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German Pages 166 [167] Year 1997
NIKLAS LUHMANN
Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 29
Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung
Von
Niklas Luhmann
Zweite, unveränderte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Luhmann, Niklas: Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung : eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung / von Niklas Luhmann. - 2., unveränd. Aufl. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 29) ISBN 3-428-00960-6 NE: Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule . . .
1. Auflage 1966
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-00960-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Vorwort des Herausgebers Diese Arbeit ist im Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer entstanden. Sie geht auf eine vor mehreren Jahren an das Forschungsinstitut herangetragene Anregung zurück, die automatische Datenverarbeitung auf ihre Wirtschaftlichkeit zu untersuchen. Hinter dieser Anregung stand die skeptische Vermutung, daß die Automatisierung der Verwaltung bei dem gegenwärtigen Stand der technischen Entwicklung keine wirtschaftlichen Ergebnisse bringen könne. Die von dem damaligen Referenten am Forschungsinstitut, Oberregierungsrat Niklas Luhmann, in Angriff genommene Untersuchung hat diesen Ausgangspunkt bald verlassen. Die jetzt vorliegende Arbeit stellt eine umfassende und eingehende Erörterung aller Fragen dar, die durch die Einführung der automatischen Datenverarbeitung in die Verwaltung aufgeworfen werden. Dabei hat sich der Verfasser alsbald von der Fragestellung gelöst, die durch die von Karl Zeidler in Gang gesetzte Diskussion über die rechtliche Zulässigkeit der Übertragung von Entscheidungsvorgängen vom Menschen auf die Maschine ausgelöst worden war. Jedoch stellt die Arbeit in gewisser Weise eine Fortsetzung der Untersuchungen dar, die der Verfasser zusammen mit Franz Becker über Verwaltungsfehler und Vertrauensschutz (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 16) und allein über öffentlich-rechtliche Entschädigung — rechtspolitisch betrachtet (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 24) angestellt hat. Denn schon damals ging es dem Verfasser um eine „Kritik der gegenwärtig geltenden oder sich in der Entwicklung abzeichnenden Fehlerbereinigungsprogramme" und ihre Ergänzung „durch positive Vorschläge für eine der modernen, automatisierten oder nicht automatisierten Verwaltung angemessene Lösung dieses Problems". Die Arbeit gliedert sich in 12 Kapitel. I n ihnen behandelt der Verfasser das Verhältnis des Juristen zur automatischen Datenverarbeitung (I), die Automation in privater und öffentlicher Verwaltung (II), Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung und die Funktion des öffentlichen Rechts (III), die juristische Diskussion der Automation (IV), die konditionale Programmierung der juristischen und der automatischen Entscheidungsprozesse (V), die Funktions- und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen (VI,
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Vorwort des Herausgebers
VII), Entscheidungsfehler (VIII), die Programmierung der Fehlerentwicklung (IX), die Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder (X), die Wirtschaftlichkeit der automatischen Datenverarbeitung (XI) und schließlich Rationalität und Recht (XII). Der Verfasser sieht in der Automation ein wichtiges Teilprogramm der Verwaltungsvereinfachung. Er weist mit vollem Recht darauf hin, daß die Verwaltungsvereinfachung, „will man die Leistung mindestens konstant halten, lediglich eine verwaltungsinterne Umschichtung und Verlagerung von Schwierigkeiten bedeuten" kann. Deshalb warnt er auch vor dem Gedanken, die Methode des Kostenvergleichs unbesehen auf die Einführung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen anzuwenden, weil diese Anlagen nicht — was für einen Kostenvergleich vorausgesetzt werden müßte — auf spezifische Zwecke festgelegt sind. Einen wichtigen Teil der Untersuchung bilden die beiden Kapitel (VI, VII) über die Funktions- und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen, weil aus ihr Folgerungen organisatorischer und rechtlicher Art gezogen werden müssen. Diese Kapitel bilden zugleich den Ansatz für weitere Fragestellungen, die eng miteinander verbunden sind und in den folgenden Kapiteln ( V I I I — X ) behandelt werden. Die Arbeit führt die bisherigen Erörterungen über das Verhältnis von Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung um einen wesentlichen Schritt weiter. Sie scheut auch vor kühnen, auf den ersten Blick oft sogar bestürzenden Feststellungen nicht zurück. Trotzdem läßt sich die Richtigkeit der Einsicht, daß die Automation eine revolutionierende Wirkung auf die Struktur der Verwaltung ausüben wird, nicht bestreiten. Der Verfasser sieht sie mit Recht in ihren „Denkvoraussetzungen und -Implikationen". In der scharfsinnigen Herausarbeitung aller damit zusammenhängenden Gesichtspunkte scheint mir der besondere Wert der vorliegenden Arbeit zu liegen. Speyer, den 1. April 1966 Prof. Dr. Carl Hermann Ole
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
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Zweites Kapitel: Automation in privater und öffentlicher Verwaltung ..
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Drittes Kapitel: Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung und die Funktion des öffentlichen Redits 21 Viertes
Kapitel: Zur juristischen Diskussion der Automation
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Fünftes Kapitel: Konditionale Programmierung der juristischen und der automatischen Entscheidungsprozesse 35 Sechstes Kapitel: Funktions- und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen (I) 49 Siebentes Kapitel: Funktions- und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen (II) 61 Achtes Kapitel: Entscheidungsfehler
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Neuntes Kapitel: Die Programmierung der Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum 84 Zehntes Kapitel: Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder
102
Elftes Kapitel: Wirtschaftlichkeit der automatischen Datenverarbeitung .. 116 Zwölftes
Kapitel: Rationalität und Redit
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Literaturverzeichnis
144
Sachverzeichnis
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Erstes Kapitel
Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung Die Einführung automatischer Datenverarbeitung in die öffentliche Verwaltung hat begonnen. Einige kräftige Schritte sind getan, erste Erfahrungen liegen vor. Deutlich zeichnet sich bereits ab, daß es sich hierbei nicht um die Neuanschaffung zusätzlicher technischer Hilfsmittel für bestimmte Zwecke handelt, sondern um Anlagen, die sich technisch durch hohe Unbestimmtheit (Varietät) ihrer Verwendungsmöglichkeiten und wirtschaftlich durch hohe Kosten auszeichnen. Diese Eigenschaften scheinen — in Abhängigkeit voneinander — steigerungsfähig zu sein: Je unbestimmter, je offener und variabler die Einsatzmöglichkeiten sein sollen, desto höher steigen die Kosten. Diese Konstellation fordert dazu auf, solche Anlagen für verschiedene und wechselnde Zwecke einzusetzen. Dadurch geraten sie in ein problematisches Verhältnis zu den bisher üblichen Formen der Organisation und der Rationalisierung, ja vermutlich sogar zu den tragenden Denkmodellen dieses Gebietes, die von der Einzelhandlung her konzipiert und daher am Zweck/Mittel-Schema ausgerichtet sind. Die klassische Form der Abteilungsgliederung nach verschiedenen Aufgaben wird ebenso fragwürdig wie die hergebrachte Methode der Wirtschaftlichkeitsrechnung durch Vergleich verschiedener Mittel in bezug auf einen festliegenden Zweck. An ihre Stelle treten komplizierte Modelle des Kommunikationsflusses und der Systemplanung. So geht ein erfrischender Denkzwang von dem glücklichen Umstand aus, daß die Maschinen so teuer sind. Ihr Preis zwingt dazu, die Organisation der Datenverarbeitung auch außerhalb der eigentlichen Anlage in einem Maße zu rationalisieren, das ohne diesen Anstoß undurchführbar geblieben wäre. Automation ist ein wichtiges Teilprogramm der Verwaltungsvereinfachung. Sie befreit uns zugleich von der Illusion, daß die Verwaltung durch Vereinfachung einfacher würde. Verwaltungsvereinfachung kann, will man die Leistung mindestens konstant halten, lediglich eine verwaltungsinterne Umschichtung und Verlagerung von Schwierigkeiten bedeuten. Die Vereinfachung einzelner Entscheidungsschritte wird durch Komplizierung der Systemstruktur und damit der Systemplanung erkauft. Man kann das tägliche Handeln durch Systemkomplizierung entlasten. Das ist eine allgemeine Regel, die im Falle der Automation
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1. Kap.: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
nur ins Extrem getrieben und deshalb bewußt wird, weil hier die einzelnen Entscheidungsschritte, die dem Computer aufgetragen werden sollen, besonders radikal vereinfacht werden müssen. Der Komplexitätsgrad der Verwaltung insgesamt darf jedoch durch diese interne Problemverschiebung nicht gemindert werden, denn er ist durch die Umweltlage der Verwaltung bestimmt. Die Verlagerung der Komplexität aus dem Entscheidungsverhalten in die Systemstruktur rückt Organisationsprobleme mit bisher unbekannten Anforderungen in den Vordergrund. Die organisatorische Revolution zugestehend, könnte der Jurist 1 immer noch glauben, daß sie in die Zuständigkeit des Hauptbüros oder der Organisationsabteilung fällt und sein eigener Zuständigkeitskreis davon nicht unmittelbar berührt wird 2 . Diese sich distanzierende Einstellung wäre zwar mit dem Selbstverständnis des Juristen in der deutschen öffentlichen Verwaltung, seinem Anspruch auf Führung und Gesamtverantwortung oder mindestens doch auf durchgehende Beteiligung und mit seiner Frontstellung gegen die „Spezialisten" in den Fachverwaltungen schlecht zu vereinbaren. Aber es könnte ja sein, daß der Jurist sich in seinen generalisierenden Ansprüchen irrt, in seiner Distanzierung vom „bloß Organisatorischen" dagegen recht hat, daß er, mit anderen Worten, selbst nur ein Spezialist neben anderen Spezialisten ist — ein Spezialist für gewisse wichtige Aspekte in den Außenbeziehungen der Verwaltung. I n jedem Falle ist die Zurückhaltung des Juristen auch aus seiner Berufsrolle, vor allem aus ihrem andersartigen Zeithorizont heraus zu begreifen. Die Automatisierer und Systemplaner werden allein schon durch die Interdependenz aller Variablen in ihren Plänen zu einem hektischen Tempo angetrieben. I n ihrem rasanten Fortschritt selbst liegt daher eine eigentümliche Automatik. In einer durchdachten Organisation hängt alles miteinander zusammen, und immerzu ändert sich etwas. Man muß in Zehnjahreshorizonten planen, sollen die Investitionen sich lohnen, aber die Daten und damit die Beurteilungsgrundlagen wechseln von Jahr zu Jahr 3 . Man lebt in dauernder Spannung zum ab1
Hier und im Folgenden verstehen wir unter „Jurist" nicht den konkreten Menschen, der Rechtswissenschaft studiert hat, sondern jede Rolle in der Verwaltung, die mit Rechtsanwendung befaßt ist. Juristische Entscheidungsbeiträge werden — darüber können nur Standesillusionen hinwegtäuschen — in großem Umfange auch vom gehobenen Dienst erbracht, so besonders in den Kommunalverwaltungen. 1 Zu dieser Abstinenz des juristisch ausgebildeten höheren Dienstes der deutschen öffentlichen Verwaltung siehe kritische Bemerkungen bei Körte 1957 S. 562 und Jähnig 1958 S. 608. Hier und in den folgenden Anmerkungen wird abgekürzt zitiert. Die bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. s Dies ist übrigens ein allgemeines Problem jeder langfristigen und zugleich sachlich komplexen Planung. Vgl. dazu Drucker 1959.
1. Kap.: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
sehbaren Fortschritt. Die Dauer der Vorbereitungsarbeiten und die Grenzen der Abschreibungsmöglichkeiten zwingen die Planer immer wieder in die Rückständigkeit. I m Vergleich zu dieser nervösen Atmosphäre herrscht im Arbeitszimmer des Juristen ruhige Gelassenheit. Der Jurist ist gewohnt, die ihm vorgelegten Probleme einzeln zu entscheiden, Probleme, die dringlich oder weniger dringlich, allgemein-bedeutsam und wichtig oder kleinförmig sein können, die aber immer schon entstandene Schwierigkeiten betreffen und mit einigermaßen deutlichen Konturen vorgeführt werden. I m übrigen ist die juristische Entscheidungstechnik weitgehend eine Kunst der Problemisolierung; auch das mindert den Entscheidungsdruck. Die Automation beginnt gerade erst, Rechtsprobleme zu stellen, und dies sind für den Juristen zunächst ganz spezielle Probleme der Auslegung der Kassen- und Rechnungsverordnung, der Rücknehmbarkeit fehlerhafter Verwaltungsbescheide, der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung usw., und sie beziehen sich auf geschehene Sachverhalte. So ist der Jurist nicht nur, wie der Systemplaner, in periodischen Intervallen im Rückstand. Er scheint durch seine Berufsperspektive an Vergangenem orientiert zu sein. Wird er am Planen beteiligt, so muß er sich modo futuri exacti orientieren und sich alle in der Zukunft möglichen Fälle als gewesene Fälle vorstellen — daher seine Vorsicht 4. Die in Fachdiskussionen, auf Tagungen, in Publikationen aufglimmenden Kontroversen zwischen Automationsfachleuten und Juristen und die ihnen zugeordneten wechselseitigen Vorwürfe lassen sich durch eine Soziologie der Berufsrollen und -perspektiven leicht erklären. Aber die Erklärung bleibt vordergründig. Sie entbindet nicht von der Frage, wie es um die Sache selbst, um das Verhältnis von Automation und Recht, in Wahrheit steht. Diese Frage greift über die Interaktionsproblematik der verschiedenen Verwaltungsrollen hinaus und sucht die praktischen Vorstellungshorizonte und die theoretischen Begriffswelten beider Rollen in Beziehung zu setzen. Sie stößt dabei sogleich auf eine erste und grundlegende Schwierigkeit: Es gibt für ein solches Konfrontieren keinen umfassenden theoretischen Vergleichsrahmen, keine Begriffssprache, welche sowohl die Rechtswissenschaft, die sich nur dem Gesetz verpflichtet glaubt, als auch die in der Automation vorausgesetzten Wissenschaften, seien es Organisationswissenschaft, mathematische Informationstheorie, Kybernetik oder die zahlreichen technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen, als gemeinsam verbindlich anerkennen würden. 4 Sehr instruktiv hierzu die Unterscheidung dieser Orientierung als „WeilMotiv" vom „Um-zu-Motiv" des unmittelbaren Zukunftsentwurfs bei Schütz 1932 insb. S. 93 ff.
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1. Kap.: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
Es scheint daher, daß man mit der Frage selbst schon Stellung beziehen, sich schon auf einen der beiden Horizonte festlegen muß; daß man entweder anhand des positiven Rechts die rechtliche Zulässigkeit der Automation mit ihren verschiedenen möglichen Anstoßstellen prüfen oder die Automatisierbarkeit von Rechtsentscheidungen in ihrer logischen Struktur, ihrer relativen Häufigkeit, ihrer Programmierbarkeit bei gegebenen Maschinengrößen usw. untersuchen kann, um von da aus etwa Wünsche nach „automationsgerechter Gesetzgebung" zu formulieren. Im einen Fall ist das Recht die feststehende Basis, die Automation der als problematisch vorgestellte Gegenstand der Frage; im anderen Falle ist die Automation vorweg bejahte Gegebenheit, und das Recht steht als variables Thema, als Problem im Blick. Beide Perspektiven sind einseitig. Man kann vermuten, daß sie sich ergänzen, und sie deshalb beide nebeneinander benutzen. Es bleibt aber bei diesem Nebeneinander. Der Blick springt hin und her, und der Forscher muß, will er prämissenehrlich arbeiten, eingestehen, daß er von jeweils divergierenden Voraussetzungen ausgeht. Es mag ihn trösten, daß die unentbehrlichen Scheuklappen wenigstens beweglich sind. Gibt man dies zu, dann tritt man aber bereits mit einem wichtigen Schritt aus dem Dilemma heraus. Wenn man die Sprache des Juristen gegen die Sprache der Automation auswechseln kann und umgekehrt, dann muß es eine „Metasprache" geben, in der über diesen Wechsel selbst gesprochen werden kann. Die These der Komplementarität der juristischen und der kybernetisch-kommunikationstheoretischen Entscheidungslogik auf dem Gebiete der Automation fordert dazu auf, eine Theoriegrundlage zu suchen, von der aus diese Komplementarität dargestellt und begründet werden kann, die aber selbst keiner speziellen Entscheidungslogik verpflichtet ist. Das bedeutet für den Juristen vor allem, daß er sich von der exklusiven Bindung an Fragen der rechtlichen Zulässigkeit der Automatisierung in ihren einzelnen Formen und Folgen lösen muß. Diese Frage ist unangemessen bei einem neuartigen Problem, über das im vorhandenen Recht im Grunde noch nicht entschieden worden ist. Sie ist außerdem wenig interessant, weil die geltenden Rechtsnormen ja geändert werden können, man aber gegebenenfalls wissen muß, ob und wie. Die spezifisch juristische Methode der Normauslegung ist zwar nur auf vorgegebene Normen anwendbar. Das heißt aber nicht, daß der Jurist sein Blickfeld durch die Zulässigkeitsfrage beschränken, sich also in einem Haus ohne Fenster einschließen müßte, das nur durch einen Briefkasten für Gesetzblätter und Schriftsätze mit der Umwelt verbunden ist. Wenn nichts anderes so sollte die Automation den aufmerksamen Juristen zu einer Überprüfung seiner Urteilsgrundlagen veranlassen; und zwar weniger wegen der Unheimlichkeit, der Gefährlichkeit oder
.Kap.: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
der drohenden Konkurrenz der Maschinen, sondern weil die Programmierung der Maschine eine eingehende Analyse des Entscheidungsganges (nicht nur, aber auch: des Norminhaltes) erfordert, die den Juristen zu einer Besinnung auf seine eigene Entscheidungslogik zwingt. Entscheidet er weniger überlegt, weniger umsichtig, weniger rational als die Maschine? Und wenn er den gleichen Prinzipien folgt, kann er dann seine Überlegungsschritte ganz oder teilweise auf die Maschine übertragen? Gibt es verschiedene Arten von Rationalität, die der Maschine und die des Juristen? Haben beide in einem Verwaltungssystem die gleiche Funktion, so daß sie im Prinzip — von Fragen der Wirtschaftlichkeit einmal abgesehen — einander substituiert werden können? Oder sind ihre Funktionen, ihre Entscheidungsbeiträge verschiedenartig, und wenn so: sind sie widerspruchsvoll, so daß der Jurist der Masdüne mißtrauen muß, oder komplementär? Die folgenden Überlegungen stehen unter dem Leitgedanken, daß Fragen dieser Art sich im herkömmlichen Bezugsrahmen des juristischen Denkens, aber auch von den wirtschaftswissenschaftlichen, wahrscheinlichkeitstheoretischen, statistischen Modellen der Handlungsrationalisierung und schließlich auch von der Computerlogik aus nicht stellen und nicht beantworten lassen. Sie können nur ausgearbeitet werden, wenn man über einen umfassenden theoretischen Bezugsrahmen verfügt, der es gestattet, einen Überblick über die Probleme zu gewinnen, die ein Verwaltungssystem lösen muß. Damit ist die Frage nach einer allgemeinen verwaltungswissenschaftlichen Theorie gestellt. Der gegenwärtige Forschungsstand erlaubt es kaum, von einer solchen Theorie zu sprechen, geschweige denn auf sie wie auf etwas Vorliegendes zurückzugreifen 5. Andererseits zeigt die Forschung der verschiedenen Disziplinen, die mit der Verwaltung befaßt sind, starke konvergierende Tendenzen. Die Soziologie der Bürokratie kann sich Verwaltungen als Systeme von Entscheidungsrollen vorstellen und das faktische Verhalten in diesen Sozialsystemen auf seine Funktion und seine „dysfunktionalen Folgen" hin analysieren. Die politische Wissenschaft und die allgemeine soziologische Theorie der sozialen Differenzierung sehen dasselbe Phänomen gleichsam von außen; ihnen erscheint bürokratische Verwaltung als Teil des politischen Systems (und dieses als ausdifferenziertes, autonom gesetztes Teilsystem der Sozialordnung), das für die Anfertigung bindender Entscheidungen freigestellt und erhalten wird. Und schließlich scheinen 5 Siehe dazu die mehr postulierenden als realisierenden Studien von In't Veld 1962, Calimeri 1964 und Langrod 1965, ferner den programmatischen Aufsatz, mit dem Litchfield 1956 das Administrative Science Quarterly einleitete. Vgl. ferner die Notiz über ein dieser Frage gewidmetes Seminar in der Public Administration Review 25 (1965) S. 172 f.
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1. Kap.: Der Jurist und die automatische Datenverarbeitung
auch diejenigen Handlungswissenschaften, die das menschliche Handeln nicht in seiner Faktizität, sondern auf seine Richtigkeit im normativen oder rationalen Sinn hin untersuchen, unter dem Einfluß wirtschaftswissenschaftlicher, mathematisch-statistischer oder allgemein handlungsstrategischer Modellkonstruktionen sich in Richtung auf eine Entscheidungslogik fortzuentwickeln, die ihre Bezugsprobleme wiederum in der eben erwähnten sozialwissenschaftlichen Systemtheorie zu suchen hätte. Diese Ansätze ermöglichen die Formulierung einer Verwaltungstheorie, welche sowohl den juristischen als auch den automationstechnischen Vorstellungskreis in sich aufnehmen kann — freilich nur durch Mediatisierung bisheriger Grundbegriffe. Wir gehen deshalb in den folgenden Untersuchungen von einem weiteren, umfassenden grundbegrifflichen Bezugsrahmen aus und begreifen Verwaltung als ein organisiertes System faktischen Entscheidungsverhaltens. Dieser Ansatz soll es ermöglichen, empirisch-sozialwissenschaftliche und normativ-rationalwissenschaftliche Betrachtungsweisen zu integrieren und damit sowohl dem faktischen Geschehen der Automatisierung als auch seinen rationalen und rechtlichen Problemkomponenten gerecht zu werden.
Zweites
Kapitel
Automation in privater und öffentlicher Verwaltung Einen geeigneten Ausgangspunkt bietet die Systemtheorie zunächst dadurch, daß sie einen Vergleich von öffentlicher und privater Verwaltung ermöglicht. Die bisherige Fachdiskussion hat in dieser Frage keine sichere Meinung gewinnen können1, vermutlich deshalb, weil sie sich nicht von dem Gedanken eines streng funktionalen Vergleichs 2 hat leiten lassen, sondern nach Ähnlichkeiten sucht — und dabei findet man natürlich stets Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zugleich. Es ist für unser spezielles Problem der Automation jedoch wichtig zu wissen, ob und in welchen Grenzen die bereits reichlicher fließenden Erfahrungen der Privatwirtschaft mit automatischer Datenverarbeitung (nicht natürlich: automatischer Produktionssteuerung!) in der öffentlichen Verwaltung auswertbar sind und welche unterschiedlichen Rechtsbindungen in dem einen bzw. anderen Falle zu beachten sind. Wenn man Verwaltungen als soziale Systeme betrachtet, die Entscheidungen anfertigen, dann tritt ein wesentlicher Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Verwaltungen vor Augen. Wir können ihn als Grad der Ausdifferenzierung und Verselbständigung des Verwaltungssystems fassen. I n privaten Unternehmungen, seien es Produktionsorganisationen oder Dienstleistungsbetriebe, aber auch in Vereinen aller Art, ist das Produzieren von Entscheidungen ein interner Vorgang. Solche Entscheidungen mögen zwar auch externe Relevanz gewinnen — man denke an Entscheidungen über die Verlagerung von 1
Sie gibt etwa die vage Auskunft: Erfahrungen privater Unternehmungen könnten in der öffentlichen Verwaltung mehr als bisher genutzt werden; aber mit Vorsicht, weil die Aufgaben andersartig sind. Siehe ζ. B. das Gutachten: Welche Erfahrungen der Betriebswirtschaft können Staat und Kommunen für die wirtschaftliche Gestaltung ihrer Aufgaben übernehmen? erstattet im Auftrage des Bundesministers der Finanzen, Göttingen 1958. Vgl. auch Winkkelmann 1963, der den Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung durch eine „besondere Betriebswirtschaftslehre" wie für Banken, Industriebetriebe oder Verkehrsbetriebe Rechnung tragen will. Das in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich und der Schweiz keine entschiedeneren Stellungnahmen vorherrschen, sieht man etwa bei Gladden 1953 S. 24, 26, 143 f.; March 1962 S. 191 f.; Ardant 1953 S. 45 ff.; Bischofberger 1964 insb. S. 25 ff., 153 ff. 1 Vgl. hierzu Näheres in: Luhmann 1962a und ders. 1964a. Siehe auch ders. 1963.
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2. Kap.: Automation in privater und öffentlicher Verwaltung
Produktionswerkstätten. Sie mögen je nach Bedarf an die Umwelt mitgeteilt werden. Aber darin besteht nicht die spezifische Funktion, um deretwillen das System existiert und in der Gesellschaft erhalten wird. Die Verbindlichkeit privater Verwaltungsentscheidungen ist demgemäß auf die Mitglieder des Systems beschränkt. Die Entscheidungen haben keine unmittelbare rechtsgestaltende Wirkung (sie sind keine „Verwaltungsakte"), sondern werden nur durch die jeweiligen Mitgliedschaftsverträge juristisch relevant. Die Verwaltungsfunktion der Herstellung von Entscheidungen bleibt daher anderen Funktionen unter- bzw. eingeordnet. Sie fällt im wesentlichen mit der Systemleitung zusammen, oder wird als Hilfsfunktion zu dieser aufgefaßt*. Es kann durchaus sein, daß Verwaltungsaufgaben zu besonderen Arbeitssystemen zusammengefaßt sind; aber dies sind dann Untersysteme der Unternehmung, haben geringe Autonomie, sind keine selbständigen Betriebe. Dies zeigt sich auch daran, daß Verwaltungsentscheidungen im Privatbetrieb ähnlich wie Entscheidungen des Einzelnen verstanden werden, nämlich als bloße Vorbereitung eigener Ausführungshandlungen 4. öffentliche Verwaltung ist dagegen prototypisch Verwaltung. Für die Staatsbürokratie ist nämlich eine weitgehende Ausdifferenzierung der Verwaltungsfunktion, eine rollenmäßige und systemmäßige Trennung von anderen gesellschaftlichen Kommunikationssphären kennzeichnend. Der Staat ist Verwaltung in selbständigem Betrieb. Die innenpolitische Hauptfunktion des Staates ist eben die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch verbindliches Entscheiden. Die Unterhaltung von Dienstleistungsbetrieben wie Schulen, Krankenhäusern, Polizeitruppen, Versorgungsunternehmen hat demgegenüber sekundäre Bedeutung. Die 8 Dies ist auch der Grund, weshalb die betriebswirtschaftliche Diskussion des Verwaltungsbegriffs — vgl. den Überblick bei Opitz 1955 — für die öffentliche Verwaltung wenig abwirft. Siehe z.B. die Definition der Leitung als „Berechtigung, Entscheidungen zu fällen" bei Acker 1961 S. 135; näher Acker o. J. S. 122 ff. Dadurch wird Leitung mit Verwaltung in unserem Sinne gleichgesetzt. Überwiegend wird Betriebsverwaltung aber als Hilfsfunktion der Unternehmensleitung definiert — so ζ. B. von Günther 1949 — oder durch ihre mittelbare, also nicht direkt außenwirksame Stellung zum Betriebszweck — so etwa von Thoms 1934; Schramm 1936 S. 21 ff. und Nordsieck 1955 S. 25 ff., 87 ff. Mangels klarer Fassung des funktionalen Bezugsproblems endet dieser Verwaltungsbegriff entweder bei ausgesprochen subalternen Aufgaben oder in begrifflichen Katalogen nach Art amerikanischer Management-Deflnitionen: Verwaltung ist Organisation, Leitung und Kontrolle; siehe etwa Tannenbaum 1949. 4 Diese — letztlich psychologische — Auffassung des Entscheidens spiegelt sich oft audi im Entscheidungsbegriff, namentlich in der Unterscheidung von Entscheidung und Ausführung. Vgl. ζ. B. Kosiol 1959 S. 37 ff.; ders. 1962 S. 100 ff.; Acker 1961 S. 135 ff. Selbst Simon steht noch auf diesem Boden — vgl. 1955 S. 1 — und sieht deshalb das Wesen der Verwaltung nicht allein im Entscheiden, sondern im Entscheiden und Handeln. Sogar bei Vertretern einer kybernetischen Verwaltungstheorie findet man dieses Denksdiema Entscheidung/Ausführung — vgl. Mehl 1957—1961 insb. 1958 S. 541.
2. Kap.: Automation in privater und öffentlicher Verwaltung
Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung finden daher nicht nur innerbetriebliche Verwendung. Sie werden der Umwelt zugestellt und von ihr als verbindlich anerkannt. Die Bedingungen dieser Anerkennung (Legitimität), vor allem das Recht, haben für die Staatsverwaltung mithin konstituierende Bedeutung, wie wir im nächsten Kapitel zeigen werden. Daher hat denn auch die Frage nach der „Ausführung" von Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung zum Teil einfach keinen Sinn 5 , zum Teil wird die Entscheidung außerhalb der öffentlichen Hand ausgeführt. Typisch liegt zwischen der Entscheidung und ihren Folgen eine deutliche Schwelle, welche das Verwaltungshandeln von anderen gesellschaftlichen Sphären trennt, also eine Systemgrenze markiert. Hat das Entscheidungsverhalten, so hat auch der Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen in der öffentlichen Verwaltung einen anderen Sinn, eine andere Stellung und demgemäß andere organisatorische Alternativen als im Privatunternehmen. Der privatwirtschaftliche Betrieb sieht den Computer im wesentlichen als Instrument der Betriebsleitung®. Er dient als Hilfe bei der Aufbereitung von Daten für Führungsentscheidungen, als Mittel, das Betriebsgeschehen trotz erheblicher Kompliziertheit für die Spitze durchsichtig zu machen, und zwar so rasch, daß die Auswertung und Reaktion den Veränderungen externen oder internen Ursprungs auf dem Fuße folgen kann. Die neuartigen Anforderungen an die Betriebsleitung und ihren Entscheidungsstil, die daraus erwachsen, werden oft betont7. Die automatische Datenverarbeitung scheint hier in gewissem Umfang den hierarchischen Berichtsweg mit seinen Schwerfälligkeiten und seinen subjektiven oder positionsbedingten Verzerrungstendenzen zu ersetzen 8. Finanzbuchhaltung, Lagerkontrolle, Verkaufsanalysen, betriebliches Rechnungswesen, Budgetvorbereitung und Ausgabenkontrolle, Produktionsplanung und -kontrolle und Unternehmensforschung sind die vorwiegenden Verwendungsgebiete 9. I n Untersuchungen, die Verhältnisse der β ζ. B. bei Erlaubnissen oder Genehmigungen. Der Betrieb einer Gaststätte führt nicht etwa die Konzession aus, sondern die Entscheidung des Wirtes zu einem solchen Betrieb. • Dieser Gesichtspunkt steht denn audi in der amerikanischen System- und Verfahrensforschung im Vordergrund. Vgl. etwa den Uberblick von Neubert 1964a. Als typische Beispiele für diese Orientierung vgl. die Vorträge und Diskussionen in Malcom/Rowe 1960, Gallagher 1961 oder in deutscher Übersetzung: Levin 1957 S. 155 ff. 7 Vgl. bereits Pollock 1956 S. 250 ff., ferner etwa Shultz/Whisler 1960 S. 17 f. u. 8ö.; Whisler/Shultz 1962. Siehe dazu Neuloh 1961 S. 95 f., der auf die damit eintretende Veränderung der Verantwortungssituation an der Spitze besonders hinweist. Zuweilen wird auch eine Verkürzung der Hierarchie als Folge der Verwaltungsautomation vorausgesagt; siehe ζ. B. Shultz/Whisler 1960 S. 14 ff. und Whisler/Shultz 1962 S. 81; Rice 1963 S. 191, 237. • Auf Grund einer Umfrage in den Vereinigten Staaten, über die Billeter 1964 S. 139 ff. berichtet
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2. Kap.: Automation in privater und öffentlicher Verwaltung
Privatwirtschaft vor Augen haben, kann man deshalb die Feststellung antreffen, daß trotz aller Elektronik die Entscheidungen grundsätzlich dem Menschen vorbehalten bleiben 10 . Fast nur im Lohnwesen dienen private Datenverarbeitungsanlagen der direkten Produktion von Entscheidungen, dies aber kennzeichnenderweise nur gegenüber Mitgliedern der Organisation 11. Sieht man von diesen und weniger wichtigen Sonderfällen ab, dann erscheint es in der betriebswirtschaftlichen Perspektive als wünschenswert, daß die Automatisierung sich auf das Ergebnis der Entscheidungen auswirkt: Sie soll die Entscheidungsqualität verbessern 12. I n der öffentlichen Verwaltung stößt eine solche Zielsetzung auf ernste Schwierigkeiten, ja auf Bedenken13. Zwar gibt es auch hier rein interne, Entscheidungen nur vorbereitende Anwendungen des Computers, etwa auf dem Gebiete der öffentlichen Statistik, beim Vermessungswesen, im Rechnungswesen, im kommunalen Finanzausgleich und in Zukunft vor allem auch bei der Haushaltsvorbereitung und in der allgemeinen Wirtschaftsplanung. Der Schwerpunkt des juristischen Interesses an der Verwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen in der öffentlichen Verwaltung liegt aber in der Produktion von Verwaltungsakten oder von Geldanweisungen14: von unmittelbar nach außen gehenden und verbindlichen Entscheidungen für das Publikum 1 5 . 10
So Neubert 1964 S. 272; Optner 1960 S. 47; Weinberg 1965. Ein Beispiel, das Nichtmitglieder betrifft, ist das Mahnwesen. Dort trifft man aber bereits auf die charakteristischen Schwierigkeiten des Außenverkehrs: Das Gegenhandeln muß berücksichtigt und einprogrammiert werden; Fehler werden in besonderer Weise heikel. Vgl. das Beispiel bei Levin 1957 S. 96 ff. Ferner könnte man an Materialbestellungen denken, die auf Grund einer Bestellrechnung vom Computer gefertigt werden. Auch hier handelt es sich jedoch nicht um den für die öffentliche Verwaltung typischen Fall der verbindlichen, außenwirksamen Entscheidung. 12 Vgl. für solche Forderungen etwa Hofmann 1957 S. 151; M. Pietzsch/ J. Pietzsch/Siedler 1959 S. 54 f.; Chapin 1963 S. 126; Hertz 1965 S. 60 ff. 18 Das verkennt m. E. Mehl 1959 S. 533 ff., der gerade umgekehrt argumentiert: In der Privatwirtschaft gehe es um RentabilitätsVerbesserungen, in der öffentlichen Verwaltung dagegen um eine Verbesserung der Entscheidungsqualität im Dienste des Publikums. Auch in den Vereinigten Staaten verspricht man sich von der Automatisierung im öffentlichen Bereich weniger budgetmäßige Einsparungen als vielmehr eine Verbesserung der Entscheidungsqualität; siehe Limberg 1959 S. 376; Hearle/Mason 1963 S. 128; Laning 1965 S. 153. 14 Diese Zusammenfassung von Verwaltungsakten und Geldzahlungen unter der allgemeinen Typbezeichnung der verbindlichen Entscheidung wird den Juristen befremden. Er selbst hat sie aber ausreichend vorbereitet. Zwar subsumiert er Geldzahlungen noch nicht unter dem Begriff des Verwaltungsaktes, aber dessen übliche Definition ist überholt. Praktisch begrenzt man — und das ist das maßgebende Kriterium — die Rücknahme im einen Falle ebenso wie im anderen. Man muß sich nur von der Vorstellung lösen, die Geldzahlung bestehe in der physischen Bewegung von Metall oder Papierstücken, an denen privatrechtlich Eigentum übertragen wird, und der Verwaltungsakt in einem innerpsychischen Entschluß. In beiden Fällen handelt 11
2. Kap. : Automation in privater und öffentlicher Verwaltung
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Bei der Herstellung von Verwaltungsakten oder Geldanweisungen ist aber eine für die Betriebsverwaltung untypische Situation gegeben: Das Ergebnis ist rechtlich vorfixiert. Es darf durch den Maschineneinsatz weder besser noch schlechter werden. Eine „Leistungssteigerung" durch Automation ist in diesem Entscheidungsbereich demnach nur in bezug auf Nebenaspekte des Entscheidens zu erwarten. Gewiß hat es guten Sinn, die Herstellung selbst zu beschleunigen. Einer der wichtigsten Erfolge elektronischer Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung liegt denn auch darin, daß sie die Möglichkeit schafft, Massenabrechnungen, etwa Gehalts- oder Rentenzahlungen, innerhalb sehr kurzer Zeit auf veränderte Berechnungsgrundlagen umzustellen. Außerdem können Organisation, Arbeitsbelastung, Leistung usw. mit Hilfe solcher Anlagen für die Behördenleitung durchsichtiger gemacht werden — besonders wo sich, wie zum Beispiel bei Versicherungsanstalten, die Entscheidungsfertigung sehr weitgehend automatisieren läßt. Durch die Maschinenverwendung darf aber das Ergebnis selbst nicht berührt werden. Nicht einmal die Beweislast darf sich verschieben1·. Die Entscheidung muß dieselbe sein wie bei manueller Anfertigung. Damit wird auch das Fehlerproblem, wie wir weiter unten erörtern werden, in besonderer Weise delikat. Der tragende Grund für diesen Unterschied ist wohl, daß Privatbetriebe auf spezifische Zwecke hin organisiert und nach Maßgabe dieser Zwecke in ihrer Mittelwahl variabel gehalten werden 17 . Sie werden es sich um Kommunikationen, die beabsichtigte Rechtsfolgen haben und die Beteiligten binden. 15 So auch Fiedler 1964 mit einem Überblick über den gegenwärtigen Computereinsatz in der deutschen öffentlichen Verwaltung. Siehe ferner das Rundschreiben Nr. 21/1964 der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung vom 8.10.1964 mit einem Katalog von gemeindlichen Aufgaben, die im Wege der zentralen Datenverarbeitung erledigt werden bzw. werden können. Für die Staatenverwaltungen in den Vereinigten Staaten siehe den Bericht von Price/Mulvihill 1965. Für Hamburg siehe den Bericht des Organisationsamtes: Automation in der hamburgischen Verwaltung 1966. 18 Vgl. zu diesem Bedenken Bull 1964 S. 167 ff. mit weiteren Hinweisen. Auch Werner 1965 S. 22 wirft diese Frage auf. Zur Zeit ist sie nur aktuell bei Datenverarbeitungsanlagen, die sich ihre Daten durch Messung selbst beschaffen (insb. bei Telefongebührenzählungen durch die Post). Bei der normalen Fallbearbeitung in der Verwaltung sind die Daten unabhängig von der Maschine zugänglich, so daß sowohl der Kläger wie das Gericht die Entscheidung gedanklich kontrollieren können. Diese Sachlage würde sich jedoch in dem Moment ändern, in dem man die Maschinen benutzen würde, um die Entscheidungen inhaltlich-qualitativ zu verbessern. 17 Das gilt natürlich nur für ihre „formale Organisation", also für den offiziellen Anstrich ihrer Struktur, ihre Rechtfertigungsgrundlage. Als soziale Systeme gesehen, sind auch Privatbetriebe multifunktional auf eine komplexe Umwelt bezogen. Diese wichtige Einsicht der modernen Organisationssoziologie soll hier nicht in Frage gestellt werden. Siehe dazu Luhmann 1964b S. 133 ff. 2·
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2. Kap.: Automation in privater und öffentlicher Verwaltung
um ihrer Zweckleistung willen erhalten und von der Umwelt unterstützt, welche Mittel auch immer sie innerhalb gewisser rechtlich oder anders institutionalisierter Schranken wählen. Mit Verwaltungsakten wird dagegen eine komplexe, widerspruchsreiche Wertsituation verbindlich entschieden, und jede komplexe Orientierung lähmt die Beweglichkeit. Die Rechtfertigung läuft über politische Vorentscheidungen, über allgemeine Prinzipien und Gesetze, in denen die Lösung angeblich vorgezeichnet ist, aus denen sie abgeleitet wird, während sie bei einer spezifischen Zweckorientierung nur vom Betriebszweck abhängt. Deshalb kann der Computer in der Privatwirtschaft die Stellung eines rein internen Mittels einnehmen, das zwar in verschiedenen Zweck/MittelReihen eingesetzt wird, letztlich aber dem Betriebszweck untergeordnet bleibt und durch ihn in die Umwelt vermittelt wird. I n der öffentlichen Verwaltung kommt dagegen die ganz andere Frage der Beziehung zu den Wertkomplexen hinzu, welche die Verwaltung als Entscheidungsanforderungen ihrer Umwelt berücksichtigen muß. Deren Ausgleich kann nicht im Computer, sondern muß vor dem Computereinsatz erfolgen und ihn binden. Daher kommt es zu der für den Juristen kritischen Frage, ob es auch hier möglich ist, den Computer ethisch und rechtlich zu neutralisieren. Daß die öffentliche Verwaltung von den technischen und organisatorischen Erfahrungen der Privatwirtschaft lernen kann und lernen soll, wird mit Recht betont 18 . Sie wird dabei jedoch ihre besonderen Struktur- und Umweltbedingungen berücksichtigen müssen, nämlich daß sie verbindliche Entscheidungen produziert, die in jedem Einzelfall unmittelbar nach außen wirken und durch den Maschineneinsatz weder verbessert noch verschlechtert werden dürfen.
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etwa von Jähnig 1962 S. 23 ff.
Drittes Kapitel
Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung und die Funktion des öffentlichen Rechts Wenn man sich Verwaltung allgemein und im besonderen die Staatsbürokratie (Gesetzgebung und Rechtsprechung eingeschlossen1) als System von Arbeitsrollen vorstellt, die mit der Anfertigung verbindlicher Entscheidungen betraut sind, dann bezieht man einen Ausgangspunkt, der jenseits der Kontroverse des Juristen und des Automatisierers liegt und beide Standpunkte in ihrer Interdependenz verständlich werden läßt. Die rechtswissenschaftliche und die der Automation zugrundeliegende Konzeption lassen sich durch die Begriffe „System" und „Entscheidung" auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Dabei ist allerdings zu fordern, daß der Systembegriff einen sozialwissenschaftlichen, auf faktisches Handeln bezogenen Sinn behält und nicht sogleich auf den rationalwissenschaftlichen Modellbegriff abstrahiert wird, der unter den Bezeichnungen „system engineering" oder „systems analysis" im Zusammenhang mit der einsetzenden Automatisierung in den Vereinigten Staaten entwickelt worden ist 2 . Desgleichen muß das Ent1 Eine Mediatisierung des Gewaltenteüungsschemas zu einer bürokratieinternen Differenzierung ist die wohl unvermeidliche Konsequenz der modernen Verwaltungstheorie, die Verwaltung als Entscheidungsverhalten definiert. Das wird selten gesehen, weü es gegen sehr festgelegte Vorstellungen verstößt. Selbst die neueste empirische Verwaltungsuntersuchung in Deutschland, Hartflel/Sedatis/Claessens 1964, sieht die Verwaltung zwar als Betrieb von Entscheidungshandlungen, scheut aber die Konsequenz und versucht noch, mit einem gegen Gesetzgebung und Rechtsprechung abgesetzten und dadurch mitdefinierten Verwaltungsbegriff auszukommen. Indessen sind auch Legislative und Justiz längst bürokratisiert. Das heißt: Sie sind zu ständigen Organen geworden, die ihre Mitglieder überdauern, in ihnen wird hauptberufliche, bezahlte Arbeit geleistet und von ihnen wird ein unpersönliches Entscheiden nach universellen Kriterien der Richtigkeit erwartet. Auch das formale Entscheiden des Parlaments ist zwar in politische Kommunikationen gebadet, selbst aber ein bürokratischer Akt. Man wird die Gewaltenteilung als Innenstaffelung des Verwaltungssystems, als Stufenfolge zunehmender politischer Neutralisierung der Verwaltung zu interpretieren haben in dem Sinne, daß politische Einflüsse auf den Gesetzgebungsvorgang als voll legitim, auf die Exekutive als zweideutig (je nachdem) und auf die Justiz als illegitim institutionalisiert sind. Darin liegt zugleich eine Chance der Schwerpunktverlagerung des Entscheidens bei politischen Krisen; siehe Schelsky 1952 S. 19 f. β Vgl. dazu Chapman/Kennedy/Newell/Biel 1959; Neuschel 1960 — ein älte-
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3. Kap.: Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
scheiden, soll die Welt des Rechts im Blick bleiben, in voller Konkretheit als kommunikatives Handeln, als Mitteilung einer Informationsverarbeitung verstanden und nicht sogleich auf eine eindeutig strukturierte Wahl zwischen feststehenden Alternativen reduziert werden, die ebensogut maschinell vollzogen werden könnte. Denn andernfalls würden wir unversehens in die Perspektive der Automation abgleiten und deren Auffassungsschema akzeptieren, was wir zunächst vermeiden wollen. Betont man in dieser Weise die Faktizität des Verwaltungshandelns in systemgebundenen Entscheidungsrollen, dann muß man zugleich anerkennen, daß die Verwaltung stets System-in-einer-Umwelt ist. Für die Staatsbürokratie in jenem weiten, Parlamente und Gerichte einschließenden Sinne differenziert sich die Umwelt vornehmlich in drei Sphären: (1) Das Publikum, dem die Verwaltung „dient"; (2) die politischen Prozesse und ihre Organisationen (insbesondere Parteien), welche die Machtgrundlage und die Legitimität der verbindlichen Verwaltungsentscheidungen vorbereiten: und (3) die Sphäre der in der Verwaltung tätigen Mitglieder, ihre Interessen und Motivationsstrukturen 3. Ein Verwaltungssystem muß mithin komplexen, nicht koordinierten Umweltbedingungen Rechnung tragen, und in bezug auf diese „schwierige"
res Werk mit neuen, an die „System"-Mode angepaßten Titel; Optner 1960; Eckman (Hrsg.) 1961; Gagné (Hrsg.) 1962; Johnson/Kast/Rosenzweig 1963 und dies. 1964. Obwohl in dieser Literatur zuweilen der Anspruch erhoben wird — so von Johnson u. a. 1963 und 1964 —, mit dem Systembegriff die Divergenz von empirisch-erklärenden Theorien und rationalwissenschaftlichen Modellen richtigen Handelns überwunden zu haben, ist das keineswegs der Fall. Wie hier nicht näher begründet werden kann, ist diese Diverganz unvermeidlich, solange die traditionelle Definition des Systembegriffs durch die Begriffe Ganzes und Teil (also durch eine rein interne Ordnung) beibehalten wird und der Übergang zu einem funktionalistischen, auf Identität in einer veränderlichen Umwelt abstellenden Systembegriff nicht vollzogen wird. Dieser Übergang wird jedoch sowohl in der Kybernetik als auch in der Soziologie vorbereitet. Dazu einige Hinweise bei Luhmann 1964a. Unbestreitbar sind dagegen die Verdienste des amerikanischen „systems engineering" bei der Umstellung der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie auf jene Art umfassender und detaillierter Planung, die durch die Automation gefordert wird. Überhaupt handelt es sich hierbei trotz der theoretischen Aufmachung um einen mehr praktisch orientierten Forschungszweig. 8 Mitglieder eines organisierten Systems gehören mithin als Personen zur System umweit; Systembestandteil sind nur ihre „Rollen". Diese in der Organisationssoziologie heute weithin akzeptierte Auffassung — a. M. namentlich Etzioni 1961 insb. S. 20 f. und Mayntz 1963 S. 41 — reflektiert die juristische Dogmatik in ihrer Theorie des „besonderen Gewaltenverhältnisses" durch die Unterscheidung von Verwaltungsakten, die in die Rechtsstellung des Bediensteten eingreifen (also umweltwirksam sind) und innerdienstlichen Weisungen, die das nicht tun, sondern nur die Rolle gestalten, die der Bedienstete generell übernommen hat. Vgl. etwa Obermayer 1956 oder neuestens Brohm 1964.
3. Kap. : Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
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Situation läßt sich die allgemeine Funktion des Hechts für das Verwaltungssystem bestimmen — in einer Weise bestimmen, die mit den Grundbegriffen System und Entscheidung arbeitet und damit ein Begriffsschema verwendet, das zugleich dem Rationalisierungs- und Automatisierungsdenken zugrunde liegt. Systeme, die sich in einer hochkomplexen, fluktuierenden Umwelt erhalten und verhalten wollen, müssen diese Komplexität in der einen oder anderen Weise verarbeiten. Dafür gibt es mehrere Grundstrategien, die im Verhältnis zueinander funktional äquivalent sind. Sie lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen: Die erste besteht in der Institutionalisierung gemeinsamer Werte und auf sie bezogener Kooperationsformen in System und Umwelt — also in einem Anpassungsvorgang 4. Gemeinsame Institutionen sichern dem System die Anerkennung seiner Normen und Zwecke durch die Umwelt und machen zugleich das Verhalten der Umwelt für das System voraussehbar. Als Alternative zu dieser „externen" Art, Komplexität zu reduzieren, gibt es auch eine „interne" Art, nämlich durch interne Komplizierung des Systems (Arbeitsteilung, Hierarchiebildung) und durch eine sehr unbestimmt gehaltene, elastische Programmstruktur. Beide Wege müssen angesichts der Wichtigkeit des Problems wohl immer zugleich beschritten werden, aber es gibt Systeme, die sich mehr auf den einen bzw. mehr auf den anderen verlassen. Für die neuere Rechtsentwicklung ist nun eine deutliche Schwerpunktverlagerung von der ersten zur zweiten Lösung charakteristisch, das heißt: ein Übergang von externen (adaptiven) zu internen (autonomen) Lösungen. Diese Verschiebung findet ihren Ausdruck in einer relativ unabhängigen (politisch vorbereiteten) Zwecksetzung und in der Positivierung des Rechts. Die Staatsbürokratie hat nicht nur die Zwecksetzung, sondern auch die Rechtsetzung in eigene Regie übernommen. Damit hat sie sich von der Bindung an vorgegebene gemeinsame Institutionen in System und Umwelt, also namentlich vom Naturrecht befreit. Sie muß andererseits die Komplexität der Umwelt nun intern durch autonome Rechtsetzungs- und Entscheidungstätigkeit reduzieren. Durch diese Verlegung von außen nach innen, aus Gegebenheiten in Entscheidungen, wird das Recht ganz bestimmten systemstrukturellen Spannungen unterworfen und durch sie geformt. Es muß von der Zwecksetzung getrennt und, wie wir noch zeigen werden, in konditionale Programmform gebracht werden; es muß zugleich sehr differenziert, sehr spezifisch ausgeformt und sehr unbestimmt strukturiert 4 Diesen Gedanken betonen namentlich Emery/Trist 1965. Auch in der Parsonsschen Systemtheorie hat er, wie hier nicht im einzelnen dargelegt werden kann, große Bedeutung.
3. Kap. : Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
sein — um mit Max Weber zu sprechen: formal und material rationalisiert werden 5 . Dieser Vorgang der Positivierung des Rechts macht zusammen mit der Umweltdifferenzierung das Recht zu einer wesentlichen Komponente der Systemstruktur des Verwaltungssystems und damit zur Grundlage der Autonomie der Staatsbürokratie. Die Orientierung am Recht und die Berufung auf das Recht ermöglichen dem Verwaltungssystem einen relativ freien, unabhängigen Verkehr mit ihren je besonderen Umwelten. Das Recht deckt der Verwaltung in solchen spezifischen Beziehungen gleichsam den Rücken. Es wird als unterstellter, abstrakt festgelegter Konsens aller anderen Umwelten der Verwaltung, und insofern als „öffentliches Interesse", als „Gemeinwohl", ins Feld geführt. Der jeweilige Verhandlungspartner hat zu diesen anderen Umwelten keinen direkten Zugang, um die Konsensbehauptung überprüfen zu können. Sie wird auch nicht empirisch vorgetragen und durch Beweisangebote gestützt, sondern in Form von Richtigkeitsbehauptungen durch jene eigentümliche juristische Entscheidungstechnik aus Normen herausgeholt, für die allgemeine Anerkennung und Verbindlichkeit in Anspruch genommen wird. Die Zentrallage der Verwaltung zwischen verschiedenen Umwelten gibt ihr die Vorteile einer Vermittlungsposition und, damit verbunden, Abstraktionschancen sowie die Möglichkeit, mit partiellen Fiktionen zu arbeiten (die natürlich vertrauenswürdig bleiben müssen). Die Verwaltung kann jede ihrer Umwelten anderen gegenüber interpretieren, und das geschieht unter Vermeidung direkter Konfrontation gegensätzlicher Interessen durch einen Prozeß systeminterner Abstraktion, durch koordinierende Generalisierung, durch Umsetzung von Interessen und Erwartungen in Recht. Die Funktion des Rechtes für Verwaltungssysteme® besteht darin, externe Umweltanforderungen und Daseinsbedingungen, die als Bedarfsanmeldungen aus dem Publikum, als politische Formeln aber auch 5
Wir greifen diese These Max Webers im Schlußkapitel nochmals auf und begnügen uns deshalb hier mit einer Andeutung, die den Zusammenhang vermittelt. • Funktionale Bestimmungen sind — wie stets, so auch hier — systemrelativ zu verstehen. Die zu gebende Bestimmung ist also nicht erschöpfend. Sie müßte anders lauten, wenn sie auf die Interessen des Publikums oder auf die Bedürfnisse politischer Machtbildung bezogen würde. Außerdem steckt in der Argumentation des Textes ein bewußter Verzicht auf eine naturrechtliche oder wertethische Ableitung des öffentlichen Rechtes. Statt immer wieder zu versuchen, aus Werten gegen die Gesetze der Logik Folgerungen zu ziehen, würden wir es für richtiger halten, die Rückbesinnung auf das Sein und den Grund des Rechtes aus voller Klarheit über Struktur und Funktion des positiven Rechtes neu zu beginnen. Man braucht nicht zu fürchten, daß eine Rechtswissenschaft, die ihren Gegenstand nüchtern, wirklichkeitsangepaßt und relational sieht, die Frage nach der Wahrheit des Rechtes verschütten könnte.
