtssätze mitteilt, nach denen er zu verfahren gedenkt, aber sein Nachfolger ist in keiner Weise an sie gebunden. Und selbst diese Begrenzung des geltenden Rechtes auf ein Jahr entspricht nicht der tatsächlichen Dauer. Vielmehr formuliert der Prätor in jedem einzelnen Falle für das von den Geschworenen zu fällende Urteil den konkreten Rechtssatz ... , nach welchem dies Urteil und nur dies eine gesprochen werden muß. Er erzeugt damit im strengsten Sinne des Wortes ein ,gegenwärtiges' Recht ohne jede Dauer" 11,72, n. Wenger, Recht der Griechen und Römer, p. 166 f., mit spez. Hinweis auf die Lex Aebutia; Kursiv Vf.). Der Einwand liegt nahe, daß der angelsächsischen Rechtsprechung doch ein ganz ähnliches Prinzip zugrunde zu liegen scheint. Zur Widerlegung s. 11,72: Im angelsächsischen Recht handle es sich um eine rechtsschöpferische Gewalt des Richters, auf Grund deren der letztere eine eventuell sich zeigende Lücke des geltenden Rechts auf der Stelle schließen kann, was eben damit in den dauernden Bestand des Rechtes eingeht, es also erweitert und vermehrt. "Gerade dies ist so unantik wie möglich" (1. c.).



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die "Jungorientalische Hochkultur" bezeichnen, versteht Spengler den vorderasiatisch-nordafrikanischen Geschichtskomplex vom Beginn unserer Zeitrechnung bis zur Gegenwart 3l , wobei er die persisch-seleukidische Ära von rund 500 v. Chr. bis 0 als deren "Vorzeit", die erste Hälfte des 1. Jahrtausends nach Christus (,,0-500") als ihre "Frühzeit", die drei Jahrhunderte von 500 bis 800 als ihre "Spätzeit" und die folgende Zeit (nach 800) als ihre "Zivilisation", d. h. Ausgangszeit bestimmt. Das innerste Wesen der Jungorientalischen bzw. seiner "Arabischen" ,oder "Magischen" Hochkultur meint Spengler im "Ursymbol" der Höhle fassen zu können3!. Für den Menschen dieser Hochkultur, führt Spengler aus, ist der Kosmos eine Höhle, die dadurch zustande kommt, daß die Transzendenz die Immanenz umschließt und zugleich abschließt, statt sie - wie im "faustischen" Weltgefühl des Abendlandes - ins Unendliche fortzusetzen. Für ihn ist alles, was sich in seinem Erfahrungsbereich zuträgt, "Ausdruck rätselhafter, die Welthöhle mit ihrer geistigen Substanz durchdringenden Mächte". Das "magische" Weltgefühl erhält damit - zumindest für unser Empfinden - etwas Märchenhaftes, Unwirkliches, das feste Gewebe des unmittelbar Gegebenen Auflösendes. "Die Welt des magischen Menschen ist von einer Märchenstimmung erfüllt. Teufel und böse Geister bedrohen den Menschen, Engel und Feen schützen ihn. Es gibt Amulette und Talismane, geheimnisvolle Länder, Städte, Gebäude und Wesen, geheime Schriftzeichen, das Siegel Salomons und den Stein der Weisen. Und über alles ergießt sich schimmernd das höhlenhafte Licht, das immer davon bedroht ist, durch eine gespenstische Nacht verschlungen zu werden" (II,287). In dieser Welt herrscht n Das ist mit allen Implikationen zu verstehen, denn Spengler rechnet nicht nur die islamische und vorislamisch-altarabische Geschichte zu dieser Hochkultur, sondern auch die spätantike Geschichte, vor allem soweit sie sich im "Osten", das heißt in Vorderasien und Nordafrika abspielt, sowie die neupersische, syrisch-aramäische, oströmisch-byzantinische Geschichte usw. Soweit es sich dabei um eine überschneidung der Jungorientalischen mit der Altmediterranen Hochkultur handelt, erklärt Spengler dieses Phänomen bekanntlich als eine "Pseudomorphose" der ersteren, d. h. die neue Hochkultur, die ihr Zentrum zwar außerhalb des römischen Reichsgebietes, in Obermesopotamien und Nordsyrien hatte, sich aber in stärkstem Maße der kulturellen Gravitation der Altmediterranen Hochkultur ausgesetzt sah, wuchs zunächst in deren Formen hinein, hierbei allerdings deren Sinn verändernd, bis mit dem Islam die Befreiung von dieser "Lügengestalt" kam (s. spez. UdA 11, Kap. 111: "Probleme der Arabischen Kultur", pp. 227-400, vor allem pp. 227 ff.). Die diesbezügliche Theorie Spenglers hat lange Zeit schärfsten Widerspruch gefunden, scheint aber nun im Begriff zu sein, sich durchzusetzen. Vg1. spez. Bagby 1. c. Der Tatsache der "Pseudomorphose" sah sich übrigens auch Toynbee gezwungen Rechnung zu tragen, wie dessen Konzeption einer "Syriac Civilization" zeigt (Study 1,72 et pass.). 32 Spengler knüpft damit an die geniale Intuition Leo Frobenius' vom "Höhlengefühl" - bei diesem auf den neupersisch-hellenistisch-frühchristlich-byzantinisch-islamischen Zentralkuppelbau bezogen - an. Paideuma p.92.

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kein durchgehender Kausalzusammenhang, auch kein isoliertes gegenseitiges Sich-Drängen und -Stoßen, sondern eine direkte Ursache für alles, Gott. Sie liegt jeder Wirkung unmittelbar zugrunde, und wenn der Anschein einer Regelmäßigkeit besteht, so geht dies auf ein zufälliges Belieben Gottes zurück, das er jederzeit ändern kann und gelegentlich auch tatsächlich ändert. Das Wunder durchbricht hier nicht den Naturzusammenhang, sondern fügt sich ihm nahtlos ein. Es ist überall und jederzeit möglich, ja es gehört geradezu zu den Prämissen des magischen Weltgefühls (1,501 f.). Damit hängt nach Spengler denn auch das "Unpersönliche" aller Äußerungen dieser Hochkultur zusammen, die Herausstellung des "Es" in allem "Wir". Der "magische" Mensch ist mit seinem geistigen Sein "nur Bestandteil eines pneumatischen Wir, das von oben sich herabsenkend in allen Zugehörigen ein und dasselbe ist. Als Leib und Seele gehört er sich allein, aber etwas anderes, Fremdes und Höheres weilt in ihm und deshalb fühlt er sich mit allen seinen Einsichten und überzeugungen nur als Glied eines co n sen s u s" (Vf.), "der als Ausfluß des Göttlichen den Irrtum, aber auch jede Möglichkeit eines wertsetzenden Ich ausschließt" (II,285). Ein "magischer" "consensus" arabisch idjma - ist ein auf ein und demselben Ausfluß des göttlichen "Pneuma" beruhendes "Wir" - und jedes "magische" Wir ist von dieser "pneumatischen"Art. Dieses 1CVEUf.LU ist durchaus substantiell vorzustellen, im Sinne der alchimistischen Substanzen; substantiell im gleichen Sinne ist auch die Teilhaberschaft an ihm. Der "magische" Consensus33 umfaßt als Lebensgemeinschaft auch die Toten, die Seligen und die Engel. Der Staat ist nur ein Teil seiner sinnlich greifbaren Erscheinung, was unter anderem die Trennung von Staat und Kirche, Politik und Religion und damit auch von weltlichem und geistlichem Recht zumindest theoretisch unmöglich, ja widersinnig macht. Von diesen Voraussetzungen ausgehend kommt nun Spengler zu einer höchst eigenwilligen und eigenartigen, im Rahmen seiner Hochkulturtheorie aber durchaus konsequenten Interpretation dessen, was in seinen Augen die jungorientalische ("magische") Rechtsgeschichte ausmacht, das heißt des neupersisch-sassanidischen, syrisch-spätrömischen-aramaischen, oströmisch-byzantinischen und arabischen bzw. arabischen Rechts als innerlich zusammengehöriger Gruppe. Gemeinsam ist dieser Gruppe von Rechten nach Spengler zunächst der aus dem Consensus-Erlebnis sich ergebende Begriff der nichtkörperlichen juristischen Person, für die nicht das aoof.Lu, sondern das 1CVEUf.LU ent33 Im Bereich der Pseudomorphose mit ,,11:0;'L;" und "civitas" wiederzugeben, nur mit einem gegenüber dem ursprünglichen - altmediterranen entsprechend verändertem Sinngehalt. Die civitas Dei des heiligen Augustinus ist ein solcher jungorientalischer Consus (11,295).

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scheidend ist (II,78 ff.)34. Als "Personen" in diesem Sinne treten, wiederum dem Consensus-Erlebnis entsprechend, in erster Linie die Glaubensgemeinschaften - für Spengler die "Nationen magischen Stils" und somit die Gegenstücke der altmediterranen poleis und civitates einerseits, der abendländischen "Nationen" (,Ein Volk - ein Reich - ein Raum - eine Führung') andererseits - auf, denn dasselbe 3tVEU!l-U, das als "ein gleicher Geist, ein identisches Wissen und Verstehen der alleinigen Wahrheit" die Glaubensgemeinschaft begründet, faßt letztere ipso facto auch zu einer "Einheit des Wollens und HandeIns" zusammen, die "als Ganzes Absichten hat, Entschlüsse faßt und Verantwortungen trägt" (II,71). Man hat also genau genommen nicht zwischen einem "persischen", "syrischen", "arabischen", "römischen" usw. Recht, sondern zwischen einem mazdaischen, manichäischen, talmudisch-jüdischen, synkretistisch-"kultkirchlichen", mandäischen, christlich-konstantinischen, monophysitischen, nestorianischen, katholisch-"lateinischen", griechisch"orthodoxen", islamischen Recht usw. zu unterscheiden35 • Die bedeutsamste Konsequenz dieser Auffassung tritt uns in Gestalt der Konzep~ tion eines synkretistisch-"kultkirchlichen" Rechtes entgegen, worunter Spengler das klassische spätrömische Recht seit dem späteren zweiten Jahrhundert nach Christus versteht. Für Spengler stellt nämlich die Glaubenswelt des spätantiken Synkretismus, die von ihm sogenannte "Kultkirche" , eine Religion "magischen Stils", das heißt eine Manifestation der Jungorientalischen Hochkultur dar (1,521). Dementsprechend ist das Recht der kaiserlichen Erlasse vor Konstantin, das der constitutiones und placita, ungeachtet ihrer altrömischen Einkleidung als Stadtrecht in seinen Augen ganz eigentlich ein Recht der Gläubigen dieser Kirche. Im Kaiserkult sieht er deshalb die formelle Zusammenfassung der letzteren zu einer Rechtsgemeinschaft durchaus göttlichen Rechts (II,79). Konstantin habe dann, meint Spengler, mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion einfach die christliche an die Stelle der synkretistischen Glaubensgemeinschaft "als Objekt des kaiserlichen Khalifenrechts" gesetzt und damit die "christliche Nation" - "magischen Stils", wie hinzugefügt werden muß - gesetzt. "Seit Konstantin wird das ,römische' Recht ganz unvermerkt immer entschiedener zum Recht der rechtgläubigen Christen... Damit ist ein ganz neues Recht in alter Form entstanden" (II,80). 34 Ins "römische" Recht ist dieser Begriff durch die "klassischen" Juristen des 2. und 3. Jhs. (Papinian, Ulpian, Paulus u. a.), "die sämtlich Aramäer waren", eingeführt worden (11,78 u. 82). 35 Daraus ergibt sich die überaus enge Verflechtung der Rechts- mit der Religionsgeschichte der Jungorientalischen Hochkultur bzw. die kaum von einander zu trennende rechts- und religionsgeschichtliche Betrachtungsweise für ein und denselben Komplex, wofür Spengler selbst in dem dem "magischen" Recht gewidmeten Abschnitt des Kapitels "Ursprung und Landschaft" ein anschauliches Beispiel liefert.

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Besonders schlecht kommt in dieser Interpretation der spätrömischen Rechtsgeschichte Justinian und sein Corpus Juris weg, wird doch der erstere von Spengler als die "nach Mark Anton ... verhängnisvollste Persönlichkeit der arabischen Geschichte" (II,86), das letztere als "in seiner Abfassung überstürzt und technisch mangelhaft" bezeichnet (II, 87). Dem Kaiser selbst wirft Spengler vor, daß er als politischer Romantiker "von der Donquichoterie der Wiedereroberung des gesamten Imperiums besessen" den Blick auf Rom und den Westen, "statt auf seine Welt, den Osten" gewandt hielt, daß er durch die Einführung des dyophysitisch-chalcedonensischen Symbolums die Nestorianer und Monophysiten in die Opposition trieb und damit in weiterer Folge den Islam, der sich vielleicht sonst nur als puritanische Strömung entwickelt hätte, als neue Religion heraufbeschwor sowie daß er, in unserem Zusammenhang last but not least, eben im Corpus Juris in Hinblick auf die erwähnten politischen Traumziele "in dem Augenblick, wo die östlichen Gewohnheitsrechte für eine Kodifikation reif geworden waren, einen lateinischen Kodex geschaffen (hat), der im Osten aus sprachlichen und im Westen aus politischen Gründen dazu verurteilt war, Literatur zu bleiben" (II,87). Es ist aber für die Betrachtungsweise Spenglers bezeichnend, daß er das Corpus Juris trotz allem als eine "arabische", d. h. jungorientalische ("und also eine religiöse") Schöpfung gelten läßt, wobei er auf die christliche Tendenz vieler Interpolationen, auf die auf das Kirchenrecht bezüglichen und vielsagenderweise am Anfang stehenden Konstitutionen und mit besonderem Nachdruck auf die Vorreden zu vielen seiner Novellen hinweist. "Trotzdem ist das Buch kein Anfang, sondern ein Ende. Das längst wertlos gewordene Latein verschwindet jetzt völlig aus dem Rechtsleben" (sc. des Ostens bzw. der neuen Hochkultur) " ... und damit das törichterweise darin abgefaßte Werk", während die eigentliche Rechtsgeschichte der Jungorientalischen Hochkultur ihren Weg über die landrecht-ähnlichen Rechte des 8. Jahrhunderts, wie die Eklogen des Kaisers Leo und das Corpus des persischen Erzbischofs Jesubacht nimmt, um zu dem maßgebenden Juristen des Islams, Abu Hanifa, zu führen (II,87 f.). Für alle diese Rechte "magischen" Stils gilt, daß sie von denen, die sie praktizieren, als von Gott stammend (Deo auctore) und - nach den Digesten Justinians, zit. II,84 - als dem Geist der "Berufenen und Erleuchteten" verkündet angesehen werden; daher die große Rolle des Namens, den sie tragen, der "Autorität", der sie - zu Recht oder Unrecht - zugeschrieben werden, sowie die Bedeutung des Textes als solchen bis herab zu seiner schriftlichen Fixierung. Für den jungorientalischen Rechtsprechenden - im Islam den Kadi - ist nicht das sachliche Wissen oder die Logik bei der Beurteilung eines Falles maßgebend, sondern der Geist, der aus dem Wortlaut des Gesetzes zu ihm spricht

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(II,85). Liegt eine Mehrzahl von Texten vor, so entscheidet auch hier wie in den Glaubensdingen - der Consensus der hierfür Zuständigen, der schon deshalb nicht irren kann, weil aus ihm der Geist Gottes spricht. "Ist ein consensus erziehlt, so steht die Wahrheit fest" (II,86). Daraus ergibt sich auch der Begriff des kanonischen Textes oder der kanonischen Texte als der Summe derjenigen Texte, die vom Consensus anerkannt wurden und daher überhaupt zitiert werden dürfen -stets zur formellen, hier im tieferen Sinn "magischen", nicht sachlichen Deckung des Urteils. Neues Recht, wie es sich wie immer und überall in der juristischen Praxis zunächst als Gewohnheitsrecht bildet, nimmt daher hier die Form von Interpretationsvarianten oder auch von Interpolationen an. "Ein kanonischer Text ist der Idee nach zeitlos wahr und also nicht verbesserungsfähig. Die tatsächlichen Bedürfnisse des Geistes aber ändern sich. Es entsteht daher eine Technik der geheimen Abänderungen, welche die Fiktion der Unveränderlichkeit nach außen wahrt und die (auch) an allen religiösen Schriften der arabischen (spr. jungorientalischen) Welt, auch denen der Bibel, reichlich geübt worden ist" (II,86). Die Digesten und Kommentare der klassischen Juristen etwa des römischen Reichsgebietes, des Gebietes der "Pseudomorphose" also, verhalten sich daher nach Spengler zu den von der Altmediterranen Hochkultur dem Wortlaut nach übernommenen Texten wie die Mischna zur Tora oder wie die Hadith zum Koran: "Sie sind ,Halacha', neues Gewohnheitsrecht, welches in der Form einer Interpretation der autoritativ überlieferten Gesetzesmasse erfaßt wurde" (II,83). Aber die Konstitutionen der römischen Kaiser seit 200 sind wieder neue "Halacha", zu den Schriften der klassischen Juristen nämlich; sie sind wie die Novellen leges, "neues Recht in Form von Erläuterungen", während die Institutionen und Digesten jetzt jus, jus geworden sind (1. C.)36. Das Besondere, ja Revolutionäre an der Spenglerschen Behandlung des Rechts im Rahmen seiner morphologischen Interpretation der Jungorientalischen Hochkultur ist zweifellos die Zuordnung des von der abendländischen Rechtswissenschaft noch immer weithin als "klassisch" geltenden Rechts der spätrömischen Zeit zur Gruppe der "magischen", das heißt jungorientalischen Rechte. Diese Zuordnung ergibt sich mit Notwendigkeit aus der Pseudomorphosetheorie Spenglers beziehungs36 "Am orientalischen Charakter der Tausende von Konstitutionen zweifelt heute niemand mehr. Es ist echtes Gewohnheitsrecht der arabischen (spr. jungorientalischen" d. Vf.) Welt, das unter dem Druck der lebendigen Entwicklung den gelehrten Texten unterschoben werden mußte. Die zahllosen Erlasse des christlichen Herrschers in Byzanz, des persischen in Ktesiphon, des jüdischen Resch Galuta in Babylonien, endlich des islamischen Khalifen haben genau die gleiche Bedeutung" (11,83 f.). Darauf hat übrigens schon zu Beginn unseres Jahrhunderts der Rechtshistoriker Mitteis in seinem Buch über "Das römische Privatrecht bis auf die Zeit Diokletians", 1908, hingewiesen, wie Spengler selbst (1. c., n. 2) bemerkt.

