Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf: Zur Entkopplung der Rechtsfolgen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie [1 ed.] 9783428555260, 9783428155262

Bis zur Umsetzung der europäischen Verbraucherrechterichtlinie in das BGB verwies § 357 BGB hinsichtlich der Folgen der

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German Pages 493 Year 2018

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Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf: Zur Entkopplung der Rechtsfolgen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie [1 ed.]
 9783428555260, 9783428155262

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Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen Abteilung B: Rechtswissenschaft Herausgegeben von Peter O. Mülbert, Uwe H. Schneider und Dirk A. Verse

Band 211

Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf Zur Entkopplung der Rechtsfolgen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie

Von

Jonas David Brinkmann

Duncker & Humblot · Berlin

JONAS DAVID BRINKMANN

Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf

Un t e r s u c h u n g e n ü b e r d a s Spar-, Giro- und Kreditwes en Abteilung B: Rechtswissenschaft Schriften des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Herausgegeben von

Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider, Prof. Dr. Dirk A. Verse

Band 211

Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf Zur Entkopplung der Rechtsfolgen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie

Von

Jonas David Brinkmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0720-7352 ISBN 978-3-428-15526-2 (Print) ISBN 978-3-428-55526-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85526-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Mattis, Jaron und Isalie

Geleitwort Machte ein Verbraucher von der Ausübung des verbraucherprivatrechtlichen Widerrufsrechts Gebrauch, so ergaben sich die Rechtsfolgen bis zum Sommer 2014 aus dem Rücktrittsfolgenrecht. Das frühere nationale Recht sah allein einige Ausnahmen vor, mit denen man den Besonderheiten des verbraucherprivatrechtlichen Widerrufsrechts im Vergleich zum Rücktrittsrecht gerecht werden wollte. Der nationale Gesetzgeber hat sich dann im Zuge der Umsetzung der europäischen Verbraucherrechterichtlinie dazu entschlossen, die Widerrufsfolgen separat zu regeln. Hier verfügt das deutsche Recht nun über ein eigenständiges kompliziertes Reglement zur Rückabwicklung der ausgetauschten Leistungen nach Widerruf der Willenserklärung durch den Verbraucher. Jonas Brinkmann geht der Frage nach, ob es für die einzelnen voneinander abweichenden Regelungen nach Rücktritt und Widerruf vom Vertrag sachliche Argumente gibt. Dazu bedarf es einer grundlegenden Systematisierung des diffizilen Rücktritts- und Widerrufsrechts und der entsprechenden Rechtsfolgen. Parallel und unterschiedlich gelagerte Konstellationen arbeitet Jonas Brinkmann minutiös und eindrucksvoll heraus. Dem Leser dieser Schrift erschließt sich das vollständige Mosaik der Rechtsfolgen von Widerruf und Rücktritt im deutschen Privatrecht unter europäischem Einfluss. Bielefeld, im November 2018

Prof. Dr. Markus Artz

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2017 als Dissertation von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Markus Artz, ohne den diese Arbeit nicht entstanden wäre, der mir mit Rat und Tat zur Seite stand und mir immer das Gefühl gegeben hat, vollstes Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben. Auch möchte ich mich bei meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Martin Schwab bedanken, der sich in seinem umfassenden Gutachten intensiv mit meiner Arbeit auseinandergesetzt hat und mir viele wertvolle Hinweise und Verbesserungsvorschläge gegeben hat. Zudem danke ich meinen Kollegen, Freunden und meiner Familie für die Unterstützung, die zahlreichen Diskussionen und das Korrekturlesen. Namentlich genannt seien Julia Ludwigkeit, Marc Hartmann, Dennis Pielsticker, Renate Engelmann, Julia Ellerbrock, Matthias Newerla, Uwe Martin, Kevin Göldner, Benjamin Falk und Dr. Heidemarie Angele. Meiner Schwester Lea Sophie danke ich für die große Hilfe bei der lästigen Formatierungsarbeit. Mein innigster Dank gilt allerdings meiner Frau Franziska, die mir immer den Rücken frei gehalten hat, viel Verständnis hatte und mich unterstützt hat, wo sie nur konnte. Danke! Bielefeld, im November 2018

Jonas David Brinkmann

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Grundlagen

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§ 1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von vereinheitlichten und getrennten Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Kapitel 2 Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

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§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktritts- und Widerrufsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen für Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . .

62

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 § 7 Zusammenfassung der Ergebnisse zu dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Lösungsinteresse und den hinter den Lösungsrechten stehenden Wertungen 346 Kapitel 3 Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite, ihre Legitimation und die daraus folgenden Konsequenzen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Entkopplung

350

§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag, insbesondere die vertraglichen Erfüllungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 § 9 Die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 § 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 § 11 Nutzungen und Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 § 12 Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

10

Inhaltsübersicht

§ 13 Zusammenfassung zur Erforderlichkeit und Reichweite der materiellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 § 14 Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entkopplung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der zuvor gefundenen Regelungen . . . 462 § 15 Annex – Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der Vorschläge über den „New Deal for Consumers“ sowie der „Warenhandelsrichtlinie“ und der „Richtlinie über digitale Inhalte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Grundlagen § 1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von vereinheitlichten und getrennten Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangspunkt: Recht als gesetzgeberischer Interessenausgleich . . . . . . . . B. Die materielle und formelle Identität von Regelungskomplexen . . . . . . . . . I. Die materielle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die formelle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Zweck der materiellen und der formellen Identität . . . . . . . . . . . . . IV. Vorrang der materiellen Identität gegenüber der materiellen Eigenständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Besonderheiten für den Vorrang der materiellen Identität in Mehrebenensystemen – insb. europarechtlich bedingte Widersprüche . . . . . . . . VI. Vorrang der formellen Identität gegenüber der formellen Eigenständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausnahmen vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität . . . . 1. Grundsätzliche Ausnahme aus Praktikabilitätsgründen . . . . . . . . . . 2. Besondere Ausnahme bei (teilweise) europarechtlich begründeten Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung zu Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 29 29 30 31 31 31 32 36 39 44 44 45 48

Kapitel 2 Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

49

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktritts- und Widerrufsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Übereinstimmung der sich gegenüberstehenden Interessen hinsichtlich der Rücktritts- und Widerrufsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen für Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis A. Mögliche Ursachen sachlicher Unterschiede, mit denen sich Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigen lassen . . 62 B. Eingrenzung der zu untersuchenden Rücktritts- und Widerrufsrechte . . . . . 65

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Rücktrittsrechte nach § 323 BGB wegen Nichtleistung und nicht vertragsgemäßer Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Rücktritt wegen Nichtleistung trotz Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Regelungen zum Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die grundsätzliche Interessenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertungsunterschiede im Vergleich zum Rücktrittsrecht wegen Teilleistung trotz Fristablaufs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Rücktrittsrechte bei Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach §§ 323 Abs. 2 BGB, § 440 S. 1 BGB, § 636 BGB und § 445a Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen endgültiger und ernsthafter Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . 103 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen endgültiger und ernsthafter Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Das fristlose Rücktrittsrecht beim relativen Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim relativen Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB 108 b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim Rücktrittsrecht bei relativen Fixgeschäften gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Beurteilung der Regelung beim Rücktrittsrecht wegen verspäteter Leistung beim relativen Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Vorliegens besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . 116 b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . . 118 c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . 122 4. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . 125

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Inhaltsverzeichnis

5.

6.

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c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das fristlose Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach § 440 S. 1, 3. Fall und § 636, 3. Fall BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das fristlose Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das fristlose Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB

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b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB 145 c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 9. Das fristlose Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Rücktrittsrecht nach Abmahnung gemäß § 323 Abs. 3 BGB . . . . 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt nach Abmahnung gem. § 323 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung trotz Abmahnung nach § 323 Abs. 3 BGB 3. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung trotz Abmahnung nach § 323 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Recht zum Rücktritt vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB . . . . 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Recht zum Rücktritt vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis C. Das Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschluss der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschluss von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschluss von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschluss von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung in den Fällen des Rücktrittsrechts nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beständige Vorleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbeständige Vorleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Das Rücktrittsrecht wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenbeurteilung beim Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis G. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB in den Fällen des Bestimmungskaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Verkäufers in den Fällen des Bestimmungskaufs nach § 375 Abs. 2 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung in den Fällen des Rücktrittsrechts beim Bestimmungskauf nach § 375 Abs. 2 HGB . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB in den Fällen des Bestimmungskaufs . . . . . . . . . . . H. Das Rücktrittsrecht bei Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rücktrittsrecht des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. 651a Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektiven Lösungsinteresses beim Rücktritt des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Reisenden wegen einer erheblichen Vertragsänderung gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB . . J. Zusammenfassende Beurteilung der untersuchten Rücktrittsrechte . . . . . . . § 6 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB . . . . . . . 1. Der situative Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der personelle Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Typisierung der dem objektivierten Lösungsinteresse zugrunde liegenden Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen bei der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 5. Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beschränkung der Lösungsmöglichkeit durch die Widerrufsfrist . . III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB . . . . . . . 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen über Erfahrungsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen über Vertrauensgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der personelle Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typisierung der dem objektivierten Lösungsinteresse zugrunde gelegten Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung von Gemeinwohlüberlegungen in der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschränkungen des Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen nach § 495 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 BGB . . . . . . . . . . . . . 1. Verbraucherdarlehensverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahlungsaufschübe und sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der personelle Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen in der gesetzgeberischen Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmen vom Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkungen der verschiedenen Meinungen zum Begriff der entgeltlichen Finanzierungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit durch die Widerrufsfrist . III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 Abs. 1 BGB . . .

236 240

245 247 247 249 251 253 253 254 256 257 261 261 264 264 264 269 273 274 274 278 280 287 288 290

Inhaltsverzeichnis

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D. Das Widerrufsrecht bei Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB . . . . . . . . . . . . . 1. Teilleistungen nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verträge über die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Auffangtatbestand nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personeller Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmen und Beschränkungen des Widerrufsrechts . . . . . . . . . . III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB . . . . . . . . . E. Das Widerrufsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen nach § 485 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilzeit-Wohnrechteverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Langfristige Urlaubsprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermittlungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tauschsystemverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen gemäß § 485 BGB . . . . III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen und sonstigen Verträgen nach § 485 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Das Widerrufsrecht bei Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG . . . . . I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 H. Zusammenfassende Beurteilung der untersuchten Widerrufsrechte . . . . . . . 344

§ 7 Zusammenfassung der Ergebnisse zu dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Lösungsinteresse und den hinter den Lösungsrechten stehenden Wertungen 346 Kapitel 3 Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite, ihre Legitimation und die daraus folgenden Konsequenzen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Entkopplung

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§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag, insbesondere die vertraglichen Erfüllungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 § 9 Die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die primäre Rückgewährpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die primäre Rückgewährpflicht und ihr Umfang im Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die primäre Rückgewährpflicht und ihr Umfang im Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich der Regelungen zur primären Rückgewährpflicht und Überprüfung etwaiger materieller Eigenständigkeiten hinsichtlich ihrer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einordnung der Rückgewährpflicht in den Kontext der Regelung . . . . B. Modalitäten der Rückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr . . . . . . . . . 1. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr im Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten b) Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsgegners . . . c) Kosten und Gefahrtragung der Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr im Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung in den Kontext der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zeitpunkt der Rückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regelungen im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . 2. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten, Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung und Einordnung in den Kontext der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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363 364 365 365 365 366 372 373 375 378 381 382 382

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Inhaltsverzeichnis § 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Wertersatzpflicht im Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zeitlicher Anwendungsbereich der Wertersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . III. Berechnung des Umfangs der Wertersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausschluss der Wertersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 346 Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkung auf Fälle der zurechenbaren Verursachung des Lösungsinteresses durch den Rücktrittsgegner . . . . . . . bb) Keine analoge Anwendung in den Fällen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Korrektur hinsichtlich des Umfangs der Befreiung . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Wertersatzpflicht im Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur primären Wertersatzpflicht für nichtgegenständliche Leistungen . II. Zur sekundären Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistungen . . . 1. Ausschluss der Zufallshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen von der Wertersatzpflicht und Sorgfaltsmaßstab . . . . . a) Materielle Eigenständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Belehrungspflicht als Voraussetzung der Wertersatzpflicht im Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abweichungen beim Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der bestimmungsgemäße Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ersatz des durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandenen Wertverlusts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Ausnahme des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . 3. Berechnung des Wertersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verpflichtung zur Herausgabe etwaiger Bereicherungen beim Ausschluss der Wertersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Einordnung der Wertersatzpflichten in den Kontext der Regelung . . . . . . . I. Die Einordnung der primären Wertersatzpflichten in den Kontext der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die sekundären Wertersatzpflichten im Kontext der Regelung . . . . . . .

21 389 389 389 391 392 394 394 395 396 397 397 399 400 401 407 407 414 416 422 423 425 425 426 426 427 428 429 431 431 433 435 435 435

22

Inhaltsverzeichnis

§ 11 Nutzungen und Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Regelungen betreffend Nutzungen und Aufwendungen im Rücktrittsund Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit zwischen Rücktrittsund Widerrufsfolgenrecht bezogen auf die Regelungen zu Nutzungen . . . . C. Einordnung in den Kontext der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vertragskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verteilung der Vertragskosten im Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . II. Die Verteilung der Vertragskosten im Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . III. Bestimmung von materieller Eigenständigkeit und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einordnung in den Regelungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schadensersatz für Rückgewährstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bestimmungen zur Schadensersatzpflicht des Rückgewährschuldners im Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bestimmungen zur Schadensersatzpflicht des Rückgewährschuldners im Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einordnung in den Kontext der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Surrogatherausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verpflichtung zur Surrogatherausgabe im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung von materieller Eigenständigkeit in Hinblick auf Surrogatherausgabepflichten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einordnung in den Regelungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437 437 440 444 446 446 446 448 450 452 452 452 455 456 456 456 456

458 458

§ 13 Zusammenfassung zur Erforderlichkeit und Reichweite der materiellen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 § 14 Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entkopplung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der zuvor gefundenen Regelungen . . . 462 § 15 Annex – Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der Vorschläge über den „New Deal for Consumers“ sowie der „Warenhandelsrichtlinie“ und der „Richtlinie über digitale Inhalte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Abkürzungsverzeichnis1 A. A./a. A. a. E. a. F. Abs. AcP AG AGB AGBG B2B B2C BB BC Begr. BFH BGB BGBl. BGH BKR BT-Drucks. BVerfG CR DAR DB DNotz EG EGBGB EU EuGH EuZW EWS

Anderer Ansicht am Ende alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Fassung vom 09.12.1976 Business to Business (Geschäfte zwischen zwei Unternehmern) Business to Consumer (Geschäfte zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher) Der Betriebsberater Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Begründung Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Neubekanntmachung vom 2. Januar 2002 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Computer und Recht Deutsches Autorecht Der Betrieb Deutsche Notar-Zeitschrift Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäische Unioin Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

1 Bezüglich der nicht in das vorliegende Verzeichnis aufgenommenen Abkürzungen wird verwiesen auf Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin u. a. 2015.

24 f. ff. FS GPR GRUR GRUR-RR

Abkürzungsverzeichnis

folgende (Singular) folgende (Plural) Festschrift Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht RechtsprechungsReport GS Gedenkschrift HGB Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts ITRB IT-Rechts-Berater JA Juristische Arbeitsblätter JJZ Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler JM Juris – Die Monatszeitschrift JR Juristische Rundschau JurisPR-BGHZivilR Juris PraxisReport BGH-Zivilrecht JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung K&R Kommunikation und Recht Kap. Kapitel LG Landgericht LMK Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MMR Multimedia und Recht NJ Neue Justiz NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht OLG Oberlandesgericht RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RG Reichsgericht Rn. Randnummer Rpfleger Der Deutsche Rechtspfleger RRa ReiseRecht aktuell S. Seite; Satz SVR Straßenverkehrsrecht u. a. unter anderem

Abkürzungsverzeichnis u. U. Urt. v. VuR WM WuM ZAP ZEuP ZfA ZfIR ZGS ZIP ZJS ZMR ZRP ZVertriebsR

25

unter Umständen Urteil vom; von Verbraucher und Recht Wertpapiermitteilungen, Zeitschrift für Wirtschaft und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vertriebsrecht

Kapitel 1

Grundlagen § 1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit Bis zum 13.6.2014 sah § 357 Abs. 1 BGB vor, dass „auf das Widerrufsrecht [. . .], soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung“ finden. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, zur Änderung des Verbrauchsgüterkaufrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung1 (im Folgenden: VR-RiL-UmsG) wurde der Verweis auf das Rücktrittsrecht aufgegeben und die Rechtsfolgen des Widerrufs in den §§ 357–357c BGB vollkommen eigenständig geregelt,2 wobei neben einer Vorschrift zu den allgemeinen Modalitäten und Rechtsfolgen des Widerrufs in § 355 BGB jeweils besondere Regelungen für die Rückabwicklung von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen (§ 357 BGB), die Rückabwicklung von Verträgen über Finanzdienstleistungen einschließlich Verbraucherdarlehensverträgen (§ 357a BGB), die Rückabwicklung von Teilzeit-Wohnrechteverträgen, Verträgen über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge (§ 357b BGB) und die Rückabwicklung von weder im Fernabsatz noch außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Ratenlieferungsverträgen (§ 357c BGB) nach dem Widerruf getroffen wurden.3 Diese Reform entspricht einer derzeit generell auszumachenden Strömung, die es regelungstechnisch befürwortet die Rechtsordnung zu exzerpieren – also Regelungskomplexe aus einem allgemeineren Kontext herauszunehmen und für sie eigenständige, in sich geschlossene Regelungen zu schaffen. Als Beispiel hierfür lässt sich, neben der hier behandelten Reform z. B. die Forderung nach der Auslagerung des Verbraucherprivatrechts aus dem BGB nennen.4 Auf der anderen 1

BT-Drucks. 17/12637. Möller, BB 2014, 1411, 1417; von einem dogmatisch eigenständigen Rückabwicklungsregime, das neben die bereits bestehenden Regime der §§ 346 ff. und §§ 812 ff. BGB tritt, spricht BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 92; zur dogmatischen Einordnung vgl. auch u. Teil 3 A.III.1. 3 BeckOK/Müller-Christmann, § 357 BGB Rn. 1. 4 So etwa die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU), zur Änderung des Verbrauchsgüterkaufrechts und zur Ände2

28

Kap. 1: Grundlagen

Seite lässt sich auch eine dieser Strömung diametral entgegenstehende Tendenz ausmachen, die eine weitere Generalisierung von für vergleichbar erachteten Regelungsmaterien fordert.5 Genannt sei hier z. B. die Forderung nach der Vereinheitlichung der Rückabwicklungsregime von gescheiterten Verträgen.6 Mit Blick auf die Forderungen nach weiterer Vereinheitlichung von Regelungsmaterien einerseits und nach der Verselbstständigung von Regelungsmaterien andererseits steht die Frage nach der Zweckmäßigkeit der Entkopplung der Widerrufsfolgen von den Rücktrittsfolgen im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung.7 Hierbei werden zunächst allgemeine Kriterien aufgestellt, nach denen sich die Frage der Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen bzw. einer getrennten Regelung bestimmen lässt. Im Anschluss daran werden im 2. Teil dieser Arbeit die zuvor gefundenen Ergebnisse herangezogen, um zu bestimmen, wie die Situation im Hinblick auf die Regelung der Rechtsfolgen des Rücktritts und des Widerrufs zu bewerten ist: Ist hier eine gemeinsame Regelung, wie sie (zumindest dem Grunde nach) vor dem Umsetzungsgesetz zur Verbraucherrechterichtlinie bestand, zweckmäßiger? Oder ist eine getrennte Regelung, wie sie nunmehr die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der Rechtsfolgen von Rücktritt und Widerruf vorsieht, vorzugswürdig?

rung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung (Stellungnahme Nr. 78/ 2012), S. 3, abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/id-2012-78 (zuletzt abgerufen am 26.07.2017); Micklitz, NJW 2012, 77, 77. 5 Von einem diesbezüglichen „Trend“ spricht etwa BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 92.1 m.w. N. 6 So etwa Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 352; Zimmermann, FS Kramer, S. 735, 753. 7 Die Beurteilungen, ob die Reform im Rahmen des VR-RiL-UmsG gelungen ist gehen dabei wenig überraschend auseinander – teilweise wird die neue Rechtslage als „übersichtlicher und leichter nachvollziehbar“ bewertet (so etwa Meyer, NJ 2014, 364, 369) zum Teil wird der gestiegene Leseaufwand moniert (Förster, ZIP 2014, 1569, 1575), teilweise werden die Neuerungen sogar als „nicht immer ganz nachvollziehbar“ bezeichnet, und ein erheblicher Mehraufwand festgestellt, dem kein „für den Verbraucher [. . .] substantielle[r] Vorteil“ gegenüberstünde (so Buchmann, K&R 2014, 562, 566).

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

29

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von vereinheitlichten und getrennten Regelungen Zur Beantwortung der Frage nach der Zweckmäßigkeit der einen oder der anderen Regelungsvariante – Eigenständigkeit oder Vereinheitlichung der jeweiligen Rechtsfolgenanordnungen – ist zunächst ganz allgemein zu ermitteln, welcher Methode wann und warum grundsätzlich der Vorzug zu geben ist. Zudem ist die Frage zu beantworten ob, und wenn ja in welchen Fällen hier Ausnahmen zu machen sind.

A. Ausgangspunkt: Recht als gesetzgeberischer Interessenausgleich Ausgangspunkt der hier angestellten Überlegungen im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Regelungsmethoden muss der Zweck von Gesetzen sein. Gesetze sind, wie bereits Phillip Heck festgestellt hat, „Resultanten der [. . .] einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen“ 8. Mit anderen Worten handelt es sich bei Gesetzen um vom Gesetzgeber getroffene, mit allgemeiner Wirkung ausgestattete Interessenabwägungen.9 Der Zweck eines Gesetzes ist somit der Ausgleich von in entsprechenden Fällen regelmäßig kollidierenden Interessen.10 Das gilt nicht nur in Bezug auf zwingendes (oder halb-zwingendes) Recht, sondern ebenfalls für dispositives Recht.11 Auch letzteres hat insofern eine Ausgleichsfunktion zwischen den Interessen der Parteien, indem nicht geregelte Fragen eines (Vertrags-)Verhältnisses mit typischerweise gerechten Regelungen ergänzt werden.12 Davon ausgehend, dass Gesetze dem Interessenausgleich dienen, verläuft der Entstehungsprozess von Gesetzen demnach – idealiter – in folgender Weise: In der gesellschaftlichen Wirklichkeit treten tatsächliche Fälle auf bzw. zeichnen sich ab, in denen verschiedene Interessen miteinander in Konflikt stehen. Der Gesetzgeber wird auf diese Fälle aufmerksam und sieht eine Notwendigkeit sie zu regeln.13 Hierzu werden die verschiedenen Interessen zunächst identifiziert und anschließend allgemeine Kriterien abstrahiert, deren Vorliegen die entsprechende Interessenlage regelmäßig kennzeichnet.14 Diese Kriterien ergeben den Tatbestand der Rechtsnorm.15 Des Weiteren wird bestimmt, wie die in den fraglichen 8

Heck, AcP 1914, 1, 17. Heck, AcP 1914, 1, 232. 10 Heiderhoff, ZJS 2008, 25, 26. 11 Vgl. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 22 ff. 12 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 26. 13 Karpen, JuS 2016, 577, 581. 14 Heck, AcP 1914, 1, 18; Karpen, JuS 2016, 577, 581. 15 Heck, AcP 1914, 1, 18. 9

30

Kap. 1: Grundlagen

Fällen regelmäßig kollidierenden Interessen miteinander in Ausgleich gebracht werden sollen.16 Hierbei werden die Interessen gewichtet, um sie dann anschließend entsprechend dieser Gewichtung (durch die Rechtsfolgen der Rechtsnorm) auszugleichen. Sofern die Rechtsnorm – hier im Sinne eines abstrakten Gebildes des Interessenausgleichs – in ihrem Tatbestand und den Rechtsfolgen derart bestimmt ist, muss sie schließlich in eine sprachliche Form, den Rechtssatz, gegossen werden.17 Die im Rechtssatz zum Ausdruck kommende Rechtsnorm stellt damit die Kodifizierung der gesetzgeberischen Wertung dar.18 An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass auch umgesetztes Gemeinschaftsrecht gleichwohl nationales Recht ist.19 Sofern es um gesetzgeberische Interessenabwägungen geht, hat der nationale Gesetzgeber diese im Rahmen der Richtlinienumsetzung vom supranationalen Gesetzgeber übernommen.20 Ist im Folgenden von den vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Interessen und ihrer Bewertung die Rede, so ist grundsätzlich der nationale Gesetzgeber gemeint, der sich allerdings – jedenfalls soweit die nationalen Vorschriften den Richtlinienvorgaben entsprechen – die entsprechenden Wertungen des supranationalen Gesetzgebers mitunter zu Eigen gemacht hat.21

B. Die materielle und formelle Identität von Regelungskomplexen Mit Blick auf die Vereinheitlichung von Regelungskomplexen lassen sich – vor dem Hintergrund der Differenzierung zwischen Rechtsnorm und Rechtssatz – zwei Ebenen unterscheiden: Die Vereinheitlichung auf der Ebene der Rechtsnorm, die hier als materielle Ebene bezeichnet werden soll, und die Vereinheitlichung auf der Ebene des Rechtssatzes, die hier als formelle Ebene bezeichnet werden soll.

16 Vgl. Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176; das Recht stellt sich insoweit als Summe von Problemlösungen dar, Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 30. 17 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176 f. 18 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 30; in diesem Sinne auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 23; Stoll, AcP 1929, 141, 171. 19 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 77. 20 Lutter, JZ 1992, 593, 596; Schnorbus, RabelsZ 2001, 655, 680; über die nationale Exekutive hat der nationale Gesetzgeber im Übrigen auch die Möglichkeit auf die die Interessenbewertung des supranationalen Gesetzgebers einzuwirken. 21 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 66 ff.; das kann selbst dann gelten, wenn die Richtlinie zeitlich der nationalen Regelung nachfolgt – hier enthält die nationale Regelung dann entsprechend einen weiteren, „neuen“ Zweck, MellerHannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 102.

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

31

I. Die materielle Ebene Auf der ersten, also der materiellen Ebene, geht es um die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung von Rechtsnormen. Hier kann zwischen der materiellen Identität und der materiellen Eigenständigkeit differenziert werden. Materielle Identität bedeutet, dass die Rechtsnormen in inhaltlicher Hinsicht übereinstimmen. Sie liegt dementsprechend vor, wenn Rechtsnormen identischen Regeln im Sinne von übereinstimmenden Wertungen folgen. Die materielle Eigenständigkeit, als Gegenbegriff zur materiellen Identität von Rechtsnormen, liegt dann vor, wenn die Rechtsnormen auf jeweils unterschiedlichen Wertungen beruhen. Im Hinblick auf die materielle Identität lassen sich allerdings auch Abstufungen machen, was sich durch Rechtsnormen ausdrückt, die nicht vollständig, sondern lediglich in (mehr oder weniger weiten) Teilen einheitlichen Wertungen folgen.22 Hier besteht materielle Identität, soweit die Rechtsnormen einheitlichen Regelungen folgen. II. Die formelle Ebene Auf der zweiten Ebene sind die formelle Identität und die formelle Eigenständigkeit zu unterscheiden. Eine formelle Identität setzt – über die materielle Identität hinaus – voraus, dass auch ein gemeinsamer (Teil-)Rechtssatz für die jeweiligen Rechtsnormen existiert. Ist die formelle Identität verwirklicht, so führt dies grundsätzlich automatisch – jedenfalls soweit die formelle Identität reicht – auch zur Verwirklichung von materieller Identität.23 Andererseits setzt die materielle Identität die formelle Identität nicht voraus. Die formelle Eigenständigkeit als Gegenbegriff zur formellen Identität liegt immer dann vor, wenn (vollständig) verschiedene Rechtssätze für die jeweiligen Rechtsnormen existieren. Eine abgestufte Verwirklichung der formellen Identität ist etwa auch dadurch zu erreichen, dass ein (Teil-)Rechtssatz als Grundregel für verschiedene Rechtsnormen geschaffen wird, von dessen Inhalt aber durch besondere Rechtssätze im Einzelfall wieder abgewichen wird. Formelle Identität besteht hier, soweit die Rechtssätze sich auf dieselben Rechtsnormen beziehen. III. Der Zweck der materiellen und der formellen Identität Betrachtet man die Abstraktionsbemühungen der Verfasser des BGB, welche sich insbesondere in dem als „Klammerprinzip“ 24 bekannten Aufbau des BGB, wie auch in der im Übrigen an zahlreichen Stellen vorzufindenden „Verweisungstechnik“ 25 widerspiegeln, lässt sich nicht bestreiten, dass der formellen 22 23 24 25

Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 35. Zu den Ausnahmenfällen der gespaltenen Auslegung s. u. VI. In Brox/Walker, BGB-AT, Rn. 37 auch als „Ausklammermethode“ bezeichnet. Brox/Walker, BGB-AT, Rn. 41.

32

Kap. 1: Grundlagen

Identität im BGB ein gewisser Stellenwert eingeräumt wurde. Diese Feststellung führt zu der Frage nach dem Nutzen der formellen Identität. Wie oben dargestellt, gewährleistet die formelle Identität – soweit sie reicht – grundsätzlich auch materielle Identität, sodass naheliegt, dass der Gesetzgeber die formelle Identität nutzt, um hierdurch die materielle Identität zu gewährleisten. Das wiederum wirft allerdings die Frage nach dem Grund für eine materielle Identität von Rechtsnormen auf. Materielle Identität bedeutet das Übereinstimmen des Regelungsgehalts von verschiedenen Rechtsnormen durch übereinstimmende Wertungen. Rechtsnormen, die gleiche Fälle behandeln, ohne materielle Identität aufzuweisen, erscheinen aus Wertungsgesichtspunkten widersprüchlich. Anders formuliert, wenn für vergleichbare Konstellationen Rechtsnormen bestehen, deren Regelungsgehalt übereinstimmt – wenn also zwischen ihnen materielle Identität besteht – wird vermieden, dass derartige Fälle unterschiedlich behandelt werden und es dadurch zu Wertungswidersprüchen26 kommt. Mit der materiellen Identität können also Wertungswidersprüche vermieden werden.27 IV. Vorrang der materiellen Identität gegenüber der materiellen Eigenständigkeit Die unterschiedliche Behandlung von im Wesentlichen Gleichem stellt grundsätzlich einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG dar, sofern hierzu keine sachliche Rechtfertigung vorliegt.28 Der Gleichheitsgrundsatz bindet, in Form des Gebots der Rechtssetzungsgleichheit, auch die Legislative.29 Daraus wird teilweise geschlossen, dass die Vermeidung von Wertungswidersprüchen wegen Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich verfassungsrechtlich geboten ist.30 Teilweise wird diese Annahme jedoch auch abgelehnt und angenommen, dass Wertungswidersprüche nur in den seltensten Fällen zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG führen.31 Vom BVerfG wurde das Gebot der Widerspruchsfreiheit auch auf das Rechtsstaatsprinzip gestützt.32 Diese Rechtsprechung hat in der Literatur mitunter heftigen Widerspruch erfahren33 – allerdings 26

Zur Frage nach der Definition des Wertungswiderspruchs näher sogleich unten. In diesem Sinne auch Müller-Graff, GPR 2009, 106, 110. 28 Epping/Hillgruber/Kischel, Art. 3 GG Rn. 14. 29 ErfK/Schmidt, Art. 3 GG Rn. 1; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 116, 125. BVerfG, Urt. v. 23.10.1951 – 2 BVG 1/51, NJW 1951, 877, 878. 30 So etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 125 ff. 31 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 46 f.; Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1366; Höpfner, NJW 2010, 127, 129. 32 BVerfG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 BvR 1876–91, 2 BvR 1083–92 u. a., NJW 1998, 2346. 33 Statt vieler Sendler, NJW 1998, 2875, 2875 ff.; Schmidt, FS für Canaris, S. 1353; Bothe, NJW 1998, 2333, 2333 m.w. N. 27

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt, dass ein „übergreifender und wegen seiner Abstraktheit jederzeit als ,Joker‘ einsetzbarer Rechtsgrundsatz der Widerspruchsfreiheit“ die Gefahr berge, dass damit „bewährte Institute entwertet werden könnten“.34 Unabhängig davon, ob und wann ein Wertungswiderspruch einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Rechtsstaatsprinzip zur Folge hat, dürfte jedoch grundsätzlich Einigkeit darüber herrschen, dass Wertungswidersprüche auf legislativer Ebene zu vermeiden sind.35 So formuliert etwa Reiner Schmidt, dass der grundsätzliche Anspruch jeder Rechtsordnung ein „in sich stimmiges System zu bilden [. . .] unverzichtbar“ sei.36 Oder wie Canaris schreibt: „Der Gesetzgeber wie der Richter sind gehalten Wertungen ,konsequent‘ wieder aufzunehmen, sie bis in alle Einzelfolgerungen ,zu Ende zu denken‘ und sie nur sinnvoll, d.h. aus sachlichem Anlaß zu durchbrechen, – mit anderen Worten folgerichtig zu verfahren.“ 37 Daraus folgt, dass materielle Identität immer dann geboten ist, wenn andernfalls Wertungswidersprüche entstünden.38 In Konstellationen, in denen ohne materielle Identität Wertungswidersprüche drohen, ist diese somit der materiellen Eigenständigkeit vorzuziehen. Um den Vorrang der materiellen Identität vor der materiellen Eigenständigkeit in Fällen, in denen Wertungswidersprüche drohen, für die vorliegende Frage nutzbar zu machen ist es an dieser Stelle jedoch erforderlich näher zu bestimmen, wann der Gesetzgeber im Einzelnen nicht „folgerichtig verfährt“ – was also genau einen Wertungswiderspruch auszeichnet, der auf legislativer Ebene durch Wahrung materieller Identität zu vermeiden wäre. Was im Einzelnen einen Wertungswiderspruch auszeichnet und wie er von ähnlichen Phänomenen abzugrenzen ist, ist im Detail umstritten.39 Im herkömmlichen Sinne werden Wertungs34

Knops, FS für Derleder, S. 287, 1355. Koch, JZ 2006, 277, 279; Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 65; Lederer, NJOZ 2011, 1833, 1837; Müller-Graff, GPR 2009, 106, 110; in diesem Sinne auch Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1366 („selbst wenn Wertungswidersprüche noch keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht begründen, verraten sie zumindest mangelnde Beherrschung der Gesetzgebungskunst“; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 116 und S. 119 (Wertungswidersprüche auf legislativer Ebene sind „rechtspolitische Fehler“); Sendler, NJW 1998, 2875, 2876 („Widersprüche auszuräumen, ist, soweit nicht durch Auslegung eine Harmonisierung erreicht werden kann, Sache des Gesetzgebers“); Höpfner, NJW 2010, 127, 129 (Wertungswidersprüche sind „unbefriedigend“); selbst Engisch, der davon ausgeht, dass de lege lata bestehende Wertungswidersprüche grundsätzlich hinzunehmen sind, formuliert an den Gesetzgeber gerichtet: „Vermeide nach Möglichkeit Widersprüche!“, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 68; Wendt, NVwZ 1988, 776, 778 m.w. N. 36 Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1353. 37 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16. 38 In diesem Sinne auch Baldus, Einheit der Rechtsordnung, S. 200. 39 Peine, Recht als System, S. 99 ff.; zur Abgrenzung des Wertungswiderspruchs von „verwandten Erscheinungen“ etwa Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 113 ff. 35

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Kap. 1: Grundlagen

widersprüche generell als Fälle verstanden, in denen die Rechtsordnung ihre eigenen Wertungen nicht durchhält.40 Weiss, der den Begriff des Wertungswiderspruchs vermeidet, präzisiert mit dem „auflösungsbedürftigen mittelbaren Widerspruch“ im Wesentlichen das, was nach allgemeinem Verständnis als Wertungswiderspruch qualifiziert wird. Ein auflösungsbedürftiger mittelbarer Widerspruch liegt nach Weiss in Fällen vor, bei denen durch die wörtliche Anwendung mehrerer Normen Gleiches ungleich behandelt wird und dadurch die Folgerichtigkeit der gesetzlichen Regelung durchbrochen wird, weil gesetzgeberische Zwecke kollidieren beziehungsweise nicht erreicht werden, ohne dass diese Beeinträchtigung sachlich begründet wäre – wobei für jeden Fall geprüft werden müsse, ob Zwecke kollidieren beziehungsweise nicht erreicht werden und ob hierfür eine sachbedingte Unterscheidung vorliege.41 Der Begriff „Wertungswiderspruch“ soll im Folgenden im Sinne von Weiss’ auflösungsbedürftigem mittelbarem Widerspruch verwendet werden. Die in diesem Zusammenhang von Weiss vorgenommene Trennung der Ebenen des formellen Widerspruchs (auf der das wörtliche Verständnis zugrunde gelegt werden soll, um Widersprüche zu identifizieren) und der Ebene des materiellen Widerspruchs (auf der es um die inhaltliche Komponente geht und die Frage nach der Auflösungsbedürftigkeit betroffen ist),42 erfolgt allerdings aus dem Blickwinkel des Gesetzesanwenders. Da aber die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entkopplung der Rücktritts- und Widerrufsfolgen aus der Perspektive des Gesetzgebers zu bestimmen ist, steht im Rahmen der vorliegenden Arbeit die materielle Ebene des Wertungswiderspruchs im Fokus. Denn durch Widersprüche auf dieser Ebene wird der Gesetzesanwender zur Reaktion gezwungen, was aus Perspektive des Gesetzgebers bereits im Rahmen der Gesetzgebung – nämlich durch Herstellung von materieller Identität – idealiter vermieden wird. Auf materieller Eben zeichnet sich der Wertungswiderspruch dadurch aus, dass sich aus dem Vergleich verschiedener Konstellationen ergibt, dass gesetzgeberische Zwecke kollidieren beziehungsweise nicht erreicht werden, ohne dass diese Beeinträchtigung sachbegründet ist. Zur Identifikation kollidierender Zwecke ist zu prüfen, ob zwischen den fraglichen Fällen eine Nähe hinsichtlich der Voraussetzungen oder Ergebnisse besteht, die nach Weiss als Regelungszusammenhang zu bezeichnen ist.43 Legt man an dieser Stelle zugrunde, dass der Zweck von Gesetzen im Ausgleich von kollidierenden Interessen besteht, lässt sich die Bestim-

40 Grundlegend zu Wertungswidersprüchen Engisch, der in diesem Zusammenhang jedoch nicht von noch nicht ausdrücklich von Wertungen sondern „Gedanken und Prinzipien“ spricht, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 63. 41 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 32, 41, 64 ff. 42 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 65; diese Differenzierung ist bereits zu finden bei Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 42 f. 43 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 66.

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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mung eines Regelungszusammenhangs näher dahingehend präzisieren, dass es auf Vergleichbarkeit der Interessenkonflikte ankommt. Ist dies der Fall, besteht eine Vermutung dahingehend, dass die Normen dieselbe wertungsmäßige Richtung aufzeigen. Dementsprechend erfolgt die Bestimmung von auf legislativer Ebene zu vermeidenden Widersprüchen zwischen Normen in zwei Schritten. Zunächst ist zu prüfen, ob eine inhaltliche Nähe im Sinne eines Regelungszusammenhangs besteht (wodurch eine übereinstimmende Zwecksetzung indiziert wird), sodann muss bestimmt werden, ob im Einzelnen sachliche Unterschiede eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.44 Dabei gilt es, wie bereits Wendt feststellt, zu beachten, dass für die Rechtfertigung einer vom Gesetzgeber vorgenommenen unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Sachverhalte nicht genügt, „auf die eine oder andere zwischen ihnen bestehende Verschiedenheit hinzuweisen“, sondern vielmehr „darüber hinaus der Nachweis geführt werden [müsse], daß die festgestellte Verschiedenheit ihrer Art und ihrem Gewicht nach gerade eine solche Ungleichbehandlung wie die vorgenommene zu tragen vermag, d.h. die angeordneten unterschiedlichen Rechtsfolgen nach Art und Ausmaß legitimieren kann“.45 Ist eine übereinstimme Zwecksetzung im oben beschriebenen Sinne indiziert und liegen keine sachlichen Unterschiede vor, aus denen sich eine abweichende Wertung rechtfertigt, wäre eine materielle Eigenständigkeit nicht folgerichtig und dementsprechend wertungswidersprüchlich. Aus dem „Postulat der Widerspruchsfreiheit“ 46 folgt auf legislativer Ebene also im Ergebnis, dass materielle Identität immer dort geboten ist, wo andernfalls durch verschiedene Rechtsnormen, die in einem Regelungszusammenhang stehen, gesetzgeberische Zwecke beeinträchtigt würden, ohne dass sachliche Gründe dies rechtfertigen. In diesen Fällen sollte der materiellen Identität auf legislativer Ebene der Vorrang gegenüber der materiellen Eigenständigkeit gegeben werden.47 Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass materielle Identität auch geeignet Rechtssicherheit zu gewährleisten, die wie Canaris feststellt, als „oberster Rechtswert [. . .] in allen ihren Spielarten [. . .] durch ein folgerichtiges von wenigen überschaubaren Prinzipien beherrschtes [. . .] Recht erfüllt werden können, als durch eine unübersehbare Vielzahl von unzusammenhängenden und allzu leicht in Widerspruch geratenden Einzelnormen“.48

44

Wendt, NVwZ 1988, 776, 782. Wendt, NVwZ 1988, 776, 781; so auch BVerfG, Beschl. v. 15.10.1985 – 2 BvL 4/ 83 NVwZ 1986, 735, IV.1. 46 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 27. 47 Vgl. auch Müller-Graff, der in der sachgebietlichen Geschlossenheit ein elementares Dauerbedürfnis in der Entwicklung einer inhaltlich sinnfälligen Rechtsordnung sieht, Müller-Graff, GPR 2009, 106, 112. 48 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 17 f. 45

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Kap. 1: Grundlagen

V. Besonderheiten für den Vorrang der materiellen Identität in Mehrebenensystemen – insb. europarechtlich bedingte Widersprüche Wertungswidersprüche können auch durch die Besonderheiten von Mehrebenensystemen entstehen.49 Mit Blick auf das deutsche Recht sind diesbezüglich neben dem (nationalen) Föderalismus insbesondere das Verhältnis des Nationalstaates zur Europäischen Union zu nennen.50 Soweit es europarechtlich begründete Wertungswidersprüche auf legislativer Ebene betrifft, muss man zwischen bereits auf europarechtlicher Ebene bestehenden Widersprüchen und durch die Integration von Richtlinien in das nationale Recht hervorgerufenen Widersprüchen differenzieren.51 Insbesondere durch die lediglich punktuelle Regelungsabsicht des europäischen Gesetzgebers kommt es mitunter bereits auf europäischer Ebene zu Widersprüchen zwischen zwei Bestimmungen.52 Als Beispiel lässt sich etwa die Frage nach dem Fristsetzungserfordernis für den Rücktritt im Rahmen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und der Verbraucherrechterichtlinie nennen.53 Sofern Regelungen mit gemeinsamem Regelungskontext bereits auf europarechtlicher Ebene in sachlich ungerechtfertigter Weise auf verschiedenen Grundwertungen beruhen, stehen dem nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeiten zur Widerspruchsbeseitigung offen – er ist an die europarechtlichen Vorgaben gebunden.54 Hier trifft das Gebot des Vorrangs der materiellen Identität nicht die nationalen Gesetzgeber, sondern den europäischen Gesetzgeber.55 Die Gewährleistung von materieller Identität ist den nationalen Gesetzgebern gerade nicht möglich.56 Sofern der Widerspruch nicht bereits auf europäischer Ebene vorliegt, sondern erst durch die Integration der europarechtlichen Vorgaben in das nationale Recht entsteht, steht den nationalen Gesetzgebern hingegen die Möglichkeit zur Widerspruchsbeseitigung in Form einer Anpassung des nicht europarechtlich bedingten, aber mit diesem im Regelungszusammenhang stehenden Teils, an die Grund49 Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1353; Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 94; Koch, JZ 2006, 277, 278. 50 Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1358. 51 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 130 f. 52 Koch, JZ 2006, 277, 278. 53 Weiss, NJW 2014, 1212, 1213. 54 Weiss, NJW 2014, 1212, 1213; zum Vorrang des europäischen Rechts vor dem nationalen Recht EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – Rs. 6/64, NJW 1964, 2371; zur Umsetzungspflicht für Richtlinien EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984 – Rs. 14/83, NJW 1984, 2021. 55 Koch, JZ 2006, 277, 278; Koch, GPR 2014, 128, 130; Pfeiffer, NJW 2012, 2609, 2610; sogar weitergehend eine Verzahnung der europäischen Regelung mit dem überkommenen Recht der Mitgliedsstaaten im „gedanklichen Vorlauf“ beim Prozess der Richtlinien-Setzung fordernd, Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 104. 56 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 73.

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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wertungen des Unionsrechts offen.57 Hier ließe sich dementsprechend annehmen, dass der Vorrang der materiellen Identität uneingeschränkt gilt, sodass die nationalen Gesetzgeber zu einer entsprechenden Anpassung der nicht vom Europarecht vorgegebenen Vorschriften angehalten sind.58 Die Erstreckung eines europarechtlich gebotenen Rechtszustands auf Sachverhalte, für die keine europarechtlichen Vorgaben bestehen, wird als überschießende Umsetzung bezeichnet.59 Die Frage, ob eine überschießende Umsetzung europarechtlicher Vorgaben im Grunde begrüßenswert ist oder nicht, wird indes unterschiedlich Beurteilt. So kritisiert etwa Nobbe die überschießende Umsetzung von Richtlinien generell als „Unart“.60 Unberath hingegen hält die überschießende Umsetzung für eine Möglichkeit zur Vereinfachung der Rechtsanwendung.61 Gegen eine Pflicht zur überschießenden Umsetzung bei drohenden Wertungswidersprüchen lässt sich jedenfalls anführen, dass die europarechtlichen Grundwertungen in diesem Fall weit über den vom europäischen Gesetzgeber intendierten Rahmen übernommen werden müssten, was den nationalen Gesetzgeber erheblich in seiner Souveränität beschränken würde.62 Zwar könnte man argumentieren, dass das Postulat der Widerspruchsfreiheit und der daraus resultierende Vorrang der materiellen Identität auch außerhalb der Mehrebenen-Problematik in einem Konflikt mit der Souveränität des jeweiligen Gesetzgebers steht – denn in historischer Folge handelt es sich auch bei nationalen Gesetzgebern faktisch um mehrere Gesetzgeber.63 Sofern man den Vorrang der materiellen Identität also generell anerkennt, ließe sich behaupten, existiere kein Grund Ausnahmen zu machen, sofern etwa europarechtlich aufgeladene Sachverhalte bestehen. Eine derartige Argumentation würde jedoch verkennen, dass es sich bei innerhalb einer Ebene erzeugten Wertungswidersprüchen um Konstellationen handelt, in denen der jeweilige Gesetzgeber auch die Möglichkeit hat, die „neuen“ Regelungen unter Berücksichtigung seiner tradierten Wertungen auszugestalten. Bei durch ein Mehrebenensystem bedingten Widersprüchen kann diese Möglichkeit jedoch versperrt sein.64 Dort kann der nationale Gesetzgeber die europarechtlich vorgegebenen Wertungen lediglich für andere Bereiche übernehmen – eigene tradierte Wertungen kann er im harmonisierten Bereich jedoch nicht berücksichtigen. Durch das Postulat der Widerspruchsfrei57

Koch, JZ 2006, 277, 277; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 543, 545. Schnorbus, RabelsZ 2001, 655, 680. 59 Grabitz/Hilf/Nettesheim, Band I, Art. 288 AEUV Rn. 131. 60 Nobbe, WM 2011, 625, 626. 61 Unberath, ZEuP 2005, 5, 5. 62 Koch, JZ 2006, 277, 280; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 72; Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1358. 63 Wendt, NVwZ 1988, 776, 783. 64 Schnorbus, RabelsZ 2001, 655, 656. 58

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Kap. 1: Grundlagen

heit wird ein Gesetzgeber im Mehrebenensystem dementsprechend mitunter an fremde Wertungen – beispielsweise diejenigen des europäischen Gesetzgebers – gebunden.65 Auch wenn man mit der hier vertretenen Auffassung annimmt, dass ein nationaler Gesetzgeber die europarechtlichen Wertungen im Rahmen der Umsetzung von Richtlinien übernimmt,66 ändert dies nichts daran, dass es sich nicht originär um seine Wertungen handelt.67 Auch der Hinweis, dass der nationale Gesetzgeber über die nationale Exekutive den europäischen Gesetzgebungsprozess beeinflussen kann, steht dem nicht entgegen. Denn eine von 28 Mitgliedsstaaten und dem europäischen Parlament als Kompromiss gefundene Wertung entspricht nicht zwingend den tradierten Wertungen eines Mitgliedsstaates. Andererseits sollte man aus der nicht zu leugnenden Einschränkung der Souveränität des nationalen Gesetzgebers nicht schließen, dass europarechtlich bedingte Wertungswidersprüche auf legislativer Ebene per se hinzunehmen sind. Denn dies hätte eine starke Beeinträchtigung der grds. erstrebenswerte Einheit der Rechtsordnung zur Folge.68 Zu den Konsequenzen einer lediglich „punktualistischen oder partikularistischen“ Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben lässt sich beispielhaft auf die deutsche Rechtslage vor der Schuldrechtsreform in Bezug auf die verbraucherschützenden Widerrufsrechte verweisen, welche nach Fischer zu „Unsicherheiten, Unklarheiten und vielfältigen Widersprüche[n]“ führte.69 Insofern ist Schmidt zuzustimmen, dass der Anspruch ein übergreifendes, in sich stimmiges System zu bilden auch in Mehrebenen-Konstellationen grundsätzlich unverzichtbar ist.70 Um einerseits die Souveränität des nationalen Gesetzgebers nicht unverhältnismäßig zu beschränken und andererseits die erstrebenswerte Einheit der Rechtsordnung nicht unnötig stark zu beeinträchtigen, wird man also weder davon ausgehen können, dass inhaltliche Identität auch bezüglich europarechtlich beeinflusster Regelungskomplexe einschränkungslos geboten ist, noch davon, dass sie hier per se nicht zweckmäßig wäre.71 Den nationalen Gesetzgebern ist in Fällen, in denen eine Regelung europarechtlich vorgegeben ist, also ein größerer Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, ob eine abweichende Grundwertung hinsichtlich im Regelungszusammenhang stehender Vorschriften sinnvoll ist, zuzuerkennen als in Fällen, in denen es um auf originär eigenen Grundwertungen basierende Regelungen geht.72 Jedenfalls zu willkürlichen Differenzierungen hin65

Koch, JZ 2006, 277, 282. s. o., Kapitel 1, § 2, A. 67 So auch Koch, JZ 2006, 277, 282. 68 Koch, JZ 2006, 277, 284. 69 Fischer, Widerrufsrecht, S. 6 f. 70 Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1353. 71 In diesem Sinne auch Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 73. 72 Kritisch, ob die Herstellung von kohärenten Regelungen „im Zeitalter der Vollharmonisierung“ überhaupt noch realisierbar ist, Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 287. 66

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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sichtlich der Grundwertungen werden die nationalen Gesetzgeber jedoch nicht berechtigt sein.73 Es muss sich demnach zumindest bei wesentlichen Abweichungen bezüglich der den zugrunde liegenden Wertungen von im Regelungszusammenhang stehenden Vorschriften – um in den Worten des BVerfG zum Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG zu sprechen – ein „vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung“ 74 finden lassen. Die bloße Tatsache, dass eine der in einem Regelungszusammenhang stehenden Bestimmungen auf europäische Vorgaben zurückzuführen ist, reicht insoweit als Differenzierungsgrund noch nicht aus.75 Sofern eine europäische Regelung jedoch etwa sachwidrige Bestimmungen enthält, wird darin ein vernünftiger Grund liegen, die Bestimmung nicht auch auf rein national determinierte Bereiche auszuweiten. Aber auch bei der Inkaufnahme von Systembrüchen zur Aufrechterhaltung von wesentlichen Leitprinzipien im nationalen Recht handelt es sich um einen sachlichen Grund für materielle Eigenständigkeit zwischen national und europarechtlich determinierten Bestimmungen mit Regelungszusammenhang.76 Während ein nationaler Gesetzgeber also grundsätzlich angehalten ist, folgerichtig zu verfahren, darf er im europäischen Kontext jedenfalls nicht willkürlich verfahren.77 Im teilweise europarechtlich determinierten Bereich handelt es sich beim Postulat der Einheit der Rechtsordnung also um ein „Desiderat [. . .] das gegen andere Leitprinzipien abgewogen werden muss“ 78. An dem Grundsatz, dass die materielle Identität auch in diesem Bereich gegenüber der materiellen Eigenständigkeit vorrangig ist, ändert dies jedoch nichts – vielmehr verschieben sich lediglich die Ausnahmen.79 VI. Vorrang der formellen Identität gegenüber der formellen Eigenständigkeit Wie oben ausgeführt, ist die formelle Identität zwar grds. Garant für die Verwirklichung von inhaltlicher Identität,80 jedoch ist letztere auch ohne formelle Identität der Regelung möglich. Dementsprechend ist mit den bisherigen Ausführungen zum Vorrang der materiellen Identität noch keine Aussage über die Frage

73

Koch, JZ 2006, 277, 283. BVerfG, Urt. v. 23.10.1951 – 2 BVG 1/51, NJW 1951, 877, 878. 75 Koch, JZ 2006, 277, 283; in diesem Sinne wohl auch Lederer, NJOZ 2011, 1833, 1837 f. 76 Koch, JZ 2006, 277, 283. 77 Zum Unterschied zwischen folgerichtigem und bloß willkürlosen Handeln: Peine, Recht als System, S. 23. 78 Koch, JZ 2006, 277, 283. 79 Koch, JZ 2006, 277, 284. 80 Zu den Ausnahmefällen der gespaltenen Auslegung sogleich. 74

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Kap. 1: Grundlagen

nach dem Vorrang der formellen Identität gegenüber der formellen Eigenständigkeit getroffen. Ein solcher Vorrang könnte sich aus zwei Gründen ergeben. Zum einen wäre die formelle Identität dann vorrangig, wenn sie einen weiteren, über die Gewährleistung der inhaltlichen Identität hinausgehenden Zweck erfüllt. Zum anderen käme ein Vorrang in Betracht, wenn die materielle Identität in den Fällen, in denen auch eine formelle Identität besteht, besser gewährleistet wäre, als in den Fällen, in denen formelle Eigenständigkeit der Rechtsnormen besteht. Sofern die materielle Identität hingegen auch ohne formelle Identität vollständig gewährleistet wäre und die formelle Identität keinem weiteren Zweck dient, als bloßes „Vehikel“ für die materielle Identität zu sein, wäre eine Entscheidung in Hinblick auf die größere Zweckmäßigkeit und einem daraus resultierenden Vorrang der formellen Identität gegenüber der formellen Eigenständigkeit nicht möglich. Als eigenständiger Zweck der formellen Identität ließe sich anführen, dass die hierbei erfolgende Abstraktion zu einer Reduzierung des Bestandes an Rechtssätzen und somit zu einer größeren Übersichtlichkeit der Rechtsmaterie führt.81 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass etwa ein juristischer Laie oder ein nach einem anderen System ausgebildeter Jurist bei Betrachtung des BGB, was den Aufbau und die Verweisungstechnik anbelangt, wohl kaum von einer großen Übersichtlichkeit sprechen würde.82 Vielmehr wäre es – zumindest aus der Perspektive dieser Personen – wohl übersichtlicher, wenn die Bestimmungen eines Regelungskomplexes vollständig hintereinander stünden und kein „hin und her Blättern“ erforderlich wäre.83 Dass die formelle Identität die Übersichtlichkeit fördert, lässt sich also nicht feststellen.84 Hingegen lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die formelle Identität die Anzahl der Rechtssätze reduziert und so den Bestand an Vorschriften verschlankt.85 So stellt etwa Engisch fest, dass man sofern „man sich einmal der Mühe unterziehen [wollte] einen so scheinbar selbstständigen Satz wie den § 433 BGB [. . .] nach Tatbestand und Rechtsfolge erschöpfend aus der übrigen Rechtsordnung aufzubauen“ zu einem „Monstrum von einem Rechtssatz“ gelangte.86 Ob die Verschlankung des Bestands an Vorschrif81 Vgl. Handbuch der Rechtsförmigkeit des Bundesjustizministeriums, 3. Aufl. Teil B 4.2, Rn. 225, abrufbar unter http://hdr.bmj.de/page_b.4.html#an_225 (zuletzt abgerufen am 26.07.2017); in diesem Sinne auch Karpen, JuS 2016, 577, 580. 82 Westermann, JZ 2001, 530, Fn. 10. 83 So begrüßen Schmidt-Kessel/Sorgenfrei die Entkopplung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht etwa ausdrücklich mit Hinweis auf den damit einhergehenden Gewinn an Regelungsklarheit aufgrund des Verzichts auf lange Verweisungsketten, Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 251; in diesem Sinne auch Leier, VuR 2013, 457, 464. 84 Karpen, JuS 2016, 577, 583; vgl. hierzu auch das anschauliche Beispiel der Rechtsanwendung bei einem per Internet auf Raten gekauften Fernseher bei Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 287 f. 85 Handbuch der Rechtsförmigkeit des Bundesjustizministeriums (Kap. 1., Fn. 81).

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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ten für sich genommen jedoch einen solchen Mehrwert darstellt, dass die Verwirklichung der formellen Identität im Vergleich zur formellen Eigenständigkeit geboten ist, erscheint indes sehr fraglich.87 Einen über die materielle Identität hinausgehenden, bedeutsamen Nutzen der formellen Identität wird man demnach verneinen müssen. Ein Vorrang der formellen Identität gegenüber der formellen Eigenständigkeit kommt also nur in Betracht, sofern die materielle Identität in Fällen, in denen keine formelle Identität besteht, nicht gleichermaßen gewährleistet wäre, wie in Fällen in denen sie gegeben ist. Zweck der materiellen Identität ist die Vermeidung von Wertungswidersprüchen, indem Rechtsnormen mit Regelungszusammenhang und ohne sachliche Unterscheidungskriterien hinsichtlich ihres Regelungsgehalts grundsätzlich übereinstimmen. Wie bereits Engisch erkannt hat, ist die Dynamik des Rechts der Keim von Widersprüchen.88 Die Dynamik des Rechts folgt dabei aus zwei Richtungen – einerseits aus der Fortentwicklung durch den Gesetzgeber, andererseits durch die Rechtsanwendung in der Praxis. Materielle Widersprüche müssen dementsprechend nicht immer im Gesetz selbst angelegt sein, sondern können auch durch die Anwendung, nämlich im Rahmen der Gesetzesauslegung, erzeugt werden.89 Beachtet man in diesem Zusammenhang, dass der Rechtsanwender nach der heute einhelligen Meinung kein bloßer „Subsumtionsautomat“ ist, sondern die Interpretation von Normen auch eine schöpferische Komponente beinhaltet90 und legt man hierbei zudem die Auslegungsmethodik zugrunde, so wird erkennbar, dass die materielle Identität bei formeller Identität besser gewährleistet wird, als bei formeller Eigenständigkeit.91 Denn dass die Auslegung materielle Widersprüche bei formeller Identität erzeugt, ist deutlich unwahrscheinlicher als bei formeller Eigenständigkeit.92 Besteht nämlich für die vergleichbaren Fälle ein einheitlicher (Teil-)Rechtssatz, so wird bei der Auslegung dieses (Teil-)Rechtssatzes in der Regel nicht nur eine Entscheidung für die im konkreten Fall relevante Rechtsnorm getroffen, sondern darüber hinaus auch für alle übrigen Rechtsnormen, die sich auf den entsprechenden (Teil-)Rechtssatz beziehen. Durch eine formelle Identität wird dabei zum einen gewährleistet, dass sich der Rechtsanwender bei der Rechtsanwendung der Auswirkungen bewusst wird, welche seine Interpretation auch auf die übri86

Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 28. Das Bestreben das BGB nicht zu umfangreich werden zu lassen gleichwohl als zentralen Grund für das Klammerprinzip und das Abstraktionsprinzip anführend, Brox/ Walker, BGB-AT, Rn. 37, 41. 88 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 67. 89 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 68. 90 Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1360. 91 In diesem Sinne auch Handbuch der Rechtsförmigkeit des Bundesjustizministeriums (Kap. 1., Fn. 81). 92 Gsell, JZ 2012, 809, 813; Müller-Graff, GPR 2009, 106, 110. 87

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Kap. 1: Grundlagen

gen, nicht im konkreten Fall relevanten Rechtsnormen hat, die sich auf den entsprechenden (Teil-)Rechtssatz beziehen.93 Dementsprechend wird der Rechtsanwender seine Entscheidung auch eher am materiellen Regelungsgehalt orientieren, der den gesamten Rechtsnormen zugrunde liegt.94 Zum anderen wird durch die formelle Identität auch die Gleichförmigkeit der Entwicklung der Rechtsnormen in Hinblick auf den gemeinsamen (Teil-)Rechtssatz garantiert.95 Die Konsequenzen von fehlender formeller Identität lässt sich insoweit an der Rechtslage in Bezug auf die Vertragsauflösung wegen Leistungsstörungen vor der Schuldrechtsmodernisierung verdeutlichen, die im Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wie folgt beschrieben werden: „Die Verschiedenheiten lassen sich kaum durch sachliche Gesichtspunkte rechtfertigen [. . .]. Sie führen immer wieder zu Überschneidungen, die Abgrenzungen erforderlich machen, oder zu Konkurrenzen, für die dann Hilfsregeln entwickelt werden müssen, die im konkreten Fall plausibel sein mögen, bei Anwendung auf den nächsten Fall aber schon zu Bedenken Anlass geben.“ 96 Bei formeller Identität lässt sich materielle Eigenständigkeit nur durch die sogenannte „gespaltene Auslegung“ 97 erreichen – also dort, wo der (Teil-)Rechtssatz für die verschiedenen Fälle in denen er Anwendung findet, unterschiedlich interpretiert wird.98 Ein Beispiel einer solchen gespaltenen Auslegung bestand bis zum 1.1.2018 in Bezug auf den Umfang der Nacherfüllungspflicht im kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsrecht: Wärend § 439 BGB a. F. bei Verbrauchsgüterkäufen dahingehend interpretiert wurde,99 dass im Rahmen der Nachlieferungspflicht des Verkäufers auch der Ein- und Ausbau geschuldet wurde, war die Vorschrift bei sonstigen Verträge nach Auffassung des BGH100 und der wohl überwiegenden Lehrmeinung101 dahingehend zu verstehen, dass der Ein- und Ausbau nicht zur Nachlieferung gehört. Zwar steht in Gestalt der systematischen Auslegung auch dort, wo keine formelle Identität herrscht, ein Instrument zur Verfügung, durch das die Orientierung an dem zugrunde liegenden gemeinsamen materiellen Regelungsgehalt und die gleichförmige Entwicklung der Rechtsnormen – kurz die materielle Identität -gewahrt wird.102 Aber wie bereits Engisch festgestellt hat, bewirkt die Identität 93

Kohler, JZ 2001, 325, 326. In diesem Sinne auch Gsell, JZ 2012, 809, 813. 95 Gsell, JZ 2012, 809, 813. 96 BT-Drucks. 14/6040 S. 181. 97 Brinkmann, ZJS 2013, 202. 98 Ausführlich zur Zulässigkeit der gespaltenen Auslegung: Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 149 ff. 99 Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073. 100 Urt. v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11, NJW 2013, 220. 101 Statt vieler Looschelders, JA 2013, 149; a. A. Fornasier, EuZW 2013, 157. 102 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 116 ff. 94

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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der abstrakten rechtlichen Gesichtspunkte die Gleichförmigkeit der Entscheidungen nur, sofern man die Einförmigkeit der Auslegung voraussetzt.103 Die systematische Auslegung ist jedoch lediglich ein Teil des Auslegungskanons, sodass hier das Risiko, dass im konkreten Fall zugunsten einer vermeintlichen Einzelfallgerechtigkeit abgewichen bzw. die Systematik übersehen wird, ungleich größer ist.104 Dementsprechend ist die Gefahr, dass sich die Auslegung der inhaltlich identischen Normen auseinander entwickelt und es in der Folge zu Wertungswidersprüchen kommt, in den Fällen, in denen es an einer formellen Identität fehlt, größer.105 Das soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:106 Man unterstelle, eine Bundesschokoladenverordnung will die Gleichbehandlung von Schokoladenweihnachtsmännern und Schokoladenosterhasen gewährleisten und ihren Kakaogehalt deshalb auf mindestens 25 % festsetzen. Hier besteht zum einen die Möglichkeit den Kakaogehalt für Schokoladenweihnachtsmänner und Schokoladenosterhasen jeweils mit einem eigenen Rechtssatz auf 25 % festzulegen (Var. 1) und zum anderen kann ein gemeinsamer Rechtssatz hinsichtlich des Kakaogehalts geschaffen werden, der sowohl für Schokoladenweihnachtsmänner als auch Schokoladenosterhasen gilt (Var. 2). Die Regelungen könnten also etwa lauten: Var. 1:

§X Der Kakaogehalt von Schokoladenweihnachtsmännern muss mindestens 25 % betragen. §Y Der Kakaogehalt von Schokoladenosterhasen muss mindestens 25 % betragen. Var. 2:

§X (1) Der Kakaogehalt von Schokoladenweihnachtsmännern muss mindestens 25 % betragen. (2) Als Schokoladenweihnachtsmänner gelten auch Schokoladenosterhasen.

Würde nun ein neuartiges synthetisches Kakaoersatzprodukt entwickelt, das grds. alle chemischen Eigenschaften von Kakao aufweist, jedoch eine geringere Schmelztemperatur hat, stellte sich die Frage, ob dieses für den Kakaoanteil in 103

Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 8, Fn. 3. Schmidt, FS für Canaris, S. 1353, 1366; Rumpf, AcP 119, 1, 5; Jaensch, ZGS 2004, 134, 140. 105 In diesem Sinne auch Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2049; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 543, 548. 106 Das Beispiel orientiert sich an einer Anekdote über eine ehemalige Reichsschokoladenverordnung, welche wie Piekenbrock nachweist, jedoch fiktiv sein dürfte: „Mit der Rechtsquelle, in der sich unsere Geschichte vom Osterhasen, der wie ein Weihnachtsmann zu behandeln ist, finden soll, verhält es sich wie mit den beiden Protagonisten selbst: Keiner hat sie je gesehen. Bis sie doch jemand sieht, dürfen und müssen wir daher annehmen, dass es sie nicht gibt.“, vgl. Piekenbrock, Jura 2015, 336, 340. 104

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Kap. 1: Grundlagen

Schokoladenweihnachtsmännern und -osterhasen einzubeziehen wäre oder nicht. Hätte der Gesetzgeber sich für die erste Regelungsvariante entschieden, müsste der Begriff „Kakaoanteil“ sowohl in § X als auch in § Y jeweils mit Blick auf entsprechende Fälle (also in § X bezüglich von Schokoladenweihnachtsmänner und in § Y bezüglich Schokoladenosterhasen) ausgelegt werden. Hier wäre es möglich, dass die Auslegung sich mit Blick auf § Y (Schokoladenosterhasen) dahingehend entwickelt, dass das Ersatzprodukt nicht einzubeziehen ist, da die frühlingshaften Temperaturen um Ostern oftmals dazu führen, dass die Schokoladenosterhasen mit dem Ersatzprodukt schneller schmelzen. Mit Blick auf Auslegung von § X (Schokoladenweihnachtsmänner) hingegen lässt sich diese Argumentation wegen der grds. winterlichen Temperaturen um Weihnachten nicht übertragen, sodass sich hier die Interpretation dahingehend entwickeln mag, dass das Kakaoersatzprodukt hinsichtlich der Berechnung des Kakaoanteils einzuberechnen ist, da das Kakaoersatzprodukt chemisch weitestgehend wie Kakao ist. Eine derart differenzierende Interpretation hinsichtlich der Beurteilung des Begriffs Kakaogehalt ist in der zweiten Regelungsvariante nur mittels einer gespaltenen Auslegung möglich, die nur wegen der Temperaturunterschiede während der regelmäßen Verzehrzeiten wohl kaum in Betracht gezogen werden würde. Will der Gesetzgeber vermeiden, dass geringfügige Unterschiede, wie etwa die Temperaturen zur Zeit des Verzehrs von Schokoladenweihnachtsmännern und -osterhasen, zu einer unterschiedlichen Behandlung von diesen führen – soll also materielle Identität zwischen den Rechtsnormen für Schokoladenweihnachtsmänner und -osterhasen bestehen – wäre die zweite Regelungsvariante vorzugswürdig. Somit lässt sich feststellen, dass die formelle Identität wesentlich besser zur Gewährleistung der inhaltlichen Identität geeignet ist als die formelle Eigenständigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die formelle Identität in den Fällen, in denen die Wahrung der inhaltlichen Identität geboten ist, der formellen Eigenständigkeit grundsätzlich vorzuziehen.107 VII. Ausnahmen vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität 1. Grundsätzliche Ausnahme aus Praktikabilitätsgründen Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann aber aus Praktikabilitätsgründen geboten sein.108 Die Unterschiede der jeweiligen Regelungskomplexe können trotz des übereinstimmenden Regelungszusammenhangs sehr weitreichende Ab107

In diesem Sinne auch Müller-Graff, GPR 2009, 106, 110. Zum „Regelungswirrwarr“ als „Rechtssicherheitsproblem“ im Bereich des Verbraucherprivatrechts bereits Fischer, Widerrufsrecht, S. 6. 108

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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weichungen hinsichtlich des materiellen Regelungsgehalts rechtfertigen. Dementsprechend kann es Konstellationen geben, in denen die Ausnahmen von einem etwaigen gemeinsamen Rechtssatz in entsprechenden für die einzelnen Rechtsnormen geltenden Rechtssätzen so umfangreich sind, dass diese letztlich den Gehalt der eigentlichen Grundregel übersteigen.109 Dies kann zu einer nicht mehr durch die Gewährleistung materieller Identität gerechtfertigten Unübersichtlichkeit führen.110 Hierbei ist, wenngleich die Übersichtlichkeit als entscheidender Faktor dient, trotzdem nicht allein auf den Umfang im Sinne der Textmenge abzustellen, sondern auch die inhaltliche Übereinstimmung nach Schwerpunkten zu bewerten, denn formelle Identität soll schließlich die materielle Identität gewährleisten, welche umso schwerer wiegt, je mehr der Regelungskern der Materie betroffen ist. Mit anderen Worten ist im Hinblick auf die Ausnahmen vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität eine Abwägung zwischen der Menge an textlichen Abweichungen im Verhältnis zur inhaltlichen Gewichtung der übereinstimmenden Regelungen im konkreten Einzelfall vorzunehmen. 2. Besondere Ausnahme bei (teilweise) europarechtlich begründeten Regelungen Eine weitere Ausnahme kommt für Fälle in Betracht, in denen die betroffenen Regelungen zumindest teilweise der Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben dienen. Sofern es sich bei der europarechtlich begründeten Vorgabe um eine Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV handelt, ist dies selbstverständlich, denn die Herstellung von formeller Identität ist dem nationalen Gesetzgeber hier, da die Verordnung unmittelbare Geltung hat, nicht möglich.111 Aber auch in Konstellationen, in denen die europarechtlichen Vorgaben in Form von Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV erfolgen,112 kommt eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität in Betracht. Denn wie Schmidt-Kessel/Sorgenfrei anmerken, birgt eine zusammenfassende Umsetzung von derartigen Regelungen das erhebliche Risiko, dass diese den umzusetzenden europarechtlichen Richtlinien nicht gerecht wird.113 Daraus ziehen Schmidt-Kessel/Sorgenfrei den Schluss, dass, auch wenn die mangelnde Systematik von europarechtlichen „Pointillismus“ bestimmten Umsetzungsgesetzen in 109

Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 287. Fischer, Widerrufsrecht, S. 7 f. 111 Zur unmittelbaren Geltung von Richtlinien vgl. Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 97; zur Möglichkeit der Gewährleistung materielle Identität im Falle von Verordnungen durch den nationalen Gesetzgeber, vgl. Schnorbus, RabelsZ 2001, 655, 658. 112 Zur Wirkungsweise von Richtlinien Bach, JZ 1990, 1108. 113 Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 249. 110

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Kap. 1: Grundlagen

der Anwendung zusätzliche Fragen aufwerfen, die damit verbundene Unsicherheit eher hinzunehmen sei, als eine, die auf der möglichen Europarechtswidrigkeit der zusammenfassenden Norm beruhe.114 Dem lässt sich zunächst entgegenhalten, dass formelle Identität auch bei richtlinienrechtlicher Determiniertheit einer Regelung zweckmäßig ist, soweit zwischen der umzusetzenden Rechtsnorm und anderen Rechtsnormen materielle Identität gewährleistet werden soll.115 Allerdings besteht mit Blick auf die Richtlinienvorgaben die Besonderheit, dass ihr Regelungsinhalt oftmals bei der nationalen Umsetzung noch nicht vollständig erkennbar ist.116 Die daraus folgende besondere Dynamik des europäischen Rechts erschwert dem nationalen Gesetzgeber die vollständige Identifikation der Grundwertungen einer Richtlinienvorgabe bereits bei Erlass des Umsetzungsgesetzes.117 Häufig sind die hinter Richtlinienvorgaben stehenden Grundwertungen somit nicht eindeutig und werden erst im Rahmen einer Auslegung durch den EuGH präzisiert.118 Daher besteht in der Tat die Gefahr, dass der nationale Gesetzgeber der umzusetzenden Rechtsnorm fälschlicherweise eine Grundwertung zumisst, die diese nach Auslegung des EuGH jedoch nicht beinhaltet.119 Dementsprechend ist bei der Umsetzung von Richtlinienvorgaben nicht sicher, ob überhaupt materielle Identität zwischen den Regelungen besteht, die es durch formelle Identität zu gewährleisten gilt.120 Daraus jedoch zu schließen, dass in Fällen, in denen die Umsetzung von Richtlinien betroffen ist, der Vorrang der formellen Identität nicht gilt, ist gleichwohl verfehlt.121 Denn auch in Konstellationen mit europarechtlichem Einschlag gilt, wie oben dargestellt, grds. der Vorrang der materiellen Identität für in einem Regelungszusammenhang stehende Bestimmungen, um die Einheit der Rechtsord-

114

Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 249. Zur grds. Gebotenheit materiellen Identität zweier im Regelungskontext stehender Bestimmungen trotz teilweiser europarechtlicher Determiniertheit s. o., Kapitel 1, § 2 B.V. 116 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der EuGH annimmt, dass „jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts [. . .] im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts [. . .] und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen“ sei, EuGH Urt. v. 06.10.1982 – Rs. C-283/81, BeckEuRS 1982, 97970. Die daraus folgende besondere „Dynamik“ (Grundmann, JuS 2001, 529, 531) des europäischen Privatrechts erschwert dem nationalen Gesetzgeber die vollständige Identifikation der Grundwertungen einer Richtlinienvorgabe bereits bei Erlass des Umsetzungsgesetzes. 117 Grundmann, JuS 2001, 529, 531 ff. 118 Artz, FS für Müller-Graff, S. 167, 168 f.; näher zu den besonderen Auslegungsmethoden des EuGH: Bleckmann, NJW 1982, 1177. 119 Weiss, Widersprüche im deutschen Zivilrecht, S. 105. 120 Dies wird durch den von Heiderhoff diagnostizierten Mangel an Dogmatik im europäischen Recht noch verstärkt, Heiderhoff, ZJS 2008, 25, 26. 121 In diesem Sinne auch Pfeiffer, NJW 2012, 2609, 2612. 115

§ 2 Grundsätzliche Überlegungen zur Zweckmäßigkeit von Regelungen

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nung zu gewährleisten.122 Sofern also keine sachlichen Rechtfertigungsgründe bestehen, die eine materielle Eigenständigkeit der Regelungskomplexe begründen, ist auch hier soweit materielle Identität besteht, diese grds. mittels formeller Identität zu gewährleisten.123 Sofern Schmidt-Kessel/Sorgenfrei den in der Vergangenheit aufgetretenen Nachbesserungsbedarf, der mit der Integration des Verbraucherrechts in das BGB verbunden war, als Argument gegen die Vernetzung der Umsetzungsregelungen mit den übrigen Teilen des BGB anführen,124 verkennen sie, dass nicht die Vernetzung selbst die Ursache für den Nachbesserungsbedarf war, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Vernetzung in Bereichen erfolgt ist, in denen bei genauer Betrachtung keine materielle Identität zwischen den formell zusammenhängend geregelten Bestimmungen bestand.125 Ursache des Nachbesserungsbedarfs war also die bereits von Micklitz bemängelte unzureichende theoretische Durchdringung des Verbraucherrechts sowie dessen Verschränkungen mit dem BGB.126 Wie allerdings Gsell festgestellt hat, leistet eine getrennte Regelung von Rechtsmaterien einer isolierten Betrachtung erst recht Vorschub.127 Die Gefahr von Nachbesserungsbedarf wird durch formell eigenständige Regelungen dementsprechend nicht geringer sondern sogar größer – wenngleich die von der Nachbesserung betroffenen Gebiete zugegebenermaßen kleiner sein mögen.128 Eine besondere Ausnahme vom Vorrang der formellen Identität bei teilweise europarechtlich begründeten Regelungen ist dementsprechend nur anzuerkennen, sofern die europarechtlich begründeten Regelungen in Form einer Verordnung erfolgten. Hier ist die Herstellung von formeller Identität rein praktisch ausgeschlossen. Bei Richtlinien, die dem Gesetzgeber die Wahl der Form und Mittel der Umsetzung lassen, ist es dem Gesetzgeber uneingeschränkt möglich, formelle Identität für materiell identische Regelungskomplexe herzustellen. Und hier scheint eine entsprechende Regelung – insbesondere auch in Hinblick auf das als „fast schon chaotische Durcheinander“ 129, was vor der Schuldrechtsmodernisierung durch die isolierte Umsetzung des Verbraucherprivatrechts in verschiedenen Sondergesetzen bestand – auch uneingeschränkt zweckmäßig. 122

s. o. Kapitel 1, § 2 B.V. Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 73; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2050. 124 Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 249. 125 So auch Fischer, Widerrufsrecht, 8. 126 Micklitz, Architektur des Verbraucherprivatrechts, A9, 25 f., 117 These 1; in diesem Sinne auch Schreindorfer, Verbraucherschutz und Stellvertretung, 25. 127 Gsell, JZ 2012, 809, 813; so auch Fischer, Widerrufsrecht, 6 f.; so auch Pfeiffer, NJW 2012, 2609, 2612. 128 Artz, FS für Müller-Graff, S. 167, 169. 129 Fischer, Widerrufsrecht, S. 29 in Bezugnahme auf Palandt/Heinrichs, 60. Aufl., § 361a Rn. 3. 123

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Kap. 1: Grundlagen

Die besonderen Herausforderungen einer möglichst systemkonformen Inkorporierung europäischer Vorgaben in das nationale Recht – die zugegebenermaßen durch den nunmehr verfolgten Vollharmonisierungsansatz des Richtliniengebers noch gestiegen sind130 – rechtfertigen eine besondere Ausnahme vom Vorrang der formellen Identität gerade nicht.131

C. Zusammenfassung zu Teil 2 Gesetze dienen dem Ausgleich von widerstreitenden Interessen. Im Hinblick auf Gesetze ist die Rechtnorm vom Rechtssatz zu differenzieren. Soweit zwischen verschiedenen Rechtsnormen ein Regelungszusammenhang besteht ist zu vermuten, dass sie dieselben gesetzgeberischen Zwecke verfolgen. Sofern zwischen verschiedenen Rechtsnormen mit Regelungszusammenhang Unterschiede bestehen, die dazu führen, dass gesetzgeberische Zwecke kollidieren beziehungsweise nicht erreicht werden, ohne dass diese Beeinträchtigung sachbegründet wäre, liegt ein Wertungswiderspruch vor. Wertungswidersprüche sind auf gesetzgeberischer Ebene zu vermeiden, indem zwischen Rechtsnormen mit Regelungszusammenhang materielle Identität zu gewährleisten ist, soweit keine Sachgründe für inhaltliche Abweichungen bestehen. Das Erfordernis nach inhaltlicher Identität gebietet in der Regel auch eine Identität hinsichtlich des Rechtssatzes, die formelle Identität. Ausnahmen vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität sind jedoch insbesondere dann zu machen, wenn der Umfang der Abweichungen in textlicher Hinsicht im Vergleich zum inhaltlichen Gewicht des identischen Teils außer Verhältnis steht. Will man also für zwei Rechtsregime bestimmen ob eine gemeinsame oder eine getrennte Regelung regelungstechnisch zweckmäßiger ist (ob also zwischen ihnen formelle Identität oder formelle Eigenständigkeit bestehen soll), ist zunächst zu bestimmen, ob und wie weit materielle Identität zwischen ihnen geboten ist. Hierbei ist zunächst zu prüfen, ob die Rechtsregime übereinstimmende Zwecke verfolgen, was dann zu vermuten ist, wenn die Rechtsregime in einem Regelungszusammenhang stehen. Soweit die Gebotenheit der inhaltlichen Identität grundsätzlich bejaht wurde, sind anschließend Unterschiede zu identifizieren, durch die im Einzelnen materielle Eigenständigkeit sachlich gerechtfertigt wird. Diese Bereiche sind denjenigen gegenüberzustellen, in denen keine Ausnahme von der materiellen Identität gerechtfertigt ist. Die beiden Bereiche sind dabei hinsichtlich ihres Umfangs und unter Berücksichtigung ihres inhaltlichen Gewichts zu beurteilen. Aus dieser Beurteilung lässt sich dann die regelungstechnische Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen Regelung im Vergleich zur getrennten Regelung schließen. 130 131

In diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 303. Fischer, Widerrufsrecht, S. 6.

Kapitel 2

Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf § 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktritts- und Widerrufsfolgen Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen muss mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit zunächst untersucht werden, ob und wieweit zwischen den Rechtsfolgen des Rücktritts und denen des Widerrufs materielle Identität geboten ist. Die materielle Identität der Rücktritts- und Widerrufsfolgen ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dann und soweit erforderlich, wie die Regelungskomplexe übereinstimmende Zwecke verfolgen und sie keine Unterschiede aufweisen, durch die sich voneinander abweichende Grundwertungen rechtfertigen lassen. Erforderlich ist insoweit die Rücktritts- und Widerrufsfolgen als Teil der jeweiligen Gesamtsysteme des Rücktritts und des Widerrufs zu betrachten, da gesetzliche Einzelvorschriften, wie Wendt es formuliert „in aller Regel in einem Sinn- und Funktionszusammenhang mit anderen Regelungselementen stehen, lediglich Teile komplexer Regelungssysteme sind und sich deshalb nur aus diesem spezifischen System- und Funktionszusammenhang begreifen lassen“.1 Dass das Rücktritts- und Widerrufsfolgenregime übereinstimmende Zwecke verfolgt, ist dann zu vermuten, wenn sie einen übereinstimmenden Regelungszusammenhang aufweisen, wovon wiederum auszugehen ist, wenn sie auf vergleichbare Interessenkonflikte reagieren. Sofern dies der Fall ist, gilt es im Anschluss zu überprüfen, ob im Einzelnen Umstände bestehen, nach denen sich konkrete Unterschiede rechtfertigen (hierzu dann §§ 4–8). Im Folgenden soll dementsprechend zunächst überprüft werden, ob zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht ein übereinstimmender Regelungszusammenhang besteht. Als Rechtsfolgen des Rücktritts- bzw. Widerrufsrechts handelt es sich bei den hier zu untersuchenden Regelungen um das Ergebnis der Abwägung der sich beim Rücktritt resp. Widerruf jeweils gegenüberstehenden Interessen. Zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgen ist somit eine übereinstimmende Zwecksetzung zu vermuten, wenn die Rechtsinstitute Rücktritt und 1

Wendt, NVwZ 1988, 776, 783.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Widerruf in grundsätzlich gleicher Weise auf denselben Interessenkonflikt reagieren. Zur Bestimmung einer etwaigen übereinstimmenden Zwecksetzung bei den Rücktritts- und Widerrufsfolgen sollen deshalb zunächst die Rechtsinstitute des Rücktritts (A.) und des Widerrufs (B.) kurz dargestellt werden. Im Anschluss daran wird unter C. aufgezeigt, dass beide Rechtsinstitute in grundsätzlich gleicher Weise auf denselben Interessenkonflikt reagieren, sie mithin in einem Regelungszusammenhang stehen, und dementsprechend auch eine übereinstimmende Zwecksetzung zu vermuten ist.

A. Der Rücktritt Die Geschichte des Rücktritts geht zurück auf das klassische römische Recht. Zunächst wurde angenommen, dass ein Vertrag zwischen zwei Parteien nur durch eine entsprechende Vereinbarung der Parteien wieder beseitigt werden könne.2 Es konnte aber auch schon beim Abschluss des Vertrags eine Vereinbarung getroffen werden, die eine Vertragsauflösung in bestimmten Fällen ermöglichte. Bei derartigen Vereinbarungen, den sogenannten pacta adjecta,3 handelte es sich um „mit dem Vertrag verbundene Nebenverträge“ 4, die sich danach unterschieden, wer sich aus welchem Grund vom Vertrag lösen können sollte. Während etwa die „in diem addictio“ dem Verkäufer die Möglichkeit einräumte sich vom Kaufvertrag zu lösen, wenn ihm ein besseres Angebot über die Kaufsache unterbreitet wurde,5 konnte er bei Zahlungsverzug des Käufers durch die „lex commissoria“ die vertragliche Bindung beseitigen.6 Schließlich wurde dem Käufer mitunter das Recht gewährt, sich vom Vertrag zu lösen, sofern die Ware ihm nicht zusagte. Hierzu nutzten die Parteien den „pactum displicentiae“.7 Aber auch für Fälle, in denen keine ursprüngliche Vereinbarung der Parteien eine Lösung vom Vertrag erlaubte, entstand bereits im römischen Recht eine entsprechende Möglichkeit den Vertragsschluss und seine Folgen aus der Welt zu schaffen: die actio redhibitoria, welche sich aus einem Edikt der römischen Marktaufsicht, den kurulischen Adilen, entwickelte, gestattete es dem Käufer eines entgegen der Verkäufererklärung kranken oder fluchtgefährdeten Sklaven, durch eine Klage die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands von vor dem Vertragsschluss zu verlangen. Entsprechendes galt auch für den Viehkauf. In den Fällen der actio redhibitoria war die Rückzahlung des Kaufpreises jedoch 2 3 4 5 6 7

Flessner, ZEuP 1997, 255, 262. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 16. Kaiser, Rückabwicklung, S. 13. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 16. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 16. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 16.

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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von der Rückgabe der Kaufsache abhängig und der Käufer diesbezüglich vorleistungspflichtig. Im Laufe der Zeit hat sich aus diesen Grundlagen das heutige Rücktrittsrecht entwickelt, welches im Grunde noch immer von zweiseitigen Verträgen ausgeht.8 Zwar lassen sich die folgenden Ausführungen zum Rücktrittsrecht im Wesentlichen auch auf mehrseitige Verträge übertragen,9 um aber den Umfang der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, soll darauf verzichtet werden im Einzelnen auf die Besonderheiten bei mehrseitige Verträge einzugehen. Vielmehr wird, dem gesetzlichen Leitbild entsprechend lediglich auf Zwei-Personen-Verhältnisse abgestellt. Die Regelung zum Rücktritt findet sich im deutschen Recht in § 346 ff. BGB, wobei § 346 BGB die zentrale Vorschrift darstellt.10 Demnach ist Voraussetzung des Rücktritts zunächst ein vertraglich vereinbartes oder ein gesetzliches Rücktrittsrecht sowie eine Rücktrittserklärung. In Hinblick auf die gesetzlichen Rücktrittsrechte enthält das BGB an verschiedenen Stellen Bestimmungen. So finden sich gesetzliche Rücktrittsrechte in §§ 313, 321 Abs. 2, 323, 324, 326 Abs. 5, 438, 651a Abs. 5 S. 2 BGB und §§ 375 Abs. 2, 376 HGB. Nach § 313 BGB besteht die Möglichkeit zum Rücktritt in den Fällen der Störung der Geschäftsgrundlage, sofern eine vorrangige Vertragsanpassung nicht möglich oder einem Vertragsteil nicht zumutbar ist.11 Die §§ 321 Abs. 2, 323, 324 und 326 Abs. 5, 651a Abs. 5 S. 2 BGB, 375 Abs. 2, 376 HGB regeln spezielle Rücktrittmöglichkeiten bei Störungen in gegenseitigen Verträgen. In § 321 Abs. 2 BGB wird dem vorleistungspflichtigen Vertragspartner die Möglichkeit eröffnet, vom Vertrag zurücktreten, sofern nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird und er dem anderen Teil eine angemessene Frist zum Leistungsaustausch Zug-um-Zug oder zur Sicherheitsleistung gesetzt hat, welche erfolglos abgelaufen ist.12 Gemäß § 323 BGB steht dem Gläubiger – in der Regel nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Frist – ein Rücktrittsrecht in den Fällen zu, in denen der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht hat.13 In § 324 BGB wird dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht gewährt, sofern der Schuldner eine Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt und dem Gläubiger deswegen ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann.14 § 326 statuiert ein Rücktrittsrecht des Gläubigers, sofern der 8

Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 633. Vgl. auch Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 633. 10 Schwab, JuS 2002, 630, 630. 11 Hierzu im Einzelnen u. Kapitel 2, § 5, H. 12 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, D. 13 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, A. 14 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, B. 9

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Schuldner von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB befreit ist.15 § 438 Abs. 4 S. 3 BGB beinhaltet ein besonderes Rücktrittsrecht für Verkäufer in den Fällen, in denen der Käufer die Kaufpreiszahlung nach § 438 Abs. 4 S. 2 BGB verweigert.16 Nach § 651a Abs. 5 S. 2 BGB kann der Reisende bei wesentlichen Erhöhungen des Reisepreises oder Änderungen der Reiseleistung vom Reisevertrag zurücktreten.17 Gem. § 375 Abs. 2 HGB kann der Verkäufer eines Spezifikationskaufs vom Vertrag zurücktreten, wenn der Käufer mit der Spezifikation in Verzug ist.18 Nach § 376 HGB ist der Käufer im Falle eines Fixhandelskaufs zum Rücktritt berechtigt, sofern der Verkäufer mit der Leistung in Verzug ist.19 Modifikationen in Bezug auf das Rücktrittsrecht finden sich in §§ 440, 636, 508 S. 2 BGB.20 Was die vertragliche Vereinbarung eines Rücktrittsrechts betrifft – auch als Rücktrittsvorbehalt bezeichnet – kann diese ausdrücklich oder konkludent erfolgen.21 Die Ausgestaltung des Rücktrittsrechts steht den Parteien frei, sodass es auch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden kann. Durch das bloße Bestehen des Rücktrittsrechts – sei es ein gesetzliches, sei es ein vertragliches – entsteht eine Schwebelage.22 Der Rücktrittsberechtigte kann nach seiner Wahl weiter am Vertrag festhalten oder den Rücktritt erklären. Hält er zunächst am Vertrag fest, schließt dies das Rücktrittsrecht nicht aus.23 Was die Rücktrittserklärung, also die Ausübung des Rücktrittsrechts angeht, so bestimmt § 349 BGB, dass eine Erklärung gegenüber dem Rücktrittsgegner erforderlich ist. Es handelt sich bei der Rücktrittserklärung demnach um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, bei der eine Mitwirkung des Rücktrittsgegners nicht erforderlich ist.24 Die Rechtsfolgen bestimmen sich wiederum nach § 346 BGB. Die Tatsache, dass der Rücktritt die vertraglichen Leistungspflichten zum Erlöschen bringt wurde im Gesetzgebungsverfahren als so selbstverständlich angesehen, dass eine ausdrückliche Regelung nicht ins Gesetz aufgenommen wurde.25 Nach § 346 Abs. 1 BGB sind zunächst die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren, sowie die gezogenen Nutzungen herauszugeben. § 346 Abs. 2 15

Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, C. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, E. 17 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, I. 18 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, G. 19 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, A.II.2. 20 Hierzu näher u. Kapitel 2, § 5, A.II.4.,5.,6., F. 21 Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 1. 22 Kleine/Scholl, NJW 2006, 3462, 3462. 23 Der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung und dessen Sekundäransprüche stehen hierbei im Verhältnis einer elektiven Konkurrenz, BGH, Urt. v. 20.01.2006 – V ZR 124/ 05, NJW 2006, 1198, 1199. 24 Staudinger/Kaiser, § 349 BGB Rn. 1. 25 BT-Drucks. 14/6040, S. 194; siehe auch unten, III. 1. 16

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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und 3 BGB treffen Regelungen für die Fälle, in denen die empfangenen Leistungen oder Nutzungen nicht (mehr) zurück- bzw. herausgegeben werden können. Nach § 346 Abs. 4 kann der Gläubiger des Rückgewähr- bzw. Herausgabeanspruchs bei dessen Verletzung Schadensersatz nach § 280 ff. BGB geltend machen. § 347 BGB verpflichtet die Parteien darüber hinaus grundsätzlich zum Ersatz von schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen und gewährt ihnen andererseits mitunter einen Anspruch auf Ersatz von für die Sache gemachten Verwendungen und Aufwendungen.

