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German Pages [632] Year 1986
REALLEXIKON FÜR ANTIKE UND CHRISTENTUM SACHWÖRTERBUCH ZUR AUSEINANDERSETZUNG DES CHRISTENTUMS MIT DER ANTIKEN WELT
HERAUSGEGEBEN VON THEODOR KLAUSER+, ERNST DASSMANN
GARSTEN GOLFE, ALBRECHT DIHLE, JOSEF ENGEMANN BERNHARD KÖTTING, WOLFGANG SPEYER, KLAUS THRAEDE JAN HENDRIK WASZINK
Band XIII: Gütergemeinschaft — Heilgötter
1986
ANTON HIERSEMANN · STUTTGART
BEGRÜNDET VON FRANZ JOSEPH DÖLGER, THEODOR KLALSER, HELMUT KRUSE
HANS LIETZMANN, JAN HENDRIK WASZINK
REDAKTION
F. J. Dölger-Institut, Lennestraße 41, D-5300 Bonn 1
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Reallexikon für Antike und Christentum: Sach wörterbuch zur Auseinandersetzung d. Christen tums mit d. antiken Welt / im Auftr. d. Rhein.Westf. Akad. d. Wiss. bearb. im Franz-Joseph-Dölger-Inst. an d. Univ. Bonn. Hrsg, von Theodor Kiauser ... [Begr. von Franz Joseph Dölger ...]. — Stuttgart: Hiersemann ISBN 3-7772-5006-6 NE: Kiauser, Theodor [Hrsg.]; Dölger, Franz Jo seph [Begr.J; Franz-Joseph-Dölger-Institut zur Er forschung der Spätantike {Bonn)
Bd. 13. Gütergemeinschaft — Heilgötter. - 1986. Abschlußaufnahme von Bd. 13 ISBN 3-7772-8626-5
© 1986 ANTON HIERSEMANN, STUTTGART Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teile daraus in einem photomechanischen, audiovisuellen oder sonstigen Verfahren zu vervielfältigen und zu verbreiten. Diese Genehmigungspflicht gilt ausdrücklich auch für die Verarbeitung, Vervielfältigung oder Verbreitung mittels Datenverarbeitungsanlagen. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Printed in Gerniany
VORWORT Das Titelblatt dieses Bandes weist auf wichtige Veränderungen im Herausgeberkolle gium hin.
Am 24. 7. 1984 starb Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Kiauser, der dieses Lexikon mitbe gründet, ihm bis 1966 als alleiniger Herausgeber und weiterhin als Hauptherausgeber seine wissenschaftliche Ausrichtung und durch die Gründung des Franz Joseph Dölger-Instituts 1955 die organisatorische Grundlage für ein kontinuierliches Erscheinen geschaffen hat. Was Theodor Kiauser für das ,Reallexikon für Antike und Christen tum“ bedeutet, läßt sich mit wenigen dürren Worten im Rahmen eines Vorworts nicht beschreiben. Ein großer Teil seiner Schaffenskraft steckt in diesem Werk; es wird seinen Namen in der wissenschaftlichen Welt lebendig erhalten. (Vgl. die Kurzbiogra phien und Würdigungen in JbAC 27/28 [1984/85] 5/23 und RömMitt 92 [1985] 1/8.)
Ausgeschieden aus dem Herausgeberkollegium ist aus Alters- und Gesundheitsgrün den Prof. Dr. Dr. h. c. Jan Hendrik Waszink, ebenfalls Mitbegründer des RAC. Durch zahlreiche Beiträge und seit Band 6 als Mitherausgeber hat er sich besonders für das internationale Ansehen des Lexikons unschätzbare Verdienste erworben. Um die Lücken zu schließen, wurden die Herren Prof. Dr. Josef Engemann und Prof. Dr. Dr. Klaus Thraede als neue Mitherausgeber gewonnen. Ersterer ist als ehemali ger langjähriger Mitarbeiter des Franz Joseph Dölger-Instituts bestens mit der Aufgabenstellung des Lexikons vertraut, letzterer hat bereits seit 1967 als Mither ausgeber des .Jahrbuchs für Antike und Christentum“ an der wissenschaftlichen Be treuung des Lexikons mitgearbeitet.
Inzwischen sind die ersten vier Supplementlieferungen zum Buchstaben A erschie nen. Auf die darin enthaltenen Nachtragsartikel wird mit zwei Sternchen (**) vor dem Lemma hingewiesen. Bonn, den 2. Juli 1986
Ernst Dassmann
INHALT Gütergemeinschaft........................................ Güterlehre...................................................... Gyges................................................................. Gymnasium...................................................... Haar................................................................. Habakuk ......................................................... Habsucht (Geiz) ........................................... Häresie............................................................. Hafen................................................................. Hagar................................................................. Hagel................................................................. Haggadah ...................................................... Hahn................................................................. Halachah.......................................................... Hand II (ikonographisch)............................. Handauflegung I (liturgisch)...................... Handauflegung II (ikonographisch) . . . Handel I (geschichtlich)............................. Handel II (ethisch)........................................ Handwaschung............................................... Haradrius ...................................................... Harmonie der Sphären................................
1 59 150 155 177 203 226 248 297 305 314 328 360 372 402 482 493 519 561 575 585 593
Harn................................................................. 618 Harran............................................................. 634 Haruspex.......................................................... 651 Hase................................................................. 662 Haß..................................................................... 677 Hauch ............................................................. 714 Hauptsünden................................................... 734 Haus I (Hausgötter, Hausschutz) .... 770 Haus II (Hausgemeinschaft)...................... 801 Haus III (Metapher).................................... 905 Haustafel.............................................................. 1063 Heerwesen (Heeresreligion).......................... 1073 Heiden.................................................................. 1113 Heidenverfolgung................................ i. . 1149 Heilgötter............................................... '. . 1190
Register.............................................................. 1235 Erscheinungsdaten............................................ 1237 Stichwörter...........................................................1239 Mitarbeiter...........................................................1241 Nachtragsartikel................................................ 1243
Gütergemeinschaft.
A. Griechisch-römisch. I. Verwirklichung der Gütergemeinschaft, a. Lipara u.a. 2. b. Pythagoreer 2. II. Sozialpolitische Utopien, a. Mythos vom Goldenen Zeitalter 4. b. Idealisierung der Naturvölker 11. c. Staatsphilosophie. 1. Pla ton 12. 2. Aristoteles 14. 3. Stoa 16 4. Epikureismus 21. d. Staatsromane 21 1. Euhemeros 22. 2. Jambulos 22.
B. Israelitisch-jüdisch 23.
C. Christlich. 1. Urchristentum 26. II. Griech. Apologeten u. andere Schriften des 2. Jh. 28. III. Lat. Väter des 3. Jh. a. Tertullian u. Cy prian 29. b. Laktanz 30. IV. Griech. Väter, a. Clemens v. Alex. 33. b. Origenes 35. c. Kappadokier 36. d. Johannes Chrysostomos 39. e. Thoodoret 43. V. Lat. Väter dos 4. u. 5. Jh. a. Ambrosius 44. b. Ambrosiaster, Zeno v. Verona u.a. 47. c. Augustinus 48. VI. Mönchtum 51. VII. Häretiker, a. Karpokratianer 52. b. Apostoliker 53. c. Ebioniten 53. d. Pelagianer 54. e. Pseudoklomentinen 55. VIII. Nachaugustinische Zeit 56.