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weise aus der Vorstellung, daß sich die Jungorientalische Hochkultur, soweit sie innerhalb der Grenzen des römischen Imperiums zu liegen kam, mit allen daraus sich ergebenden Folgen innerhalb der Schale des altmediterranen Kulturgutes sich entwickeln mußte, aber es ist fraglich, ob Spengler zu dieser Vorstellung gekommen wäre, wenn er nicht beim vergleichenden Studium der verschiedenen hier in Frage kommenden Rechtssysteme den Eindruck gewonnen hätte, daß der Geist des "klassischen" römischen Rechts seit dem Ausgang des zweiten nachchristlichen Jahrhundert der textlichen Fassung in einer Weise zu widersprechen beginnt, die eindeutig nach Osten weist und ihre nächste Parallele in den östlichen Provinzen des Imperiums sowie jenseits derselben beheimateten Erlösungsreligionen hat. Jedenfalls ist die Sachlage so, daß die Spenglersche Hypothese des wesenhaft "magischen", spricht jungorientalischen Charakters des an noch als spätantik angesehenen "klassischen" römischen Rechts einschließlich seiner byzantinischen Weiterbildung mit seiner Pseudomorphosetheorie steht und fällt. Indem diese letztere aber mit der Spenglerschen Konzeption einer "Magischen" oder "Arabischen Hochkultur" aufs engste verbunden ist - was u. a. auch die Ansätze Toynbees zur theoretischen Bewältigung des gleichen Tatbestandes, so anfechtbar sie auch sein mögen, zeigen -, setzt die Annahme seiner Deutung des klassischen römischen Rechts die Anerkennung seiner Vorstellungen von einer altmediterranen ("Apollinischen") und jungorientalischen ("Magischen") Hochkultur voraus - ein Musterbeispiel dafür, wie eine "morphologische" Behandlung der Rechtsgeschichte mit der morphologischen Interpretation der Hochkulturen selbst verschränkt ist. Die Abendländische Hochkultur, von Spengler wegen der aufs Unendliche gerichteten und eben deshalb nie zufriedenzustellenden Dynamik ihres Menschentums auch als die "Faustische" bezeichnet, ist nach ihm eine "eminent historische" (1,10). "Der abendländische Mensch lebt mit dem Bewußtsein des Werdens, mit dem ständigen Blick auf Vergangenheit und Zukunft" (1,337). Für ihn ist alle Zeit ein Treiben und Drängen auf ein Ziel hin, und zwar auf ein solches, das in unendlicher Ferne liegt (II,288). Er vergißt nichts und will nichts vergessen sehen (1,322). Der Abendländer konserviert die Vergangenheit, die er umfassend als die ,seine' empfindet, auch in seinem Bewußtsein, in Form von Jahreszahlen und biographischen Daten, seien es diejenigen seines eigenen Lebens, seien es diejenigen aller jener Gestalten und Ereignisse der Vorzeit, die er mit diesem in Verbindung bringt und die um so zahlreicher sind, je bedeutender er selbst ist; die im Grunde groteske Rezeption des für "antik" gehaltenen, in Wahrheit jungorientalischen römischen Rechts hat ebenso wie der ganze Antikekult hier ihre Wurzeln. "über unsere Landschaft hallen Tag und Nacht von Tausenden von Türmen die

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Glockenschläge, die ständig Zukunft an Vergangenes knüpfen und den flüchtigen Moment der ,antiken' Gegenwart in einer ungeheuren Beziehung auflösen" (1,174), "schauerliche Symbole der rinnenden Zeit", "vielleicht der ungeheuerlichste Ausdruck, dessen ein historisches Weltgefühl überhaupt fähig ist" (1,18 f.). - Die Art des "Tiefenerlebnisses" bestimmt nach Spengler die der Ausdehnung, das Raumerlebnis. So wie das "faustische" Seelentum die Richtungsenergie der Zeit bejaht und betont, so bejaht und betont es auch die des Raumes. Es bejaht den Raum, so wie das altmediterrane Seelentum ihn verneint, und zwar den grenzenlosen, körperlosen, unendlichen Raum der "reinen Dehnung". Für abendländisches Weltgefühl ist ,die Welt' identisch mit dem als unendlich vorgestellten Weltraum (1,228), die sichtbare Wirklichkeit aber eine solche zweiten Ranges (1,100). Der unendliche Raum mit dem Tiefendrang der dritten Dimension ist daher für Spengler das Ursymbol der Abendländischen Hochkultur (1,226 et pass.), diejenige Form ihrer Anschauung, die allen ihren Schöpfungen zutiefst zugrunde liegt. Es spricht aus der Kunst der Fuge wie aus der dynamischen Physik Galileis, aus dem Schicksal König Lears wie aus der Kabinettspolitik des Barocks, aus dem "erhabenen Symbol" der Sixtinischen Madonna wie aus der höheren Analysis der abendländischen Mathematik, aus dem Monotheismus der abendländischen Religion wie aus der Unsinnlichkeit der zugehörigen Physik, die mit der q>tJ(JL~ der antiken Naturwissenschaft kaum mehr als den Namen gemein hat. Die abendländische Seele ist - stets nach Spengler - dynamisch angelegt (11,282), die "Faustische" Kultur eine Willenskultur (1,393). Die Person ist für sie und in ihr zunächst und vor allem Kraftzentrum, Beziehungsmittelpunkt inmitten eines grenzenlos Ausgedehnten (1,169). Wille und Gott, Kraft und Raum sind hier fast Wechselbegriffe (1,399). Es ist diese "Leidenschaft zur dritten Dimension" (ebd.), der geistige Wille zur Macht, der der Abendländischen Hochkultur das sie von allen anderen unterscheidende Gepräge verleiht. So ist in der Geistesgeschichte des Abendlandes alles Bewegung und Aktivität. Eine schöpferische Unrast sondergleichen führt zur Geburt immer neuer Ausdrucksformen, die alle die Gestalt von "Bewegungen" annehmen und sich in wilden Kämpfen gegeneinander austoben. Der Wille zur Macht schweigt nirgends und zu keiner Zeit. Bloßes Dasein ist kein Dasein, es muß ein siegreiches Dasein sein - das gilt für den Einzelmenschen wie für die Kollektivstrebungen (1,434 f.). Daher ist denn auch die abendländische Ethik durch und durch imperativisch, ein ununterbrochenes "Du sollst!" "Der Wille zur Macht auch im Ethischen, die Leidenschaft, seine Moral zur allgemeinen Wahrheit zu erheben, sie der Menschheit aufzuzwingen, alle andersgearteten umdeuten, überwinden, vernichten zu wollen. ist unser ureigenstes Eigentum" (1,436).

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Wie stellt sich nun Spengler im Lichte dieser Prämissen das abendländische Recht und seine Geschichte dar? Zunächst ist festzuhalten, daß es für Spengler ein abendländisches Recht im eigentlichen und großen Sinne, von Ansätzen abgesehen, nicht - derzeit noch nicht - gibt, sondern daß ein solches erst geschaffen werden müßte, nein, muß, denn es handelt sich hier um eine der Gesamtkultur gestellte, mit ihr gleichsam programmierte, zu ihrer vollen Verwirklichung unerläßliche Aufgabe. Schuld an dieser Fehlanzeige ist nach Spengler die Rezeption des römischen Rechts oder dessen, was man in allzu sklavischer Abhängigkeit vom lateinischen Wortlaut der Texte für ein solches hielt - auch dies eine "Pseudomorphose", bedingt durch den leidenschaftlichen historischen Sinn des abendländischen Menschen, der immer und überall an eine - möglichst große - Vergangenheit anknüpfen will und muß, um dem eigenen Dasein Bedeutung in seinem, d. h. historischen Sinn zu verleihen. Ansätze zu einem eigenständigen abendländischen Recht sind nach Spengler zunächst in den germanischen Stammesrechten der abendländischen Vorzeit seit 500 n. Chr. - dem west- und ostgotischen, burgundischen, fränkischen, langobardischen usw. Recht -, vor allem aber in dem vom fränkischen abgeleiteten normannischen Recht, das seit 1066 an Stelle des bis dahin in England geltenden sächsischen Rechts getreten war, in den germanisch-romanischen Codices des Südens mit dem westgotischen und langobardischen Recht an der Spitze, in den "gotischen" Stammesrechten Deutschlands mit dem Sachsenspiegel von 1230 und dem Schwabenspiegel von 1274 sowie im Kanonischen Recht der römischkatholischen Kirche, wie es seit 1234 im Corpus Juris Canonici, ja im Grunde schon im Decretum Gratians (1140) vorliegt, zu sehen (II,88 f., 91). Als den zwar nur die geistliche Seite der abendländischen Welt spiegelnden, grundsätzlich sowie der Anlage nach jedoch bedeutsamsten dieser Ansätze betrachtet Spengler den zuletzt genannten des Co r p u s J u r i s Ca non i ci: "Was das Kaisertum nicht vermocht hatte, die Schöpfung eines allgemein abendländischen Corpus Juris Germanici aus an den reichen Ansätzen der Stammesrechte, das gelang dem Papsttum. Ein vollständiges Privatrecht mit Strafrecht und Prozeßordnung entstand mit germanischer Methode aus dem geistlich-weltlichen Rechtsstoff der Gotik." "Damit", fügt Spengler hinzu, "erscheint auch im Recht der große faustische Zwiespalt, welcher den riesenhaften Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum herbeigeführt hat. Wie in der arabischen Welt der Widerspruch zwischen jus und fas unmöglich, so ist er in der abendländischen Welt unvermeidlich. Sie sind beide Ausdruck eines Willens zur Macht über das Unendliche: der weltliche Rechtswille

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stammt aus der Sitte und legt seine Hand auf die Generationen der Zukunft, der geistliche stammt aus einer mystischen Gewißheit und gibt ein zeitloses ewiges Gesetz. Dieser Kampf ebenbürtiger Gegner ist nie be endet worden und steht uns heute noch im Eherecht, in dem Gegensatz von kirchlicher und ziviler Trauung vor Augen" (II,91). An zweiter Stelle der Bedeutsamkeit steht für Spengler der normannische Ansatz, denn dieses Recht hat sich zu dem heute noch in der ganzen englischsprechenden Welt herrschenden entwickelt. Allerdings ist es hier nie zu einer zusammenfassenden Darstellung gekommen - der Rechtsstoff selbst, das "Statutenrecht", wird durch ad hoc-Entscheidungen der Richter, wie sie in den Reports enthalten sind, fortgebildet, während das Gewohnheitsrecht in der Gerichtspraxis zum Ausdruck kommt -, ein Werk wie Blackstones Kommentar zu den Laws of England von 1765 ausgenommen, das Spengler daher als den bisher "einzigen rein germanischen Kodex an der Schwelle der abendländischen Zivilisation (sprich Ausgangszeit; d. Vf.)" bezeichnet. (II,92).Die eigenständige Rechtsentwicklung des Südens ist nach Spengler durch den Code civil Napoleons abgebrochen und ersetzt worden, auf Grund der weiten Verbreitung, die das Werk gefunden hat, "das nach dem englischen Recht ... wichtigste" nichtrömische Gesetzwerk des Abendlandes (II,89), doch äußert sich Spengler nicht näher darüber, welche Stellung dieser Kodifikation seiner Ansicht nach in der gesamtabendländischen Rechtsentwicklung zuzuweisen wäre. Mit desto größerer Ausführlichkeit geht Spengler dafür auf die Entwicklung im deutschen Sprachgebiet ein, wobei Töne schroffster Mißbilligung laut werden. Sie richten sich gegen die Rezeption des "römischen" Rechts, wie sie zunächst in der Einführung des kaiserlich römischen Rechts als "gemeines deutsches Recht" durch die Kammergerichtsordnung des Wormser Reichstages von 1495 Wirklichkeit wurde. - Was nämlich von diesem fremden Recht - dem Recht einer anderen Hochkultur - de facto rezipiert werden k 0 n n t e, war nach der holistischmonadischen Hochkulturtheorie Spenglers wiederum, wie im ähnlich gelagerten Fall der jungorientalischen Pseudomorphose, nur die Schale, die äußere Form, die sprachliche Formulierung. "Aber damit wird ein historisch veranlagter Mensch der Sklave von Begriffen. Nicht daß ein fremdes Lebensgefühl in sein Denken kommt, denn es kommt nicht hinein, aber es hindert sein eigenes Lebensgefühl dar an , eine unbefangene Sprache zu entwickeln" (II,93). "Rechtsbegriffe müssen von irgend etwas abgezogen werden", und zwar von der sozialen und wirtschaftlichen Wirklichkeit, in der der Rechtsschöpfer lebt. "Und da liegt" - im Fall des abendländischen und vor allem des deutschen Rechts beziehungsweise dessen, was deutsches Recht hätte sein können und sollen - "das

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Verhängnis: statt sie aus der starken und strengen Sitte des sozialen und wirtschaftlichen Daseins zu gewinnen, wurden sie vorzeitig und zu schnell aus lateinischen Schrüten abstrahiert. Der abendländische Jurist wird Philologe, an die Stelle praktischer Lebenserfahrung tritt eine gelehrte Erfahrung von der rein logischen Zerlegung und Verknüpfung der Rechtsbegriffe" (11,93). Die Jurisprudenz wird damit zu einer von einer Art Begriffsrealismus beherrschten Scholastik - "das eigentlich Wirkliche, die Substanz der Welt, sind nicht die Dinge, sondern die allgemeinen Begriffe" (11,90) und damit zu einer Sache weltfremder Gelehrter, die diese Wissenschaft im Grunde um ihrer selbst willen betreiben (11,92)37. Jedoch "der Textzusammenhang erschließt nur den logischen Wortgebrauch und nicht das Leben, das ihm zugrunde lag. Die stille Metaphysik alter Rechtsbegriffe ist durch keinen Gebrauch im Denken fremder Menschen wieder zu erwecken. Gerade das Letzte und Tiefste ist in keinem Recht der Welt ausgesprochen, weil es selbstverständlich ist. Jedes von ihnen setzt das Wesentliche schweigend voraus; es wendet sich an Menschen, die außer der Satzung auch das nie Auszusprechende und gerade dieses innerlich verstehen und zu gebrauchen wissen. Jedes Recht ist in einem nie zu überschätzenden Maße Gewohnheitsrecht: mag das Gesetz die Worte definieren; das Leben deutet sie. "Wenn aber eine von Gelehrten behandelte fremde Rechtssprache mit ihrem Begriffsschema das eigene Recht binden will, so bleiben die Begriffe leer und das Leben stumm. Das Recht wird nicht zur Waffe, sondern zur Last und die Wirklichkeit schreitet nicht mit, sondern neben der Rechtsgeschichte fort ... Deshalb ist der von den Tatsachen unserer Zivilisation geforderte Rechtsstoff dem antiken Schema der Rechtsbücher zum Teil äußerlich, zum Teil gar nicht eingegliedert, und damit für das Rechtsdenken und also das Denken der Gebildeten noch formlos und mithin nicht vorhanden" (11,96 f.). Zwar muß Spengler zugeben, daß das römische Recht in Deutschland mit der Gesetzgebung des Wilhelminischen Reiches, spätestens mit dem Inkrafttreten des "Bürgerlichen Gesetzbuchs" vom 18. August 1896 am 1. Januar 1900 als solches obsolet geworden ist, so daß seinem Studium fortan nur mehr eine wissenschaftliche und pädagogische Bedeutung zukam, auch daß die "Ideologen des römischen Rechts unter den Gelehrten" keine ernsthafte Rolle mehr spielen, aber "die Gelehrsamkeit alten Stils", meint er, mit ihrer Zwangsjacke lebensfremder Begriffe, Unterscheidungen und Denk87 "Was wir bis heute Rechtswissenschaft nennen, ist also entweder Philologie der Rechtssprache oder Scholastik der Rechtsbegriffe" (11,95). Vgl. dazu Sohm, Institutionen, 14. A., p. 170, zit. ebd.: "Die deutsche Rechtswissenschaft von heute stellt in sehr bedeutendem Maße ein Erbe der Scholastik des Mittelalters dar. Ein rechtstheoretisches Durchdenken der Grundwerte unseres wirkZiehen Lebens hat noch nicht angefangen. Wir kennen diese Werte noch gar nicht."