B. Der Widerruf Der Widerruf ist im Vergleich zum Rücktritt ein relativ junges Rechtsinstitut.26 Gleichwohl gehen seine Wurzeln zurück bis in die 1960er Jahre, in denen § 11 des neu geschaffenen AuslInvestmG27 und § 23 des neu gefassten KAGG28 ein Widerrufsrecht für Privatpersonen vorsah, die durch mündliche Verhandlungen außerhalb der ständigen Geschäftsräume eines Verkäufers bzw. Vermittlers von diesem zum Kauf von entsprechenden Finanzinstrumenten bestimmt worden sind.29 Darauf folgte die Einführung des § 1b AbzG durch das 2. Änderungsgesetz30 aus dem Jahr 1974, in dessen Anwendungsbereich eine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des Käufers erst wirksam wurde, wenn der Käufer sie nicht dem Verkäufer gegenüber binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerrief.31 Es folgten weitere sondergesetzliche Widerrufsrechte,32 die mit Inkrafttreten des „Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro“ am 30.6.2000 in Gestalt der §§ 361a, b BGB a. F. den Kernbestand des deutschen Privatrechts erreicht haben.33 Heute findet sich die zentrale Vorschrift zum Widerruf in § 355 BGB,34 der vorsieht, dass ein Verbraucher (§ 13 BGB), dem ein Widerrufsrecht zusteht, nicht mehr an seine auf den Abschluss eines Vertrags gerichtete Willenserklärung gebunden ist, sofern er fristgerecht den Widerruf erklärt hat. Wie § 346 BGB ist 26

Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 21 Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (AuslInvestmG) vom 28.7.1969 (BGBl. I S. 986). 28 Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) vom 14.1.1970 (BGBl. I 127). 29 Reiner, AcP 2003, 1, 3; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 4. 30 Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes vom 15.5.1974 (BGBl. I, S. 1169). 31 Petermann, Rpfleger 1974, 281; Löwe, NJW 1974, 2257. 32 Zur Geschichte des Widerrufsrechts: Eidenmüller, AcP 2010, 67, 68. 33 Reiner, AcP 2003, 1, 2. 34 Erman/Koch, Vor § 355 BGB Rn. 2. 27

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

§ 355 BGB ist eine Blankettvorschrift, die ein bestehendes Lösungsrecht voraussetzt.35 Ein solches Widerrufsrecht steht unter anderem nach § 312g BGB regelmäßig einem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen zu. Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag liegt entsprechend § 312b BGB dann vor, wenn der Vertragsschluss oder die auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer (§ 14 BGB) bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers erfolgt.36 Ein Fernabsatzvertrag ist nach § 312c BGB im Wesentlichen ein Vertrag, den ein Unternehmer und ein Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen haben.37 Des Weiteren steht dem Darlehensnehmer nach § 495 BGB ein Widerrufsrecht bei Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags zu, was gem. § 506 BGB auch für die dort beschriebenen entgeltlichen Finanzierungshilfen entsprechend gilt.38 Nach § 510 Abs. 2 BGB steht einem Verbraucher auch bei Ratenlieferungsverträgen im Sinne des § 510 Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zu.39 §§ 514, 515 BGB räumen Verbrauchern zudem Widerrufsrechte für unentgeltliche Darlehensverträge sowie unentgeltliche Finanzierungshilfen ein. Bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen (§ 481 BGB), Verträgen über ein langfristiges Urlaubsprodukt (§ 481a BGB), Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen (§ 481b BGB) hat ein Verbraucher ebenfalls ein Widerrufsrecht, wie sich aus § 485 BGB ergibt.40 Ein Widerrufsrecht besteht ferner bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen i. S. d. §§ 514, 515 BGB.41 Außerhalb des BGB wird etwa nach § 4 Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) dem Teilnehmer bei Abschluss eines Fernunterrichtsvertrags i. S. d. § 1 FernUSG ein Widerrufsrecht gewährt.42 Die Ausübung des Widerrufs erfolgt durch eine Erklärung des Verbrauchers an den Unternehmer, aus welcher der Entschluss zum Widerruf eindeutig hervorzugehen hat.43 Nach teileweise vertretener Auffassung soll allerdings bereits die bloße Rücksendung empfangener Ware eine ausreichend eindeutige Erklärung darstellen.44 Dies ist jedoch mit der wohl herrschenden Meinung abzulehnen,45 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Fischer, Widerrufsrecht, 98 f. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, A. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, B. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, C. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, D. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, F. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, E. Hierzu näher u. Kapitel 2, § 6, G. § 355 Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB. Hoffmann/Schneider, NJW 2015, 2529. Statt vieler Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 545.

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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da diese Ansicht verkennt, dass die Eindeutigkeit der Widerrufserklärung gerade erfordert, dass der Unternehmer nicht im Unklaren darüber bleibt, ob der Vertrag fortbesteht oder nicht. Wie Hoffmann/Schneider feststellen, kann in der kommentarlosen Rücksendung der Ware auch ein anderer Erklärungsgehalt, wie etwa ein Nacherfüllungsverlangen liegen46 – was übrigens selbst bei originalverpackter Ware wegen einer (vermeintlichen) Aliudlieferung in Betracht kommen kann. Die Tatsache, dass ein entsprechendes Nacherfüllungsverlangen bei bloßer Zusendung der Ware unwirksam wäre, ändert jedoch entgegen der Ansicht von Hoffmann/Schneider nichts daran, dass der Unternehmer durch die bloße Rücksendung der Ware noch nicht weiß, ob der Verbraucher an dem Vertrag festhalten will oder nicht. Auch wenn das Nacherfüllungsverlangen unwirksam wäre, bedeutet die Warenrücksendung hier jedenfalls nicht, dass der Verbraucher sich vom Vertrag mittels Widerruf lösen möchte. Die bloße Rücksendung der Ware als Widerrufserklärung ausreichen zu lassen würde dem Unternehmer dementsprechend ein Interpretationsrisiko aufzuerlegen, von dem ihm die Regelung gerade befreien soll. Die Widerrufserklärung bedarf jedenfalls weder einer Begründung (§ 355 Abs. 1 S. 3 BGB),47 noch einer bestimmten Form.48 Damit der Widerruf wirksam ist, muss er jedoch fristgerecht erklärt werden (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB).49 In der Regel beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage ab Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 BGB).50 Für die Fristmäßigkeit der Erklärung ist die rechtzeitige Absendung allerdings ausreichend (§ 355 Abs. 1 S. 5 BGB).51 § 355 Abs. 1 BGB bestimmt, dass die Vertragsbindung der Parteien im Falle des wirksamen Widerrufs entfällt. Nach § 355 Abs. 3 BGB sind zudem die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren. Weitere Einzelheiten hinsichtlich der Rechtsfolgen sind für die speziellen Widerrufsgründe in den § 357 ff. BGB geregelt. Der überwiegende Teil der Widerrufsrechte dient der Umsetzung von entsprechenden europäischen Richtlinien. Die Regelungen zum Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen aus § 312g i.V. m. § 312b resp. § 312c BGB und dessen Rechtsfolgen dienen etwa im Wesentlichen der Umsetzung der sogenannten Verbraucherrechterichtlinie 52 (VR-RiL).53 Sofern das 46

Hoffmann/Schneider, NJW 2015, 2529, 2532. MünchKommBGB/Fritsche, § 355 Rn. 41. 48 Förster, JA 2014, 801, 801. 49 MünchKommBGB/Fritsche, § 355 Rn. 46 ff. 50 MünchKommBGB/Fritsche, § 355 Rn. 46. 51 MünchKommBGB/Fritsche, § 355 Rn. 48. 52 Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher. 53 Zur Zulässigkeit der über den Verbraucherbegriff der Richtlinie hinausgehenden Legaldefinition des § 13 BGB Unger, ZEuP 2012, 270, 276. 47

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften Finanzdienstleistungen betrifft, dient es und seine Rechtsfolgenregelungen der Umsetzung der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen54 (FernabsatzFinanz-RiL). Das Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen55 und seine Rechtsfolgen dienen der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie 56 (VK-RiL).57 Das Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen hat seinen Ursprung in der Teilzeitwohnrechterichtlinie 58 (TzWR-RiL).

C. Übereinstimmung der sich gegenüberstehenden Interessen hinsichtlich der Rücktritts- und Widerrufsfolgen Die Beantwortung der Frage, ob zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgen ein Regelungszusammenhang besteht, hängt davon ab, ob die Interessenlage – also die sich jeweils gegenüberstehenden Interessen und ihre gesetzgeberische Bewertung – beim Rücktritt und Widerruf im Wesentlichen übereinstimmen. Denn als Rechtsfolgen der Rechtsinstitute Rücktritt und Widerruf sind die Rückabwicklungsregime das Ergebnis der den Rechtsinstituten zugrunde liegenden gesetzgeberischen Bewertung der kollidierenden Interessen.59 Ausgangspunkt für die Bestimmung der Interessenlage beim Rücktritt und Widerruf ist wiederum der Vertragsschluss. Schließen Parteien einen Vertrag, so tun sie nichts anderes, als sich ein bestimmtes Verhalten zuzusichern.60 Diese Zusicherung hat grds. nur dann einen Sinn, wenn sich die Vertragsparteien darauf verlassen können, dass die jeweils andere Partei sich an ihre Zusicherung hält.61 Können sich die Parteien einseitig 54 Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher. 55 Der Begriff des Kredits wird im BGB nicht verwendet und soll hier im Sinne der Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge) als Oberbegriff für entgeltliche Darlehensverträge und Finanzierungshilfen zwischen Unternehmern und Verbrauchern verstanden werden; zum Kreditbegriff auch Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, Einf. Rn. 41; Schnauder, WM 2014, 783, 786; Bülow, NJW 2002, 1145, 1146. 56 Vgl. Kap. 2, Fn. 55. 57 Ein Widerrufsrecht räumte das deutsche Recht Verbrauchern bei Verbraucherkreditverträgen allerdings bereits ein, bevor entsprechende Vorgabe durch das europäische Recht bestanden. Während in Deutschland eine entsprechende Regelung bereits zu Zeiten des AbzG bestanden (s. o., Kapitel 2, § 3 B.), kannte etwa die erste Verbraucherkreditrichtlinie des Rates (87/102/EWG) ein solches Widerrufsrecht noch nicht, Bülow/ Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, Einf. Rn. 4. 58 Richtlinie 2008/122/EG über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen. 59 In diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 435 f. 60 Stoll, AcP 136, 257, 287 f. 61 Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 1.

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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und ohne Konsequenzen wieder von dem Vertrag lösen, so hat deren Zusicherung (und damit der Vertrag) für gewöhnlich keinen Wert für die jeweils andere Partei.62 Ohne die die Fähigkeit aller Beteiligten, sich bindend auf ein in die Zukunft gerichtetes Verhaltensprogramm festzulegen, fänden allerdings, wie Eidenmüller feststellt, „jedenfalls komplexe Transaktionen überwiegend nicht statt [und] Austauschgeschäfte würden sich zumeist auf allseits sofort erfüllte Verträge beschränken“.63 Dem trägt der Grundsatz „pacta sunt servanda“ Rechnung64: Verträge sind, sofern sie erst einmal wirksam geschlossen wurden, in der Regel einzuhalten.65 Als normativer Ausfluss des Grundsatzes pacta sunt servanda entsteht durch die Vereinbarung nach § 311 BGB ein entsprechendes Schuldverhältnis zwischen den Parteien, wodurch die Durchführung der Vereinbarung sichergestellt wird.66 Denn kraft dieses Schuldverhältnisses können die Parteien die vereinbarten Leistungen nach § 241 Abs. 1 S. 1 BGB von Rechts wegen verlangen.67 Dadurch ist das vertraglich versprochene Verhalten in Form eines Anspruchs mit rechtlichen Mitteln durchsetzbar.68 Die Vertragsparteien sind so an ihre auf den Vertragsschluss gerichteten Erklärungen gebunden.69 Zwar ist es den Parteien, als Teil der Privatautonomie, jederzeit möglich diese Bindungswirkung gemeinsam, durch eine entsprechende Vereinbarung, wieder zu beseitigen oder ihren Inhalt abzuändern,70 jedoch kann dies grundsätzlich nicht einseitig geschehen.71 Hinsichtlich der Parteiinteressen beim Vertragsschluss gilt also folgendes: Im Allgemeinen werden die Parteien nur dann einen Vertrag schließen, wenn sie auch ein Interesse an dessen Durchführung haben.72 In diesen Fällen bedürfte es hinsichtlich der Bindungswirkung von Verträgen keiner rechtlichen Regelungen. Die Vertragsparteien erfüllen ihre vertragliche zugesicherte Pflicht, weil sie ein eigenes Interesse an der Vertragsdurchführung haben – das in der Regel (nämlich

62 Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 105; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 2; vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 7; Unberath, Vertragsverletzung, S. 360. 63 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 67 64 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 1; Unberath, Vertragsverletzung, S. 360; Canaris, AcP 2000, 273, 279; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 1. 65 Dass das deutsche Recht vom Grundsatz pacta sunt servanda ausgeht, steht auch ohne eine ausdrückliche privatrechtliche Verankerung außer Frage, Lorenz, in: Schulze/ Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 329 f. 66 Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 4. 67 Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 4; Münch, Jura 2002, 361, 361. 68 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 7. 69 Unberath, Vertragsverletzung, S. 360. 70 Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 5. 71 Michalski, JA 1979, 401, 402; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 176 ff. 72 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1136; Büdenbender, AcP 2000, 627, 653.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

bei gegenseitigen Verträgen) aus dem Interesse an der Gegenleistung folgt.73 Aber auch sofern beide Parteien das Interesse an der Vertragsdurchführung verloren haben, ist eine gesetzliche Regelung für gewöhnlich entbehrlich: Die Vertragsparteien können ihre vertraglichen Pflichten vielmehr durch einen Aufhebungsvertrag wieder beseitigen.74 Einer gesetzlichen Regelung bedarf es grds. also nur dann, wenn eine Partei sich von ihrer vertraglichen Bindung lösen möchte und die andere Partei nicht zu einer Aufhebung des Vertrags bereit ist. Der Grundsatz pacta sunt servanda reagiert also auf den folgenden Interessenkonflikt: Nach dem Vertragsschluss steht auf der einen Seite das Interesse einer Partei, den Vertrag (wie vereinbart) durchzuführen:75 Dieses Interesse soll im Folgenden als Bestandsinteresse76 bezeichnet werden. Im Konflikt damit steht allerdings das Interesse der anderen Partei, sich von der eigenen vertraglichen Verpflichtung wieder zu lösen.77 Dieses Interesse soll im Folgenden als Lösungsinteresse78 bezeichnet werden. Den Konflikt zwischen dem Lösungsinteresse und dem Bestandsinteresse löst das Gesetz in der Regel zugunsten des Bestandsinteresses. Dem Grundsatz pacta sunt servanda liegt also die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass das Bestandsinteresse i. d. R. das Lösungsinteresse überwiegt.79 Voraussetzungen des Rücktritts sind nach seiner heutigen Ausgestaltung neben dem Bestehen eines Rücktrittsrechts auch die ordnungsgemäße Rücktrittserklärung.80 Beim Rücktritt handelt es sich um ein Gestaltungsrecht.81 Das bloße Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eines Rücktrittsrechts hat noch keine Auswirkungen auf den Vertrag. Vielmehr gibt das Rücktrittsrecht dem Rücktrittsberechtigten die Möglichkeit durch eine ordnungsgemäße Rücktrittserklärung die vertraglichen Leistungspflichten erlöschen zu lassen.82 Er kann also sein vertragliches Versprechen wieder beseitigen ohne hierzu auf die Mitwirkung der anderen Partei angewiesen zu sein.83 Auch hier gilt, dass – sofern die Parteien kein Interesse am vertraglich Versprochenen haben – ein gemeinsamer Aufhebungs73 Flessner, ZEuP 1997, 255, 260; dies gilt auch für mehrseitige Austauschverträge, Pfister, JZ 1971, 284, 284. 74 Unberath, Vertragsverletzung, S. 364; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 1. 75 Flessner, ZEuP 1997, 255, 265. 76 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 38. 77 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1. 78 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 39. 79 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1. 80 Gaier, WM 2002, 1, 2. 81 Gaier, WM 2002, 1, 2. 82 Annuss, JA 2006, 184, 185; Gaier, WM 2002, 1, 2; Derleder, NJW 2005, 2481, 2483. 83 Büdenbender, AcP 2000, 627, 631.

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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vertrag zur Beseitigung der Leistungspflichten möglich ist und es einer gesetzlichen Regelung insofern grds. nicht bedürfte. Sofern die Parteien weiterhin am Vertrag festhalten wollen, führen sie den Vertrag wie vereinbart aus. Da das bloße Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen noch keine Auswirkungen auf den Vertrag hat, sondern es hierzu auch einer entsprechenden Rücktrittserklärung des Rücktrittsberechtigten bedarf, ist die weitere Vertragsdurchführung auch in den Fällen, in denen die Rücktrittsvoraussetzungen vorliegen, ohne Weiteres möglich. Insofern gewährleistet die Ausformung als Gestaltungsrecht, dass dem Erklärungsberechtigten keine „Rechtswohltaten“ aufgedrängt werden.84 Dies entspricht dem Grundsatz der Privatautonomie, der auf der Überlegung gründet, dass die Parteien selbst die besten Hüter ihrer Interessen sind.85 Die Regelung zum Rücktritt reagiert jedenfalls wie der Grundsatz pacta sunt servanda nur auf solche Fälle, in denen eine Partei am Vertrag festhalten will, die andere allerdings ein Interesse daran hat, sich vom Vertrag zu lösen. Auch hier stehen sich also Bestandsinteresse und Lösungsinteresse gegenüber. Jedoch gibt das Rücktrittsrecht – anders als es nach dem Grundsatz pacta sunt servanda der Fall ist – dem Lösungsinteresse den Vorzug. Beim Rücktritt handelt es sich also, wie bereits aus den historischen Ursprüngen des Rücktritts deutlich wird,86 um eine Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda,87 ohne dass sich die einander gegenüberstehenden Interessen in beiden Fällen grundsätzlich unterscheiden.88 Abweichungen bestehen lediglich hinsichtlich der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – während in der Regel das Bestandsinteresse der einen Partei überwiegt und deshalb der Grundsatz pacta sunt servanda gilt, überwiegt in den Ausnahmefällen des Rücktritts das Lösungsinteresse der anderen Partei89. Als Rechtsfolge des Widerrufs nennt § 355 Abs. 1 S. 1 BGB, dass die Parteien an ihre auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden sind.90 Wie soeben dargestellt, bindet der Vertragsschluss in Form der rechtlichen Durchsetzbarkeit die Vertragsparteien an ihr Versprechen.91 Eine Bindung an die eigene Willenserklärung ist aber gem. § 145 BGB auch bereits vor dem Vertragsschluss möglich.92 Denn § 145 BGB verlegt die Bindungswirkung

84

Unberath/Cziupka, JZ 2008, 867, 868. Unberath/Cziupka, JZ 2008, 867, 868. 86 Hierzu § 3 A. 87 Unberath, Vertragsverletzung, S. 370; so auch ausdrücklich für den Rücktritt nach § 323 ff. BGB BT-Drucks. 14/6040, S. 180. 88 Der Gesetzgeber bezeichnet das Rücktrittsrecht insoweit als ein rechtstechnisches Instrument „zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Vertragstreue und Notwendigkeit der Auflösung wegen gravierender Störungen“ BT-Drucks. 14/6040 S. 181. 89 BT-Drucks. 14/6040 S. 180. 90 Zur Wirkung des Rücktritts im Einzelnen, vgl. u. III.1. 91 s. o., Kap. 2, Fn. 67. 92 Fischer, Widerrufsrecht, S. 153 ff. 85

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

des Grundsatzes pacta sunt servanda weiter vor, indem eine Partei regelmäßig auch bereits an ihr Angebot gebunden ist.93 Dies hat zur Folge, dass das Angebot vom Antragenden innerhalb der Antragsfrist, bis zum Erlöschen des Antrags, nicht mehr zurückgenommen oder abgeändert werden kann.94 Es kommt also ein Vertrag mit entsprechendem Inhalt zustande, sofern der Antragsempfänger das Angebot fristgerecht annimmt.95 In beiden Konstellationen – also im Falle eines bereits geschlossenen Vertrags wie auch im Falle eines bindenden Antrags – soll die Bindungswirkung jedoch entfallen, wenn ein Widerrufsberechtigter den Vertrag durch eine entsprechende Widerrufserklärung gegenüber seinem Vertragspartner widerruft;96 eine Mitwirkung des Vertragspartners bedarf es auch hierbei nicht. Das Widerrufsrecht gewährt also ein Lösungsrecht in Form eines Gestaltungsrechts.97 Das bereits zum Rücktrittsrecht Ausgeführte lässt sich somit entsprechend übertragen: Sofern beide Parteien das Interesse am Vertrag verloren haben, stünde ihnen die Möglichkeit zur Beseitigung der Leistungspflichten durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags offen. Sofern beide am Vertrag festhalten wollen, können die Vertragsparteien den Vertrag wie vereinbart durchführen. Auch das bloße Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen hat keine Auswirkungen auf die vertragliche Bindung, es bedarf zudem einer Widerrufserklärung durch den Widerrufsberechtigten. Die Ausformung als Gestaltungsrecht soll auch hier verhindern, dass dem Erklärungsberechtigten „Rechtswohltaten“ aufgedrängt werden.98 Auch der Widerruf reagiert also auf solche Fälle, in denen das Lösungsinteresse der einen Partei dem Bestandsinteresse der anderen Partei gegenübersteht. Dabei eröffnet das Widerrufsrecht der berechtigten Vertragspartei eine Option – sie kann sich vom Vertrag lösen, muss es aber nicht.99 Hierbei folgt aus der gesetzlichen Regelung des Widerrufs, nämlich der Beseitigung der Bindungswirkung, dass der Gesetzgeber unter den genannten Voraussetzungen das Lösungsinteresse der einen Partei gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Partei für überwiegend erachtet. Dementsprechend handelt es sich auch beim Widerruf um eine Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda.100 Auch hier sind die sich gegenüberstehenden Interessen in beiden Fällen gleich, lediglich die Gewichtung erfolgt

93

Staudinger-Eckpfeiler/Schiemann, C Rn. 69. Jauernig/Jauernig, § 145 BGB Rn. 4; Fischer, Widerrufsrecht, S. 182. 95 Staudinger/Bork, § 145 BGB Rn. 21. 96 Fischer, Widerrufsrecht, S. 214. 97 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 93; Lettl, JA 2010, 694, 695. 98 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 492. 99 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 71. 100 BGH, Urt. v. 22.05.2012 – II ZR 88/11, BeckRS 2012, 16122, Rn. 16; Mattheus, JuS 2002, 209, 133; Eidenmüller, AcP 2010, 67, 102; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 151; von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1364; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 4. 94

§ 3 Grundsätzliche Gebotenheit materieller Identität der Rücktrittsfolgen

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in den Widerrufsfällen, abweichend vom Grundsatz, zugunsten des Lösungsinteresses. Rücktritt und Widerruf dienen grds. der Rückgängigmachung eines wirksam zustande gekommenen Vertrags durch einseitige Erklärung einer Partei auf Grund einer entsprechenden Befugnis.101 Es lässt sich also festhalten, dass es sich sowohl beim Rücktritt als auch beim Widerruf um Ausnahmen vom Grundsatz pacta sunt servanda handelt. Beide Rechtsinstitute stellen Reaktionen auf einen objektivierten Interessenkonflikt zwischen dem Bestandsinteresse einer Partei und dem Lösungsinteresse der anderen Partei dar, bei dem anders als im Regelfall, in denen der Grundsatz pacta sunt servanda gilt, nicht zugunsten der Partei mit dem Bestandsinteresse, sondern zugunsten des Lösungsinteresses entschieden wird.102 Damit bestimmen sowohl das Rücktritts- als auch das Widerrufsfolgenrecht jeweils die Konsequenzen in Konstellationen, in denen das Lösungsinteresse nach Bewertung des Gesetzgebers bei einem objektivierten Interessenkonflikt zwischen Bestands- und Lösungsinteresse überwiegt.103 Insofern ist eine Vergleichbarkeit der Regelungskomplexe mit Blick auf die für die rechtliche Wertung wesentlichen Elemente zu bejahen.104 Hinsichtlich des Rücktritts- und des Widerrufsfolgenrechts besteht also ein Regelungszusammenhang.105

101 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 160; Ausnahmen hiervon sind Fälle des Widerrufs von noch nicht angenommenen Angeboten oder nichtigen Verträgen (hierzu BGH, Urt. v. 25.11.2009 – VIII ZR 318/08, NJW 2010, 610 mit Anm. Möller). 102 Dies trifft, wie Büdenbender feststellt, auch auf das Bereicherungsrecht zu, Büdenbender, AcP 2000, 627, 630. Das Bereicherungsrecht ist indes nicht in die Fragestellung dieser Arbeit einbezogen, sodass die Konsequenzen des Regelungszusammenhangs zwischen dem Rücktritts- bzw. Widerrufs- mit dem Bereicherungsrechts hier nicht behandelt werden können. 103 Vgl. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1. 104 Stampe, JW 1921, 392, 392. 105 Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für das Rechtsinstitut der Anfechtung (vgl. hierzu etwa Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 28 f.), sowie das der Vertragsauflösung als Naturalrestitution im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo (vgl. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 35 f.), die aber im Rahmen dieser Arbeit, die thematisch auf die Beurteilung der Entkopplung der Rücktritts- und Widerrufsfolgen begrenzt ist, nicht weiter vertieft werden sollen.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen für Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht Aus dem Regelungszusammenhang von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht folgt, dass zwischen ihnen grds. auch materielle Identität erforderlich ist. Materielle Eigenständigkeit kommt nur soweit in Betracht, wo diese aufgrund sachbezogener Unterschiede gerechtfertigt ist.106 Im folgenden Abschnitt werden zunächst mögliche Ursachen von derartigen sachlichen Unterschieden ermittelt. Zudem soll der Kreis der diesbezüglich zu untersuchenden Rücktritts- und Widerrufsrechte eingegrenzt werden.

A. Mögliche Ursachen sachlicher Unterschiede, mit denen sich Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigen lassen Um Divergenzen bezüglich Rechtsnormen zu rechtfertigen, die einen Regelungszusammenhang aufweisen, bedarf es sachlicher Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten. Wie oben dargestellt, sind die Rechtsinstitute ihrer Struktur nach gleich – neben einem Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht bedarf es einer entsprechenden Erklärung durch den Lösungsberechtigten. Der Zweck der Konstruktion als Gestaltungsrecht besteht darin, die Vertragsauflösung nur in denjenigen Fällen anzuordnen, in denen beim Lösungsberechtigten auch tatsächlich ein Lösungsinteresse vorliegt.107 Als Ursache von sachlichen Unterschieden, mit denen sich materielle Eigenständigkeiten zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigen lassen, kommen also nur Divergenzen zwischen den Rücktritts- und Widerrufsrechten selbst in Betracht. Die Rücktritts- und Widerrufsrechte bestimmen die Konstellationen, in denen der Gesetzgeber einen Konflikt zwischen Lösungs- und Bestandsinteresse annimmt und hierbei das Lösungsinteresse für überwiegend erachtet. Insofern lassen sich mit Blick auf etwaige sachliche Unterschiede, mit denen sich materielle Eigenständigkeiten rechtfertigen lassen, zwei Ebenen unterscheiden. Zunächst können sachliche Unterschiede auf tatsächlicher Ebene vorliegen.108 Die tatsächliche Ebene spiegelt sich in abstrakter Form im Rahmen der Voraussetzungen der Lösungsrechte wider, die die Begründung des Interessenkonflikts betreffen.109 Es ist davon auszugehen, dass die Parteien einen Vertrag grundsätz-

106 107 108 109

s. o. Kapitel 1, § 2, B.IV. s. o. Kapitel 2, § 3, C. Kohler, AcP 2006, 683, 685. s. o. Kapitel 1, § 2, A.

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen

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lich nur schließen, wenn sie ein Interesse an seiner Durchführung haben. Somit folgt aus dem Vertragsschluss das objektivierte Bestandsinteresse des Rücktrittsbzw. Widerrufsgegners. Die Gründe, aus denen der Gesetzgeber bezüglich des Lösungsgegners auf ein dort bestehendes Bestandsinteresse schließt, variieren demnach nicht. Sachliche Unterschiede zwischen Rücktritt und Widerruf können sich auf der tatsächlichen Ebene also nur aus Divergenzen hinsichtlich der Ursachen des gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresses ergeben.110 Zur Identifikation von sachlichen Unterschieden, die materielle Eigenständigkeiten zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen rechtfertigen, sind also die Umstände, aus denen der Gesetzgeber in den jeweiligen Fällen verallgemeinernd auf ein etwaiges Lösungsinteresse des Lösungsberechtigten schließt (das gesetzgeberisch zugrunde gelegte objektivierte Lösungsinteresse), jeweils zu bestimmen und miteinander zu vergleichen. Eine zweite mögliche Ursachenquelle von sachlichen Unterschieden, aus denen sich eine inhaltliche Abweichung zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigt, kann auf der Wertungsebene bestehen.111 Denn mit Blick auf das Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht ist zu beachten, dass es sich hier um eine Frage handelt, die derjenigen nach dem „Ob“ des Lösungsrechts nachgeschaltet ist.112 Auf der Ebene des „Ob“ des Lösungsrechts lässt sich auf den Konflikt zwischen Bestands- und Lösungsinteresse nur binär reagieren.113 Sofern das Lösungsinteresse für überwiegend erachtet wird, tritt das Bestandsinteresse auf dieser Ebene vollständig zurück. Diejenige Partei mit dem überwiegenden Lösungsinteresse kann sich von dem Vertrag lösen. Diejenige Partei mit dem unterliegenden Bestandsinteresse – obgleich wie gewichtig – muss sich mit der Vertragsauflösung abfinden. Der Rücktritt bzw. der Widerruf betreffen insofern grundsätzlich die gesamte Vereinbarung. Ein „Teil-Rücktritt“ bzw. „TeilWiderruf“ ist in der Regel unmöglich. Eine Ausnahme besteht nur in Bezug auf teilbare Leistungen.114 Aber auch sofern es nur zu einem teilweisen Rücktritt bzw. Widerruf kommt, tritt in Bezug auf diesen Teil das Bestandsinteresse des Lösungsgegners vollständig zurück. In der Regel erfordert hier das Lösungsinteresse der anderen Partei hier schlicht keine weitere Vertragsaufhebung. 110 So auch Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 26 (hier allerdings beschränkt auf Unterschiede zwischen vertraglichem und gesetzlichem Rücktritt). 111 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 2. 112 Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 59 f. 113 RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 187; Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 21; eine solche binäre Reaktion enthielt etwa die umstrittene „Alles-oder-Nichts-Lösung“ der §§ 350 ff. BGB in der Fassung vor der Schuldrechtsmodernisierung, Döll, Rückgewährstörungen, S. 40. 114 Zur Zulässigkeit des „Teil-Widerrufs“, AG Wittmund, Urt. v. 27.03.2008 – 4 C 661/07, BeckRS 2008, 16403 zu etwaigen Berechnungsschwierigkeiten bezüglich der Ersatzpflichten vgl. Brönneke, MMR 2004, 127, 128; zu den Besonderheiten beim TeilRücktritt, vgl. unten Kapitel 2, § 5, A.I.3.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Eine Möglichkeit zur Berücksichtigung des Bestandsinteresses besteht dann allerdings bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen, also auf der „zweiten“ Ebene.115 Die Rechtsfolgen der Vertragsauflösung sind somit, entgegen der Ansicht von Kaiser,116 gegenüber dem Grund für das Auflösungsrecht gerade nicht „neutral“. Vielmehr lassen sich die widerstreitenden Interessen hier, gleichsam als weitere Stellschraube, in Ausgleich bringen.117 Hinsichtlich der Frage, wie eine Rückabwicklung erfolgt, bestehen insoweit verschiedene Gestaltungsoptionen, nach denen das Lösungsinteresse entsprechend umfänglicher oder weniger umfänglich erfüllt wird.118 Hier bestehen also Möglichkeiten das Lösungs- und Bestandsinteresse nochmals miteinander abzuwägen und die Besonderheiten der jeweiligen Konstellation zu berücksichtigen.119 Eine inhaltliche Eigenständigkeit der Rücktritts- und Widerrufsfolgen kann demnach, anders als etwa Heß annimmt,120 auch durch Unterschiede hinsichtlich der Gewichtung der kollidierenden Interessen auf der Ebene des „Ob“ der Vertragslösung gerechtfertigt werden.121 Die Unterschiede auf der Wertungsebene, aus denen sich eine sachliche Rechtfertigung von materieller Eigenständigkeit rechtfertigen kann, betreffen die abstrakte Gewichtung der divergierenden Interessen. In diesem Zusammenhang gilt allerdings zu beachten, dass die jeweilige gesetzgeberische Interessenabwägung in den Rechtsnormen das Ergebnis einer Gewichtung von konkreten Interessen ist, die im Wesentlichen von zwei Faktoren abhängt – nämlich dem Gewicht, das der Gesetzgeber den entsprechenden Interessen abstrakt zumisst und von den Umständen der jeweiligen Situationen. Um also Unterschiede auf Wertungsebene – also hinsichtlich der Gewichtung der abstrakten Interessen – zu identifizieren ist es notwendig die konkrete Interessengewichtung von den situativen Umständen zu bereinigen. Stellt sich danach eine unterschiedliche Gewichtung der abstrakten Interessen heraus, können diese Divergenzen auf der Ebene des „Wie“ der Vertragsauflösung rechtfertigen. Mit Blick auf die möglichen Ursachen sachlicher Unterschiede, mit denen sich Divergenzen zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigen lassen, gilt, dass jedes der verschiedenen Rücktritts- und Widerrufsrechte eine Konstellation widerspiegelt, in denen der Gesetzgeber ein das Bestandsinteresse 115

Lorenz sprich in diesem Zusammenhang von dem „Preis“, den der Lösungsberechtigte für die Lösung zu zahlen hat, vgl. Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 330. 116 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 84; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1064. 117 In diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 440; Stoll, AcP 1929, 141, 144. 118 Beispielhaft genannt sei etwa die Regelungen der Gefahrtragung, die von Herold zutreffend als „reine Wertentscheidung zugunsten der einen oder der anderen Partei“ beschrieben werden, Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 24. 119 In diesem Sinne auch Koch, JZ 2014, 758, 759, 763. 120 Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 60. 121 So auch Stoll, AcP 1929, 141, 144.

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen

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überwiegendes Lösungsinteresse einer Partei annimmt. Um die Ursachen des vom Gesetzgeber als regelmäßig unterstellten Lösungsinteresses sowie seine Bewertung der Parteiinteressen in diesen Konstellationen nachvollziehen zu können, müssen die jeweiligen Rücktritts- und Widerrufsrechte bzw. ihre Voraussetzungen einzeln untersucht werden. Hierbei soll wie folgt vorgegangen werden: Zunächst wird anhand der Voraussetzungen der einzelnen Rücktritts- bzw. Widerrufsrechte das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse identifiziert. Sodann soll die gesetzgeberische Wertung, welche zum Überwiegen des konkreten Lösungsinteresses gegenüber dem konkreten Bestandsinteresse führt, nachvollzogen werden. In einem dritten Schritt folgt eine Beurteilung des jeweiligen Rücktritts- bzw. Widerrufsrechts, bei der einerseits die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses kategorisiert wird und andererseits das Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses bestimmt wird.

B. Eingrenzung der zu untersuchenden Rücktrittsund Widerrufsrechte Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Frage nach der Zweckmäßigkeit der Entkopplung der Widerrufs- und Rücktrittsfolgen. Mit Blick auf die zu untersuchenden Widerrufsrechte folgt daraus eine Beschränkung auf diejenigen Widerrufsrechte, für deren Rechtsfolgen vormals über § 357 BGB a. F. auf §§ 346 ff. BGB Bezug genommen wurde, da im Rahmen der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie nur hinsichtlich dieser Widerrufsrechte überhaupt eine Entkopplung stattgefunden hat. Hierbei handelt es sich um das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB, das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB, das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen nach § 495 BGB, das Widerrufsrecht bei Zahlungsaufschüben und sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen nach §§ 506, 495 BGB, das Widerrufsrecht bei Ratenzahlungsverträgen nach § 510 BGB, das Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechteverträgen nach § 485 BGB und das Widerrufsrecht bei Fernunterrichtsverträgen gem. § 4 FernUSG. In die Untersuchung einbezogen sind zudem die Widerrufsrechte bei unentgeltichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungsverträgen nach §§ 514, 515 BGB. Zwar wurden diese Widerrufsrechte erst nach der Entkopplung des Widerrufsfolgenrechts vom Rücktrittsfolgenrecht eingeführt. Indes besteht hier einerseits sowohl ein besonderer Zusammenhang zu den Fällen der §§ 495 bzw 510 BGB. Zudem bestimmen sich die Widerrufsfolgen grds. nach § 357a BGB,122 also einer Regelung, die ihererseits im Rahmen hier zu untersuchenden der Entkopplung eingeführt wurde. 122 BeckOGK/Harnos, § 514 BGB, Rn. 29, § 515 Rn. 7; ausführlich zur Anwendbarkeit des § 357a BGB für den Widerruf von unentgeltlichen Finanzierungshilfen unten, § 9 B.I.2.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Aber auch der Kreis der zu untersuchenden Rücktrittsrechte ist beschränkt. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die Frage, inwiefern Abweichungen zwischen den oben beschriebenen Widerrufsrechten und den Rücktrittsrechten existieren, aus denen sich materielle Unterschiede zwischen den Rücktrittsund Widerrufsfolgen rechtfertigen. Denklogisch folgt daraus zunächst, dass nur Rücktrittsrechte in die Untersuchung einzubeziehen sind, deren Rechtsfolgen in §§ 346 ff. BGB geregelt werden. Zudem gilt zu beachten, dass die Wertungen in den §§ 346 ff. BGB uneingeschränkt nur für die Rücktrittsrechte gelten, die unmittelbar auf diese Vorschriften Bezug nehmen. Anders verhält es sich bei Rücktrittsrechten, die lediglich eine entsprechende bzw. sinngemäße Anwendung der §§ 346 ff. BGB vorschreiben. Denn mit der Vorgabe, dass die Rücktrittsfolgen lediglich entsprechend bzw. sinngemäß anwendbar sein sollen, macht der Gesetzgeber deutlich, dass im Einzelnen abweichende Wertungen vorzunehmen sind. Daraus ergibt sich, dass die Wertungen der §§ 346 ff. BGB diesen Rücktrittsgründen gerade nicht (vollständig) zugrunde liegen. Der Kreis der zu untersuchenden Rücktrittsgründe umfasst dementsprechend den § 323 BGB (Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung), § 324 BGB (Rücktritt wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB), § 326 Abs. 5 BGB (Rücktritt bei Ausschluss der Leistungspflicht), § 321 Abs. 2 BGB (Rücktritt des Vorleistungspflichtigen bei Anspruchsgefährdung), § 438 Abs. 4 S. 3 BGB (Rücktritt des Verkäufers wegen Zahlungsverweigerung des Käufers bei Unwirksamkeit des Rücktritts nach § 218 BGB), § 313 BGB (Rücktritt wegen Störung der Geschäftsgrundlage), § 375 Abs. 2 HGB (Rücktritt wegen Spezifikationsverzug des Verkäufers), § 376 Abs. 1 HGB (Rücktritt wegen Verzug beim Fixhandelskauf) und § 651a Abs. 5 S. 2 BGB (Rücktritt des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen). Nicht in die folgende Untersuchung einbezogen werden hingegen die Rücktrittsrechte aus §§ 28 Abs. 3 S. 3, 51 Abs. 4 S. 3 BauGB, § 10 Abs. 2 GrdStVG, §§ 17, 30, 35, 36 VerlG sowie § 6 FernUSG, da hier lediglich eine „entsprechende“ bzw. „sinngemäße“ Anwendung der Rechtsfolgen aus §§ 346 ff. BGB angeordnet wird. Ebenfalls nicht in die folgende Untersuchung einbezogen wird das Rücktrittsrecht des Reisenden bei Reiseverträgen vor Reisebeginn nach § 651i Abs. 1 BGB. Zwar wird hier keine bloß „entsprechende“ oder „sinngemäße“ Anwendbarkeit der Rechtsfolgen aus §§ 346 ff. BGB angeordnet. Allerdings enthält die Regelung mit dem Entschädigungsanspruch aus § 651i Abs. 2 S. 2 BGB eine Rechtsfolge, die hinsichtlich der gesetzgeberischen Interessenwertung grundlegend von den allgemeinen Rechtsfolgen des Rücktrittsrechts abweicht.123 Aufgrund des Entschädigungsanspruchs des Rücktrittsgegners auf der Rechtsfolgenebene ist auf der Voraussetzungsebene eine deutlich geringere Gewichtung des Bestands-

123

Motsch, JR 2002, 221, 222.

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen

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interesses als in den übrigen Rücktrittsfällen möglich, in denen eine derartige Regelung nicht besteht. Dementsprechend sind auch die Voraussetzungen des Lösungsrechts nach § 651i Abs. 1 BGB sehr gering – es ist lediglich erforderlich, dass es sich bei dem fraglichen Vertrag um einen Reisevertrag handelt und die Reise noch nicht begonnen wurde. Die Kombination von geringen Lösungsvoraussetzungen auf der einen Seite und Entschädigungspflicht auf der anderen Seite stützt zwar die These, dass es sich bei der Rechtsfolgenseite der Lösungsrechte um eine weitere Stellschraube für den Interessenausgleich handelt, allerdings führt diese Kombination dazu, dass das Rücktrittsrecht aus § 651i Abs. 1 BGB wohl eher in die Kategorie der generellen Reuerechte einzuordnen ist.124 Nicht in die Untersuchung einbezogen werden ferner vertraglich vereinbarte Rücktritts- und Widerrufsrechte,125 denn diese basieren nicht unmittelbar auf einer entsprechenden gesetzgeberischen Wertung.126 In den Fällen, in denen ein Lösungsrecht zugunsten einer Partei vereinbart wurde, stellt letztlich diejenige Partei, die der anderen die Lösungsmöglichkeit einräumt, ihr Bestandsinteresse freiwillig hinter dem etwaigen Lösungsinteresse ihres Vertragspartners zurück.127 Die Gründe hierfür können vielfältig sein128 – sei es, dass die andere Partei ansonsten den Vertrag gar nicht erst abgeschlossen hätte,129 sei es dass beide Parteien sich über die Zweckmäßigkeit der Vertragslösung unter bestimmten Umständen einig sind130. Die grundsätzliche Berechtigung der Vertragsparteien, entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu vereinbaren, folgt aus der inhaltlichen Vertragsgestaltungsfreiheit,131 die Ausfluss der verfassungsmäßig verbürgten Vertragsfreiheit ist132 und in § 311 Abs. 1 BGB gesetzlich niedergelegt wurde.133 Diese inhaltliche Vertragsgestaltungsfreiheit ermöglicht den Parteien bei vereinbarten Lösungsrechten auch die freie Ausgestaltung der Rechtsfolgen der Lö-

124 In diesem Sinne bereits Stoll, der feststellt, dass bei sogenannten „abfindungsbelasteten Eingriffsrechten“, also in Konstellationen, in denen der vom Vertrag Befreite den Gegner für die Befreiung zu entschädigen hat, eine andere Interessenlage zugrunde liegt, als grundsätzlich beim gesetzlichen Rücktritt, Stoll, AcP 1929, 141, 174. 125 Zur Möglichkeit der vertraglichen Vereinbarung von Widerrufsrechten BGH, Urt. v. 06.12.2011 – XI ZR 401/10, NJW 2012, 1066; zur Frage, ob auch nicht erforderliche Widerrufsbelehrungen zu vertraglichen Widerrufsrechten führen, Kolbe, JZ 2013, 441. 126 Wie Lorenz feststellt, bedürfen derart auf Konsens der Vertragsparteien zurückzuführende Lösungsmöglichkeiten vor dem Grundsatz der Vertragstreue keiner weiteren Rechtfertigung, Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 340. 127 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 78. 128 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 26. 129 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 78; Döll, Rückgewährstörungen, S. 296 f. 130 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 48 ff. 131 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 40. 132 BeckOK/Gehrlein/Sutschet, § 311 BGB Rn. 2; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 1. 133 MünchKommBGB/Emmerich, § 311 Rn. 1.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

sungsmöglichkeiten.134 Maßgeblich für die Rechtsfolgen ist demnach vornehmlich der durch Auslegung zu ermittelnde Vertragsinhalt.135 Zwar ist das dispositive Recht insoweit anwendbar, wie die Vertragsparteien keine ausdrücklichen Vereinbarungen getroffen haben,136 aber die Bestimmung des für die Vertragslösung maßgeblichen Rechtsfolgenregimes entspringt letztlich dem Vertrag selbst und damit grundsätzlich dem, was die Vertragsparteien für interessengerecht erachtet haben.137 Obwohl das dispositive Recht in die jeweiligen Lücken tritt, sofern die Parteien ein vertragliches Lösungsrecht vereinbart haben ohne ein (abschließendes) Rückabwicklungsregime zu bestimmen, reagiert das vom Gesetzgeber geschaffene Rückabwicklungsregime gleichwohl nicht unmittelbar auf den spezifischen Interessenkonflikt.138 Auf Grund der Privatautonomie lässt der Gesetzgeber es den Parteien frei, ein von ihnen für interessengerecht erachtetes Lösungsrecht zu vereinbaren.139 Eine weitergehende gesetzgeberische Wertung lässt sich dem mit Blick auf die Lösungsfolgen jedoch nicht entnehmen. Gegen die Annahme, dass die Vertragsparteien bei vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechten nicht auf ein vom Gesetzgeber speziell für diese Konstellation gedachtes Rückabwicklungsregime zurückgreifen, scheint aber zunächst die Gesetzgebungsgeschichte zu sprechen. Denn vor der Schuldrechtsmodernisierung waren die Vorschriften zur Rücktrittsrückabwicklung in §§ 346 BGB a. F. unmittelbar nur bei vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechten anwendbar – auf gesetzliche Rücktrittsrechte waren sie hingegen nur entsprechend anzuwenden und dies auch nur sofern es ausdrücklich angeordnet wurde.140 Auch lässt sich diesbezüglich auf die Regelungen in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB und § 347 Abs. 1 S. 2 BGB verweisen, wo der Gesetzgeber bestimmte in §§ 346 f. BGB angeordnete Folgen bei vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechten für unangebracht gehalten und deshalb ausgeschlossen hat. Die vertragliche Vereinbarung eines Lösungsrechts unter Rückgriff auf das Rücktrittsfolgenregime wurde an dieser Stelle also antizipiert und jedenfalls insoweit eine gesetzgeberische Interessenabwägung getroffen, dass die Begrenzung der Wertersatzpflicht auf eigenübliche Sorgfalt bei anderen als gesetzlichen Rücktrittsrechten für unangemessen erachtet wurde. Diese Überlegung fußt auf der Erkenntnis, dass ein wesentlicher Unterschied 134

So handelt es sich selbst bei den §§ 355 ff. BGB um dispositive Regelungen, wenn das Widerrufsrecht auf einer vertraglichen Vereinbarung basiert, Staudinger/Kaiser, § 355 BGB Rn. 13. Auch die §§ 346 ff. stellen grundsätzlich dispositives Recht dar, Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 80. 135 Für das Widerrufsrecht insoweit Staudinger/Kaiser, § 355 BGB Rn. 13; für das Rücktrittsrecht Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 62. 136 Zur Begründung der Wirkung des dispositiven Rechts vgl. Staudinger-Eckpfeiler/ Oechsler M. Rn. 4 ff. 137 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 63. 138 In diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 81. 139 Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 340. 140 Döll, Rückgewährstörungen, S. 10.

§ 4 Vorüberlegungen bezüglich der Ermittlung von Rechtfertigungsgründen

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zwischen vertraglichen und gesetzlichen Rücktrittsrechten darin besteht, dass die Vertragsparteien bei vertraglichen Rücktrittsrechten sich gerade über die Möglichkeit der Vertragsauflösung bewusst waren, dies bei gesetzlichen Rücktrittsrechten in der Regel allerdings nicht der Fall ist.141 Dem liegt gleichwohl eine bloß rudimentäre Interessenabwägung zugrunde, die gerade nicht auf die unterschiedlichen Interessenlagen in den verschiedenen Fällen der vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechte eingeht.142 Dies zeigt bereits die von der h. M. vertretene Annahme, dass § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB auch auf vertragliche Rücktrittsrechte anzuwenden ist, die objektivrechtlichen Wertungen nahestehen oder gesetzlichen Rücktrittsrechten nachgebildet sind.143 Eine weitergehende gesetzgeberische Interessenabwägung in Hinblick auf die vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechte lässt sich den §§ 346 ff. BGB allerdings nicht entnehmen, sodass es bei dem Schluss bleiben muss, dass die Vertragsparteien bei vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechten nicht auf ein vom Gesetzgeber speziell für die jeweilige Konstellation gedachtes Rückabwicklungsregime zurückgreifen. Letztlich werden im Rahmen der Rückabwicklung wegen vertraglicher Lösungsrechte also lediglich die Wertungen der Vertragsparteien respektiert.144

141 Zur genauen Funktion der §§ 346 Abs. 3 S. 1. Nr. 3 und 347 Abs. 1 S. 2 BGB und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs „gesetzliches Rücktrittsrecht“ Kapitel 3, § 10, A.IV.2.c) und Kapitel 3, § 11, A. 142 Hierzu bereits Stoll, AcP 1929, 141, 144. 143 Hierzu § 10 A.IV.2.c)aa). 144 Medicus, JuS 1990, 689, 694.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Rücktrittsrecht A. Die Rücktrittsrechte nach § 323 BGB wegen Nichtleistung und nicht vertragsgemäßer Leistung Das wohl bedeutsamste Rücktrittsrecht ist in § 323 BGB für den Fall der nicht bzw. nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung enthalten.145 Mit dem in seiner heutigen Fassung im Wesentlichen auf die Schuldrechtsreform aus dem Jahre 2002 zurückgehenden § 323 BGB sollten die Vorschriften der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie146 (VGK-RiL) umgesetzt werden. Hierbei wurde die Vorschrift allerdings nicht auf den Anwendungsbereich der Richtlinie beschränkt, sondern überschießend umgesetzt. Mit dem VR-RiL-UmsG wurde § 323 BGB zudem den Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie angepasst. Nach § 323 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger eines gegenseitigen Vertrags, sofern der Schuldner eine fällige147 Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbringt, nach erfolglosem Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten angemessen Frist zur Leistung bzw. Nacherfüllung, vom Vertrag zurücktreten. Nach § 323 Abs. 2 BGB bedarf es einer Fristsetzung in den Fällen nicht, in denen der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB), in denen der Schuldner, obwohl der Gläubiger im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung geknüpft hat, die Leistung nicht zu dem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer bestimmten Frist bewirkt (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB), sowie in den Fällen, in denen bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung das Vorliegen von besonderen Umständen, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, den sofortigen Rücktritt rechtfertigt (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). § 323 Abs. 3 BGB bestimmt, dass eine Abmahnung an Stelle der Fristsetzung zu erfolgen hat, sofern eine Fristsetzung nach Art der Pflichtverletzung nicht in Betracht kommt. In Abs. 4 des § 323 BGB wird geregelt, dass der Gläubiger bereits vor Eintritt der Fälligkeit der Leistungspflicht vom Vertrag zurücktreten kann, sofern offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden. Nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB kann der Gläubiger bei einer Teilleistung des Schuldners nur vom ganzen Vertrag zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Bei nicht vertragsgemäß bewirkten Leistungen soll ein Rücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB nur bei Erheblichkeit der Pflichtverletzung möglich sein. Entsprechend § 323 Abs. 6 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, 145

Krause, Jura 2002, 299, 302; Jud, JJZ 2001, 205, 215; Lorenz, NJW 2003, 3097,

1212. 146 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter. 147 Zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Durchsetzbarkeit, Herresthal, Jura 2008, 561.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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wenn der Gläubiger für den Umstand der ihn zum Rücktritt berechtigen würde allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, oder dieser Umstand während des Annahmeverzugs des Gläubigers eintritt und der Schuldner ihn jedenfalls nicht zu vertreten hat. Ziel des Reformgesetzgebers bei der Schaffung des § 323 BGB war es, die bis dahin verschiedenen Fälle der Vertragsaufhebung wegen Leistungsstörung einheitlich zu regeln.148 Bereits durch die Herauslösung der Fälle des Rücktrittsrechts wegen nichtleistungsbezogenen Nebenpflichtverletzungen, welche separat in § 324 BGB geregelt wurden, sowie der Fälle des Rücktrittsrechts wegen Unmöglichkeit, deren Regelung sich in § 326 Abs. 5 BGB findet, wurden die Vereinheitlichungsbestrebungen allerdings wieder relativiert.149 Zudem lassen sich aber auch im § 323 BGB selbst verschiedene Fälle identifizieren, deren Voraussetzungen sich voneinander unterscheiden.150 Darüber hinaus werden die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts aus § 323 BGB in bestimmten Konstellationen durch weitere Vorschriften des BGB modifiziert. Jede dieser Konstellationen zeichnet sich durch spezielle Gemengelagen hinsichtlich der widerstreitenden Interessen aus,151 sodass für die Untersuchung der Voraussetzungen und der daraus folgenden Parteiinteressen und ihrer Gewichtung zwischen den einzelnen Fällen zu differenzieren ist. I. Der Rücktritt wegen Nichtleistung trotz Fristsetzung 1. Der Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB Nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB steht dem Gläubiger einer fälligen und durchsetzbaren Leistung bei einem gegenseitigen Vertrag ein Rücktrittsrecht zu, sofern der Schuldner seine Leistung trotz Ablaufs einer vom Gläubiger gesetzten angemessenen Frist152 vollständig nicht erbracht hat. Mit dem vollständigen Ausbleiben der Leistung ist – in Abgrenzung zum Rücktritt wegen Teilleistung nach § 323 Abs. 1, 1. Fall, Abs. 5 S. 1 – gemeint, dass der Schuldner noch keinerlei Leistung erbracht hat. Der Fall des Rücktritts wegen Teilleistung ist also bereits immer dann einschlägig, wenn der Schuldner eine von mehreren Leistungen oder zumindest einen Teil einer geschuldeten Leistung erbracht hat.153 Auf diese Fälle ist erst an späterer Stelle einzugehen. 148

NK-BGB/Dauner-Lieb, § 323 Rn. 3. NK-BGB/Dauner-Lieb, § 323 Rn. 3. 150 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 1. 151 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 52. 152 Zu den Anforderungen an die Fristsetzung BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654. 153 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 138. 149

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Eingeschränkt wird das Rücktrittsrecht durch die Regelungen in § 323 Abs. 6 BGB, wonach das Rücktrittsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretene Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist. Die Regelung setzt Art. 18 Abs. 2 der VR-RiL um. Nach Art. 18 Abs. 1 VRRiL – der gem. Art. 17 Abs. 1 für Kaufverträge gilt, die nicht die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in unbegrenzten Volumen oder unbestimmten Mengen, sowie Fernwärme oder digitale Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, betreffen – hat der Unternehmer die Kaufsache in der Regel unverzüglich an den Verbraucher zu liefern. Lieferung wird hierbei als die Übertragung des physischen Besitzes verstanden.154 Erfolgt die Lieferung auch innerhalb einer vom Verbraucher gesetzten angemessenen Nachfrist nicht, kann der Verbraucher nach Art. 18 Abs. 2 S. 2 VR-RiL den Rücktritt vom Vertrag erklären und den Unternehmer so verpflichten alle gemäß dem Vertrag gezahlten Beträge zurückzuerstatten. a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB Die Annahme, dass der Gläubiger beim vollständigen Ausbleiben der Leistung anstelle des grundsätzlichen Interesses am Fortbestand des Vertrags mitunter ein Interesse an dessen Lösung hat, folgt aus der für die Anwendbarkeit des § 323 BGB erforderlichen Gegenseitigkeit des Vertrags.155 Die Gegenseitigkeit des Vertrags bedeutet, dass die Vertragsparteien ihre jeweilige Leistung lediglich zugesagt haben, um die Gegenleistung der anderen Partei zu erlangen.156 Das Bestandsinteresse basiert also lediglich auf dem Interesse an der Erlangung der Leistung der anderen Partei, dem sog. Leistungsinteresse. Das Interesse an der Leistung des jeweiligen Vertragspartners ist das für den Vertragsschluss wesentliche Motiv.157 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Leistungsinteresse auch eine zeitliche Komponente besitzt.158 Denn aus Sicht des Gläubigers ist es nicht nur relevant, ob er die Leistung überhaupt bekommt, sondern auch wann er seine Leistung bekommt.159 Diese Überlegung liegt, wie sich aus der Bezug154

Art. 18 Abs. 1 VR-RiL. So auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 19. 156 Unberath, Vertragsverletzung, S. 360; Büdenbender, AcP 2000, 627, 627; do ut des – ich gebe dir damit du mir gibst, Wieling, JuS 1973, 397, 397; Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 637; Soergel/Gsell, § 326 BGB Rn. 8. 157 Zimmermann, FS Kramer, S. 735, 741. 158 Herresthal, Jura 2008, 561, 563; Nastelski, JuS 1962, 289, 289. 159 Canaris, FS Kropholler, S. 3, 5. 155

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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nahme auf die Fälligkeit der Leistung in § 323 Abs. 1 BGB ergibt, auch dem Rücktrittsrecht wegen vollständigem Ausbleiben der Leistung zugrunde.160 Die Fälligkeit, welche sich nach § 271 Abs. 1 BGB bestimmt, bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an ein Gläubiger die Leistungshandlung erwarten bzw. fordern darf.161 Hierbei ist vornehmlich auf ausdrückliche Vereinbarungen und die Umstände abzustellen.162 Aber selbst wenn sich die Fälligkeit weder aus dem Vertrag noch aus den Umständen ergibt, geht das Gesetz davon aus, dass die Leistung nach der Vorstellung der Parteien nicht „irgendwann“, sondern in der Regel „zeitnah“ erfolgen soll. Das folgt aus § 271 Abs. 1 BGB, demgemäß eine Leistung vom Schuldner in derartigen Fällen „sofort“ verlangt werden kann – wobei „sofort“ hier im Sinne einer „nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte objektiv angemessene Zeitspanne“ zu verstehen ist.163 Aus der Bestimmung in § 271 Abs. 1 BGB lässt sich also entnehmen, dass der Gläubiger nach Ansicht des Gesetzgebers in der Regel ein Interesse daran hat, die Leistung möglichst zeitnah zu bekommen.164 Diese Überlegung wird durch § 271 Abs. 2 BGB gestützt, der klarstellt, dass eine Vereinbarung über die Fälligkeit im Zweifel zugunsten des Schuldners getroffen wurde.165 Somit ist in der Regel selbst bei ausdrücklichen Vereinbarungen über den Zeitpunkt der Fälligkeit davon auszugehen, dass das Interesse des Gläubigers auf die sofortige Erlangung der Leistung gerichtet ist.166 Vereinbaren die Parteien eine abweichende Fälligkeit, stellt der Gläubiger für gewöhnlich lediglich sein eigenes Interesse an der sofortigen Erlangung der Leistung hinter das Interesse seines Vertragspartners, die Leistung noch nicht sofort erbringen zu müssen, zurück.167 In der Zeit bis zur Fälligkeit wird der Gläubiger dementsprechend grds. weiter am Vertrag festhalten wollen. Obwohl bereits das Ausbleiben der Leistung trotz Fälligkeit eine Pflichtverletzung des Schuldners darstellt,168 wird aber das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung in aller Regel auch beim Ausbleiben der Leistung nach Überschreiten des Fälligkeitszeitpunkts unverändert fortbestehen.169 Trotz der Nichtleistung bei Fälligkeit wird sich der Vertrag aus Sicht des Gläubigers oft160

Diederichsen, JuS 1985, 825, 827. MünchKommBGB/Krüger, § 271 Rn. 1. 162 MünchKommBGB/Krüger, § 271 Rn. 1. 163 OLG München, Urt. v. 12.11.1991 – 25 U 4121/91, NJW RR, 1992, 818; Nastelski, JuS 1962, 289, 289. 164 Nastelski, JuS 1962, 289, 289. 165 Nastelski, JuS 1962, 289, 289. 166 Nach Canaris folgt die zeitliche Dimension aus dem Synallagma, das auch keine übermäßigen Verzögerungen erlaubt, Canaris, FS Kropholler, S. 3, 5. 167 In diesem Sinne auch Herresthal, Jura 2008, 561, 563. 168 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 891. 169 Dies begründet sich damit, dass die Situation für den Gläubiger oftmals schwer einzuschätzen ist, Unberath, Vertragsverletzung, S. 367; in diesem Sinne auch Stoll, AcP 136, 257, 295; zum Ausnahmefall des relativen Fixgeschäfts s. u. 161

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

mals immer noch als der beste Weg zur Befriedigung seines Interesses darstellen.170 Der Gläubiger wird somit weiterhin ein Interesse daran haben, am Vertrag festzuhalten, um seine Leistung zu erhalten.171 Mit voranschreitendem Zeitablauf ohne Befriedigung des Leistungsinteresses durch den Schuldner trotz Fristablaufs wird der Gläubiger mitunter allerdings daran zweifeln, ob der von ihm geschlossene Vertrag geeignet ist, sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung zu befriedigen.172 Denn steht wegen der bisherigen Nichtleistung durch den Schuldner nicht zu erwarten, dass dieser die Leistung aus freien Stücken in absehbarer Zeit erbringt, bleibt der Gläubiger zur Befriedigung seines Leistungsinteresse aus dem Vertrag auf den zeitintensiven Weg der klageweise Durchsetzung verwiesen.173 Zur Befriedigung des Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung ist die klageweise Durchsetzung des Anspruchs jedoch in aller Regel nicht geeignet.174 In diesem Fall kann sich die Interessenlage des Gläubigers hinsichtlich des Vertrags verändern.175 Geht der Gläubiger nämlich nicht mehr davon aus, dass sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung durch seinen Vertrag mit dem Schuldner befriedigt wird, muss er sich, um dieses Interesse befriedigen zu können, die gewünschte Leistung (bzw. eine für ihn vergleichbare) anderweitig beschaffen.176 Im Zweifel wird hierzu ein weiterer Vertragsschluss mit einem Dritten erforderlich, bei dem sich der Gläubiger wiederum zur Erbringung einer Gegenleistung verpflichten muss.177 Kurzfristig kann sich dabei für den Gläubiger zunächst ein Problem ergeben, wenn er die seinerseits geschuldete Gegenleistung bereits erbracht hat.178 Diese Gegenleistung war von ihm als Mittel zur Erlangung der Leistung eingeplant. Sofern er sie jedoch bereits zur Erfüllung des ursprünglichen Vertrags eingesetzt hat, steht sie ihm nicht mehr zur anderweitigen Beschaffung der Leistung zur Verfügung.179 Hat er keine weiteren Mittel, die er zur anderweitigen Leistung

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Zu den Fällen, in denen die Leistung unmöglich im Sinne des § 275 BGB ist, s. u. In diesem Sinne auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 27; Krause, Jura 2002, 217, 217; Flessner, ZEuP 1997, 255, 255 f. 172 Stoll, AcP 136, 257, 295; Flessner, ZEuP 1997, 255, 274 f.; derartige Zweifel sind insbesondere in dem Fall, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Erfüllung gesetzt hat, wahrscheinlich, Canaris, FS Kropholler, S. 3, 9. 173 Mattheus, JuS 2002, 209, 209; Münch, Jura 2002, 361, 361. 174 Flessner, ZEuP 1997, 255, 264; so auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 361, der zudem zu bedenken gibt, dass der Leistungszwang nicht immer effektiv oder zulässig ist. 175 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 31. 176 So auch Herresthal, Jura 2008, 561, 562; Krause, Jura 2002, 299, 300. 177 Unberath, Vertragsverletzung, S. 364. 178 Krause, Jura 2002, 299, 302. 179 BGH, Urt. v. 24.10.2003 – V ZR 24/03, NJW-RR 2004, 229, 231. 171

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einsetzen kann, benötigt er die von ihm geforderte Leistung zurück.180 Die Zuordnung der Gegenleistung zum Schuldner wird jedoch durch den Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner gerechtfertigt.181 Erst mit der Beseitigung der vertraglichen Bindungswirkung entfällt diese Rechtfertigung und öffnet den Weg für eine Rückerlangung der Gegenleistung.182 Schließt der Gläubiger, der seine Gegenleistung noch nicht erbracht hat, dem jedoch auch keine weiteren Mittel für die anderweitige Erlangung der Gegenleistung zur Verfügung stehen, einen Vertrag mit einem Dritten um sich die gewünschte Leistung anderweitig zu beschaffen, wäre ihm – insbesondere wenn es sich bei der Gegenleistung um eine Stückschuld handelt – die Erfüllung beider Verträge unmöglich und er würde sich ggf. sogar gegenüber einem seiner Vertragspartner schadensersatzpflichtig machen. Dementsprechend hat der Gläubiger auch hier ein Interesse daran, sich vom ursprünglichen Vertrag zu lösen, um die seinerseits zugesagte Leistung anderweitig zur Erlangung der gewünschten Gegenleistung einsetzen zu können, ohne Schadensersatzansprüche gegen sich befürchten zu müssen.183 Aber selbst wenn dem Gläubiger noch weitere Mittel zur Verfügung stehen, mit denen er seine Verpflichtungen aus einem Vertrag mit einem Dritten, durch den er sein Leistungsinteresse anderweitige befriedigen will, erfüllen kann, mag sich eine zusätzliche vertragliche Verpflichtung unter Fortbestand des ursprünglichen Vertrags als wirtschaftlich nachteilig erweisen.184 Dies gilt zunächst für die Fälle der Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung. Gemeint sind Konstellationen, in denen der geschuldete Leistungserfolg bereits auf andere Weise als durch Leistung des Schuldners eingetreten ist.185 Man denke etwa an einen Reparaturvertrag186, bei dem der Gläubiger – nachdem der ursprüngliche Schuldner die Werkleistung nicht rechtzeitig erbracht hat – einen Dritten mit der Reparatur beauftragt. Führt der Dritte den Leistungserfolg (hier die Reparatur) herbei, wird die Leistung für den ursprünglichen Schuldner wegen Zweckerreichung unmöglich.187 Da aber der Gläubiger die Herbeiführung des 180 Unberath, Vertragsverletzung, S. 365; Bartels, AcP 2015, 203, 224; Flessner, ZEuP 1997, 255, 256 f. 181 Denn die aus dem Vertrag begründete Forderung schirmt die Güterbewegung als Rechtsgrund gegen die Rückgewähr ab, MünchKommBGB/Schwab, § 812 Rn. 448. 182 Kaiser, Rückabwicklung, S. 69; zu weiteren Gründen, wegen denen der Gläubiger ein Interesse daran haben kann die Leistung zurück zu erhalten und zum Verhältnis zum Anspruch auf Schadensersatz, Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 53. 183 Canaris, FS Kropholler, S. 3, 5. 184 Flessner, ZEuP 1997, 255, 256. 185 BeckOK/Riehm, § 275 Rn. 110. 186 Zum Begriff und der rechtlichen Einordnung des Reparaturvertrags BeckOK/ Merkle, § 631 Rn. 308. 187 HK-BGB/Schulze, § 275 Rn. 10.

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Leistungserfolgs wegen des Vertrags mit dem Dritten „zu vertreten“ hat, bleibt er gegenüber dem ursprünglichen Schuldner nach § 326 Abs. 2, 1. Fall BGB zur grundsätzlich Gegenleistung verpflichtet.188 Der Gläubiger schuldet also nicht nur dem Dritten, sondern auch dem ursprünglichen Schuldner die jeweils versprochene Gegenleistung.189 Beim Fortbestand beider Verträge würde der Gläubiger zur Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung gleichsam „doppelt bezahlen“ müssen. Um sein Interesse an am zeitnahen Erhalt der Leistung ohne doppelte Verpflichtung zu befriedigen, wird der Gläubiger hier also daran interessiert sein, den ursprünglichen Vertrag zu beseitigen, bevor er den Leistungserfolg durch einen Dritten herbeiführen lässt. An die Stelle seines Bestandsinteresses tritt somit auch in diesem Fall ein Lösungsinteresse. Aber selbst wenn die Leistung des Dritten nicht bereits zur Unmöglichkeit wegen Eintritt des Leistungserfolgs führt, kann sich für den Gläubiger auf längere Perspektive ein Problem daraus ergeben, dass nicht nur der neue Vertragspartner die erwünschte Leistung erbringt, sondern auch der Schuldner des ersten Vertrags letztlich noch leistet. Dann würde der Gläubiger die gewünschte Leistung im Ergebnis doppelt bekommen, müsste jedoch auch die jeweils von ihm geschuldete Gegenleistung erbringen – also seinerseits zweimal leisten.190 Auch hier wäre das Ergebnis aus Sicht des Gläubigers oftmals wirtschaftlich unsinnig, da sein Interesse mit dem erstmaligen Erhalt der Leistung bereits befriedigt wird. Regelmäßig wird der Gläubiger in derartigen Situationen ein Interesse daran haben, die Leistung zeitnah zu erlangen, ohne am Ende die gewünschte Leistung doppelt zu bekommen und hierfür zweimal eine entsprechende Gegenleistung erbringen zu müssen. Der Gläubiger wird hier ebenfalls ein Interesse daran haben, sich vor dem Abschluss des zweiten Vertrags von den Verpflichtungen des ersten Vertrags zu lösen. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt im Rahmen des Rücktritts wegen vollständiger Nichterfüllung also aus dem Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung. An der anderweitigen Befriedigung dieses Interesses wird der Gläubiger jedoch durch den aus seiner Sicht hierzu ungeeigneten Vertrag gehindert, da dessen Fortbestand die Gefahr einer wirtschaftlich unsinnigen Doppelverpflichtung birgt.191 Aus Sicht des Gläubigers ist die Ver188

NK-BGB/Dauner-Lieb, § 275 Rn. 14. Der Anspruch des ursprünglichen Schuldners ist allerdings um dasjenige gemindert, was dieser infolge der Befreiung von der Leistung ersprart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder böswillig zu erwerben unterlassen hat, § 326 Abs. 2 S. 2 BGB. 190 In diesem Sinne auch Lorenz, NJW 2006, 1925, 826. 191 So auch Stoll, der feststellt, dass der Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen nur nach Beseitigung der eigenen Leistungsverpflichtung und Zurückerlangung etwaiger erbrachter Leistungen wieder „ungehemmt“ anderweitige Verfügungen treffen kann, Stoll, AcP 1929, 141, 167. 189

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tragsauflösung in derartigen Fällen dann die einzige Möglichkeit, wie er auf wirtschaftlich vernünftige Weise sein ursprüngliches Interesse vollständig befriedigen kann.192 Das Lösungsinteresse folgt im Ergebnis also daraus, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht des Gläubigers im Nachhinein als ungeeignet zur vollumfänglichen Befriedigung desjenigen Interesses erweist, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat.193 b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB Neben der Nichtleistung trotz Fälligkeit bei einem gegenseitigen Vertrag setzt das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB den erfolglosen Ablauf einer angemessenen Frist voraus. Der erfolglose Ablauf der angemessenen Frist erfüllt in diesem Zusammenhang eine Doppelfunktion.194 Zunächst kennzeichnet der Fristablauf den Zeitpunkt, ab dem die subjektiven Zweifel des Gläubigers an der zeitnahen Erbringung der Leistung auch objektiv berechtigt erscheinen. Das Fristsetzungserfordernis verhindert insofern, dass der Gläubiger die Nichtleistung trotz Fälligkeit nur als Vorwand benutzt, um sich von einem Vertrag zu lösen, dessen Abschluss er aus einem anderen Grund – etwa wegen ungünstiger Konditionen oder einer zwischenzeitlichen Veränderung der Marktbedingungen – ohnehin bereut.195 Denn hat der Schuldner trotz Fälligkeit und einer darauf folgenden Fristsetzung, also einer bestimmten Aufforderung zur Bewirkung der genau bezeichneten Leistung binnen eines für den Schuldner genau erkennbaren Zeitraums,196 nicht geleistet, liegt die Vermutung nahe, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, die Leistung noch zeitnah zu erbringen.197 Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Angemessenheit der Frist voraussetzt, dass diese so lang zu sein hat, dass der Schuldner eine begonnene Leistungserbringung beenden kann.198 Zudem hat der Fristablauf auch eine zentrale Bedeutung für die Abwägung zwischen Lösungsinteresse und Bestandsinteresse.199 Denn bereits bei der Nicht192 Stoll, AcP 1929, 141, 154 und 166 f.; in diesem Sinne auch Herresthal, Jura 2008, 561, 562. 193 Diederichsen, JuS 1985, 825, 826; Stoll, AcP 1929, 141, 166 f.; Flessner, ZEuP 1997, 255, 256 f. 194 Canaris, FS Kropholler, S. 3, 10; zum darüber hinausgehenden Vorteil der Fristsetzung Klarheit für beide Parteien zu schaffen, Jud, JJZ 2001, 205, 2015. 195 Canaris, FS Kropholler, S. 3, 10. 196 MünchKommBGB/Ernst, § 323, Rn. 60. 197 In diesem Sinne auch Hanau, NJW 2007, 2806, 2809. 198 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 81; Krause, Jura 2002, 299, 300. 199 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 31; Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 893; Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176.

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leistung trotz Fristsetzung handelt es sich um eine Pflichtverletzung.200 Auch wenn der Gläubiger in aller Regel weiterhin ein Interesse am Festhalten am Vertrag haben wird,201 wird er im Rahmen des § 323 Abs. 1 BGB jedoch grds. selbst dann an den Vertrag gebunden, wenn er sich ausnahmsweise bereits zu diesem Zeitpunkt vom Vertrag lösen möchte.202 Daraus folgt, dass der Gesetzgeber ein etwaiges Lösungsinteresse des Gläubigers trotz der Pflichtverletzung des Schuldners noch nicht für gewichtiger als das Bestandsinteresse des Schuldners einstuft.203 Vielmehr muss der Gläubiger darüber hinaus noch den erfolglosen Ablauf einer (weiteren) angemessenen gesetzten Frist abwarten, bevor sein konkretes Lösungsinteresse sich gegenüber dem konkreten Bestandsinteresse des Schuldners durchsetzen kann.204 Der erfolglose Ablauf der angemessen gesetzten Frist wirkt sich dabei einerseits zugunsten des Lösungsinteresses und andererseits zum Nachteil des Bestandsinteresses aus. Die Fristsetzung dient insoweit, wie Canaris feststellt, dem Schutz des elementaren Grundsatzes pacta sunt servanda205 Die Fristsetzung hat für den Schuldner eine Warnfunktion.206 Inhaltlich muss die Aufforderung bestimmt und eindeutig erfolgen.207 Höfliches Drängen zur Leistung ist ebenso wie der bloße Wunsch oder die Bitte zur Leistung nicht als Aufforderung zur Leistung ausreichend.208 Vielmehr bedarf es eines gewissen Maßes an Nachdruck für die Leistungsaufforderung, sodass dem Schuldner klar wird, dass es mit dem Fristablauf ernst werden kann.209 Nach teilweise vertretener Ansicht ist es sogar erforderlich dem Schuldner deutlich zu machen, dass es sich um eine letzte Gelegenheit für den Schuldner zur Leistung handelt.210 Legt man die von der Literatur und Rechtsprechung gestellten hohen Anforderungen an die Fristsetzung zugrunde, wird dem Schuldner mit der Fristsetzung verdeutlicht, dass der Fortbestand des Vertrags im Falle des weiteren Ausbleibens der Leistung in Gefahr ist.211 So formuliert Herresthal etwa zutreffend, „ein Schuldner, der trotz Ablaufs einer angemessenen Nachfrist nicht leistet, darf nicht er200

s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). 202 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1175; die bloße Vertragsverletzung des Schuldners hat insoweit zunächst keine Konsequenzen, Unberath, Vertragsverletzung, S. 360. 203 In diesem Sinne auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 369. 204 Krause, Jura 2002, 217, 218; Münch, Jura 2002, 361, 365. 205 Canaris, JZ 2001, 499, 510. 206 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 893; Canaris, JZ 2001, 499, 510; Stoll, AcP 136, 257, 296. 207 Palandt/Grüneberg, § 323 BGB Rn. 12. 208 Palandt/Grüneberg, § 323 BGB Rn. 13; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 72. 209 Palandt/Grüneberg, § 323 BGB Rn. 13. 210 OLG Köln, Beschl. v. 1.9.2003 – 19 U 80/03 ZGS 2003, 392; dies für zu weitgehend haltend, Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 78. 211 Gsell, JZ 2001, 65, 68. 201

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warten, dass der andere Teil weiterhin an den Vertrag gebunden wird“.212 Auch wenn Hanau mit Recht darauf hinweist, dass die Warnfunktion der Fristsetzung im Vergleich zu der vor der Schuldrechtsmodernisierung erforderlichen Nachfrist mit Ablehnungsandrohung geringer ist,213 wird das Vertrauen des Schuldners in den Fortbestand des Vertrags für den Fall der Nichtleistung trotz Fristablauf durch die Fristsetzung ebenfalls erschüttert. Dieses Vertrauen stellt indes den Grund für die besondere Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses dar.214 Die in der Fristsetzung liegende Warnung rechtfertigt also eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses.215 Während die Fristsetzung dazu führt, dass das Vertrauen des Schuldners in den Fortbestand des Vertrags zerstört wird und damit eine Abwertung seines konkreten Bestandinteresses gerechtfertigt erscheint, hat der mit dem Fristlauf einhergehende Zeitablauf andererseits eine höhere Gewichtung des Lösungsinteresses zur Folge. Denn mit dem zusätzlichen Zeitablauf wächst auch die Beeinträchtigung des Interesses des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung. In diesem Zusammenhang liegt der Fokus auf der Angemessenheit der Frist – hierdurch wird letztlich der Zeitraum beschrieben, den Abzuwarten der Gesetzgeber dem Gläubiger für zumutbar hält.216 Sobald dieser Zeitraum überschritten ist, kann ein weiteres Zuwarten seitens des Gläubigers nicht mehr verlangt werden.217 Die Kombination von Warnung des Schuldners (und der daraus resultierenden Entwertung seines Bestandsinteresses) und dem weiteren Zuwarten des Gläubigers (und der damit verbundenen Aufwertung des Lösungsinteresses) führt nach der verobjektivierten Interessenabwägung in § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB dazu, dass das konkrete Lösungsinteresse zum Zeitpunkt des erfolglosen Fristablaufs grds. gegenüber dem konkreten Bestandsinteresse überwiegt. Eine abweichende Interessenbewertung ist nach Ansicht des Gesetzgebers jedoch in den Fällen des § 323 Abs. 6 BGB geboten.218 Nach § 323 Abs. 6, 1. Fall BGB ist der Rücktritt zunächst dann ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Dem Ausschluss des Rücktritts nach § 323 Abs. 6, 1. Fall BGB liegt also die Überlegung zugrunde, dass ein Verschulden des Gläubigers nicht unberücksichtigt bleiben soll.219 Allerdings wird das Rücktrittsrecht nicht 212

Herresthal, Jura 2008, 561, 562. Hanau, NJW 2007, 2806. 214 s. o. Kapitel 2, § 3, A. 215 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 41; so auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 369; Krause, Jura 2002, 299, 303. 216 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 893. 217 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 31. 218 Unberath, Vertragsverletzung, S. 367. 219 NK-BGB/Dauner-Lieb, § 323 Rn. 48. 213

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bereits dann ausgeschlossen, wenn den Gläubiger überhaupt eine Verantwortlichkeit für das Ausbleiben der Leistung trifft oder seine Verantwortlichkeit höher ist, als die des Schuldners, sondern erst wenn die Verantwortlichkeit des Gläubigers wesentlich größer als die des Schuldners ist. Der Gesetzesbegründung nach soll dem Gläubiger der Rücktritt dementsprechend verwehrt sein, wenn seine Mitverantwortung für die objektive Vertragsverletzung ein Ausmaß annimmt, welches nach § 254 BGB auch einen Schadensersatzanspruch verhindern würde.220 Von einem weiten Überwiegen wird in der Literatur bei einer Verantwortlichkeit von 90 % ausgegangen.221 Eine Verantwortlichkeit des Gläubigers bei der Entstehung des Lösungsrechts im Rahmen des § 323 BGB hat demnach nicht per se zur Folge, dass das Lösungsinteresses des Gläubigers gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners unterliegt. Nur in Konstellationen, in denen die Verantwortlichkeit des Schuldners bloß nebensächlich ist, soll sich das Lösungsinteresse nicht gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen können. Der Gläubiger soll dann am Vertrag festgehalten werden, da sein Interesse an der anderweitigen zeitnahen Beschaffung der Sache nicht als schutzwürdig eingestuft wird. Nach § 323 Abs. 6, 2. Fall BGB ist der Rücktritt auch dann ausgeschlossen, wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende zum Rücktritt berechtigende Umstand während des Annahmeverzugs des Gläubigers eintritt. Dem Ausschluss des Rücktritts nach § 323 Abs. 6, 2. Fall BGB liegt dabei eine mit dem § 323 Abs. 6, 1. Fall BGB vergleichbare Überlegung zugrunde: Hat der Gläubiger gegen seine Annahmeobliegenheit verstoßen, geht das Ausbleiben der ihm versprochenen Leistung zu seinen Lasten.222 Sein Interesse an der Leistung hätte bereits befriedigt sein können. Wenn nunmehr zu einem späteren Zeitpunkt ein Umstand eintritt, infolgedessen die Leistung auch nach dem Fristablauf nicht erbracht wird, kann die generelle Wertung des § 323 Abs. 1 BGB, dass das Lösungsinteresse bei Nichtleistung trotz Fristablauf gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegt, nicht gelten. Denn die Tatsache, dass die Leistung noch nicht erfolgt ist, beruht im Wesentlichen auf der Obliegenheitsverletzung des Gläubigers und ist deshalb nicht dem Schuldner zuzurechnen.223 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schuldner für den Umstand, wegen dem die Leistung auch nach Fristablauf ausgeblieben ist, verantwortlich ist. Diesbezüglich ist aber zu beachten, dass der Schuldner die Leistung lediglich wegen der Obliegenheitsverletzung des Gläubigers überhaupt noch nicht erbracht hat. Aus diesem Grund beschränkt § 300 Abs. 1 BGB die Verantwortlichkeit des Schuldners auch auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.224 Insgesamt geht das Ausbleiben der Leistung trotz Fristablaufs 220

RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 187. Palandt/Grüneberg, § 323 BGB Rn. 29; Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 22; BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 34; kritisch Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. E 7. 222 Krause, Jura 2002, 299, 303. 223 Diederichsen, JuS 1985, 825, 826. 224 Staudinger/Feldmann, § 300 BGB Rn. 3. 221

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nach der gesetzgeberischen Wertung beim Annahmeverzug also soweit zulasten des Gläubigers, wie der Schuldner den hierzu führenden Umstand nicht vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat. Erst wenn mindestens grobe Fahrlässigkeit des Schuldners zum Ausbleiben der Leistung bei Fristablauf beigetragen hat, führt die ursprüngliche Verletzung der Annahmeobliegenheit nicht dazu, dass das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung, aus dem sich das Lösungsinteresse ergibt, gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners unterliegt. Die Regelung in § 323 Abs. 6 BGB ist erforderlich, da der Rücktritt vom Verschulden des Schuldners unabhängig ist.225 Vielmehr reicht im Rahmen der Nichtleistung trotz Fristsetzung grundsätzlich die objektive Nichterbringung der Leistung trotz Fristsetzung aus.226 Wenn jedoch der Gläubiger für das Ausbleiben der Leistung allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, oder aber ein vom Schuldner nicht zu vertretender Umstand während seines Annahmeverzugs hierzu führt, erscheint es unangebracht, dem Gläubiger die Befugnis zur Beseitigung der Gegenleistungspflicht zu geben.227 Hier ist dem Gläubiger die Störung, auf die er sein Rücktrittsrecht stützt letztlich zuzurechnen.228 In derartigen Fällen soll dann aber sein Lösungsinteresse nicht gewichtiger sein als das Bestandsinteresse des Schuldners.229 Obwohl dass das Lösungsrecht der Umsetzung von Art. 18 Abs. 2 der VR-RiL und somit auch der Verwirklichung des Binnenmarktes und damit dem Gemeinwohlinteressen dient, wird die gesetzgeberische Interessenabwägung bezüglich der Frage nach dem „Ob“ des Rücktritts hiervon allerdings nicht tangiert. Denn die Förderung des Binnenmarktes erfolgt hier nicht durch das Lösungsrecht als solches, sondern lediglich über die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen der Nichtleistung bei bei Verbraucherkaufverträgen.230 c) Beurteilung der Regelungen zum Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Gegenleistung nach Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB Beim Rücktritt wegen vollständiger Nichtleistung trotz Fristsetzung nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB folgt das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse daraus, dass sich der Vertragsschluss aus Sicht des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur Erreichung des mit ihm beabsichtigten Zwecks erweist.231 225 226 227 228 229 230 231

Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 21. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. E 3. So i. E. auch Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. E 2. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. E 10. So auch Kern, AcP 2000, 684, 700 f. bezüglich des § 326 Abs. 2 BGB. Erwägungsgrund 51 f. der VR-RiL. s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a).