Unter G. wird hier der gemeinsame Besitz u. die gemeinsame Nutzung der Wirtschafts güter verstanden. In gewisser Weise kann sie (neben der Gütergleichheit, die nach Aristot. pol. 2, 7, 1266 a zuerst Phaleas v. Chalkedon proklamiert hat) als ein sozialpolitisches Ideal der Antike angesehen werden, in dem sich die Forderung nach sozialer ♦Gerechtig keit durch die Beseitigung der Ursachen der sozialen Spannungen, der ungleichen Vertei lung des Besitzes, verwirklichen sollte. Inso fern sie eine solche Forderung nach sozialer Gerechtigkeit darstellt, läßt sie sich mit kom munistischen Bestrebungen der Neuzeit ver gleichen. Davon zu unterscheiden ist die G., RAC XIII
die sich aus einem asketischen Armutsideal, sei es philosophisch oder religiös begründet, herleitet. Allerdings impliziert die Forderung nach Besitzverzicht nicht unmittelbar die G., vielmehr setzt diese ein positives Gemein schaftsverständnis voraus, dem die G. als die angemessene Güterordnung entspricht. Da neben treten bestimmte situationsbedingte Formen der Gemeinwirtschaft. A. Griechisch-römisch. I. Verwirklichung der Gütergemeinschaft, a. Lipara u. a. Im allge meinen herrscht in Griechenland in histori scher Zeit die Privateigentumsordnung. Die homerischen Epen u. Hesiod setzen sie vor aus. Wo es gewisse Formen der Gemeinwirt schaft u. der G. gibt, wie auf den liparischen Inseln oder in Kreta u. Sparta, beruhen sie auf der besonderen Situation dieser Staaten. Die kommunistische Verfassung der Liparäer mit ihrer wechselnden Arbeitsteilung (ein Teil der Bevölkerung hatte jeweils für die Be bauung des Landes zu sorgen, der andere für die Verteidigung) u. dem gemeinsamen Besitz u. Konsum der erarbeiteten Güter rührt, wie unsere Hauptquelle (Diod. Sic. 5, 9, 4f; vgl. Paus. 10, 11, 3) deutlich erkennen läßt, aus der Notwendigkeit der Landesverteidigung gegen die etruskischen Piraten (G. Kazarow, Der Liparische Kommunistenstaat: Philol 62 [1903] 157/60; v. Pöhlmann 1, 46/52; R. J. Buck, Communalism on the Lipari Islands [Diod. Sic. 5, 9,4]: ClassPhilol 54 [1959] 35/9). Ähnliches gilt für die spartanische u. kreti sche Wirtschaftsform, die ebenfalls unter dem Zwang besonderer politischer u. militärischer Erfordernisse entstanden ist (v. Pöhlmann 1, 58; Hauck 792). b. Pythagoreer. Die verworrene u. wider sprüchliche Geschichte des Pythagoreismus läßt nicht eindeutig erkennen, ob die für den pythagoreischen Bund vielfach bezeugte G. auf Pythagoras selbst zurückgeht oder ob die relativ späten Berichte die sozialen u. sitt lichen Ideale ihrer Zeit lediglich in die Früh1
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Gütergemeinschaft
zeit des Pythagoreismus zurückprojizieren (früheste Zeugnisse: Epicur. frg. 543 Usener [= Diog. L. 10, 11]; Timae. Taurom.: FGrHist 566 F 13b [= Diog. L. 8, 10]; letzteres die Meinung von E. Zeller [Pythagoras u. die Pythagorassage: ders., Vortr. u. Ahh. 1 (1865) 49f], V. Pöhlmann [1, 41] u. a.). Soviel scheint allerdings klar, daß die pythagoreische G., falls sie in die Frühzeit zurückreichen sollte u. zu den .hochaltertümlichen Zügen dieser Be wegung“ (A. Dihle: Gnomon 34 [1962] 454) gehört, ihre Wurzel nicht in einem sozial reformerischen Programm hat (so Hauck 792), wenn auch die politische Einflußnahme der Pythagoreer in Süditalien zeitweilig auf die Vergesellschaftung des Privateigentums hin gezielt zu haben scheint (vgl. K. v. Fritz, Art. Pythagoreer: PW 24 [1963] 215) u. die spä teren Nachrichten, in diesem Punkt wahr scheinlich auf Dikaiarchs Bevorzugung des βίος πολιτικός fußend, Pythagoras als politi schen Reformer erscheinen lassen (E. Rohde: RhMus 26 [1871] 561 ; I. Lévy, La légende de Pythagore [Paris 1927] 30/40). Die Angabe bei Jamblich (vit. Pyth. 81) u.a., daß die G. nur für die voll in den Kreis Aufgenommenen galt, die Πυθαγόρειοι, nicht dagegen für die Πυθαγορισταί, die in Zusammenhang steht mit anderen Vorschriften für die Anwärter des Or dens u. ganz offensichtlich altpythagoreisches Gut liefert, macht vielmehr deutlich, daß die G., wie der Πυθαγόρειος τρόπος τοϋ βίου (Plat, resp. 10, 600 b) überhaupt, nur die innere Organisation des in enger Gemeinschaft le benden Ordens betraf u. religiös-sittlich be gründet war. Demzufolge ist auch die weit verbreitete Erzählung, wonach auf das Wort des Pythagoras in Kroton mehr als 2000 (nach anderen 600 oder 300) die G. angenommen hätten, mit Sicherheit Legende (vgl. Iambl. vit. Pyth. 29; Diog. L. 8, 3; v. Fritz, Pythagoreer aO. 220). Photios u. die Schoben zu Plat. Phaedr. 279c (6, 275 Herrmann; 88 Greene) dehnen diese G. sogar auf ganz Süditalien aus u. nennen hierfür Timaios v. Taurom. als Ge währsmann (Phot. lex. s. v. κοινά τά φίλων: 1, 349 Naber). - Eine vollständige u. allge mein verpflichtende G., das weist K. v. Fritz (Mathematiker u. Akusmatiker bei den alten Pythagoreern = SbMünchen 1960 nr. 11, 8f) nach, dürfte es aber auch für die höchsten Grade der Pythagoreer ,kaum für längere Zeit' gegeben haben, da verschiedene Be richte, die die großzügige Unterstützung in Not geratener Pythagoreer durch vermögen
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de pythagoreische Freunde zum Inhalt haben (zB. Iust./Trog. 20, 5; Iambl. vit. Pyth. 239. 199), das Privateigentum auch für diese vor aussetzten. In der älteren Überlieferung sei lediglich der Spruch κοινά τά φίλων καί φιλία ίσότης als altpythagoreisch bezeugt, was we niger auf G. hinweise als auf die unter Freun den gültige Verpflichtung, im Notfälle ein ander beizustehen (vgl. dazu Porph. vit. Pyth. 33; Iambl. vit. Pyth. 167f). Eine G. habe es jedenfalls nach der politischen Katastrophe des Ordens in der Mitte des 5. Jh. nicht mehr gegeben (Näheres bei v. Fritz, Mathematiker aO. 8f; vgl. ders., Pythagoreer aO. 215). Im Neupythagoreismus ist das Ideal der G., wohl nicht zuletzt aufgrund der Annäherung zwischen Platonismus u. Pythagoreismus, ohne Zweifel lebendig (vgl. die angeführten Stellen Iambl. vit. Pyth., ferner ebd. 29/32. 69/73; Porph. vit. Pyth. 20; Gell. 1, 9, 12; Hippol. ref. 1, 2, 12). Ihre Verwirklichung in größerem Rahmen dürfte man freilich auch in den Kreisen der jüngeren Pythagoreer kaum jemals ernsthaft in Erwägung gezogen haben (anders J. Leipoldt, Griech. Philoso phie u. frühchristl. Askese [1961] 7f). II. Sozialpolitische Utopien, a. Mythos vom Goldenen Zeitalter. Hatte schon bei Hesiod die Sage vom Goldenen Zeitalter (dazu A. Kurfess, Art. Aetas aurea: o. Bd. 1, 44/50), das sich durch Gerechtigkeit, sozialen Frieden, materiellen Wohlstand u. Freiheit von Krank heit u. Mühen auszeichnet, in gewisser Weise den Charakter einer sozialpolitischen Utopie, die mit den ungerechten wirtschaftlichen u. sozialen Verhältnissen der Gegenwart kontra stierte (vgl. Billeter4; Braunert 7/10; anders Finley 7), so gewinnt diese Sage in der Kri se der Polis um die Wende 5./4. Jh. mehr u. mehr diese Funktion. Mit nicht immer offensichtlichem Bezug auf die Wirklichkeit des politischen u. sozialen Lebens hat die alte Märchenkomödie die romantische Sehn sucht nach einer besseren Welt parodierend auf die Bühne gebracht. Sie malt die Goldene Zeit unter der Herrschaft des Kronos in den prächtigsten Farben aus u. setzt das Goldene Zeitalter durch Ausweitung des Motivs der unerschöpflich von selbst schenkenden Natur einem Leben im Schlaraffenland gleich (vgl. die bei Athen, dipnos. 6, 267 zusammengestell ten Zeugnisse, insbes. Crates frg. 14 [1, 133 Kock]; Cratin. frg. 165 [1, 64 K.]; Telecl. frg. 1 [1, 209 K.]; weiteres bei Gatz 116; Seeliger 396f; Lovejoy/Boas 38/41; H. C. Baldry,
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The idler’s paradise in Attic comedy: Greece and Rome 65 [1953] 49/60; J. Pöschl, Das Märchen vom Schlaraffenland: BeitrGeschDtSprLit 5 [1878] 391/3). Das attische Fest der Kronien, an dem alle sozialen Unterschie de aufgehoben waren u. Herren u. Sklaven ge meinsam feierten, mag zur Ausgestaltung u. Volkstümlichkeit des Mythos, die die Parodien der Komödie bezeugen, beigetragen haben. Ihren Ursprung freilich ,aus dem Wunsch der Vergegenwärtigung der verlorenen paradiesi schen Zeit unter Kronos“ herzuleiten (so U. v. Wilamowitz-Moellcndorf, Kronos u. die Tita nen --- SbBerlin 1929 nr. 4), ist mit Recht als verfehlt angesehen worden (L. Deubner, Attische Feste [1932] 153; Gatz 117). Das schließt natürlich nicht aus, daß gerade die ses Fest das Wunschdenken beflügelte u. da zu einlud, Parallelen zum Goldenen Zeitalter zu ziehen. In späterer Zeit jedenfalls wird die *Gleichheit zwischen Herren u. Sklaven an dem entsprechenden röm. Fest, den Saturna lien, als eine Erinnerung an das Goldene Zeit alter unter Kronos angesehen, in dem es keine Sklaven u. keinen privaten Besitz gegeben habe (Iust./Trog. 43, 1,3; vgl. Lucian, sat. 7. 19f; Macrob. sat. 1, 7, 26). - Wenn es auch zu weit gehen dürfte, die Schlaraffia der Ko mödie allein aus sozialen Motiven herzuleiten (v. Pöhlmann 1, 388 sieht in ihr ,nur die gro teske Ausgestaltung einer volkstümlichen So zialphilosophie“), so wird man ihr doch bei der der Komödie von Anfang an eigenen Ten denz zur politischen Satire eine allgemeine Beziehung zur politischen u. gesellschaftlichen Gegenwart nicht absprechen wollen. Auch die Bemerkung des Aristoteles (resp. Ath. 16, 7), daß die Tyrannis des Peisistratos von Späte ren in Athen allgemein (e5p6XXouv) als Goldene Zeit gefeiert wurde, läßt erkennen, daß der Mythos durchaus politisch aktualisiert wurde (vgl. noch PsPlat. Hipparch. 229 b; Edelstein 42f). Eine Stelle bei Plutarch (Cim. 10, 7, 485 AB) macht schließlich deutlich, daß die G. in das Wunschdenken, das sich mit der Sage vom Goldenen Zeitalter verbunden hat te, einbezogen war (Kimons Freigebigkeit wurde nach Plutarch allgemein mit der G. des Goldenen Zeitalters verglichen; vgl. Athen, dipnos. 12, 44, 532F/533C), wie es ja ohnehin zu den selbstverständlichen Vorzügen dieser Epoche gehört, daß niemand durch die Schranken des Eigentums von der Beteiligung an den Gütern u. Genüssen dieser Erde aus geschlossen bleibt, die G. also immer schon
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als Merkmal des Goldenen Zeitalters latent vorhanden ist. - Wenn schließlich Aristoph. eccl. 588/710 die Auflösung der bestehenden Gesellschaftsordnung u. die Erklärung jeg lichen Besitzes zum Gemeineigentum scherz haft fordert, so spiegeln sich auch darin offen bar dieselben, dem sozialen Wunschdenken seiner Zeitgenossen entsprungenen Ideen (vgl. Ehrenberg 76f u. ö.; v. Pöhlmann 1, 313/22). Die Ekklesiazusen,erfüllen alle Kriterien einer regelrechten Sozialutopie“ (Flashar 8f; A. Meder, Der athen. Demos zZt. des Peloponnesischen Krieges, Diss. München [1938] 73); direkte Beziehungen zum platonischen oder zu anderen zeitgenössischen Staatsentwürfen sind auszuschließen (dazu ebd. 7 7 203 mit weiterer Lit.; zuletzt J. Peöirka, Aristophanes Ekkle siazusen u. die Utopien in der Krise der Polis: WissZsBerlin 12 [1963] 215/9). - In der helle nist. Philosophie hat sich der Mythos vom Goldenen Zeitalter mit der in der Vorsokratik aufkommenden Konzeption einer primitiven Urgeschichte der Menschheit u. ihrer Ent wicklung aus tierischer Rohheit u. Gesetz losigkeit zu Kultur u. Zivilisation auf ver schiedene Weise verbunden. Die Phase des ursprünglichen Primitivismus erfährt in fast allen philosophischen Systemen dieser Epo che, wenn auch mit unterschiedlicher Nuan cierung, wegen ihrer Nähe zu der Forderung des naturgemäßen Lebens u. den Idealen der Einfachheit u. Bedürfnislosigkeit eine positi ve moralische Würdigung u. wird in deren Folge häufig zum Goldenen Zeitalter umge deutet. Das Privateigentum erscheint dabei nicht selten als eine Folge des Verlustes der ur sprünglichen moralischen Integrität bzw. als eine zivilisatorische Errungenschaft, die die gefährlichen Konsequenzen der Zwietracht, des Streites u. des Krieges heraufführte. Diese Betrachtungsweise bewahrt zunächst die Ambivalenz in der Beurteilung der Urzeit, wie sie im Nebeneinander von Goldenem Zeit alter u. Prometheuserzählung bzw. der Über windung eines primitiven Urzustandes durch kulturbringende Heroen (vgl. K. Thraede, Art. Fortschritt: o. Bd. 8, 142; ders., Art. Er finder II: o.Bd. 5, 1194/7) schon seit frühester Zeit bestand. Sie prägt fast durchgehend auch die Einschätzung des kulturellen Fortschrittes unter dem Doppelaspekt der Größe der Kul turerrungenschaften einerseits wie ihrer Ge fahren, die sie für den Menschen nach sich ziehen, andererseits (frühester Beleg: Sophocl. Ant. 332/75; vgl. Thraede, Fortschritt aO.