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Weisen sei geblieben, so daß in der ganzen Arbeit des 19. Jahrhunderts "lediglich Vorbereitung" zu sehen sei (II,95). Als Beispiele für dieses "Schema der Begriffe" nennt er die auch im derzeit gültigen Recht festgehaltene antike Unterscheidung von Person und Sache mit der vordergründig-körperhaften Auffassung beider, der die "dynamische" abendländische Auffassung der ersteren als "Einheit der Kraft und des Willens", der letzteren als "Ziele, Mittel und Schöpfungen dieser Einheiten", gegenüberstellt (II,97)38 -, weiter den "statischen" "antiken" Eigentumsbegriff, mit dem sich die "funktionalen" Begriffe des geistigen Eigentums, der Arbeitskraft, des Erfinder- und Unternehmergeistes, der körperlichen, künstlerischen, organisatorischen Energien und Talente nicht zur Deckung bringen ließen, dann die Schwierigkeit, Dinge wie den Diebstahl von elektrischem Strom, die Vervielfältigung von Kunstwerken, den Sachverhalt eines Patentes usw. mit den üblichen Begriffen rechtlich zu erfassen, und anderes mehr (II,96 ff.). So kommt denn Spengler zu der Forderung, das Recht, das uns noch fehlt, das Recht rein abendländischen Stils zu schaffen, und er sieht diese Aufgabe insbesondere der deutschen Rechtswissenschaft gestellt, die den Fesseln der römisch-rechtlichen Pseudomorphose in seinen Augen noch immer am meisten verhaftet ist. Diese Rechtsschöpfung der Zukunft, für die nach Spengler die Zeit schon dadurch reif geworden ist, daß die Abendländische Hochkultur inzwischen in ihre Ausgangszeit ("Zivilisation") eingetreten ist, die in allen Hochkulturen die Epoche der großen, abschließenden Kodifikationen darstellt, wird nach ihm an die Grundtatsachen unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens anzuknüpfen, zugleich aber auch die Grundwerte unseres geistigen Daseins und die elementaren Stimmungen unseres Lebensgefühls zum Ausdruck zu bringen haben. "Eine Umstellung des gesamten Rechtsdenkens nach Analogie der höheren Physik und Mathematik wird zur Forderung der Zukunft. Das gesamte soziale, wirtschaftliche, technische Leben wartet darauf, endlich in diesem Sinne begriffen zu werden; wir brauchen mehr als ein Jahrhundert schärfsten und klügsten Denkens, um dies Ziel zu erreichen", wozu auch ein neuer, jeweils von Hause aus mit der sozialen und wirtschaftlichen Praxis vertrauter Typ des Juristen und eine entsprechend gewandelte juridische Ausbildung gehören. Es wird sich, faßt Spengler seine diesbezüglichen Vorstellungen zusammen, darum handeln, "aus dem praktischen Leben der Gegenwart dessen tiefste Prinzipien zu entwickeln und sie zu grundlegenden Rechtsbegriffen zu 38 "Die antike Beziehung zwischen Körpern war die Lage, die Beziehung zwischen Kräften heißt aber Wirkung"; dementsprechend war das antike Recht, das nur von Körpern und ihren Lagen handelte, eine "juristische Statik", während unser - das abendländische Recht, das primär Kräfte und ihre Wirkungen zum Gegenstand hat - haben sollte! -, als ein "Recht von Funktionen" eine "juristische Dynamik" ist oder sein sollte. Vgl. II,97 f.

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erheben. Die großen Künste liegen hinter uns, die Re c h t s w iss e n sc haft li e g t vor uns" (II,95; Vf.). Das ist eine Fanfare; wie, wo, wann wird sie Gehör finden? Von den bei den im Voranstehenden behandelten Denkern, die dem Recht im Rahmen ihrer morphologischen Interpretation der Hochkulturen eine systematische Behandlung zuteil werden ließen, hat Vico mehr seine Rolle im Hochkulturprozeß als solchem, Spengler seine besondere Ausprägung in konkreten Hochkulturen -, und zwar der altmediterranen, jungorientalischen und abendländischen - aufs Korn genommen. Beide zusammen haben damit den Weg gewiesen, den die künftige Forschung wird einschlagen müssen, wenn das damit begonnene Werk fortgesetzt und eines Tages ein abschließendes Bild von der Funktion des Rechts in der Selbstverwirklichung jener großen Ideen, die den Hochkulturen als "erste Beweger" zugrunde liegen, gewonnen werden soll. Dabei wird es sich einerseits darum handeln, auf der Bahn Vicos fortschreitend und die modernen Ansätze in dieser Richtung benutzend restlos klarzustellen, wie sich das Recht in den Consensus der übrigen Kulturäußerungen einfügt, wie es die Grundidee einer Hochkultur zum Ausdruck bringt und wie es in seiner Entwicklung die Etappen des Hochkulturprozesses spiegelt; andererseits werden die Feststellungen Spenglers über die spezifischen Züge des altmediterranen, jungorientalischen und abendländischen Rechts - des letzteren in dem Sinne, in dem nach Spengler von einem solchen überhaupt schon gesprochen werden darf - zu überprüfen, ferner, wo es not tut, zu korrigieren sowie auf die von Spengler nicht oder nur in beiläufigen Bemerkungen behandelten Rechte der anderen Hochkulturen39 zu erweitern sein - eine gewaltige Aufgabe, die zu ihrer Erfüllung freilich eine ausgereifte Morphologie der Hochkulturen voraussetzt, wie wir sie derzeit allerdings noch nicht besitzen. Da jedoch die Hochkulturen, wie bereits mehrfach betont, nach dem derzeitigen Stande unseres Wissens mit guten Gründen als Transsummativstrukturen ("Ganzheiten") anzusprechen und als solche "holistisch" zu behandeln sind, das heißt die quasi-intuitiv zu gewinnenden Einsichten in ihre "Ganzqualitäten" am Detail empirisch verifiziert werden müssen, umgekehrt aber auch das Detail wichtige Hinweise auf diese oder jene Ganzeigenschaft liefern kann, werden in der Praxis beide Forschungszweige, der zivilisationsmorphologische und der zivilisationologisch orientierte juridische-sei es in seiner mehr rechtsgeschichtlichen, sei es in der mehr rechtspsychologischen Fassung Hand in Hand zu gehen haben. Sollten sich Interessenten an einer solchen Zusammenarbeit finden - Zivilisationologen also 39 So über das ägyptische Recht 11,78, n. 1, das babylonische Recht II,88, n. 4, das chinesische Recht 11,78, n. 1, das indische Recht ebd., das altmittelamerikanische bzw. aztekische Recht lI,77.

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auf der einen, Juristen auf anderen Seite, beide mit wachem Sinn für die morphologische Fragestellung und entsprechend ganzheitstheoretisch geschult - , so könnte man wohl hoffen, daß die Morphologie der Hochkulturen auf diesem Wege einen beträchtlichen Fortschritt erfahren würde, denn das Recht ist und bleibt eine der bedeutsamsten Äußerungen der menschlichen Existenz in Gesellschaft. Aber auch der Rechtssystematiker könnte dabei auf seine Rechnung kommen, vorausgesetzt man akzeptiert die Folgerungen, die Spengler aus seiner Betrachtung der bisherigen Rechtsentwicklung des Abendlandes sub specie civilisationis zieht. Es wäre in diesem Zusammenhang nicht undenkbar, daß man eines Tages die geniale Konzeption Küchenhoffs von einem Jus Amoris erneut aufgriffe und die weitere Entwicklung an sie knüpfte, denn so wie der Genannte seinen Begriff versteht - mit der Vorstellung einer tätigen Verantwortung für den Mitmenschen im Mittelpunkt - , weist dieser genau diejenigen dynamischen und funktionalen Züge auf, die nach Spengler ein rein abendländisches Recht der Zukunft auszuzeichnen hätten.

Bibliographischer Anhang (Standardwerke der Hochkulturmorphologie sind mit einem • ausgezeichnet)

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*Weber, Alfred, Kulturgeschichte als Kultursoziologie, München 1950, unveränderter Neudruck 1960. Prinzipien der Geschichts- und Kultursoziologie, München 1951. Weinhandl, Ferdinand, Die Gestaltanalyse, Erfurt 1927.

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Rechtspolitische und rechtspbilosopbische Grundsätze der kaiserlichen Rechtsfortbildung in der römischen Klassik Von Univ.-Doz. Dr. Manfred Just Die principes haben mit Hilfe ihrer constitutiones1 zugunsten oder auch zu Lasten der betroffenen Bürger tiefgehende Eingriffe besonders in jenen Rechtsbereichen vorgenommen, die primär den Menschen und sein Sozialverhalten zum Gegenstand hatten und denen die principes von Anfang an ihr besonderes Augenmerk und Interesse zuwandten, wie das Personen- und Familienrecht, aber auch das Erbrecht, das zwar die vermögensrechtliche Nachfolge eines verstorbenen Menschen regelt, sich aber zu diesem Zweck an der Persönlichkeit des Erblassers und der Erben und an ihren familienrechtlichen Beziehungen orientiert. Demgegenüber haben die Herrscher in der Klassik in den Rechtsbereichen, die die Sachherrschaft und den privaten Rechts- und Vermögens verkehr betreffen, also im Sachen- und Schuldrecht, nur verhältnismäßig selten und in der Regel sehr behutsame Korrekturen mit Hilfe der constitutio1 Dazu zählen die edicta, Erlasse in der Form einer öffentlichen Verlautbarung an das Volk, die decreta, richterliche Entscheidungen nach mündlicher Verhandlung und Beratung im consilium principis, und die rescripta, schriftliche Bescheide in Form der epistula oder subscriptio nach der Vorlage eines Sachverhalts durch Behörden oder Privatpersonen mit dem Antrag auf rechtliche Würdigung, vg1. Gai. 1, 5, Ulp. 1. 1 inst. I. 1, 2, 6 und D. 1, 4, 1, L Die mandata, innerdienstliche Anweisungen an untergeordnete Beamte, rechnet Dell'Oro, Mandata e litterae. Contributo allo studio degli atti giuridici deI princeps, Bologna 1960, 60-70, im Gegensatz zur h. M., Kipp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts, Leipzig-Erlangen, 4. Aufi., 1919, 99; KTelleT, Art.: Mandatum, in RE XIV 1 (1928) 1023; Finkelstein, Mandata principum, in: TR 13 (1934) 165; WengeT, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953, 425 f.; Dulckeit-SchwaTz, Römische Rechtsgeschichte, München-Berlin, 4. Aufi., 1966, 190; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, Köln-Graz, 5. Aufl., 1967, 125; KaseT, Römische Rechtsgeschichte, Göttingen, 2. Aufl., 1967, 150 f., m. E. zu Recht nicht zu den constitutiones, da es sich bei den mandata nur um innerdienstliche Anordnungen und Hinweise über den Erlaß vorausgegangener constitutiones, z. B. zum Verbot der Ehe römischer Beamter mit Provinzialinnen und zum Inhalt des testamentum militare, zum Zwecke der einheitlichen Behandlung, also um Ausführungsbestimmungen handelte, denen aber das für die constitutiones entscheidende Wesensmerkmal der selbständigen Außenwirkung fehlte. Die oben bezeichneten klassischen Quellen führen die mandata nicht auf, während die spätklassischen Fragmente (Ulp.1. 8 de officio proconsulis D.47, 11, 6 pr.; Marcian. 1. 2 iudiciorum publicorum D. 47, 22, 3 pr. und 1; 1. 14 inst. D. 48, 13, 4, 2) sie ausdrücklich den constitutiones gegenüberstellen.

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nes angeordnet. Diese Tatsache liegt vor allem darin begründet, daß die principes auf den beiden letzteren Rechtsgebieten feste, im ganzen der Reform nicht mehr bedürftige Strukturen angetroffen haben, die sich bis in die späte Republik unter dem Einfluß des sich entwickelnden und wandelnden Soziallebens und der sich mit ihm gestaltenden Gewohnheiten und Formen beim Erwerb, bei der Beherrschung und der daraus folgenden Nutzung von Sachen und Rechten, bei den Verfügungsgeschäften zur Begründung, Änderung, Belastung und Aufhebung von Rechten und bei den Verpflichtungsgeschäften zur Veräußerung oder zur Gebrauchsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder zur Verrichtung von Arbeits- und Dienstleistungen herausgebildet hatten. Die Rechtspraxis der praetores 2 unter dem Einfluß ihrer consiliarii und die private Rechtswissenschaft der prudentes veteres3 hatten hier längst jene festen rechts theoretischen Grundsätze fixiert, auf denen auch noch in der Klassik und in der späteren Zeit die Rechtspraxis beruhte und die die Richtung für die sich im Wege der interpretatio vollziehende kaiserliche Rechtsfortbildung wiesen. Die Kaiser der Früh- und Hochklassik haben im Bereich des Vermögens- und Vermögensverkehrsrechts Rechtsverordnungen und Entscheidungen überwiegend nicht unter dem Einfluß der utilitas singulorum und der ihr verwandten aequitas erlassen. Sie beschränkten sich hier vielmehr auf die Hinzufügung einer geringen Zahl von Rechtsinstituten bzw. steckten nur dort Grenzen ab oder boten interpretierend fortschrittliche Lösungen an, wo sie sich aus übergeordneten rechtspolitischen oder auch rechtsphilosophischen Gesichtspunkten und Gründen nicht mehr länger zur Zurückhaltung entschließen konnten. Diese Vorsicht im Umgang mit dem Recht beobachten wir noch in der Hochklassik bei Trajan, der sich im Gegensatz zu seinem justizpolitischen sehr aktiven Nachfolger Hadrian weitestgehend der Reskriptstätigkeit enthielt" und noch bei Marcus Aurelius 5 • Die principes setzten - selbst bis zur Kodifikation unter Justinian - die von ihnen als notwendig erkannten und vor allem in den decreta und rescripta formulierten Richtlinien nicht an die Stelle der alten leges und übrigen Rechtsquellen. Sie 2 Pomp. l. sing. enchiridii D. 1, 2, 2, 10: Gai. 1, 6; I. 1, 2, 7; Pap. l. 2 def. D.l, 1, 7, 10: lus praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis. 3 Gai. 1, 2 und 7; l. 1, 2, 3 und 8; Pap. l. 2 def. D. 1, 1, 7 pr.; Pomp. l. sing. enchir. D. 1, 2, 2, 47. 4 Hist. aug. Macrin. 13, 1: Cum Traianus numquam libellis responderit, ne ad alias causas facta praeferrentur, quae ad gratiam composita viderentur. Daher hatte auch lavolenus die rescripta in seinen fragmenta nicht erwähnt, vgl. Krüger, Geschichte und Quellen der Literatur des römischen Rechts, Leipzig 1888, 98 Anm. 55. 5 Hist. aug. Marci 11, 10: lus autem magis vetus restituit quam novum fecit.

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hoben infolgedessen das alte, formal noch in Geltung stehende Recht nicht auf, sondern setzten neben dieses die neuen Normen 6 • Diese Zurückhaltung lag vor allem in der Entwicklungsgeschichte des Prinzipats begründet, in deren Verlauf die republikanischen Institutionen allmählich und stillschweigend in ihrer Effizienz eingeschränkt wurden und z. T. überhaupt erloschen, während die aus der Republik geborene, aber ihr im Grunde doch wesensfremde Gewalt des princeps7 ihre Befugnisinhalte absorbierte und institutionell neu organisierte. In wichtigen Rechtsbereichen folgten dabei die principes - besonders in den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten - noch der übung und dem Bestreben des Augustus, dessen Neuordnung des römischen Staates formal den Charakter einer Reorganisation der republikanischen Verfassung trug, in der senatus populusque Romanus weiterhin als Träger der Souveränität erschienen8 , und hielten mit formalen Mitteln die Institutionen der römischen Republik mühsam am Leben. Aus diesem Grunde benutzten sie, um ihren Willen gegenüber dem Senat und dem römischen Volk kundzutun und durchzusetzen, die alten Formen der leges 9 und der senatus consulta, die seit der Zeit Hadrians (117-138) auf Antrag des princeps10 durch eine oratio principis in senatu habita 11 erlassen worden sind. Die senatus consulta stellten also nur noch formale Bestätigungen dar, indem sie den Inhalt der orationes übernahmen und diesen damit rechtliche Verbindlichkeit verliehen. Insoweit vollzog sich zunächst die rechtsschöpferische Tätigkeit der principes noch unter Aufrechterhaltung des republikanischen Scheins. Aber in dem Maße, in dem Senat und Volk in der Substanz ihrer Befugnisse durch die Machtstellung des princeps ausgeschaltet wurden, verloren ihre Willenskundgebungen und Anordnungen an Bedeutung bzw. hörten ganz auf. Unter Nerva (96-98) erlosch die Volksgesetzgebung12 . Nachdem bereits im 6 KaseT, Römisches Privatrecht, I, München, 2. Aufl., 1971, 187. 7 Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht, Göttingen 1962, 16 ff. (Abh. Ak. Wiss. Göttingen, philo1.-hist. KI., 3. Folge Nr. 53); Kunkel, a. a. 0., 58. 8 Mon. Ancyr. Lat. 1, 2 f.; 6, 13-15; CIL 1, 307; 6, 1527; Vell. 2, 89; Cass. Dio 56, 39, 4; Tac. anno 3, 28, 2; vg1. dazu de FTancisci, La costituzione augustea, in: St. Bonfante, 1, Milano 1930, 13 ff.; Riccobono Jr., L'opera di Augusto e 10 sviluppo deI diritto imperiale, in: Annali Palermo, 18, 1939,98. 9 Mon. Ancyr. Lat. 2, 12-14: Legibus novis me auctore latis multa exempla maiorum exolescentia iam ex nostro saeculo reduxi et ipse multarum rerum exempla imitanda posteris tradidi; die leges Iuliae de maritandis ordinibus und de adulteriis coercendis, 18 v. Chr., die lex Papia Poppaea, 9 v. Chr. für das Familien- und Erbrecht und auf dem Gebiet des Freilassungsrechts die leges Fufia Caninia, 2 v. Chr., und Aelia Sentia, 4 n. Chr. 10 Augustus und seine Nachfolger waren Inhaber des senatorischen Ehrenamts des princeps senatus, des offiziellen Wortführers, dem das Recht der ersten Meinungsäußerung zustand, vg1. Kunkel, a. a. 0., 58. 11 Vg1. Radin, Art.: Oratio principis, in: RE XVIII 1 (1949) 869-873. 12 Modest. 1. 5 de cognitionibus D. 47, 21, 3, 1; Cass. Dio 68, 2, 1; vg1. KilbleT, Geschichte des römischen Rechts, Leipzig 1925, 205 f.