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Unter den Voraussetzungen des § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB ist diese Einschätzung, wie zuvor gezeigt, auch sachlich gerechtfertigt.232 Damit gewährleisten die Voraussetzungen des Rücktritts wegen vollständigem Ausbleiben der Leistung, dass die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegenden Umstände auch im konkreten Fall vorliegen.233 Das Vertragsauflösungsrecht ist damit auch im Einzelfall objektiv berechtigt.234 Die Ursache, dass der Gläubiger den Vertrag für die Erreichung des beabsichtigten Zwecks ungeeignet hält, liegt in der Nichtleistung des Gläubigers trotz Fälligkeit und Ablaufs einer angemessenen Frist.235 Dem Lösungsinteresse liegt somit die Verletzung von Pflichten des Schuldners zugrunde, sodass dieser die Entstehung des Lösungsinteresses zurechenbar verursacht hat.236 Über die bloße Nichtleistung trotz Fälligkeit hinaus erfordert das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB zudem den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist. Das zusätzliche Abwarten rechtfertigt eine höhere Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses.237 Durch die in der Fristsetzung enthaltene Warnung wird auf der anderen Seite das Vertrauen des Schuldners in den Fortbestand des Vertrags erschüttert, sodass nach dem erfolglosen Ablauf der Frist zudem eine geringere Gewichtung seines Bestandsinteresses gerechtfertigt ist.238 Das Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses führt dazu, dass der Schuldner nach der Konzeption des Gesetzes – trotz seiner Pflichtverletzung – eine weitere Chance erhalten soll, sich seine Gegenleistung zu verdienen.239 Zudem wird das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, die einer Schutzwürdigkeit des Lösungsinteresses im Wege stehen.240

232

In diesem Sinne auch Lorenz, DAR 2007, 506, 506. Lorenz, DAR 2007, 506, 506. 234 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1175; wie bereits Unberath feststellt hat, gilt diesbezüglich, dass die Regelung eines Lösungsrechts umso überzeugender ist, je weniger sie es dem Gläubiger gestattet, die das generelle Lösungsinteresse begründenden Umstände als Vorwand für die Aufhebung eines Vertrages zu nutzen, der aus ganz anderen Gründen bereut wird, Unberath, Vertragsverletzung, S. 634. 235 s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). 236 Schwab, JuS 2002, 630, 632; dies rechtfertigt bereits eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses des Schuldners, Stoll, AcP 1929, 141, 167; kritisch, ob das auch für Fälle zutrifft, in denen der Schuldner an der rechtzeitigen Leistung wegen höherer Gewalt gehindert war, Kaiser, JZ 2001, 1057, 1064 f. 237 s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.b). 238 In diesem Sinne auch Schwab, ZGS 2003, 73, 75, der die Möglichkeit für den Schuldner, sich auf das Scheitern des Vertrags einstellen zu können als Ausdruck einer aufgewogenen Interessenbewertung ansieht. 239 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 56; Lorenz, NJW 2005, 1321, 1323; Lorenz, DAR 2007, 506, 506. 240 s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). 233

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Entgegen der Ansicht von Herrestahl241 und Hanau242 ergibt sich somit aus der Gesamtschau der Voraussetzungen des § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB, dass dem abstrakten Bestandsinteresse im Rahmen des Rücktritts wegen Nichtleistung trotz Fristsetzung ein sehr hohes Gewicht vom Gesetzgeber zugemessen wird.243 2. Der Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB In § 323 Abs. 5 S. 1 BGB wird der § 323 Abs. 1 BGB dahingehend modifiziert, dass der Gläubiger in Fällen, in denen der Schuldner eine Teilleistung bewirkt hat, nur vom ganzen Vertrag zurücktreten kann, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Die Bestimmung betrifft sowohl Situationen, in denen der Schuldner zum Fälligkeitszeitpunkt nur eine Teilleistung erbracht hat und es versäumt, innerhalb der Frist den noch ausstehenden Teil zu erbringen, als auch die Situationen, in denen der Schuldner zum Zeitpunkt der Fälligkeit noch überhaupt keine Leistung erbracht hat und innerhalb der Frist lediglich einen Teil der geforderten Leistung erbringt.244 a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB Nach § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB kann der Gläubiger, sofern der Schuldner eine Teilleistung bewirkt hat, nur unter der zusätzlichen Voraussetzung vom ganzen Vertrag zurücktreten, dass er an der Teilleistung kein Interesse (mehr) hat. Im Umkehrschluss folgt aus der Formulierung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB, dass der Gläubiger bei einer Teilleistung ohne diese zusätzliche Voraussetzung jedenfalls teilweise vom Vertrag zurücktreten kann.245 Begründen lässt sich dies damit, dass die Formulierung „vom ganzen Vertrag“ nur dann einen Sinn hat, wenn auch ein Bereich der Teilleistung existiert, indem die Schwelle des Interessenwegfalls nicht überschritten werden muss.246 Der Teilrücktritt kommt in Betracht, sofern der Schuldner eines gegenseitigen Vertrags eine Teilleistung erbracht hat.247 In Abgrenzung zur vollständigen Nichtleistung ist eine Teilleistung 241

Herresthal, Jura 2008, 561, 562. Hanau, NJW 2007, 2806, 2807. 243 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 893; in diesem Sinne auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 370; Canaris, JZ 2001, 499, 510, der die Regelung für einen optimalen Kompromiss der widerstreitenden Interessen von Gläubiger und Schuldner hält. 244 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 179. 245 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 42; Peukert, AcP 2005, 430, 440. 246 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 170. 247 Lorenz, DAR 2007, 506, 506. 242

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB erbracht worden, wenn der Schuldner zumindest eine von mehreren geschuldeten Leistungen oder den Teil einer geschuldeten Leistung erbracht hat.248 Voraussetzung ist dementsprechend die Teilbarkeit der vom Schuldner zu erbringenden Leistung.249 Zur Bestimmung der Teilbarkeit wird insbesondere auf die wirtschaftlich-gegenständliche und wirtschaftlichrechtliche Zerlegbarkeit abgestellt.250 An einer wirtschaftlich-gegenständlichen oder auch technischen Teilbarkeit fehlt es dann, wenn die unvollständige Leistung aus Komponenten besteht, die ohne den ausstehenden Teil ihrer wesentlichen Funktion beraubt sind.251 Die wirtschaftlich-rechtliche Teilbarkeit ist zu verneinen, wenn der Schuldner bezüglich eines einheitlichen Leistungsgegenstands mehrere Leistungen schuldet, wie beispielsweise der Verkäufer die Übergabe und Übereignung der Kaufsache.252 Auf der anderen Seite kommt ein Teilrücktritt nur dann in Betracht, wenn auch die vom Gläubiger seinerseits zu erbringende Leistung teilbar ist.253 Denn der Teilrücktritt bedeutet, dass der Gläubiger sich mit der empfangenen Teilleistung zufrieden gibt, dafür aber auch seine Gegenleistungspflicht auf den für die bewirkte Leistung geschuldeten Teil reduziert wird.254 Die Frage nach der Teilbarkeit der Gegenleistung wird ebenso bestimmt wie die Teilbarkeit der Leistung.255 Relevant ist die Frage nach der Teilbarkeit der Gegenleistung insbesondere in den Fällen von Tauschverträgen und Verträgen über Sach- oder Dienstleistungen, in denen das Entgelt lediglich teilweise erbracht wurde.256 Was das Lösungsinteresse beim Teilrücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung nach Fristablauf betrifft, lassen sich die Überlegungen zum Rücktritt beim vollständigen Ausbleiben der Leistung trotz Fristablauf in leicht modifizierter Form übertragen.257 Aus der Gegenseitigkeit des Vertrags folgt, dass sich der 248 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 138; in diesen Fällen folgt das Rücktrittsrecht ausschließlich aus § 323 Abs. 5 S. 1 BGB, BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 42. 249 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 42; Peukert, AcP 2005, 430, 439. 250 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 43; umstritten ist, ob für die Beurteilung der Teilbarkeit zudem auf den Inhalt und Zweck des Vertrags nach dem Parteiwillen abzustellen ist (dafür: BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 43; dagegen: Huber, Leistungsstörungen, II, § 45 I 2 c), 416 f.; Kaiser, Rückabwicklung, S. 143 ff.). 251 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 173 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 27.06.1990 – VIII ZR 72/89, NJW-RR 1990, 1462; BGH, Urt. v. 07.03.1990 – VIII ZR 56/89, NJW 1990, 3011, 3012. 252 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 173. 253 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 43. 254 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 43; hierbei kann auf die Grundsätze des § 441 Abs. 3 BGB abgestellt werden. 255 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 177. 256 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 177. 257 Zum Rücktritt beim vollständigen Ausbleiben der Leistung trotz Fristablauf oben, Kapitel 2, § 5, A.I.1.a).

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Gläubiger seinerseits nur zur vollen Gegenleistung verpflichtet hat, weil er ein Interesse am zeitnahen Erhalt der vollen Schuldnerleistung hat. Mit der Teilleistung wurde das Interesse des Gläubigers am vollständigen Erhalt der Leistung nicht befriedigt.258 Mit Ablauf der Nachfrist wird für den Gläubiger erkennbar, dass sein Interesse am vollständigen Erhalt der Leistung im Rahmen des bestehenden Vertrags wohl auch auf absehbare Zeit nicht befriedigt werden wird. Hat der Gläubiger eine Teilleistung erhalten, muss er sich zur Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der vollen Leistung jedoch grds. nicht vollständig anderweitig eindecken.259 Zur Befriedigung seines Interesses reicht in der Regel vielmehr die anderweitige Beschaffung des ausstehenden Teils.260 Aber auch hier besteht die Gefahr, dass der Gläubiger sich die Leistung zeitnah anderweitig beschafft und der ursprüngliche Schuldner im Laufe der Zeit auch noch leistet, sodass der Gläubiger den ausstehenden Teil doppelt erhält und hierzu zweimal eine entsprechende Gegenleistung erbringen muss. Um ein solches, oft wirtschaftlich unsinniges Ergebnis zu vermeiden, kann der Gläubiger ein Interesse daran haben sich hinsichtlich des ausstehenden Leistungsteils – und eines entsprechenden Teils der Gegenleistung – vom Vertrag zu lösen.261 Es ist natürlich ebenso denkbar, dass der Gläubiger, dem trotz Fristablaufs lediglich eine Teilleistung erbracht wurde, sich aus bestimmten Gründen auch vollständig anderweitig eindecken möchte.262 Ein Interesse an der vollständigen anderweitigen Eindeckung kann sich etwa daraus ergeben, dass der Gläubiger die Leistungsteile aus „einer Hand“ erhalten möchte,263 daraus, dass dies wirtschaftlich günstiger264 bzw. bequemer ist, oder sogar daraus, dass der Gläubiger den Schuldner wegen dessen Pflichtverletzung „abstrafen“ möchte. In den Fällen, in denen der Gläubiger sich vollständig anderweitig mit der Leistung eindecken möchte, benötigt er den bereits erhaltenen Leistungsteil zur vollständigen Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung allerdings nicht. Die anderweitige vollständige Beschaffung der gewünschten Leistung in Kombination mit einem Teilrücktritt hinsichtlich des ursprünglichen Vertrags würde jedoch bedeuten, dass der Gläubiger den bereits erhaltenen Leistungsteil doppelt erhält und hierfür jeweils eine Gegenleistung erbringen muss, was sich häufig ebenfalls als wirtschaftlich unsinnig erweist. In diesem Fall hat der Gläubiger hinsichtlich des ursprünglichen Vertrags ein Interesse am Rücktritt vom ganzen Vertrag.265 258 259 260 261 262 263 264 265

Medicus, JuS 1990, 689, 690. Peukert, AcP 2005, 430, 438. Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. Flessner, ZEuP 1997, 255, 289. Krause, Jura 2002, 299, 303. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 187. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 187. Flessner, ZEuP 1997, 255, 289.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

In beiden Fällen folgt das Lösungsinteresse auch hier im Ergebnis daraus, dass der Vertrag sich aus Sicht des Gläubigers im Nachhinein als ungeeignet zur vollumfänglichen Befriedigung desjenigen Interesses erweist, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB Was die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Teilrücktritt wegen teilweisen Ausbleiben der Leistung trotz Fristablauf betrifft, so ergeben sich keine Unterschiede zu den Fällen des Rücktritts vom ganzen Vertrag wegen vollständigem Ausbleiben der Leistung trotz Fristablauf. Auch in Bezug auf den Teilrücktritt ist die bloße Pflichtverletzung, hier in Form der Teilleistung, nach Bewertung des Gesetzgebers nicht ausreichend, damit das Teillösungsinteresse des Gläubigers sich gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners durchsetzen kann. Der Gläubiger hat ebenfalls den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist abzuwarten, wodurch sich einerseits eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses des Schuldners und andererseits eine stärkere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses des Gläubigers rechtfertigt.266 Zudem gelten die Vorgaben des § 323 Abs. 6 BGB mit der Folge, dass sich das Lösungsinteresse in den dort genannten Fällen nicht gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen kann. Die zusätzlichen Voraussetzungen der Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung sind hier lediglich den tatsächlichen Umständen geschuldet.267 Denn nur wenn es sich bei der ausgebliebenen Leistung um einen zerlegbaren Teil der Gesamtleistung handelt und diesem ein entsprechend zerlegbarer Teil der Gegenleistung gegenübersteht, kann der Gläubiger durch den Teilrücktritt sein Interesse am vollständigen Erhalt der von ihm gewünschten Leistung erreichen.268 Bedeutung für die Interessengewichtung haben die zusätzlichen Voraussetzungen beim Teilrücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB nicht. Das Rücktrittsrecht vom ganzen Vertrag bei teilweiser Nichtleistung trotz Fristablaufs erfordert zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB, dass der Gläubiger an der erbrachten Teilleistung kein Interesse hat. Zur Beurteilung des Teilleistungsinteresses ist dabei ein objektiver Maßstab anzulegen, der sich vornehmlich an dem individuellen Zweck zu orientieren hat, den der Gläubiger mit der versprochenen Leistung verfolgte.269 266

Lorenz, DAR 2007, 506, 506. BGH, Urt. v. 27.06.1990 – VIII ZR 72/89, NJW-RR 1990, 1462. 268 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. 269 BGH, Urt. v. 07.03.1990 – VIII ZR 56/89, NJW 1990, 3011, 3012; BGH, Urt. v. 27.06.1990 – VIII ZR 72/89, NJW-RR 1990, 1462, 1464f; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 187. 267

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Hat der Schuldner also einen Teil der Leistung erbracht, besteht damit im Vergleich zum Rücktritt wegen vollständigen Ausbleibens der Leistung eine weitere Schwelle für den Gläubiger, der sich vom gesamten Vertrag lösen möchte. Auch diese dient letztlich dem Schutz des Bestandsinteresses des Schuldners.270 Der Vertrag soll soweit wie möglich aufrechterhalten werden.271 Die Beschränkung des Rücktritts vom ganzen Vertrag steht hierbei in einem Zusammenhang mit der Möglichkeit zum Teilrücktritt.272 Der Regelung liegt die Wertung zugrunde, dass der Gläubiger, der auch auf den Teilrücktritt zurückgreifen kann, gehalten ist, im Interesse des Schuldners davon Gebrauch zu machen und auf diese Weise sein Interesse an der ganzen Leistung zu befriedigen.273 Erst wenn es dem Gläubiger auch durch einen Teilrücktritt und die anderweitige Beschaffung des ausgebliebenen Leistungsteils nicht möglich ist, sein Interesse an der versprochenen Leistung vollumfänglich zu befriedigen, soll er berechtigt sein sich vollständig vom Vertrag lösen zu können, um die Möglichkeit zu haben sein Interesse anderweitig zu befriedigen.274 Insofern ist für die Bestimmung des Interesses an der Teilleistung nicht zu fragen, ob der Gläubiger sein Leistungsinteresse durch die Teilleistung zumindest teilweise befriedigen kann, sondern, ob es dem Gläubiger möglich ist durch einen Teilrücktritt und eine anderweitige Beschaffung des ausstehenden Leistungsteils sein Interesse an der Gesamtleistung zu befriedigen.275 Ist dies der Fall, ist das Interesse an der vollständigen Lösung vom Vertrag von geringerem Gewicht. Auf der anderen Seite ist das Bestandsinteresse des Schuldners von besonderem Gewicht, da dieser wegen seiner – wenngleich unvollständigen – Leistung im Falle des Rücktritts durch die Rückabwicklung besonders belastet würde.276 Vor dem Hintergrund dieser Interessenbewertung erklärt sich zudem, dass auch der Rücktritt vom ganzen Vertrag nach § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB die Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung voraussetzt. Anders als beim Teilrücktritt sind Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung für den vollständigen Rücktritt vom Vertrag nicht aus tatsächlichen Gründen erforderlich – schließlich wird der Vertrag insgesamt betroffen. Aber nur wenn es dem Gläubiger auch möglich ist, sein Leistungsinteresse letztlich auch durch den Teilrücktritt zu verwirklichen, ist es gerechtfertigt das Lösungsinteresse des Gläubigers trotz unvollständiger Leistung hinter das Bestandsinteresse des Schuldners zurücktreten zu lassen.277 Sofern es 270

Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925. Grundsatz der Teilabwicklung, Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 116. 272 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 170. 273 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 44; Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. 274 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 187. 275 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 191. 276 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118; Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925; Flessner, ZEuP 1997, 255, 264. 277 In diesem Sinne auch Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 192. 271

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

aber an der Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung fehlt, kann das Interesse des Gläubigers eben nicht auf dem weniger einschneidenden Weg des Teilrücktritts befriedigt werden, sodass dem Gläubiger hier ohnehin ein Rücktritt vom ganzen Vertrag möglich sein muss.278 Die Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung stellt im Rahmen des Rücktritts vom ganzen Vertrag wegen Teilleistung trotz Fristsetzung also ein Wertungskriterium dar.279 Betrachtet man das Zusammenspiel vom Teilrücktritt und Rücktritt vom ganzen Vertrag nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB, wird deutlich, dass der Gesetzgeber in Teilleistungsfällen unterstellt, dem Gläubiger sei die Befriedigung seines Interesses in der Regel auch durch bloße anderweitige Beschaffung des ausgebliebenen Teils möglich.280 Nur wenn der Ausnahmefall vorliegt, dass der Gläubiger sein Interesse durch eine anderweitige Beschaffung des ausgebliebenen Teils nicht zu befriedigen vermag, soll das Lösungsinteresse des Gläubigers hinsichtlich des ganzen Vertrags gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners überwiegen.281 c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen teilweisen Ausbleibens der Leistung trotz Fristablauf gem. § 323 Abs. 1, 5 S. 1 BGB Auch in den Fällen des Teilrücktritts und des Rücktritts vom ganzen Vertrag wegen teilweisen Ausbleiben der Leistung trotz Fristablauf folgt das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse daraus, dass sich der Vertragsschluss aus Sicht des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur (vollständigen) Erreichung des mit ihm beabsichtigten Zwecks erweist. Mit dem erfolglosen Ablauf der Frist zur Erbringung des ausstehenden Teils erweist sich die dem Lösungsinteresse zugrunde liegende Befürchtung des Gläubigers als objektiv berechtigt.282 Insofern wird auch im Rahmen des Rücktritts nach § 323 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BGB gewährleistet, dass die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegenden Umstände auch im konkreten Fall vorliegen. Das Lösungsrecht ist damit auch im Einzelfall sachlich begründet. Seine Ursache hat das Lösungsinteresse hier ebenfalls in einer Pflichtverletzung des Schuldners, nämlich der Verletzung der Pflicht zur vollständigen Leistung, sodass dem Schuldner das Lösungsinteresse auch beim Rücktritt wegen Teilleistung trotz Fristsetzung zurechenbar ist. Zudem gelten mit der Fristsetzung dieselben hohen Hürden für das Rücktrittsrecht bei Teilleistung trotz Fristablauf, wie sie bereits für den Rücktritt bei vollständigem Ausbleiben der Leistung identifiziert wurden. Dementsprechend 278 279 280 281 282

So im Ergebnis auch BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 43. Flessner, ZEuP 1997, 255, 289. Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. Lorenz, DAR 2007, 506, 506 f. Lorenz, DAR 2007, 506, 506.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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kommt es auch hier erst zum Überwiegen des Lösungsinteresses, wenn einerseits dem konkreten Lösungsinteresse wegen des Zeitablaufs ein besonderes Gewicht zukommt und andererseits das konkrete Bestandsinteresse wegen der vorherigen Warnung geringer zu gewichten ist. Im Zusammenhang damit steht auch die Begrenzung des Lösungsrechts vom ganzen Vertrag auf Fälle, in denen der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse (mehr) hat. Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass der Gläubiger bei Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung grundsätzlich in der Lage ist, sein Interesse am zeitnahen Erhalt der ganzen Leistung unter bloßer anderweitiger Ergänzung der bereits erhaltenen Teilleistung vollständig zu befriedigen und sein Lösungsinteresse in Bezug auf den bereits erlangten Teil demnach in der Regel nicht von besonderem Gewicht ist.283 Der Schuldner ist in Hinblick auf den bereits erbrachten Leistungsteil hingegen besonders schutzwürdig, da der vollständige Rücktritt ihn mit der Rückabwicklung belasten würde.284 Sein diesbezügliches Bestandsinteresse wird deshalb vom Gesetzgeber besonders gewichtet. Durch die objektive Bestimmung des Teilleistungsinteresses wird zudem gewährleistet, dass dem Gläubiger eine Vertragslösung aus anderen Gründen – etwa Bestrafung für die Teilleistung – nicht ohne Weiteres möglich ist.285 Zusammenfassend lässt sich somit auch im Rahmen des Rücktritts wegen Teilleistung trotz Fristablaufs eine sehr hohe Gewichtung des generellen Bestandsinteresses feststellen.286 3. Der Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB Gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB besteht kein Rücktrittsrecht des Gläubigers in Fällen, in denen der Schuldner trotz Ablaufs einer angemessen gesetzten Frist nicht vertragsgemäß geleistet hat, sofern die Pflichtverletzung unerheblich ist. Bei der Regelung zum Rücktritt wegen nichtvertragsgemäßer Leistung trotz Fristsetzung handelt es sich um eine überschießende der Umsetzung der VGKRiL.287 Gemäß Art. 3 Abs. 2 VGK-RiL kann ein Verbraucher im Sinne der Richtlinie beim Verbrauchsgüterkauf vom professionell tätigen Verkäufer Abhilfe verlangen, sofern der Verkäufer dem Verbraucher ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat. Nach Art. 3 Abs. 5, 2. Spiegelstrich VGK-RiL soll der Verbraucher die Vertragsauflösung verlangen können, wenn der Verkäufer diese Abhilfe nicht innerhalb einer angemessenen Frist erbringt. Ausgenommen sind

283 284 285 286 287

Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 117. Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. So auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 372. Riehm, GPR 2014, 309, 309.

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

nach Art. 3 Abs. 6 VGK-RiL allerdings Fälle der geringfügigen Vertragswidrigkeit. a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB Im Unterschied zu den Fällen des vollständigen Ausbleibens der Leistung hat der Gläubiger in den Fällen des § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB die gesamte Leistung erhalten, sie entspricht jedoch nicht dem Vertrag.288 Nicht vertragsgemäß ist die Leistung dann, wenn sie in schlechter Qualität erbracht wurde.289 Hinsichtlich der Begründung des Lösungsinteresses lassen sich die Ausführungen zum Lösungsinteresse bei völliger Nichtleistung trotz Fristablauf weitestgehend auch auf die nichtvertragsgemäße Leistung trotz Fristablauf übertragen.290 In den Fällen des § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB wurde das Interesse des Gläubigers durch den Erhalt der nicht vertragsgemäßen Leistung in aller Regel ebenfalls noch nicht befriedigt, da die empfangene Leistung seinem Vertragsinteresse nicht oder zumindest nur eingeschränkt entspricht.291 Spätestens mit dem vergeblichen Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten, angemessenen Frist zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands mag der Gläubiger Zweifel bekommen, ob der Vertrag zur Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt einer vertragsgemäßen Leistung geeignet ist. Diese Zweifel können dazu führen, dass der Gläubiger sich zur Befriedigung seines Intereses am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung anderweitig eindecken möchte. Ein weiteres Festhalten am ursprünglichen Vertrag wäre aus Sicht des Gläubigers jedoch oftmals wirtschaftlich unsinnig, sofern er sich zur anderweitigen Beschaffung der Leistung entschließt.292 Zur Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung unter Vermeidung wirtschaftlich unsinniger Ergebnisse will der Gläubiger sich in derartigen Fällen also vom ursprünglichen Vertrag lösen.293 An die Stelle seines Bestandsinteresses tritt ein Lösungsinteresse. Das Lösungsinteresse folgt im Ergebnis also auch im Rahmen des § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB daraus, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht

288 Nach zutreffender Ansicht ist in Fällen einer sogenannte Aliud-Leistung, wenn der Gläubiger also irrtümlich eine völlig andere als die geschuldete Leistung annimmt, von einer Nichtleistung nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB auszugehen, Staudinger/ Schwarze, § 323 BGB Rn. C 5. 289 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. C 1. 290 In diesem Sinne auch Lorenz, NJW 2006, 1175, 1175. 291 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118; Peukert, AcP 2005, 430, 438. 292 Siehe hierzu bereits oben, Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). 293 Rieger, VuR 1999, 287, 287; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2504.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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des Gläubigers im Nachhinein als ungeeignet zur vollumfänglichen Befriedigung desjenigen Interesses erweist, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat.294 b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB Das Rücktrittsrecht des Gläubigers aus § 323 Abs. 1 BGB wird in Fällen, in denen der Schuldner trotz Fristablaufs nicht vertragsgemäß geleistet hat, gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ausgeschlossen, sofern es sich um eine bloß unerhebliche Pflichtverletzung handelt.295 In den Fällen von unerheblichen Pflichtverletzungen wird dem Gläubiger also die Möglichkeit genommen sich vollständig vom Vertrag zu lösen um sein Interesse am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung unter Einsatz der Gegenleistung anderweitig zu befriedigen.296 Für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der nicht vertragsgemäßen Leistung um eine erhebliche Pflichtverletzung handelt, sollen die beiderseitigen Interessen umfassend gegeneinander abzuwägen sein.297 Als Testfrage zur Beurteilung der Erheblichkeit stellt der BGH darauf ab, ob die Pflichtverletzung „für viele, wenn nicht gar für die meisten Interessenten ein Grund sein wird, vom Kauf Abstand zu nehmen“ 298. Dabei geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Schwelle jedenfalls in der Regel bereits dann als erreicht ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 % des Kaufpreises überschreitet.299 Solange die Ursache eines aufgetretenen Mangelsymptoms jedoch unklar ist und sich nicht abschätzen lässt, ob überhaupt und mit welchem Aufwand die Ursache aufgefunden und in der Folge beseitigt werden kann, kann die Geringfügigkeit eines Mangels deshalb regelmäßig nur an der von dem Mangelsymptom ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung gemessen werden.300 Nach überzeugender Ansicht ist, entgegen der Rechtsprechung des BGH,301 die arglistige Täuschung des Rücktrittsgegners indes kein die Erheblichkeit der Pflichtverletzung begründender Umstand.302

294

Flessner, ZEuP 1997, 255, 287 f. Honsell, JZ 2001, 278, 279. 296 Lorenz, DAR 2007, 506, 507. 297 BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153; Urt. v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229; BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 39; Vuia, NJW 2015, 1047, 1048; Looschelders, JA 2007, 673, 676. 298 BGH, Urt. v. 05.11.2008 – VIII ZR 166/07, NJW 2009, 508. 299 Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229. 300 BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153; LG Arnsberg, Urt. v. 14.06.2017 – 1 O 227/16, BeckRS 2017, 114381 Rn. 35. 301 Urt. v. 24.03.2006 – V ZR 173/05, NJW 2006, 1960. 302 Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926. 295

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Im Ergebnis soll dem jeweiligen Gläubiger ein entsprechendes Rücktrittsrecht jedenfalls erst dann zustehen, wenn der Mangel auch aus Sicht eines objektiven Gläubigers geeignet ist das Leistungsinteresse soweit zu beeinträchtigen, dass auch dieser ein billiges Interesse daran hätte sich vom Vertrag zu lösen.303 Wird dies verneint, stellt die Pflichtverletzung objektiv also keinen Grund zur Lösung vom Vertrag dar, wird dem Gläubiger die Vertragswidrigkeit der Leistung (vorübergehend) zugemutet.304 Er wird stattdessen auf die klageweise Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsgemäße Leistung verwiesen.305 Grundsätzlich wird durch die Regelung des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB lediglich das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung betroffen, da dem Gläubiger die klageweise Durchsetzung seines Anspruchs grds. weiterhin offensteht und er sein Interesse daran die Leistung überhaupt zu erhalten folglich befriedigen kann.306 Aus einem objektiven Blickwinkel hat der Gläubiger in den Fällen der unerheblichen Pflichtverletzung im Wesentlichen bereits das ihm Versprochene erhalten.307 Da sich ein etwaiges Lösungsinteresse hier also lediglich auf die zeitnahe Herstellung der im Wesentlichen bereits bestehenden Vertragsgemäßheit bezieht, ist es nach Ansicht des Gesetzgebers weniger gewichtig, als in Fällen, in denen der Gläubiger auch objektiv betrachtet eine als zur Befriedigung seines Leistungsinteresses ungeeignete Leistung erhalten hat. Demgegenüber steht eine besondere Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses vom Schuldner, da dieser durch seine – wenngleich vertragswidrige – Leistung im Falle des Rücktritts durch eine Rückabwicklung besonders belastet würde.308 Da die Pflicht des Schuldners zur ordnungsgemäßen Leistung trotz der nicht vertragsgemäßen Leistung grundsätzlich fortbesteht, kann es im Zuge der ordnungsgemäßen Leistung zwar auch ohne Rücktritt zu einer Rückabwicklung im Hinblick auf die nicht vertragsgemäße Leistung kommen (etwa in Fällen der Nachlieferung). Allerdings behält der Schuldner in diesem Fall weiterhin seinen Gewinn. Die besondere Schutzwürdigkeit des Schuldners liegt beim Ausschluss des Rücktritts bei nicht vertragsgemäßer Leistung also darin, dass der Schuldner

303 Vgl. Skamel, SVR 2010, 172, 174; relevante Kriterien sind insbesondere das Verhältnis zwischen Beseitigungsaufwand und Gegenleistung (BGH, Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872) sowie Beschaffenheitsvereinbarungen (BGH, Urt. v. 23.01.2013 – VIII ZR 140/1, NJW 2013, 1523), Schulte-Nölke, ZGS 2011, 385, 1485 f.; kritisch in Bezug auf das Abstellen auf bloß objektive Kriterien, Lorenz, DAR 2007, 506, 509. 304 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 213. 305 Alternativ kommt, sofern dies für den jeweiligen Vertrag zulässig ist, die Minderung der Gegenleistung in Betracht, Lorenz, DAR 2007, 506, 509. 306 Allgemein Unberath, Vertragsverletzung, S. 369; zum Ausnahmefall der Unmöglichkeit der Herstellung der Vertragsmäßigkeit, Kapitel 2, § 5, C. 307 Lorenz, DAR 2007, 506, 509. 308 Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925; Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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beim Rücktritt die Rückabwicklung hinnehmen müsste und nicht einmal seinen Gewinn behalten kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung im Rahmen des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB hinter das Bestandsinteresse zurücktreten muss, obwohl es noch nicht befriedigt wurde und auch auf absehbare Zeit nicht mehr befriedigt wird, sofern die Leistung objektiv im Wesentlichen dem Versprochenen entspricht.309 Denn in derartigen Fällen wird das Lösungsinteresse geringer und das Bestandsinteresse höher gewichtet als im Regelfall des § 323 Abs. 1 BGB, sodass der Gläubiger auf den unter Umständen langwierigen Weg verwiesen wird, seinen Anspruch auf die vollständige Herstellung der Vertragsgemäßheit klageweise durchzusetzen.310 Umgekehrt formuliert kann sich das Lösungsinteresse in den Fällen der nicht vertragsgemäßen Leistung neben den Voraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB nur unter der zusätzlichen Prämisse einer besonderen Erheblichkeit der Pflichtverletzung gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen, da das Bestandsinteresse in derartigen Fällen von besonderem Gewicht ist.311 Das Lösungsrecht aus § 323 Abs. 1, 1. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB dient der Umsetzung von Art. 3 Abs. 3, 5 VGK-RiL, nach dem der Käufer beim Verbrauchsgüterkauf im Falle einer Vertragswidrigkeit der Kaufsache die Vertragsauflösung verlangen kann, sofern er zuvor erfolglos die Nacherfüllung verlangt hat.312 Nach Erwägungsgrund 4 VGK-RiL soll die europäische Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Verbrauchsgüterkaufs Wettbewerbsverzerrungen vermeiden und so zur Integration des Binnenmarktes beitragen.313 Obwohl dass das Lösungsrecht also auch der Verwirklichung des Binnenmarktes und damit Gemeinwohlinteressen dient,314 wird die gesetzgeberische Interessenabwägung bezüglich der Frage nach dem „Ob“ des Rücktritts hiervon allerdings nicht tangiert.315 Denn die Förderung des Binnenmarktes erfolgt, entgegen der Anischt von Heiderhoff,316 nicht durch das Lösungsrecht als solches, sondern lediglich über die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von nicht vertragsgemäßen Leistungen bei Verbrauchsgüterkaufverträgen.317

309

Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925. Insofern soll die Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen, Willert, BC 2002, 161, 162. 311 Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925. 312 Jud, JJZ 2001, 205, 220. 313 Kritisch zur Überzeugungskraft der Erwägungen, Honsell, JZ 2001, 278. 314 Heiderhoff, ZJS 2008, 25, 26. 315 Amtenbrink/Schneider, VuR 1999, 293, 293, 300. 316 Heiderhoff, ZJS 2008, 25, 26. 317 EU-Kommission, ZIP 1996, 1845, 1847. 310

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB aa) Die grundsätzliche Interessenbewertung Auch bei der nicht vertragsgemäßen Leistung trotz Fristablaufs folgt das Lösungsinteresse daraus, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur mit ihm beabsichtigten (vollständigen) Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung erweist.318 Mit dem erfolglosen Ablauf der angemessen gesetzten Frist ist dies aus objektiver Sicht berechtigt, sodass die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegenden Umstände auch im konkreten Fall vorliegen und die Möglichkeit zur Lösung vom Vertrag im Einzelfall sachlich berechtigt erscheint.319 Mit der nicht vertragsgemäßen Leistung trotz Fristablaufs hat der Schuldner das Lösungsinteresse des Gläubigers zudem zurechenbar verursacht. Durch das Fristsetzungserfordernis wird für ein Überwiegen des Lösungsinteresses auch hier eine Aufwertung des konkreten Lösungsinteresses und eine Abwertung des konkreten Bestandsinteresses vorausgesetzt.320 Zudem wird als weitere Voraussetzung statuiert, dass die Pflichtverletzung nicht bloß unwesentlich ist.321 Dem liegt einerseits die bereits im Rahmen des Rücktritts wegen Teilleistung trotz Fristablaufs identifizierte Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass das Bestandsinteresse des Gläubigers besonders schutzwürdig ist, wenn dieser bereits eine Leistung erbracht hat.322 Andererseits wurde das Leistungsinteresse des Gläubigers in Fällen der bloß unerheblichen Pflichtverletzung zumindest objektiv im Wesentlichen befriedigt, sodass das Lösungsinteresse in derartigen Fällen geringer gewichtet wird. Die objektive Beurteilung, ob die Pflichtverletzung wesentlich ist, gewährleistet zudem, dass eine Lösung vom Vertrag nicht bereits aus sachfremden Gründen, wie etwa zur Strafe für die vertragswidrige Leistung, möglich ist.323 Insgesamt kommt auch im Rahmen des Rücktrittsrechts bei nicht vertragsgemäßer Leistung trotz Fristsetzung ein hohes Gewicht des Bestandsinteresses zum Ausdruck.324 318

Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. Lorenz, JZ 2001, 742, 743; Amtenbrink/Schneider, VuR 1999, 293, 298. 320 Wie Gsell feststellt, entsprach das Recht der zweiten Andienung auch bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung oftmals der Parteivereinbarung, Gsell, JZ 2001, 65, 67. 321 Unberath, Vertragsverletzung, S. 372. 322 s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.b). 323 Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098. 324 Staudinger/Matusche-Beckmann, § 440 BGB Rn. 3; Lorenz, JZ 2001, 742, 743; Schubel, ZIP 2002, 2061, 2062. 319

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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bb) Wertungsunterschiede im Vergleich zum Rücktrittsrecht wegen Teilleistung trotz Fristablaufs? Anders als beim Rücktrittsrecht vom ganzen Vertrag wegen Teilleistung bei Fristablauf nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB ist der Rücktritt vom ganzen Vertrag bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung trotz Fristablaufs nach § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB nicht der Ausnahme- sondern der Regelfall.325 Im Vergleich zu § 323 Abs. 5 S. 1 BGB scheint hierin auf den ersten Blick eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses in § 323 Abs. 5 S. 2 zum Ausdruck zu kommen.326 Der Unterschied zwischen den Wertungen in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB und § 323 Abs. 5 S. 1 BGB lässt sich aber damit begründen, dass der Gläubiger im Fall einer nicht vertragsgemäßen Leistung sein Interesse am zeitnahen Erhalt einer ordnungsgemäßen Leistung in der Regel nicht wie beim Teilrücktritt durch eine entsprechende Ersatzbeschaffung des ausstehenden „Qualitätsteils“ verwirklichen kann.327 Insofern stellt die nicht vertragsgemäße Leistung grundsätzlich kein bloßes Minus dar, welches sich durch Ergänzung fehlender Teile zu einer dem Interesse des Gläubigers entsprechenden Leistung komplettieren lässt.328 Damit der Gläubiger sein Interesse an der Leistung vollständig befriedigen kann, ist somit grundsätzlich eine Auflösung des gesamten Vertrags erforderlich.329 Daran ändert es auch nichts, dass Fälle denkbar sind, in denen eine Herstellung des vertragsgemäßen Zustands etwa durch eine Reparatur möglich ist und diese mitunter ebenso von einem Dritten wie vom Schuldner erbracht werden kann. Hierbei handelt es sich nach der gesetzgeberischen Beurteilung jedenfalls um Ausnahmefälle.330 Bei der Teilleistung stellt die Möglichkeit zur anderweitigen Beschaffung der vollständigen Leistung nach der Einschätzung des Gesetzgebers hingegen den Regelfall dar.331 Soweit aber der Gläubiger auch bei der nicht vertragsgemäßen Leistung die Möglichkeit hat, die Vertragsmäßigkeit anderweitig herstellen zu lassen und so sein Leistungsinteresse zu befriedigen, ohne dass es einer vollständigen Beseitigung der beiderseitigen Vertragspflichten bedürfte, könnte man entsprechend § 323 Abs. 5 S. 1 BGB zwischen einem teilweisen und einem vollständigen 325

Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 116. Das Gesetz ist, wie Lorenz formuliert, im Falle einer qualitativen Teilleistung weniger streng als bei der quantitativen Teilleistung, Lorenz, NJW 2006, 1925, 1925; in diesem Sinne auch Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098; Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 116. 327 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. 328 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 211. 329 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118; Peukert, AcP 2005, 430, 438. 330 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118. 331 Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098; Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118; Peukert, AcP 2005, 430, 438. 326

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Rücktritt differenzieren.332 Ein teilweiser Rücktritt könnte so aussehen, dass der Gläubiger sich mit der Schlechtleistung zufrieden gibt, im Gegenzug jedoch lediglich zu einer geringeren Gegenleistung verpflichtet wäre, um den restlichen Teil der ursprünglich geschuldeten Gegenleistung zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands einzusetzen.333 Sofern es dem Gläubiger jedoch auch bei der nicht vertragsgemäßen Leistung möglich ist, ohne die vollständige Beseitigung der vertraglichen Bindungen sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung zu befriedigen, müsste man begründen, warum ein Rücktritt vom ganzen Vertrag bei einer Teilleistung nur unter deutlich höheren Voraussetzungen – nämlich dem objektiven Fehlen des Interesses an der erhaltenen Leistung – möglich ist als ein Rücktritt vom ganzen Vertrag bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung. Jedenfalls in den Fällen, in denen auch bei der nicht vertragsgemäßen Leistung der teilweise Rücktritt denkbar ist, scheint es zunächst nur konsequent die Wertungen des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB hinsichtlich der Beurteilung des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse heranzuziehen. Demnach könnte das Lösungsinteresse sich gegenüber dem Bestandsinteresse nicht durchsetzen, wenn dem Gläubiger ein weniger einschneidender Weg zur Befriedigung seiner Interessen zur Verfügung steht. Wenn also ein bloß teilweiser Rücktritt auch bei nichtvertragsgemäßen Leistungen ausreicht, um das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung vollständig zu befriedigen, müsste dem Gläubiger die Möglichkeit des vollständigen Rücktritts zum Schutz des Bestandsinteresses versperrt sein.334 Allerdings besteht zwischen der Teilleistung und der nicht vertragsgemäßen Leistung ein gravierender Unterschied. Bei der Teilleistung ergibt sich aus der vorausgesetzten Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung, dass jedem Leistungsteil ein entsprechender Gegenleistungsteil gegenübersteht.335 Und im Verhältnis zwischen dem Leistungsteil zum Gegenleistungsteil spiegelt sich das Verhältnis zwischen der Gesamtleistung zur Gesamtgegenleistung entsprechend wider. Andersherum formuliert setzt sich der Gesamtumfang von Leistung und Gegenleistung aus den einzelnen Teilleistungen bzw. ihrer Teilgegenleistungen zusammen. Das hat beim Teilrücktritt zur Folge, dass der Schuldner letztlich nur 332 So etwa Kohler, AcP 2015, 165, 199; zur Frage der Zulässigkeit eines teilweisen Rücktritts bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung s. u. 333 Im Rahmen des Kauf- und Werkvertragsrechts sowie im Miet-, Pacht- und Reisevertragsrecht bedarf es einer solchen Möglichkeit bereits wegen der ausdrücklichen Regelung der Minderung in den §§ 441, 638 bzw. 536, 581 Abs. 2, 651d BGB nicht, Peukert, AcP 2005, 430, 432. 334 In diesem Sinne wohl auch Jud, die es für sachlich nicht gerechtfertigt hält, dass ein Käufer selbst dann zur Vertragsauflösung berechtigt ist, wenn er die Sache auch bei Kenntnis des Mangels zu einem geringeren Preis gekauft hätte, Jud, JJZ 2001, 205, 223. 335 Bei einer Teilleistung haben die Parteien die Leistung geteilt und gegeneinander verselbständigt, MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 217.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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auf den Teil der Gegenleistung verzichten muss, der dem Teil der Leistung entspricht, den er dem Gläubiger nicht geliefert hat. Eine weitergehende Gewinneinbuße kommt für den Schuldner nur unter den Voraussetzungen des Schadensersatzes in Betracht, nämlich dann wenn der Gläubiger sich anderweitig zu einem höheren Preis mit dem ausstehenden Teil eindecken muss, als es der Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger entsprach. Hierzu ist allerdings grds. ein Verschulden des Schuldners erforderlich.336 In den Fällen der nicht vertragsgemäßen Leistung fehlt es hingegen an einem derartigen Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.337 Die Gegenleistung lässt sich grundsätzlich nicht vereinbarungsgemäß in einen entsprechenden Teil für eine nicht vertragsgemäße Leistung und einen weiteren Teil für die Vertragsmäßigkeit aufspalten. Damit der Gläubiger im Rahmen eines Teilrücktritts bei nicht vertragsgemäßer Leistung das dem Rücktritt zugrunde liegende Ziel, nämlich die zeitnahe vollständige Befriedigung seines Leistungsinteresses, befriedigen könnte, müsste man die Berechnung des Anteils der Gegenleistung, für welchen die Verpflichtung des Gläubigers wegen des „Teilrücktritts“ entfällt, an den Kosten der Beseitigung der Vertragswidrigkeit orientieren. Insofern wäre es vor dem Hintergrund des Ziels des Rücktritts auch nicht möglich sich in Bezug auf die Berechnung an den Grundsätzen der Minderung nach §§ 441, 536, 638, 651d BGB zu orientieren. Denn anders als beim Rücktritt, ist das Ziel der Minderung die Anpassung des Vertrags an die von den Parteien vorausgesetzte subjektive Gleichwertigkeit der Leistungen.338 Die Minderung soll also gerade nicht gewährleisten, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers am Ende vollständig befriedigt wird, sondern dass der Gläubiger – wenn er sich schon mit der mangelhaften Leistung zufrieden gibt – jedenfalls nicht mehr zahlen soll, als er es hypothetisch in Kenntnis des Mangels getan hätte.339 Ein an den Kosten der Beseitigung der Vertragswidrigkeit orientierter Anteil der Gegenleistung, für welchen die Verpflichtung des Gläubigers wegen des „Teilrücktritts“ entfällt, kann indes bereits bei kleinen Mängel einen überproportionalen Teil der Gegenleistung ausmachen. Hier wäre der Schuldner mit einer über den ausgebliebenen Leistungsteil hinausgehenden Gewinneinbuße belastet.340 Diese Folge würde den Schuldner beim teilweisen Rücktritt wegen nicht vertragsgemäßer Leistung nach Fristablauf verschuldensunabhängig treffen.341 Bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung würde das Interesse des Schuldners

336

Peukert, AcP 2005, 430, 461. So wohl auch Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 211. 338 Peukert, AcP 2005, 430, 483. 339 Eichel, JuS 2011, 1064, 1064. 340 Jud, JJZ 2001, 205, 225. 341 § 323 BGB soll jedoch gerade keine Sanktionsnorm darstellen, Lorenz, DAR 2007, 506, 508. 337

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Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

durch einen teilweisen Rücktritt mitunter also deutlich stärker beeinträchtigt als bei einem Teilrücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB. Daraus lässt sich schließen, dass der teilweise Rücktritt bei der nicht vertragsgemäßen Leistung nicht gleichermaßen wie der Teilrücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB geeignet ist das Interesse des Schuldners am Erhalt des Vertrags zu schützen.342 Da eine bloß teilweise Vertragsauflösung in den Fällen der nicht vertragsgemäßen Leistung nicht ebenso geeignet ist das Bestandsinteresse des Schuldners zu schützen, lässt sich ein grundsätzlicher Vorrang der teilweisen Vertragsauflösung vor der vollständigen Vertragsauflösung selbst in den Fällen, in denen eine teilweise Vertragsauflösung zur Befriedigung des Gläubigerinteresses ausreichend erscheint, nicht mit dem Bestandsinteresse des Schuldners begründen. Dies gilt sogar wenn ausnahmsweise einmal eine Situation gegeben ist, in denen auch eine teilweise Vertragsauflösung geeignet wäre, dem Interesse des Gläubigers am zeitnahen erhalt der vertragsgemäßen Leistung vollständig nachzukommen. Folglich liegt keine Wertungsdifferenz darin, dass der vollständige Rücktritt bei nicht vertragsgemäßen Leistungen letztlich unter geringeren Voraussetzungen möglich ist als bei Teilleistungen.343 Sofern die Ausnahme des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB den Rücktritt bereits immer bei wesentlichen Pflichtverletzungen zulässt, für den Rücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB hingegen für den Rücktritt vom ganzen Vertrag ein Wegfall des Interesses an der erhaltenen Teilleistung voraussetzt, liegt dem also keine Abweichung bezüglich der abstrakten Interessengewichtung zugrunde.344 Denn im Rahmen des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB geht es um Konstellationen, in denen der Schuldner sein Leistungsinteresse durch die anderweitige Ergänzung der Leistung ohne Weiteres vollumfänglich befriedigen kann, ohne dass der Schuldner einen überproportionalen Anteil seiner Gegenleistung verliert. Hier ist das Lösungsinteresse hinsichtlich des bereits erhaltenen Teils also geringer zu gewichten als in Fällen von „sonstigen“ nicht vertragsgemäßen Leistung, in denen dies gerade nicht der Fall ist. Dass zwischen den Fällen der vollständigen Nichtleistung, der Teilleistung und der (sonstigen) nicht vertragsgemäßen Leistung keine wertungsmäßigen Differenzen bestehen, steht allerdings unter der Prämisse, dass die Anwendungsbereiche der Vorschriften entsprechend ihrem Zwecks abgegrenzt werden. Die Bestimmung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB basiert auf dem Gedanken, dass der Gläubiger wegen der Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung auch mit der vom Schuldner erbrachten unvollständigen Leistung noch in der Lage ist, sein Interesse am zeitnahen Erhalt der vollständigen Leistung zu befriedigen,

342 343 344

Flessner, ZEuP 1997, 255, 289. Im Ergebnis ebenso Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 211. So auch Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 118.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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ohne dass dem Schuldner ein größerer Teil der Gegenleistung genommen wird als der, der dem ausgebliebenen Leistungsteil entspricht. Fehlt es an der Teilbarkeit von Leistung und Gegenleistung, so kann der Gläubiger sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung nicht durch Ergänzung der vom Schuldner erbrachten Leistung befriedigen – jedenfalls nicht ohne das Risiko, dass dem Schuldner zumindest ein größerer Teil der Gegenleistung genommen wird, als es dem ausgebliebenen Leistungsteil entspricht. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 323 Abs. 5, S. 1 BGB ist ein teilweiser Rücktritt nicht geeignet die Interessen in entsprechender Weise auszugleichen. Der Regelung zur nicht vertragsgemäßen Leistung liegt die Wertung zugrunde, dass der Schuldner, der überhaupt irgendetwas geleistet hat, besonders schutzbedürftig ist,345 sodass eine umfassende Rückabwicklung hier unter Umständen (nämlich im Falle der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung) selbst dann unterbleiben soll, wenn der Gläubiger sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung dann nicht vollständig befriedigt bekommt. Wenn das Interesse des Gläubigers jedoch, dem Regelfall entsprechend, nicht wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung geringer zu gewichten ist, überwiegt es das Bestandsinteresse des Schuldners. Hier wird der einzig mögliche Weg der dem Gläubiger die Befriedigung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung – nämlich die vollständige Vertragsauflösung zur anderweitigen Beschaffung der Leistung unter Einsatz der hierzu eingeplanten Gegenleistung – eröffnet. Betrachtet man die Ziele, die den Regelungen zur Teilleistung und zur nicht vertragsgemäßen Leistung zugrunde liegen, ergibt sich für die Abgrenzung also folgendes Bild: Eine Teilleistung liegt immer dann vor, wenn zwei Umstände erfüllt sind. Einerseits hat der Schuldner eine Leistung erbracht, die zwar nicht der Abrede entspricht. Andererseits ist es dem Gläubiger aber möglich sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung unter Einsatz eines Teils der Gegenleistung durch eine anderweitige Ergänzung zu befriedigen, ohne dass dem Schuldner ein größerer Teil der Gegenleistung genommen wird, als es dem Verhältnis zur Abredewidrigkeit der Leistung entspricht. Das soll dem Gläubiger nach der Vorstellung des Gesetzgebers grundsätzlich möglich sein, wenn sowohl die Leistung als auch die Gegenleistung teilbar sind. Eine Teilleistung i. S. d. § 323 Abs. 5 S. 1 BGB stellt dementsprechend eine abredewidrige Leistung dar, die teilbar ist und der eine entsprechend teilbare Gegenleistung gegenübersteht. Eine nicht vertragsgemäße Leistung nach § 323 Abs. 1, 2. Fall, Abs. 5 S. 2 BGB liegt dagegen immer dann vor, wenn der Schuldner eine Leistung erbracht hat, die nicht der Abrede entspricht und eine Anwendung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB nicht in Betracht kommt – der Gläubiger also nicht die Möglichkeit hat sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung unter Wahrung des Äquivalenzinteresses durch Ergänzung zu befriedigen. Anders ausgedrückt handelt es sich bei der nicht ver345

s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.3.c)aa).

100 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

tragsgemäßen Leistung um eine abredewidrige Leistung, die nicht teilbar ist oder der keine entsprechend teilbare Gegenleistung gegenübersteht. Denn immer dann ist das Bestandsinteresse des Schuldners – wegen der mit der Rückabwicklung verbunden besonderen Belastung – so schutzwürdig, dass das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der vollständigen und vertragsgemäßen Leistung zumindest nicht überwiegen kann, wenn die Pflichtverletzung des Schuldners unerheblich ist. Insofern handelt es sich bei der Vorschrift des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB um einen Spezialfall der abredewidrig erbrachten Leistung; § 323 Abs. 5 S. 2 BGB erfasst demnach sämtliche übrigen Fälle, in denen der Gläubiger zwar eine Leistung erbracht hat, diese jedoch nicht dem Vertrag entspricht.346 Einer dahingehenden Interpretation von Teilleistung und nicht vertragsgemäßer Leistung stehen auch die vom Gesetzgeber verwendeten Begrifflichkeiten nicht entgegen, da sie für die Differenzierung der Fälle ohnehin ungeeignet sind.347 Die Begriffe der „Nichtvertragsmäßigkeit“ und der „Teilleistung“ stehen sich nicht komplementär gegenüber. Vielmehr lässt sich die nicht vertragsgemäße Leistung einerseits als „qualitative Teilleistung“ auffassen.348 Andererseits stellt es aber zweifelsohne auch eine „nicht vertragsgemäße Leistung“ dar, wenn ein Teil des Versprochenen ausbleibt.349 Insofern ergeben sich auch keine grundsätzlichen Probleme dadurch, dass der Gesetzgeber in § 434 Abs. 3 und § 633 Abs. 2 S. 3 BGB die Zuwenig-Leistung in den Mangelbegriff einbezieht. Versteht man den Mangelbegriff im Sinne der nicht vertragsgemäßen Leistung und die Zuwenig-Leistung als Teilleistung nach § 323 BGB, dann spiegelt diese Einbeziehung lediglich das hier vertretene Rangverhältnis aus Sonderfall und Grundfall wieder. Teilweise wird allerdings vertreten, die Gleichstellung zwischen der ZuwenigLeistung und der Schlechtleistung hätte zur Folge, dass auch die gewährleistungsrechtliche Zuwenig-Leistung im Rahmen des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB zu behandeln sei.350 Soweit dies mit der vom Gesetzgeber mittels § 434 Abs. 3 und § 633 Abs. 2 S. 3 BGB beabsichtigten Verzahnung zwischen dem allgemeinen Schuldrecht und dem Mangelgewährleistungsrecht gerechtfertigt wird,351 fehlt es nach dem hier vertretenen Rangverhältnis bereits an einem Widerspruch zwischen dem § 323 BGB und den Mangelgewährleistungsrechten. In beiden Fällen

346 So im Ergebnis auch Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 192, die den § 323 Abs. 5 S. 2 BGB bei Unteilbarkeit jedenfalls analog anwenden will. 347 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 171. 348 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Fn. 456. 349 Samhat, ZJS 2013, 587, 594. 350 So etwa Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. A 26; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 203; HK-BGB/Schulze, § 323 Rn. 13. 351 So Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 203.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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ist die Lieferung einer zu geringen Menge ein besonderer Fall der Abweichung vom vertraglich geschuldeten. Probleme entstehen also nur, sofern man – wie es mitunter vertreten wird – die „Gleichstellung“ in dem Sinne versteht, dass für beide Fälle exakt dieselben Rechtsfolgen vorgesehen sein müssen.352 Wie die Gegenansicht allerdings mit guten Argumenten darlegt, ist ein derartiges Verständnis der §§ 434 Abs. 3 und 633 Abs. 2 S. 3 BGB nicht zwingend. Zwar liest sich der Regierungsentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung353 auf Seite 222 noch so, dass eine Gleichbehandlung auch auf Ebene des allgemeinen Schuldrechts beabsichtigt ist, allerdings wird aus dem Bericht des Rechtsausschusses354 deutlich, dass das eine dahingehende Gleichstellung letztlich nicht zwingend der Auffassung des Gesetzgebers entsprach.355 Zudem sprechen systematische Gründe dafür, dass der Gesetzgeber eine Differenzierung hinsichtlich der Rechtsfolgen für möglich gehalten hat.356 Insbesondere verweisen § 437 Nr. 3, 2. Fall und § 634 Nr. 3, 2. Fall BGB auf den gesamten § 323 BGB, um die weiteren Voraussetzungen des Rücktritts im Mangelfall zu bestimmen. § 323 Abs. 5 S. 1 BGB ist somit ebenfalls von der Verweisung erfasst, was bei einer völligen Gleichstellung zwischen Schlechtleistung und Zuwenig-Leistung nicht notwendig gewesen wäre.357 Des Weiteren setzt auch der Zweck von §§ 434 Abs. 3, 633 Abs. 2 S. 3 BGB eine Gleichstellung in Bezug auf den § 323 BGB nicht voraus. Denn durch die Regelungen soll ein Gleichlauf zwischen der Zuwenig-Lieferung und der Schlechtleistung in Bezug auf die Verjährung und das Minderungsrechts hergestellt werden.358 Eine Gleichstellung in Bezug auf § 323 BGB bezwecken die Vorgaben indes nicht. Legt man die hier vertretene Abgrenzung von „Teilleistung“ als Spezialfall und „nicht vertragsgemäße Leistung“ als Auffangtatbestand zugrunde, lässt sich die in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB zum Ausdruck kommende Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses auch im Vergleich mit der Regelung in § 323 Abs. 5 S. 1 BGB als sehr hoch einstufen.359

352 In diesem Sinne wohl Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. A 26; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 203. 353 BT-Drucks. 14/6040. 354 BT-Drucks. 14/7052, S. 185. 355 Kindl, WM 2002, 1313, 1320. 356 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 117. 357 Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 117. 358 Kindl, WM 2002, 1313, 1320. 359 Zu den Besonderheiten in Bezug auf die Teilschlechtleistung, Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098.

102 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

II. Rücktrittsrechte bei Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach §§ 323 Abs. 2 BGB, § 440 S. 1 BGB, § 636 BGB und § 445a Abs. 2 und Abs. 3 BGB In den §§ 323 Abs. 2 BGB, 440 S. 1 BGB, 636 BGB, 445a Abs. 2 und 3 BGB und § 376 HGB werden Fälle genannt, in denen es dem Gläubiger unter bestimmten Umständen und unter grundsätzlicher Berücksichtigung der übrigen Voraussetzungen des § 323 BGB360 möglich sein soll auch ohne Fristsetzung vom Vertrag zurückzutreten. Die Formulierungen der §§ 323 Abs. 2 BGB, 440 S. 1 BGB, 636 BGB und 478 Abs. 1 und 5 BGB sind in mehrfacher Hinsicht missglückt. Zum einen suggeriert ihr Wortlaut, dass es sich um Unterfälle von § 323 Abs. 1 BGB handelt, bei denen lediglich eine einzelne Tatbestandsvoraussetzung entbehrlich ist. In Wirklichkeit liegen den in §§ 323 Abs. 2 BGB, 440 S. 1 BGB, 636 BGB, 478 Abs. 1 und 5 BGB geregelten Situationen jeweils verschiedene Umstände zugrunde, in denen nach Ansicht des Gesetzgebers eine vom Grundsatz pacta sunt servanda abweichende Interessenbewertung gerechtfertigt ist,361 sodass auch hier eine eigenständige Betrachtung der jeweiligen Situation geboten ist. Zum anderen erweckt der Wortlaut der Vorschriften den Eindruck, dass in den genannten Situationen lediglich die Fristsetzung entbehrlich ist. Nach einhelliger Meinung wird durch § 323 Abs. 2 BGB jedoch grundsätzlich die Möglichkeit zum sofortigen Rücktritt eröffnet.362 Insofern ist über die Entbehrlichkeit der Fristsetzung hinaus weder ein Leistungs- bzw. Nacherfüllungsverlangen noch ein weiteres Abwarten seitens des Gläubigers notwendig. Nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist dies zunächst der Fall, wenn der Schuldner die Leistung endgültig und ernsthaft verweigert. Gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist der sofortige Rücktritt zudem zulässig, sofern der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt hat, obwohl die fristgemäße Lieferung erkennbar wesentlich für den Gläubiger war. Eine entsprechende Regelung enthält auch § 376 HGB für sogenannte Fixhandelskäufe. Nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB kommt ein sofortiger Rücktritt ferner auch dann in Betracht, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Beim Vorliegen dieser Umstände kann der Gläubiger sofort vom Vertrag zurücktreten, ohne dass er dem Schuldner eine weitere Chance zur Erfüllung zu gewähren braucht.363 360 Dies folgt grds. aus der Formulierung der Vorschriften, die letztlich auf § 323 Abs. 1 BGB Bezug nehmen und lediglich die Fristsetzung für entbehrlich erklären. 361 Canaris, FS Kropholler, S. 3, 13. 362 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 95. 363 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 95.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Im kaufvertraglichen sowie werkvertraglichen Mangelgewährleistungsrecht sind zudem spezielle Fälle der Entbehrlichkeit einer Fristsetzung in § 440 S. 1 BGB bzw. § 636 BGB geregelt.364 Demnach ist die Fristsetzung auch entbehrlich, wenn der Verkäufer bzw. Werkunternehmer die Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 4 respektive § 635 Abs. 3 BGB verweigert, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist oder dem Käufer bzw. Besteller unzumutbar ist. Ein weiterer Fall, in dem im Kaufrecht die Fristsetzung entbehrlich ist, ist in § 445a Abs. 2 BGB geregelt. Demnach kann ein Verkäufer bei neu hergestellten Sachen die ihm gegen seinen Lieferanten nach § 437 BGB zustehenden Rechte, zu denen nach § 437 Nr. 2 BGB auch der Rücktritt gehört, ohne Fristsetzung geltend machen, sofern sein Käufer ihm gegenüber wegen des Mangels den Kaufpreis gemindert hat oder er die Sache vom Käufer zurücknehmen musste.365 Diese Regelung gilt nach § 445a Abs. 3 BGB zudem auch innerhalb der vorherigen Lieferkette entsprechend. 1. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen endgültiger und ernsthafter Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB Nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Gläubiger unter den übrigen Voraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB auch ohne zuvor den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist abzuwarten vom Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat. An die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen.366 So ist erst von einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung auszugehen sein, wenn ausgeschlossen erscheint, dass der Schuldner sich durch eine Nachfrist zur Leistung bewegen lässt.367 Andererseits liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung jedoch auch bereits dann vor, wenn der Schuldner seine Leistung erst für einen Zeitpunkt nach Ab364 Das allgemeine Leistungsstörungsrecht findet hier über die Verweisung in § 437 BGB respektive § 634 BGB Anwendung. 365 Die Bestimmung dient der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, nach deren Art. 4 dem Letztverkäufer bei einem Verbrauchsgüterkauf ein Regressanspruch in der Lieferkette zustehen muss, BT-Drucks. 14/6040 S. 247; bzgl. der Frage, ob die Regelung wegen ihrer Beschränkung auf neue Sachen überhaupt zur Umsetzung der Vorgaben in Art. 4 der VGK-RiL genügt, kritisch Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1402. 366 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 894; Looschelders, JA 2007, 673, 675. 367 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 98; kritisch, Schulte-Nölke, ZGS 2011, 385; die Richtlinienkonformität im Anwendungsbereich der VR-RiL bezweifelnd, Riehm, NJW 2014, 2065, 2066.

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lauf einer angemessenen Nachfrist ankündigt hat und deutlich macht, dass eine frühere Leistung unter keinen Umständen erfolgen wird.368 Indem der Schuldner dem Gläubiger gegenüber deutlich macht, dass er nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Leistung (in absehbarer Zeit) zu erbringen, gibt er dem Gläubiger zu erkennen, dass dieser nicht mehr mit dem zeitnahen Erhalt der Leistung rechnen darf.369 Zwar steht dem Gläubiger auch hier immer noch die Möglichkeit offen, die Leistung einzuklagen. Um sein Leistungsinteresse zeitnah zu befriedigen ist dieser Weg allerdings nicht geeignet.370 Insofern führt die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung – wie der Fristablauf in den Fällen des § 323 Abs. 1 BGB – dazu, dass der Gläubiger nicht mehr darauf vertrauen wird, dass der Vertrag zur Befriedung seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung geeignet ist. Um die zeitnahe Befriedigung dieses Interesses sicherzustellen, sieht sich der Gläubiger auch hier zur anderweitigen Leistungsbeschaffung gezwungen. Um aber nicht Gefahr zu laufen, die Leistung am Ende doppelt zu erhalten – sei es weil der Schuldner es sich anders überlegt, sei es weil er unterdessen zur Leistung im Stande ist – hat der Gläubiger ein Interesse daran, sich zuvor vom ursprünglichen Vertrag zu lösen.371 Auch bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung hat das Lösungsinteresse seinen Ursprung somit darin, dass der Vertrag sich aus Sicht des Gläubigers im Nachhinein als ungeeignet zur Befriedigung desjenigen Interesses erweist, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat. b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB In Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB könnte man aus der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung schließen, dass es hier an einem Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz pacta sunt servanda fehlt, da der Gläubiger den Schuldner schließlich lediglich beim Wort nimmt, wenn er wegen der Erfüllungsverweigerung die Aufhebung des Vertrags veranlasst.372 Dass es sich beim Recht zum fristlosen Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung nicht um eine Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda handelt, ist jedoch unzutreffend. 368

Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 98. Flessner, ZEuP 1997, 255, 276. 370 Hierzu bereits Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). 371 Zu den möglichen negativen wirtschaftlichen Konsequenzen einer weiteren vertraglichen Bindung vor der Beseitigung des ursprünglichen Vertrags bereits oben, I.1.a). 372 So etwa Canaris, FS Kropholler, S. 3, 14, der daraus schließt, dass die Fälle des § 323 Abs. 2 BGB im Gegensatz zu denen des § 323 Abs. 1 BGB nicht auf gegenseitige Verträge beschränkt sind. 369

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Denn der Grundsatz pacta sunt servanda führt nicht nur dazu, dass eine Vertragspartei sich nicht grundlos vom Vertrag lösen kann, sondern bindet grds. sogar dann noch an den Vertrag, wenn der Vertragspartner sich bereits nicht vertragsgemäß verhält. Dies lässt sich schon an § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB belegen, durch den nach unbestrittener Ansicht eine Durchbrechung des Grundsatz pacta sunt servanda erfolgt: Auch hier wird der Vertrag von einer Seite nicht wie vereinbart durchgeführt, da der Schuldner trotz Fälligkeit – also trotz des Bestehens einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung – nicht leistet. Aber obwohl der Schuldner sich nicht vertragsgemäß verhält, ist er bis zum erfolglosen Fristablauf vom Grundsatz pacta sunt servanda geschützt. Dass der Grundsatz pacta sunt servanda eine Vertragspartei grds. auch dann noch an den Vertrag bindet, wenn dessen Vertragspartner sich nicht vertragsgemäß verhält, ergibt sich letztlich aus dem telos der Regelung. Denn der Grundsatz pacta sunt servanda ist Ausfluss der Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Parteien in die jeweiligen Vertragsversprechen ihrer Vertragspartner.373 Eigene Verfehlungen bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass man seinerseits nicht mehr auf das Vertragsversprechen des anderen vertrauen darf. Im Gegenteil folgt aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis beim Grundsatz pacta sunt servanda, dass jede Partei grds. unabhängig vom eigenen Verhalten auf das Versprechen der anderen Vertragspartei vertrauen darf und dieses Vertrauen erst dann nicht mehr geschützt ist, sofern eine Ausnahme vom Grundsatz besteht. Dementsprechend ist die Annahme, die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung stünde nicht in einem Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz pacta sunt servanda, verfehlt.374 Der Grundsatz pacta sunt servanda reagiert auf den Konflikt zwischen dem Bestandsinteresse einer Vertragspartei und dem Lösungsinteresse der anderen Vertragspartei. Die Fälle der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung stünden dementsprechend nur dann nicht in einem Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz pacta sunt servanda, wenn hier ein Bestandsinteresse des Schuldners generell abzulehnen wäre. Wie bereits ein Blick auf die Konstellationen zeigt, in denen der Schuldner lediglich ernsthaft und endgültig erklärt nicht zur Leistung innerhalb einer angemessenen Frist in der Lage zu sein, lässt sich ein Bestandsinteresse des Schuldners in den Fällen der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung jedoch nicht pauschal verneinen. Denn dass der Schuldner in Fällen, in denen er nicht zur zeitnahen Erbringung der Leistung im Stande ist, immer auch das grundsätzliche Interesse am Fortbestand des Vertrags verloren hat, ist keineswegs zwangsläufig. Wird dem Gläubiger hier das Recht gegeben, sich vom Vertrag zu lösen, liegt darin sehr wohl eine Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda – wenngleich eine wertungsmäßig besonders naheliegende. Schließlich wäre es unbillig den Schuldner, 373 374

s. o., Kapitel 2, § 3, C. In diesem Sinne auch Jud, JJZ 2001, 205, 216.

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der sich offenkundig selbst nicht an sein Versprechen hält, zu schützen und seine Vertragspartei am dessen Versprechen festzuhalten. Gleichwohl wäre es mit Blick auf den Grundsatz pacta sunt servanda selbst in derartigen Konstellationen grundsätzlich denkbar, den Gläubiger auf eine klageweise Durchsetzung seines Leistungsanspruchs zu verweisen. Auch kann die Annahme, der Gläubiger nehme den Schuldner beim Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung lediglich beim Wort, nicht überzeugen, da sie indiziert, dass es sich bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung letztlich um eine Art Angebot auf Vertragsaufhebung handele, welches der Gläubiger nur annehme. Verstünde man die endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung in diesem Sinne, würde es sich in der Tat nicht um eine Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda handeln. Allerdings ist eine derartige Interpretation der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung bereits wegen der Gesetzessystematik nicht überzeugend. Denn würde es sich beim Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung um eine Art vereinbarte Vertragsaufhebung handeln, wäre die Regelung in § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB überflüssig. Die Möglichkeit einer vereinbarten Vertragsaufhebung besteht bereits nach den allgemeinen Grundsätzen als Teil der Vertragsfreiheit. Einer besonderen gesetzlichen Regelung für die Vertragsbeseitigung bedürfte es hierfür nicht. Dass der Gesetzgeber mit § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB gleichwohl eine besondere gesetzliche Regelung geschaffen hat, bedeutet, dass er hier Regelungsbedarf gesehen hat – es bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung also um Konstellationen geht, die sich nicht unter Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze der Vertragsfreiheit lösen lassen. Bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung handelt es sich also auch nach der Konzeption des Gesetzgebers gerade nicht um eine Art Angebot auf Vertragsauflösung, sondern eben um Fälle, in denen seiner Ansicht nach der Grundsatz pacta sunt servanda durchbrochen werden muss. Auch in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB stehen das Bestandsinteresse der einen und das Lösungsinteresse der anderen Partei also in einem Konflikt, der durch eine gesetzgeberische Interessenbewertung zugunsten des Lösungsinteresses gelöst wird.375 Dabei hat die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung hinsichtlich der Bewertung der Interessen eine mit dem erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist vergleichbare Wirkung, da auch die Erfüllungsverweigerung eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses rechtfertigt.376 Sofern der Schuldner dem Gläubiger zu verstehen gibt, dass er seine Leistung nicht bzw. nicht innerhalb einer angemessenen Zeit erbringen wird, macht er deutlich, dass er sich für absehbare Zeit nicht vertragstreu verhalten

375 376

So auch Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176. Krause, Jura 2002, 299, 300.

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wird.377 In diesem Fall soll er seinerseits aber auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich der Gläubiger vertragsgemäß verhalten wird.378 Mit der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung entzieht er seinem eigenen Vertrauen in den Vertrag, dass nur wegen der Gegenseitigkeit des Vertrags berechtigt ist, letztlich die Grundlage. Anders als in den Fällen der Nichtleistung trotz Fristsetzung muss der Gläubiger in den Fällen der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung jedoch nicht über den Zeitpunkt der Erfüllungsverweigerung hinaus abwarten. Ein durch weiteren Zeitablauf gesteigertes Gewicht des Lösungsinteresses ist hier für dessen Überwiegen nicht erforderlich.379 Ein weiteres Abwarten auf die Erfüllung wäre in den Fällen der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung jedoch auch regelmäßig überflüssig, da der Schuldner bereits zu erkennen gegeben hat, dass er diese Chance ohnehin nicht nutzen wird.380 c) Beurteilung der Regelung zum Rücktritt wegen endgültiger und ernsthafter Erfüllungsverweigerung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB Auch in den Fällen, in denen der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert folgt das Lösungsinteresse daraus, dass der Vertragsschluss sich für den Gläubiger nachträglich als zur Zweckerreichung ungeeignet darstellt. Da diese Annahme nach einer ersthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Schuldners auch objektiv gerechtfertigt ist, wird durch die Voraussetzungen des § 323 Abs. 1, 2, 2. Fall BGB gewährleistet, dass das Lösungsrecht auch im Einzelfall sachlich berechtigt ist. Indem der Schuldner dem Gläubiger gegenüber deutlich macht, dass er nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Leistung (in angemessener Zeit) zu erbringen, ist ihm die Ursache des Lösungsinteresses zurechenbar. Bereits die erforderliche Nichtleistung trotz Fälligkeit stellt eine Pflichtverletzung des Schuldners dar. Darüber hinaus ist aber auch im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit der Erfüllungsverweigerung ein Umstand für den Rücktritt erforderlich, aus dem sich eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses rechtfertigt. Zwar stellt die Regelung in § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Ausnahme von der Regel dar, dass dem Schuldner trotz Pflichtverletzung in Form der Nachfrist noch eine zweite Chance einzuräumen ist, gleichwohl steht sie nicht im Widerspruch zur Interessengewichtung in den bisher dargestellten 377 Diese Interessenbewertung setzt freilich voraus, dass die Erfüllungsverweigerung rechtswidrig erfolgt, was dem § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hinzuzudenken ist, vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 106. 378 Krause, Jura 2002, 217, 219. 379 Jud, JJZ 2001, 205, 216. 380 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 96; Münch, Jura 2002, 361, 366; in diesem Sinne auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 370.

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Rücktrittsfällen. Denn mit der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung hat der Schuldner zu erkennen gegeben, dass auch eine zusätzliche vom Gläubiger gesetzte Leistungsfrist erfolglos ablaufen wird und damit sinnlos wäre. Sein Bestandsinteresse bedarf deshalb ausnahmsweise keines besonderen Schutzes. Weil mit der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung feststeht, dass der Gläubiger sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung durch den infrage stehenden Vertrag nicht befriedigen kann, wäre es sinnlose Förmelei ihn länger am Vertrag festzuhalten. Sein Lösungsinteresse kann sich daher durchsetzen, ohne dass noch eine Rücksichtnahme auf das Bestandsinteresse des Gläubigers geboten wäre. Als eng beschränkte Ausnahme vom Fristsetzungserfordernis lässt sich somit auch in Hinblick auf § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine generell hohe Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses konstatieren. 2. Das fristlose Rücktrittsrecht beim relativen381 Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim relativen Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB Nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist eine Fristsetzung auch dann entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung nicht bis zu einem vertraglich bestimmten Termin bzw. innerhalb einer vertraglichen bestimmten Frist bewirkt,382 obwohl die Leistung zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner oder sonstiger den Vertragsschluss begleitender Umstände für den Gläubiger wesentlich war. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. sah ein Lösungsrecht des Gläubigers ohne Fristsetzung vor, wenn der Schuldner seine Leistung nicht rechtzeitig erbracht hat, obwohl der Gläubiger den Fortbestand seines Leistungsinteresses im Vertrag an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat. Die Neufassung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfolgte im Rahmen der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, an deren Terminologie383 eine Anpassung vorgenommen wurde – inhaltlich sollten sich jedoch keine Änderungen im Hinblick auf die zuvor geltende Regelung ergeben.384 Nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. war neben der verspäteten Leistung notwendig, dass der Gläubiger den Fortbestand seines Leistungsinteresses vertrag381 Zur Abgrenzung des relativen Fixgeschäfts vom absoluten Fixgeschäft, bei dem die Regelung des § 326 BGB zum Tragen kommen, Schmidt, VuR 2014, 90, 94. 382 Hierzu Schmidt, VuR 2014, 90, 92. 383 Genau genommen die Terminologie von Art. 18 Abs. 2 VR-RiL. 384 So auch die Begründung zu Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a) zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BT-Drucks. 17/12637; Meyer, NJ 2014, 364, 365.

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lich an die Rechtzeitigkeit gebunden hat. Entgegen dem Wortlaut des 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. sollte eine einseitige Erklärung des Gläubigers hierzu nicht ausreichen, sondern nur eine entsprechende vertragliche Einigung der Parteien.385 Die Parteien mussten sich also darüber geeinigt haben, dass die Leistungszeit für den Gläubiger so wesentlich war, dass eine verspätete Leistung nicht mehr als ordnungsgemäß anzusehen sei, der Vertrag mit der Rechtzeitigkeit der Leistung gleichsam stehen oder fallen sollte.386 In diesen Fällen wurde von einem relativen Fixgeschäft gesprochen.387 Eine entsprechende vertragliche Einigung war jedoch sowohl ausdrücklich als auch konkludent möglich.388 Die Einbeziehung konnte also ebenfalls dadurch erfolgen, dass der Gläubiger dem Schuldner die beabsichtigte Verwendung und deren Zeitgebundenheit konkret mitteilte oder aber das gesteigerte Interesse in Form einer entsprechenden vertraglichen Formulierung, wie beispielsweise „unbedingt pünktlich“, abstrakt offenlegte.389 Zudem konnte die vertragliche Einbeziehung der Verknüpfung von Leistungsinteresse und Rechtzeitigkeit auch durch andere Umstände als die Verwendungsabsicht erfolgen – etwa in der Art, dass eine Vertragsstrafe für Unpünktlichkeit vereinbart wurde.390 Im Einzelfall sollte sich die Verknüpfung darüber hinaus sogar aus der Vertragsnatur ergeben können.391 Wie sich aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergibt, soll die neue Regelung – wie § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. – eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung vorsehen, falls der Schuldner die vereinbarte Leistungszeit im Falle eines relativen Fixgeschäfts nicht einhält.392 Die terminoder fristgerechte Leistung sei für den Gläubiger nämlich insbesondere dann als wesentlich anzusehen, wenn er das Fortbestehen seines Leistungsinteresses wie nach der alten Rechtslage an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden habe.393 Dies sei dann der Fall, wenn der Vertrag aufgrund der Termin- oder Fristvereinbarung mit deren Einhaltung stehen oder fallen solle.394 385

BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 23. BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 22. 387 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 22. 388 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 23. 389 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 104. 390 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 104. 391 Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 12; BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 24; zum Beispiel OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.02.1997 – 1 U 126/95, NJW RR 1997, 1136. 392 Begründung zu Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a) zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BT-Drucks. 17/12637. 393 Vgl. die Begründung zu Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a) zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BT-Drucks. 17/12637. 394 Begründung zu Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a) zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der 386

110 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Voraussetzung für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ist also auch nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB n. F. zunächst die Verspätung der Leistung des Schuldners. Des Weiteren muss die Rechtzeitigkeit der Leistung vertragswesentlich sein, wobei sich die Wesentlichkeit entweder aus den Umständen, die den Vertragsabschluss begleiteten, oder aus einer vor Vertragsschluss erfolgten Mitteilung ergeben kann.395 Die Frage nach der Wesentlichkeit der Leistungszeit war nach der alten Rechtslage eine Umschreibung für den Fall, dass der Fortbestand des Leistungsinteresses des Gläubigers an die Rechtzeitigkeit gebunden war,396 sodass insofern in der Tat keine inhaltlichen Änderungen durch die Neufassung erfolgten.397 Auch dass nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. bereits aus der Vertragsnatur das Vorliegen eines relativen Fixgeschäfts gefolgert werden konnte und auch sonst eine konkludente Vereinbarung über die Bindung des Fortbestands des Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung möglich war, dürfte nach der neuen Rechtslage weiterhin gelten. Denn nunmehr muss die Wesentlichkeit der rechtzeitigen Leistung aus einer Mitteilung des Gläubigers oder aus den Umständen folgen, die den Vertragsschluss begleiteten.398 Die zu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. erfolgten Ausführungen lassen sich also weitestgehend auch auf den neuen § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB übertragen.399 Wenn überhaupt wird eine noch großzügigere Interpretation der Voraussetzungen eines relativen Fixgeschäfts zulässig sein, weil eine vertragliche Einbeziehung des Fortbestands des Leistungsinteresses nun nicht mehr ausdrücklich vorgesehen ist.400 § 376 HGB gewährt dem Gläubiger seinem Wortlaut nach ein fristloses Rücktrittsrecht, sofern eine Leistung bei einem Fixhandelskauf nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erfolgt. Im § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht ein fristloses Rücktrittsrecht bei einem sonstigen Fixgeschäft nur unter der zusätzlichen Bedingung, dass dem Schuldner die Wesentlichkeit der rechtzeitigen Leistung zumindest hätte bekannt sein können. In der Gesetzesbegründung zu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. wird allerdings davon ausgegangen, dass auch im Rahmen des § 376 HGB letztlich erforderlich ist, dass der Gläubiger sein Leistungsinteresse an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat.401 Da der Gesetzgeber den § 323 Abs. 2 Nr. 2

Wohnungsvermittlung, BT-Drucks. 17/12637; BGH, Urt. v. 28.01.2003 – X ZR 151/00, NJW 2003, 1600; kritisch, ob diese „tradierte Formel“ zukünftig noch relevant ist, Schmidt, VuR 2014, 90, 92. 395 Schmidt, VuR 2014, 90, 94. 396 OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.06.2010 – 5 U 135/09, BeckRS 2010 23277; Palandt/ Grüneberg, § 323 BGB Rn. 20. 397 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 899. 398 Hierzu im Einzelnen Schmidt, VuR 2014, 90, 92 ff. 399 Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 899; in diesem Sinne auch Schmidt, VuR 2014, 90, 94. 400 In diesem Sinne auch Weiss, NJW 2014, 1212, 1214. 401 BT-Drucks. 14/6040 S. 185 f.; Oetker/Koch, § 376 HGB Rn. 8.

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BGB mit der Neuformulierung inhaltlich nicht ändern wollte und § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. für inhaltlich mit § 376 HGB identisch betrachtet wurde,402 dürften insoweit letztlich auch die Voraussetzungen von § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB n. F. und § 376 HGB übereinstimmen.403 Weil zudem auch für das durch § 376 HGB begründete Rücktrittsrecht ergänzend die Regeln von § 323 BGB greifen, bestehen – abgesehen davon, dass das fristlose Rücktrittsrecht nach § 376 HGB auf Fixhandelsgeschäfte beschränkt ist – insgesamt keine Unterschiede zwischen dem fristlosen Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB n. F. und dem aus § 376 HGB.404 Insofern gelten die folgenden Ausführungen ebenso für den Fixhandelskauf wie für das bürgerlich-rechtliche relative Fixgeschäft, auch wenn der Fixhandelskauf nicht explizit erwähnt wird. Die Einführung der Sonderregelung des § 376 HGB ist letztlich nur historisch begründet. Die Vorgängerregelung in § 361 BGB a. F. sah das Widerrufsrecht bei Fixgeschäften nur „im Zweifel“ vor, was der Gesetzgeber für den Bereich des Handelsverkehrs für unangemessen gehalten hat.405 Seit der bürgerlich-rechtliche Fixhandelskauf das Lösungsrecht nicht mehr nur im Zweifel gewährt, hat die Sonderregelung des § 376 HGB einen eigenen Zweck verloren. Da der Gläubiger gegenüber dem Schuldner beim relativen Fixgeschäft bereits bei Vertragsschluss deutlich macht, dass sein Interesse am Vertrag mit der Rechtzeitigkeit der Leistung stehen und fallen soll, ist davon auszugehen, dass die Verspätung der Leistung in diesen Fällen zur Folge hat, dass der Gläubiger sein Interesse an der Leistung auch tatsächlich verliert.406 Mit dem Verlust des Interesses an der Leistung verliert der Gläubiger auch sein Interesse am Vertrag – an die Stelle seines Bestandsinteresses tritt ein Lösungsinteresse. Hierdurch unterscheiden sich die Fälle der relativen Fixschuld zunächst von den bisher beschriebenen Fällen des § 323 BGB. Denn dort besteht das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung grundsätzlich auch nach der Fälligkeit fort und begründet letztlich sogar das Lösungsinteresse des Gläubigers: Weil zu befürchten steht, dass sein Leistungsinteresse nicht in absehbarer Zeit durch den Vertrag mit dem Schuldner befriedigt wird, hat der Gläubiger dort ein Interesse an der anderweitigen Beschaffung der Leistung. Nach Schmidt soll das Interesse an der anderweitigen Befriedigung auch im Rahmen des relativen Fix-

402 Das Fixhandelsgeschäft nach dem HGB unterscheidet sich vom bürgerlich-rechtlichen Fixgeschäft nur durch den Verlust des Erfüllungsanspruchs, durch den verhindert werden soll, dass der Gläubiger zu Lasten des Schuldners spekuliert, Oetker/Koch, § 376 HGB Rn. 1. 403 So auch Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 899 ff. 404 MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 5. 405 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, Fn. 9. 406 Schmidt, VuR 2014, 90, 91.

112 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

geschäfts das Lösungsinteresse begründen können.407 Dass der Gläubiger sich im Einzelfall jedoch von der anderweitigen Beschaffung eine schnellere Befriedigung verspricht, als durch den Vertrag den er bereits mit dem Schuldner geschlossen hat, dürfte nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen und ist jedenfalls nicht der gesetzgeberisch zugrunde gelegte Regelfall. Denn nach der Regelung zum relativen Fixgeschäft ist die Leistung für den Gläubiger bei Überschreitung der vereinbarten Zeit grundsätzlich nicht mehr von Interesse, sodass auch eine anderweitige Eindeckung regelmäßig nicht im Interesse des Gläubigers liegt. Der Regelung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt demnach die Annahme zugrunde, dass der Gläubiger wegen der Verspätung insgesamt kein Interesse an der Leistung mehr hat – er diese also weder vom Schuldner noch von einem Dritten erhalten möchte. Während sich das Lösungsinteresse in den bisher dargestellten Rücktrittsfällen damit rechtfertigt, dass der Gläubiger sich nicht in der wirtschaftlich unsinnigen Lage wiederfinden will, auf lange Sicht die Leistung doppelt zu erhalten und dafür zweimal eine Gegenleistung zu erbringen, besteht diese Gefahr beim relativen Fixgeschäft nicht. Denn wenn der Gläubiger wegen Verspätung kein Interesse mehr an der Leistung hat, wird er sie sich auch nicht anderweitig beschaffen. Gleichwohl dient die Vertragslösung aus Sicht des Gläubigers in den Fällen des relativen Fixgeschäfts ebenfalls zur Vermeidung von wirtschaftlich unsinnigen Ergebnissen. Hier tritt die wirtschaftliche Unsinnigkeit allerdings nicht erst durch die anderweitige Beschaffung der versprochenen Leistung ein, sondern folgt bereits aus der Verspätung der Leistung. Denn mit dem erfolglosen Ablauf der Frist bzw. dem Verstreichen des Termins würde ein weiteres Festhalten am Vertrag für den Gläubiger bedeuten, dass er eine Leistung bekommen würde, die er nicht mehr benötigt, für die er aber die von ihm versprochene Gegenleistung erbringen müsste. Eine andere Ansicht dürfte Canaris vertreten, da er eine Beschränkung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf gegenseitige Verträge ablehnt.408 Wie bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung verneint er nämlich auch beim relativen Fixgeschäft ein Spannungsverhältnis zum Grundsatz pacta sunt servanda. Das Rücktrittsrecht folge in derartigen Konstellationen vielmehr aus dem Vertragsinhalt und beruhe daher unmittelbar auf dem Parteiwillen, sodass es sich nur um eine Ausformung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit handele, der für einseitige Verträge ebenso gelte wie für zweiseitige.409 Auch im Rahmen des § 323 Abs. 2 S. 2 BGB erweist sich die Annahme, es fehle in den beschriebenen Fällen an einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz pacta sunt servanda, bei näherer Betrachtung indes als falsch.410 Offensichtlich hat die Verspätung der 407 408 409 410

Schmidt, VuR 2014, 90, 92. Canaris, FS Kropholler, S. 3, 15. Canaris, FS Kropholler, S. 3, 14 f. In diesem Sinne wohl auch Schmidt, VuR 2014, 90, 94.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

113

vom Schuldner zu erbringenden Leistung beim zweiseitigen Vertrag keine Auswirkungen auf dessen Interesse an der Gegenleistung und damit am Fortbestand des Vertrages. In den Fällen des relativen Fixgeschäfts stehen sich hier somit ebenfalls das Lösungsinteresse des Gläubigers und das Bestandsinteresse des Schuldners gegenüber. Genau auf derartige Konstellation reagiert auch der Grundsatz pacta sunt servanda – und zwar zugunsten des Bestandsinteresses. Sofern in den Fällen des relativen Fixgeschäfts auf den gleichen Interessenkonflikt zugunsten des Lösungsinteresses reagiert wird, ist ein Spannungsverhältnis zum Grundsatz pacta sunt servanda jedoch nicht zu leugnen. An dieser Bewertung ändert es auch nichts, dass der Leistungszeitpunkt durch die Fixabrede vertraglich festgeschrieben wird. Denn auch in den Fällen, in denen keine Fixabrede vorliegt, ist die Leistungszeit ein dem Vertrag immanenter Bestandteil.411 In beiden Fällen folgt das Rücktrittsrecht gleichwohl nicht unmittelbar aus dem Parteiwillen, da die Parteien das Recht zur Vertragsauflösung als Konsequenz der nicht zeitgerechten Leistung – anders als bei den vertraglichen Rücktrittsrechten – gerade nicht vereinbart haben, sondern es sich vielmehr aus dem Gesetz und damit aus einer gesetzgeberischen Interessenabwägung ergibt.412 Der Regelung liegt somit ein Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz pacta sunt servanda zugrunde. Damit ist aber auch die Auffassung, § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei auch auf einseitig verpflichtende Verträge anzuwenden, abzulehnen. Im Ergebnis unterscheidet sich die Begründung des Lösungsinteresses dementsprechend beim relativen Fixgeschäft nur geringfügig von den übrigen dargestellten Konstellationen des § 323 BGB. Auch in den Fällen des relativen Fixgeschäfts ergibt sich das Lösungsinteresse letztlich daraus, dass der Vertragsschluss sich aus Perspektive des Gläubigers nachträglich als zur Erreichung des mit ihm beabsichtigten Zwecks ungeeignet erweist. b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim Rücktrittsrecht bei relativen Fixgeschäften gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB Obwohl die Verspätung der Leistung in Fällen, in denen ihre Rechtzeitigkeit für den Gläubiger wesentlich ist, zwangsläufig dazu führt, dass der Gläubiger das Interesse an der Leistung und damit sein Interesse am Vertrag verliert, überwiegt das Lösungsinteresse im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht in jedem Fall gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners. Denn neben der Tatsache, dass die Rechtzeitigkeit der Leistung für den Gläubiger wesentlich ist, erfordert das relative Fixgeschäft, dass die Wesentlichkeit der rechtzeitigen Leistung auch gegenüber dem Schuldner mitgeteilt wurde oder sich für ihn zumindest 411 412

Siehe hierzu bereits oben, Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). In diesem Sinne wohl auch Ramming, ZGS 2002, 412, 414.

114 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

aus den Umständen, die den Vertragsschluss begleitet haben, ergeben konnte.413 Es wird also vorausgesetzt, dass der Schuldner zumindest die Möglichkeit zur Kenntnis über die Wesentlichkeit einer rechtzeitigen Leistung hatte.414 Diese Möglichkeit zur Kenntnis erfüllt dabei eine mit der Fristsetzung vergleichbare Warnfunktion. War dem Schuldner durch eine entsprechende Mitteilung oder durch die Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt oder zumindest erkennbar, dass der Gläubiger sein Interesse an der Leistung verlieren würde, wenn die Leistung sich verzögert, kann er mit erfolglosen Ablauf der Leistungsfrist bzw. dem erfolglosen verstreichen des Leistungstermins nicht mehr auf den Fortbestand des Vertrags vertrauen.415 Zudem ist im Rahmen der Regelungen zum relativen Fixgeschäft gewährleistet, dass die Möglichkeit zur Kenntnis darüber, dass die rechtzeitige Leistung für den Gläubiger wesentlich ist, bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses besteht.416 Deshalb kann der Schuldner in den Fällen des relativen Fixgeschäfts zu keiner Zeit bedingungslos auf den Bestand des Vertrags vertrauen. Vielmehr muss er sich hier von Anfang an bewusst sein, dass er sich seiner Gegenleistung nur bei rechtzeitiger Leistung sicher sein kann. Ihm wird ermöglicht sich darauf einzustellen417 und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um die rechtzeitige Leistung zu gewährleisten. Versäumt der Schuldner es die Leistung rechtzeitig zu erbringen, obwohl er sich ihrer Wesentlichkeit bewusst war, wird sein Bestandsinteresse wertungsmäßig hinter dem Lösungsinteresse des Gläubigers eingeordnet.418 c) Beurteilung der Regelung beim Rücktrittsrecht wegen verspäteter Leistung beim relativen Fixgeschäft gem. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB Auch im Rahmen des Rücktrittsrechts bei relativen Fixgeschäften hat der Gläubiger ein Lösungsinteresse, weil sich der Vertragsschluss für ihn nachträglich als zur Erreichung des mit dem Vertrag beabsichtigten Zwecks ungeeignet erweist. Auf die tatsächliche Intensität der Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses kommt es für das fristlose Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB

413

Schmidt, VuR 2014, 90, 92. Wie Schmitt feststellt, kommt auf die Frage der tatsächlichen Kenntnisnahme nicht an, Schmidt, VuR 2014, 90, 93. 415 So wohl auch Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 49. 416 Schmidt, VuR 2014, 90, 93. 417 Bzw. andernfalls, wenn er sich nicht dazu in der Lage sieht, die rechtzeitige Leistung sicherzustellen, den Vertrag nicht zu schließen, Schmidt, VuR 2014, 90, 93; Tonner, VuR 2013, 443, 447. 418 Der Schuldner ist in diesen Fällen nicht mehr schutzwürdig, Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 903. 414

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

115

jedoch nicht an,419 sodass die objektive Berechtigung der Annahme, dass der Vertrag zur Zweckerreichung ungeeignet ist, allenfalls durch die bereits bei Vertragsschluss vorliegende Fixabrede indiziert wird. Das Lösungsinteresse des Gläubigers hat seine Ursache in einer Pflichtverletzung des Schuldners, sodass es dem Schuldner als Lösungsgegner objektiv zurechenbar ist. Anders als im Regelfall muss der Gläubiger hier allerdings nicht den Ablauf einer angemessen gesetzten Frist abwarten, bevor er sich vom Vertrag lösen kann. Die dahinter stehende gesetzgeberische Wertung basiert zunächst auf der Tatsache, dass der Gläubiger in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit der nicht fristgerechten Leistung in aller Regel sein Interesse an der Leistung vollständig verliert. Insofern will der Gläubiger in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB sich nicht vom Vertrag lösen, um sich die Leistung zeitnah anderweitig beschaffen zu können, sondern weil ein weiteres Festhalten am Vertrag für ihn ohne Weiteres bereits wirtschaftlich unsinnig wäre. Schon aus diesem Grund hat der Gläubiger in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein gegenüber den Regelfällen gesteigertes Interesse an der sofortigen Vertragsauflösung. Allerdings reicht das insoweit gewichtigere Lösungsinteresse des Gläubigers nach der gesetzgeberischen Wertung allein noch nicht aus, um ein Vertragsauflösungsrecht zu begründen. Vielmehr ist nach der Gesetzesformulierung auch erforderlich, dass der Umstand, dass die Rechtzeitigkeit der Leistung für den Gläubiger wesentlich ist, für den Schuldner durch eine entsprechende Mitteilung des Gläubigers oder durch andere den Vertragsschluss begleitende Umstände erkennbar war. War für den Schuldner bereits bei Vertragsschluss erkennbar, dass das Bestandsinteresse seines Vertragspartners an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden ist, hatte er die Möglichkeit sich darauf einzustellen, dass der Fortbestand des Vertrags durch eine verspätete Leistung gefährdet wird. Sofern er seine Leistung gleichwohl nicht rechtzeitig erbringt, soll sein Bestandsinteresse geringer zu gewichten sein. Die Erkennbarkeit des Umstands, dass die Rechtzeitigkeit der Leistung für den Gläubiger wesentlich ist, erfüllt deshalb eine mit der Fristsetzung vergleichbare Warnfunktion. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass auch die Regelung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Credo des besonderen Gewichts des Bestandsinteresses folgt, wie es auch den bisher dargestellten Rücktrittsmöglichkeiten des § 323 BGB zugrunde lag. Zudem wird durch die Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zumindest indirekt gewährleistet, dass eine Vertragsauflösung bei Fixgeschäften in aller Regel auch nur dann in Betracht kommt, wenn die vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Interessenlage tatsächlich vorliegt.