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144. 160; Gatz 144/6; Joos 37/54. 83/93). Bereits in Platons Gesetzen führt diese Seh weise bei der Schilderung der Menschheit nach der kosmischen Katastrophe zu einer Konta mination der Motivik des Goldenen Zeitalters mit den Merkmalen der demokratischen Ur zeit- u. Kulturentstehungsthcorie (leg. 3, 677a/79b; vgl. K. Reinhardt, Hekataios v. Abdera u. Demokrit: Hermes 47 [1912] 506/9; Joos 85/9; G. J. D. Aalders, Het derde bock van Plato’s Leges 1. Prolegomena, Diss. Amsterdam [1943] 73/115; vgl. ferner den Mythos Plat. polit. 268b/74e mit H. Ilerter, Gott u. die Welt bei Platon: BonnJbb 158 [1958], bes. 115f bzw. ders., Kl. Schriften [1975] 316/29). In der Kulturgeschichte Dikaiarchs (frg. 49; vgl. frg. 48 mit Komm, von F. Wehrli [56/64] zu den Stellen), die den My thos vom Goldenen Zeitalter durch die Eli minierung des mythischen Beiwerks der Er forschung der Urgeschichte dienstbar macht, wird diese Konzeption konsequent durchge führt. Zwar wird der primitiven Gesellschaft der Privatbesitz nicht ausdrücklich abge sprochen, aber doch ein Zustand voraus gesetzt, der einen Besitz, um den es sich zu kämpfen lohnte, nicht kennt. Die Entstehung von nennenswertem Besitz ist einer späteren Kulturstufe Vorbehalten. Infolgedessen gibt es in der Primitivphase weder Krieg noch Streit, sondern das Leben der Menschen ver läuft in Frieden, Gesundheit u. gegenseitiger Freundschaft (vgl. Vischer 91 f; v. Pöhlmann 1, 87f;^vgl. Plat. leg. 3, 678e/79c; Edelstein 134). - Am radikalsten wird die Umdeutung des primitiven Naturzustandes zum Goldenen Zeitalter von den Kynikern vollzogen. Ihre rigorose kulturfeindliche Haltung feiert die tierähnliche Lebensweise der Urzeit als Ideal, das die kynische Lebensweise in die Praxis überträgt (Uxkull-Gyllenband42; Billeter 24 f; E. Weber, De Dione Chrys. Cynicorum sectatore = LeipzigStud 10 [1887] 120f). In den Briefen des Anacharsis, deren Vf. unter star kem kynischen Einfluß steht (vgl. R. Heinze: Philol 50 [1891] 466f), wird die G. als Ideal form der Güterordnung ebenso für die Urzeit der Menschheit unterstellt (die Erde ist ge meinsamer Besitz der Götter; in der Urzeit war sie auch gemeinsamer Besitz der Men schen: ep. 9, 9), wie sie für die Skythen be hauptet wird (ebd. 44 f; vgl. F. H. Reuters, Die Briefe des Anacharsis [1963] 25. 33; s. u. Sp. llf). Maximos v. Tyros zieht eine di rekte Parallele zwischen der kynischen Le
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bensart u. dem Primitivismus des Goldenen Zeitalters (or. 36, lf). Für diese primitive Phase wird das Fehlen des Privateigentums selbstverständlich vorausgesetzt, weshalb das Leben der Urmenschen ohne Krieg u. Kampf in friedlichem Nebeneinander verlief. Dieser Idealisierung der Urzeit entspricht die wahr scheinlich schon auf Antisthenes zurückgehen de negative Bewertung des Prometheus (vgl. etwa Dio Chrys. or. 6, 22 f; K. v. Fritz, Quellenunters. zu Leben u. Philosophie des Diogenes v. Sinope [1926] 78). Daß die Privat eigentumsordnung Gegenstand der kynischen Kulturkritik war, ist auch sonst vielfach be zeugt (vgl. Athen, dipnos. 6, 159C; Philod. Stoic. col. XIV [W. Crönert, Kolotes u. Menedemos (1906) 61]; Diog. Cyn. ep. 10 [EpGr 238]; Diog. L. 6, 72). Eine auf Papyros erhal tene Diatribe verweist auf das beispielhafte Verhalten der Tiere, deren Besitzlosigkeit Frieden u. Eintracht herbeiführe, während das Streben nach Geld u. Besitz den Menschen dazu bringe, sogar seine Artgenossen zu töten (PGen. inv. 271 col. 13, 15/14, 12 [hrsg. v. V. Martin: MusHelv 16, 1 (1959) 102/4]). So ge währt Besitzlosigkeit den Tieren ein weit friedvolleres Leben als es Menschen je er reichen können (Dio Chrys. or. 10, 16; vgl. 40, 39/41; H. Fuchs, Augustin u. der antike Friedensgedanke2 [1965] 107/11). Diese An sicht deckt sich mit dem Grundtenor der kynischen Philosophie, ihrer bekannt ne gativen Einstellung zu der bestehenden Staats- u. Gesellschaftsordnung u. dem Postu lat der Rückkehr zum Naturzustand, das als konsequente Folgerung der zur höchsten Tu gend erhobenen Bedürfnislosigkeit nur das, was die Natur unabweislich verlangt, für er strebenswert hält, alles dagegen, was mensch liche Meinung u. Wertung für begehrenswert ansieht, verachtet (vgl. Edelstein 60/2). - Die Stoa mußte sich durch ihr Ideal der natur gemäßen Lebensführung zur Idealisierung der Urzeit, die mit dem kulturellen Fort schritt der moralischen Dekadenz verfiel, ebenfalls in ganz besonderer Weise veranlaßt sehen (vgl. K. Praechter, Hierokles [1910] 392). Inwieweit diese Vorstellung schon in der alten Stoa vorgeprägt war, entzieht sich un serer genauen Kenntnis. Arats Bearbeitung des hesiodeischen Weltaltermythos (phaen. 96/136) wird man nicht als Zeugnis für die altstoische Auffassung werten können (U. v. Wilamowitz - Moellendorf, Hellenist. Dich tung in der Zeit des Kalimachos 2 [1924] 265/
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70; Pohlenz 2, 86; Edelstein 137f; anders G. Spoerri, Über die Quellen der Kulturent Pasquali, Das Proömium des Arat: XAPI- stehungslehre des Tzetzes : MusHelv 14 [1957] TES, Festschr. F. Leo [1911] 118f); anderer 183/8; vgl. E. Reitzenstcin, Theophrast seits scheint der Idealstaat Zenons ,von der bei Epikur u. Lukrez [1924] 73/5). Aber Idee des Naturzustandes eingegeben1 (v. Pöhl- auch die Schilderung der kulturellen Ent mann 1, 89; s. u. Sp. 17 f). Für uns ist die wicklung Lucret. 5, 925/1457 ist wesent genaue Ausbildung dieser Vorstellung inner lich geprägt von dem Nebeneinander kultu halb der Stoa mit dem Namen des Poseidonios reller Aszendenz u. moralischer Deszendenz. verbunden. Aus dem kritischen Referat Sene Neben die konsequente Durchführung des cas (ep. 90) ist ersichtlich, daß trotz der unter Kulturfortschritts, der an sich bejaht wird, schiedlichen Ausgangspunkte (Poseidonios tritt eine Betrachtungsweise, die aus der läßt bekanntlich dem von den Philosophen Sicht der Entartung der Gegenwart die urbegründeten Goldenen Zeitalter eine Phase zuständliche Mangelphase in Übereinstim der Rohheit u. des Primitivismus vorauf mung mit den Grundsätzen der epikureischen gehen, wogegen Seneca, für den diese be Ethik u. gewiß auf Epikur selbst zurück dingte Anerkennung kulturellen Fortschritts gehend (vgl. Uxkull-Gyllenband 33) positiv in Konflikt mit dem Ideal der Natürlichkeit im Sinne des Ideals der Genügsamkeit u. der steht, heftig polemisiert; dazu G. Pfliggers- Eindämmung der Bedürfnisse bewertet (vgl. dorfer, Stud. zu Poseidonios = SbWien 232, 5 Lucret. 2, 14/39 ; ferner Gatz 151 ; A. Ernout/ [1957] 85/99; Gatz 157/60 mit Lit.) sowohl L. Robin, Lucrèce De rerum natura. Comm. nach Poseidonios als auch nach Senecas eige exégét. et crit. 32 [Paris 1962] 126/9. 182f). ner Auffassung das Leben im Goldenen Zeit Die Entstehung des Besitzes wird in dieser alter sich durch ein ungebrochenes Gefühl der Schilderung einer bestimmten Stufe der Zusammengehörigkeit u. der Gemeinschaft Kulturentwicklung zugewiesen, u. zwar als auszeichnet, deren sichtbarster Ausdruck die eine kulturelle Errungenschaft, die zunächst G. darstellt. Erst die gemeinschaftzerstörende durchaus positiv gewertet ist, insofern sich ♦Habsucht läßt das Privateigentum entstehen die Verteilung des Besitzes an den körper u. führt damit den sozialen Unfrieden herauf lichen u. geistigen Vorzügen der Einzelpersön (quod [seil, inter homines consortium] ali- lichkeit orientiert (pro facie cuiusque et viri quamdiu inviolatum mansit, antequam socie- bus ingenioque: Lucret. 