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2. Jh. unter der Herrschaft der Adoptivkaiser das senatus consultum seine Bedeutung als eigenständige Entschließung des Senats verloren hatte, verschwand diese Quelle des ius civile im 3. Jh. ganz l3 • Mit der Redaktion des Edictum Perpetuum durch Julian im Auftrage Hadrians um 130 entfiel im Bereich des ius honorarium die prätorische Initiative zur Rechtsfortbildung zugunsten der constitutiones principum14 • Hadrian hat schließlich mit Hilfe der rescripta - ganz im Sinne seiner verfassungsrechtlichen Konzeption von der zentralen Stellung der Institution des princeps in Staat und Gesellschaft und entsprechend seiner mit dem Abschluß der magistratischen Edikte verfolgten Justizpolitik einen entscheidenden Wandel zu Lasten der letzten Rechtsquelle, der freien Rechtswissenschaft, eingeleitetl5 • In dem Maße nämlich, in dem die principes nun mit der Erteilung der rescripta die erbetenen Rechtsauskünfte gaben, griffen sie in die vom Einfluß der Obrigkeit freie und eigenverantwortliche Tätigkeit der Juristen ein, die ex auctoritate principis publice responsa mit allgemeiner Verbindlichkeitswirkung erteilten lS • Abgesehen davon, daß die bedeutendsten Juristen ohnehin im Dienst der principes standen und an den in den Reskripten enthaltenen Lösungen mitwirkten, hätte eine freie Respöndiertätigkeit sich nunmehr beständig mit den Rechtslehren der reskribierenden principes auseinandersetzen müssen. Das hätte sicherlich für die betroffenen Juristen zu unangenehmen Folgen geführt und den anfragenden Parteien, die sich 13

Kübler, a. a. 0.,207,252.

Const. Tanta 18: Cum et ipse Iulianus legum et edicti perpetui subtilissimus conditor in suis Iibris hoc rettulit, ut, si quid imperfectum inveniatur, ab imperiali sanctione hoc repleatur. et non ipse solus, sed et divus Hadrianus in compositione edicti et senatus consulto, quod eam secutum est, hoc apertissime definivit, ut, si quid in edicto positum non inveniatur, hoc ad eius regulas eiusque coniecturas et imitationes possit nova instruere auctoritas. Die klassischen Juristen haben sich dieser Ausweitung der kaiserlichen Rechtsschöpfungstätigkeit fügen müssen, Iu1. 1. 90 digest. D. 1, 3, 11: Et ideo de his, quae primo constituuntur, aut interpretatione aut constitutione optimi principis certius statuendum est, aber doch gelegentlich unter Verwendung der resignierenden Bemerkung eo oder quo iure utimur vorsichtige und verhaltene Kritik mit Rücksicht auf das überlieferte klassische Recht an den Entscheidungen und Lehrsätzen des princeps geübt, vg1. Pau1. 1. sing. de usuris D. 22, 1, 17 pr. über Marcus Aurelius; VIp. 1. 26 ad ed. D. 12, 6, 26 pr. über Septimius Severus, 1. 19 ad ed. D. 42, 4, 7, 16 zu Hadrian, 1. 73 ad ed. D. 42, 8, 10, 1 über Septimius und Caracalla, 1. 14 ad ed. D. 49, 1, 14 pr. über Antoninus Pius; Modest. 1. sing. de heurematicis D.28, 6, 4 pr. über die divi fratres. 15 Erst seit Hadrian wurden die rescripta als Rechtsquellen für die römische Rechtswissenschaft beachtenswert. Die ersten Juristen, die sich nach unserer Digestenüberlieferung mit ihnen auseinandersetzten, waren Celsus, 1. 30 digest. D. 22, 3, 13, und Julian, 1. 64 digest. D. 4, 2, 18. Nicht zufällig rührt daher auch das älteste rescriptum im Codex Iustinianus von Hadrian her: C. 6, 23, 1 zum status der Testamentszeugen. 16 Gai. 1,2 und 7; 1. 1,2,3 und 8; Pap. 1. 2 def. D. 1, 1,7 pr.; Promp. 1. sing. enchir. D. 1,2,2,47. 14

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nunmehr doch lieber sogleich an den mit der entsprechenden Autorität interpretierenden princeps gewandt haben mochten, keinen Nutzen gebracht. Ein bezeichnendes Eingeständnis der Hinfälligkeit seiner Respondiertätigkeit findet sich bei Papinian11 • Die wachsende Anzahl von Reskripten brachte die spätklassische Rechtswissenschaft rasch zum schweigen. Die Entwicklung der Befugnisse und Funktionen auf dem Gebiet der Rechtsschöpfung und -fortbildung zeigt den Endpunkt des Verfassungswandels von der römischen Republik zum Prinzip at der antoninischen und severischen Epoche deutlich an. Alle bisher entscheidenden Rechtsquellen haben mit der Entmachtung, Erstarrung oder mit dem Absterben ihrer Erlaßinstanzen ihre Lebenkraft eingebüßt. Allein die auf die Interpretation und Anwendung des Rechts bezogenen Verlautbarungen der principes, die constitutiones, blieben bestehen. Ja, sie gewannen erst mit dem Machtzuwachs der römischen Herrscher ihre nunmehr unangefochtene Stellung als einzige Quelle des römischen Rechts. Die Regierung Hadrians hat durch diese zielbewußte Wahrnahme aller Funktionen und die intensive Ausübung ihrer Macht, insbesondere im Bereich des Rechtswesens, die in der Verfassung des Augustus bereits angelegten Möglichkeiten aktualisiert und damit die Entwicklung des Prinzipats über den Absolutismus der severischen Epoche zum Dominat Diokletians und seiner Nachfolger eingeleitet und entscheidend gefördert. Das hatte auch Auswirkungen für die rechtliche Geltung der constitutiones. Seit der Hochklassik steigerten Staats- und Rechtslehre die Formaldefinition der constitutio vom ursprünglichen exemplum, d. h. der zu beachtenden höchstrichterlichen Rspr., über allgemeinverbindliche Anordnungen zur materiellen Rechtsnorm, zur lex, wie sich anhand der Aussagen und Definitionen von Pomponius l8 , Gaius l9 , Ulpian 20 und Justinian21 die Stufen dieser rechts theoretischen Entwicklung in etwa nachzeichnen lassen. Es leuchtet also ein, daß im Gegensatz zu den Herrschern der Früh- und Hochklassik erst die principes der Spätklassik, die absolutistisch regierenden Severer, sich nicht nur in orationes 22 , sondern gerade auch in zahlreichen Einzelentschei-

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1. 15 respons. D. 34, 9, 18 pr. 1. sing. enchir. D. 1, 2, 2, 12: Pro lege servetur.

1,5: Legis vicem optineat. 1. 1 inst.: I. 1,2,6 und D.1, 4,1 pr.: Legis habet vigorern. 21 C. 1, 14, 12 pr.: Hoc esse legern non solum illi causae, pro qua producta est, sed omnibus similibus. Gleichlautend auch die Interpolationen in Ulp. I. 1,2,6 und D. 1,4,1,1: Legern esse constat. 22 z. B. die orationes divi Severi zur Nichtigkeit der Veräußerung von Mündelgrundstücken, 195, UIp. 1. 35 ad ed. D. 27, 9, 1; 1. 6 opinionum D. 27, 9, 10; Marcian. 1. sing. ad formuIam hypothecariam D. 27, 9, 12, und zur Heilung von Schenkungen unter Ehegatten, 206, Ulp. 1. 6 ad Sab. D. 24, 1, 23 und 1. 33 ad Sab. D. 24, 1,32. 19

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dungen23 - vor allem aus Billigkeitsgründen über die Grundlagen des ius civile und des ius honorarium hinweggesetzt haben. Dabei konnten die Herrscher gegen den Widerstand ihrer in der klassischen Rechtswissenschaft verhafteten Juristen im kaiserlichen consilium, Papinian, Paulus, Ulpian, bisweilen auf Grund ihrer politischen Macht sehr modern anmutende Lösungen entwickeln. Die Diskrepanzen zwischen den Spätklassikern und den principes lassen sich aus den Exzerpten des Paulus aus den Protokollen der Konsilsberatungen entnehmen, die der Jurist für seine oben bezeichnete Entscheidungssammlung libri decretorum tres benutzt hatte24 • Als bemerkenswertes Beispiel für eine solche moderne Lösung der Severer erscheint besonders die Konzeption der Anscheinsvollmacht im Falle eines servus institor 25 • Dieser servus hatte - wie die Verhandlungen in zwei Instanzen ergaben - seit langem Geschäfte außerhalb der ihm in der praepositio gesetzten Grenzen zum wirtschaftlichen Nutzen seines dominus abgeschlossen, ohne daß der Mangel in der Bevollmächtigung gerügt worden und der freilich erst später behauptete entgegengesetzte Wille des dominus, der sich nun als Beklagter gegen eine actio institoria wehren mußte, sichtbar gewesen wäre. Ausgehend von der in der Spätklassik geltenden Lehre, daß eine in der praepositio liegende Ermächtigung Dritten gegenüber nur durch denuntiatio oder palam proscriptio erlösche, also bei entgegengesetztem Willen, den der dominus nicht ordnungsgemäß verlautbart habe, sondern vielleicht nur dem servus gegenüber geäußert haben mochte, die praepositio ihren Rechtsschein behalte26 , entschied der princeps Septimius Severus, daß eine entsprechende Rechtsfolge auch bei einer dem dominus erkennbaren, wenn auch im Einzelfall nicht erkannten, überschreitung der noch geltenden praepositio durch den servus institor eintreten müsse. In einem decretum gewährte er daher gegen die Meinung des Paulus, der mit Recht den Widerspruch zum geltenden ius praetorium im consilium rügte, die actio institoria dem Kläger. Paulus hatte im Rat erklärt: Non solere ex ea causa in dominum dari actionern, und fuhr fort: Sed quia videbatur (dominus) in omnibus (negotiis) eum (servum) suo nomine substituisse, senten ti am (praefecti annonae, der aber als erstinstanzlicher 23 Man beachte die decreta, die Paulus in seiner Entscheidungssammlung "libri decretorum tres" zusammengetragen hat und an deren Entstehung er diskutierend im consilium beteiligt war (Paul. D. 4, 4, 38 pr.; 22, 1, 16, 1; 46,

1, 68, 1; 49, 10,50). 24 z. B. D. 4, 4, 38 pr.; 14, 5, 8; 29,2,97; 32, 27, 1; 36, 1, 76, 1; 49, 14,50 vgl. dazu den Kommentar von Sanjilippo, Pauli libri decretorum tres, Milano 1938, insbes. die Zusammenfassung auf S. 128. 25 Paul. 1. 1 decretorum D. 14, 5, 8. 26 Ulp.l. 28 ad ed. D. 14,3, 11, 2-6.

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Richter wohl von einer Duldungsvollmacht ausgegangen war) conservavit imperator. Sofern rechtliche Institute oder Behelfe den constitutiones principum ihre Entstehung verdankten, galten sie selten als von Amts wegen zu beachtendes zwingendes Recht. Ihre Anwendung zum Nutzen der Privatpersonen war vielmehr deren Dispositionsfreiheit im Zivilprozeß überlassen. Es ist ein bezeichnender Reflex der erst allmählich eintretenden Festigung der Institution des princeps, daß die Herrscher im allgemeinen im Sachen- und Schuldrecht zwingenden, d. h. vom Willen der Parteien unabhängig eintretenden, sondern an ihr Verhalten bzw. an das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale geknüpften, ipso iure sich ergebenden Rechtsfolgen abgeneigt waren. So war die emptio venditio oder mancipatio rei litigiosae vel fundi Italici litigiosi, einer in einem sog. Erstprozeß streitbefangenen Sache, die gegen das im edictum divi Augusti de rebus litigiosis enthaltene Veräußerungsverbot verstieß, nach Gai. 4, 11727 nicht ex edicto nichtig, und daher war auch ein solcher Verstoß nicht von Amts wegen, sondern im zweiten Zivilprozeß (vindicatio des ErwerbersYs nur auf Antrag des besitzenden Beklagten zu beachten, da es sich nicht um eine rechtshindernde Einwendung, die nur die Form des Entstehungstatbestandes der aus dem Geschäft folgenden Rechtsrnacht, nicht aber diese selbst anerkannte, handelte, wie dies wohl in spätklassischer Zeit im Zuge der weiteren Entwicklung der privatrechtlichen Veräußerungsverbote der Fall gewesen sein mag29 , z. B. die Nichtigkeit der Veräußerung eines Mündelgrundstücks durch den tutor oder curator pupillli auf Grund der von mir oben bezeichneten oratio divi Severi von 195. Dort handelte es sich nicht mehr um ein bloßes Verbot ohne zivilrechtliche Nichtigkeitssanktion. Wahrscheinlich hat auch das augusteische Edikt erst in der Spätklassik die im fr. de iure fisci 1, 830 • das in severischer Zeit verfaßt worden ist31 , bezeichneten schwereren Rechtsfolgen erhalten32 • Das edictum divi Augusti jedenfalls in seiner 27 Si fundum litigiosum sciens a non possidente emeris eumque a pos sidente petas, opponitur tibi exceptio, per quam omni modo summoveris. 28 Vgl. dazu De Marini Avonzo, 1 limiti aHa disponibilita deHa res litigiosa nel diritto romano, Milano 1967, 173-329. 29 Kaser, RP 12 406. 30 Qui contra edictum divi Augusti rem litigiosam a non possidente comparavit, preaterquam quod emptio nullius momenti est, poenam quinquaginta sestertiorum fisco repraesentare compellitur, vgl. dazu Lenel, Edictum Perpetuum, Leipzig 3. Auft. 1927, 513. 31 Huschke, lurisprudentiae anteiustinianeae, Leipzig 3. Auft. 1874, 595; Orestano, Gli editti imperiali. Contributo aHa teoria deHa loro validita ed efficacia nel diritto romano classico, in: BIDR 44 (1936/37) 247; De Marini

Avonzo, a. a. 0., 263. 32 Vgl. v. Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen RechtsqueHen, in: SZ 66 (1948) 350.

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ursprünglichen Fassung gewährte dem an der emptio venditio oder mancipatio rei litigiosae unbeteiligten Vindikationsadressaten, dem Beklagten im Zweitprozeß, nur die Möglichkeit, den fraglichen Kaufvertrag wegen Fehlens der Übergabe bzw. wegen unmöglicher Realisierung des Übergabesurrogats, d. h. wegen der Undurchsetzbarkeit des Herausgabeanspruchs, als unerfüllbar scheitern zu lassen, indem der Beklagte die vindicatio des Erwerbers mit Hilfe der beantragten exceptio rei litigiosae paralysierte. Ähnlich verhielt es sich mit der Geltendmachung der usukapionsähnlichen Position des possessor einer vom fiscus gekauften res furtiva bzw. eines servus fugitivus seit Marcus Aurelius. Der ununterbrochene fünf jährige Besitz einer res furtiva 83 oder der Besitz eines servus fugitivus drei Jahre langa« verschaffte dem Erwerber nicht auf Grund der usucapio einer ex iusta causa und u. U. bona fide vom fiscus erworbenen res das Eigentum, das als rechtsvernichtende Einwendung gegenüber dem in diesem Falle untergegangenen Eigentum des früheren Inhabers von Amts wegen hätte berücksichtigt werden müssen. Man hätte hier nach modernrechtlichen Gesichtspunkten erwarten können, daß Vermögensübertragungen, die kraft Staatsakts im Wege öffentlicher Versteigerungen erfolgen, wenn nicht schon unmittelbar ziviles Eigentum, so doch die dem bonitarischen Eigentum ähnliche Rechtsstellung geschaffen hätten, welche sich nach den Regeln der usucapio nach Ablauf eines Jahres auf Grund ununterbrochenen Eigenbesitzes in ziviles Eigentum verwandelt hätte. Man denke im modernen Recht an den Eigentumserwerb kraft Staatsakts auch bei Bösgläubigkeit des Erwerbers durch den Zuschlag bei Grundstücken gemäß § 90 ZVG, ferner bei der Übereignung der ersteigerten, dem Vollstreckungsschuldner nicht gehörenden Sache durch den Gerichtsvollzieher nach § 817 ZPO und auf Grund Gerichtsbeschlusses nach § 825 ZPO. In der Erkenntnis aber, daß es sich bei den res furtivae bzw. bei den servi fugitivi um im Sinne der uscapio res inhabiles35 handelte, wagte der princeps Marcus Aurelius keinen so tiefgehenden Einbruch in das System des ius civile, sondern er beschränkte sich darauf, mit Hilfe eines Ediktes dem Käufer rechtsqualitativ und praktisch etwas schwächere Rechtsbehelfe in die Hand zu geben, die exceptio quinquennii bzw. triennii, die nach Ablauf der - im Vergleich zur Usukapionsfrist von einem Jahr bei beweglichen Sachen38 wesentlich längeren - Fristen eine eigentümerähn33 1. 2, 6, 14: Edicto divi Marci cavetur eum, qui a fisco rem alienam emit, si post venditionem quinqennium praeterierit, posse dominum rei per exceptionem repellere. S6 Paul. sent. 1, 6 a, 7: Intra triennium venditionis agniti fugitivi emptor pretium a fisco recipere potest. Zum Lehrsatz: servus fugitivus sui furtum facit vgl. African. 1. 7 quaest. D. 47, 2, 61, Diocl.-Maximian. C. 6, 1, 1; siehe dazu Pringsheim, in: Festschr. SchuIz, I, Weimar 1951, 279 ff. 35 Gai. 2, 45 und 49. 38 Gai. 2, 41; Ulp. 19, 8.