419

Canaris, FS Kropholler, S. 3, 14.

116 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

3. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Vorliegens besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB Nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung die Fristsetzung entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Die Ausnahme vom Fristsetzungserfordernis in § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB wurde im Rahmen der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie in ihrem Anwendungsbereich reduziert.420 Die nunmehr geltende Bestimmung ist auf Fälle beschränkt, in denen die Leistung nicht vertragsgemäß erbracht wurde.421 Die Neuregelung soll den Vorgaben der VR-RiL Rechnung tragen,422 deren Art. 18 Abs. 2 bei Verbrauchsgüterkaufverträgen i. S. d. Art. 2 Nr. 5 VR-RiL eine Entbehrlichkeit der grundsätzlich erforderlichen Fristsetzung bei Nichtleistung nur vorsieht, wenn sich der Unternehmer geweigert hat die Waren zu liefern oder die rechtzeitige Lieferung nach den Umständen, die den Vertragsschluss begleiteten, oder nach einer entsprechenden vorvertraglichen Mitteilung des Verbrauchers wesentlich war.423 Eine Berücksichtigung besonderer Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen lässt die Verbraucherrechterichtlinie dem Wortlaut nach in ihrem Anwendungsbereich also nicht zu.424 Um Verbraucher nicht schlechter zu stellen als sonstige Gläubiger, weitete der deutsche Gesetzgeber die daraus resultierende Einschränkung des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB auch auf Konstellationen aus, denen kein Verbrauchervertrag zugrunde liegt.425 Um das Regel-Ausnahme-Prinzip zu wahren, ist die Vorschrift eng auszulegen.426 Nach der Gesetzesbegründung zu § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB a. F. soll die Vorschrift den Gerichten durch ihre generalklauselartige Formulierung Bewertungsspielräume geben und so als Auffangtatbestand fungieren.427 Die Beantwortung der Frage, wann im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, wegen denen die Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen, überlässt das Gesetz im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB also dem Rechtsanwender. 420

Weiss, NJW 2014, 1212, 1213. Bassler/Büchler, AcP 2014, 888, 904. 422 RegE, BT-Drucks. 17/12637 S. 59. 423 Meyer, NJ 2014, 364, 365. 424 Weiss, NJW 2014, 1212, 1213. 425 Kritisch zum beschränkten Anwendungsbereich der Neuregelung Schmidt, VuR 2014, 90, 95 und Riehm, NJW 2014, 2065, 2066 ff. 426 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 112. 427 RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 186. 421

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Was die Begründung des Lösungsinteresses betrifft, bestehen beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei Schlechtleistung zunächst keine Unterschiede zum fristlosen Rücktrittsrecht bei Schlechtleistung trotz Fristsetzung. Denn die Voraussetzungen unterscheiden sich nur hinsichtlich des Fristsetzungserfordernisses, an dessen Stelle nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB die besonderen Umstände treten. Dementsprechend liegt auch dem fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung der Ausgangspunkt für das objektivierte Lösungsinteresse in der Tatsache, dass die Schlechtleistung noch nicht geeignet ist das Interesse des Gläubigers vollumfänglich zu befriedigen. In der Regel – also in den Fällen des § 323 Abs. 1 BGB – markiert der erfolglose Ablauf der angemessenen Nachfrist denjenigen Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger berechtigter Weise nicht mehr mit der zeitnahen Leistung rechnen darf und er deshalb ein Interesse an der anderweitigen Beschaffung der Leistung und der Loslösung vom Vertrag mit dem Schuldner hat. Die besonderen Umstände, die im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB bei nicht vertragsgemäßer Leistung an die Stelle der Fristsetzung treten, lassen sich mit Blick auf die von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kasuistik428 im Wesentlichen in zwei Kategorien einordnen. Zum einen handelt es sich um Konstellationen, in denen die nicht vertragsgemäße Leistung zum Interessenfortfall beim Gläubiger führt429 und zum anderen um Konstellationen, in denen die Fristsetzung funktionswidrig wäre430. In den Fällen der ersten Kategorie entspricht die Begründung des Lösungsinteresses den Fällen des Rücktrittsrechts bei relativen Fixgeschäften nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Mit dem aus der nicht vertragsgemäßen Leistung folgenden Wegfall des Leistungsinteresses verliert der Gläubiger sein Interesse an dem Vertrag, den er schließlich allein wegen seines Leistungsinteresses eingegangen ist. Die Erbringung der Gegenleistung zum Erhalt der Leistung stellt sich aus Sicht des Gläubigers als wirtschaftlich unsinnig dar. Aus diesem Grund möchte sich der Gläubiger von seiner eigenen Leistungsverpflichtung und deshalb vom Vertrag lösen. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt ein Lösungsinteresse. Die zweite Kategorie der besonderen Umstände, also die Fälle in denen die Fristsetzung entbehrlich ist, weil sie ihre Funktion nicht erfüllen kann, zeichnet sich dadurch aus, dass der Gläubiger ein Interesse an der anderweitigen Beschaffung hat, weil er auch ohne den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist damit rechnen darf, die Leistung nicht in absehbarer Zeit zu erhalten. Hier entspringt das Lösungsinteresse dem fortbestehenden Interesse am zeitnahen Erhalt einer (vertragsgemäßen) Leistung. Um sich die Leistung anderweitig beschaffen zu können und auch auf lange Sicht das wirt428 429 430

Siehe hierzu sogleich unter bb). Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 112 ff. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 120.

118 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

schaftlich unsinnige Ergebnis des doppelten Leistungserhalts gegen doppelte Gegenleistung zu vermeiden hat der Gläubiger dementsprechend ein Interesse sich von dem ursprünglichen Vertrag zu lösen. b) Die gesetzgeberische Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB Der Auffangtatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB soll es der Rechtsprechung ermöglichen in entsprechenden Einzelfällen die besonderen Umstände in der Interessenabwägung zu berücksichtigen.431 Diesbezüglich fordert der Gesetzgeber vom Rechtsanwender eine Abwägung der in der konkreten Situation vorliegenden Interessen.432 Insoweit liegt dem § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zunächst nur eine indirekte gesetzgeberische Interessenbewertung zugrunde. Anstatt die Konstellationen, in denen sich das Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen soll, abschließend zu bestimmen, erkennt der Gesetzgeber insoweit lediglich an, dass es neben den ausdrücklich in § 323 BGB genannten Fällen noch weitere gegeben kann, in denen eine vergleichbare Interessengewichtung zugunsten des Lösungsinteresses angebracht ist.433 Im Zusammenhang mit derartigen Generalklauseln gilt, wie bereits Canaris festgestellt hat, dass „die Konkretisierung der Wertung immer nur im Hinblick auf den konkreten Fall oder doch auf bestimmte, im Laufe der Rechtsentwicklung als typisch hervortretende Fallgruppen erfolgen“ kann.434 Die Darstellung der gesetzgeberischen Interessenbewertung soll hier dementsprechend anhand der als typisch hervorgetretenen Fallgruppen erfolgen. Nach der Gesetzesbegründung zu § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB a. F. sollten von der Vorschrift unter anderem Fälle erfasst werden, in denen der Gläubiger in Folge des Verzugs des Schuldners das Leistungsinteresse verloren hat, ohne dass ein relatives Fixgeschäft vereinbart wurde.435 Insgesamt dürften auch nach der neuen Rechtslage Fälle, in denen der Gläubiger das Leistungsinteresse aufgrund der nicht vertragsgemäßen Leistung des Schuldners verliert, eine der wesentlichen Kategorien von besonderen Umstände im Sinne des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB darstellen.436 Voraussetzung soll in diesen Konstellationen aber sein, dass die Pflichtverletzung – also die Schlechtleistung zum Fälligkeitszeitpunkt – für den

431

BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 28; siehe auch Kapitel 2, § 5, A.II.3.a). Münch, Jura 2002, 361, 366. 433 Zur Gefahr einer Erweiterung oder Verfestigung zweifelhafter Fallgruppen vgl. Krause, Jura 2002, 217, 219. 434 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 29. 435 RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 186. 436 HK-BGB/Schulze, § 323 Rn. 8. 432

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Interessenfortfall kausal war, um den Gläubiger nicht eine Befreiung von einem Vertrag zu ermöglichen, der dem Gläubiger aus anderen Gründen, wie beispielsweise einer ungünstigen Preisentwicklung, unliebsam ist.437 Ein Interessenfortfall liegt demnach etwa dann vor, wenn der Gläubiger durch die Schlechtleistung seine mit dem Vertrag verfolgten Zwecke objektiv nicht mehr erreichen kann.438 Dies soll beispielsweise bei mangelhafter Saisonware der Fall sein, die sich auch bei einer Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist nicht mehr absetzen lässt.439 Wegen des vollständigen Wegfalls des Interesses an der Leistung ist in derartigen Fällen das Lösungsinteresse bereits stärker zu gewichten als in Konstellationen, in denen der Gläubiger grds. weiterhin ein Interesse an der Leistung hat, sich diese jedoch um sicherzustellen, dass er sie auch zeitnah bekommt, anderweitig beschaffen will. Teilweise wird – in Anlehnung an das UN-Kaufrecht – gefordert, dass der Interessenfortfall für den Schuldner auch vorhersehbar gewesen sein muss.440 Mit dem Hinweis darauf, dass der Gläubiger prinzipiell keinen Anlass habe, dem Schuldner die Zwecke des Vertrags offenzulegen, wird dies von der Gegenansicht abgelehnt.441 Gegen die letzte Ansicht spricht zunächst ein Vergleich mit den übrigen bisher dargestellten Rücktrittskonstellationen. Anders als dort wären für das Rücktrittsrecht des Gläubigers nach dieser Ansicht im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB keine Umstände erforderlich, aus denen sich eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses ergeben, damit sich das Lösungsinteresse diesem gegenüber durchsetzen kann. Da § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB jedoch eine Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen fordert und andernfalls die Wertungen insbesondere des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB unterlaufen würden, liegt es nahe, dass das Lösungsinteresse wie in den bisher dargestellten Fällen des § 323 BGB nur dann überwiegt, wenn auch Umstände vorliegen, die eine entsprechende Geringergewichtung des konkreten Bestandsinteresses rechtfertigen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Interessenfortfall des Gläubigers für den Schuldner vorhersehbar ist.442 Allerdings sind diesbezüglich, entgegen der Ansicht von Schmidt,443 zumindest theoretisch auch andere Umstände denkbar, aus denen sich eine entsprechende Geringergewichtung des Bestandsinteresses ergibt. Deshalb ist im Ergebnis der zweiten Ansicht zuzustimmen, dass eine Erkennbarkeit des Interessenfortfalls für den Schuldner nicht zwingend erforderlich ist – allerdings unter der Prämisse, dass andere Umstände vorliegen, die eine Abwertung seines konkreten Bestandsinteresses zur Folge haben. 437 438 439 440 441 442 443

Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 115. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 114. RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 186. BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 30. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 119. Siehe hierzu bereits 2.b). BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 30.

120 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Neben den Fällen des Interessenfortfalls soll § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB auch dann Anwendung finden, wenn die Einhaltung des Fristsetzungsverfahrens der Funktion der Fristsetzung zuwiderläuft.444 Das ist unter anderem etwa bei der Unzumutbarkeit der Fristsetzung der Fall.445 Dementsprechend soll die Fristsetzung auch dann entbehrlich sein, wenn dem Gläubiger bei Einhaltung der Fristsetzung erhebliche Schäden drohen.446 In diesen Fällen wird einzig auf das Gewicht des Lösungsinteresse steigernde Umstände abgestellt; Umstände aus denen sich auch eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses ergeben sind hingegen nicht erforderlich. Indem es aber nur zu einem fristlosen Lösungsrecht des Gläubigers kommen soll, wenn die drohenden Schäden erheblich sind, wird ein Lösungsinteresse von einem solchen Gewicht vorausgesetzt, dass es ausnahmsweise geeignet ist das Bestandsinteresse auch dann zu überwiegen, wenn letzteres nicht geringer zu gewichten ist. Die Unzumutbarkeit soll sich auch daraus ergeben können, dass der Gläubiger infolge der vertragswidrigen Leistung des Schuldners sein Vertrauen auf dessen Zuverlässigkeit verloren hat.447 Da es sich bei § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB um eine eng auszulegende Ausnahme handelt, wird diesbezüglich aber gefordert, dass über die bloße Schlechtleistung hinaus Gründe vorliegen, aus denen sich der Vertrauensverlust des Gläubigers rechtfertigt. So wurde von der Rechtsprechung etwa ein Fall des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Konstellationen angenommen, in denen der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Vertrags arglistig verschwiegen hat.448 Aufgrund der diesbezüglich erforderlichen zusätzlichen Gründe für den Vertrauensverlust – wie etwa die arglistige Täuschung – wird hier auch eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses gerechtfertigt.449 Auf der anderen Seite bedeutet die Tatsache, dass der Gläubiger objektiv berechtigt nicht mehr in die Zuverlässigkeit des Schuldners vertraut,450 dass sein Lösungsinteresse von besonderem Gewicht ist. Eine weitere Fallgruppe, in denen eine Fristsetzung wegen Funktionswidrigkeit nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich sein kann, ist die sogenannte „Selbstmahnung“.451 Demnach braucht der Gläubiger dann keine Frist zu setzen, wenn der Schuldner nach Eintritt der Fälligkeit einer Fristsetzung dadurch zuvor-

444

Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 120. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 121. 446 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 121; Krause, Jura 2002, 217, 219; Riehm, NJW 2014, 2065, 2069. 447 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 118. 448 BGH, Urt. v. 09.1.2008 – VIII ZR 210/06, NJW 2008, 137. 449 Looschelders, JA 2007, 673, 676. 450 Looschelders, JA 2007, 673, 676. 451 Krause, Jura 2002, 217, 219; ebenfalls als „Selbstfristsetzung“ bezeichnet, Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 123. 445

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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kommt, dass er die Nacherfüllung zu einem bestimmten Termin zugesagt hat.452 Nach Ablauf des vom Schuldner zugesagten Termins soll der Gläubiger ohne Weiteres zurücktreten können.453 Vor dem Hintergrund der Warnfunktion der Fristsetzung werden allerdings hohe Anforderungen an die Selbstmahnung gestellt.454 Kommt der Schuldner einer Fristsetzung des Gläubigers durch eine Selbstmahnung zuvor, gibt er zu erkennen, dass er sich über das Fortbestehen seiner Pflicht zur zeitnahen vertragsgemäßen Leistung und dem besonderen Interesse des Gläubigers an dieser bewusst ist.455 Erbringt er die Leistung gleichwohl nicht innerhalb des von ihm zugesagten Zeitraums, ist sein Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrags damit weniger schutzwürdig und sein Bestandsinteresse damit geringer zu gewichten.456 Mit dem zusätzlichen Zeitablauf, den der Gläubiger auf die zugesagte Leistung wartet, erhöht sich auf der anderen Seite das Gewicht des Lösungsinteresses, wie es auch beim Abwarten der Nachfrist der Fall ist.457 Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen Funktionswidrigkeit kommt ebenfalls in Betracht, wenn die Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist offensichtlich nicht erbringbar ist.458 Hier gelten die Ausführungen zur Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung entsprechend.459 Da die Unerbringbarkeit der Leistung innerhalb einer angemessenen Frist offensichtlich ist, ist das Lösungsinteresse, das dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung entspringt, von besonderem Gewicht. Auf der anderen Seite wäre eine Fristsetzung in derartigen Fällen auch nicht zum Schutz des Bestandsinteresses geeignet, da der Schuldner diese ohnehin nicht nutzen könnte. Wie die von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Fallgruppen zeigen, zeichnen sich die „besonderen Umstände“ im Sinne des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB – letztlich wie die Fristsetzung – grds. dadurch aus, dass das Bestandinteresse der einen Partei in seiner Schutzwürdigkeit gemindert ist, während dem Lösungsinteresse auf der anderen Seite ein besonderes Gewicht zukommt. Auch im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB setzt der Gesetzgeber damit (wenn auch abstrakt) Umstände voraus, aus denen einerseits eine geringere 452

Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 123. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 123. 454 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 119. 455 Mattheus, JuS 2002, 209, 216. 456 In diesem Sinne auch Riehm, NJW 2014, 2065, 2069. 457 Hierzu bereits oben Kapitel 2, § 5, A.I.1.b). 458 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 122; BGH, Urt. v. 14.06.2012 – VII ZR 148/10, NJW 2012, 3714. 459 Zur Interessenabwägung beim Rücktritt wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung bereits Kapitel 2, § 5, A.II.1.b). 453

122 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses und andererseits eine höhere Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses folgen. c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenbewertung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände bei nicht vertragsgemäßer Leistung gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse begründet sich auch in den Fällen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB daraus, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht des Lösungsberechtigten nachträglich als zur Erreichung seiner mit dem Vertrag verfolgten Ziele ungeeignet herausstellt. Mit der Voraussetzung von besonderen Umständen und als eng auszulegende Ausnahmevorschrift wird auch im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB sichergestellt, dass ein Lösungsrecht nur in denjenigen Fällen besteht, in denen eine Vertragsauflösung auch objektiv berechtigt ist.460 Seine Ursache hat das Lösungsinteresse in der nicht vertragsgemäßen Leistung des Lösungsgegners. Somit ist das Lösungsinteresse dem Lösungsgegner auch zurechenbar. Zudem setzt das Lösungsrecht nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine beiderseitige Interessenabwägung voraus, weshalb – wie auch ein Blick auf die von der Praxis und Wissenschaft entwickelten Fallgruppen zeigt – eine Vertragslösung grds. nur in Betracht kommt, sofern im konkreten Fall einerseits eine geringere Bewertung des konkreten Bestandsinteresses und andererseits eine höhere Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses gerechtfertigt sind. Zudem ist der Anwendungsbereich unterdessen auf Fälle von nicht vertragsgemäßer Leistung beschränkt. Alles in Allem kommt damit auch in § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB der Grundsatz der besonders hohen Gewichtung des generellen Bestandsinteresses zum Ausdruck. 4. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB Die Regelungen in §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB erlauben es dem Käufer/Werkbesteller fristlos vom Vertrag zurück zu treten, sofern der Verkäufer/ Werkunternehmer eine mangelhafte Leistung erbracht hat und die Beseitigung

460 Dies wird etwa auch durch Voraussetzungen der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Interessenfortfall gewährleistet, hierzu Kapitel 2, § 5, A.II.3.b).

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

123

des Mangels berechtigterweise nach § 439 Abs. 4 BGB bzw. § 635 Abs. 3 BGB insgesamt verweigert hat. Mit dem Gefahrübergang der Leistung wurde das Erfüllungsstadium überwunden.461 War die Leistung entgegen §§ 433 Abs. 1, 633 Abs. 1 BGB nicht frei von Sach- oder Rechtsmängeln (§§ 434, 435, 633 BGB), steht dem Käufer bzw. Werkbesteller anstelle des Erfüllungsanspruchs grundsätzlich ein Anspruch auf Nacherfüllung zu. Die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands kann im Rahmen der Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 1 BGB bzw. § 635 Abs. 1 BGB entweder durch Nachbesserung, also Reparatur der mangelhaften Leistung, oder durch die Nachlieferung/Neuherstellung, also vollständige Neuleistung, erfolgen. Durch die Verzahnung mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht und der dort für die Sekundärrechte erforderlichen Fristsetzung wird hierbei erreicht, dass der Käufer/Werkbesteller dem Verkäufer/Werkunternehmer grundsätzlich zunächst die Möglichkeit zur Nacherfüllung gewähren muss.462 Im Rahmen des Kaufrechts steht das Wahlrecht bezüglich der Art der Abhilfe dem Käufer zu.463 Die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung kann der Verkäufer unter bestimmten Umständen jedoch verweigern. Neben den allgemeinen Leistungsverweigerungsrechten nach § 275 Abs. 1 und 2 BGB steht dem Verkäufer nach § 439 Abs. 4 S. 1 BGB auch dann ein Verweigerungsrecht zu, wenn ihn die Kosten der Nacherfüllung unverhältnismäßig stark belasten.464 Hierbei kann die unverhältnismäßige Belastung zunächst daraus resultieren, dass die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung im Vergleich zur anderen Art der Nacherfüllung außer Verhältnis steht (sog. relative Unverhältnismäßigkeit).465 In diesen Fällen beschränkt sich der Nacherfüllungsanspruch des Käufers auf die andere Art der Nacherfüllung, § 439 Abs. 4 S. 3, 1. Hs. BGB.466 Allerdings kann sich die Unverhältnismäßigkeit auch daraus ergeben, dass die Kosten im Verhältnis zum Wert der mangelfreien Sache unangemessen sind (sog. absolute Unverhältnismäßigkeit467).468 Unter Berufung auf die absolute Unverhältnismäßigkeit kann sich der Verkäufer grundsätzlich selbst dann von seiner Nacherfüllungsverpflichtung befreien, wenn ohnehin nur eine Art der Nacherfüllung in Betracht 461

BGH, Urt. v. 25.3.2010 – VII ZR 224/08, NJW 2010, 2200 Rn. 15. Für das Kaufrecht MünchKommBGB/Westermann, § 440 Rn. 1; Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176; für das Werkrecht Staudinger/Peters/Jacoby, § 634 BGB Rn. 36. 463 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1175. 464 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176. 465 HK-BGB/Saenger, § 439 Rn. 5. 466 Wenzel, DB 2003, 1887, 1892. 467 HK-BGB/Saenger, § 439 Rn. 5. 468 Dies hat der BGH etwa in einem Fall angenommen, in dem der Käufer eines Neuwagens wegen eines (kostengünstig behebbaren) Defekts der elektrischen Außenspiegel eine Nachlieferung verlangte, BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 273/12, NJW 2014, 213. 462

124 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

kommt oder er die andere Art der Nacherfüllung bereits zulässiger Weise verweigert hat (vgl. § 439 Abs. 4 S. 3, 2. Hs. BGB).469 Eine dem § 439 Abs. 4 S. 3 BGB entsprechende Regelung findet sich auch im Rahmen des Werkvertragsrechts. Hier steht das Wahlrecht zwar dem Werkunternehmer zu, dieser kann die Nacherfüllung gem. § 635 Abs. 3 BGB neben den Fällen des § 275 Abs. 2 und 3 BGB aber auch insgesamt verweigern, wenn sie nur unter unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. § 440 S. 1, 1. Fall BGB und § 636 1. Fall BGB reagieren also auf Konstellationen, in denen der Verkäufer unter Berufung auf die absolute Unverhältnismäßigkeit die Nacherfüllung verweigert.470 Nach teilweise vertretener Auffassung soll die Vorschrift auch auf Fälle angewandt werden, in denen die Verweigerung nach §§ 439 Abs. 4 BGB bzw. 635 Abs. 3 BGB unberechtigt erfolgt.471 Von anderen wird dies hingegen abgelehnt.472 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, wird man in den Fällen, in denen die Verweigerung unberechtigt erfolgt, ebenso strenge Voraussetzungen anlegen müssen, wie sie für die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB gelten. Hier wäre allerdings ein Rückgriff auf § 440 S. 1, 1. Fall BGB und § 636 1. Fall BGB auch nicht erforderlich, weil § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ebenfalls anwendbar wäre. In jedem Fall gelten in derartigen Konstellationen mit Blick auf die Begründung des Lösungsinteresses und der gesetzgeberischen Wertung die im Rahmen des zu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB gemachten Ausführungen. Das Verweigerungsrecht nach §§ 439 Abs. 4 bzw. 635 Abs. 3 BGB erlaubt es dem Verkäufer/Werkunternehmer jedenfalls sich zu zumindest teilweise von seiner vertraglichen Leistungspflicht zu befreien.473 Die berechtigte Verweigerung der Nacherfüllung verändert damit den Inhalt des Vertrags, da der Käufer/Werkbesteller nun keine mangelfreie Sache mehr verlangen kann. Aus der Gegenseitigkeit des Vertrags folgt allerdings, dass der Käufer/Werkbesteller sich nur um der vertragsgemäßen Leistung willen zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet hat. Ist die mangelhafte Leistung des Schuldners zur Befriedigung des Gläubigerinteresses ungeeignet, kann der Gläubiger im Rahmen des Vertrags also dasjenige Interesse, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat, nicht befriedigen. Hierzu ist in Fällen des §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636 1. Fall BGB vielmehr eine anderweitige Beschaffung der vertragsgemäßen Leistung erforderlich. 469 Zur Ausnahme im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs nach § 475 Abs. 4 S. 1 BGB unten, 7.a). 470 Vuia, NJW 2015, 1047, 1050; Voraussetzung hierzu ist, dass die Verweigerung des Verkäufers auch tatsächlich erfolgt ist; das bloße Vorliegen der Einredelage reicht nicht aus, RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 234. 471 So etwa MünchKommBGB/Westermann, § 440 Rn. 5. 472 Staudinger/Matusche-Beckmann, § 440 BGB Rn. 5. 473 Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

125

Um aber zu vermeiden nicht nur für die ihn interessierende vertragsgemäßen Leistung, sondern zudem auch für eine mangelhafte Leistung eine entsprechende Gegenleistung erbringen zu müssen, hat der Käufer/Werkbesteller ein Interesse sich vom ersten Vertrag zu lösen. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt ein Lösungsinteresse. Dem objektivierten Lösungsinteresse des Gläubigers liegt in den Fällen der §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB also die Überlegung zugrunde, dass sich der Vertrag aus Perspektive des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur Erfüllung seines Leistungsinteresses erweist. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB Mit der berechtigten Verweigerung der Nacherfüllung durch den Schuldner wird der Vertragsinhalt dahingehend verändert, dass der Käufer/Werkbesteller sich nunmehr mit der erbrachten mangelhaften Leistung begnügen muss. Die berechtigte Verweigerung der Nacherfüllung bedeutet, dass der Schuldner nicht an sein ursprüngliches Versprechen zur vertragsgemäßen Leistung gebunden wird, sodass es sich bereits hierbei um eine Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda handelt. An der Durchführung des Vertrags mit den so geänderten Bedingungen wird der Schuldner allerdings in den überwiegenden Fällen ein Interesse haben. Denn aus Sicht des Gläubigers, der mit der mangelhaften Leistung in Kombination mit der berechtigten Verweigerung der Nacherfüllung seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat, bietet ein Festhalten am Vertrag die Möglichkeit zur (zumindest teilweisen) Erlangung der Gegenleistung ohne weitere Anstrengungen. Dementsprechend besteht das Bestandsinteresse des Verkäufers/Werkunternehmers im Zweifel selbst dann, wenn sein Gegenleistungsanspruch – zur Wahrung des Äquivalenzverhältnisses – um einen entsprechenden Teil gemindert wird. Denn zu besseren Konditionen wird der Verkäufer/Werkunternehmer die erbrachte mangelhafte Leistung für gewöhnlich auch nicht anderweitig absetzen können. Zudem wäre die Vertragsauflösung mit einer aus Verkäufer-/Werkunternehmersicht in der Regel unwirtschaftlichen Rückabwicklung der geleisteten Sache bzw. des geleisteten Werkes verbunden. Gleichwohl bezieht sich das Bestandsinteresse des Schuldners hier nicht auf den ursprünglichen Vertrag, sondern lediglich darauf ein durch die Nacherfüllungsverweigerung verändertes Geschäft durchzuführen. Die Vertragsdurchführung zu den veränderten Konditionen wurde vom Käufer/Werkbesteller allerdings nie zugesagt, sodass ein Vertrauen des Verkäufers/Werkunternehmers auf eine entsprechende Vertragsdurchführung keinen Bezugspunkt hat. Deshalb ist das Interesse an der Vertragsdurchführung unter veränderten Bedingungen nach

126 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

der gesetzgeberischen Wertung gegenüber einem Lösungsinteresse des Käufers/ Werkbestellers weniger gewichtig und dem Käufer/Werkbesteller wird die Vertragsauflösung gestattet. Die gesetzgeberische Interessenbewertung im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB lässt sich also wie folgt beschreiben: Mit der Verweigerung der Nacherfüllung hat der Verkäufer/Werkunternehmer erklärt, dass ein Festhalten am (ursprünglichen) Vertrag nicht seinem Interesse entspricht. Durch das Verweigerungsrecht erkennt der Gesetzgeber dieses Interesse an. Wenn der Verkäufer/Werkunternehmer zur Wahrung seiner Interessen die ursprünglichen Konditionen des Vertrags einseitig abändern kann, soll nach Ansicht des Gesetzgebers auf der anderen Seite das Interesse des Käufers/Werkbestellers besonders zu berücksichtigen sein, der einen Vertrags dieses Inhalts nie geschlossen hat und sehr wahrscheinlich auch nicht geschlossen hätte. Da der Verkäufer/Werkunternehmer selbst für die Veränderung des Vertragsinhalts verantwortlich ist und er hiermit bereits vom Grundsatz pacta sunt servanda abgewichen ist, ist sein Bestandsinteresse nicht gleichermaßen schützenswert wie in den Fällen, in denen es um die Durchführung des ursprünglichen Vertrags geht. Der Verkäufer/Werkunternehmer soll sich nicht mehr auf den Grundsatz pacta sunt servanda berufen können. Dementsprechend bedarf es – in Abweichung von den Regelfällen des § 323 Abs. 1 BGB – hier auch keiner das Bestandsinteresse erschütternden Fristsetzung, die mangels Anspruchs auf Nacherfüllung seitens des Käufers/Werkbestellers auch sinnlos wäre. Eine Besonderheit hinsichtlich der Interessenwertung gilt allerdings in Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 323 Abs. 5 S. 1 BGB in den Fällen, in denen die mangelhafte Leistung des Schuldners – wie es der Regelfall sein dürfte – eine (sonstige) nicht vertragsgemäße Leistung darstellt. Die dem § 323 Abs. 5 S. 2 BGB grundsätzlich zugrunde liegende Wertung besagt, dass der Gläubiger bei bloß unerheblichen Pflichtverletzungen nicht zur Loslösung vom Vertrag berechtigt sein soll, sondern er im Interesse des Schuldners auf die Durchsetzung seines weiterhin bestehenden Anspruchs auf die vertragsgemäße Leistung beschränkt wird.474 Im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB hat der Schuldner die von ihm geschuldete Nacherfüllung allerdings verweigert. Mit der berechtigten Verweigerung erlischt der Nacherfüllungsanspruch.475 In diesen Fällen bedeutet der Ausschluss des Rücktrittsrechts in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB nicht, dass der Gläubiger darauf verwiesen wird sein Interesse am Erhalt der mangelfreien Leistung gegenüber dem Schuldner (notfalls gerichtlich) durchzusetzen, sondern 474 475

s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.3.b). BGH, Urt. v. 21.12.2005 – VIII ZR 49/05, NJW 2006, 1195 Rn. 26.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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dass er sich mit der mangelhaften Leistung zufriedengeben muss, sofern die Pflichtverletzung unerheblich ist. In der Regel ist der Gläubiger in diesen Fällen nämlich auf die Minderung nach §§ 441, 638 BGB als Rechtsbehelf beschränkt, die wie Eichel feststellt, wirtschaftlich gesehen in der Regel ja gerade „die Entscheidung [des Gläubigers] ist, mit der mangelhaften [Leistung] zu leben“.476 Das Interesse des Käufers/Werkbestellers an der ordnungsgemäßen Leistung tritt hier vollständig hinter das Bestandsinteresse des Verkäufers/Werkunternehmers zurück. Dem Käufer/Werkbesteller wird lediglich die Möglichkeit der Herstellung des ursprünglichen Äquivalenzverhältnisses durch die Minderung eingeräumt. c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB Auch beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung ergibt sich das Lösungsinteresse des Gläubigers daraus, dass sich der Vertragsschluss für ihn nachträglich als ungeeignet zur Befriedigung seines Interesses erweist. Hat der Schuldner mangelhaft geleistet und die Nacherfüllung nach § 439 Abs. 4 S. 3, 2. Hs. BGB bzw. § 635 Abs. 3 BGB berechtigt verweigert, ist diese Annahme auch objektiv berechtigt. Demensprechend ist ein Lösungsrecht bei Vorliegen der Voraussetzungen des fristlosen Rücktrittsrechts wegen Verweigerung der Nacherfüllung auch im Einzelfall objektiv gerechtfertigt. Dem fristlosen Rücktrittsrecht wegen Verweigerung der Nacherfüllung aus §§ 440 S. 1, 1. Fall und 636, 1. Fall BGB liegt zunächst einmal auch eine Pflichtverletzung, nämlich die mangelhafte Leistung des Verkäufers/Werkunternehmers zugrunde. Auch wenn die Verweigerung der Nacherfüllung in den Fällen des § 439 Abs. 4 S. 3, 2. Hs. BGB bzw. § 635 Abs. 3 BGB nach Ansicht des Gesetzgebers einem berechtigten Interesse des Schuldners entspringt, hat der Schuldner das daraus resultierende Lösungsinteresse des Gläubiger zudem zurechenbar verursacht. Dass der Käufer/Werkbesteller den Vertrag nach § 440 S. 1, 1. Fall BGB bzw. § 636, 1. Fall BGB ohne Weiteres auflösen kann, steht auch nicht im Widerspruch mit dem Grundsatz der besonderen Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses. Denn wird der Vertragsinhalt durch einseitige Gestaltung verändert, so hat ein Vertrauen der vertragsändernden Partei auf die Durchführung des (geänderten) Vertrags mangels entsprechender Vereinbarung keinen Anknüpfungspunkt. Da der fristlose Rücktritt nach § 440 S. 1, 1. Fall BGB bzw. § 636, 1. Fall BGB nur in Fällen zulässig ist, in denen das Bestandsinteresse des Schuldners sich nicht auf die ursprüngliche Vereinbarung bezieht und dessen Vertrauen in 476

Eichel, JuS 2011, 1064, 1064.

128 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

die Vertragsdurchführung deshalb keinen Anknüpfungspunkt hat, lässt sich im Umkehrschluss auch hier grundsätzlich ein besonderer Stellenwert des generellen Bestandsinteresses festmachen. 5. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB Nach § 440 S. 1, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB kommt ein fristloser Rücktritt auch dann in Betracht, wenn die vom Käufer bzw. vom Werkunternehmer gewählte Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Die Auslegung des Begriffs des Fehlschlags sollte sich nach dem Gesetzentwurf an § 11 Nr. 10b AGBG a. F. orientieren, wonach von einem Fehlschlag bei objektiver oder subjektiver Unmöglichkeit, bei Unzulänglichkeit der Nacherfüllung, ihrer unberechtigten Verweigerung bzw. ungebührlichen Verzögerung oder dem Misslingen ihres Versuchs auszugehen war.477 Einer derartigen Interpretation des Begriffs „Fehlschlag“ wird in der Praxis jedoch nicht gefolgt, da diesem in § 440 BGB eine völlig andere Funktion zukommt als demjenigen in § 11 Nr. 10b AGBG a. F.478 Während der Fehlschlag der Nacherfüllung im AGBG die einzige Möglichkeit gewesen ist, von der Nacherfüllung zu den Sekundärrechten zu gelangen, beinhaltet die Regelung im BGB ein sehr differenziertes System, welches durch eine dem § 11 Nr. 10b AGBG entsprechend weite Auslegung des Fehlschlags in § 440 BGB unterlaufen würde.479 So bestünde beispielsweise die Gefahr, dass durch eine dem § 11 Nr. 10b AGBG a. F. entsprechende Auslegung des Fehlschlags, nach der auch eine ungebührliche Verzögerung der Nacherfüllung zum fristlosen Rücktritt berechtigte, das grundsätzliche Fristsetzungserfordernis nach § 323 Abs. 1 BGB unterlaufen würde.480 Dementsprechend wird der Fehlschlag der Nacherfüllung nur dann angenommen, wenn innerhalb einer angemessenen Frist nicht mehr mit einer ordnungsgemäßen Leistung zu rechnen ist und ein weiteres Abwarten mit der Geltendmachung der Sekundärrechte als sinnlos erscheint.481 Davon wird etwa ausgegangen, wenn die Zeit für eine ordnungsgemäße Nacherfüllung in angemessener Frist aufgrund eines vorangegangenen (fehlgeschlagenen) Erfüllungsversuch zu knapp ist oder wenn der Schuldner 477

RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 233, 265. BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 30; MünchKommBGB/Westermann, § 440 Rn. 9. 479 BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 30 m.w. N. 480 BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 31. 481 BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 32. 478

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

129

durch die fehlgeschlagene Abhilfe gezeigt hat, dass er zu einer ordnungsgemäßen Abhilfe nicht Willens oder in der Lage ist.482 Bei einer derartigen Interpretation des Fehlschlags folgt das Lösungsinteresse des Käufers/Werkbestellers beim fristlosen Rücktritt nach § 440 S. 1, 2. Fall BGB und 636, 2. Fall BGB ebenfalls aus dessen Interesse am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung. Zur Befriedigung dieses Interesses war die vom Schuldner erbrachte Leistung wegen ihres Mangels nicht geeignet. Aber auch nach einer mangelhaften Leistung durch den Schuldner wird der Gläubiger – jedenfalls solange er noch mit der zeitnahen Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch den Verkäufer/Werkunternehmer rechnet – in aller Regel noch ein Interesse daran haben am Vertrag festzuhalten. Dies ändert sich allerdings, sofern die Zeit für eine ordnungsgemäße Nacherfüllung in angemessener Frist aufgrund eines vorangegangenen (fehlgeschlagenen) Erfüllungsversuch nicht mehr ausreichend erscheint oder eine fehlgeschlagene Abhilfe den Verdacht nahe legt, dass der Schuldner nicht zu einer ordnungsgemäßen Abhilfe willens oder in der Lage ist.483 Da der Käufer/Werkbesteller in derartigen Fällen oft nicht mehr mit der zeitnahen Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch den Verkäufer/Werkunternehmer rechnet, kann sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung dazu führen, dass er sich die Leistung kurzfristig anderweitig beschaffen möchte. Wie etwa in den Fällen der nichtvertragsgemäßen Leistung trotz Fristsetzung besteht auch hier auf lange Perspektive das Risiko der im Ergebnis wirtschaftlich unsinnigen Doppelverpflichtung.484 Um diese zu vermeiden, aber sein Interesse am zeitnahen Erhalt der vertragsgemäßen Leistung gleichwohl zu befriedigen wird der Käufer/Werkbesteller oftmals daran interessiert sein sich vom ursprünglichen Vertrag zu lösen. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt dann ein Lösungsinteresse. Die Ursache des Lösungsinteresses liegt also auch im Rahmen des fristlosen Rücktritts nach Fehlschlagen der Nacherfüllung darin, dass der Vertragsschluss aus Perspektive des Gläubigers im Nachhinein nicht zur Befriedigung seiner Interessen geeignet erscheint. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB In den Fällen der §§ 440 S. 2, 2. Fall, 636, 2. Fall BGB tritt der Fehlschlag der Nacherfüllung an die Stelle des erfolglosen Ablaufs einer angemessen gesetzten Frist. Auch hier ist neben der Pflichtverletzung des Schuldners ein weiterer, die Interessenbewertung beeinflussender Faktor erforderlich, damit das Lösungsinteresse das Bestandsinteresse überwiegt. 482 483 484

BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 32. Kohler, AcP 2015, 165, 200. s. o., I.3.a).

130 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Zur Ergänzung der allgemeinen Regelung in § 323 Abs. 2 BGB dahingehend, dass die Fristsetzung auch dann entbehrlich ist, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist, sah sich der Gesetzgeber veranlasst, weil § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine gegenseitige Interessenabwägung vorsieht, die für den Fehlschlag als unangebracht angesehen wurde.485 Im Falle des Fehlschlags der Nacherfüllung soll die Unzumutbarkeit ohne Rücksicht auf die Interessen des Verkäufers anzunehmen sein.486 Damit sollte insbesondere verhindert werden, dass der Schuldner beim Fehlschlag einer Nacherfüllungsvariante im Gläubigerinteresse auf die andere Art der Nacherfüllung verwiesen wird.487 Wie der erfolglose Ablauf der Frist führt der Fehlschlag der Nacherfüllung zu einer Aufwertung des konkreten Lösungsinteresses und einer Abwertung des konkreten Bestandsinteresses. Auch im Rahmen der §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB wird an dem Grundsatz festgehalten, dass dem Schuldner eine „zweite Chance“ zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands zustehen muss. Der Fehlschlag der Nacherfüllung bedeutet allerdings, dass der Gläubiger den vertragsgemäßen Zustand trotzdem nicht herzustellen vermochte. Kann oder will der Schuldner seine weitere Chance, sich die Gegenleistung zu verdienen, nicht nutzen, ist eine geringere Gewichtung seines konkreten Bestandsinteresses gerechtfertigt. Das Gewicht des konkreten Lösungsinteresses des Gläubigers, der den Fehlschlag der Nacherfüllung abzuwarten hatte, ist hingegen wegen des damit einhergehenden Zeitablaufs höher zu gewichten. c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung nach §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB Beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nacherfüllung ergibt sich das Lösungsinteresse des Gläubigers daraus, dass sich der Vertragsschluss aus seiner Sicht nachträglich als zur Erreichung des von ihm beabsichtigten Zwecks als ungeeignet erweist. Geht man mit der h. M. davon aus, dass die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist, sofern innerhalb einer angemessenen Frist nicht mehr mit einer ordnungsgemäßen Leistung gerechnet werden kann und ein weiteres Abwarten mit der Geltendmachung der Sekundärrechte sinnlos erscheint,488 ist die Annahme des Gläubigers in der konkreten Situation auch objektiv berechtigt. Aufgrund des Fehlschlags der Nacherfüllung darf der Gläubiger davon ausgehen, dass der Schuldner auch in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein wird, das Leistungsinteresse vollständig zu befriedigen.489 Durch die derart verstan485 486 487 488 489

RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 233. RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 233. BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 10. s. o. Kapitel 2, § 5, A.II.5.a). Kohler, AcP 2015, 165, 200.

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denen Voraussetzungen der §§ 440 S. 2, 2. Fall und 636, 2. Fall BGB wird also gewährleistet, dass die Lösungsmöglichkeit im Einzelfall objektiv gerechtfertigt ist. Indem der Schuldner seine zweite Chance zur Nacherfüllung nicht genutzt hat, um den vertragsgemäßen Zustand herzustellen, ist ihm die Ursache des Lösungsinteresses des Gläubigers auch zurechenbar. Neben der Pflichtverletzung des Schuldners in Form der nicht vertragsgemäßen Leistung ist für das fristlose Rücktrittsrecht zusätzlich der Fehlschlag der Nacherfüllung erforderlich. Der Fehlschlag der Nacherfüllung ersetzt insoweit den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist zur Nacherfüllung. Der Fehlschlag eines vorangegangenen Nachbesserungsversuchs bedeutet, dass der Schuldner bereits eine zweite Chance zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung hatte und diese nicht nutzen konnte oder wollte. Seinem Bestandsinteresse wird daher ein geringeres Gewicht zugemessen. Auf der anderen Seite muss der Gläubiger das Fehlschlagenen der Nachbesserung abwarten, ohne dass er sein Leistungsinteresse befriedigen konnte. Ein weiteres Abwarten soll dem Gläubiger nicht zugemutet werden. Sein Lösungsinteresse ist dementsprechend von besonderem Gewicht. Insofern setzt auch das fristlose Rücktrittsrecht wegen fehlgeschlagener Nachbesserung – neben einer Pflichtverletzung des Schuldners – noch weitere Umstände voraus, nach denen sich das Gewicht des Bestandsinteresses des Schuldners einerseits reduziert und das Gewicht des Lösungsinteresses des Gläubigers sich andererseits erhöht. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass auch im Rahmen der §§ 440 S. 1, 2. Fall, 636, 2. Fall BGB an das Rücktrittsrecht des Gläubigers hohe Anforderungen gestellt werden. Dementsprechend kommt die Wertung, dass das Bestandsinteresse besonders schutzwürdig ist, auch in dieser Regelung zum Ausdruck. 6. Das fristlose Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB Weil unsicher war, ob der Begriff des Fehlschlags auch die Fälle der Unzumutbarkeit umfasste, entschied sich der Gesetzgeber dazu in § 440 S. 1, 3. Var. BGB und in § 636, 3. Fall BGB ausdrücklich zu regeln, dass dem Gläubiger auch dann ein fristloses Rücktrittsrecht zustehen soll, wenn ihm die Nacherfüllung nicht zumutbar ist.490 490 RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 233; BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153.

132 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Mit § 440 S. 1, 3. Var. BGB sollte zudem insbesondere die Umsetzung der in Art. 3 Abs. 5, 3. Spiegelstrich VGK-RiL genannten Variante sichergestellt werden, welche dem Verbraucher die sofortige Vertragsaufhebung gestattet, sofern ihm durch die Abhilfe erhebliche Unannehmlichkeiten entstünden. Der Begriff „unzumutbar“ soll dabei auch die in Art. 3 Abs. 3 S. 3 VGK-RiL genannten Fälle erfassen, die explizit Konstellationen beschreiben, in denen die Nacherfüllung nach Ansicht des Richtliniengebers mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden sind.491 Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.492 Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit wird anhand von Fallgruppen spezifiziert.493 Eine der zentralen Fallgruppen stellt die Unzumutbarkeit wegen der Art des Mangels dar. So soll die Nacherfüllung etwa unzumutbar sein, wenn der Mangel besonders ekelerregend, sach- oder personengefährdend war.494 Auch kann die Nachbesserung wegen einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien unzumutbar sein, wenn etwa der Schuldner einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz oder Zuverlässigkeit erkennen lassen hat.495 Eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung wegen nachhaltiger Störung des Vertrauensverhältnisses wird zudem angenommen, sofern die Leistung derart mit herstellungsbedingten Qualitätsmängeln behaftet ist, dass der Gläubiger mit Recht fürchtet, dass die Leistung auch zukünftig nicht über längere Zeit frei von Mängeln sein wird.496 Ebenfalls soll dem Gläubiger die Nacherfüllung nicht zumutbar sein, sofern er wegen des Zustandes der Leistung zu einer schnellen Reaktion genötigt wird.497 Eine weitere Fallgruppe ist die Unzumutbarkeit wegen der Begleitumstände der Nacherfüllung – beispielsweise weil die Nacherfüllung mit einem hohen Maß an Belästigung für den Gläubiger verbunden ist.498 Die Nacherfüllung kann zudem unzumutbar sein, wenn der Gläubiger die begründete Befürchtung hegen darf, dass die beabsichtigte Nacherfüllung entweder nicht erfolgreich sein oder zu Folgemängeln führen würde.499

491

RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 233 f. BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153; Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015, 1669. 493 Kohler, AcP 2015, 165, 170 f. 494 BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 38. 495 BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015, 1669. 496 Z. B. im Fall eines sog. „Montagsautos“, BGH, Urt. v. 23.01.2013 – VIII ZR 140/ 12 NJW 2013, 1523. 497 MünchKommBGB/Westermann, § 440 Rn. 8; so beispielsweise LG Essen, Urt. v. 04.11.2003 – 13 S 84/03, NJW 2004, 527. 498 Staudinger/Matusche-Beckmann, § 440 BGB Rn. 33; in diese Gruppe dürfte auch BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 einzuordnen sein. 499 LG Arnsberg, Urt. v. 14.06.2017 – 1 O 227/16, BeckRS 2017, 114381 Rn. 25. 492

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Den Fällen der Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ist gemein, dass die vom Schuldner zunächst erbrachte Leistung nicht geeignet war, das Interesse des Gläubigers am vertragsgemäßen Erhalt der Leistung zu befriedigen. Zwar wäre die Nacherfüllung hier mitunter sogar zur Befriedigung des Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung geeignet,500 allerdings wäre die Befriedigung des Interesses an der vertragsgemäßen Leistung durch eine Nacherfüllung des Schuldners wegen besonderer Gründe nur unter Beeinträchtigung anderer Interessen des Gläubigers möglich.501 Wurde – etwa, weil die Leistung des Schuldners mit einem besonders gravierenden Mangel behaftet war – das Vertrauen des Gläubigers in die Kompetenz oder Zuverlässigkeit des Schuldners nachhaltig gestört, verspricht eine fortdauernde Kooperation aus Sicht des Gläubigers wenig Erfolg.502 So mag der Gläubiger ein weiteres Auftreten entsprechender Mängel bei Nacherfüllung durch den Schuldner befürchten,503 Dann wird er an der Nacherfüllung aber kein Interesse haben und sich die Leistung stattdessen anderweitig beschaffen wollen oder gar vollständig auf sie verzichten.504 In beiden Fällen wird er mangels Interesse an der Leistung durch den Schuldner auch nicht bereit sein, diesem die versprochene Gegenleistung zu erbringen und sich deshalb vom Vertrag lösen wollen.505 Ist die Nacherfüllung durch den Schuldner nur unter einer starken Belästigung oder sonstigen negativen Begleitumständen für den Gläubiger möglich, müsste der Gläubiger diese beim weiteren Festhalten am Vertrag zur Befriedigung seines Interesses am Erhalt der vertragsgemäßen Leistung hinnehmen. Das Interesse des Gläubigers an der Vermeidung der negativen Begleitumstände kann jedoch so gewichtig sein, dass sie das Interesse an der Leistung selbst überwiegen. In der Regel wird der Gläubiger jedoch ein Interesse daran haben sich die gewünschte Leistung unter Vermeidung der sich abzeichnenden negativen Begleitumstände schlicht anderweitig zu beschaffen. Auch hier hat der Gläubiger in keinem Fall ein Interesse an der Erfüllung durch den Schuldner sondern vielmehr ein Interesse an der Beseitigung seiner ursprünglichen vertraglichen Verpflichtung. Entsprechendes gilt auch für die Konstellationen, in denen sich der Gläubiger zu einer schnellen Reaktion veranlasst sieht. Die mit dem Abwarten der Frist verbunden Nachteile führen auch hier dazu, dass der Gläubiger kein Interesse an der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch den Schuldner hat. Egal ob der Gläubiger sein Interesse an der Leistung insgesamt verloren hat oder er sich die Leistung lieber anderweitig beschafft, keinesfalls hätte er ein Interesse daran, 500 501 502 503 504 505

In diesem Sinne auch Erger, NJW 2013, 1485, 1486. Wenzel, DB 2003, 1887, 1893 f. Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. In diesem Sinne auch Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. Erger, NJW 2013, 1485, 1488. Wenzel, DB 2003, 1887, 1893.

134 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

weiter an dem ursprünglichen Vertrag festzuhalten und für die mangelhafte Leistung, die nicht zur Befriedigung seines Leistungsinteresses geeignet ist, eine Gegenleistung zu erbringen. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt somit ein Lösungsinteresse des Gläubigers. Das objektivierte Lösungsinteresse hat dementsprechend in den Fällen der §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB seine Ursache darin, dass der Vertragsschluss aus Sicht des Gläubigers nachträglich allenfalls unter Beeinträchtigung anderer Interessen zur Befriedigung seines Interesses, das ihn zum Vertragsschluss motiviert hat, geeignet ist. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB In den Fällen der §§ 440 S. 1, 3. Fall, 636, 3. Fall BGB kann der Gläubiger auch ohne erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist zurücktreten, sofern ihm die Nacherfüllung unzumutbar ist. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit kennzeichnet dabei Situationen, in denen die Nacherfüllung nur unter Beeinträchtigung anderer wesentlicher Interessen zur Befriedigung des Interesses des Gläubigers an der Leistung geeignet ist.506 Zum Schutz des Rechts zur zweiten Andienung werden an die Unzumutbarkeit hohe Anforderungen gestellt,507 sodass im Einzelnen Umstände vorliegen müssen, die eine besondere Aufwertung des Lösungsinteresses rechtfertigen.508 So müssen im Rahmen des ersten Erfüllungsversuchs etwa konkrete Umstände aufgetreten sein, die die Annahme einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien rechtfertigen oder die Nacherfüllung selbst durch negative Begleitumstände von erheblichen Gewicht zu befürchten sein. Dass der Gläubiger die Leistung für die Zeit der Nacherfüllung nicht nutzen kann, dürfte entgegen der Ansicht von Weidenkaff509 jedoch regelmäßig nicht für die Unzumutbarkeit ausreichen. Denn aus dem Vorrang der Nacherfüllung folgt, dass der Käufer dies hinnehmen muss, solange der Zeitraum im Rahmen des Üblichen liegt.510 Auch die Konstellationen, in denen die Unzumutbarkeit sich daraus ergibt, dass der Gläubiger sich zu einer schnellen Reaktion veranlasst sieht, sind auf Ausnahmefälle beschränkt.

506

BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 Rn. 22. Jauernig/Berger, § 440 BGB Rn. 5. 508 Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. 509 Palandt/Weidenkaff, § 440 BGB Rn. 8. 510 BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 40; nicht zuzumuten ist dem Gläubiger allerdings ein Abwarten über eine „angemessene Frist“ hinaus, LG Arnsberg, Urt. v. 14.06. 2017 – 1 O 227/16, BeckRS 2017, 114381 Rn. 29. 507

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Eine Abwägung mit den konkreten Interessen des Schuldners ist in den Fällen in denen dem Gläubiger der fristlose Rücktritt wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gestattet wird, anders als nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, allerdings nicht notwendig.511 Das bedeutet entgegen der Auffassung von Matusche-Beckmann512 aber nicht, dass die Interessen des Schuldners in den Fällen der §§ 440 S. 1, 3. Fall, 636, 3. Fall BGB nicht berücksichtigt werden. Vielmehr erfolgt die Interessenabwägung hier lediglich aus der Perspektive des Käufers/Werkbestellers.513 Zwar soll sich das Lösungsinteresse nach der gesetzgeberischen Wertung in den § 440 S. 1, 3. Fall und § 636, 3. Fall BGB immer dann gegen das Bestandsinteresse des Schuldners durchsetzen, wenn dem Gläubiger die Nacherfüllung unzumutbar ist. „Unzumutbar“ als unbestimmter Rechtsbegriff erfordert es jedoch auch beim Rücktrittsrecht nach § 440 S. 1, 3. Fall, § 636, 3. Fall BGB letztlich eine entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen.514 Hierbei sind allerdings, anders als im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, nicht sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.515 Vielmehr sind lediglich die Umstände, aus denen sich ergibt, dass die Nacherfüllung dem Interesse des Gläubigers widerspricht, zu betrachten und mit dem generellen Interesse des Schuldners an der zweiten Andienung abzuwägen. Das Interesse des Schuldners an der zweiten Andienung, welches aus seinem Interesse daran sich die Gegenleistung zu verdienen folgt und damit letztlich seinem Bestandsinteresse entspricht, soll in den Fällen des § 440 S. 1, 3. Fall BGB bzw. des § 636, 3. Fall BGB nicht erst gegenüber dem Lösungsinteresse unterliegen, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses rechtfertigen. Vielmehr werden mit der Unzumutbarkeit der Nacherfüllung für den Gläubiger Konstellationen umschrieben, die das Lösungsinteresse so gewichtig erscheinen lassen, dass es das Bestandsinteresse ohne Weiteres – d.h. unabhängig von dessen Gewicht im konkreten Fall – überwiegen. Ist dies der Fall, geben § 440 S. 1, 3. Fall und § 636, 3. Fall BGB vor, dass das Ergebnis der Interessenabwägung auch dann nicht anders sein soll, wenn sich aus anderen Gründen beispielsweise ein besonders gewichtiges Bestandsinteresse des Schuldners folgt.516 Die Regelung in den §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB soll also gewährleisten, dass der Gläubiger in bestimmten Konstellationen, in denen die Nacherfüllung aus schwerwiegenden Gründen seinem Interesse widerspricht, nicht ausnahmsweise doch gezwungen wird eine Nacherfüllung in Kauf zu nehmen, weil das Bestandsinteresse des Schuldners von besonderem Ge511 512 513 514 515

BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 36; MünchKommBGB/Busche, § 636 Rn. 22. Staudinger/Matusche-Beckmann, § 440 BGB Rn. 24. Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. HK-BGB/Saenger, § 440 Rn. 2. Insofern missverständlich, BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015,

1669. 516

BeckOK/Faust, § 440 BGB Rn. 36.

136 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

wicht ist.517 In derartigen Ausnahmesituationen sollen die Umstände des Einzelfalls keine abweichende Beurteilung der Interessen rechtfertigen. Das Lösungsinteresse soll sich hier in jedem Fall gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen. c) Beurteilung der Regelung zum fristlosen Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nach § 440 S. 1, 3. Fall und § 636, 3. Fall BGB Das Lösungsinteresse des Gläubigers folgt beim fristlosen Rücktritt nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB daraus, dass der Vertragsschluss sich aus seiner Perspektive nachträglich nur unter Beeinträchtigung anderer Interessen als zur Befriedigung seines Interesses am Vertrag geeignet erweist. Jedenfalls in den zentralen Fallgruppen der Regelungen zum fristlosen Rücktritt wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ist diese Annahme objektiv berechtigt, sodass das Lösungsrecht hier auch im Einzelfall sachlich gerechtfertigt erscheint.518 Mit der Unzumutbarkeit der Nacherfüllung setzt das fristlose Rücktrittsrecht nach §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB neben der Pflichtverletzung durch die vertragswidrige Leistung auch weitere Umstände voraus, wegen denen sich das Gewicht des konkreten Lösungsinteresses des Gläubigers weiter erhöht. Anders als es grds. im Rahmen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB der Fall ist, wird hier auf die Berücksichtigung von sonstigen Umständen des Einzelfalls zugunsten des Bestandsinteresses in der Interessenabwägung verzichtet.519 Daraus folgt aber nicht zwangsläufig eine grundsätzlich andere Bewertung der abstrakten Interessen als in den übrigen Fällen des § 323 BGB. Denn wie sich bereits aus dem Begriffsverständnis ergibt, sind an die Unzumutbarkeit hohe Anforderungen zu stellen, was bestätigt, dass auch hier dem Bestandsinteresse grundsätzlich ein hohes Gewicht eingeräumt wird. Ein fristloser Rücktritt wegen Unzumutbarkeit kommt nur in Betracht, wenn die Umstände das Gewicht des Lösungsinteresses ausnahmsweise bereits soweit erhöhen, dass das Bestandsinteresse ohne Weiteres unterliegt. Ein Verzicht auf die Berücksichtigung aller im konkreten Einzelfall vorliegenden Interessen stellt insoweit nur eine gesetzgeberische Kategorisierung der die Interessenabwägung beeinflussenden Umstände dar. So wird im Rahmen der §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall BGB den Umständen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ergibt, der Vorrang gegenüber den sonstigen Umständen des Einzelfalls eingeräumt. Sofern diese Umstände das abstrakte Bestandsinteresse überwiegen, sollen die übrigen Umstände nicht zu einer anderen Beurteilung führen können. Diese Kategorisierung ist zudem 517 518 519

Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. In diesem Sinne auch Kohler, AcP 2015, 165, 171. Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671.

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137

auf die häufig im Massengeschäft vorkommenden Kauf- und Werkverträge beschränkt. Im Ergebnis lässt sich also auch mit Blick auf die Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 440 S. 1, 3. Fall und § 636, 3. Fall BGB festhalten, dass auch hier das Dogma der besonderen Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses zugrundeliegt, da das Lösungsinteresse sich nur in begrenzten Einzelfällen durchsetzen kann, sofern ihm ein ganz besonderes Gewicht zukommt.520 Dem abstrakten Bestandsinteresse kommt in §§ 440 S. 1, 3. Fall und 636, 3. Fall insgesamt ein relativ hohes Gewicht zu. 7. Das fristlose Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB Ein Sonderfall der Unzumutbarkeit im Sinne des § 440 BGB kann in bestimmten Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs vorliegen. In den Rechtssachen Weber gegen Wittmer und Putz gegen Medianess entschied der EuGH, dass die Nacherfüllungspflicht des Unternehmers im Anwendungsbereich der VGK-RiL auch den Aus- und Einbau bei mangelhaften Waren umfasst, sofern diese bestimmungsgemäß in eine andere Sache eingebaut wurden.521 Zudem verstoße eine Regelung, die es dem Unternehmer gestattet die einzig mögliche Nacherfüllungsvariante aus Kostengründen zu verweigern, gegen die Richtlinie.522 Allerdings sah der EuGH es als mit der Richtlinie vereinbar an, den Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer zu beschränken.523 Allerdings müsse der Käufer in diesem Fall die Möglichkeit zum fristlosen Rücktritt haben.524 In anderen Worten schuldet der Verkäufer bei der Nacherfüllung im Anwendungsbereich der VGK-RiL nicht nur grds. den Ausbau der mangelhaften Sache und den Einbau der mangelfreien Sache, sondern er kann sich auch nicht auf die absolute Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 4 BGB (vormals § 439 Abs. 3 BGB) berufen. Dieser Rechtsprechung ist der BGH zunächst im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB und einer Rechtsfort-

520 521 522 523 524

Cziupka, NJW 2015, 1669, 1671. EuGH, Urt. v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269. EuGH, Urt. v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269, Rn. 73. EuGH, Urt. v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269, Rn. 76. EuGH, Urt. v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269, Rn. 77.

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bildung des § 439 Abs. 3 BGB a. F. nachgekommen.525 Mit dem Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren526 (im Folgenden Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung) wurde diese Rechtsfortbildung nunmehr in §§ 439 Abs. 3, 475 Abs. 4, 5 BGB kodifiziert. Nach § 439 Abs. 3 S. 1 BGB n. F. umfasst die Nacherfüllung generell auch die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften Sache und den Einbau der mangelfreien Sache. Nach § 475 Abs. 4 S. 1 BGB n. F. kann der Verkäufer im Bereich des Verbrauchsgüterkaufrechts die eine Art der Nacherfüllung nicht wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit verweigern, sofern die andere Art der Nacherfüllung unmöglich ist oder bereits wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert wurde. Die Berufung auf die absolute Unverhältnismäßigkeit ist dem Verkäufer bei Verbrauchsgüterkaufverträgen im Sinne des § 474 Abs. 1 BGB also nicht möglich. Da aber der in der Regelung des § 439 Abs. 4 BGB zum Ausdruck kommende Gedanke der Verhältnismäßigkeit im Interesse des Verkäufers nicht völlig unberücksichtigt bleiben soll, räumt § 475 Abs. 4 S. 2 BGB dem Verkäufer die Möglichkeit ein, den Aufwendungsersatz nach § 439 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 BGB auf einen angemessenen Betrag zu beschränken, sofern die absolute Unverhältnismäßigkeit sich aus der Höhe der entsprechenden Aufwendungen ergibt. Entsprechend der Vorgaben des EuGH ordnet § 475 Abs. 5 BGB durch Verweis auf § 440 S. 1 BGB für diesen Fall ein fristloses Rücktrittsrecht des Käufers an. In den Fällen, in denen der Verkäufer sich auf § 475 Abs. 4 S. 2 beruft, wird der Käufer nicht vollständig von den Kosten für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands befreit. Um also die Kaufsache so nutzen zu können, wie er es sich beim Vertragsschluss vorgestellt hat, muss er nicht nur den Kaufpreis zahlen, sondern auch weitere Aufwendungen tätigen. Er muss nämlich auch noch den Fehlbetrag zwischen dem „angemessenen Betrag“ i. S. d. § 475 Abs. 4 S. 2 BGB und den Gesamtkosten der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands aufbringen. Hier kann der Betrag, den der Käufer dann ingesamt aufbringen muss, dasjenige übersteigen, was er ursprünglich zur Befriedigung seines Interesses am Vertrag aufzubringen bereit gewesen ist. Die zusätzlichen Kosten können hier zur Folge haben, dass der Käufer sein Interesse an der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands verliert. Dies lässt sich beispielhaft am sogenannten Bodenfliesenfall527 des BGH veranschaulichen. Dort hat der Käufer Fliesen im Wert von ca. 1.200 A gekauft, diese

525 526 527

BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073. BGBl. I 2017, S. 969. BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073.

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in seinem Haus verlegen lassen und anschließend Mikroschleifspuren entdeckt, die einen optischen Mangel ohne Funktionsbeeinträchtigung darstellten. Der komplette Austausch der Fliesen sollte 5.830 A kosten. Der auf einen angemessenen Betrag reduzierte Aufwendungsersatzanspruch wurde vom BGH auf 600 A beziffert. Um sein Haus ordnungsgemäß gefliest zu bekommen, hätte der Käufer zusätzlich zum Kaufpreis und den bereits gezahlten Einbaukosten die restlichen 5.230 A für den Austausch der Fliesen aufbringen müssen. Dies mag indes den Betrag übersteigen, den er ursprünglich bereit gewesen wäre, für die Verlegung entsprechender mangelfreier Fliesen in seinem Haus zu zahlen. Unter Umständen möchte der Käufer hier nunmehr auf einen kostengünstigeren Bodenbelag zurückgreifen. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB Zwar kann sich der Verkäufer nach § 475 Abs. 4 S. 1 BGB in den Fällen des Verbrauchsgüterkaufs nicht wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 4 BGB vollständig von der Pflicht zur Nacherfüllung entledigen. Allerdings wird ihm nach § 475 Abs. 4 S. 2 BGB ermöglicht seine Pflicht zur Erstattung Aufwendungen, die zur Nacherfüllung erforderlich sind, auf einen angemessenen Betrag zu begrenzen. Hier muss der Käufer dann mehr für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands aufwenden, als es bei einer bereits anfänglich vertragsgemäßen Leistung durch den Verkäufer eigentlich der Fall gewesen wäre. Obwohl die Beschränkung des Aufwendungsersatzes durch den Verkäufer keine Verweigerung im Sinne des § 440 S. 1, 1. Fall BGB darstellt,528 kann hier auf die dortigen Ausführungen zur gesetzgeberischen Interessengewichtung529 zurückgegriffen werden. Das Lösungsinteresse des Käufers ist besonders gewichtig, weil ihm im Fall der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands Kosten auferlegt würden, die er beim Vertragsschluss nicht einkalkuliert hat. Sofern der Verkäufers, anstelle der vollständigen Herstellung des vertragsgemäßen Zustands nur einen „angemessenen Betrag“ für die Aufwendungen zu zahlen hat, geht dies unmittelbar zu Lasten des Käufers. Da die vom Käufer zu tragende Mehrbelastung mitunter so erheblich ist, dass er den Vertrag in Kenntnis der Umstände gar nicht erst geschlossen hätte, ist ihm ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zumutbar. Auf der anderen Seite ist das Bestandsinteresse des Verkäufers weniger schützenswert, als es regelmäßig der Fall ist. Denn indem er sich auf § 475 Abs. 4 528 529

Brinkmann/Pielsticker, ZJS 2014, 519, 526. Oben, 4.b).

140 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

S. 2 BGB beruft, macht er deutlich, dass er insoweit nicht mehr an seiner ursprünglichen Verpflichtung festhalten möchte. Da der Verkäufer bereits selbst vom Grundsatz pacta sunt servanda abgewichen ist, ist sein Bestandsinteresse nicht gleichermaßen schützenswert wie in den Fällen, in denen es um die vollständige Durchführung des ursprünglichen Vertrags geht. Der Verkäufer kann sich deshalb auch nicht mehr auf den Grundsatz pacta sunt servanda berufen. Dementsprechend bedarf es – in Abweichung von den Regelfällen des § 323 Abs. 1 BGB – hier auch keiner das Bestandsinteresse erschütternden Fristsetzung, die mangels Anspruchs auf vollständige Nacherfüllung seitens des Käufers auch sinnlos wäre. c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Käufers wegen einer Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB Auch beim fristlosen Rücktrittsrecht wegen Beschränkung des Aufwendungsersatzes ergibt sich das Lösungsinteresse des Gläubigers daraus, dass sich der Vertragsschluss für ihn nachträglich als ungeeignet zur Befriedigung seines Interesses erweist. Hat der Schuldner mangelhaft geleistet und seine Pflicht zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands nach § 475 Abs. 4 S. 2 BGB beschränkt, ist diese Annahme auch objektiv berechtigt. Demensprechend ist hier ein Lösungsrecht auch im Einzelfall objektiv gerechtfertigt. Dem fristlosen Rücktrittsrecht wegen Beschränkung des Aufwendungsersatzes nach §§ 475 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, 440 S. 1 BGB liegt zunächst einmal auch eine Pflichtverletzung, nämlich die mangelhafte Leistung des Verkäufers zugrunde. Auch wenn die Beschränkung des Aufwendungsersatzes in den Fällen des § 475 Abs. 4 S. 2. BGB nach Ansicht des Gesetzgebers einem berechtigten Interesse des Schuldners entspringt, hat der Schuldner das daraus resultierende Lösungsinteresse des Gläubiger zudem zurechenbar verursacht. Dass der Käufer den Vertrag nach §§ 475 Abs. 5, 440 S. 1 BGB ohne Weiteres auflösen kann, steht auch nicht im Widerspruch mit dem Grundsatz der besonderen Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses. Denn wird der Vertragsinhalt durch einseitige Gestaltung verändert, so hat ein Vertrauen der vertragsändernden Partei auf die Durchführung des (geänderten) Vertrags mangels entsprechender Vereinbarung keinen Anknüpfungspunkt. Da der fristlose Rücktritt nach §§ 475, 440 S. 1 BGB nur in Fällen zulässig ist, in denen das Bestandsinteresse des Schuldners sich nicht auf die ursprüngliche Vereinbarung bezieht und dessen Vertrauen in die Vertragsdurchführung deshalb keinen Anknüpfungspunkt hat, lässt sich im Umkehrschluss auch hier grundsätzlich ein besonderer Stellenwert des generellen Bestandsinteresses festmachen.

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8. Das fristlose Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB § 445a Abs. 2 BGB soll dem Verkäufer, der eine an einen Dritten verkaufte mangelhafte Sache von diesem zurücknehmen musste bzw. demgegenüber der Dritte den Kaufpreis gemindert hat, den Rückgriff gegenüber seinem Lieferanten erleichtern, indem ihm die Geltendmachung der in § 437 BGB bezeichneten Rechte gegen den Lieferanten ohne die sonst erforderliche Fristsetzung gestattet wird.530 Die Regelung geht zurück auf § 478 Abs. 1 BGB a. F., wo allerdings eine Beschränkung auf die Fälle vorgesehen war, in denen es sich beim Endabnehmer um einen Verbraucher handelte. Abgesehen von der Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Kaufverträge zwischen zwei Unternehmern war eine Änderung zur vorherigen Rechtslage nicht beabsichtigt.531 Zwar geht es nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut von § 445a Abs. 1 und 2 BGB hervor, aber die Formulierung „Lieferant“ soll nur unternehmerische Verkäufer umfassen. Dies folgt einerseits aus der Gesetzeshistorie, denn Lieferant im Rahmen des § 478 Abs. 1 BGB a. F. war der „Unternehmer, der [dem Verkäufer] die Sache verkauft hat“. Hierfür spricht zudem die Systematik, da der weitere Regress in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB ausdrücklich nur gegen unternehmerisch tätige Verkäufer Anwendung finden soll. Die Regresserleichterung des § 445a Abs. 2 BGB soll keine zusätzlichen Ansprüche schaffen, sondern lediglich eine Modifikation der allgemeinen Regelungen darstellen.532 Die Bestimmung dient auch der Umsetzung des Art. 4 VGKRiL, nach dem der Letztverkäufer, der gegenüber einem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassenes des Herstellers, eines früheren Verkäufers innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen Zwischenperson, haftet, einen Regressanspruch haben muss.533 Hierbei überlässt es die Richtlinie jedoch dem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, wen der Letztverkäufer in Regress nehmen kann und wie dieser Anspruch im Einzelnen ausgestaltet ist (Art. 4 S. 2 VGK-RiL).534 530

BeckOK/Faust, § 478 BGB Rn. 14; Böhle, WM 2004, 1616, 1617. RegE, BR-Drucks. 123/16, S. 42. 532 RegE, BR-Drucks. 123/16, S. 42; so bereits zur alten Rechtslage: Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1397; Schubel, ZIP 2002, 2061, 2062; Böhle, Jura 2004, 1616, 1617. 533 Böhle, WM 2004, 1616, 1616 f. 534 Böhle, WM 2004, 1616, 1617. 531

142 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Für ein derartiges fristloses Rücktrittsrecht des Verkäufers hinsichtlich des Vertrags mit seinem Lieferanten ist zunächst erforderlich, dass der Verkäufer seinerseits von seinem Endabnehmer wegen eines Mangels der Kaufsache in Anspruch genommen wurde. Dem Wortlaut des § 478 Abs. 1 BGB nach lassen sich diesbezüglich zwei Varianten unterscheiden – die Variante, dass der Verkäufer die Kaufsache wegen des Mangels zurücknehmen musste und die Variante, dass der Abnehmer den Kaufpreis gemindert hat. Was die Fälle betrifft, in denen der Verkäufer die Ware tatsächlich zurück erhält – also insbesondere die Situationen, in denen der Abnehmer gegenüber dem Verkäufer wegen des Mangels zurücktritt bzw. Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt, aber auch wenn er die ursprüngliche, mangelhafte Sache im Rahmen der Nachlieferung zurück erhält535 – hat die Begründung des Lösungsinteresses vom Verkäufer hinsichtlich des Vertrag mit dem Lieferanten ihren Ausgangspunkt in den regelmäßig zugrundeliegenden Motiven des Verkäufers beim Erwerb der Kaufsache. Meistens wird der Verkäufer, der die Ware anschließend an einen Dritten weiterveräußert, die Weiterveräußerung bereits beim Vertragsschluss beabsichtigt haben.536 Dies ist jedenfalls bei unternehmerisch tätigen Verkäufern die Regel.537 Scheitert die Weiterveräußerung aufgrund eines Mangels und muss der Verkäufer die bereits ausgelieferte mangelhafte Ware wieder zurücknehmen, konnte er den von ihm beim Erwerb der mangelhaften Sache beabsichtigten Zweck – die Weiterveräußerung – nicht realisieren.538 Das gilt insbesondere für unternehmerisch tätige Verkäufer die ausschließlich Neuware veräußern. Denn bekommt er die Kaufsache vom Endabnehmer zurück, wird sich die Kaufsache in der Regel – selbst nach einer Reparatur – nicht mehr als neu verkaufen lassen. In jedem Fall – sei es, dass sein Lieferant die Sache nachbessert oder auch dass er nachliefert – müsste der Verkäufer nach der Rücknahme der Ware vom Verbraucher einen neuen Käufer für die Sache ausfindig machen.539 Er müsste also für eine bereits verkaufte Ware – in einem womöglich grundlegend veränderten Marktumfeld – erneut eine Absatz- oder sonstige Verwendungsmöglichkeit finden.540 Dieses Ab535 Ob vom § 478 Abs. 1 BGB auch die Fälle der Rücknahme der mangelhaften Sache nach Nachlieferung erfasst, bei der die die Rückgewähr aus §§ 439 Abs. 5, 346 BGB folgt, hängt davon ab, wie man das Verhältnis zwischen § 478 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zieht, dazu unten; NK-BGB/Büdenbender, § 478 Rn. 31 f. Jedenfalls dürfte die Nachbesserung mangels Rückerhalt der Sache nicht erfasst sein, vgl. auch Böhle, WM 2004, 1616, 1624. 536 In diesem Sinne auch Nietsch/Osmanovic, NJW 2018, 1, 4. 537 In diesem Sinne auch Stoll, AcP 1929, 141, 168; Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XXXI. 538 Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XXXI. 539 Staudinger/Matusche-Beckmann, § 478 BGB Rn. 35. 540 NK-BGB/Büdenbender, § 478 Rn. 32; Tröger, AcP 2004, 115, 125; Salewski, ZGS 2008, 212, 213.

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satzrisiko kann zur Folge haben, dass der Letztverkäufer sein Interesse an der Ware ab dem Zeitpunkt verliert, ab dem die ursprünglich vorgesehene Weiterveräußerung wegen des Mangels gescheitert ist. Mit dem Verlust des Interesses an der Ware verliert er, da es sich bei dem Kaufvertrag um einen gegenseitigen Vertrag handelt, auch das Interesse am Fortbestand des (Erwerbs-)Kaufvertrags insgesamt.541 Aus der Rückabwicklung des Kaufvertrags, an dem der Endabnehmer folgt hier also das Interesse des Verkäufers an der Lösung von Vertrag mit seinem Lieferanten. Wegen des Mangels der Kaufsache konnte der Verkäufer sein Interesse, welches ihn zum Vertragsschluss motiviert hat, im Rahmen des Kaufvertrags mit seinem Lieferanten nicht befriedigen. Auch eine Nacherfüllung wäre in derartigen Konstellationen zur Befriedigung des Interesses des Letztverkäufers ungeeignet,542 sodass ein weiteres Festhalten am Vertrag für ihn wirtschaftlich unsinnig wäre.543 Aus Perspektive des Letztverkäufers erweist sich der Vertrag hier nachträglich als zur Zweckerreichung ungeeignet, sodass an die Stelle des ursprünglichen Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse tritt. Allerdings ist § 445a Abs. 2 BGB weder auf Konstellationen beschränkt, in denen der Verkäufer bereits beim Vertragsschluss die Weiterveräußerung beabsichtigt hat, noch zumindest auf Fälle, in denen der Verkäufer unternehmerisch tätig ist. Insofern kann die Weiterveräußerung auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Verkäufer die Sache zunächst für die eigene Verwendung erwirbt, aber dann vor der erstmaligen Benutzung das Interesse an der Kaufsache verliert. Man denke etwa an die im Privatbereich nicht ungewöhnlichen Fälle, in denen die Kaufsache als Geschenk gedacht ist und sich herausstellt, dass der potentielle Beschenkte die Sache bereits hat. Wenn der Erwerber die Sache in diesem Fall die Sache anderweitig veräußert, und die Ware dann wegen eines Mangels wieder zurücknehmen muss, hat er indes ebenfalls kein Interesse an einer Nacherfüllung. Auch hier müsste er dann nämlich einen weiteren Abnehmer finden und wäre mit einem zusätzlichen Absatzrisiko belastet. Die Begründung des Lösungsinteresse entspricht insoweit den Situationen, in denen die Weiterveräußerung schon zum Zeitpunkt des Erwerbs vom Lieferanten beabsichtigt war. Auf die Konstellationen, in denen der Käufer gegenüber dem Verkäufer die Minderung erklärt hat, lassen sich diese Ausführungen zur Begründung des Lösungsinteresses allerdings nicht übertragen. Denn es trifft zwar zu, dass der Verkäufer – sofern er die Sache kauft, um sie seinerseits weiterzuveräußern – auch einen Gewinn bei der Weiterveräußerung erzielen will. Deshalb mag man behaupten, der Verkäufer könne auch in den Fäl541 Tröger, AcP 2004, 115, 125; auf die Frage, ob dem Letztverkäufer im Einzelfall ausnahmsweise eine Weiterveräußerung ohne Probleme möglich sei, soll es hier nicht ankommen, Staudinger/Matusche-Beckmann, § 478 BGB Rn. 33. 542 Tröger, AcP 2004, 115, 125. 543 BT-Drucks. 14/6040 S. 248; Schubel, ZIP 2002, 2061, 2062.

144 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

len, in denen der Käufer ihm gegenüber gemindert hat, das mit dem Vertrag verfolgte Ziel nicht erreichen. Schließlich wird durch die Minderung seines Abnehmers die Handelsspanne des Verkäufers zumindest geschmälert.544 Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass dem Verkäufer hier seinerseits grundsätzlich die Möglichkeit zusteht, gegenüber seinem Leiferanten zu mindern bzw. kleinen Schadensersatz zu verlangen. Denn der ausgebliebene Gewinnanteil wird durch eine Minderung gegenüber dem Lieferanten nicht vollständig ausgeglichen545 und ein Anspruch auf kleinen Schadensersatz546 dürfte häufig an einem Verschulden des Lieferanten scheitern.547 Der Verkäufer wird durch die Minderung in aller Regel also nicht vollständig so gestellt wird, wie er stünde, wenn er eine mangelfreie Sache bekommen und weiterveräußert hätte. Aber selbst wenn der Verkäufer gegenüber seinem Lieferanten lediglich mindern kann, wird er im Ergebnis gleichwohl einen (dem Verhältnis des Wertes der mangelhaften Sache zum Wert einer mangelfreien Sache entsprechenden) Anteil des geplanten Gewinns realisieren können. Somit kann der Verkäufer in Fällen, in denen ihm gegenüber gemindert wurde, den Zweck des Erwerbsvertrags mit seinem Lieferanten – anders als in den Fällen, in denen er die Ware zurückerhält – im Wesentlichen verwirklichen. Sein Interesse an dem (Erwerbs-)Vertrag ist zwar geschmälert, aber gleichwohl nicht vollständig entfallen.548 Auch trägt der Verkäufer in diesen Fällen kein erneutes Absatzrisiko. Ein Lösungsinteresse lässt sich in diesen Fällen mit der mangelhaften Leistung durch den Lieferanten nicht begründen. Möchte der Verkäufer sich gleichwohl vom Vertrag lösen, beruht dieses Interesse auf anderen Gründen, die nicht im Tatbestand des § 445a Abs. 2 BGB angelegt sind. Ein Recht des Verkäufers zum fristlosen Rücktritt vom Vertrag mit seinem Lieferanten nach § 445a Abs. 2 BGB ist in Fällen, in denen der Käufer dem Verkäufer gegenüber lediglich gemindert hat, abzulehnen.549 Dies gilt erst Recht für Fälle in denen der Käufer sonstige Sekundärrechte geltend gemacht hat, bei denen der Verkäufer die Sache nicht zurückerlangt und die teilweise – mit dem Verweis auf einen Mangel an tragfähigen Differenzierungsgründen – als der Minderung gleichgestellt550 werden.551

544

Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1395. NK-BGB/Büdenbender, § 478, 36; Böhle, WM 2004, 1616, 1619. 546 NK-BGB/Büdenbender, § 478, 36. 547 Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1421. 548 Hierzu auch Böhle, WM 2004, 1616, 1619. 549 In diesem Sinne auch Staudinger/Matusche-Beckmann, § 478 BGB Rn. 96; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 2 Rn. 577 f. ebenso Bitterich, JR 2004, 485, 488; Wenzel, DB 2003, 1887, 1893; Böhle, WM 2004, 1616, 1622; a. A. BeckOK/Faust, § 478 BGB Rn. 15; MünchKommBGB/Lorenz, § 478 Rn. 22; Ernst/ Gsell, ZIP 2001, 1389, 1398; so im Ergebnis auch Tröger, AcP 2004, 115, 131. 550 So etwa BeckOK/Faust, § 478 BGB Rn. 20. 551 Wie hier wohl Nietsch/Osmanovic, NJW 2018, 1, 4. 545

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB Indem der Gesetzgeber dem Verläufer in den Fällen des § 445a Abs. 2 BGB ein fristloses Rücktrittsrecht eröffnet, erkennt er dessen Lösungsinteresse als gegenüber dem Bestandsinteresse des Lieferanten gewichtiger an. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse des Verkäufers folgt grundsätzlich daraus, dass auch eine Nacherfüllung ab dem Zeitpunkt, ab dem die Weiterveräußerung wegen des Mangels gescheitert ist, nicht mehr zur Befriedigung seines Interesses geeignet wäre.552 Insofern ist die Situation aus Sicht des Verkäufers hier mit derjenigen des Gläubigers beim verspäteten relativen Fixgeschäft vergleichbar. Stünde dem Lieferanten in den Fällen des § 445a Abs. 2 BGB ein Recht zur zweiten Andienung zu, wäre der Verkäufer grds. mit einem zusätzlichen Absatzrisiko belastet, dass er beim Vertragsschluss nicht übernommen hat. Dabei handelt es sich um einen Umstand, der eine stärkere Gewichtung des Lösungsinteresses rechtfertigt. Nach § 478 Abs. 1 BGB a. F. war das fristlose Rücktrittsrecht des Verkäufers auf Konstellationen beschränkt, in denen der Vertrag mit dem Käufer ein Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 BGB darstellte. Insofern ließ sich die besondere Berücksichtigung des Lösungsinteresse damit begründen, dass der Verkäufer dort mit dem besonderen Schutzregime der §§ 474 ff. BGB belastet war. Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass den Einzelhändler bei der Veräußerung von Neuwaren in der Regel keine Verantwortung für den Mangel trifft, sondern der Mangel vielmehr regelmäßig vom Produzenten zu verantworten ist, sollte der Einzelhändler die Nachteile des besonderen Verbraucherschutzes nicht allein tragen müssen.553 Diese pauschale Begründung der Interessenbewertung war jedoch selbst in Fällen, in denen der Unternehmer die Kaufsache tatsächlich vom Verbraucher zurückerlangt hat, nicht überzeugend.554 Andererseits scheint die Wertung, dass das Lösungsinteresse des Verkäufers sich bereits wegen der bloßen Belastung mit einem zusätzlichen Absatzrisiko gegenüber dem Bestandsinteresse des Lieferanten durchsetzen kann, im Vergleich zu den übrigen Rücktrittsfällen nicht überzeugend. So hat der bereits BGH dem Verwender einer AGB, durch welche das seinerzeit noch auf Fälle mit Verbrau552

s. o., Kapitel 2, § 5, A.II.7.a). RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 247; Schubel, ZIP 2002, 2061, 2062; Böhle, WM 2004, 1616, 1617. 554 So auch Matuschke-Beckmann, BB 2002, 2561, 2563; Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1397. 553

146 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

chern als Endabnehmern beschränke fristlose Rücktrittsrecht aus § 478 Abs. 1 BGB a. F. auf den Verkauf an Unternehmer ausgeweitet werden sollte, jegliches legitimes Interesse abgesprochen.555 Wie Nietsch/Osmanovic feststellen, setzt § 445a Abs. 1 BGB letztlich das „zentrale Prinzip des modernen Schuldrechts – Erforderlichkeit der Nachfristsetzung und das damit korrespondierende Recht der zweiten Andienung weitgehend außer Kraft“.556 Der Lieferant hat hier keine Chance sich den Kaufpreis noch (vollstänig) zu verdienen.557 Und das obwohl Umstände, aus denen sich eine geringere Gewichtung seines konkreten Bestandsinteresses ergeben, nach § 445a Abs. 2 BGB nicht vorausgesetzt werden. Zwar dürfte dem Lieferanten häufig bewusst sein, dass der Unternehmer die Sache seinerseits weiterveräußern möchte und er sein Interesse an der Sache verliert, sofern eine Weiterveräußerung wegen ihrer Mangelhaftigkeit nachträglich scheitert. Notwendig ist eine derartige Kenntnis des Lieferanten allerdings nicht. Es lässt sich auch nicht argumentieren, dass der Lieferant seinerseits über § 445a Abs. 3 BGB besonders geschützt sei und sein Interesse am Bestand des Vertrags deshalb weniger schutzwürdig wäre. Dagegen spricht zum einen, dass die Rückabwicklung des Vertrags dem Lieferanten seine Handelsspanne nehmen würde. Zum anderen lässt sich die Kette höchstens bis zum Verursacher des Mangels – nach Ansicht des Gesetzgebers in der Regel also dem Hersteller – durchreichen. Zwar mag man versucht sein, das Bestandsinteresse desjenigen der den Mangel verursacht, eben wegen jener Verantwortlichkeit für den Mangel als weniger schutzwürdig einzustufen. Eine derartige Beurteilung widerspräche aber (jedenfalls auf der Ebene des „Ob“ der Vertragsauflösung) der allgemeinen Wertung des § 323 BGB, nach der das Bestandsinteresse des Schuldners selbst bei einer mangelhaften Leistung so hoch einzustufen ist, dass ein Überwiegen des Bestandsinteresses nur unter zusätzlichen Voraussetzungen in Betracht kommt. c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Letztverkäufers im Falle der Mangelgewährleistung gegenüber dem Käufer nach § 445a Abs. 2 BGB Das Lösungsinteresse des Unternehmers im Rahmen des § 445a Abs. 2 BGB folgt daraus, dass ein vom Unternehmer bei Abschluss des Vertrags beabsichtigter Weiterverkauf der Sache wegen des Mangels gescheitert ist und der Unternehmer deshalb bei einem weiteren Festhalten am Vertrag ein zusätzliches Absatzrisiko übernehmen müsste.558 555 556 557 558

BGH, Urt. v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47, 50. Nietsch/Osmanovic, NJW 2018, 1, 4. Nietsch/Osmanovic, NJW 2018, 1, 4. s. o., Kapitel 2, § 5, A.II.7.a).