5, 1111) u. von her tatem avaritia distraxit: Sen. ep. 90, 3f; vgl. ausragenden Führern der Gemeinschaft vor ebd. 36/41; dazu S. Blankert, Seneca [ep. genommen wird (ingenio qui praestabant et 90] over natuur en cultuur en Posidonius als corde vigebant; ebd. 5,1107). Erst die spätere zijn bron, Diss. Utrecht [Amsterdam 1941] Entwicklung, in der der Besitz zum Maßstab 73f. 117f; K. Reinhardt, Poseidonios [1921] der sozialen Geltung wird u. somit das ur 9. 392/401; J. Heinemann, Poseidonios’ meta sprüngliche, noch nach natürlichen Prinzi physische Schriften [1921] 88/108. 164f). pien gestaltete Verhältnis umkehrt, zeitigt Hier ist deutlich das stoische Gemeinschafts- verhängnisvolle Folgen, die über das Streben ideales, u. Sp. 16) in das Goldene Zeitalter nach Reichtum, Ruhm u. politischer Macht zurückprojiziert u. der Urzustand zu einem in die Anarchie führen (vgl. ebd. 5, 232/4; Wunschbild geworden, das der entarteten ,un ferner K. Westphalen, Die Kulturentste natürlichen“ Lebensform der Gegenwart als hungslehre des Lukrez, Diss. München [1957] Spiegel vorgehalten wird. - In der Schule Epi 75/8 u. ö.; Joos 92f; R. Müller, Die epikure kurs tritt diese Vorstellung weniger deutlich ische Gesellschaftstheorie [1972] 68f). Aller zutage. Das von E. Norden (Beitr. zur Gesch. dings geht Lukrez nicht so weit, die primitive der griech. Philosophie = JbPhilolPädagog- Urzeit als Goldenes Zeitalter zu glorifizieren. Suppl. 19 [1893] 411/25) für epikureisch ge Auf dem Hintergrund der vor allem also in haltene Hesiodscholion des Tzetzes, nach dem der Stoa u. in der kynischen Philosophie voll die anfängliche Menschheit durch gegenseitige zogenen Umdeutung des Goldenen Zeitalters Freundschaft u. die gemeinsame Nutzung der im Sinne des der Gegenwart vorgehaltenen von der Natur bereitgestellten Güter (Früch Ideals des einfachen u. naturgemäßen Lebens te u. Gemüse) ausgezeichnet ist, kann nicht sind die meisten Äußerungen über das Golde mehr vorbehaltlos als Quelle epikureischer ne Zeitalter in der röm. Dichtung zu betrach Kulturentstehungslehre angesprochen werden ten (vgl. Gatz 161/5). Die G. wird dabei als ein (bestritten wurde Nordens These von W. Idealzustand angesehen, der der Genügsam
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keit u. Zufriedenheit der anfänglichen Mensch heit entspricht, so daß die Privateigentums ordnung, deren ungerechte u. unsoziale Aus wirkungen jedem vor Augen waren, als die Konsequenz der Gewinnsucht u. des Besitz strebens erscheint (amor successit habendi: Verg. Aen. 8, 327; vgl. Verg. georg. 1, 126f; Tibull. 1, 3, 35/50 mit 2, 3, 67/74; Ovid. am. 3, 8, 35/56; met. 1, 89/150, bes. 135f: communemque prius, ceu lumina solis et auras, / cautus humum longo signavit limite mensor; Sen. Phaedr. 525/9. 540; Octavia 403/6; Iuvenal. 6, 1/24; German. Arat. 119; Avien. Arat. 300; vgl. v. Pöhlmann 2, 456/61; Gatz 65/79; s. u. Sp. 32). - Ganz in diesem Sinne schildert der Historiker der augusteischen Zeit Pompeius Trogus (nach Iust./Trog. 43, 1, 3) die italische Urgeschichte: Die Urbevöl kerung der Aboriginer besaßen unter der ge rechten Herrschaft des ,rex Saturnus' keine Sklaven u. kein Privateigentum, sondern alle hatten alles gemeinsam u. ungeteilt (omnia communia et indivisa omnibus fuerint, veluti unum cunctis patrimonium esset; vgl. Verg. ecl. 2, 532/40; Aen. 7, 202f; s. o. Sp. 5). Der heidn. Antike scheint es allerdings fremd, die Utopie in die Zukunft zu verlegen (Aristophanes’ Ekklesiazusen sind hier die einzige Ausnahme); erst unter dem Einfluß der oriental.-jüd. Apokalyptik (s. u. Sp. 25f) verkündet Verg. ecl. 4 den Anbruch eines neuen Goldenen Zeitalters (vgl. Hengel 14). Unter den traditionellen Motiven, die diese kommende Epoche auszeichnen, fehlt auch die G. nicht: omnis feret omnia tellus (ecl. 4, 39). Im Gefolge Vergils wird die Verkündi gung des neuen saeculum Element der Herrscherpanegyrik (vgl. Verg. Aen. 1, 291/6; 6, 791/4; Lucan. 1, 33/7, bes. 60/2; Sen. apocol. 4, 1, 8/32; dem. 2, 1, 3f; Calp. ecl. 1, 33/94; 4, 6f; 7, 73/84; Tac. Agr. 3, 1; Plin. ep. 10, 58, 7; vgl. W. Schmid, Panegyrik u. Bukolik in der neronischen Epoche: BonnJbb 153 [1953] 63/96). Von G. ist freilich hier explizit nicht mehr die Rede. Erst bei Claudian steht sie wieder im Vordergrund der Topoi des Gol denen Zeitalters (in Rufin. 1, 380f; vgl. Hahn 1357; Strasburger 98f). b. Idealisierung der Naturvölker. Dem My thos vom Goldenen Zeitalter (als einer Wunschzeit) entspricht in vieler Hinsicht die Idealisierung der Naturvölker bzw. der Völ ker weit entfernt liegender Gebiete. Auch hier sind die gerühmten idealen Zustände zum großen Teil Spiegelbild verbreiteter sozialer
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Wunschvorstellungen, die in die romantische Verherrlichung jener Völker eingegangen sind (für die Anfänge vgl. H. Schwabl, Das Bild der fremden Welt bei den Griechen: EntrFondHardt 8 [1961] 1/24, bes. 13 f; ferner Trüdinger 133/46; Gatz 189/200). In dem Ka talog der Vorzüge jener Völker nimmt die G. eine zentrale Stellung ein. Sie geht mit mora lischer Vollkommenheit, insbesondere den Tugenden der Gerechtigkeit u. Einfachheit, Hand in Hand (zur Beurteilung der primiti ven Lebensform vgl. A. Dihle, Zur hellenist. Ethnographie: EntrFondHardt 8 [1961] 217/ 22). Ephoros hebt die G., wohl beeinflußt vom platonischen Staatsideal (vgl. Riese 20 f; v. Pöhlmann 1, 91/3; Trüdinger 140: kynisch beeinflußt), an den Skythen hervor, ein Zug, der für die Idealisierung der Skythen zum bleibenden Charakteristikum wird (Ephor, frg. 42 [FGrHist 70 F 42] = Strab. 7, 3, 9; vgl. Peripl. P. Eux. 49 [GGM 1, 413]; Nicol. Damasc. frg. 123 [FHG3,460]; Eustath. II. 13, 6 [3, 426, 7 v. d. Valk]; Schol. A II. 13, 6 [3, 395 Erbse]; Hör. carm. 3, 24, 9 [von Sky then u. Geten]; Iust./Trog. 2, 2; Anach. ep. 9, 44f; s. o. Sp. 7, vgl. Riese 18/21; W. Nestle, Der Friedensgedanke in der antiken Welt [1938] 62/5). - Caesar berichtet von den Sueben: privati ac separati agri apud eos nihil est (b. Gall. 4, 1), was ebd. 6, 22 auf alle Ger manen übertragen wird (vgl. Tac. Germ. 26; s. u. Sp. 22f). c. Staatsphilosophie. 1. Platon. In einer Zeit fortgesetzter politischer Machtkämpfe zwi schen Oligarchen u. Demokraten entwarft Platon in seinem Hauptwerk, der Politeia, eine Verfassung, die von ihm selbst wohl kaum als wirklichkeitsferne Utopie, wie sie von uns heute gerne beurteilt wird, konzi piert war (vgl. Plat. resp. 6, 499cd; dazu H. Herter, Urathen als Idealstaat: Palingenesia 4 [1969] 130; H. Braunert, Theorie, Ideologie u. Utopie im griech.-hellenist. Staatsdenken: GeschWissUnterr 14 [1963] 150 f; anders Kytzler 55; Flashar 10/3), sondern als Grundlage u. Wegweiser für eine Neuorientie rung des praktischen Staatslebens. Aus der heillosen politischen Zerrissenheit glaubte er, nur durch eine völlige Neuordnung der Ge sellschaft u. die Einsetzung einer Staats gewalt, die dem Zugriff der Parteien u. ihrer Sonderinteressen entzogen ist, einen Ausweg schaffen zu können. In dem von ihm entwor fenen Idealstaat, in dem die berechtigten Wünsche aller Befriedigung finden sollen (vgl.