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liche, nämlich jeden anderen vom Besitz ausschließende Herrschaftsposition über die erworbene Sache vermitteln konnten. Aber auch dieses Ergebnis war nicht ohne Zutun der betroffenen beklagten Partei, des Käufers, möglich. Denn hier wurden nur Einreden gewährt, die das Recht des Eigentümers an sich anerkannten und nur seine Ausübung für dauernd durch kaiserliche Hilfe entkräfteten. Der mit der rei vindicatio vom Eigentümer verklagte besitzende Käufer mußte vor dem praetor die exceptio zur Aufnahme in die Klagformel beantragen und diese dann noch einmal im Verfahren apud iudicem unter der ihm zur Last fallenden Beweispflicht über den einwandfreien Erwerb und die Dauer des ununterbrochenen Besitzes geltend machen. Ähnlich und praktisch noch ungünstiger verhielt sich die Stellung des possessor eines fundus provincialis, und zwar selbst noch in der spätklassischen Zeit37 • Auch hier bedurfte es der Geltendmachung der longi temporis praescriptio von seiten des mit der rei vindicatio verklagten Besitzers, der den fundus provincialis zehn oder - wenn der Kläger und der beklagte Besitzer nicht im selben Nomos wohnten - zwanzig Jahre im ununterbrochenen Eigenbesitz gehabt haben mußte und dem neben dem Nachweis dieses Tatbestandes zugleich die Beweislast für das iustum initium possessionis zufiel. Auch die longi temporis praescriptio war keine von Amts wegen zu beachtende, das frühere und noch bestehende Eigentum vernichtende Einwendung, sondern nur eine von der beklagten besitzenden Partei vorzubringende, die Ausübung des theoretisch weiter bestehenden Eigentums des Klägers auf Dauer hindernde Einrede. Bei der donatio an personae ex lege Cincia38 exceptae, gegen deren Herausgabeforderung die Schenker die exceptio legis Cinciae nicht einwenden konnten39 , mußte der auf Erfüllung verklagte und dazu verurteilte donator, der nach den Grundsätzen der Personalexekution und der bonorum venditio mit relativer infamia unbeschränkt haftete, die Haftungsminderung in id bzw. dumtaxat de eo quod face re potest40 und die deductio ne egeat, den Abzug des Notbedarfs von der Urteilssumme4 t, beim praetor zur Aufnahme in die formula beantragen, um der rücksichtslosen 37 Vgl. das Reskript der imperatores Septimius Severus und Caracalla von 199 in BGU 1, 267 und P. Straßb. 22. 38 Vgl. zu diesem plebiscitum, das 204 v. Chr. die Annahme von Schenkungen allen Personen von einer bestimmten, heute unbekannten Höhe verbot, fr. vat. 260-316. 39 Das waren einzelne in fr. vat. 298-309 bezeichnete Gruppen nahestehender Personen, z. B. gewisse Verwandte, Verschwägerte und die eigenen liberti. 40 Das sog. beneficium competentiae des Schenkers, vgl. dazu Ulp. 1. 6 ad Sab. D. 23, 3, 33 = D. 50, 17, 28; 1. 3 disput. D. 39, 5, 12; Paul. 1. 14 quaest. D. 42, 1,41,2. 4t Pomp. 1. 7 variarum lectionum D. 42, 1, 30; Paul. 1. 6 ad Plaut. D. 42, 1, 19,1.

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Zwangsvollstreckung zu entgehen. Denn der iudex hatte bei seiner in der formula vorgeschriebenen Kondemnationspflicht keine Ermessensfreiheit zur Leistungsminderung. Wahrscheinlich haben diese Grundsätze auch im Recht der pollicitatio gegolten4!. Die compensatio gegen Klagforderungen in Gestalt der stricta iudicia konnte nicht durch einseitige, empfangs bedürftige Willenserklärung apud iudicem bewirkt, sondern nur auf dem Umweg über di€ beim praetor beantragte exceptio doli erzwungen werden43 • Die bisher bestehende grundsätzliche Solidarhaftung jedes von mehreren fideiussores gegenüber dem Gläubiger44 tasteten die Adoptivkaiser Hadrian und Antoninus Pius in ihren epistulae zur fideiussio nicht an45 , und sie führten daher auch nicht durch ihre Reskripte die ex officio zu beachtende Anteilshaftung ein, wie dies für die Stipulationsbürgschaften nach der lex Furia46 zum Schaden des Gläubigers der Fall war, wo auch zahlungsunfähige Bürgen noch einberechnet wurden. Sie stellten es dem verklagten fideiussor lediglich frei, von sich aus vor dem praetor beim Kläger zur Vermeidung der denegatio actionis darauf hinzuwirken, daß gegen ihn nur einer actio divisa im Verhältnis der zahlungsfähigen Mitbürgen stattgegeben werden möge47 , bzw. selbst den Antrag zu stellen, daß wenigstens die exceptio: si non €t illi (= ceteri confideiussores) solvendo sint in die auf das solidum lautende Klageformel für das Verfahren apud iudicem aufgenommen werde 48 • Demgegenüber traten die principes auf den Gebieten des Personen-, Familien- und Erbrechts mit Ge- und Verboten in Entscheidungen von Einzelfällen, aber auch bei der Schaffung von Rechtsinstituten sehr viel bestimmter und strenger auf. Diese von auffälligem Interesse getragene Einflußnahme in das römische Sozi alle ben mit einschneidenden rechtlichen Konsequenzen war staatsrechtlich und - wenn man so will ideologisch begründet. Der princeps hatte kraft seiner auctoritas 49 , der auf der Seite des Volkes der consensus universorum50 entgeg€nkam, 42

12,9.

Pomp. 1. 6 epist. et var. lect. D. 50, 12, 14; Modest. 1. 4 different. D. 50,

43 1. 4, 6, 30: Sed et in strictis iudiciis ex rescripto divi Marci opposita doU maU exceptione compensatio inducebatur. 44 Gai. 3, 121; 1. 3, 20, 4. 45 Gai. 3, 121: Itaque liberum est creditori, a quo velit, solidum petere. Sed nunc ex epistula divi Hadriani conpellitur creditor a singulis qui modo solvendo sint, partes petere, ferner Antoninus Pius in Pap. 1. 27 quaest. D.

46,1,49,1.

Gai. 3, 121. 1. 3, 20, 4; Pap. 1. 3 respons. D. 46, 1, 51 pr., 1. 11 respons. D. 46, 1, 52, 1; Sept. Sev.-Carac. C. 8, 40 (41), 3, 1. 48 Paul. 1. 25 ad ed. D. 46, 1,28; vgl. dazu Lenel, a. a. 0., 218. 40 Vgl. dazu Siber in Sächs. Ak. Wiss. philol.-hist. K1., Abh. 44, 11 (1940), 4~

47

75-79. 50

Mon. Ancyr. Lat. 6, 14, vgl. dazu Wickert, Art.: Princeps, in: RE XXII 2

(1954) 2266.

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die zensorischen Befugnisse zur Wahrung der römischen Gesellschaftsund Sittenordnung absorbiert. Er übte damit über das persönliche Verhalten der cives Romani eine umfassende Aufsicht aus. Auctoritas principis war ein von Augustus selbst im Monurnenturn Ancyranum geprägter Begriff51 . Diese auctoritas war im Gegensatz zur Ansicht Magdelains52 kein rechtlicher Terminus zur Begründung der Institution und der Akte des Prinzipats, sondern ein psychologisch und soziologisch zu erfassender Tatbestand. Darin verkörperte sich seit Augustus vom princeps das Bild der archetypischen Vatergestalt mit ihren psychologischen und gesellschaftlichen Einflußmöglichkeiten. So war er in der Tat der pater patriae, und zwar nicht nur in dem oberflächlichen Sinne der letzten und größten öffentlichen Ehrung des ersten princeps53. Diese Begriffe: auctoritas principis, consensus universorum, pater patriae drückten den tiefgehenden faktischen Einfluß der principes auf den personellen Bereich der Bürger aus. Die auctoritas mit ihrem gesellschaftlichen und politischen und weniger rechtlich begründeten Zwang war die unterstützende Kraft für die Durchsetzung der rechtsfortbildenden Vorstellungen der principes auf dem Gebiet der Personenstandssicherung, für ihre Anordnungen und Erleichterungen in Bürgerrechtsfragen, für ihre ausgedehnte Konstitutionstätigkeit auf dem Gebiete des Sklavenrechts, insbesondere zum Schutz der Sklaven vor der Willkür ihrer domini. Antoninus Pius, hat in dieser heiklen Frage, die ja auch das Privateigentum und seinen Kern im positiven wie im negativen Sinne, freie Verfügung und Ausschluß jeder Einwirkung, betraf, in einem Reskript im Jahre 152 ausgeführt54 : Necesse habe at proconsul ... ut mea iam auctoritate ad alienandos eos compellere. Auf ihre auctoritas stützten sich die principes für die Beschränkung der status quaestio auf einen Zeitraum von fünf Jahren seit dem Tode des Betroffenen, für ihre zahlreichen Entscheidungen zu den manumissiones von Sklaven und im Familienrecht für die Beschränkungen der patria potestas. Obwohl die Emanzipation in der freien Entscheidung des pater familias seit alters her stand, hat u. a. Septimius Severus bei Annahme einer letztwilligen Zuwendung durch den pater familias unter der Auflage der Emanzipation seiner filii familias diesen einen klagbaren Anspruch im Wege der extraordinaria cognitio gegen den Vater eingeräumt55 . Die principes setzten die Anerkennung der Unterhaltspflicht unter Verwandten in auf51 Mon. Ancyr. Lat. 6, 21-23: Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestate autem nihilo amplius habui quam ceteri, qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. 52 Auctoritas principis, Paris 1947, 75. 53 Mon. Ancyr. Lat. 6, 25. 54 VIp. coll. 3, 3, 5. 55 Vgl. VIp. 1. 5 fideicommissorum D. 35, 1, 92: Ex auctoritate divi Severi emancipare eos compulsus est.

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und absteigender Linie durch und haben in vielen Konstitutionen die tutela impuberis, die Verwaltung des tutor und die cura minorum beeinfiußt und gestaltet. Im Erbrecht mußten die Kaiser Tiberius, Hadrian, Marcus Aurelius, Septimius Severus, Caracalla und Severus Alexander wiederholt zur Auslegung von Testamenten in constitutiones Stellung nehmen. Sie ordneten, wenn auch mit Modifikationen, durchweg unter übergehung des Widerspruchs der Konsilsjuristen die Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Erblassers bei der Erbeinsetzung an. Dabei hafteten sie ängstlich am konkreten Fall, hier jede Verallgemeinerung vermeidend; aber sie waren auch hier stets genötigt, die wegen der Schwierigkeiten des verba-voluntas-Problems bei letztwilligen Verfügungen auftretenden Meinungskämpfe der Juristen autoritativ zum Abschluß zu bringen56 • Auf Grund ihrer Autorität konnten die principes die Testierfähigkeit des filius miles hinsichtlich des peculium castrense durchsetzen57 • Schließlich aber spielte die auctoritas des Augustus die entscheidende Rolle zur Durchsetzung von Ansprüchen aus fideicommissa58 • Soweit die principes von ihrer Möglichkeit, das Recht fortzuentwickeln, Gebrauch gemacht haben, schufen sie in allen Fällen jene Grundlagen, auf denen sich konsequent das Recht der Spätklassik und der Nachklassik fortentwickelt hat. So haben die Kaiser der Hochklassik insbesondere die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Grenzen der bisher allzu individualistisch verstandenen Eigentumsposition59 aus Gründen des öffentlichen Wohls abgesteckt60 und damit die nachklassischen Verschärfungen der Sozialbindung des Eigentums eingeleitet81 • Denn die Nachklassik sah das Eigentum in bedeutend geringe56 Tib.-Pomp. 1. 12 ex variis lectionibus D. 28, 5, 42 (41), I. 2, 15, 4; Hadr.Pau1. 1. sing. de septemviralibus iudiciis D. 5, 2, 28; Marc. Aure1.-Ulp. 22, 34; Marc. Aure1.-Luc. Ver.-Modest. 1. sing. de heurematicis D. 28, 6, 4 pr.; Sept. Sev.-Pau1. 1. 2 decret. D. 28, 5, 93 (92); Sept. Sev.-Carac. C. 3, 28, 3, vg1. dazu Schulz, Der Irrtum im Beweggrund bei der testamentarischen Verfügung, in: Gedächtnisschr. Seckel, IV, Berlin 1927, 89 ff., ferner die Rez. Levy, SZ 48 (1928) 680 f. 57 I. 2, 12 pr.: Quod quidem initio tantum militantibus datum est tarn ex auctoritate divi Augusti quam Nervae nec non optimi imperatoris Traiani, postea vero subscriptione divi Hadriani etiam dimissis militia, id est veteranis, concessum est. Itaque si quidem fecerint de castrensi peculio testamentum, pertinebit hoc ad eum quem heredem reliquerint. 58 I. 2, 23, 1: Postea primus divus Augustus semel iterumque gratia personarum motus, vel quia per ipsius salutem rogatus quis diceretur, aut ob insignem quorundam perfidiam iussit consulibus auctoritatem suam interponere. 59 z. B. Liv. 40, 51, 7, vg1. dazu Scialoja, Teoria della proprieta nel diritto romano, I, Roma 1933, 319. so Iavolen. 1. 10 ex Cassio D. 8, 6, 14, 1; vg1. allgemein De Robertis, La espropriazione per pubblica utilita nel diritto romano, Bari 1936, 147. 61 Kaden, L'exercise de la proprü~te a la fin de l'epoque classique du

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rem Maße als unantastbar an6!. Mit der Gewährung der oben erwähnten exceptiones quinquennii und triennii haben die Herrscher der Antoninenzeit wesentlich zur Anerkennung der longi temporis praescriptio auf dem Gebiet des Sachenrechts beigetragen, so daß nicht allzu lange darauf in der Spätklassik Septimius Severus und Caracalla dieses Rechtsinstitut für den fundus provincialis und vielleicht für sonstige res mobiles furtivae mit allerdings längeren Ausschlußfristen83 anerkennen konnten. Hadrian hat schließlich die auch in Zukunft in Geltung gebliebene inventio thesauri als weitere Form originären Eigentumserwerbs geschaffen 64 • Wenn auch in der nachklassischen Folgezeit noch gelegentlich durch kaiserliche constitutiones der Anteil des inventor im Vergleich zur hadrianischen Lösung betragsmäßig verändert wurde, so ist doch die inventio stets ein Tatbestand originären Eigentumserwerbs geblieben8s • Gleiches gilt für die Gewährung des Vollstreckungsschutzes und insbesondere der deductio ne egeat im Rechte der donatio. Die pollicitatio, das pactum quo minus solvatur, das ist der Gesamtvergleich zwischen den Erben einer überschuldeten Erbschaft und den Gläubigern des Erblassers zu deren anteilmäßiger Befriedigung66 , und die compensatio durch die exceptio doli bei den stricta iudicia haben, nachdem diese Institute in den constitutiones von Marcus Aurelius ihren Ursprung bzw. ihre kaiserrechtliche Anerkennung gefunden hatten, einen konsequenten eigenständigen Entwicklungsprozeß bis zur Kodifikation Justinians durchlaufen und sich durchgesetzt. Das gleiche gilt für das sog. beneficium divisionis Hadrians, das mit Hilfe der exceptio si non et illi (= ceteri confideiussores) solvendo sint die Ablösung der gesamtschuldnerischen Haftung des verklagten confideiussor zugunsten der Anteilhaftung ermöglichte. Antoninus Pius hat schließlich durch die Einführung der subjektiven Betrachtungsweise bei der Interpretation der Verbotsbestimmungen des Sc. Vellaeanum dem Recht der intercessio feminarum eine bleibende Richtung gewiesen. Augustus und Claudius hatten in Edikten entschieden, daß ein Anspruch immer dann durch Geltendmachung der exceptio von seiten der verklagten Frau ausgeschaltet werden könne, wenn sich die anspruchsbegründende obligatio als interdroit romain, in: Revue des etudes latines 15 (1937) 150 ff.; Levy, West Roman Vulgar Law. The Law of Property, Philadelphia 1951, 103. 62 KaseT, RP 11 (1955) 189-193. 03 Marcian. 1. 5 reg. D. 44, 3, 9; Modest.!. 6 different. D. 44, 3, 3; Dioc1.Maximian. C. 3, 31, 7, 1; 7, 33, 8, 5; vgl. dazu KaseT, RP 12 424, insbes. Anm.71. 64 I. 2, 1, 39. as Marc. Aure1.-Luc. Ver.-Call. 1. 3 de iure fisci D. 49, 14, 3, 10; Grat.Valent.-Theodos. C. Th. 10, 18, 2; 3; Zeno C.10, 15, 1. 118 Marc. Aure1.-Pap. 1. 10 respons. D. 2, 14, 8, Uip. 1. 4 ad ed. D. 2, 14, 10 pr. 6 Festschrift Küchenhoff