3. Kap.: Verwaltung als System der E n t s c h e i d u n g s f e r t i g u n g 2 5
in Form von Präferenzen und Leistungsbereitschaften der Verwaltungsmitglieder an die Verwaltung herangetragen werden, in interne Entscheidungsprämissen zu transformieren, die im System strikt beachtet werden. Diese Transformation kann — angesichts der Komplexität der Umwelt, der Widersprüche in ihren Anforderungen und Bedingungen und angesichts der unterschiedlichen Zeitrhythmen von Umweltänderungen — nicht in rein rezeptiver Automatik erfolgen. Sie ist deshalb auch nicht kausalgesetzlich greifbar, sondern setzt eine gewisse (begrenzte) Systemautonomie voraus. Sie erfolgt als Eigenleistung im System selbst durch Entscheidungsprozesse auf höherer Ebene, die diese Transformation leisten und mitverantworten. Das Produkt dieser Leistung, die Rechtsnorm, dient dann als koordinierende Generalisierung in bezug auf eine Mehrheit von Umwelten. Sie ist in ihrer Funktion nicht aus einer besonderen Umwelt der Verwaltung verständlich, nicht allein aus den verschiedenartigen Interessen des Publikums, die befriedigt bzw. abgedrosselt werden, nicht allein aus der Aufgabe, dem politischen Handeln werbende oder kritisierbare Zielvorstellungen zu geben und auch nicht aus ihrer Eignung als Arbeits- und Verständigungsgrundlage im Verwaltungsbetrieb. Sie ist all dies in einem. Rechtsnormen sind demnach nicht als apriorische Entscheidungsbedingungen zu verstehen, deren vorausgesetzte Richtigkeit die Richtigkeit eines folgsamen Entscheidens gewährleistet. Sie sind selbst Ergebnisse von Entscheidungsprozessen, und je stärker sie spezifiert werden, desto unvermeidlicher wird es, sie in ihrer Funktion zugleich als Produkt zu verstehen. Sie werden im selben System erarbeitet, daß sich durch sie strukturiert. Die neuere Rechtstheorie hat, sofern sie Prinzipien, Normen und Begriffe vom richterlichen Entscheidungsvorgang aus betrachtet, dieses Umdenken eingeleitet, ohne bisher jedoch zu entdecken, in welchem Maße sie damit in das Reich der Kybernetik und der Systemtheorie hinübergeglitten ist. Sie weiß heute, daß Rechtsetzung und Rechtsanwendung nicht vollständig zu trennen sind. Hinter der Einsicht in die Unvermeidlichkeit richterlicher Rechtschöpfung verbirgt sich aber nichts anderes als die Tatsache, daß Rechtsnormen normalerweise in der Entscheidungspraxis entstehen, in der sie angewandt werden 7 , daß es nur durch besondere, systeminterne Differenzierung von Entscheidungsprozessen möglich ist, die Rechtsetzung zum Gegenstand spezifisch darauf abzielender, ausgesonderter Entscheidungsvorgänge zu machen, und daß die Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung durch organisatorische Vorschrift nie vollständig gelingen kann. Das heißt jedoch, daß die Theorie 7
Vgl. vor allem Esser 1956.
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3. Kap.: Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
der Entscheidungssysteme den theoretischen Bezugsrahmen aufstellen muß, von dem her bestimmt werden kann, welche Entscheidungsbeiträge bestimmter Stellen im Einzelfall als Entscheidungsprämissen vorfixiert und welche als disponibel und in diesem Sinne als problematisch zu behandeln sind8. Durch Definition als Entscheidungsprämissen9 — und nur so — werden Umweltdaten in eine Sprache übersetzt, die die Verwaltung verstehen und bearbeiten kann. Sie erhalten dadurch eine den Entscheidungsprozeß strukturierende Funktion. Sie werden zu mehr oder weniger klärungsbedürftigen, ausfüllungsbedürftigen Entscheidungsprogrammen fixiert, die dem täglichen Entscheiden bis auf weiteres zugrunde gelegt werden. Die Verarbeitung der laufenden Informationen richtet sich an ihnen aus. Für die einzelne Entscheidungsstelle der Verwaltung, das Amt, „vertreten" solche Rechtsnormen gleichsam die Existenzbedingung, indem sie als Fixierpunkte an die Stelle der fluktuierenden, zersplitterten, widerspruchsvollen Anforderungen der Umwelt gesetzt werden. Sie definieren dann das Auffassungsschema der Verwaltung und wählen aus der Fülle des Vorkommenden jene Informationen aus, welche die Verwaltung für relevant hält. Wegen dieser Eigenschaft als Ersatzformeln für Existenzbedingungen wird die Beachtung der Rechtsnormen durch eine interne „Mitgliedschaftsregel" zur absoluten Pflicht erhoben. Wer Mitglied der Verwaltung bleiben will, muß die jeweils geltenden Rechtsnormen anerkennen 10 . Er kann sich irren, kann Fehler begehen, aber er kann seine Mitgliedschaft nicht fortsetzen, wenn er zugleich behauptet, das Recht der 8 Stellt man sich auf diesen Standpunkt, dann öffnet sich der Ausblick auf frappierende Parallelentwicklungen in der Rechtstheorie einerseits und in der Theorie des rationalen Zweckhandelns andererseits. Auch diese ist in neuerer Zeit dazu gekommen, in der Zwecksetzung nicht mehr eine apriorische Entscheidungsbedingung, sondern ein Entscheidungsergebnis zu sehen, das als strukturierende Prämisse für andere Entscheidungen im System selbst erarbeitet wird. Vgl. insb. Cyert/March 1959 (siehe auch dies. 1963 S. 26 ff.); Leibenstein 1960 insb. S. 154; Heinen 1962; Simon 1964; Gore 1964 S. 36 ff. • Mit dem Begriff der „Entscheidungsprämisse" übernehmen wir von Simon die Einsicht^ daß alles Entscheiden von Prämissen abhängt, über die in der jeweiligen Entscheidung selbst nicht entschieden wird (was nicht ausschließt, daß von anderen Stellen oder zu anderer Zeit darüber entschieden worden ist). Systemstrukturen, für deren Definition auch Simon den soziologischen Begriff der Rolle verwendet, sind ungeachtet der Tatsache, daß auch über sie entschieden worden ist, als Entscheidungsprämissen zu behandeln (also nicht als Entscheidungen!), und zwar als ein besonderer Teil der insgesamt relevanten Entscheidungsprämissen, zu denen außerdem auch Umweltinformationen, mitentscheidende Stellungnahmen im System usw. gehören. Der Begriff der Entscheidungsprämisse vermittelt so zwischen dem Strukturaspekt und dem Prozeßaspekt der Verwaltungstheorie. Vgl. die besonders instruktiven Formulierungen bei Simon 1957 S. 201. Als ausführliche Erörterung siehe auch Simon/Smithburg/Thompson 1950 S. 57 ff. und neuestens Simon 1965 S. 35 ff. 18 Zu diesem Prinzip der Systemformalisierung eingehend Luhmann 1964c.
3. Kap. : Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
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Verwaltung sei für ihn nicht verbindlich, er werde es nicht beachten. Durch Übernahme einer Verwaltungsrolle verpflichtet der Einzelne sich generell auf die Systemgrundlagen und streift seine persönlichen Vorlieben und Verhaltensmotive gleichsam ab. Die Unterschiede individueller Motivstrukturen werden neutralisiert. So kann in der Verwaltung auf der Grundlage eines prinzipiell disponiblen, dirigierbaren Entscheidungsverhaltens eine Primärorientierung in bezug auf andere Umwelten — nämlich Publikum und Politik — institutionalisiert werden 11 . Geht man von der Auffassung der Verwaltung als System zur Anfertigung verbindlicher Entscheidungen aus, gelangt man demnach zu der Konsequenz, daß die Positivierung des Rechtes zusammen mit einer bestimmten Umweltkonstellation, nämlich der Differenzierung von Politik, Publikum und Personal als kommunikativ getrennter Verwaltungsumwelten, die Rechtsnorm zur zentralen Strukturkategorie des Verwaltungssystems macht 12 . In diesem Sinne sind die sogenannten „freiheitlichen Demokratien" konstitutionell Rechtsstaaten. Anders als die herrschende, in ihren Befürchtungen und Polemiken aber geschichtlich überholte Auffassung es sieht, ist das Recht nicht ein dem Verwaltungsstaat von außen aufgezwungenes Wertgebot, sondern sein eigenes Strukturgesetz. Ohne Erzeugung von Rechtsnormen vermöchte er seine drei Grenzen zur Politik, zum Publikum und zum Personal hin nicht invariant zu halten, könnte er keine Systemautonomie entfalten. 11 Daß dieser Orientierungsprimat sich keineswegs von selbst versteht und sich audi nicht einfach „vorschreiben" läßt, sondern eine Ordnungsleistung darstellt, die nur unter komplizierten Vorbedingungen möglich ist und durch langwierige soziale Prozesse institutionalisiert werden muß, haben namentlich Studien der Bürokratien von Entwicklungsländern deutlich gemacht. Vgl. ζ. B. Cohn 1960 über den Aufstieg einer neuen indischen Gesellschaftsschicht als Folge der Bereicherungsmöglichkeiten, die die Teilnahme an der britischen Kolonialverwaltung eröffnete. Oder Presthus 1961, der zwei Bürokratietypen unterscheidet, je nach dem, ob die Hauptorientierung auf Leistung oder auf Selbstbedienung gerichtet ist. Eine allgemeine Organisationstypologie unter dem Gesichtspunkt, welcher besonderen Umwelt ein System die Hauptvorteüe zuführt, findet sich bei Blau/Scott 1962 S. 42 ff. 12 Bester Beweis dafür ist der Vergleich mit einem Gegenbeispiel. Die Schwierigkeiten, in Entwicklungsländern eine objektiv und rechtlich eingestellte, leistungsfähige öffentliche Verwaltung einzurichten, bestehen weniger darin, daß es nicht möglich wäre, Rechtsnormen zu formulieren und auszulegen. Das wichtigste Hindernis scheint zu sein, daß der Stand der sozialen Differenzierung es nicht erlaubt, Politik und Verwaltung institutionell zu trennen. Die Bürokratie muß deshalb unvermeidlich politische Funktionen miterfüllen, muß ihre Macht und ihre Legitimität selbst stabilisieren, die „politische Sozialisierung" des Publikums fördern usw. Sie kann die Wünsche und die Kritik des Publikums nicht auf funktionierende politische Prozesse abladen, sondern muß sich ihnen direkt stellen. Daraus entwickelt sich ein in mancher Hinsicht problematischer, von unseren Vorstellungen abweichender, deshalb aber in der gegebenen Situation nicht weniger sinnvoller Verwaltungsstil. Siehe dazu Eisenstadt 1963; Pye 1963; Hanson 1963 S. 156 ff. und manche Aufsätze in La Palombara 1963.
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3. Kap.: Verwaltung als System der Entscheidungsfertigung
Der Verwaltungsstaat konstituiert sich als Rechtsstaat, wenn er seine Umwelt in diesem dreifachen Sinne differenziert 18 . I n diesem Vorstellungsmodell hat die bekannte, besonders von der Wiener Schule belebte Kontroverse, ob Verwaltung ihrem Wesen nach Rechtsanwendung sei oder nicht, keinen Sinn mehr, und zwar aus verschiedenen Gründen. Einmal lassen sich Rechtsetzung und Rechtsanwendung institutionell nicht reinlich scheiden14. Die neuere juristische Methodenlehre hat unverlierbar ins Bewußtsein gerückt, daß mit aller Rechtsanwendung, soweit es sich nicht um problemlose Routineentscheidungen handelt, Prozesse der Rechtsfindung verknüpft sind. Vor allem aber verdeckt der Begriff der Rechts,, anwendung" bzw. des Norm„vollzugs" eine Fülle sehr verschiedenartiger Entscheidungsprozesse, die genauer analysiert werden müßten. Er täuscht Denkprozesse vor, die den Charakter logisch eindeutiger Folgerung aus allgemeinen Regeln haben. Das gibt es durchaus. Darin erschöpft sich aber die Bedeutung des Rechts für die Verwaltungsentscheidung nicht. Die juristische Argumentationstechnik hält nur zu geringen Teilen strenger logischer Kontrolle stand. Obwohl sie sich selbst als reine Rechtsanwendung darstellt, muß die Wissenschaft gegenüber solchen Schutzbehauptungen — wie gegenüber jeder Selbstdarstellung — kritisch bleiben und die eigentümliche Struktur der juristischen Entscheidungstechnik unbefangen würdigen. Wenn nichts anders, so zwingt dazu die Erfindung von Logikmaschinen, die einfach stillstehen würden, wollte man sie mit unvorbereiteten juristischen Problemen füttern. 13 Demgemäß halten wir die herrschende Sorge um die peinlich genaue Durchführung des positiven Rechtes als Schwerpunktwahl der Verfassungsauslegung für deplaciert. Sie lenkt die Aufmerksamkeit von den politisch relevanten Fragen weg auf eine laufende Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Institutionalisierung des Staates als Rechtsanstalt ist jedoch eine strukturnotwendige Folge und deshalb selbstverständlich, wenn man die politische Ordnung in die Kommunikationssphären des Publikums, der Politik im engeren Sinne und der Staatsbürokratie differenziert. Das eigentliche Problem ist, diese Differenzierung zu erhalten. Das aber ist die Funktion der Grundrechte. Vgl. Luhmann 1965 b. 14 Deshalb ist es nur konsequent, wenn Vertreter der Wiener Schule Rechtsetzung und Rechtsanwendung durchgehend miteinander verbinden und sich die Rechtsordnung als eine Hierarchie vorstellen, in der die Normen auf jeder nach unten führenden Stufe durch neue Normsetzung konkretisiert werden. Vgl. Merkl 1927. Die Folgerung, daß auch Verwaltungsakte Normen setzen (siehe ζ. B. Winkler 1956 insb. S. 30 ff., 45 ff.) ist denn auch sozialwissenschaftlich sinnvoller als die in Deutschland herrschende Lehre, die Normbegriff und Regelbegriff unnötigerweise miteinander verquickt und sich dadurch die Möglichkeit nimmt, den Komponenten des Verwaltungsaktes, die sich nicht auf eine allgemeine Regel zurückführen lassen, rechtlich-normierende Bedeutung zuzusprechen. Weshalb der Bürger überhaupt verpflichtet ist, jene konkretisierenden Entscheidungskomponenten als verbindlich hinzunehmen, bleibt dabei offen.
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Würde man den Entscheidungsvorgang der Verwaltung genauer untersuchen, so würde man vermutlich entdecken, daß die Kontroversen, ob alles Verwalten Rechtsanwendung sei oder nicht, und die damit zusammenhängende (aber nicht identische) andere, ob jede Verwaltungsentscheidung einer gesetzlichen Grundlage bedürfe oder nicht, mit zu breiten Fronten geführt werden und deshalb unentscheidbar bleiben 15 . Wer sich Rechtsanwendung oder Gesetzesbindung mehr oder weniger strikt im Sinne eines vorgeschriebenen Handelns vorstellt, muß natürlich einräumen, daß nicht alles Verwaltungshandeln diese Voraussetzung erfüllt. Wer dagegen postuliert, daß alles Verwaltungshandeln an das Gesetz gebunden sei, endet notgedrungen bei der These, daß für den Grad der Bindung „die Natur der zu ordnenden Verwaltungsmaterie" 1 · ausschlaggebend sei — also bei einer Tautologie. Die Hypothese einer primär rechtsanwendenden Verwaltung ist aus all diesen Gründen zu anspruchsvoll und zu imbestimmt 17 . Sie verträgt sich nicht mit der Notwendigkeit genauer, sehr detaillierter Analysen des Entscheidungsganges, wie sie im Zuge der fortschreitenden Automatisierung erforderlich werden. Wir werden besser fahren, wenn wir von dem allgemeineren Begriff der Entscheidungsprämisse ausgehen und die Verwaltung als ein System der Entscheidungsfertigung erforschen, das juristische, aber auch andere Entscheidungsprämissen verwendet. Dann bleiben zunächst alle Möglichkeiten offen, durch empirische Beobachtung des Entscheidungsverhaltens und durch eingehende Analyse der Entscheidungsschritte festzustellen, welche Bedeutung den juristischen Entscheidungsprämissen zukommt und wie es um ihr Verhältnis zu den automatisierbaren Partien des Entscheidungsvorganges steht. 1β Dies ist übrigens ein gutes Beispiel für die Schädlichkeit der Blickbegrenzung durch norminterpretierende Methoden. Die Kontroverse wird nicht in bezug auf einen empirischen Sachverhalt, sondern in bezug auf den Sinn einer Norm, insb. des Rechtsstaatsprinzips, geführt. Die Norm enthält aber vielleicht gar keine Direktive für die Entscheidung falsch gestellter Fragen. Welche Fragen an sie zu stellen sind, muß sich aus einer vornormativen Theorie ergeben, die sich mit der Frage zu befassen hätte, wie Normen Entscheidungsprozesse überhaupt struktieren können. Das aber wäre eine logisch und empirisch kontrollierbare Theorie des Entscheidungsverhaltens. Wer sich in die genannten Kontroversen hineinwagt, muß eine solche Theorie voraussetzen. Wenn er sie nicht expliziert, ist die Gefahr groß, daß er die Kompliziertheit der Möglichkeiten nicht voll erfaßt, dunkle Annahmen und ausschnitthafte Vorstellungen in die Norm des Rechtsstaates hineinprojiziert und allein dadurch Auslegungskontroversen entfacht, die dann mit interpretativen Methoden nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden können. »· So Giacometti 1960 S. 256. 11 Demgegenüber trifft es sicher zu, führt aber auch nicht sehr weit, wenn betont wird, daß die Verwaltung durchgehend rechtsgebunden, aber nicht nur rechtsanwendend arbeite. Siehe statt anderer Becker 1956. Die polemische Orientierung an den älteren Lehren von der rein rechtsanwendenden Verwaltung einerseits, dem „rechtsfreien Raum" der Verwaltung andererseits, vermag eine genaue Analyse der Verwaltungsentscheidungen und der Rolle, die juristische Entscheidungskomponenten in ihnen spielen, nicht zu ersetzen.
Viertes
Kapitel
Zur juristischen Diskussion der Automation Die Frage nach der Funktion der juristischen Entscheidungskomponenten, die den Leitfaden für unsere weiteren Untersuchungen abgeben soll, müssen wir noch um ein Kapitel hinausschieben. Zuvor soll noch ein Blick auf die seit kurzem anlaufende verwaltungsrechtliche Erörterung des Automationsproblems geworfen werden. I n einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr wird unsere Fragestellung deutlicher werden. Die mit einer provozierenden Schrift von Karl Zeidler 1 eröffnete verwaltungsrechtliche Diskussion sieht das Problem in der Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen es zulässig ist, Verwaltungsakte von Menschen auf Maschinen zu übertragen 2 . Zeidlers bekannte These ist, daß Rechtsnormen nur an Menschen adressiert werden können, nicht aber an Maschinen. Daraus zieht Zeidler die — logisch offensichtlich unhaltbare — Folgerung, daß Verwaltungsakte durch Bewußtsein und Willen von Menschen getragen sein müssen, wenn sie als rechtlich relevant qualifiziert werden sollen. Die Leistungen automatischer Maschinen lägen daher außerhalb der Rechtssphäre und gäben Probleme auf, die ohne Präjudizierung durch das geltende Verwaltungsrecht juristisch erst noch bewältigt werden müßten. I m Anschluß daran ist die Diskussion auf eine wenig fruchtbare Bahn geraten. Sie läßt sich faszinieren durch die Frage, ob die automatischen Datenverarbeitungsmaschinen durch den Menschen ausreichend beherrscht und kontrolliert werden können, so daß ihr Ergebnis dem menschlichen Willen zugerechnet werden kann, oder ob etwa zu befürchten ist, daß sie heimlich Unsinn produzieren 3. Natürlich werden 1 1
Zeidler 1959 a; vgl. auch ders. 1959 b. Schon in dieser Problemstellung zeigt sich übrigens eine in der Automatisierungsdebatte häufig anzutreffende, bedenkliche Faszination durch die Maschine. Man schaut auf den Gegenstand, der dem menschlichen Denken substituiert werden soll, statt in funktionaler Perspektive die Systembedingungen zu analysieren, unter denen Leistungen von Mensch und Maschine äquivalent, also substituierbar sind. • In dieser Blickbahn hat sich namentlich Bull 1964 mit Zeidler kritisch auseinandergesetzt. An weiteren Gegenstimmen vgl. Voss 1960 a; Maaß 1961; Müller-Heidelberg 1961 und als Entgegnung Zeidler 1961.
4. Kap.: Zur juris tischen Diskussion der Automation
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die Datenverarbeitungsanlagen von Menschen aufgestellt, programmiert und mit Informationen versorgt. Es ist nahezu ausgeschlossen, daß sie Entscheidungen treffen, die nicht auf menschliche Anweisung zurückgehen. Die gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Maschinentypen können weder mogeln, noch improvisieren, noch spontane Einfälle in Entscheidungen verwandeln. Ebenso selbstverständlich aber ist, daß sie die menschliche Bewußtseinstätigkeit entlasten sollen, daß ihr Ausstoß also nicht im einzelnen kontrolliert und ins menschliche Bewußtsein aufgenommen, ja in seinen Einzelheiten nicht einmal vorausgewußt werden soll. Daß die Verwaltung sich das Ergebnis trotzdem zurechnet, daß sie zum Beispiel Rückfragen aus dem Publikum beantwortet und nicht etwa „zuständigkeitshalber" an die Maschine abgibt, versteht sich ebenfalls von selbst. Der Umfang, in dem die Maschinentätigkeit durch bewußte Prozesse überwacht wird, ist prinzipiell beliebig variabel 4 . Darin kann also kein Rechtskriterium liegen. Es handelt sich um Organisations- und Kostenfragen. Mit all dem ist jedoch die Frage, wie sich die maschinelle Datenverarbeitung zu den rechtserheblichen, Recht produzierenden Überlegungsschritten des Entscheidungsvorganges verhält, noch nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet 5 . Der Sieg über Zeidler ist zu leicht, um zu befriedigen·. Daß die Erörterung in dieser Sackgasse zu enden droht, hat eine Reihe von Gründen. Das Problem wird als Frage der Auslegung des geltenden positiven Rechtes gefaßt, nämlich als Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Übertragung von Entscheidungsprozessen vom Menschen auf Maschinen. Diese Fragestellung ist jedoch, wie schon einmal gesagt, nicht angemessen bei einem völlig neuartigen Problem, über das offensichtlich weder gesetzlich noch gewohnheitsrechtlich je entschieden worden ist und im übrigen jederzeit gesetzlich entschieden werden könnte, wenn man wüßte wie. Zum anderen ist die Fehlleitung der Diskussion eine Folge des logischen Fehlers im Zeidlerschen Argument, der den weiteren Gedankengang unkontrollierbar macht. Daß Rechtsnormen nur an Menschen adressiert werden können, heißt keineswegs, daß nur menschliches 4 Auch in der Rezension der Schrift Zeidlers durch Jecht 1962 S. 247 wurde bereits darauf hingewiesen, daß es sich hierbei um mehr graduelle Unterschiede handele. 5 Eine der besten Abhandlungen zu unserem Thema — Fiedler 1962 — geht jedoch ausdrücklich von dieser Fragestellung aus und hat deshalb keinen Kontakt mit dem Zeidlerschen Gedankengang. • Siehe dazu auch eine Bemerkung von Simon 1960 a S. 25: „This statement — that computers can do only what they are programmed to do — is intuitively obvious, undubitably true, and supports none of the implications that are commonly drawn from it."
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4. Kap.: Zur juristischen Diskussion der Automation
Handeln rechtlich relevant sein könne. Die rechtliche Relevanz ergibt sich nicht aus der Normadresse, sondern aus dem Norminhalt 7 , und dieser kann durchaus Ereignisse außerhalb der menschlichen Handlungssphäre — man denke an den herabfallenden Dachziegel — zur juristischen Entscheidungsprämisse machen. Die Norm, die den Bürger verpflichtet, einem Verwaltungsakt zu gehorchen, oder die ihn berechtigt, einen Verwaltungsakt anzufechten, ist nicht darauf angewiesen, als Tatbestandsmerkmal einen Handlungsbegriff zu verwenden. Schließlich leidet die Diskussion an der Unbestimmtheit des Willensbegriffs — man ist versucht zu sagen: an seiner unbewältigten Vergangenheit. Das ungute Gefühl bei der Übertragung dieses vermeintlich psychologischen Begriffs auf organisierte Entscheidungszusammenhänge ist nie wirklich überwunden worden, ohne daß andererseits die Kritik den Gedanken endgültig hätte zu Fall bringen können. Wenn Verwaltungsakte heute kaum noch als Willenserklärung definiert werden, so liegt dem die Abneigung des Öffentlichrechtlers gegen zivilrechtliche Begriffe, nicht aber eine Kritik des Willensbegriffs zugrunde 8. Auch hier scheint eine falsche Problemstellung am Stagnieren der Forschung schuld zu sein. Staatslehre und Rechtswissenschaft haben den Willen bisher als ein eigentlich psychisches Faktum angesehen und deshalb den Willensbegriff, wenn überhaupt, mit mißtrauischer Vorsicht auf Grund einer kaum verstandenen Analogie oder auch nur als Metapher übernommen. Erst die moderne Theorie der Kommunikationssysteme macht es möglich, den Willensbegriff von seinem psychischen Substrat zu lösen und ihn so zu fassen, daß er auf jedes Entscheidungen treffende Kommunikationsnetz angewandt werden kann (wobei man natürlich darüber streiten kann, ob es zweckmäßig ist, den Terminus „Willen" mit seinen geschichtlichen Belastungen beizubehalten). Eine eindeutige, hinreichend abstrakte Fassung erhält der Willensbegriff, wenn man ihn durch die Innen/Außen-Differenz, die mit jeder Systembildung gesetzt ist, und durch Prozesse der Informationsverarbeitung definiert. Als Wille wäre dann ein bestimmter Aspekt des Entscheidens zu bezeichnen, nämlich der Umstand, daß die Entscheidung sich in gewissem Umfange auf Informationen aus dem systemeigenen Gedächtnis statt auf Informationen unmittelbar aus der Um7 Die moderne Kommunikationstheorie kann übrigens auch hierzu den lehrreichen Beitrag liefern, daß Kommunikationsinhalte und Kommunikationsadressen stets deutlich unterschieden werden müssen, obwohl die Unterscheidung nur relativ auf bestimmte Entscheidungssituationen zu verstehen ist und im weiteren Prozesse der Datenverarbeitung Adressen oft zu Inhalten oder Inhalte zu Adressen werden. Vgl. dazu Pietzsch 1964 S. 18 ff. β Vgl. etwa Forsthoff 1961 S. 190 f.; Wolff 1963 S. 250.
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weit stützt®. Wille ist nur möglich in einem System, das Informationen geordnet speichern kann und das in der Lage ist, mit einem besonderen Teil seiner Speicherinformationen (ζ. B. Allgemeinbegriffen, Wertbegriffen, Entscheidungsregeln, Datenerinnerungen) einen umweltabhängigen Informationsverarbeitungsprozeß zu steuern. Wille ist notwendig, weil jedes Informationsverarbeitungssystem die Umwelteindrücke auf ein verarbeitungsfähiges Maß reduzieren, eigene Relevanzgesichtspunkte behaupten muß und auch danach noch zumeist nicht in der Lage ist, alle relevanten Umweltinformationen einzusammeln und zu berücksichtigen. Es muß, um überhaupt entscheiden zu können, sich gegenüber Informationen aus der Umwelt weitgehend verschließen und statt dessen die Selbstinformation bevorzugen, also aus seinem eigenen Charakter heraus und nach Maßgabe vergangener, inaktueller Erfahrungen handeln. Man kann den Willen daher auch als Verdrängung externer durch interne Informationen bezeichnen. Und die Rationalität des Willens ist dann eine Frage der bewährbaren, das System in einer problematischen Umwelt erhaltenden Verteilung von Innenund Außeninformation. Die von der Kybernetik aufgedeckten Strukturanalogien zwischen innerpsychischer, kooperativ-organisierter und maschineller Informationsverarbeitung erfassen demnach auch den Willensbegriff. Er bezeichnet nicht mehr ausschließlich eine Tatsache des innerpsychischen Bewußtseins10. Definiert man ihn als Aspekt eines Entscheidungsverfahrens, so kann er auf alle drei Arten von Entscheidungssystemen angewandt werden, und auch die Probleme der Rationalisierung des Willens treten in allen drei Systemen analog auf. Unsere Frage, ob im Rahmen eines kooperativ organisierten Entscheidungssystems — hier: einer Verwaltung — innerpsychische oder maschinelle Gedächtnisse und Prozesse den Vorzug verdienen, ist dann prinzipiell — und wenn der Wissensstand entsprechend vorangeschritten ist, auch theoretisch und praktisch — unter Rationalitätsgesichtspunkten zu beantworten, ohne daß der Willensbegriff die Fragestellung zugunsten der innerpsychischen Prozesse verzerrte. Deren Überlegenheit kann vielmehr erst jetzt einsichtig gemacht und begründet werden, nämlich durch einen Struktur- und Leistungsvergleich der verschiedenartigen Informationsverarbeitungssysteme. Ein solcher Vergleich würde vermutlich zu dem Ergebnis kommen, daß der Mensch zum Entscheiden weniger Willen braucht, also lernfähiger ist, als die Maschine. • Dieser Willensbegriff ist von Deutsch 1963 S. 105 ff. entwickelt worden. Siehe auch den entsprechenden Begriff der Autonomie bei Kidd 1962 S. 211. 10 Zu dieser Möglichkeit der „Abtrennung" und Herausverlagerung von Reflexionsprozessen, die bisher dem Menschen vorbehalten zu sein schienen vgl. grundsätzlich Günther 1963. 8 Speyer 20
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Diese Einsichten haben weitreichende Implikationen, zum Beispiel für den Normbegriff und für die Machttheorie, die wir hier nicht weiter verfolgen können. Im Augenblick kommt es nur darauf an, die Bezugsbegriffe der verwaltungswissenschaftlichen Forschung so zu wählen, daß sie den freien Zugang zu unserem Thema Recht und Automation nicht blockieren oder mit Verzerrungen belasten, sondern sinnvolle Fragestellungen ermöglichen. Wir haben uns deshalb mit den beiden wichtigsten Leitvorstellungen der bisherigen rechtswissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Automation, mit den Begriffen der „Rechtsanwendung" und des „Willens" kritisch befassen und sie in den grundbegrifflichen Bezugsrahmen einer Theorie der Kommunikationssysteme einordnen müssen, weil sie sonst durch überzogene Ansprüche und durch allzu einfach komprimierte Vorstellungen den weiteren Gedankengang behindert hätten.
Fünftes Kapitel
Konditionale Programmierung der juristischen und der automatischen Entscheidungsprozeese Versuchen wir nunmehr, die spezifisch juristischen Elemente des Entscheidungsganges der Verwaltung im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Automatisierung genauer zu lokalisieren. Die Grundlagen dafür sind in den vorangegangenen Kapiteln gelegt. Das Recht ist für die Verwaltung ein Komplex von Entscheidungsprämissen, welche die Verbindlichkeit der Entscheidungen begründen. Durch Rechtsorientierung wird das Rollensystem öffentliche Verwaltung ihren Umwelten gegenüber autonom, und das unterscheidet sie von Betrieben anderer Art, etwa Dienstleistungsbetrieben oder Produktionsbetrieben, die um spezifischer Zwecke willen von ihrer Umwelt getragen werden. Bei der öffentlichen Verwaltung beruht die relative Unabhängigkeit des Systems von seiner Umwelt nicht auf einem „Markt", der ihre Leistungen schätzt, abnimmt und Stück für Stück vergütet, sondern auf der Rechtsform ihres Entscheidens. Weder die Politik, noch das Personal, noch das Publikum können die rechtlichrichtige Entscheidung antasten. Obwohl die Verwaltung in keiner ihrer Umweltbeziehungen sich auf das Recht allein verlassen wird, bleibt ihr in heiklen Situationen der Rückzug auf das Recht stets möglich. Das Recht gibt ihr eine praktisch schwer angreifbare Operationsbasis. Systemautonomie heißt jedoch nicht Willkür, und schon gar nicht persönlich motivierte Willkür der Systemmitglieder. Sie braucht im sozialen Verkehr auch nicht unbedingt als Freiheit oder Ermessenswahl zu erscheinen, die der einzelnen Entscheidungsstelle zugerechnet wird. Autonomie besagt nur, daß die Aktionen der Umwelt nicht ungebrochen und rein kausalgesetzlich in das System hineinwirken, sondern an den Systemgrenzen gefiltert werden, selektiven, transformierenden, abstrahierenden Bearbeitungen unterworfen werden und dadurch Sinnmomente und Wirkungen zugesetzt erhalten, die von außen nicht vollständig determiniert sind1. In diesem Sinne sind Verwaltungen Systeme 1 Vgl. zu dieser heute viel und von ganz verschiedenen Ausgangspunkten her diskutierten Vorstellung z. B. Wieser 1959 S. 11 f. oder für organisierte Sozialsysteme Emery/Trist 1965. 3*
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der Informationsverarbeitung, die ihre Selbständigkeit dadurch gewinnen und erhalten, daß sie Umweltinformationen nach eigenen Programmen behandeln. Entscheidungsprogramme müssen daher — und das unterscheidet ihren Begriff von den traditionellen Norm- und Zweckbegriffen — auf den Informationsfluß zwischen System und Umwelt bezogen sein. Verwaltungssysteme erreichen die Autonomie ihres faktischen Entscheidungsverhaltens demnach nicht allein durch logische Prozesse der Ausdeutung ihrer Prinzipien, der Auswertung ihrer Werte, der Anwendung ihrer Normen auf den Einzelfall, sondern durch laufende Korrelation ihrer Programme mit Umweltdaten. Dafür gibt es, wenn man von der Möglichkeit unprogrammierter Programmänderungen einmal absieht, zwei — und nur zwei — Grundmodelle. Entweder knüpft das Programm an die eingehende Information an, die als auslösende Ursache des Entscheidens behandelt wird, nach dem Muster: Jedesmal wenn der Tatbestand A gegeben ist, wird die Entscheidung Β getroffen. Oder das Programm hat seine Identität und seinen Umweltbezug in einer erstrebten Wirkung (Zweck), die das System in der Umwelt erreichen will. Das Programm hat dann die Form: Die Wirkung A soll bewirkt werden; also müssen entweder B x oder B t oder B 3 usw. als geeignete Ursachen (Mittel) eingesetzt werden. Beide Möglichkeiten der Programmierung sind durch die Komplexität des Kausalschemas bedingt — dadurch daß stets eine Vielzahl von Ursachen durch ihr Zusammentreffen eine Vielzahl von Wirkungen hervorbringt. Ursachen können deshalb, weil zur Erzeugung von Wirkungen stets mehrere Ursachen erforderlich sind, nur konditional geplant werden: Eine bestimmte Ursache erhält ihre Ursächlichkeit erst, wenn bestimmte andere Ursachen vorliegen. Wirkungen können — strukturell analog — nur über eine Ordnung von Präferenzen durch Werte oder Zwecke geplant werden, weil jeder Kausal Vorgang eine Vielzahl von Wirkungen hat. Konditionalprogramme und Zweckprogramme sind die beiden Grundformen der Programmierung von Verwaltungsentscheidungen, die nach dem Input/Output-Modell der Verwaltung denkbar sind2. Konditionalprogramme und Zweckprogramme lassen sich kombinieren. Ein System, das die Zweckerreichung vollständig konditional programmiert, entspricht damit dem Systemtypus der Maschine. Maschinen sind Systeme, die nach Ursache und Wirkung zugleich festgelegt, also vollständig konditional und zweckspezifisch programmiert sind 3 . Das Wesen der Maschine besteht in dieser vollen Spezifikation durch Zu* Dazu näher Luhmann 1964 c insb. S. 7 ff.; ders. 1964 d S. 282 f.; ders. 1965 a S. 29 ff. * Wir verwenden hier den üblichen und nicht den Maschinenbegriff der Kybernetik, die das Prinzip der Spezifikation von außen aufgegeben hat
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sammenwirken beider Programmtypen — und nicht etwa in der mechanischen Bewegungskausalität. Die alte Analogie des organisierten Sozialsystems, besonders des Staates, mit der Maschine, die heute mit mehr Empörung als Verständnis verworfen wird 4 , ist keineswegs von vornherein deshalb absurd, weil Menschen sich nicht wie Kolben, Rädchen oder Gestänge bewegen. Schon ein Begreifen des Prinzips der Maschine mit Hilfe der neueren Systemtheorie, vor allem aber das Phänomen der Automation, dürften Anlaß sein, sich diese Frage neu zu überlegen. Die Frage ist nicht, ob eine maschinenartige Konstruktion gewisser Sozialsysteme die Größe des Menschen beleidigen würde; denn es handelt sich ja gerade nicht um den Menschen, sondern um einzelne Sozialsysteme, in die er nur mit spezifischen Handlungen hineinverflochten ist5. Das Problem ist vielmehr, ob eine solche Konstruktion in einer hochkomplexen sozialen Umwelt lebensfähig sein kann®. Bei dieser Fragestellung kann die Antwort im Prinzip nur nein lauten, ohne daß damit über die Möglichkeiten einer Annäherung an den Maschinentypus vorentschieden wäre. I n welchem Maße sich ein Sozialsystem dem Maschinentypus nähern kann, hängt hiernach davon ab, wie stark vereinfacht und geordnet es seine Umwelt voraussetzen kann. Typisch wird es sowohl auf der Input-Seite als auch auf der Output-Seite gewisse Festlegungen vornehmen müssen, um sich überhaupt als System zu konstituieren. Es wird sich also teils konditional, teils zweckspezifisch programmieren, aber die verschiedenen Programmtypen nicht so ineinander verzahnen, daß jede Elastizität verloren geht. Eine gewisse Unkoordiniertheit von Konditionalprogrammen und Zweckprogrammen ist Bedingung seiner Autonomie und damit seiner Lebensfähigkeit in einer komplexen Umwelt. Das relative Gewicht dieser Programmtypen in der Systemordnung ist jedoch starken Schwankungen unterworfen. Diese Verteilung wird den Stil eines Verwaltungssystems weitgehend bestimmen: wie es koordiniert werden kann oder ob es sich zum Bei4
Typisch etwa Smend 1928. In Amerika findet man eine entsprechende Kritik des „Maschinenmodells" des Wirtschaftsbetriebs bei Vertretern der „human relations" Bewegung. Vgl. ζ. B. Katz 1962; Shepard/Blake 1962. Siehe auch die scharfe Kontrastierung von „medianischer" und „organischer" Organisationskonzeption bei Burns/Stalker 1961 oder von Theory X und Theory Y bei McGregor 1960; ferner zum „Maschinenmodell" der Verwaltung und seiner Kritik Waldo 1956 S. 30 ff., 48 f. 5 Vgl. den berechtigten Hinweis von Schnur 1963 S. 74 f., daß mit dem Maschinenmodell keineswegs ein „totalitärer" Staat angestrebt wurde, vielmehr gerade die Begrenzung des Staates in einen erkennbaren Rahmen unter Ausklammerung der Religionsprobleme, die sich als nicht rationalisierbar erwiesen hatten. Siehe dazu auch Schmitt 1937. • Von dieser Fragestellung aus kommt z. B. Leibenstein 1960 S. 138 ff., 162 f. zu einer Ablehnung des Maschinenmodells als Organisationstheorie.
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spiel im Rahmen von Zweckprogrammen der Realität nähert durch eine Erwägung von Alternativen oder im Rahmen von Konditionalprogrammen durch ein Denken in Regeln und Ausnahmen. Während der Polizeistaat, der sozialistische Planungsstaat oder der Staat, der sich die Forcierung der industriellen Entwicklung eines Landes zur Hauptaufgabe macht, von einem Primat der Zweckprogrammierung ausgehen, scheinen im Rechtsstaat Konditionalprogramme vorzuherrschen 7. Wir lassen diese Frage des Überwiegens hier offen und beschränken uns, dem Thema entsprechend, auf eine Erörterung des Entscheidens im Rahmen von Konditionalprogrammen, ohne damit ein Urteil zu fällen über das relative Gewicht der beiden Programmtypen einerseits, der rechtlichen und außerrechtlichen Entscheidungsprämissen der Verwaltung andererseits. Zweckprogramme und Konditionalprogramme haben eine sehr unterschiedliche Affinität zum positiven Recht. Beide Programmtypen können an sich ohne Bindung an das Recht in Gebrauch genommen werden und als Gewohnheit, Übung, unverbindliche Planvorstellung oder bewährte Routine das Entscheiden leiten. Geht man von dieser elementaren Form der faktischen Programmorientierung aus, dann stellt sich die Frage, ob, unter welchen Bedingungen und in welcher Weise den Entscheidungsprogrammen rechtliche Relevanz gegeben werden kann. Hierbei stoßen wir auf einen wesentlichen Unterschied: Die festen Wenn-Dann Regeln des Konditionalprogramms lassen sich in Form eines „Tatbestandes" mit zugeordneter „Rechtsfolge" sehr leicht juridifizieren. Die Zweckprogramme dagegen bereiten der rechtlichen Durchformung größte Schwierigkeiten, weil der Zweck das Handeln typisch nicht eindeutig festlegt, sondern nur als Gesichtspunkt für den Vergleich und die Auswahl geeigneter Mittel fungiert; weil das Vorschreiben oder Verbieten von Zwecken also kein zuverlässiges Urteil über das Handeln verspricht 8. 7 Der Streit um die Frage, ob und wieweit Verwaltung in reiner Rechtsanwendung bestehe, geht im Grunde um dieses Problem: ob Zweckprogramme oder Konditionalprogramme dominieren und das „Wesen" der Verwaltung ausmachen. Eine verläßliche Feststellung würde natürlich umfangreiche empirische Erhebungen voraussetzen. Für einen begrenzten Bereich — eine amerikanische Behörde der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung — finden sich solche Erhebungen bei Francis/Stone 1956 S. 51 ff. mit dem Ergebnis, daß konditionale Programme dominieren, aber Zweckorientierungen nicht ganz ausschließen. Ein ähnlicher deutscher Versuch in dieser Richtung — Hartfiel u. a. 1964 S. 97 ff. — läßt vermuten, daß selbst in Kommunalverwaltungen, dem vermeintlichen Reservat „echter" Aufgabenverwaltung, die Konditionalprogramme überwiegen. Vgl. dazu auch Köttgen 1957. • Diese Aktionsferne des Zweckes ist, wie hier nicht näher ausgeführt werden kann, gerade die dem Zweckprinzip eigene Abstraktionsform, die den Zweck dazu befähigt, als Vergleichsgesichtspunkt für mehrere Handlungsmöglichkeiten zu dienen. Dazu Luhmann 1962 b S. 436 ff. Darüber hinaus die-
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Zweckprogramme können nur partiell und nur indirekt juridifiziert werden®, dadurch nämlich, daß Konditionalprogramme als Unterprogramme in sie eingebaut werden. Das geschieht vor allem in der Form, daß die Zulässigkeit der Wahl von Mitteln konditioniert wird: Für den Zweck A darf das Mittel B x nur gewählt werden, wenn die Voraussetzung C erfüllt ist. Das Unterprogramm: Wenn C dann B t , gilt nicht zwingend, sondern nur als Teil der freigestellten Mittelwahl im Rahmen des Zweckprogrammes A. Oder es kann umgekehrt das Zweckprogramm selbst konditioniert, das heißt, als „unbestimmte Rechtsfolge" 10 in ein Konditionalprogramm eingebaut werden. In diesem Fall ist das Zweckprogramm Unterprogramm des Konditionalprogramms, und das Gesamtprogramm lautet: Wenn C, dann kann (oder muß) der Zweck A durch die Mittel B t , t . . . verwirklicht werden. Auch in dieser Konstellation ist die Programmierung der Mittelwahl durch den Zweck rechtlich nicht geregelt 11 . Der Gegensatz von Zweckprogrammen und Konditionalprogrammen trägt und verdeutlicht auch den Unterschied von „Ermessens"-Normen und „unbestimmten Rechtsbegriffen", den die neuere Dogmatik des allgemeinen Verwaltungsrechts zwar herausgemeißelt hat 12 , sich aber nicht erklären kann 13 . Ermessensnormen lassen die echte Wahl von nen Zwecke zur Wertneutralisierung von Mitteln. Sie postulieren, daß es erlaubt sei, Mittel in ihren Dienst zu stellen, obwohl diese Mittel etwas „kosten", d. h. andere Werte verletzen mögen. Siehe Simon/Smithburg/Thompson 1950 S. 488 ff., ferner als kritische Erörterung — das Zweck/Mittel-Schema sei eben deswegen keine brauchbare Theorie der Nationalökonomie — Myrdal 1933. • Das wird auch heute noch nicht selten anders gesehen. Wo dem Zweck als solchem Relevanz als Rechtskriterium zugesprochen wird, liegt dem jedoch zumeist eine unzulängliche Analyse des Zweck/Mittel-Schemas und eine Überschätzung seiner „logischen" Eindeutigkeit zugrunde. Siehe als typisches Beispiel: Amselek 1964 S. 123 ff. Sehr selten sind dagegen Versuche, die juristische Argumentation als rationales Handeln überhaupt nach dem Zweck/MittelSchema zu konstruieren; aber es gibt auch dies: siehe Ladd 1964 mit weiteren Hinweisen auf eigene frühere Veröffentlichungen. 10 im Sinne von Wolff 1963 S. 146. 11 An dieser besonderen Konstellation orientiert Obermayer 1963 seinen Ermessensbegriff. Der resolute Ausschluß allen Zweckhandelns, das nicht von rechtlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt, ist symptomatisch. Er wird damit begründet, daß „rechtsstaatliches Verhalten niemals willkürlich erfolgen kann" (S. 1180). Der einstige Leitstern rationalen Handelns, der Zweck, erscheint in den Augen unserer heutigen Juristen als Willkür, wenn er nicht durch das Recht, d. h. durch Systemrücksichten, konditioniert wird. 12 Siehe aus der kaum noch überblickbaren Literatur: Bachof 1955; Ule 1955; Jesch 1957; Ehmke 1960; Wolff 1963 S. 140 ff. ** Die von Klein 1957, insb. S. 105, gestellte Frage, worin sich denn der Entscheidungsvorgang bei der Anwendung von Ermessen und bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe unterscheide, hat bisher keine befriedigende Antwort gefunden. Der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft fehlt es dafür an Kontakt mit den modernen Entscheidungstheorien.
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Handlungsalternativen offen. Das hat nur dort Sinn, wo das Handeln durch Zwecke programmiert ist (denn sonst gibt es keine Gesichtspunkte, in deren Licht verschiedene Handlungen als Alternativen erscheinen können) 14 . Unbestimmte Rechtsbegriffe, die nur einen „Beurteilungsspielraum" offen lassen, sind dagegen Bestandteile von Konditionalprogrammen. Sie bedürfen als Allgemeinbegriffe im Einzelfall der Konkretisierung. Sie sind auslegungsbedürftig. Ihre Problematik gleitet unabgrenzbar in allgemeine Auslegungsprobleme über. Die bekannte Tatsache, daß die Ermessensausübung in geringerem Maße (nämlich nur indirekt) rechtlich fixiert und gerichtlich kontrolliert werden kann als die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, bestätigt unsere These, daß Zweckprogramme streng genommen nicht juridifizierbar sind. Dieser Unterschied in der Juridifizierbarkeit von Entscheidungsprogrammen ist nicht etwa als zeitlos-feststehende Eigenart des Rechts vorgezeichnet; er hängt mit gewissen Erwartungen zusammen, die als Folge einer historischen Entwicklung an das Recht gerichtet werden, vor allem aber mit der Positivierung des Rechts durch die staatliche Entscheidungsorganisation. Die bis ins 18. Jahrhundert das politische Denken beherrschende teleologische Handlungsauslegung und die ihr zugeordnete Ethik hatten sich sehr wohl Rechtspflichten in Zweckform vorstellen können — wenn sie etwa den souveränen Fürsten dadurch rechtlich zu binden suchten, daß sie ihn auf die Verfolgung des Gemeinwohls verpflichteten 15. So mußte man es denn auch als ganz natürlich empfinden, daß mit der Aufgabe die Mittel zu ihrer Erfüllung rechtlich 14 „Ermessen" sollte also nicht das gänzlich unprogrammierte Entscheiden heißen, das auch die Freiheit einschließt, sich in den Grenzen des Rechts Zwecke zu wählen oder überhaupt nichts zu tun. Wenn man auf „Prinzipien" Wert legt, könnte man dies „Opportunitätsprinzip" nennen. Siehe dazu auch den Versuch von Mayer 1963, Opportunität und Ermessen zu trennen. Hier, wie übrigens auch in der älteren Ermessenslehre (ζ. B. v. Laun 1910), wird indes die grundlegende Unterscheidung von programmiertem und nichtprogrammiertem Handeln noch nicht klar gesehen und deshalb das Ermessen der Mittelwahl mit der Freiheit der Zweckwahl verquickt. Diese Verquickung liegt für Juristen besonders nahe, weil Zweckprogramme nicht juristisch fixierbar sind. 15 In einer Zeit, die durch ihre Philosophie und ihre Wissenschaften den Wahrheitsanspruch des überlieferten teleologischen Denkens zerstörte, war man sich der praktischen Problematik einer solchen Bindung natürlich durchaus bewußt. Man versuchte, sie durch verstärkte Betonung der Tugend des Fürsten als politischer Notwendigkeit, durch Prinzenerziehung, durch Institutionalisierung des Ratgebens und durch das Einflößen eines starken moralischen Pathos in die Verwaltungspraxis, wie es einem im kameralistischen Schrifttum auf Schritt und Tritt begegnet, abzumildern — alles Auswege, die das Unzureichen des Zweckbindung widerspiegeln. Erst Kelsen 1928 S. 83 trifft die harte Feststellung, daß Zweckbindung und Souveränität des Staates sich als Rechtsprinzipien ausschließen.
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gegeben seien16. Gerade diese extreme Generalisierung des „Polizeyrechts" und die Ausweitung seiner Mittel hat jedoch zusammen mit der religiösen Neutralisierung des Staatswesens nach Beendigung der konfessionellen Bürgerkriege das abendländische Rechtsbewußtsein entscheidend gewandelt und in einen Gegensatz zum Zweckdenken (und damit auch zu den Modellen der Handlungsrationalisierung) gebracht. Der Rechtsstaat entsteht als Protest gegen die Ableitung von Mitteln aus Zwecken 17 . Ein neuartiges Anspruchsdenken setzt ein, mit dem das Individuum sich auf die gegebene Herrschaft des Staates über das Recht trotz prinzipieller Opposition einstellt18. Vom Recht wird soziale Berechenbarkeit erwartet, wie sie das sich für alle möglichen Mittel offen haltende Zweckprinzip niemals gewährleisten kann. Das Recht soll eine Art Kontrolle der rein technisch verstandenen Zweckwirksamkeit des Staates leisten. Die Zweckrationalität allein ist nicht mehr Grund genug; die Welt der Zwecke und die Welt des Rechtes klaffen nun auseinander 1·. Diese Trennung von Recht und Zweckrationalität, auf die wir im Schlußkapitel nochmals zurückkommen werden, kann weder durch historischen noch durch zeitgenössischen Vergleich als zwingendes Wesensmerkmal des Rechts belegt werden. Sie scheint eher ein Aus1β Siehe dazu die klassische Formulierung in § 89 Einl.ALR: „Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie audi die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann." Vgl. audi die Digestenstelle D. 2. 1. 2 und Krüger 1964 S. 58 f., 260 f., 828 ff. mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Dieser Grundsatz und seine Auslegung (vgl. dazu Jellinek 1913 S. 10 ff., 80 f.) umgehen jedoch das eigentliche Problem, nämlich die Frage, ob der Zweck eine Auswahl unter mehreren geeigneten Mitteln legitimiert Der Fall, daß nur ein einziges Mittel möglich ist, ist nämlich ein uninteressanter Grenzfall, in welchem es im Grunde gar nicht nötig wäre, einen Zweck zu formulieren. 17 Otto Mayer nannte diese angebliche Deduktion in der ersten Auflage seines Deutschen Verwaltungsrechts (Bd. I Leipzig 1895 S. 284 Anm. 20) die „Folgerungsweise des Polizeistaates". Es ist aber nicht zu verkennen, daß audi die liberale Staatsrechtslehre, wo sie keine durchgearbeitete Rechtsordnung vorfand, sich dieses Argumentes gerne bediente. Die „implied powers" Doktrin des amerikanischen Verfassungsrechts ist ein berühmtes Beispiel. Auch Mohl 1834 S. 543 f. war in diesem Punkte nicht zimperlich und erlaubte es, den Bürger, der einer polizeilichen Vorladung unter Hinweis auf die fehlende Rechtsgrundlage nicht folgte, „kurzweg mit Gewalt vor die Behörde zu bringen" (544), denn „der Staat muß zur Erreichung seiner Zwecke die nöthigen Mittel anwenden dürfen" (543). 18
Siehe dazu namentlich Strauss 1952 S. 155 ff. und Villey 1957 S. 249 ff.
" Aus dieser Spannung heraus ist auch der Gleichheitssatz als Grundrecht zu verstehen. Er besagt, daß Staatsentscheidungen außer durch Zwecke auch durch Gesichtspunkte der Ungleichbehandlung zu begründen seien. Die Spezifikation solcher Gründe der Ungleichbehandlung nimmt die Form des Konditionalprogramms an, das alle Motive außer den spezifisch genannten von der Berücksichtigung ausschließt. Vgl. Näheres bei Luhmann 1965 a S. 52 ff. und dems. 1965 b S. 162 ff.