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Jedenfalls unter der hier vertretenen engen Auslegung des § 445 Abs. 2 BGB, nach der ein fristloses Rücktrittsrecht nur in Betracht kommt, wenn der Unternehmer die Sache tatsächlich zurück bekommen hat, ist dies auch objektiv berechtigt, sodass ein Lösungsrecht im Einzelfall nur in Betracht kommt, wenn die die gesetzgeberische Interessenbewertung begründenden Umstände tatsächlich vorliegen. Sofern man allerdings mit der wohl herrschenden Meinung ein fristloses Rücktrittsrecht des Unternehmers gegenüber seinem Lieferanten in Konstellationen annimmt, in denen der Unternehmer die Ware nicht zurückerhalten hat, lässt sich dies allenfalls damit begründen, dass es sich bei § 445a Abs. 2 um eine recht „grobschlächtige“ Regelung handelt.559 Seinen Ursprung hat das Lösungsinteresse des Unternehmers in jedem Fall in der mangelhaften Leistung des Lieferanten, die eine Pflichtverletzung darstellt. Dementsprechend ist dem Lieferanten die Ursache des Lösungsinteresses auch zurechenbar. An die Stelle der Fristsetzung tritt nach der hier vertretenen Auffassung die Pflicht zur Rücknahme der mangelhaften Sache des Lösungsberechtigten gegenüber seinem Abnehmer. Zwar mag diese Rücknahmepflicht und das aus ihr folgende zusätzliche Absatzrisiko eine besondere Aufwertung des Lösungsinteresses rechtfertigen. Umstände, durch die sich eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses ergeben, setzt § 445a Abs. 2 BGB insgesamt nicht voraus. Im Wesentlichen hängt die Beurteilung der Interessengewichtung letztlich auch von der Beantwortung der umstrittenen Frage ab, wie die „Rücknahmepflicht“ des Verkäufers hinsichtlich der mangelhaften Sache zu interpretieren ist. Dies betrifft zunächst die Frage, ob die Rücknahmepflicht auf die Konstellationen beschränkt ist, in denen der Käufer aufgrund des Mangels der Kaufsache vom Kaufvertrag zurückgetreten ist oder Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt hat, oder auch Fälle erfasst sind, in denen der Verkäufer dem Mangel durch Nachlieferung abgeholfen hat.560 In diesen Zusammenhang steht auch die umstrittene Frage, ab wann im Einzelnen bereits von einer Pflicht zur Rücknahme gesprochen werden kann. Teilweise wird eine Rücknahmepflicht des Verkäufers nur für die Fälle abgelehnt, in denen er die Sache lediglich aus Kulanz zurückgenommen hat561 – wobei selbst hier

559

So bereits für § 478 BGB a. F. BeckOK/Faust, § 478 BGB Rn. 15. Für eine derart weite Interpretation: mit Hinweis auf BT-Drucks. 14/6040 S. 247, Staudinger/Matusche-Beckmann, § 478 BGB Rn. 19, m.w. N.; in diesem Sinne auch Tröger, AcP 2004, 115, 125 f.; Westermann, JZ 2001, 530, 540; für eine Beschränkung auf die Fälle des Rücktritts und Schadensersatz statt der Leistung: Nietsch, AcP 2010, 723, 739; Salewski, ZGS 2008, 212, 215; Böhle, WM 2003, 1616, 1624. 561 Die Grenze bei Kulanz zieht bereits BT-Drucks. 14/1640 S. 248. 560

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mitunter auf eine wirtschaftliche Vernünftigkeit einer derartigen Rücknahme hingewiesen wird.562 Auf der anderen Seite des Spektrums wird die Ansicht vertreten, dass von einer Rücknahmepflicht in den Fällen nicht gesprochen werden könne, in denen der Rücktritt des Käufers bzw. die Geltendmachung von Schadensersatz statt der ganzen Leistung daraus resultiert, dass der Verkäufer seinerseits die Nacherfüllung innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist vorwerfbar unterlassen hat.563 Die Anforderungen, die man an die Rücknahmepflicht stellt, wirken sich unmittelbar auf die Beurteilung der Interessengewichtung der beteiligten Parteien aus. Vertritt man diesbezüglich etwa eine weite Interpretation der Vorschrift, hätte dies zur Konsequenz, dass dem generellen Bestandsinteresse im Rahmen des § 445a Abs. 2 BGB ein deutlich geringeres Gewicht zukäme als in den übrigen Fällen des § 323 BGB.564 Geht man hingegen von einer engen Auslegung des § 445a Abs. 2 BGB aus, lässt sich die Vorschrift besser in das Wertungssystem der bisher dargestellten Rücktrittsrechte einfügen, bei denen das Bestandsinteresse ein besonderes Gewicht hat,.565 Betrachtet man etwa die Fälle, in denen der Unternehmer die Sache im Rahmen der Nachlieferung zurückerhalten hat, wurde er durch den Kaufvertrag mit seinem Abnehmer jedenfalls hinsichtlich einer anderen Sache vom Absatzrisiko befreit.566 Sofern es sich bei der als Ersatz gelieferten Sache um eine aus dem Vorrat des Verkäufers handelt, wäre er in den Fällen, in denen der Lieferant seinerseits nachliefert, in der Gesamtbetrachtung überhaupt nicht mit einem zusätzlichen Absatzrisiko belastet.567 Man denke etwa an den Betreiber eines Elektronikfachgeschäfts, der ein duzend Kameras eines bestimmten Models für den Weiterverkauf erworben hat. Stellt sich nun bei einer bereits weiterveräußerten Kameras ein Mangel heraus und tauscht der Verkäufer die defekte Kamera im Rahmen der Nachlieferung nun durch eine der 11 anderen mangelfreien Kameras aus, die er noch nicht weiterveräußert hat, gibt es keinen Grund ihn nicht auf eine Nachlieferung durch seinen Lieferanten zu verweisen. Denn der Verkäufer wird zwar für die nunmehr von seinem Lieferanten nachgelieferte Kamera einen neuen Abnehmer finden, sodass hier ein zusätzliches Absatzrisiko besteht, dafür wurde er aber vom dem Absatzrisiko für diejenige Kamera befreit, die er selbst an seinen Abnehmer nachgeliefert hat. In der Gesamtbetrachtung trifft den Verkäufer nach wie 562

So jedenfalls für die Minderung Schubel, ZIP 2002, 2061, 2069. NK-BGB/Büdenbender, § 478 Rn. 19; BeckOK/Faust, § 478 BGB Rn. 17 m.w. N.; in diesem Sinne auch Tröger, AcP 2004, 115, 128 ff. 564 In diesem Sinne auch Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1398. 565 Salewski, ZGS 2008, 212, 214. 566 NK-BGB/Büdenbender, § 478 Rn. 32. 567 Salewski, ZGS 2008, 212, 214. 563

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vor ein Absatzrisiko für 11 Kameras. Dem Verkäufer in diesen Situationen gleichwohl den fristlosen Rücktritt zu gestatten wäre nicht mit dem Grundsatz der besonderen Schutzbedürftigkeit des Bestandsinteresses zu vereinbaren. Aber auch wenn der Verkäufer sich zum Zwecke der Nachlieferung bei einem Dritten eingedeckt hat, wäre es wertungsmäßig nicht mit den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten in Einklang zu bringen, wenn er sich fristlos vom Vertrag lösen dürfte. Eine wertungsmäßige Übereinstimmung setzt hier vielmehr voraus, dass der Verkäufer vornehmlich seinem Lieferanten die Nachlieferung innerhalb der ihm gegenüber vom Käufer gesetzten Frist zu ermöglichen hat.568 Deckt sich der Verkäfuer nämlich ohne Not und ohne seinem ursprünglichen Lieferanten die Chance zur zweiten Andienung zu geben anderweitig mit der Leistung ein, wäre es kaum sachlich zu rechtfertigen, sein Lösungsinteresse gleichwohl als gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegend anzusehen.569 Damit dem abstrakten Bestandsinteresse in den Fällen des § 478 BGB dasjenige hohe Gewicht zukommt, das in den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten zum Ausdruck kommt, müsste man also annehmen, dass der Verkäufer, der die mangelhafte Sache im Rahmen der Nachlieferung zurück erhalten hat, dies gleichwohl nicht „in Folge ihrer Mangelhaftigkeit“ zurück bekam.570 Denn verlangt der Verkäufer von seinem Lieferanten die Nachlieferung gem. § 439 Abs. 1, 2. Fall BGB innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist, bedarf es entgegen der Ansicht von Bitterich571 keines Rechts des Verkäufers zum fristlosen Rücktritt.572 Kommt der Lieferant dem Nachlieferungsverlangen nämlich nach, wird im Zuge der Nachlieferung auch die mangelhafte Sache ausgetauscht – ein Absatzrisiko hinsichtlich der mangelhaften Sache würde der Verkäufer in diesem Fall nicht tragen.573 Kommt der Lieferant dem Nachlieferungsverlangen hingegen nicht fristgerecht nach, kann der Verkäufer entsprechend den generellen Rücktrittsvorschriften vom Vertrag mit dem Lieferanten Abstand nehmen, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 478 Abs. 1 BGB bedürfte. Das gilt insbesondere, wenn der Verkäfuer sich die Sache zur Nachlieferung gegenüber seinem Käufer deshalb anderweitig beschafft, weil der Lieferant die Nachlieferung ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder dem Verkäfuer die Nachlieferung durch den Lieferanten beispielsweise nicht zumutbar ist (§ 440 S. 1, 1. Fall BGB). Eine wertungsmäßige Kongruenz zwischen § 445a Abs. 2 BGB und den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten setzt freilich auch mit Blick auf die 568 569 570 571 572 573

Salewski, ZGS 2008, 212, 215. Salewski, ZGS 2008, 212, 215; so i. E. auch Böhle, WM 2004, 1616, 1624. So auch mit weiteren Argumenten Nietsch, AcP 2010, 723, 735 f. Bitterich, JR 2004, 485, 488. Bitterich, JR 2004, 485, 488. Nietsch, AcP 2010, 723, 736.

150 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Frage, ab wann der Verkäufer die Sache zurücknehmen musste, eine restriktive Auslegung voraus.574 Beschränkt man den Anwendungsbereich auf diejenigen Fälle, in denen der Verkäufer die Sache zurückzunehmen hatte, ohne seinerseits eine Möglichkeit zur Nacherfüllung gehabt zu haben, lässt sich die Ausnahme vom Fristsetzungserfordernis mit einer besonderen Schutzbedüftigkeit des Verkäufers begründen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit den sonstigen Rücktrittssituationen, in denen dem Bestandsinteresse ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird – auch hier eine enge Auslegung nahe.575 In den Fällen, in denen der Käufer dem Verkäufer eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, wird man also von dem Unternehmer vernünftige Anstrengungen zur Nacherfüllung erwarten müssen. Hierzu zählt auch, den Lieferanten seinerseits zur Nacherfüllung innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist aufzufordern. Insgesamt wird man nur zu einem wertungsmäßig mit den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten übereinstimmenden Ergebnis kommen, wenn man den Verkäufer erst dann als nach § 445a Abs. 2 BGB zum fristlosen Rücktritt berechtigt ansieht, wenn auch sein Käufer nach §§ 323 Abs. 2 Nr. 2 und 3, 440 S. 1 2. und 3. Fall BGB ohne Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten bzw. Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen konnte oder wenn der Lieferant zu einer Nacherfüllung innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist außerstande war.576 Insbesondere in Fällen, in denen der Verkäufer die vom Käufer gesetzte Nacherfüllungsfrist untätig verstreichen lässt577 oder sie ernsthaft und endgültig verweigert und ihm deshalb letztlich die Vertragsauflösung seitens des Käufers zurechenbar ist, wäre es kaum zu rechtfertigen, dass sein aus der Loslösung des Käufers folgendes Lösungsinteresse gegenüber dem für gewöhnlich sehr gewichtigen Bestandsinteresse seines Lieferanten überwiegen soll.578 Ein Überwiegen des Lösungsinteresses müsste dementsprechend auf solche Fälle beschränkt sein, in denen der Verkäufer unverschuldet eine Lösung seines Käufers vom Vertrag hinnehmen musste und deshalb sein Interesse am Erwerbsvertrag ohne sein Zutun entfallen ist. Damit lässt sich festhalten, dass die Beurteilung des Gewichts, dass der Gesetzgeber dem Bestandsinteresse im Rahmen des § 445a Abs. 2 BGB zumisst, ganz wesentlich von der Auslegung der Vorschrift abhängt. Das fristlose Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 445a Abs. 2 BGB ist nach der hier vertretenen 574

Salewski, ZGS 2008, 212, 217. Salewski, ZGS 2008, 212, 214. 576 Das letzteres regelmäßig der Fall sein sollte bezweifeln Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1397. 577 In derartigen Fällen sei ein Verzicht auf das Fristerfordernis nach Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1398 „befremdlich“. 578 Nietsch, AcP 2010, 723, 732; ebenso Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1398, die deshalb zu dem Ergebnis kommen, dass der Verzicht auf das Fristsetzungserfordernis schon im Ansatz verfehlt ist. 575

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Auffassung auf Fälle beschränkt, in denen der Verkäufer die Sache seinerseits zurücknehmen musste. Zudem sollte die Formulierung „infolge ihres Mangels zurücknehmen musste“ restriktiv interpretiert werden: Für den Verkäufer darf selbst keine Möglichkeit bestehen, zu verhindern, dass sich sein Käufer vom Vertrag mit ihm löst. Mit dem hier vertretenen Verständnis entspricht die Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses eher den übrigen bisher erläuterten Rücktrittsrechten. Dem abstrakten Bestandsinteresse würde damit zumindest ein relativ hohes Gewicht zukommen. Eine weniger restriktive Auslegung würde hingegen eine geringere Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses bedeuteten. 9. Das fristlose Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB a) Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445 Abs. 3 BGB Nach § 445a Abs. 3 BGB findet das Recht zum fristlosen Rücktritt aus § 445a Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung in der weiteren Lieferkette. Hierdurch wird die Begünstigung des § 445a Abs. 2 BGB auf sämtliche weitere Unternehmer in der Lieferkette erstreckt, vorausgesetzt, dass auch ihr Verkäufer wiederum Unternehmer ist. Dementsprechend können die Folgen der Mangelhaftigkeit an den Verantwortlichen weitergegeben werden, ohne dass der Rückgriff außerhalb der eigenen Vertragsbeziehungen stattfindet.579 Die Regelung greift allerdings nur dann, wenn ein Mangel im Verhältnis des Regress fordernden Lieferanten gegen seinen Verkäufer vorliegt.580 Was die Begründung des Lösungsinteresses betrifft, lassen sich die Ausführungen zu § 445a Abs. 2 BGB gleichsam auf alle weiteren Lieferanten in der Vertragskette übertragen. Auch der Lieferant erwirbt die Kaufsache in der Regel zum Zwecke der Weiterveräußerung. Mit der Auflösung des Veräußerungsvertrags durch den Abnehmer muss der Lieferant die mangelhafte Ware zurücknehmen. Mit dem Fehlschlag der beabsichtigten Weiterveräußerung entfällt aus Sicht des Lieferanten der Grund für den Erwerb der Kaufsache. Auch dem Zwischenhändler ist mit der Nacherfüllung oft nicht geholfen, da wegen der endgültigen Auflösung des Weiterveräußerungsvertrags ein neuer Abnehmer gefunden werden müsste.581 Bei Zwischenhändlern betreffen die Abnahmeverträge in der Regel allerdings nicht nur einzelne Teile, sondern größere Mengen, sodass Absatzkanäle für kleinere Mengen aufzutun sich hier häufig als besonders proble579 580 581

Tröger, AcP 2004, 115, 117. BT-Drucks. 14/6040 S. 248. Tröger, AcP 2004, 115, 133.

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matisch erweisen dürfte.582 In Hinblick auf die einzelne mangelhafte Sache tritt an die Stelle des Interesses am Erwerbsgeschäft festzuhalten deshalb oftmals ein Lösungsinteresse des Zwischenhändlers. Auch hier erweist sich der Vertrag insoweit also nachträglich für den Zwischenhändler als zur Erreichung des verfolgten Zwecks ungeeignet. b) Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB Was die gesetzgeberische Interessengewichtung betrifft, gelten die Ausführungen zu § 445a Abs. 2 BGB im Rahmen des § 445a Abs. 3 BGB im Wesentlichen ebenfalls. Ausgangspunkt ist hier, dass am Ende der Lieferkette Kaufvertrag steht, der aufgrund des Mangels der Kaufsache aufgelöst wurde. In diesen Fällen ergibt sich aus § 445a Abs. 2 BGB ein besonderer Schutz des Letztverkäufers gegenüber seinem Lieferanten.583 Dieser besondere Schutz des Letztverkäufers führt dazu, dass die Belastung auf den Lieferanten überwälzt wird und dieser sich mit einem besonderen Schutzregime konfrontiert sieht.584 In der Regel ist der Lieferant allerdings ebenso wenig für den Mangel verantwortlich wie sein Abnehmer – das gilt jedenfalls dann, wenn bereits im Verhältnis des Lieferanten(-Käufers) zu seinem Verkäufer, wie es von § 445a Abs. 3 BGB vorausgesetzt wird, ein Mangel vorliegt. Dementsprechend ist auch hier das Lösungsinteresse gegenüber seinem Verkäufer besonders zu berücksichtigen. Das soll jedoch nur in denjenigen Fällen gelten, in denen der Verkäufer des Lieferanten nicht besonders schutzwürdig ist. Von einer besonderen Schutzwürdigkeit des Verkäufers geht der Gesetzgeber immer dann aus, wenn es sich nicht um einen Unternehmer handelt, was sich aus der Beschränkung des fristlosen Rücktrittsrechts auf Fälle ergibt, in denen der Schuldner Unternehmer ist. Anders als in den Fällen des § 445a Abs. 2 Fall BGB sieht sich der Lieferant in der Vertragskette mit einem die Vertragsauflösung vereinfachenden Schutzregime seines Vertragspartners konfrontiert. Durch diesen Unterschied zwischen den Lieferanten und dem Endverkäufer, dem selbst kein Vertragspartner mit erleichterten Vertragslösungsrechten gegenübersteht, rechtfertigt sich, dass anders als im Rahmen des § 445a Abs. 2 BGB innerhalb der weiteren Regresskette kein Recht zur zweiten Andienung besteht. Hierdurch werden komplizierte SchachtelNachfristsetzungen vermieden.585 Durch § 445a Abs. 2, Abs. 5 BGB lässt sich damit erreichen, dass die Folgen der Haftung des Endverkäufers denjenigen tref-

582 583 584 585

Tröger, AcP 2004, 115, 133. s. o. Kapitel 2, § 5, A.II.7.b). Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1399. Schubel, ZIP 2002, 2061, 2067.

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fen, der für den Grund der Haftung – also den Mangel – die Verantwortung trägt, was in der Regel der Hersteller ist.586 Nach der alten Rechtslage sah die Konzeption des Gesetzgebers gem. § 478 Abs. 5 BGB a. F. einen Regress in der Lieferkette nur vor, sofern am Ende der Lieferkette ein Verbrauchsgüterkauf stand.587 In Fällen, in denen der Mangel von einem Zwischenhändler entdeckt wurde, bevor es zu einer Veräußerung an einen Verbraucher kam, war § 478 Abs. 5 BGB a. F. nach der h. M. nicht anwendbar.588 Dieses Ergebnis wurde indes teilweise als wertungswidersprüchlich kritisiert.589 Die Kritik verfing indes nicht, da sie verkannte, dass die Nacherfüllung dem Zwischenhändler, der den Mangel entdeckt, kein zusätzliches Absatzrisiko aufbürdet, da er die Leistung gerade noch nicht weiterveräußert hat. Aus diesem Grunde lässt sich auch für das geltende Recht rechtfertigen, dass der Regress in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB nur anwendbar ist, wenn der Mangel zuvor zur Rücknahme der Kaufsache im Verhältnis zwischen dem Endabnehmer und dem Letztverkäufer geführt hat. c) Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim fristlosen Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB Die gesetzlichen Voraussetzungen für das fristlose Rücktrittsrecht des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB stimmen grundsätzlich mit denjenigen des Rücktrittsrechts nach § 445a Abs. 2 BGB überein, sodass auch mit Blick auf die Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung keine nennenswerten Abweichungen bestehen. Auch hier liegt dem Lösungsinteresse die Tatsache zugrunde, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht des Gläubigers nachträglich als nicht geeignet zur Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks erweist, was bei Vorliegen der Voraussetzungen auch objektiv der Fall ist. Ein Lösungsrecht besteht also auch hier nur dann, wenn die Umstände, aus denen die gesetzgeberische Interessenabwägung folgt, im Einzelfall gegeben sind. Auch dem fristlosen Rücktrittsrecht liegt in Form der mangelhaften Leistung eine Pflichtverletzung des Schuldners zugrunde. Da das Lösungsinteresse des Gläubigers unmittelbar aus der mangelhafte Leistung folgt, hat der Schuldner das Lösungsinteresse zurechenbar verursacht. Die besondere Schutzwürdigkeit des Gläubigers folgt in den Fällen des § 445a Abs. 3 BGB daraus, dass sich dieser mit einem besonderen Schutzregime seines Abnehmers konfrontiert sieht – ein Umstand der die Gewichtung seines konkre586 587 588 589

BT-Drucks. 14/6040 S. 247. Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389, 1399. Palandt/Weidenkaff, § 478 BGB Rn. 3. Tröger, AcP 2004, 115, 122.

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ten Lösungsinteresses stärkt. Umstände, die eine geringere Wertung des konkreten Bestandsinteresses des Verkäufers rechtfertigen, liegen im Rahmen des Regresses in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB allerdings nicht vor. Anders als beim fristlosen Rücktrittsrecht nach § 445a Abs. 2 BGB ist im Hinblick auf das Rücktrittsrecht nach § 445a Abs. 3 BGB allerdings keine restriktive Auslegung geboten, damit ein mit den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten vergleichbare Gewichtung des Bestandsinteresses besteht. In Hinblick auf das fristlose Rücktrittsrecht der Lieferanten aus § 445a Abs. 2 BGB folgt die besondere Gewichtung des Lösungsinteresses unmittelbar daraus, dass der jeweilige Zwischenhändler mit dem aus § 445a Abs. 2 bzw. Abs. 3 BGB folgenden erleichterten Rücktrittsrecht ihres Abnehmers konfrontiert sind, obwohl sie für den Mangel ebensoweing verantwortlich sind. Deshalb soll auch ihnen jeweils die Möglichkeit zum fristlosen Rücktritt zugestanden werden. Im Rahmen des § 445a Abs. 3 BGB bleibt also der Grundsatz der besonderen Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses ohne Weiteres gewahrt. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass dem abstrakten Bestandsinteresse im Rahmen des fristlosen Rücktrittsrechts des Zwischenhändlers in der Lieferkette nach § 445a Abs. 3 BGB ein relativ hohes Gewicht zugemessen wird. III. Das Rücktrittsrecht nach Abmahnung gemäß § 323 Abs. 3 BGB 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt nach Abmahnung gem. § 323 Abs. 3 BGB Nach § 323 Abs. 3 BGB tritt an Stelle der Fristsetzung, sofern diese nach der Art der Pflichtverletzung nicht in Betracht kommt, eine Abmahnung. Grundsätzlich entsprechen die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts nach § 323 Abs. 3 BGB somit denjenigen der in § 323 Abs. 1 BGB genannten Rücktrittsrechte.590 Dementsprechend besteht auch die im Rahmen des § 323 Abs. 3 BGB vorausgesetzte Pflichtverletzung in einer Nichtleistung oder einer nichtvertragsgemäßen Leistung. Bei dieser Nichtleistung bzw. nichtvertragsgemäßen Leistung muss es sich allerdings um eine solche handeln, bei der ihrer Art nach eine Fristsetzung nicht in Betracht kommt. Eine Fristsetzung ist eine Aufforderung zur Bewirkung einer Leistung binnen einer hinreichend bestimmten Frist.591 Sie kommt immer dann nicht in Betracht, wenn es nicht um die Beseitigung einer eingetretenen Störung geht, sondern die Vermeidung künftiger Störungen bezweckt wird.592 590 Man kann auch § 323 Abs. 2 BGB in den entsprechenden Fällen heranziehen, so dass auch die Abmahnung unter bestimmten Voraussetzungen entbehrlich ist, Krause, Jura 2002, 299, 301. In diesen Fällen gelten aber die besonderen Wertungen, die bereits oben dargestellt wurden. 591 Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 8. 592 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 70.

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Eine Abmahnung besteht dementsprechend in der ernsthaften Aufforderung, eine bereits erfolgte Zuwiderhandlung künftig zu unterlassen.593 Der § 323 Abs. 3 BGB ist also zunächst für die Fälle gedacht, in denen die vom Schuldner geschuldete Leistung in einem Unterlassen (§ 241 Abs. 1 S. 2 BGB) besteht.594 Zudem soll ein Rücktritt nach § 323 Abs. 3 BGB auch in Fällen anwendbar sein, in denen es bei auf Wiederholung angelegten Leistungspflichten, wie etwa Sukzessivleistungen595, trotz eingetretener (Teil-)Nichtleistung und Abmahnung zu weiteren Teilnichtleistungen kommt.596 Was die erstgenannten Konstellationen betrifft, in denen es um die Verletzung einer Unterlassungspflicht geht, wird kritisiert, dass es jedenfalls dann keiner Abmahnung mehr bedarf, wenn das Verhalten des Schuldners den zu unterlassenden Erfolg bereits herbeiführt.597 Denn scheide in derartigen Fällen eine Nachholbarkeit aus, werde der Gläubiger nach § 326 BGB ohne Weiteres von der Gegenleistungspflicht befreit.598 Sei die Unterlassung allerdings noch nachholbar, wäre eine Fristsetzung nach der Art der Pflichtverletzung indes nicht ausgeschlossen.599 Der Auffassung, nach der die Abmahnung als Rücktrittsvoraussetzung bei der Verletzung von Unterlassungspflichten unpassend sei, wird teilweise widersprochen: Es müsse zwischen dem Schuldnerverhalten und dem Leistungserfolg differenziert werden.600 Demnach sei § 323 Abs. 3 BGB immer dann einschlägig, wenn das vertragswidrige Schuldnerverhalten zwar geeignet sei den Leistungserfolg zu vereiteln, aber im Ergebnis nicht erfolgreich war.601 Wieso der Gläubiger in derartigen Fällen, bei einem erneuten den Leistungserfolg gefährdenden Schuldnerverhalten, jedoch ein Interesse an der Vertragsauflösung haben sollte, bleibt unklar. Unterlassungspflichten haben in aller Regel einen personellen Bezug. Dem Gläubiger ist es grundsätzlich nicht möglich, sein Interesse an der Unterlassung des Schuldners durch einen Vertrag mit einem Dritten anderweitig zu befriedigen. Sein Interesse bei Vertragsschluss war auf die Unterlassung durch seinen Vertragspartner gerichtet und solange der zu unterlassende Erfolg noch nicht eingetreten ist, gibt

593

BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 19. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 126; Krause, Jura 2002, 299, 301, 303; Münch, Jura 2002, 361, 367; wie Diederichsen zutreffend feststellt, kann auch bei Unterlassungspflichten eine Nachholung des Unterlassens dem Gläubigerinteresse genügen, dies ist allerdings in der Regel nicht der Fall, Diederichsen, JuS 1985, 825, 827, 828. 595 Zum Begriff der Sukzessivleistung, Schwab, ZGS 2003, 73, 73 f. 596 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 70. 597 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 70; MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 81; Krause, Jura 2002, 299, 301, 303. 598 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 81; BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 19. 599 Krause, Jura 2002, 299, 301; Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 70. 600 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 126. 601 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 126. 594

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es keine objektiven Gründe, warum sich am Bestandsinteresse etwas dadurch geändert haben sollte, dass der Leistungserfolg gefährdet wurde. Dies lässt sich etwa in dem von Stoll gebildeten Fall zeigen, in dem sich X gegenüber Y verpflichtet hat, „über eine ihm mitgeteilte Fabrikationsmethode Stillschweigen zu bewahren“ und X das Verfahren a) in einer „Fachzeitschrift veröffentlicht, sodass es jeder Konkurrent benutzen kann“ oder b) zumindest „einem einzelnen Konkurrenten des Y“ verrät.602 Wie Stoll feststellt, liegt im Fall a) eine völlige Vereitelung des Leistungsinteresses vor, sodass es zur Anwendung von § 326 BGB käme, während im Fall b) das Interesse des Y an der weiteren noch möglichen Erfüllung bestehen bleibt.603 Letzteres gilt natürlich erst Recht, wenn X lediglich versucht hat, die Methode zu verraten bzw. zu veröffentlichen, es dem Y aber etwa durch eine einstweilige Anordnung gelungen ist, dies noch rechtzeitig zu unterbinden. In den Fällen, in denen das vertragswidrige Schuldnerverhalten zwar zur Vereitelung des Leistungserfolgs geeignet, im Ergebnis aber keinen Erfolg hat, mag also eine Abmahnung zwar einen Sinn haben – nämlich den Schuldner vor Konsequenzen einer tatsächlichen Erfolgsvereitelung zu warnen und ihn so von zukünftigem zur Vereitelung geeigneten Verhalten abzuhalten.604 Ein Lösungsinteresse bei wiederholtem vereitelungsgeeigneten Verhalten nach Abmahnung lässt sich allerdings nicht stichhaltig begründen. Den § 323 Abs. 3 BGB, wie dies teilweise getan wird, als „weitgehend gegenstandslos“ 605 oder gar als „gesetzgeberischen Missgriff“ 606 zu kritisieren,607 ist gleichwohl verfehlt.608 So lässt sich ein Lösungsinteresse etwa bei Verträgen begründen, in denen sich die Parteien gegenseitig zum Unterlassen verpflichtet haben und eine Partei gegen diese Pflicht verstoßen hat, ohne dass bereits ein Fall des § 326 BGB vorliegt. Beispielhaft lässt sich hier ein Fall des OLG Düsseldorfs anführen,609 bei dem die Parteien gemeinsam eine Zeitschrift herausgaben und sich gegenseitig dazu verpflichteten „keine Konkurrenzobjekte der Zeitschrift zu betreiben oder sich an einem derartigen Projekt zu beteiligen“. Wenn nun eine der Parteien (A) eine Konkurrenzzeitschrift herausgibt, mag die andere Partei (B) bei der ersten Ausgabe noch daran glauben, dass eine Abmahnung dazu führt, dass A von dem neuen Projekt Abstand nimmt. Ist dies nicht der Fall, kann B seinen Unterlassungsanspruch auch einklagen und mittels Zwangsgeld 602

Stoll, AcP 136, 257, 302. Stoll, AcP 136, 257, 302. 604 BeckOGK/Looschelders, § 323 BGB Rn. 206. 605 BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 19. 606 So in Bezug auf die Parallelvorschrift § 280 Abs. 3 BGB, Huber/Faust, Einführung in das neue Recht, Kap. 3 Rn. 146, 147. 607 In diesem Sinne auch MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 81. 608 So auch BeckOGK/Looschelders, § 323 BGB Rn. 206 und PWW/Stürner, § 323 BGB Rn. 28. 609 OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.12.2011 – Az. 20 U 164/11, K&R 2012, 223. 603

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durchsetzen. Es ist allerdings auch denkbar, dass B sich unter diesen Umständen selbst nicht mehr an seine Unterlassungsverpflichtung halten möchte und seinerseits – statt nur eine Zeitschrift in Kooperation mit A herauszugeben – ein eigenes Konkurrenzprodukt herausgeben möchte. Hier tritt für B dann ein Lösungsinteresse an die Stelle des Bestandsinteresses. Ein Lösungsinteresse des Gläubigers lässt sich zudem in denjenigen Fällen konstatieren, in denen es um eine Verletzung von auf Wiederholung angelegten Schuldnerleistungen geht. Zwar sind diese Konstellationen nach teilweise vertretener Auffassung über § 324 BGB zu lösen,610 nach zutreffender Ansicht dürfte hier jedoch § 323 Abs. 3 BGB einschlägig sein.611 Anders als es auf den ersten Blick eventuell scheint, entspringt das Lösungsinteresse in den Fällen der Verletzung von auf Wiederholung angelegten Schuldnerleistungen dabei nicht dem Interesse an der ausgebliebenen bzw. mangelhaften Leistung, auf die sich die Abmahnung bezieht. Denn der Gläubiger verlangt mit der Abmahnung gerade nicht die Erfüllung der verletzten Leistungspflicht, sondern das Unterlassen zukünftiger Pflichtverletzungen.612 Allerdings lässt sich das Lösungsinteresse in derartigen Konstellationen damit begründen, dass der Gläubiger durch die wiederholte Pflichtverletzung sein Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung durch den Schuldner verliert.613 Sein grundsätzliches Interesse an der versprochenen Leistung wird hierdurch jedoch nicht tangiert. Um dieses Interesse zu befriedigen, mag der Gläubiger sich die Leistungen – gerade weil er sein Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Schuldners verloren hat – anderweitig beschaffen wollen, um ihren ordnungsgemäßen Erhalt in Zukunft sicherzustellen. Zwar lässt die wiederholte Verletzung von Leistungspflichten durch den Schuldner in aller Regel nicht darauf schließen, dass in Zukunft eine entsprechende Pflichtverletzung bei jeder Einzelleistung eintreten wird, sondern dass bloß einige der zukünftigen Leistungen betroffen sein könnten. Da der Gläubiger jedoch nicht sicher vorhersehen kann, ob und bei welchen der zukünftigen Leistungen der Schuldner seine Pflichten im Einzelnen tatsächlich verletzen wird,614 kann er den rechtzeitigen Erhalt einer seinem Interesse entsprechenden Leistung auch nicht anderweitig organisieren, ohne dass bei einem weiteren Festhalten am ursprünglichen Vertrag die Gefahr einer wirtschaftlich unsinnigen Doppelver610

Schwab, ZGS 2003, 73, 76. In diesem Sinne auch Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT, Rn. 516 und Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 70. Näher zur Begründung dieser Auffassung unten, B.II. 612 Sofern das Lösungsinteresse des Gläubigers aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der ausgebliebenen Leistung, welche die Abmahnung veranlasste, folgt, stellt § 323 Abs. 5 S. 1 BGB eine gesetzgeberische Wertung zum Ausgleich der in solchen Fällen widerstreitenden Interessen dar. 613 Schwab, ZGS 2003, 73, 78. 614 Schwab, ZGS 2003, 73, 76. 611

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pflichtung bestünde. Zur Interessenbefriedigung ohne das Risiko einer wirtschaftlich nachteiligen Doppelverpflichtung ist hier aus Sicht des Gläubigers eine Lösung vom ursprünglichen Vertrag erforderlich um sich die Leistung anschließend anderweitig zu beschaffen. Somit ist auch hier die Ursache des Lösungsinteresses darin zu sehen, dass der Vertrag sich für den Gläubiger nachträglich als nicht zur Erreichung des mit ihm intendierten Zwecks erweist. 2. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung trotz Abmahnung nach § 323 Abs. 3 BGB Das Lösungsinteresse des Gläubigers entspringt beim Verstoß des Schuldners gegen Unterlassungspflichten aus der eigenen Bindung des Gläubigers. Der Gläubiger hat sich seinerseits nur verpflichtet, weil er davon ausgegangen ist, dass sich auch der Schuldner an die Vereinbarung halten wird. Wenn der Gläubiger nicht mehr damit rechnet, dass sich der Schuldner zukünftig vertragsgemäß verhalten wird, wird er sich auch seiner Bindung entledigen wollen. In den Fällen, in denen es um die Verletzung von auf die Wiederholung angelegten Schuldnerpflichten bei einem gegenseitigen Vertrag geht, hat das Lösungsinteresse seine Ursache im Interesse an der Sicherstellung des ordnungsgemäßen Leistungserhalts für die Zukunft unter Vermeidung einer wirtschaftlich unsinnigen Doppelverpflichtung. Bereits bei der ersten Pflichtverletzung, also dem ersten Verstoß gegen die Unterlassungspflicht bzw. der ersten Nicht- oder Schlechtleistung, können dem Gläubiger Zweifel hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der zukünftigen Vertragsdurchführung kommen. Er mag unter Umständen bereits zu diesem Zeitpunkt ein Interesse haben, sich seiner Verpflichtung bei gegenseitigen Unterlassungsvereinbarungen zu entledigen bzw. sich die Leistung bei Sukzessivlieferungsverträgen anderweitig zu verschaffen. Derartige aus der ersten Pflichtverletzung resultierende Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der zukünftigen Vertragserfüllung sind aber nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich noch nicht gewichtig genug, damit ein aus ihnen folgendes Lösungsinteresse sich gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners durchsetzen kann. Selbst eine zweite entsprechende Pflichtverletzung reicht für eine solche Bewertung alleine noch nicht aus. Vielmehr hat der Gläubiger zunächst die Obliegenheit den Schuldner abzumahnen. Erst wenn eine Leistungsstörung trotz einer vorherigen Abmahnung ein weiteres Mal eintritt, soll nach dem Gesetz das Lösungsinteresse des Gläubigers gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners überwiegen. Hierbei erfüllt die Abmahnung eine mit der Fristsetzung vergleichbare Funktion, nämlich die Interessengewichtung zugunsten des Lösungsinteresses zu ver-

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schieben. Mit einer auf die Pflichtverletzung folgenden Abmahnung wird dem Schuldner verdeutlicht, dass er im Falle einer weiteren Pflichtverletzung den Fortbestand des Vertrags und damit den Erhalt seiner Gegenleistung gefährdet. Die Abmahnung erschüttert also das Vertrauen des Schuldners auf den Fortbestand des Vertrags. Wenn der Schuldner es trotz entsprechender Warnung zu einer weiteren Pflichtverletzung kommen lässt, ist sein Bestandsinteresse geringer zu gewichten und unterliegt deshalb gegenüber dem – durch die wiederholte Störung gesteigerten – Lösungsinteresse des Gläubigers. 3. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung trotz Abmahnung nach § 323 Abs. 3 BGB Ursache des Lösungsinteresses ist, dass sich der Vertragsschluss aus Sicht des Gläubigers nachträglich als zur Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks ungeeignet herausstellt, was in denjenigen Fällen, in denen sich der Schuldner trotz Abmahnung nicht vertragsgemäß verhält, auch objektiv berechtigt ist. Insofern wird durch die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts nach § 323 Abs. 3 BGB gewährleistet, dass die der gesetzgeberischen Interessenabwägung zugrunde liegenden Umstände auch im Einzelfall vorliegen. Mit der (erneuten) Pflichtverletzung trotz Abmahnung hat der Schuldner das Lösungsinteresse des Gläubigers zudem zurechenbar verursacht. Die bloße Pflichtverletzung soll im Rahmen des § 323 Abs. 3 BGB zudem noch nicht geeignet sein, ein überwiegen des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse zu rechtfertigen. Vielmehr trifft den Gläubiger – neben dem Abwarten von mindestens einer weiteren Pflichtverletzung – auch die Obliegenheit den Schuldner vorher abzumahnen, um dessen Vertrauen in den Bestand des Vertrags zu erschüttern. Ein Lösungsrecht wird dem Gläubiger demnach erst zugesprochen, wenn Umstände vorliegen, die das konkrete Lösungsinteresse einerseits schwerwiegender und das konkrete Bestandsinteresse andererseits weniger gewichtig erscheinen lassen. Insgesamt kommt in der Regelung des § 323 Abs. 3 BGB somit eine sehr hohe Gewichtung des Bestandsinteresses zum Ausdruck.615 Die Wertung in § 323 Abs. 3 BGB stimmt insofern mit denjenigen in den bisher dargestellten Rücktrittsrechten überein.

615 Sofern die Lieferungen insgesamt eine teilbare Leistung darstellen, sind für die Frage nach dem Rücktritt vom ganzen Vertrag – also hinsichtlich der Erstreckung des Rücktritts auf die bereits erhaltenen Leistungen – die zusätzlichen Voraussetzungen des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB zu beachten.

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IV. Das Recht zum Rücktritt vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktritt vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB Nach § 323 Abs. 4 BGB ist ein Rücktritt auch vor Fälligkeit der Leistungspflicht möglich, sofern bereits zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts zu einem späteren Zeitpunkt eintreten werden.616 § 323 Abs. 4 BGB erfordert folglich eine Prognoseentscheidung dahingehend, ob die Voraussetzungen eines anderen Rücktrittsrechts nach § 323 BGB zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen werden.617 Was die erforderliche Offensichtlichkeit betrifft, werden an die zu ihrer Beurteilung notwendige Prognoseentscheidung sehr hohe Anforderungen gestellt.618 Sie ist dementsprechend nur dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen des Rücktritts nach einer objektiven Beurteilung der Umstände aus der ex-ante Perspektive mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werden.619 Es dürfen also für den Rücktritt vor Fälligkeit keine vernünftigen Zweifel in Bezug auf das Eintreten der Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht vorliegen.620 Als praktisch wichtigsten Fall für die Anwendung des § 323 Abs. 4 BGB gilt die vor der Fälligkeit der Leistung erklärte ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung.621 Nach der Gegenteiligen Auffassung soll die antizipierte Erfüllungsverweigerung keinen Anwendungsfall des § 323 Abs. 4 BGB darstellen, sondern sich nach § 324 BGB zu beurteilen.622 Nach der ersten Auffassung sind die Voraussetzungen des § 323 Abs. 4 BGB immer dann erfüllt, wenn aufgrund der Erklärung des Schuldners – bei unterstellter Fälligkeit – eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB gegeben wäre.623 Da der Schuldner in derartigen Fällen, bei denen man auch von einer antizipierten Erfüllungsverweigerung spricht, seine Leistungspflicht zwar (noch) nicht verletzt hat, aber bereits eine Verletzung der 616 Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber die sog. positive Vertragsverletzung kodifizieren, Jaensch, NJW 2003, 3613, 3614; zur Frage, ob § 323 Abs. 4 BGB auch in Konstellationen anwendbar ist, in denen die Leistung bereits fällig ist, Weiss, NJW 2014, 1212, 1214. 617 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 133. 618 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 162; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 134. 619 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 136; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 134; Mossler, ZIP 2002, 1831, 1831, 1832; BGH, Urt. v. 28.01.2003 – X ZR 151/00, NJW 2003, 1600, 1601. 620 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 134. 621 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 163; Krause, Jura 2002, 299, 303; Kindl, WM 2002, 1313, 1321. 622 Ramming, ZGS 2002, 412, 415. 623 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 98; zu den Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB unten.

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aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Pflicht, die Vertragsdurchführung nicht zu gefährden, vorliegt, käme hier ebenfalls eine Anwendung von § 324 BGB in Betracht.624 Ein paralleles Problem stellt sich in Bezug auf den Anspruch auf Schadensersatz. Das Gesetz sieht einen Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz vor Fälligkeit grds. nicht vor.625 Jedoch wird es als unbillig empfunden, den Gläubiger auf den Ablauf der Frist zu verweisen, damit dieser Schadensersatzansprüche geltend machen kann.626 Zur Lösung wird teilweise eine entsprechende Anwendung des § 281 Abs. 1, Abs. 2 BGB vertreten,627 teilweise soll hier § 282 BGB zur Anwendung kommen.628 Sowohl beim Rücktritt als auch beim Schadensersatz ist die Anwendung der Regelungen für Hauptpflichtverletzungen nach § 281 BGB bzw. § 323 BGB indes vorzugswürdig, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, die aus den abweichenden Voraussetzungen der Bestimmungen für Nebenpflichtverletzungen nach § 282 bzw. § 324 BGB entstehen können.629 Darüber hinaus erfasst § 323 Abs. 4 BGB auch Fälle, in denen eine zum Rücktritt berechtigende Erfüllungsgefährdung vorliegt, ohne dass eine Pflichtverletzung des Schuldners gegeben ist.630 So etwa bei Leistungshindernissen, die durch äußere Umstände (wie beispielsweise Im- oder Exportverbote) verursacht werden.631 Beim Rücktrittsrecht vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB geht es dementsprechend um Konstellationen, in denen der Gläubiger berechtigter Weise annehmen darf, dass der Schuldner die Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt632 nicht, nicht vollständig oder nicht vertragsgemäß erbringen wird. Der Gläubiger geht hier dementsprechend zu Recht davon aus, dass das Schuldverhältnis nicht die für die Befriedigung seiner Interessen erforderliche Verlässlichkeit bietet.633 Hiervon erfasst sind zum einen diejenigen Fälle, in denen das Leistungsinteresse des Gläubigers an die Rechtzeitigkeit der Leistung geknüpft ist und der Gläubiger schon vor Fälligkeit davon ausgehen darf, dass sich die Leistung ver624

Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 130. Jaensch, NJW 2003, 3613, 3613. 626 MünchKommBGB/Ernst, § 281 Rn. 65. 627 MünchKommBGB/Ernst, § 281 Rn. 65; HK-BGB/Schulze, § 281 Rn. 3. 628 Schwab, ZGS 2003, 73, 76. 629 Hierzu ausführlich unten, B.II. 630 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 130. 631 Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 130, 137; zur Frage der Anwendbarkeit des § 323 Abs. 4 bei solvenzbedingten Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des Schuldners, Mossler, ZIP 2002, 1831. 632 Wobei es für ein Rücktrittsrecht des Gläubigers nach zutreffender Ansicht grds. nicht auf den bloßen Fälligkeitszeitpunkt ankommt, sondern auf die Frage, ob die Leistung offensichtlich auch nach Ablauf einer zusätzlichen Nachfrist ausbleibt, hierzu unten. 633 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 159; Mattheus, JuS 2002, 209, 218. 625

162 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

spätet. Hier muss der Gläubiger bereits vor Fälligkeit damit rechnen, dass ein Festhalten am Vertrag für ihn zum wirtschaftlich unsinnigen Ergebnis führen wird, eine Gegenleistung für eine Leistung erbringen zu müssen, an deren Erhalt er das Interesse verliert. Aus diesem Grund hat der Gläubiger bereits zu dem Zeitpunkt, ab dem die Verspätung der Leistung offensichtlich wird, ein Interesse an der Loslösung vom Vertrag. Das gilt insbesondere in denjenigen Fällen, in denen noch die Möglichkeit der anderweitigen pünktlichen Beschaffung besteht. Zum anderen handelt es sich um Fälle, in denen das Leistungsinteresse zwar durch die Verspätung nicht entfällt, jedoch offensichtlich ist, dass im Rahmen des Vertrags das Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung nicht (vollständig) befriedigt wird. In derartigen Fällen folgt aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der (vollständigen und vertragsgemäßen) Leistung ein Interesse des Gläubigers, sich die Leistung bis zum Fälligkeitszeitpunkt anderweitig zu beschaffen.634 Um hierbei das wirtschaftlich unsinnige Ergebnis zu vermeiden, dass es auf lange Sicht zum doppelten Leistungserhalt bei zweifacher Gegenleistungsverpflichtung kommt, möchte der Gläubiger sich vom ursprünglichen Vertrag lösen. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt dementsprechend mit der Offensichtlichkeit des Vorliegens der Rücktrittsvoraussetzungen zum Fälligkeitszeitpunkt ein Lösungsinteresse des Gläubigers. Ursache des Lösungsinteresses ist auch im Rahmen des § 323 Abs. 4 BGB die Tatsache, dass der Vertrag sich aus Sicht des Gläubigers wegen nachträglicher Umstände als zur Erreichung des von ihm mit dem Vertragsschluss verfolgten Zwecks ungeeignet erweist.635 2. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Recht nach § 323 Abs. 4 BGB zum Rücktritt vor Fälligkeit Das vom gesetzlichen Regelfall abweichende Auseinanderfallen von Anspruchsbegründung und Fälligkeit hat seine Grundlage in einem entsprechenden Parteiwillen.636 Hier hat der Gläubiger regelmäßig sein Interesse an der sofortigen Leistung dem Interesse des Schuldners, die Leistung erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen, untergeordnet.637 Ein auf den sofortigen Erhalt der Leistung gestütztes Lösungsinteresse ist in diesen Fällen dementsprechend zunächst nicht schutzwürdig.638 Auf Grund dieser Bewertung setzt § 323 BGB grundsätzlich auch die Fälligkeit des Anspruchs voraus.639 An dieser Beurteilung ändert sich allerdings auch im Rahmen des § 323 Abs. 4 BGB nichts. 634 635 636 637 638 639

In diesem Sinne wohl auch Mossler, ZIP 2002, 1831, 1833. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1832. s. o. A.I.1.a). s. o. A.I.1.a). s. o. A.I.1.a). s. o. A.I.1.a).

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Auf den ersten Blick ließe sich die gesetzgeberische Interessenwertung beim Rücktrittsrecht vor Fälligkeit damit rechtfertigen, dass es schließlich sinnloser Formalismus wäre, den Gläubiger bis zur Fälligkeit am Vertrag festzuhalten, wenn ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt ein entsprechendes Rücktrittsrecht entstehen wird.640 Dem Bestandsinteresse des Schuldners wäre mit der bloß vorübergehenden Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses jedenfalls nicht gedient, sodass das Bestandsinteresse der Auflösung vor Fälligkeit auch nicht entgegengehalten werden könnte.641 Allerdings ermöglicht der § 323 Abs. 4 BGB dem Gläubiger bereits dann die Vertragsauflösung, wenn der Eintritt der Rücktrittsvoraussetzungen nach einer objektiven Prognose der Umstände aus der ex-ante Perspektive offensichtlich ist.642 Insofern sind nicht nur Fälle betroffen, in denen das Eintreten der Voraussetzungen des Rücktrittsrechts mit absoluter Gewissheit feststeht und bei denen ein weiteres Festhalten des Gläubigers am Vertrag in der Tat sinnlose Förmelei wäre. Vielmehr kommt das Rücktrittsrecht auch dann schon in Betracht, wenn eine stark gesteigerte Wahrscheinlichkeit besteht, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts vorliegen.643 Bei einer Beschränkung des Anwendungsbereichs auf solche Fälle, in denen mit absoluter Gewissheit feststeht, dass der Schuldner seine Leistung nicht zeitnah erbringt, wäre ein vorzeitiges Rücktrittsrecht des Gläubiger allerdings auch nicht notwendig.644 Denn in diesen Fällen bestünde kein besonderes Interesse des Gläubigers am vorzeitigen Rücktritt. Steht nämlich fest, dass die zeitnahe Leistung nicht erfolgt, ist damit auch klar, dass das Rücktrittsrecht zu einem späteren Zeitpunkt entstehen wird.645 In diesem Fall könnte der Gläubiger sich etwa ohne Gefahr einer wirtschaftlich sinnlosen Doppelverpflichtung bereits vor der Rücktrittserklärung um eine alternative Beschaffung der versprochenen Leistung bemühen. Denn die Entstehung des Rechts zur Lösung vom Vertrag mit dem Schuldner stünde außer Frage. Das bedeutet, dass der Gläubiger in der Regel nur ein Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung hat, wenn trotz Offensichtlichkeit ein gewisses Maß an Unsicherheit hinsichtlich der Entstehung des Rücktrittsrechts besteht, weil nur hier die Gefahr einer wirtschaftlich sinnlosen Doppelverpflichtung droht, aus der das vorzeitige Lösungsinteresse des Gläubigers im Rahmen des § 323 Abs. 4 BGB folgt.646 Mit dem Verweis auf die sinnlose Förmelei des Festhaltens am 640 641 642 643 644 645 646

In diesem Sinne wohl auch Weiss, NJW 2014, 1212, 1214. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 128. So ebenfalls Mossler, ZIP 2002, 1831, 1832. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1834. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1834. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1834. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1834.

164 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Vertrag lässt sich die gesetzgeberische Interessenwertung im § 323 Abs. 4 BGB also nicht ausreichend begründen. Vielmehr erkennt der Gesetzgeber das Interesse des Gläubigers an, sich gegen die der erforderlichen Prognoseentscheidung innewohnenden Fehlerrisiken zu schützen. Das Prognoserisiko wird insoweit zum Nachteil des Schuldners verlagert. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung lässt sich damit begründen, dass das Bestandsinteresse des Schuldners sich aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nicht gegenüber dem Lösungsinteresse des Gläubigers durchsetzen können wird.647 Das Bestandsinteresse ist dementsprechend wegen der Umstände von geringerem Gewicht. Die erhebliche Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Rücktrittsvoraussetzungen führt andererseits dazu, dass dem Gläubiger ein weiteres Festhalten an dem Vertrag unzumutbar erscheint.648 Hierdurch wird sein Lösungsinteresse in der Gewichtung aufgewertet.649 Denn wenn die Voraussetzungen des § 323 Abs. 4 BGB erfüllt sind, bietet der Vertrag für den Gläubiger nicht mehr die Verlässlichkeit, die gerade den wesentlichen Zweck der vertraglichen Bindung ausmacht.650 Allerdings werden an die Offensichtlichkeit des Eintritts der Rücktrittsvoraussetzungen hohe Anforderungen gestellt. Daraus folgt, dass das aus der Unsicherheit hinsichtlich des zeitnahen Leistungserhalts folgende Vertragslösungsinteresse des Gläubigers nur in der Abwägung gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners überwiegen soll, wenn die Nichterfüllung durch den Schuldner besonders wahrscheinlich ist.651 3. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB Die Ursache des Lösungsinteresses beim Rücktritt vor Fälligkeit liegt darin, dass sich der Vertragsschluss aus Sicht des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks darstellt. Da die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, nach einer objektiven ex ante Prognose vorzunehmen ist, ist die diesbezügliche Einschätzung des Gläubigers auch objektiv gerechtfertigt. Mit den Voraussetzungen des § 323 Abs. 4 BGB wird somit gewährleistet, dass die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegenden Umstände auch im Einzelfall vorliegen. Anders als bei den bisher dargestellten Rücktrittsrechten setzt § 323 Abs. 4 BGB keine tatsächliche Pflichtverletzung voraus; ausreichend ist vielmehr die gesteigerte Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung.652 Insofern wird die er647 648 649 650 651 652

BGH, Urt. v. 28.01.2003 – X ZR 151/00, NJW 2003, 1600. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 159; Ramming, ZGS 2003, 209, 209. Kindl, WM 2002, 1313, 1321. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1833. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1833. Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 130.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

165

hebliche Gefahr einer Pflichtverletzung durch § 323 Abs. 4 BGB der tatsächlichen Pflichtverletzung gleichgesetzt. Die Ursache des Lösungsinteresses des Gläubigers ist dem Schuldner somit nicht zwangsläufig objektiv zurechenbar. Daraus folgt, dass dem Bestandsinteresse im Rahmen des § 323 Abs. 4 BGB nicht derselbe Stellenwert zukommt, wie in den bisher dargestellten Rücktrittsrechten. Wenn man zudem, wie teilweise vertreten, für das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB die Offensichtlichkeit der Nicht- bzw. Schlechtleistung zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichen lässt,653 würde dies eine weitere für das Bestandsinteresse nachteilige Abweichung von den Interessenbewertungen in den übrigen Fällen des § 323 BGB darstellen. Denn hier würde, obwohl die tatsächliche Nicht- oder Schlechtleistung trotz Fälligkeit im Rahmen des § 323 BGB noch nicht zur Begründung eines Rücktrittsrechts ausreicht, die bloße Gefahr der Nicht- oder Schlechtleistung zu diesem Zeitpunkt ein solches begründen.654 Gerade in der für den Rücktritt nach § 323 BGB grundsätzlichen Erforderlichkeit einer Fristsetzung durch den Gläubiger kommt das besondere Gewicht, dass der Gesetzgeber dem Bestandsinteresse in § 323 BGB beimisst, zum Ausdruck. Das bloße erfolglose Verstreichen des Fälligkeitstermins ist demnach grds. noch nicht geeignet ein Überwiegen des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse zu begründen. Allerdings ist die Interpretation des § 323 Abs. 4 BGB dahingehend, dass bereits die Offensichtlichkeit der Nicht- oder Schlechtleistung bei Fälligkeit für das Rücktrittsrecht ausreicht auch nicht im Wortlaut der Vorschrift angelegt, nachdem offensichtlich sein muss, dass (sämtliche) Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.655 Es sprechen insoweit gute Gründe dafür, für das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB auch die Offensichtlichkeit eines erfolglosen Ablaufs einer angemessen gesetzten Frist oder ihrer Entbehrlichkeit zu fordern.656 Eine Abweichung der Interessengewichtung von den übrigen Fällen des § 323 BGB wäre diesbezüglich dann nicht zu diagnostizieren. Folgt man der zutreffenden Ansicht, nach der das zukünftige Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des Rücktrittsrechts offensichtlich sein muss, liegt die Begründung für ein Überwiegen des Lösungsinteresses im Rahmen des § 323 Abs. 4 BGB darin, dass es dem Gläubiger nicht zuzumuten sein soll, den Zeitpunkt abzuwarten, an dem die Voraussetzungen für die entsprechende gesetzgeberische Wertung tatsächlich vorliegen, wenn mit entsprechender Wahrschein-

653 Dafür etwa MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 135; Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 161; Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 132. 654 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 161. 655 Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 161. 656 In diesem Sinne auch Ramming, ZGS 2002, 412, 415.

166 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

lichkeit feststeht, dass sie eintreten werden.657 Das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB basiert also auf der Wertung, dass die erheblich gesteigerte Wahrscheinlichkeit der eine Vertragsauflösung rechtfertigenden Umstände dazu führt, dass der Vertrag für die Vertragsparteien ohnehin nicht mehr die Verlässlichkeit bietet, zu deren Zweck die vertragliche Bindung gerade eingegangen wurde.658 Insoweit erscheint das Bestandsinteresse, wegen der Wahrscheinlichkeit dass es ohnehin zur Vertragsauflösung kommen wird, weniger schutzbedürftig. Auf der anderen Seite soll das Lösungsinteresse wegen der Wahrscheinlichkeit, dass ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zur Befriedigung des Gläubigerinteresses geeignet ist, besonders schutzbedürftig sein.659 Insgesamt lässt sich feststellen, dass im Lösungsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB zwar eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses zum Ausdruck kommt, es sich hierbei aber, da das Rücktrittsrecht vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB auf diejenigen Fälle begrenzt ist, in denen die Pflichtverletzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten wird, nur um eine im Vergleich zu den übrigen Fällen des § 323 BGB marginale Schlechterstellung handelt. Damit lässt sich auch im Rahmen des Rücktrittsrechts vor Fälligkeit nach § 323 Abs. 4 BGB eine relativ hohe Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses feststellen.

B. Das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB Während § 323 BGB die Nicht- oder Schlechterfüllung der Primärleistungspflicht660 erfasst, werden in § 324 BGB die Voraussetzungen für den Rücktritt wegen Verstößen gegen sonstige Verhaltenspflichten geregelt.661 Demnach soll dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht vom gegenseitigen Vertrag auch dann zustehen, wenn ihm ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist, weil der Schuldner eine Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat. I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB Voraussetzung eines Rücktrittsrechts nach § 324 BGB ist zunächst die Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Dieser Vorschrift nach ist jeder Vertragsteil dem Inhalt des Schuldverhältnisses entsprechend zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Abzugrenzen 657

Mossler, ZIP 2002, 1831, 1833. Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. B 159. 659 Mossler, ZIP 2002, 1831, 1836. 660 Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 323 BGB und § 324 BGB, unten Kapitel 2, § 5, B.I. 661 Jauernig/Stadler, § 323 BGB Rn. 5. 658

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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sind die Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB von den Pflichten nach § 241 Abs. 1 BGB, bei deren Verletzung kein Rücktrittsrecht aus § 324 BGB, sondern ein Rücktrittsrecht aus § 323 BGB in Betracht kommt.662 Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 241 Abs. 2 BGB von einer Unterscheidung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten aus, die sich in der Regelung des § 241 BGB widerspiegeln sollte.663 Leistungspflichten, deren Regelung in § 241 Abs. 1 BGB erfolgt, sollen grundsätzlich auf die Veränderung der Güterlage gerichtet sein, während Schutzpflichten, deren Regelung in § 241 Abs. 2 BGB erfolgt, auf die Bewahrung der gegenwärtigen Güterlage der Beteiligten vor Beeinträchtigungen gerichtet sein sollen.664 Allerdings erkannte der Gesetzgeber bereits, dass eine klare Abgrenzung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten anhand dieser Kriterien in manchen Fällen nicht möglich ist.665 So könnten etwa bestimmte Aufklärungspflichten sowohl den Leistungs- als auch den Schutzinteressen dienen oder der Rechtsgüterschutz gerade Inhalt einer Leistungspflicht sein.666 Im Einzelnen ist mit Blick auf die Abgrenzung der Pflichten nach § 241 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vieles umstritten; weder herrscht eine einheitliche Dogmatik noch gibt es eine einheitliche Terminologie.667 Eine umfassende Darstellung des Streitstandes ist jedoch für die hier behandelte Frage auch nicht erforderlich, sodass im Folgenden eine lediglich verkürzte Darstellung der Problematik ausreichen soll. Dass die Hauptleistungspflichten, also diejenigen Pflichten, um deren Willen der Vertrag überhaupt abgeschlossen wurde, unter den § 241 Abs. 1 BGB fallen und dementsprechend ihre Verletzung einen Fall des § 323 BGB darstellt, ist allgemein anerkannt.668 Eine Anwendbarkeit des § 323 BGB wird auch dann angenommen, wenn die Hauptleistungspflicht im Schutz des Integritätsinteresses besteht.669 Man denke etwa an einen Sicherheitsdienst oder einen Bodyguard dessen vertragliche Hauptpflicht gerade der Schutz des Vertragspartners ist.670 Ebenfalls unumstritten ist, dass solche Pflichten, die keinen Bezug zur Leistung aufweisen, sondern ausschließlich dem Integritätsinteresse der anderen Partei dienen, unter § 241 Abs. 2 BGB zu subsumieren sind und im Falle ihrer Verletzung dementsprechend § 324 BGB anwendbar ist.671 Zu 662

Hierzu Madaus, Jura 2004, 289, 289; Weiss, NJW 2014, 1212, 1214. BT-Drucks. 14/6040 S. 125. 664 BT-Drucks. 14/6040 S. 125. 665 BT-Drucks. 14/6040 S. 125. 666 BT-Drucks. 14/6040 S. 125. 667 Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 27. 668 Madaus, Jura 2004, 289, 290. 669 Madaus, Jura 2004, 289, 291. 670 Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 14. 671 Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 28; MünchKommBGB/Ernst, § 324 Rn. 1; Madaus, Jura 2004, 289, 290; Mattheus, JuS 2002, 209, 211. 663

168 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

den Pflichten, die keinen Bezug zur Leistung aufweisen, gehört beispielsweise die Pflicht zum einwandfreien persönlichen Verhalten672 oder auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die nicht leistungsbezogenen Güter des Vertragspartners673. Insofern beschränkt sich das Problem im Wesentlichen auf die Frage, wie solche Pflichten einzuordnen sind, die, ohne dass es sich um Hauptleistungspflichten handelt, gleichwohl einen Leistungsbezug aufweisen, die sog. Nebenleistungspflichten674. Die wohl überwiegende Ansicht geht davon aus, dass derartige Pflichten nicht unter § 241 Abs. 2 BGB fallen und § 324 BGB somit bei ihrer Verletzung nicht anwendbar ist.675 Nach der Gegenansicht können auch solche Pflichten, die einen Leistungsbezug aufweisen, gleichwohl unter § 241 Abs. 2 BGB fallen und ihre Verletzung damit einen Rücktritt nach § 324 BGB begründen, sofern die fraglichen Pflichten auch das Integritätsinteresse schützen.676 Während nach der ersten Ansicht eine klare Abgrenzung zwischen § 323 BGB und § 324 BGB erfolgt, treten nach der zweiten Ansicht Überschneidungen in den Anwendungsbereichen der §§ 323, 324 BGB auf. Auswirkungen hat dies insbesondere auf die Frage, ob ein Verstoß gegen Leistungstreuepflichten677, insbesondere die Pflicht das Vertrauen des Vertragspartners in die eigene Erfüllungsbereitschaft und -fähigkeit nicht zu erschüttern,678 zur Anwendbarkeit des § 324 BGB führen kann. Hierbei ist zum einen an die Erfüllungsverweigerung und zum anderen an die wiederholte Schlechtleistung zu denken. Während hier nach der ersten Ansicht, wegen des Leistungsbezugs der Pflicht, eine alleinige Anwendbarkeit des § 323 BGB, hier Abs. 2 Nr. 1 bzw. Abs. 3, anzunehmen ist, kommt nach der zweiten Ansicht in diesen Fällen ebenfalls ein Rücktritt nach § 324 BGB in Betracht. Neben der Verletzung einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB ist für ein Rücktrittsrecht nach § 324 BGB erforderlich, dass der Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht zur Folge hat, dass der anderen Vertragspartei ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Wann eine solche Unzumutbarkeit vorliegt, soll einzelfallabhängig nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beantworten

672

MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 12. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 1. 674 Madaus, Jura 2004, 289, 290. 675 Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 30; Madaus, Jura 2004, 289, 290; Zimmer, NJW 2002, 1, 6; Mattheus, JuS 2002, 209, 211; Canaris, JZ 2001, 499, 509. 676 Soergel/Gsell, § 324 BGB Rn. 9; Münch, Jura 2002, 361, 371; Kindl, WM 2002, 1313, 1322; Ramming, ZGS 2003, 209, 209; in diesem Sinne wohl auch Weiss, NJW 2014, 1212, 1214; Schwab, ZGS 2003, 73, 75, nach dem eine Anwendbarkeit des § 324 BGB nur ausgeschlossen ist, wenn sich die fragliche Pflicht direkt auf die Hauptleistungspflicht bezieht. 677 Zu diesem Begriff BeckOK/Sutschet, § 241 BGB Rn. 46 ff. 678 Hierzu im einzelnen BeckOK/Sutschet, § 241 BGB Rn. 50 ff. 673

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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sein,679 wobei die Intensität der Pflichtverletzung, ebenso wie der Umfang und das wirtschaftliche Gewicht, die Dauer der Abwicklung und das Maß, in dem sich der Gläubiger bezüglich seiner Rechtgüter für den Schuldner öffnen muss, zu berücksichtigen sind.680 Letztlich werden hohe Anforderungen gestellt und die Unzumutbarkeit dementsprechend nur im Falle von massiven Beeinträchtigungen bejaht.681 Die Begründung zum Regierungsentwurf spricht insoweit von Umständen, die es dem Gläubiger unerträglich machen am Vertrag festzuhalten.682 Dem Wortlaut und der systematischen Stellung nach ist der Anwendungsbereich des § 324 BGB zudem auf gegenseitige Verträge begrenzt. Die Sinnhaftigkeit der Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 324 BGB auf gegenseitige Verträge wird von der ganz herrschenden Ansicht bezweifelt.683 Unterstellt man diese Auffassung als richtig, setzt das Rücktrittsrecht in § 324 BGB lediglich die Verletzung einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB sowie die Unzumutbarkeit eines weiteren Festhaltens am Vertrag voraus. Die Unzumutbarkeit soll, wie soeben dargestellt, von der Abwägung der Umstände des Einzelfalls abhängen. Im Rahmen der Unzumutbarkeit findet also letztlich die Bewertung der widerstreitenden Parteiinteressen statt – und damit die Beurteilung, ob das Lösungsinteresse ausnahmsweise gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegt.684 Demnach ergibt sich das Lösungsinteresse letztlich unmittelbar aus der Pflichtverletzung. Die konkreten Pflichtverletzungstatbestände sind mannigfaltig.685 Gemeinsam ist ihnen – egal welcher Ansicht man bezüglich der Einordnung der Nebenleistungspflichten folgt – dass die eine Vertragspartei das Integritätsinteresse der anderen Vertragspartei verletzt hat.686 Dies ist beispielsweise bei einem Verstoß gegen die Nebenpflicht zum einwandfreien persönlichen Verhalten der Fall. Beleidigt etwa die eine Partei die andere oder greift sie sogar tätlich an, wird das mitunter dazu führen, dass die andere Partei zukünftig einen weiteren Kontakt mit der beleidigenden bzw. verletzenden Partei vermeiden möchte. Sofern die Vertragsdurchführung allerdings weiteren persönlichen Kontakt zwischen den Vertragsparteien erfordert, wird derjenige Vertragspartner, dem gegenüber die Pflicht verletzt wurde, sich vom Vertrag lösen wollen, um den Kontakt zu vermeiden. An die Stelle ihres Bestandsinteresses tritt ein Lösungsinteresse. Hat die Partei, der gegenüber die Pflicht verletzt wurde, einen Anspruch auf eine Leistung, wird die Verletzung einer Pflicht 679 680 681 682 683 684 685 686

MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 7. Soergel/Gsell, § 324 BGB Rn. 16. Soergel/Gsell, § 324 BGB Rn. 1; ebenso MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 7. BT-Drucks. 14/6040 S. 187 i.V. m. S. 141. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 4 m.w. N. Näheres hierzu sogleich. Madaus, Jura 2004, 289, 290. Canaris, FS Kropholler, S. 3, S. 16.

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nach § 241 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht dazu führen, dass die Partei ihr Interesse an der Leistung verliert.687 Allerdings kann die Pflichtverletzung, sofern sie ausreichend gewichtig ist,688 dazu führen, dass die Partei, der gegenüber die Pflicht verletzt wurde, ein so starkes Interesse an der Vermeidung von zukünftigem Kontakt hat, dass sie sogar bereit ist, hierfür ihren Anspruch auf die Leistung preiszugeben.689 Entsprechendes kann auch bei solchen Rücksichtnahmepflichtverletzungen gelten, bei denen lediglich Vermögensinteressen des Gläubigers beeinträchtigt wurden, etwa wenn der Schuldner wiederholt Gegenstände des Gläubigers beschädigt. Anders als in den Fällen, in denen die eine Partei die andere Partei beleidigt oder tätlich angegriffen hat, wird die einmalige Vermögensbeeinträchtigung in der Regel allerdings noch nicht dazu führen, dass diejenige Partei, der gegenüber die Pflicht verletzt wurde, ein derart starkes Interesse daran hat, den zukünftigen Kontakt mit ihrem Vertragspartner zu vermeiden, dass sie sich vom Vertrag lösen möchte. Das gilt insbesondere bei gegenseitigen Verträgen, bei denen eine einfache Verletzung des Integritätsinteresses grundsätzlich nicht dazu führt, dass die Partei, der gegenüber die Pflicht verletzt wurde, ihr Interesse an der Leistungserlangung aufgibt.690 Vielmehr wird das Gläubigerinteresse bei reinen Vermögensbeeinträchtigungen regelmäßig mit der Zahlung von Schadensersatz ausreichend befriedigt.691 Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn die bereits erfolgte Pflichtverletzung indiziert, dass es bei der zukünftigen Vertragsdurchführung zu weiteren Pflichtverletzungen und daraus resultierenden Vermögensbeeinträchtigungen kommt. Auch hier wird der Gläubiger sich unter Umständen gezwungen sehen, von dem Vertrag Abstand zu nehmen. Insofern ist es durchaus zutreffend, dass ein Lösungsinteresse aus der drohenden Pflichtverletzung folgen kann.692 Nichtsdestotrotz ist Ernst zuzustimmen, dass es sich bei § 324 BGB nicht primär um eine Vorschrift mit präventivem Zweck im Sinne des Schutzes vor zukünftigen Integritätsverletzungen handelt.693 Vielmehr geht es beim Rücktrittsrecht wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB um Fälle, in denen persönliche Unzulänglichkeiten einer Vertragspartei ein Interesse der anderen Vertragspartei hervorrufen, zukünftig weiteren Kontakt mit dieser zu vermeiden.694 Insofern lässt aber auch eine erfolgte weniger dramatische Integritätsverletzung 687 688 689 690 691 692 693 694

Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 11; Münch, Jura 2002, 361, 371. Stürner, JZ 1976, 384, 389. Soergel/Gsell, § 324 BGB Rn. 7. Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 11. Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 38. Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 38 f. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 8. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 1.

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in Kombination mit einer negativen Prognose bezüglich weiterer Integritätsverletzungen auf persönliche Unzulänglichkeiten schließen, die ein Interesse an der Vermeidung weiteren Kontakts zu begründen vermögen. Sofern der bestehende Vertrag weiteren persönlichen Kontakt zwischen den Beteiligten erfordert, führt das Interesse an der Vermeidung weiteren Kontakts zu einem Interesse an der Beseitigung des Vertrags.695 Das Lösungsinteresse im Rahmen des § 324 BGB folgt also aus einer sich in der Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB niederschlagenden, persönlichen Unzulänglichkeit der einen Vertragspartei, wegen derer die andere Vertragspartei zukünftig weiteren Kontakt vermeiden möchte.696 Im Gegensatz zu den Fällen des § 323 BGB, wo sich das Lösungsinteresse daraus ergibt, dass der Gläubiger wirtschaftlich unsinnige Ergebnisse vermeiden will, betrifft die Verletzung im Rahmen des § 324 BGB die Parteien als Personen und nicht die Leistung.697 II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB Das objektivierte Lösungsinteresse der einen Vertragspartei soll sich nach dem Gesetz gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei durchsetzen können, wenn derjenigen Partei mit dem Lösungsinteresse ein Festhalten am Vertrag wegen der Pflichtverletzung der anderen Partei unzumutbar ist. Die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses bei § 324 BGB liegt in der persönlichen Unzulänglichkeit der anderen Vertragspartei, welche sich in der Verletzung der Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB manifestiert hat. Diese persönlichen Unzulänglichkeiten, so die Annahme, können bei der anderen Vertragspartei ein Interesse an der Lösung vom Vertrag verursachen, sofern dieser einen weiteren persönlichen Kontakt erfordert. Auch wenn eine Vertragspartei wegen persönlicher Unzulänglichkeiten der anderen Vertragspartei keinen weiteren Kontakt mit dieser wünscht und sich deshalb von dem Vertrag lösen möchte, soll sich ihr Lösungsinteresse nur gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Partei durchsetzen können, wenn ihr das weitere Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Bei der Zumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der eine Einzelfallbetrachtung erfordert, sodass sich dem § 324 BGB eine gesetzgeberische Interessenbewertung nicht unmittelbar entnehmen lässt.698 Mittelbar lässt sich die Wertung des § 324 BGB 695

Stürner, JZ 1976, 384, 386. In diesem Sinne wohl auch Ernst, nach dem die Unzumutbarkeit in Fällen, in denen ein einmaliger Austausch unpersönlicher Art im Raum steht, in der Regel abzulehnen ist, MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 7. 697 MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 1. 698 Münch, Jura 2002, 361, 365. 696

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allerdings aus dem in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen erschließen. Demnach ist im Rahmen des § 324 BGB etwa nicht erforderlich, dass der Vertragspartner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Allerdings soll diese Frage im Zusammenhang mit der Interessenabwägung bei der Unzumutbarkeit zu berücksichtigen sein.699 Entsprechendes wird auch bei einem etwaigen Mitverschulden des Lösungsberechtigten angenommen.700 Sofern die Frage nach dem Vertretenmüssen des Schuldners oder nach dem Mitverschulden des Gläubigers für die Beurteilung der Unzumutbarkeit berücksichtigt wird, liegt das daran, dass diese Umstände zur Folge haben, dass sich die Interessengewichtung jeweils zuungunsten des Bestandsinteresses (wie beispielsweise beim Vertretenmüssen) bzw. zuungunsten des Lösungsinteresses (wie beispielsweise beim Mitverschulden) verschiebt. Das bedeutet, dass ein Lösungsinteresse insbesondere dann überwiegt, wenn das Bestandsinteresse des Schuldners geschwächt ist, weil ihm die Pflichtverletzung vorzuwerfen ist bzw. das Lösungsinteresse jedenfalls dann nicht überwiegen kann, wenn es – etwa wegen eines relevanten Mitverschuldens – geschmälert wird. Eine Abmahnung wird für die Begründung der Unzumutbarkeit grundsätzlich nicht als erforderlich angesehen.701 Allenfalls bei solchen Pflichtverletzungen, die alleine noch nicht zur Begründung einer Unzumutbarkeit ausreichen, soll eine Abmahnung und ein darauf folgender weiterer Verstoß mitunter die Unzumutbarkeit begründen können.702 Durch die Abmahnung, bei der es sich gleichsam um eine Warnung für den Schuldner handelt, ist sein Bestandsinteresse bei einer erneuten Pflichtverletzung letztlich geringer zu gewichten, als in den Fällen, in denen keine entsprechende Warnung erfolgt ist.703 Entsprechendes gilt auch für die Annahme, dass sich das Lösungsinteresse bei solchen Pflichtverletzungen, die lediglich Vermögensbeeinträchtigungen zur Folge haben, nur dann gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen kann, wenn die Pflichtverletzung objektiv eine Wiederholung erwarten lässt, denn erst die zukünftige Pflichtverletzung ist hier geeignet das Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegen zu lassen.704 Auch wenn ein Schuldner gegen die Pflicht verstößt, das Vertrauen seines Vertragspartners in die eigene Erfüllungsbereitschaft und -fähigkeit nicht zu erschüt-

699 700 701 702 703 704

MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 11; Kindl, WM 2002, 1313, 1322. Soergel/Gsell, § 324 BGB Rn. 17. Kindl, WM 2002, 1313, 1322. MünchKommBGB/Ernst, § 323 Rn. 9. Schwab, ZGS 2003, 73, 76 f.; Kindl, WM 2002, 1313, 1322. Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 38.

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tern, lässt sich das als eine persönliche Unzulänglichkeit des Schuldners auffassen. Verweigert also der Schuldner etwa die Erfüllung oder erschüttert er das Vertrauen in seine Erfüllungsfähigkeit durch wiederholte Schlechtleistung, lässt sich das Lösungsinteresse des Gläubigers nicht nur mit dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung begründen, sondern ebenso mit den in diesem Verhalten zum Ausdruck kommenden persönlichen Unzulänglichkeiten des Schuldners. Dies gilt auch für die übrigen Fälle, in denen der Schuldner Pflichten mit Leistungsbezug verletzt – auch hier kann die Pflichtverletzung unter Umständen auf persönliche Unzulänglichkeiten des Schuldners hindeuten, wegen denen der Gläubiger ein Interesse an der Loslösung vom Vertrag haben kann. Daraus ließe sich in der Tat schlussfolgern, dass in derartigen Fällen ein Rücktritt nicht nur aus § 323 BGB, sondern ebenso aus § 324 BGB in Betracht komme und die Vorschriften dementsprechend gewisse Überschneidungen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs aufweisen. Letztlich lassen sich diese Überlegungen sogar auf die Verletzung von Hauptleistungspflichten übertragen – auch (und insbesondere) deren Verletzung kann auf persönliche Unzulänglichkeiten schließen lassen und diese ein Lösungsinteresse des Gläubigers begründen.705 Gleichwohl hat der Gesetzgeber den § 324 BGB ausdrücklich auf die Verletzung von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB beschränkt und damit die Verletzung von Hauptleistungspflichten nach § 241 Abs. 1 BGB vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen. Dieser Beschränkung kann man den Willen entnehmen, dass der § 324 BGB immer dann keine Anwendung finden soll, wenn das Lösungsinteresse des Gläubigers (auch) dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung entspringt. In diesen Fällen soll stattdessen ausschließlich § 323 BGB zur Anwendung kommen. Versteht man Nebenleistungspflichten also als diejenigen Nebenpflichten, deren Verletzung die geschuldete Hauptleistung im Sinne des Äquivalenzinteresses beeinträchtigen, ist § 324 BGB demnach nicht auf Nebenleistungspflichtverletzungen anzuwenden.706 Der Streit ist jedoch von geringer praktischer Relevanz, denn selbst wenn man der Ansicht folgen sollte, dass § 324 BGB auch bei Nebenleistungspflichtverletzungen anwendbar ist, müsste man zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, die Interessengewichtungen des § 323 BGB im Rahmen der Unzumutbarkeitsprüfung heranziehen. Die Unzumutbarkeit im Sinne des § 324 BGB wäre dementsprechend bei Nebenleistungspflichtverletzungen nur zu bejahen, wenn auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 323 BGB erfüllt wären. Mit Blick auf Nebenleistungspflichtverletzungen wäre ein Rücktritt gem. § 324 BGB also nur dann möglich, wenn gleichzeitig ein Rücktritt aus § 323 BGB zulässig wäre.

705 706

Schwab, ZGS 2003, 73, 76. So im Ergebnis auch Madaus, Jura 2004, 289, 291 m.w. N.

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III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht nach § 324 BGB wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB Seine Ursache hat das Lösungsinteresse im Rahmen des § 324 BGB in persönlichen Unzulänglichkeiten der einen Vertragspartei, wegen derer die andere Vertragspartei den für eine weitere Vertragsdurchführung erforderlichen zukünftigen Kontakt vermeiden will. In Form der Unzumutbarkeit besteht im Rahmen der Voraussetzungen des § 324 BGB auch ein objektives Kriterium, durch das gewährleistet wird, dass die Umstände, welche der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegen, auch im Einzelfall vorliegen, wenn ein entsprechendes Lösungsrecht zugestanden wird. Wie in den überwiegenden Fällen des § 323 BGB setzt auch das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB zunächst eine Pflichtverletzung voraus. Anders als bei § 323 BGB handelt es sich hierbei allerdings nicht um die Verletzung einer Leistungspflicht, sondern um die Verletzung einer Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Canaris bezeichnet den Umstand, dass § 324 BGB die Vertragsauflösung auch ohne Verletzung einer Leistung voraussetzt als „höchst bemerkenswert“.707 Man könnte sogar geneigt sein, aus der Rücktrittsmöglichkeit ohne Leistungspflichtverletzung zu schließen, dass das Bestandsinteresse im Rahmen des § 324 BGB geringer gewichtet wird als in den Fällen des § 323 BGB. Die Schlussfolgerung wäre allerdings verfehlt. Die Rücksichtnahmepflichten des § 241 Abs. 2 BGB sind Ausfluss eines Schutzrechtsverhältnisses bei besonderem sozialen Kontakt,708 die sich dadurch rechtfertigen, dass die Vertragsparteien ihre Rechts- und Vermögenssphären durch den Vertragsschluss auf besondere Weise füreinander öffnen und sich dadurch besonders verwundbar machen.709 Die Rücksichtnahmepflichten sind dementsprechend für die Vertragsparteien prinzipiell nicht weniger bedeutsam als die Leistungspflichten und ihre Verletzung folglich auch nicht weniger gewichtig. Aus der bloßen Tatsache, dass für das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB keine Leistungspflichtverletzung erforderlich ist, lässt sich also nicht schließen, dass das Bestandsinteresse im Rahmen des § 324 BGB gegenüber den Fällen des § 323 BGB grundsätzlich von geringerem Gewicht ist. § 324 BGB setzt, in Form der Unzumutbarkeit, neben der Pflichtverletzung auch eine weitere materielle Rechtfertigung für die Abkehr vom Vertrag voraus.710 Die Unzumutbarkeit steht insoweit funktional an der Stelle des ergebnislosen Ablaufs einer angemessen gesetzten Frist, die im Regelfall des § 323 BGB 707 708 709 710

Canaris, FS Kropholler, S. 3, S. 16. Stürner, JZ 1976, 384, 385. Stoll, AcP 136, 257, 298; Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 11. Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 38.

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die materielle Rechtfertigung für die Lösungsberechtigung darstellt.711 Zwar wird die Beantwortung der Frage, wann im Einzelfall eine derartige Vertragsauflösung materiell gerechtfertigt ist, nicht vom Gesetzgeber bestimmt, sondern die Entscheidung zur Förderung der Einzelfallgerechtigkeit dem Rechtsanwender überlassen. Allerdings spricht die Formulierung des § 324 BGB, nach der dem Gläubiger die Vertragsauflösung gestattet wird, „wenn ihm ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist“, für eine enge Anwendung der Vorschrift. Dieses Ergebnis wird auch durch die Begründung zum Regierungsentwurf bestätigt, nach dem für die Unzumutbarkeit Umstände vorliegen müssen, wegen denen ein weiteres Festhalten am Vertrag für die eine Vertragspartei „nicht erträglich“ wäre.712 Daraus, dass das Rücktrittsrecht nach § 324 BGB in Fällen, in denen Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt wurden, eine derart enge Ausnahme darstellen soll und ihr somit ein sehr begrenzter Anwendungsbereich zukommt, lässt auf eine grds. hohe Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses schließen. In Form der Unzumutbarkeit ist für die Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda neben der Pflichtverletzung zudem eine weitere Rechtfertigung erforderlich.713 Entsprechend der in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Unzumutbarkeit nach § 324 BGB kommt ein Lösungsrecht hier nur in Betracht, wenn auf der einen Seite das Bestandsinteresse wegen besonderer Umstände geringer zu gewichten ist und/oder das Lösungsinteresse entsprechend von höherem Gewicht ist.714 Insgesamt lässt sich festhalten, dass dem abstrakten Bestandsinteresse auch im Rahmen des § 324 BGB ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde.

C. Das Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschlusses der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschlusses von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB Nach § 326 Abs. 5 BGB kann der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1–3 BGB nicht leisten braucht, wobei die Vorschriften des § 323 BGB mit der Maßgabe Anwendung finden sollen, dass die Fristsetzung entbehrlich ist. Nach einhelliger Meinung handelt es sich bei der Verweisung auf § 323 BGB um eine Rechtsgrundverweisung, weshalb die Tatbestandsvoraussetzungen des § 323 BGB im Wesentlichen auch für den Rücktritt 711 712 713 714

Staudinger/Schwarze, § 324 BGB Rn. 2. RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 187 i.V. m. S. 141. Münch, Jura 2002, 361, 365. Zimmer, NJW 2002, 1, 6.

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gem. § 326 Abs. 5 BGB vorliegen müssen.715 Erforderlich ist somit zunächst, wie sich auch bereits aus der Überschrift des zweiten Titels ergibt, ein wirksamer gegenseitiger Vertrag.716 Des Weiteren muss der Schuldner von einer aus diesem Vertrag entspringenden Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB befreit worden sein.717 Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.718 Darüber hinaus kann der Schuldner nach § 275 Abs. 2 BGB den Wegfall der Leistungspflicht in Fällen der sogenannten „faktischen Unmöglichkeit“ 719 – wenn also die Leistung zwar theoretisch noch möglich ist, aber der erforderliche Aufwand im Vergleich zum Leistungsinteresse des Gläubigers im groben Missverhältnis steht720 – durch Erhebung einer Einrede herbeiführen.721 Ebenso kann sich der Schuldner durch Erhebung einer Einrede gem. § 275 Abs. 3 BGB von seiner Leistungspflicht befreien, wenn ihm eine persönlich zu erbringende Leistung unzumutbar ist, sogenannte „persönliche Unmöglichkeit“.722 Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1–3 BGB nicht zu leisten, heißt das für den Gläubiger, dass er auf die ihm vertraglich zugesagte Leistung verzichten muss.723 Bei einem gegenseitigen Vertrag verspricht jedoch jeder Vertragspartner seine Leistung nur im Austausch gegen diejenige des anderen Teils zu erbringen.724 Ohne die Leistung des Schuldners wird auch der Gläubiger nicht bereit sein, seine Leistung zu erbringen.725 Dem trägt § 326 Abs. 1 BGB dadurch Rechnung, dass die Befreiung von der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB grds. dazu führt, dass auch die Gegenleistungspflicht ipso iure erlischt.726 Betrifft die Befreiung von der Leistungspflicht jedoch nur eine Teilleistung, erlischt gemäß § 326 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB die Gegenleistung lediglich zu einem entsprechenden Teil.727 Bei einer Befreiung von der Nacherfüllungspflicht findet § 326 Abs. 1 S. 1 BGB hingegen keine Anwendung (§ 326 Abs. 1 S. 2 BGB).728 715

BeckOK/Schmidt, § 326 BGB Rn. 33. Kindl, WM 2002, 1313, 1318. 717 Lorenz, NJW 2002, 2497, 2498. 718 So auch Mattheus, JuS 2002, 209, 211. 719 HK-BGB/Schulze, § 275 Rn. 18. 720 Mattheus, JuS 2002, 209, 212. 721 Kindl, WM 2002, 1313, 1315 f.; Canaris, JZ 2001, 499, 501. 722 Mattheus, JuS 2002, 209, 214. 723 Kindl, WM 2002, 1313, 1318. 724 s. o., Kap. 2., Fn. 156. 725 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 44. 726 Unberath, Vertragsverletzung, S. 366. 727 Kindl, WM 2002, 1313, 1318; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2498. 728 Zur Begründung dieser Ausnahme Unberath, Vertragsverletzung, S. 368; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2499. 716

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Vor dem Hintergrund des Grundsatzes, dass die Gegenleistungspflicht kraft Gesetzes erlischt, wenn die Leistungspflicht nach § 275 BGB ausgeschlossen ist, sind die Konstellationen, in denen der Gläubiger zusätzlich ein Interesse daran hat, wegen der vollständigen Leistungsbefreiung des Schuldners vom Vertrag zurückzutreten, allenfalls auf Ausnahmefälle beschränkt.729 Wird der Schuldner vollständig von der Leistungspflicht befreit, entfällt auch die Gegenleistungspflicht vollständig, sodass ein zusätzliches Lösungsinteresse des Gläubigers sich hier nur daraus ergeben kann, dass dieser sich auch von Nebenpflichten befreien möchte, die nicht von der Regelung des § 326 BGB erfasst sind. Hierbei dürfte es sich allerdings, wenn überhaupt, um seltene Ausnahmen handeln, da die Nebenpflichten in der Regel entweder akzessorisch an die Hauptpflicht geknüpft sein werden und dementsprechend mit der Befreiung von der Gegenleistungspflicht erloschen sind, oder aber es handelt sich um Pflichten, die die Parteien auch über das Bestehen des Vertrags hinaus binden.730 Anders stellt sich die Situation allerdings bei der Teilunmöglichkeit, die auch als quantitative Unmöglichkeit731 bezeichnet wird, dar. Hier erlischt die Leistungspflicht des Schuldners nur in demjenigen Maße, in dem die Leistung unmöglich ist – und auch die Gegenleistungspflicht reduziert sich durch § 326 Abs. 1 BGB ipso iure nur entsprechend.732 Der Vertrag bleibt allerdings in reduzierter Form bestehen.733 In derartigen Konstellationen mag sich der Gläubiger aus zweierlei Gründen vom Vertrag lösen. Zunächst ist denkbar, dass lediglich dem Schuldner die Erbringung der vollständigen Leistung nicht möglich ist. In diesen Fällen kann sich das Lösungsinteresse daraus ergeben, dass sich der Gläubiger – wie in den Regelfällen des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB – die vollständige Leistung anderweitig beschaffen möchte und deshalb an der für den Schuldner möglichen Teilleistung kein Interesse mehr hat. Ist die vollständige Leistungserbringung hingegen jedermann unmöglich, kann sich das Lösungsinteresse daraus ergeben, dass der Gläubiger den Leistungsteil, welcher dem Schuldner möglichen ist, ohne den unmöglichen Leistungsteil nicht gebrauchen kann. Hier ist die mögliche Teilleistung also derart ungeeignet zur Interessenbefriedigung des Gläubigers, dass dieser lieber auf die Leistung insgesamt verzichtet, als für den möglichen Leistungsteil einen entsprechenden Teil der Gegenleistung zu erbringen. In den Fällen der qualitativen Unmöglichkeit734 – also in Situationen, in denen eine nicht vertragsgemäße Leistung erbracht wurde und die Pflicht zur Herstel729

So auch Canaris, JZ 2001, 499, 510. MünchKommBGB/Ernst, § 326 Rn. 108. 731 Canaris, FS Kropholler, S. 3, S. 19. 732 Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098. 733 Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098. 734 Zum Begriff der qualitativen Unmöglichkeit, Lorenz, JZ 2001, 742, 743; Kindl, WM 2002, 1313, 1315. 730

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lung des vertragsgemäßen Zustands nach § 275 BGB ausgeschlossen ist735 – kommt es nach § 326 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zur Anwendung des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, sodass sich die Gegenleistung hier nicht ipso iure reduziert.736 Damit soll sichergestellt werden, dass es zur Minderung nur in den Fällen kommt, in denen sie ausdrücklich vorgesehen ist.737 Denn der ipso iure Wegfall eines Teils der Gegenleistungspflicht würde letztlich einer automatischen Minderung kraft Gesetz entsprechen,738 die der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich nicht als allgemeinen Rechtsbehelf bei der Schlechtleistung einführen wollte.739 Für die qualitative Unmöglichkeit lassen sich mit Blick auf die Begründung des Lösungsinteresses die Ausführungen in den Fällen des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB übertragen. Auch hier ist das Interesse des Gläubigers, welches auf die vertragsgemäße Leistung gerichtet ist, durch die nicht vertragsgemäße Leistung nicht vollständig befriedigt worden. Da dem Gläubiger in Fällen der qualitativen Unmöglichkeit nach § 275 BGB jedoch kein Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustands zusteht, wird dessen Interesse an der vertragsgemäßen Leistung durch den Vertrag mit dem Schuldner nicht erfüllt. Sofern die nicht vertragsgemäße Leistung für den Gläubiger wirtschaftlich uninteressant ist, ist er nicht bereit für diese eine Gegenleistung zu erbringen. In diesen Fällen tritt an die Stelle des Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse des Gläubigers. Nach der Gesetzesbegründung soll § 326 Abs. 5 BGB auch in Situationen zur Anwendung kommen, in denen der Gläubiger den Grund für das Ausbleiben der Leistung nicht kennt.740 In Fällen, in denen sich der Gläubiger nicht sicher ist, ob die Leistung wegen Unmöglichkeit oder aus anderen Gründen ausbleibt, kann sich sein Lösungsinteresse aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung ergeben. Denn die Zweifel an der Erfüllung durch den Schuldner haben gegebenenfalls zur Folge, dass der Gläubiger sich die Leistung – sofern möglich – lieber anderweitig beschaffen möchte und sich, um eine Doppelverpflichtung zu vermeiden, vom ursprünglichen Vertrag lösen will. Das fristlose Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB ist für diese Konstellationen allerdings als Mittel zur Interessenbefriedigung für den Gläubiger ungeeignet.741 Denn sofern die Leistungspflicht des Schuldners tatsächlich nach § 275 BGB ausgeschlossen ist, ent735

Zu den diesbezüglichen Besonderheiten im Rahmen der kaufrechtlichen Nacherfüllung Kuhn, ZGS 2007, 290; Lorenz, NJW 2006, 1175, 1177. 736 Canaris, FS Kropholler, S. 3, S. 19; Peukert, AcP 2005, 430, 431. 737 Peukert, AcP 2005, 430, 436; Kindl, WM 2002, 1313, 1318. Die beschränke Anwendbarkeit der Minderung ist hierbei vor dem Hintergrund zu sehen, dass mit der Minderung ein besonderes Risiko einer übermäßigen Belastung des Gläubigers einhergeht; zu den besonderen Belastungen des Schuldners bei der Minderung siehe auch A.I. 3.c)bb). 738 Staudinger/Schwarze, § 326 BGB Rn. B 70. 739 BT-Drucks. 14/6040, S. 189. 740 BT-Drucks. 14/7052, S. 193. 741 Hierzu auch Canaris, FS Kropholler, S. 3, S. 19.