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cessio pro viro suo erweisen sollte (objektive Betrachtungsweise)67. Demgegenüber hat Antoninus Pius - nach ihm bestätigend Septimius Severus - festgestellt 88 , daß der Frau aber die exceptio Scti. Vellaeani versagt sein sollte, wenn sie den Gläubiger bei Eingehung des betreffenden Verpfiichtungsgeschäfts über ihre Interzessionsabsicht im Unklaren gelassen oder getäuscht hatte. Der princeps führte also in den Tatbestand des Sc. dort nicht vorhandene subjektive Merkmale ein, indem er seine Anwendung von der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Gläubigers bzw. den Ausschluß der exceptio vom Schuldvorwurf gegenüber der Frau abhängig machte. Erst dadurch aber konnten Frauen wieder an Kreditgeschäften teinehmen, weil die Gläubiger, die nicht wissentlich gegen das Interzessionsverbot v€rstießen, nicht mehr um die rechtliche Durchsetzbarkeit ihrer Forderungen fürchten mußten. Am Ende dieses Prozesses verzichtete schließlich Justinian auf das rechtliche Verbot bzw. auf die Einschränkung der Rechtsgeschäfte der Frauen zum alleinigen wirtschaftlichen Nutzen Dritter mit Ausnahme des alten augusteischclaudischen Tatbestandes pro viris suis gänzlich 69 • Trotz dieser von den principes der Früh- und Hochklassik gewiesenen Richtungen der Rechtsfortentwicklung bleibt es jedoch bemerkenswert, daß sich die Herrscher mit ihren Neuerungen nicht den großen Tendenzen und Entwicklungslinien, die die römische Sozialordnung vorgezeichnet hatte, entzogen oder gar entgegengestellt haben. Capitolinus hat dieses Merkmal selbst noch für die Rechtsfortbildung des Marcus Aurelius, der gerade öffentlich-rechtlichen Einflüssen im Privatrecht Eingang verschafft hatte, in Hist. aug. Marci 11, 10 betont7o . Man wird also für die principes der Früh- und Hochklassik nicht so allgemein formulieren dürfen, wie dies Riccobono71 , BiondF2 und De Martin0 73 ausdrückten, daß die principes von den geltenden Prinzipien des ius civile und des ius honorarium absolut unabhängig gewesen seien. Eine etwas größere Freiheit fiel den Herrschern, wie wir gesehen haben, ohnehin nur bei ihrer iurisdictio im Bereich des Personen-, Familien- und Erbrechts zu. Aber diese Tatsache, die unter Anführung der Anerkennung der fideicommissa als Beweis verallgemeinert wird 7\ reicht insgesamt zur Be87 VIp. 1. 29 ad ed. D. 16, 1, 2 pr. 68 VIp. 1. 29 ad ed. D. 16, 1, 2,3; 4 pr. 69 Nov. 134 c. 8. 70 VgI. dazu Scarlatta-Fazio, Principi vecchi e nuovi di diritto privato nella attivitä. giurisdizionale dei divi fratres, Milano 1939. 71 Die Vererblichkeit der Strafklagen und die Fiktion der Litiskontestation nach klassischem und justinianischem Recht, in: SZ 47 (1927) 97 f. 72 Prospettive romanistiche, Milano 1933,54. 73 La giurisdizione nel diritto romano, Padova 1937,295. 74 Biondi, a. a. O.

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gründung nicht aus. Mit Recht stellt Sanfilippo75 eine solche unbeschränkte Möglichkeit erst bei den severischen principes in der Spätklassik fest. Er bekräftigt aber andererseits auch, daß Septimius Severus und Caracalla, natürlich von den spätklassischen consiliarii gedrängt, in zahlreichen, von Paulus überlieferten decreta an den Grundsätzen der römischen Rechtstradition festhielten, sofern diese ihnen nicht im Einzelfall unbillig erschienen. Die traditionsverhaftete Einstellung der klassischen principes wird am ehesten deutlich in der Einleitung eines rescriptum von Antoninus Pius auf eine Eingabe zum Problem des Umfangs und Inhalts der Herrschaftsgewalt eines dominus über seinen servus, der vor der saevitia seines Herrn ad statuam principis geflohen war 76 . Zwar handelt es sich hierbei nach der heute üblichen dogmatischen Einteilung77 um einen Fall des Personenrechts, beachtet man aber andererseits, daß die Sklaven im römischen Recht eine Doppelnatur als personae und als res corporales bzw. res mancipF8 besaßen und sie daher im letzteren Falle auch nach Sachenrecht behandelt wurden79 , dann leuchtet ein, daß die hier ausgesprochenen Grundsätze auch die Haltung des princeps in diesem Rechtsbereich bestimmten. Bezeichnend dafür sind auch die Worte von Antoninus Pius in einem rescriptum bei Marcellus 1. 3 digest. D. 4, 1, 7, pr.: "Etsi nihil fa eile mutandum est ex sollemnibus, tarnen ubi aequitas evidens poscit, subveniendum est80 ." Obwohl Antoninus Pius aus Gründen der humanitas81 in seiner Entscheidung schließlich verfügte, daß der dominus unter diesen Umständen den servus einem anderen dominus zu verkaufen habe 82 , stellte er zunächst als Grundsatzbekenntnis fest: "Dominorum quidem potestatem in suos servos inlibatam esse oportet nec cuiquam hominum ius suum detrahi." Daraus läßt sich erkennen, wie zögernd die principes zunächst Enteignungen und Beschränkungen der Eigentumsposition anordneten bzw. in den Eigenbereich der domus eingriffen. Erst als der Staat seit der zweiten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. in eine ständig wachsende Wirtschaftskrise geriet83 und seit dem Regierungsantritt von Marcus Aurelius (161-180) a. a. 0., 129, 132. 76 Ulp. 1. 8 de off. proeons. D. 1, 6, 2 = eoll. 3, 3, 2 = I. 1, 8, 2; vgl. dazu Gualandi, Legislazione imperiale e giurisprudenza, 11, Milano 1963, 53. 77 Kaser, RP I2 271 ff. 78 Gai. 1, 120; 2,13 f. 78 Kaser, RP 12 285. 80 Vg1. dazu Gualandi, a. a. 0., II 139. 81 Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, München 1934, 108 Anm. 97 gegen Solazzi, Glosse a Gaio, in: Sero Rieeobono, I, Palermo 1936, 120 ff. 82 Gai. 1, 53; Ulp. 1. 8 de off. proeons. D. 1, 6, 2; I. I, 8, 2; eoll. 3, 3, 1-3, 5 f.; 1. sing. de off. praefeeti urbi D. I, 12, I, 1; Mare. Aure1.-Lue. Ver.-Ulp. 1. 8 de off. proeons. D. 48,18, 1,27. 83 Walser-Pekary, Die Krise des römischen Reiches, Berlin 1962, 81-93. 75

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sich in ständigen Kriegsnöten befand, zwang das allgemeine Wohl zu energischeren Eingriffen, und erst dann drängte der Staat wegen seines erhöhten Finanzbedarfs und des damit zusammenhängenden Interesses an einem größeren Steueraufkommen auf eine intensivere Bodennutzung und -bewirtschaftung84 • Erst seit dieser Zeit mußten dieprincipes ihre im 1. Jh. n. Chr. geübte Zurückhaltung gegenüber der Freiheitssphäre der domus, dem Lebensbereich der familia, aufgeben85 , wozu das menschliche Grundrecht von der Unantastbarkeit des Privateigentums gehört. Wenn die principes wie zuerst Antoninus Pius, dann Septimius Severus und Caracalla88 nur die bona vacantia fisco nondum nuntiata, den noch nicht angezeigten erbenlosen Nachlaß, über die als res fisci oder caduca nach der lex Iulia de maritandis ordinibus sie eigentümerrechtlich verfügen konnten87 - nicht aber auch die in die Hand des fiscus geratenen und zum Zweck der Rückführung in den privaten Rechtsverkehr und in das Wirtschaftsleben verkauften res furtivae und servi fugitivi, deren Erwerber nur durch die exceptiones quinquennii bzw. triennii geschützt wurden - vor Ablauf der Fünfjahresfrist der nuntiatio ad fiscum unter der Voraussetzung des Erwerbs der possessio civilis durch die emptio venditio als iusta causa und bona fide für usukapionsfähig erklärten, so beweist auch dies wiederum, daß die principes die Grundsätze des Ersitzungsrechts, also des ius civile, nur zu eigenen Lasten, aber zu Lasten fremder Eigentümer nicht antasten wollten und sich lieber mit der Schöpfung von verwandten, zum selben faktischen Ergebnis führenden Rechtsinstituten begnügten. Auch beim Recht des Schatzfundes knüpfte Hadrian an vorbereitende Entwicklungen in der Rechtslehre und in der Rechtspraxis an88 • Die Besonderheit seiner Lösung bestand nur in der Billigkeit der Entscheidung, die gleichsam en passant für die Hälfte des Fundes der inventio den Charakter des originären Eigentumserwerbs verlieh, während aber für die andere Hälfte der in der Republik geltende Grundsatz bestätigt wurde, daß der Bodeneigentümer auch Eigentümer des halben Schatzfundes sei8g • Im Recht Pertinax, Herodian. 2, 4, 6. Schulz, Prinzipien, 108-111. 88 Marcian. 1. 2, 6, 9: Sed Papinianus seribit bonis vaeantibus fiseo nondum nuntiatis bona fide emptorem sibi traditam rem ex his bonis usueapere posse: et ita divus Pius et divus Severus et Antoninus reseripserunt; Modest. 1. 5 reg. D. 41, 3, 18. 87 Kaser, RP P 702 f. 88 Brutus-Manilius-Paul. 1. 54 ad ed. D. 41, 2, 3, 3; Plaut. Trin. 177-180: Schatzerwerb durch den Bodeneigentümer; Horat. sat. 2, 6, 10-13; Pers. sat. 2, 10, 12-14; Petron. satur. 88, 8 zugunsten des Finders; Calpum, Sie. eel. 4, 117-121; Nerva-Philostr. de vitis sophist. 2, I, 2 zugunsten des ftseus. 8g I. 2, I, 39: Thesauros, quos quis in suo Ioeo invenerit, divus Hadrianus naturalem aequitatem seeutus ei eoneessit, qui invenerit... At si quis in alieno Ioeo non data ad hoc opera, sed fortuito invenerit, dimidium domino soli eoneessit. 84 85

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der Schenkung verließ Antoninus Pius nicht die im römischen Recht vorherrschende Neigung der Schenkungsfeindlichkeit. Durch die Gewährung des Haftungsprivilegs in id quod facere potest und der deductio ne egeat hielt er sich vielmehr an dieses Prinzip, indem er die ursprünglich privilegierte Position der personae ex lege Cincia exceptae, die Schenkungen annehmen durften und denen gegenüber der Schuldner keine exceptio geltend machen konnte, abschwächte. Angesichts der vorherrschenden Schenkungsfeindlichkeit im römischen Recht beachte man auch, welche Mühe es noch in der Spätklassik den principes Septimius Severus und Caracalla bereitet hat, um das mindestens seit der Spätzeit der Republik bestehende Verbot der donationes inter virum et uxorem in ihrer oratio von 206 abzumildern, indem sie mit Hilfe einer quasierbrechtlichen Lösung eine nicht durch ein fideicommissum bestätigte, jedoch bis zum Eintritt des Todes des Schenkers nicht widerrufene Schenkung ex post, d. h. mit dem Erbfall für wirksam erklärten90 , während bis in die Zeit von Marcus Aurelius91 der Schenker, wenn er vor dem Beschenkten starb, di~ Schenkung nur durch Fideikommiß bestätigen konnte. Im Recht der pollicitatio, des Schenkungsversprechens auf Errichtung oder unentgeltliche überlassung eines opus an eine Gemeinde 9!, entsprachen die principes seit Trajan93 nur dem an sie herangetragenen Wunsche der municipia auf Anerkennung dieses Sonderfalles, wobei sie ihre Billigung der Verpflichtung aus solchen Schuldverhältnissen von präzisen, aus der publica utilitas folgenden Voraussetzungen abhängig machten. Die Aufrechnung bei den iudicia stricti iuris mit Hilfe der exceptio doli, eine Erfüllungsmodifikation, schließlich anerkannte Marcus Aurelius erst9 " nachdem die Rechtswissenschaft, nämlich die sabinianische Rechtsschule, dem iudex die Möglichkeit zuerkannt hatte, auch bei den strengrechtlichen Klagansprüchen die Befriedigung des Gläubigers durch den Schuldner post litern contestatarn zu beachten und den Beklagten zu absolvieren95 , also dem iudex gegenüber dem Kondemnationsbefehl einen beschränkten Ermessensspielraum gewährt hatte. Im Recht der fideiussio folgte Hadrian der Richtung, die die lex Apuleia und die lex Furia für die beiden älteren Stipulationsbürgschaften, sponsio und fidepromissio, gewiesen hatten. Besonders bezeichnend dafür, daß auch die Jurisdiktion der principes in die von ihnen unabhängigen, bestenfalls beeinflußbaren rechtspolitischen Ulp. 1. 32 ad Sab. D. 24, 1,3 pr. Scaev.I. 15 digest. D. 32, 33, l. I! Ulp. 1. 4 disput. D. 50, 12, 3 pr.; vgI. dazu allgemein Albertario, La "pollicitatio, Milano 1929. 13 Pomp. 1. 6 epist. et variar. lect. D. 50, 12, 14. 90

91

94 15

195.

I. 4, 6, 30.

Gai. 4, 114; vgI. dazu Kaser, Römisches Zivilprozeßrecht, München 1966,

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Tendenzen eingespannt war und sich ihnen anschließen mußte, scheint mir die widersprüchliche Stellungnahme der Herrscher in der Früh- und Hochklassik zur intercessio feminarum zu sein. Es wird nämlich dabei sichtbar, daß die hierzu ergangenen Erlasse die ideologische Wertung der Frau in der jeweiligen Zeit reflektieren. Dem retrospektiven Trend des frühen Prinzipats folgend 98 und um die Frau aus dem Geschäftsleben zu entfernen, haben Augustus und Claudius die intercessio feminarum pro viris suis verboten, während unter dem Einfluß des philosophischen Prinzips der humanitas, das gerade in personenrechtlichen Fragen das Rechtsdenken der principes im 2. Jh. beherrschte, Antoninus Pius die Frau wieder ins Geschäfts- und Wirtschaftsleben zurückführte, indem er die Möglichkeit, die exceptio Scti Vellaeani zu erheben, stark einschränkte, was wie eine Benachteiligung der Frau aussieht, in Wirklichkeit aber auch zu ihren Gunsten Rechtssicherheit gewährte. Drei rechtsphilosophische Grundsätze haben die kaiserliche Rechtsfortbildung im wesentlichen motiviert, und zwar insbesondere die publica utilitas, die aequitas und schließlich die humanitas. Die publica utilitas ist ein Begriff der stoischen Philosophie, der sich als gesetzgeberisches Motiv bzw. als Begründung hoheitlicher Anordnungen immer stärker seit dem Ende der römischen Republik in den Vordergrund schob. Bei Cicero beispielsweise äußerte sich die Neigung zum Individualismus der spätrepublikanischen Epoche noch in sehr auffälliger Weise, indem er die communis utilitas erst an zweiter Stelle und nach dem Schutz des Privatbereichs des Bürgers als fundamenturn iustitiae bezeichnete97 • Unter dem Eindruck der Katastrophe, in der die römische Republik im 1. Jh. n. Chr. schließlich zugrunde ging, drang die Idee vom öffentlichen Wohl und vom Nutzen der Allgemeinheit allmählich stärker in den Vordergrund. Dieser Gedanke fand bereits seinen Niederschlag in der diskretionären Klausel des senatusconsultum bzw. der lex de imperio, wie wir sie als Bestallungsgesetz des princeps Vespasian von 69 98 kennen und vom Inhalt her für die leges de imperio aller principes unterstellen dürfenge • Dieser Satz diente als rechtsideologische Begründung für die den Herrschern verliehene umfassende Vollmacht zum Erlaß der ihnen erforderlich erscheinenden constitutiones. Während Schulz, Prinzipien, 141 f.; ders., Classical Roman Law, Oxford 1951,569. Off. 1, 10, 31: Fundamenta iustitiae: primum ut ne cui noceatur, deinde ut communi utilitati serviatur. 98 CIL 6, 930, 17-19 = Bruns-Gradenwitz, Fontes iuris Romani antiqui, I, Tübingen 7. Aufl. 1909, 202: Utique quaecunque ex usu rei publicae maiestateque divinarum humanarum publicarum privatarumque rerum esse censebit. 99 Premerstein, Vom Werden und Wesen des Prinzipats, München 1935, 180 f.; Steinwenter, Utilitas publica - utilitas singulorum, in: Festschr. Koschaker, I, Weimar 1939, 90. 98