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nahmefall zu sein20. Bezeichnend ist, daß man in Ländern des Ostblocks Zweckprogramme in alter Weise für unmittelbar rechtsrelevant hält, zum Beispiel die Rechtsverbindlichkeit des Handelns staatlicher Stellen davon abhängig macht, ob das Handeln im Rahmen der Wirtschaftsplanung und der Aufgaben der betreffenden Stelle bleibt. Geht man von dieser Anknüpfung aus, dann kann man sich im übrigen ein ganz rechtsstaatsähnliches Normen- und Rechtsschutzsystem leisten 21 , ohne daß dadurch etwas anderes kontrolliert würde als die reine Zweckrationalität selbst. Auf diesem Wege kommt man konsequent zu einer künstlichen Wiederverschmelzung von Recht und Moral, wie sie in der Sowjetunion mit noch nicht abzusehenden Erfolgen eingeleitet worden ist 22 . Für das öffentliche Recht des Rechtsstaates ist demgegenüber nicht das Zweckprogramm 28, sondern das Konditionalprogramm, die feste w Vgl. hierzu manches in Max Webers Rechtssoziologie (1956 S. 387 ff. insb. 468 ff.). Weber konnte dank seines vieldeutigen Begriffs der Rationalisierung anerkennen, daß es verschiedene Wege der Rationalisierung des Rechts gibt, darunter auch solche, die Recht und Ethik nicht trennen, sondern das Recht an ethischen oder praktisch-utilitarischen Anforderungen ausrichten. 21 Vgl. dazu auch Becker 1960 S. 81 ff. und Becker/Luhmann 1963 S. 61 ff. 22 Vgl. Karewa 1954. Neuere Nachweise bei Kline 1963. n Neuere Versuche, den Zweckbegriff bzw. den Aufgabenbegriff in das Verwaltungsrecht zurückzuführen — siehe etwa Becker 1956 und 1965; Menger 1960 — gelangen nicht zu einer juristischen Durchformung der Zweckorientierung selbst, so berechtigt der allgemeine Hinweis ist, daß die Verwaltung in weitem Umfange nach Zweckprogrammen handelt und sich damit nicht außerhalb der Rechtsordnung befindet. Besonders deutlich tritt diese Problematik in dem Vortrag von Franz Mayer 1963 zutage, dessen Verdienst im Rang der Problemstellung und in der Evidenz ihres Scheiterns liegt: Weil Mayer sich von der Regel des in Zweckprogrammen denkenden Polizeistaates, daß in der Aufgabe die Befugnis eingeschlossen sei, distanzieren muß (S. 21 ff.) gelingt es ihm nicht, seinen Begriff der „Aufgabennorm" einen Sinn zu geben, der über den einer Zuständigkeitsnorm oder einer globalen Abschirmung gegen die Konsequenzen eines weit ausgelegten „Gesetzmäßigkeitsprinzips" hinausginge. Denn was anderes wäre der Sinn einer Aufgabe, als Mittel zu rechtfertigen? Auch die von v. Krauss 1955 und Lerche 1961 dem Polizeirecht entnommenen und zu Verfassungsgrundsätzen verallgemeinerten Abwägungsprinzipien bleiben in ihrem Verhältnis zur Alternativenoffenheit des Zweck/MittelSchemas unbestimmt. Sie setzen eine unprogrammierte richterliche Wertabwägung voraus. Dem Juristen fehlt hier der Kontakt zu den Rationalmodellen der Wirtschaftswissenschaften; er würde sonst die Hoffnungslosigkeit solcher Versuche rascher einsehen. Sehr viel stärker schien zunächst das französische Verwaltungsrecht ein Gleichgewicht von Kategorien der Zweckprogrammierung und der Konditionalprogrammierung zu suchen, nämlich in der Form einer doppelten Orientierung an den Leitbegriffen service public einerseits und puissance public andererseits. Die Rechtsprechungskasuistik des Conseil d'Etat läßt jedoch bisher kaum eine theoretisch befriedigende Relationsformel zu, und in der Rechtswissenschaft wird die Doppelorientierung als Widerspruch empfunden: Man ringt um das Dominieren der einen oder der anderen Leitvorstellung. Vgl. namentlich die berühmte Préface zur 11. Aufl. von Hauriou, Précis de
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Montierung von bestimmten Rechtsfolgen an bestimmte Tatbestände, die adäquate Form 24 . In der klassischen Darstellung des juristischen Schlusses als einer Subsumtion läßt sich demgemäß der Obersatz stets hypothetisch als Wenn-Dann Regel formulieren 25 . Diese Formgebung ist nicht etwa dem Recht kraft seines „Wesens" naturhaft eingeboren. Sie hat eine bestimmte Funktion, die nicht immer und nicht überall vom Recht erwartet wird. Sie ist von der Tatsache her zu verstehen, daß über Rechtsprobleme entschieden werden muß, und hat den Sinn, die Persönlichkeit des Entscheidenden als mitbestimmenden Faktor zu neutralisieren. Die feste, invariante Koppelung bestimmter Bedingungen und bestimmter Folgen besagt, daß die persönlichen Eigenschaften und Vorlieben des Entscheidenden, die partikularen „Beziehungen" zu ihm oder Ähnlichkeiten mit ihm die Entscheidung nicht beeinflussen dürfen. Er entscheidet nach „universellen" Kriterien und damit so, wie jeder andere auch hätte entscheiden sollen 2 ·. Derselbe Grundsatz ist uns audi als Rollentrennung, als Grenze zwischen Verwaltung und Publikum und als Systemautonomie der Verwaltung begegnet. Er bezeichnet das Prinzip des Rechtsstaates. Die Konditionalform ist denn auch lediglich Form des Entscheidungsprogramms der Staatsbürokratie. Sie bezieht sich nicht — oder jedenfalls nicht notwendig — auch auf das Verhalten des Bürgers 27 . droit administratif et de droit public, zitiert nach der 12. Aufl. 1933 S. I X ff.; ferner etwa de Corail 1953; Rivero 1953; Schnur 1954; Liet-Veau 1961; Rousset 1960. Die neuere Kritik am Begriff des service public bestätigt im übrigen unsere Analyse: Sie macht deutlich, daß dieser Begriff die Ausdehnung von einem organisatorischen Begriff zu einem zweckbezogenen Verwaltungskriterium nicht vertragen hat und, wie es scheint, an der Nichtjuridifizierbarkeit des Zweckbegriffs zugrunde geht. t4 So besonders deutlich Ross 1958 insb. S. 170, und Larenz 1960 S. 160, 196 ff. 15 Vgl. dazu Engisch 1963 S. 17 ff. Ob man allerdings mit der einfachen Programmierung von Wenn-Dann Entscheidungen die schwierigen, theoretisch sehr umstrittenen Probleme einer normativen oder in weiterem Sinne „deontologischen" Logik stets umgehen kann, wie z. B. Knapp 1963 a S. 49 zu meinen scheint, habe ich angesichts des Umfangs der Problematik nicht durchprüfen können. Zumindest wird man audi hier auf das Problem der „formal unentscheidbaren Sätze" stoßen. *· Zu den Bedingungen und Grenzen dieser Art von Generalisierung vgl. Singer 1961. Siehe auch die Formel von Schmitt 1912 S. 71: „Eine richterliche Entscheidung ist heute dann richtig, wenn anzunehmen ist, daß ein anderer Richter ebenso entschieden hätte." 17 Viel Streit um die strikt konditionale Normtheorie Kelsens — siehe neuerdings z. B. Amselek 1964 S. 258 ff. — hätte vermieden werden können, wenn man das von Kelsen und seinen Gegnern geteilte Axiom der Uniformität der Rechtsnorm aufgegeben und sich bewußt gemacht hätte, daß die Norm dem Verwaltungsbeamten bzw. Richter ein anderes Gesicht zeigt als dem Bürger. Die Differenzierung von Staatsbürokratie und Publikum hat zur Folge, daß die Norm unterschiedliche Verhaltenserwartungen impliziert und daher auch eine unterschiedliche Aussageform hat je nach dem, ob sie vom Bürger oder vom Staat angewandt wird.
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Nach diesen Überlegungen können wir den Vergleich der juristischen Entscheidungsprämissen mit den Instruktionsformen der Automation fortspinnen und stoßen dabei auf eine wesentliche Übereinstimmung. Ebenso wie das Recht verwendet die Automatisierung Konditionalprogramme. Der Begriff des Entscheidungsprogrammes, den Herbert Simon dem Bereich der elektronischen Datenverarbeitung entnommen und in die Verwaltungswissenschaft übertragen hat, bezeichnet ursprünglich und bei Simon nur Konditionalprogramme 28 . Trotz aller Kybernetik, trotz aller Großmodelle, die zweckähnlich das Konstanthalten bestimmter Zustände oder Veränderungsraten „anstreben", trotz aller „Regelungen", die interne Variationen nach Maßgabe bevorzugter Außenwirkungen steuern, wird das Entscheidungsprogramm des Computers in seinen Einzelschritten konditional programmiert und ist dadurch fest determiniert 29 . Die Programminstruktionen lassen sich auf die Wenn-Dann Form zurückführen 80 ; sie betreffen, aufs einfachste gebracht, Wahlakte zwischen je zwei Möglichkeiten, deren Entscheidung von jeweils vorzugebenden Bedingungen abhängt 81 . 19 Siehe Simon 1958; March/Simon 1958 S. 141 ff.; Simon 1960 a. Die Ausdehnung des Programmbegriffs auf Zweckprogramme habe ich vorgeschlagen (siehe die Hinweise oben Anm. 2), weil sich dadurch die Theorie der Entscheidungsprogrammierung mi,t der Systemtheorie (Input/Output-Modell) verbinden läßt und weil dies einen Vergleich beider Programmtypen ermöglicht. Simon selbst steht mit seinem gegen die persönliche Motivationsstruktur scharf abgesetzten Zweckbegriff diesem Gedanken nicht fern. Vgl. Simon 1964. In einem ganz speziellen Sinne (für Modelle der linearen Programmierung mit mehr als einer zu maximierenden oder minimierenden Zielsetzung) verwenden diesen Begriff auch Charnes/Cooper 1961 und Ijiri 1965. f · Siehe auch die entsprechenden Warnungen vor einer Gleichsetzung von Kybernetik und Automation bei Beer 1962 S. 87 f. 50 Das ist so selbstverständlich, daß man es in der Fachliteratur selten ausdrücklich formuliert, geschweige denn breit behandelt findet. Siehe als Beispiele Springholz 1959 S. 10; Simon/Newell 1960 S. 45 f. 31 Besonderes Interesse verdienen in diesem Zusammenhang die Versuche von Simon, Newell und Shaw, ein allgemeines, computerfähiges Problemlösungsprogramm mit Lernmöglichkeiten zu entwickeln, das auf der Grundvorstellung des Zweck/Mittel-Denkens aufbaut, trotzdem aber mit konditional programmierten Entscheidungsschritten arbeitet. Vgl. Newell/Shaw/ Simon 1958; dies. 1959; Newell/Simon 1958; Simon 1960 a S. 21 ff. Hier dürften Ausgangspunkte für einen (in unseren Untersuchungen nicht berücksichtigten) Computereinsatz im Bereich des zweckprogrammierten Verwaltungshandeln liegen. Wenn dieses weitgespannte Forschungsvorhaben gelingt — bisher scheint seine Bewährung aUein auf dem Gebiete logisch-mathematischer Probleme zu liegen — wird sich das Zweck/ Mittel-Denken grundsätzlich konditional programmieren und somit auch juridifizieren lassen. Die Bedeutung dieser Forschungen für die Struktur des öffentlichen Rechts ist gar nicht abzuschätzen. Auch in der östlichen Planungstechnik gibt es Überlegungen zur Algorithmisierung von Zweckprogrammen — siehe Greniewski 1965. Auch hier liegt aber der praktische Erfolg in weiter Ferne.
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I n diesem Falle dient das Konditionalprogramm einer formal ähnlichen Funktion wie beim Recht. Auch im Maschinenprogramm wird durch strenge Konditionierung das Einfließen von „Störungen" unterbunden, die die Entscheidung nicht mitbestimmen sollen. Der Ausschluß hat jedoch nicht den Sinn, unsachliche Entscheidungen zu verhindern; er soll eine maschinelle Datenverarbeitung überhaupt erst ermöglichen. Denn die Maschine kann nur relativ einfache Entscheidungsschritte vollziehen. Sie kann nicht bei jedem Schritt den komplexen „Sinn" des Programms im Auge behalten und sich danach richten. Die eigentümliche Maschinenlogik, die übrigens weder die klassische Logik des richtigen Schließens noch ein modernes Logistiksystem ist, sondern eine pragmatische Ordnung für wählende Entscheidungsschritte, ist insofern und nur insofern eine „Logik", als sie kalkülisiert ist 32 . Das heißt: Sie regelt ein Operieren mit Symbolen, das vollzogen werden kann, ohne daß beim Vollzug der Sinn des Vollzugs, oder gar der Sinnhintergrund der Entscheidungsregeln berücksichtigt werden muß (so wie man schematisch richtig rechnen kann, ohne dabei den mathematischen Sinn der Rechenregeln oder den praktischen Sinn der Rechenaufgabe zu bedenken). Nur unter dieser Voraussetzung der Kalkülisierung ist es möglich, die Entscheidungsschritte so zu vereinfachen, daß rein physische Abläufe als „Analogie" der informationellen Beziehungen verwendet und die Informationsveränderungen auf ihnen durchgespielt werden können. Nur so ist auch das Tempo der maschinellen Datenverarbeitung erreichbar. Wenn man das Gemeinsame herauszieht, handelt es sich also bei der Darstellung des juristischen Schlusses ebenso wie beim Maschinenkalkül um eine Programmierung, die — aus je verschiedenen Gründen — einen Informationszusammenhang isoliert, um ihn in seiner spezifischen Relevanz gegen Störungen zu sichern. Der Gleichheitssatz und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung konvergieren, wie auch Fiedler 33 festgehalten hat, mit der Gleichförmigkeit der Prozedur, wie die elektronische Datenverarbeitung sie voraussetzt. Diese Übereinstimmung von Recht und Automation in der Grundform der Entscheidungsprogrammierung darf in ihrer Tragweite nicht überschätzt werden. Wir werden im folgenden Kapitel näher sehen, daß von einer Gleichsetzung der juristischen Entscheidungsleistung mit den automatisierbaren Entscheidungsvorgängen einstweilen nicht die Rede sein kann. Die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnis liegt zunächst im Grundsätzlichen. Sie zeigt, daß es dem Gedanken des Rechtsstaates nicht widerstrebt, sondern im Gegenteil ihm entspricht, wenn die EntscheiM
Vgl. dazu Jerschow 1963. » 1964 S. 40.
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dungsfertigung, soweit es geht, auf selbstätige Datenverarbeitungsanlagen übertragen wird. Die Art der „Anlage", auf der Programme ausgeführt werden, die Maschine bzw. das menschliche Gehirn, ist für die „Logik" und die Richtigkeit des Schlusses unerheblich, weil Prämisse und Folgerung zu einer invarianten Relation verbunden sind 34. Gerade diese relative Unabhängigkeit des informationellen Geschehens von seinem materiellen Substrat — nur gewisse Formgleichheiten werden vorausgesetzt — ist die wichtigste Entdeckung der modernen Kommunikationstheorie. Im übrigen sind Wahrheit und Logik im abendländischen Denken seit jeher intersubjektiv gedacht, das heißt unabhängig davon, wer erkennt, wer Schlüsse zieht. Auch das Recht soll in diesem Sinne unpersönlich sein. Darauf beruht die Möglichkeit, Entscheidungen auf relativ autonome Systeme der Entscheidungsfertigung zu übertragen — auf Systeme, die die Entscheidungsfertigung umweltunabhängig rationalisieren können, weil die Umwelt nur daran interessiert ist, welche Entscheidungen getroffen werden, nicht aber wie die Entscheidungen getroffen werden. Das Argument hat, wie gesagt, Grenzen, mit denen wir uns beschäftigen werden. Die Unterscheidung von Was und Wie, zum Beispiel von materiellem und formellem Recht, ist durchaus künstlicher Art und setzt bestimmte Institutionen voraus, die ihre Einführung ermöglichen 35. Sind aber diese Bedingungen erfüllt, dann gilt 34 Auch hier dürfte nochmals ein vergleichender Blick auf das Zweckprogramm Nutzen bringen. Zwecke sind so abstrahiert, daß sie durch verschiedene, funktional äquivalente Mittel erfüllt werden können. (Sonst hätte es keinen Sinn, Zwecke und Mittel zu unterscheiden.) Das heißt aber, daß die Person dessen, der die Mittel auswählt, wesentlicher Entscheidungsfaktor wird, weü die Mittelwahl durch das Zweckprogramm nicht eindeutig determiniert ist. Je stärker der Zweck generalisiert ist, um so entscheidungswichtiger werden sekundäre Entscheidungshilfen, die sehr oft nicht legitimierbar sind, weil sie in das offizielle Zweckprogramm nicht eingebaut werden können — seien es rein persönliche Motive, seien es rollenbedingte Motivationsstrukturen (dazu z. B. Wüliamson 1964), seien es Umweltpressionen und -Präferenzen (siehe ζ. B. Clark 1956), seien es professionelle Ideale (siehe ζ. B. Nokes 1960). Dieser Folgerung kann man nur mit sog. Optimalmodellen entgehen, die unter allen möglichen Mitteln das relativ auf eine intersubjektiv anerkannte vollständige Wertordnung beste bestimmen können und dadurch zu einzigrichtigen Entscheidungen gelangen. Auf diese Weise ist es möglich, ähnlich wie in der Logik die Person des Entscheidenden als Komponente des Entscheidungsganges zu neutralisieren: Sie wirkt sich nicht auf das Ergebnis aus. Deshalb sind Optimalmodelle in der Wirtschaftstheorie so beliebt. Leider besitzen sie jedoch in der Verwaltung kaum Anwendungsmöglichkeiten. Bei ihrer Abschwächung zu Modellen brauchbaren Entscheidens taucht die Person als Entscheidungsfaktor wieder auf. Dazu siehe Luhmann 1960. w Die Unterscheidung von materiellem und Verfahrensrecht kann ζ. B. erst eingeführt werden, wenn das Recht so weit durchrationalisiert ist, daß sich ein hohes Maß an Fehlerkontrolle erreichen läßt; denn erst in bezug auf die Fehlerbehandlung ist es sinnvoll, materielles und formelles Redit zu trennen. Dazu näher Luhmann 1965 a S. 226 f.
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im Prinzip, daß die Übertragung der Entscheidung auf Maschinen die Rechtslage selbst nicht verändert. Einem Rentner kann es gleichgültig sein, ob seine Rente durch eine Maschine oder durch einen Sachbearbeiter errechnet wird (solange sie richtig errechnet wird!); ja mehr noch: Es hat ihm gleichgültig zu sein; denn sein Anspruch geht nicht auf ein Tätigwerden eines menschlichen Gehirns, sondern auf Geld, auf ein Ergebnis, nicht auf ein Verfahren. Während diese Erwägungen einigermaßen gesichert erscheinen, bereitet ihr Ausgangspunkt, die Kongruenz von Recht und Automation im Programmtyp, den Boden auch für weitere mehr spekulative Ausblicke, mit denen dieses Kapitel enden soll. Wir hatten die beunruhigende Einsicht bereits kurz gestreift, daß das Recht, nachdem seit Beginn der Neuzeit die Problematik der Wahrheitsfähigkeit und der Intersubjektivität reiner Zweckrationalität sich nach und nach enthüllt hatte, von den Theorien der Handlungsrationalisierung getrennt wurde und heute kaum noch Kontakt zu ihnen unterhält, ja sich im Grunde gegen sie stemmt. Rationalität des Handelns ist eine Sache, rechtliche Richtigkeit eine andere. Das Recht scheint gleichsam die Werte verteidigen zu wollen, die bei den konkreten Anwendungen des Zweck/Mittel-Schemas neutralisiert werden. Manches spricht jedoch dafür, daß diese Trennung kein zwingendes Gebot der Logik, sondern vorübergehender Natur ist, bedingt durch das Festhalten der Rationalisierungswissenschaften des Handelns, namentlich der Wirtschaftswissenschaften, am Zweckmodell. Heute verlassen aber selbst die Wirtschaftswissenschaften und die in ihren Rahmen entworfenen Entscheidungsmodelle die alte Grundorientierung am Zweckbegriff und fühlen sich genötigt, in sehr viel komplizierteren Systemmodellen zu planen 88 . Dahin führt eine genauere Analyse von Entscheidungsprozessen unter komplexen Wertbedingungen und realistischen Umweltannahmen 37 . Die durch die technische Entwicklung eröffneten Möglichkeiten der Automatisierung sind ein äußerer Anstoß, der dieses Umdenken beschleunigt und sein Umsetzen in die Praxis vorantreibt. Nicht daß die Zweckstruktur des Handelns bestritten oder aufgegeben 8 · Bei der Anwendung kybernetischer Modelle auf Organisationen wird allerdings der Zielbegriff häufig noch beibehalten zur Bezeichnung der Größen, die durch Rückkoppelung von Informationen konstant gehalten werden sollen. Siehe ζ. B. Mehl 1959; Angermann 1959 S. 262; Haberstroh 1960. Wenn man das tut, muß man jedoch die Zwecke selbst außerkybernetisch, ζ. B. durch politische Entscheidungen (Mehl) oder durch Führungsentscheidungen (Angermann) oder durch eine Art Koalitionsbildung (Haberstroh) erklären und verzichtet also darauf, das organisierte System im ganzen als kybernetisches System zu begreifen. 87 Siehe als Beispiel die allerdings zu weit gehende Kritik des Zweck/MittelSchemas bei Gäfgen 1963 S. 103 f., 170 f.
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5. Kap. : Konditionale Programmierung
würde. Sie reicht jedoch als wissenschaftliche Theorie und als Systemmodell nicht aus. Handlungsrationalität und Systemrationalität müssen unterschieden werden. Das Handeln in Systemen muß von wertkomplexen, nicht auf einen spezifischen Zweck zu bringenden Strukturprämissen her geplant werden, die der Einzelhandlung ihre Entscheidungsprämissen, darunter Zwecke, zuweisen. Das Handeln ist in dieser Sicht rational nicht allein, weil es einen Zweck erfüllt, sondern weil es dadurch Systemprobleme löst. Die Rückwirkungen dieses Umdenkens auf die Rechtstheorie sind noch nicht abzusehen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Recht und Rationalisierung muß jedoch einmal grundsätzlich und geschiehtsbewußt gestellt und im Blickfeld behalten werden. Wir werden deshalb i m Schlußkapitel nochmals darauf zurückkommen. Denn es könnte sein, daß das Recht seine kritisch-bremsende, zusätzliche Bedingungen stellende, Rücksichtnahmen fordernde Einstellung zur Rationalisierung abschwächen, ja aufgeben kann in dem Maße, als die Rationalmodelle selbst „gerechter" werden. I m Rahmen einer strukturell-funktionalen Systemtheorie der Gesellschaft wird es vielleicht keinen Sinn mehr haben, Redit und Rationalität des Handelns in der bisherigen Weise zu trennen und gegeneinanderzusetzen.
Sechstes Kapitel
Funktions· und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen (I) Wir müssen uns nun die behauptete Konvergenz von Recht und Automation im Programmtyp etwas genauer ansehen. Dabei wird sich zeigen, daß das Entscheidungsprogramm für den Juristen eine andere Bedeutung hat als für die Maschine, und daß dementsprechend sein Entscheidungsbeitrag ein anderer ist. Die Maschine arbeitet Schritt für Schritt nach Maßgabe der Einzelinstruktionen des Programmes. Das Programm ist für sie Entscheidungsprämisse im Sinne einer Ursache, die beim Zusammentreffen mit den Informationen des Einzelfalles eine Wahl zwischen je zwei Möglichkeiten eindeutig festlegt. Das Programm ist im Entscheidungsgang selbst unabänderlich vorausgesetzt (was die Möglichkeit nicht ausschließt, eine Maschine so zu programmieren, daß sie Unterprogramme selbsttätig wählen kann). Wegen dieser determinierenden Funktion, wegen der Beschränkung auf einfache Wahlakte und wegen der Unabänderlichkeit im Entscheidungsgang (mangelnde Elastizität) muß das Maschinenprogramm sehr detailliert ausgearbeitet sein. Es erfordert eine vorherige Entscheidungsanalyse in einer mikroskopischen Verfeinerung, die weit außerhalb des traditionellen Vorstellungskreises der Jurisprudenz liegt. Damit hängt ein zweites Unterscheidungsmerkmal des Maschinenprogramms eng zusammen: Die Detaillierung ist mit einem Übergang von sachlicher zu zeitlicher Ordnung verbunden. Die Übertragung des Entscheidungsvorgangs auf Maschinen, die ja nur wenige Typen von einfachen Wenn-Dann Entscheidungen vollziehen können, ist nur möglich dadurch, daß die sachliche Komplexität des Entscheidungszusammenhanges in eine zeitliche Folge einfacher Signale aufgelöst wird. I n diesem Umdenken von der natürlichen, sachlich komplexen Orientierung, die man vielleicht nicht in einem Augenblick, wohl aber in zeitlich beliebiger Reihenfolge von Erkenntnisschritten auffassen kann, in eine nach Maßgabe der sachlichen Ordnung streng geregelte Zeitfolge von einfachen Entscheidungsschritten, liegt die Hauptschwierigkeit beim Aufstellen von Maschinenprogrammen 1. 1
Eine solche Umorientierung ist nur denkbar, wenn sachliche und zeitliche
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Der Jurist entscheidet sozusagen allein in der Realzeit des natürlichen Erlebens. Er beläßt seinen „Tatbestand" in dieser Zeit, und es ist für ihn prinzipiell unerheblich, wann er darüber entscheidet. Der Maschinenprogrammierer muß dagegen seine Daten nach Maßgabe ihres sachlichen Zusammenhanges in ein von der Realzeit unabhängiges Vorher und Nachher einordnen 2 und dabei außerdem noch darauf achten, daß die knappe Maschinenzeit sparsam verwendet wird. Das ist nur möglich, wenn er eine bestimmte Ordnung seiner Entscheidungsprämissen in sachlichen Wenn-Dann Zusammenhängen voraussetzen kann, die er Zusammenhänge unter dem Gesichtspunkt spezifischer Ordnungleistungen als funktional äquivalent behandelt werden können. Das ist eine bemerkenswerte Einsicht, die zur Vertiefung anreizt. Das natürliche Erleben, ja die Konstitution von Seiendem in der Welt überhaupt, beruht im Grunde darauf, daß die sachliche Ordnung der Dinge von der menschlichen Erlebniszeit unabhängig und dadurch objektiviert 1st; mit anderen Worten: daß Sachdimension und Zeitdimension des menschlichen Erlebens voneinander unabhängige Variationsmöglichkeiten konstituieren. Das neuzeitliche Denken hat diese Invarianzthese bekanntlich dahin formuliert, daß die Zeit kein Kausalfaktor sei. Diese Sonderstellung der Zeitvariable güt zunächst auch für die Systemtheorie: Ashby 1954 S. 15 schließt die Zeit als einzige Variable aus dem Kreis der systembildenden Variablen aus. Das Fortschreiten der Zeit allein ändert die Dinge nicht und dadurch ist der Mensch /rei, sie unter spezifischen Gesichtspunkten in beliebiger Reihenfolge zu erkunden, sich das Erkundete zu merken und sich intersubjektiv darüber zu verständigen. Diese Trennung der Dimensionen schließt aber zugleich aus, daß man die Sachordnung durch eine Zeitordnung ersetzt. Die gleiche Vorstellung liegt dem klassischen Prinzip wirtschaftlicher Optimalentscheidung zugrunde, das davon ausgeht, daß es jeweils nur eine richtige Entscheidung gibt und daß es also gleichgültig ist, in welcher Reihenfolge die Überlegungsschritte die richtige Entscheidung anstreben. Je mehr Entscheidungsvorgänge untersucht werden, um so deutlicher wird die Unhaltbarkeit dieser These (siehe ζ. B. die Kritik bei Cyert/Feigenbaum/March 1959 S. 83). Wenn die Kybernetik heute dazu ansetzt, Sachordnung und Zeitordnung — wenn auch stets nur systemrelativ — als funktional äquivalent und somit als austauschbar zu behandeln, so will sie damit der Tatsache Rechnung tragen, daß das menschliche Gehirn infolge der Eigenart seiner Neuronensubstanz mehr Beziehungen pro Raumeinheit herstellen, also reichlich mit gleichzeitigen Parallelschaltungen arbeiten kann, die elektronischen Maschinen dagegen sehr viel schneller sind, also eine gegebene Ordnung besser im Nacheinander abbilden können. Vgl. von Neumann 1958 S. 50 ff. und Wieser 1959 S. 40. Diesem Versuch liegen indes Denkvoraussetzungen zugrunde, welche die Grundfesten der natürlichen menschlichen Weltsicht erschüttern— und das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, daß es der Kybernetik darum geht, der Materie das Denken beizubringen. * Was heißt hier: Unabhängigkeit der Maschinenzeit von der Realzeit? Es gibt natürlich nur eine einzige Weltzeit, in der alles Seiende seine Dauer hat. Aber die Differenzierung des Seins in Systeme schafft unterschiedliche Systemzeiten, die unter je spezifischen Gesichtspunkten als etwas Besonderes behandelt und zu Ordnungsleistungen ausgenutzt werden können. Die Unterschiedlichkeit der Systemzeiten beruht einfach darauf, daß die Weltzeit des natürlichen Erlebens unter verschiedenen Gesichtspunkten als knapp behandelt werden kann und in der Form einer bestmöglichen Anordnung von Ereignissen in der so verknappten Zeit als Ordnungsschema ausgenutzt wird. Darauf geht auch die Dynamik der verwaltungsrationalen Zeitplanung zurück, die Bülck 1964 vielfältig belegt.
6. Kap. : Funktions- und Arbeitsteilung (I)
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dann nach den Regeln des Programmierens und unter Berücksichtigung des Repertoires an Instruktionen, die er einem bestimmten Maschinentyp geben kann, in maschinenzeitliche Wenn-Dann Schritte überträgt. Jene sachliche Ordnung der Entscheidungsprämissen muß ihm, soweit es sich um Rechtsanwendungsentscheidungen handelt, der Jurist liefern. Dejr Entscheidungsbeitrag des Juristen ist ebenfalls, aber in anderer Weise, von der Vorstellung eines Wenn-Dann Programms geleitet. Der Schluß von einem Tatbestand auf eine Rechtsfolge ist für den Juristen die Endgestalt, in der er sein Arbeitsergebnis präsentiert, nicht aber ein Abbild oder Modell seiner faktischen Entscheidungstätigkeit3. Die logische Form hat eine Darstellungsfunktion 4. Die juristische Entscheidung wird mithin durch bestimmte Darstellungserfordernisse, nicht aber im Prozeß ihrer Herstellung gesteuert. Selbst die sogenannten Verfahrensvorschriften greifen selten in die Herstellung der Entscheidung ein, sondern regeln durchweg nur die Darstellung der Herstellung.
1 Die Regeln der juristischen Entscheidungsdarstellung haben also zumindest dies eine mit der Logik gemein: Sie legen nicht etwa, wie man früher meinte, die „Denkgesetze" als Gesetze der realpsychischen Vorstellungsfolge in der Zeit fest Sie haben nicht den Sinn, den Ablauf des Überlegens zu bestimmen, sondern geben nur Darstellungsregeln für die Präsentation des Resultates. Die Logik ist „ein Element der Gedankenanordnung, nicht der Gedankenerzeugung" (Schindler 1950 S. 4). Ihre Funktion ist, die intersubjektive Übertragbarkeit und Kontrollierbarkeit der Denkergebnisse sicherzustellen, auf welchen Wegen auch immer man faktisch zu ihnen gelangt ist. Diese Auffassung dürfte heute grundsätzlich anerkannt sein. In der Unterscheidung von Herstellung und Darstellung liegt aber mehr als nur eine Überwindung der älteren psychologischen Logik. Sie hat zugleich eine wichtige organisatorische Funktion: Sie ermöglicht eine begrenzte Indifferenz der Organisation gegen die individuellen Unterschiedlichkeiten der Denkprozesse Die Herstellungsweise kann dem Einzelnen überlassen bleiben, wenn nur die Darstellung des Ergebnisses abnehmbar ist. Das ist ein Gesichtspunkt, dessen Bedeutung für die Organisation kooperativer Entscheidungsherstellung kaum zu überschätzen ist: Er begrenzt die Koordinationserfordernisse auf Darstellungsregeln. Wir berühren uns hier eng mit der viel umstrittenen These von Isay 1929, wonach der juristische Entscheidungsprozeß aus irrationaler Inspiration und nachträglich sie kontrollierender Begründung bestehe. So verdienstvoll das Aufsprengen der vorherrschenden Gleichsetzung von Entstehen und Begründung war, so wenig überzeugt die Verwendung der Dichotomie von irrational und rational zur Beschreibung von Stadien des Entscheidungsprozesses. Der gute Einfall kommt nur dem geschulten Kopf, und bei der Ausarbeitung der Begründung gibt es neben sekundären Einfällen ein ziemlich rationales Mogeln mit Begriffen, das ebensowenig wie die Intuition selbst dargestellt werden kann. Die Struktur des Entscheidungsprozesses erhellt besser durch die Unterscheidung von Herstellung und Darstellung. 4 Diese Funktion erklärt, daß die Prätention des Juristen auf logische Korrektheit seiner Schlüsse weit über das hinausschießt, was einer streng logischen Überprüfung standhalten könnte. Es wäre aber verfehlt, mit einer verbreiteten Auffassung — siehe Simitis 1960 S. 75 f. mit weiteren Hinweisen — nur dem pseudologischen Argument eine Darstellungsfunktion zuzuweisen. Der pseudologische Schluß hat nur deshalb einen Darstellungswert, weil der echte ihn hat.
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. Kap. : Funktions- und Arbeitsteilung (I)
Die eigentlich juristische Entscheidungsleistung besteht in der Interpretation der Entscheidungsprogramme und der eingehenden Information, auf daß sie sich diesem Darstellungserfordernis fügen. Das tun sie nämlich nicht von selbst. Rechtsnormen sind nicht ohne weiteres fertige Konditionalprogramme. Sie sind aus guten Gründen so stark generalisiert und verdichtet, daß sie nicht eindeutig festlegen, welche eingehenden Informationen die Voraussetzungen ihres „Tatbestandes" erfüllen. Sie können zwar, wie alle Konditionalprogramme, als Schema von Informationserwartungen verstanden werden. Es wird zum Beispiel erwartet, daß Anträge auf bestimmte Sozialleistungen eingehen, daß beim Vollzug von Zweckprogrammen Enteignungsnotwendigkeiten auftreten, daß der Verwaltung Fehler unterlaufen, die Schaden stiften und Entschädigungsansprüche auslösen. Aber diese Erwartungen sind in der Rechtsnorm zumeist relativ abstrakt und daher vieldeutig formuliert, so daß die eingehenden Informationen nicht wie vorgesehene Signale die programmierte Folge einrasten lassen. Der Zusammenhang ist oft nicht ganz evident, sondern bedarf der Klärung, die in wechselbezogener Interpretation des Programms und der Einzelfallinformation erarbeitet werden muß. Und er bedarf der Begründung, die, den WennDann Schluß erläuternd und zu einem konkreten Weil-Also Argument umformend, mitdargestellt werden muß. Die Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der Rechtsnormen bilden das Bezugsproblem der juristischen Mitwirkung am Entscheidungsprozeß. Sie sind nicht einfach als ein Mangel zu verstehen, der durch immer genauere Analyse der Normen sich schließlich beheben ließe, so daß die Entscheidungslast dann voll auf Maschinen übertragen werden könnte. Der Jurist wehrt sich gegen die Automatisierung seines Entscheidungsbeitrages nicht nur deshalb, weil er nicht funktionslos werden will. Die dunklen Stellen der juristischen Argumentation sind als schützende Einnebelung nicht ausreichend erklärt. Unbestimmtheit der Struktur und systeminterne Einrichtungen der Unbestimmtheitsreduktion sind vielmehr wichtige konstruktive Merkmale eines Systems, das sich in einer hochkomplexen Umwelt erhalten muß5. Die Unklarheit und Aus• Eine entsprechende Umdeutung der Unbestimmtheit von einer nichtkonstruktiven, bedauerlichen, aber unvermeidlichen Ungenauigkeit in ein konstruktives Moment der Selbsterhaltungsstruktur eines Systems bahnt sich in der neueren Organisationswissenschaft an, obwohl einstweilen mehr die Konsequenzen als die Funktionen struktureller Unbestimmtheit im Blick stehen. Vgl. z.B. Dalton 1959 insb. S. 243 ff.; Kahn u.a. 1964; für eine funktionale Analyse vor allem Burns/Stalker 1961 und grundsätzlich auch Smelser 1963 insb. S. 86 ff. Vor allem aber unterscheidet sich die kybernetische Maschinentheorie durch diese positive Bewertung struktureller Unbestimmtheit von der überlieferten mechanischen Maschinentheorie. Vgl. namentlich Ashby 1954; Beer 1962; Wieser 1959 S. 76 ff. In diesem Sinne eines Systems, das sich durch ein Zusammenspiel von determinierten und indeterminierten Teilsystemen auf seine Umwelt einpendelt, sind die in der Verwaltung gebräuchlichen
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legungsbedürftigkeit der Rechtsnormen hängt funktional mit wesentlichen Strukturmomenten und mit der Umweltlage des staatlichen Verwaltungssystems zusammen. Vor allem mit der Positivität des Rechts. Mit ihr wird, wie wir oben· schon angedeutet haben, eine systeminterne Verarbeitung der Umweltkomplexität erstrebt. Das positive Recht muß deshalb durch sehr allgemein gefaßte Normstrukturen für die dazu „erforderliche Unbestimmtheit" des Systems Vorsorge treffen. Selbst scheinbar eindeutigen Anweisungen des Gesetzgebers haftet eine gewisse „Offenheit" im Hinblick auf die Anwendung in der Praxis an. Die Überantwortung des Rechts, und zwar nicht nur der Rechtsanwendung, sondern auch der Rechtsetzung, an förmlich entscheidende (also bürokratische) Instanzen macht das Recht widerlegungssicher dadurch, daß zwischen den Rechtsgedanken und seine Geltung eine (jederzeit eindeutig feststellbare) Entscheidung als Geltungsgrund eingeschoben wird 7 . Die Rechtsnormen sind dadurch zwar sprachlich formulierte Sätze geworden. Ihre Worte sind aber nicht von selbst schon Begriffe, die in allen konkreten Situationen den gleichen Sinn vermitteln 8 . Ihr Inhalt ist zunächst durch die Aufmerksamkeitsspanne der rechtsetzenden Stelle bestimmt und begrenzt. Erst im Rechtsanwendungsprozeß reichert er sich nach und nach mit zunächst ungesehenen Beziehungen und konkretisierenden Bedeutungen an, die ihrerseits wiederum nicht von einer einzigen Entscheidungsstelle aus übersehen werden können·. Sodann ist es ein Gebot des Rechtsstaates, daß nach universellen (das heißt von den Eigenschaften und Vorlieben des Entscheidenden unabelektronischen Datenverarbeitungsanlagen allerdings noch keine kybernetischen Maschinen, denn sie sind durch das jeweilige Programm, das ihnen von außen eingegeben wird, voll determiniert. • Vgl. S. 23 ff. 7 Wer demgegenüber sich auf Naturrecht als auf ein wahres Seiendes beruft, setzt sich dem Nachweis eines Irrtums aus. Die Positivierung hat gerade den Sinn, den Streit um Recht auf Auslegungsfragen zu reduzieren und damit in die Reichweite der besonderen juristischen Problembehandlungstechnik zu bringen. Mißverstanden hat diese Sachlage der Grundgesetzgeber, wenn er sich zur vermeintlichen stärkeren Sicherung seines Gesetzgebungswerkes auf Naturrecht beruft, in Wahrheit damit aber die Positivität seines Gesetzes verunsichert. 8 Vgl. dazu Rautenberg 1962. • Hier könnte an die Einrichtung einer zentralen Entscheidungssammlungsund Auswertungsstelle gedacht werden, die alle verbindlichen Rechtsentscheidungen speichert und nach Bedarf Auskunft erteilt. Durch die technische Entwicklung der automatischen Datenverarbeitung sind solche Möglichkeiten, wie auch vergleichbare auf dem Gebiet der Medizin, der Kriminalistik usw. in praktische Reichweite gerückt. Siehe auch Allen/Brooks/James 1962. Vgl. ferner Andrejew/Kerimov 1960; Kerimov 1962 S. 204 ff.; Mehl 1960b, und in der deutschen Literatur den Überblick von Simitis 1964 mit weiteren Hinweisen. Bemerkenswert auch Cobb 1964 als ein Versuch, das Katalogisierungsproblem unter Verwendung der Konditionalform der Rechtsnormen zu lösen.
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hängigen) Programmen entschieden wird 1 0 . Für die Entscheidung dürfen, mit anderen Worten, nicht die besonderen Beziehungen zwischen Entscheidendem und Entscheidungsempfänger den Ausschlag geben. Man kennt dieses Postulat vor allem als Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz. Die konkreten Machtchancen aber auch die konkreten Konsenschancen zwischen Verwaltung und Publikum sollen rechtlich irrelevant sein — ein Aspekt dessen, was wir oben Autonomie des Verwaltungssystems nannten. Das bedeutet aber wiederum einen Abstraktionszwang in der Formulierung der Normen, ein Herausfiltern von allzu konkreten Merkmalen, die erkennen lassen, „wer damit gemeint ist". Positivität und Universalität des Rechts setzen schließlich die Bedingungen und Grenzen der politischen Lenkbarkeit des Verwaltungssystems. Ohne sie wäre die Aufrechterhaltung eines Unterschiedes von Publikum und Politik als verschiedenen Umwelten der Verwaltung nicht möglich. Der gesicherte, legitime Zugang zu bestimmten zentralen Entscheidungsstellen in Parlament und Regierung ist das ordnende Strukturmoment des politischen Kampfes, der politischen Tätigkeit schlechthin11. Von diesen Stellen aus kann aber das Recht nur in den Grenzen der Verfassung und, was wohl ebenso wichtig ist, nur durch je spezifische Entscheidungen (also nicht alles auf einmal!) geändert werden, so daß die Autonomie der Verwaltung in ihrem täglichen Betrieb von der Politik nicht ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Mit diesen allgemeinen Strukturbedingungen sind die Entscheidungslasten und die Entscheidungsleistungen des Juristen in der Verwaltung aufs engste verbunden. Die juristische Programmierung kann aus strukturellen Gründen nicht immer so fallnah erfolgen, daß die Entscheidung auf einen (maschinell durchführbaren) Vergleich der programmierten Informationserwartungen mit den eingehenden Informationen reduziert werden könnte. Die juristischen Methoden der Norminterpretation und der Fallbearbeitung ermöglichen es, diese Lücke zu schließen. Für das Verständnis dieser Leistung ist es wichtig, daß sie sich nicht in streng logisch korrekte Denkschritte zerlegen läßt, sondern eine mehr rhetorische Argumentationskunst eigener Art verwendet 12 . Sie stützt 10 Wir knüpfen hier an die Parsonssche Unterscheidung der pattern variables universalism-particularism an. Siehe Parsons/Shils 1951 insb. S. 81 f.; Parsons 1960 a; Blau 1962. Zur Anwendung auf das Recht der industriellen Gesellschaft vgl. auch Parsons 1960 b S. 143 f. 11 Siehe zu dieser Auffassung der Politik besonders Schumpeter 1946 und als weniger bekannte Ausarbeitung Downs 1957. Vgl. ferner Luhmann 1965 b S. 151 ff. " Dieser Unterschied von juristischer Argumentation und strenger Logik ist durch die Entwicklung der modernen Logistik unbestreitbar geworden. Zunächst hatte man darauf jedoch nur durch Zugeständnis willentlicher, dezisionistischer, emotionaler (Heck), kurz: irrationaler Faktoren in der Rechts-
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sich auf vieldeutige Begriffe (topoi), denen sie „Gesichtspunkte" für die Deutung der Rechtslage des Einzelfalles entnimmt. Sie beruft sich auf Autoritäten und „herrschende Meinung", hält gelegentlich aber auch abweichende, „vertretbare" Auffassungen für honorig. Ihre Denkfiguren, zum Beispiel der Analogieschluß, die restriktive Auslegung, das Regel/Ausnahme-Schema oder das Argument aus der „Natur der Sache" eröffnen häufig widerspruchsvolle Anwendungsmöglichkeiten, so daß man jede Entscheidung begründen kann. Zugleich gewinnt, wer seine Rechtsüberzeugungen nicht auf strenge Logik gründet, damit ein hohes Maß an Sicherheit gegen Widerlegung, ja selbst gegen manche Rechtsänderungen. Denn wenn eine Meinung nicht zwingend bewiesen werden kann, trotzdem aber als plausibel akzeptiert wird, kann sie auch nicht durch Angriff auf ihre Schlußketten oder durch Abschuß einzelner Prämissen zerstört werden. So kann der rechtsanwendende Jurist sich im Wege der Selbsthilfe von den Schwächen seiner Entscheidungsprogramme weitgehend unabhängig machen — eine Unabhängigkeit, die mit der Tatsache zusammenhängt, daß er auf die Formulierung der Entscheidungsprogramme keinen direkten Einfluß hat (Gewaltentrennung). Die besondere rhetorische Rationalität des Juristen korrespondiert weiter mit den an ihn gerichteten Entscheidungserwartungen. Seine Rolle verpflichtet den Juristen, auch bei unklaren Normen und mehrdeutigen Rechtslagen auf jeden Fall zu einer begründbaren Entscheidung zu kommen. Wegen dieses Entscheidungszwanges — es darf keine Rechtsverweigerung geben — kann von der juristischen Begründung auch nicht verlangt werden, daß sie jedermann überzeuge; es muß genügen, daß sie jedermann davon überzeugt, daß sie ihren Verfasser überzeugt hat 1 8 . Schon daraus aber erwächst eine starke Disziplinierung des juristischen Denkens und eine ausreichende Voraussehbarkeit seiner Ergebnisse. Ein Jurist ist normalerweise motiviert, in seiner Rolle glaubwüranwendung reagiert. Die richtigere Einsicht, daß sich das juristische Denken gerade in seiner eigentümlichen Rationalität von der Logik unterscheidet, ist besonders durch die einflußreiche Schrift von Viehweg 1963 in das breitere fachwissenschaftliche Bewußtsein gedrungen. Siehe auch Recaséns-Siches 1956 insb. S. 128 ff. und den Überblick über die Entwicklung dieses Gedankens bei Recaséns-Siches 1962 und 1965. Zur entgegengesetzten Auffassung von Ulrich Klug siehe unten S. 59 Anm. 23. 18 Juristische Begründungen müssen demnach als Darstellung von Entscheidung smotiv en überzeugen. „Nicht zu Ende gedachte Begründungen und Scheinbegründungen, wie man sie leider immer noch auch in den Urteilen höchster Gerichte finden kann, überzeugen nicht; sie lassen den Verdacht aufkommen, daß nicht genannte Motive für die Entscheidung maßgebend waren", formuliert ein sonst nicht soziologisch denkender Autor — Larenz 1965 S. 10. Um so fragwürdiger ist mir, ob man mit Jesch 1957 S. 231 f. die Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen dahin deuten darf, daß sie „nicht oder nur sehr schwer mitteilbare Gründe" zum Zuge kommen lassen will.
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dig zu bleiben. Er wird seine Begründungen daher, auch wenn sie eine neue Auffassung tragen sollen, mit akzeptierbaren Argumenten versehen, aus vertrauten Denkfiguren zusammenstücken. Sein Ruf als Könner steht in Frage. Der Formenschatz der juristischen Fachsprache bietet zahlreiche Standards, nach denen dieses Können beurteilt wird. Es gibt Kritiken, die eine „andere Meinung" als vertretbar erscheinen lassen, Kritiken, die nach allgemeinem Urteil eine Auffassung widerlegen, und solche, die blamieren. Diese Berufskonventionen stützen den Juristen, wenn er Entscheidungsgesichtspunkte zu einer tragfähigen Begründung verdichtet. Er kann dabei ungefähr übersehen, was ihm abgenommen wird und was nicht 14 . Die Abschwächung des streng logischen Ideals der Rationalität (das stets eine rein individuelle Richtigkeitsverantwortung implizierte) muß hier wie auch anderenorts zu einem verstärkten Interesse an den sozialen Komponenten des Entscheidungsganges führen. Damit kommt die Verwaltungswissenschaft als Wissenschaft von der sozialen Kooperation im Entscheiden zum Zuge. So wie die wirtschaftswissenschaftlichen Optimierungsmodelle durch Hereinnahme sozialpsychologischer Variablen 15 und wie der individualethische Rigorismus kompletter Folgenverantwortung durch Berücksichtigung institutioneller „Entlastungen" gebrochen wurden 1", so wird auch in der Rechtstheorie die Unerreichbarkeit streng logischer Axiomatisierung und Systematisierung der Rechtsnorm zu Korrekturen zwingen, wahrscheinlich in Richtung auf eine Deutung der juristischen Argumentation als rhetorische Konsensstrategie. Der Jurist wird dabei durch das Anspruchsniveau seiner Rolle, durch sein Standesethos, das wohlweislich kein reines Erfolgsethos ist, durch die Möglichkeiten argumentativer Verständigung im Rahmen allgemein akzeptierter Sprachregeln und nicht zuletzt durch den institutionalisierten Entscheidungszwang der Gerichtsbarkeit im Schutze der Rechtskraft von einer vollen logischen Verantwortung für seine Aussagen entlastet. Alles in allem ist der juristische Entscheidungsbeitrag demnach nicht eine logisch-tautologische und in diesem Sinne „richtige" Informationsumformung, sondern eine Leistung, die man als Absorption von Un 14 Die Überzeugungskraft des juristischen Argumentes ist daher in erster Linie ein soziologisches und nicht, wie Rautenberg 1962 meint, ein psychologisches Problem. 15 So ζ. B. durch den Begriff des sozial mitdeterminierten „Anspruchsniveaus". Siehe unter anderem Katona 1953 S. 315 f.; Siegel 1957; Simon 1957 S. 246 f., 252 f., 263, 272; Starbuck 1963; Sauermann/Selten 1962. 16 Siehe etwa Braybrooke/Lindblom 1963 insb. S. 236 ff., und natürlich die allgemeine Theorie der Entlastung des Menschen durch Institutionen von Gehlen 1956.
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Sicherheit bezeichnen könnte 17 . Unsicherheitsabsorption findet immer dort statt, wo Informationen so verarbeitet werden, daß aus relativ unsicheren Entscheidungsprämissen neue Informationen erstellt werden, die dann als solche weiteren Entscheidungen zugrunde gelegt werden, ohne daß dabei auf die Ursprungsinformation zurückgegriffen wird 1 8 . Wie leicht erkennbar, gibt es zahlreiche Umstände, die diesen Prozeß der Unsicherheitsabsorption im Entscheidungsgang erleichtern, zum Beispiel: institutionelle oder persönliche Autorität; ein Monopol auf Zugang zu den Ursprungsinformationen oder doch auf ihre sachgemäße Auslegung; die Einrichtung von Kollegialorganen, Ratgeberbeziehungen oder Ausschüssen; informale Vertrauensbeziehungen; die oben erwähnte Differenz von Herstellung und Darstellung und anderes mehr. Vor allem ist zu bedenken, daß Verantwortung für unsichere Passagen des Entscheidungsganges stets nur im Rahmen einer sozialen Rolle, also eines begrenzenden Komplexes von Verhaltenserwartungen zugemutet und übernommen wird. Die Pflicht zur Prüfung und Vergewisserung der Entscheidungsunterlagen ist daher durch das sozialtypische Anspruchsniveau der Rolle begrenzt, und zugleich stellt sie institutionelle Hilfen der Arbeitserleichterung, der Verteidigung bei Fehlern, der Reaktion auf unerwartete Entscheidungsfolgen bereit 1 ·. Und hier liegt eben auch die spezifische Funktion der juristischen Problembearbeitungstechnik und ihrer Rollensicherung, die es erlauben, Entscheidungen als richtig darzustellen, die aus Prämissen und Informationen gewonnen werden, welche mehr oder weniger unklar, unsicher oder umstritten waren. Unsicherheitsabsorption in diesem Sinne darf nicht verwechselt werden mit dem rein physischen Prozeß der „Verkleinerung" schließlich Vernichtung von Information, der in der Maschine abläuft. I n beiden Fällen handelt es sich zwar um Selektionsprozesse, die, wie wir sehen 17 Zu diesem Begriff der Unsicherheitsabsorption siehe grundlegend March/ Simon 1958 S. 164 ff. March/Simon deuten vornehmlich die Auswertbarkeit dieses Begriffs für eine Analyse der Einflußstruktur in einer Organisation an. Auch für Crozier 1963 ist die Kontrolle über ungewisse Entscheidungen die wesentliche Variable der systeminternen Machtstrategien. Ich selbst habe versucht, die Kongruenz dieses Begriffs mit dem der „Verantwortung 14 aufzuweisen: Wer auf die eine oder andere Weise mehr Information weitergibt, als er empfangen hatte, übernimmt eben damit und insoweit Verantwortung für die Endentscheidung. Vgl. Luhmann 1964 d S. 172 ff. Ähnlich Blau 1964 S. 137 f., 215 ff. 18 Für Privatunternehmen gibt es eine interessante Parallele in der Interpretation des Unternehmergewinnes als Lohn für Unsicherheitsübernahme bei Knight 1921. Der Unternehmer legt sich selbst durch Kapitalinvestitionen fest, er sagt bestimmte Löhne zu, geht sonstige Verpflichtungen ein und schafft so sichere Entscheidungsgrundlagen für andere, ohne selbst das Geschäftsergebnis im voraus mit entsprechender Sicherheit zu kennen. 10 Vgl. dazu einige Bemerkungen bei Braybrooke/Lindblom 1963 S. 238, ferner von einem anders gefaßten Verantwortungsbegriff aus: Ciaessens 1963.
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werden, im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Unbestimmtheitsreduktion sinnvoll aufeinander bezogen werden können. Aber die Messung der Information, die der Maschinentheorie zugrunde liegt, betrifft lediglich den physischen Vorgang der Weiterleitung. Sie dient der Ermittlung der benötigten Kanalkapazitäten, hat aber mit dem semantischen Sinn der Kommunikation unmittelbar nichts zu tun 2 0 . Daß mit der letzten Maschinenentscheidung: Ausdrucken oder nicht, das letzte Informationsbit vernichtet wird, bedeutet natürlich nicht, daß die ausgedruckte Entscheidung keine sinnhafte Information enthält. Die funktionale und prozeßmäßige Trennung der juristischen und der maschinellen Selektionsprozesse führt uns zu einer Reihe von Überlegungen zum Thema Recht und Automation. Neben der immanenten, selbstkritischen Methodenentwicklung der Jurisprudenz kann besonders das Eindringen der automatischen Datenverarbeitung in Entscheidungstätigkeiten, die bisher dem Juristen vorbehalten zu sein schienen, eine Besinnung in der angedeuteten Richtimg fördern. Das Eigenständige der juristischen Gedankenarbeit wird man mehr als bisher i m nichtlogischen, nicht-schematisierbaren, nicht-kalkülisierbaren Teil der rechtserheblichen Informationsverarbeitung suchen müssen. Vor allem bietet die juristische Gedankenentfaltung Raum für zahlreiche unprogrammierte, zuweilen nicht einmal darstellbare Korrekturen der Gedankenführung im Hinblick auf Auswirkungen und Konsequenzen und Stilkonventionen21. Dabei leitet den Entscheidenden ein geschultes Gerechtigkeitsgefühl, das ihn vor einseitigen Sympathien bewahrt. Dazu kommt die Möglichkeit, der Ausnahmelage eines einzelnen Falles durch mehr oder weniger gewundene Begründungen Rechnung zu tragen. So könnte sich die eigentliche Entscheidungsfunktion des Juristen auf eine fortwährende Juridifizierung der Billigkeit hin bewegen. Schließlich findet der Jurist nicht selten Anlaß und Möglichkeiten, mit alten Worten neue Dinge zu sagen, Begriffe zu entleeren und wieder zu füllen, alten Rechtsprinzipien in neuen Argumentationszusammenhängen veränderte Funktionen zu geben, kurz: das Recht zu ändern, ohne es anzutasten — w
So bereits in aller Deutlichkeit die klassische Quelle dieser Theorie: Shannon/Weaver 1949. Vgl. insb. S. 951, ferner die vage Vermutung einer weitergehenden Auswertbarkeit S. 114. Daß diese Schwelle oft verkannt wird, hat dazu geführt, daß die semantische Theorie der Kommunikation mit einem ganz unnützen technischen Jargon (Informationsgrößen, Kanalkapazität, Rauschen usw.) überflutet wurde. 11 Diese Elastizität der juristischen Begriffsarbeit ist übrigens der berechtigte Kern des weniger berechtigten Vorwurfes, die Juristen der westlichen Demokratien bögen das Recht im Interesse einer herrschenden Klasse. Jedenfalls hat dieses Mißtrauen dazu geführt, daß man im kommunistischen Einflußbereich auf die juristische Rhetorik als Ordnungsmittel nach Möglichkeit verzichtet. Um so besser kann sich die kybernetische Rechtstheorie dort entwickeln.