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fällt die Gegenleistungspflicht ipso iure – eines zusätzlichen Rücktritts bedarf es hier zur Erlangung der ursprünglichen Dispositionsfreiheit also grundsätzlich nicht.742 Erfolgt die Leistung jedoch aus anderen Gründen nicht, wären auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 326 Abs. 5 BGB nicht erfüllt. Um sich von seiner Gegenleistungspflicht zu befreien müsste der Gläubiger hier vielmehr nach § 323 BGB zurücktreten, was in der Regel allerdings den erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist erfordert. Ist der Gläubiger also nicht sicher, warum die Leistung ausbleibt, kann er durch einen fristlosen Rücktritt nach § 326 Abs. 5 BGB auch nicht gewährleisten, dass der Gegenleistungsanspruch entfällt.743 Setzt der Gläubiger hier allerdings eine angemessene Nachfrist, kann er nach deren Ablauf auf jeden Fall zurücktreten, auch wenn die Nichtleistung auf Unmöglichkeit beruhen sollte. Bei fortbestehender Ungewissheit über die Möglichkeit der Leistung kann so in der Praxis regelmäßig offen bleiben, ob sich der Rücktrittsgrund aus § 323 Abs. 1 oder § 326 Abs. 5 ergibt.744 Der Gläubiger kann sich so also endgültig Klarheit über das Bestehen des Vertrags verschaffen.745 Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass das Lösungsinteresse auch in den Fällen des § 326 Abs. 5 BGB letztlich seine Ursache darin hat, dass der Vertragsschluss sich aus Sicht des Gläubigers nachträglich als ungeeignet zur Erreichung des mit dem Vertrag intendierten Zwecks herausstellt.746 II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung beim Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschlusses von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB Da der Gläubiger nach § 326 Abs. 1 BGB in denjenigen Fällen, in denen der Schuldner nach § 275 Abs. 1–3 BGB vollständig von seiner ursprünglichen Leistungspflicht befreit ist, seinerseits vollständig von der Gegenleistungspflicht befreit wird, kommt dem Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB ohnehin nur in Ausnahmefällen eine Funktion zu, sofern der Gläubiger ein besonderes Interesse an der Beseitigung von etwaigen nichtakzessorischen Nebenpflichten hat. Sofern der Gesetzgeber dem Gläubiger in diesen Fällen die Lösung vom Vertrag gestattet, dürfte dem die Überlegung zugrunde liegen, dass die ipso iure Befreiung des Gläubigers von seiner Gegenleistungspflicht in der Regel auch das Interesse des Schuldners, weiterhin am Vertrag festzuhalten, entfallen lässt. Ein dem Lösungs742

Vgl. Unberath, Vertragsverletzung, S. 367 f. Kritisch, ob diesbezüglich das „absonderliche Nebeneinander“ von Rücktritt und ipso iure Wegfall der Leistungspflicht nach § 326 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist, NKBGB/Dauner-Lieb, § 326 Rn. 35. 744 BT-Drucks. 147052 S. 193. 745 BeckOK/Schmidt, § 326 BGB Rn. 36. 746 Lorenz, NJW 2002, 2497, 2504. 743

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interesse entgegenstehendes Interesse des Schuldners an etwaigen Nebenpflichten festzuhalten wird hier regelmäßig überhaupt nicht bestehen. Allerdings erfasst § 326 Abs. 5 BGB auch Fälle, in denen dem Lösungsinteresse des Gläubigers durchaus ein Bestandsinteresse des Schuldners gegenübersteht. Das dürfte insbesondere bei der qualitativen und quantitativen Unmöglichkeit regelmäßig der Fall sein. Auch hier ermöglicht es § 326 Abs. 5 BGB dem Gläubiger fristlos vom Vertrag zurückzutreten. Dass der Gesetzgeber in den Fällen des § 326 Abs. 5 BGB auf eine Fristsetzung durch den Gläubiger verzichtet, ergibt sich letztlich daraus, dass es beim Rücktritt nach § 326 Abs. 5 BGB, anders als in den Fällen des § 323 BGB, bereits an einer fälligen und durchsetzbaren Leistungspflicht fehlt, deren Erfüllung der Gläubiger geltend machen könnte.747 Eine Fristsetzung des Gläubigers kommt daher denklogisch nicht in Betracht.748 Statt des erfolglosen Fristablaufs kennzeichnet der Zeitpunkt des Ausschlusses der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB den Moment, ab dem der Gläubiger berechtigter Weise vom Ausbleiben der Leistung ausgehen muss. Eine Fristsetzung wäre in den Fällen der Unmöglichkeit zwecklos.749 Bereits mit dem Eintritt der Unmöglichkeit der eigenen Leistung kann der Schuldner auch nicht mehr auf den Bestand des Vertrags vertrauen. Und eine stärkere Gewichtung des Lösungsinteresses durch einen weiteren Zeitablauf ist zudem nicht erforderlich, da das Ausbleiben der Leistung mit der Unmöglichkeit bereits endgültig feststeht. Ein zusätzlicher Schutz des Bestandsinteresses zulasten des Lösungsinteresses ist daher nach Ansicht des Gesetzgebers nicht erforderlich. Auch ohne erfolglosen Ablauf einer angemessen gesetzten Nachfrist handelt es sich beim Rücktritt nach § 326 Abs. 5 BGB bereits um die ultima ratio zur Wahrung des Gläubigerinteresses. Im Übrigen gelten auch im Rahmen des Rücktrittsrechts nach § 326 Abs. 5 BGB die Voraussetzungen des § 323 BGB, sodass die dortigen Ausführungen zu der gesetzgeberischen Interessenbewertung sich grundsätzlich auch hier übertragen lassen. So bestehen etwa beim fristlosen Rücktritt wegen quantitativer Unmöglichkeit die Einschränkungen des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB. Der Rücktritt kommt hier also ebenfalls nur dann in Betracht, wenn der Gläubiger an dem möglichen Leistungsteil kein Interesse mehr hat.750 Auch hier kommt der Rücktritt also dann nicht in Betracht, wenn der Gläubiger sein vertragliches Leistungsinteresse bei einem bloß partiellen Leistungsaustausch zumindest teilweise verwirklichen kann.751 Erst wenn das nicht der Fall ist, soll das Lösungsinteresse 747

BT-Drucks.14/6040, 189; Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098. Münch, Jura 2002, 361, 367. 749 BT-Drucks. 14/6040 S. 181; Kindl, WM 2002, 1313, 1319; Looschelders, JA 2007, 673, 675; Lorenz, NJW 2006, 1175, 1177. 750 BT-Drucks. 14/6040, 188. 751 Hierzu auch A.I.3.c). 748

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des Gläubigers gegenüber dem Bestandsinteresse des Schuldners überwiegen, was zur Folge hat, dass der Gläubiger die Möglichkeit zur vollständigen Vertragsauflösung hat. Bei der subjektiven quantitativen Unmöglichkeit wird ein Interessenwegfall freilich seltener in Betracht kommen als bei der objektiven quantitativen Unmöglichkeit. Denn bei der subjektiven quantitativen Unmöglichkeit ist ein Interessenfortfall erst dann anzunehmen, wenn der Gläubiger sein Leistungsinteresse trotz einer anderweitigen Beschaffung des für den Schuldner unmöglichen Leistungsteils und der damit einhergehende Vervollständigung der Leistung nicht umfassend befriedigen kann. Bei der objektiven quantitativen Unmöglichkeit kommt ein Rücktritt hingegen grundsätzlich bereits dann in Betracht, wenn der Gläubiger für die Teilleistung als solche keine Verwendung hat, denn eine anderweitige Vervollständigung der Leistung ist hier ausgeschlossen. Ebenso ist bei qualitativer Unmöglichkeit die Hürde des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB anwendbar, sodass dem Gläubiger bei einer Schlechtleistung des Schuldners der Rücktritt verwehrt wird, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.752 Auch bei qualitativer Unmöglichkeit wird dem Gläubiger also zugemutet sich mit einer unerheblichen Abweichung der Leistung vom Versprochenen abzufinden.753 Die Übertragung der Rücktrittsschwelle des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB auf den Fall der qualitativen Unmöglichkeit stellt – wie im bereits erwähnte Fall des § 440 S. 1, 1. Fall BGB754 – eine größere Belastung für den Gläubiger als im Rahmen des § 323 BGB dar. Denn während dem Gläubiger in den Fällen des § 323 BGB immer noch die Möglichkeit der klageweisen Durchsetzung des (durch die Schlechtleistung nicht erloschenen) Leistungsanspruchs offen steht, ist der Leistungsanspruch in den Fällen des § 326 Abs. 5 BGB wegen der Unmöglichkeit erloschen, sodass hier eine klageweise Durchsetzung nicht denkbar ist. Insbesondere bei der objektiven qualitativen Unmöglichkeit bleibt dem Gläubiger hier keine Wahl, als sich mit der Schlechtleistung zu arrangieren. Das Interesse des Gläubigers an der vollständigen Erfüllung des Vertrags wird also dauerhaft dem Bestandsinteresse des Schuldners untergeordnet. Aus dieser besonderen Belastung des Gläubigers bei Ausschluss des Rücktrittrechts erklärt sich auch eine abweichende Beurteilung der Unerheblichkeit bei unbehebbaren Mängeln. In der Regel sollen unbehebbare Mängel erhebliche Pflichtverletzungen darstellen.755 Zur Beurteilung der Frage, wann ein unbehebbarer Mangel ausnahmsweise nicht erheblich ist, wird auf das objektive Ausmaß

752

Lorenz, NJW 2003, 3097, 3098. In Betracht kommen hier – sofern die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind – allenfalls die Minderung oder der kleine Schadensersatz, vgl. Looschelders, JA 2007, 673, 676. 754 Oben, A.II.4.b). 755 BGH, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517; MünchKomm/ Ernst, § 323 Rn. 251; Staudinger/Schwarze, § 323 BGB Rn. C 26. 753

182 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

der Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses abgestellt.756 Dabei soll für die Beurteilung der Erheblichkeit vornehmlich das Ausmaß der Beeinträchtigung z. B. aus ästhetischer oder funktioneller Sicht zu berücksichtigen sein.757 Insgesamt kommt also durch den Verweis auf § 323 Abs. 5 S. 2 BGB auch im Rahmen der qualitativen Unmöglichkeit der Grundsatz zum Ausdruck, dass der Schuldner, der seine Leistung erbracht hat, in seinem Bestandsinteresse wegen der Konsequenzen des Rücktritts besonders schutzwürdig ist. Da dem Gläubiger in den Fällen, in denen der Schuldner nach § 275 BGB von seiner Pflicht zur Nacherfüllung befreit ist, die nicht vertragsgemäße Leistung allerdings dauerhaft zugemutet wird, soll dies aber auf Fälle beschränkt sein, in denen der Schuldner eine Leistung erhalten hat, die sein Leistungsinteresse, objektiv betrachtet, ganz überwiegend erfüllt. Des Weiteren gelten auch im Rahmen des Rücktritts nach § 326 Abs. 5 BGB die Ausschlusstatbestände des § 323 Abs. 6 BGB, sodass hier ein Rücktritt ebenfalls ausgeschlossen ist, wenn das Lösungsinteresse des Gläubigers wegen seines Verhaltens im konkreten Fall entsprechend geringer zu gewichten ist als üblich.758 III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschlusses von der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB Auch in den Fällen des § 326 Abs. 5 BGB möchte sich der Gläubiger von dem Vertrag lösen, weil sich dieser aus seiner Sicht nachträglich als zur Befriedigung seines Leistungsinteresses ungeeignet erweist,759 was beim Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift auch objektiv zutrifft. Das Rücktrittsrecht ist demnach auf Konstellationen beschränkt, in denen die Umstände, die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegen, auch im Einzelfall gegeben sind. Aus der Rechtsfolge des § 275 Abs. 1–3 BGB, dem Wegfall der Leistungspflicht, folgt, dass im Rahmen des § 326 Abs. 5 BGB – anders als bei § 323 BGB – nicht nur der erfolglose Ablauf einer angemessen gesetzten Nachfrist entbehrlich ist, sondern darüber hinaus bereits keine Verletzung einer fälligen Leistungspflicht erforderlich ist. Mangels Leistungspflicht des Schuldners erscheint das Ausbleiben der Leistung auf den ersten Blick auch nicht als Pflichtverletzung. Bezugspunkt für die Beurteilung der Pflichtverletzung ist allerdings die vertragliche Vereinbarung, von der auch dann abgewichen wird, wenn die Leistungspflicht gesetzlich ausgeschlossen ist.760 Dementsprechend liegt auch dem 756 757 758 759 760

Soergel/Gsell, § 323 BGB Rn. 212. BeckOK/Schmidt, § 323 BGB Rn. 39; Vuia, NJW 2015, 1047, 1048. Lorenz, NJW 2002, 2497, 2499; Lorenz, NJW 2006, 1175, 1177. Canaris, JZ 2001, 499, 522. HK-BGB/Schulze, Vor § 275 Rn. 7.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

183

Rücktrittsrecht wegen Ausschluss der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB eine Pflichtverletzung zugrunde. Insofern trägt der Schuldner die objektive Verantwortung für die Unmöglichkeit der Leistung,761 sodass ihm das daraus resultierende Lösungsinteresse des Gläubigers auch zurechenbar ist. Da die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts nach § 326 Abs. 5 BGB grundsätzlich mit denen des § 323 BGB übereinstimmen, entspricht die gesetzgeberische Interessengewichtung im Wesentlichen derjenigen in den dort aufgeführten Fällen. Lediglich die Fristsetzung ist im Rahmen des § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich. Obwohl der erfolglose Ablauf einer angemessenen Frist einen wesentlichen Einfluss auf die Interessenbeurteilung im Rahmen des § 323 Abs. 1 BGB hat,762 ergibt sich aus ihrem Verzicht im Rahmen des § 326 Abs. 5 BGB aber keine grundsätzlich abweichende Interessenbewertung. Wie zuvor erläutert, drückt sich die besondere Schutzwürdigkeit des Bestandsinteresses im Rahmen des § 323 BGB darin aus, dass der Gesetzgeber dem Schuldner grundsätzlich eine zweite Chance zur Erfüllung innerhalb eines angemessenen Zeitraums gewährt und dem Gläubiger auf der anderen Seite weiteres Zuwarten trotz Fälligkeit der Leistung zugemutet wird. Ist die Leistung jedoch unmöglich, wird der Schuldner gerade von seiner Pflicht zur Leistung befreit. In den Fällen des § 275 Abs. 1 BGB kann der Schuldner die Leistung rein tatsächlich nicht erbringen. In den Fällen von § 275 Abs. 2 und 3 BGB hat er mit der Geltendmachung der Einrede deutlich gemacht, dass er kein Interesse daran hat, sich die Gegenleistung zu verdienen. Eine zweite Chance zur Erfüllung benötigt der Schuldner im Anwendungsbereich des § 326 Abs. 5 BGB also nicht. Auch die Abweichungen bei der Beurteilung der Unerheblichkeit im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB bedeuten nicht, dass die Interessengewichtung sich in den Fällen des § 326 Abs. 5 BGB von der des § 323 BGB unterscheidet. Zwar sind die Anforderungen an die Unverhältnismäßigkeit in den Fällen, in denen die Pflicht zur Nacherfüllung nach § 275 BGB ausgeschlossen ist, geringer als in den Fällen der nichtvertragsgemäßen Leistung nach § 323 BGB. Dafür ursächlich ist allerdings, dass der Ausschluss der Nacherfüllungspflicht hier für den Gläubiger eine härtere Belastung darstellt. Denn bei der qualitativen Unmöglichkeit muss er sich dauerhaft mit der nicht vertragsgemäßen Leistung zufrieden geben, während ihm in den Fällen des § 323 BGB die klageweise Durchsetzung des Anspruchs möglich ist. Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass auch dem Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB wegen Ausschluss der Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 BGB ein grundsätzlich hohes Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses zugrunde liegt.763 761 762 763

Canaris, JZ 2001, 499, 509. s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.b). Canaris, JZ 2001, 499, 522.

184 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

D. Das Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten Einer vorleistungspflichtigen Partei steht, wenn nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird, dass ihr Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit der anderen Partei gefährdet wird, nach § 321 Abs. 2 BGB ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag zu, sofern die andere Partei nicht innerhalb einer angemessen gesetzten Frist Zug-um-Zug entweder die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit leistet. Das Rücktrittsrecht aus § 321 Abs. 2 BGB setzt also zunächst einen gegenseitigen Vertrag voraus, bei dem eine der Parteien vorleistungspflichtig ist.764 Der Anspruch der vorleistungspflichtigen Partei muss ferner wegen mangelnder Leistungsfähigkeit seines Schuldners gefährdet sein.765 Schließlich muss der Vorleistungspflichtige seinen Schuldner erfolglos aufgefordert haben, innerhalb einer angemessenen Frist, Zug-um-Zug gegen die Leistung, entweder die Gegenleistung zu erbringen oder Sicherheit zu leisten. Von einer Gefährdung des Leistungsanspruchs ist auszugehen, wenn das Risiko besteht, dass der Vorleistungsberechtigte seine Leistung überhaupt nicht oder in erheblichem Maße von der vertragsgemäßen Beschaffenheit abweichend erbringen wird.766 Die Gefährdung des Leistungsanspruchs muss ihre Ursache in der mangelnden Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten haben.767 Den Maßstab bilden objektive wirtschaftliche Gesichtspunkte unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung.768 Dabei kann sich die mangelnde Leistungsfähigkeit sowohl aus den Vermögensverhältnissen als auch aus sonstigen objektiven Gründen ergeben.769 Wegen der aus der mangelnden Leistungsfähigkeit folgenden Gefährdung des Leistungsanspruchs kann beim Vorleistungspflichtigen die Befürchtung bestehen, dass der Vertrag nicht geeignet ist, ihm die vom Vorleistungsberechtigten versprochene Leistung zu verschaffen. Eine Besonderheit besteht hier dabei darin, dass diese Partei vorleistungspflichtig ist. Die Vorleistungspflicht zeichnet sich

764 765 766 767 768 769

PWW/Stürner, § 321 BGB Rn. 2. PWW/Stürner, § 321 BGB Rn. 3. Jauernig/Stadler, § 321 BGB Rn. 5. BeckOK/Schmidt, § 321 BGB Rn. 11. BeckOK/Schmidt, § 321 BGB Rn. 11 m.w. N. HK-BGB/Schulze, § 321 Rn. 3; vgl. Ramming, ZGS 2003, 209, 210.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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dadurch aus, dass die Leistung der vorleistungspflichtigen Partei gegenüber derjenigen der anderen Partei früher fällig ist.770 Fürchtet der Vorleistungspflichtige in diesen Fällen, dass der Vorleistungsberechtigte die von ihm geschuldete Leistung nicht erbringen wird, hat er ein Interesse daran, sich davor zu schützen seinerseits die Leistung zu erbringen, ohne später die Gegenleistung zu erhalten.771 Hierzu bietet § 321 Abs. 1 BGB zunächst eine Möglichkeit, indem der Vorleistungspflichtige grundsätzlich berechtigt wird seine Leistung in Fällen der Leistungsgefährdung zu verweigern.772 Aber auch wenn eine Partei sich zur Vorleistung bereit erklärt, ist ihr Vertragsinteresse primär auf den zeitnahen Erhalt der ihr versprochenen Leistungen gerichtet. Das Leistungsverweigerungsrecht schützt den Vorleistungspflichtigen zwar davor, seinerseits leisten zu müssen ohne die Gegenleistung zu erhalten. Das Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung schützt es allerdings nur bedingt.773 Steht zu befürchten, dass der Schuldner dauerhaft zur Erbringung der Gegenleistung außerstande sein wird, kann der Vorleistungspflichtige deshalb ein Interesse an der anderweitigen Befriedigung seines Leistungsinteresses haben. Andererseits gilt es aus Sicht des Vorleistungspflichtigen zu vermeiden, dass er wider Erwarten am Ende auch von seinem ursprünglichen Vertragspartner noch die Leistung erhält, obwohl er sein diesbezügliches Interesse bereits anderweitig befriedigt hat. Ab dem Zeitpunkt, ab dem der Vorleistungspflichtige nicht mehr an den zeitnahen Erhalt der Leistung glaubt, wird er dementsprechend in der Regel auch kein Interesse daran haben, weiter am Vertrag festzuhalten. Vielmehr möchte er sich vom Vertrag lösen, um sein Interesse am Erhalt der Leistung anderweitig befriedigen zu können. II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung in den Fällen des Rücktrittsrechts nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten Das Lösungsinteresse des Vorleistungspflichtigen beim Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten hat seine Ursache, wie in den Regelfällen des § 323 BGB, in dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung. Anders als im Rahmen des § 323 BGB setzt das Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB allerdings nicht voraus, dass die andere Vertragspartei eine fällige und durchsetzbare Leistungspflicht nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht hat. Im Rahmen des Rücktrittsrechts aus § 321 Abs. 2 BGB tritt an diese Stelle die Gefährdung der Leistung des Vorleistungsberechtigten wegen dessen mangelnder Leistungsfähigkeit.

770 771 772 773

HK-BGB/Schulze, § 321 Rn. 2. Staudinger/Schwarze, § 321 BGB Rn. 1. Ramming, ZGS 2003, 209, 212. Und zwar in seiner Funktion als Druckmittel.

186 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Der Anwendungsbereich des § 321 Abs. 2 BGB ist auf Fälle beschränkt, in denen eine der Parteien vorleistungspflichtig ist.774 Indem der Gesetzgeber die Gefährdung der Leistung des Vorleistungsberechtigten an die Stelle der Nichtleistung bzw. nicht vertragsgemäßen Leistung stellt, soll den besonderen Umständen in Vorleistungsfällen Rechnung getragen werden.775 Durch die Gefährdung der Leistung des Vorleistungsberechtigten wird wie oben dargestellt das besondere, der Vorleistungspflicht zugrunde liegende Vertrauen des Vorleistungsverpflichteten beeinträchtigt. Wird die Gefährdung seines Leistungsanspruchs für den Vorleistungsverpflichteten erkennbar, tritt an die Stelle von dessen Bestandsinteresse ein Lösungsinteresse. Das Lösungsinteresse soll sich nach Ansicht des Gesetzgebers aber nur dann gegenüber dem Bestandsinteresse des Vorleistungsberechtigten durchsetzen, wenn die betreffenden Umstände erst nach Vertragsschluss erkennbar wurden, denn andernfalls ist der Vorleistungsverpflichtete nicht schutzwürdig.776 1. Beständige Vorleistungspflichten In den Regelfällen der beständigen Vorleistungspflicht wird der Anspruch des Vorleistungspflichtigen erst nach der Erbringung der eigenen Leistung fällig.777 Die Verweigerung der geschuldeten Gegenleistung, die dem Vorleistungspflichtigen nach § 321 Abs. 1 BGB möglich ist, ist nicht geeignet das Interesse des Vorleistungspflichtigen an der von ihm begehrten Leistung zu befriedigen. Der Vorleistungspflichtige säße ohne die Regelung des § 321 Abs. 2 BGB also in einer „Zwickmühle“.778 Ein Rücktrittsrecht nach 323 BGB setzt grundsätzlich die Fälligkeit des eigenen Leistungsanspruchs voraus. Diese ist hier allerdings von der Erbringung der Gegenleistung abhängig. Die Gegenleistung will der Vorleistungspflichtige aber (berechtigter Weise, wie sich aus der Wertung des § 321 Abs. 1 BGB ergibt) wegen des Risikos der mangelnden Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten nicht erbringen.779 Der sich daraus ergebende Interessenkonflikt ist allerdings auf solche Fälle beschränkt, in denen der Vorleistungspflichtige noch nicht geleistet hat. Teilweise wird dem Vorleistungspflichtigen das Rücktrittsrecht aus § 321 Abs. 2 BGB auch dann zugestanden, wenn er seine Leistung bereits vollständig erbracht hat.780 Hat der Vorleistungspflichtige seine Leistung jedoch bereits erbracht, steht seine Vorleistungspflicht der Fälligkeit der ihm versprochenen Leistung 774 775 776 777 778 779 780

PWW/Stürner, § 321 BGB Rn. 2. Ramming, ZGS 2003, 209, 212. Ramming, ZGS 2003, 209, 210. MünchKommBGB/Emmerich, § 320 Rn. 19. Mossler, ZIP 2002, 1831, 1837. JurisPK/Beckmann, § 321 BGB Rn. 1. Palandt/Grüneberg, § 321 BGB Rn. 9.

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nicht mehr im Wege. Sofern die Fälligkeit der Nachleistung allein von der Erbringung der Vorleistung abhing, wäre nunmehr § 323 BGB anwendbar. Eines besonderen Rücktrittsrechts aus § 321 Abs. 2 BGB scheint es hier nicht zu bedürfen. Allerdings setzt § 323 BGB grundsätzlich auch den ergebnislosen Ablauf einer angemessen gesetzten Frist voraus. Sofern die Gefahr bestünde, dass sich das Vermögen innerhalb dieser Zeit derart verschlechtert, dass mit Ablauf der Frist nicht mehr mit der Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten zu rechnen ist, so ließe sich argumentieren, wird der Vorleistungspflichtige gleichwohl ein Interesse an der Rückerlangung seiner Leistung haben, woraus sich ein Interesse am Rücktrittsrecht aus § 321 Abs. 2 BGB ergeben könnte. Dies gilt erst recht für Fälle, in denen die Fälligkeit der Nachleistung nicht sofort mit der Erfüllung der Vorleistung eintritt, sondern darüber hinaus noch von weiteren Umständen abhängt. Man denke etwa an Abreden über die Fälligkeit von Entgeltzahlungen „nach Leistung und Rechnungsstellung“. Anders als in den Regelfällen des § 323 BGB kann sich der Vorleistungspflichtige, der seine Vorleistung bereits erbracht hat, für den Zeitraum, in dem die Frist läuft, auch nicht durch ein Verweigerungsrechts aus § 320 BGB schützen.781 Gleichwohl dürfte der Gesetzgeber das Rücktrittsrecht aus § 321 Abs. 2 BGB nur für die Fälle vorgesehen haben, in denen die Vorleistung noch nicht erbracht worden ist. Dafür spricht nicht nur die Systematik, nach der das Rücktrittsrecht in Abs. 2 unter die Voraussetzungen des Verweigerungsrechts nach Abs. 1 gestellt wird.782 Auch die Tatsache, dass § 321 Abs. 2 BGB gerade nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen das Leistungshindernis aus der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse folgt,783 spricht gegen die Annahme, dass das Rücktrittsrecht auch zum Schutz des Vorleistungspflichtigen bei erbrachter Vorleistung gedacht ist. Denn dadurch, dass sich die Leistungsgefährdung auch aus anderen Gründen ergeben können soll, wird deutlich, dass es beim Rücktrittsrecht wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten nicht primär um den Schutz vor der Gefahr einer Insolvenz des Vorleistungsberechtigten geht. Zudem stellt sich die Situation in Fällen, in denen der Vorleistungspflichtige bereits geleistet hat, nicht anders dar, als diejenige des Nichtvorleistungsverpflichteten, der gleichwohl seine Leistung vor der Leistung des anderen Teils erbringt und wo sich danach herausstellt, dass die Solvenz des anderen Teils fraglich ist. Hier wie dort muss diejenige Partei, welche bereits ihre Leistung erbracht hat, grundsätzlich zunächst eine Frist setzen und kann nicht wegen drohender Insolvenz zur Rettung der eigenen Leistung fristlos zurücktreten.784 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass ein Rücktrittsrecht

781 Zur begrenzten Sicherungsfunktion des § 320 BGB vgl. auch Herresthal, Jura 2008, 561, 565. 782 Kaiser, NJW 2010, 1254, 1256. 783 BeckOK/Schmidt, § 321 BGB Rn. 6. 784 So im Ergebnis auch BeckOK/Schmidt, § 321 BGB Rn. 19.

188 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

nach § 321 Abs. 2 BGB – entgegen der etwa von Schwarze785 vertretenen Ansicht – nach der gesetzgeberischen Konzeption wohl nicht in Betracht kommt, wenn die Vorleistung bereits erbracht wurde.786 Der Regelung des § 321 Abs. 2 BGB liegt dementsprechend die Wertung zugrunde, dass der Vorleistungsverpflichtete nicht sehenden Auges zu einer verlustträchtigen Vermögensdisposition gezwungen werden soll, für die er kaum hoffen kann, vom Vorleistungsberechtigten den gewünschten Gegenwert zu erhalten.787 2. Unbeständige Vorleistungspflichten Bei unbeständigen Vorleistungspflichten sind die Fälligkeitstermine unabhängig voneinander, derjenige des Vorleistungspflichtigen zeitlich allerdings vor demjenigen des Vorleistungsberechtigten.788 Eine den Fällen der beständigen Vorleistungspflichten entsprechende Zwickmühle besteht hier für den Vorleistungspflichtigen, der seinerseits noch nicht geleistet hat, nicht. Der Vorleistungspflichtige könnte bei einer unbeständigen Vorleistungspflicht vielmehr solange von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 321 Abs. 1 BGB Gebrauch machen, bis die Fälligkeit der Nachleistung diejenige der Vorleistung eingeholt hat. Ab diesem Zeitpunkt könnte der (ursprünglich) Vorleistungspflichtige sich für den Rücktritt grundsätzlich auf § 323 BGB stützen.789 Eine darüberhinausgehende Schutzbedürftigkeit des Vorleistungspflichtigen besteht im Rahmen der unbeständigen Vorleistungspflicht also nicht. Gleichwohl hat der Gesetzgeber nicht zwischen den Fällen der beständigen und der unbeständigen Vorleistung differenziert, sodass sich das Lösungsinteresse nach seiner Ansicht auch hier gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen können soll, obwohl es weder tatsächlich zu einer Pflichtverletzung gekommen ist noch eine entsprechende Schutzbedürftigkeit besteht. 3. Fristsetzung Ein gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegendes Lösungsinteresse wird vom Gesetzgeber allerdings erst dann angenommen, wenn der Vorleistungsverpflichtete dem Vorleistungsberechtigten in den Fällen der Leistungsgefährdung darüber hinaus eine angemessene Frist setzt, in welcher der Vorleistungsberech-

785

Staudinger/Schwarze, § 321 BGB Rn. 81. BGH, Urt. v. 08.10.1990 – VIII ZR 247/89 NJW 1991, 102; BeckOK/Schmidt, § 321 BGB Rn. 19. 787 Unberath, Vertragsverletzung, S. 361. 788 Staudinger/Schwarze, § 321 BGB Rn. 27. 789 In Betracht kommt freilich auch eine Klage auf Leistung Zug-um-Zug, Staudinger/Schwarze, § 321 BGB Rn. 278; BGH, Urt. v. 11.07.1989 – XI ZR 61/88, NJW-RR 1989, 1356. 786

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tigte nach seiner Wahl Zug-um-Zug gegen die Leistung des Vorleistungsberechtigten die seinerseits geschuldete Leistung erbringt oder eine Sicherheit leistet. Mit der Erbringung der vom Vorleistungsberechtigten geschuldeten Leistung entfällt das vom Gesetzgeber unterstellte Rücktrittsinteresse des Vorleistungspflichtigen, welches sich schließlich aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung ergibt. Ein das Bestandsinteresse überwiegendes Lösungsinteresse kommt hier nicht in Betracht. Sofern der Vorleistungsberechtigte Sicherheit leistet, wird zwar nicht gewährleistet, dass der Vorleistungsverpflichtete die ihm versprochene Leistung tatsächlich auch erhält. Allerdings wird damit das besondere Risiko der Vorleistung insofern minimiert, als dass es nicht mehr dazu kommen kann, dass der Vorleistungspflichtige am Ende die von ihm geschuldete Leistung völlig ohne Kompensation erbringt. Da hierdurch zumindest das Insolvenzrisiko für den Vorleistungspflichtigen ausgeschlossen wird, ist ihm die Vorleistung nach Ansicht des Gesetzgebers im Übrigen zuzumuten. Mangels besonderer Schutzbedürftigkeit des Vorleistungsverpflichteten wird das Lösungsinteresse in derartigen Fällen nicht höher gewichtet als das Bestandsinteresse des Vorleistungsberechtigten. III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten Ursächlich für das Lösungsinteresse in den Fällen des § 321 Abs. 2 BGB ist die auf nachträgliche Umstände gestützte Befürchtung des Vorleistungspflichtigen, seinerseits die geschuldete Leistung erbringen zu müssen, obwohl der Vertrag sich zur Befriedigung seiner Interessen als ungeeignet erweisen könnte. Da für die Beurteilung der Frage nach der mangelnden Leistungsfähigkeit auf objektive Umstände abzustellen ist, erweist sich die Annahme des Vorleistungspflichtigen unter den Voraussetzungen des § 321 BGB auch objektiv als gerechtfertigt, sodass das Vorliegen der Umstände, welche der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegen, hier auch im Einzelfall gewährleistet wird. Da der Grund für das Lösungsinteresse die durch die mangelnde Leistungsfähigkeit des Schuldners indizierte Gefährdung des Gegenleistungsanspruchs ist, ist dem Schuldner die Ursache des Lösungsinteresses auch zurechenbar. Die im Vergleich zum Rücktrittsrecht nach § 323 BGB abweichenden Voraussetzungen des Rücktrittsrechts nach § 321 Abs. 2 BGB ergeben sich vornehmlich aus der speziellen Situation in Vorleistungsfällen. Zunächst ist im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB keine konkrete Verletzung der Leistungspflicht für den Rücktritt erforderlich. Stattdessen wird lediglich die mangelnde Leistungsfähigkeit des Vertragspartners des Vorleistungspflichtigen vorausgesetzt, aus der eine Gefährdung des Leistungsanspruchs folgen muss. Wie auch beim § 323 Abs. 4 BGB reicht für das Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB also bereits die Gefahr einer Pflichtverletzung aus.

190 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Abweichungen zwischen dem Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 4 BGB und demjenigen aus § 321 Abs. 2 BGB ergeben sich allerdings hinsichtlich des Prognosemaßstabs. Während für das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB die Offensichtlichkeit des Eintritts der Rücktrittsvoraussetzungen erforderlich ist, reicht für das Rücktrittsrecht aus § 321 Abs. 2 BGB die bloße Gefährdung des Leistungsanspruchs aus. Daraus könnte man schließen, dass die Gewichtung des Bestandsinteresses im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB geringer ist, als im Rahmen des § 323 BGB. Allerdings lässt sich die besondere Berücksichtigung des Interesses des Vorleistungspflichtigen mit dem aus der Vorleistung folgendem besonderen Risiko rechtfertigen. Eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses in den Fällen des Rücktrittsrechts nach § 321 Abs. 2 BGB kommt in der Abweichung des Prognosemaßstabs zwischen § 323 Abs. 4 BGB und § 321 Abs. 2 BGB somit nicht zum Ausdruck.790 Zudem wird das Bestandsinteresse im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB durch die Fristsetzung des Vorleistungspflichtigen und die Möglichkeit zur Zug-um-Zug Erbringung der Leistung oder Sicherheit geschützt. Jedenfalls im Regelfall der beständigen Vorleistungspflicht lässt sich festhalten, dass auch § 321 Abs. 2 BGB ultima ratio für den Schutz des Interesses des Rücktrittsberechtigten ist. Wenn es sich bei der Vorleistungspflicht ausnahmsweise um eine unbeständige Vorleistungspflicht handelt, lässt sich die gesetzgeberische Interessenbewertung nicht entsprechend rechtfertigen.791 Hier wäre ein Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB nicht notwendig, da die Interessen des Vorleistungsverpflichteten in der Regel bereits durch das Leistungsverweigerungsrecht nach § 321 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Rücktrittsrechten aus § 323 BGB ausreichend geschützt wären. Auf die grundsätzliche Beurteilung der Gewichtung des Bestandsinteresses im Rahmen des Rücktrittsrechts nach § 321 BGB hat dies allerdings nur einen geringen Einfluss. Zunächst handelt es sich bei den Fällen der unbeständigen Vorleistungspflicht bereits um eher seltene Ausnahmen.792 Hinzu kommt, dass das Bestandsinteresse auch bei einer Beschränkung des Rücktrittsrechts aus § 321 Abs. 2 BGB auf beständige Vorleistungspflichten nur unwesentlich stärker geschützt wäre. Im Falle einer dahingehenden Beschränkung des § 321 Abs. 2 BGB wäre der Vorleistungspflichtige bei einer unbeständigen Vorleistungspflicht der Rücktritt zunächst verwehrt und er müsste sich stattdessen solange auf sein Zurückbehaltungsrecht beschränken, bis seine Vorleistungspflicht die Fälligkeit der Nachleistung eingeholt hat. Ab diesem Zeitpunkt wäre grundsätzlich der Weg über ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB frei. Das Verweigerungsrecht des Vorleistungsverpflichteten kann der Vorleistungsberechtigte nach § 321 Abs. 1

790

In diesem Sinne wohl auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 361. Denn eine unbeständige Vorleistungspflicht entfällt, wenn die Gegenleistung fällig wird, BGH, Urt. v. 11.07.1989 – XI ZR 61/88, NJW-RR 1989, 1356. 792 NK-BGB/Tettinger, § 320 Rn. 19. 791

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S. 2 BGB nur durch Bewirkung der Gegenleistung oder Sicherheitsleistung beseitigen. Unter diesen Voraussetzungen steht dem Vorleistungsberechtigten allerdings auch die Möglichkeit zu, das Rücktrittsrecht des Vorleistungsverpflichteten aus § 321 Abs. 2 BGB zu verhindern. Ob dem Vorleistungspflichtigen also ein Rücktrittsrecht oder ein Verweigerungsrecht mit anschließendem Rücktrittsrecht zusteht, dürfte insoweit keinen großen Unterschied machen. Allerdings bekommt der Vorleistungsberechtigte im Rahmen des § 323 BGB regelmäßig noch über den Fälligkeitszeitraum hinaus eine weitere Frist, in der er die Vertragsauflösung durch Erbringung der Leistung verhindern kann. Diese zusätzliche Frist wird dem Vorleistungsberechtigten bei einem Rücktrittsrecht des Vorleistungsverpflichteten nach § 321 Abs. 2 BGB genommen, ohne dass in den Fällen der unbeständigen Vorleistungspflicht eine ausreichende Rechtfertigung hierfür besteht. Jedoch gilt zu beachten, dass es sich bei den Fällen des § 321 Abs. 2 BGB um solche Konstellationen handelt, bei denen die Leistungserbringung durch den Vorleistungsberechtigten wegen mangelnder Leistungsfähigkeit gefährdet ist – also aus objektiver wirtschaftlicher Betrachtung das Risiko besteht, dass die Leistung vom Vorleistungsberechtigten nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht werden kann.793 Geht man entgegen der Ansicht des BGH794 davon aus, dass im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB nur dauerhafte Leistungsgefährdungen ausreichen,795 würde das bedeuten, dass das Rücktrittsrecht nach § 321 Abs. 2 BGB ohnehin auf Fälle beschränkt ist, in denen nach objektiver Beurteilung auch innerhalb der Frist nach § 323 Abs. 1 BGB die Leistung vermutlich nicht bzw. nicht vertragsgemäß erbracht werden wird. In diesen Fällen, in denen somit auch die Vertragsauflösung entsprechend wahrscheinlich ist, kommt dem Bestandsinteresse, da es sich auf Dauer ohnehin wohl nicht durchsetzen können wird, bereits rein tatsächlich ein geringeres Gewicht zu als üblich. Selbst durch die grundsätzliche Einbeziehung der Fälle von unbeständigen Vorleistungspflichten im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB kommt also zu keiner grundsätzlich geringeren Bewertung des Bestandsinteresses. Problematisch sind demnach ohnehin nur die Fälle, in denen das Leistungshindernis lediglich vorläufig ist. Wenn man diese Fälle einbezieht, dann könnte es zu einem Rücktrittsrecht des Vorleistungspflichtigen nach § 321 Abs. 2 BGB in Fällen kommen, in denen der Vorleistungsberechtigte die Leistung zwar wahrscheinlich nicht zum Zeitpunkt der Fälligkeit erbringen kann, aber innerhalb einer daran anschließenden angemessenen Frist zur Leistungserbringung in der Lage wäre. Das setzt allerdings voraus, dass man sämtliche vorübergehende Leistungshindernisse, also auch solche, die bloß kurzfristig sind, für einen Rücktritt nach § 321 Abs. 2 BGB ausreichen lässt. In diesem Sinne ist die Rechtsprechung 793 794 795

PWW/Stürner, § 321 BGB Rn. 8. BGH, Urt. v. 11.12.2009 – V ZR 217/08, NJW 2010, 1272. Kaiser, NJW 2010, 1254, 1255.

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des BGH allerdings nicht zwangsläufig zu interpretieren. In seiner Entscheidung vom 11.12.2009 stellt der BGH nämlich darauf ab, dass die Leistung in dem konkreten Fall nicht „in absehbarer Zeit“ erfolgen würde.796 Dies betrifft Leistungshindernisse, die zwar nicht dauerhaft sind, bei denen aber gleichwohl die Gefahr besteht, dass die Leistung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen wird. Hier würde die Wertung eines Rücktrittsrechts aus § 321 Abs. 2 BGB gerade nicht mit der aus § 323 BGB in Konflikt stehen. Das Lösungsinteresse, das auch im Rahmen des § 321 Abs. 2 BGB aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung folgt, gebietet allerdings nicht, dass ein Rücktrittsrecht hier auch bei sehr kurzfristigen Leistungshindernissen besteht. Denn wenn lediglich die Gefahr besteht, dass die Leistung zwar nicht bei Fälligkeit erbracht wird, aber gleichwohl kurze Zeit darauf erfolgen wird, wird das Interesse des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Leistung gleichwohl im Wesentlichen befriedigt. Unter der Prämisse, dass sehr kurzzeitige Leistungshindernisse ausgeschlossen wären, würde also auch eine Anwendbarkeit des § 321 Abs. 2 BGB bei vorübergehenden Leistungshindernissen nicht bedeuten, dass das Bestandsinteresse im Rahmen des Rücktrittsrechts wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten geringer gewichtet wird als bei den sonstigen bisher dargestellten Rücktrittsrechten. Insgesamt lässt sich mit Blick auf die Interessenwertung beim Rücktrittsrecht wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten festhalten, dass auch hier dem Bestandsinteresse ein großes Gewicht zugemessen wird. Da das Rücktrittsrecht allerdings keine tatsächliche Pflichtverletzung voraussetzt, sondern bereits die Gefahr einer Pflichtverletzung ausreicht, ist die Gewichtung des Bestandsinteresses hier allerdings gleichwohl geringer als in den Fällen des Rücktritts nach § 323 Abs. 1 BGB.

E. Das Rücktrittsrecht wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB Gemäß § 438 Abs. 4 S. 3 kann der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten, sofern der Käufer von seinem Verweigerungsrecht nach § 438 Abs. 4 S. 2 BGB Gebrauch macht. Das Rücktrittsrecht nach § 438 Abs. 4 S. 3 BGB ist also auf die Fälle beschränkt, in denen der Käufer sich wirksam auf sein Leistungsverweigerungsrecht nach § 438 Abs. 4 S. 2 BGB berufen hat.797 Das Leistungsverweige796 797

BGH, Urt. v. 11.12.2009 – V ZR 217/08, NJW 2010, 1272 Rn. 17. Palandt/Weidenkaff, § 438 BGB Rn. 21.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

193

rungsrecht nach § 438 Abs. 4 S. 2 BGB wiederum gewährt dem Käufer bei einer mangelhaften Leistung des Verkäufers die Möglichkeit, die Zahlung des noch nicht erbrachten Kaufpreises auch dann zu verweigern, wenn ein Rücktritt wegen Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs gem. § 218 BGB unwirksam wäre.798 Die Berufung des Käufers auf die Einrede des § 438 Abs. 4 S. 2 BGB setzt die Leistung einer mangelhaften Kaufsache durch den Verkäufer voraus. Zudem gewährt sie dem Käufer nur die Möglichkeit, die Zahlung des noch nicht erbrachten Kaufpreises zu verweigern.799 In den Fällen des § 438 Abs. 4 S. 2 BGB hat der Verkäufer also seinerseits (wenngleich mangelhaft) geleistet, die Gegenleistung des Käufers hingegen noch nicht oder lediglich zu einem Teil erhalten. Die Geltendmachung der Einrede des Käufers aus § 438 Abs. 4 S. 2 BGB führt dazu, dass der Verkäufer seinen Anspruch auf (vollständige) Kaufpreiszahlung auch nicht durchsetzen können wird. Andererseits kann der Verkäufer die mangelhafte Kaufsache auch nach Geltendmachung der Einrede nicht zurück verlangen.800 In diesem Stadium hat der Vertrag für den Verkäufer einerseits zur Folge, dass er die Kaufsache verloren hat und andererseits den Kaufpreis nicht (vollständig) erhält.801 Der Verkäufer hat also seine Leistung (wenn auch mangelhaft) erbracht, jedoch wegen der Leistungsverweigerung keine Aussicht auf die (vollständige) Gegenleistung, die ihn überhaupt zum Vertragsschluss motiviert hat. Ein derartiges Ergebnis, was je nach Höhe des ausstehenden Kaufpreisteils eine starke Beeinträchtigung seines Interesses darstellen kann,802 führt dazu, dass der Verkäufer mitunter nicht weiter am Vertrag festhalten möchte. Da der Verkäufer keine Aussicht auf den Erhalt des vollständigen Kaufpreises hat, kann hier an die Stelle seines Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse treten. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse hat seine Ursache also darin, dass der Verkäufer als Gläubiger des Kaufpreiszahlungsanspruchs, den Zweck, welchen er mit dem Vertragsschluss verfolgt hat, wegen nachträglicher Umstände nicht (vollständig) verwirklichen kann. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB Das Rücktrittsrecht nach § 438 Abs. 4 S. 3 BGB ist für den sehr speziellen Fall vorgesehen, dass der Verkäufer (wegen des Rechts des Käufers zur Verweigerung der Kaufpreiszahlung trotz Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs bei 798 799 800 801 802

Palandt/Weidenkaff, § 438 BGB Rn. 21. Staudinger/Matusche-Beckmann, § 438 BGB Rn. 128 f. BeckOK/Faust, § 438 BGB Rn. 55. BeckOK/Faust, § 438 BGB Rn. 55. Erman/Westermann, § 438 BGB Rn. 38.

194 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

mangelhafter Leistung) einerseits die (mangelhafte) Kaufsache bereits geleistet hat, andererseits aber den Kaufpreis nicht (vollständig) bekommt. Der Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Interessenabwägung liegt darin, dass bereits der Käufer mit der mangelhaften Kaufsache nicht das bekommen hat, was ihm vertraglich versprochen wurde. Spätestens vom Zeitpunkt der Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs an ist der Vertrag aus Sicht des Käufers auch nicht mehr geeignet, sein Interesse am Erhalt der mangelfreien Leistung zu befriedigen. Wegen der aus § 218 BGB folgenden Unwirksamkeit eines etwaigen Rücktritts ist dem Käufer allerdings die Möglichkeit genommen, das daraus resultierende Lösungsinteresse zu befriedigen. Gleichwohl erkennt der Gesetzgeber das Interesse des Käufers an, die noch ausstehende Kaufpreiszahlung nicht in dem Wissen, dass die Mangelbeseitigung unterbleiben wird, zahlen zu müssen. Aus diesem Grund gewährt § 438 Abs. 4 S. 2 BGB dem Käufer in derartigen Konstellationen zumindest das Recht, die Zahlung des noch nicht erbrachten Kaufpreises zu verweigern. Mit der Verweigerung der Kaufpreiszahlung macht der Käufer allerdings deutlich, dass er nicht bereit ist für die empfangene mangelhafte Leistung die von ihm versprochene und noch nicht erbrachte Gegenleistung zu erbringen. Auch auf Seiten des Käufers manifestiert sich mit der Zahlungsverweigerung also ein (teilweises) Lösungsinteresse. Sofern der Verkäufer wegen der ausbleibenden Kaufpreiszahlung ein Lösungsinteresse hat, stehen seiner Befriedigung folglich keine schutzwürdigen Interessen der anderen Partei entgegen. Die Notwendigkeit zur Statuierung eines Rücktrittsrechts in den Fällen des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB ergibt sich aus den Besonderheiten der Regelung des § 438 Abs. 4 S. 1 und 2 BGB. Die Verjährung dient dazu Rechtsfrieden zwischen den Parteien zu schaffen.803 Wenn die Verjährungsfristen von gegenseitigen Ansprüchen – wie es beim Nacherfüllungsanspruch und dem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises der Fall ist – divergieren, kann das Ziel des Rechtsfriedens aber nicht erreicht werden, solange einer der Ansprüche (hier der Nacherfüllungsanspruch) verjährt ist, der Gegenanspruch (hier der Kaufpreiszahlungsanspruch) hingegen noch unverjährt fortbesteht.804 Denn in diesem Fall wirkt auch das Synallagma fort. Aus diesem Grund kann der Käufer auch dann die Zahlung des Kaufpreises noch verweigern, wenn der Nacherfüllungsanspruch bereits verjährt ist. Bis zum Zeitpunkt der Verweigerung der Kaufpreiszahlung hat der Verkäufer allerdings noch kein Interesse an der Loslösung vom Vertrag, denn sein Anspruch ist potentiell durchsetzbar. Sein Lösungsinteresse entsteht erst mit der Berufung des Käufers auf § 438 Abs. 4 S. 2 BGB. Ab diesem Zeitpunkt hat der Käufer sich allerdings (zumindest teilweise) bereits von seiner vertraglichen Pflicht entledigt, sodass – insbesondere weil der Käufer zusätzlich die mangel803 804

BGH, Urt. v. 6.11.2008 – IX ZR 158/07, NJW 2009, 1806. Staudinger/Matusche-Beckmann, § 438 BGB Rn. 130.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

195

hafte Sache hat – die Gefahr besteht, dass er nunmehr keine Veranlassung zu einer weiteren Vereinbarung der Vertragsauflösung hat. Da ein etwaiges Interesse des Käufers, die mangelhafte Kaufsache zu behalten, hier wegen seiner Zahlungsverweigerung bezüglich des ausstehenden Kaufpreises nicht schutzwürdig ist,805 wird das Lösungsinteresse des Verkäufers demgegenüber höher gewichtet. III. Beurteilung der Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB Wie bereits festgestellt, handelt es sich bei dem Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 438 Abs. 4 S. 3 BGB um eine Reaktion auf die besondere Konstellation, dass der Käufer eine mangelhafte Kaufsache erhalten hat, seine Gewährleistungsrechte bereits verjährt sind, dem Verkäufer jedoch noch unverjährte Ansprüche auf Kaufpreiszahlung gegen den Käufer zustehen. Hier soll der Käufer einerseits nicht gezwungen sein, den ausstehenden Kaufpreis zahlen zu müssen, obwohl er sich mit der mangelhaften Sache zufrieden geben muss. Ihm wird deshalb ein Leistungsverweigerungsrecht bezüglich des noch nicht gezahlten Kaufpreises zugestanden. Dabei besteht für den Verkäufer aber die Gefahr, dass der ausstehende Kaufpreis erheblich über das hinausgeht, was die Sache wegen des Mangels weniger Wert ist. Entspricht der ausstehende Kaufpreis dem mangelbedingten Minderwert der Kaufsache oder liegt er sogar darunter, wird der Verkäufer kein Interesse an der Auflösung des Vertrags haben – ein besseres Geschäft wird er im Zweifel nicht abschließen können. Hier wird der Verkäufer am Vertrag festhalten. Der Käufer muss sich dann mit der mangelhaften Sache arrangieren und unter Umständen sogar damit abfinden, dass er gleichwohl mehr gezahlt hat, als es dem objektiven Wert der Sache entspricht. Der von der Verjährung der Mängelgewährleistungsrechte bezweckte Rechtsfrieden wird in diesem Fall verwirklicht. Liegt der noch ausstehende Kaufpreis über dem mangelbedingten Minderwert, wird der Verkäufer mitunter ein Interesse daran haben, die mangelhafte Sache anderweitig zu einem dem objektiven Wert entsprechenden Preis zu veräußern. Der Käufer seinerseits hat kein berechtigtes Interesse daran die mangelhafte Leistung zu einem im Ergebnis geringeren Preis als dem objektiven Wert zu behalten. Sein Interesse am Bestand des faktisch durch die Verweigerung inhaltlich geänderten Vertrags ist nicht schutzwürdig. Das Rücktrittsrecht aus § 438 Abs. 4 S. 3 BGB erweist sich damit als Teil eines diffizilen Mechanismus zum Ausgleich der Parteiinteressen, in Fällen, in denen der von der Verjährung bezweckte Rechtsfrieden mit Äquivalenzinteressen 805

Staudinger/Matusche-Beckmann, § 438 BGB Rn. 130.

196 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

bei fortbestehendem Synallagma kollidiert. Bereits was den Anwendungsbereich betrifft, ist das Lösungsrecht des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB auf Ausnahmefälle beschränkt. Hinzu kommt, dass dem Lösungsinteresse des Lösungsberechtigten hier kein berechtigtes Bestandsinteresse des Lösungsgegners gegenübersteht. Die Ursache für das Lösungsinteresse des Lösungsberechtigten liegt in der Verweigerung des Lösungsgegners zur Kaufpreiszahlung. Wegen der berechtigten Verweigerung des Käufers, den ausstehenden Kaufpreis zu zahlen, erweist sich der Vertrag aus Sicht des Verkäufers zur Erreichung des angestrebten Zwecks ungeeignet. Dem Lösungsgegner ist die Ursache des Lösungsinteresses allerdings gleichwohl nicht uneingeschränkt zurechenbar, denn der Lösungsberechtigte hat in den Fällen des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB mit der mangelhaften Leistung wiederum die Ursache für die berechtigte Verweigerung des Lösungsgegners zur Zahlung des ausstehenden Kaufpreises verursacht. Da das Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen einredeweiser Verweigerung des Käufers zur Kaufpreiszahlung nach § 438 Abs. 4 S. 3 BGB nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überhaupt zum Tragen kommt und dem Lösungsinteresse insgesamt kein berechtigtes Bestandsinteresse entgegensteht, lässt sich aber auch hier ein grds. hohes Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses diagnostizieren.

F. Das Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB Nach § 508 S. 1 BGB kann ein Unternehmer von einem Teilzahlungsgeschäft wegen Zahlungsverzugs des Verbrauchers nur unter den in § 498 S. 1 BGB bezeichneten Voraussetzungen zurücktreten. Im Anwendungsbereich des § 508 S. 1 BGB, also bei Teilzahlungsgeschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern, werden durch die Bezugnahme auf § 498 BGB neben den regulären Rücktrittsvoraussetzungen zusätzliche, verschärfte Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht des Unternehmers aufgestellt.806 Als Verbraucher gilt gemäß § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Unternehmer ist nach § 14 BGB jede natürliche und juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, sofern sie bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. 806 BeckOK/Möller, § 508 BGB Rn. 4, der § 508 BGB deshalb nicht als eigenständiges Rücktrittsrecht einstuft.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

197

Teilzahlungsgeschäfte sind in § 506 Abs. 3 BGB als Verträge definiert, die die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung gegen Teilzahlung zum Gegenstand haben.807 Teilzahlung ist hierbei allerdings – entgegen dem missverständlichen Wortlaut – nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Gegenleistung des Verbrauchers in mehreren Raten zu erbringen ist.808 Gemeint sind an dieser Stelle vielmehr alle Situationen, in denen dem Verbraucher das Recht eingeräumt wird, das Entgelt für die Leistung ganz oder teilweise zu einem späteren Zeitpunkt als dem gesetzlichen Fälligkeitstermin zu erbringen.809 Teilzahlungsgeschäfte sind praktisch besonders relevante Fälle der Finanzierungshilfe.810 Dementsprechend sind als Teilzahlungsgeschäfte, wie aus § 506 Abs. 1 BGB folgt, nur solche Verträge erfasst, in denen der Zahlungsaufschub entgeltlich ist.811 Die für das Rücktrittsrecht bei Teilzahlungsgeschäften entsprechend geltenden Voraussetzungen des § 498 BGB sind grundsätzlich für die Gesamtfälligkeitsstellung bei Teilzahlungsdarlehen konzipiert. Bei der Anwendung auf Teilzahlungsgeschäfte besteht das Problem, dass Teilzahlungsgeschäfte, wie oben beschrieben, nicht auf Fälle beschränkt sind, in denen der Verbraucher die Gegenleistung in Raten zu zahlen hat.812 Zu den Voraussetzungen des § 498 BGB gehört dem Wortlaut nach allerdings, dass der Verbraucher sich mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen in Verzug befinden muss. Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich des § 508 S. 1 BGB sich gleichwohl nur auf Teilzahlungsgeschäfte im Sinne des § 506 Abs. 3 BGB erstreckt, bei denen die Parteien eine Tilgung der Schuld in Raten vereinbart haben.813 In derartigen Fällen soll der Unternehmer erst zurücktreten können, wenn sich der Verbraucher in qualifiziertem Ratenverzug befindet,814 er also mindestens mit – je nach Vertragslaufzeit – 10 % bzw. 5 % des Gesamtbetrags (also des Barzahlungspreises zuzüglich mitfi-

807

MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 12. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 58; Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2369; zur Frage, ob die Besonderheiten des Rücktrittsrechts bei Teilzahlungsgeschäften wegen des Verweises auf § 498 BGB auf Fälle beschränkt ist, in denen der Verbraucher die Gegenleistung in Raten zu leisten hat, sogleich. 809 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 12; Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2369. 810 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 2; zu den Zahlungsaufschüben im Einzelnen s. u. 811 Palandt/Weidenkaff, § 506 BGB Rn. 6; Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2369 f. 812 Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2374. 813 OLG Brandenburg, Urt. v. 22.01.1998 – 12 U 112/97, MDR 1998, 483 Rn. 5; in Fällen, in denen die Bezahlung des Barzahlungspreises nach Art. 247 § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EGBGB durch nur eine einzige Zahlung nach Leistungserbringung des Unternehmers erfolgt, sind stattdessen die allgemeinen Vorschriften anwendbar, Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 498 BGB Rn. 9. 814 NK-BGB/Müller, § 508 Rn. 2. 808

198 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

nanzierter Einmalkosten)815 im Rückstand ist.816 Darüber hinaus muss der Unternehmer dem Verbraucher erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags setzen und hierbei erklären, dass er bei Nichtzahlung innerhalb der gesetzten Frist vom Vertrag zurücktreten werde. § 508 BGB stellt für das Rücktrittsrecht des Unternehmers wegen Verzugs des Verbrauchers bei Teilzahlungsgeschäften im Vergleich zum § 323 BGB verschärfte Bedingungen auf. Dies geschieht, indem die Voraussetzungen des § 323 BGB modifiziert werden, sodass sich die Umstände, aus denen sich das Lösungsinteresse nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB ergibt, grds. auch im Rahmen des § 508 BGB wiederfinden. Für die Begründung des Lösungsinteresses des Unternehmers lassen sich die Ausführungen zu § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB also im Wesentlichen übertragen. Bei Teilzahlungsgeschäften im Sinne des § 506 BGB gibt es allerdings die Besonderheit, dass der Vertrag zwei Komponenten aufweist. Einerseits verpflichtet der Unternehmer sich zur Erbringung der bestimmten (vertragscharakteristischen) Leistung gegen Entgelt. Zum anderen stundet er dem Verbraucher die Verpflichtung zur Entgeltzahlung, wofür er ein weiteres Entgelt verlangt.817 Wegen der Stundung des Entgelts für die vertragscharakteristische Leistung scheint es auf den ersten Blick fraglich, ob der Unternehmers in den Fällen des § 508 BGB überhaupt ein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung hat, aus dem sich das Lösungsinteresse ergeben kann. Dagegen lässt sich einwenden, dass man aus der Verschiebung des Fälligkeitszeitpunkts nicht schließen kann, dass es dem Unternehmer egal sei, wann die Gegenleistung erbracht wird. Vielmehr hat er sein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung im Interesse des Verbrauchers zurückgestellt818 – wofür der Verbraucher ihn schließlich vergütet. Auch bei einem Teilzahlungsgeschäft hat der Unternehmer also grds. ein Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung. Insofern kann man auch im Rahmen des § 508 BGB annehmen, dass der Unternehmer (als Gläubiger der Entgeltleistung) wegen seines Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung sein Interesse am Vertrag verlieren kann, sofern er davon ausgehen muss, dass der Verbraucher die Leistung nicht in absehbarer Zeit erbringen wird. Ein Unterschied besteht in den Fällen des § 508 BGB allerdings dadurch, dass der Unternehmer, indem er die Leistung des Verbrauchers gestundet hat, zumindest teilweise in Vorleistung getreten ist und dementsprechend das Insolvenzrisiko des Verbrauchers trägt. Die Frage nach der Solvenz des Verbrauchers ist in den Fällen des Teilzahlungsgeschäfts also von besonderer Bedeutung für den Unternehmer.819 Bleiben Raten des Verbrauchers aus, könnte der Grund dafür in 815 816 817 818 819

Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 376. Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2374. MünchKomm/Schürnbrand, § 506 Rn. 25. Hierzu bereits oben, Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 498 BGB Rn. 3.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

199

der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Verbrauchers liegen. Bei Zweifeln an der Solvenz des Verbrauchers wird der Unternehmer ein Interesse daran haben, sein eigenes Risiko zu minimieren. Die Möglichkeit zur bloßen Kündigung der Teilzahlungsabrede nach § 498 BGB820 und die daraus resultierende Gesamtfälligkeitstellung der Forderunge genügen zur Risikominimierung indes nicht. Das Risiko des Unternehmers entspringt aus der vertraglich vereinbarten und in den Fällen des § 508 BGB bereits erfüllten Vorleistungspflicht. Die durch seine Leistung erfolgte Vermögensverschiebung wird allerdings durch den Vertrag gerechtfertigt, sodass die Risikominimierung letztlich die Vertragsbeseitigung erfordert. Da sich das Lösungsinteresse in den Fällen des § 508 BGB nicht ausschließlich aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung ergibt, sondern auch aus dem Interesse an der Risikominimierung, wird der Gläubiger dort, anders als in den Regelfällen des § 323 BGB, oftmals nicht auch nach dem Ausbleiben der Leistung trotz Fälligkeit weiter am Vertrag festhalten wollen. Während in den Regelfällen des § 323 BGB aus Sicht des Gläubigers ein Festhalten am Vertrag trotz Nichtleistung nach Fälligkeit zunächst weiterhin als die beste Möglichkeit zur Befriedigung des Interesses am zeitnahen Erhalt der Leistung erscheinen wird,821 dürfte das Ausbleiben der Leistung trotz Fälligkeit in den Konstellationen, in denen der Gläubiger das Insolvenzrisiko des Verbrauchers trägt, diesen mitunter zu einem früheren Zeitpunkt zur Vertragsbeendigung bewegen.822 Es lässt sich somit festhalten, dass zwar auch in den Fällen des § 508 BGB ein Interesse des Unternehmers am zeitnahen Erhalt der Leistung besteht. Das Lösungsinteresse entsteht gleichwohl oft bereits zu einem früheren Zeitpunkt, als in den Regelfällen des § 323 BGB. Denn im Rahmen des § 508 BGB besteht aus Sicht des Unternehmers zusätzlich ein besonderes Interesse an der Risikominimierung, welches gegen ein weiteres Abwarten auf die Vertragserfüllung nach einem Verzug des Verbrauchers spricht. II. Die gesetzgeberische Interessenbeurteilung beim Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB Das Rücktrittsrecht des Unternehmers wegen Verzugs des Verbrauchers steht bei Teilzahlungsgeschäften unter verschärften Voraussetzungen. Nach der gesetzgeberischen Gewichtung soll sich das Lösungsinteresse des Unternehmers also nicht bereits unter den Voraussetzungen des § 323 BGB gegenüber dem Bestandsinteresse des Verbrauchers durchsetzen können, sondern vielmehr erst dann, wenn diejenigen des § 498 BGB erfüllt sind. 820 821 822

Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, 508 BGB Rn. 3. s. o., Kapitel 2, § 5, A.I.1.a). MünchKommBGB/Schürnbrand, § 498 Rn. 1.

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Anstelle der bloßen Nichtleistung trotz Fälligkeit des Verbrauchers erfordert das Rücktrittsrecht nach § 508 BGB, dass sich dieser in qualifizierter Weise im Verzug nach § 286 BGB befindet.823 Damit der Gesetzgeber das Lösungsinteresse des Unternehmers als gegenüber dem Bestandsinteresse des Verbrauchers gewichtiger ansieht, muss die Pflichtverletzung des Verbrauchers also in doppelter Hinsicht (zwei aufeinander folgende Raten und mindesten 10 % bzw. 5 % des Gesamtbetrags) ein Mindestmaß an Schwere aufweisen, die über die Unerheblichkeit nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB hinausgeht. Durch die Umstände, die diese besondere Schwere der Pflichtverletzung kennzeichnen, wird einerseits das konkrete Gewicht des Bestandsinteresses vom Verbraucher gemindert. Andererseits wird das Lösungsinteresse des Unternehmers hierdurch gestärkt, denn es steht nicht nur ein nicht unerheblicher Teil des Gesamtbetrags aus. Vielmehr wartet der Gläubiger auf Teile der ausstehenden Summe bereits über einen Ratenzyklus. Indem der Gesetzgeber für das Rücktrittsrecht nach § 508 BGB auch den Zeitraum, in dem die vom Unternehmer zu setzende Frist angemessen ist, auf zwei Wochen festlegt, konkretisiert er den Zeitraum, den Abzuwarten für den Gläubiger einerseits zumutbar ist und der andererseits in der Regel ausreicht, damit der ernsthaft an der Vertragsdurchführung interessierte Schuldner die Leistung erbringen kann. Verstreichen die zwei Wochen erfolglos, soll dem Unternehmer ein weiteres Abwarten nicht zumutbar sein – sein Lösungsinteresse ist also von besonderem Gewicht. Andererseits hatte der Verbraucher ausreichend Zeit zur Nachholung der geschuldeten Leistung, die er ungenutzt verstreichen lassen hat, sodass sein konkretes Bestandsinteresse geringer zu gewichten ist. Als weitere Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht statuiert § 508 BGB, dass der Unternehmer dem Verbraucher den Rücktritt für den Fall der Nichtleistung innerhalb der Frist androht. Dadurch soll dem Verbraucher zusätzlich die Bedrohlichkeit der Situation vor Augen geführt und verdeutlicht werden, dass es sich um seine letzte Chance zur Rettung des Vertrags handelt.824 Hierdurch wird sein Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrags über die einfache Fristsetzung hinaus erschüttert. Lässt er die Frist gleichwohl erfolglos ablaufen, reduziert sich das Gewicht seines Bestandsinteresses zusätzlich. Insgesamt kommt in § 508 BGB die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass ein Unterliegen des Bestandsinteresses eines Verbrauchers gegenüber dem Lösungsinteresse eines Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 506 Abs. 3 BGB erst anzunehmen ist, wenn neben denjenigen nach § 323 BGB weitere Umstände vorliegen, die einerseits eine höhere Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses und andererseits eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses rechtfertigen. 823 824

NK-BGB/Müller, § 508 Rn. 2. MünchKommBGB/Schürnbrand, § 498 Rn. 16.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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Die Beschränkung auf Fälle, in denen der Gläubiger als Unternehmer und der Schuldner als Verbraucher agieren, bedeutet einerseits, dass der Gesetzgeber das generelle Lösungsinteresse eines unternehmerisch handelnden Gläubigers in den Fällen des Teilzahlungsgeschäfts geringer gewichtet als eines sonstigen Gläubigers und das generelle Bestandsinteresse eines in der Eigenschaft als Verbraucher handelnden Schuldners für besonders schutzwürdig erachtet. Dies lässt sich mit Blick auf die besondere Situation beim Teilzahlungsgeschäft erklären. Wie oben aufgezeigt, entspringt das Lösungsinteresse des Gläubigers in den Fällen, in denen Raten des Schuldners beim Teilzahlungsgeschäft ausbleiben, nicht vorwiegend seinem Interesse am zeitnahen Erhalt der Leistung, sondern einem Interesse an Risikominimierung. In diesen Konstellationen wird der Gläubiger bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Lösungsinteresse haben, um sich vor finanziellen Gefahren zu schützen. Das betrifft insbesondere solche Fälle, in denen der Gläubiger professionell tätig ist, da solche Gläubiger in besonderem Maße auf Risikominimierung bedacht sind und deshalb häufig ohne zu zögern bei Zahlungsverzug zur Vertragsauflösung greifen mögen. Dadurch, dass der Gesetzgeber das Vertragslösungsrecht unter strengere Voraussetzungen stellt, wird verhindert, dass der Gläubiger den Vertrag bereits frühzeitig auflösen kann. Dieser besondere Schutz des Schuldners auf Kosten des Gläubigerinteresses in Unternehmer-Verbraucher-Konstellationen dient dazu, das Interesse des Verbrauchers an der Nutzung der Ware sicherzustellen und zu verhindern, dass dem Verbraucher bereits bei einer kurzfristigen, vorübergehenden Störung seiner Zahlungsfähigkeit die Sache entzogen wird.825 Rechtfertigen lässt sich dies damit, dass aus privater Motivation handelnde Schuldner mitunter weder ihre eigene Leistungsfähigkeit noch die grundsätzlich erheblichen Konsequenzen von auch nur kurzfristigen Zahlungsverzögerungen überblicken können.826 Auf der anderen Seite sind unternehmerische Kreditgeber wegen ihrer geschäftlichen Erfahrung für gewöhnlich in der Lage die Leistungsfähigkeit ihrer Vertragspartner sehr präzise einzuschätzen. Kontrahieren sie mit einem Verbraucher, dessen Leistungsfähigkeit fraglich ist, gehen sie freiwillig ein Risiko ein, dessen sie sich nicht bei den ersten Anzeichen von Zahlungsschwierigkeiten durch den Rücktritt vom Vertrag wieder entledigen können sollen, da sie hierdurch die Lage des Verbrauchers in der Regel noch zusätzlich verschlechtern würden. Die Geringergewichtung des unternehmerischen Lösungsinteresses hat ihre Ursache also in einer aus dem Vertragsschluss resultierenden Verantwortung des regelmäßig erfahreneren Kreditgebers für den häufig unerfahreneren privat handelnden Kreditnehmer. Was Beschränkung auf Fälle angeht, in denen die unternehmerische Leistung bestimmt ist, dient diese Voraussetzung dazu, die Teilzahlungsgeschäfte von solchen Fällen abzugrenzen, in denen dem Verbraucher vom Unternehmer lediglich 825 826

BT-Drucks. 11/5462 S. 28. NK-BGB/Müller, § 508 Rn. 1.

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ein bestimmter Kreditrahmen eingeräumt wird, in denen der Verbraucher beliebig Waren oder Dienstleistungen erwerben bzw. beanspruchen kann.827 In derartigen Konstellationen ist, da es sich um Dauerschuldverhältnisse handelt, an Stelle des Rücktritts nach § 508 BGB die Kündigung gemäß § 498 BGB einschlägig.828 Mit Blick auf die gesetzgeberische Interessenbewertung im Rahmen des Rücktrittsrechts des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB lässt sich also festhalten, dass das generelle Lösungsinteresse hier im Vergleich zum Regelfall des § 323 BGB geringer gewichtet wird und das Bestandsinteresse hingegen von sogar höherem Gewicht ist, da der Gesetzgeber dem unternehmerisch tätigen Kreditgeber wegen dessen häufig größeren Erfahrung eine Verantwortung für den oft weniger erfahrenen Verbraucher überträgt. III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften nach § 508 BGB Die Ursache für das objektivierte Lösungsinteresse im Rahmen des § 508 BGB ist das – wegen nachträglicher Umstände eintretende – gesteigerte Interesse des Unternehmers zur Risikominimierung in Fällen, in denen er gegenüber dem Verbraucher in Vorleistung getreten ist. Mit dem Ausbleiben der Leistungen des Verbrauchers ist die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts auch objektiv deutlich gestiegen, sodass die Befürchtung des Unternehmers sachlich berechtigt ist. Liegen die Voraussetzungen des § 508 BGB vor, sind die Umstände die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegen somit auch im Einzelfall gegeben. Auch beim Rücktrittsrecht des Unternehmers bei Teilzahlungsgeschäften aus § 508 BGB entspringt das Lösungsinteresse des Gläubigers einer Pflichtverletzung des Schuldners, nämlich dem Ausbleiben von vereinbarten Zahlungen, sodass ihm das Lösungsinteresse auch zurechenbar ist. Wie auch im Rahmen des § 323 BGB reicht die bloße Pflichtverletzung für das Rücktrittsrecht aus § 508 BGB allerdings nicht aus, sondern es müssen weitere Voraussetzungen vorliegen, durch die sich die Gewichtung des Lösungsinteresses und des Bestandsinteresses verschiebt. Diese sind im Vergleich zu denjenigen Umständen nach § 323 BGB sogar verschärft. Es reicht etwa nicht ein irgendwie gearteter Verzug aus, sondern es muss ein im Sinne des § 498 BGB qualifizierter Zahlungsverzug vorliegen. Zudem bestimmt das Gesetz auch konkret wie lang die vom Gläubiger zu setzende Nachfrist sein muss. Mit 14 Tagen handelt es sich hierbei, vor allem da sie die Zahlung eines Entgelts betrifft, um eine – aus dem Blickwinkel der Angemessenheit – sehr großzügige Frist. Auch hierdurch wird das Bestandsinteresse auf Kosten des Lösungsinteresses beson827 828

Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 361. MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 12.

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ders geschützt. Eine besonders hohe Gewichtung des Bestandsinteresses ergibt sich auch daraus, dass der Gläubiger im Rahmen des § 508 BGB verpflichtet wird, dem Schuldner den Rücktritt nach erfolglosem Fristablauf mit der Fristsetzung anzudrohen um damit das Vertrauen des Schuldners auf den Fortbestand des Vertrags zusätzlich zu erschüttern und das Gewicht seines konkreten Bestandsinteresses zu verringern. Insgesamt kommt im Rahmen des § 508 BGB also eine noch stärkere Gewichtung des Bestandsinteresses zum Ausdruck, als dies bereits im Rahmen des § 323 BGB der Fall ist. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass es sich bei den Überlegungen zur besonderen Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern und zur Verantwortung von unternehmerischen Kreditgebern um eine starke und vom Einzelfall losgelöste Typisierung handelt. Denn hierdurch kommt es allenfalls in bestimmten Fällen zu einem besonderen Schutz des Bestandsinteresses, in denen ein solcher wertungsmäßig – etwa weil der Kreditnehmer nicht weniger erfahren ist als der Kreditgeber – überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Hierdurch wird das Gewicht des Bestandsinteresses aber insgesamt gestärkt und nicht gemindert.

G. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB in den Fällen des Bestimmungskaufs I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht des Verkäufers in den Fällen des Bestimmungskaufs nach § 375 Abs. 2 HGB Gemäß § 375 Abs. 2 HGB kann ein Verkäufer bei einem Bestimmungs- bzw. Spezifikationskauf nach § 323 BGB vom Vertrag zurücktreten, sofern der Käufer mit seiner Verpflichtung zur Spezifikation nach Abs. 1 in Verzug ist.829 Dem Titel des 2. Abschnitts des 4. Buches des HGB entsprechend ist der Anwendungsbereich des Rücktrittsrechts nach § 375 Abs. 2 HGB auf Handelskäufe beschränkt. Eine Definition des Handelskaufs enthält das Gesetz nicht. Aus den einzelnen Tatbeständen der §§ 373 ff. HGB und der Verweisungsvorschrift des § 381 Abs. 1 HGB lässt sich allerdings schließen, dass es sich bei Handelskäufen grundsätzlich um Kaufverträge gemäß § 433 BGB über bewegliche Sachen handelt, die zumindest für eine der Vertragsparteien ein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 HGB darstellen.830 Handelsgeschäfte nach § 343 HGB sind wiederum alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören. Die Bestimmungen über die Kaufmannseigenschaft finden sich in den §§ 1–7 HGB, deren Grundlage in der Regel das Betreiben eines Gewerbes ist.831 829 830 831

Baumbach/Hopt/Hopt, § 375 HGB Rn. 1. Jung, Handelsrecht, Kapitel 10, Rn. 1. Jung, Handelsrecht, Kapitel 2, Rn. 3.

204 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Ein Bestimmungskauf im Sinne des § 375 Abs. 1 HGB ist ein Handelskauf, bei denen die Parteien die Eigenschaften der Kaufsache beim Vertragsschluss nur zum Teil festgelegt und im Übrigen der späteren Bestimmung durch den Käufer vorbehalten haben.832 Für den Bestimmungskauf erklärt § 375 Abs. 1 HGB die Spezifikation zur Hauptleistungspflicht des Käufers. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers beim Bestimmungskauf betrifft Fälle, in denen der Käufer zur Spezifikation der Kaufsache nach § 375 Abs. 1 HGB verpflichtet ist und er diesem Anspruch des Verkäufers trotz Fälligkeit nicht nachkommt. Die Spezifikation ist Voraussetzung für die Abwicklung des Kaufvertrags.833 Dass der Gesetzgeber die Spezifikation im Rahmen des Handelskaufs zur Hauptleistungspflicht macht, lässt darauf schließen, dass das Interesse des Verkäufers an der Spezifikation in derartigen Fällen als besonders gewichtig angesehen wird.834 Das besondere Gewicht des Interesses an der Spezifikation hat seine Ursache in dem im Bereich des Handelsverkehrs unterstellten generellen Interesse an der beschleunigten Vertragsabwicklung.835 Bis zur Spezifikation könnte die vertragliche Bindung den Verkäufer etwa dazu nötigen, Lagerkapazitäten für die Vertragsdurchführung bereitzuhalten. 836 Das gilt für den Bestimmungskauf insbesondere deshalb, weil der Verkäufer hier bis zur Spezifikation seine konkrete Verpflichtung nicht kennt und sich auf mögliche Eventualitäten einstellen muss. Um dem besonderen Interesse an der beschleunigten Vertragsdurchführung Rechnung zu tragen, räumt der Gesetzgeber dem Verkäufer in § 375 Abs. 2, 1. Fall BGB zunächst ein Selbstspezifikationsrecht ein.837 Aber die Selbstbestimmung und die danach erforderliche Erfüllung können mit zusätzlichen Aufwendungen verbunden sein, die der Verkäufer unter Umständen vermeiden will.838 Gerade weil der Käufer, wenn er die notwendige Spezifikation unterlassen hat, offensichtlich unzuverlässig ist, mag der Verkäufer sich auch nicht auf eine eventuell kostenintensive Vorbereitung der Vertragsdurchführung (Beschaffung und Bearbeitung der Ware) einlassen müssen.839 Anders als etwa beim Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1, 1. Fall BGB folgt das Lösungsinteresse des Verkäufers in den Fällen des Rücktrittsrechts beim Bestimmungskauf nicht aus dem Interesse am zeitnahen Erhalt der vom Vertragspartner 832

Jung, Handelsrecht, Kapitel 10, Rn. 4. Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. 834 MünchKommBGB/Grunewald, § 375 Rn. 2; Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. 835 Ebenroth/Boujong/Joost/Müller, § 375 HGB Rn. 4; MünchKommBGB/Grunewald, § 375 Rn. 2; Koller/Kindler/Roth, § 375 HGB Rn. 1; zur Schnelligkeit der Vertragsabwicklung als Charakteristika des HGB auch Schmidt, BB 2005, 837, 841; Koller/Kindler/Roth, Vor § 1 HGB Rn. 6. 836 MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 2. 837 Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. 838 Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. 839 MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 2. 833

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versprochenen Leistung, sondern aus der Kombination eines Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung einerseits und der Vermeidung von Kosten durch die Selbstspezifikation andererseits.840 In beiden Fällen wäre ein weiteres Festhalten am Vertrag geeignet, dem Verkäufer zusätzliche Kosten zu verursachen, die den Vertrag aus dessen Sicht wirtschaftlich unattraktiv machen. Mit Blick auf den Bestimmungskauf nach § 375 HGB kann also, sofern sowohl ein längeres Abwarten des Verkäufers auf die Bestimmung durch den Käufer als auch die Selbstspezifikation Kosten verursachen, die den Vertrag aus Sicht des Verkäufers wirtschaftlich unattraktiv machen,841 an die Stelle von dessen Bestandsinteresse ein Lösungsinteresse treten. Der Verkäufer möchte sich hier vom Vertrag lösen, da sich dieser für ihn wegen nachträglicher Umstände als zur vollständigen Interessenbefriedigung ungeeignet erweist. II. Die gesetzgeberische Interessengewichtung in den Fällen des Rücktrittsrechts beim Bestimmungskauf nach § 375 Abs. 2 HGB Bei § 375 Abs. 2 HGB handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung,842 sodass die Voraussetzungen des § 323 BGB auch für das Rücktrittsrecht in den Fällen des Bestimmungskaufs gelten. Dementsprechend stimmt auch die gesetzgeberische Interessengewichtung grundsätzlich mit denjenigen aus den dort aufgeführten Rücktrittsgründen überein. Nach den bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen würde das Unterlassen der Spezifikation aber lediglich eine Nebenpflichtverletzung des Käufers darstellen und damit allenfalls ein Rücktrittsrecht nach § 324 BGB begründen können.843 Dazu wäre erforderlich, dass dem Verkäufer wegen der nicht erfolgten Spezifikation ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar wäre. An die Unzumutbarkeit sind im Rahmen des § 324 BGB hohe Anforderungen gestellt, die in den Fällen der unterlassenen Spezifikation durch den Käufer häufig nicht erfüllt sein dürften. Indem § 375 Abs. 1 HGB die Spezifikation zur Hauptpflicht erklärt und dementsprechend an Stelle der Voraussetzungen des § 324 BGB diejenigen des § 323 BGB für das Rücktrittsrecht vorliegen müssen, soll sich das Lösungsinteresse des Verkäufers in diesen Fällen gegenüber dem Bestandsinteresse des Käufers durchsetzen, obwohl nach der Wertung des § 324 BGB das Bestandsinteresse obsiegen würde.844 Die Begründung dafür liegt in dem hohen Gewicht, das dem 840

Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. 842 MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 25. 843 MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 2. 844 Insofern zutreffend von einer Verbesserung der Rechtsstellung des Verkäufers im Vergleich zu den allgemeinen Regeln des BGB sprechend, MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 1. 841

206 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Interesse an der beschleunigten Vertragsdurchführung im Handelsverkehr zugeschrieben wird. Wie oben beschrieben können Verzögerungen bei der Vertragsdurchführung für den Verkäufer zu besonderen Kosten führen, die sein Lösungsinteresse rechtfertigen. Dass der Gesetzgeber die Spezifikation im Rahmen des Handelskaufs zur Hauptleistungspflicht des Käufers erklärt und dementsprechend ein Rücktrittsrecht nach den Voraussetzungen des § 323 BGB zulässt, liegt also an dem im Handelsrecht besonders gewichteten Interesse des Verkäufers an der schnellen Abwicklung des Vertrags.845 Allerdings könnte der Verkäufer sein Interesse an der zügigen Abwicklung des Vertrags durch die Selbstspezifikation befriedigen.846 Aus Sicht des Verkäufers spricht gegen die Selbstspezifikation allerdings, dass diese und die ihr folgende Erfüllung unter Umständen zusätzliche Aufwendungen erforderlich machen.847 Indem der Gesetzgeber den Verkäufer hier also zur Vertragsauflösung berechtigt, stellt er das Interesse des Verkäufers an der Vermeidung zusätzlicher Aufwendungen über das Bestandsinteresse des Käufers. Der Kaufmannseigenschaft liegt in der Regel der Betrieb eines Gewerbes zugrunde, was bedeutet, dass regelmäßig eine große Anzahl von Geschäften getätigt wird. Aus ökonomischer Sicht ist die Vermeidung von unnötigen Kosten bei Kaufleuten damit von besonderer Bedeutung. Die Vermeidung von unnötigen Kosten, auf der auch das besondere Gewicht des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung im Rahmen des § 375 HGB basiert, rechtfertigt nach Ansicht des Gesetzgebers die Wertung, dass sich das hieraus resultierende Lösungsinteresse des Verkäufers in den Fällen der unterlassenen Spezifikation gegenüber dem Bestandsinteresse des Käufers durchsetzen soll. Allerdings scheint die Rechtfertigung der besonderen Gewichtung des Verkäuferinteresses an der schnellen Vertragsabwicklung, auf die sich die besondere Berücksichtigung des Lösungsinteresses in den Fällen des Bestimmungskaufs stützt, bei näherer Betrachtung fraglich.848 Der Bestimmungskauf, der unter dem Titel Handelskauf geregelt ist, setzt voraus, dass der Vertrag für mindestens eine Partei ein Handelsgeschäft ist. Es muss sich also mindestens beim Verkäufer oder Käufer um einen Kaufmann handeln.849 Handelt es sich bei der als Kaufmann am Vertrag beteiligten Partei um den Verkäufer, lässt sich das Überwiegen von dessen Lösungsinteresses durchaus mit zuvor beschriebenen einem besonderen Gewicht des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung rechtfertigen. Zweifellos besteht dies auch unabhängig davon, ob der Käufer als Kaufmann handelt oder nicht. 845 846 847 848 849

Ebenroth/Boujong/Joost/Müller, § 375 HGB Rn. 5. Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 2. MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 3. MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 1.