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aber die Idee von der publica utilitas in der Friedenszeit des 1. Jh. n. Chr. noch weitgehend theoretischer Natur blieb, gewann sie mit dem Eindringen der griechischen Philosophie in das Rechts- und Staats denken der principes in der Hochklassik gesteigerte Bedeutungloo • Erst in severischer Zeit hat Cassius Diolol die Maßnahmen des Augustus unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Die publica utilitas verkörperte seitdem das Staatsideal des Prinzipatsl02, und zwar den Imperativ an den jeweiligen Inhaber des höchsten Amtes, die Lebenssphäre der cives, also die domus, unter möglichster Wahrung ihrer inneren Freiheit der staatlichen Fürsorge zu unterstellen. Der Gedanke der publica utilitas entwickelte sich in der iurisdictio, die die Herrscher als eine ihrer wichtigsten Aufgaben ansahen103 , zum Leitmotiv beim Erlaß ihrer constitutiones 104 • Da die publica utilitas ihre materiellen Konträrbegriffe in der utilitas singulorum und in der freien Entfaltung des Lebens der Privatpersonen in ihrer häuslichen Sphäre fand, hingen die Möglichkeit und das Ausmaß von Kollisionen dieser Werte von den ökonomischen und sozialen Bedingungen der jeweiligen Epoche ab. Noch Antoninus Pius (138-161) konnte sich weitgehend der Idee vom öffentlichen Wohl zur Begründung seiner Verordnungen enthalten. Wenn auch unter seiner Herrschaft die wirtschaftlichen Verhältnisse zu stagnieren begannen, so haben doch der innere Frieden und die relative Sicherheit des Lebens der Bürger im Reiche den Herrscher der Notwendigkeit enthoben, die Ordnung des Gemeinschaftslebens vorwiegend oder gar ausschließlich unter dem Blickwinkel der publica utilitas zu beobachten. Antoninus Pius, Roms großer Friedenskaiser, besaß noch die Muße, seine Fürsorge dem Individualinteresse, der utilitas singulorum, im Rechte der donatio und der intercessio, aber vor allem im Personen-, Familien- und Erbrecht angedeihen zu lassen. Diese Haltung des Inhabers des höchsten Amtes mußte sich aber sehr rasch ändern, nachdem mit dem Regierungsantritt von Marcus Aurelius (161-180) der Staat in die lang andauernde, 100 Für Trajan vg1. Plin. paneg. 67; 68; 94: bene regere rem publicam ex utilitate omnium; für Hadrian: pro humanis utilitatibus: CIL 8, 15470, 1, 9-12 (ara legis Hadrianae) = Bruns-Gradenwitz, a. a. 0., Nr.115, S.300; ders., Nr. 116, S.303, co1. 2, 1-4 (Sermo et epistulae procuratorum de terris vacuis excolendis), vgl. dazu Steinwenter, a. a. 0., 90. 101 54,3,6. 102 Kaser, RP J2 185, 11 38 Anm. 6. 103 Kelly, Princeps iudex, Weimar 1957 (Forschungen zum röm. Recht, 9. Abh.), 2. 104 Man denke an den von Hadrian gegebenen und von Callistratus (1. 2 de cognitionibus D. 50, 9, 5) interpretierten Grundsatz: Quod semel ordo decrevit, non oportere id rescindi divus Hadrianus Nicomedensibus rescripsit nisi ex causa: id est si ad publicam utilitatem respiciat rescissio prioris decreti; vg.l ferner die beständige Bezugnahme auf das öffentliche Wohl in den constitutiones von Mare. Aure1. C. 6, 54, 2, der divi fratres Pap. lust. 1. 1 de constitutionibus D. 48, 12, 3, 1; 1. 2 de const. D. 50, 12, 13, 1 (itp.), von

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schwere innere Krise geraten war. Hinzu kam, daß die philosophische Grundhaltung, insbesondere das Bekenntnis dieser Herrscherpersönlichkeit zur späten Stoa, seine Maßnahmen ebenfalls beeinflussen mußte l05 und damit die Tendenz zur Zurückdrängung des Individualinteresses gegenüber dem Postulat des allgemeinen Wohles verstärkte. Die publica utilitas wurde nunmehr im Vermögensrecht als Korrektiv gegenüber den Individualinteressen verwandtlO '. Seit Marcus Aurelius und besonders von der Spätklassik an läßt sich dies gerade bei den immer stärker auftretenden Eigentumsbeschränkungen aus öffentlich-rechtlichen Gründen beobachten. Hier wird sichtbar, daß das menschliche Grundrecht auf freie Entfaltung, wozu auch das Recht auf Innehabung, Genuß und Verwendung von Privateigentum gehört, stets von den außen- und wirtschaftspolitischen Anspannungen und Verstrickungen eines Staatswesens als der übergeordneten Gemeinschaft abhängt. Die Entwicklungsrichtung war damit für die nachklassischen Rechtsverhältnisse festgelegt. Im Spannungsverhältnis zwischen publica utilitas und Privatinteresse hat sich erstere in der Nachklassik allgemein durchgesetzt, wie uns der nachklassische Autor t07 der Paulussentenzen eindringlich darlegttOB. Der Hinweis auf das öffentliche Wohl diente dem Staat nunmehr als Begründung, um unter Verletzung privater Interessen reglementierend und lenkend in die Freiheitssphäre und in das Privateigentum seiner Untertanen eingreifen zu könnenloo . Gegenüber dem Einfluß, den die Idee der publica utilitas mit dem Fortschreiten der verfassungsrechtlichen Entwicklung des Prinzipats zum Dominat auf die kaiserliche Rechtsfortbildung genommen hat, wirkte die Idee der aequitas unauffällig als Leitmotiv mit, und zwar vor allem in zahlreichen, auf Einzelfälle bezogenen Entscheidungen. Das lag vor allem am Wesen dieses Grundsatzes der kaiserlichen iurisdictio. Sept. Sev.- Carae. Marcian. I. 1 de publicis iudieiis D. 48, 2, 13; C. 4, 62, 1; 7, 32,1; von Carae. C. 2, 12,7; von Sev. Alex. C. 10,42 (41), 2; 10,68 (66), 1. Ulpian (I. 4 ftdeicommiss. D. I, 4, 2) hat unter dem Eindruck der kaiserlichen Entschei-

dungen den Lehrsatz aufgestellt: In rebus novis eonstituendis evidens esse utilitas debet, ut reeedatur ab eo iure, quod diu aequum visum est. 105 Zur Beziehung zwischen dikaion und koinopheles siehe Mare. Aurel., eis heauton, 4, 12; Gaudemet, Utilitas publiea, in: RHDE 4" ser., 29 (1951) 474 f.; Steinwenter, a. a. 0., 91; Levy, West Roman Vulgar Law. The Law of Property, 108 f. 108 Biondi, Obietto e metodi della scienza giuridiea romana, in: Sero Ferrini (Pavia), Milano 1946, 219. 107 Zum Ursprung dieser Sammlung im 3. Jh. vgl. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, Göttingen 2. Auft. 1967,227. lOB 2, 19, 2: Contemplatio enim publieae utilitatis privatorum eommodis praefertur. 100 V. Lübtow, De iure et iustitia, in: SZ 66 (1948) 486--490; ders., Das römische Volk. Sein Staat und sein Recht. Frankfurt 1955, 237, 444 ff., 453; Steinwenter. a. a. 0., 91; Kaser. RP II 10, 190.

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Die aequitas war nach dem Verständnis der Juristen in der hochklassischen Zeit110 eines der beiden Ziele bzw. Aufgaben (praecepta)111, die das Recht als praktische Philosophie, wie Ulpian das Recht definierte 112 , verwirklichen sollte. Neben der Befolgung der Imperative der Ethik, die sich im Gebot des honeste vivere ausdrückten und das Recht als ars boni qualifizierten, sollte das Recht das menschliche Zusammenleben gewährleisten (neminem laedere) und dabei die individuellen Interessen der Rechtsgenossen berücksichtigen bzw. ihre Befriedigung ermöglichen (suum cuique tribuere); daher wurde das ius in der Hochklassik von Celsus (D. 1, 1, 1 pr.) auch als ars aequi, d. h. als Instrument zur Schaffung materiell gerechter Verhältnisse, verstanden. Als distributive Gerechtigkeit besitzt die aequitas infolgedessen nicht so sehr die Qualität eines abstrakten Postulats wie die publica utilitas, sondern vielmehr eine durchaus praktische Bedeutung für die konkrete menschliche Gesellschafts- und Rechtsordnung mit ihren internen Interessengegensätzen113 • Die aequitas war somit das Ziel der friedenstiftenden iurisdictio der klassischen principesl14 , die sich auch wiederholt auf sie als HerrscheridealllS beriefen und sie als Tugend neben der iustitia in den Inschriften über ihren Münzabbildungen führten 118• Wenn auch die aequitas den Imperativ an die principes beinhaltete, die Rechtsordnung unter Berücksichtigung der individuellen materiellen Interessen gerecht zu gestalten117 , sofern das formale Recht den veränderten sozialen Bedingungen nicht mehr entsprach und daher unbillig war, so wird man doch m. E. nicht mit Orestano 118 in diesem Zusammenhang von einer generellen Krise der Prinzipien des ius civile und ihrer umfassenden Unfähigkeit, das Wirtschafts- und Sozialleben weiterhin zu ordnen, sprechen dürfen. Billigkeitslösungen zum Ausgleich widerstreitender Privatinteressen, die das Recht fortgebildet haben, finden sich daher insbesondere in der constitutio Hadrians zur Aufteilung des thesaurus zwischen Bodeneigentümer und Finder (naturalis aequitas), im rescriptum von Antoninus Pius, das die usucapio von bona vacantia fisco nondum 110 Vg1. die Definition des Ceisus in Ulp. 1. 1 inst. D. 1, 1, 1 pr.: lus est ars boni et aequi. 111 Ulp. 1. 1 reg. D. 1, 1, 10, 1; I. 1, 1,3. 111 1. 1 inst. D. 1, 1, 1, 1. 113 Riccobono, La definizione deI ius al tempo di Adriano, in: BIDR 53/54 (1952) 1-11,.32-39; BrasieHo, Aspetti innovativi delle costituzioni imperiali, in: St. De Francisci, IV, Milano 1956, 489-491. 114 Suet. Aug. 53,1; Tib. 29; Tac. anno 2, 82, 2. 115 Wickert, Art.: Princeps, in: RE XXII 2 (1954) 2248-2251. 118 Lange, Heinrich, Die Wörter aequitas und iustitia auf römischen Münzen, in: SZ 52 (1932) 296-314. 117

Sanfilippo, a. a. 0., 128.

Augusto e la cognitio extra ordinem, in: St. economico-giuridici 26, Milano 1938, 158, 167. 118

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nuntiata vorsah, ferner im edictum von Marcus Aurelius, das den langjährigen Eigenbesitzer gegenüber dem sein Eigentumsrecht nicht ausübenden Eigentümer mit der exceptio quinquennii bzw. triennii schützte, im rescriptum von Antoninus Pius, das dem donator gegenüber den Forderungen der personae ex lege Cincia exceptae Vollstreckungsschutz nach dem Maß in id quod facere potest gewährte und dabei aber auch die vorrangige Befriedigung wirtschaftlich wichtigerer Forderungen besser berechtigter Gläubiger und den Abzug des Notbedarfs des Vollstrekkungsschuldners aus Unterhaltsgründen berücksichtigte. Eine Billigkeitslösung läßt sich ferner im Modus der Abwicklung von Nachlaßverpflichtungen einer überschuldeten hereditas durch das vom praetor zu genehmigende pactum ut minus solvatur sehen, ferner in der Berücksichtigung der aufrechnungsfähigen Gegenforderungen bei strengrechtlichen Klagen, in der Anteilshaftung mehrerer fideiussores und im von Antoninus Pius durch die subjektive Interpretation des Sc. Vellaeanum entwickelten Schutz des Gläubigers aus einem Interzessionsgeschäft einer Frau, sofern der Gläubiger den wirtschaftlichen Zweck der Drittbegünstigung durch das eingegangene Schuldverhältnis nicht gekannt hatte, erblicken. Soweit personenrechtliche Gesichtspunkte im Vermögens- und Vermögensverkehrsrecht eine Rolle spielten1l9 , haben die principes dem sie im Personenrecht besonders bewegenden Gedanken der humanitas1!O Rechnung getragen. Die stoische Idee der humanitas bezeichnete die Achtung und die Anerkennung des Menschen als Teilhaber am Logos im Kosmos ohne Rücksicht auf seine jeweilige gesellschaftliche Stellung l21 • Sie fand mit der Spätzeit der Republik Eingang in die römische Geisteswelt, als die nationalen und häuslichen Gemeinschaftsbindungen gegenüber der überzeugung von der menschlichen Individualität als eines selbständigen Wertes im Denken des Römers in den Hintergrund zu treten begannen122 • Diese Anschauung, die allerdings in der Konzeption von der Pflichtenbindung durch den Imperativ der publica utilitas l23 ihre sinnvolle Einschränkung und Begrenzung fand, hat das IIU Vgl. dazu KTüger, Die humanitas und die pietas nach den Quellen des römischen Rechts, in: SZ 19 (1898) 38 ff., Schulz, Prinzipien,142 f. 120 Zur sozialen Funktion des antiken Humanitas-Begriffs vgl. Riccobono, Humanitas, in: Atti dei Congresso internazionale di diritto romano e di storia di diritto, Verona 1948, II, Milano 1953, 218--220; deTs., L'idea di humanitas eome fonte di progresso dei diritto, in: St. Biondi, II, Milano 1967, 601-606; Rieks, Homo, humanus, humanitas. Zur Humanität in der lateinischen Literatur, München 1967,115-137. 121 Cie. leg. 1, 7, 23: Universus hie mundus una eivitas sit eommunis deorum atque hominum existimanda; Gell. 13, 17, 1: Quodque a Graecis philanthropia dieitur et signifieat dexteritatem erga omnis homines promiseam; siehe dazu Biondi, Il diritto romano eristiano, I, Milano 1952, 100-104. 122 Schulz, Prinzipien, 128 f. 123 KaseT, RP 11 9.

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kaiserliche Rechtsdenken stark beeinflußt124 • So bewog die humanitas den princeps Antoninus Pius, den verarmten Schenker vor der gnadenlosen Zwangsvollstreckung der personae ex lege Cincia exceptae durch die Gewährung der deductio ne egeat zu schützen. In gleicher Weise kam er durch eine weitgehende Außerkraftsetzung der Exzeptionsmöglichkeit des Sc. Vellaeanum, die an sich prima facie die haftungsrechtliche Lage der interzedierenden Frauen gegenüber den Gläubigern verschärfte, den Frauen als einer im Rechts- und Wirtschaftsleben schlechter gestellten Minderheit entsprechend der Tendenz der kaiserlichen Rechtsprechung zum Schutz sozial Schwacher in der Klassik 125 dadurch zu Hilfe, daß er ihnen zwar den Schutz entzog, den sie nach leichtfertigem Abschluß von Interzessionsgeschäften bei objektiver Auslegung des Wortlauts des Sc. Vellaeanum für sich in Anspruch nehmen konnten, sie aber damit erst wieder insgesamt kreditfähig werden ließ und, indem er sich hierbei über soziale Vorurteile hinwegsetzte, wenigstens in beschränktem Umfang auf diesem Sektor ins Rechtsleben zurückführte. Selbstverständlich ist Marcus Aurelius, den Papinian, der als Schüler des consiliarius Q. Cervidius Scaevola und advocatus fisci den Kaiser gekannt hat und dessen Wirken und Einfluß im Rechtsleben daher beurteilen konnte, als princeps providentissimus et iuris religiosissimus verehrte1!8, diesem Anliegen gefolgt. Die pietas, ein Ausdruck humaner Gesinnung127, veranlaßte den princeps, das pactum ut minus solvatur, den Gesamtvergleich bei überschuldetem Nachlaß, anzuerkennen, um nicht den Nachlaß in Konkurs fallen zu lassen und um den Ruf des verstorbenen Erblassers zu schonen und seinen Namen nicht post mortem noch der infamia anheimfallen zu lassen. Schließlich aber ließe es sich auch denken, daß Marcus Aurelius freilich unter der nicht beweisbaren Voraussetzung, daß die exceptio triennii auf eine von ihm erlassene constitutio zurückgeht - mit der verkürzten Ausschlußfrist der exceptio triennii bei den servi fugitivi, die in den Gewahrsam des Staats gelangt waren und verkauft worden sind, an den insbesondere von Antoninus Pius gewährten humanitären Schutz im Rechte der Sklaven gegen die saevitia dominorum angeknüpft haben könnte. Denn sicherlich mögen servi dann aus dem Gewahrsam 124 Heinemann, Art.: Humanitas, in: RE suppl. V (1931) 307; Schulz, Prinzipien, 130. 125 Paul. 1. 1 decret. D. 4, 4, 38 pr.; 36, 1, 76 (74), 1; 1. 3 decret. D. 40, 5, 38; vgl. dazu Orestano, Augusto e 1a cognitio extra ordinem, a. a. 0., 188 f.; Sanfilippo, a. a. 0., 128; Schulz, Prinzipien, 141 f. 128 Hist. aug. Carac. 8, 3; Jörs, Art.: Aemilius Nr. 105, in: RE 11 (1891) 592; Scaev.l. 19 quaest. in D. 31, 67, 10. 127 Krüger, Die humanitas und die pietas nach den Quellen des römischen Rechts, in: SZ 19,9 ff.