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eine sinnvolle Technik der Verarbeitung von Umweltkomplexität und -Veränderlichkeit, die jedoch Dokumentationsfachleute zur Verzweiflung treibt 22 . Die Grenze zwischen juristischer Gedankenarbeit und automatischer Datenverarbeitung muß man sich trotz dieser Unterschiede als prinzipiell variabel vorstellen. Besonders der Jurist selbst kann eigentlich nicht zugeben, daß seine Argumentation nicht automatisierbar ist; denn das hieße zugeben, daß seine Begründungen nicht stichhaltig und nicht wiederholbar sind. Gleichwohl hat es — auf lange Sicht jedenfalls — guten Sinn, die rhetorischen Konventionen, die Standesethik und die Rollendisziplin des Juristen als Mittel der Spezifikation und Isolierung rechtlicher Informationsverarbeitungsprozesse und damit als Alternative zur Maschinenlogik beizubehalten, auch wenn man sich in hochabstrakter Perspektive beide Möglichkeiten als funktional äquivalent und damit als austauschbar vorstellen kann. Die Rationalität der juristischen Problembehandlung liegt demnach nicht in der logischen Korrektheit ihrer Schlüsse, sondern sie ergibt sich daraus, daß die juristische Argumentation in sozialen Systemen der Entscheidungsanfertigung eine notwendige Funktion erfüllt, nämlich die Funktion der Unsicherheitsabsorption. Das Recht ist nicht in dem Sinne rational, daß es als Anwendung eines Logiksystems dargestellt und damit im Prinzip auch auf automatische Datenverarbeitungsanlagen übertragen werden kann 22 ; vielmehr liegt seine Rationalität gerade umgekehrt in der Lösung von Systemproblemen, die nicht mit rein logischen Mitteln gelöst, also nicht auf Maschinen übernommen werden können24. 22
Vgl. dazu Simitis 1964 S. 360. Hier wird besonders deutlich, wie gefährlich es wäre, in den Erfordernissen maschineller Dokumentation Maßstäbe für die Rationalisierung des Rechts zu suchen. 21 Diese Auffassung wird jedenfalls für die rationalen Aspekte des Rechts von Klug 1964 vertreten. Siehe auch das grundsätzliche Werk desselben Verfassers 1958; ferner etwa Tammelo 1964 mit Hinweisen zur internationalen Diskussion dieser Frage. Es ist jedoch fraglich, ob man dem Recht gerecht werden kann, wenn man ihm den Titel „rational" allein unter den Gesichtspunkten der Logik zuerkennt — welcher Logik denn auch? Das Wesen des Rechts und seine Rationalität würden dann weit auseinanderklaffen. Wir ziehen es demgegenüber vor, den Terminus „rational" zur Bezeichnung von Problemlösungsfunktionen in (hier: sozialen) Systemen zu verwenden, in einem Sinne also, in dem man auch von „rationalem Handeln" sprechen kann. 24 Man muß sich jedoch darüber im klaren sein, daß mit dieser Argumentation nur die gegenwärtige Situation fixiert wird. Unser Gedankengang kann und wird vermutlich eines Tages aus den Angeln gehoben werden mit dem Gegenargument, daß man auch einer Maschine logische Sprünge beibringen könne und daß sie die Voraussetzungen für die Zulässigkeit solcher Sprünge besser abklären könne als der Mensch. Im Carnegie Institute of Technology, Pittsburgh, wird bereits an Computer-Programmen für unklar definierte Probleme gearbeitet, die das menschliche Vorgehen imitieren und
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Der juristische Entscheidungsbeitrag ist mithin rational auch dort und gerade dort, wo es nicht sinnvoll ist, ihn zu automatisieren. Er ist eigenständig, weil die Fähigkeit des Computers, Unsicherheit zu absorbieren und damit Verantwortung zu übernehmen, enge Grenzen hat. Während der Mensch sowohl als Empfänger wie auch als Verarbeiter von Kommunikationen mit unklaren, vieldeutigen Ausdrücken etwas anfangen kann — er versteht richtig, „was gemeint ist" bzw. legt sich den Sinn selbst zurecht, und der Absender von Mitteilungen kann sich auf diese Fähigkeit verlassen —, hat der Computer eine sehr geringe Toleranz für Mehrdeutigkeit. Er kann nur mit sehr präzisen Eingabeinformationen arbeiten. Er setzt zum Beispiel in Fällen von unsicheren Annahmen voraus, daß der Mensch seine Ungewißheit in Form von Wahrscheinlichkeitsziffern darstellt, kann dann allerdings auf überlegene Weise die bei den gegebenen Wahrscheinlichkeiten beste Aktionsmöglichkeit ausfindig machen25. Die heiklen Phasen des Prozesses der Unsicherheitsabsorption müssen also immer noch von Menschen getragen werden; den Computer kann man allenfalls verantworten lassen, was nicht angegriffen werden kann 2 ·. Wir haben nunmehr die Fragestellung für das nächste Kapitel beisammen: Wir müssen genauer sehen, wie sich Jurist und Computer in die Aufgabe der Entscheidungsanfertigung teilen, und welche Folgerungen organisatorischer oder rechtlicher Art daraus gezogen werden können.
vielleicht übertreffen sollen. Aufs letzte gesehen, gibt es keine rationalen Gründe, die Menschenleistung der Maschinenleistung vorzuziehen. Und jedesmal, wenn die Befürworter des Menscheneinsatzes ihre Gründe präzise formulieren, schaffen sie damit zugleich die Grundlage für die Formulierung neuer äquivalenter Maschinenprogramme. Vgl. auch die Vorstellung über automatische Rechtsfindung, die in der Gedankenwelt des dialektischen Materialismus möglich sind. Dort wird das Problem als Kluft zwischen formaler (ontologischer) und dialektischer (konkreter) Logik gesehen und die Schwierigkeit damit auf ein Problem der Abstraktion reduziert. Vgl. Knapp 1963 b und ders. 1963 a. 15 Zu dieser unterschiedlichen Toleranz für Mehrdeutigkeit vgl. Edwards in Gagné 1962 S. 95. M Siehe dazu die von Johnson u. a. 1963 S. 191 referierte Bemerkung aus einem Vortrag von H. R. Huntley: „The thing that distinguishes humans from machines is the ability to arrive at a conclusion without all the facts; an important attribute because some facts are always unknown." Die Formulierung ist mißglückt, weil natürlich auch die Maschinen ohne Kenntnis „aller" relevanten Fakten arbeiten müssen und können. Gemeint ist offenbar, daß nur Menschen den Verzicht auf weitere Tatsachenermittlung verantworten können. Vgl. hierzu auch die von Shelly und Bryan 1964 herausgegebenen Studien zur Interdependenz von kalkulisierbaren Optimierungsprozessen und menschlichem Urteilsvermögen, die allerdings den Hechtsbereich ganz außer Betracht lassen.
Siebentes Kapitel
Funktions- und Arbeitsteilung zwischen juristischen und automatisierten Entscheidungsbeiträgen (II) Trotz der Verschiedenheit ihrer Entscheidungsbeiträge arbeiten Datenverarbeitungsmaschine und Jurist nicht ohne Zusammenhang. Wir haben schon gesehen, daß der Jurist sein Arbeitsergebnis, wie immer er auch dazu gelangt, als Anwendungsfall eines Konditionalprogramms darstellen muß. Er ist dadurch gehalten, auf eine Entscheidungsform hinzuarbeiten, die sich im Prinzip als Maschinenprogramm eignet. Er kann also mit der Maschine „Hand in Hand" arbeiten. Der Begriff der Unsicherheitsabsorption, mit dessen Erläuterung das letzte Kapitel Schloß, ermöglicht es, den Sinn einer solchen Teilung des Entscheidungsganges kritisch zu erörtern. Wir müssen ihn zu diesem Zweck jedoch nicht nur in seinem Prozeßaspekt, sondern darüber hinaus in seiner Bedeutung für die allgemeine Theorie der Entscheidungssysteme (Verwaltungstheorie) erfassen und ihn deshalb zum allgemeineren Begriff der Unbestimmtheitsreduktion abstrahieren. Systeme der Entscheidungsfertigung müssen sich in einer hochkomplexen, unabhängig von ihnen veränderlichen, widerspruchsreichen Umwelt identisch erhalten. Sie können dies nur dadurch, daß sie eine generalisierte, normative Struktur von Entscheidungsprämissen relativ invariant halten. Diese Struktur, also das, was im Verhältnis zu den durchlaufenden Informationen permanent ist und den Informationsfluß steuert, muß deshalb eine hohe Unbestimmtheit aufweisen. Sie muß, mit anderen Worten, eine große Zahl verschiedener Systemzustände zulassen. Das Ausmaß der erforderlichen Unbestimmtheit (oder Varietät) ist eine Variable, deren Werte jeweils von der Umwelt des Systems abhängen, nämlich davon, welchen Grad an Ordnung das System in seiner Umwelt voraussetzen kann 1 . Die meisten Maschinen sind sehr bestimmt konstruiert und stellen dementsprechend hohe Anforderungen an ihre Umwelt, was manche Schwierigkeiten bei der Industrialisierung von Entwicklungsländern erklärt. Ein Automobil muß, weil es nur wenige verschiedene Zustände annehmen kann, eine einigermaßen geglättete * Zu diesem Begriff der „erforderlichen Unbestimmtheit" vgl. Ashby 1956 S. 206 ff.
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Erdoberfläche, einen befähigten Fahrer, regelmäßige Zufuhr von Benzin, Schmiermittel usw. voraussetzen. Kybernetische Systeme von höherer Varietät zeichnen sich nun dadurch aus, daß sie eine hohe strukturelle Unbestimmtheit aufweisen, gleichwohl aber in der Lage sind, bei Eingabe von Informationen diese Unbestimmtheit zu reduzieren und zu bestimmten Ergebnissen zu gelangen2. Das befähigt sie, ohne Verlust ihrer strukturellen Identität sich innerhalb gewisser Grenzen nach der Umwelt zu richten und deren irreguläres, „zufälliges" Verhalten in Entscheidungen zu übersetzen, die einer bestimmten Ordnung folgen, mit anderen Worten: aus Unordnung Ordnung zu schaffen. Diese systemexterne (gesellschaftliche) Funktion spiegelt sich systemintern in den Schwierigkeiten des Prozesses der Unsicherheitsabsorption. Sie wird erfüllt durch laufende Reduktion der Unbestimmtheit des Systems. I n diese Aufgabe teilen sich in der Verwaltung der Jurist und die Datenverarbeitungsanlage — und natürlich auch sämtliche anderen, am Entscheiden beteiligten Kräfte des Systems. Die Art dieser Arbeitsteilung müssen wir uns genauer ansehen. Hierfür ist es zunächst wichtig, sich klar zu machen, daß automatische Datenverarbeitungsanlagen in der öffentlichen Verwaltung bisher und bis auf weiteres nur mit einem sehr begrenzten Teil ihrer Möglichkeiten eingesetzt werden 3 . Sie produzieren nur Entscheidungen, die man im Prinzip in allen möglichen Arten und Konstellationen voraussehen kann. Vor allem in der gesetzesausführenden Rechtsanwendung geht es nicht um notwendigen, sondern um wahlfreien Computergebrauch. Man kann die gleichen Aufgaben auch ohne Datenverarbeitungsanlage ausführen 4. Es handelt sich also nicht, wie beim Einsatz für Zwecke wissenschaftlicher Forschung oder technischer Berechnungen und zunehmend auch in der privatwirtschaftlichen Betriebsplanung, um eine Programmierung, bei der man nur die konkreten Entscheidungsbedingungen und die Entscheidungsregeln im voraus kennt oder selbst diese sich erst mit der Maschine erarbeiten muß. I n der öffentlichen Verwaltung verhilft die Maschine zur Zeit nicht dazu, die richtigen Ergebnisse erst auszudenken. Man weiß vielmehr genau bzw. kann ohne besondere Schwierigkeiten 1
Siehe dazu Beer 1962 S. 60 ff. Den Einsatz für wissenschaftliche geodätische u. ä. Aufgaben lassen wir außer acht, da sie keine Verwaltungsaufgaben im Sinne unserer analytischen Begriffsbestimmung sind, sondern dienstleistungsbetrieblichen Charakter haben, und überdies auch kaum Rechtsprobleme auf werf en. 4 Das kann sich auch auf dem Gebiete des Rechts natürlich rasch ändern, vor allem dann, wenn man Datenverarbeitungsanlagen zur Sammlung und systematischen Auswertung von Rechtsvorstellungen und Rechtsentscheidungen und, damit zusammenhängend, für rechtspolitische Aufgaben einzusetzen beginnt; ferner auch: wenn die Anforderungen an das Tempo der Anfertigung von Massenentscheidungen so wachsen, daß man ihnen ohne Elektronik nicht mehr genügen kann. Im Sozialversicherungsrecht ist dies heute bereits der Fall. 3
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feststellen, welches Gehalt ein Beamter bei bestimmten Ausgangsdaten: Besoldungsgruppe, Besoldungsdienstalter, Ortsklasse usw. erhält; und man benutzt dieses Wissen, um die Maschinenprogramme auf ihre Eignung und Fehlerfreiheit zu testen. Der Einsatz der Maschinen dient also nicht der Absorption einer Unsicherheit in bezug auf die Richtigkeit der Ergebnisse, sondern löst einzig und allein das Problem der Unbestimmtheit (Zufälligkeit) der Streuung, mit der Einzelfälle aus der Umwelt an die Verwaltung zur Entscheidung herangetragen werden. Nur die Tatsache, daß man nicht weiß, mit welchen je besonderen Datenkonstellationen die Fälle nacheinander auftreten, daß man also nicht kategorienweise pauschal, sondern eben nur jeden Einzelfall für sich entscheiden kann, weil nach dem Einzelfall A ein andersartiger Einzelfall Β und erst vielleicht nach hunderten von Fällen wieder ein Fall gleich A zur Entscheidung kommt, rechtfertigt den Maschineneinsatz. Deswegen ist auch der sogenannte „Änderungsdienst" die kritische Variable der Wirtschaftlichkeit der Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen. Er zwingt die Verwaltung praktisch in eine „manuelle" Behandlung von Einzelfällen zurück, solange die Einarbeitung der Änderungen in die Maschinenspeicher nicht selbst automatisiert werden kann 5 . Die Bedeutung dieser Sortierleistung sollte man nicht unterschätzen. Sie ist nur deshalb wenig beachtet worden, weil sie sich auf ein ausgesprochen verkümmertes Gebiet der juristischen Entscheidungsmethodik bezieht·. Sie verhilft dem Fall dazu, seine Prämissen zu finden. Dieses Problem hat die juristische Methodenlehre bisher kaum gestellt, geschweige denn lösen können. Es bereitet daher auch didaktisch die größten Schwierigkeiten, dem lernenden Juristen beizubringen, wie er die für einen Fall in Frage kommenden Paragraphen finden und ihre Vollständigkeit kontrollieren soll. Gewisse hochabstrakte Sortierbegriffe, zum Beispiel die Unterscheidung von Vertragsansprüchen und Deliktsansprüchen, geben eine recht grobe Hilfe, und es ist kein Zufall, daß bei ihrer Verwendung selektive, durch Auswahl und Verwerfen sich an die konkreten Eigenarten des Falles herantastende Denkvorgänge ablaufen, die der Maschinentätigkeit sehr ähnlich und zweifellos programmierbar sind7. Man wird vermuten können, daß diese Sortierfunktion, Selek8 Dieses Problem hat namentlich der Bundesrechnungshof in seinem umstrittenen Gutachten über die Verwendung von Lochkarten- und elektronischen Rechenanlagen bei der Zahlung von Bezügen vom Dezember 1963 mit Recht in die Debatte geworfen. Vorher schon Körte 1957 S. 563 f. Inzwischen scheint es jedoch durch die Verwendimg von Magnetbandspeichern weitgehend gelöst zu sein. Zur Bedeutung dieses Problems des Änderungsdienstes für die allgemeine Frage der organisatorischen Anordnung von Datenspeichern (zentral oder dezentral) und für die Bestimmung ihrer zweckmäßigen Größe vgl. auch Pietzsch 1964 S. 68 ff. • Vgl. dazu auch Larenz 1960 S. 209 f. 7 Im einzelnen ist natürUch zweifelhaft, und es wäre eine Forschungsauf-
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tionsvorgänge möglichst geschickt anzuleiten, ganz andere Anforderungen an die Klassifizierung juristischer Begriffe stellt 8 , als die Aufgabe der Lösung sozialer Probleme, für die die Rechtsbegriffe eigentlich geschaffen sind. Vielfach wird eine nahestehende Einsicht in der Form festgehalten, daß der Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen in der öffentlichen Verwaltung sich nur bei Massenentscheidungen, also nur bei Erwartung einer großen Zahl von verschiedenen, aber ähnlichen Einzelfällen lohne. Das ist richtig, verdeckt aber durch eine Wirtschaftlichkeitserwägung den rechtlich relevanten Aspekt, den wir hier herauszuschälen versuchen. Für die rechtliche Bewertung der Automation dürfte wichtig sein, daß die Maschinen — jedenfalls bisher — nicht dazu benutzt werden, neue Lösungen für Rechtsprobleme zu produzieren, die von den Betroffenen oder von denen, die den Maschineneinsatz vorbereiten, nicht oder doch nicht innerhalb zumutbaren Entscheidungszeiten selbst ermittelt werden können. Ihr Bezugsproblem ist lediglich die Ungeordnetheit und Unvorhersehbarkeit der Anlieferung von verschiedenartigen Einzelfällen durch die Umwelt. Ihre Leistung ist insofern vergleichbar dem relativ einfachen Verfahren mancher Sachbearbeiter, zum Beispiel des Besoldungswesens, auf ihren Aktenböcken eine Reihe von Fällen ähnlicher Art auflaufen zu lassen, bevor sie sich die dafür maßgeblichen Vorschriften noch einmal ansehen und dann die Fälle serienmäßig abarbeiten; nur daß die Maschine durch ihr Arbeitstempo die artmäßige Anordnung zwar nicht erübrigt, sie aber nur im großen Rhythmus des Wechsels der verschiedenen Programmdurchläufe voraussetzt·. Die automatische Datenverarbeitung ist ein „besseres Äquivalent" für diese Art der Problemlösung durch Verlangsamung und Sortierung 10 . gäbe von unabsehbarem Umfange zu klären, ob die überlieferte juristische Begriffsordnung für eine Sortierfunktion günstige Ausgangspunkte bietet, oder ob sie insb. für Zwecke maschineller Dokumentation radikal geändert werden muß. Dazu einige Gedanken bei Mehl 1960 b S. 142 ff. Vgl. ferner Simitis 1964 S. 358 ff. und zahlreiche Beiträge zum Problem des „indexing" in der amerikanischen Zeitschrift „Modern Uses of Logic in Law" (seit 1959). 8 Für Begriffe allgemein dazu manches bei Hunt 1962. • Vgl. hierzu die Unterscheidung von „manueller" (fallmäßiger), „stapelweiser" und „schritthaltender" (elektronischer) Bearbeitung im Gutachten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1959 S. 139 f. Mit gutem Recht sieht das Gutachten in dieser Unterscheidung die verfahrensmäßige Grundlage der elektronischen Datenverarbeitung. Anzumerken ist freilich, daß audi die elektronische Datenverarbeitung wegen des zentralen und vielfältigen Einsatzes der Anlage eine gewisse Periodisierung, also „stapelweises" Arbeiten erzwingt. Die Anlage kann jedoch, worauf Demmler 1965 S. 145 hinweist, durch Löschen des vorigen und Eingabe eines neuen Programms in Sekundenschnelle umprogrammiert werden, so daß auch ein häufiger Wechsel kleiner Aufgaben wirtschaftlich durchgeführt werden kann. 10 Bei genauerem Zusehen lassen sich außer der Technik des Stauens und Sortierens am einzelnen Arbeitsplatz nodi andere funktionale Äquivalente
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Letztlich geht natürlich jede Art verwaltungsinterner Problem Verarbeitung, auch die des Juristen, auf die Ungeordnetheit der Umwelt (genauer: auf das Ordnungsgefälle zwischen System und Umwelt) zurück. Deswegen muß ja, wie wir sahen, das Verwaltungssystem unbestimmt strukturiert werden. Für die Verwaltung liegt jedoch ein Gewinn darin, auf diese allgemeine Problematik differenziert zu reagieren. Sie kann die Richtigkeitsfrage einerseits, die Sortierungsfrage andererseits trennen und getrennter Behandlung zuweisen. Jede für sich läßt sich dann unter je spezifischen Gesichtspunkten besser rationalisieren als bei kompakter Bearbeitung. Die juristische Argumentation ist, im Gegensatz zur Datenverarbeitung im Computer, auf die Richtigkeitsfrage spezialisiert und deshalb prinzipiell generalisiert. Der Jurist entscheidet jeden Einzelfall in einer generalisierenden Optik, die sich aus der Verpflichtung ergibt, gleiche Fälle gleich zu entscheiden. Er muß daher auch kaum wiederholbare Datenkonstellationen wie Vertreter einer Fallserie behandeln, zumindest seine Entscheidung so darstellen. Dieses Erfordernis „universalistischer Orientierung" 11 ist nicht nur im Gleichheitssatz verankert, sondern in engem Zusammenhang damit auch in der Verpflichtung des Juristen auf das Konditionalprogramm. Der juristische Entscheidungsbeitrag muß als Anwendung eines Wenn-Dann Programmes dargestellt werden, und Wenn-Dann heißt jedesmal wenn, dann 12 ! Bei dieser Art der Entscheidungsgeneralisierung kommt es primär auf Konsistenz der normativen Entscheidungsprämissen und ihrer Auslegung an — Konsistenz nicht im Sinne streng logischer Vereinbarkeit, sondern im Sinne der Vermeidung offener Widersprüche in und zwientdecken. Sie liegen vor allem in der Arbeitsteilung und Arbeitsverteilung. Audi die Arbeitsteilung dient der Gruppierung von Entscheidungstätigkeiten unter dem Gesichtspunkt der „Ähnlichkeit" und damit dem Ausgleich der sachlichen Unordnung, in der die Umwelt das System anstößt, während die Arbeitsverteilung die zeitliche Unregelmäßigkeit (Unregelmäßigkeit des Arbeitsanfalles und damit der Belastung der einzelnen Entscheidungsstellen) abzufangen hat Vgl. dazu March/Simon 1958 S. 22 ff. und Luhmann 1964 c S. 9 f. Vielleicht bekommt man hier den eigentlichen Grund zu fassen, weshalb der Einsatz automatischer Datenverarbeitungsanlagen die traditionelle Ordnung der Arbeitsteilung in der Verwaltung unter dem Gesichtspunkt ähnlicher Aufgaben so durcheinanderwirft: Er bietet im Grunde eine Alternative dafür an. 11 Siehe oben S. 53 ff. n Daß diese Einstellung auf Fallserien, die nach abstrakten Auslösungsmerkmalen zusammengehören, das Verhalten der Bürokratie zu ihrem Publikum weithin prägt, haben audi empirische Untersuchungen gezeigt. Vgl. Lindemann 1952 S. 55 ff., aber auch die entgegengesetzte Feststellung über persönliche Beeindruckbarkeit im unmittelbaren Publikumsverkehr bei Hartfiel u. a. 1964 S. 112 ff. Ähnlich ambivalente Feststellungen über Regelorientierung einerseits, fallorientierte Dienstbereitschaft andererseits liegen aus den Vereinigten Staaten vor. Vgl. Francis/Stone 1956. 5 Speyer 29
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sehen den Entscheidungsgründen. Dadurch entsteht als Bezugsrahmen der Entscheidungsbegründungen ein normatives Begriffsgebäude von starkem Innenhalt. Eine Auslegung stützt und bestätigt die andere, und das erleichtert durch Verwendung gewisser Begriffe, Rechtsprinzipien und Begründungsfloskeln von fragloser Selbstverständlichkeit die Abfassung neuer Entscheidungen. Die Abfaßbarkeit einer Begründung dient als Kriterium dafür, welche Entscheidungen getroffen werden können 13 . Die so geschaffene Argumentationsbasis ermöglicht ein praktisch brauchbares Überwinden des Gefälles von den abstrakten Normen, die als allgemeine Entscheidungsinstruktionen im System gespeichert sind, zu den jeweils eingehenden Informationen. I n diesem Arbeitsprozeß gehen die Interpretation der vorhandenen Entscheidungsprogramme und die Interpretation der eingehenden Fallinformationen eine gewisse Verschmelzung ein 14 . Sie regen sich wechselseitig an — auch dies ist ein wesentliches Moment der Flexibilität der juristischen Methode. Die Fallinformationen werden anhand der vorgegebenen Entscheidungsprogramme auf ihre juristische Relevanz hin überprüft. Kommt dabei etwas Unbefriedigendes heraus, dann werden die Programme ihrerseits auf ihre Erwartungseinstellung hin überprüft. Da sie sehr abstrakt und unausgearbeitet sind, besteht dafür ein gewisser Spielraum 15 . Man kann dann gegebenenfalls entdecken, daß bei 13 Das geht etwa so vor sich: Praktische Berufserfahrung suggeriert dem Juristen eine Entscheidung. Er versucht dann die Begründung. Wenn er nicht durchkommt, verwirft er den ersten Entscheidungseinfall und läßt sich durch das Scheitern dieses Versuchs neu inspirieren. Es kommt dann zu einem neuen Versuch auf anderer Basis, ein Prozeß, der so lange wiederholt wird, bis eine begründbare Entscheidung herauskommt. Vgl. auch die in ihrer Ehrlichkeit eindrucksvolle Schilderung richterlicher Begründungsarbeit von Cardozo 1921. Ein solches Versuchs- und Wiederholungsverfahren wird manchmal übrigens auch für Zweckprogramme empfohlen, ζ. B. von Cyert/Feigenbaum/ March 1959; ferner die oben Kap. 5 Anm. 31 zitierten Forschungen von Simon, Newell und Shaw; siehe auch die Modelle bei Cyert/March 1963. Dabei frappiert die Ähnlichkeit mit den Flußdiagrammen der Maschinenprogrammierung. Für Zweckprogramme, die auf systematische Ermittlung von Alternativen ausgehen sollten, ist das Versuchs- und Wiederholungsverfahren im Grunde jedoch sehr viel weniger angemessen als für das Verfahren der juristischen Begründung. 14
Vgl. dazu Scheuerle 1952 S. 23 f.; Jesch 1957 S. 188 ff.; Engisch 1963 S. 82. Als empirische Untersuchung dieses Problems vgl. etwa Francis/Stone 1956 insb. S. 39 ff. und Hartfiel u. a. 1964 insb. S. 88 ff. mit der besonders interessanten Feststellung (S. 106 ff.), daß die Bediensteten trotz starker Konditionalisierung und gegen die Rechtslage in großer Zahl das Gefühl eines „eigenen Ermessens" haben. Auch in der juristischen Literatur scheint sich die praxisnahe Auffassung durchzusetzen, daß auch Rechtsnormen, die kein echtes Entscheidungsermessen (mit gleichwertigen Alternativen) vorsehen, doch einen „Beurteilungsspielraum" abstecken können, der in der Verwaltungspraxis situationsnah und flexibel ausgefüllt werden kann. Vgl. dazu Kellner 1962; Hüttl 1965 a S. 66 sowie die oben Kap. 5 Anm. 12 angegebene Literatur. 15
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leicht veränderter Programmauslegung die Informationen einen anderen Sinn und andere Konsequenzen erhalten, bzw. daß neue Informationen herangezogen werden müssen, die dem Fall ein anderes Gesicht geben. Erst in der Enddarstellung werden Programmprämissen und Falldaten wieder säuberlich getrennt fixiert und in der bereits mehrfach erwähnten Darstellung der Fallentscheidung als Anwendung eines Konditiònalprogramms einander entgegengesetzt. Auch hier sieht man, daß erst das Endprodukt des juristischen Entscheidungsverhaltens die unentbehrliche Ausgangslage für die automatische Datenverarbeitung erstellt: die strikte Trennung von Programminformationen und Fallinformationen als je für sich feststehende Daten, ohne welche die Maschine nicht arbeiten kann. Anders formuliert: Der Jurist braucht in gewissem Umfange die (uneingestandene, in seiner Darstellung nicht erscheinende) Möglichkeit, seine Programme unprogrammiert nach Maßgabe von Fallerfahrungen variieren zu können1·. Die Maschine muß dagegen vollständig und abschließend programmiert sein. Sie kann und darf sich jene Flexibilität des juristischen Entscheidungsverhaltens nicht leisten. Die Korrelierung von Informationen und Programmen wird schließlich dadurch erschwert, daß man nicht unterstellen darf, daß die Umwelt das Verwaltungssystem programmgemäß informiere. Die Datenverarbeitung setzt „Daten" voraus, die irgendwo „gegeben" werden müssen, und an diesem Vorgang des „Gebens" der Daten, der Information des Systems, kann sich das System selbst nicht uninteressiert zeigen. Die Informationen sind nicht einfach in der Umwelt vorhanden; sie müssen im Zusammenwirken von System und Umwelt erarbeitet werden, und schon für diese Tätigkeit der Fixierung von Daten, der scheinbar so objektiven Feststellung von Tatsachen, gibt das Entscheidungsprogramm die Richtlinie für Auswahl, Modellierung, Unterdrückung und Bewertung der Fakten. Das Programm dient in diesem Zusammenhang als vorgreifende Erwartung dessen, wodurch sich das System informieren lassen will. Mit seiner Hilfe kann die reale Komplexität der Umwelt auf eine Größenordnung reduziert werden, die das System bewältigen kann 17 . 1β Hier liegt im übrigen der Kern dessen, was man heute vornehmer „richterliche Rechtsfindung" nennt. Der Wohllaut dieser Formulierung verdeckt den Widerspruch zwischen diesem Prinzip und der Urteilsdarstellung. Der Widerspruch besteht gleichwohl. Kein Richter wird sein Urteil mit einem einfachen „heureka" begründen. 17 Die Formulierimg des Textes benutzt Begriffe der Kybernetik und der Verwaltungstheorie. Als Beispiel für eine ähnliche Sicht vgl. Weiner 1960 S. 154 ff. Aber auch Juristen ist, zumindest im Ausschnitt, diese Problematik als selektive Funktion von Rechtsbegriffen bekannt. Vgl. Esser 1956 S. 159 ff., 218, 261 u. ö. Die „bürokratischen" Aspekte dieses Vorgangs behandelt z. B.
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I n Verwaltungssystemen müssen deshalb Polizisten und Fürsorgerinnen, Richter, Sozialarbeiter, Schalterbeamte und Betreuer aller möglichen Förderungsprogramme mit Umweltkräften in kurzgeschalteten Informationskreisläufen zusammenwirken, um anders orientierten, unkundigen, unwilligen oder allzu willigen Informanten brauchbare Informationen abzuringen, um die Tatsachen festzustellen, die ein Entscheidungsprogramm einrasten lassen. I n diesen Informationskreisläufen gewinnt der praktisch erfahrene Sachbearbeiter zumeist sehr rasch ein Vorgefühl dafür, welche Art von Programm in Frage kommt und welche Informationen er demgemäß haben will 1 8 . Dabei läßt er sich von einer Voraussicht des unterschiedlichen Ergebnisses der einzelnen Programmanwendungen leiten1®. Der Kunden- oder Parteienverkehr mag sich in ferner Zukunft auf Maschinen übertragen lassen, wofür man als Vorläufer die bereits ausgedachten, konstruierten und programmierten Lernmaschinen ansehen kann 20 . Einstweilen ist jedoch das Gewinnen der Daten eine Domäne menschlicher Mitwirkung am Entscheidungsvorgang und gilt den Beteiligten als Sache ihrer persönlichen Geschicklichkeit21. Solange dies so bleibt, lohnt sich die Automatisierung der Verwaltungsarbeit nur dort, wo die Entscheidungslast nicht nur in der Gewinnung der Informationen, sondern zu erheblichem Teil auch in ihrer Verarbeitung steckt, vor allem also, wo Geldrechnungen eine Rolle spielen 22 . Die Trennung der Thompson 1950 S. 122 ff.; ders. 1961 S. 17 f.; Gore 1964 S. 49 ff.; siehe audi Luhmann 1964 c S. 29. 18 Dieses Vorurteü läßt sich weder voll verbalisieren noch voll kontrollieren, da es ja die Tatsachen erst aufbaut, an denen es kontrolliert werden könnte. Es kann auch in der Endentscheidung nicht mitdargestellt werden. Darin liegt ohne Zweifel die Chance und Gefahr einer Orientierung an halblegalen oder ülegalen Erwägungen — eine Ambivalenz, die für Grenzstellen organisierter Systeme im allgemeinen typisch und funktionswesentlich ist. Vgl. dazu Luhmann 1964 d S. 220 ff. 19 Wenn die Automatisierung fortschreitet und der Jurist dadurch den Uberblick über die Entscheidungsergebnisse verliert (bzw. deren Feststellung im Einzelfall parallel zum Arbeitsgang der Maschine für ihn unrationell wird), wird man den Ausfall dieser vorgreifenden Informationskontrolle durch das Ergebnis und eine Schematisierung der Datenfeststellung zu erwarten haben. Dieser Verlust wird vermutlich durch Verfeinerung der Datenkategorisierung kompensiert werden müssen — im ganzen also ein Weg zu mehr Bewußtheit, mehr Rationalität, mehr Detailplanung und mehr Schematismus im Entscheidungsvorgang. 20 Vgl. dazu Beer 1962 S. 146 ff.; Beauclair 1963; Frank 1963. 21 Ein Urteil, das auch in der Wissenschaft wiederholt wird — ζ. B. Francis/ Stone 1956 S. 134 —, obwohl die Wissenschaft andererseits in der Schematisierung und Standardisierung von Interview-Tätigkeiten sehr weit fortgeschritten ist. " Daß die Automatisierung in der öffentlichen Verwaltung gerade mit der Errechnung von Geldleistungen begonnen hat, hat hier seinen inneren Grund — und ist nicht etwa darauf zurückzuführen, daß elektronische Datenverarbeitungsanlagen eine besondere Vorliebe für quantifizierbare Problemstellungen hätten.
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Feststellung der programmauslösenden Informationen von der eigentlichen Informationsverarbeitung wird trotz ihrer Problematik nicht eine juristische Darstellungsregel bleiben, sondern im Zuge der Automatisierung darüber hinaus ein Arbeitsteilungsprinzip werden und damit an Bedeutung gewinnen 28 . Auch insofern kann sich der Jurist in seiner Sicht auf die Entscheidungsaufgabe durch die Prämissen und Folgen der Automation bestätigt fühlen. Hieraus ergibt sich nun weiter: Der Jurist kann sich nicht in Aufgaben der Norminterpretation und der beratenden Mitwirkung bei der Programmierung automatischer Datenverarbeitungsanlagen zurückziehen, wenn er seiner Verantwortung gerecht werden will. Auch in den Entscheidungsverfahren, die automatisiert werden, besteht seine Funktion nicht allein darin, die rechtliche Zulässigkeit der in die Maschinenprogramme eingearbeiteten Entscheidungsprämissen zu überwachen. Er muß den Zugang zu den Fallinformationen in der Hand behalten. Deren Prüfung kann natürlich schematisiert werden. Es lassen sich, etwa in Form von auszufüllenden Fragebogen, ganz detaillierte Informationserwartungen vorformulieren, so daß die eingehenden Informationen sogleich in ein festes, programmgerechtes Schema gepreßt und möglichst zugleich auf maschinengerechten Datenträgern festgehalten werden, mit denen sie dann unvermittelt der Datenverarbeitungszentrale zugeführt werden 24 . I n gewisser Hinsicht eignet sich die Rechtsanwendung von der Datenseite her sogar besonders gut zur Automatisierung, weil sie es lediglich mit vergangenen Fällen zu tun hat, deren Informationen nur auf ihr faktisches Zutreffen geprüft werden müssen — im Unterschied zu manchen anderen Anwendungsgebieten, etwa der Betriebs- oder Wirtschaftsplanung, wo die Eingabewerte zum Teil aus Schätzungen über Zukunftsentwicklungen bestehen, die erst durch Gedankenarbeit in Wahrscheinlichkeitsziffern oder fixierte Größenerwartungen umgewandelt werden müssen. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß im Problem der Herrschaft über die Daten ein Brennpunkt möglicher Konflikte liegt 25 . Dem Juristen 23 Siehe auch die scharfe Trennung von „program-evoking step" und „program-execution step" als Grundstruktur der (konditionalen) Entscheidungsprogramme bei March/Simon 1958 S. 146 f. 14 Gerade hieran, an der Vorverlegung der maschinengerechten Datenerfassung bis an die Empfangsgrenzen des Systems, besteht ein wesentliches organisatorisches Interesse, denn jede Datenumformung vor dem Maschinendurchlauf kostet nicht nur etwas, sondern birgt auch erhebliche Fehlerquellen in sich. Vgl. ζ. B. Hoff mann 1961 S. 103 ff.; Johnson u. a. 1963 S. 195 f.; Frielink 1963 S. 23; Chapin 1963 S. 561, 80 f. Zum möglichen Konflikt solcher Bemühungen um „integrierte Datenverarbeitung" mit Anforderungen des positiven Rechts äußert sich kurz auch Fiedler 1964 S. 43 f. 25 Überhaupt ist gerade in stark routinemäßig arbeitenden Organisationen die Kontrolle über verbleibende Reste von Ungewißheit eine Machtposition
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7. Kap. : Funktions- und Arbeitsteilung (II)
werden, wenn er nicht schon im „Antragshaus" 2· sitzt, Interventionsmöglichkeiten und ferner auch die Anregungen aus der laufenden Berührung mit den Einzelfällen, also die Lernmöglichkeiten, abgeschnitten. Da es mit der Lernfähigkeit bürokratischer Organisationen ohnehin schlecht bestellt ist 27 , wird man darauf besonders achten müssen. Es sollte deshalb durch Organisation der Kompetenz- und Unterstellungsverhältnisse dafür Sorge getragen werden, daß die Interpretation der eingehenden Informationen wenn nicht unmittelbar durch Volljuristen, so doch durch Sachbearbeiter erfolgen, die mit Volljuristen eng zusammenarbeiten. Ausnahmen sind natürlich denkbar, vor allem wenn die Entscheidungsverfahren so routiniert sind, daß sie keinerlei Rechtsprobleme mehr aufwerfen — man denke an die Verbrauchsabrechnungen der Stadtwerke, an Telefongebührenabrechnungen und ähnliches. Eine weitere Möglichkeit ist in den bisherigen Überlegungen ausgeklammert worden, muß aber hier doch wenigstens kurz gestreift werden: daß nämlich elektronische Datenverarbeitungsanlagen von der Verwaltung auch zur Analyse von Anträgen und Eingaben eingesetzt werden könnten. Sie könnten zum Beispiel Konsistenz, Vollständigkeit und Glaubwürdigkeit der Angaben des Einsenders überprüfen, wenn dessen Können oder Wollen in Zweifel steht. So wenig praktische Erfahrungen in dieser Hinsicht bisher vorliegen, so zukunftsträchtig ist diese Möglichkeit. Relativ nahe bevor steht wohl bereits die elektronische Analyse von Steuererklärungen und Bilanzen durch das Finanzamt 28 . Sehr einschneidende Möglichkeiten der Überprüfung würden sich vor allem dann erschließen, wenn Daten vergangener Jahre auf Magnetbändern gespeichert und jeweils zum Vergleich und zur Kontrolle mitherangezogen werden würden. Auch hier sind die juristischen Probleme sekundärer Natur. Zwar ist nicht zu verkennen, daß die Steuerhinterziehung damit zum Privileg derjenigen werden könnte, die über eine eigene Anlage, über die Prüfungsprogramme des Finanzamtes und über eigene Zusatzprogramme verfügen. Es dürfte jedoch schwer fallen, darin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zu sehen, da dieser sicher nicht ersten Ranges, die für die inneren Beziehungen im System große Bedeutung besitzt. Vgl. dazu March/Simon 1958 S. 165 f.; Blau/Scott 1962 S. 1751, 241 f. und vor allem Crozier 1963 insb. S. 193 ff. β · Nach Morstein Marx 1959 S. 212 f. 27 Der Begriff der Lernfähigkeit ist hier verstanden als Gegenbegriff zu dem oben S. 32 f. diskutierten Begriff des Willens. Er bezeichnet den umgekehrten Tatbestand, nämlich die Fähigkeit, auf Umweltinformationen durch Änderung der eigenen, strukturierenden Entscheidungsprämissen zu reagieren. 28 Zu amerikanischen Planungen und zu den entsprechenden Befürchtungen der Wirtschaft siehe ζ. B. Morrison 1963 und Jack 1963—64.
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gleiche Chancen für rechtswidriges Handeln garantieren will. Ernsthafter wird man prüfen müssen, welche Rechtsprobleme das neue Ausmaß an Durchsichtigkeit der Geschäftsvorfälle für den Staat aufwirft; denn eine solche Überprüfung könnte natürlich Erkenntnisse abwerfen, die nicht nur für die Festsetzung der Steuern von Belang sind. Hier wird man mit einer überlegten Ausdehnung des Rechts des Amtsgeheimnisses auf Privatgeheimnisse helfen müssen29 und entsprechende organisatorische Vorkehrungen zu treffen haben. Organisatorisch ist im übrigen für diese Art des Maschineneinsatzes bezeichnend, daß hier die Datenverarbeitungsanlage nicht — oder nicht nur — an der Ausstoßgrenze der Verwaltung tätig wird, sondern bereits die Eingänge so, wie sie von außen kommen, überprüft, so daß der Jurist im Einzelfall, wenn überhaupt, erst nach dem Maschineneinsatz zum Zuge kommt, um die Beanstandungen der Maschine zu würdigen. Wir haben nunmehr die Grundlagen beisammen, um nochmals auf die Thesen Karl Zeidlers eingehen und abschließend zu ihnen Stellung nehmen zu können. Zeidler hatte behauptet, daß es durch Automatisierung der Verwaltung zu einer scharfen Trennung von juristisch-verantwortlichen und maschinellen Entscheidungsbeiträgen komme und daß somit ein Teil des Entscheidungsbeitrages der Juristen in die Hände von Mathematikern, Ingenieuren oder gar in die Maschine übergleite, also zu selbständiger Bearbeitung an nicht juristisch vorgebildete oder überwachte Kräfte abgetreten werde, die ihn — das steht zwischen den Zeilen — nicht rechtmäßig verantworten könnten 30 . Diese These der Trennung von Entscheidungsbeiträgen ist richtiger, als Zeidlers Kritiker gemeinhin annehmen, aber nur in ihrem ersten Teil. Die Folgerung einer Abgabe oder Übertragung von Entscheidungsleistungen ist falsch. Wenn man von einer funktionalen Analyse der Entscheidungsbeiträge des Juristen bzw. der Maschine ausgeht — und nur diese Methode ist zum Herausfinden der Konstanten bei Veränderungen geeignet — dann wird das ganz deutlich. Die juristische Funktion geht in keiner Beziehung auf die Maschine über. Die logisch unkontrollierbaren Beiträge zur Unsicherheitsabsorption — und damit: die Verantwortung — bleiben dem Menschen vorbehalten, wenn sie auch zum Teil in anderen Formen, etwa als Mitwirkung bei der Programmierung von Maschinen, erbracht werden. Die Maschine dagegen wird eingesetzt, um ein bisher nicht extra ausgesondertes Problem zu rationalisieren, nämlich die Nachteile der Unterschiedlichkeit des Fallanfalles aufzufangen. Die Streuung der w
Hierzu finden sich Anregungen bei Düwel 1965. So besonders Zeidler 1959 a S. 17. Ahnlich auch Scheerer 1965 S. 104» dessen Ansicht, der Verwaltungsakt müsse „mindestens zum Teil" in der Aufstellung des Rechenprogramms und seiner Freigabe als dem Gesetz entsprechend liegen, in ihrer Unklarheit die ganze Unsicherheit in dieser Frage verrät. w
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Fälle belastet den Juristen, ohne mit seiner Funktion wesentlich zusammenzuhängen. Sie zwang ihn zur Einzelfallarbeit in buntem Wechsel der Daten und Probleme, oder zu so primitiven Behelfen wie dem Sortieren auf den Aktenböcken, ohne für ihn zum Entscheidungsthema zu werden. Die Fallarbeit reduziert sich nun auf die Interpretation eingehender Informationen im Hinblick auf die geltenden Entscheidungsprogramme. Die Folgerungen logischer oder rechnerischer Art kann er abstrakt im voraus ziehen und im Maschinenprogramm zur Verwendung nach Bedarf speichern. Er gibt die Verantwortung für diese Funktion nicht weg, aber es wird ihm ermöglicht, sie generell zu erbringen und das lästige Sortieren der Fallinformationen der Maschine zu überlassen. Das kann es ihm ermöglichen, auf grundsätzliche Rechtsfragen mehr Aufmerksamkeit zu verwenden und seine Unterlagen für Programmentscheidungen eingehender durchzuarbeiten, als dies für die Lösung der gleichen Probleme am Einzelfall „wirtschaftlich" wäre 3 1 . An die Stelle der alten kompakten Bearbeitung einzelner, wechselnder Fälle tritt im Anwendungsbereich der Automation mithin eine funktional differenzierte Arbeitsteilung. Bei der Automatisierung der Gesetzesanwendung wird es, wenn man von Wirtschaftlichkeitserwägungen einmal absieht, typisch nicht um die Frage gehen, ob sie bei bestimmten Gesetzen möglich ist oder nicht, sondern darum, welche Teile des Entscheidungsvorganges sich in maschinenkonforme Routinen fixieren lassen und welche fallweise bedacht werden müssen. Es ist also durchaus möglich, auch Gesetze mit unbestimmten Rechtsbegriffen oder Ermessensklauseln für Maschinenverarbeitung zu programmieren; nur muß dann dafür gesorgt werden, daß der Maschine nicht nur die notwendigen Falldaten, sondern auch gewisse Vorentscheidungen der Interpretation oder Ermessensanwendung von Juristen zugestellt werden. Dabei wird man sich nicht an ein einziges Zeitschema der Zusammenarbeit halten müssen, etwa: erst der Jurist, dann der Computer. Es mag vielmehr Problembereiche geben, wo es sinnvoll ist, nach Feststellung der Fallinformationen erst die Maschine arbeiten zu lassen, die dann dem Juristen für seine Interpretations- und Ermessensentscheidungen aufbereitete Daten oder Entscheidungsalternativen zu liefern hätte 32 . 81 In der gegenwärtigen Einzelfallpraxis des Richters, Verwaltungsbeamten oder Anwaltes fehlt es nicht nur an der Zeit, zur Durcharbeitung von Rechtsfragen, sondern, schlimmer noch, auch an Gelegenheit, grundsätzliche Gedankenarbeit sichtbar und über den Fall hinaus wirksam zu machen. Lediglich die höchsten Gerichte haben hier eine Sonderstellung. Davon abgesehen, werden theoretisch inspirierte Köpfe in der Praxis rasch entmutigt und in dem Gefühl bestärkt, daß es sich nicht lohnt, über das im Einzelfall unumgänglich Entscheidungsnotwendige hinauszudenken. 32 So auch Fiedler 1964 S. 45. Siehe auch Brandtner 1963 S. 701 Ziff. 4. Als allgemeine Betrachtung der gegenwärtigen und künftigen Möglichkeiten der Kooperation von Mensch und Computer vgl. Vazsonyi 1965.
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Oder es kann zweckmäßig sein, während des Maschinendurchlaufs gewisse Problemfälle eigens auszudrucken und dem Juristen zu einer Zwischenentscheidung vorzulegen, die dann eine maschinelle Endfertigung ermöglicht, wenn das Programm das nächstemal auf der Anlage ist 83 . I m übrigen ist es durchaus möglich, auch Ermessensentscheidungen zu programmieren, wenn sie sich hinreichend häufig wiederholen, und zwar nicht die Einzelfälle, wohl aber die Gesichtspunkte vorhersehbar sind, nach denen sie entschieden werden sollen34. Ganz ähnliche Differenzierungen bahnen sich im Bereich des wirtschaftlichen Entscheidens an. Auch hier beginnt man heute bewußt in mehrstufigen Problemlösungsmodellen zu planen, nachdem die Alleinherrschaft des Optimalitätsprinzips gebrochen ist. In einem ersten Abschnitt des Entscheidungsvorgangs werden durch menschliche Wertsetzungen, Wahrnehmungen und Beurteilungsleistungen — also durch Prozesse der Reduktion von Komplexität, in denen der Mensch dem Computer überlegen ist — die Bedingungen fixiert, nach denen dann der Computer — und darin ist er überlegen — durch unerhört raschen Vergleich der so strukturierten Möglichkeiten die „optimale" Lösung zu suchen hat, die aufs Ganze gesehen natürlich nur bedingt optimal (suboptimal) sein kann 35 . Arbeitsteilungen dieser Art haben jedoch — entgegen Zeidler — ihrer Funktion nach nur systeminterne Bedeutimg. Ihre Rückwirkungen auf die Umweltbeziehungen des Systems sind sekundäre Folgeprobleme, die ausgeglichen werden müssen und können. Die neue Organisation des Arbeitsflusses muß, was den Innenaspekt der Systemfunktion angeht, ein vollwertiges Äquivalent für die ältere Praxis fallmäßiger Einzelentscheidungen sein. Die Unbestimmtheitsreduktion wird durch die Automation nicht in Frage gestellt. Sie wird weiterhin erbracht, und zwar gegebenenfalls — nur dann lohnt sich die Sache — mit einem leichteren Gepäck von Verhaltenslasten und Folgeproblemen. Deshalb braucht sich durch die Automation die Typik des Umweltverkehrs der Verwaltung, von Randfragen wie dem Problem der un88
Praktische Anwendungsfälle dieser Anordnung sind mir bisher nicht bekannt geworden. Sie wird erst Bedeutung gewinnen können, wenn die Automation zunehmend auf Rechtsgebiete mit unbestimmten oder zu Ermessen ermächtigenden Normen ausgedehnt wird. Was zur Zeit jedoch schon praktiziert wird, ist ein ähnliches Verfahren auf dem Gebiet der Fehlerkontrolle: Die Maschine wird so programmiert, daß sie Fehler oder Unwahrscheinlichkeiten in der Datenkonstellation oder Lücken in den Daten selbst entdeckt und die betreffenden Fälle — mit oder ohne Unterbrechung der Bearbeitung — zur Nachprüfung durch den Juristen gesondert ausdruckt. Vgl. dazu Kurz/Wanders 1964 S. 21 ff. 54 So auch eine Stellungnahme des hamburgischen Organisationsamtes in: Automation in der hamburgischen Verwaltung S. 8 f. 85 Vgl. hierzu Shelly/Bryan 1964, ζ. B. S. 257 f.
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7. Kap. : Funktions- und Arbeitsteilung (II)
mittelbaren Auskunftsbereitschaft oder der Begründung und Unterschreibung von Verwaltungsbescheiden abgesehen, nicht zu ändern. Es ist keine neue Art verbindlicher Entscheidungen erforderlich, die ganz andersartigen Interessenbewertungen und Rechtskategorien unterworfen werden müßte. Mithin bestehen keine Bedenken dagegen, das Endprodukt des Maschinendurchlaufs auf Grund der geistigen und maschinellen Vorarbeiten, die in ihm stecken, als Verwaltungsakt zu charakterisieren, sofern es sich um eine verbindliche Einzelfallentscheidung handelt. Es mag sein, daß die Lehre vom Verwaltungsakt überprüft werden muß, zum Beispiel in ihrem Verhältnis zu Geldzahlungen oder in bezug auf die normativen Sinnkomponenten des Verwaltungsaktes. Aber hier, wie so oft, deckt die Automation nur Schwächen des gegenwärtigen Zustandes auf, die ohnedies bedacht werden müßten.
Achtes Kapitel
Entscheidungsfehler Wir haben versucht, das Verständnis für das Verhältnis von Recht und Automation zu fördern durch eine Analyse der Entscheidungsbeiträge des Juristen und des Computers in einem verbindliche Entscheidungen anfertigenden Verwaltungssystem. Dieser Forschungsansatz wird sidi bewähren, in dem Maße, in welchem es gelingt, von ihm aus zu den wesentlichen mit der Automatisierung verbundenen Rechtsproblemen Stellung zu nehmen. Wir wählen für diesen Versuch drei relativ zentrale Themen aus und behandeln in den nächsten beiden Kapiteln die Frage der Fehler bei teilautomatisch gefertigten Verwaltungsakten, im übernächsten das Problem der Verantwortlichkeit und im anschließenden Fragen der Wirtschaftlichkeit der Automatisierung in der öffentlichen Verwaltung. Während der Schwerpunkt des ersten Themas an der Grenze zwischen Verwaltung und Publikum liegt, behandelt das zweite eine Frage aus den Beziehungen zwischen dem Verwaltungssystem und seinen Mitgliedern; das dritte betrifft dagegen einen Gesichtspunkt der generalisierenden Leitung der Verwaltung, der primär von politischem Interesse ist. Die drei Themen vertreten also die drei Grenzen der Verwaltung; sie sind untereinander, wie die Grenzen selbst, eng verbunden. Das Fehlerproblem ist für die allgemeine Verwaltungstheorie besonders deshalb interessant, weil im Fehler die strukturelle Differenzierung kollabiert: Der Fehler läßt sich zumeist nicht intern lokalisieren; er schlägt nach außen durch, durchbricht also die Innen/Außen-Differenzierung. Er verschmilzt ferner die Differenzierung von Struktur und Prozeß, indem er (nur) im Arbeitsprozeß auftreten kann, aber (nur) als Abweichung von der programmierenden Normstruktur sichtbar wird, die dadurch betroffen ist. Er verbindet schließlich — ein Effekt, der mit der Automation neue Bedeutung gewinnt — die Sortierungs- und die Richtigkeitsproblematik: Ein Sortierfehler beeinträchtigt die Richtigkeit des Entscheidens, obwohl doch die Arbeitsordnung Sortiertechnik und Richtigkeitsüberlegung grundsätzlich getrennt hatte. I m Fehler bricht für einen Moment das strukturell differenzierte System wie im Kurzschluß zusammen. In diesem Augenblick scheint alles möglich zu sein. Unweigerlich ist das System als Ganzes betroffen, und daher muß nicht nur der Fehler korrigiert, sondern zumeist auch das System als Ganzes
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8. Kap.: Entscheidungsfehler
durch ein rituelles Opfer, durch technische Isolierung oder kausale Erklärung des Fehlers, durch eine Geste der Entschuldigung oder auf andere Weise gereinigt und wiederhergestellt werden. Gleichwohl ist der Fehler nicht eine Art Naturkatastrophe, die von außen über das System hereinbricht, sondern eine Interpretation von Ereignissen, die nur innerhalb einer eigens darauf vorbereiteten Erwartungsordnung möglich ist 1 und eine bereits verarbeitete Umweltproblematik voraussetzt. Der Fehlerbegriff ist schon eine interne Kategorie der Erlebnisverarbeitung, die Definition als Fehler schon ein erster Schritt zur Bewältigung des Problems. Als Fehler werden beabsichtigte oder unbeabsichtigte Verstöße gegen formale (in diesem Zusammenhang immer: rechtlich relevante) Entscheidungsprämissen bezeichnet, und zwar sowohl Verstöße gegen Programmprämissen als auch in bezug auf Falldaten. Die Behandlung einer Normabweichung als Fehler impliziert, daß keine andere Normordnung zugelassen wird, von der aus gesehen die Abweichung als sinnvoll, als richtig erscheinen könnte; sie impliziert eine künstliche Schließung des Werthorizontes. Die Charakterisierung als Fehler grenzt diese Art von Verstößen daher gegen solche ab, die mit der Behauptung der Richtigkeit verbunden sind: gegen be wußte Rebellion, gegen Neuerungsversuche und gegen zugelassene Kontroversen8. Da in bürokratischen Organisationen offene Rebellion praktisch nicht vorkommt — würde sie doch zwangsläufig mit der Auflösung des Mitgliedschaftsverhältnisses enden — und da zugelassene Auslegungsstreitigkeiten und Neuerungen nur vor der Entscheidung ausgefochten werden dürfen, ist es faktisch unumgänglich, Verstöße von Entscheidungen gegen Entscheidungsprämissen als Fehler darzustellen, und das heißt: sie als peinlich zu empfinden, sie zu bereuen und auf die eine oder andere Weise für die Bereinigung des fehlerhaften Zustandes zu sorgen. Die Furcht vor dem Fehler ist deshalb in allen Bürokratien eine verbreitete Erscheinung. Deren Auffälligkeit darf indes den Blick auf die ihr zugrunde liegende latente Struktur nicht versperren. Zunächst einmal ist die klare Unterscheidbarkeit von Fehler und Nichtfehler ein Mechanismus der Abwehr von Angst, sie gewährt Sicherheit 8. M a n ist nicht mehr unklaren Bedingungen der Bewährung und Akzeptierung, nicht dem Glück oder Unglück ausgeliefert; jeder weiß, was von ihm erwartet wird: unter welchen Umständen er vor den Augen der ande1
Vgl. Luhmann 1964 d S. 251 ff. * Vgl. hierzu Luhmann 1964 d S. 256 ff. Siehe auch die Ausarbeitung einer entsprechenden Unterscheidung von nonconforming und aberrant behavior bei Merton 1961 S. 725 ff. 3 Daß es zu einer Absicherung gegen Angst einer internen Umdefinition der Systemprobleme bedarf, die aus ungewissen Chancen und Risiken die Möglichkeit schafft, fehlerfrei bzw. fehlerhaft zu handeln, zeigt besonders eindrucksvoll Menzies 1960.