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Zudem ist es auch zutreffend, dass ein Verkäufer selbst dann ein Interesse an der zügigen Vertragsabwicklungsabwicklung haben kann, wenn er kein Kaufmann ist.850 Es fällt allerdings schwer zu begründen, warum das Interesse an der zügigen Vertragsabwicklung in Fällen, in denen der Verkäufer als Privatperson handelt, je nachdem ob der Käufer als Unternehmer oder nicht handelt, anders zu gewichten sein soll. Sofern der Verkäufer als Privatperson mit einem Kaufmann als Käufer kontrahiert, soll sich sein Lösungsinteresse beim Bestimmungskauf wegen eines besonderen Gewichts des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung durchsetzen können.851 Wenn die Privatperson aber mit einer anderen Privatperson kontrahiert, ist § 375 Abs. 2 HGB nicht anwendbar – es bleibt hier also bis zur Grenze des § 324 BGB beim Grundsatz pacta sunt servanda, sodass sich das Interesse des Verkäufers an der zügigen Vertragsabwicklung nicht durchsetzen können wird.852 Dieses Ergebnis lässt sich letztendlich nur damit rechtfertigen, dass es in den Fällen, in denen der Verkäufer als Privatperson mit einem Kaufmann als Käufer kontrahiert, nicht das Lösungsinteresse des Verkäufers besonders zu gewichten ist, sondern sich vielmehr die Gewichtung des Bestandsinteresses des Käufers reduziert. Dementsprechendist Koch nicht zuzustimmen, soweit dieser annimmt, die Interessenlage hänge nicht vom Status der Parteien ab.853 Auch die Reduzierung des Bestandsinteresses lässt sich letztlich mit dem besonderen Gewicht des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung im Handelsverkehr begründen. Insofern wäre es nämlich wertungswidersprüchlich, wenn der Käufer sich als Kaufmann grundsätzlich auf das besondere Gewicht seines Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung stützen könnte, er aber in den Fällen, in denen er mit einer Privatperson kontrahiert, dessen Interesse an der zügigen Vertragsabwicklung nicht ebenfalls besonders berücksichtigen müsste. Dem Privileg des Kaufmanns, dass sein Interesse an der zügigen Vertragsabwicklung von besonderem Gewicht ist, steht dementsprechend auch die Verpflichtung gegenüber, selbst für eine zügige Abwicklung von Verträgen zu sorgen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, rechtfertigt dies eine reduzierte Gewichtung seines Bestandsinteresses.854 Indem der Käufer die Spezifikation trotz Fälligkeit unterlässt, verletzt er beim Bestimmungskauf eine Hauptleistungspflicht. Gleichwohl gilt auch hier die bloße Pflichtverletzung nach Ansicht des Gesetzgebers in der Regel noch nicht als ausreichend, damit sich ein etwaiges Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei durchsetzen kann. Vielmehr ist auch für das Rücktrittsrecht nach § 375 Abs. 2 HGB eine Fristsetzung, in diesem Fall die 850

MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 3. Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 4. 852 Generell kritisch zur Einbeziehung von Nichtkaufleuten in das Handelsrecht, Raisch, JuS 1967, 533, 535 und Schmidt, BB 2005, 837, 841. 853 Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 4. 854 So im Ergebnis wohl auch MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 3. 851

208 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Aufforderung zur Spezifikation innerhalb eines bestimmten Zeitraums bzw. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder besondere Umstände, aus denen sich eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung ergibt, erforderlich. Auch in den Fällen des Rücktrittsrechts nach § 375 Abs. 2 HGB ist es also notwendig, dass das Gewicht des Lösungsinteresses zusätzlich gestärkt und das des Bestandsinteresses vermindert wird, damit sich das Lösungsinteresse der einen Partei gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Partei durchsetzen kann. Nach dem Wortlaut des § 375 Abs. 2 HGB ist für das Rücktrittsrecht des Verkäufers beim Bestimmungskauf zudem erforderlich, dass der Käufer mit dieser Hauptleistungspflicht in Verzug ist. Umstritten ist, ob die Voraussetzung des Verzugs des Käufers hier bedeutet, dass dieser die Spezifikation nach § 286 Abs. 4 BGB schuldhaft unterlassen hat.855 Käme das Rücktrittsrecht nach § 375 Abs. 2 HGB nur dann in Betracht, wenn der Käufer das Unterlassen der Spezifikation zudem auch zu vertreten hat, hätte dies eine von den Rücktrittsrechten nach § 323 BGB abweichende Erschwerung für das Obsiegen des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse zur Folge. Ein Verschulden des Käufers für die Verzögerung der Spezifikation würde eine zusätzliche Abwertung seines konkreten Bestandsinteresses rechtfertigen. Wenn das Verschulden des Käufers Voraussetzung des Rücktrittsrechts des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB ist, bedeutet das für die gesetzgeberische Interessenbewertung, dass sich das Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse erst durchsetzen könnte, wenn neben die zur Abwertung des Bestandsinteresses führende ursprüngliche Pflichtverletzung und das Versäumen der zweiten Chance auch eine persönliche Verantwortlichkeit des Käufers tritt. III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB in den Fällen des Bestimmungskaufs Der Grund für das Lösungsinteresse des Verkäufers ist in den Fällen des § 375 Abs. 2 HGB, dass der Vertrag sich aus dessen Sicht wegen nachträglicher Umstände nicht zur vollständigen Befriedigung seiner Interessen geeignet erscheint. Verletzt der Käufer trotz Fristsetzung seine Spezifikationspflicht, ist die Annahme des Verkäufers auch objektiv berechtigt. Insofern gewährleisten die Voraussetzungen des § 375 Abs. 2 HGB, dass die Umstände, die der gesetzgeberischen Interessenbewertung zugrunde liegen, auch im Einzelfall einschlägig sind. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers nach § 375 Abs. 2 HGB setzt voraus, dass der Käufer die Spezifikation unterlässt, die nach § 375 Abs. 1 HGB eine seiner Hauptpflichten darstellt, sodass auch hier eine Pflichtverletzung Ausgangspunkt 855 Dagegen Baumbach/Hopt/Hopt, § 375 HGB Rn.10; MünchKommHGB/Grunewald, § 375 Rn. 26; Oetker/Koch, § 375 HGB Rn. 50; dafür Ebenroth/Boujong/Joost/ Müller, § 375 HGB Rn. 41; Koller/Kindler/Roth, § 375 HGB Rn. 5.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

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des Lösungsinteresses darstellt. Damit ist dem Rücktrittsgegner die Ursache des Lösungsinteresses auch in den Fällen des § 375 Abs. 2 HGB zurechenbar. Außerhalb des Handelskaufs stellt die Spezifikation eine Nebenpflicht dar, sodass ein auf die Verletzung dieser Pflicht gestütztes Rücktrittsrecht nur unter den Voraussetzungen des § 324 BGB bestünde. Dass sich das Lösungsinteresse in den Fällen des Bestimmungskaufs unter den Voraussetzungen des § 375 Abs. 2 HGB durchsetzen kann, obwohl die Voraussetzungen des § 324 BGB häufig nicht erfüllt sein werden, liegt daran, dass der Bestimmungskauf ein Handelskauf ist. Im Handelsverkehr kommt dem Interesse an der zügigen Vertragsabwicklung ein besonderes Gewicht zu. Ist der Verkäufer Kaufmann, führt das besondere Gesicht des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung zu einer Aufwertung seines konkreten Lösungsinteresses. Handelt der Käufer hingegen als Kaufmann, muss er sich das besondere Gewicht des Interesses an der zügigen Vertragsabwicklung entgegenhalten lassen, auf das er sich seinerseits grundsätzlich berufen kann. Das führt zu einer Reduzierung der Gewichtung seines konkreten Bestandsinteresses. Sind beide Parteien Kaufleute, so kommt es einerseits zur Aufwertung des konkreten Lösungsinteresses und zur Abwertung des konkreten Bestandsinteresses. Die Abweichung von der Interessenbewertung des § 324 BGB führt somit nicht zu einer grundsätzlich geringeren Gewichtung des Bestandsinteresses. Das gilt auch für die Tatsache, dass der Gesetzgeber es dem Verkäufer gestattet, sich vom Vertrag zu lösen, obwohl diesem die (wenngleich mitunter kostenintensivere) Möglichkeit zur Selbstspezifikation offen steht. Gerade die Vermeidung von unnötigen Kosten hat im Handelsverkehr wegen dessen Eigenheiten ein besonderes Gewicht. Dass der Gesetzgeber dem Verkäufer in den Fällen des Bestimmungskaufs neben der Möglichkeit der Selbstbestimmung auch ein Lösungsrecht gibt, bedeutet also allenfalls eine geringfügige Geringergewichtung des abstrakten Bestandsinteresses. Auch hier ist die Vertragsauflösung letztlich ultima ratio zur Befriedigung der Interessen des Verkäufers in den beschriebenen Fällen. Zudem erfordert die gesetzgeberische Interessenbewertung durch das Fristsetzungserfordernis bzw. die Umstände, aus denen sich die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ergibt, weitere Gründe, die zu einer Reduzierung des Gewichts des konkreten Bestandsinteresses sowie einer Aufwertung des konkreten Lösungsinteresses führen. Damit kommt auch im Rahmen des § 375 Abs. 2 HGB eine hohe Gewichtung des Bestandsinteresses zum Ausdruck. Gemäß der Ansicht, nach der das Rücktrittsrecht beim Bestimmungskauf zudem voraussetzt, dass der Käufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, wäre das Lösungsinteresse von einem weiteren Umstand abhängig, durch den das konkrete Bestandsinteresse gemindert würde. Hierdurch würde das abstrakte Bestandsinteresse zusätzlich gestärkt. In diesem Fall wäre die Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses im Rahmen des § 375 Abs. 2 HGB sogar als sehr hoch zu bewerten.

210 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Letztlich wird auch durch die Formulierung des § 375 HGB sichergestellt, dass das Lösungsrecht dem Verkäufer nur in denjenigen Fällen zusteht, in denen die gesetzgeberische Interessenbewertung rechtfertigenden Umstände auch vorliegen. Insgesamt lässt sich damit auch im Rahmen des Rücktrittsrechts des Verkäufers in den Fällen des Bestimmungskaufs nach § 375 Abs. 2 HGB ein hohes Gewicht des generellen Bestandsinteresses feststellen.

H. Das Rücktrittsrecht bei Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB Nach § 313 Abs. 3 BGB steht einer benachteiligten Partei ein Rücktrittsrecht zu, wenn eine Vertragsanpassung in den Fällen des § 313 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht möglich bzw. einer Vertragspartei unzumutbar ist.856 Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Vertragsanpassung grundsätzlich verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss für eine Vertragspartei, unter Berücksichtigung des Einzelfalls, in unzumutbarer Weise schwerwiegend verändert haben und die Parteien, sofern sie dies vorausgesehen hätten, den Vertrag nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen hätten. Nach § 313 Abs. 2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn sich wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, als falsch erweisen (sog. „Fehlen der Geschäftsgrundlage“)857. Das Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB setzt also zunächst eine schwerwiegende Änderung der Umstände respektive die Fehlerhaftigkeit wesentlicher Vorstellungen voraus, wobei die entsprechenden Umstände bzw. Vorstellungen Grundlage des Vertrags geworden sein müssen (sogenanntes „reales Element“ 858). Des Weiteren ist erforderlich, dass die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Änderung oder Fehlvorstellung nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten (sogenanntes „hypothetisches Element“ 859). Eine Aufrechterhaltung des Vertrags im ursprünglichen Zustand darf zudem für eine Partei des Vertrags unter Zugrundelegung der tatsächlichen Sachlage und Berücksichtigung des Einzelfalls nicht zumutbar sein (sogenanntes „normatives Element“ 860).

856 Die Vorschrift kodifiziert dabei ein von der Rechtsprechung auf Grundlage des § 242 BGB entwickeltes Rechtsinstitut, Zimmer, NJW 2002, 1, 11. 857 Jauernig/Stadler, § 313 BGB Rn. 26. 858 HK-BGB/Schulze, § 313 Rn. 14. 859 HK-BGB/Schulze, § 313 Rn. 14. 860 HK-BGB/Schulze, § 313 Rn. 15.

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Schließlich muss eine Vertragsanpassung entweder unmöglich oder zumindest einer Partei unzumutbar sein. Das Lösungsinteresse der einen Partei folgt im Rahmen des § 313 BGB aus der Änderung wesentlicher Umstände bzw. der Fehlerhaftigkeit wesentlicher Vorstellungen. Beim Vertragsschluss haben die Parteien in der Regel Vorstellungen von zahlreichen Umständen, ohne dass diese zum Gegenstand einer besonderen Vereinbarung gemacht werden.861 Diese Vorstellungen und Umstände können von den Parteien gleichwohl bei ihrer Entscheidung zum Abschluss des Vertrags zugrunde gelegt worden sein – unabhängig davon ob sich die Parteien konkret Gedanken über die Umstände gemacht haben oder nicht. Ihr Vorliegen bzw. ihr Eintreten wird also von mindestens einer Partei vorausgesetzt. Die Frage, ob es sich bei den veränderten Umständen bzw. fehlerhaften Vorstellungen tatsächlich um solche handelt, die aus Sicht einer Partei Grundlage des Vertrags geworden sind, lässt sich durch das hypothetische Element bestätigen. Denn nur wenn eine Partei die Umstände oder Vorstellungen dem Vertragsschluss zugrunde gelegt hat, wird ihre Änderung bzw. ihr Fehlen die Annahme rechtfertigen, dass der Vertrag bei Kenntnis der Änderung respektive Fehlvorstellung nicht wie erfolgt geschlossen worden wäre. Erweisen sich derart wesentliche Vorstellungen oder grundlegende Umstände als unzutreffend, wird dies regelmäßig zur Folge haben, dass der Vertrag – zumindest aus Sicht einer der Parteien – nicht geeignet ist, den mit ihm beabsichtigten Zweck zu erfüllen. Umstände, auf denen der Vertrag nicht basiert, oder Vorstellungen, die für den Vertragsschluss unwesentlich waren, hätten hingegen auch bei Kenntnis ihrer Änderung bzw. ihrer Fehlerhaftigkeit durch die Parteien keinen Einfluss auf den Vertragsschluss in seiner tatsächlich erfolgten Form gehabt. Ist der Vertrag aus Sicht einer Partei nicht geeignet, den beabsichtigten Zweck zu erfüllen, wird diese Partei kein Interesse daran haben, weiterhin am Vertrag festzuhalten. An die Stelle ihres Bestandsinteresses tritt dann ein Lösungsinteresse. Das Lösungsinteresse wird also in der Regel immer dann gegeben sein, wenn die Veränderung von Umständen oder die Fehlerhaftigkeit von Vorstellungen dazu führt, dass eine Partei bei Kenntnis der Sachlage den Vertrag (so) nicht geschlossen hätte. Anders ausgedrückt geht der Gesetzgeber immer dann von einem Lösungsinteresse einer Vertragspartei aus, wenn das reale und das hypothetische Element (welches sicherstellt, dass es sich bei den betreffenden Umständen und Vorstellungen um solche handelt, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind) vorliegen. In derartigen Konstellationen erweist sich der Vertragsschluss aus Perspektive einer der Parteien als zur Erreichung des mit dem Vertrag verfolgten Zwecks ungeeignet. Während die Gründe hierfür bei der schwerwiegenden Veränderung der Umstände nachträglich eintreten, sind sie in

861

MünchKommBGB/Finkenauer, § 313 Rn. 1.

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Fällen, in denen sich wesentliche Vorstellungen als falsch herausstellen, bereits anfänglich vorhanden. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB Für das Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB ist – neben der das Lösungsinteresse begründenden schwerwiegenden Änderung von grundlegenden Umständen bzw. der Fehlerhaftigkeit von wesentlichen Vorstellungen – das Vorliegen des normativen Elements sowie die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Vertragsanpassung erforderlich. Es ist zunächst also zu bestimmen, ob ein Festhalten am unveränderten Vertrag für die Partei, deren Bestandsinteresse sich in ein Lösungsinteresse gewandelt hat, unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar ist. Das normative Element beinhaltet eine Interessenabwägung. Ab wann das Lösungsinteresse konkret gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegt wird vom Gesetzgeber allerdings nicht festgelegt. Vielmehr wird mit der Unzumutbarkeit nur eine abstrakte Beschreibung der erforderlichen Schwelle für das Überwiegen angegeben. Diese ist allerdings, wie die Formulierung „nicht zugemutet werden kann“ zeigt, sehr hoch angesetzt. Zudem wird für ein Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit (auch) der Vertragsanpassung verlangt. Diese Voraussetzung garantiert, dass es sich bei der Loslösung vom Vertrag um die einzige Möglichkeit zur Befriedigung des Interesses derjenigen Partei handelt, die die von ihr mit dem Vertragsschluss beabsichtigten Zwecke nicht erfüllen kann. Ein das Bestandsinteresse schmälerndes Element ist im Tatbestand des § 313 BGB allerdings nicht vorgesehen. III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB Das Lösungsinteresse beim Rücktrittsrecht nach § 313 BGB ergibt sich daraus, dass sich der Vertragsschluss aus Perspektive der einen Partei als ungeeignet zur Erreichung des mit dem Vertrag verfolgten Zwecks erweist. Mit den objektiv zu bestimmenden Voraussetzungen hat der Gesetzgeber sichergestellt, dass ein konkretes Lösungsinteresse nur gegenüber dem Bestandsinteresse überwiegt, wenn die objektivierte Interessenbewertung auch im Einzelfall eine Loslösung vom Vertrag sachlich rechtfertigt. Umstände, derentwegen dem Rücktrittsgegner das Lösungsinteresse zurechenbar ist, setzt § 313 BGB allerdings nicht voraus. Mit der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag stellt der Gesetzgeber grundsätzlich hohe Anforderungen, damit ein überwiegendes Lösungsinteresse bejaht werden kann. Zudem kommt ein Rücktritt auch im Rahmen

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des § 313 Abs. 3 BGB nur als ultima ratio – nämlich wenn eine anderweitige Befriedigung des Interesses des Rücktrittsberechtigten nicht möglich ist – in Betracht.862 Das Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB setzt hingegen weder eine Pflichtverletzung voraus noch sind weitere Umstände erforderlich, aus denen sich eine Schwächung des konkreten Bestandsinteresses ergeben. Insgesamt weicht das Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB hinsichtlich der Gewichtung des Bestandsinteresses erheblich von den übrigen bisher dargestellten Rücktrittsgründen ab. Insoweit ist der Kritik von Hager zuzustimmen, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht als Rücktrittsgrund hätte ausgestaltet werden sollen.863

I. Das Rücktrittsrecht des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. 651a Abs. 5 S. 2 BGB I. Begründung des objektiven Lösungsinteresses beim Rücktritt des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB Bei Reiseverträgen steht dem Reisenden unter den in § 651a Abs. 5 S. 2 BGB genannten Umständen ein besonderes Rücktrittsrecht zu. Reiseverträge sind nach § 651a Abs. 1 BGB Verträge, bei denen sich eine Partei (der Reiseveranstalter) gegenüber der anderen Partei (die als Reisender bezeichnet wird) verpflichtet, eine Gesamtheit von Reiseleistungen (Reise) zu erbringen und der Reisende seinerseits verpflichtet ist, dem Reiseveranstalter einen vereinbarten Reisepreis zu zahlen. Auch im Reisevertragsrecht gilt der Grundsatz pacta sunt servanda, von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden darf.864 Bei Pauschalreisen, die in aller Regel weit vor deren Beginn vom Reiseveranstalter geplant und kalkuliert werden und bei denen häufig auch die Buchung langfristig erfolgt, besteht jedoch in besonderem Maße das Risiko, dass sich in der Zeit zwischen der Buchung und dem Reisebeginn Umstände ändern, sodass der Reiseveranstalter mitunter ein wesentliches Interesse daran haben kann, den Vertrag entsprechend anzupassen.865 Zwar sind die Möglichkeiten des Reiseveranstalters zur Durchsetzung von Vertragsanpassungen auf Grund der Vorgaben der Pauschalreise-Richtlinie866 erheblich eingeschränkt,867 sofern der Reiseveranstalter sich Änderungen 862

Michalski, JA 1979, 401, 407. Tilman Repken, Diskussionsbericht zum Vortrag von H. P. Westermann, JZ 2001, S. 543. 864 Staudinger/A. Staudinger, § 651a BGB Rn. 156. 865 Staudinger/A. Staudinger, § 651a BGB Rn. 156. 866 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni über Pauschalreisen. 867 MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 98. 863

214 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

bereits bei Vertragsschluss vorbehalten hat, sind sie unter bestimmten Umständen jedoch gleichwohl möglich.868 Neben Preisänderungen, für deren Zulässigkeit allerdings besondere Gründe i. S. d. § 651a Abs. 4 BGB vorliegen müssen,869 kommen diesbezüglich auch Änderungen der Reiseleistungen in Betracht. Treten Umstände auf, derentwegen der Reiseveranstalter zulässiger Weise eine Preiserhöhung verlangen oder Änderungen wesentlicher Leistungen vornehmen kann, muss dieser dem Reisenden, sofern er den Vertrag entsprechend anpassen will, unverzüglich ab Kenntnis der Umstände über die Anpassung informieren. Sofern die Vertragsanpassung erheblich ist – bei Preiserhöhungen, wenn diese 5 % des Reisepreises übersteigen – kann der Reisende nach § 651a Abs. 5 S. 2, 4 BGB vom Vertrag zurücktreten, sofern er den Rücktritt unverzüglich nach der Information über die Vertragsanpassung erklärt. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse des Reisenden hat seine Ursache hier in der erheblichen Vertragsänderung. Erhöht sich der Preis um mehr als 5 % oder ändern sich wesentliche Leistungen erheblich, ist es möglich, dass der Vertrag inhaltlich nicht mehr den Vorstellungen des Reisenden entspricht. Die Reise mag nunmehr aus Sicht des Reisenden zu teuer sein oder nicht mehr all die Leistungen bieten, wegen denen der Reisende sich zur Buchung der Reise entschlossen hat. Ist dies der Fall, kann der Reisende ein Interesse an einer anderweitigen Buchung einer Reise haben, die eher dem entspricht, was er sich vorgestellt hat, oder gar ganz auf eine entsprechende Reise verzichten wollen. An der ursprünglich gebuchten Reise mit dem geänderten Inhalt hat er dann allerdings kein Interesse, weshalb er auch nicht bereit ist, hierfür den von ihm zugesagten Reisepreis zu bezahlen. Die Vertragsanpassung kann, anders formuliert dazu führen, dass beim Reisenden an die Stelle des ursprünglichen Bestandinteresses ein Lösungsinteresse hinsichtlich des ursprünglichen Reisevertrags tritt. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Rücktrittsrecht des Reisenden vor Reiseantritt wegen erheblicher Vertragsänderungen gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB Das Rücktrittsrecht des Reisenden aus § 651a Abs. 5 S. 2 BGB steht zunächst unter der Voraussetzung, dass der Reiseveranstalter den wesentlichen Inhalt des Reisevertrags nach der Buchung erheblich geändert hat. Zunächst muss die Vertragsänderung also wirksam sein – was unter anderem einen zulässigen Änderungsvorbehalt voraussetzt, der sofern in Form von AGB vereinbart, strengen 868 Insbesondere müssen Änderungsvorbehalte in AGB mit den Vorgaben der §§ 305 ff. BGB standhalten (bei Änderungsvorbehalten bezüglich wesentlicher Reiseleistung ist insbesondere § 308 Nr. 4 BGB und bei Preisänderungsvorbehalten ist insbesondere § 309 Nr. 1 BGB zu berücksichtigen); hierzu auch Staudinger/A. Staudinger, § 651a BGB Rn. 157 ff.; MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 121; Kappus, Allgemeine Reisebedingungen, Rn. 10. 869 Hierzu ausführlich, MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 101 ff.

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

215

Voraussetzungen unterliegt.870 Des Weiteren muss die Änderung zentrale Teile des Vertrags betreffen – hierzu gehören neben dem Preis die wesentlichen Reiseleistungen, wie etwa die Beförderung871, die Unterkunft872 oder die Reisezeit873. Die Änderungen müssen darüber hinaus von einem gewissen Gewicht sein. Letzteres ist bei Preiserhöhungen der Fall, wenn diese über 5 % des ursprünglichen Reisepreises betragen. Die Erheblichkeit von Änderungen wesentlicher Reiseleistungen ist aus der Perspektive des Reisenden zu beurteilen874 und immer dann anzunehmen, wenn ein Leistungselement wegfällt, das für den Reisenden entscheidend für die Buchung war.875 Zudem muss der Reisende den Rücktritt unverzüglich erklären. Die Möglichkeit zur nachträglichen Erhöhung des vereinbarten Reisepreises oder der vom Reiseveranstalter zugesagten Reiseleistungen ist dem Interesse des Reiseveranstalters geschuldet, auf Veränderungen der Umstände in der regelmäßig relativ langen Zeit zwischen Buchung und Reisebeginn reagieren zu können. Zwar ist hierzu ein vertraglich vereinbarter Änderungsvorbehalt erforderlich, dem der Reisende somit auch zugestimmt haben muss, jedoch hat der Reisende den Vertrag mit dem konkret geänderten Inhalt nicht geschlossen, sodass sich das Bestandsinteresse des Reiseveranstalters als Lösungsgegner nach der Vertragsänderung nicht mehr im gleichen Maße auf das Vertrauen in die Vereinbarung stützen kann wie vor der Vertragsänderung. Das Bestandsinteresse des Reiseveranstalters ist hier demnach von geringerem Gewicht als in den Regelfällen, in denen der Grundsatz pacta sunt servanda gilt.876 Da der Reisende den Rücktritt zudem unverzüglich nach der Information über die Vertragsänderung erklären muss, ist sichergestellt, dass auf Seiten des Reiseveranstalters kein Vertrauen in den Bestand der geänderten Vereinbarung – wie es sich im Laufe der Zeit nach der Vertragsänderung einstellen könnte – entstehen kann. Auf der anderen Seite kann sich das Lösungsinteresse des Reisenden nach § 651a Abs. 5 S. 2 BGB nur dann gegenüber dem Bestandsinteresse des Reiseveranstalters durchsetzen, wenn zentrale Teile der Vereinbarung sich in erheblichem Maße ändern. Die Änderung von zentralen Vereinbarungen in erheblichem Maße führt dazu, dass das Lösungsinteresse in den von § 651a Abs. 5 S. 2 BGB erfassten Fällen besonders gewichtig ist. Das Rücktrittsrecht des Reisenden aus § 651a Abs. 5 S. 2 BGB 870

MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 101 ff. Wie etwa eine Änderung der eingesetzten Fluggesellschaft, vgl. MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 119. 872 BGH, Urt. v. 11.01.2005 – X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, mit Anm. Fischer, RRa 2005, 98, 98; und Schmidt, LMK 2005, 66, 66; Tonner, JZ 2005, 734, 734. 873 Etwa die Ankunft in der Nacht bei einer anschließenden mehrtägigen Busreise, vgl. LG Koblenz, Urt. v. 12.11.2003 – 12 S 164/03 RRa 2003, 260. 874 BGH, Urt. v. 11.01.2005 – X ZR 118/03, NJW 2005, 1047. 875 MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 118. 876 Fischer, RRa 2005, 98, 99. 871

216 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

kommt nach der gesetzgeberischen Interessengewichtung dementsprechend nur in Fällen in Betracht, in denen wegen der Umstände einerseits das konkrete Lösungsinteresse höher und das Bestandsinteresse andererseits geringer zu gewichten ist. III. Beurteilung der Regelung zum Rücktrittsrecht des Reisenden wegen einer erheblichen Vertragsänderung gem. § 651a Abs. 5 S. 2 BGB Die Ursache des Lösungsinteresses, das der Gesetzgeber dem Reisenden beim Rücktritt nach § 651a Abs. 5 S. 2 BGB zubilligt, liegt in der Änderung des Vertrags durch den Reiseveranstalter. Die Vertragsänderung führt dazu, dass sich der Vertragsschluss aus Sicht des Reisenden nachträglich als nicht geeignet erweist, das Ziel, das der Reisende mit ihm verfolgt hat, vollständig zu erreichen. Die Vertragsänderung setzt einen entsprechenden vertraglichen Änderungsvorbehalt voraus, sodass sie nicht als Pflichtverletzung des Reiseveranstalters zu qualifizieren ist. Gleichwohl hat der Reiseveranstalter als Lösungsgegner das Lösungsinteresse des Reisenden mit der in seinem Interesse liegenden Vertragsänderung zurechenbar verursacht. Indem das Lösungsinteresse des Reisenden sich nur bei Preiserhöhungen von über 5 % oder erheblichen Änderungen wesentlicher Reiseleistungen – also bei gewichtigen Änderungen zentraler Vertragsbestandteile – in Betracht kommt, wird gewährleistet, dass das Lösungsinteresse des Reisenden in den Fällen des § 651a Abs. 5 S. 2 BGB auch objektiv gerechtfertigt ist. Da der Reisende lediglich dem Vertragsänderungsvorbehalt, nicht jedoch dem konkret geänderten Vertrag zugestimmt hat, kann der Reiseveranstalter hinsichtlich des geänderten Vertrags nicht im gleichen Maße auf die Vereinbarung mit dem Reisenden vertrauen, wie dies in Hinblick auf den unveränderten Vertrag der Fall war – sein Bestandsinteresse ist daher geringer zu gewichten. Auf der anderen Seite ist das Lösungsinteresse des Reisenden, da der Vertragsinhalt in den Fällen des § 651a Abs. 5 S. 2 BGB bezüglich zentraler Bestandteile in erheblichem Maße geändert wurde, höher zu gewichten. Das Lösungsinteresse kann sich demnach auch nach der gesetzgeberischen Interessenabwägung im Rahmen des Rücktrittsrechts bei Reiseverträgen wegen Vertragsänderungen nur gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen, wenn im konkreten Fall einerseits Umstände eine besondere Gewichtung des Lösungsinteresses rechtfertigen und andererseits das Bestandsinteresse von geringerem Gewicht ist. Zudem sind die Fälle, in denen eine wirksame Vertragsänderung möglich ist (insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Hürden, die an eine entsprechende Änderungsvereinbarung in AGB geknüpft sind), sehr gering. Wegen des marginalen Anwendungsbereichs des § 651a Abs. 5 S. 1 BGB ist zudem auch das Rück-

§ 5 Das objektivierte Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht

217

trittsrechts des Reisenden aus § 651a Abs. 5 S. 2 BGB von geringer praktischer Bedeutung.877 Insgesamt lässt sich damit mit Blick auf das Rücktrittsrecht des Reisenden wegen erheblicher Vertragsänderungen nach § 651a Abs. 5 S. 2 BGB festhalten, dass hier dem abstrakten Bestandsinteresse ebenfalls ein sehr hohes Gewicht zugemessen wird. Nur weil die besonderen Umstände einerseits zu einer höheren Gewichtung des Lösungsinteresses des Reisenden und andererseits zu einer geringen Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses des Reiseveranstalters führen, kann sich das Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen. Zudem ist der Anwendungsbereich des Lösungsrechts auf eine geringe Anzahl von Konstellationen beschränkt.

J. Zusammenfassende Beurteilung der untersuchten Rücktrittsrechte Gemeinsam ist den hier behandelten Rücktrittsrechten zunächst die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses. Diese liegt darin, dass der Vertrag nicht so durchgeführt worden ist, wie es die Parteien vereinbart haben. Eine Ausnahme scheint insoweit nur bei § 313 BGB zu bestehen. Bedenkt man allerdings, dass sich in den dort geregelten Fällen immerhin die Vertragsgrundlage als unrichtig erweist bzw. nachträglich verändert, ist auch hier die Feststellung zutreffend, dass die Vertragsdurchführung, wenngleich im weitesten Sinne, nicht „wie vereinbart“ erfolgt.878 Die Ursachen des Lösungsinteresses liegen bei den untersuchten Rücktrittsrechten in der Regel879 in Umständen, die nach dem Vertragsschluss eintreten.880 Überwiegend handelt es sich um Fälle, in denen sich der Vertrag aus Sicht des Rücktrittsberechtigten objektiv als ungeeignet zur Erreichung des mit dem Vertragsschluss verfolgten Ziels entpuppt. Basierend auf den Überlegungen von Farnsworth881 unterscheidet Lorenz882 hinsichtlich des Lösungsinteresses des vertraglich Verpflichteten zwischen (anfänglich) „unerwünschten“ und (nachträglich) „bereuten“ Verträgen. Entsprechend dieser Differenzierung handelt es sich hier um bereute Verträge.883 877

MünchKommBGB/Tonner, § 651a Rn. 123. Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 330 879 Eine Ausnahme stellt insoweit lediglich das Rücktrittsrecht wegen Fehlen der Geschäftsgrundlage dar, s. o., Kapitel 2 § 5, H.III.; hierzu auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 52 und Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 23 f.; Kohler, AcP 2008, 417, 431. 880 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 51; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 15, 23; vgl. auch Stampe, JW 1921, 392, 392. 881 Farnsworth, Changing Your Mind, S. 21. 882 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 2 f. 883 Eine entsprechende Einteilung nimmt bereits Stampe vor, der zwischen Störungen im Vertragsschluss und Störungen in der Abwicklung des Vertrags unterscheidet, JW 1921, 392. 878

218 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

In den meisten zum Rücktritt berechtigten Konstellationen hat der Rücktrittsgegner zuvor eine vertragliche Pflicht verletzt.884 Dies trifft lediglich bezüglich des Rücktritts nach § 323 Abs. 4 BGB, § 321 Abs. 2 BGB, 313 Abs. 3 BGB, § 438 Abs. 4 S. 3 BGB und 651a Abs. 5 S. 2 BGB nicht zu. Abgesehen von den Rücktrittsrechten nach §§ 313 Abs. 3 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB ist im Übrigen bei den untersuchten Rücktrittsfällen jedenfalls die Verursachung des Lösungsinteresses ausschließlich dem Rücktrittsgegner zurechenbar.885 Überwiegend setzt die gesetzgeberische Interessenwertung zudem Umstände voraus, aus denen sich eine höhere Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses ergeben und durch die eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses gerechtfertigt ist. Sofern ausnahmsweise keine Umstände erforderlich sind, aus denen sich eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses ergibt, ist das Lösungsinteresse zumindest von besonders hohem Gewicht. Bei sämtlichen dargestellten Rücktrittsrechten wird durch die entsprechenden Voraussetzungen weitestgehend sichergestellt, dass auch im konkreten Einzelfall eine Vertragsauflösung nur möglich ist, wenn diese entsprechend der gesetzgeberischen Interessenbewertung sachlich berechtigt ist. Insgesamt lässt sich damit bei den unmittelbar auf § 346 BGB rekurrierenden Rücktrittsrechten feststellen, dass der Gesetzgeber bei der jeweiligen Interessenabwägung ein sehr hohes bis relativ hohes Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses zugrunde gelegt hat.

884

So bereits Stoll, AcP 1929, 141, 142, 166. Nicht verwechselt werden soll die zurechenbare Verursachung des Lösungsinteresses mit der Zurechenbarkeit der Pflichtverletzung, die, wie Unberath bereits zutreffend festgestellt hat, zu Recht gerade nicht für das Rücktrittsrecht relevant ist, Unberath, Vertragsverletzung, S. 371. 885

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

219

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse und die gesetzgeberische Interessengewichtung im Widerrufsrecht A. Das Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB Nach § 312g BGB steht einem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (kurz Außergeschäftsraumverträge886 oder auch Haustürgeschäfte887) ein Widerrufsrecht zu, sofern dies nicht nach Abs. 2 ausgeschlossen ist. Die Vorschrift dient der Umsetzung der VR-RiL, die in Art. 9 bestimmt, dass einem Verbraucher bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des Art. 2 Nr. 8 VR-RiL grds. eine Frist von 14 Tagen zusteht, in dem er den Vertrag ohne Angabe von Gründen widerrufen kann.888 I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB In situativer Hinsicht zeichnet sich ein Außergeschäftsraumvertrag nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB dadurch aus, dass der Vertragsschluss oder ein entsprechendes Angebot seitens des Verbrauchers an einem Ort erfolgt, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Als Geschäftsraum sind gem. § 312b Abs. 2 S. 1 BGB unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt, zu verstehen. Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, stehen nach § 312b Abs. 2 S. 2 BGB den Räumen des Unternehmers gleich. Aber auch bei Verträgen, bei denen der Vertragsschluss in den Geschäftsräumen oder per Fernkommunikationsmitteln erfolgt, kann es sich um einen Außergeschäftsraumvertrag handeln, sofern 886

Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 441. Die Bezeichnung Haustürgeschäfte geht zurück auf die alte Rechtslage, insbesondere das Haustürwiderrufsgesetz (HWiG). Doch bereits dort war die Bezeichnung als Haustürgeschäft ein pars pro toto, denn es wurden auch Fälle außerhalb von Haustürsituationen, wie etwa das Ansprechen im öffentlichen Raum ( § 1 Abs. 1 Nr. 3 HWiG) erfasst (Janal, WM 2012, 2314, 2315), sodass auch die Neuformulierung in § 312b BGB einer Weiterverwendung des Begriffs „Haustürgeschäft“ nicht entgegensteht. Für eine endgültige Verbannung des Begriffs in die Mottenkiste Janal, WM 2012, 2314, 2315. 888 Einzelne Konstellationen, in denen ein Widerrufsrecht ausnahmsweise trotz Vorliegen der situativen Umstände des Art. 2 Nr. 8 VR-RiL ausgeschlossen ist, werden in Art. 16 VR-RiL aufgezählt. 887

220 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

der Verbraucher unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers, bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit mit dem Unternehmer von diesem persönlich und individuell angesprochen wurde (§ 312b Abs. 1 Nr. 3 BGB). Ferner soll ein Außergeschäftsraumvertrag gemäß § 312b Abs. 1 Nr. 4 BGB auch dann vorliegen, wenn der Vertrag auf einem Ausflug geschlossen wurde, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen. Nach § 312 BGB ist der Anwendungsbereich der Vorschriften der §§ 312– 312h BGB – und damit auch des Widerrufsrechts bei Außergeschäftsraumverträgen – allerdings auf Verbraucherverträge im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB beschränkt, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben.889 Während unter Verbraucherverträgen im Sinne des § 310 BGB jedwede Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zu verstehen sind, ist insbesondere die Interpretation der Beschränkung des Außergeschäftsraumwiderrufs auf Verträge die „eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben“ in § 312 Abs. 1 BGB problematisch.890 Die Formulierung wurde im Rahmen der Umsetzung der VR-RiL eingeführt. Bereits zuvor war im § 312 Abs. 1 BGB a. F. eine Beschränkung des Haustürwiderrufsrechts auf solche Fälle vorgesehen, in denen der Vertrag eine „entgeltliche Leistung“ zum Gegenstand hatte. Und schon in diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob etwa Sicherungsgeschäfte (insbesondere die Bürgschaft) vom Anwendungsbereich des Haustürgeschäfts umfasst seien.891 Während der IX. Zivilsenat des BGH eine Entgeltlichkeit der Bürgschaft mit dem Argument ablehnte, die Bürgschaft sei eine lediglich einseitig verpflichtende Verbindlichkeit,892 hielt der XI. Zivilsenat eine „erweiternde Auslegung“ 893 des Begriffs Entgeltlichkeit für erforderlich, unter den die Fälle der Bürgschaft zu subsumieren seien. Letztlich setzte sich die Ansicht durch, wonach ein Verständnis der entgeltlichen Leistung in dem Sinne, dass ein synallagmatischer Vertrag vorliegen müsse, zu eng sei.894 Vielmehr wurde ein Haustürwiderrufsrecht des Verbrauchers selbst dann angenommen, wenn der Verbraucher sich bloß einseitig verpflichte.895 Entgeltlich sollte also im

889

Bittner, ZVertriebsR 2014, 3, 3. Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 444. 891 Schwab/Hromek, JZ 2015, 271, 273; bereits zu § 1 HwiG EuGH, Urt. v. 17.3. 1998 – Rs. C-45–96, NJW 1998, 1295 und BGH, Urt. v. 14.5.1998 – IX ZR 56–95, NJW 1998, 2356; zur Entwicklung des Streitstandes, Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1157 f. 892 BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 174/90, NJW 1991, 975. 893 BGH, Urt. v. 9.3.1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993, 1594. 894 Schanbacher, NJW 1991, 3263, 3264. 895 Voraussetzung war lediglich, dass eine konditionale oder kausale Verknüpfung zu einer Gegenleistung vereinbart wurde, Klingsporn, NJW 1991, 2259, 2260. 890

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

221

Sinne von „nicht unentgeltlich“ verstehen zu sein.896 Teilweise wurde dieses Ergebnis mit Blick auf die Bürgschaft argumentativ so begründet, dass diese zwar ein einseitiges, aber eben kein unentgeltliches Geschäft sei, da die Bürgschaft übernommen wurde, damit ein entsprechender Kredit durch den Bürgschaftsnehmer gewährt oder verlängert wurde.897 Das Entgelt für die Bürgschaft wurde also in der Gewährung bzw. Verlängerung des Kredits gesehen.898 Die Formulierung des § 312 BGB verlangt nunmehr ausdrücklich eine entgeltliche Leistung des Unternehmers.899 Die Beibehaltung des Entgeltlichkeitserfordernisses in Kombination mit der zusätzlichen Betonung, dass gerade die Leistung des Unternehmers entgeltlich sein muss, wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber diesbezüglich eine Abkehr von der bisherigen Interpretation bezwecken wollte.900 Dafür lassen sich durchaus Hinweise in den Gesetzesmaterialen zum Umsetzungsgesetz der Verbraucherrechterichtlinie finden.901 So wird in der Begründung zum Regierungsentwurf ausgeführt, dass nur dann von einem Verbrauchervertrag auszugehen sei, „wenn sich der Unternehmer [. . .] zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung und der Verbraucher [. . .] zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet“.902 Die Beschränkung des Untertitels für Verbraucherverträge auf Verträge, bei denen der Unternehmer eine entgeltliche Leistung erbringt, wird mit einem Hinweis auf die VR-RiL gerechtfertigt.903 Die dort vorgesehenen Informationspflichten des Unternehmers über die wesentlichen Merkmale der Ware oder über die Dienstleistung, den Preis und zusätzlich anfallende Kosten, seien nur sinnvoll, wenn der Unternehmer diese auch kenne – was aber voraussetze, dass er derjenige ist, der diese Leistung erbringt.904 Zudem wird auf die Definitionen in Artikel 2 Nummer 5 und 6 der Richtlinie verwiesen.905 Trotz dieser Hinweise wird jedoch überwiegend an dem alten Verständnis festgehalten, sodass auch eine „entgeltliche Leistung des Unternehmers“ in dem Sinne interpretiert wird, dass es ausreicht, wenn sich der Verbraucher nicht bloß einseitig verpflichtet.906 Dafür wird angeführt, dass die VR-RiL nicht notwendiger Weise so zu verstehen sei, dass das Außergeschäftsraumwiderrufsrecht auf 896

Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 445. Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 445. 898 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159. 899 Förster, JA 2014, 721, 722. 900 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 445. 901 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159. 902 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12637, S. 45. 903 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12637, S. 45. 904 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12637, S. 45. 905 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12637, S. 45. 906 So etwa, jedenfalls sofern eine Art „erweitertes, pragmatisches Synallagma“ besteht, Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 445. Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1161. 897

222 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

synallagmatische Verträge beschränkt ist.907 So sieht etwa Schürnbrand insbesondere den Hinweis auf Art. 2 Nr. 5 und 6 der Richtlinie als verfehlt an, da hier lediglich die Definitionen des Kauf- und Dienstleistungsvertrags erfolgten.908 Zudem weisen die Verfechter der Ansicht, wonach weiterhin eine weite Auslegung gelten sollte, darauf hin, dass in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle ausdrücklich festgehalten worden sei, dass der Gesetzgeber die bisherige Auslegung in Hinblick auf Haustürgeschäfte verhindern wollte.909 Zwar ist zutreffend, dass die Definitionen in Art. 2 Nr. 5 und 6 lediglich den Kauf- und den Dienstleistungsvertrag betreffen. Hierbei beschränken die Definitionen die entsprechenden Verträge indes auf diejenigen Fälle, in denen der Unternehmer die vertragscharakteristische Leistung erbringt und der Verbraucher hierfür ein Entgelt zahlt. In Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie findet sich die zeitliche Beschränkung des Widerrufsrechts. Dieser Vorschrift nach endet die Widerrufsfrist nach lit. a) für Dienstleistungsverträge 14 Tage ab Vertragsschluss, nach lit. b) grds. 14 Tage ab dem Zeitpunkt, ab dem der Verbraucher in den physischen Besitz der Ware gelangt ist und nach lit. c) bei Verträgen über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, innerhalb von 14 Tagen ab Vertragsschluss. Die besondere Regelung für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, erklärt sich historisch damit, dass der Richtliniengeber die Einordnung dieser Verträge den Mitgliedsstaaten überlassen wollte.910 Hieraus lässt sich schließen, dass die Richtlinie letztlich nur zwischen zwei Vertragstypen unterscheidet – nämlich zwischen Kaufverträgen und Dienstleistungsverträgen. Sofern die Definition des Außergeschäftsraumvertrags diesen als „jeden Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher“ bezeichnet, dürfte hiermit also „jeder Kauf- bzw. Dienstleistungsvertrag (einschließlich der ,besonderen Kauf- bzw. Dienstleistungsverträge‘)“ gemeint sein. Versteht man die Definition des Außergeschäftsraumvertrags in diesem Sinne, hat der Hinweis auf die Definitionen in Art. 2 Nr. 5 und 6 der Richtlinie und die darin zum Ausdruck kommende Beschränkung auf Verträge, bei denen der Unternehmer die vertragscharakteristische Leistung erbringt, also durchaus einen Sinn. Auch kommt der Änderung des Wortlauts im BGB jedenfalls eine Indizwirkung dahingehend zu,

907

Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 18. Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159 f. 909 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 445; Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1160; Schärtl, JuS 2014, 577, 579 f.; Schwab/Hromek, JZ 2015, 271, 274. 910 BT-Drucks. 17/13951 S. 72. 908

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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dass eine Fortgeltung der bisherigen Auslegung nicht beabsichtigt ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Gesetzesbegründung zumindest entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber diese Änderung nicht ohne Hintergedanken vorgenommen hat. Im Ergebnis ist die Aufassung, die bisherige Auslegung könne auch unter der neuen Rechtslage fortbestehen, vor dem Hintergrund des Wortlauts und dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers wenig überzeugend. Einigkeit besteht jedenfalls auch bezüglich der neuen Rechtslage insoweit, als dass Fälle, in denen lediglich der Verbraucher eine Leistung an den Unternehmer erbringt und den Unternehmer seinerseits keinerlei Verpflichtungen treffen, nicht vom Anwendungsbereich des Außergeschäftsraumvertrags erfasst sind.911 Deutlicher als nach der geltenden Rechtslage lässt sich das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse in den Außergeschäftsraumverträgen bei Betrachtung der Rechtslage vor der Umsetzung der VR-RiL erkennen. Anders als nach der derzeitigen Fassung wurde der Anwendungsbereich des Haustürgeschäfts nicht im Grundsatz negativ im Sinne von „alle Geschäfte, die außerhalb des Geschäftsraums des Verbrauchers geschlossen wurden“ definiert, sondern eine positive Umschreibung des Haustürgeschäfts vorgenommen.912 Demnach waren gem. § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. alle solche Verträge erfasst, bei denen der Verbraucher durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung, anlässlich einer vom Unternehmer oder von einem Dritten zumindest auch im Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung oder im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen zum Vertragsschluss bestimmt wurde.913 Es wurden also positiv Situationen aufgezählt, in denen der Verbraucher tendenziell nicht auf einen Vertragsschluss vorbereitet war.914 Dies lässt sich deutlich an der Wendung „überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen“ erkennen. In derartigen Situationen, in denen die Initiative zum Vertragsschluss vom Unternehmer ausgeht, hat der Verbraucher häufig keine hinreichende Möglichkeit, vorab andere Angebote zu prüfen oder sich den Vertragsschluss sorgfältig zu überlegen.915 Diese Stoßrichtung behält die Außergeschäftsraumregelung auch nach der Umformulierung im Rahmen der Umsetzung der VR-RiL bei.916 911

Bittner, ZVertriebsR 2014, 3, 4. Möller, BB 2014, 1411, 1414; Förster, ZIP 2014, 1569, 1571. 913 Lettl, JA 2010, 694, 696 ff. 914 Lettl, JA 2010, 694, 696. 915 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 63; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 224; Fischer, Widerrufsrecht, S. 37; BGH, Urt. v. 26.03.1992 – I ZR 104/90, NJW 1992, 1889, 1890. 916 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1158; Förster, ZIP 2014, 1569, 1571; Arnold, Jura 2002, 154, 725 f.; für die VR-RiL, Unger, ZEuP 2012, 270, 279. 912

224 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Als Gewerberäume sind diejenigen Räume zu verstehen, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft bzw. für gewöhnlich ausübt.917 Es handelt sich in anderen Worten also um diejenigen Räume, in denen ein Besucher mit der Möglichkeit eines Geschäftsabschlusses rechnen muss, wenn er sie aufsucht.918 Sofern der Gesetzgeber Regeln für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge vorsieht, geht er dementsprechend in typisierender Betrachtung davon aus, dass die Gefahr eines übereilten Geschäftsabschlusses immer dann besteht, wenn sich eine Vertragspartei nicht gezielt in diejenigen Räume der anderen Vertragspartei begeben hat, in denen sie mit einem Geschäftsabschluss rechnen musste.919 Rechnet eine Vertragspartei wegen des Ortes nicht mit einem Geschäftsabschluss, kann sie die Anbahnung eines solchen „überrumpeln“ und sie hierdurch zu einem unüberlegten Vertragsschluss verleiten.920 Ein Vergleich mit anderen Angeboten ist in einer derartigen Situation kaum möglich.921 Hinzu kommt, dass die nach § 312b BGB geforderte „gleichzeitige körperliche Anwesenheit“ des Unternehmers oft einen gewissen psychologischen Druck auf den Verbraucher ausübt und seine Entscheidung hierdurch unsachlich beeinflusst wird.922 Bei rückblickender Betrachtung des Vertrags ist es dann mitunter möglich, dass die „überrumpelte“ Vertragspartei den Vertragsabschluss bereut.923 Das setzt freilich voraus, dass der Verbraucher sich im Rahmen des Vertrags zur Erbringung einer Leistung verpflichtet hat.924 Hat sich eine Vertragspartei also durch die Überrumpelungssituation zu einer Verpflichtung hinreißen lassen, die 917 Zum Begriff des Geschäftsraums auch Brinkmann/Ludwigkeit, NJW 2014, 3270, 3270 ff. 918 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85; Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 345. 919 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1161; Brinkmann/Ludwigkeit, NJW 2014, 3270, 3270; nach Erwägungsgrund 21 der VR-RiL ist in diesen Situationen davon auszugehen, dass der Verbraucher einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist; grundsätzlich zustimmend auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85. 920 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 82; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136; Fischer, Widerrufsrecht, S. 37; Janal, WM 2012, 2314, 2314; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 283; so auch bereits Löwe, NJW 1974, 2257, 2257. 921 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 82; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 225. 922 Erwägungsgrund 21 der VR-RiL, nachdem in diesen Situationen davon auszugehen ist, dass der Verbraucher psychisch unter Druck gerät; Staudinger/Thüsing, § 312 BGB Rn. 191; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136; Fischer, Widerrufsrecht, S. 37; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 225; zum besonderen psychologischen Druck bei „Kaffeefahrten“, Bender, Rechtstatsachen, S. 75; zu Kaffeefahrten in die Geschäftsräume des Unternehmers unten; grundsätzlich kritisch zur Tragfähigkeit der Begründung des Lösungsinteresses mit dem Hinweis auf „psychologischen Druck“ Eidenmüller, AcP 2010, 67, 84. 923 Reiner, AcP 2003, 1, 9; so auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 82: „Wer nicht mit einer geschäftlichen Transaktion rechnet und sich schnell entscheiden muss, macht Fehler“. 924 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159 f.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

225

sie bei sorgfältiger Überlegung nicht eingegangen wäre, kann daraus ein Interesse folgen, die Bindung des Vertrags und damit die eingegangene Verpflichtung wieder zu beseitigen. Daraus lässt sich indes entgegen der Ansicht von Löwe nicht schließen, dass die Gefahr des vorschnellen Handelns nur dann vorliegt, wenn der Verbraucher die von ihm geschuldete Leistung nicht sofort bei Vertragsabschluss leistet.925 Vielmehr kann sich die sofort erfüllte Verpflichtung bei rückblickender Betrachtung ebenso als unerwünscht erweisen. Das vom Gesetzgeber zugrundegelegte objektivierte Lösungsinteresse folgt jedenfalls aus der Überrumpelung.926 Eine Ausnahme für Fälle, in denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich zu sich bestellt hat, sieht das Gesetz – abgesehen von den in §§ 312 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) und 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 11 BGB genannten Konstellationen – nicht vor.927 Hiergegen lässt sich einwenden, dass in derartigen Fällen die Gefahr einer ein Lösungsinteresse begründende Überrumpelung deutlich geringer ist.928 Hier lässt sich ein Lösungsinteresse des Verbrauchers jedoch aufgrund einer besonderen psychologischen Drucksituation begründen.929 Zwar wird teilweise eingewandt, dass eine derartige Argumentation nicht tragfähig sei, da auch der Verbraucher, der den Verkäufer in dessen Laden und damit in „seinem Revier“ aufsuche, mitunter besonderem psychologischen Druck standhalten müsse.930 Diese Argumentation verkennt allerdings, dass der entsprechende psychologische Druck des Verbrauchers, der einen Unternehmer zu sich bestellt hat, sich nicht nur aus den unter Umständen „manipulativen Verkaufstechniken“ 931 des Verkäufers ergibt, sondern insbesondere aus der vom Verbraucher vorgenommenen Bestellung selbst folgen kann. Wegen der Bestellung des Unternehmers mag der Verbraucher sich zunächst verpflichtet fühlen, den Unternehmer nicht „mit leeren Händen“ gehen zu lassen und deshalb einen Vertrag schließen, den er nachträglich bereut.932 Eine entsprechende Gefahr von psychischem Druck oder eines Überraschungsmoments und ein daraus folgendes Lösungsinteresse sieht der Gesetzgeber auch 925

Löwe, NJW 1974, 2257, 2257 f. Wobei es für die Begründung des Lösungsrechts freilich nicht auf eine tatsächliche Überrumpelung ankommt, sondern bereits die typisierte Gefahr einer Überrumpelung ausreicht, hierzu sogleich unter Kapitel 2, § 6, A.II.1. 927 Dies geht zurück auf die Vorgaben der VR-RiL, Schwab/Giesemann, EuZW 2012, 253, 254; Schwab/Hromek, JZ 2015, 271, 276. 928 Unger, ZEuP 2012, 270, 279. 929 Schwab/Giesemann, EuZW 2012, 253, 254. 930 Unger, ZEuP 2012, 270, 279. 931 Unger, ZEuP 2012, 270, 279. 932 Dies gilt natürlich gleichermaßen, wenn nicht der Unternehmer persönlich handelt, sondern ein Dritter in seinem Namen oder Auftrag, womit sich die Regelung des § 312b Abs. 1 S. 2 BGB erklärt. Zur Reichweite dieser Vorschrift Schwab/Hromek, JZ 2015, 271, 274 f. 926

226 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

in den Fällen, in denen der eigentliche Vertragsschluss zwar innerhalb des Geschäftsraums der einen Partei stattfindet, die andere Partei jedoch unmittelbar zuvor von dieser an einem anderen Ort persönlich und individuell angesprochen wurde.933 Hier geht es – wie sich dem Unmittelbarkeitskriterium entnehmen lässt – um Situationen, in denen die Überrumpelung noch fortwirkt.934 Denn für das oben dargestellte Lösungsinteresse kommt es nicht auf den Ort des tatsächlichen Vertragsschlusses an.935 Das Überraschungsmoment kann auch in denjenigen Fällen zu einem aus rückblickender Sicht einer Vertragspartei ungewollten Vertragsschluss führen, in denen der Vertragsschluss in den Geschäftsräumen der anderen Partei erfolgt. Erforderlich ist insofern nur, dass die eine Partei von der anderen Partei an einem Ort angesprochen wurde, an dem sie nicht mit einem derartigen geschäftlichen Kontakt rechnete und dort auf sie eingewirkt wurde, sich zum Vertragsschluss in die Geschäftsräume der anderen Partei zu begeben.936 Ebenfalls sieht der Gesetzgeber – wie sich aus § 312b Abs. 1 Nr. 4 BGB ergibt – eine besondere Gefahr, dass eine Partei rückblickend den abgeschlossenen Vertrag bereut, sofern dieser auf einer von der anderen Partei (mit-)organisierten Freizeitveranstaltungen abgeschlossen wird.937 Nach zutreffender Ansicht hat der § 312b Abs. 1 Nr. 4 BGB nur für diejenigen Fälle Bedeutung, in denen der Vertragsschluss in den Geschäftsräumen des unternehmerischen Vertragspartners erfolgt, denn die Fälle in denen der Vertragsschluss außerhalb von dessen Geschäftsräumen erfolgt, sind bereits von § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB erfasst.938 Bei von der anderen Partei (mit-)organisierten Freizeitveranstaltungen mag zwar das Überraschungsmoment geringer sein, aber der gewerbliche Charakter der Gesamtveranstaltung wird in der Regel verschleiert, indem mit der eigentlich gewerblichen Absicht nicht in Zusammenhang stehende attraktive Leistungen in den Vordergrund gerückt werden.939 Die hierbei erzeugte freizeitliche Stimmung 933

Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85. HK-BGB/Schulte-Nölke, § 312b Rn. 7; Förster, ZIP 2014, 1569, 1571; Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 22, der jedoch bezweifelt, dass das Unmittelbarkeitskriterium ausreichende Rechtssicherheit schafft, Schärtl, JuS 2014, 577, 579. 935 Denn wie Förster zutreffend feststellt, kommt es vorrangig auf das Überraschungsmoment bei der Willensbildung des Verbrauchers an und nicht auf den bei der späteren Äußerung des bereits zuvor gefassten Entschlusses, Mesch, VuR 2015, 251, 726. 936 Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 30; zur erforderlichen Nähe zwischen Überrumpelungssituation und Vertragsschluss, Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 346; Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 24. 937 Näher zu der vom Gesetzeswortlaut geforderten „Mithilfe“ des Unternehmers, Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 23. 938 HK-BGB/Schulte-Nölke, § 312b Rn. 8. 939 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 229; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 283. 934

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

227

kann die Widerstandskräfte gegen den Vertragsschluss verringern und den Verbraucher so gegenüber dem Vertragsschluss aufschließen.940 Zudem handelt es sich bei derartigen Fällen oftmals um Situationen mit hohem Sozialdruck und psychologischem Kaufzwang.941 Kann die eine Vertragspartei ihre Entscheidung hinsichtlich des Vertragsschlusses jedoch zu einem späteren Zeitpunkt ohne den Sozialdruck und den psychologischen Kaufzwang reflektieren, wird sie unter Umständen zu dem Ergebnis kommen, dass sie den Kaufvertrag nicht hätte abschließen sollen.942 Auch hier besteht dann ein Lösungsinteresse der betroffenen Partei. Im Ergebnis folgt das objektivierte Lösungsinteresse in den Fällen des Außergeschäftsraumwiderrufs also daraus, dass der Vertrag aus Sicht des Verbrauchers aus rückblickender Betrachtung von Anfang an nicht seinem Interesse entsprach.943 Mithin erweist sich der Vertrag wegen bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegender Umstände als unerwünscht. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB Obwohl das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen wie soeben gezeigt seine Grundlage im Schutz der einen Vertragspartei vor einer Überrumpelung durch die andere Vertragspartei hat, stellt die Bestimmung nicht darauf ab, ob eine Vertragspartei von seinem Geschäftspartner tatsächlich überrumpelt wurde und sich deswegen zu einem Vertragsschluss hat hinreißen lassen.944 Einerseits kann einer Partei ein Widerrufsrecht auch dann zustehen, wenn sie tatsächlich gar nicht überrumpelt wurde.945 Andererseits kann sich eine Vertragspartei, selbst wenn sie tatsächlich überrumpelt wurde, nicht in jedem Fall auf ein Widerrufsrecht berufen. So steht etwa einer Person, die ein Ladengeschäft lediglich als Zuflucht vor einem Regenschauer betritt grds. auch dann kein Widerrufs-

940

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 229. Eidenmüller, AcP 2010, 67, 83; HK-BGB/Schulte-Nölke, § 312b Rn. 8; in diesem Sinne auch die anschauliche Darstellung des Ablaufs einer sog. Kaffeefahrt bei Bender, Rechtstatsachen, S. 65 f. 942 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 83. 943 Wie Scholz pointiert formuliert, hat sich hier also die besondere Gefahr verwirklicht, dass der überrumpelte Verbraucher „sich von einem Vertreter vielleicht einen für ihn völlig nutzlosen und möglicherweise noch preislich übersetzten Gegenstand hat aufschwatzen lassen“ hat, Scholz, MDR 1974, 969, 972; in diesem Sinne auch Koch, GPR 2014, 128, 132. 944 Wie bereits Bülow feststellt, ist die Überrumpelung ratio legis des Widerrufsrechts, ohne zum Tatbestandsmerkmal zu erwachsen, Bülow, ZIP 2012, 1745, 1746. 945 Hierzu sogleich, Kapitel 2, § 6, A.II.1. 941

228 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

recht zu, wenn sie sich dort durch Überrumpelung zu einem Vertragsschluss hat hinreißen lassen.946 Vielmehr ist der Personenkreis derjenigen, die zum Widerruf bei Außergeschäftsraumverträgen berechtigt sind, auf Verbraucher im Sinne des § 13 BGB beschränkt. Zudem muss ihnen ein Unternehmer gemäß § 14 BGB als Vertragspartner gegenüberstehen.947 Außerdem muss der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen oder in einer anderen der in § 312b Abs. 1 BGB genannten Situationen erfolgt sein. Zudem ist die Lösungsmöglichkeit nach § 355 Abs. 2 S. 1, S. 2 BGB grds. auf einen Zeitraum von 14 Tagen ab Vertragsschluss begrenzt. Das Lösungsinteresse der einen Vertragspartei überwiegt das Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei nach der gesetzgeberischen Wertung also grds. nur, wenn es sich bei ersterer um eine zu privaten (bzw. unselbständig-beruflichen) Zwecken tätige Person handelt, zweitere professionell tätig ist, eine in § 312b BGB vorgeschriebenen „Überrumpelungs“-Situationen vorliegt und keine zwei Wochen seit dem Vertragsschluss vergangen sind. 1. Der situative Anwendungsbereich Was die situative Beschränkung auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenene Verträge angeht, lässt sich diese damit begründen, dass der Gesetzgeber in Fällen, in denen jemand einen Geschäftsraum betritt, zumindest eine latente Geschäftsaufmerksamkeit voraussetzt, die außerhalb von Geschäftsräumen so nicht vorhanden sein wird.948 Zudem ist in den Fällen, in denen sich eine Person in das Ladengeschäft begibt, die Hemmschwelle des Abbruchs eines weiteren Kontakts oftmals geringer.949 In den von § 312b BGB beschriebenen Situationen wird also eine besonders große Gefahr einer Überrumpelung angenommen.950 Auf die Frage, ob eine Überrumpelung im Einzelfall tatsächlich vorgelegen hat oder nicht, kommt es allerding nicht an. Vielmehr wird die Überrumpelung durch die von § 312b BGB erfassten Situationen tatbestandlich typisiert.951

946 Man denke etwa an das Beispiel Eidenmüllers von dem Bankkunden, der Geld abheben will und dem dabei eine neue Geldanlage „aufgeschwätzt“ wird, Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85. 947 Koch, GPR 2014, 128, 131. 948 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 282 f.; so auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85, der diesen Wertungsgesichtspunkt aber für sehr dünn hält, was sich an einem Vergleich mit Fällen zeige, in denen manipulative Geschäftspraktiken in Geschäftsräumen eingesetzt wurden und bei denen trotzdem de lege lata kein Widerrufsrecht bestehe. 949 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 227 f.; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 282. 950 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 281 f. 951 Canaris, AcP 2000, 273, 346.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

229

2. Der personelle Anwendungsbereich In personeller Hinsicht ist das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen auf Konstellationen beschränkt, in denen die Vertragspartei mit dem Lösungsinteresse Verbraucher ist und ihr, als Partei mit dem Bestandsinteresse, ein Unternehmer gegenübersteht.952 In diesem Zusammenhang muss man sich verdeutlichen, dass die an einem Außergeschäftsraumvertrag beteiligten Personen nicht nur entweder als Verbraucher oder als Unternehmer qualifiziert werden können. Vielmehr kann es sich auch um Personen handeln, die weder als Verbraucher noch als Unternehmer auftreten953 – man denke etwa an juristische Personen, die keinen gewerblichen Zweck verfolgen, beispielsweise Idealvereine.954 Mit Blick auf die gesetzgeberische Interessenbewertung bedeutet das, dass die Verbrauchereigenschaft hier einen das Gewicht des Lösungsinteresses aufwertenden und die Unternehmereigenschaft ein das Gewicht des Bestandsinteresses abwertenden Faktor darstellt.955 Denn kontrahiert ein Verbraucher unter den situativen Umständen des Außergeschäftsraumvertrags mit einer Partei, bei der es sich nicht um einen Unternehmer handelt, steht ihm kein Widerrufsrecht zu. Ein Lösungsinteresse des Verbrauchers kann sich hier nicht gegenüber dem Bestandsinteresse seines Vertragspartners durchsetzen. Das konkrete Bestandsinteresse von nicht unternehmerisch tätigen Personen wird also höher gewichtet als das von Unternehmern. Umgekehrt formuliert ist das konkrete Bestandsinteresse von Unternehmern im Rahmen des Außergeschäftsraumwiderrufs verglichen mit dem Bestandsinteresse sonstiger Personen von geringerem Gewicht. Auf der anderen Seite kann sich ein Lösungsinteresse einer Partei, die nicht als Verbraucher agiert, auch unter den situativen Umständen des Außergeschäftsraumvertrags nicht gegenüber dem Bestandsinteresse seines Vertragspartners durchsetzen, selbst wenn es sich bei diesem um einen Unternehmer handelt. Daraus folgt wiederum, dass ein Lösungsinteresse von Personen geringer gewichtet wird, sofern sie nicht im Rahmen ihrer Verbrauchereigenschaft tätig sind. Dem Lösungsinteresse von Verbrauchern wird im Vergleich zu anderen Personen also ein besonders hohes Gewicht zugemessen. In bestimmten Ausnahmesituationen kann sich das Bestandsinteresse eines Unternehmers aber auch unter den situativen Voraussetzungen des Außergeschäftsraumvertrags gegen das Lösungsinteresse des Verbrauchers durchsetzen.956 Dazu 952

Berger, Jura 2001, 289, 289. Krebs hat für diese Personen den Begriff „Zivilpersonen“ geprägt, Krebs, DB 2002, 517, 520. 954 Ausführlich zur Verbrauchereigenschaft bei Personenmehrheiten BeckOK/Bamberger, § 13 BGB Rn. 18 ff. 955 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 323; Schmidt, JuS 2006, 1, 2 ff. 956 Benecke, ZIP 2016, 1897. 953

230 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

zählen etwa Fälle, in denen der Verbraucher arglistig gehandelt hat.957 Hier ist einerseits der Unternehmer besonders schutzwürdig, was das Gewicht seines Bestandsinteresses erhöht, der Verbraucher hingegen ist weniger schutzwürdig, sodass sein Lösungsinteresse geringer zu gewichten ist.958 Im Grundsatz gewichtet der Gesetzgeber das Lösungsinteresse von Verbrauchern jedoch stärker und das Bestandsandsinteresse von Unternehmern geringer als bei sonstigen Personen. Dies wirft die Frage nach der rechtsethischen Rechtfertigung der gesetzgeberischen Interessenbewertung des Widerrufsrechts nach § 312b BGB auf.959 Teilweise wird hier generell auf den Verbraucherschutz als Rechtsprinzip verwiesen.960 Mit einem pauschalen Verweis auf den Verbraucherschutz lässt sich die Bevorzugung des Verbraucherinteresses zulasten des Unternehmers jedoch nicht rechtfertigen, denn „Verbraucherschutz ist kein Selbstzweck und es gibt keinen Grundsatz, wonach im Rechtsverkehr die Interessen des Verbrauchers immer gegenüber denjenigen des Unternehmers zu bevorzugen wären“.961 Die im Vergleich mit anderen Personen geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses von Unternehmern lässt sich allerdings damit begründen, dass sich Letztere in der Regel bewusst für den Vertrieb über Außergeschäftsraumverträge, dem sog. Direktvertrieb,962 entscheiden.963 Der Unternehmer wählt also aus Eigeninteresse – nämlich um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen964 – eine „aggressive“ 965 Marketingstrategie, die ihm „ein Diktat hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die Entscheidungssituation des Verbrauchers verschafft“ 966 und die deshalb häufig zu im Ergebnis ungewollten Vertragsabschlüssen aus Sicht seines Vertragspartners führt.967 957

BGH, Urt. v. 25.11.2009 – VIII ZR 318/08, NJW 2010, 610, Rn. 20. Benecke, ZIP 2016, 1897, 1899 ff. 959 Hierzu bereits Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 323. 960 Rösler, RabelsZ 2007, 495, 525. 961 Reiner, AcP 2003, 1, 8. 962 Erwägungsgrund 5 VR-RiL; Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 452; teilweise wird hier auch der Begriff „Direktmarketing“ verwendet (https://www.vis.bayern.de/recht/ handel/vertriebswege/haustuergeschaeft.htm, zuletzt abgerufen am 03.03.2018). Da dieser Begriff jedoch nach der betriebswirtschaftlichen Definition sämtliche Kommunikationsmaßnahmen umfasst, welche einen direkten Kontakt zum Adressaten herstellen und einen unmittelbaren Dialog initiieren – etwa auch das Telefonmarketing (Bruhn, Marketing, S. 230), sollte aus Gründen der Eindeutigkeit auf diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Außergeschäftsraumvertrag verzichtet werden. 963 Benecke, ZIP 2016, 1897, 1900; dem Unternehmer ist die Verursachung des Lösungsinteresses seines Vertragspartners insoweit zuzurechnen, Eidenmüller, AcP 2010, 67, 82 Fn. 32. 964 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 63, 136. 965 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 225. 966 Mankowski, Beseitigungsrechte, 225. 967 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 82; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 224 f. 958

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

231

Bei nicht unternehmerisch tätigen Personen wird hingegen in aller Regel an einem solchen strategischen Kalkül, den Absatz zu fördern indem man entsprechende Überrumpelungssituationen nutzt, fehlen.968 Deshalb wird das Bestandsinteresse von Unternehmern und sonstigen Personen im Rahmen des Außergeschäftsraumwiderrufs unterschiedlich bewertet.969 Aber auch insoweit wird nicht auf den Einzelfall abgestellt und geprüft, ob eine entsprechende geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses hier auch tatsächlich wegen eines strategischen Kalküls des Vertragspartners angebracht ist, sondern stattdessen wird dies typisierend angenommen, sobald ein Unternehmer beteiligt ist. Dies lässt sich indes nicht mit dem von Mankowski hervorgehobenen Umstand, dass der Unternehmer hier wegen der gesetzgeberischen Ausgestaltung als schwebend wirksames Geschäft ohnehin nicht auf den Fortbestand des Vertrags vertrauen könne,970 rechtfertigen. Dabei handelt es sich nämlich um einen Zirkelschluss: Der Umstand, dass die Interessen des Unternehmers in typisierter Weise für weniger gewichtig erachtet werden, lässt sich nicht damit rechtfertigen, der Unternehmer habe wissen können, dass seine Interessen für weniger gewichtig gehalten werden. Auf der anderen Seite kann sich das Lösungsinteresse einer Partei in Fällen, in denen die situativen Voraussetzungen des § 312b BGB vorliegen und der Gesetzgeber deshalb die Gefahr einer Überrumpelung annimmt, nicht in jedem Fall durchsetzen, nur weil die Überrumpelungsgefahr durch einen Unternehmer verursacht ist.971 Das Lösungsinteresse überwiegt vielmehr nur, wenn es sich um einen Verbraucher handelt, woraus sich wie oben dargestellt ergibt, dass dem Lösungsinteresse von Verbrauchern hier ein besonderes Gewicht beigemessen wird. Bei den Personen, deren Lösungsinteresse sich in den entsprechenden Situationen nicht durchsetzen können soll, handelt es sich zunächst um Personen, die selbst unternehmerisch tätig sind.972 Diesbezüglich führt bereits die Begründung zum ursprünglichen Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) aus, dass „bei diesem Personenkreis [. . .] davon ausgegangen werden kann, [dass] er im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit auch der besonderen Lage bei Haustürgeschäften hinreichend gewachsen ist und sich gegebenenfalls gegen unerwünschte Vertragsabschlüsse selbst wehren kann“.973 Unternehmer würden „in aller Regel häufiger solche Geschäfte eingehen, hierbei Erfahrungen erworben haben und deswegen nicht als schutzbe-

968

BT-Drucks. 10/2876 S. 10. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 145. 970 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 599. 971 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 323 f. 972 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 323 973 BT-Drucks. 10/2876 S. 10; mit Hinweis auf neuere verhaltensökonomische Erkenntnisse kritisch bezüglich der Tragfähigkeit einer derartigen Begründung der geringeren Schutzwürdigkeit von Verbrauchern, Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 46. 969

232 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

dürftig anzusehen sein“.974 Die geringere Gewichtung des Lösungsinteresses von Unternehmern ist also dadurch begründet, dass Menschen sich „auf ihrem beruflichen Felde robuster zur Wehr setzen als im Privatbereich und sich nicht so leicht etwas aufschwatzen lassen, weil sie dort ihre Erfahrung und die Gewöhnung an ein ökonomisches Kalkül eher vor solchen Fehlern bewahren“.975 Dies wird aufgrund des „Systems des unverfälschten Wettbewerbs“ 976 auch vom Unternehmer erwartet.977 Allerdings sind nicht nur unternehmerisch tätige Personen vom Anwendungsbereich des Außergeschäftsraumwiderrufsrechts ausgenommen, sondern auch sonstige, nicht als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB tätige Personen. Zwar ist es zutreffend, dass juristische Personen nicht überrumpelt werden können, dies kann aber hinsichtlich ihrer Organe, bei denen es sich letztendlich um natürliche Personen handelt, durchaus der Fall sein.978 Dass aber die Entscheidungsträger von nicht unternehmerisch tätigen juristischen Personen besonders in der Lage sein sollen, sich in Außergeschäftsraumsituationen gegen unerwünschte Verträge durchzusetzen, da sie in der Regel häufiger „solche“ Geschäfte eingehen und dabei entsprechende Erfahrungen gesammelt haben, darf bezweifelt werden.979 Zu kurz gegriffen scheint auch die Begründung von Meller-Hannich, nach der juristische Personen schlechterdings vom Verbraucherbegriff ausgenommen sind, weil es nach dem Gesetz allein auf den Vertragspartner und nicht dessen Vertreter als maßgeblichen Anknüpfungspunkt ankommt.980 Denn auch ein Idealverein stellt insofern das letzte Glied im ökonomischen Austauschprozess dar – unterstellt man wie Meller-Hannich also, dass sich die besondere Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern gegenüber Unternehmern aus der unterschiedlichen Zwecksetzung der am Vertrag beteiligten Parteien ergibt,981 dann gilt es näher zu begründen, warum juristische Personen, die das letzte Glied der Vertragskette darstellen nicht ebenfalls schutzwürdig sind. Soweit der Gesetzgeber auch bei nichtunternehmerischen juristischen Personen ein geringeres Gewicht des Lösungsinteresses annimmt als bei Verbrauchern, lässt sich das indes wie folgt begründen: Vor

974 BT-Drucks. 10/2876 S. 10; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 262; generell kritisch zum Kriterium der Unerfahrenheit Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 130 f. 975 Canaris, AcP 2000, 273, 348; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 324. 976 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 259. 977 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 324. 978 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 140; in diesem Sinne letztlich auch Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 45 f. 979 Dies sogar für kleine und mittelständische Unternehmer bezweifelnd Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 45 f. 980 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 140. 981 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 133.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

233

dem Hintergrund etwaiger Rechenschaftspflichten dürften viele Entscheidungsträger in ihrer Rolle als Organ ökonomischer kalkulieren als im Privatbereich und sich hier deshalb auch robuster zur Wehr setzen. Bei diesen Personen wird vom Gesetzgeber also berechtigter Weise ebenfalls stets volle Aufmerksamkeit erwartet. Bei dem durch den Verbraucherbegriff bestimmten Personenkreis geht der Gesetzgeber demnach von einem besonders hohen Risiko aus, dass andere Gesichtspunkte als ökonomische Überlegungen Einfluss auf den Vertragsschluss nehmen.982 Aus diesem Grund werden Verbraucher für besonders anfällig für die Überrumpelung im Direktvertrieb angesehen, womit sich wiederum die besondere Gewichtung des Lösungsinteresses des Verbrauchers rechtfertigt.983 Insgesamt liegt der Beschränkung in personeller Hinsicht also die Überlegung zugrunde, dass eine aus privater Motivation tätige Person der Marketingmacht einer professionell agierenden Partei mitunter besonders ausgeliefert ist und daraus eine Störung der Vertragsparität folgen kann.984 Der „Nichtprofi“ soll also gegenüber dem „Profi“ und dessen Marketingtricks – um nicht zu sagen Manipulationen – geschützt werden.985 Nach der Gesetzeskonzeption ist hierbei allerdings nicht erforderlich, dass die mit privater Motivation handelnde Partei im Einzelfall unterlegen war.986 Vielmehr wird ihre Unterlegenheit generalisierend immer dann vermutet, wenn sie auf einen professionell handelnden Vertragspartner trifft.987 Für das Überwiegen des Lösungsinteresses kommt es dementsprechend nicht darauf an, ob die an der Beseitigung der Vertragsbindung interessierte Partei im Vergleich zur professionell agierenden Partei tatsächlich wirtschaftlich schwächer, weniger rechtskundig, weniger geschäftsgewandt oder intellektuell unterlegen ist.988 3. Typisierung der dem objektivierten Lösungsinteresse zugrunde liegenden Umstände Das Lösungsinteresse des Verbrauchers wird losgelöst vom konkreten Einzelfall typisiert höher gewichtet.989 Auf der anderen Seite tritt das Bestandsinteresse des Unternehmers in Fällen, in den er mit einem Verbraucher kontrahiert – unab982 983 984

Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 130. In diesem Sinne auch Blaurock, JZ 1999, 801, 802 f. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 3; so auch Eidenmüller, AcP 2010, 67,

101. 985

Canaris, AcP 2000, 273, 348. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, Einf. Rn. 43; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 267. 987 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 6. 988 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 6. 989 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 267. 986

234 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

hängig vom Einzelfall – grundsätzlich zurück, sobald die situativen Voraussetzungen des Außergeschäftsraumvertrags vorliegen.990 Die Typisierung entbindet den Verbraucher von der Obliegenheit, die Umstände, die eine höhere Gewichtung seines Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse des Unternehmers rechtfertigen, konkret nachzuweisen.991 Nun ließe sich argumentieren, dass, würde dem Verbrauchter dieser Nachweis aufgebürdet, er ihn kaum führen könnte und das Widerrufsrecht weithin ins Leere griffe. Allerdings vermag eine solche Argumentation die Bevorzugung des Verbrauchers nicht vollumfänglich rechtfertigen. Denn dem Unternehmer steht insofern keine Möglichkeit offen seinerseits nachzuweisen, dass im konkreten Fall die gesetzgeberisch zugrundegelegte Interessenwertung ausnahmsweise unzutreffend ist. Sofern die Typisierung bloß den Verbraucher von Beweisschwierigkeiten befreien sollte, wäre etwa eine entsprechende Beweislastumkehr ausreichend gewesen. Wie indes der BGH zutreffend festgestellt hat, ist das Motiv aus dem der Verbraucher den Widerruf erklärt de lege lata grundsätzlich unerheblich:992 Selbst wenn er mit der Ware zufrieden sei, dürfe der Verbraucher das Widerrufsrecht nutzten, um in Verhandlungen mit dem Unternehmer eine Preissenkung durchzusetzen. Dies sei lediglich eine Folge der sich aus dem grundsätzlich einschränkungslos gewährten Widerrufsrecht ergebenden Wettbewerbssituation, die der Verbraucher zu seinen Gunsten nutzen dürfe, ohne sich dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auszusetzen.993 Der Verbraucher wird insoweit übermäßig bevorzugt.994 Die Heranziehung der typisierenden Merkmale Verbraucher, Unternehmer und Geschäftsraum, für die Bestimmung der gesetzgeberisch unterstellten Interessenlage, hat ihre Rechtfertigung wiederum in ökonomischen Vorteilen, die daraus folgen, dass eine Typisierung die Berechenbarkeit und Rechtssicherheit fördert.995 Denn eine einzelfallabhängige Bestimmung der Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners mit dem Lösungsinteresse würde die Gesamtkosten der Außergeschäftsraumverträge erhöhen.996 Insofern würde die Notwendigkeit einer Kontrolle, ob die der Interessenabwägung zugrunde gelegten Umstände auch im Einzelfall vorliegen, den

990

Diesbezüglich kritisch, Medicus, JuS 1996, 761, 767. Reiner, AcP 2003, 1, 28. 992 BGH, Urt. v. 16.3.2016 – VIII ZR 146/15, NJW 2016, 1951. 993 BGH, Urt. v. 16.3.2016 – VIII ZR 146/15, NJW 2016, 1951 Rn. 21. 994 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1136; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 167, 200; Pfeiffer, NJW 2012, 2609, 2612. 995 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 267, 1133 ff.; Eidenmüller, AcP 2010, 67, 83; Canaris, AcP 2000, 273, 347; dies bestätigen auch die Feststellungen Blaurocks in Bezug auf die Unterschiede der Rechtsprechung zur umgesetzten ersten Verbraucherkreditrichtlinie in England, Frankreich und Deutschland, Blaurock, JZ 1999, 801, 807. 996 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1134; vgl. auch Benecke, ZIP 2016, 1897, 1899. 991

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

235

Markt insgesamt weniger effizient machen.997 Durch die Typisierung soll also ein gesamtwirtschaftliches Optimum erreicht werden.998 4. Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen bei der Interessenabwägung Aber nicht nur im Rahmen der Typisierung beim Tatbestand des Außergeschäftsraumwiderrufsrechts sind Gemeinwohlinteressen in die gesetzgeberische Interessenabwägung eingeflossen, sondern auch bei der grundsätzlichen Bewertung des Lösungs- und Bestandsinteresses. Das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen dient der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie. Im fünften Erwägungsgrund der VR-RiL wird ausgeführt, dass das „grenzüberschreitende Potenzial von Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden (Direktvertrieb) [. . .] durch eine Reihe von Faktoren eingeschränkt“ würde. Weiter heißt es dort: „Im Vergleich zum Wachstum des inländischen Direktvertriebs in den letzten Jahren [. . .] hat die Zahl der Verbraucher, die solche Kanäle grenzüberschreitend zum Einkauf nutzen, nicht zugenommen. [Die] Harmonisierung des Widerrufsrechts in Verträgen, die [. . .] außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, [soll] zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts [. . .] beitragen.“ Das Außergeschäftsraumwiderrufsrecht dient also als Mittel zur Stärkung des Binnenmarktes. Die Förderung des Binnenmarkts als Gemeinwohlinteresse hatte somit Einfluss auf die gesetzgeberische Interessenabwägung im Rahmen des Lösungsrechts bei Außergeschäftsraumverträgen. Dass Außergeschäftsraumverträge eine hinreichende Binnenmarktrelevanz haben, scheint auf den ersten Blick allerdings zweifelhaft.999 Denn den Direktvertrieb zeichnet gerade aus, dass der Unternehmer beim Verbraucher vor Ort erscheinen muss. Liegen, wie bei grenzüberschreitenden Verträgen üblich, zwischen Unternehmer und Verbraucher größere Distanzen, liegt also auch der Direktvertrieb als Vertriebsform fern. So erkennt auch der europäische Gesetzgeber an, dass sich der grenzüberschreitende Direktvertrieb im Wesentlichen auf Grenzregionen beschränken dürfte.1000 Eine Stärkung des grenzüberschreitenden Direktvertriebs zur Förderung des Binnenmarktes dürfte demnach, anders als man den Erwägungsgrund 5 VR-RiL zunächst verstehen mag, wahrscheinlich nicht beabsichtigt sein. Die Binnenmarktrelevanz von Außergeschäftsraumverträgen ergibt sich wohl vielmehr daraus, dass derartig aggressive Geschäftspraktiken unerwünschte Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hätten, wenn die nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich auf entsprechende Verkaufsstrategien reagieren 997

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 268. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 268. 999 Heiderhoff, ZJS 2008, 25, 26. 1000 Erwägungsgrund 5 VR-RiL. 998

236 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

würden.1001 Statt den Direktvertrieb zu stärken, dienen die Regelungen zum Außergeschäftsraumvertrag also vielmehr dazu diese „im Grunde unerwünschten“ 1002 Geschäftspraktiken zu vereinheitlichen, damit einzelne Unternehmer keine dem Binnenmarkt abträglichen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmern erlangen, weil die verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschiedlich strenge Regelungen für derartige Fälle vorsehen.1003 Letztlich dürfte die Überlegung ausschlaggebend gewesen sein, dass jeder Verbraucher, der vor Ort von einem Unternehmer im Direktvertrieb in einen Vertrag gedrängt wurde, in der Regel für den grenzüberschreitenden Handel „verloren“ gegangen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieser Verbraucher oftmals nicht die Möglichkeit hatte sich über weitere ggf. grenzüberschreitende Angebote zu informieren. Selbst wenn ein französischer Anbieter den Vertragsgegenstand also zu besseren Konditionen anbietet, wäre der deutsche Verbraucher, der vom deutschen Unternehmer in der Außergeschäftsraumsituation „abgefangen“ wird, ohne Widerrufsrecht nicht in der Lage, die Vorteile des Binnenmarktes auszuschöpfen. Auch insoweit spielen also Gemeinwohlinteressen, nämlich die Stärkung des Binnenmarktes, eine Rolle bezüglich der gesetzgeberischen Interessenabwägung zwischen Bestands- und Lösungsinteresse. 5. Ausschlussgründe Ausgeschlossen ist das Außergeschäftsraumwiderrufsrecht des Verbrauchers in den Fällen der §§ 312 Abs. 2 und 312g Abs. 2, 3 BGB. Hier zählt der Gesetzgeber besondere Umstände und Situationen auf, in denen er die grundsätzliche Bevorzugung des Lösungsinteresses des Verbrauchers gegenüber dem Bestandsinteresse des Unternehmers bei besonderen Vertriebsformen ausnahmsweise für ungerechtfertigt oder überflüssig hält.1004 Was die Bereichsausnahmen des § 312 Abs. 2 BGB betrifft, geht es im Wesentlichen um die Abgrenzung gegenüber anderen Regelungskomplexen mit Verbraucherschutzcharakter sowie um Situationen, in denen der Gesetzgeber die Regelungen für besondere Vertriebsformen im Vergleich zu ihrem Nutzen für den Verbraucher als zu aufwändig und zu belastend für die Wirtschaft hält.1005 Es handelt sich einerseits um Fälle, in denen das Interesse des Verbrauchers durch anderweitige Regelungen derart geschützt wird, dass es nach Ansicht des Gesetzgebers einer Berücksichtigung des Lösungsinteresses im Rahmen der Außergeschäftsraumregelung nicht bedarf. So wird etwa 1001

Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 63. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 63. 1003 Dies deckt sich mit der Erkenntnis, dass unverzerrter Wettbewerb geradezu Leitbild und Ziel des gesamten Binnenmarktes ist, Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137. 1004 Janal, WM 2012, 2314, 2316; Förster, JA 2014, 721, 723 ff.; so auch bereits Schmidt-Kessel/Sorgenfrei für die den Ausnahmetatbeständen in § 312g Abs. 2 BGB im Wesentlichen entsprechenden Ausnahmen vom Widerrufsrecht in Art. 16 VR-RiL, Schmidt-Kessel/Sorgenfrei, GPR 2013, 242, 246. 1005 Brönneke/Schmidt, SB1, Kapitel 2 Rn. 7. 1002

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

237

bei den von der Ausnahme gem. § 312 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassten notariell beurkundeten Verträgen davon ausgegangen, dass der Verbraucher bereits seitens des Notars umfassend belehrt worden ist.1006 Bei der Ausnahme in § 312 Abs. 2 Nr. 7 BGB für Behandlungsverträge i. S. d. § 630a BGB soll der Verbraucher wegen der besonderen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten nicht schutzwürdig sein.1007 Entsprechendes gilt bezüglich der Ausnahme in § 312 Abs. 2 Nr. 11 BGB für Verträge zur Nutzung einer einzelnen vom Verbraucher hergestellten Telefon-, Internet- oder Telefaxverbindung, bei denen der Verbraucher durch die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes besonders geschützt sein soll.1008 Andererseits geht es um Fälle, in denen die Bewertung von Bestands- und Lösungsinteresse aus tatsächlichen Gründen zugunsten des Bestandsinteresses ausfällt. Dies gilt etwa in Bezug auf die Ausnahme nach § 312 Abs. 2 Nr. 12 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, deren Leistung sofort erbracht werden und deren zu zahlendes Entgelt 40 Euro nicht überschreitet, weil der Verbraucher hier wegen der geringen wirtschaftlichen Gefährdung als weniger schutzwürdig betrachtet wird.1009 § 312g Abs. 2 BGB betrifft hingegen überwiegend Fälle, in denen die Vertragsauflösung dem Unternehmer aus Sicht des Gesetzgebers wirtschaftlich unzumutbar ist bzw. ein besonders hohes Missbrauchspotential durch den Lösungsberechtigten besteht.1010 So kann etwa der Unternehmer in den Fällen des § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, in denen die Ware eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten ist, in der Regel – wenn überhaupt – nur unter großen Schwierigkeiten anderweitig absetzen.1011 Entsprechendes gilt auch für schnell verderbliche Waren (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB) und versiegelte Hygieneartikel bei denen die Versiegelung entfernt wurde (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB). Mit den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers rechtfertigt sich auch die Ausnahme nach § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 9 BGB für Verträge über bestimmte Dienstleistungen, die zu einem spezifischen Termin oder einem bestimmten Zeitraum zu erbringen sind, da dem Unternehmer hier nicht zugemutet werden könne Kapazitäten bereitzustellen, die er bei einem Widerruf möglicher Weise nicht mehr anderweitig nutzen kann.1012 1006

Mesch, VuR 2015, 251, 723. Buchmann, K&R 2014, 562, 563. 1008 Buchmann, K&R 2014, 562, 563; Mesch, VuR 2015, 251, 723. 1009 So etwa die Ausnahme nach § 312 Abs. 2 Nr. 12 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, deren Leistung sofort erbracht werden und deren zu zahlendes Entgelt 40 Euro nicht überschreitet, weil der Verbraucher hier wegen der geringen wirtschaftlichen Gefährdung als weniger schutzwürdig betrachtet wird, vgl. Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 346. 1010 Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 3, 4; Koch, JZ 2014, 758, 761; Förster, JA 2014, 721, 728 f. 1011 AG Siegburg, Urt. v. 25.09.2014 – 115 C 10/14, MMR 2015, 28. 1012 Erwägungsgrund 49 VR-RiL und ausführlich Ernst, VuR 2015, 337. 1007

238 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Hat der Unternehmer hingegen (wie in den Fällen des § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BGB vorausgesetzt) Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierte geliefert, bestünde die Gefahr, dass der Verbraucher durch ein Widerrufsrecht dazu verleitet wird sich die Inhalte „kostenlos“ zu verschaffen, indem er sich nach dem Konsum vom Vertrag löst. Eine entsprechende Gefahr besteht auch bei der Lieferung von versiegelten Ton- oder Videoaufnahmen und Computersoftware, wenn der Verbraucher den Widerruf auch noch nach Entfernung des Siegels erklären könnte (§ 312g Abs. 2 Nr. 6 BGB). In Fällen von Dienstleistungen deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist eintreten (§ 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB) würde ein Widerrufsrecht dem Kunden eine Chance für opportunistisches Verhalten eröffnen: Den Profit aus positiven Entwicklungen könnte er einstreichen, Verluste aus negativen Entwicklungen dagegen auf den Dienstleister abwälzen und so externalisieren.1013 Hier ist also das Bestandsinteresse des Unternehmers aus Gesetzgebersicht besonders gewichtig, sodass das Lösungsinteresse nicht überwiegen kann.1014 In den Fällen des § 312g Abs. 3 steht dem Verbraucher kein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zu, da ihm bereits durch bestimmte vorrangige Vorschriften ein solches eingeräumt wird und er insofern keines weiteren Schutzes bedarf.1015 Versteht man die Beschränkung des Außergeschäftsraumwiderrufs in § 312 Abs. 1 BGB auf solche Verträge, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, dahingehend, dass nur solche Verträge erfasst sein sollen, in denen der Unternehmer sich zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt verpflichtet hat, wäre dies ebenfalls als gesetzliche Wertung einzustufen.1016 Denn wie oben dargestellt, ist für die Begründung des Lösungsinteresses des Verbrauchers lediglich erforderlich, dass er sich in der Außergeschäftsraumsituation zu einer Leistung verpflichtet hat.1017 Versteht man die Beschränkung des § 312 Abs. 1 BGB also im hier vertretenen engen Sinne, scheint es auf den ersten Blick, als ob das Lösungsinteresse desjenigen Verbrauchers, der sich in der Außergeschäftsraumsituation lediglich „einseitig“ bindet, geringer gewichtet würde als das Lösungsinteresse eines Verbrauchers in den Fällen, in denen auch der Unternehmer sich zu einer Leistung verpflichtet. Ein derartiges Ergebnis wirkt zunächst paradox, denn die Schutzbe-

1013

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 509 f. Eidenmüller zieht dabei aus den zahlreichen Ausnahmeregelungen den Schluss, dass der Gesetzgeber den Wertungsgesichtspunkt des Überraschungsmoments selbst für wenig tragfähig erachtet hat, Eidenmüller, AcP 2010, 67, 85, wobei er sich allerdings auf den europäischen Gesetzgeber und die Ausnahmen im Richtlinienentwurf zur Verbraucherrechterichtlinie bezieht. 1015 Förster, ZIP 2014, 1569, 1573. 1016 So etwa NK-BGB/Ring, § 312 Rn. 6. 1017 Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 28. 1014

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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dürftigkeit des Verbrauchers ist sogar höher, wenn seiner Verpflichtung keine Verpflichtung des Unternehmers gegenübersteht.1018 Rechtfertigen ließe sich ein dieses Ergebnis allerdings mit folgender Überlegung: Wie zuvor dargestellt, lässt sich die generalisierende Unterlegenheit des Bestandsinteresses des Unternehmers bei Außergeschäftsraumsituationen mit seiner bewussten Entscheidung für die Marketingstrategie des Direktvertriebs begründen. In diesem Zusammenhang bezeichnet „Marketingstrategie“ die vormals als „Absatzstrategie“ bezeichnete Taktik, Waren und Dienstleistungen so anzubieten, dass der Vertragspartner bereit ist das Angebot anzunehmen.1019 Eine die generalisierende Unterlegenheit des Bestandsinteresses rechtfertigende „Marketingstrategie“ im Sinne einer Absatzstrategie setzt allerdings voraus, dass der Unternehmer auch Produkte oder Dienstleistungen absetzen will – Gegenstand des Vertrags also eine entgeltliche Leistung seinerseits ist. Eine Beschränkung des Außergeschäftsraumwiderrufsrechts auf Verträge, bei denen der Unternehmer Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet, lässt sich also damit rechtfertigen, dass es in Fällen, in denen der Verbraucher sich bloß einseitig verpflichtet, in der Regel an einer Strategie des Unternehmers im Sinne des planmäßigen Vorgehens zum Wettbewerbsvorteil fehlt. Es ginge also bei der Beschränkung in § 312 Abs. 1 BGB nicht um die geringere Gewichtung des Lösungsinteresses in den Fällen, in denen sich der Verbraucher einseitig verpflichtet. Vielmehr wäre die Begründung darin zu sehen, dass das Bestandsinteresse des Unternehmers in denjenigen Fällen, in denen der Vertragsschluss in der Außergeschäftsraumsituation Teil seiner Marketingstrategie ist, geringer zu gewichten ist als in den Fällen, in denen die Ursache des Vertragsschlusses außerhalb der Geschäftsräume lediglich in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegt. Letzteres dürfte bei einseitigen Verpflichtungen des Verbrauchers wohl bei der überwiegenden Anzahl der Fälle zutreffen. So wird etwa der Kreditgeber in der EuGH-Rechtssache „Dietzinger“ 1020 den potentiellen Bürgen wohl nicht primär deshalb aufgesucht haben, weil er damit gerechnet hat hierdurch eine größere Chance zum Abschluss des Bürgschaftsvertrags zu haben. Vielmehr dürfte der Hausbesuch des Bankangestellten ausschließlich den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet gewesen sein. In diesem Zusammenhang ist auch die stark generalisierende Tendenz des Gesetzgebers bei der Formulierung der Voraussetzungen des Außergeschäftsraumwiderrufs zu berücksichtigen, die im Ergebnis dazu führt, dass es auf die Frage der „Planmäßigkeit“ im Einzelfall jedoch nicht ankommt. Stattdessen verläuft die 1018 So bereits BGH, Urt. v. 9. 3. 1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993, 1594; in diesem auch Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159; Schwab/Hromek, JZ 2015, 271, 274. 1019 Generell zum Marketing als Mittel zur Erreichung absatzorientierter Unternehmensziele Bruhn, Marketing, S. 14. 1020 EuGH, Urt. v. 17.3.1998 – Rs. C-45/96, NJW 1998, 1295.