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resp. 4, 420bc), wird daher von den Organen des Staates, den Regenten u. Wächtern, die völlige Unterordnung ihrer Eigeninteressen unter das Wohl des Gemeinwesens verlangt. Alle Quellen möglicher Selbstsucht müssen daher zum Versiegen gebracht werden. Mit der Aufhebung des Privateigentums u. der Untersagung jeder Erwerbstätigkeit für die beiden ersten Stände (neben der Forderung des Verzichts auf Ehe u. Familie) hofft Pla ton, eine derart über das Privatinteresse u. jeden wirtschaftlichen Egoismus erhabene Staatsleitung etablieren zu können. Im ein zelnen führt er aus, daß die Angehörigen die ser beiden Stände wie ,im Felde Stehende1 Zu sammenleben, gemeinsame Speisungen be suchen u. allen zugängliche Wohnungen ha ben sollen, wobei ihnen der notwendige Le bensunterhalt insgesamt u. zwar so, daß we der etwas mangelt noch etwas übrig bleibt, vom dritten Stand als Lohn für ihren Schutz gewährt wird (ebd. 3, 416d/17b). Diese Form des Zusammenlebens garantiert ihm in höch stem Maße die Eintracht u. die organische Einheit des Staates, da ,mit der Aufhebung des Besitzes auch die auf der Unterscheidung von mein u. dein beruhenden Interessen divergenzen beseitigt sind“ (vgl. Überweg/ Praechter 1, 276; resp. 5, 464b/e; vgl. leg. 5, 739cd). Für den dritten Stand, die Bauern u. Handwerker, bleibt dagegen der Besitz von Privateigentum erlaubt, ebenso wie die Einrichtung der Familie u. des privaten Haus halts für sie bestehen bleibt. - In der Schilde rung Urathens im Critias (110cd; vgl. Tim. 18 b) stellt uns Platon diesen Idealstaat mit Durchführung der Güter- u. Frauengemein schaft vor Augen, den er im Anschluß an den o. geschilderten populären Mythos vom Gol denen Zeitalter in die Frühzeit der Mensch heit projiziert, u. gibt so zugleich den Anstoß zu den .utopischen Staatsromanen* (vgl. Rohde 210/5; s. u. Sp. 21). - In seiner Spät phase hat Platon selbst, nach dem mißglück ten Versuch der Verwirklichung seiner Ideen in Sizilien (vgl. H. Breitenbach, Platon u. Dion [1960]; H. Berve, Dion = AbhMainz 1956 nr. 10; K. v. Fritz, Platon in Sizilien u. das Problem der Philosophenherrschaft [1968]; J. Sprute, Dions syrakusanische Poli tik u. die politischen Ideale Platons: Hermes 100 [1972] 294/313), die G. des .ersten Staa tes*, da ,sie etwas Größeres darstelle, als es dem jetzigen Geschlechte, der jetzigen Er ziehung u. Ausbildung entspricht* (leg. 5,
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740a), als undurchführbar aufgegeben. Nur Götter u. Göttersöhne könnten die Güter-, Frauen- u. Kindergemeinschaft vertragen (ebd. 739 d). Nichtsdestoweniger bleibt die Verfassung der Politeia das ewig gültige Para digma (vgl. ebd. 739a/e), das Platon nun ,effektiver den Bedürfnissen der Wirklichkeit zu nähern* sucht (H. Herter, Platons Staats ideal in zweierlei Gestalt: Der Mensch u. die Künste, Festsehr. H. Lützeler [1962] 177/95). Die G. wird durch eine Eigentumsordnung ersetzt, die nach spartanischem Muster die Gleichheit des Grundbesitzes, den jeder Bür ger, der durch Los einen Anteil erhält, als et was dem Gesamtstaat Gehöriges anzusehen hat u. als unveräußerlich betrachten soll (leg. 5, 740a), u. die ein unüberschreitbares Maß an beweglichem Eigentum festsetzt (ebd. 745a; vgl. 11, 923a), um der Gefahr, die von der Armut ebenso wie von übermäßigem Reichtum her droht, vorzubeugen. Soziale Spannungen werden durch die Begrenzung des Vermögens ausgeschaltet. - Die platoni sche G. hat ihre Begründung in dem Bestre ben, die Staatsleitung durch das Fernhalten von jeden möglichen Sonderinteressen ganz in den Dienst des Staates zu stellen. Sie ist dadurch von den kommunistischen Tenden zen des attischen Demos, die Aristophanes in den Ekklesiazusen persifliert, deutlich unter schieden. Auch von daher scheint eine direkte Bezugnahme des Aristophanes auf das plato nische Staatsideal, wie sie vielfach angenom men wurde, wenig wahrscheinlich (s. o. Sp. 6). - Von einer Wiederbelebung der plato nischen Staatsutopie u. dem Plan, sie in die Praxis umzusetzen, berichtet Porph. vit. Plot. 12. Plotin habe erwogen, mit Unterstützung des ihm gewogenen Kaisers Gallienus u. sei ner Gattin eine zerstörte kampanische Stadt wieder neu zu gründen u. in ihr das plato nische Staatsideal zu verwirklichen. Die Stadt sollte vom Kaiser mit dem umliegenden Land ausgestattet werden, nach den plato nischen Gesetzen regiert u. den Namen Platonopolis erhalten. Plotin selbst u. seine Freun de sollten in ihr ihren Wohnsitz nehmen. Der Plan scheiterte nach den Angaben des Porphyrios an der Mißgunst der Umgebung des Kaisers (vgl. Kytzler 49; R. Harder, Plotins Schriften 5 c [1958] 102/4 mit weiterer Lit.). 2. Aristoteles. Aristoteles’ sicheres Gespür für die realen Bedingungen des Staatslebens hält die G. für nicht praktikabel. Ihre Ein führung würde zu den größten Schwierigkei-
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ten führen; denn Zusammenleben u. Gemein schaft in allen menschlichen Dingen ist schwer, ganz besonders aber in diesen (pol. 2, 1263 a 15. 21). Unter der Reihe von Einwänden, die Aristoteles gegen die G. erhebt, verdient wohl am ehesten Beachtung, daß die natürliche Liebe des Menschen zu sich selbst das Streben nach persönlichem Eigentum einschließt. Die Abschaffung des Eigentums würde daher den Menschen der ,unsäglichen Freude' am eige nen Besitz berauben u. ihm ferner das Ver gnügen nehmen, anderen aus seinem Besitz zu schenken (ebd. 1263a 40/65). Wie ferner die von Platon proklamierte Frauengemein schaft die Möglichkeit der Verwirklichung der σωφροσύνη, der Beherrschung, in sexueller Hinsicht nimmt, so enthebt die G. den Men schen der Möglichkeit, die Tugend der Frei gebigkeit (έλευ&εριότης) zu üben (ebd. 1263 b 5/14; vgl. Bolkestein 147). Er würde schließ lich so vieler Güter verlustig gehen, daß das Leben für ihn unerträglich wird (pol. 1263 b 29. 1269a 34f). Damit ist der Grund gelegt für die Ableitung des Rechts auf Eigentum aus der menschlichen Natur. Daneben werden eine Reihe aus der Erfahrung abstrahierte Einwände geltend gemacht: Bei gemeinsa mem Besitz würden zwar alle in den Genuß aller Güter kommen, aber ohne daß jeder ein zelne sich verantwortlich fühlte; denn was sehr vielen gehört, findet die geringste Sorg falt, weil jeder sich um sein Eigentum zwar kümmert, aber um das Gemeingut weniger oder nur soweit es ihn angeht. Das übrige wird vernachlässigt, weil man denkt, es ge höre einem anderen (ebd. 1261b 33/8). Des halb wird man größere Fortschritte erzielen, wenn jeder sich um sein Eigentum bemüht (1263a 28). Zudem setzt der gemeinsame Be sitz gleiche Beteiligung an Genuß u. Arbeit voraus, da ein ungleiches Verhältnis in dieser Hinsicht Ursache von Spannungen wäre (1263a 11). - Trotz dieses unbedingten Fest haltens an der Individualwirtschaft u. Privat eigentumsordnung wendet sich Aristoteles gegen ein uneingeschränktes Verfügungsrecht über den Besitz u. fordert dessen Unterord nung unter das Gesamtinteresse. So soll eine Verbindung aus beiden, der jetzt allgemein üblichen Privateigentumsordnung u. der G., angestrebt werden: Besitz u. Ertrag sollen privat bleiben, aber durch die Benutzung ge meinsam werden (1263a 38; vgl. 1263a 26f; 1329b 41 f). Nach dem Sprichwort: ,Den Freunden ist alles gemeinsam', soll die Tu
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gend die Nutznießung der Dinge regeln, wie es ja jetzt schon in einzelnen Staaten der Fall sei (1263a 29/37; 1320b 9). Allerdings darf man die Bürger zur Verwirklichung dieses Ideals nicht durch Gesetz zwingen, sondern durch Erziehung, Bildung, Gewöhnung u. Ge bräuche sind sie dazu anzuhalten (1263 b 36/ 40; vgl. v. Pöhlmann 2, 245/7; W. Oncken, Die Staatslehre des Aristoteles 1 [1870] 183/ 91; G. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles [1973] 243/51). 3. Stoa. Die Stoa hat wohl unter allen philo sophischen Strömungen der Antike auf dem Gebiet der Soziallehre den fruchtbarsten Bei trag geleistet. Auf ihrer entschiedenen Be tonung der Zusammengehörigkeit u. *Gleichheit aller Menschen fußt der Großteil dessen, was in hellenist.-röm. Zeit an sozialethischen Ideen hervorgebracht wurde; sie lieferte auch den christl. Autoren, spätestens seit Clemens v. Alex., in hohem Maße die theoretische Be gründung sozialer Normen. Zwar galt das Interesse der stoischen Philosophie, wie das der hellenist. Philosophie überhaupt,’primär der sittlichen Vervollkommnung u. der Eudämonie der Einzelpersönlichkeit, die in ihrer Vollendung sich selbst genügt u. den Näch sten nicht braucht, aber mit diesem indivi dualistischen Ideal der autarken Persönlich keit des Weisen verbindet sich nicht ohne innere Spannungen (vgl. etwa Sen. ep. 9; Cic. Lael. 29f) eine Gemeinschaftsidee, die das individuelle Leben der Gemeinschaft einu. unterordnet. Nach der übereinstimmenden Überzeugung aller Stoiker sind die Menschen durch einen natürlichen Geselligkeitstrieb auf die Gemeinschaft hin angelegt u. aufgrund der Teilhabe an dem einen, den gesamten Kosmos durchwaltenden Logos zu einer Einheit ver bunden (vgl. SVF 3 nr. 340/8. 370; Diog. L. 7, 123; Philo quaest. in Gen. 2, 60 [1, 117 Marcus]; Cic. fin. 3, 62/6; off. 1, 12. 50; leg. 1, 28/33; Sen. benef. 7, 1, 7; ep. 48, 2; 95, 52; ira 2, 31, 7f; Epict. diss. 3,13, 5; 4, 5, 9; 1, 23, 1; 2, 20, 6; Marc. Aurel, seips. 12, 20; 3, 4; 4, 4; 7, 13; 9, 9. 23; 2, 1 u. ö.; Hierocl. elem. eth. col. 11, 14/21 [mit H. v. Armin, Hierokles ethische Elementarlehre (1906) XXXIVf] bei Joh. Stob. 27, 23 [4, 671, 7/672, 2 W./H.]; Überweg/Praechter 430; K. Praechter: Her mes 51 [1916] 518/20; Pohlenz 1, 131/41; Elorduy 135/206; Zeller 3, 1, 292/300; v. Pöhlmann 2, 269/74; Dyroff 226/31; Bolke stein 310f). Des öfteren wird daher in offenem Widerspruch zum Autarkiegedanken die Not