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ihrer domini entwichen sein, wenn diese sie schlecht behandelt hatten, wenn also die Herren unmenschlich waren. Gelang es den servi fugitivi, sich drei Jahre ununterbrochen im Gewahrsam ihres neuen Gewalthabers, des emptor servi, aufzuhalten, dann sollten sie auf Grund der exceptio triennii, mit welcher der neue Herr die rei vindicatio des eigentlichen dominus schon zwei Jahre früher als nach der üblichen Ausschlußfrist sonstiger res furtivae von fünf Jahren entkräften konnte, auch in diesem Gewaltverhältnis bleiben dürfen. Denn damit bewiesen sie, daß sie keine gewohnheitsmäßigen Herumtreiber, sogenannte errones1l8 , waren, sondern eben wegen der saevitia des früheren dominus entflohen waren. Im Personenrecht selbst ist als Ausdruck der humanitas besonders der kaiserliche Schutz zu beachten, der den Sklaven gegen die Willkür, die saevitia ihrer domini zuteil wurde. So verlieh Claudius in einem Edikt den wegen Krankheit oder Altersschwäche von ihren domini ausgesetzten und damit derelinquierten servi die latinische Freiheit128 • Claudius130 und Hadrian131 verboten die Tötung dieser Sklaven und drohten bei Verstoß mit Bestrafung. Trajan13! gewährte Findlingen, die als Sklaven erzogen worden waren, den Freikauf suis nummis. Hadrian l33 bestrafte wegen sinnloser Grausamkeiten eine domina servorum mit fünf jähriger Verbannung. In einem Reskript ordnete er die Bestrafung ungerechtfertigter Tötungen fremder Sklaven anlM • Antoninus Pius135 bestimmte in einem Reskript den Verlust des ius patroni eines Erben, der die fideikommiss arische Freilassung eines Sklaven zu vereiteln versucht hatte. In einem anderen Reskript138 zwang er den dominus zum Verkauf seines Sklaven, der aus Angst vor dessen saevitia ad statuam principis in einen Tempel geflohen war. Marcus Aurelius und Lucius Verus137 verboten durch Reskript auch den Verkauf eines servus criminosus zum U8 Vg1. die entsprechenden formelhaften Wendungen zur Begründung der Sachmängelhaftung in den transilvanischen Urkunden über mancipationes emptionis causa factae in Fontes iuris Romani anteiustiniani, III (ed. V. Arangio-Ruiz), Firenze 1943, Nr. 87 (empti6 puellae, a. 139),284, 6, und Nr. 88 (emptio pueri, a. 142),286,5. 128 Suet. Claud. 25, 2; Cass. Dio 60, 29, 7; Modest. 1. 6 reg. D. 40, 8, 2; Iustinian. C. 7, 6, I, 3. 130 Suet. Claud. 25, 2. 131 Hist. aug. Hadr.18, 7. m PUn. epist. 10, 66. 133 Ulp. 1. 8 de off. procons. D. I, 6, 2 = coll. 3, 3, 4. 134 Ulp. coll. 1,3,2; Gai. 3, 213; Marcian.1. 14 inst. D. 48,8, 1,2. 135 Ulp.1. 14 ad Sab. D. 26, 4, 1,3. 136 Gai. I, 53; Ulp. 1. 8 de off. procons. coll. 3, 3, 1-3 = D. I, 6, 2 = I. I, 8, 2; Ulp. coll. 3, 3, 5-6; Ulp. 1. sing. de off. praefecti urbi D. I, 12, I, 1; Pau1. coll. 3, 2; divi fratres in Ulp. 1. 8 de off. procons. D. 48,18, I, 27. 137 Marcian. 1. 1 inst. D. 18, 1, 42.

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Zweck seiner Verwendung bei Tierkämpfen. Die divi fratres 138 zwangen in einer epistula den dominus zur Freilassung seines Sklaven, wenn der servus nummis suis sich freigekauft hatte. Nach einem Reskript von Marcus Aurelius 139 war ein servus auch dann freizulassen, wenn er unter der Bedingung der Freilassung nach Ablauf einer bestimmten Frist vet:kauft, aber bereits vorher emptor und venditor erbenlos verstorben waren. Marcus Aurelius und Commodus140 schließlich verliehen einem servus die Prozeßfähigkeit zur Erhebung der Anklage wegen der Unterdrückung eines Testaments, das die Freilassung des Sklaven angeordnet hatte. Im Familienrecht wandten die Herrscher ihren Schutz besonders den Hauskindern zu. So haben die prindpes Marcus Aurelius und Ludus Verus in einem Reskriptl4l Abkömmlinge, die aus einer lang andauernden, nichtigen, gleichwohl von den Eltern als gültig betrachteten Ehe hervorgegangen waren, als eheliche Kinder anerkannt. Die principes schränkten die patria potestas sowohl hinsichtlich der Gewalt über die Person der filii familias, das ius vitae ac necis, als auch über deren faktisches Vermögen, das peculium castrense, ein. Trajan zwang in einer Konstitution einen pater familias, der seinen Sohn mißhandelt hatte, zur unverzüglichen Emanzipationl'~. Der patria potestas, deren gewichtigster Inhalt das ius vitae ac necis l43 war, wurde vor allem die Befugnis zur Tötung des eigenen Hauskindes genommen. Die Kaiser ließen vielmehr die Tötung extra ordinem bestrafenl44 . Denn spätestens seit Hadrian145 galt der Grundsatz: patria potestas in pietate debet, non in atrocitate consistere. Der humanitäre Gedanke vom Wohl des Kindes schwingt in den Dekreten von Antoninus Pius und in den Reskripten von Marcus Aurelius und Septimius Severus mit U6 , die zugunsten der Mutter, die das Kind in ihrem Haushalt erzog, gegenüber den interdicta Ulp.1. 6 disput. D. 40, 1,4 pr. ff. Paul. 1. 5 ad Plaut. D. 40, 8, l. 140 Marcian. 1. 2 inst. D. 48, 10,7. 141 Mareian. not. in Pap. 1. 2 de adulteriis D. 23, 2, 57 a: Movemur et temporis diuturnitate, quo ignara iuris in matrimonio avuneuli tui fuisti, ... et numero liberorum vestrorum: idcireoque eum haee omnia in unum eoneurrunt, eonfirmamus statum liberorum vestrorum in eo matrimonio quaesitorum, quod ante annos quadraginta contractum est, perinde atque si legitime eoneepti fuissent. lU Pap.l. 11 quaest. D. 37,12,5. 143 Vgl. zu den Quellen und zur Literatur Kaser, RP 12 60 Anm. 4. lU Hadrian bei Mareian. 1. 10 inst. D. 48, 9, 5. 145 . Marcian. 1. 10 inst. D. 48, 9. 5. 1441 Ulp. 1. 71 ad ed. D. 43, 30, I, 3: Si vero mater sit, quae retinet, apud quam interdum magis quam apud patrem morari filium debere (ex iustissima seilicet causa) et divus Pius decrevit et a Mareo et a Severo reseriptum est, aeque subveniendum ei erit per exeeptionem; vgl. ferner Ulp. 1. 71 ad ed. D. 43, 30, 3, 5. 138 ug

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patris de liberis exhibendis (Vorführung vor Gericht) vel ducendis (Heimführung in den väterlichen Haushalt) ein Zurückbehaltungsrecht zum Zwecke der Erziehung anerkannten. Damit gaben sie dem Interesse des Kindes den Vorzug vor der Schutzbedürftigkeit der väterlichen Ge.walt. Das war eine für die Ideenwelt der Adoptivkaiser charakteristische Lösung, für die bis zur Frühklassik wirksame retrospektive Tradition aber ein unerhörter Einbruch in die patria potestas. Seit Augustus schränkten die römischen Kaiser, Nerva, Trajan, Hadrian und vor allem die Severerl47 , die Vermögensunfähigkeit der Hauskinder ein. Zunächst durften nur die beim Militär befindlichen Haussöhne über das während ihrer Dienstzeit erworbene Vermögen testamentarisch verfügen. Hadrian beseitigte die zeitliche Beschränkung der Dienstzeit und verlängerte diese Verfügungs fähigkeit für die Veteranen auch auf die Zeit nach dem Abschied aus dem Heer148 • Hadrian hat ferner in einem Reskript anerkannt l48 , daß der filius mHes die testamentarische Erbschaft nach seiner Frau antreten und im Rahmen seines peculium castrense erwerben dürfe. Seit Hadrian, der zur Wirkung der manumissio eines Sklaven die Lehre Julians aufgab l50 , durften die filii milites auch unter Lebenden über das peculium castrense frei verfügenl5l • Seit der Hochklassik152 überließen die principes die Erfüllung und den Umfang des Unterhalts nicht mehr dem außerrechtlichen Bereich des sozialen Herkommens und der sittlichen Verpflichtung des Vaters im Rahmen seiner potestas gegenüber seinen Abkömmlingen bzw. der Pietät der Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern und Verwandten in aufsteigender Linie, sondern sie stellten unter Einbruch in das väterliche Belieben eine Rechtspflicht auf, die im Verfahren extra ordinem vor dem Konsul durchgesetzt werden konnte. 147 148

I. 2, 12 pr. I. 2, 12 pr.

149 Pap. l. 16 quaest. D. 49, 17, 13: Divus Hadrianus reseripsit in eo, quem militantem uxor heredem instituerat filium < familias > , extitisse heredem. 150 Marcian. 1. 1 inst. D. 38, 2, 22: Si filius familias mHes manumittat, secundum Iuliani quidem sententiam, quam libro vieensimo septimo digestorum probat, patris liberturn faciet: sed quamdiu, inquit, vivit, praefertur filius in bona eius patri. Sed divus Hadrianus Flavio Apro reseripsit suul]l liberturn eum facere, non patris. 151 Vg1. für die Verfügungsfreiheit der filii familias milites über das peculium eastrense in severischer Zeit Ulp. 1. 33 ad Sab. D. 24, I, 32, 8; 1. 44 ad Sab. D. 39, 5, 7, 6; 1. 64 ad ed. D. 14, 6, 2 und D. 42, 6, 1,9. 152 Antoninus Pius C. 5, 25, 1: Parentum neeessitatibus liberos suecurrere iustum est; Ulp. 1. 2 de off. eons. D. 25, 3, 5, 5; D. 25, 3, 5, 7: Aditi a te [competentes iudiees] < eonsules > ali te a patre tuo iubebunt pro modo facultatium eius, si modo, eum opifieem te esse dieas, in ea valitudine es, ut operius suffieere non possis; Mare. Aure1.-Lue. Ver. C. 5, 25, 2: [Competens iudex] a filio te ali iubebit, si in ea faeultate est, ut tibi alimenta praestare possit; C. 5, 25, 3; Mare. Aurel.-Ulp. 1. 2 de off. eons. D. 25, 3. 5, 9 und 14; Sept. Sev.-Carae. C. 5, 25, 4.

Droit naturel et histoire Par Prof. Dr. Luis Legaz y Lacambra Le probleme se pose de savoir si le Droit naturel peut etre universei et immuable, tel qu'on le considere d'ordinaire soit pour en louer les excellences, soit pour d{moneer de teIles aspirations, ou bien s'il pourrait avoir un caractere historique, s'il est penetre intimement d'historicite. En tout cas, la question se pose dans des niveaux differents. D'abord, elle peut se referer au Droit naturel en tant que « doetrine », done aux systemes jusnaturalistes, et il s'agirait alors d'expliquer la raison de la variabilite en fonction d'une Sociologie de la connaissance. Dans un autre niveau, le probleme releve plutot du Droit naturel considere dans sa realite elle-meme, la realite de l'objet mentionne dans les systemes jusnaturalistes. Cela nous mene a la question de l'homme et sa nature, le Droit naturel Hant toujours affirme eomme un Droit donne avee la nature humaine et fonde sur elle. C'est donc a la nature humaine qu'il faudra referer le probleme de sa mutabilite ou permanence. L'histoire intelleetuelle du probleme commence avec la vexata quaestio des abrogations apparentes ou des dispensations effectives de maints preceptes de la loi naturelle qu'offrent les textes de l'Ancien Testament. Les scolastiques ont fait des vrais jeux d'esprit pour arriver ades conclusions acceptables permettant de sauvegarder les notes de perennite et d'immutabilite du Droit naturel malgre cettes apparences contraires. St. Thomas d' Aquino a parle quand meme d'une mutabilite de la nature humaine, mais cela veut dire seulement qu'elle est defective par rapport a son entelechie, a son devoir etre, et dans ce sens-la il se justifie que dans des circonstances donnees, un precepte de Droit naturel ne soit pas applique, comme dans le cas bien connu du retour d'un depot. Cela n'implique pas que le probleme ait He pose dans toute son ampleur et dans ses vrais termes - mais il y a du moins une « prise de conscience » du caractere problematique de l'affirmation d'une immutabilite inconditionnee des preceptes de la loi naturelle. Chez Franc;ois Suarez nous trouvons une position plus devancee et epuree. Pour lui, les preceptes de la loi naturelle, dans son niveau le plus haut, sont immuables, mais ils sont variables dans ses applications, parce qu'ils reglent une matiere muable et contingente. C'est la loi naturelle elle-meme qui discerne la mutabilite de la matiere et qui fait l'accomo-

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dation des preceptes, en commandant des choses differentes d'apres la difference des situations; alors la loi naturelle ne change pas, bien que d'apres notre modus loquendi et par denomination extrinseque, elle semble changer (De leg. II, 13, 5). « Or, le precepte, considere en luimeme ne souffre pas des exceptions, la raison naturelle Hant celle qui edicte comment cela doit etre fait, d'apres les circonstances donnees ou en absence de teIles circonstances» (II, 13, 4). « La medicine ades preceptes pour les mal ades qui sont differents des preceptes qu'elle edicte pour les sains, les preceptes pour les forts et pour les faibles Hant aussi differents, et cependant les regles de la Medicine ne changent pas, mais elles se multiplient et il y a quelques unes qui s'appliquent maintenant et d'autres qui s'appliqueront apres; et de la meme fa~on le Droit naturei, tout en restant le meme, ades preceptes differents d'apres les situations et les circonstances sociales ou historiques» (II, 14, 19). Cela semble indiquer une mutabilite de la matü~re sociale a laquelle s'applique le Droit naturei, soit par I'reuvre des hommes Par le Droit humain, ou des gens ou civil, peut-on introduire une teIle mutation dans la matiere de la loi naturelle qu'en raison d'elle change aussi l'obligation du Droit naturelle », II, 14, 9), soit par l'empire des circonstances etrangeres a la volonte de I'homme d'apres les differents changements qui arrivent dans son etat », ibid.); en tout cas il est decisif que le Droit nature! ne change pas, en tant qu'il admet apriori la mutabilite de la matiere et qu'il incorpore dans son contenu, pour l'enrichir, la multiplicite des propositions jusnaturalistes qui en resultent.

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Mais le probleme reside justement dans cette immutabilite et notamment dans le fait que Suarez distingue entre les principes concernant a la nature humaine et ceux qui concernent a la matiere muable et ces seraient les seuls qui changent, Evidemment, si 1'0n considere que la loi naturelle est une participation de la raison dans la loi eternelle, il parait que les preceptes de la loi naturelle doivent se reveter de la plus grande universalite et rigidite, en tant qu'il est predetermine d'une fois pour toujours et des toute l'Hernite, ce qui est conforme avec la loi naturelle et en conseqtience ce qu'on doit faire et ce qu'on doit eviter. En quoi consiste cette participation de la raison dans la loi eternelle? Ca veut dire, d'abord, qu'il s'agit d'une participationontologique, d'une methexis dans le sens planonicien; la raison « fait sienne» la qualite de ce dont elle participe; donc la loi naturelle doit avoir les memes qualites - aussi l'immutabilite et l'universalite - de la loi eternelle. Mais « participation » signifie aussi « appropiation» par « decouverte» ou « invention»: la raison dans son activite, decouvre le contenu de laloi eternelle; une teIle decouverte est un fait historique et ce qui a ete decouvert devient intimement «historise ». Mais dans ce cas-la, c'est la connaissance de la loi naturelle qui

Droit naturel et histoire

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est historique, mais non pas son contenu. Or, est-ce que la loi eternelle, comme existence de la science et la pre-science de Dieu, ne predetermine pas eIle-meme la liberte creatrice de l'homme, la mutabilite de sa nature, son caractere historique et par consequence celle des preceptes « fond es » sur elle? Est-ce donc que la doctrine de la loi eternelle doit etre soumise arevision? . Cela n'est pas una entreprise trop facile tant qu'on veut faire rester la pensee - comme nous voulons la maintenir - dans les cadres d'une «philosophie chretienne ». Le prestige immense theologique et metaphysique de l'idee de la loi eternelle, la beaute d'une teIle construction exprimant la structure hyerarchisee d'un ordre de l'universe que cu Imine dans la louange du Createur, d'apres la conception belle et grandiose de Saint Augustin, a fait de cette idee un« bien commun» de la philosophie chretienne en general. La question est celle de savoir si elle est « essentielle » a une teIle philosophie, donc si la philosophie cessarait-elle d'etre chretienne si elle renon