8. Kap.: Entscheidungsfehler
ren bestehen kann, wie immer die tatsächlichen Folgen des Handelns ausfallen mögen. Die Juridifizierung oder sonstige Formalisierung von Verhaltenserwartungen ist eine Umdefinition ursprünglicherer Systemprobleme. Sie hat in bezug auf die Mitglieder des Systems den Sinn, die Ungewißheit des rein erfolgsabhängigen Handelns zu beseitigen, Fehlervoraussicht zu ermöglichen und dadurch die unstrukturierte Angst zu beheben oder sie doch in eine erträgliche, bearbeitbare Fassung zu bringen. Unter diesen allgemeinen strukturellen Bedingungen ist es kein Wunder, daß das Fehlerproblem die Aufmerksamkeit des Bürokraten in hohem Maße beansprucht. Fehlerfreiheit, reibungsloser Durchlauf ist für ihn fast schon Erfolg 4 . Dies gilt besonderes für jene Teile der Verwaltung, die unter Konditionalprogrammen arbeiten. Zweckprogramme sind weniger fehlerempfindlich. Schließlich kann man mit etwas Geschick wohl immer Folgen des eigenen Handelns finden, die förderungswürdigen Zwecken dienen; und die Kosten werden zumeist anderswo, nicht sogleich und in unklarem Wertverhältnis zum Zweck beglichen5. Konditionalprogramme sind dagegen der Tendenz nach eindeutig, die durch sie geregelten Entscheidungen entweder richtig oder falsch. Somit nähern sich Konditionalprogramme der im Fehlerbegriff vorausgesetzten Idealbedingung, daß es unerheblich ist, wer darüber entscheidet, ob ein Fehler vorliegt oder nicht. Fehler sind Fehler®. Und obwohl es auch hier eine Fülle von Strategien gibt, das Fehlerrisiko zu mindern, zu verlagern oder zu teilen, für Verteidigungsmöglichkeiten vorzusorgen bzw. die Fehler nachträglich zu bagatellisieren 7, bleibt ein peinlicher Rest zu büßen und abzutragen 8. 4
Vgl. ζ. B. Dale 1941 S. 23f., 100 f. und passim; Juran 1944 S. 43 ff.; Milward 1950 S. 218. 5 Nur das strenge Optimierungsprinzip vermag auch hier eine Bewertungsgrundlage zu behaupten, die es erlaubt, alle Abweichungen als fehlerhaft zu behandeln. So kennt der klassische Utilitarismus „no other alternative type of norm in relation to which such departures from rationality may be measured" (Parsons 1937 S. 65). Durch das Optimierungsprinzip steigert sich also der wirtschaftswissenschaftliche Rationalismus zu der klaren Unnachsichtigkeit des Juristen, der jede Abweichung unbesehen als fehlerhaft behandelt. • Praktisch ist es natürlich auch unter Juristen nie ganz unerheblich, ob engere Kollegen oder Vorgesetzte oder Rechnungshöfe oder Gerichte die Fehlerkontrolle ausüben. Deswegen — und nicht nur wegen des erforderlichen Fachwissens — muß der Jurist auf eine Fehlerbestimmung durch juristische Kollegen im weiteren Sinne Wert legen. Aber die Frage hat bei weitem nicht die Bedeutung wie bei Zweckprogrammen (zu deren Personabhängigkeit vgl. oben Kap. 5 Anm. 34), oder beim Problem ärztlicher oder sonstiger professioneller Kunstfehler. 7 Hierzu und zur beruflichen Einstellung zum Fehler allgemein: Hughes 1951. Ein speziell zum Gebrauch in Verwaltungen geeignetes Handbuch über den Umgang mit Fehlern ist meines Wissens noch nicht geschrieben worden; man bleibt auf heimlich tradiertes Wissen angewiesen. 8 Auf diesen Unterschied von Zweckprogrammen und Konditionalprogram-
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8. Kap. : Entscheidungsfehler
Die Fehlerfaszination in der Bürokratie und besonders die entsprechende Berufsperspektive des Juristen darf indes nicht dazu verleiten, das Problem an sich zu überschätzen, ohne es näher zu untersuchen. Die Verwaltungswissenschaft muß sich davor hüten, die Perspektiven ihres Gegenstandes kritiklos zu übernehmen. Sie würde dabei ein Opfer des „erkenntnispraktischen Vorrangs des Pathologischen"9 werden, der die Erkenntnis verzerrt. So fehlt es in neueren organisationswissenschaftlichen Publikationen nicht an warnenden Stimmen, die auf die Nachteile dieses künstlich zugespitzten Fehlerbewußtseins hinweisen 10 . Und allgemein kommen mit der wachsenden Kritik an der rationalistischen, individualethischen Überforderung des Einzelmenschen11 die sozialstrukturellen Bedingungen auch des enttäuschenden, abweichenden Verhaltens in den Blick 12 . Nun sind jedoch die gesellschaftlichen Funktionen und Umweltbedingungen der Staatsverwaltung von besonderer Art, und wie wir beim Vergleich mit Privatverwaltungen schon sahen 13 , rückt das Fehlerpromen ist es auch zurückzuführen, daß — wie ich an anderer Stelle (1965 a S. 32, 43) zu zeigen versucht habe, bei Vorherrschen von Zweckprogrammen (Polizeistaat) das öffentliche Entschädigungsrecht unter dem Gesichtspunkt von Kosten der Mittel (Aufopferung, Enteignung), bei Vorherrschen von Konditionalprogrammen (Hechtsstaat) dagegen unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes für Fehler (Staatshaftung) aufgebaut werden muß. • Diese warnende Formel stammt von Gehlen 1957 S. 85. 10 Vgl. z.B. Jaques 1951 S. 288; Worthy 1959 S. 110; Haire 1962 S. 172 f.; Katz 1962 S. 173 als allgemeine Stellungnahmen. In weiten Fachkreisen wird heute besonders von Vorgesetzten Nachsicht bei Fehlern ihrer Untergebenen (permissive leadership) gefordert; vgl. die Literaturangaben bei Luhmann 1964 d S. 309 Anm. 15. Dabei tauchen beachtliche psychologische, soziologische und organisatorische Argumente auf: Die Notwendigkeit, Angst zu neutralisieren und hemmende Defensiven abzubauen, spontane Mitarbeit zu wekken, eine Sicherheitsgrundlage für Initiativen zu geben, die Lernfähigkeit bei riskantem Handeln zu steigern. Andererseits liegen die Schwächen dieser humanen Appelle auf der Hand: Sie übersehen die Beweglichkeit des menschlichen Anspruchsniveau — Toleranz von Fehlern wird die kritische Schwelle der Fehlervorsicht ändern und mehr Fehler zu Folge haben. Sie verkennen, welcher Vorteil gerade unter dem Gesichtspunkt der Angstreduktion bereits in der Fehlerklarheit, in der Fixierung auf bestimmte Anforderungen und Gefahren liegt. Und sie behandeln das Problem ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Motivation, also an der „Mitgliedergrenze" des Systems, ohne die Konsequenzen für andere Systemgrenzen, ζ. B. die zu den Leistungsabnehmern, zu bedenken (während die klassische Auffassung in umgekehrter Einseitigkeit diese Grenze allein im Auge hatte). Es fehlt an einer koordinierenden, alle Systemgrenzen berücksichtigenden Theorie des Fehlerproblems. 11 Dazu schon oben S. 56. 12 In den Vereinigten Staaten wird diese Auffassung unter dem Kennwort „deviant behavior" bereits ganz schulmäßig dargestellt. Siehe etwa den von Merton und Nisbet 1961 herausgegebenen Lehrtext oder Clinard 1963. Als bemerkenswerte Monographie vgl. Becker 1963; ferner als Überblick über Theorie und Problemstand Cohen 1965. 19 Vgl. oben Kap. 2.
8. Kap.: Entscheidungsfehler
blem aus diesem Grunde in eine kritische Stellung. Die Maschine liefert nicht nur Entscheidungsunterlagen, deren Mängel in der weiteren internen Datenverarbeitung entdeckt werden oder im Zuge weiterer Umformungen und Informationsverdichtungen auf dem Wege zur Endentscheidung an nachweisbarer Bedeutung verlieren; sie liefert die Entscheidungen selbst. Sie produziert das Produkt, um dessentwillen die Verwaltung eingerichtet ist. Unter den Anforderungen an dieses Produkt steht die rechtliche Richtigkeit und die durch sie gewährleistete Gleichheit der Entscheidungsempfänger an erster Stelle. Rechtsfehler widersprechen dieser Gleichheit und sind daher im Prinzip nicht tolerierbar. Das gilt nicht nur dann, wenn man Rechtsnormen, obwohl Menschenwerk, als absolute Verhaltensgebote ansieht; es gilt ebenso für den, der mit sozialwissenschaftlichen Methoden ihre Funktion analysiert und sie als relative, änderbare Systemleistungen erkennt. Denn die Unbedingtheit der Rechtsgeltung ist das tragende Strukturmoment des modernen Rechtsstaates. Man kann sich dies durch eine Kontrollüberlegung verdeutlichen: Wollte die Verwaltung eine rechtlich fehlerhafte Entscheidung zum Nachteil bestimmter Umweltinteressen bestehen lassen, ohne durch besondere Rechtsgründe (zum Beispiel Rechtskraft) dazu berechtigt zu sein, dann würde der Fall die Tendenz bekommen, als Einzelfall ein Politikum zu werden, das heißt: strukturwidrig die Grenze zwischen Publikum und Politik überschreiten. Man sieht daran, daß ein solches Verhalten zwar in der Gesamtordnung des politischen Systems korrigiert werden kann, nämlich auf politischem Wege, daß es aber mit der Struktur dieser Gesamtordnimg, ihrer Trennung von Publikum, Politik und Staatsbürokratie, nicht vereinbar ist. Außerdem ist bei der Rechtsanwendung von Bedeutung, daß die Entweder/Oder-Struktur des Rechts auf die Eingabedaten, die „Tatbestände", rückprojiziert wird. Die Darstellung der Rechtsanwendung geht davon aus, daß Tatsachen entweder sind (bzw. gewesen sind) oder nicht, so daß auch die Eingabewerte stets eindeutig richtig oder falsch sein müssen. Auch das treibt die Fehlerfrage auf die Spitze — im Gegensatz etwa zur privatwirtschaftlichen Datenverarbeitung, der häufig mehr oder weniger grobe Schätzungen zugrunde liegen, so daß schon deshalb die Fehlertoleranz größer sein kann 14 . Erschwerend kommt schließlich hinzu, daß der wichtigste Mechanismus der Absorption von Fehlern, eine enge Rückkopplungsbeziehung im Kommunikationsnetz, die Fehler sofort zurückmeldet und ihre Beseitigung veranlaßt, hier infolge der Trennung von System und Umwelt 14
Vgl. dazu Schuff 1964 S. 75.
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8. Kap.: Entscheidungsfehler
praktisch versagt 15 . Das Publikum steht den Entscheidungsprogrammen und Entscheidungsbedingungen der Verwaltung im großen und ganzen zu fremd gegenüber, als daß es fehlerempfindlich reagieren könnte. Eine selbstverantwortliche Fehlerkontrolle kann ihm nur in engen Grenzen, bei offenkundigen Fehlern, zugemutet werden. Und das ist nicht etwa eine bedauerliche Nachlässigkeit der Verwaltungskunden, sondern ein typisches Kennzeichen einer Sozialordnung mit starker sozialer Differenzierung und Spezialisierung. Das Publikum verarbeitet die Mitteilungen der Verwaltung mit vollem Recht unter andersartigen Erlebnisbedingungen, so daß Verwaltungsfehler eine große Chance haben, unentdeckt zu bleiben; und das heißt: Wirkungen zu entfalten, die nicht mit einem Federstrich wieder aus der Welt geschafft werden können. Wir kommen im nächsten Kapitel, bei der Behandlung von Berichtigungsmöglichkeiten, darauf nochmals zurück und halten hier nur fest, daß das Fehlerproblem auch aus diesem Grunde für die öffentliche Verwaltung besonders heikel ist. Mit gutem Recht — und nicht allein wegen der juristischen Berufsperspektive — haben daher juristische Betrachtungen der Automation das Fehlerproblem zu ihrem zentralen Thema gemacht1·. Andererseits besteht gar kein Zweifel, daß in Entscheidungssystemen, die mit variablem „Input" arbeiten, Fehler unvermeidlich sind 17 . Audi sind elektronische Digitalrechner von ihrem Konstruktionsprinzip her zunächst einmal besonders fehlerempfindlich, weil sie die Information durch den Stellenwert eines Impulses (1 oder 0 an bestimmter Stelle) und nicht etwa durch die Frequenz einer Impulsfolge ausdrücken, so daß ein einziger Fehlimpuls den Sinn der Nachricht völlig entstellt. Trotzdem wird die Automation durch die Vielzahl der Kontrollmöglichkeiten, die ihre Geräte eröffnen 18 , in absehbarer Zukunft, wenn nicht schon heute, eine sehr viel fehlersicherere Datenverarbeitung ermöglichen, als dies der menschlichen Kopfarbeit gegeben ist1®. Aber wie dem auch sei 15 So wird denn auch bei der Anwendving dieses „feedback M-Prinzips auf soziale Systeme die Rückkoppelungsschleife zumeist als interne Angelegenheit des Kommunikationssystems gesehen; vgl. ζ. B. Thompson 1964 S. 103 ff. oder den Uberblick über experimentelle Forschungen bei Zander/Wolfe 1964 S. 67. Das gilt auch für Crozier 1963, der im Nichtfunktionieren solcher Rückkoppelungen das definierende Merkmal des „bürokratischen" Charakters von Verwaltungen sieht (insb. S. 246 f.). u Vgl. Forsthoff 1959 S. 61; Jähnig 1962S. 43 ff.; Bull 1964 S. 139 ff. 17 Dieses Urteil etwa bei Johnson u. a. 1964 S. 379. 18 Einen guten Überblick geben Neubert 1959 S. 52 ff. und Schuff 1964. 19 Audi heute schon wird der hohe Grad an Fehlerfreiheit bei elektronischer Datenverarbeitung als Argument für die Automation, ζ. B. für ihre Wirtschaftlichkeit, benutzt; vgl. Hofmann 1957 S. 151; Springholz 1959 S. 40; Neuloh 1961 S. 93; Chapin 1963 S. 24; Jaeggi/Wiedemann 1963 S. 151; Roemheld 1964 S. 568 (gestützt auf die Erfahrungen des Niedersächsischen Rechen-
8. Kap.: Entscheidungsfehler
— die quantitative Größe der Fehlerquote ist für den Juristen ziemlich uninteressant: Er denkt in Wenn-Dann Programmen und die Frage ist, was zu geschehen hat, wenn ein Fehler passiert ist 20 . Für diesen Fall, wie oft er auch auftritt, müssen Fehlerabwicklungsprogramme bereitgehalten werden. Daraus ergibt sich auf den ersten Blick und im großen und ganzen sicher mit Recht, daß die Automatisierung der Verwaltung für die Behandlung ihrer Fehler keine Bedeutimg hat. Automation ist genauso wenig eine Entschuldigung — ein Grund für Ungleichbehandlung des Bürgers! — wie menschliches Versagen 21 . Der Konflikt zwischen Unzentrums, über die in einer nicht veröffentlichten Stellungnahme des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes zum Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes über die Verwendung von Lochkarten- und elektronischen Rechenanlagen bei der Zahlung von Bezügen vom 1. 9. 1964 nähere Angaben gemacht sind); Bull 1964 S. 141. Siehe auch Morstein Marx 1959 S. 212 f. zur Möglichkeit, als Folge der Automatisierung das Übermaß interner Verwaltungskontrollen abzubauen. Andererseits fehlt es, auch abgesehen von den bekannten Vorfäüen in der Rentenversicherung, an Skandalgeschichten nicht. Die Rechnungshöfe nutzen ihr gutes Recht zu zweifeln. Vgl. auch Bachthaler 1964 S. 276 ff. Für einen exakten Vergleich fehlen, selbst wenn man ihn notgedrungen auf die Quote der entdeckten Fehler beschränken würde, statistische Unterlagen. Davon abgesehen, muß man auch berücksichtigen, daß der Computer eigenen und fremden Fehlern gegenüber, selbst wenn er sie entdeckt, ziemlich hilflos ist. Fehlerentdeckung, -suche und -korrektur während des Maschineneinsatzes kann eine umständliche und kostspielige Angelegenheit werden (Chapin 1963 S. 165 ff.). Da der Mensch in der Behandlung entdeckter Fehler sehr viel findiger ist, kann er sich auch mehr Fehler leisten. Dies Problem bereitet jedoch hauptsächlich bei komplizierten, langwierigen Maschinendurchläufen, also bei wissenschaftlichen und technischen Berechnungen, Kopfzerbrechen. Bei Massenfertigung von „kleinen" Einzelentscheidungen, wie sie für die öffentliche Verwaltung typisch ist, wird man den Ausweg wählen, das Maschinenprogramm so einzurichten, daß die Maschine möglichst alle Fehler selbst entdeckt und mitteilt, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. Die Fehler werden dann zwar „gemacht", die fehlerhaften Entscheidungen können auch nicht mehr angehalten werden. Sie werden abgesandt, aber zugleich durch einen „manuell" gefertigten zweiten Bescheid korrigiert. 20 Gleichwohl werden wir uns weiter unten (S. 99 ff.) unter rechtspolitischem Blickwinkel auch für Fragen der Fehlerhäufigkeit, Fehlertypik und Fehlerquellen interessieren müssen. 21 So die wohl herrschende Meinung, soweit es um die Bestandskraft fehlerhafter Verwaltungsakte geht. Vgl. ζ. B. die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 16.6.1964, DVB1. 79 (1964) S. 769 ff.; ferner Vogel 1959 S.32; Ule 1962 § 42 VwGO Anm. IV, 7; ders. 1963 Anh. zu § 32 V I I I ; Bull 1964 S. 145. Für ein Sonderrecht der Automatisierung mit Konsequenzen bei der Fehlerabwicklung hat sich namentlich Zeidler 1959 a eingesetzt Nach ihm etwa Langkeit in einem Diskussionsbeitrag in der sozialrechtlichen Arbeitsgemeinschaft des 45. Deutschen Juristentages (für eine befristete Berichtigungsmöglichkeit); ähnlich Voss 1960 b im Rahmen von § 92 Abs. 3 AO. Anders — nämlich im Sinne unterschiedlicher Konsequenzen von Menschenfehlern und Maschinenfehlern — wird nach geltendem Recht die Frage der Staatshaftung für Fehler zu beurteilen sein, da § 839 BGB auf menschliches Verschulden abstellt, das die bisher bekannten Rechenautomaten noch 6 Speyer 29
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8. Kap.: Entscheidungsfehler
akzeptierbarkeit und Unvermeidbarkeit von Fehlern ist ein allgemeines Systemproblem der öffentlichen Verwaltung und unabhängig von der Frage, ob und wieweit sie automatisch arbeitet. Auch bei reiner Kopfarbeit muß die Organisation intern auf eine bestimmte Fehlertoleranz eingestellt werden. Würde das Höchstmaß an denkbarer Fehlersicherheit rechtlich geboten sein und angestrebt werden, würde etwa alle Arbeit zur Sicherheit doppelt und dreifach gemacht oder auch nur im Detail beaufsichtigt werden, entstände ein System, das zu aufwendig wäre, um als rational gelten zu können. I m gleichen Sinne ist die Fehlersicherheit des Computers zum Teil eine Frage des für Kontrollzwecke zur Verfügung stehenden internen Speicherraums und der Kapazität der Kanäle, des Aufwandes für Lochprüfung usw., also ebenfalls eine Frage der Kosten 22 . Demgemäß wird die Organisationstheorie wie schon die Theorie der elektronischen Datenverarbeitung zu einem eigenen Fehlerbegriff kommen müssen, der statistischen Charakter hat und dazu dient, die Fehlerwahrscheinlichkeit in bestimmten Organisationssystemen zu beurteilen, den Problembezug für fehlerentdeckende und fehlerbeseitigende Einrichtungen zu definieren und eine Abschätzung ihres Wirkungsgrades zu ermöglichen. Das Fehlerpotential eines Systems muß sich in diesem begrifflichen Bezugsrahmen durchrechnen und beurteilen lassen unabhängig von den Kenntnissen, mit denen im Einzelfall anhand der Wirklichkeit bzw. im Hinblick auf Normen festgestellt werden kann, ob eine Information zutrifft oder nicht, eine Entscheidung richtig ist oder nicht 23 . I n jedem Falle muß aus Rationalitätsgründen, also sozusagen „freiwillig", eine Fehlerquote in Kauf genommen werden, die über dem technisch und organisatorisch denkbaren Fehlerminimum liegt. Das wird auch in der juristischen Literatur erkannt und anerkannt 24 . Eine Organicht simulieren können. Diese Verschiedenbehandlung von Bestandsproblem und Ersatzproblem im geltenden Recht dürfte sich nach einem genauen Durchdenken des Problems rechtspolitisch kaum halten lassen. Zur Zeit muß man sich damit begnügen, auf so gewundenen Pfaden wie den Instituten des enteignungsgleichen Eingriffs oder der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung diese Unebenheiten zu korrigieren und dem geltenden Amtshaftungsrecht ein richterliches an die Seite zu setzen, das kein Verschulden voraussetzt. Siehe dazu Heidenhain 1965 und kritisch Luhmann 1965 a. " Siehe Gregory/Van Horn 1963 S. 526f.; Kramer 1962 S. 2011; Schuff 1964 S. 741; Schnelle 1964 S. 396 spricht von dem Problem, ein ökonomisch sinnvolles Maß für Fehler zu ermitteln. 23 Diese Abstraktion der Systemperspektive berechtigt den Fachmann für elektronische Datenverarbeitung indes nicht, die üblichen Vorstellungen über die Begriffe richtig und falsch als „laienhaft" zu bezeichnen (so Schuff 1964 S. 14). Ebenso „laienhaft" wären seine statistischen Begriffe, wenn es darum ginge, die rechtliche Richtigkeit einer Entscheidung zu beurteilen. 24 Vgl. Becker/Luhmann 1963 S. 9 ff. Vgl. auch Baum 1961 S. 1161 über die Akzeptierung einer Fehlerquote von 3 ®/o im Bereich der amerikanischen Civil Service Commission: „This, of course, is an unwritten guideline" (116).
8. Kap. : Entscheidungsfehler
nisation, die so verfährt, ist deswegen noch nicht rechtswidrig, obwohl sie Unakzeptierbares akzeptiert. Das Rechtsproblem liegt ähnlich wie bei dem bekannten Rechtsinstitut der Gefährdungshaftung: Ein riskantes Handeln wird erlaubt, obwohl ein zu mißbilligender Schaden prinzipiell, wenn auch nicht im Einzelfall, vorausgesehen wird. Trotz dieser allgemeinen Natur des Problems lohnt sich im Zusammenhang dieser speziellen Untersuchung ein näheres Eingehen auf die zur Verfügung stehenden und die sonst denkbaren Fehlerabwicklungsprogramme — einmal, weil erst die Automation hier wie an vielen anderen Stellen Fragen aufgewirbelt hat, die man sich eigentlich auch vor ihr und unabhängig von ihr längst hätte stellen können; zum anderen weil sich doch die Möglichkeit nicht a priori abweisen läßt, daß es mehrere juristisch äquivalente, aber mehr oder weniger „automationsgerechte" Fehlerabwicklungsprogramme gibt. Die Behandlung dieser Fragen wird einigen Raum beanspruchen. Wir wollen ihr daher ein weiteres Kapitel widmen.
Neuntes Kapitel
Die Programmierung der Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum I m Rahmen der allgemeinen Strukturbedingungen des Rechtsstaates, dessen verfassungsmäßigen Selbstbeschränkungen und gewisser vorgegebener Problemkonturen, zum Beispiel des Unterschiedes von begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten, können Fehlerabwicklungsprogramme verschieden ausgestaltet werden. Es besteht ein gewisser rechtspolitischer Entscheidungsspielraum. Bei dessen Ausfüllimg wird man sich nicht allein auf die Auslegung von Verfassungsnormen stützen können; man wird die Stellung der rechtlich strukturierten Staatsverwaltung in der modernen differenzierten Sozialordnung in ihrer empirischen Wirklichkeit und ihren funktionalen Problemen vor Augen haben müssen. Wenn wir zu diesem Zweck zu unserer Ausgangsformulierung, der Auffassung der Staatsbürokratie als sozialen Systems zur Herstellung verbindlicher Entscheidungen, zurückkehren, wird ein wichtiges Moment dieser Ordnung scharf herausgestellt: die Tatsache — und die Ordnungsleistung! — einer Grenze zwischen Verwaltungssystem und Umwelt. Die innere Arbeitslogik des Verwaltungssystems ist nicht ohne weiteres umweltrelevant oder auch nur umweit verständlich; sie ist auf besondere Problemverarbeitungsprobleme spezifisch zugeschnitten. Wir haben diesen Tatbestand mit der Unterscheidung von Herstellung und Darstellung bereits berührt 1 . Er findet auch in der internen Einplanung extern nicht akzeptierbarer Fehlerquoten Ausdruck. Seine Rechtsform erhält dieser Gedanke durch das universalistische Prinzip der Gleichbehandlung: Die Entscheidungspraxis soll keine partikularen Motive der besonderen Nähe zwischen Personen innerhalb und außerhalb der Verwaltung reflektieren. Sie soll in sich konsequent sein. Und Konsequentsein distanziert. I n der soziologischen Betrachtung erscheint das gleiche Grenzphänomen als Rollentrennung 2. Die Verwaltung „besteht" aus Rollen (nicht 1
Vgl. oben S. 51. Mit diesem Begriff versucht die neuere Organisationssoziologie das idealtypische Bürokratiemodell Max Webers auf die Wirklichkeit zu beziehen und 1
9. Kap. : Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
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aus Personen), die nur in spezifisch zugelassenen Formen unter abstrakten Kriterien mit der Umwelt verkehren. Über das Ausmaß der Interaktionen zwischen System und Umwelt ist damit noch nichts Bestimmtes ausgesagt. Keinesfalls bedeutet Grenzziehung eine Verminderung von Kommunikationen 8 , im allgemeinen wohl eher eine Vermehrung, weil der Verkehr spezifiziert und dadurch erleichtert wird 4 . Alles in allem ist die Staatsverwaltung mithin ein relativ autonomes, gegen ihre Umwelt abgegrenztes Informationsverarbeitungssystem, das sich gerade wegen der Intensität und Vielfalt seiner Beziehungen zu einer widerspruchsreichen Umwelt nicht an Handlungen, Bestrebungen, Interessen und Entscheidungswünschen der Umwelt direkt, sondern primär an den eigenen, generalisierenden Strukturentscheidungen orientieren muß. Zu diesen grundsätzlichen Erwägungen sind wir deshalb noch einmal zurückgekehrt, weil sie die schwachen Stellen in dem zur Zeit geltenden oder dem diskutierten Fehlerabwicklungsrecht scharf beleuchten und unsere Kritik am gegenwärtigen Rechtszustand tragen werden. I m geltenden Recht ist die Korrektur von Verwaltungsfehlern und ihrer Folgen durch eine Reihe von Rechtsinstituten, die nicht im Zusammenhang gesehen werden, sehr kompliziert geregelt. I m großen und ganzen läuft sie bei belastenden Verwaltungsakten entweder über die Fortdauer der Anspruchsgrundlage (mit der Möglichkeit, neue Anträge zu stellen) oder über gerichtlichen Rechtsschutz und, wenn dieser den Schaden nicht voll deckt, über Amtshaftung wegen Beamtenverschuldens; bei begünstigenden Verwaltungsakten dagegen über eine richterliche Interessenabwägung und zum Teil über der Verwaltung zugestandene Berichtigungsmöglichkeiten5. I n diesem Repertoire von Fehlerabwicklungsmöglichkeiten finden wir mindestens drei Denkfiguren, die in unsere Vorstellung des Verwaltungsstaates und seiner gesellschaftlichen Umwelt nicht hineinpassen: das Kriterium des Beamtenverschuldens, das Prinzip der dort empirisch zu untersuchen. Die Unpersönlichkeit, Objektivität und Gefühlsneutralität des bürokratischen Verhaltens wird als Ausdruck einer Rollentrennung verstanden. Vgl. für sehr verschiedene Versionen dieser gemeinsamen Konzeption z. B. Francis/Stone 1956; Eisenstadt 1959; Thompson 1961 S. 161 ff.; Riggs 1961 insb. S. 126 ff., 136 ff.; Udy 1962; Simon 1964 insb. S. 11 ff., 14 ff.; Parsons 1961 S. 247; ders. 1964 S. 347; Scott 1964 S. 500 f.; Luhmann 1964 d S. 46 ff., 64 ff. 3 Dies gegen eine verbreitete Auffassung, vertreten z. B. von Chappie 1962 S. 69 und von Deutsch 1963 S. 205, die den Systembegriff dadurch quantitativ definieren wollen, daß mehr interne Kommunikationen stattfinden als externe. 4 So wohl audi Deutsch 1953 S. 100 und passim, wenn er meint, daß soziale Mobilisierung das Kommunikationspotential vermehre. 5 Weitere Rechtsinstitute, die in diesem Zusammenhang nur nebensächliche Bedeutung haben, so die Entschädigung für enteignungsgleichen Eingriff, die Folgenbeseitigung, die Entschädigung für Aufopferung und die öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung, lassen wir, um den Überblick nicht unnötig zu erschweren, außer acht.
9. Kap. : Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
Interessenabwägung und die Lehre von den Berichtigungsmöglichkeiten bei Entgleisungen. Die Annahme, daß ein persönliches Verschulden des Beamten den Staat zum Schadensersatz verpflichte, ist in seltsamem Kontrast zur herrschenden Staatswillens- und Organtheorie über juristische Konstruktionen in das Recht eingeführt worden, die in rein hauswirtschaftlichen Denkmodellen ihren Ausgangspunkt hatten®» Sie mochte hingenommen werden, solange das Verhältnis von Staat und Bürger treffend durch den Gegensatz von „oben" und „unten" ausgedrückt werden konnte. Der Bürger schien danach dem Staate auch bei rechtswidrigem und schuldhaftem Handeln ausgeliefert zu sein. Seine Wehrlosigkeit mußte wenigstens in den krassen Fällen kompensiert werden. Das alles ist heute anders 7. Wenn wir demzufolge die Staatsverwaltung als Mehrgrenzensystem verstehen, wird deutlich, daß mit der Auffassung der Staatshaftung als Haftung für Beamtenverschulden die Kategorien zweier Systemgrenzen verwechselt werden: Der Verschuldensbegriff gehört zur Motivationsproblematik der Mitgliedergrenze 8 . Er hat mit der Publikumsgrenze nichts zu tun. Die Entwicklung zu rational-bürokratischen Verwaltungssystemen geht eindeutig dahin, diese beiden Grenzen getrennt zu halten. Ein „Durchschlagen" der Problematik einer Grenze in die andere muß nach Möglichkeit vermieden werden®. Das bringen die bereits berührten Begriffe der Programmorientie• ζ. B. in der Rechtsstellung des Sklavenhalters. Dazu und dagegen bereits Stryk 1698 S. 35. 7 Vor allem, aber nicht nur, infolge des Ausbaus der Gerichtsbarkeit in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Wie sehr dies heute noch immer wieder verkannt wird, zeigt die Entscheidung des Großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. 4. 1954, BGHZ 13 S. 88 ff. (93), wo die Gleichbehandlung rechtswidriger und rechtmäßiger Eingriffe durch das Institut des „enteignungsgleichen Eingriffs" damit begründet wird, daß der Betroffene die rechtswidrigen Eingriffe ebenso wie die rechtmäßigen hinnehmen müsse, „ohne daß ihm die Abwehrmöglichkeiten des Privatrechts (sie) zur Seite stehen". Als Pfeiffer 1828 S. 370 dieses seitdem geläufige Argument erfand, gab es noch keinen vollen Rechtsschutz im öffentlichen Recht. 8 So sucht denn auch Katzenstein 1935 die Beibehaltung des Verschuldensprinzips ausdrücklich mit Erwägungen der Beamtenmotivation zu begründen. Er begründet jedoch nicht, weshalb der Bürger die Kosten der Beamtenerziehung in so merkwürdig ungleicher Zufallsstreuung tragen soll. • Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat zum haftungsrechtlichen Anknüpfungsbegriff der „faute de service". Sie läßt die individuellen Umstände eines etwaigen persönlichen Verschuldens von Beamten wohlweislich im Dunkeln, wahrt damit die Anonymität des Verwaltungshandelns und trennt so die Mitgliedergrenze von der Publikumsgrenze. Das Mitgliederhandeln braucht in Haftungsprozessen nicht restlos durchsichtig gemacht zu werden. Statt dessen bemüht sich der Conseil d'Etat um objektive Kriterien des Verwaltungsfehlers und differenziert dabei die Anforderungen an die einzelnen Verwaltungszweige nach Maßgabe ihrer je besonderen Aufgaben und Risiken. Er behandelt also
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rung, der affektiven Neutralität, der Unpersönlichkeit, der Rollentrennung zum Ausdruck. Wenn ein Fehler passiert, kann und muß er an der Publikumsgrenze nach anderen Gesichtspunkten abgewickelt werden als an der Mitgliedergrenze. Und das geschieht praktisch auch. Die offizielle Konsequenz von der Amtshaftung zum Regreß ist eine lästige Fessel, die aber nur noch ganz locker sitzt. Die Verwaltung muß die Freiheit haben, ihre Grenzen je nach ihren Erfordernissen verschieden zu behandeln und in diesem Sinne inkonsequent zu sein 10 . Das ist nicht nur deshalb nötig, weil die Fehlerabwicklung gegenüber Nichtmitgliedern ein anderes Problem ist als die Motivation der Mitglieder zu fehlerfreiem Handeln, sondern auch, weil aus eben diesem Grunde die Pro»
blemlösungen an den einzelnen Systemgrenzen unterschiedliche funktionale Äquivalente haben: An der Publikumsgrenze kann die Staatshaftung zum Beispiel durch eine ausgebaute gerichtliche Kontrolle der Verwaltungsakte entlastet werden 11 ; an der Mitgliedergrenze könnte das Motivationsziel der Verschuldenshaftung auch durch Schulung, Personalwechsel oder durch ausgeklügelte Lohn- oder Aufsichtssysteme verfolgt werden 1 *. die normativen Anforderungen selbst als variabel — und nicht nur die persönlichen Schuldumstände im Rahmen von angeblich immer gleichen normativen Kriterien. Siehe dazu Leisner 1963 insb. S. 28 ff. Diese Differenzierung führt allerdings zu einer Ungleichbehandlung von Bürgern je nachdem, mit welchem Verwaltungszweig sie Kontakt haben. In der französischen Doktrin — vgl. insb. Benoit 1954 und Moreau 1957 — wird diese Ungleichbehandlung durch den Gedanken gerechtfertigt, daß der Bürger als „Benutzer" der einzelnen Verwaltungsdienste deren Fehlerrisiko in gewissem Umfange teilen muß. 10 Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, daß es Fälle gibt, in denen solche Konsequenzen gezogen werden müssen, weil der skandalös nach außen wirkende Fehler ein „conspicuous imposition of penance" (Moore 1962 S. 200) erfordert Das sind dann typische Fälle von symbolischer Brisanz, in denen das Ansehen des Systems auf dem Spiele steht, die Angelegenheit sich nicht mehr auf spezifische Probleme einer bestimmten Grenze isolieren läßt, sondern die Reinheit des Systems durch eine rituelle Aktion gegen Mitglieder bewiesen, der Fehler also wieder in die Umwelt abgeschoben werden muß. 11 Siehe Anregungen zu einer entsprechenden Umstellung des Staatshaftungsrechts bei Luhmann 1965 a. 11 Auch an anderen Stellen im Recht findet man solch eine starre Koppelung zweier Systemgrenzen unter Verkennung der Tatsache, daß dazwischen eine komplexe Organisation liegt. Wenn z.B. Art.33 Abs.4 GG die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse Beamten vorbehält und AngesteUte in nichthoheitsrechtliche Arbeitszusammenhänge verweist, so liegt darin eine strikte Bindung des persönlichen Status der Mitglieder des Verwaltungssystems an Kategorien, die für die Beziehungen zum Publikum geschaffen sind. Wie Hartfiel u. a. 1964 feststellen, ist es unmöglich, die Unterscheidung von hoheitlich und nichthoheitlich in die interne Organisation hinein zu verfolgen, geschweige denn durch sie hindurch in den Personalbereich. Die Verwaltungspraxis ist daher gezwungen, Art. 33 Abs. 4 zu ignorieren, wenn sie ihre Arbeitssysteme hinreichend komplex organisieren, das heißt rational handeln will.
9. Kap. : Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
Die Forderung einer Trennung der beiden Systemgrenzen durch Beschränkung des Verschuldensprinzips auf seine Funktion an der Mitgliedergrenze läßt sich auch durch die Erwägung stützen, daß wir, scharf befragt, wohl kaum sagen würden, daß das Beamtenverschulden ein hinreichender Grund sei, Bürger ungleich zu behandeln. Genau das aber ist das Prinzip des geltenden Amtshaftungsrechts, dessen Verstoß gegen Art. 3 GG nur durch das traditionelle Nebeneinander der entsprechenden Verfassungsartikel verdeckt wird 1 3 . Das Gleichheitsprinzip als Leitkategorie der Publikumsbehandlung läßt sich mit den Motivationserwägungen bei der Mitgliederbehandlung nicht verquicken. Aber nicht nur die Publikumsgrenze, auch die Mitgliedergrenze des Systems könnte bei einer solchen Trennung ihrer Eigenart entsprechend rationaler geordnet werden. Wir hatten im vorigen Kapitel schon auf die aufkommenden Zweifel hingewiesen, ob nicht die Furcht vor dem Fehler den Arbeitswillen und die Bereitschaft zu Initiativen und Verantwortung erheblich belastet. Es kommt hinzu, daß gar nicht feststeht, ob und in welcher Weise Sanktionsdrohungen die Motivation zu fehlerfreiem Verhalten steigern. Diese Fragen rühren an so komplizierte Sachverhalte, daß sie sich kaum einheitlich werden beantworten lassen. Sie müssen, soll sachgemäß auf sie eingegangen werden, in den einzelnen Verwaltungszweigen verschieden, vermutlich auch in den hierarchischen Ebenen unterschiedlich und gegebenenfalls sogar von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz nach je anderen Kriterien beurteilt werden. Vor allem ist die Situation, die Verteilung von Fehlergefahr und Zurechenbarkeit, von Verantwortungsbedarf, Initiative und Unsicherheitsquellen, kurz: die Motivationsstruktur, bei zweckprogrammierter Tätigkeit ganz anders als bei konditionaler Programmierung. Man wird unter diesen Umständen in einem für alle Bediensteten einheitlichen Verschuldensmaß des Gesetzes nur eine wenig instruktive Dachformel sehen können. Auf Einzelheiten der Behandlung von Fehlern der Mitglieder werden wir im nächsten Kapitel eingehen, wo wir Fragen der Verantwortlichkeit behandeln wollen. Leider ist die Vorstellung einer solchen Trennung der Systemgrenzen in juristischen Überlegungen sehr wenig geläufig, so daß das Verschul13 Bisher ist m. W. nur in der Schweiz ausdrücklich die Frage gestellt worden, ob die Beschränkung der Staatshaftung auf Beamtenverschulden nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Vgl. Kaufmann 1953 S. 320a. In der Schweiz ist denn auch durch das Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. 3. 1958 (Bundesblatt S. 633 ff.) in Art. 3 Abs. 1 die Frage des Beamtenverschuldens für irrelevant erklärt worden. Die zitierte Abhandlung von Kaufmann diente der Vorbereitung dieses Gesetzes. In Deutschland kann man dagegen nur vermuten, daß die starke Betonung des Gleichheitsgedankens in der Aufopferungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter anderem eine Reaktion auf die gefühlte, aber nicht aussprechbare Gleichheitsverletzung durch das Amtshaftungsrecht darstellt. Dazu näher Luhmann 1965 a S. 210 f.
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densprinzip immer wieder als Kriterium der Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum vorgeschlagen und verwendet wird — und zwar auch außerhalb des eigentlichen Amtshaftungsrechts neuerdings in der Reformgesetzgebung des öffentlichen Versicherungsrechts. Nach § 628 RVO, dem durch die sogenannte Härtenovelle jetzt auch § 1301 RVO angeglichen worden ist, können zu Unrecht gezahlte Leistungen nur zurückgefordert werden, wenn den Träger der Versicherung „für die Überzahlung kein Verschulden trifft und nur soweit der Leistungsempfänger beim Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist". Diese Kumulierung von fehlendem Verwaltungsverschulden und Verschulden des Empfängers als Rückforderungsvoraussetzungen ist so unsinnig, daß man zunächst ein Redaktions versehen vermuten muß. Selbst die betrogene Verwaltung könne danach nicht zurückfordern, wenn sie den Betrug fahrlässig nicht entdeckt hat 1 4 . Man hätte die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Empfängers nicht als zusätzliche Bedingung, sondern als Ausnahme von der Regel des Rückforderungsverbotes formulieren müssen. Aber auch das müßte scharf kritisiert werden. Denn der Tatbestand des Verwaltungsverschuldens als Rückforderungssperre stößt auf alle soeben formulierten Bedenken — ganz abgesehen davon, daß der Empfänger hier sogar besser gestellt wird als im Amtshaftungsrecht, wo er nur negatives Interesse, aber nicht positives Interesse ersetzt erhält. Aus anderen, aber damit zusammenhängenden Gründen eignet sich auch die Maxime der Interessenabwägung schlecht als Modus der Fehlerabwicklung. Zunächst muß mit aller Deutlichkeit behauptet werden, daß das sogenannte „öffentliche Interesse" gar kein Interesse ist, sondern ein Programm gewordenes Mißverständnis 15 . Man nimmt diesen Begriff gemeinhin als Bezeichnung für einen feststehenden Sachverhalt mit normativer Ausstrahlung, der dem Entscheiden vorgegeben ist und vor ihm erkannt werden muß. Aber eine solche Erkenntnis gibt es nicht. Der gemeinte Sachverhalt läßt sich von den sozialen Prozessen nicht trennen, die den Staat als System konstituieren und dafür ist die Bezeichnung „Interesse" inadäquat. Die Anwendung des Interessenbegriffs auf den Staat ablehnen, heißt jedoch nicht, zu Hegels erhabenem Staatsbegriff zurückkehren. Hegel konnte sich die absolute Selbstreflexion und damit ein aussagefähiges Selbstbewußtsein des objektiven Geistes im Staat vorstellen. Diese Prä14 Anders ohne Beachtung des Gesetzestextes Gotzen/Doetsch 1963 Anm. zu § 628 RVO. 15 Diese aussagekräftige Formulierung entnehme ich einem ganz anderen Zusammenhang bei Tenbruck 1961 S. 3.
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tention ist jedoch unrealistisch. Und sie hat nicht verhindern können, daß das „Gemeinwohl" als „öffentliches Interesse" vorschnell auf den Markt der Argumente geworfen wurde und dort seinen Kurswert verlor. Wer dagegen den Staatsbegriff gegenüber dem traditionellen deutschen Staatsdenken erheblich verkleinert und in die soziale Realität faktischen Verhaltens eingliedert, vermag die strukturellen Grenzen der Selbstreflexion und Entscheidungsfähigkeit des Staates als Staatsverwaltung um so deutlicher zu erkennen. Und darum handelt es sich hier. Wenn man den Staat als organisiertes System der Anfertigung von Entscheidungen, also als ein Teilsystem der Gesellschaft auffaßt, läßt sich die Frage erörtern, ob und in welchen Grenzen er mit Begriffen wie „Gemeinwohl" oder „öffentliches Interesse" seine eigene Identität reflektieren kann. Er kann es praktisch nicht; jedenfalls nicht in dem Sinne, daß er den Sinn seiner Existenz in ein spezifisches Interesse kleiden und als Entscheidungsfaktor in Abwägung gegen andere einsetzen könnte 1 ·. Kein System ist imstande, die eigene Identität, die sich im Erleben einer Vielzahl von Individuen, in einer Vielzahl von Sachverhalten und im Aushalten der Zeit konstituiert, voll zu reflektieren. Es muß sie sein. Es muß, um nochmals auf Hegel anzuspielen, sich seinen eigenen Begriff verdecken. I n eine soziologische Formulierung gebracht, heißt dies, daß jedes System „latente" Funktionen und Strukturen benötigt, um sich zu stabilisieren 17 ; sie können nicht aufgehellt werden, ohne daß das System genötigt würde, seine Identität zu ändern und den Schatten der Latenz zu verlagern. Zum Latenzbereich der öffentlichen Verwaltung aber gehört die Funktion ihrer Zweck-Ideologie und die Funktion des Rechts. Man würde die Entscheidungstätigkeit der Staatsverwaltung daher überfordern, wollte man erwarten, daß sie ihr konstituierendes Moment: das Recht, im Sinne eines (begrenzten) öffentlichen Interesses an der Rechtsdurchführung als einen verfügbaren Wert neben anderen verwendet 18 . Tut sie das und glaubt sie daran, dann verwendet sie For1β Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Vorstellung des „government" als Vertreter eines spezifischen öffentlichen Interesses an sich viel näher liegt und sehr viel unvorbelasteter erörtert werden konnte als bei uns, ist die lebhafte Diskussion dieses Begriffs ohne brauchbares Resultat geblieben. Man hat keine Übersetzung in instruktive Entscheidungsformeln finden können. Vgl. dazu Schubert 1960. Auch in Deutschland findet man zuweilen offene Skepsis — siehe ζ. B. Ronneberger 1963 S. 144 ff. 17 Als grundsätzliche Formulierungen siehe etwa Merton 1957 S. 60 ff.; Levy 1952 S. 83 ff.; Emmet 1958 S. 83 ff. Vgl. auch die Bedeutung des „latent pattern maintenance" als Systemproblem in der Systemtheorie von Parsons — siehe z. B. 1959 S. 5 ff. oder als eine frühere Formulierung: Parsons/Bales/Shils 1953 insb. S. 185 ff., wo allerdings Latenz nur so viel wie Erhaltung ohne dauernd bewußte Aufmerksamkeit bedeutet. 18 Man kann diesem Problem auch eine sprachlogische Fassung geben. Die
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mein wie „öffentliches Interesse", „Interesse an Rechtssicherheit", „Gleichheit", „Gerechtigkeit" usw. als vordergründige Leerformeln und hält ihr eigenes Wesen im Unbewußten zurück. Die Überabstraktion dieser Begriffe dient zugleich dazu, die Latenz eines Teiles der Motive und Entscheidungsgrundlagen zu sichern. Das Prinzip der Interessenabwägung fördert unter diesen Bedingungen im Oberflächeneffekt automatisch die sachgerecht spezifizierbaren Interessen, das heißt: die materiellen Interessen des Privatmannes, auf Kosten seiner Rolle als Steuerzahler 19. Die Karriere des sogenannten „Vertrauensschutzes" vom Gesichtspunkt zum Dogma, das man nur noch in Fällen antastet, wo gar kein Vertrauen vorlag, zeigt dies ganz deutlich. Man kann dies natürlich wollen; und man kann auch die Tarnung dieser Tendenz durch die Abwägungsformel mitwollen. Doch wird damit ein bedenklicher Weg beschritten. Die allgemeine Entwicklung zur funktional-spezifischen sozialen Differenzierung, welche die gemeinsame Angelegenheit, die res publica, zu einem ausdifferenzierten Sozialsystem der Entscheidungsproduktion hat einschrumpfen lassen, weckt und fördert ohnehin die Neigung zur Aufrechnung des „öffentlichen Interesses". Sie fordert im Grunde eher einen Gegenhalt: mehr Aufmerksamkeit für das Systemprinzip der rechtsstaatlichen Verwaltung, das diese selbst am wenigsten vertreten kann. Weitere mögliche Bedenken gegen die Interessenabwägungsformel lassen wir hier unerörtert 20 und gehen nun noch auf die dritte der fragwürdigen Rechtsfiguren ein: den Gedanken einer freigestellten Berichtigungsmöglichkeit bei nicht vom Willen miterfaßten Verwaltungsfehlern. Dieses Rechtsinstitut kann weniger grundsätzlich abgehandelt werden, da es die notwendige Klarheit in der gegenwärtigen Diskussion fast schon erlangt hat. Staatsverwaltung kann in ihrer Sprache der Rechtsprogramme ein „Interesse am Recht als solchem" nicht verbalisieren. Das würde sie in jene viel erörterten logischen Paradoxien führen, die nur durch Rückgriff auf eine „Metasprache" gelöst werden können. Eine solche Metasprache des Rechtsstaates ist die Sprache der politischen Prozesse, in denen die Frage, ob ein Gedanke Rechtsform erhalten soll, als disponibel und als instrumental im Hinblick auf Macht- und Konsenschancen besprochen werden kann. Aber auch von hier aus gibt es keine Möglichkeit, das „öffentliche Interesse" als verzichtbare Größe in die Entscheidungsprogramme der Verwaltung hineinzuschreiben. 19 Die eigentlich zentralen Persönlichkeitswerte des Privatmannes sind als sein Systemregulativ natürlich genau so oder nodi stärker generalisiert und noch weniger wortfähig als die Strukturbedingungen des sozialen Systems der Verwaltung. 29 Den zweiten Rang würde wohl die mangelnde Berechenbarkeit der gerichtlichen Entscheidungspraxis zur Interessenabwägung einnehmen, die sowohl die ohne Rechtskraftprivileg entscheidende Verwaltung als auch den Bürger beunruhigt. Dazu näher Becker/Luhmann 1963 S. 110 ff.
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Daß die Verwaltung bei gewissen Entgleisungen das einfache Recht zur Berichtigung ihrer Bescheide hat, ist durch zahlreiche Gesetze21 und durch die herrschende Meinung in Lehre 22 und Rechtsprechung 23 gesichert. Das Problem liegt darin, welchen Kreis von Fehlern diese leichte und billige Abwicklungsmöglichkeit erfaßt. Nach herrschender Meinung muß die Gruppe von Irrtümern ausgeschlossen werden, die den bewußten Entscheidungsprozeß beeinflußt hat, seien es falsche Annahmen oder das Unterlassen der ausreichenden Klärung der eigenen Annahmen, also die riskierten Fehler. Was übrigbleibt, wird allzu leicht in einen Topf geworfen. Vor allem besteht die Gefahr, daß zweierlei verquickt wird: die Entgleisung des Willens im Ausdruck einerseits, die Belanglosigkeit oder Offenbarkeit des Fehlers andererseits 24. Beides kann, braucht aber nicht zusammenzufallen. Das Zusammenfallen ist typisch, wenn die Beteiligten einander sozial nahestehen und sich persönlich gut kennen. Wo persönliche Vertrautheit die Kommunikation trägt — etwa in der Familie oder im Freundeskreis —, wird eine Ausdrucksentgleisung als solche sofort sichtbar und als nicht ernst zu nehmen bagatellisiert. Man bildet keine entsprechenden Erwartungen, so daß eine enge Rückkoppelung die Fehlerauswirkungen vermindert. Andere Bedingungen herrschen, wie wir oben 25 schon andeuteten, bei zunehmender sozialer Differenzierung und Di21 Vgl. z. B. § 92 Abs. 3 AO, § 69 Abs. 2 ThürLVO, § 25 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, § 18 des Berliner Verwaltungsverfahrensgesetzes, §32 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963 und an Prozeßgesetzen §319 ZPO, § 118 VwGO, § 138 SGG. Siehe auch die rechtspolitischen Forderungen der Sachverständigenkommission für die Vereinfachung der Verwaltung beim Bundesministerium des Innern in ihrem Bericht, Bonn 1960 S. 212 f. 22 Forsthoff 1961 S. 205; Wolff 1963 S. 290 f. 2β Vgl. das Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. 9.1961, BSGE 15 S. 96 ff. 24 An dieser Verquickung ist nicht zuletzt die typische Gesetzesformulierung schuld, die leider auch im Musterentwurf des Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963 § 32 wiederkehrt. Sie spricht von Schreibfehler(n), Rechenfehlerin) und ähnliche(n) offenbare(n) Unrichtigkeiten, so als ob Rechenfehler immer offenbare Unrichtigkeiten seien. Da man dieses Problem heute kennt, kann die Fortführung dieser alten Formel nur bedeuten, daß der Gesetzgeber dem Ausleger Sand in die Augen streuen will. Dieser wird sich dadurch helfen müssen, daß er das Gesetz selbst als „offenbar unrichtig" behandelt und im Sinne einer einschränkenden Auslegung des Begriffes „Rechenfehler" berichtigt. Auf der gesetzlichen Grundlage des § 92 AO hält vor allem die Rechtsprechung der Finanzgerichte (seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 18. 2. 1954, Bundessteuerblatt 1954 S. 133) mit Schwankungen im einzelnen (vgl. den Überblick bei Hippe 1961 S. 68 ff.) die Unterscheidung von Willensbildungsfehlern und Erklärungsfehlern für maßgebend und wird dadurch der Tatsache nicht gerecht, daß beide Fehler sowohl offensichtlich als auch nicht offensichtlich sein können. 25 Vgl. S. 79 f.
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stanzierung, wie sie im modernen, großbetrieblichen Entscheidungsverkehr ihr Extrem erreicht. Hier interpretiert der Entscheidungsempfänger die Entscheidung aus seiner eigenen Welt heraus, ohne den Hintergrund ausleuchten zu können, der für die Willensbildung maßgebend war. Die Grenze zwischen Verwaltung und Publikum wirkt sich als Trennung von Interpretationshorizonten aus, die sich nur partiell decken2·. Dementsprechend müssen die Kriterien der Beurteilung unserer Fehlergruppe aufgegliedert werden. Nur dadurch kann ein Fehlerabwicklungsprogramm der Tatsache sozialer Differenzierung gerecht werden und sich in diese wichtigste Strukturbedingung unserer Sozialordnung angemessen einfügen. Auf die Welt des Entscheidungsempfängers sind die Kriterien der Belanglosigkeit und der Offenbarkeit zugeschnitten27, was immer man im einzelnen darunter zu verstehen hat 2 8 . Die Verwaltung hat es in der Hand, durch verständliche Entscheidungsbegründungen den Bereich der Offensichtlichkeit etwaiger Fehler zu erweitern 29 . 29 Mit Rücksicht auf diese typische Situation erscheint es zweifelhaft, ob man die ungewöhnlich hohen Anforderungen an die Prüfung der Entscheidung durch den Empfänger verallgemeinern kann, die das Bundessozialgericht in seinem Urteü vom 8. 9.1961, BSGE 15 S. 93 ff. aufgestellt hat 27 Beide Gesichtspunkte, Belanglosigkeit und Offenbarkeit, decken sich nicht und müssen unterschieden werden. Belanglose Fehler können offensichtlich sein — so etwa wenn in einem feierlichen Dokument von „Schtung" statt von „Achtung" die Rede ist. Sie können aber auch versteckt auftreten, wenn etwa aus Versehen erlaßwidrig die „Deutsche Demokratische Republik" mit ihrem selbstgewählten Namen genannt wird. Der Bürger hat die Berichtigung beider Fehlerarten hinzunehmen: bei offenkundigen, weil er kein Recht vermuten kann, Bestandsinteressen zu investieren; bei (für ihn) belanglosen, weü er überhaupt kein unmittelbares Interesse am Fortbestand des Fehlers hat 18 Diese Frage kann wohl der Rechtsprechung überlassen werden. Kritisch dazu Werner Thieme in einem Referat in der sozialrechtlichen Arbeitsgemeinschaft des 45. Deutschen Juristentages. Jedenfalls wird man unter „offenbar" nicht „für jedermann erkennbar" verstehen dürfen. Man muß den konkreten Informationsbesitz des Entscheidungsempfängers, aber nicht andere Personvariablen, wie außergewöhnliche Dummheit oder Nachlässigkeit, voraussetzen. Der Begriff bezieht sich nicht auf die Person, sondern auf die Rolle des Staatsbürgers. Es entlastet den Empfänger deshalb auch nicht, wenn er sich beim Entdecken eines Fehlers mit Erklärungen zufriedengibt, die allein eigenes Gedankengut sind (wie ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 18. 3. 1960, Deutsches Verwaltungsblatt 75 (1960) S. 452 ff. nachsichtig formuliert). Hier wie auch anderswo verlangt die moderne Sozialordnung vom Einzelnen ein spezifisch korrespondierendes, kritisch waches Rollenverhalten. Wer dazu nicht in der Lage oder dafür zu bequem ist, muß gegebenenfalls dafür zahlen. Es handelt sich nicht um einen sentimentalen Tatbestand, wie ihn der Begriff des „Vertrauens" leicht suggeriert. 29 Die Automatisierung wird allerdings zu einem Abbau von beigegebenen Begründungen führen und sich insofern rechtsstaatlich rückschrittlich auswirken, da selbst schematisch vorprogrammierte Begründungstexte wegen der langsamen Druckgeschwindigkeiten ziemlich kostspielig sind. Siehe audi die von § 30 Abs. 2 des Musterentwurfs eines VerwaltungsVerfahrensgesetzes vorgesehene Ausnahme vom Begründungszwang.