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Wendigkeit der menschlichen Gemeinschaft zur Erlangung individuellen Glückes hervor gehoben (vgl. etwa Sen. ep. 48, 2: nec potest quisquam beate degere, qui se tantum intuetur, qui omnia ad utilitates suas convertit; alteri vivas oportet, si vis tibi vivere) u. der Zusammenfall des allgemeinen u. individuel len Wohles bzw. der Vorrang des Gemein wohls betont (vgl. Cic. off. 3, 26. 30. 52; Sen. ep. 66, 10; vit. beat. 20, 3f; dem. 1, 3, 2; benef. 7,1, 7; Marc. Aurel, seips. 4,12; 6, 44f; Pohlenz 1, 242; J. Gaudemet, Utilitas publi ca: RevHistDroitFranQÜtr 75 [1951] 467/72; Th. Mayer-Maly, Gemeinwohl u. Naturrecht bei Cicero: K. Büchner [Hrsg.], Das neue Cicerobild = WdF 27 [1971] 378f). Wenn es aber trotz dieses ausgeprägten Gemeinschafts bewußtseins nicht zu direkten sozialpoliti schen Folgerungen kam, so hat das neben dem Kosmopolitismus in dem individualisti schen Autarkieideal mit seiner einseitigen Aus richtung auf die Geistnatur des Menschen seinen Grund. Dieses Ideal führt zur Über zeugung von der prinzipiellen Indifferenz aller äußeren Verhältnisse, die in Verbindung mit dem bekannten stoischen Determinismus wohl eher dazu neigte, gegebene soziale u. politische Verhältnisse hinzunehmen, als re formerisch auf sie einzuwirken (vgl. F. Wehrli: Gnomon 38 [1966] 641). Die Wertung des Reichtums als 7rpov)Ypevov erhält dabei kaum Gewicht. Nur von zwei Stoikern ist bekannt, daß sie im Sinne des stoischen Gleichheits- u. Gemeinschaftsideals die Politik zu beeinflus sen suchten: von Sphairos v. Borysthenes, der die spartanische Reformbewegung des Kleomenes unterstützte, u. von Blossius v. Cumae, dem Berater des Tib. Gracchus (W. Tarn/G. T. Griffith, Die Kultur der hellenist. Weit’ [1966] 145f. 148; Μ. Pohlenz, Antikes Führertum [1934] 144). Dennoch geht die stoische Staatslehre davon aus, daß ein der Natur bzw. dem Logos gemäßes Leben zu einem friedlichen u. harmonischen Zusam menleben aller Menschen führen würde, dank der Teilhabe eines jeden an dem einen ge meinsamen göttlichen Logos. Zenons ,Politeia‘, das lassen die knappen Reste noch er kennen, stellt ein solches Gemeinschaftsideal auf, wonach die Menschen in einer unverdor benen u. der Natur verbundenen Weise ohne privates Eigentum, ohne Ehe u. ohne die Trennung in Einzelstaaten in einträchtiger Gemeinschaft wie eine Herde nach einem ge meinsamen Gesetz Zusammenleben (SVF 1
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nr. 262; vgl. dazu J. Kargl, Die Lehre der Stoiker vom Staat, Diss. Erlangen [1913] 17/ 21; H. C. Baldry, Zeno’s ideal state: JournHellStud 79 [1959] 3/15; zuletzt J. Janda, Einige ethisch-soziale Probleme in der Philo sophie des Zenon v. Kition: Soziale Probleme im Hellenismus u. im röm. Reich [Praha 1973] 97/116; Wehrli aO. 642/4; im einzelnen wohl zu weit gehend H. u. Μ. Simon, Die alte Stoa u. ihr Naturbegriff [1956] 74/84). Diesem Ver nunftstaat, in dem die Individualität im ge meinsamen Logos gleichsam aufgehoben ist, entspricht die ebenfalls empirisch nicht faß bare Idealgemeinschaft der Weisen; sie sind in *Freundschaft einander verbunden (Cic. nat. deor. 1, 121; SVF 3 nr. 628. 630/3. 635) u. haben alle Güter gemeinsam (SVF 3 nr. 625 f; wie diese G. unter Freunden zu ver stehen ist, diskutiert Sen. benef. 7, 12; vgl. E. Brehier, Chrysippe [Paris 1951] 269). Es widerspricht dem nicht, wenn Chrysipp vom Erwerb des Weisen spricht (Plut. repugn. Stoic. 30, 1047F [= SVF 3 nr. 693]), da selbstverständlich, solange die Idealgemein schaft nicht verwirklicht ist, andere Bedin gungen auch für ihn gelten (vgl. A. Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa [1892] 3634). - Aber auch aus diesem Gesellschafts ideal, in dem das individuelle Leben durch den gemeinsamen Logos zu sozialem Leben ver schmilzt u. in dem der eigentumslose Zustand bzw. die gemeinsame Nutzung der von der Natur hervorgebrachten Güter als Folge die ser ideellen Einheit erscheint, wird die nahe liegende Folgerung der G. auch für die politi sche Praxis nicht gezogen. - Chrysipps Stel lungnahme ist bekannt aus Cic. fin. 3, 67. Er scheint bestrebt, gegenüber der starken Be tonung der Verbundenheit des Menschen geschlechtes untereinander u. der daraus re sultierenden Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfsbereitschaft (u. zur Wahrung der Ge rechtigkeit) das Institut des Privateigentums zu verteidigen. In dem einprägsamen Ver gleich der Welt mit einem Theatergebäude, das als Ganzes zwar allen Theaterbesuchern gemeinsam ist, in dem aber jeder Anrecht auf den von ihm besetzten Platz hat, wird die Pri vateigentumsordnung als mit der δικαιοσύνη, der sozialen Tugend, nicht in Widerspruch stehend hingestellt (in urbe mundove communi non adversatur ius, quo minus suum quidque cuiusque sit; vgl. Sen. benef. 7, 12; Μ. Wacht, Privateigentum bei Cicero u. Ambrosius: JbAC 25 [1982] 47f; s.u. Sp.37).
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Panaitios beschreitet andere Wege. Zwar wird von ihm, wie wohl kaum von einem Stoiker vorher, die naturgewiesene Bezogenheit des Menschen auf die Gemeinschaft hin betont, aber eingreifender wirkt die Um gestaltung der altstoischen Anthropologie. Wirklichkeitsnaher als diese mildert er die Gleichsetzung des menschlichen Wesens mit seiner ratio im Sinne der Akademie u. des Peripatos, ebenso wie er, auch hier näher an der Realität, die menschliche Gemeinschaft nicht mehr in der Kosmopolis sieht, sondern im konkreten Einzelstaat, der folglich auch Bezugspunkt des sittlichen Handelns wird. Dadurch treten die äußeren Verhältnisse aus ihrer Indifferenz für den Menschen heraus (vgl. Wacht 84). Nach Cic. off. 1, 20f ist die Privateigentumsordnung eine zwar nicht von Natur gegebene, sondern geschichtlich ge wordene Institution (sunt autem privata nulla natura, sed aut vetere occupatione etc.; dazu Flückiger 230f), die letztlich in den Grundtrieben der menschlichen Natur, dem Selbsterhaltungstrieb bzw. der Selbstliebe des Menschen, u. den spezifischen Bedürfnis sen u. Möglichkeiten seiner Vernunftnatur grundgelegt ist (Cic. off. 1,11/3. 17. 24; vgl. 3, 22f). Da der Mensch ein geselliges Wesen ist, gehört Eigentum zur natürlichen Rechtsord nung der Gesellschaft u. ist als solche unan tastbar. Die iustitia gebietet, sie zu respek tieren (ebd. 1, 21). Ihre Verletzung ist Bruch des Naturrechts (3, 27), grober Verstoß gegen das ,ius humanae societatis“ (1, 21; 3, 21/4), ihre Bewahrung erste Pflicht des Staatsman nes, da im Verlangen nach Schutz des Eigen tums (neben dem natürlichen Geselligkeitstrieb) das Hauptmotiv der Staatengründung liegt (2, 73. 78. 85). Ehrlicher Eigentums erwerb steht daher keineswegs im Gegensatz zur Natur (3, 22), sondern bietet über die Be schaffung der lebensnotwendigen Dinge hin aus die Voraussetzung für eine zivilisierte Lebensart (1, 12; vgl. 1, 17) sowie für die mit der Gerechtigkeit verbundene soziale Tugend der beneficentia bzw. liberalitas (1, 20. 25). Denn da die Gemeinschaft im Interesse der Selbsterhaltung liegt u. das wohlverstandene Eigeninteresse mit dem Nutzen der Gemein schaft zusammenfällt (3, 26), ist mit der Ge rechtigkeit zugleich eine soziale Haltung ge fordert, die unserer natürlichen Veranlagung gemäß (nihil est naturae hominis accomodatius: 1, 42) .positiv zum Wohle des Ganzen mitarbeitet u. als freiwillige Hilfsbereitschaft