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Wenn sie dagegen mit unverständlichem Gemurmel eine erwartete Geldsumme überweist, darf der Bürger annehmen, daß es stimmt, da er weiß, daß die Verwaltung in der Regel rational und kontrolliert handelt. Das Abwicklungsprogramm der „Berichtigung" von Fehlern kann nur im Rahmen dieser publikumsbezogenen Kategorien der Offenbarkeit und der Belanglosigkeit von Fehlern angewandt werden 50 . Diese Kriterien nehmen — und das ist eine Einsicht, die gerade für das Automationsproblem wichtig wird — auf verwaltungsinterne Einteilungen in Entscheidungsfehler und Entgleisungen oder in Rechtsfehler, falsche Tatsachenannahmen, Fehler bei der Vorbereitung der maschinellen Verarbeitung, Programmierfehler, Maschinenfehler usw. keine Rücksicht, denn diese Fehlereinteilungen sind für das Publikum nicht einsichtig und repräsentieren auch keinen Unterschied der Betroffenheit. Beide Arten der Fehlerkategorisierung, die publikumsbezogene und die verwaltungsinterne, sind voneinander unabhängig und überschneiden sich daher. Die einzelnen verwaltungsinternen Fehlerarten können, vom Publikum her gesehen, zu offenkundigen oder zu belanglosen Fehlern führen oder auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit offenkundiger Fehler ist bei reinen Entgleisungen oder bei Fehlgriffen im Zusammenhang mit der automatischen Datenverarbeitung natürlich größer als bei bewußtseinsgesteuerten Entscheidungsprozessen, weil im letzteren Fall der Entscheidende selbst sich laufend auf Plausibilität kontrolliert und offenkundige Fehler ausmerzt. Es mögen ihm aber trotzdem Fehler unterlaufen, die für den Empfänger offenkundig sind — wenn er zum Beispiel nicht über alle relevanten Informationen des Empfängers verfügt. Die verwaltungsinterne Fehleraufteilung ist also für die Definition der Auslöser-Begriffe des Fehlerabwicklungsprogramms „Berichtigung" grundsätzlich irrelevant. Das heißt nicht notwendig, daß sie ohne jede Auswirkung bliebe. Die Verlagerung von Teilen des Prozesses der Entscheidungsfertigung auf Maschinen hat sicherlich eine Veränderung der Fehlerquellen in der Verwaltung zur Folge. Es könnte sein, daß die Verwaltung infolgedessen relativ mehr offenkundige Fehler produziert, daß sich mit anderen Worten bei gleichbleibenden sonstigen Bedingungen der Prozentsatz des Verhältnisses von offenkundigen und nichtoffenkundigen Fehlern verschiebt, weil die Plausibilitätskontrollen der Kopfarbeit ausfallen bzw. nicht vollständig auf die Maschine übernommen werden können 81 . Wenn diese Vermutung stimmt — Genaueres * a. M. Voss 1960 b. 81 In gewissem Umfang können natürlich auch den Maschinen Plausibilitätskontrollen einprogrammiert werden, etwa in Form der Weisung, besonders unwahrscheinliche Datenkonstellationen oder Ergebnisse zur Uberprüfung gesondert auszudrucken. Wie weit die Verfeinerung hier getrieben werden soll, ist zum Teile eine Frage der Größe des Aggregats, zum Teil audi eine
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wissen wir nicht, da die Selbstbeobachtung der Verwaltung in diesen Fragen noch zu mangelhaft organisiert ist —, dann könnte eben dadurch das Fehlerabwicklungsverfahren der „Berichtigung" faktisch größere Bedeutung gewinnen. Aber das wäre nur eine faktische Tendenzverschiebung und bedeutete nicht, daß es gerechtfertigt wäre, Maschinenfehler oder Fehler, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung maschineller Datenverarbeitung passieren, eo ipso für berichtigungsfähig zu halten. Denn das hieße, die Grenze zwischen Verwaltung und Publikum zu ignorieren und das Publikum nach Maßgabe rein verwaltungsinterner Kategorien zu behandeln. Die Bedenken gelten auch für den abgemilderten Vorschlag, bei automatischer Datenverarbeitung eine zeitlich begrenzte Berichtigungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen 32 . Und bei diesem Gedanken kommt noch hinzu, daß er gar nicht „automationsgerecht" ist. Eine Berichtigungsfrist hat nur Sinn bei vorläufigen oder überstürzt produzierten Entscheidungen, die nachträglich nochmals genau kontrolliert werden 33 . Eine automatische Datenverarbeitung ist jedoch in der Regel nur dann sinnvoll, wenn solche Nachkontrollen des Einzelfalles nicht stattfinden müssen. Dann aber ist es reiner Zufall, ob ein Fehler entdeckt wird, und ob er innerhalb der gesetzten Berichtigungsfrist entdeckt wird 3 4 . Frage der Bereitschaft zu Aufwendungen für die manuelle Überprüfung der suspekten Fälle. 12 Diesen Weg beschreiten die jährlichen Rentenanpassungsgesetze, und zwar ohne Rücksicht auf die Offenbarkeit des Fehlers. Vgl. z. B. § 7 Abs. 1 Satz 2 des 1. RAG vom 21.12.1958 BGBl. I S. 956. Bezeichnend ist im übrigen, daß das Gesetz mit Rücksicht auf die automatische Durchführung bei der Post nur „Umstellungsmitteilungen14, keine Verwaltungsakte vorsieht (bestr.; vgl. Scheerer 1965) und eine Rückwirkung etwaiger Berichtigungen ausschließt, ein Anhaltspunkt für die sogleich zu erörternde These, daß das Berichtigungsrecht und Rücknahmerecht ineinanderzufließen beginnen. 53 So ζ. B. bei Steuerbescheiden, die lediglich auf Grund der eigenen Angaben des Steuerpflichtigen erlassen werden. Vgl. Thiel 1958. Ganz anders liegt jedoch das eben erwähnte Problem der Rentenanpassung, deren „Umstellungsmitteilungen" nur deshalb keine Verwaltungsakte (und deshalb berichtigungsfähig) sein sollen, weü sie wegen der (bisher) besseren maschinellen Ausstattung bei der Post und nicht bei den rechtlich zuständigen Versicherungsträgern gefertigt werden. 84 Etwas anderes mag für die Verwaltungen mit „Dauerfällen" gelten, ζ. B. Personalverwaltungen, wo die gleichen Fälle unter jeweils neuen Gesichtspunkten immer wieder bearbeitet werden müssen. Wenn dabei die Neubearbeitung in die alten Entscheidungen typisch hineingreift, wenn sie nicht nur maschinell (wie die monatliche Gehaltsberechnung), sondern auch manuell erfolgt, und wenn die Wiederbearbeitimg typisch in relativ rascher Folge notwendig ist, mag eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fehlerentdeckung innerhalb angebbarer Frist bestehen, so daß ein befristetes Berichtigungsrecht sinnvoll wäre. Der Kundenkreis einer solchen Verwaltung könnte sehr wohl daran gewöhnt werden, daß die ihm zugestellten Verwaltungsakte erst nach — sagen wir — drei Jahren Bestandskraft erhalten, die eine Abänderung durch die Verwaltung ausschließt. Daß es diese besondere Konstellation gibt, steht außer
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Eine Ungleichbehandlung des Publikums unter diesem Gesichtspunkt hätte keinen vernünftigen Grund. Konsequent durchdacht, führt die Kritik der Außenwirkung interner Fehlerquellendifferenzierung dahin, die das geltende Recht beherrschende Unterscheidung von „Berichtigung" und „Rücknahme" von Verwaltungsakten aufzugeben. Denn sie beruht auf der verwaltungsinternen Unterteilung der Fehler in Entgleisungen und Entscheidungsfehler. Man sollte daher auch nicht versuchen, in einer Erweiterung des Berichtigungsrechts ein Ventil für die von der Rechtsprechung mehr und mehr zugebaute Rücknahmemöglichkeit zu schaffen. Solche Umetikettierungen enthalten keine echten Problemlösungen. Für beide Fehlergruppen kann eine Bereinigung durch einfache Änderung der fehlerhaften Entscheidung zugelassen werden, aber stets nur dann, wenn der Fehler offenkundig oder belanglos war. Die vorgeschlagene Verschmelzung von Berichtigungsrecht und Rücknahmerecht bahnt sich im geltenden Recht ohnehin an, dadurch daß einerseits im Berichtigungsrecht das Offenkundigkeitskriterium vordringt und andererseits im Rücknahmerecht das Bestandsvertrauen mehr und mehr geschützt wird 55 . Wer diesen Vorschlag akzeptiert, muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß die volle Leistung des hergebrachten Rechtsinstituts der Rücknahme von Verwaltungsakten damit noch nicht ganz erfaßt ist. Es fehlt ein Äquivalent für die Interessenabwägungsformel. Wenn wir diesem ohnehin trüben Gedanken aber die Offenkundigkeitsfälle entziehen, bleibt nicht mehr viel von ihm übrig; denn wirkliches Vertrauen durch „Interessenabwägung" zu enttäuschen, muten Verwaltungen und Gerichte sich heute kaum noch zu. Von unserer Position aus sieht man aber mit aller Deutlichkeit, daß hier noch etwas fehlt. Die Beschränkung der einfachen Berichtigung/Rücknahme auf alle Fälle offensichtlicher oder belangloser Fehler heißt nämlich keineswegs, daß bei versteckten Fehlern gar nichts zu geschehen hätte. Frage. Welche relative Bedeutung sie im Rahmen der gesamten Entscheidungsproduktion hat und welcher Zeitrhythmus der wiederholten Fallvorlage typisch ist (wird jede Akte zwei- oder dreimal im Jahr oder nur alle fünf Jahre vorgelegt? Von reinen Fristvorlagen muß man natürlich absehen), wäre eine Sache empirischer Ermittlung, die einer gesetzlichen Regelung vorausgehen müßte. Wenn sich eine Sonderregelung dieser Fallgruppe als sinnvoll erweisen soUte, wäre sie es nicht wegen, sondern trotz der Automatisierung. Sie wäre demgemäß auch nicht auf teilautomatisch hergestellte Verwaltungsakte zu beschränken, sondern müßte alle Entscheidungsserien erfassen, die diese Struktur der typischen Wiederholung aufweisen. M Vgl. dazu auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 18. 3. 1960, Deutsches Verwaltungsblatt 75 (1960) S. 492 ff. mit einer Alternativbegründung für den Fall, daß der angefochtene Verwaltungsakt als Rücknahme bzw. als Berichtigung auszulegen sei.
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Die gegenwärtige Rechtsentwicklung ist in Gefahr, dieses Regelungsbedürfnis zu übersehen bzw. mit der nichtssagenden Interessenabwägungsformel auf die Gerichte abzuschieben. Desgleichen können wir das Verschuldenserfordernis nicht einfach ersatzlos aus dem Amtshaftungsrecht herausstreichen; es hatte ja eine Funktion der Haftungsbegrenzung, in der es ersetzt werden muß. Wir müssen also die Kritik der gegenwärtig geltenden oder sich in der Entwicklung abzeichnenden Fehlerbereinigungsprogramme ergänzen durch positive Vorschläge für eine der modernen, automatisierten oder nicht automatisierten Verwaltung angemessene Lösung dieses Problems. Solche Vorschläge sind in zwei anderen Veröffentlichungen im Detail ausgearbeitet worden3®. Hier kann es nur darum gehen, sie in ihrem Grundgedanken heranzuholen und in den gegenwärtigen Überlegungszusammenhang einzufügen. Die Leitidee ist, daß in stark differenzierten Sozialordnungen eine Bereinigung von Fehlern wachsende Schwierigkeiten bereitet. Solche Sozialordnungen, die weit divergierende Interessen und Werteinstellungen getrennt ausbilden und „systematisieren", die außerdem eine dichte Interdependenz aller Handlungen und Ereignisse und ein rasches Tempo der Kausalabläufe organisieren müssen, geraten bei Fehlentscheidungen leicht in „verfahrene Lagen". Fehler, die Systemgrenzen überschreiten, haben zu schnell zu komplexe Wirkungen; sie dienen als Kristallisationspunkt widerspruchsvoller Interessen, so daß man sie abkorken und stehen lassen muß. Diese Gefahr der Immobilisierung von Fehlentscheidungen zeigt sich besonders deutlich in den gegenwärtigen Tendenzen zu einer Verstärkung des Bestandsschutzes bei begünstigenden Verwaltungsakten. Bei belastenden Verwaltungsakten hat die Ausdehnimg des Rechtsschutzes — und damit der formellen Rechtskraft von Verwaltungsakten — sowie die Begrenzung der Staatshaftung auf Fälle mit nachweisbarem Beamtenverschulden dieselbe Funktion eines Einfrierens der Fehler und Fehlerfolgen. Eine allseits befriedigende Rückabwicklung wird zu schnell zu schwierig. Immobilisierung ist eine brauchbare Problemlösung, aber sie hat ihre Nachteile. Vor allem widerspricht sie dem Gleichheitsgrundsatz als der leitenden Maxime für den Verkehr zwischen Verwaltungen und Publikum. Man wird sich daher nach Abschwächungen bzw. nach alternativ einsetzbaren Problemlösungen umsehen müssen. Dabei fällt der Blick auf die Möglichkeit, den Schaden aus Fehlern zu ersetzen. Das Geldwesen bietet die Vorteile eines elastischen, interessenmäßig und nach Verwendungszwecken nicht spezifizierten Instruments und erlaubt dadurch eine Koordinierung von Situationen und Erwartungen, die sachlich nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Bei fehlerhaften begün86
Vgl. Βecker/Luhmann 1963 und Luhmann 1965 a.
7 Speyer 29
9. Kap. : Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
stigenden Verwaltungsakten kann auf diese Weise das Bestandsinteresse abgegolten werden, ohne daß die Geldzahlung das volle Interesse an der Beibehaltung des Fehlers vergüten müßte 37 . Hier bietet die Entschädigung ein echtes funktionales Äquivalent zur Beibehaltung des Fehlers. Bei fehlerhaften belastenden Verwaltungsakten und bei sonstigen Schädigungen kann der Schadensersatz dagegen nur ein letzter Behelf sein. I m Rechtsstaat läuft hier die Fehlerkontrolle über die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidungsüberprüfung und das heißt: daß Fehler, die nicht innerhalb kurzer Fristen entdeckt werden, in Rechtskraft übergehen. Die Immobilisierung der Fehler ist hier der Normalfall, und diese Normallösung kann ihrerseits dazu ausgenutzt werden, ein Überhandnehmen von Schadensersatzforderungen gegen den Staat zu verhindern, indem man nämlich den Schadensersatzanspruch durch ein zusätzliches Konditionalprogramm an das Versagen des unmittelbaren Rechtsschutzes bindet. Immobilisierung und Entschädigung entlasten sich dann in einem mehrstufigen Fehlerabwicklungsprogramm wechselseitig. Diese Konzeption, die im groben auf die Kurzformel: Ersatz aller Schäden aus rechtswidrigen, aber nicht anfechtbaren Hoheitshandlungen, gebracht werden könnte, greift, wie überhaupt die Untersuchungen dieses Kapitels, über den Bereich der automatisierbaren Entscheidungsverfahren weit hinaus. Dieses Ausgreifen war nötig, weil wir die Frage prüfen mußten, ob im Problembezirk der Fehlerbereinigung ein Sonderrecht für automatisierte Verwaltungsverfahren geschaffen werden muß oder nicht. Vom geltenden Recht aus läßt diese Frage sich nicht angemessen behandeln, da bei einer genaueren Analyse unter dem Blickpunkt der automatisierten Verfahren Mängel zutage treten, die mit der Automation an sich nichts zu tun haben, sondern allgemeine Rechtsänderungen motivieren könnten. In der Rechtspolitik gilt dasselbe, was auch im Bereich der Organisation bemerkt wurde: Die Automation wirft mit ihrer Grundkonzeption des Verwaltungsvorgangs und mit ihren Genauigkeitsanforderungen ein neues Licht auf alte Fragen und veranlaßt ein Durchdenken des Verwaltungssystems und seiner Entscheidungsprogramme, das auch dort Gewinn zu bringen vermag, wo gar nicht automatisiert wird. 37 Zivilrechtlich gesprochen, steckt der Vorteil also in der Differenz von negativem und positivem (Erfüllungs-)Interesse. Zu diesem Vorschlag vgl. außer Becker/Luhmann 1963 auch Baur 1963 S. 46; Bachof 1962 S. 750 f. (erwägend), Gützkow 1964 S. 1453 f. (ablehnend) und §37 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963, der ihn unter nicht sehr glücklicher Ausklammerung der wichtigsten Fälle (einmaliger oder laufender Geldoder Sachleistungen) akzeptiert. Ob der Entwurf für diese ausgeklammerten Fälle die herrschende Praxis der „Interessenabwägung" legalisieren will, ist aus der unklaren Fassung des § 37 Abs. 2 nicht deutlich zu entnehmen. Zur Kritik vgl. auch Ule/Becker 1964 S. 57 ff.
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Wir haben zu zeigen versucht, daß es möglich ist, ein allgemeines Recht der Fehlerabwicklung zu schaffen, in welchem kein Sonderrecht für teilautomatisierte Verwaltungsakte vorgesehen zu werden braucht. Ein wichtiger Einwand bleibt indes zu erörtern. Etwas anderes würde möglicherweise gelten, wenn mit der Automatisierung eine neuartige Fehlertypik auf uns zukäme, wenn man nämlich, was oft befürchtet wird, große Serien kleiner Rechenfehler erwarten müßte, zum Beispiel nicht offenkundige, in der Summierung aber doch sehr erhebliche Rentenfehlberechnungen. Dann wäre es in der Tat sehr fraglich, ob nicht die Abwicklung über genau zu spezifizierende Berechnungen des negativen Interesses zu entscheidungsaufwendig wäre, und harte, kompromißlose Entweder/Oder-Entscheidungen (zum Beispiel je nach Zeitablauf, Fehlerquelle, Betrag der Differenz oder was immer) den Vorzug verdienten 88 . Auf Grund der vorliegenden und bekannt gewordenen Erfahrungen ist ein abschließendes Urteil hierüber zur Zeit wohl noch nicht zu verantworten. Die Ergebnisse von Erstversuchen und die Erfahrungen von Einführungszeiten dürfen, besonders wenn sie unter Zeitdruck zustande gekommen sind, nicht verallgemeinert werden. Es ist anzunehmen, daß Serienfehler im eigentlichen Sinne sich vermeiden lassen werden, nämlich Maschinenfehler oder Programmfehler, die sich repetitiv in einer großen Zahl von Durchläufen auswirken — etwa in der Art, daß die Hundesteuer eines ganzen Jahres ausgezahlt statt vereinnahmt wird, daß Ortszuschläge bei der Beamtenbesoldung doppelt angerechnet werden, Kirchensteuer nicht abgezogen wird und ähnliches mehr. Fehler in der Maschine oder im Programm, die sich beim Testen durchschleichen, werden extrem seltene Randfälle betreffen, für die man sich keine Testdurchläufe ausgedacht hatte 3 ·. Sie wirken sich dementsprechend nicht als Entstellung großer Entscheidungsserien aus. Ganz allgemein ist im übrigen bei technischen Systemen der konstant bleibende Fehler viel weniger problematisch, weil leichter zu korrigieren, als die variabel und unvorhersehbar gestreuten Abweichungen. Die für die automatische Datenverarbeitung charakteristischen Hauptfehlerquellen scheinen in der Eingabevorbereitimg zu liegen 40 . Elektro88 Darauf weist Schwarz 1964 hin in einer Rezension der Arbeit Becker/ Luhmann 1963. Die Schwierigkeiten liegen nicht darin, daß Schadensersatzentscheidungen nicht programmierbar seien — dazu siehe Knapp 1963 a S. 50 f. —, sondern darin, daß die Entscheidungslast bei ihnen primär in der Tatsachenfeststellung liegt, die nicht auf die Datenverarbeitungsanlage übernommen werden kann. 89 Siehe auch den Hinweis von Schuff 1962 S. 392, daß ein Test mit einer bestimmten Datenkombination ein richtiges Ergebnis liefern kann, während eine andere Kombination zu falschen Resultaten führt. Vgl. audi die Erläuterung bei Schuff 1964 S. 71. 40 Diese Beurteilung findet sich häufig, ζ. B. bei Postley 1960 S. 12 f., 81 f.;
7·
9. Kap.: Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
nische Datenverarbeitung erfordert, daß die zu bearbeitenden Informationen in eine Maschinensprache übersetzt werden. Sie erhalten dadurch eine für die Verständnisfähigkeit des menschlichen Bearbeiters ungünstige Form. Die Umformung der Daten in die unanschauliche Maschinenfassung erheischt eine besondere, unnatürliche Aufmerksamkeitsanspannung und die natürliche Plausibilitätskontrolle über das eigene Tun setzt weitgehend aus. Dadurch kann es zu Spaltenverwechselungen, zu Fehlgriffen bei der Verschlüsselung, zu Fehllochungen usw. kommen, ohne daß der Mißgriff dem Bearbeiter auffällt 41 . Dazu kommt, daß auch die kollegialen wechselseitigen Kontrollen, welche die alte Arbeitsweise auszeichneten, nicht mehr im gleichen Umfange wirksam sind. I n der traditionellen Fallbearbeitung kam es überall dort, wo mehrere Bearbeiter an einem Fall mitwirkten, zu starken Überschneidungen der Aufmerksamkeitsbereiche. Jeder Bearbeiter mußte den ganzen Fall verstehen, um ihn aus seiner Perspektive bearbeiten zu können, und kontrollierte dadurch implizit die Entscheidungsbeiträge, die bereits vorlagen 42. Bei der Vorbereitung automatischer Datenverarbeitung sind dagegen die Einzelbeiträge schärfer getrennt und isoliert ausführbar, so daß jeder Bearbeiter die Ergebnisse seines Vormannes kritiklos übernimmt 43 . Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß eine erfahrene Locherin seltsame oder ungewöhnliche Konstellationen „merkt" und sie zur Rückfrage aussondert. Aber das ist zweifellos seltener als etwa das „Anhalten" von Vorgängen durch den mitzeichnenden Juristen oder Haushaltsdezernenten — und im übrigen wegen der straffen Zeitplanung der automatisierten Entscheidungsverfahren ein nicht unbedenklicher Eingriff. Die der Maschine einprogrammierten Plausibilitätskontrollen werden hier den besseren Filter bilden. Fehler bei der Dateneingabe sind zwar in einer gewissen Quote zu erwarten, aber sie sind keine Serienfehler im Sinne der oben angeKaufmann 1961 S. 93 ff.; Maaß 1961 S. 10; Chapin 1963 S. 320; Vieweg 1964 S. 154; Bull 1964 S. 141; Bachthaler 1964; Schuff 1964 S. 16. 41 Im einzelnen kann natürlich viel zur Reduktion der Fehlergefahr getan werden, ζ. B. durch Vorprüfung der Lochanweisungen oder durch eine sinnvolle Formulardifferenzierung, über die das Niedersächsische Landesverwaltungsamt in seiner oben Kap. 8 Anm. 19 zitierten Stellungnahme Tz. 4.3.2 und 23.2.2 berichtet. 41 Der einzige mir bekannte Versuch, die Auswirkung solcher Überschneidungen auf die Fehlerausmerzung experimentell zu prüfen — Kidd/Boyes 1959 — hat übrigens keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Das lag aber vermutlich daran, daß in der kurzen Zeit des Experimentes zwischen den Beteiligten, deren Datenhorizont sich überschnitt, sich keine ausreichenden Kommunikationsformen einspielen konnten. Diese Art Organisation ist auf ein hohes Maß an informaler Verständigung angewiesen. 43 Auch Jaeggi/Wiedemann 1963 S. 151 f. sehen in der Ausmerzung der alten Bewußtseinsüberschneidungen eine Fehlergefahr.
9. Kap.: Fehlerabwicklung gegenüber dem Publikum
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deuteten Befürchtung. Ob sie in größerer Zahl anfallen werden als Fehler bei manueller Bearbeitung, steht nicht fest 44, und selbst wenn das der Fall sein sollte, könnte die Verschlechterung durch eine Verbesserung bei anderen Fehlerarten, zum Beispiel durch das Abnehmen reiner Rechenfehler, aufgewogen werden. Soweit man die Lage zur Zeit übersehen kann, besteht demnach kein Anlaß, eine prinzipiell neuartige Fehlertypik oder eine Fehlermenge zu erwarten, die es notwendig machen würde, sich auf die Dauer nach einem Sonderrecht der Fehlerabwicklung bei automatisierter Datenverarbeitung umzusehen. I m übrigen wird die Entwicklung maschinell lesbarer Schriften hier in absehbarer Zeit eine neue Situation schaffen.
44 Siehe dazu jedoch die oben Kap. 8 Anm. 19 zitierten Stellungnahmen, die automatisierte Verfahren für fehlersicherer halten.
Zehntes Kapitel
Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder Die erörterten Programme der Fehlerbereinigung hatten ihre Blicke auf die Publikumsgrenze des Verwaltungssystems gerichtet. Wir gehen nunmehr zu dem Problemkomplex der Verantwortlichkeit über, der — wie leicht zu sehen — eng damit zusammenhängt, aber eine andere Systemgrenze anvisiert, nämlich die Beziehung der Verwaltung zu ihren Mitgliedern. Diese Grenze bietet natürlich eine Fülle von Problemen, von denen jedoch die wenigsten rechtlich relevant werden. Allem voran sind Rekrutierungs- und Ausbildungsprobleme zu nennen, die mit dem Problemkreis der Verantwortlichkeit nur indirekt verknüpft sind. Auch bei den sich mehrenden sozialpsychologischen oder soziologischen Analysen von „Auswirkungen der Automation im Betrieb" stehen zumeist andere Mitgliederprobleme im Vordergrund, etwa solche der Statusumschichtung, der Zufriedenheit am Arbeitsplatz oder des Widerstandes gegen Änderungen und der Methoden seiner Überwindung, darunter vor allem: Beteiligung und Behandlungsgeschick1. Dabei handelt es sich um Anwendungen allgemeiner Einsichten und Arbeitshypothesen der neueren von der sogenannten „human relation" Bewegung inspirierten Betriebssoziologie. Die in dieser Perspektive bisher erforschten Themen haben den Nachteil, daß ihre begriffliche Fassung die Probleme der Mitgliedergrenze zu sehr isoliert — so als ob richtige Auswahl und Ausbildung der Mitglieder einerseits oder Konsens und Zufriedenheit andererseits allein schon den Bestand des Systems gewährleisteten und es keine anderen Umweltprobleme gäbe. So tauchen bei dieser einseitigen Problemstellung denn auch keine Rechtsfragen auf (obwohl das Recht natürlich immer vorausgesetzt werden muß). Die Rechtsförmigkeit der Systemstruktur der öffentlichen Verwaltung hat, das war unser Ausgangspunkt, die Funktion, die divergierenden Anforderungen verschiedener Systemgrenzen zu koordinieren. Sie kann bei isolierender Betrachtung einzelner Umweltbeziehungen oder Anpassungsprobleme des Systems nicht voll verstanden werden. 1
Vgl. namentlich Jaeggi/Wiedemann 1963. An amerikanischen Veröffentlichungen z. B. Craig 1955; Mann/Williams 1960 (siehe für Produktionsorganisationen auch Mann/Hoff man 1960); Faunce/Jacobson 1962; Chapin 1963 S. 147 ff.; Beaumont/Helfgott 1964 und den Überblick bei Blau/Scott 1962 S. 180 ff.
10. Kap.: Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder
Fehlerverantwortlichkeit ist keine Sache reiner Kausalität. Ursachen und Wirkungen sind in Handlungssystemen immer komplex ineinandergeflochten. Irgendwie wirkt jeder an allem mit. Die Zurechnung solcher Mitwirkung ist ein eigenständiger sozialer Prozeß, der einige wenige Handlungen unter den vielen mitwirkenden als relevant auswählt. Hierfür gibt es viele Regeln2. Während zum Beispiel das normgemäße Handeln als normal nahezu unbemerkt bleibt und nicht persönlich angerechnet wird, haben Fehler die fatale Eigenschaft, aufzufallen und eine Erklärung zu fordern. Dazu kommt, daß besondere Verdienste leichter zu erklären und leichter mit anderen zu teilen sind als ein besonderes Mißgeschick. Erfolge finden daher gewöhnlich eine breite Zurechnungsbasis, während der Zurechnungsprozeß bei Fehlern typisch restriktiv, also entgegengesetzt verläuft. Er hinterläßt nicht selten den Eindruck, daß der Fehler überhaupt nicht verursacht worden ist, oder allenfalls einem ganz bestimmten Schuldigen „passierte", dem seine Verteidigung mißlang 8 . Dieser Prozeß der Ausbreitung der Erfolge und der Isolierung von Fehlern wird in Verwaltungssystemen noch dadurch verstärkt, daß die Erfolge vom System und besonders von seiner Leitung in Anspruch genommen werden, die Fehler dagegen über eine Regelung der Verantwortlichkeit auf die Person bestimmter Mitglieder, also auf die Umwelt abgewälzt werden 4 . Diese Verteilung ist eine wichtige Hilfe bei der Idealdarstellung des Systems. Sie schützt zugleich gewisse Strukturprobleme des Sozialsystems gegen Aufhellung durch das Bewußtsein und damit die Organisation gegen Kritik. Die Tatsache, daß wesentliche Fehlerquellen in der Struktur des Verwaltungssystems in den jeweiligen Arbeits- und Organisationsformen mitbegründet sind, wird deshalb leicht übersehen. Die Fixierung der Verantwortlichkeit, die diese Schuldverteilung bewirkt, kann nicht den natürlich-elementaren Prozessen der Zurechnung überlassen bleiben, sondern muß durch entsprechende Rollenpflichten der Mitglieder sanktioniert werden. Derartige Regelungen 1
Dazu allgemein Heider 1944. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, daß mit der Automation die nüchterne und angstlose Behandlung von Fehlern als „Störungen" in die Verwaltung einzusickern beginnt — eine neue Art der Fehlerdarstellung, die in das Repertoire der bürokratischen Taktiken aufgenommen zu werden verdient. Der Begriff der Störung unterstellt die Verantwortlichkeit einer „externen" Ursache und entlastet auf diese Weise die Darstellung des Systems. Die Bezeichnung von Fehlern als „semantisches Rauschen" (Hockett 1952) liegt dann ebenfalls nahe, bedürfte aber wohl sorgfältiger Vorbereitung und Eingewöhnung. 4 Vgl. einige Bemerkungen dazu bei Presthus 1962 S. 142 f. 8
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werden von der Organisationssoziologie mit Recht als Teil der „formalen Organisation" betrachtet — und damit zu Unrecht aus dem Bezirk ihres eigentlichen Forschungsinteresses hinausgeschoben5. I n Wahrheit ist jedoch die Frage, für was die Systemmitglieder verantwortlich gemacht werden, nicht nur ein Normauslegungsproblem, sondern zugleich ein die Orientierung und das faktische Verhalten der Mitglieder durchgehend bestimmender Gesichtspunkt, wie jeder weiß, der eine zeitlang in Organisationen gearbeitet hat. Selbst das, was man „zur Kenntnis nimmt", hängt davon ab. Durch Zuweisung von Aufgaben und Mitteln und durch Festlegung ihrer Verantwortlichkeiten werden die Mitglieder an den Arbeitsfluß gebunden und damit direkt oder indirekt auf Nichtmitgliedergrenzen hin orientiert. Der Arbeitsfluß ist der Sammelpunkt von Kommunikationen aller Systemgrenzen; in ihm müssen die verschiedenartigsten Umweltinteressen, die Paragraphen ebenso wie das Bedürfnis nach einem kollegialen Schwatz oder das Grollen eines Abgeordneten, berücksichtigt und die Reaktionen des Systems in eine brauchbare, bestandsfähige Konstellation gebracht werden, wofür, das sei hier nur angedeutet, das reine Nacheinander der verschiedenen Arbeitsleistungen (Arbeitsfluß!) die wichtigste Grundlage hergibt. Diese zentrale Stellung des Arbeitsflusses — alle Grenzstrategien und alle Strukturprobleme beziehen sich auf ihn — macht es in rechtsstaatlichen Verwaltungen unvermeidlich, daß die Beteiligung des einzelnen Systemmitglieds am Arbeitsfluß in Rechtsform gegossen wird. Das heißt natürlich nicht, daß jeder Verstoß rechtlich sanktioniert werden muß oder gar wird; sicherlich aber, daß die Beteiligung an der Arbeit und insbesondere die Bemühung um richtige, das heißt fehlerfreie Ergebnisse nicht als eine Sache rein persönlicher Motivation behandelt wird. Der Arbeitsfluß, in Verwaltungen der Prozeß der Entscheidungsfertigung, ist Träger der Funktion, die wir als Reduktion der Unbestimmtheit (Varietät) des Systems bezeichnet haben. Er führt mehr oder weniger ziellos anfallende Daten, absichtlich zugetragene Mitteilungen, planmäßig gesuchte Ergänzungsinformationen und allgemeine Entscheidungsinstruktionen zusammen, um aus diesen widerspruchsreichen, vieldeutigen, ungewissen und vielfältig verwendbaren Ausgangsinformationen eindeutige Entscheidungen zu fabrizieren. Wir haben auch gesehen, daß dieser Prozeß nicht als ein rein logisches Verfahren tautologischer Umformung von Begriffen und Sätzen betrieben werden kann, sondern eine Informationsverdichtung anderer, darum aber nicht weniger rationaler Art darstellt. Fehler haben deshalb nicht von selbst jene klare Evidenz, die eine eindeutige Feststellung und Zurechnung 5 Zu dieser Zurückhaltung der Soziologie vor Fragen der formalen Organisation siehe meine Kritik 1964 d S. 29 ff.
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des Verschuldens erlaubt. Vielmehr muß durch Organisation und Entscheidungsprogrammierung der Bezugsrahmen erst geschaffen werden, in welchem eine verläßliche Fehlerverantwortlichkeit institutionalisiert und in die Motivationsstrukturen der Systemmitglieder eingeprägt werden kann. Das gelingt nur mehr oder weniger gut — abhängig vor allem davon, welche logischen Sprünge und unkontrollierbaren „Willensbildungen" der oben® erörterte Prozeß der Absorption von Unsicherheit im Entscheidungsgang erfordert. Dieses „mehr oder weniger" der erreichbaren Fehlerdeutlichkeit und Fehlerverantwortlichkeit eröffnet den Spielraum für Bemühungen um Verwaltungsrationalisierung und stellt auch den Hintergrund für die Frage, wie es um die Fehlerverantwortlichkeit des Juristen einerseits und der auf die elektronische Datenverarbeitung bezogenen Arbeitsrollen andererseits bestellt ist. Man kann sich diese Problemstellung auch als Inkongruenz von Verantwortung und Verantwortlichkeit verdeutlichen. Verantwortung steckt in jedem Beitrag zur Unsicherheitsabsorption, auch in dem, den die Maschine leistet7. Sie läßt sich aber nicht direkt als Pflichtaufgabe formulieren, denn man kann es einem Mitglied nicht als offiziellen Auftrag zuweisen, aus zweifelhaften und unklaren Unterlagen sichere Ergebnisse zu erzielen. Die dazu nötige Spontaneität läßt sich nicht erzwingen, noch kann ein System es sich leisten, eine solche Arbeitsauffassung als Außendarstellung zu projizieren 8. Es bleibt nur der Weg • Vgl. S. 56 ff. Grundsätzlich ist Verantwortung im Sinne von Unsicherheitsabsorption eine Funktion kommunikativer Prozesse und keine „Eigenschaft" von Menschen und erst recht keine Tugend. Daher ist sie auch keine Kategorie, die sich exklusiv auf menschliche Datenverarbeitung beschränken ließe, obwohl alle Unsicherheit, auch die Zweifel, die ein Computer gelegentlich hat, sich auf Unsicherheit von Menschen zurückführen lassen, und es Menschen sind, die sich ihre Unsicherheit dadurch absorbieren lassen, daß sie Maschinen vertrauen. Aber zum Zustandekommen solcher Unsicherheitsabsorption bedarf es eines Zusammenwirkens von Mensch und Maschine, so wie in anderen Fällen ein Zusammenwirken von Fachmann und Laien (ζ. B. Arzt und Patient) erforderlich ist, um Unsicherheit zu beseitigen. Und wie man nicht sagen kann, daß der Patient allein die Verantwortung für seine Gesundheit trägt, weil er aus wohlerwogenen Gründen dem Arzt vertraut, so kann man auch nicht sagen, daß der Mensch, der einer Datenverarbeitungsanlage aus wohlerwogenen Gründen ihre Ergebnisse abnimmt, allein die Verantwortung trägt Wenn man Verantwortung in unserem Sinne als Funktion kommunikativer Prozesse definiert, hat es keinen Sinn mehr, sie individuell zuzurechnen. Eben deshalb kommt es zu jener Diskrepanz von Verantwortung und zurechenbarer Verantwortlichkeit, die wir im Text behandeln. 8 Eine wichtige Ausnahme, das Justizverweigerungsverbot der Gerichte, ist durch die Art interessant, wie sie diese Regel bestätigt: Sie ist nur durch zusätzliche Institutionen möglich, welche die dunklen Stellen in der Urteilsflndung entweder wegfingieren oder sie, ζ. B. als „schöpferische Rechtsfindung" legitimieren. Und sie erfordert, weil sie zur Übernahme von Verantwortung zwingt, eine weitgehende Freistellung von Verantwortlichkeit. Die Ratio des 7
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einer indirekten Formalisierung, und die geschieht durch Festlegung von Verantwortlichkeit im Sinne einer Rechenschaftspflicht für Fehler·. Es wird erwartet — und der Bestand des Systems ist davon abhängig —, daß die Systemmitglieder im Rahmen ihrer je besonderen Rollen zur Unsicherheitsabsorption beitragen und dieser Erwartung können sie sich praktisch nicht durch ein dauerndes „ich weiß es nicht" entziehen. Formal und sanktionierbar aber sind sie nur verpflichtet, anwesend zu sein, zu arbeiten und dabei keine Fehler zu machen. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Veränderungen untersucht, die durch die Automatisierung in den Prozeß der Entscheidungsfertigung hineingetragen werden, so wird man feststellen, daß in den automatisierten Strecken des Entscheidungsvorgangs und bei den auf sie zuarbeitenden Entscheidungsbeiträgen das Verfahren der Herstellung von Entscheidungen sehr viel genauer geregelt ist und daß sich dadurch sehr viel weitergehende Möglichkeiten ergeben, Rechenschaft zu verlangen. Bei der juristischen Fallbearbeitung alten Stils ist, wie wir sahen, im Grunde nur die Darstellung, nicht aber die Herstellung der Entscheidung geregelt, wenn man von einigen Vorschriften für förmliche Verfahren wie Parteianhörung, Mündlichkeit oder Schriftlichkeit, Fristen etc., absieht, die zumeist aber auch nur die Darstellung der Herstellung, nicht die Herstellung selbst regeln. Diese Zurückhaltung von Eingriffen in die Geheimnisse der Unsicherheitsabsorption ist ein notwendiges Korrelat der eigentümlich juristischen Verantwortung. Und dieser Zusammenhang spiegelt sich auch in der Art, wie Fehler in ihren Konsequenzen für die beteiligten Mitglieder behandelt werden. Zwar spielt das Fehlerproblem in der juristischen Entscheidungstätigkeit, verglichen etwa mit der Arbeit im Rahmen von Zweckprogrammen, eine prominente Rolle. Trotzdem ist die faktisch realisierbare, ja selbst die sinnvolle Rechenschaftspflicht nicht sehr hoch zu veranschlagen. Zweifellos gibt es auch beim juristischen Entscheiden eklatante Mißgriffe, die eine Amtshaftung wegen Verschuldens und eine persönliche Regreßhaftung des Beamten auslösen können, so besonders in den wegen ihrer Schadensgeneigtheit stark formalisierten Rechtsbereichen des Zwangsversteigerungsrechts, des Grundbuchrechts, auch des Besoldungswesens. Hier lohnen sich Haftungsversicherungen. Weitaus größer und praktisch bedeutsamer ist jedoch die Menge von „halben" Fehlern, von diskutierbaren, aber nicht haltbaren bzw. bei Nachprüfung nicht § 839 Abs. 2 BGB liegt in der Diskrepanz von Verantwortung und Verantwortlichkeit und nicht allein in einer Ermutigung zur Entscheidung, die ja auch andere Beamte brauchen könnten. • Dazu eingehend Luhmann 1964 d S. 172 ff.
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akzeptierten Entscheidungen und Begründungen. In diesem großen, grau schattierten Bezirk gibt es keine eindeutige Verantwortlichkeit. Mit einigem Geschick kann sich daher der normale Bearbeiter, dessen Entscheidung später mißbilligt wird, in diesen grauen Bezirk retten, sich auf vertretbare, wenn auch letztlich nicht stichhaltige Argumente zurückziehen. Er nimmt dann eine Korrektur auf sich, ohne einen beruflichen Kunstfehler einzugestehen: „Zu der Zeit, als dieses oder jenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht ergangen war, konnte man annehmen, d a ß . . . , zumal auch der Kommentar von X eine schwer verständliche, aber in diesem Sinne auslegbare Erläuterung gibt." Die Grenzen dieses grauen Bezirks liegen nicht eindeutig fest, schwanken aber auch nicht allzusehr. Sie werden von kollegialem Konsens, letztlich vom Anspruchsniveau des Standes bestimmt, wobei die Amtshaftungs- und Regreßentscheidungen der Gerichte gleichsam einige feste Grenzpfähle zur allgemeinen Orientierung einrammen. Gerichte, die über Amtshaftungs- und Regreßprozesse zu entscheiden hatten, haben sich daher immer genötigt gefühlt, eine gewisse Fehlertoleranz zu üben, obwohl sie selbstsicher genug waren, Kenntnis und Beachtung ihrer eigenen Rechtsprechung als zwingendes Gebot anzusehen. Das Netz der Verantwortlichkeit für Rechtsfehler ist mithin audi für die Verwaltung im engeren Sinne 10 sehr weitmaschig geflochten und erwischt nur wirklich grobe Verstöße. Es entspricht damit der eigentümlichen Funktion des juristischen Entscheidens, einer Funktion der Unsicherheitsabsorption, bei deren Erfüllung der Entscheidende Verantwortung auf sich nehmen muß, und eben deshalb nicht voll verantwortlich gemacht werden kann. Um wichtige Nuancen anders 11 ist die Situation der Verantwortung, und damit auch die Verantwortlichkeit dessen, der an der elektronischen Datenverarbeitung beteiligt ist — sei es, daß er zur Vorbereitung maschineller Verarbeitung Daten umformt, als Locherin etwa, oder als Sachbearbeiter, der seine Daten zu direkt ablochbaren Unterlagen zusammenstellt; sei es, daß er Maschinenprogramme entwirft oder codiert; sei es, daß er die Anlage bedient oder wartet. Diese Arbeiten setzen praktisch voraus, daß die Unsicherheit in bezug auf den Ent10 Richter sind durch § 839 Abs. 2 BGB von einer Verantwortlichkeit praktisch freigestellt. 11 Es handelt sich in der Tat nur um Nuancen. Das muß, da der Text zu einer Kontrastierung führt, ausdrücklich angemerkt werden. Jurist und Datenverarbeitungsmaschine arbeiten im Rahmen von verhältnismäßig fehlerdeutlichen Konditionalprogrammen und rücken in eine ähnliche Situation, wenn man ihnen aus der Ferne zuschaut — wenn man sie etwa mit zweckprogrammierten Arbeitsrollen vergleicht, wo die Fehlersituation durch die Unterscheidung von ungeeigneten und nur unwirtschaftlichen Mitteln strukturiert ist.
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scheidungsbeitrag der durchlaufenden Informationen weggearbeitet ist bis auf jenen Rest, der aus dem unvorhersehbar gemischten Anfall der Fälle resultiert und im Computer selbst geklärt wird. Die Entscheidungsverantwortung ist hier also gering — und eben deshalb die Verantwortlichkeit um so leichter fixierbar. Nur wo eine erhebliche Unsicherheit über den zweckmäßigen Einsatz der Anlage und die beste Ausnutzung ihrer Möglichkeiten abzuarbeiten ist, nämlich bei der Systemplanung und der Programmierung, entsteht eine sekundäre, nur indirekt auf die Entscheidungsresultate bezogene Verantwortung, die ihre eigene Fehlertoleranz erfordert. I m übrigen ist der Durchlauf der Informationen so geordnet, daß keine Ungewißheit mehr zu absorbieren ist. Die Problematik der Arbeit und ihre Anstrengung bestehen, vom Tempo abgesehen, im wesentlichen darin, Fehler zu vermeiden. I m Zentrum der Aufmerksamkeit dieses Arbeitsbereichs steht mithin viel stärker, als dies beim Juristen der Fall ist, das Inganghalten des Arbeitsflusses im Kommen und Gehen der Datenträger, das rasche Erkennen und Beseitigen etwaiger Störungen oder fremder Fehler und das Vermeiden eigener Mißgriffe. Je weiter die Automatisierung getrieben wird, desto stärker reduziert sich der manuelle Beitrag auf zweierlei: auf Systemplanung und auf das Behandeln von Ausnahmen, darunter vor allem Störungen und Fehlern". Bei dieser Arbeitsordnung kann nun der Maschinendurchlauf selbst entscheidend zur Entdeckung etwaiger Fehler beitragen. Die Anlage siebt zwar nicht mit Sicherheit jeden Fehler aus dem Datenmaterial heraus, aber sie kann doch so programmiert werden, daß sie einen hohen Prozentsatz von unmöglichen oder sehr unwahrscheinlichen Konstellationen entdeckt und gesondert herausschreibt. Sie eignet sich dazu, eine endlose Kette individueller Vorwürfe in Gang zu bringen, Fehlerstatistiken zu fertigen und das Fehlerpotential einzelner Personen, Arbeitsgruppen, Abteilungen für die Systemleitung erkennbar und vergleichbar zu machen. Denn die Fehlerzurechnung bereitet nun keine erheblichen Schwierigkeiten mehr. Die Arbeitsbereiche sind genau abgeteilt. Während bei der traditionellen Kooperation im Entscheiden jeder Beteiligte mehr oder weniger alles sieht und daher auch für alles verantwortlich gemacht werden kann 18 , sind in der spezialisierten Arbeitskette die Bei" Eine ähnliche Beurteilung der Entwicklung bei Simon 1960 b S. 50 f. Eine gute Illustration hierfür bietet die Schwierigkeit, bei normaler hierarchischer Arbeitsorganisation der Verwaltung die Verantwortlichkeit des Sachbearbeiters gegen die des Dezernenten, des Gruppenleiters, des Abteilungsleiters, abzugrenzen, wenn alle die Entscheidung mitgezeichnet haben. Hier gibt es zwar gewisse interne Regeln der Arbeitsteilung: worauf der eine bzw. andere sein Augenmerk in der Hauptsache richten soll. Rechtlich sind sie 18
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träge exklusiv gegeneinander abgetrennt. Man kann, wenn man will, klären, ob eine fehlerhafte Entscheidung durch einen Maschinenfehler, einen Lochungsfehler, einen Fehler im Programm oder bei der Codierung oder durch einen Fehler bei der Herstellung des Urbelegs entstanden ist. Und damit läßt sich zugleich, viel besser als bei den traditionellen Formen der Entscheidungskooperation, die Verantwortlichkeit klarstellen. Deren Aktualisierung greift auch nicht störend in den delikaten Prozeß der Unsicherheitsabsorption ein. Aber kann sie deshalb durch rigorose Anwendung der Verschuldenshaftung des jeweils verantwortlichen Mitglieds erfolgen? So paradox es klingen mag, eine Verschuldenshaftung ist in einem Betrieb nur dort und nur soweit brauchbar, als es elastische Entschuldigungen gibt. Sie braucht nicht immer, muß aber für die meisten Fälle umgangen werden können. Für einen glatten Anschluß einer persönlichen Haftung an jeden Fehler sind die Motivationsprobleme der Mitgliedergrenze zu delikat und ihre Rückwirkungen auf den Arbeitszusammenhang zu bedeutsam. Vor allem ist zu bedenken, daß die Zusammenarbeit der Mitglieder trotz gelegentlicher Entgleisungen erhalten werden muß. Wer haftbar gemacht wird, läßt sich dadurch in Zukunft vielleicht zu größerer Vorsicht motivieren, vermutlich aber auch zu besonderer Langsamkeit und zur Zurückhaltung aller spontanen Kooperation, besonders im Verhältnis zu denen, die ihn „reingelegt" haben. Das kann, je nach der Art des Arbeitszusammenhanges, der sich ja nie ganz auf formale Pflichten reduzieren läßt, nicht nur Unannehmlichkeiten, sondern auch empfindliche Leistungsstörungen zur Folge haben, ohne daß diese nun formal sanktioniert werden können. So findet man nicht ohne verständigen Grund ein dichtes Zusammenhalten der Kollegen, einschließlich ihrer näheren Vorgesetzten, in Haftungsfragen und jedenfalls im Kreise der engeren Mitarbeiter eine informal institutionalisierte Pflicht, sich wechselseitig Deckung zu geben 14 . Wenn das aber wegen der Art des Fehlers nicht möglich ist, muß ein Ersatz dafür geschaffen werden, der die gleiche Funktion jedoch alle verantwortlich — und eben dadurch wird es praktisch schwierig, überhaupt jemanden verantwortlich zu machen. Siehe zu diesen Überschneidungen und der darin liegenden Arbeitskontrolle auch die Feststellungen bei Hartflel u. a. 1964 S. 127 f. Neuerdings scheinen sich dagegen zumindest in der Wissenschaft, Tendenzen anzubahnen, auch die vertikalen Ebenen eines Systems unter dem Gesichtspunkt je spezifischer Funktionen schärfer zu trennen, besonders seitdem die strenge Trennung von Hierarchie und (nur) horizontaler Arbeitsteilung in der klassischen Organisationslehre ins Wanken gekommen ist. Hierzu berichtend Spann 1962 und in der deutschen Literatur namentlich Meier 1957. Daß die Automation derartige Bestrebungen fördern wird, ist anzunehmen. Vgl. dazu auch Pietzsch 1964 S. 28 ff. 14
Siehe dafür etwa Lindemann 1952 S. 60 ff.; Morstein Marx 1956 S. 369 f.; Westley 1956.
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erfüllt: die Fortsetzung spontaner, reibungsloser Kooperation trotz gelegentlicher Entgleisungen zu ermöglichen. Dieses Problem, das beim bisherigen Arbeitsstil mehr oder minder gut durch den grauen Bezirk der entschuldbaren Fehler und durch kollegiale Kooperation an der Entschuldigung, also durch nicht darauf zugeschnittene, funktional latente, wenn nicht gar illegale Einrichtungen gelöst wurde, muß nunmehr offen gelegt und in die planmäßige Personalpolitik einbezogen werden. Es wird dann als anerkannte Aufgabe in die amtliche Strategie der Verwaltung ihren Mitgliedern gegenüber aufgenommen — eine auch anderswo zu beobachtende Tendenz zu einem stärker differenzierten Problemverständnis, zu einer Entwicklung von latenten zu manifesten, von funktional-diffusen zu funktional-spezifizierten Leistungsbeiträgen. Man wird nicht aus jedem Fehler einer Locherin die entsprechenden Haftungskonsequenzen ziehen dürfen ohne Rücksicht auf die weiteren Folgen solchen Handelns im System. Die strenge Rechtlichkeit eines solchen Zugriffs befreit nicht von der Verantwortlichkeit für nachteilige Folgen, die man beim heutigen Wissensstand voraussehen kann. Der Ausweg liegt in einer komplexeren Betrachtungs- und Behandlungsweise, der vom Recht die notwendige Dispositionsfreiheit eingeräumt werden muß. Man wird gewisse Anspruchsniveaus in bezug auf Fehlerquoten festlegen und die Fehleranfälligkeit der einzelnen Mitglieder insgesamt beobachten und damit vergleichen müssen. Dazu ist man auch deshalb genötigt, weil es im Einzugsbereich der Automation unangebracht ist, den Einzelfehler als solchen, sei es mit Haftungsfolgen, sei es auf andere Weise zu sanktionieren. Das folgt aus der Fehlerart 15 . I m Grunde ist die Fehleranfälligkeit hier eine Folge der Schematisierung, das heißt der Entlastung vom Durchdenken und Mitberücksichtigen des Sinnzusammenhanges der Arbeit und der Ausschaltung von darin liegenden Kontrollen. Man könnte sich gegen Fehler also nur durch unrationelle Horizonterweiterung schützen. Damit hängt eine Entindividualisierung der Fehler zusammen. Jede Fehlschaltung, jedes falsch gesetzte Loch, jede Spalten Verwechslung ist ein gleichartiger Fehler und kann sich auch bei größter Sorgfalt wiederholen. Während der Jurist, der für einen Fehler verantwortlich gemacht wird, sich damit trösten kann, daß ihm ein so grober Schnitzer wie ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 3 des Rübensamengesetzes nie wieder passieren wird, weiß derjenige, der an der Datenumformung mitarbeitet, daß ihm die für diese Arbeit typischen Fehler immer wieder einmal unterlaufen werden; und er weiß nicht, wie er sich davor schützen soll, es sei denn durch eine Privatversicherung. Die Art der Fehler schließt es praktisch 15
Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Springholz 1959 S. 91 ff.