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mit der Person wie mit dem Vermögen den Mitbürgern dient“ (1, 22. 29. 31 u. ö.; Pohlenz 1, 202). Das Eigentum erhält so die Funktion des Mittels, χορηγία (Diog. L. 7, 128; vgl. Wacht 84), u. dient wie die soziale Ver haltensweise selbst dem Zweck individueller Vervollkommnung (vgl. Schmekel aO. 371). Panaitios vertritt damit in der Eigentums frage offensichtlich einen Aristoteles ange näherten Standpunkt: beide leiten das Recht auf Eigentum aus der Natur des Menschen her u. fordern seine Nutzung, unserer natür lichen Hinordnung auf die Gemeinschaft ent sprechend, durch freiwillige Mitteilung (zu Poseidonios vgl. o. Sp. 9). - Cicero, dem wir ja die Stellungnahme des Panaitios in die ser Frage verdanken, folgt in der Eigentumsfrage dessen Standpunkt mit einer, wie es scheint, starken Hervorhebung des Eigen tumsrechts u. der Unverletzlichkeit des Ei gentums. Die platonische G. stößt bei ihm auf entschiedene Ablehnung. Sie stelle ein Un recht dar (iniustum), insofern sie dem schade, der durch seinen Fleiß mehr besitze, u. dem nütze, der durch sein eigenes Verschulden weniger habe (rep. 4, 5 = Lact. epit. 33 [38], 1/5; s. u. Sp. 30). - Seneca ist wie in der Anthropologie so auch in der Begründung des Privateigentumsrechts Panaitios nicht gefolgt. Selbst in De vita beata, wo er seinen Reich tum gegen den Vorwurf der Diskrepanz zwi schen Leben u. Lehre zu verteidigen sich ge zwungen sieht, rechtfertigt er diesen im Rah men der altstoischen Güterlehre als προηγμένον, das man seinem Gegenteil ver nünftigerweise vorziehen werde. Zwar wird zugestanden, daß der Reichtum größere Mög lichkeiten zur Entfaltung der geistigen An lagen (vit. beat. 22, 1) u. zur Ausübung der Tugend biete (ebd. 21, 4), aber seine prinzi pielle Indifferenz soll dadurch nicht aufgeho ben sein. Andererseits führt vor allem die Be tonung der stoischen Humanitätsidee zu Konsequenzen, die die G. als Ideal erscheinen lassen. In ep. 95, 52f wird in eindrucksvollen Bildern die naturgegebene Zusammengehörig keit u. Verwandtschaft aller Menschen hervor gehoben (membra sumus corporis magni. natura nos cognatos edidit... haec nobis amorem indidit mutuum et sociabiles fecit; ebd. 53: societas nostra lapidum fornicationi simillima est etc.; vgl. ferner dem. 1, 3, 2; benef. 7, 1, 7; ira 1, 5f; Pohlenz 1, 316f; R. Rieks, Homo, humanus, humanitas [1967] 115/37). Aus dieser umfassenden Mensch-
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heitsidee ergibt sich nicht nur die Forderung, daß dem Mitmenschen jede Hilfe u. Unter stützung zuteil werden muß (ep. 95, 51), son dern darüber hinaus wird folgerichtig aus die sem Gedanken, der dem Anspruch des Näch sten die gleiche Berechtigung einräumt wie dem eigenen, der Appell zur G. abgeleitet: habeamus in commune; in commune nati sumus (ebd. 95, 53). Der Weise kommt dieser Forderung der humanitas nach: ut homo homini ex communi dabit (dem. 2,6,2; ep. 73,7; s. o. Sp. 18). Privateigentum gibt es daher im eigentlichen Sinne nicht, wie die Rechts experten bezeugen: kein öffentliches Gut kann in Privateigentum übergehen, vielmehr ist das, was man besitzt, was man sein eigen nennt, ein öffentliches Gut u. zwar ein Gut des gesamten Menschengeschlechtes. Nicht Herr ist man über sein Gut, sondern nur Päch ter (non dominus isto, sed colonus intrasti; ep. 88, 12; vgl. A. Stückelberger, Senecas 88. Brief [1965] 115; vgl. Rieks aO. 131; häufiger Gedanke der kynisch-stoischen Populär philosophie, vgl. R. Heinze, De Horatio Bionis imitatore [1889] 28; F. Dümmler, Kl. Schriften 1 [1901] 162; so bereits Eur. Phoen. 554; zu Sen. ep. 90 s. o. Sp. 9). 4. Epikureismus. Im Kreise der Epikureer stößt die G. trotz oder vielleicht besser wegen der bekannten Hochschätzung der ♦Freund schaft auf Ablehnung. Epikur polemisiert nach der Nachricht des Diog. L. 10, 11 (= Epicur. frg. 543 Us.) gegen die pythagoreische Lebensform u. untersagt seinen Anhängern ausdrücklich die G., da sie ein Zeichen des Mißtrauens sei, das sich unter Freunden nicht zieme. *Epikur überbietet also sozusagen die G. der Pythagoreer durch seine Freundschafts lehre. d. Staatsromane. Der Dichterphilosoph Pla ton hat durch das Vorhaben, seinen Ideal staat nicht nur im Zustand der Ruhe, sondern gewissermaßen auch in Bewegung, in Krieg u. Verhandlungen mit anderen Staaten zu zei gen (vgl. Tim. 19bc), das er im Kritias nur mehr teilweise verwirklichte, eine neue Art philosophischer Schriftsteller ei ins Leben ge rufen, die sog. Staatsromane. Aus der Fülle der romanhaften Literatur, die in der Folge zeit entsteht u. die dadurch charakterisiert ist, daß sie mit ethnographischen Berichten u. volkstümlichen Erzählungen über ferne Völker u. Länder die Darstellung politischer u. sozialer Idealzustände verbindet, kommen hier nur die beiden Romane des Euhemeros
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u. Jambulos in Betracht, da nach unserer dürftigen Kenntnis nur in diesen ausdrücklich von G. gesprochen wird (vgl. o. Sp. llf). Sie entstehen in einer Zeit zunehmender sozialer Spannungen, die breite Schichten der Bevöl kerung an den Rand des Existenzminimums brachten (vgl. Tarn/Griffith aO. 140/5). 1. Euhemeros. Euhemeros schildert (nach Diod. Sic. 5, 45 = FGrHist 63 F 3) in der Rahmenerzählung seiner [epd dvaypatp?] (,Hei lige Schrift“) die Verfassung der im südl. Weltmeer gelegenen Insel Panchaia, auf der eine G. u. Gemeinwirtschaft teilweise ver wirklicht ist. Die gesamte Bürgerschaft ist in drei Klassen eingeteilt: Priester u. Hand werker, Bauern, Krieger u. Hirten. Die Lei tung des Staatswesens liegt in den Händen der Priester. Das Acker- u. Weideland ist Gemeingut; persönliches Eigentum besitzen die Bewohner nur an Haus u. Garten. Zwar ist die Produktionsform individualwirtschaft lich organisiert, aber die Erträge der Produk tion werden dem Staat zur gemeinsamen Nut zung übergeben: die Bauern liefern die Er träge ihrer Felder als Gemeingut ab. Die jenigen, deren Felder die reichste Ernte ge bracht haben, erhalten eine Belohnung, um, wie vermerkt wird, die anderen zu größeren Anstrengungen aufzumuntern. In derselben Weise liefern auch die Hirten die zum Opfer bestimmten Tiere u. ihre sonstigen Erträge ab u. zwar auf das genaueste nach Zahl u. Ge wicht. Die an der Spitze des Staates stehende Priesterbehörde nimmt die Erträge in Emp fang u. sorgt für die gerechte Verteilung der erwirtschafteten Güter. Ihr selbst steht ein doppelter Anteil an allem zu (vgl. v. Pöhlmann 2, 293/305; ferner H. Braunert, Die hl. Insel des Euhemeros in der Diodor-Überlieferung: RhMus 108 [1965] 255/68 mit wei terer Lit.; Strasburger 99); vgl. den eingehen den Bericht von K. Thraede; Art. Euhemerismus: o. Bd. 6, 877/90. 2. Jambulos. Radikaler als das Gesellschafts ideal des Euhemeros ist der ,Sonnenstaat“ des Jambulos, den wir ebenfalls aus dem Ge schichtswerk des Diod. Sic. 2, 55/60 kennen. Jambulos zeichnet einen phantastischen, auf kommunistischer Grundlage organisierten u. nach monarchischem Prinzip aufgebauten Staat. Die Bewohner der Insel leben in Fa milienstämmen in Gruppen von je 400 zu sammen. An der Spitze eines jeden Familien verbandes, in dem Frauen- u. Kindergemein schaft herrscht, steht der jeweils Älteste mit
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der Macht eines Königs. Das Wirtschafts system unterliegt strenger kommunistischer Regelung. Es besteht für alle gleiche Arbeits pflicht u. durch den regelmäßigen Wechsel der Beschäftigung gleiche Beteiligung aller an jeder Arbeit. Nur die Alten sind von dieser Arbeitspflicht ausgenommen. In gleicher Wei se ist der Konsum streng kollektivistisch ge regelt, so weitgehend, daß selbst die Art der Mahlzeit für jeden Tag vorgeschrieben ist. Den Grundtenor des Romans läßt Diodor Sic. an einer Stelle seines kargen Auszugs noch einigermaßen erkennen: Die kommunistische Organisation läßt selbstsüchtige u. ehrgeizige Sonderinteressen nicht aufkommen, so daß die Menschen in dauerhaftem sozialen Frie den leben u. die Eintracht untereinander für das höchste Gut halten (Diod. Sic. 58, 1; vgl. v. Pöhlmann 2, 305/24; Rohde 241/52; Kytzler 62f; Müller 277/86). B. Israelitisch-jüdisch. In der Sozialgesetz gebung des AT, die auf der Anerkennung der Herrschaft Gottes als des absoluten Eigen tümers der irdischen Güter basiert (vgl. etwa Ps. 24 [23], 1: ,Des Herrn ist die Erde u. was sie erfüllt“; vgl. Dtn. 10, 14; Lev. 25, 23; Christophe 18f), bleibt trotz der verschiede nen Einrichtungen, die den sozialen Ausgleich zum Ziel haben (etwa das Jobei- u. Sabbat jahr, das Zinsverbot u. a.; dazu Μ. S. Lurje, Stud. zur Gesch. der wirtschaftlichen u. so zialen Verhältnisse im israelit.-jüd. Reiche [1927]; Schilling 1/3; Christophe 19/21 mit weiterführender Lit.), das Privateigentums recht grundsätzlich unangetastet. Aber es unterliegt so starken Beschränkungen durch die erwähnten Institutionen, daß man von ,unverkennbar kommunistischen Elementen“ (Schilling 3) bzw. von einem ,theokratischen Kommunismus“ (Farner 20) gesprochen hat (vgl. Meyer 315). Allerdings wurde die G. erst bei der jüd. eschatologischen Heilsbewegung der Essener, deren Mitglieder in einer ordens artigen Gemeinschaft zusammcnlebten, prak tiziert. Nach den Berichten Philons (quod omn. prob. lib. 76f. 84/7; apol. pro lud. 11, 1/18 = Eus. praep. ev. 8, 11 [GCS Eus. 8, 1, 456/7]) u. Josephus’ (b. lud. 2, 122/8; ant. lud. 18, 20; vgl. Plin. n. h. 5, 73) lebten die Sektenmitglieder, deren Zahl mit über 4000 angegeben wird (Philo quod. omn. prob. lib. 75; Joseph, ant. lud. 18, 20), in einer totalen Erwerbs- u. Besitzgemeinschaft (s. F. Hauck, Art. Erwerb: o. Bd. 6,439). Ein Teil von ihnen arbeitete, wie Philon ausführt, auf dem