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aus, grobe Fehler und damit zugleich solche, aus denen man lernen kann, als Haftungsfälle auszusondern. Das wäre allenfalls bei Programmierfehlern denkbar, und dort werden grobe Fehler beim Testen entdeckt und unschädlich gemacht. Man kann diese Erkenntnisse auch so formulieren, daß die Richtigkeit des Handelns gar nicht mehr ohne weiteres motivfähig ist. Überall dort, wo das Recht die Funktion der technischen Koordination sehr komplexer Systeme übernehmen muß — man denke etwa, um ein anderes Beispiel zu wählen, an das heutige Straßenverkehrsrecht —, droht dieses Auseinanderklaffen von Vorschrift und Motivfähigkeit. Die Vorschrift hat dann eine andere Systemreferenz als die, die der Handelnde seiner Situationsdefinition typisch zugrunde legt, und so ist es nicht mehr allein Sache des „guten Willens", oder Sache von Lohn und Strafe, ob sie erfüllt wird oder nicht. Diese Überlegung zeigt, daß die Fehlerneigung der Arbeit von organisatorischen Variablen, hier: der Schematisierung, mitbestimmt wird. Das macht die Problematik einer individuellen Schadenszurechnung deutlich. Dazu kommt, daß bei einer Arbeit, die das Vermeiden von Fehlern im Mittelpunkt ihrer Anstrengung sieht, die Haftungsdrohimg als Motivierungsmittel praktisch versagt. Sie ist und bleibt an den Einzelfall gebunden und kann nicht zur Sanktion einer Gesamtleistung generalisiert werden. Man kann bei überdurchschnittlicher Fehlerzahl Warnungen aussprechen und gegebenenfalls Sanktionen verhängen, nicht aber für den elften Fehler im Monat — und nur für diesen — haftbar machen, weil damit ein Normalmaß überschritten ist. I m Grunde aber sind auch Fehlerquoten-Sanktionen unzureichend oder allenfalls zur Vorbereitung von Personalentscheidungen sinnvoll. Wer zu zerstreut arbeitet und zu viele Fehler begeht, ist für diese Tätigkeit eben ungeeignet. Das Problem muß dann durch eine Personalentscheidung gelöst werden. Dabei darf die allgemeine Situation des Arbeitsmarktes, der Umwelt potentieller Mitglieder, ebenso wie die allgemeine Attraktivität des Systems und dieser spezifischen Rollen in ihm nicht außer acht gelassen werden. Die Reflektion auf diese Umweltbedingungen muß sich in der Festlegung des Anspruchsniveaus in bezug auf Fehlerhäufigkeit widerspiegeln. In jedem Falle sollte man davon absehen, eine Regreßhaftung durchzuführen und den Haftenden trotzdem an seinem Arbeitsplatz zu belassen. Der Ausfall des spezifischen Motivationsmittels der Regreßhaftung, die ohnehin ein altertümliches (nämlich fallgebundenes, in der Empfindlichkeit der Sanktion mit der Schwere des Fehlers nicht abgestimmtes, unelastisches, nicht generalisierbares) Gepräge hat, ist nicht besonders tragisch zu nehmen. Die Entbehrlichkeit der persönlichen Schadenshaftung zeigt sich besonders, wenn man sich die typische Struktur
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der Arbeitsmotivation im Umkreis der elektronischen Datenverarbeitung genauer ansieht. Man wird davon ausgehen können, daß es bei dieser Arbeit kaum hervorstechende Motive gibt, Fehler zu begehen oder doch zu riskieren. Es gibt kein persönliches Interesse an Fehlern 1 · so wie es ein Interesse an Bequemlichkeiten, an Verringerung der Arbeitslast gibt. Der Arbeitsfluß ruft gleichsam selbst die notwendigen Handlungen ab und motiviert sie im Rahmen des allgemeinen Entschlusses, Systemmitglied zu bleiben. Damit ist auch das Motiv, nach Maßgabe von Standarderwartungen sorgfältig und fehlerfrei zu arbeiten, als ziemlich unproblematisch vorgegeben. Die traditionellen Antriebsmittel, zum Beispiel auch die der hierarchischen Aufsicht, treten weit zurück 17. Auch an dieser Systemgrenze, zeigt sich daher, daß es zweckmäßig ist, Fragen des Einsatzes und der Motivation der Mitglieder von Problemen der Schadensabwicklung an der Publikumsgrenze vollständig zu trennen, weil Institutionen, die beiden Grenzen ineins gerecht werden sollen, notwendig funktional diffus — und daher nicht problemgerecht — institutionalisiert werden müssen. Besonders kraß wirkt sich die mangelnde Trennung der Systemgrenzen im deutschen Recht aus, weil hier im Unterschied zu den meisten ausländischen Rechten18 das Schadensersatzrecht vom „Alles oder Nichts" Prinzip beherrscht ist, so daß ein Betriebsangehöriger sich unter Umständen zum Ersatz von Schäden verpflichtet sieht, deren Höhe in keiner Beziehung zum Maß seines Verschuldens oder zu seinem Lohn bzw. Gehalt steht. Die neuere Rechtsentwicklung tendiert denn auch bereits deutlich zu einer Trennung der Schadensabwicklung im Außen- und Innenverhältnis 19 , — besonders seitdem durch § 23 19 Möglichkeiten des Betrugs und der Veruntreuung dürfen selbstverständlich nicht übersehen werden. Aber das ist ein anderes Problem. Daß solche „Fehler" scharf und ohne Nachsicht sanktioniert werden müssen, versteht sich von selbst. Im übrigen können automatisierte Verfahren dagegen sehr viel besser gesichert werden als die traditioneUe Arbeit. 17 Siehe hierzu namentlich Bahrdt 1958 insb. S. 97 ff.; Shultz/Whisler 1960 S. 9 u. ö.; Uletschko 1961 S. 180 f.; Jaeggi/Wiedemann 1963 z. B. S. 120 ff., 132 ff. 152 f. 2281; Simon 1960 a S.48; Schnelle 1964 S. 397 ff. Ähnliche Feststellungen sind bei Analysen des horizontalen Arbeitsflusses in Produktionsorganisationen getroffen worden; vgl. ζ. B. Popitz/Bahrdt/Jüres/Kesting 1957 insb. S. 211 f.; Lepsius 1960 S. 19, 27 ff.; v. Friedeburg 1963 S. 106 ff.; Weltz 1964 z. B. S. 30 (s. aber auch die abweichenden Feststellungen für den Bergbau). 18 Siehe z.B. Art.43 Abs. 1 des Schweizerischen Obligationsrechts: „Art und Größe des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Größe des Verschuldens zu würdigen hat". Auch in Deutschland sind, besonders durch den 43. Deutschen Juristentag, Erwägungen in Gang gekommen, die Starrheit des gegenwärtigen Rechts zu mildern. Dodi kann dies wohl nur durch Einführung richterlicher Ermessensfreiheit geschehen, die auch ihre Schattenseiten hat. 19 Vgl. namentlich Schulze-Böhler 1961.
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Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes die Regreßhaftung des Beamten allgemein auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt und im Arbeitsrecht Regeln für den innerbetrieblichen Schadensausgleich bei „gefahrgeneigter Tätigkeit" 20 entwickelt worden sind. Die Kritik der persönlichen Schadenshaftung wendet sich also lediglich gegen eine invariante, juristisch fixierte Koppelung der Fehlerverantwortlichkeit mit der Schadensbereinigung an der Publikumsgrenze. Sie darf nicht als Kritik der Verantwortlichkeit selbst verstanden werden. Das wäre weit gefehlt. Die Rechenschaftspflicht für Fehler ist eine nicht wegzudenkende Komponente der Mitgliedschaftsrolle in Arbeitssystemen; ohne sie könnte jeder handeln, wie ihm beliebt. Sie muß aber eine Fassung erhalten, die zu den Arbeitsaufgaben und den Motivationsproblemen der Mitgliedergrenze paßt. An die Stelle der persönlichen Schadenshaftung sollte im Bereich der automatischen Datenverarbeitung eine zugleich abstraktere und elastischere Form der Verantwortlichkeit treten, nämlich zunächst einmal die Feststellung und Zurechnung aller aufgedeckten Fehler im Einzelfall, vielleicht unter schriftlicher Fixierung der Mitteilung an den „Schuldigen". I m übrigen könnte diese Fehlerverantwortlichkeit folgenoffen institutionalisiert werden. Ihre Folgen können von der bloßen Mitteilung zur Arbeitsberatung, zu Warnungen, Versetzungen oder Entlassungen reichen, wie man es auch sonst bei Schlechtleistungen kennt. Dabei wären dann nur an überdurchschnittliche Fehlerquoten, die sich aus der Summierung einzelner Fehlerfeststellungen ergeben, Verschuldensvorwürfe und Maßnahmen mit Sanktionscharakter zu knüpfen 21 . Diese Auffassung entspricht dem Gedanken einer statistischen Behandlung des Fehlerproblems, der in der neueren Organisationstheorie an Boden gewinnt 22 . Wenn wir uns nunmehr zusammenfassend den Unterschied des juristischen, in Probleme der Unsicherheitsabsorption verstrickten Fehlers von dem Fehler bei der elektronischen Datenverarbeitung, der zumeist auf eine Fehlbehandlung von Datenträgern hinauslaufen wird, vor Augen halten, dann wird deutlich, daß verschiedene Formen der Fehlerreaktion gefunden werden müssen. Das sollte auch im Rahmen eines 20 Siehe ζ. B. Ruppert 1961; Ohr 1960; Andresen 1962. Zur Anwendung im Rahmen der öffentlichen Verwaltung Stich 1959; ders. 1960 und Fischer 1960; ferner die abwehrende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 9. 1964, Neue Juristische Wochenschrift 18 (1965) S. 458—462. Wie gerade das Beispiel der Automation zeigt, gibt aber der Gefahrbegriff kein völlig treffendes Bild der Fehlersituation in der Verwaltung. 21 Dem entspricht ζ. B. die Praxis im Rechenzentrum des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes. Die Fehlerquote der einzelnen Locherinnen wird dort laufend überwacht und das Ergebnis als Grundlage für Personalentscheidungen festgehalten. Haftungsprobleme sind bisher nicht aufgetreten. Für freundliche Auskunft in diesen und anderen Fragen bin ich dem dortigen Dezernenten, Herrn Oberregierungsrat Dr. Roemheld, dankbar. 22 Siehe oben S. 82 f.
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für alle Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes einheitlichen Verschuldensbegriffs möglich, also ohne Gesetzesänderung erreichbar sein; denn welches Verhalten als Verschulden zum Vorwurf gemacht wird, ist ohnehin von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz verschieden. Man wird den Einzelfehler bei der Datenumwandlung aus diesem Verschuldensbereich hinausinterpretieren müssen. Eine andere Folgerung betrifft den Arbeitsfluß selbst. Der Übergang von der juristischen zur nichtjuristischen Verantwortungs- und Verantwortlichkeitssphäre muß, da sie verschieden sind, deutlich markiert werden. Das dürfte beim Fluß der täglichen Informationen nicht schwierig sein, selbst wenn der juristische Sachbearbeiter auch Funktionen der Datenvorbereitung für die Maschine, etwa die Herstellung der ablochbaren Belege, Listen usw. übernimmt. Schwieriger könnte die Trennung bei der Programmierung sein, wo Juristen mit Programmierern zusammenarbeiten müssen. Hier mag es sich empfehlen, alle Rechtsauffassungen, die dem Programm zugrunde gelegt werden, möglichst eindeutig schriftlich zu fixieren, damit die Verantwortlichkeiten später getrennt werden können. Die Gefahren, die ein sonst so vorteilhaftes „teamwork" hier haben kann, liegen auf der Hand. Aber sie lassen sich vermeiden; denn gute, kollegiale, mündliche Zusammenarbeit schließt eine nachträgliche schriftliche Fixierung der dabei erarbeiteten Ergebnisse nicht aus. Diesen Erkenntnissen wird sich schließlich auch die Regelung der förmlichen Übernahme der Verantwortlichkeit fügen müssen. Bei automatischer Datenverarbeitung wird es unangemessen, diesen Akt, der zum Beispiel durch Unterschreiben des Vermerks „sachlich richtig und festgestellt" auf Kassenanweisungen vollzogen wird, auf die Entscheidung selbst, hier: auf den angewiesenen Betrag zu beziehen, den der Verantwortliche weder kennen kann noch soll (denn das würde ihn mit organisatorisch unnützer, kostspieliger Information belasten). Die Feststellung kann sich daher nur auf die Eingabedaten erstrecken, die auf der gleichzeitig gefertigten Lochanweisung dem Rechenzentrum zugeleitet werden 23 . Sie ergibt eine Richtigkeitsgarantie daher nicht für 23 In diese Richtung entwickelt sich nach meinen Beobachtungen denn audi das Selbstverständnis der Verwaltungspraxis. Siehe ζ. B. die oben Kap. 8 Anm. 19 zitierte Stellungnahme des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes Tz 44.1, ferner Voss 1960 b S. 1092. Es gibt aber audi entgegengesetzte Tendenzen. Nach Bachthaler 1964 S. 279 Anm. 2 haben einige Versicherungsanstalten das Verfahren gewählt, die maschinell gefertigten Bescheide nochmals einzeln auf Richtigkeit der verwendeten Merkmale prüfen zu lassen durch einen Beamten, der den Bescheid dann abschließend zeichnet und damit die Verantwortlichkeit übernimmt. Soweit idi feststellen konnte, betreffen solche Nachkontrollen jedoch nur Spezialf ragen, so daß audi in Versicherungsanstalten die Verantwortlichkeit für die Daten in der Regel vor dem Maschinendurchlauf und ohne Kenntnis des Ergebnisses übernommen werden muß.
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sich allein, sondern nur im Rahmen eines Organisationszusammenhanges, der auch an anderen Stellen, zum Beispiel durch Maschinenkontrollen, Lochprüfung, Programmteste, plombierte Kontrollschreibmaschinen, die alle manuellen Eingriffe in den Maschinenablauf registrieren, abgesichert sein muß. D;e alte Vorstellung, daß für jedes Organisationsprodukt ein Mann geradesteht, setzte bestimmte organisatorische Vorkehrungen voraus, nämlich: entweder eine hierarchische Organisation, bei der aller verbindlicher Außenverkehr über die Spitze geleitet wird, die das Produkt an die Umwelt abliefert; oder eine segmentierte Arbeitsteilung in dem Sinne, daß jede Stelle für sich allein und parallel zu den anderen produziert und mit der Umwelt verkehrt. Wenn dagegen funktional differenzierte Arbeitsteilung mit delegiertem Außenverkehr zusammentrifft — und das ist für die moderne, großbetriebliche, sachlich und fachlich komplex orientierte Verwaltung zunehmend typisch —, dann wird die Zentralisierung der Verantwortlichkeit für die Gesamtentscheidung an einer Stelle zur Fiktion. Nur die „letzte Hand" könnte überhaupt diese Verantwortlichkeit tragen, und es wird organisatorisch zumeist nicht sinnvoll sein und der Rationalisierung des Prozesses der Entscheidungsfertigung widersprechen, wenn man ihr die dazu notwendigen Informationen und Kontrollzeiten zubilligt 24 . Die Automatisierung macht also lediglich eine Tendenz evident, die sich auch sonst an vielen Stellen erkennen und auf eine allgemeine Strukturwandlung der Verwaltung zurückführen läßt.
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Mit anderen Worten: Eine „Qualitätskontrolle", die in Produktionsorganisationen, wenn auch mit erheblichem Aufwand, eingerichtet werden kann, ist in Entscheidungsorganisationen kaum möglich. Der Grund für diesen Unterschied ist, daß man am Sachprodukt sämtliche Eigenschaften prüfen kann, daß der Entscheidung dagegen ein Prozeß der „InformationsVerdichtung" vorausgeht, so daß man am Endprodukt des Entscheidungsprozesses in der Regel nicht mehr all die Informationen ablesen kann, die zu seiner Herstellung benötigt werden und zu seiner Beurteilung wesentlich sind. 8·
Elftes
Kapitel
Wirtschaftlichkeit der automatischen Datenverarbeitung Automation ist keine Forderung des Rechts. Sie ist mit unserer positiven Rechtsordnung, so wie sie gegenwärtig gilt, im großen und ganzen verträglich. Aber sie wird von ihr nicht betrieben 1 . Wer nicht automatisiert, handelt deshalb noch nicht rechtswidrig. Die Rechtfertigung der Automation ist im Grunde nicht Sache des Rechts, sondern folgt andersartigen Kriterien der Rationalität. Auf diese seltsame Divergenz von Recht und Rationalität, die unsere Untersuchung von Anfang an begleitet hat, werden wir im Schlußkapitel nochmals zurückkommen. Zuvor müssen wir uns ein Urteil bilden über das angebliche Rationalprinzip der Automation, das Prinzip der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitungsanlagen, und zwar über den Sinn des Prinzips, über seine Praktikabilität und seine rechtlichen Kontaktpunkte. Das Postulat der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung bezeichnet heute neben dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit die zentrale und durchgehende Forderung der politischen Grenze an das Verwaltungssystem. Wir müssen etwas weiter ausholen, um diesen Leitgedanken der folgenden Überlegungen zu verdeutlichen. Diese Zusammenstellung von Politik und Wirtschaftlichkeit mag ungewöhnlich erscheinen. Besonders in der Verwaltung selbst pflegt man das Bemühen um Wirtschaftlichkeit als „unpolitisch" zu verstehen und die anbrandenden politischen Forderungen eher als Störung zu buchen2. Das Politische gilt als das Unsachliche par excellence. Und auch außerhalb der Verwaltung wird die Politik als ein Gewühl von mehr oder weniger selbstorientierten Kräften gesehen, die um Konsens und Einfluß ringen, um bestimmte Vorhaben durchzusetzen. Das alles 1 Immerhin zeichnet sich bereits die Möglichkeit ab, daß dem ein rechtlich sanktionierter Vorwurf gemacht wird, der sich der Möglichkeiten rationaler Datenverarbeitung nicht bedient und deshalb zum Beispiel mit der Gesetzesausführung in Verzug kommt. Einige Bemerkungen in dieser Richtung finden sich bei Brown 1961 S. 243, 244 Anm. 9. 2 Siehe etwa die Warnungen von Hettlage 1961 S. 51 : politische Erwägungen dürften keinen „Freibrief für UnWirtschaftlichkeiten" geben. Oder ζ. B. Weichmann 1957 S. 112 f. und Hüttl 1965 S. 282 f.
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ist richtig, aber man muß zwei Ebenen der Interdependenz von Politik und Verwaltung trennen, zwei Ebenen, die sich durch den Grad der Generalisierung dieser Interdependenz unterscheiden. Die unmittelbare Interaktion von Politik und Verwaltung vollzieht sich in der Form der politischen Besetzung von Stellen der Staatsbürokratie (hier wie immer: Parlamente eingeschlossen) und durch Transformation von Programmen, die in der Politik Machtwert haben, in Entscheidungsprogramme der Verwaltung. Auf diese Ziele hin wird der politische Kampf taktisch rationalisiert. Dieser Nahkontakt läßt aber die Funktion einer solchen Trennung und Verfügung von Politik und Verwaltung nicht erkennen. Sie liegt auf einer höheren Ebene der Generalisierung und erhellt, wenn man nicht den Zusammenhang der Handlungen (Interaktionen), sondern die Interdependenz der Systeme von Politik und Verwaltung ins Auge faßt. Daß das politische Spiel als Kampf um den Zugang zu den Verwaltungsstellen rationalisiert wird, von denen aus formal verbindlich entschieden werden kann, hat den Sinn, eine sozial tragfähige Grundlage für den Verbindlichkeitsanspruch der Verwaltungsentscheidung zu schaffen, ohne welche sie als abstrakte Norm erscheinen würde, die keinen sozialen Kurswert besitzt, sondern von Fall zu Fall mit Zwang durchgesetzt werden muß. Die politischen Prozesse bewirken, ungeachtet ihrer jeweilig konkreten Zielsetzungen, als Teilsystem der Gesellschaft die Legitimation der Entscheidungen des Staatsapparates durch Generalisierung von Einfluß (Macht, Autorität und Führungsleistungen)3. Diese Funktion ist ihrerseits aber abhängig davon, daß eine leistungsfähige Staatsverwaltung eingerichtet ist, das heißt eine solche, die möglichst viele Entscheidungsprogramme bei möglichst geringer wechselseitiger Behinderung und mit möglichst geringen Nachteilen für das Publikum (insbesondere Kosten) durchführen kann. Denn das ist erforderlich, um Programme politisch attraktiv machen zu können. Der Politiker jeder Richtung hat Erfolg, und damit Wiederwahlchancen, in dem Maße, als er politisch „richtig" liegende Programme in der Verwaltung unterbringen kann. Seine konkreten, auf Sicherung seiner politischen Position bedachten (und in diesem Untersystemkontext rationalen) Taktiken setzen einen institutionellen Rahmen voraus, der die Regeln des politischen Spiels definiert und zugleich das Komplementärsystem der Verwaltung einrichtet, welches die in der Politik ausgehandelten oder durchgesetzten Entscheidungsprogramme ausführen kann, ohne durch eine allzu starke Festlegung von Kräften auf spezifische politische Ziele die Beweglichkeit des politischen Systems, die Chancen für neue Vorschläge und die Möglichkeiten des Macht3
Dazu näher Luhmann 1965 b S. 151 ff.
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wechseis zu lahmen. Die Verwaltung des demokratischen Rechtsstaates darf daher nicht rein zweckgebunden, sie muß systemmäßig rationalisiert werden. Unter diesen Umständen wäre der Politik viel damit geholfen, wenn sie wirtschaftliches Handeln zur Rechtspflicht der Verwaltungsmitglieder machen könnte. Denn Wirtschaftlichkeit heißt ja nichts anderes, als daß bei der Verfolgung eines Zweckes auf alle anderen aktuellen und potentiellen Zwecke Rücksicht genommen werden soll. Wäre diese Maxime juridifizierbar, dann brauchte UnWirtschaftlichkeit nicht mit einschläfernden Appellen bekämpft, sie könnte als Rechtswidrigkeit mit sehr einfachen Mitteln praktisch ausgemerzt werden. Wirtschaftliches Handeln würde dann durch die Systemstruktur mitmotiviert werden — was in bezug auf die öffentliche Verwaltung immer wieder schmerzlich vermißt wird 4 . Damit würde auch die Frage, ob und inwieweit Entscheidungsverfahren der Verwaltung automatisiert werden sollten, zu einer Rechtsfrage werden und im Zweifelsfalle von Gerichten entschieden werden. Solche Vorstellungen scheinen, vorsichtig ins Unbestimmte temperiert, dem § 26 der Reichshaushaltsordnung zugrunde zu liegen, der den Verwaltungsangehörigen die wirtschaftliche und sparsame Verwaltung von Haushaltsmitteln zur Pflicht machen will 5 . Dabei hat der Gesetzgeber sich jedoch getäuscht und die Ordnungsmöglichkeiten des Rechts überschätzt®. Wirtschaftliches Entscheiden könnte allenfalls dort zur Rechtspflicht gemacht werden, wo das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne seiner klassischen Definition anwendbar ist, wo also die bestmögliche Relation zwischen Aufwand und Ertrag 4
Vgl. ζ. B. Viaion 1958; McKean 1958 S. 9 ff. In der juristischen Kommentierung des § 26 RHO werden die Schwierigkeiten der Juridifizierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips kaum behandelt. Man hilft sich zumeist damit, daß man Unmögliches für selbstverständlich erklärt. Vgl. z.B. Viaion 1959 § 26 RHO Anm. 2; Helmert 1961 S. 133 ff.; Bank 1956, der immerhin auf zu erwartende Wertkollisionen hinweist. Hüttl 1964 beklagt ebenfalls die Unbestimmtheit der herrschenden Auslegung, hält aber das Wirtschaftlichkeitsprinzip für ein präzisierbares ethisches Gebot, das der juristischen Fixierung an sich nicht bedarf (S. 209). Lerche 1961 hält in anderem Zusammenhang eine Juridifizierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips nur unter einschränkenden Voraussetzungen für möglich, nämlich wenn der Mittelbegriff enger definiert, „auf einen Rechtsbezirk bezogen und unter »geringstem* Mittel jenes verstanden wird, das den schmerzlosesten Einbruch in diesen Rechtsbezirk bedingt" (S. 23). Aber wie soll man „Schmerzen" vergleichen? Besondere Beachtung dürfte schließlich eine beiläufige Bemerkung von Becker 1964 S. 171 verdienen, die das Problem durch eine Beweislastregel erledigt: daß nämlich gegebene Zustände „solange hingenommen werden müssen, als Unwirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen ist". Das ist auch insofern klug, als es die Angst vor Neuerungen zu besänftigen vermag, wenn feststeht, daß eine alte Praxis nicht rückwirkend als unwirtschaftlich diskreditiert werden kann, sondern erst dadurch rechtswidrig wird, daß neuere, bessere Verfahrensweisen entwickelt werden. • So auch Bischofberger 1964 S. 21. 1
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feststellbar ist. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip fordert optimale Entscheidungen in dem Sinne, daß entweder ein gegebener Zweck mit minimalen Mitteln erreicht, oder aus gegebenen Mitteln ein maximaler Ertrag herausgeholt wird. Darin liegt ein klares Kriterium für die richtige Entscheidung; alle unteroptimalen Entscheidungen sind einfach falsch und wären gegebenenfalls rechtswidrig. Wo optimale und daher einzig-richtige Entscheidungen ausgerechnet werden können, genügt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit als Norm. In allen anderen Fällen kann er bestenfalls eine unvollständige, ergänzungsbedürftige Norm sein, die durch zusätzliche Normen ausgefüllt werden muß, welche die Bedingungen angeben, unter denen eine Entscheidung als wirtschaftlich bzw. als nichtwirtschaftlich gelten soll. Und damit gleitet man unaufhaltsam in die Detailproblematik der Verwaltungsrationalisierung hinein. Ob das Wirtschaftlichkeitsprinzip überhaupt entscheidungspraktikabel ist — was heute mit guten Argumenten bestritten wird —, können wir offen lassen. Daß ein solches Optimalprinzip in der öffentlichen Verwaltung nicht angewandt werden kann, ist, obwohl es an gegenteiligen Forderungen und Definitionen nicht fehlt, bei ernsthafter Betrachtung selbstverständlich7. Ja mehr noch: Eine rechtliche Normierung dieses Prinzips würde nicht nur Unmögliches verlangen; sie würde in ihren Denkvoraussetzungen gegen die wesentlichen Verhaltensbedingungen der Verwaltung verstoßen. Das Optimalprinzip setzt die Neutralisierung fast aller Wertbeziehungen des Handelns voraus 8; es erfordert eine einseitige und in hohem Maße rücksichtslose Wertorientierung. Die Zentrallage der Staatsverwaltung in ihrer gesellschaftlichen Umwelt verlangt dagegen gerade sehr komplexe Wertrücksichten. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die Verwaltung als Ganzes streng nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip rationalisiert wird. Vor allem fällt der Gesamtbereich der Konditionalprogramme, also der eigentlich juristische Ordnungsbezirk, aus dem Bereich denkbarer Anwendungen des Wirtschaftlichkeitsprinzips heraus; denn hier orientiert man sich überhaupt nicht an Zwecken und Mitteln, sondern an Tatbeständen und Folgen. Allenfalls ist das Wirtschaftlichkeitskriterium mit stark verminderten Anforderungen als „suboptimale Entscheidungsreger 9 im Rahmen von Zweckprogram7 Siehe dazu Luhmann 1960. Eine gute Einführung in die Schwierigkeiten eines Kosten- und Ertrags Vergleichs bei Projekten der öffentlichen Verwaltung gibt Feldstein 1964. 8 So namentlich Myrdal 1933. • Vgl.Hitch 1953; Hitch/McKean 1954; Bowman/Fetter 1957 S. 24ff.; McKean 1958; ferner die einschränkenden Bemerkungen des Erfinders dieses Begriffs, Hitch, in: Eckman 1961.
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men zu brauchen, deren Vereinbarkeit mit anderen Zweckprogrammen durch nichtwirtschaftliche Erwägungen gesichert ist. Wenn man für den Bau von Jugendherbergen jährlich 500 000,— D M zur Verfügung hat, kann man überlegen, durch welchen Mitteleinsatz man möglichst viele und möglichst günstig gelegene Übernachtungsplätze einrichten kann. Man handelt dann erlaubterweise in einem verengten Werthorizont, setzt nicht nur voraus, daß das Ziel die Kosten wert ist, sondern darf auch eine Fülle von Auswirkungen auf die Verkehrsdichte, die Ruhe der Nachbarn, den ungestörten Naturgenuß, den Familienfrieden, auf verschiedenartige Verdienstchancen der Wirtschaft usw. ignorieren — und kommt im Zweifel trotzdem nicht zu nachweisbar optimalen Lösungen, weil es keine Möglichkeit gibt, die Attraktivität der Lage, die oft auch „teuer" ist, mit der Zahl der Plätze zu verrechnen. Wir müssen uns also mit vorsichtiger Skepsis wappnen, wenn die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in die öffentliche Verwaltung heute in der Regel mit Wirtschaftlichkeitserwägungen begründet wird 1 0 . Diese Skepsis soll nicht zu den Befürchtungen verantwortlicher Kreise, namentlich des Bundesrechnungshofes 11, hinführen und die Vermutung stützen, die Automatisierung der Verwaltung könne beim gegenwärtigen Stand der technischen Entwicklung keine wirtschaftlichen Ergebnisse bringen. Die Frage ist vielmehr, ob die Kategorien wirtschaftlich oder unwirtschaftlich geeignet sind, den Rationalisierungsfortschritt zu erfassen und die Einführungsentscheidungen zu rechtfertigen. Sogenannte Wirtschaftlichkeitsberechnungen werden zumeist in Form eines „Vorher"- und „Nachher"-Vergleichs durchgeführt 12 . Was sich beim Vertrieb von Haarwuchsmitteln bewährt hat, scheint auch den Absatz von Computern zu beflügeln. Bei solchen Vergleichen benutzt man aber eine Reihe von vereinfachenden Urteilserleichterungen, die praktisch sinnvoll, ja unvermeidlich sein mögen, die jedoch mit dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unvereinbar sind. Zunächst wird die Rechnung durchweg nur als Kostenvergleich angelegt, ohne daß der Zweck des Aufwandes mit den Kosten verglichen 10
Ähnliche Bedenken bei Mehl 1959 S. 535, 543. Vgl. auch Fiedler 1964 S. 44. Vgl. dessen schon zitiertes Gutachten über die Verwendung von Lochkarten- und elektronischen Rechenanlagen bei der Zahlung von Bezügen vom Dezember 1963. Siehe auch eine Stellungnahme des Bundesfinanzministers aus dem Jahre 1960 (BT-Drucksache 1659 vom 4. 3.1960), ferner Bachthaler 1964. " Vgl. Gregory/Van Horn 1963 S. 596 ff., wo diese Art Überlegung jedoch vorsichtig nur „feasibility study" genannt wird. Ebenso bei Optner 1960 S. 105 ff. Siehe auch Hoffmann 1961 S. 11 ff. insb. S. 66 ff.; Chapin 1963 S. 134 ff. Ein instruktives Beispiel für eine solche Rechnung bringt Bischofberger 1964 S. 90 ff. Es betrifft allerdings einen Buchungsautomaten, keine universelle Anlage. 11
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würde 13 . Da in der öffentlichen Verwaltung die Ergebnisse der organisierten Tätigkeit in aller Regel nicht quantifizierbar, also nicht vergleichbar sind, besteht praktisch keine andere Möglichkeit 14 . I m Bereich der Rechtsanwendung wird diese Tendenz zum Kostenvergleich noch verstärkt, ja unausweichlich dadurch, daß der Computer die Entscheidungsqualität nicht ändern darf. Auch deshalb kann sein Einsatz wirtschaftlich gar nicht anders gerechtfertigt werden als durch Personaleinsparungen. Ein Kostenvergleich setzt fest vorgegebene Zwecke voraus. Elektronische Datenverarbeitungsanlagen sind aber gerade Universalanlagen ohne Festlegung auf spezifische Zwecke. Gerade die Elastizität der Verwendung, die Möglichkeit des Zweckwechsels, bedingt und rechtfertigt ihre hohen Kosten. Dieses Moment kann in einem Kostenvergleich nicht oder nur sehr begrenzt 16 Ausdruck finden. Ja es scheint, daß bei den gegebenen Organisationstechniken und Kostenüberlegungen der Vorteil der Elastizität überhaupt nicht richtig genutzt werden kann (im Gegensatz etwa zur Verwendung einer Anlage für Forschungszwecke oder für technische Berechnungen). Denn das Dilemma liegt auf der Hand: Man muß zuvor wissen, welche Aufgaben man im einzelnen auf die Anlage legen will, man muß die Anlage mit diesen Aufgaben nach Möglichkeit auslasten, und also bei der Wahl der Kapazität und bei der Verwendungsplanung auf den Vorteil der Elastizität mehr oder weniger verzichten. Überhaupt kann ein Kostenvergleich stets nur alte Verfahren diskreditieren, wenn billigere ermittelt werden, nie aber die neuen rechtfertigen. Dazu kommt, daß verschiedene Arten, die Anlage zu nutzen, praktisch kaum vergleichbar sind, weil nicht die Erträge verglichen " Als allgemeine Kritik dieser Sichtbegrenzung vgl. Weber 1958, insb. S. 34 ff. 14 Bischofberger 1964 S. 23 ff. sieht den Sinn des Wirtschaftlichkeitsprinzips in der öffentlichen Verwaltung überhaupt nur in der Kostenoptimierung. Ähnlich Winckelmann 1963 S. 327. Dabei muß man das Prinzip der Optimierung aus praktischen Gründen noch streichen. Weitergehende Ambitionen verfolgt die besonders in Amerika aus Anlaß von Wasserhaushaltsplanungen entwickelte sog. Cost-Benefit Analysis. Als Einführung und zu deren Schwierigkeiten vgl. Feldstein 1964; ferner als gutes Beispiel McKean 1958. Andererseits scheint das Problem der Zeitdifferenzen zwischen den mit den einzelnen Alternativen verbundenen Einzahlungen und Auszahlungen, das in der privatwirtschaftlichen Investitionstheorie die kritische Rolle spielt, für die öffentliche Verwaltung zurückzutreten. Das gleiche gilt für die Rücksicht auf die Erhaltung der Liquidität. 15 Begrenzt insofern, als man eine Mehrheit von feststehenden Aufgaben auf die Anlage legen, das Tempo möglicher Umprogrammierung der Anlage bei den Beanspruchszeiten veranschlagen und so kostenentlastend in die Rechnung einbringen kann. Außerdem kommt die Universalität der Anlage natürlich dadurch zur Geltung, daß die sachliche Verschiedenheit der Aufgaben, für die sie eingespannt wird, keine Rolle spielt, so daß die Kombination sich allein nach der Frage richten kann, bei welchen Aufgaben am meisten Kosten eingespart werden können.
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werden können, sondern nur die Einsparungen, die man bei den einzelnen Aufgabenarten durch Maschineneinsatz erzielen kann 18 . Diese Einsparungen lassen sich aber gar nicht unabhängig vom Gesamtprojekt feststellen. So wird die Zahl der erwogenen Alternativen ohne ausreichende Begründung auf zwei reduziert: Automatisierung oder status quo, wobei allenfalls die Automatisierungsalternative in mehreren Varianten zur Diskussion gestellt wird. Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß es Alternativen für die untersuchten Probleme gibt, die an der Automatisierung vorbeiführen und gleichwertige oder bessere Ergebnisse bringen 17 . Diese Möglichkeiten einer Weiterentwicklung nicht automatisierter Arbeitstechniken werden — wohl aus gewichtigen praktischen Gründen der Entscheidungsvereinfachung — übergangen, wenn man die Alternative „mit oder ohne Automation" auf einen Vorher/Nachher-Vergleich reduziert 18 . Auch wenn dieselben Einsparungen ohne Automatisierung erzielbar sind, könnte es allerdings in der Praxis sinnvoll sein, die Automatisierung als Vorwand und Gleitbahn für die Einführung sonstiger, anders nicht durchsetzbarer Rationalisierungen zu benützen. Aber solche „Erfolge" der Automatisierung beruhen auf Bedingungen, die nicht eingestanden und deshalb in einer offiziellen Wirtschaftlichkeitsrechnung nicht aufgeführt werden können; sie mögen allenfalls im Gespräch mit dem Chef dazu dienen, dessen Entschließung formen zu helfen. Abgesehen davon wird die Wirtschaftlichkeit der Automatisierung in der öffentlichen Verwaltung zumeist mit nur abstrakt ausgerechneten Personaleinsparungen begründet 19 . Dabei handelt es sich nur um fiktive 18
Daß bestimmte Verwendungsarten auch zu unmittelbar finanzieUen Vorteilen für den Staat führen können — man denke an die oben S. 70 f. erörterten Möglichkeiten elektronischer Analyse von Steuererklärungen und Bilanzen —, bestätigt als Ausnahme die Regel. 17 Diese Einsicht ist nicht neu. Vgl. Bull 1964 S. 57 f. mit weiteren Nachweisen. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinen Automationsgutachten (Tz. 2) diese Tatsache gegen die behauptete Wirtschaftlichkeit der Automatisierung ins Feld geführt. Siehe ferner Jaeggi/Wiedemann 1963 S. 224 f.; Neubert 1964 b S. 272; Mehl 1959 S.542; Bachthaler 1964 S. 266 ff. Dodi ist es außerordentlich schwierig, ihr in der Praxis Rechnung zu tragen, weil sie die Anforderungen an die Systemanalyse rasch ins Unbeherrschtere emporschnellen läßt. 18 Vor dieser Verkürzung warnt in anderem Zusammenhang Eckstein 1961 S. 51 f. 18 In der Privatwirtschaft ist man über dieses Stadium in der Theorie schon lange und heute mehr und mehr auch in der Praxis hinausgelangt und sucht, durch Maschineneinsatz Rationalisierungsgewinne zu erreichen, die durch Personaleinsatz gar nicht erreichbar wären. Die Entscheidung für den Computereinsatz ist dann auch nicht mehr durch einen einfachen Kostenvergleich, sondern nur durch eine umfassende Rentabilitätsanalyse zu rechtfertigen, die zwar als Wirtschaftlichkeitsrechnung aufgezogen wird, aber kaum Optimallösungen wird nachweisen können. Siehe zu dieser absinkenden Bedeutung von „Personaleinsparungen" auch Springholz 1959 S. 36; Orden 1960 S. 81;
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Größen, um Zwischenergebnisse, bei denen man nicht stehen bleiben darf. Einmal lassen sich aus allgemeinen organisatorischen Gründen Bruchteile eines Arbeitsplatzes oft nicht einsparen; dann wirkt sich die Automation nur zur Entlastung der Bediensteten aus. Außerdem stößt die Aktualisierung möglicher Einsparungen auf manche Schwierigkeiten, sieht man es doch zugleich als vornehmste Pflicht des Dienstherrn an, alle entsetzten Arbeitskräfte, notfalls nach Umschulung, anderweitig zu beschäftigen 20. Der Horizont der Rechnung muß also erweitert und das Prinzip des Kostenvergleichs gesprengt werden. Die wirtschaftlichen Folgen der anderweitigen Verwendung freigesetzter Arbeitskräfte müssen aufgespürt und einbezogen werden. Entweder muß die Zahl der routinemäßigen Neueinstellungen zurückgegangen sein, oder es müssen mit Hilfe der frei gewordenen Kräfte zusätzliche Aufgaben erledigt worden sein, deren „Ertrag" sich bei der öffentlichen Verwaltung typisch nicht in eine Wirtschaftlichkeitsrechnung einbringen läßt. Der wirtschaftliche „Gewinn" durch Automatisierung mag sich dann in der Feststellung erschöpfen, daß die Verwaltung bei höheren Sachkosten in der Lage ist, mehr Aufgaben zu erfüllen, oder auch nur, mehr Vorzimmer einzurichten. Oft stößt man in diesem Zusammenhang auf das Argument, daß die Personalknappheit auf dem Arbeitsmarkt ohnehin zur Automation zwinge — ein Argument, das, wenn berechtigt, eine Wirtschaftlichkeitsrechnung überflüssig macht 21 . Dazu kommt, daß es zahlreiche Füllaufgaben, namentlich solche der Statistik, gibt, mit denen sich die Vollauslastung einer eingesetzten Anlage erreichen läßt, ohne daß ihr Nutzen im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsrechnung veranschlagt werden könnte 22 . Schließlich entzieht sich auch eines der wichtigsten Argumente für Automatisierung der Wirtschaftlichkeitsrechnung: Die Notwendigkeit, Hirsch 1961; Neubert 1964 b S. 218; Schnelle 1964 S.396, 405; Bernhard 1965; Hertz 1965. 20 Das wird selbst für die Privatwirtschaft gefordert, ζ. B. von Meyer 1960 S. 141 ff.; Kalbermatten 1963 S.84. Vgl. auch Schill 1962. Erst recht wird im öffentlichen Dienst Wert auf die Feststellung gelegt, daß niemand wegen der Automatisierung entlassen worden sei. 21 Das Gleiche gilt für eine ähnliche Begründung, die mir in einer Landesversicherungsanstalt genannt wurde: daß bei der steigenden Kompliziertheit der Gesetzgebung die Befähigung des heute verfügbaren Personals nicht mehr ausreiche, um ohne Automation eine einigermaßen fehlerfreie Rentenberechnung zu gewährleisten. 22 Siehe dazu die Mitteilung von Roemheld 1964 S. 613 f., wonach statistische Aufgaben etwa 60% der Rechenkapazität des dortigen Maschinenparks in Anspruch nehmen. Andererseits entfällt für die öffentliche Verwaltung eine der Hauptschwierigkeiten privatbetrieblicher Wirtschaftlichkeitsrechnung: daß die Verbesserung der Entscheidungsqualität durch verbesserte und beschleunigte Information sich schwer einschätzen läßt. Vgl. hierzu Gregory/Van Horn 1963 S. 252 ff.; denn in der öffentlichen Verwaltung soll sich, wie wir oben S. 18 f. sahen, die Entscheidungsqualität durch die Automatisierung nicht ändern.
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im Hinblick auf künftige Entwicklungen in diesem Gebiete zu experimentieren, zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und Fähigkeiten auszubilden — ein Vorstoßen, das vielleicht gerade deshalb zur Unwirtschaftlichkeit verurteilt ist, weil es nur Teilgebiete des an sich automatisierbaren Verwaltungshandelns erfaßt. Zusammengenommen machen diese Argumente deutlich, daß der Rationalisierungsgewinn durch Verwaltungsautomation nicht nur, ja wohl nicht einmal in der Hauptsache auf dem Gebiete der Personaleinsparungen liegt. So gründet man in Privatunternehmen die Entscheidung zur Automatisierung heute mehr und mehr auf andere Vorteile, insbesondere auf solche der zeitnahen und detaillierten Planung. Zugleich macht diese Feststellung den Automatisierungsrückstand der öffentlichen Verwaltung verständlich, die, soweit sie rechtsgebunden handelt, der Automation keinen Einfluß auf das Entscheidungsergebnis gestatten, die Entscheidungsqualität insofern also nicht „verbessern" darf und deshalb aus der Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen kaum einen anderen handgreiflichen Nutzen ziehen kann als eben, Personal zu sparen. Diese Schwierigkeiten lassen sich durch eine theoretische Besinnung als Varianten ein und desselben Problems nachweisen. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage mitsamt ihren Zubringerdiensten ist kein Zweck/Mittel-Verhältnis, sondern ein Kommunikationssystem, das vielen Zwecken dienen kann (zuweilen „Universalitätsprinzip" genannt). Ihre Kosten sind normalerweise zu hoch, als daß ihr Einsatz auf spezifische Zwecke reduziert werden könnte. Selbst wenn es nachweisbar sein sollte, daß es in bestimmten Verwaltungssystemen „wirtschaftlich" ist, eine Datenverarbeitungsanlage für eine einzige Aufgabe einzusetzen, etwa zur Berechnung und Zahlbarmachung der Dienst- und Versorgungsbezüge bei einem bestimmten Dienstherrn, bestünden starke Zweifel, ob diese zweckspezifische Lösung des Automatisierungsproblems rational ist oder ob sich nicht bei universellerem (Mehrzweck-)Einsatz einer größeren Anlage bessere Ergebnisse erzielen lassen. Denn der Vorteil elektronischer Datenverarbeitung beruht ja gerade auf der strukturellen Unbestimmtheit und vielfältigen Verwendbarkeit der Maschinen. Der Nachweis würde wahrscheinlich eher gegen als für die Wirtschaftlichkeitsrechnung sprechen. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung ist auf Vorgabe bestimmter Faktoren in den Begriffen des Zweck/Mittel-Schemas angewiesen, sei es auf Vorgabe bestimmter Zwecke, sei es auf Vorgabe bestimmter Mittel. Sie ist praktisch nicht durchführbar, wenn sowohl Zweck als auch Mittel, sowohl Aufgaben als auch Kosten der Anlage als variabel behandelt werden müssen. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung gehört, obwohl sie die einfache Zweckorientierung durch einen Vergleich quantifizierbarer Folgen erweitert, noch in den Bereich der Zweck/Mittel-Rationalität und
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findet hier ihre Grenzen. Durch den Beginn der Automation ist jedoch ein Denken gefordert, das sich in den Kategorien der Handlungsrationalisierung nicht mehr angemessen ausdrücken kann. Die alten Begriffe der Handlungsrationalität müssen durch neue Begriffe der Systemrationalität ersetzt werden 21 . Diese Argumentation bricht unter anderem auch mit den vertrauten Vorstellungen über einen Zusammenhang von Verwaltungsvereinfachung und Wirtschaftlichkeit. Ist die einfachere Verwaltung die wirtschaftlichere? Stellt man die Frage so, kann man sie nur bejahen. Aber das führt nicht weiter, denn die Fragestellung selbst ist verfehlt. Wir haben einleitend schon darauf hingewiesen24, daß der Komplexitätsgrad einer Verwaltung im Grunde nicht zur Disposition steht. Er kann in engen Grenzen politisch modifiziert werden, hängt aber letztlich von der Komplexität, Widersprüchlichkeit und Unberechenbarkeit der gesellschaftlichen Umwelt ab, die der Verwaltung die Entscheidungsprobleme stellt 25 . Deshalb ist es mit der Verwaltungsvereinfachung auch nicht so einfach. Es kann nicht lediglich um eine strengere Selektivität, also um eine Verminderung der Informationen gehen, die beim Entscheiden zu berücksichtigen sind, sondern allenfalls um eine bessere Organisation der Selektivität, insbesondere um ihre Zentralisierung in der Systemstruktur, so daß eine Entscheidung viele ersetzen kann2*. Das System muß also ein kompliziertes Regelwerk erhalten, soll die Systemstruktur eine funktionale Spezifizierung des Entscheidens und damit seine Entkomplizierung ermöglichen 27. Kürzer formuliert: Man soll möglichst 22
Sorgfältige Überlegung würde vermutlich ergeben, daß Rationalität überhaupt nicht als Handlungskategorie, sondern nur als Systemkategorie gedacht werden kann, weil sie stets eine geordnete Komplexität von Beziehungen voraussetzt. Andeutungen in dieser Richtungfinden sich bei Parsons 1949 S. 737 ff., beschränkt allerdings auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip und ohne den Gedanken zu wagen, daß auch Zwecke selbst als Handlungskategorien nicht verständlich gemacht werden können. Als ein weiteres Beispiel für das Aufkommen solcher Vorstellung, aber auch für ihre Unfertigkeit, siehe Banfield 1959/62. 14 Vgl. oben S. 9 f. 25 So urteilt auch Mehl 1958 S. 667 ff. Zu dem gesamten Fragenkreis siehe ferner Ule 1961. £ · Siehe dazu den Begriff der „Selektivitätsverstärkung" durch struktureUe Verbindung von Selektionsprozessen bei Beer 1962 S. 166. Selektionsprozesse aber sind nichts anderes als Prozesse der Unbestimmtheitsreduktion. 27 Vgl. hierzu die Unterscheidung von einfachen und komplexen Aktionssystemen bei Herbst 1961 insb. S. 72 und 193. Mit einer leichten Abwandlung der dort gegebenen Definitionen kann man sagen: Einfach sind Systeme, bei denen jeder Handelnde alles mitentscheidet, bei denen also die Entscheidung bzw. Handlung alle notwendige Komplexität in sich aufnehmen muß. Komplexe Systeme sind dagegen solche, die Informationsbesitz und Handlungskompetenz differenzieren, dazu aber eine komplexe Systemstruktur bilden müssen. Diese Unterscheidung macht zugleich deutlich, daß die erforderliche
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viel Komplexität mit möglichst allgemeinen, strukturierenden Entscheidungen absorbieren. Der heutige Stand der Systemforschung gestattet es nicht, dieses Umdenken von Handlungsrationalität auf Systemrationalität vorwegzunehmen oder auch nur vorgreifend zu skizzieren. Es gibt noch keine Theorie, die es erlauben würde, Leistungen und Kosten verschiedenartiger Kommunikationsnetze vollständig zu ermitteln und miteinander zu vergleichen28. Erste Ansätze deuten darauf hin, daß ein solcher Vergleich eine Messung der Informationsbelastung der einzelnen Netzstellen voraussetzt, die bei verschiedenen Organisationsformen sehr unterschiedlich ausfällt, und daß eine Organisation als rational gelten kann in dem Maße, als sie eine möglichst günstige Verteilung von Information mit möglichst geringer Belastung der einzelnen Entscheidungsstellen erreicht2®. Nur auf solcher oder gleichwertiger theoretischer Grundlage wird es möglich sein, zu gesicherten Aussagen über die einzelnen kostenbestimmenden Variablen zu kommen und die Auswirkungen ihrer Änderung im einzelnen durchzukalkulieren — während die heutigen „Wirtschaftlichkeitsrechnungen" durch Pauschalvergleich von Gesamtzuständen mit je für sich addierten Kosten in dieser Hinsicht keine aussagefähigen Resultate erbringen. Es fehlt aber nicht nur an einer Theorie für solche Vergleiche, sondern auch an einer Möglichkeit, Informationsbelastungen oder -entlastungen exakt in Kosten wiederzugeben. Wahrscheinlich müßte also auch der betriebswirtschaftliche Kostenbegriff modifiziert und auf seinen Kern zurückgeführt werden: auf den Vergleich der Alternativen, auf die man bei der Wahl einer bestimmten Handlung verzichten muß. Komplexität aus der Handlungsorientierung in die Systemstruktur verlegt werden kann. Diese muß um so komplizierter werden, je stärker man das Handeln selbst entkomplizieren will. 28 Vgl. entsprechende Bemerkungen bei Marschak 1955 S. 137; Albach 1959 S. 250 f.; Haire 1959 S. 72; Cartwright 1959 S. 264 ff. in bezug auf die Teilfrage der Zahl von Kommunikationswegen; Stahlmann 1960 insb. S. 137, 190; Ackoff 1961 S. 38. Andererseits findet man in der deutschen betriebswirtschaftlichen Literatur nicht selten die Vorstellung einer „Optimierung" der Organisationsstruktur, zumeist jedoch ohne ausreichende Erläuterung. Vgl. ζ. B. Gasser 1952; Gutenberg 1965 S. 240, 244, 275 u.ö.; Kramer 1962 S. 153, 170 und vorsichtiger S. 175. 29 Siehe dazu die bemerkenswerten, wenn auch noch sehr groben Vorschläge von Pietzsch 1964; ähnlich Kramer 1962 z. B. S. 74, 110. Vgl. ferner Kalaba/ Juncosa 1956 als Beispiel dafür, daß sich bei stark vereinfachter Problemstellung auch Methoden der linearen Programmierung auf die Konstruktion von Kommunikationsnetzen anwenden lassen. Vermutlich verfehlen jedoch solche Bemühungen um optimale Informationsverteilung den entscheidenden Gesichtspunkt, daß die Informationsverteilung gerade deshalb bedeutsam ist, weil der Mensch nicht die Fähigkeit besitzt, in komplexen Situationen sämtliche Informationen zu beschaffen und zu berücksichtigen, die für eine optimale Entscheidung notwendig wären.
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Von dieser Feststellung, daß eine Wirtschaftlichkeitsberechnung unterschiedlicher, automatisierter und nichtautomatisierter Kommunikationssysteme zur Zeit noch nicht möglich ist, wird sich ein Praktiker jedoch ziemlich rasch erholen können; denn er besitzt trotzdem überzeugende Argumente — oder vielleicht gerade deswegen überzeugende Argumente. Seine vereinfachten Berechnungen haben ihr gutes Recht. Es ist nur nötig, ihre Legitimität richtig zu begründen, sie auf die richtigen Probleme zu beziehen. Ihr Bezugsproblem ist die Unerreichbarkeit perfekter Systemrationalität; mit anderen Worten: die Diskrepanz zwischen den Problemverarbeitungsfähigkeiten des Menschen und den Anforderungen seiner Idealmodelle. Unter den zahlreichen Vorschlägen zur Entscheidungserleichterung — die Theorien der „Suboptimierung" im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips haben wir bereits erwähnt — kommt eine dem in der Praxis üblichen Vorher/Nachher-Vergleich besonders nahe: die von Charles E. Lindblom ausgearbeitete Strategie zunehmender Verbesserungen 10. Ihr Grundgedanke ist, daß unter realistischen Entscheidungsbedingungen, die eine Ermittlung von optimalen Entscheidungen im Sinne der klassischen ökonomischen Theorie nicht erlauben, Entscheidungen praktisch als schrittweise vollzogene, partielle Verbesserung der bestehenden Lage gesehen und ausgearbeitet werden. Die Orientierung richte sich auf die Lösung aufgetretener Probleme, nicht auf das Erreichen von allgemeingültigen Zwecken. Und dieses Verfahren sei mit Rücksicht auf die praktischen Schwierigkeiten der klassischen Entscheidungsmodelle nicht nur wahrscheinlich; es sei auch rational und richtig. Tatsächlich wird über die Einführung automatischer Datenverarbeitungsanlagen in Verwaltungsbetriebe denn auch stets auf diese Weise entschieden: Sie wird als partielle Verbesserung in bestimmten Hinsichten geplant und auf Grund eines sehr begrenzten Überblicks über die Folgen und einer Reduktion der zu erwägenden Alternativen auf sehr wenige Varianten „ähnlicher" Lösungen akzeptiert. Die Willkür der Begrenzung schließt die Notwendigkeit größter Umsicht und Sorgfalt und die Anwendung eines in der öffentlichen Verwaltung bisher imbekannten Grades an Komplexität und Detaillierung der Organisationsanalyse nicht aus; das sind Erfordernisse sinnvoller Automatisierung, die in der Fachwelt einhellig betont werden 31 . Andererseits darf man nicht übersehen, daß die groben, teilweise auf Fiktionen beruhenden Blick,0 Zur „strategy of disjointed incrementalism" siehe namentlich Braybrooke/ Lindblom 1963. Vorher bereits: Dahl/Lindblom 1953 S. 82ff.; Lindblom 1958; ders. 1959; Hirschman/Lindblom 1962. 31 Siehe ζ. B. das bereits zitierte Gutachten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung insb. S. 157, ferner etwa Meyer 1960 S. 59 ff.; Dietzsch 1961 S. 514 ff.; Johnson u. a. 1963 S. 188 ff.
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begrenzungen eine allzu minutiöse Ausfeilung der Ermittlungen sinnlos machen können. Man kann seine Diät verbessern, ohne die Kalorien, Vitamine und Mineralien im einzelnen auszuzählen. Eine ausdrückliche Unterscheidung der Verbesserungsstrategie von dem klassischen Ideal der Wirtschaftlichkeitsrechnung ist besonders deshalb notwendig, weil jene ihre spezifischen Gefahren hat, die man sich nur durch klare Trennung der beiden Rationalkonzeptionen ins Bewußtsein bringen kann. Die Strategie der kleinen Verbesserungen muß damit rechnen, daß sie wegen der Unvollkommenheiten ihrer Situationsanalyse eine Reihe kleiner Überraschungen nach sich zieht. Sie kann unbedachte und unwillkommene Auswirkungen zur Folge haben. Sie setzt in ungedämpftem Optimismus voraus, daß sie mit den später auftauchenden Problemen schon fertig werden wird, wenn auch nur auf die gleiche, unvollkommene Weise 32 . Sie versucht sozusagen, mit variablen Zielsetzungen und wechselnden Bezugsproblemen sich langsam aus den gegebenen Unzulänglichkeiten hinauszumanövrieren. Diese Hoffnung wäre besser zu begründen, wenn man eine Systemkonzeption voraussetzen könnte, die den Zusammenhang der Problemstellungen ermittelt und als Rang- oder Folgeordnung von primären, sekundären usw. Systemproblemen einsichtig macht. Die strukturellfunktionale Systemtheorie ist auf dem Wege zu einer solchen Konzeption 83 . I n dem Maß als diese theoretischen Bemühungen fortschreiten, dürfte es möglich werden, die rein pragmatisch gedachte Strategie der zunehmenden Verbesserungen mit mehr Bedachtsamkeit als Verfahren der Systemrationalisierung zu verwenden. Solange das nicht möglich ist, liegt die besondere Gefahr der empfohlenen Entscheidungsstrategie darin, daß sie durch nicht voll durchdachte Planungen spätere Wahlmöglichkeiten verbaut, daß ein falscher Anfang nur noch in seinen Folgeproblemen, nicht aber mehr als Quelle allen 82
So ausdrücklich Braybrooke/Lindblom 1963 S. 123. Siehe auch die herbe Kritik des „One-for-one system changeover" bei Optner 1960 S. 42 f. Gewiß haben, wie Meyer 1960 S. 66 festgestellt, sowohl Gesamtumstellungen als auch Teilplanungen ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Vgl. dazu ferner Salzer 1961, insb. S. 200 ff. 88 Vgl. Luhmann 1964 a. Gute Beispiele für das Arbeiten mit solchen Problemstufenvorstellungen finden sich außer in Malinowskis Kulturtheorie — dazu auch Schelsky 1952 — namentlich in der neueren Organisationssoziologie. Vgl. z. B. Blau/Scott 1962. Die Lindblomsche Strategie ist also im Grunde eine pragmatische Variante der allgemeinen funktionalen Systemtheorie; nur daß sie die sachliche Problemordnung in eine rein zeitliche, und insofern „zufällige" Folge von unbedacht erzeugten Schwierigkeiten auflöst. In der Systemtheorie erscheint der gleiche Gedanke dagegen in der These, daß alle bestandsnotwendigen Leistungen „dysfunktionale" Rückwirkungen auf andere Bestandsnotwendigkeiten mit sich bringen, also Folgeprobleme erzeugen, die wiederum nur mit dysfunktionalen Folgen lösbar sind usw., bis die Problemstruktur eines Systems ins Erträgliche kleingearbeitet ist.
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Übels korrigierbar ist, und daß man schließlich in einen Zustand gelangt, in dem man sich nur deshalb wohlfühlt, weil man mit seinen spezifischen Schwierigkeiten vertraut und fertig zu werden gewohnt ist 54 . Diese allgemeinen Befürchtungen drängen sich bei der Entscheidung zur Automatisierung besonders auf. Die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung erfordert nicht nur ein erhebliches finanzielles Engagement, sondern — wichtiger noch — organisatorisch und personalpolitisch weittragende Entscheidungen, die kaum wieder rückgängig gemacht werden können. Die Kybernetik wird nicht so leicht bereit sein, das Feedback-Lernen bis zur Selbstaufgabe zu treiben, sich selbst in ihren Resultaten als verfehlt zu erkennen. Ist die Organisation einmal umgestellt, das Personal entlassen oder versetzt oder umgeschult, fehlen auch Vergleichsmöglichkeiten mit dem alten Zustand, den der Lauf der Zeit und die sich ändernden Entscheidungsbedingungen rasch entrükken. Die Festlegung wiederholt sich in kleinerem Format in den sogenannten Systementscheidungen und hat vor allem hier als mangelnde Elastizität der Datenverarbeitungssysteme Besorgnis erregt 85 . Der Übergang von einem System — und sei es nur einem Maschinenfabrikat — zu einem anderen ist mit erheblichen Schwierigkeiten und jahrelangen Umstellungsarbeiten verbunden. Das bedeutet nach allgemeinen bürokratischen Entscheidungsgepflogenheiten, daß es mehr oder weniger gewichtiger Krisen bedarf, um eine Änderung der Systemstruktur herbeizuführen. In dieser Situation ist es nicht leicht, in allgemeiner Weise und ohne Inspiration durch konkrete Gegebenheiten praktisch brauchbare Ratschläge für die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung zu erteilen. Man könnte daran denken, denen, die mit „Wirtschaftlichkeitsrechnungen" arbeiten, nach guten kaufmännischen Gepflogenheiten das Einplanen einer Sicherheitsreserve für „Unvorhergesehenes" aufzugeben, also nicht zu automatisieren, wenn sich das neue Verfahren nur gerade eben rentiert 38 . Wichtiger ist es aber vielleicht, sich die Verantwortung des Entscheidenden in den richtigen Begriffen vor Augen zu führen, denn nur so läßt sich ein brauchbarer Ansatzpunkt gewinnen für die langsame Verminderung dieser Verantwortung durch Entwicklung rationaler Strategien der langfristigen Vorausplanung in Wissenschaft und Praxis. 84 Siehe dazu auch die Feststellung von Crozier 1963 insb. S. 257, 368, 375, daß die französischen Bürokratien sich durch Selbstbehandlung ihrer dysfunktionalen Aspekte stabilisieren. M Vgl. ζ. B. Johnson u. a. 1963 S. 20. u Zu dieser Ungewißheitsstrategie der „Sicherheitsabschläge" und ihrer begrenzten Bedeutung im Rahmen anderer Regeln des Verhaltens angesichts von Ungewißheit vgl. Koch 1960 S. 56 f.
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Bei der Entscheidung zur Automatisierung handelt es sich, das muß mit aller Deutlichkeit gesehen werden, nicht um die bloße Wahl eines neuen Mittels, das im Vergleich zu alten Mitteln mehr leistet oder weniger kostet, sondern um eine Strukturentscheidung, deren Rationalität sich im Grunde durch Kostenvergleiche nicht adäquat ermitteln läßt 87 . Daher wird man die allgemeinen Systemleistungen und die Abhängigkeiten der Verwaltung von ihrer Umwelt, Fragen der Systemautonomie und der Verhaltenslasten, die das Verwaltungssystem den handelnden Menschen auferlegt, berücksichtigen und bewerten müssen; an Einzelfragen etwa: den Gewinn von Kapazitäten für neue Aufgaben (ζ. B. Krankenstatistik, Kriminalstatistik, statische Berechnungen im Hochbau), die größere Fehlersicherheit, die Beschleunigung der Entscheidungsproduktion, insbesondere bei Massenfertigung zu bestimmten Terminen, Fragen der Auskunftsbereitschaft, bessere Rekrutierungschancen bzw. eine geringere Abhängigkeit von den Fluktuationen des Personalmarktes, größere oder geringere Abhängigkeit von der persönlichen Arbeitsmotivation (Lust oder Unlust) der Systemmitglieder, Vorteile einer Verlagerung von Personalkosten auf Sachkosten im Hinblick auf langfristige Trends der Kostenentwicklung und unter all diesen Gesichtspunkten nicht zuletzt die in einer Wirtschaftlichkeitsrechnung erfaßbare Kostenrelation 88. Mit der Automatisierungsentscheidung wird demnach unvermeidlich und ohne Anhalt in vorgegebenen Entscheidungsprogrammen Unsicherheit absorbiert, also Verantwortung übernommen. I m demokratischen Rechtsstaat sollte diese Verantwortung stets politisch verantwortlich sein, das heißt im politischen Spiel als Erfolg oder Mißerfolg zugerechnet werden. Beim gegebenen Stand des Wissens ist die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung kein Problem, das Wissenschaft und Technik allein lösen könnten — womit natürlich den Politikern nicht erlaubt wird, die möglichen Entlastungen ihrer Verantwortung durch Wissenschaft und Technik zu ignorieren und die Automation als politische Ballonfahrt zu starten. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip suggeriert die Realisierbarkeit des Ideals einer vollständigen Trennung der Systemprinzipien von Politik 87 Das gilt, wie schon gesagt, auch für die Automatisierung der Verwaltung von Privatunternehmen, wo die traditionellen Kostenvergleiche ebenfalls als Entscheidungsgrundlage nicht ausreichen. Sie erfassen z.B. nicht die Qualitätsverbesserung der unternehmerischen Entscheidungen, die von vollständigerer und aktuellerer Informationsverarbeitung zu erwarten ist. Dazu ζ. B. Hofmann 1957 S. 151; Meyer 1960 S. 60 ff.; ferner oben Anm. 19. 88 Siehe dazu audi Ziff. 1 und 4 der Richtlinien für die Organisation der automatischen Datenverarbeitung in der hamburgischen Verwaltung vom 18. 8. 1965, abgedruckt in: Automation in der hamburgischen Verwaltung 1966 S. 20 ff., wo die Verwaltung angewiesen wird, neben der Wirtschaftlichkeitsberechnung „Leistungssteigerungen und Leistungsminderungen sowie sonstige Vor- und Nachteile . . . darzustellen".
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und Verwaltung. Es verwendet dafür eine nicht praktikable Entscheidungsformel. Deren Entlarvung hat also Konsequenzen für das Verständnis des Verhältnisses von Politik und Verwaltung. Die Trennimg dieser Systeme läßt sich nicht so sauber und so scharf vollziehen, wie man es sich gedacht hatte. Und wenn dies auf der Ebene der generellen Systemprinzipien nicht möglich ist, kann es im Getümmel der konkreten Interaktionen erst recht nicht erwartet werden. Die Grenze zwischen diesen beiden Systemen erweist sich bei genauerem Zusehen als eine relativ breite Kontaktzone mit Doppelmitgliedschaften, doppelter Moral und sich überschneidenden Verantwortungen. Und doch ist die Differenzierung von Politik und Verwaltung anhand von divergierenden Rationalkriterien des Handelns eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Strukturmerkmal differenzierter Gesellschaftssysteme 89. Die Institutionalisierung dieser Trennung aber ist ein Problem, dessen wirkliche Lösung sehr viel mehr Realismus erfordert, als die Formel vom größten Nutzen minimaler Mittel hergibt. An deren Stelle wird vermutlich eine soziologische Theorie der Verwaltungsrationalisierung treten müssen. Damit schließt sich die Kette der Überlegungen dieses Kapitels. Wir sind wieder beim eingangs erörterten Verhältnis von Politik und Verwaltung angelangt, sehen nun aber deutlicher, daß das Wirtschaftlichkeitskriterium ein unzulängliches Maß der Systemleistungen ist, die die Politik von der Verwaltung zu erwarten hat. Besonders die Erwägungen über die Irreversibilität der Automatisierung rücken einen Gefahrpunkt deutlich vor Augen: Die Verwaltung kann in den Bereichen, in denen automatisiert wird, an politischer Sensibilität verlieren, ihre Lenkbarkeit einbüßen. Kurz entschlossene Eingriffe in spezifische Fragen können unter Umständen unverhältnismäßigen Umstellungsaufwand erfordern und daran scheitern 40. Der Lenkungsstil muß vom Befehl auf Systemplanung umorientiert werden. Der Apparat meldet seine eigenen Forderungen an und droht mit einem Kollaps. Die Maschinen werden einfach stillstehen und trotzdem viel kosten. Der Ruf nach „automationsgerechter" Gesetzgebung, vor allem der Wunsch nach stabilen Gesetzen, die nicht immer wieder und oft sogar mit Rückwirkung geändert werden, sondern auf die langen Vorbereitungs- und Programmierzeiten der Datenverarbeitung Rücksicht nehmen, beleuchtet eine der Auswirkungen dieser mangelnden inneren Elastizität; und der selbstsichere Vortrag solcher Forderungen verrät zugleich die unausgesprochene Vorstellung: Die Politik müsse von der Verwaltung aus zu Ordnung und Konsequenz aufgerufen und erzogen werden. »· Vgl. Luhmann 1965 b S. 148 ff. 4 ® Vgl. dazu Bach thaler 1964 S. 260 f. Die gleiche Feststellung findet man übrigens auch mit Bezug auf die Lenkbarkeit privater Unternehmensverwaltungen — siehe Neubert 1964 b S. 273. 9·
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Zweifellos ist die wechselseitige Abhängigkeit beider Teilsysteme intensiv und Rücksicht aufeinander daher ein Gebot der Selbsterhaltung. Doch darf eben deshalb die politische Entscheidung in ihrer eigengesetzlichen Rationalität von Seiten der Verwaltung nicht verkannt werden. Für die Politik sind Erfolg und Mißerfolg in publikumswirksamen Zeit- und Größenordnungen maßgebend. Die Rücksicht auf Speicherkapazitäten und Programmierzeiten, auf mit Sicherheit vorübergehende, durch die wirtschaftliche und technische Entwicklung voraussichtlich bald überholte Handlungsbeschränkungen der Verwaltung, kann politisch kaum ausschlaggebend sein, wenn nicht zufällig alle anderen Momente sich die Waage halten. Andererseits muß die Politik jenen Verlust an Beweglichkeit, der mit der Automatisierung verbunden zu sein scheint, in gewissen Grenzen akzeptieren. Sie muß es lernen, unnötige Belastungen der Verwaltung zu vermeiden und andere Belastungen, die mit bestimmten Sachzielen unvermeidlich verknüpft sind, gegen den Wert dieser Ziele abzuwägen 41 . Sie wird insbesondere bei der Gesetzgebung darauf achten müssen, welche Informationen, wo und in welcher Form in der Verwaltung schon vorhanden sind und wie diese Informationen am rationellsten entscheidungswirksam gemacht werden können. So ist zum Beispiel bei der Fassung des Art. 2 § 32 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 23. Februar 1957 darauf geachtet worden, daß die Rentenumstellung durch die Post mit Hilfe der dort gespeicherten Daten und ohne Rückgriff auf die Akten der Landesversicherungsanstalten vorgenommen werden konnte 42 . I m Grunde handelt es sich weniger, als man meinen könnte, um einen ernsthaften Konflikt der Werte und Zielsetzungen — bei solchen Konflikten ist es klar, daß die Politik entscheiden muß —, sondern um ein Kommunikationsproblem, bei welchem der Ministerialbürokratie die Schlüsselstellung zukommt. Mehr als es bisher geschieht, könnte die Verwaltung ihre Datenverarbeitungssysteme dazu benutzen, um ihre Schwierigkeiten zu objektivieren, um Kostenersparungsmöglichkeiten bzw. Verteuerungen vorzudemonstrieren und die Durchführungsprobleme eines Gesetzes für die Politik sichtbar zu machen, ohne sich dem Vorwurf der Bequemlichkeit auszusetzen. Allerdings darf nicht verkannt werden, daß eine sorgfältige Voranalyse einem Programmierungsversuch gleichkäme, und dazu ist im Gesetzgebungsverfahren zumeist keine Zeit, um so mehr, als die Entwürfe und Formulierungen ständig wechseln. Weiter geht es zu Lasten der Politik, daß die Rationalkriterien der Verwaltung sich nicht juridifizieren und sich daher auch durch Recht41 42
Vgl. hierzu Klug/Fiedler 1964. Vgl. Scheerer 1965.
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Setzung und Rechtsänderung nicht nach Bedarf bestimmen und ummodellieren lassen. I m politischen Einfluß auf die juristische Programmierung der Verwaltungsentscheidung liegen heute die wichtigsten Kontaktbahnen zwischen Politik und Verwaltung; alle anderen Einflüsse haben demgegenüber nur modifizierenden, anpassenden, verzerrenden Sinn, zumal sie in der Verwaltung schlecht legitimierbar, in der Politik schlecht darstellbar sind. Die Rechtsetzung ist das wichtigste Leitungsinstrument der Politik, die Kluft zwischen Recht und Rationalität daher eine Schranke der Politik — eine Schranke, die wir heute besser zu verstehen und zu akzeptieren vermögen als jene Bindungen, die man sich früher in Form einer Rechtsquellenhierarchie, als Einordnung des positiven Rechts in ein Naturrecht, ein ewiges Recht, ein göttliches Recht, vorzustellen suchte. Ein zeitgemäßes Überdenken unserer traditionellen Vorstellungen von Rationalität und Recht dürfte daher notwendig sein, um das problematische Verhältnis von Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung und im politisch-rechtlichen Gesamtzusammenhang der modernen Staatsordnung voll zu verstehen.
Zwölftes
Kapitel
Rationalität und Recht Eine sehr eingehende Bindung der Verwaltung an das Recht, wie sie neuerdings zur Perfektion des Rechtsstaates erstrebt wird, ist nicht unbedenklich. Diese Zielsetzung hat Auswirkungen, die als Formungstendenzen in das Recht zurückschlagen und es umprägen. Das Recht wird dadurch mit den Rationalisierungsbestrebungen der Verwaltung belastet. Will es die Verwaltung beherrschen, muß es ihr gerecht werden. Wenn wir minutiöse Rechtsstaatlichkeit erstreben, können wir in unserem Recht nicht jene Irrationalitäten ertragen, die etwa Angelsachsen dem ihren verzeihen. Das heißt vor allem, daß wir die traditionalen Komponenten der Rechtslegitimation abbauen und ein funktionsfähiges, elastisches Verfahren der Rechtsetzung und Rechtsänderung organisieren müssen. Die Automation wird sich mit dem Gesetzgeber gegen den Richter verbünden müssen. Solche Überlegungen setzen voraus, daß Recht und Rationalität nicht dasselbe sind, daß das rechtlich richtige Handeln nicht in jedem Sinne rational, noch rationales Handeln ohne weiteres rechtlich zulässig ist. Zum Beispiel sind Recht und wirtschaftliche Rationalität im neuzeitlichen Denken auf verschiedene Geleise gesetzt worden, und je detaillierter die Ordnungsvorstellungen des Rechts und der Rationalisierung ausgearbeitet werden, desto häufiger kann sich bemerkbar machen, daß sie nicht in dieselbe Richtung weisen. Eine gründliche Erörterung des Verhältnisses von Rationalität und Recht würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen 1. Sie würde vor allem sorgfältige geistesgeschichtliche Untersuchungen erfordern, für die hier kein Raum ist. Andererseits hat dieses Problem unsere Überlegungen ständig begleitet, so daß es sich rechtfertigt, sie mit ihm zu beschließen. Zu einem vertieften Verständnis der Spannung von Verwaltungsrationalisierung durch Automation einerseits und Rechtstaatlichkeit andererseits gehört nämlich nicht nur eine organisatorische Analyse der Entscheidungsprämissen, Entscheidungsvorgänge und Kooperationsmöglichkeiten im Entscheiden mit ihren rationalen und juri1
Anregende Studien hierzufinden sich bei Friedrich 1964.
12. Kap.: Rationalität und Recht
stischen Komponenten. Man muß darüber hinaus die Vorfrage zu begreifen suchen, weshalb uns Rationalisierung und Recht überhaupt mit getrennten und möglicherweise widerspruchsvollen Sollforderungen entgegentreten; denn nur auf der Basis dieser grundsätzlichen Trennung von Rationalität und Recht kommt es zu einer Problematik in ihrer Beziehung. Einen unbestrittenen Ausgangspunkt finden wir in den bekannten Darlegungen Max Webers über den Beitrag des modernen Rechts zur Rationalisierung der neuzeitlichen Gesellschaftsordnung, vor allem zur Absicherung des kapitalistisch-großindustriellen Wirtschaftssystems 2. Das moderne Recht leistet die in differenzierten Sozialordnungen unentbehrliche Sicherstellung der Berechenbarkeit gewisser Handlungen, auf die man sich in rationalen und weitsichtigen Planungen muß abstützen und verlassen können. Es ist positives Recht und formal in dem Sinne, daß seine Geltung nur von der Entscheidung des Gesetzgebers oder Richters abhängt. Zugleich nimmt das Recht entgegengesetzte Tendenzen zur Programmierung breit angelegter materialer Wohlfahrtszwecke und Interessenausgleichsformeln in sich auf, um den durch die Positivierung des Rechts ausgelösten Druck der zunehmend artikulierten Sonderinteressen aufzufangen. Formalisierung und Entformalisierung des Rechts erweisen sich als komplementäre Entwicklungstendenzen, die beide gesteigert und rationalisiert werden müssen, wenn die sozialen Interdependenzen durch soziale Differenzierung zunehmen. Weber nennt das moderne Recht im Hinblick auf seine Eigenart, verstandesmäßig kontrollierbar zu sein, auch „rational" 3 . Der Zusammenhang ergibt jedoch, daß verstandesmäßige Kontrolle hier nicht wegen ihrer Wahrheitsnähe, sondern um der genannten sozialen Funktion willen bedeutsam ist. Man kann daher sagen, daß für Max Weber die Rationalität des Rechts sich aus seiner funktional-spezifischen Ausrichtung auf die Lösung sozialer Probleme ergibt 4 . Durchdenkt man mit einer über Weber hinausgehenden Konsequenz diese Gleichung von Rationalität und funktionaler Spezifikation, dann erhellt, daß das Rationale sich damit aufsplittert und auf die Bezugsprobleme der funktionalen Leistungen relativiert. Rational ist dann jede Leistung, die spezifische Probleme löst. Wir finden darin bestätigt, was wir an unserem Thema der Automation schon herausgefunden hatten: daß das Rationale des Rechts nicht mehr dem Rationalen des Zwecks und beide nicht mehr dem Rationalen der Logik gleichgesetzt werden 2
Siehe Weber 1956 S. 387 ff. oder auch ders. 1960. Vgl. Weber 1956 S. 395 ff. 4 Weber selbst hätte freilich diese Formulierung nicht gebraucht, da er den soziologischen Funktionalismus nur im Rahmen der älteren OrganismusLehre kennt und in dieser Gestalt mit Recht ablehnt (Weber 1956 S. 7). 3
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12. Kap.: Rationalität und Recht
können. I n keiner dieser speziellen Bedeutungen und Funktionen ist Rationalität mehr jenes den Menschen in seinem Wesen bestimmende Vermögen, das ihn zum Vernehmen der Wahrheit befähigt. Die Auflösung der alten, hohen Idee der Ratio, das Auseinanderfalten verschiedener Sachbereiche der Rationalisierung mit unvergleichbaren Methoden und Kriterien entspricht dem geschichtlichen Prozeß der sozialen Differenzierung. Die verschiedenen Rationalitäten werden von verschiedenen Rollen getragen. Die funktionale Spezifikation des Rechts und die Durcharbeitung seiner eigenständigen Rationalität setzt eine standesmäßig oder heute zunehmend durch Arbeitssysteme ausdifferenzierte Rolle des Juristen voraus. Der Jurist versteht sich in seiner Rolle als nur dem Recht unterworfen, mithin als abgetrennt von anderen, mehr partikularen Verhaltenserwartungen seiner Verwandten und Freunde, seiner Gläubiger und Kollegen. Und seine Mittel der Entscheidungsfindung sind in einem so spezifischen Sinne rational, daß sie sich zweckrationalen Verhaltenszumutungen anderer Provenienz nicht ohne Mühe anpassen lassen. Eine solche Differenzierung hat für das Gesamtsystem der Gesellschaft gewichtige Vorteile. Die Rationalität bestimmter Rollen oder Teilsysteme ist dann nicht mehr ohne weiteres für andere Bereiche oder gar für die Gesamtordnung maßgebend (obwohl die wechselseitige Anerkennung und bestimmte Formen der Effektübertragung institutionalisiert sein müssen). Erschütterungen der Wirtschaft werden das Recht, Gewissensbelastungen die Religion, politische Katastrophen das Familienleben nicht mehr ohne weiteres betreffen. Es handelt sich, von der Gesamtordnung her gesehen, also um einen Mechanismus der Isolierung von Störungen und Lokalisierung von Änderungen. Die Gesellschaft wird dadurch elastischer, anpassungsfähiger und zugleich bestandssicherer. Sie kann in begrenzter Dosierung, problemspezifisch, also schnell reagieren 5 . Nach Aufteilung der Rationalität behält und perfektioniert das Recht spezifische Funktionen der Festigung von Verhaltenserwartungen, der Handlungsstützung und der moralischen Entlastung des Handelnden * Ein illustratives Gegenbeispiel findet man in den Neurosen des dialektischen Materialismus: Die Zentralisierung der Rationalität durch das Postulat einer einheitlichen Theorie und Methode für alle Lebensbereiche hat zur Folge, daß kleine Störungen und leichte Änderungen der offiziellen Position weitreichende und unübersehbare Folgen haben können, die rückziehende Reaktionen erzwingen. Das System kann so infolge Überzentralisierung leicht ins Oszillieren geraten und bedarf einer extrem vorsichtigen Leitung, wenn strukturelle Änderungen notwendig sind. Die Kursänderungen seit dem Tode Stalins müssen angesichts dieser Schwierigkeiten als ein Meisterwerk weiser Staatskunst gewertet werden. Zu den Problemen im Bereich des Rechts vgl. auch Kirchheimer 1960, dessen ironisch-ablehnende Darstellung dem Grund des Problems allerdings kaum gerecht wird.
12. Kap.: Rationalität und Recht
und stellt seine Struktur darauf ein. Es erfüllt diese Funktionen durch eine klare Entweder/Oder-Struktur*. Alles Handeln muß entweder rechtmäßig oder rechtswidrig sein, so daß alles nicht rechtswidrige Handeln rechtmäßig und alles nicht rechtmäßige Handeln rechtswidrig ist. Man kann daher mit hoher Sicherheit erwarten, daß nicht rechtmäßiges Handeln unterbleibt, und man kann sich seinerseits bei nicht rechtswidrigem Handeln von sozialen Zwängen relativ frei und insofern moralisch entlastet fühlen. Damit werden in einem Zug die Umweltsicherheit und der Handlungsspielraum konstituiert, die differenzierte Handlungssysteme benötigen, um sich selbst nach eigenen, spezifischen, außerrechtlichen Kriterien zu rationalisieren. Bis in die Neuzeit hinein schien diese Entweder/Oder-Prämisse in der Ethik selbst dadurch garantiert zu sein, daß diese der allgemeinen zweiwertigen Logik unterstellt war. Böse und gute Ziele ließen sich im Prinzip durch einfache Negationen voneinander trennen. Nur so konnte die Ethik einen Anspruch auf Wahrheit erheben 7. Als allgemeines Ordnungsprinzip ist solche Schwarz-Weiß-Malerei in differenzierten Sozialordnungen jedoch nicht verwendbar; sie müssen mit übergangsreichen Orientierungen arbeiten 8 . I m Laufe der Neuzeit scherte die Ethik daher aus dieser Kontrolle durch die Logik aus, und deshalb mußte das Recht aus der Ethik ausgegliedert werden. Denn im Recht als einer Ordnung für Konfliktsentscheidungen ist es nicht möglich, auf die Entweder/Oder-Prämisse zu verzichten. Sie mußte hier nun künstlich und ohne Anspruch auf Wahrheitsfähigkeit institutionalisiert werden. Die Entweder/Oder-Prämisse zwingt jetzt zur Positivierung des Rechts. Sie fordert, daß die Rechtsgeltung von einer vorprüfenden und selektiven Entscheidung abhängig gemacht wird. Und sie ermöglicht im Zusammenhang damit die Ausformung des Rechts zu eindeutigen Entscheidungsprogrammen einer Bürokratie, welche die Rechtsdurchführung gewährleistet. • Bei rein logischer Betrachtung ist allerdings fraglich, ob der damit gemeinte Satz vom ausgeschlossenen Dritten im Recht weiterhin durch die exklusive Oder-Relation (vel) allein konstruiert werden kann. Die Umkehrbarkeit dieser Relation führt nämlich zu der schwer akzeptierbaren Konsequenz, daß es gleich ist, ob man alles als verboten ansieht, was nicht erlaubt ist, oder alles als erlaubt, was nicht verboten ist. Mit Rücksicht auf die unverzichtbare Asymmetrie des Regel/Ausnahme-Schemas wird man vielleicht nicht, wie Philipps 1964 und Tammelo 1959 und 1964 meinen, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten im Recht ganz aufgeben, wohl aber ihn komplizierter konstruieren müssen. 7 Unterschiede der Präzision in der Durchführbarkeit dieses Prinzips in den einzelnen Wissenszweigen waren seit Aristoteles (vgl. ζ. B. Nik. Ethik 1094 b) zwar durchaus bewußt; aber sie wurden durch die Art des jeweils vorliegenden Seienden erklärt und nicht zum Anlaß genommen, auf die subjektiven Bedingungen des Erkennens zu reflektieren. • Vgl. dazu Landheer 1952 S. 105 f.
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12. Kap. : Rationalität und Recht
Eine solche funktional spezifische Strukturierung des Rechts ist nur durch Vereinseitigung zu erreichen. Ihr entspricht, in der Gegenrechnung, ein Abstoßen von Funktionen. Man kann andere Arten der Rationalisierung nicht derart juridifizieren, daß nichtrationales Handeln rechtswidrig wäre. Weder die wissenschaftlichen Methoden der Wahrheitsfindung noch die zweckrationalen Methoden des Bewirkens gewünschter Wirkungen lassen sich so unter das Recht beugen. Und sie ihrerseits sind so spezifiziert, daß sie weder zur Erkenntnis noch zur Motivation des rechtlichen Handelns beizutragen vermögen. Die Rationalisierung der Wahrheit durch die neuzeitlichen Wissenschaften und ihre philosophische Theorie hat sich auf die Ordnung des Zusammenspiels von Wahrnehmung und Begriff spezialisiert. Durch diese Entwicklung hat das Recht seine Wahrheitsfähigkeit verloren: Die Rechtsnorm sagt nichts über ein Seiendes aus; es gibt kein Naturrecht mehr. Die Rationalisierung der Zweckhandlung hat sich auf das Herausfinden optimaler oder doch suboptimaler Wertrelationen unter den komplexen Folgen des Handelns spezialisiert. Sie denkt in Alternativen, nicht in Regeln und Ausnahmen. Deshalb vermag das Recht kein Zweckhandeln mehr zu rechtfertigen, sondern nur noch zuzulassen. Es begrenzt die Mittelwahl und kann unter Umständen die optimale Zweckverwirklichung blockieren. Nicht selten treten rechtsstaatliche Anforderungen an die Verwaltung ihren Bemühungen um Rationalisierung und Vereinfachung in den Weg 9 . Im übrigen wird durch diese Differenzierung von Recht und Rationalität auch die Institutionalisierung einer verinnerlichten Moral und einer „freiwilligen" Sensibilität gegenüber Verhaltenserwartungen anderer und schließlich die Ausbildung verfeinerter Formen sozialer Verhaltenskontrolle möglich, die weder dem Recht noch der Wahrheit Rechenschaft schulden, sondern als Humantechnik eher dem Bereich des zweckrationalen wirtschaftlichen Handelns zugerechnet werden müssen. Diese Skizze der modernen Rechtsstruktur in ihrem Zusammenhang mit Rationalisierung und sozialer Differenzierung ist geschichtlich rückblickend orientiert am Verlust jener alten Einheit der Ratio, die Sein und Wahrheit, richtiges Denken und rechtes Handeln umspannte und zu bestimmen beanspruchte und aus dieser Spannweite das Wesen des Menschen begriff. Unsere Thesen bleiben in der Art, wie sie das Heutige feststellen, dem Gewesenen verpflichtet; und das wird um so mehr gelten für alle Bemühungen, ihre Aussagen zu bestreiten und darzulegen, daß das Recht „doch mehr sei als bloß...". Vermutlich werden solche Erinnerungen und Restaurationen nicht zu Ergebnissen führen, die sich lebendig machen lassen. Sie enden gewöhnlich im Wertschätzen von Werten. Nur im Akzeptieren und Durchdenken der sich entfaltenden • So auch Ule 1960 S. 25 f.
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differenzierten Sozialordnung, ihrer Probleme, Funktionen und Strukturen, werden wir das Maß unserer Möglichkeiten finden. Bei solcher Besinnung stoßen wir auf den Begriff der „Reduktion der Unbestimmtheit des Systems", mit dessen Hilfe wir die Zusammenordnung von Recht und Automation, von juristischen und der Maschine übertragbaren Entscheidungsbeiträgen erörtert haben. Dieser Begriff kann als vorausgesetzter theoretischer Grundbegriff benutzt werden und hat als solcher unsere Untersuchungen geleitet. Er vermag aber auch selbst zum Thema der Reflexion zu werden und bringt dann seine Denkvoraussetzungen in den Blick. Die Reflexionsbegriffe unserer Formel aber sind die Begriffe Materie und Form 10 . Reduktion der Unbestimmtheit des Systems ist eine Art der Bestimmung des Bestimmbaren. In der Sprache der traditionellen Philosophie ist das Bestimmbare die Materie, die Bestimmung die Form. Als Form von Materie wird Sein als Seiendes wirklich. Diese Grundvorstellungen haben es der ontologischen Metaphysik nahegelegt, das Geschehen von Wahrheit als Formung von Materie und dies als eine Herstellung (poiesis) zu deuten. Im Rahmen dieses Naturgeschehens der Herstellung wird dem Handeln des Menschen besondere Bedeutung zugesprochen. I m Hinblick auf diese Anforderung heißt das Handeln des Menschen auch Technik 11 . Die Anforderung, dem Sein wahre Aktualität zu geben, stellt sich dem Menschen dar als Erkenntnis des Guten, auf das sich sein Streben zu richten hat. Damit gerät die Technik in den Problemhorizont der Ethik und erhält von ihr das Maß und die Wahrheitsmöglichkeiten gewiesen. In der Ethik aber ist die Gerechtigkeit, das Maßvolle selbst, das höchste Gute. Auch heute stehen wir noch unter dem Zwang dieser Denkansätze, obwohl wir ihre Ansprüche nicht mehr erfüllen können. Wir haben, wie gesagt, den hohen Begriff der Ratio zerlegt und die Wahrheitsmöglichkeit des teleologischen Denkens verloren. Wir orientieren uns statt dessen an „Werten" und haben das Recht gegenüber der Ethik verselbständigt. Trotz aller dieser Wandlungen des Denkens konfrontieren wir die Technik, und so auch die Automation, weiterhin mit Forderungen der Ethik und des Rechts. Wir können jene Bindungen des Handelns, die unsere Tradition uns in Gestalt der Ethik überliefert, nicht ersetzen und fürchten für den Fall, daß wir sie aufgeben, den „Nihilismus". So scheint mehr Ratlosigkeit als Wahrheit im Spiel zu sein, wenn wir der Technik die Ethik, der Rationalisierung das Recht entgegensetzen. Denn der Anlf
Siehe hierzu Kants „Anhang: Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe" in der Kritik der reinen Vernunft (B 316 ff.). 11 Vgl. Ulmer 1953. Siehe audi Heidegger 1954.
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12. Kap.: Rationalität und Recht
spruch der Ethik und des Rechts stammt aus einem Denken, das diese Gegensätze nicht kennt. Vielleicht enthält aber die Vorstellung einer „Reduktion der Unbestimmtheit des Systems" Sinnkomponenten, die über diesen traditionellen Denkzusammenhang hinausweisen. Sie findet nämlich für das Geschehen der Bestimmung eine Fassung, die es von den Begriffen Form und Materie unabhängig macht 12 und so jene Denk Voraussetzung abwirft, die der Auslegung des menschlichen Handelns als Herstellung von Werken oder als Bewirken wertvoller Wirkungen und den analogen Interpretationen des Naturgeschehens eine besondere Prominenz gaben18. An die Stelle des Handlungsbegriffs tritt der Systembegriff. Dieser gibt im Grunde eine Interpretation von Sein und Zeit. Er besagt, daß der Übergang von der unbestimmt-bestimmbaren Zukunft zur bestimmten Vergangenheit durch Identifikationen vermittelt wird, und daß der rationale Sinn (die Funktion) des Identischen sich erschließt, wenn man es nicht mehr als Substanz, sondern als System, das heißt als Erhaltung einer Differenz von „Innen" und „Außen", versteht. Der Prozeß der Unbestimmtheitsreduktion erscheint dann nicht mehr nur als Bewirken von wertvollen Wirkungen, sondern als Aktualisierung und Erhaltung einer strukturierten Identität: einer Persönlichkeit oder eines Unternehmens, eines Kunstwerks oder eines Staates. Damit bahnt sich zugleich die Möglichkeit an, den alten Gegensatz von Form und Materie, der Seinsqualitäten bezeichnete, durch den Gegensatz von Struktur und Prozeß zu ersetzen, der sich auf Funktionen der Systemerhaltung bezieht. Nichts Seiendes, keine Information, keine Entscheidungsprämisse hat nach Sinn oder Inhalt ein für allemal den Charakter einer Strukturkomponente bzw. eines Teiles des Datenflusses; erst die Funktion, die eine Nachricht in einem System erfüllt, ermöglicht eine solche Zuordnung. Auch über Strukturen, zum Beispiel über Entscheidungsprogramme, kann — zwar nicht in dem strukturierten Pro" Damit also auch von den metaphysischen Begriffen, an deren Entgegensetzung sich der Streit der westlichen und der östlichen Ideologie entzündet. Dieser Streit zieht seine Nahrung aus eben jener Ratlosigkeit, aus dem Anhalten der Reflexion vor den Seinsbegriffen der ontologischen Metaphysik. Er behandelt die Dichotomie von Form und Materie — Form als Idee oder Wert, Materie als Träger einer dialektischen Entwicklung interpretiert — so, als ob der eine oder der andere Seinsaspekt unter den Gesichtspunkten der Vernunft den Vorzug verdiene. 19 Bezeichnend ist, daß audi der sog. Existentialismus bei diesem Problem der Bestimmung des Unbestimmten ansetzt und ebenfalls versucht, die Explikation dieses Problems durch die klassischen Kategorien von Form und Materie zu umgehen. Vgl. namentlich den Begriff der „Entschlossenheit" bei Heidegger 1949 S. 295 ff. Der Gedanke, juristische Sophistik oder Bayes'sche Statistik zur Unbestimmtheitsreduktion einzusetzen, liegt Heidegger sicher fern. Letztlich sind aber alle Spielarten des Dezisionismus eine Reaktion auf die immense Komplexität der modernen Welt.
12. Kap.: Rationalität und Recht
zeß, aber anderswo — entschieden werden, so wie umgekehrt Informationen zu Strukturen für das weitere Entscheiden gerinnen, sobald sie nicht mehr als problematisch behandelt werden. Die Automation erfordert ein Denken in diesen Begriffen — und zwar nicht nur zum Verständnis ihrer technischen Geräte, sondern zum Verständnis der Verwaltungen und der Rechtssysteme, in denen sie Anwendung finden. Niemand kann heute sagen, wohin die damit angedeuteten Möglichkeiten der Besinnung führen. Es könnte sein, daß sich in ihnen ein neuer Begriff der Technik enthüllt (wenn man überhaupt an diesem Wort festhalten will) und daß die Unterscheidung des Rechts von der Rationalität des Zweckhandelns sich in ihm auflösen läßt. Das Recht müßte dazu aus seiner erinnerungsreichen Bindung an die Ethik gelöst und als Strukturkomponente der differenzierten Gesellschaftsordnung begriffen werden 14 . Solches Umdenken kann nicht wie etwas als richtig Erkanntes vorgeschlagen und durchgeführt werden. Wenn wir aber das Verhältnis von Recht und Automation in aller Unbefangenheit und vorurteilsfrei an der Entscheidungspraxis der Verwaltung prüfen, lassen wir uns damit vielleicht schon auf ein neues Denken ein. Die Bedeutung der Verwaltungsautomation ist bisher weder in der juristischen noch in der technisch-organisatorischen Perspektive ausreichend erkannt worden. Sie liegt nicht in der Frage, ob die Rechtsordnung es zuläßt oder zulassen soll, daß Maschinen dem Menschen einen Teil seiner Entscheidungen abnehmen. Dagegen bestehen, wenn einerseits die Sensibilität der Verwaltung für Informationen und andererseits ihre Entscheidungsinhalte (also Input und Output) gleich bleiben, wohl kaum Bedenken15. Die Tragweite der Automation kommt auch in etwaigen Personaleinsparungen nicht angemessen zur Sprache. Solche Einsparungen sind gegenwärtig und auf absehbare Zeit, wenn überhaupt, nur in geringen Spuren nachweisbar und ohne Bedeutung im Vergleich zu dem allgemeinen Ansteigen der Verwaltungskosten. Das Entscheidende liegt nicht im Maschinellen und auch nicht im Ergebnis der traditionell aufgezogenen Kostenvergleiche. Die revolutionierende Wirkung der Verwaltungsautomation wird von ihren Denkvoraussetzungen und -Implikationen ausgehen1·. Automation wird das in Systemen erfaßbare Potential für Komplexität ändern und die Formen, in denen Komplexität durchgearbeitet wird, revolutionieren. Reduktion von Komplexität auf entscheidungsfähige 14 Als bedeutendsten Versuch in dieser Richtung, von der soziologischen Theorie überholt, aber bei weitem nodi nicht genügend beachtet, vgl. Romano 1918. " Ebenso Mehl 1959 S. 543. " Diese Auffassung findet man audi bei Diebold 1962.
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Ausmaße war schon bisher das kritische Organisationsproblem, und zwar sowohl für die Strukturbildung als auch für die Entscheidungstätigkeit im einzelnen. Die Komplexität der Umwelt einer Organisation konnte nur blaß und schematisch erfaßt, in vage Zweckformeln oder Rechtsvorschriften von überzogener Abstraktheit eingefangen werden, und sie mußte dann durch Suche nach Mitteln und Mittel für Mittel oder durch Ausführungsvorschriften, Erläuterungen, Leitentscheidungen und Auslegungen der Erläuterungen von Leitentscheidungen kleingearbeitet werden mit all der Vermehrung von Widersprüchen und Konflikten, die ein solcher Prozeß der Spezifikation von Entscheidungsprämissen unvermeidlich mit sich bringt. Ob Zweckorientierung einerseits und Rechtsnormorientierung andererseits für diesen Prozeß der Reduktion von Komplexität die günstigste Form boten, ist nie geprüft worden; und auch nicht, wie beide Methoden sich zueinander verhalten und ineinandergeschachtelt werden können. Überhaupt stand dieser Reduktionsprozeß nicht als solcher im Blick, obwohl er das vertraute Gesicht unserer Bürokratie geprägt hat. Die Tatsache, daß nun elektronische Entscheidungssysteme zur Verfügung stehen, die in den Einzelschritten zwar sehr viel geringere Komplexität vertragen als der Mensch, als Systeme ihm aber in bestimmten Hinsichten hoch überlegen sind, fordert uns dazu auf, diesen Prozeß der Absorption einer zunächst nur unbestimmt erfaßbaren Komplexität von Grund auf neu zu durchdenken. Dazu benötigen wir eine neuartige Theorie der Verwaltung. Um Automation überhaupt zu verstehen und einordnen zu können, müssen wir den Orientierungsrahmen unseres traditionellen Verwaltungsdenkens ändern. Die Rechtsanwendungslogik und die Zweck/Mittel-Rationalität, die Moral der guten Einzelfallabfertigung und des Vorgesetztenrespekts, die einfachen Organisationsschaubilder und die plausibel klingende Alltagsrhetorik werden mit einem Tatbestand konfrontiert, der ihre Brüchigkeit aufweist. Davor kann man sich eine zeitlang, aber nicht dauernd in defensive Ignoranz retten. Andererseits ist der blasierte Überlegenheitsanspruch mancher Automationsfachleute eher ein Symptom dieses Gefälles als ein Zeichen seiner Meisterung. Die öffentliche Verwaltung wird insgesamt nach neuen, unter anderem auch „automationsgerechten" Grundlagen ihres Selbstverständnisses suchen müssen. Aber nicht nur die Automation stößt sie in diese Richtung. Die moderne sozialwissenschaftliche Analyse von „latenten" Funktionen und Verhaltensmotiven, von nichtbedachten und von dysfunktionalen Handlungsfolgen hat die gleiche Tendenz, die Erfahrungswelt des Verwaltungsalltags zu untergraben. Ihr Eindringen in die deutsche öffentliche Verwaltung ist nur noch eine Frage der Zeit und der Kontakte. Die immer komplizierteren und zugleich realitätsnäheren Denkfiguren ratio-
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nalwissenschaftlicher Systemmodelle und die funktionale soziologische Theorie nehmen die Verwaltung in die Zange. Beide Denkrichtungen arbeiten im Grund auf dasselbe Ziel zu. Sie suchen eine allgemeine Theorie der Verwaltung. Die Leitbegriffe der hier vorgelegten Untersuchung: Handlungssystem und abstrakt normierte Systemstruktur, Umweltdifferenzierung, Entscheidungsfertigung und Reduktion unbestimmter Komplexität, sind als Vorschläge in diese Richtung gezielt.
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Sachverzeichnis Absorption s. audi Unbestimmtheitsreduktion — von Fehlern 791 — von Unsicherheit 56 ff. Abweidiungen des Verhaltens 78 Adresse/Inhalt 32 Algorithmen s. Kalküle Amtsgeheimnis 71 Amtshaftung s. Staatshaftung Angst, Abwehr von 76 f. Anpassung 23 Arbeitsfluß 104 Arbeitsteüung 23, 64 Anm. 10 Auskunftsbereitschaft 74 Autonomie der Verwaltung 23, 25, 27, 35 f., 54, 85 Beamtenverschulden s. Verschulden Begründungen — , juristische 51 f., 55, 66 f. — , mitgeteilte 93 f. Berichtigung fehlerhafter Verwaltungsentscheidungen 91 ff. Berufskonventionen, juristische 56 Bestandskraft fehlerhafter Verwaltungsakte 81 Anm. 21; s. auch Rücknahme Beweislast 18 Bilanzen, elektronische Analyse 70 f. Billigkeit 58 Daten erfassung, maschinengerechte 69 f. ermittlung 67 ff. Darstellung s. Entscheidung Differenzierung — der Verwaltungsumwelt 22 f., 24, 27 f., 79 — , interne 23 — ,soziale 80, 97,135, 136 Dokumentation, juristische 53 Anm. 9, 63 Anm. 7
Einführungsentscheidungen 129 ff. Eingabevorbereitung als Fehlerquelle 69 Anm. 24, 99 ff. Einzelfallentscheidungen 63, 72 Entscheiden, juristisches 51 ff., 66 f.; s. auch Logik, Rationalität, Rhetorik Entscheidungen — , Darstellung/Herstellung 51 f., 66 f. — , Konsistenz von 65 f. — , Verbesserung der 18 f., 64, 121, 123 Anm. 22, 124 Entscheidungsprämissen 25, 26, 29 Entscheidungsprogramm 351, 44, 49 Erklärungsfehler 92, 941 Ermessen 39 f., 66 Anm. 15 Ermessensentscheidungen, Automatisierung von 721 Ethik 137, 139 f., 141 Fakten, juristische Prüfung der 691 Fallserien 64 f. Fehler 75 ff. — »Absorption von 791 — , belanglose 92 f. — , Immobilisierung von 97 — , Nachsicht bei 78, 82, 107 — , offenbare 92 ff. abwicklungsprogramme 84 ff. arten, verwaltungsinterne 941 empflndlichkeit der Digitalrechner 801 der Konditionalprogramme 77 der öffentlichen Verwaltung 781 kontrolle s. auch Plausibiltätskontrolle durch das Publikum 791 durch Kollegen 77, 107 -bei automatischer Datenverarbeitung 73 Anm. 33, 80, 1001 quelle, Eingabevorbereitimg als 69 Anm. 24, 99 ff. — -Serien 99
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averzeichnis
Sicherheit der Datenverarbeitung 80 f., 82, 99 ff. theorie, statistische 82 f., 113 Form / Materie 139 ff. Formulargestaltung 100 Anm. 41 Funktionen, latente 90, 110, 142 — , Spezifikation 135 ff. Gedächtnis s. Speicherung gefahrgeneigte Tätigkeit 111 ff. Geldanweisungen 18 Gemeinwohl 40; s. auch Interesse Generalisierung 24 f. Gesetzgebung, automationsgerechte 131 f.; s. auch Rechtsetzung Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 29,45 Gewaltenteilung 21, 55 Gleichheitssatz 41 Anm. 19, 45, 54, 65, 70 f., 79, 84, 88, 97 Grenzstellen 68 Härtenovelle zur RVO 89 Herstellung s. Entscheidung Hierarchie 17, 108 Anm. 13, 112 Information — , Messung 58, 126 — , Speicherung 32 f. — , physische und semantische Verarbeitung 57 f. — , Verteilung 126 Inhalt / Adresse 32 Input/Output-Modell 36 Institutionen 23 Interesse, öffentliches 89 ff.; s. auch Gemeinwohl Interessenabwägung 89 ff., 96 ff. Jurist 10 ff., 55 f., 136; s. auch Berufskonventionen, Entscheiden J ustizverweigerungs verbot 105 Anm. 8 Kalküle 45 Kassenanweisungen, Richtigkeitsvermerk auf 114 f. Kommunikationsnetze, Vergleich von 126
Komplexität — , Reduktion 23, 141 ff. — , Verlagerung 9 f., 125 f.
Konditionalprogramme 36 ff. — , Fehlerempflndlichkeit 77 Konsistenz der Entscheidungen 65 f. Kontrolle der Datenverarbeitungsanlagen 31; s. auch Fehlerkontrolle Kontroversen, zugelassene 76 Kostenvergleich 120 ff.; s. auch Wirtschaftlichkeit Latenz s. Funktionen Lenkbarkeit der automatisierten Verwaltung 131 f. Lernfähigkeit der Organisationen 70 Lernmaschinen 68 Logik, juristische 51, 54 f.; s. auch Entscheiden, Rationalität, Rhetorik Maschine — als Modell des sozialen Systems 37 — , Begriff 36 f., 52 Anm. 5 Maschinenprogramme 49 ff. Maschinenzeit 50 f. Massenentscheidungen 64 Materie / Form 139 ff. Messung von Informationen 58, 126 Metaphysik 139 f. Mitglieder, s. Personal Motivfähigkeit richtigen Handelns 111 Naturrecht 23, 53 Anm. 7, 133, 138 Offenbarkeit von Fehlern 92 ff. Optimalprinzip,, s. Wirtschaftlichkeitsprinzip Orientierung, universalistische 53 f., 65; s. auch Gleichheitssatz Parteienverkehr 68; s. auch Umweltverkehr Persönlichkeit als Entscheidungsfaktor 43, 46 Anm. 34 Personal 22, 102 ff. Personaleinsparung 121, 122 ff., 141 Plausibilitätskontrollen 94, 100, 108; s. auch Fehlerkontrolle Politik 22, 54, 116 ff., 130 ff. Polizeistaat 38, 40 f. Positivität des Rechts 23 ff., 53, 135, 137 Prozeß / Struktur 140 f. Publikum 22, 58; s. auch Rückkopplung
Sachverzeichnis Qualitätskontrolle 115 Anm. 24 Rationalität s. audi Recht, Systemrationalität — der juristischen Problembehandlung 54 Anm. 12, 59; s. auch Logik Rechenschaftspflicht s. Verantwortlichkeit Recht s. auch Naturrecht, Positivität — , Entweder/Oder Struktur 79, 137 — , Funktion für die Verwaltung 22 ff. — und Zweckrationalität 26 Anm. 8, 41, 47, 116, 133, 134 ff. — , Wahrheitsfähigkeit 138 Rechtsanwendung 38 Anm. 7 — , Verwaltung als 28 f. Rechtsbegriffe, unbestimmte 39 f., 72 Rechtsetzung 25 f., 28, 53, 134; s. audi Gesetzgebung, Gewaltenteilung Rechtsnorm 52 — und Entscheidungsprozeß 26 f. Rechtsstaat 38, 40, 43, 53 f., 134 Reduktion, s. Unbestimmtheitsreduktion Regreßhaftung 87, 107, 109 ff.; s. auch Verantwortlichkeit Reichsversicherungsordnung 89 Rhetorik, juristische 54 ff.; s. auch Entscheiden Rollentrennung 84 f.; s. auch Autonomie Rückkopplung, Verwaltung — Publikum 79 f., 92 f. Rücknahme, s. Verwaltungsakt Sanktionen, Motivation durch 88, lllf. Schadensersatz bei Rücknahme von Verwaltungsakten 97 f. schadensgeneigte s. gefahrengeneigte Tätigkeit Selektivitätsverstärkung 125 Sortierfunktion 63 f. Speicherung von Informationen, s. Information Spezifikation, funktionale 135 ff. Staatshaftung 81 Anm. 21, 86 ff. Steuererklärungen, elektronische Analyse von 70 f. Struktur / Prozeß 140 f. System — Verwaltung als 21 ff.
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rationalität / Handlungsrationalität 48, 118, 124 ff. theorie 13 f., 15, 21 f., 48, 84, 128, 140 f. zeiten 50 Anm. 2 Systeme, einfache / komplexe 125 Anm. 27 Technik 139, 141 Toleranz von Fehlern 78, 82, 107 Überschneidung von Aufmerksamkeitsbereichen 100, 108 Anm. 13 Umwelt — der Verwaltung 22 ff., 52 f., 75, 79 f., 84; s. auch Differenzierung verkehr 73 f.; s. auch Parteienverkehr Unbestimmtheit — der Systemstruktur 23 f., 52 ff. — , erforderliche 61 — , von Rechtsbegriffen 39 f., 72 Unbestimmtheitsreduktion 52, 61 f., 104, 139, 140 universalistische Orientierung 53 f., 65; s. auch Gleichheitssatz Universalität der Verwendbarkeit von Datenverarbeitungsanlagen 121, 124 Unsicherheitsabsorption 65 ff. Unterschrift bei Verwaltungsbescheiden 74 Verantwortlichkeit 102 ff. — , förmliche Übernahme der 114 f. — , Zentralisierung der 115 Verantwortung 57, 105 f.; s. auch Unsicherheitsabsorption Verhalten, abweichendes 78 Verschulden als Staatshaftungsprinzip 86 ff., 97 Vertrauensschutz 91, 96 Verwaltung — als System 21 ff. — , Ausdifferenzierimg der 15 ff. — , Autonomie der 23, 25, 27, 35 f., 54, 85 — , Lenkbarkeit der 131 f. — , Grenzen der 84 f., 92 f.; s. auch Umwelt — , öffentliche 16 f., 21 ff., 78 f. — , private 15 ff. Verwaltungsakt 18, 20, 29 Anm. 14, 74
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averzeichnis
— , begünstigender / belastender 85 f., 97 f. — , fehlerhafter 81 Anm. 21, 91 ff.; s. audi Berichtigung, Rücknahme Verwaltungsbegriff 16, 21 Verwaltungsgerichtsbarkeit 86 Anm. 7, 87, 98 Verwaltungsvereinfachung 9 f., 125 f. Verwaltungswissenschaft 13 f., 56, 142 f. Vorprüfung von Lochanweisungen 100 Anm. 41 Wahrheitsfähigkeit des Redits 138 Wenn-Dann-Programm, s. Konditionalprogramm Wille 32 f. Willensbüdungsfehler 92, 94 f. Wirtschaftlichkeit 116 ff. — «de Rechtspflicht 118 f. Wirtschaftlidikeitsprinzip 118 f., 130 f.
Wirtschaftlichkeitsrechnung, privat / öffentlich 121 Anm. 14, 123 Anm. 22 Zeitfolge von Entscheidungsschritten 49 ff. Zentralisierung der Verantwortlichkeit 115 Zulässigkeit, rechtliche, der Automation 12, 30 ff., 141 Zunehmende Verbesserungen, Strategie der 127 f. Zusammenarbeit Mensch / Masdüne 72 f. Zurechnung von Fehlern 103 f. Zweckorientierung 19 f. Zweckprogramme 36 ff. — , Fehlerempflndlichkeit 77 — , rechtliche Regelung 38 ff. Zweckrationalität, s. Recht, Systemrationalität