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Feld, während andere friedfertigen Künsten (συνεργατίδες ειρήνης) nachgingen. Ihr Erwerb richtet sich nicht auf die Anhäufung von Reichtümern, sondern nur auf das Lebens notwendige (quod omn. prob. lib. 76. 84). Josephus charakterisiert sie als καταφρονηται πλούτου (b. lud. 2, 122). Ihren täglichen Ver dienst liefern sie in einen gemeinsamen Fonds (ταμεΐον) ab, aus dem dann der notwendige Aufwand der einzelnen Sektenmitglieder be stritten wird (Philo quod omn. prob. lib. 86); vgl. apol. pro lud. 11, 4. 9f). Wer in die Ge meinde eintrat, mußte sein Vermögen beim Vorsteher abliefern, so daß völlige Gleichheit unter den Mitgliedern herrschte, keiner sich durch Armut gedemütigt fühlte noch einer sich durch Reichtum auszeichnete (Joseph, b. lud. 2, 122; dazu Braun 1, 77/80; Klauck 52/5). - Diese Nachrichten werden zT. be stätigt u. ergänzt durch die in Qumran gefundene Gemeinderegel (1 QS); nicht er wähnt wird die G. in der Damaskusschrift (CD) u. im Habakuk-Kommentar (1 QpHab; dazu vgl. Braun 1, 35/7). Danach werden Besitz u. Einkünfte des .Novizen“ nach dem ersten Probejahr bei dem Vermögensver walter der Sekte hinterlegt, um bei der end gültigen Aufnahme nach dem zweiten Jahr der Anwartschaft in den Besitz der Gemein schaft überführt zu werden ( 1 QS 6, 13/23). Wer mit dem Vermögen der Gemeinschaft nachlässig umging, so daß es zu Schaden kam, sollte in gleichem Wert Ersatz leisten. Wenn er dazu nicht in der Lage war, soll er sechzig Tage bestraft werden (ebd. 7, 6f; die Art der Bestrafung wird nicht angegeben; man mag an .zusätzliche Arbeit zum Ausgleich des ver ursachten Schadens“ denken [vgl. A. DupontSommer, Die essenischen Schriften vom To ten Meer [1960] 973). Dieses Gesetz wurde ge legentlich in dem Sinne gedeutet, als setze die geforderte Ersatzleistung persönliches Eigen tum der Sektenmitglieder voraus (vgl. Μ. H. Gottstein, Anti-Essene traits in the Dead Sea scrolls: VetTest 4 [1954] 147), jedoch scheint eine Ersatzleistung auch auf anderem Wege denkbar (vgl. S. H. Siedl, Qumran [Rom 1963] 245f; Dupont - Sommer aO. 973 denkt bei der vorgeschriebenen Rückerstattung nur an die .Postulanten u. Novizen“ für Weiteres vgl. D. L. Mealand, Community of Goods at Qumran: TheolZs 31 [1975] 129/39; Klauck 55/68). - Die hellenist. Vorstellung vom ein fachen, aber moralisch hochwertigen Leben in der Urzeit ist auch in die Darstellung der Ur
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geschichte des jüd. Volkes, speziell in die schlechts auszeichnen (vgl. Orac. Sib. 2, 319/ Geschichte von Kain u. Abel bei Flavius 24; 8, 208/12). Josephus eingeflossen (ant. lud. 1, 52/4; C. Christlich. I. Urchristentum. Die kompro vgl. Philo sacr. Abel, et Cain. 2): Gott hat mißlose Forderung der Predigt Jesu, sich von größeres Wohlgefallen am Opfer Abels, das aller Anhänglichkeit an die irdischen Güter aus Gaben besteht, die die Natur freiwillig loszusagen u. nur das eine, was wirklich not hergibt, als an dem, ,was der habgierige tut, zu besorgen, nämlich sich auf das Kom Mensch (Kain) mit seiner Kraft hervor men des Reiches Gottes vorzubereiten, hat gebracht hatte1 (Joseph, ant. lud. 1, 54). neben dem zentralen Gebot der Nächsten Kain ist es auch, der die einfache Lebensweise, liebe, nicht zuletzt auch infolge der hoch nach der früher die Menschen zusammenleb gespannten Erwartung der nahe bevorstehen ten, durch die Erfindung von Maß u. Gewicht den Endzeit, das ökonomische u. soziale Ver veränderte u. den infolge ihrer Unwissenheit halten der Urgemeinde so stark bestimmt, arglosen Lebenswandel der ersten Menschen daß es zu einer Form des Zusammenlebens u. ihre Hochherzigkeit in Verschlagenheit kam, die man als .kommunistisch* angespro verkehrte. Er setzte der Flur als erster Grenz chen hat. Die Apostelgeschichte berichtet an steine, gründete Städte usw. (ebd. 1, 61 f). - zwei Stellen, sog. Summarien (2, 44f; 4, 32/7), Die G. gilt also auch hier als die dem zwar die Gläubigen zu Jerusalem hätten ihre Be einfachen, aber moralisch hochqualifizierten sitztümer verkauft u. den Erlös zu Füßen der Leben in der Urzeit angemessene Güterver Apostel gelegt; jedem, soweit er es nötig hat teilung. - Philon setzt die Goldene Zeit in die te, habe man davon mitgeteilt, so daß es kei messianische Ära. Der Teilnahme an ihr wer nen Bedürftigen unter ihnen gegeben habe. den nur für würdig erachtet, ,die friedlichen Keiner habe irgendeines seiner Besitztümer Charakters sind u. einträchtiges Zusammen sein eigen genannt, sondern sie hätten alles leben gern haben, bei denen Neid entweder gemeinsam besessen. - Es bestand also nach überhaupt keine Stätte findet oder wieder dieser Schilderung eine von solcher Begeiste rasch verfliegt, weil sie gewillt sind, ihre Gü rung u. Selbstlosigkeit getragene Liebestätig ter zu allgemeinem Gebrauch u. Genuß zur keit in der Jerusalemer Gemeinde, daß es nach Verfügung zu stellen* (praem. et poen. 87). - Aussage der Apostelgeschichte zu einer Ver Auch sonst kommt Philons soziales Denken wirklichung der G. gekommen ist. Wie weiter gelegentlich zu Schlußfolgerungen, die ihn in aus der Frage des Petrus an Ananias (Act. 5, die Nähe der G. führen, ohne daß er sie frei 4) gefolgert werden kann, beruhte diese an lich ausdrücklich propagiert: da die Gaben gebliche urchristl. G. ganz auf freiwilliger Ba Gottes zum Nutzen der Gesamtheit bestimmt sis u. umfaßte nicht das gesamte Vermögen sind (κοινωφελείς . . . δωρεαί), ist es eine Kon der Gemeindemitglieder (vgl. 12, 12). Zudem sequenz der .Nachahmung Gottes*, daß ihre läßt die Schilderung erkennen, daß es sich bei Empfänger sie nicht versteckt halten oder dieser G. allenfalls um einen .Kommunismus zum Schaden anderer mißbrauchen, sondern der Konsumtion* gehandelt haben kann, der daß ,sie sie der Öffentlichkeit zur Verfügung ,den privaten Erwerb als die Voraussetzung stellen (εις μέσον προσφέρεις) u. wie bei einer der Möglichkeit von Schenkung u. Opfer zur allgemeinen Speisung möglichst alle zu ihrem Bedingung hat* (Troeltsch 49). - Was die Ge Gebrauch u. Genuß einladen* (virt. 168f; schichtlichkeit der hier beschriebenen Zu Übers, nach Colson; vgl. u. Sp. 30). Glei stände betrifft, so muß man in Rechnung stel ches ergibt sich (nach virt. 140f) als Fol len, daß der mit griech. Literatur u. Kultur ge der mit stoischen Theoremen begrün vertraute Verfasser der Apostelgeschichte das deten Verwandtschaft aller Menschen (vgl. von dem Gebot der Nächstenliebe geformte spec. leg. 4, 74; gegen G. spricht eindeu Zusammenleben der ersten Christen, das man tig virt. 29). - Die Sammlung der Oracula am besten begreift als Fortführung der Le Sibyllina, in der sich mit älterem Orakel bensweise u. der Lebensgemeinschaft des gut Weissagungen jüd. u. christl. Pro Jüngerkreises zu Lebzeiten Jesu (vgl. G. venienz vereinigen, prophezeit ebenfalls die Stählin, Die Apostelgeschichte [1962] 80f; Wiederkunft des Goldenen Weltalters in H.-J. Kraus, Aktualität des Urchristentums: messianischer Zeit. Die G. gehört auch Freispruch u. Freiheit, Festschr. W. Kreck hier zu dem Repertoire der Vorzüge, die [1973] 317), seinen griech. Lesern unter An diese kommende Epoche des Menschenge knüpfung an ihnen geläufige Vorstellungen
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beschreibt, m. a. W. daß er eine Darstellung der Verhältnisse innerhalb der Jerusalemer Gemeinde gibt, die das sozialpolitische Ideal u. Wunschbild seiner Leser als in der urchristl. Kirche realisiert dartun sollte (vgl. Hauck 797; II. Conzelmann, Die Apostel geschichte’ [1968] 190; F. Mussner, Art. G. in der Urgemeinde: LThK2 4 [1960] 1288f; E. Plümacher, Lukas als hellenist. Schrift steller [1972] 16/8). Ebenso unabweisbar ist die Bezugnahme des Autors der Apostel geschichte auf das ,Ideal des atl. Pflichten kodex1 : ,es soll bei dir keinen Bedürftigen ge ben1 (Dtn. 15,4), das nach seiner Absicht in gleicher Weise als verwirklicht erscheinen sollte (Schilling 14; Bigelmair 84f; vgl. ferner die genannten Komm. zSt.). Das antike sozial politische Ideal erfüllt sich also ebenso wie die atl. Prophetie. Aufgrund dieser Bedenken, zu denen andere, wie etwa die bekannte reich tumsfeindliche Einstellung des Lukas oder die Betonung der ä8eX