240 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Trennlinie vereinheitlicht entlang der Frage, ob sich (auch) der Unternehmer zu einer Leistung verpflichtet oder nicht. Denn nur im ersten Fall liegt regelmäßig eine Marketingstrategie zugrunde und das unternehmerische Bestandsinteresse ist deshalb geringer zu gewichten, sodass sich das Lösungsinteresse durchsetzen kann. Im zweiten Fall fehlt es hingegen häufig an einer entsprechenden Marketingstrategie und eine Abwertung des Bestandsinteresses erscheint nicht geboten, sodass das Lösungsinteresse sich nicht durchsetzen kann. Nun lässt sich gegen die oben aufgezeigte Argumentation ins Feld führen, dass schließlich auch Fälle denkbar sind, in denen der Unternehmer nicht als Verkäufer oder Dienstleister auftritt, sondern als Käufer planmäßig auf Überrumpelungssituationen zurückgreift, um für ihn vorteilhafte Geschäfte abzuschließen.1021 Man denke beispielsweise an einen Unternehmer dessen Geschäftsmodell darin besteht Verbrauchern in einer Haustürsituation ungenutzte Wertsachen zu einem besonders günstigen Preis abzukaufen. Auch in derartigen Situationen, so lässt sich einwenden, müsse doch die planmäßige Nutzung des Direktvertriebs zu einer Geringergewichtung des Bestandsinteresses und damit zum Überwiegen des Lösungsinteresses führen.1022 Sofern also die Begrenzung des Außergeschäftsraumwiderrufs in § 312 Abs. 1 BGB dadurch begründet sei, dass der Unternehmer planmäßig auf die Überrumpelung zurückgreift, hätte der Gesetzgeber auch die Fälle, in denen der Unternehmer als Käufer das Haustürgeschäft als „Marketingstrategie“ anwendet, nicht ausschließen dürfen. Auch diesem Einwand lässt sich jedoch die stark generalisierende Herangehensweise des Gesetzgebers bei Formulierung der Voraussetzungen des Außergeschäftsraumwiderrufs entgegenhalten. Denn diejenigen Fälle, in denen der Unternehmer als Marketingstrategie auf den Direktvertrieb zurückgreift, ohne Verkäufer oder Dienstleister zu sein, dürften die absolute Ausnahme darstellen. 6. Beschränkung der Lösungsmöglichkeit durch die Widerrufsfrist Durch die Beschränkung der Dauer des Widerrufsrechts auf grds. 14 Tage ab Vertragsschluss in § 355 Abs. 2 BGB soll den Interessen des Unternehmers an Klarheit über den Bestand des Vertrags Rechnung getragen werden.1023 Von dem Grundsatz des § 355 Abs. 2 BGB macht das Gesetz bei Außergeschäftsraumverträgen in § 356 BGB jedoch Ausnahmen. Die diesbezüglich wohl relevanteste Ausnahme enthält § 356 Abs. 3 S. 1 BGB, nachdem die 14tägige Widerrufsfrist bei Außergeschäftsraumverträgen generell nicht beginnt, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anfor1021

Maume, NJW 2016, 1041, 1041. Maume, NJW 2016, 1041, 1044. 1023 Brinkmann, ZJS 2012, 744, 749; generell zum Zweck von Befristungen gesetzlicher Beseitigungsrechte, Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 734. 1022

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

241

derungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 bzw. Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB über das Widerrufsrecht unterrichtet hat.1024 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der in geschäftlichen Dingen oftmals wenig bewanderte Verbraucher häufig auch keine Kenntnis über eine etwaige Möglichkeit zur Vertragsauflösung haben wird.1025 Intuitiv dürfte der Verbraucher vielmehr eher davon ausgehen, dass er sich an sein Wort halten lassen muss, auch wenn er seine Vertragsschlusserklärung bereut.1026 Das Widerrufsrecht wäre in diesen Konstellationen kein effektives Mittel zur Befriedigung des überwiegenden Lösungsinteresses des Verbrauchers1027 und würde damit auch den Zweck der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen durch die Beschränkung ungewollter Vertriebspraktiken nicht erreichen.1028 Der Unternehmer, der sich für den Absatz über das Haustürgeschäft entscheidet, wird als „repeat-player“ 1029 die Rechtslage in der Regel hingegen sehr genau kennen und sich damit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch der grundsätzlichen Widerruflichkeit des Vertrags bewusst sein.1030 Da dem Unternehmer die Kenntnis der Rechtslage unterstellt wird, sieht es der Gesetzgeber als ihm zumutbar an, den Verbraucher über ein etwaiges Widerrufsrecht zu informieren,1031 um so die Effektivität des Widerrufsrechts zu gewährleisten.1032 Hierzu müssen dem Verbraucher neben der Tatsache, dass ihm überhaupt ein Widerrufsrecht zusteht, freilich auch Informationen über den Adressaten des Widerrufs zur Verfügung gestellt werden und zwar in einer Art und Weise, die es dem Verbraucher ermöglicht zum Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts auf diese Informationen zurück zu greifen.1033 Zudem muss die Information auch korrekt sein. So können beispielsweise bereits unrichtige Zusätze dazu führen, dass der Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufs abgehalten wird und damit der Zweck der Informationspflicht vereitelt wird.1034 Ist der Verbraucher allerdings richtig und vollständig informiert, kann er ab dem Zeitpunkt, ab dem das Überraschungsmoments bzw. die Drucksituation entfallen ist, den Vertragsschluss reflektieren und das ihm zur Befriedigung eines etwaigen Lösungsinteresses zustehende Widerrufsrecht aus1024 Dabei soll es maßgeblich auf die Belehrung unmittelbar durch den Unternehmer selbst ankommen, AG Mettmann, Urt. v. 06.08.2014 – 21 C 304/13, MMR 2014, 812. 1025 Insofern hat die Widerrufsbelehrung eine Hinweisfunktion, Thüsing, NJW 2014, 2861. 1026 Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 362. 1027 Janal, VuR 2015, 43, 43. 1028 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 754. 1029 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 7. 1030 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 754. 1031 Der Unternehmer wird insoweit als „cheapest information provider“ eingestuft, Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 754. 1032 BGH, Urt. v. 15.05.2014 – III ZR 368/13, NJW 2014, 2857, Rn. 37. 1033 Janal, VuR 2015, 43, 45. 1034 Rehberg, VuR 2014, 407, 408.

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üben. Gewöhnlich entfällt die Drucksituation bereits kurz nach dem Vertragsschluss. Dementsprechend wird dem Verbraucher, unter Berücksichtigung des Interesses des Unternehmers an Klarheit über den Bestand des Vertrags, mit der regelmäßigen Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Vertragsschluss ein großzügig bemessener Zeitraum zur entsprechenden Reflektion und Ausübung seines Lösungsrechts zugesprochen.1035 Unterlässt es der Unternehmer allerdings den Verbrauchers zu belehren und ist dieser wegen der daraus folgenden Unkenntnis über sein Widerrufsrecht nicht in der Lage, unmittelbar nach dem Wegfall des Überraschungsmoments bzw. der Drucksituation sein Lösungsrecht geltend zu machen, ist die Verzögerung des Widerrufs letztlich dem Unternehmer zurechenbar.1036 In derartigen Konstellationen ist das Interesse des Unternehmers an Rechtsklarheit von geringerem Gewicht, sodass es zugunsten der Effektivität des Widerrufs zurücktreten muss und dem Verbraucher die Ausübung seines Widerrufs daher über die 14 Tage ab Vertragsschluss hinaus gewährt wird.1037 Da die Verpflichtung des Unternehmers zur Widerrufsbelehrung und die aus ihrer Verletzung folgenden Konsequenzen unabhängig davon bestehen, ob der Verbraucher tatsächlich nicht über sein Widerrufsrecht informiert war, handelt es sich bei der Regelung allerdings um eine sehr grobe Typisierung. Fehlt eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung, steht dem Verbraucher das Widerrufsrecht bei Verträgen über Finanzdienstleistungen grds. unbeschränkt (sogenanntes „ewiges Widerrufsrecht“ 1038) und bei sonstigen Verträgen immerhin zwölf Monate und 14 Tage zu, § 365 Abs. 3 S. 2 BGB.1039 Die zeitliche Begrenzung der Widerruflichkeit von Außergeschäftsraumverträgen, die keine Verträge über Finanzdienstleistungen sind, dient dazu eine gesicherte Rechtslage nach dem Ablauf eines regelmäßig zur Wahrung der Verbraucherinteressen hinreichenden Zeitraums zu gewährleisten.1040 Aber auch bei Verträgen über Finanzdienstleistungen wird den Interessen des Unternehmers an Klarheit über den Bestand des Vertrags dadurch Rechnung getragen, dass ein Zeitpunkt bestimmt wird, in dem das Lösungsinteresse des Verbrauchers auch ohne dessen Kenntnis vom Widerrufsrecht hinter das Bestands-

1035

Koch, JZ 2014, 758, 760. EuGH, Urt. v. 13.12.2001 – Rs. C-481/99, NJW 2002, 281, Rn. 47. 1037 Zum damit verbundenen Anreiz für den Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß zu belehren, Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 755. 1038 Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 343, 349. 1039 Maßgeblich für den Beginn der Ausschlussfrist ist dabei der Vertragsschluss bzw. der in § 356 Abs. 2 genannte Zeitpunkt. 1040 HK-BGB/Schulze, § 356 Rn. 7; Unger, ZEuP 2012, 270, 289; Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 547; der Unternehmer soll grds. nicht auch noch nach Jahren mit der Ausübung des Widerrufs „überrascht“ werden können, Koch, JZ 2014, 758, 760. 1036

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interesse des Unternehmers zurücktreten muss.1041 Nach § 356 Abs. 4 S. 3 BGB erlischt das Widerrufsrecht des Verbrauchers in derartigen Fällen, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vollständig erfüllt worden ist.1042 Mankowski hält es für widersprüchlich, dass dem Verbraucher durch das Konzept der schwebenden Wirksamkeit ein Erfüllungsanspruch zugestanden wird, er wenn er diesen geltend macht allerdings sein Widerrufsrecht verliert.1043 Bei den in § 356 Abs. 4 S. 3 BGB genannten Konstellationen hat der Verbraucher indes auch nach dem Wegfall des Überraschungsmoments bzw. der Drucksituation sein Interesse an der Leistung abermals bekundet, sodass ein etwaiges Lösungsinteresse des Verbrauchers hier von geringem Gewicht erscheint.1044 Zudem ist mit der anschließenden beidseitigen vollständigen Erfüllung des Vertrags ein Zustand eingetreten, in dem der Fortbestand des Vertrags gleichzeitig dem Rechtsfrieden dient, sodass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt das Bestandsinteresse als durchaus besonders gewichtig eingestuft werden kann. Die Begrenzung der Widerruflichkeit in § 356 Abs. 4 S. 3 BGB steht somit nicht im Widerspruch zum Grundgedanken des Widerrufsrechts. Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz des § 355 Abs. 2 BGB besteht nach § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB bei einem im Rahmen von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Verbrauchsgüterkauf, also sofern der entsprechende Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher den Kauf eines beweglichen Gegenstands betrifft.1045 Hier wird für den Fristbeginn an Stelle des Vertragsschlusses an die Lieferung der Ware angeknüpft.1046 Dem liegt allerdings keine speziell auf Außergeschäftsraumverträge zugeschnittene Überlegung zugrunde. Denn da der Verbraucher bei Außergeschäftsraumverträgen – eine ordnungsgemäße Belehrung vorausgesetzt – bereits immer dann zu einer reflektierten Beurteilung 1041

Unger, ZEuP 2012, 270, 289. BeckOGK/Mörsdorf, § 356 BGB Rn. 54. Zu den mit § 356 Abs. 4 S. 2 BGB in Zusammenhang stehenden § 356 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 BGB sogleich. Diesbezüglich ist allerdings – in Abweichung von § 356 Abs. 4 S. 2 BGB die Kenntnis des Verbrauchers über das Widerrufsrecht grundlegende Voraussetzung für das Ende der Widerrufsfrist, Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 291; sogar weitergehend – Belehrung des Verbrauchers auf einem dauerhaften Datenträger als Voraussetzung, Buchmann, K&R 2014, 562, 656. 1043 Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 368. 1044 In diesem Sinne auch Koch, JZ 2014, 758, 761, der darauf hinweist, dass das ausdrückliche Zustimmungserfordernis den Verbraucher vor Übereilung schützt und ihm der Verlust seines Widerrufsrechts verdeutlicht wird, sodass der Nachteil des frühen Erlöschens des Widerrufsrechts zum Teil wieder aufgefangen wird. 1045 § 474 Abs. 1 S. 1 BGB; zu den Besonderheiten bei der Beurteilung von gemischten Verträgen Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 3, 5. 1046 Zu den Besonderheiten bei der Bestellung mehrerer Waren und der Lieferung in Teilsendungen Janal, VuR 2015, 43, 47; Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 3, 4; Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 546. 1042

244 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

des Vertragsschlusses und Geltendmachung seines Lösungsrechts in der Lage ist, sobald das Überrumpelungsmoment bzw. die Drucksituation entfallen ist,1047 kommt es diesbezüglich auf den Warenerhalt nicht an. Die Regelung des § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB erklärt sich daher nur mit den Vereinheitlichungsbestrebungen bezüglich der Bestimmungen von Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen. Nur bei Letzteren erfordert die Effektivität des Widerrufsrechts mit Blick auf die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses, dass der Verbraucher die Ware grundsätzlich zunächst erhält.1048 Zusätzliche Besonderheiten in Bezug auf die Widerrufsfrist enthalten § 356 Abs. 4 und 5 BGB. So erlischt das Widerrufsrecht bei im Rahmen von Haustürgeschäften geschlossenen Dienstleistungsverträgen – mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen1049 – auch innerhalb der 14tägigen Widerrufsfrist, sofern der Unternehmer seine Dienstleistung vollständig erbracht hat und mit der Durchführung der Dienstleistung erst begonnen wurde, nachdem der Verbraucher hierzu seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat und gleichzeitig seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert (§ 356 Abs. 4 S. 1 BGB).1050 Indem im Rahmen sonstiger Dienstleistungen bereits die einseitige Erfüllung des Unternehmers reicht, besteht insoweit nicht das Risiko, dass der Verbraucher den Fristlauf durch Nichtzahlung verhindert. Gerade in Fällen, in denen der Unternehmer vorleistungspflichtig ist, bestünde für diesen anderfalls auch ein erhebliches Risiko.1051 Eine Vorleistungspflicht des Unternehmers ist indes bei sonstigen Dienstleistungen eher üblich als bei Finanzdienstleistungen. Bei Verträgen über die Lieferung von digitalen Inhalten, die sich nicht auf einem körperlichen Datenträger befinden, erlischt das Widerrufsrecht nach § 356 Abs. 5 BGB sogar bereits mit dem Beginn der Ausführung des Vertrags, wenn der Verbraucher diesem ausdrücklich zugestimmt hat und zuvor seine Kenntnis vom Erlöschen des Widerrufsrechts bestätigt hat.1052 In beiden Fällen ist – im Gegensatz zu den Fällen des § 357 Abs. 3 S. 2 BGB – gewährleistet, dass der Verbraucher Kenntnis über ein etwaiges Widerrufsrecht hat.1053 Stimmt er der Vertragsdurchführung trotz Kenntnis seines Widerrufsrechts zu, ist ein etwaiges Lösungsinteresse von geringerem Gewicht.1054 Schuldet der Unternehmer eine 1047

s. o., Kapitel 2, § 6, A.I. Im Einzelnen näher unten, Kapitel 2, § 6, B.I. 1049 Zum besonderen Erlöschensgrund des Widerrufsrechts bei Finanzdienstleistungsverträgen s. o., Kap. 2, Fn. 1042. 1050 MünchKommBGB/Fritsche, § 356 Rn. 36. 1051 Buchmann, K&R 2014, 562, 562. 1052 Peintinger, MMR 2016, 3, 4. 1053 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 291; s. auch Kap. 2, Fn. 1042. 1054 Koch, JZ 2014, 758, 761; Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 71, 71. 1048

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Dienstleistung und hat er diese vollständig erbracht, ist sein Bestandsinteresse mangels Möglichkeit zur Rückabwicklung in natura1055 besonders gewichtig. Ein entsprechendes besonderes Gewicht soll auch dem Bestandsinteresse des Unternehmers zukommen, der die Lieferung von digitalen Inhalten schuldet, die sich nicht auf einem körperlichen Datenträger befinden, und der mit der Leistungserfüllung begonnen hat. Hier dürften dem Gesetzgeber diejenigen Konstellationen vorgeschwebt sein, in denen der Verbraucher die digitalen Inhalte bereits vor der vollständigen Erfüllung nutzen konnte. Zwar ist hier – anders als bei Dienstleistungen im Sinne des § 356 Abs. 4 S. 1 BGB – die Rückabwicklung technisch grds. auch in natura möglich.1056 Jedoch besteht hier ein besonderes Missbrauchspotential, das mit dem Ausschluss des Widerrufsrechts im Interesse des Unternehmers verhindert werden soll.1057 III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Außergeschäftsraumverträgen nach §§ 312g, 312b, 312 BGB In § 312b BGB beschreibt der Gesetzgeber Situationen, in denen er für eine der Vertragsparteien die Gefahr sieht, einen unüberlegten Vertrag wegen einer Überrumpelung zu schließen.1058 Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt in den Fällen des Außergeschäftsraumwiderrufs also daraus, dass eine Partei den Vertrag wegen der bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegender Überrumpelung nachträglich bereut. Durch die Voraussetzungen des Außergeschäftsraumwiderrufs wird jedoch nicht sichergestellt, dass eine „Überrumpelung“ auch kausal für den Vertragsschluss war.1059 Die Gesetzesformulierung gewährleistet also nicht, dass im konkreten Fall eine „Überrumpelung“ zum Abschluss des aus Sicht der einen Partei ungewollten Vertrags geführt hat.1060 Vielmehr handelt es sich um eine typisierende Einschätzung des Gesetzgebers, dass sich das Lösungsinteresse bei in den beschriebenen Situationen geschlossenen Verträgen regelmäßig aus einer entsprechenden Überrumpelung ergibt.1061 Da lediglich aus der Vertragsschlusssituation in typisierender Weise auf eine das Lösungsinteresse begründende Überrumpelung geschlossen wird, ist auch in sol1055

s. u. Kapitel 3, § 10, B. Lomfeld, ZRP 2016, 174, 175. 1057 Lomfeld, ZRP 2016, 174, 175. 1058 Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 29. 1059 Brönneke/Schmidt in: Brönneke/Tonner, Verbraucherrechtsreform 2014, Kapitel 2, Rn. 4. 1060 Wie Schärtl feststellt, wird lediglich sichergestellt, dass die situativ-typisierte Überrumpelungsgefahr zumindest potenziell Einfluss auf die konkrete Vertragsschlussentscheidung des Verbrauchers hatte, Schärtl, JuS 2014, 577, 579. 1061 Der situative Kontext wird insoweit nur ausnahmsweise berücksichtigt, Förster, ZIP 2014, 1569, 1570 f.; Mesch, VuR 2015, 251, 725. 1056

246 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

chen Fällen eine Loslösung vom Vertrag möglich, in denen eine solche im Einzelfall überhaupt nicht gerechtfertigt ist.1062 Die Voraussetzungen des Widerrufsrechts nach §§ 312g, 312b, 312 BGB gewährleisten insofern nicht, dass die Umstände, die der gesetzgeberischen Interessenabwägung zugrunde liegen, auch im Einzelfall gegeben sind.1063 Da sich die in typisierender Weise zugrunde gelegte Überrumpelung aus der Entscheidung des Unternehmers ergibt, auf das Haustürgeschäft als Marketingstrategie zurückzugreifen, hat dieser entgegen der Ansicht von Koch1064 das Lösungsinteresse des Verbrauchers zurechenbar verursacht.1065 Um eine Pflichtverletzung handelt es sich hierbei jedoch nicht.1066 Abgesehen davon, dass der Unternehmer auf das Haustürgeschäft als Absatzstrategie zurückgegriffen hat, setzt das Gesetz für das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen keine weiteren Umstände voraus, aus denen sich eine Reduzierung des konkreten Bestandsinteresses des Unternehmers ergibt. Innerhalb der Interessenabwägung wird, indem an Stelle einer Einzelfallbetrachtung die typisierenden Merkmale Verbraucher und Unternehmer herangezogen werden, zudem eine stark generalisierende Betrachtung zugrunde gelegt.1067 Es ist nicht relevant, ob im konkreten Fall die Umstände tatsächlich vorliegen, aus denen sich eine Höhergewichtung des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse rechtfertigt.1068 Hier wird das konkrete Bestandsinteresse des einzelnen Unternehmers also zugunsten von gesamtwirtschaftlichen Effizienzüberlegungen1069 zurückgestellt. Auch werden im Rahmen der Regelungen über den Außergeschäftsraumwiderruf nicht lediglich die Interessen der am konkreten Vertrag beteiligten Parteien abgewogen, sondern auch Gemeinwohlinteressen (Stichwort Binnenmarkt) in die Abwägung einbezogen. Daraus folgt insgesamt, dass dem generellen Bestandsinteresse im Rahmen des Außergeschäftsraumwiderrufs ein relativ geringerer Stellenwert zukommt. Dies wird auch nicht durch die grundsätzliche Beschränkung der Widerrufbarkeit des Vertrags auf 14 Tage ab Vertragsschluss ausgeglichen. Zwar tragen die 1062 Canaris, AcP 2000, 273, 346; Koch, GPR 2014, 128, 133; Wendehorst, NJW 2014, 577, 581. 1063 So allgemein für die verbraucherschützenden Widerrufsrechte Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 236. 1064 Koch, GPR 2014, 128, 132. 1065 So auch Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 350. 1066 Kohler, JZ 2001, 325, 336. 1067 Schärtl, JuS 2014, 577, 579. 1068 In diesem Sinne auch Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 36: „Die Rollendefinition des Verbrauchers etwa gibt pauschal Interessen und Fähigkeiten vor, die in der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Form womöglich gar nicht oder nur in einem Teil der Fälle vorliegen.“ 1069 So bereits oben, Kapitel 2, § 6, A.II.3.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Regelungen zur Beschränkung des Widerrufsrechts durchweg dem Interesse des Unternehmers an Klarheit über den Bestand des Vertrags Rechnung und stellen insoweit eine grundsätzlich ausgeglichene Interessenabwägung dar, jedoch ändert dies nichts an der generellen Tatsache, dass bei von § 312b BGB erfassten Verträgen insgesamt eine sehr weitreichende Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda gestattet wird. Alles in Allem lässt sich somit bei der Betrachtung des Außergeschäftsraumwiderrufsrechts eine relativ geringe Gewichtung des generellen Bestandsinteresses konstatieren.

B. Das Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB Gem. § 312g Abs. 1 BGB wird einem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen i. S. d. § 312c BGB grds. ein 14tägiges Widerrufsrecht gewährt, sofern nicht eine in § 312g Abs. 2 BGB genannte Konstellation vorliegt. Auch dieses Widerrufsrecht wird im Wesentlichen durch Art. 9 Abs. 1 VR-RiL vorgeschrieben. Demnach hat dem Verbraucher eine 14tägige Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen zuzustehen. In Art. 2 Nr. 7 VR-RiL werden Fernabsatzverträge definiert als Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern, die ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers „im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen werden, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden.“ 1070 I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB Wie auch die Regelung zum Außergeschäftsraumwiderrufsrecht nach §§ 312g, 312b BGB steht das Fernabsatzwiderrufsrecht nach §§ 312g, 312c BGB zunächst unter der Prämisse, dass die Vorschriften über die Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen in §§ 312–312k BGB überhaupt anwendbar sind. Es muss sich bei dem Vertrag also um einen Verbrauchervertrag im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB handeln, bei dem der Unternehmer eine entgeltliche Leistung erbringt. Auf die Ausführungen zum Außergeschäftsraumvertrag kann insoweit zurückgegriffen werden.1071 Als Fernabsatzvertrag gilt nach § 312c Abs. 1 BGB ein Vertrag, bei dem die Vertragsverhandlung und der Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung 1070 1071

Unger, ZEuP 2012, 270, 277. s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.2.

248 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.1072 Sofern ein Dritter als Vertreter für den Unternehmer anwesend ist, hängt die Qualifikation des Vertrags als Fernabsatzvertrag davon ab, ob der Dritte in der Lage ist, den Verbraucher in einem Gespräch zu informieren oder nicht.1073 Kein Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung soll in Fällen anzunehmen sein, in denen ein Verbraucher nach einer Online-Bestellung die Möglichkeit hat die Ware bei Lieferung an der Haustür ganz oder teilweise abzulehnen, da der Vertrag hier erst vor Ort und damit eben nicht mit Fernkommunikationsmitteln erfolge1074 – was zumindest dann zutreffend ist, wenn der Lieferant nicht bloß als Bote und damit selbst als Fernkommunikationsmittel auftritt. Fernkommunikationsmittel sind gemäß § 312c Abs. 2 BGB solche Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind. Beispielhaft als Fernkommunikationsmittel werden im Absatz 2 Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, SMS, Rundfunk und Telemedien genannt. Das Vertriebssystem beschreibt die auf Dauer angelegte Organisationsform des Absatzes der angebotenen Leistungen im Sinne eines systematisch genutzten, dem Leistungsangebot dienenden Kommunikationskanals.1075 Das Dienstleistungssystem betrifft die Leistungserbringung und dient dazu die Vertragsabwicklung für den Abnehmer zu vereinfachen.1076 Für den Fernabsatz sind Absatz- und Dienstleistungssysteme organisiert, wenn sie für die Besonderheiten des Distanzgeschäfts ausgerichtet sind.1077 Im Rahmen eines entsprechenden Absatz- oder Dienstleistungssystems erfolgt der Vertragsschluss, sofern er mit einem solchen System im Zusammenhang steht, wobei es nicht notwendig ist, dass die Willenserklärungen innerhalb des Systems abgegeben werden.1078 Auch im Rahmen des Fernabsatzwiderrufs ist, wie beim Außergeschäftsraumwiderrufsrecht, eine stark ausgeprägte Generalisierung festzustellen, was die Bestimmung des Lösungsinteresses anhand der Voraussetzungen des Fernabsatzwiderrufsrechts erschwert. Das Widerrufsrecht steht bei Fernabsatzverträgen lediglich dem Sach- bzw. Dienstleistungsempfänger zu.1079 Dies lässt sich zum einen dem § 312b BGB

1072

Fischer, Widerrufsrecht, S. 69. OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.08.2014 – 4 U 120/13, NJW-RR 2014, 1521; so auch Brinkmann/Ludwigkeit, NJW 2014, 3270, 3274. 1074 OLG Köln, Urt. v. 07.02.2014 – 6 U 81/13, NJW-RR 2014, 673. 1075 Artz/Brinkmann/Pielsticker, ZAP 2015, 189, 195; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053; in diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 278. 1076 Artz/Brinkmann/Pielsticker, ZAP 2015, 189, 195. 1077 Lorenz, JuS 2000, 833, 833 f.; Artz/Brinkmann/Pielsticker, ZAP 2015, 189, 195. 1078 Neises, NZM 2000, 889, 891. 1073

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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selbst entnehmen. Voraussetzung eines Fernabsatzvertrags ist ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem.1080 Hierbei handelt es sich um auf Dauer angelegte Organisationsformen, die letztlich der Absatzförderung dienen,1081 sodass sie eine professionelle Zwecksetzung erfordern.1082 Damit beschränken die Voraussetzungen des für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems das Fernabsatzwiderrufsrecht auf diejenigen Fälle, in denen der Unternehmer als Verkäufer oder Dienstleister auftritt.1083 Dem Umkehrschluss daraus lässt sich entnehmen, dass der Verbraucher Sachbzw. Dienstleistungsempfänger sein muss. Dies folgt zudem daraus, dass der Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB gem. § 312 Abs. 1 BGB auf Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern beschränkt ist, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Da das Widerrufsrecht nach § 312g BGB nur dem Verbraucher zusteht, kommt man – sofern man entgeltliche Leistung mit der hier vertretenen Auffassung1084 im Sinne von „vertragscharakteristische Leistung“ versteht1085 – ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Widerrufsberechtigter auch Empfänger der vertragscharakteristischen Leistung sein muss. Wie beim Außergeschäftsraumwiderrufsrecht folgt das objektivierte Lösungsinteresse auch beim Fernabsatzwiderrufsrecht aus der besonderen Vertragsschlusssituation. Hinsichtlich des Vertragsgegenstands gibt es – von den Ausnahmen in §§ 312 Abs. 2, 312g Abs. 2, 3 BGB abgesehen – keine Beschränkungen, sodass das Widerrufsrecht bei einer Vielzahl verschiedener Vertragsarten denkbar ist. Hinsichtlich der Begründung des Lösungsinteresses ist insoweit zwischen Erfahrungs- und Vertrauensgütern zu differenzieren.1086 1. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen über Erfahrungsgüter Erfahrungsgüter zeichnen sich dadurch aus, dass der Erwerber ihre Eigenschaften erst nach dem Vertragsschluss feststellen kann.1087 Werden Verträge 1079 BGH, Urt. v. 10.12.2014 – VIII ZR 90/14, NJW 2015, 1009, 1011; Förster, JA 2014, 721, 722; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 128. 1080 Mankowski, ZMR 2002, 317, 322 f. 1081 s. o., Kap. 2., Fn. 1076. 1082 Nicht erforderlich ist hingegen, dass es sich beim Fernabsatz um den einzigen Vertriebsweg des Verkäufers handelt, Klocke, VuR 2013, 377, 378. 1083 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1162. 1084 s. o., Kapitel 2, § 6, A.I. 1085 In diesem Sinne BGH, Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 168/14, NJOZ, 2017, 10 Rn. 30. 1086 Suchgüter, die diesbezüglich eine dritte Kategorie darstellen, sind im Fernabsatz praktisch nicht existent, Eidenmüller, AcP 2010, 67, 103. 1087 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 74 f.

250 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

mittels ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen, fehlt es regelmäßig an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen den Vertragspartnern sowie an einer Möglichkeit den Vertragsgegenstand persönlichen in Augenschein zu nehmen.1088 Mangels unmittelbaren persönlichen Kontakts ist zudem auch die Möglichkeit des Sach- bzw. Dienstleistungsempfängers eingeschränkt, sich von seinem Vertragspartner im unter Umständen erforderlichen Umfang beraten zu lassen.1089 Durch eine gesteigerte Anonymität wird den Vertragsparteien bei Fernabsatzgeschäften zudem häufig die Einschätzung der Seriosität ihres Gegenübers erschwert.1090 Das bedeutet, dass dem Leistungsempfänger hier vor Vertragsschluss oft keine andere Wahl bleibt, als sich auf die generellen Auskünfte einer Person zu verlassen, deren Glaubwürdigkeit er nicht einschätzen kann.1091 Kann der Sach- bzw. Dienstleistungsempfänger sich jedoch notwendige Informationen über den Vertragsgegenstand weder durch eine eigene Begutachtung des Vertragsgegenstands vor dem Vertragsschluss noch durch eine entsprechende Beratung seitens seines Vertragspartners verschaffen, hat er erst nach dem Vertragsschluss – nämlich ab dem Zeitpunkt der Leistungserbringung – die Möglichkeit zur korrekten Beurteilung der Eigenschaften der Leistung.1092 Der Abschluss von Verträgen unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln kann damit dazu führen, dass es sich bei dem Vertragsgegenstand um ein Erfahrungsgut handelt,1093 obwohl es sich bei den Waren um solche handelt, die im stationären Handel als Inspektionsgüter, also Güter bei denen Vor- und Nachteile der Eigenschaften bereits vor dem Vertragsschluss eingeschätzt werden können, einzuordnen wären. Hier besteht für den Erwerber das Risiko erst nach dem Vertragsschluss zu erkennen, dass die Leistung nicht seinen Vorstellungen entspricht und er deshalb den mit dem Vertrag verfolgten Zweck nicht realisieren kann.1094 In Hinblick auf Erfahrungsgüter hat das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse sei-

1088

Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 254. Eidenmüller, AcP 2010, 67, 81; OLG Hamburg, Urt. v. 11.06.2014 – 13 U 17/13, WM 2014, 1538. 1090 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 254; OLG Hamburg, Urt. v. 11.06.2014 – 13 U 17/13, WM 2014, 1538; Mankowski, ZMR 2002, 317, 317; Artz/Brinkmann/ Pielsticker, ZAP 2015, 189, 195. 1091 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136. 1092 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 236; BGH, Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 168/14, NJOZ, 2017, 10 Rn. 30. 1093 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140. 1094 BGH, Urt. v. 03.11.2004 – VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53; BGH, Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 168/14, NJOZ, 2017, 10 Rn. 30; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136; dies gilt jedenfalls bei den sogenannten Erfahrungsgütern, wobei die Einstufung eines Gutes als Erfahrungsgut auch von der Vertriebsform abhängt, Eidenmüller, AcP 2010, 67, 74. 1089

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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nen Ursprung also in einem Informationsdefizit1095 des Sach- bzw. Dienstleistungsempfängers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.1096 2. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen über Vertrauensgüter Auf Vertrauensgüter, also solche Güter, deren Eigenschaften der Erwerber selbst nach dem Vertragsschluss nicht ausreichend beurteilen kann und bei denen er vielmehr dauerhaft auf die Leistungsqualität vertrauen muss,1097 lässt sich diese Begründung des Lösungsinteresses jedoch nicht übertragen.1098 Denn bei Vertrauensgütern wird das Informationsdefizit auch nach dem Vertragsschluss nicht ausgeglichen, sondern besteht weiterhin fort, sodass sich ein Lösungsinteresse hier nicht aus der Erkenntnis einer Fehlinformation herleiten lässt.1099 Letzteres gilt insbesondere für unkörperliche Produkte wie etwa Finanzdienstleistungen.1100 Diesbezüglich stellt Eidenmüller zutreffend fest, „wer Fondsanteile oder ein Versicherungsprodukt erwirbt und bei Vertragsschluss nicht in der Lage war, dieses Gut angemessen zu beurteilen [. . .] [wird] nach Vertragsschluss hierzu genauso wenig imstande sein – die Informationsprobleme sind dieselben.“ 1101 Zwar besteht auch hier die Gefahr, dass es wegen der gesteigerten Anonymität im Fernabsatz schwerer möglich ist die Seriosität des Vertragspartners einzuschätzen.1102 Und wie Pfeiffer feststellt, kommt es bei Vertrauensgütern sogar in besonderem Maße auf die Seriosität des Vertragspartners an.1103 Allerdings lässt auch die Vertragsdurchführung hier in der Regel keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Seriosität des Unternehmers zu. Erst Recht lässt sich Seriosität eines Finanzdienstleisters in der Regel nicht innerhalb von zwei Wochen ab Vertragsschluss ausreichend beurteilen. Man wird für das Lösungsinteresse bei Vertrauensgütern wie Finanzdienstleistungen also andere Ursachen annehmen müssen, als die Schwierigkeit die Seriösität des Vertragspartners einzuschätzen. 1095 Verursacht durch die „Unsichtbarkeit von Vertragspartner und Leistungsgegenstand“, Lettl, JA 2010, 694, 699. 1096 Reiner, AcP 2003, 1, 10. 1097 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 74. 1098 In diesem Sinn auch Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 290. 1099 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 74; auch der BGH stellt fest, dass sich „der Zweck des bei Fernabsatzgeschäften vorgesehenen Widerrufsrechts nicht darauf [beschränke], dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, die Ware zu prüfen und bei Nichtgefallen zurückzugeben“, freilich ohne näher zu erläutern worin der Zweck darüber hinaus besteht, Urt. v. 16.03.2016 – VIII ZR 146/15, NJW 2016, 1951, Rn. 19. 1100 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 80. 1101 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 80. 1102 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 91. 1103 Pfeiffer, NJW 2011, 1, 4.

252 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Diese dürften darin liegen, dass der Fernabsatz mitunter zu impulsiven Vertragsschlüssen verleitet,1104 da hier – verglichen mit dem stationären Handel jedenfalls in Bezug auf Vertrauensgüter – oftmals geringere tatsächliche Hürden für den Vertragsschluss bestehen.1105 Die Gefahr, dass eine Person sich zu impulsiven Vertragsschlüssen hinreißen lässt, besteht zwar auch im stationären Handel, dort betrifft sie aller Regel aber nur Güter des täglichen Lebens. Anders verhält es sich regelmäßig bei Vertrauensgütern wie Finanzdienstleistungen.1106 Während etwa bei Finanzdienstleistungen ein impulsiver Vertragsschluss im stationären Handel wohl eher die Ausnahme darstellt, ist dies im Fernabsatz – gerade wegen der geringen Hürden zum Vertragsschluss – nicht unwahrscheinlich.1107 So begibt man sich beispielsweise selten „zufällig“ in seine Bankfiliale. Im Internet reicht hingegen mitunter ein „falscher Klick“ und man findet sich mit einem Angebot über eine Finanzdienstleistung konfrontiert. Unter diesen Umständen mag es durchaus zu kurzentschlossenen Vertragsschlüssen kommen.1108 Das Angebot erscheint attraktiv und der Betroffene hat – insbesondere wenn er lediglich durch Zufall auf das Angebot gestoßen ist – mitunter weder Zeit noch Lust, sich intensiv mit dem Inhalt zu beschäftigen. Zudem fehlt es bei Vertragsschlüssen „in der eigenen Wohnung“ an der seriösen Atmosphäre einer Bank oder eines Versicherungsbüros, die oftmals besonders für die erheblichen Konsequenzen von Vertragsschlüssen sensibilisiert.1109 Ein kurzentschlossener Abschluss eines Vertrags über Finanzdienstleistungen steht aber in deutlichem Gegensatz zur Komplexität und den regelmäßig langfristigen Auswirkungen solcher Verträge.1110 Gerade bei komplexen Verträgen, wie sie Vertrauensgüter häufig darstellen, mag die Partei also die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen nicht vollständig durchdrungen haben.1111 In derartigen Fällen unterliegt die impulsiv handelnde Partei mitunter ebenfalls – bewussten oder unterbewussten – Fehlvorstellungen.1112 Kommt die impulsive Vertragspartei nach dem Vertragsschluss, etwa weil sie sich ausgiebiger mit den Konsequenzen des Vertrags auseinandergesetzt hat, zu der Schlussfolgerung, dass der Vertragsschluss im Ergebnis nicht ihren Interessen entsprach, tritt an die Stelle des Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse. 1104

Benecke, ZIP 2016, 1897, 1898. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 237; in diesem Sinne wohl auch BGH, Urt. v. 15.05.2014 – III ZR 368/13, NJW 2014, 2857, Rn. 37. 1106 Pfeiffer, NJW 2011, 1, 4; a. A. wohl Lederer, NJOZ 2011, 1833, 1836. 1107 Pfeiffer, NJW 2011, 1, 6. 1108 Daran ändert es auch nichts, dass bei Bankgeschäften der Fernabsatz, wie Benecke konstatiert, mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme ist, Benecke, ZIP 2016, 1897, 1900. 1109 Benecke, ZIP 2016, 1897, 1900. 1110 Dass es sich bei Finanzdienstleistungen regemäßig um komplexe und langfristige Verträge handelt, auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 90. 1111 Fischer, Widerrufsrecht, S. 68. 1112 Fischer, Widerrufsrecht, S. 68. 1105

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

253

3. Zusammenfassung Es lässt sich also festhalten, dass mit Blick auf die Begründung des gesetzgeberisch unterstellten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen zwischen Erfahrungsgütern und Vertrauensgütern zu unterscheiden ist. Bei Erfahrungsgütern folgt das objektivierte Lösungsinteresse insbesondere aus einem vorvertraglichen Informationsdefizit bezüglich der Leistung.1113 Hierbei kommt erschwerend hinzu, dass die gesteigerte Anonymität im Fernabsatz die Einschätzung der Seriosität des Vertragspartners behindert.1114 Bei Vertrauensgütern wie Fondsanteilen und Versicherungsprodukten lässt sich ein Lösungsinteresse damit hingegen nicht begründen, denn auch zu einem späteren Zeitpunkt wird der Erwerber regelmäßig nicht in der Lage sein, die Qualität der Leistung und Seriosität des Vertragspartners hinreichend zu beurteilen. Hier hat das objektivierte Lösungsinteresse seine Ursache vielmehr in der bei Fernabsatzverträgen nicht unüblichen Übereilung, die häufig im besonderen Gegensatz zur Komplexität und rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Vertrags über das Vertrauensgut steht. In beiden Fällen folgt das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse beim Fernabsatzwiderruf daraus, dass der Vertrag aus Sicht des Verbrauchers wegen Umständen, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorlagen, unerwünscht ist. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt beim FernabsatzWiderrufsrecht aus einem Informationsdefizit bzw. einer Übereilung beim Abschluss komplexerer Verträge durch den Sach- bzw. Dienstleistungsempfänger. Die Regelung setzt jedoch nicht voraus, dass der Lösungsberechtigte tatsächlich ein Informationsdefizit hatte bzw. übereilt handelte, sondern lässt die Gefahr hierfür ausreichen. Andererseits rechtfertigt ein tatsächlich aus der Vertragsschlusssituation folgendes Informationsdefizit bzw. eine entsprechende Übereilung nach Ansicht des Gesetzgebers das Überwiegen seines Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse nicht in jedem Fall.1115 Zunächst ist hier – wie für das Außergeschäftsraumwiderrufsrecht – das Zusammentreffen eines Verbrauchers im Sinne des § 13 BGB mit einem Unterneh-

1113 BGH, Urt. v. 03.11.2004 – VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53; Urt. v. 10.12.2014 – VIII ZR 90/14, NJW 2015, 1009, 1011. 1114 Das OLG Hamburg formuliert insoweit: „Das Fernabsatzrecht will den Verbraucher vor dem anonymen Unternehmer schützen, der sich hinter Hochglanzprospekten und aufwändig gestalteten Werbeanzeigen versteckt“, Urt. v. 11.06.2014 – 13 U 17/13, WM 2014, 1538. 1115 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 325.

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mer im Sinne des § 14 BGB erforderlich, wobei ausschließlich dem Verbraucher das Widerrufsrecht eingeräumt wird. Die Partei mit dem Lösungsinteresse muss also aus privater Motivation handeln, ihr Vertragspartner (also diejenige Partei mit dem Bestandsinteresse) muss hingegen professionell agieren. Unter Rückgriff auf die Ausführungen zum Außergeschäftsraumwiderrufsrecht lässt sich auch hier aus der Tatsache, dass sich das Lösungsinteresse nur gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen können soll, wenn diejenige Partei mit dem Lösungsinteresse als Verbraucher agiert und diejenige Partei mit dem Bestandsinteresse unternehmerisch tätig ist, Folgendes schlussfolgern: Die Verbrauchereigenschaft führt einerseits zu einer stärkeren Gewichtung des konkreten Lösungsinteresses dieser Partei und andererseits hat die Unternehmereigenschaft zur Konsequenz, dass das konkrete Bestandsinteresse solcher Personen geringer gewichtet wird.1116 1. Der personelle Anwendungsbereich Was die Fälle betrifft, in denen es um den Erwerb von Erfahrungsgütern geht, wird das Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien, sofern ein mit privater Motivation handelnder Sachleistungsempfänger einer professionell agierenden Partei gegenüber steht, in der Regel besonders gravierend sein. Zwar können Unternehmer als Erwerber ebenfalls ein Informationsdefizit haben, allerdings wird man von ihnen weitergehende Anstrengungen erwarten dürfen, um dieses zu beseitigen.1117 Entsprechendes gilt für die Gefahren eines überstürzten Vertragsschlusses bei Vertrauensgütern. Im Vergleich zu Verbrauchern, die ein Geschäft nur einmal oder selten tätigen, wird ein Unternehmer, der regelmäßig eine Vielzahl entsprechender Geschäfte tätigt, auf Grund von Skaleneffekten in der Regel sinnvollerweise in stärkerem Maße in rationale Entscheidungen investieren,1118 was bedeutet, dass ein unternehmerischer Sach- oder Dienstleistungsempfänger grundsätzlich beim Vertragsschluss besser informiert sein dürfte als ein Verbraucher.1119 Die selbstständige Einholung der vertragsrelevanten Informationen wird dem Unternehmer dementsprechend berechtigter Weise vom Gesetzgeber zugemutet.1120 Ebenso, dass sich ein Unternehmer mit dem Inhalt und den Konsequenzen eines Vertragsschlusses auseinandersetzt. Dies lässt sich zwar auf solche Personen, die weder Verbraucher noch Unternehmer sind, nicht ohne Weiteres übertragen, allerdings bestehen hier – wie auch 1116

Hierzu auch bereits Kapitel 2, § 6, A.II.2. Eidenmüller, AcP 2010, 67, 101. 1118 Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 45; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137. 1119 Knops, VuR 1998, 107, 112; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 326; auch Engel/Stark gehen davon aus, dass man dem Verbraucher regelmäßig fehlende Marktübersicht attestieren könne, Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 40. 1120 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 326. 1117

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

255

bei mittleren und größeren Unternehmern – insbesondere in Form struktureller Vorkehrungen – andere Möglichkeiten irrationale Entscheidungen zu vermeiden.1121 Indem das Lösungsinteresse sich hier nicht gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen soll, wird deutlich, dass der Rückgriff auf derartige strukturelle Vorkehrungen für zumutbar gehalten wird. Die besondere Gewichtung des Lösungsinteresses von Verbrauchern gegenüber dem Lösungsinteresse sonstiger Personen ist also damit begründet, dass ein aus privater Motivation handelnder Sach- oder Dienstleistungsempfänger oft nur einen vergleichsweise geringen Kenntnisstand bezüglich etwaiger Besonderheiten des Vertragsgegenstands haben wird.1122 Dies gilt allerdings nicht im gleichen Maße, wenn der Verbraucher als Sach- oder Dienstleistungserbringer tätig ist.1123 Auf der anderen Seite wird der professionell agierende Sach- oder Dienstleistungserbringer für gewöhnlich insbesondere in Hinblick auf seine Leistungen bestens informiert sein. Er wird – wie es die betriebswirtschaftlichen Grundlagen gebieten – in aller Regel die Qualität, den Wert sowie den entsprechenden Markt seiner Leistungen genau kennen.1124 Personen, die nicht als Unternehmer tätig sind, werden – auch wenn sie im konkreten Vertrag die Rolle des Sach- oder Dienstleistungserbringers innehaben – oftmals nicht in einem vergleichbaren Maße informiert sein,1125 woraus sich die Ungleichbehandlung von Unternehmern und sonstigen Personen hinsichtlich der Gewichtung des Bestandsinteresses begründen dürfte.1126 Indem der Gesetzgeber das Zusammentreffen von Verbraucher und Unternehmer als Voraussetzung für das Fernabsatzwiderrufsrecht bestimmt, legt er also in Bezug auf Erfahrungsgüter generalisiert ein besonders starkes Informationsgefälle zwischen der Partei mit dem Lösungsinteresse und derjenigen Partei mit dem Bestandsinteresse zugrunde.1127

1121

Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 45. Denn die Grenzkosten um qualifizierte Informationen zu erlangen übersteigen aus Sicht des Verbrauchers in der Regel ihren Grenznutzen, Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 223. 1123 BGH, Urt. v. 10.12.2014 – VIII ZR 90/14, NJW 2015, 1009. 1124 Rumpf, AcP 1922, 1, 8. 1125 Dies folgt bereits aus der Überlegung, dass bei einmaligen oder seltenen Geschäften eine in gleichem Maße umfassende Informationsbeschaffung nicht wirtschaftlich vernünftig wäre, Rumpf, AcP 119, 1, 9. 1126 So stellt auch der BGH feststellt, dass der „Gesetzgeber das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen grundsätzlich als für den Unternehmer zumutbar ansieht, obwohl eine Rücknahme der Ware für den Unternehmer in der Regel mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist“, BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01, NJW 2003, 1665, 1666. 1127 Berger, Jura 2001, 289, 289; zu Informationsasymmetrien als Problem für Privatautonomie auch Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137. 1122

256 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Bei den Vertrauensgütern lässt sich die Begrenzung auf Verbraucherverträge damit begründen, dass bei Personen, die aus privater Motivation heraus handeln, die Gefahr von impulsiven Vertragsschlüssen besonders groß ist, da bei ihnen die Geschäftsabschlüsse regelmäßig von anderen als ökonomischen Überlegungen beeinflusst werden.1128 Auf der anderen Seite werden Verträge, die derart komplex sind, dass sie – jedenfalls außerhalb des Fernabsatzes – für gewöhnlich nicht impulsiv geschlossen werden, in der Regel nur von Unternehmern angeboten. Die Beschränkung auf Fälle, in denen der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt,1129 hat seine Grundlage darin, dass derjenige Unternehmer, der einen Vertrag nur gelegentlich und ausnahmsweise mittels Fernkommunikationsmittel geschlossen hat, besonders schutzwürdig ist.1130 Soweit Sedlmeier annimmt, dass erst die systematische, organisierte und zielgerichtete Nutzung von Mitteln der Fernkommunikation die spezifische Gefahr für die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung der Kunden berge1131 mag dies allerdings nicht überzeugen. Betrachtet man die Ursachen des objektivierten Lösungsinteresses bei Fernabsatzverträgen leuchtet es nicht ein, warum die Informationsdefizite größer und die Hemmschwelle des Vertragsschlusses geringer sein sollte, sofern der Unternehmer sein Vertriebssystem (auch) auf den Fernabsatz ausgerichtet hat. Der Unternehmer, der kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem unterhält, hat jedoch keine bewusste Entscheidung für den Vertrieb mittels Fernabsatzes getroffen.1132 Umgekehrt folgt daraus, dass das Bestandsinteresse desjenigen Unternehmers, der sich bewusst für den Vertrieb mittels Fernabsatz entschieden hat, aus Sicht des Gesetzgebers geringer zu gewichten ist als das Bestandsinteresse desjenigen, der den Fernabsatz nicht bewusst als Vertriebsform nutzt.1133 2. Typisierung der dem objektivierten Lösungsinteresse zugrunde gelegten Umstände Dass ein Informationsgefälle bei Erfahrungsgütern bzw. eine Übereilung bei Vertrauensgütern im Einzelfall auch tatsächlich vorliegt, ist für das Fernabsatzwiderrufsrecht allerdings nicht erforderlich. Insofern akzeptiert der Gesetzgeber um der Vereinheitlichung willen, dass sich das Lösungsinteresse der einen Partei ausnahmsweise auch dann gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Partei 1128

Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 130. Kritisch bzgl. der Begrenzungsfunktion der Formulierung „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystem“, Meents, CR 2000, 610, 611. 1130 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 264. 1131 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 289. 1132 Hinsichtlich der inhaltlichen Unbestimmtheit dieses Kriteriums bereits kritisch, Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053; so auch Janal, WM 2012, 2314, 2316. 1133 In diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, 235 f. 1129

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

257

durchsetzen kann, wenn der Umstand, der der gesetzgeberischen Interessenabwägung zugrunde liegt, im Einzelfall nicht erfüllt ist.1134 Es wird also ebenfalls aus den Typisierungen der Vertragsparteien auf die Umstände, die der Interessenabwägung zugrundliegen, geschlossen. Ob im Einzelfall ein Informationsdefizit oder impulsiver Vertragsschluss über einen komplexen Gegenstand die Ursache des Lösungsinteresses war, ist dabei nicht relevant.1135 Auch hier dürfte die Typisierung, die im Heranziehen der Unternehmer- und Verbrauchereigenschaft liegt, mit den zuvor dargestellten marktwirtschaftlichen Effizienzüberlegungen gerechtfertigt sein.1136 Die Einzelfallgerechtigkeit tritt hier insofern ebenso zugunsten der wohlfahrtssteigernden Rechtssicherheit zurück. 3. Berücksichtigung von Gemeinwohlüberlegungen in der Interessenabwägung Wie beim Außergeschäftsraumvertrag ließe sich zur Rechtfertigung der gesetzgeberischen Interessenabwägung auch im Rahmen des Fernabsatzvertrags anführen, dass der Unternehmer sich als Absatz-Strategie für den Fernabsatz entschieden hat, ihn deshalb die Verantwortung für das Informationsdefizit bzw. die Übereilung bei Vertrauensgütern trifft und somit auch sein Bestandsinteresse geringer zu gewichten ist.1137 Diese Argumentation erweist sich bei genauerer Betrachtung allerdings nicht als tragfähig:1138 Zwar ist es durchaus richtig, dass der Unternehmer, der sich bewusst für den Vertrieb mittels Distanzgeschäften entschieden hat, dies aus wirtschaftlichen Überlegungen getan haben wird.1139 Im Vergleich zum stationären Handel bietet der Fernabsatz nämlich die Möglichkeit einen sehr breiten Kundenkreis anzusprechen, ohne etwa ein teures Filialnetz zu betreiben.1140 Einen Teil der ersparten Kosten kann der Unternehmer mitunter sogar in Form von geringeren Preisen an seine Kunden weitergeben und hierdurch seine Produkte noch besser absetzen.1141 Die Konsequenz, dass die Vertriebsform des Fernabsatzes in der Regel ein Informationsdefizit bzw. eine Übereilung bei Vertrauensgütern auf Seiten der 1134

Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 36. Zur Zulässigkeit der von derartigen typisierenden Betrachtungsweisen bereits BVerfG, Beschl. v. 07.02.1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469. 1136 s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.3. 1137 In diesem Sinne wohl auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136, 145. 1138 Koch, GPR 2014, 128, 134. 1139 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136; ausführlich zu den wirtschaftlichen Vorteilen gerade des Vertriebs über das Internet vgl. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 237; so auch Bruhn, Marketing, S. 256 f. 1140 Mankowski, ZMR 2002, 317, 317; vgl. auch Bruhn, Marketing, S. 256. 1141 So – wenngleich nur auf den Online-Vertrieb bezogen – Spieker, GRUR-RR 2009, 81, 81. 1135

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anderen Vertragspartei verursacht, wird dabei vom Unternehmer in Kauf genommen. Allerdings unterscheidet sich der Fernabsatz dadurch vom Direktvertrieb, dass sich bei ersterem auch der Verbraucher bewusst für die Nutzung dieses Vertriebswegs entscheidet.1142 Während also der Verbraucher beim Haustürgeschäft oftmals durch das Überraschungsmoment in den Vertrag „hineingedrängt“ wird, liegt die Entscheidung über den Vertragsschluss mittels Fernabsatz beim Verbraucher.1143 Er kann sich ohne Druck entscheiden, ob die Nachteile dieses Absatzweges – nämlich die Gefahr eines Informationsdefizits – aus seiner Sicht durch die Vorteile – in der Regel günstigere Produkte, größere Auswahl und Bequemlichkeit1144 – ausgeglichen werden.1145 Wählt der Verbraucher trotz der Gefahr des Informationsdefizits den Vertragsschluss im Fernabsatz, nimmt auch er das Informationsdefizit letztlich bewusst in Kauf.1146 Dementsprechend erscheint die Formulierung, dass der Verbraucher der besonderen Vertriebsform „ausgeliefert“ sei, wie Meller-Hannich sie verwendet,1147 wohl deutlich zu drastisch. Da die Entscheidung für das Fernabsatzgeschäft vom Verbraucher getroffen wurde, ist ihm ein etwaiges Informationsdefizit im Ergebnis auch zuzurechnen.1148 Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf den übereilten Vertragsschluss bei Vertrauensgütern. Insofern lässt sich das Widerrufsrecht – jedenfalls aus heutiger Perspektive – kaum damit rechtfertigen, dass der Verbraucher im Fernabsatz vor „irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden“ 1149 geschützt werden muss. Wie Janal zutreffend feststellt ist die Situation im Fernabsatzrecht gerade eine ganz andere als im Haustürgeschäft, da hier anders als dort die Vertragsanbahnung oftmals vom Verbraucher ausgeht, welcher ohne zeitlichen Druck zwischen den Angeboten der verschiedenen Wettbewerber vergleichen kann.1150 Dies zugrunde gelegt, scheint die Ansicht Meller-Hannichs, eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses des Unternehmers folge daraus, dass dieser das Informationsdefizit des Verbrauchers bzw. dessen Übereilung bei Vertrauensgütern zur Steigerung seines Absatzes in Kauf genommen hat,1151 unzutreffend. 1142 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 236; zur fehlenden Begrenzung des Fernabsatzwiderrufsrechts auf anbieterinitiierte Verträge auch Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 290. 1143 Janal, WM 2012, 2314, 2314. 1144 Spieker, GRUR-RR 2009, 81, 83; Bruhn, Marketing, S. 257. 1145 Insofern wird etwa das Kommunikationsmedium Internet zutreffend als „PullMedium“ bezeichnet, dem der Verbraucher sich regelmäßig freiwillig aussetzt, Lederer, NJOZ 2011, 1833, 1836; zu den Vorteilen des E-Commerce aus Kundensicht auch Bruhn, Marketing, S. 29; Koch, GPR 2014, 128, 132. 1146 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 290. 1147 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 136. 1148 Koch, GPR 2014, 128, 132. 1149 Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2053. 1150 Janal, WM 2012, 2314, 2314. 1151 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 169.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Vielmehr läge es näher, das Entscheidungsdefizit des eigenverantwortlichen Verbrauchers diesem zuzurechnen, da er die Wahl hatte, ob er den Fernabsatz nutzen will und er sich dafür entschieden hat, weil er sich Vorteile davon versprach. Denn wie Knops zutreffend feststellt, „trägt mit der Erlangung der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit durch die Volljährigkeit grundsätzlich jeder selbst für sein Handeln die Verantwortung“.1152 Anstelle einer geringeren Gewichtung des Bestandsinteresses des Unternehmers – der sich schließlich nichts zuschulden hat kommen lassen, sondern dem Verbraucher nur eine weitere Möglichkeit zum Vertragsschluss eröffnet hat – wäre also prima facie eine geringere Gewichtung des Lösungsinteresses des Verbrauchers angebracht. Auch die Auffassung von Mankowski, der generell eine Verantwortlichkeit des Widerrufsgegners bei verbraucherschützenden Widerrufsrechten annimmt, da diese dem Ausgleich von Ungleichgewichten dienen,1153 überzeugt in ihrer Pauschalität nicht. Für die Zuweisung der Verantwortlichkeit in Bezug auf ein Ungleichgewicht muss man auf die Ursache des Ungleichgewichts abstellen. Dem Unternehmer kann beim Fernabsatzvertrag die Verantwortlichkeit für die Fehlvorstellungen des Verbrauchers aber eben nicht zugewiesen werden, da der Verbraucher die Gefahr von Fehlvorstellungen hier aus freien Stücken und im eigenen Interesse eingegangen ist. Im Gegensatz zum Außergeschäftsraumwiderrufsrecht sind beim Fernabsatzwiderrufsrecht dementsprechend keine Umstände zu identifizieren, durch die sich eine geringere Gewichtung des unternehmerischen Bestandsinteresses rechtfertigt. Insbesondere die Wahl der Vertriebsform des Fernabsatzes lässt sich bei genauer Betrachtung nicht als Begründung hierfür anführen.1154 Die Rechtfertigung für die besondere Bevorzugung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer beim Fernabsatz ist stattdessen vielmehr in rechtspolitischen Erwägungen zu finden.1155 Die Regelungen zum Fernabsatzrecht dienen im Wesentlichen der Umsetzung der VR-RiL, die, wie sich aus Erwägungsgrund 4 VR-RiL entnehmen lässt, unter anderem die Stärkung des Binnenmarktes der Europäischen Union bezweckt.1156 Gerade beim Fernabsatz wurde diesbezüglich ein wesentliches Potential für grenzüberschreitende Verträge ausgemacht.1157 In der Tat sind Distanzgeschäfte für grenzüberschreitenden Handel prädestiniert,1158 1152

Knops, VuR 1998, 107, 112. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 21. 1154 Zu diesem Ergebnis kommt auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 77. 1155 Förster, JA 2014, 721. 1156 Zwar sind Finanzdienstleistungen von dieser Richtlinie ausgenommen, allerdings lassen sich die Überlegungen auch auf die dem Widerrufsrecht dieser Verträge zugrunde liegenden Richtlinie (2002/65/EG) übertragen, Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 67. 1157 Erwägungsgrund 5 VR-RiL. 1158 Buchmann, K&R 2014, 221, 221. 1153

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da die Vertragsparteien die bei grenzüberschreitenden Verträgen regelmäßig vorliegende räumliche Distanz mühelos überwinden können.1159 Insbesondere für die Deckung eines privaten Bedarfs werden Personen häufig nicht bereit sein tatsächlich größere Strecken zurückzulegen. Dementsprechend werden Verbraucher sich im stationären Handel regemäßig auf ihr örtliches Umfeld beschränken und damit – abgesehen von Grenzgebieten – Geschäfte nur in ihrem Heimatstaat tätigen.1160 Bei Fernabsatzgeschäften können aber auch Unternehmer ohne eine räumliche Nähe zum Verbraucher diesen als Kunden gewinnen. Die räumliche Distanz steht grenzüberschreitenden Geschäften hier gerade nicht entgegen. Die Förderung von Fernabsatzgeschäften ist also eine Förderung des Binnenmarktes. Der Unternehmer hat durch den Fernabsatz bereits ausreichend Vorteile, indem er seine Leistungen einem fast unbegrenzten Publikum darbieten kann,1161 sodass diesbezüglich fördernde Anreize nicht notwendig sind. Will man den Binnenmarkt über die Förderung des Fernabsatzes stärken, bietet es sich also an, bei den Abnehmern anzusetzen. Auch diese haben durch den Fernabsatz zwar Vorteile, aber eben auch die oben beschrieben Nachteile, dass sie vor Vertragsschluss häufig weder die Ware noch ihren Vertragspartner beurteilen können. Sie müssten, um die Vorteile des Fernabsatzes (oft geringerer Preis, größere Auswahl, Bequemlichkeit) nutzen zu können, grundsätzlich also die sprichwörtliche „Katze im Sack“ kaufen, was dem Fernabsatz insbesondere für Verbraucher einiges an Attraktivität nehmen würde.1162 Denn für den privaten Konsum tätige Abnehmer werden in der Regel – mangels Interesse an Margengewinnen und langfristigen Geschäftsbeziehungen – wenig risikofreudig bei der Auswahl ihrer Vertragspartner sein und deshalb mitunter lieber auf den zwar binnenmarktunfreundlicheren, aber altbekannten stationären Handel zur Bedarfsdeckung zurückgreifen. Indem der europäische Gesetzgeber dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zuspricht, sollen die oben beschriebenen Nachteile des Fernabsatzgeschäfts ausgeglichen werden und der Fernabsatz so zur Förderung des Binnenmarktes gegenüber dem stationären Handel gestärkt werden.1163 Die geringere Gewichtung des unternehmerischen Bestandsinteresses und die stärkere Gewichtung des Lösungsinteresses im Rahmen des Fernabsatzrechts rechtfertigen sich also letztlich allein damit, dass der Binnenmarkt gefördert wer-

1159

Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 66. Aber auch in Grenzgebietsfällen gilt, wie Meller-Hannich zutreffend feststellt zu beachten, dass der Binnenmarkt sich nicht im „Einkaufsausflug“ über die Grenze verwirklicht, sondern durch Angebotsvergleich unabhängig vom Standort der Vertragspartner, Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 66. 1161 Mankowski, ZMR 2002, 317, 317. 1162 In diesem Sinne auch Löwe, NJW 1974, 2257, 2260 f., der diesbezüglich von einem Wettbewerbsvorteil des Einzelhandels spricht. 1163 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 72; Hericks, Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs, S. 20 f. 1160

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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den soll.1164 Insofern treten bezüglich des Lösungsrechts des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen Gemeinwohlüberlegungen in die gesetzgeberische Interessenabwägung ein. 4. Beschränkungen des Widerrufsrechts Wie für das Außergeschäftsraumwiderrufsrecht gelten die Ausnahmen in § 312 Abs. 2 BGB und § 312g Abs. 2 BGB auch hinsichtlich des Fernabsatzwiderrufsrechts. Mit Blick auf die dahinterstehende Interessenbewertung gilt das zum Außergeschäftsraumwiderrufsrecht gesagte. Es handelt sich weitestgehend um Fälle, in denen bereits ein Schutz desjenigen mit dem Lösungsinteresse durch andere Vorschriften gewährleistet wird oder Situationen, in denen eine Vertragslösung wegen besonderer Schutzwürdigkeit des Unternehmers ausgeschlossen ist. Zudem ist auch das Fernabsatzwiderrufsrecht nach § 355 Abs. 2 BGB grds. auf 14 Tage ab Vertragsschluss beschränkt, wobei hier die Ausnahmeregelungen in § 356 Abs. 2–5 BGB ebenfalls gelten.1165 Bezüglich der dahinterstehenden Interessenabwägung lässt sich im Wesentlichen auf die Ausführungen zur Widerrufsfrist beim Außergeschäftsraumvertrag verweisen.1166 Nur in Hinblick auf die Bestimmung des § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht in Bezug auf Fernabsatzverträge, anders als bei Außergeschäftsraumverträgen, ein echtes Regelungsbedürfnis. Denn hier entspringt das objektivierte Lösungsinteresse zumindest bei den Erfahrungsgütern einem Informationsdefizit, was grds. erst mit dem Erhalt der Ware beseitigt wird – um also die Effektivität des Lösungsrechts zu gewährleisten, darf es hier für den Beginn der Überlegungsfrist des Verbrauchers nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf diesen Zeitpunkt ankommen.1167 III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht von Fernabsatzverträgen nach §§ 312g, 312c, 312 BGB Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse hat seine Ursache beim Widerruf nach §§ 312g, 312c, 312 BGB darin, dass der Verbraucher beim Vertragsschluss – wegen der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – Fehlvorstellungen über die Sach- oder Dienstleistung unterlag und der tatsächlich geschlossene Vertrag deshalb von Anfang an unerwünscht war.1168 Die Fehlvorstellungen wiederum entspringen bei Erfahrungsgütern Informationsdefiziten und bei Vertrauensgütern den geringen psychologischen Hürden, die 1164

Pfeiffer, NJW 2011, 1, 1. Zum Zeitpunkt des Beginns der 14tägigen Widerrufsfrist im Einzelnen Janal, VuR 2015, 43; zu den Besonderheiten der Widerrufsbelehrung auf einer Website auch BGH, Urt. v. 15.5.2014 – III ZR 368/13, NJW 2014, 2857. 1166 s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.6. 1167 Janal, VuR 2015, 43, 47. 1168 BGH, Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 168/14, NJOZ 2017, 10 Rn. 30. 1165

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die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jeweils mit sich bringen. Die Ursachen der Fehlvorstellungen sind dem Fernabsatzvertrag also immanent. Da sich der Verbraucher jedoch – anders als etwa beim Außergeschäftsraumvertrag – bewusst für den Vertragsschluss via Fernkommunikationsmittel entschieden hat, ist dem Unternehmer die Ursache des Lösungsinteresses hier nicht zurechenbar.1169 Erst Recht ist dem Unternehmer keine Pflichtverletzung vorzuwerfen.1170 Auch Umstände, aus denen sich eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses in den einschlägigen Fällen rechtfertigen könnte, werden nicht vorausgesetzt. Insbesondere wenn man beachtet, dass der Fernabsatz aus Sicht des Verbrauchers gegenüber dem stationären Handel vorteilhaft sein kann – denn andernfalls würde ein eigenverantwortlicher Verbraucher das Risiko des Informationsdefizits nicht von sich aus in Kauf nehmen –, stellt das Vertragslösungsrecht letztlich eine Überkompensation des möglichen Informationsdefizits dar.1171 Entsprechendes gilt in Bezug auf die Übereilung bei Vertrauensgütern. Allenfalls mit dem Gemeinwohlgewinn durch eine Förderung des Binnenmarktes lässt sich die Bevorzugung des Lösungsinteresses von Verbrauchern gegenüber dem Bestandsinteresse von Unternehmern adäquat begründen. Zudem sind die Voraussetzungen des Fernabsatzwiderrufsrechts stark generalisierend formuliert. Obwohl der gesetzgeberische Ausgangspunkt des objektivierten Lösungsinteresses in dem aus dem Distanzgeschäft folgenden Informationsdefizit bzw. einer Übereilung liegt, wird das Lösungsrecht unabhängig davon eingeräumt, ob im Einzelfall tatsächlich ein solches Informationsdefizit resp. eine entsprechende Übereilung bestand oder nicht.1172 Es müssen lediglich die abstrakten Voraussetzungen, in denen der Gesetzgeber regelmäßig ein die Vertragslösung rechtfertigendes Informationsdefizit bzw. eine Übereilung bei Vertrauensgütern annimmt, vorliegen. Hierbei wird bereits auf der Ebene der Begründung des Lösungsinteresses generalisierend angenommen, dass die bloßen situativen Umstände des Fernabsatzvertrags ein Informationsdefizit bzw. eine Übereilungsgefahr bei Vertrauensgütern begründen. Darüber hinaus wird der Stellenwert des abstrakten Bestandsinteresses auch dadurch unterminiert, dass in starker Pauschalisierung unterstellt wird, zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer bestünde immer ein Informationsgefälle, welches eine Loslösung des Verbrauchers rechtfertigt. Der Gesetzgeber geht aber nicht nur stark verallgemeinernd davon aus, dass die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss Fälle kennzeichnet, bei denen das zur Begründung des Lösungsinteresses herangezogene Informationsdefizit besteht, sondern erstreckt das Lö1169 1170 1171 1172

s. o. II.3. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 169. In diesem Sinne auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 77. Koch, GPR 2014, 128, 133.

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sungsrecht bewusst auch auf solche Fälle, in denen sich der Verbraucher vor Ort umfassend informieren konnte.1173 Denn in situativer Hinsicht bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut bloß der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlung und Vertragsschluss.1174 Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, soll durch diese Formulierung klargestellt werden, dass auch in solchen Fällen ein Fernabsatzwiderrufsrecht begründet werden kann, in denen der Verbraucher die Geschäftsräume des Unternehmers „lediglich zum Zwecke der Information über die Waren oder Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt“.1175 Alles in allem führt die grobe Typisierung einerseits dazu, dass einer Partei ein Lösungsrecht auch dann zugestanden wird, wenn das Lösungsinteresse nicht einmal den vom Gesetzgeber vorgesehenen Umständen entspringt und andererseits dazu dass ein Lösungsinteresse sich selbst dann durchsetzen kann, wenn seine Höhergewichtung gegenüber dem Bestandsinteresse im Einzelfall nicht gerechtfertigt ist.1176 Eine derart weitreichende Zulassung der Vertragsloslösung führt zwangsläufig zu einer starken Beeinträchtigung des Bestandsinteresses der anderen Vertragspartei. Soweit Engel und Stark einwenden, dass die Friktionen nur selten zu manifesten Nachteilen führen würden, da die Anreize für die Schutzberechtigten gering seien, die überflüssigen Rechte tatsächlich auszuüben,1177 ist dem zu widersprechen. Gerade im Bereich des Fernabsatzes zeigt sich, dass das Lösungsinteresse nicht selten andere Ursachen als ein Informationsdefizit des Verbrauchers hat – etwa wenn innerhalb der Widerrufsfrist günstigere Angebote gefunden werden.1178 Wie zuvor dargestellt, dient die Typisierung im Bereich des Verbraucherrechts der Markteffizienz.1179 Berücksichtigung erfährt das Bestandsinteresse des Unternehmers allenfalls durch die begrenzte Widerrufsdauer, die in der Regel – sofern der Unternehmer seine Belehrungspflichten gegenüber dem Verbraucher erfüllt hat – auf 14 Tage beschränkt ist. Zumindest nach Ablauf dieser Schwebephase soll der Unternehmer grds. Rechtssicherheit bzgl. des Vertrags haben.1180 An der grundsätzlichen 1173 Mit Blick auf den Schutzzweck des Fernabsatzwiderrufsrechts mit Recht kritisch, Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 3, 3. 1174 Mit dieser Formulierung kommt der deutsche Gesetzgeber Forderungen nach einer Präzisierung der bisherigen Rechtslage zur Gewährleistung der Richtlinienkonformität nach, Unger, ZEuP 2012, 270, 278. 1175 BT-Drucks. 17/12637 S. 50; kritisch, ob die Differenzierung gelungen ist, Schärtl, JuS 2014, 577, 580. 1176 Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 36. 1177 Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 36. 1178 So etwa im Fall des AG Rottweil, Urt. v. 30.10.2014 – 1 C 194/14, BeckRS 2016, 02572. 1179 s. o. A.II.3. 1180 Dazu, dass der Unternehmer sich der Wirksamkeit des Vertrags selbst dann, wenn er nach Ablauf der 14 Tage noch keine Widerrufserklärung erhalten hat, da der

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Feststellung einer geringen Gewichtung des Bestandsinteresses im Rahmen des Fernabsatzwiderrufsrechts kann aber auch die Beschränkung der Widerruflichkeit auf grds. 14 Tage nichts ändern. Insgesamt lässt sich damit bei der gesetzgeberischen Interessenbewertung hinsichtlich des Fernabsatzwiderrufsrechts konstatieren, dass dem allgemeinen Bestandsinteresse zugunsten einer Wohlfahrtssteigerung ein nur sehr geringer Stellenwert beigemessen wird.

C. Das Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen1181 nach § 495 Abs. 1 BGB Nach § 495 Abs. 1 BGB steht dem Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne des § 491 BGB ein 14tägiges Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Für entgeltliche Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher erklärt § 506 Abs. 1 BGB die Regelungen zum Verbraucherdarlehen, und mit ihnen das Widerrufsrecht aus § 495 Abs. 1 BGB, für entsprechend anwendbar. Die Regelungen in §§ 506 Abs. 1 und 495 BGB setzen insbesondere die VKRiL um, die in ihrem Art. 14 Abs. 1 vorschreibt, dass ein Verbraucher innerhalb von vierzehn Kalendertagen ohne Angabe von Gründen einen Kreditvertrag widerrufen können muss.1182 Ein Kreditvertrag wird dabei in Art. 3 lit. b) VK-RiL grds. als Vertrag definiert, bei dem ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht. I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 BGB 1. Verbraucherdarlehensverträge Als Verbraucherdarlehensverträge gelten nach § 491 Abs.1 S. 2 BGB Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge und Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge sind gem. § 491 Abs. 2 BGB entVerbraucher den Widerruf nur innerhalb der Frist abschicken muss und der Unternehmer zudem das Verzögerungsrisiko trägt, bereits Brinkmann, ZJS 2012, 744, 749. 1181 Zum Begriff des Verbraucherkreditvertrags oben, Kap. 2, Fn. 55. 1182 Ebenfalls dienen die Bestimmungen auch zur Umsetzung der RL 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der RL 2008/48/EG und 2013/36/EU und der VO (EU) Nr. 1093/2010, ABl. 2010 L 60, 34 (WIK-RiL), Rosenkranz, NJW 2016, 1473, 1474.

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geltliche Darlehensverträge,1183 bei denen ein Unternehmer als Darlehensgeber und ein Verbraucher als Darlehensnehmer auftreten, soweit keine der in Abs. 2 S. 2 genannten Ausnahmen einschlägig sind. Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge sind nach § 491 Abs. 3 BGB entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer, die durch ein Grundpfandrecht oder eine Reallast besichert sind oder für den Erwerb oder die Erhaltung des Eigentumsrechts an Grundstücken, an bestehenden oder zu errichtenden Gebäuden oder für den Erwerb oder die Erhaltung von grundstücksgleichen Rechten bestimmt sind. Ein Darlehensvertrag zeichnet sich nach § 488 Abs. 1 BGB dadurch aus, dass der Darlehensgeber verpflichtet ist dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in vereinbarter Höhe zur Verfügung zu stellen und der Darlehensnehmer bei Fälligkeit das vereinbarte Darlehen zurückzuzahlen hat.1184 Die in § 488 Abs. 1 BGB genannte Definition des Darlehensvertrags bezieht sich nur auf Gelddarlehen, die von den Sachdarlehen gem. § 607 BGB zu differenzieren sind.1185 Ob aber auch der Anwendungsbereich des Verbraucherdarlehensvertrags nur auf Gelddarlehen beschränkt sein soll,1186 oder es sich hierbei um ein Redaktionsversehen handelt, mit der Konsequenz, dass das Verbraucherdarlehensrecht auch bei Sachdarlehen zur Anwendung kommt,1187 ist umstritten. Entgeltlich ist der Darlehensvertrag immer dann, wenn der Darlehensnehmer zur Zahlung von Zinsen oder sonstigen laufzeitabhängigen Darlehenskosten verpflichtet ist.1188 Für das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht ist gemäß § 491 Abs. 1 BGB in personeller Hinsicht grundsätzlich das Zusammentreffen eines Verbrauchers gem. § 13 BGB in der Rolle des Darlehensnehmers mit einem Unternehmer i. S. d. § 14 BGB in der Rolle des Darlehensgebers erforderlich. Nach § 513 BGB kommt ein Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht bei entgeltlichen Darlehensverträgen allerdings auch dann in Betracht, wenn der Darlehensnehmer nicht die Voraussetzungen des § 13 BGB erfüllt, sofern es sich um eine natürliche Person handelt, die sich das Darlehen für die Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gewähren lässt und der Nettodarlehensbetrag 75.000 A nicht übersteigt (sogenannte Existenzgründer). 1183 Unentgeltliche Darlehensverträge nach § 514 BGB fallen somit nicht unter den Begriff des Verbraucherdarlehensvertrags, Rosenkranz, NJW 2016, 1473, 1475 und Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1204; zum Widerrufsrecht für unentgeltliche Darlehensverträge unten, F. 1184 Mülbert, WM 2002, 465, 466. 1185 Staudinger/Freitag, § 488 BGB Rn. 16. 1186 Dafür Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 491 BGB Rn. 105; Bülow, NJW 2002, 1145, 1146. 1187 So etwa Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 50; in diesem Sinne auch MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 43, der die Anwendung der Verbraucherdarlehensregelungen bei Sachdarlehen für europarechtlich geboten hält. 1188 Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 48.

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Darlehensverträge zeichnen sich dadurch aus, dass der Darlehensgeber sich dazu verpflichtet, den Vertragsgegenstand irreversibel in das Eigentum des Darlehensnehmers zu überführen und die Rückerstattung erst mit Ende der Vertragslaufzeit zu verlangen.1189 Der Darlehensgeber trägt also, wegen seiner Vorleistungspflicht, das Insolvenzrisiko des Darlehensnehmers in vollem Umfang.1190 Bereits aus der Natur der Sache folgt eine gewisse Komplexität von Darlehensverträgen.1191 Diese wird nicht selten durch das Bestreben von professionellen Darlehensgebern zur Risikominimierung in Kombination mit der Absicht zur „Erzielung von Skaleneffekten“ 1192 im Massengeschäft noch gesteigert,1193 sodass Darlehensverträge im Bereich von Privatkunden sowie kleinen und mittleren Firmenkunden regelmäßig als vergleichsweise komplexe standardisierte Verträge darstellen.1194 Durch eine Vielzahl von Parametern, die sich nur schwer überschauen lassen, besteht bei entgeltlichen Darlehensverträgen zudem häufig keine direkte Vergleichbarkeit zwischen den verschieden Angeboten.1195 Auch kann die Komplexität der Verträge dazu führen, dass der Darlehensnehmer den Umfang seiner eigenen Verpflichtung unterschätzt.1196 Dies wird weiter dadurch verstärkt, dass der Darlehensnehmer angesichts der sofort greifbaren Leistung Gefahr läuft, seine in der Zukunft liegenden Zahlungspflichten zu verdrängen.1197 Dabei handelt um ein in der Verhaltensökonomie unter dem Stichwort des „hyperbolischen Diskontieren“ diskutiertes und empirisch belegtes Rationalitätsdefizit, bei der die nahe Zukunft stärker und die ferne Zukunft schwächer gewichtet wird, als dies eine rationale Person tun würde.1198 Entgegen der Ansicht von Blaurock,1199 besteht wegen der daraus resultierenden erheblichen „Verlockungsgefahr“ 1200 für

1189

Staudinger/Freitag, § 488 BGB Rn. 23. Staudinger/Freitag, § 488 BGB Rn. 16, 33. 1191 Benecke, ZIP 2016, 1897, 1900. 1192 Staudinger/Freitag, § 488 BGB Rn. 17. 1193 Knops, VuR 1998, 107, 107. 1194 Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 58: „. . . die komplexen Verträge, die dem sachlichen Anwendungsbereich des Verbraucherkredit[rechts] unterliegen [sind] nicht mit den Austauschgeschäften des täglichen Lebens zu vergleichen“; in diesem Sinne auch Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1095 und Fischer, Widerrufsrecht, S. 42. 1195 Knops, VuR 1998, 107, 112; MünchKommBGB/Schürnbrand, Vor § 491 Rn. 1; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 239. 1196 Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 58 f.; Knops, VuR 1998, 107, 113; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 31; zum generellen Problem, dass insbesondere juristische Laien oftmals nicht in der Lage sind zukünftige vertragliche Entwicklungen richtig einzuschätzen bereits Rumpf, AcP 119, 1, 6. 1197 MünchKommBGB/Schürnbrand, Vor § 491 Rn. 1; so auch bereits Heck, Verhandlungen des Einundzwanzigsten Deutschen Juristentages, S. 131, 148. 1198 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 88. 1199 Blaurock, JZ 1999, 801, 806. 1200 MünchKommBGB/Schürnbrand, Vor § 491 Rn. 1; Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 446 ff. 1190

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den Darlehensnehmer ein beachtliches Risiko zum übereilten Abschluss eines Darlehensvertrags.1201 Im Gegensatz dazu stehen häufig die wirtschaftliche Bedeutung und Tragweite der meist langfristigen Verpflichtung des Darlehensnehmers.1202 Ein vorschneller Vertragsschluss ohne ausreichende Sondierung des Marktes kann bei entgeltlichen Darlehensverträgen erhebliche finanzielle Nachteile für den Darlehensnehmer bedeuten.1203 Im ungünstigsten Fall kann die Übereilung sogar dazu führen, dass der Darlehensnehmer sich mit dem Vertragsschluss wirtschaftlich übernimmt.1204 Um derart negative Folgen zu vermeiden, setzt der Gesetzgeber bei Verbraucherdarlehensverträgen auf ein weitreichendes Informationsmodell, das es dem Darlehensnehmer einerseits ermöglichen soll verschiedene Angebote miteinander zu vergleichen und sich andererseits über seine eigene Leistungspflicht im Klaren zu sein.1205 Aber selbst durch die Informationen, die dem Darlehensnehmer im Rahmen des Verbraucherdarlehensvertrags zu erteilen sind, wird die Gefahr von übereilten Vertragsschlüssen nicht vollständig beseitigt.1206 Zum einen ändert auch die Information des Darlehensnehmers nichts an dem Risiko, dass dieser angesichts der sofort greifbaren Liquidität seine in der Zukunft liegenden Zahlungspflichten verdrängt. Zum anderen sind die Informationen derart umfangreich, dass sie die Aufnahmefähigkeit des Darlehensnehmers mitunter zu überfordern drohen.1207 Die Verlockungsgefahr in Kombination mit der Fülle an Informationen kann dementsprechend dazu führen, dass der Darlehensnehmer den Vertrag erst abschließt und sich im Anschluss daran eingehend mit den erlangten Informationen auseinandersetzt.1208 Stellt der Darlehensnehmer dann fest, dass der geschlossene Vertrag wirtschaftlich ungünstig ist oder ihn gar finanziell überfordert, hat er ein 1201

Canaris, AcP 2000, 273, 349; Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1095 f. BGH, Urt. v. 28.05.2013 – XI ZR 6/12, VuR 2013, 334; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 296; Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1095 f.; Knops, VuR 1998, 107, 113; Blaurock, JZ 1999, 801, 806. 1203 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 90; Fischer, Widerrufsrecht, S. 44. 1204 Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 31; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 295 f.; dieses Risiko scheint insbesondere bei Haushalten mit geringem Einkommensrest – also dem Einkommen abzüglich der Grundausgaben wie etwa Miete und Versicherungen – hoch, Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 159. 1205 MünchKommBGB/Schürnbrand, Vor § 491 Rn. 3; Schnauder, WM 2014, 783, 787; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 93 f.; Fischer, Widerrufsrecht, S. 44; im Rahmen des unentgeltlichen Darlehensvertrags hat der Gesetzgeber die umfangreichen Informationspflichten hingegen nicht für sachgerecht gehalten, BT-Drucks. 18/7584, 140. 1206 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 28 f. 1207 Derleder, NJW 2009, 3195, 3195; Schnauder, WM 2014, 783, 788; man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „information overload“, MünchKommBGB/Schürnbrand, Vor § 491 Rn. 3. 1208 So wohl auch Eidenmüller, AcP 2010, 67, 90. 1202

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Interesse sich wieder vom Vertrag zu lösen.1209 An die Stelle des Bestandsinteresses tritt beim Darlehensnehmer dann also ein Lösungsinteresse.1210 Was die Beschränkung des Widerrufsrechts nach § 495 BGB auf entgeltliche Darlehensverträge betrifft,1211 lässt sich dies damit rechtfertigen, dass bei unentgeltlichen Darlehensverträgen kein Bedarf besteht, dem Verbraucher die Konditionen der Kreditaufnahme transparent vor Augen zu führen und ihm einen Marktvergleich zu ermöglichen.1212 Nur bei entgeltlichen Darlehensverträgen sind dementsprechend die zuvor erwähnten umfangreichen Informationspflichten sinnvoll,1213 sodass eine nachträgliche Bedenkzeit zur Auseinandersetzung mit den Vertragskonditionen auch nur hier notwendig erscheint. Zudem ist die Gefahr der finanziellen Überforderung bei entgeltlichen Darlehensverträgen größer als bei unentgeltlichen.1214 Die Herleitung des Lösungsinteresses ist nicht ausschließlich auf Fälle von Gelddarlehen anwenden. Zwar handelt es sich bei den überwiegenden Fällen des Darlehensmassengeschäfts um Gelddarlehen,1215 gleichwohl wird sich auch ein Sachdarlehensvertrag mit einem professionellen Darlehensgeber durch eine vergleichbare Komplexität auszeichnen. Auch hier können dem Darlehensnehmer die eigenen Verpflichtungen mitunter nicht ohne Weiteres überschaubar sein und es ebenso an der Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten mangeln. Zudem entspricht die Verlockungsgefahr, die darin begründet liegt, dass die Leistung sofort greifbar ist und die Zahlungspflicht erst in der Zukunft liegt, im Wesentlichen derjenigen bei Gelddarlehen. Wie bei Gelddarlehen besteht bei Sachdarlehen also das Risiko von übereilten Vertragsschlüssen durch den Darlehensnehmer.1216 1209 Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 448; in diesem Sinne auch BT-Drucks. 11/5462 S. 21, wonach das Widerrufsrecht es dem Verbraucher ermöglichen soll „seine Entscheidung für einen Kredit unter Verwertung der ihm [. . .] gewährten Informationen kurzfristig noch einmal zu überdenken und gegebenenfalls rückgängig zu machen“. Zudem soll das Widerrufsrecht „dazu beitragen, [dass] ,anfällige‘ Kreditverhältnisse, mit denen sich ein Verbraucher finanziell übernimmt, erst gar nicht entstehen“. 1210 Insofern folgt das Lösungsinteresse, anders als im Ausgangspunkt der Einführung eines Widerrufsrechts bei Kreditgeschäften vorgesehen, nicht der Überrumpelung des Verbrauchers, Löwe, NJW 1974, 2257, 2257. 1211 Zum Widerrufsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen nach § 514 BGB unten, E. 1212 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 1; Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1105. 1213 In diesem Sinne auch BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 1. 1214 Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1105; die Verlockungsgefahren sind allerdings unabhängig davon, ob der Darlehensvertrag entgeltlich oder unentgeltlich ist, MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 1; hierzu auch unten, E.I. 1215 Zur geringen Bedeutung des Sachdarlehens, Staudinger/Freitag, § 607 BGB Rn. 1 f. 1216 In diesem Sinne wohl auch MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 43.

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Dementsprechend kann sich der Vertrag rückblickend im gleichen Maße als wirtschaftlich ungünstig oder gar finanziell überfordernd herausstellen und der Darlehensnehmer seine Entscheidung zum Vertragsschluss im Nachhinein bereuen.1217 Die Umstände, aus denen sich nach der Gesetzeskonzeption in den Fällen des Verbraucherdarlehenswiderrufsrechts typischer Weise ein Lösungsinteresse einer der Vertragsparteien begründet, liegen also in den tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten von Darlehensverträgen.1218 Die Komplexität und die Verlockungsgefahr führen mitunter dazu, dass sich der Darlehensnehmer erst nach Vertragsschluss über die oftmals weitreichenden Konsequenzen seines Handelns bewusst wird.1219 Ein Lösungsinteresse des Darlehensnehmers besteht dann, wenn dieser nach dem Vertragsschluss zu dem Ergebnis kommt, dass der Vertrag wirtschaftlich unvorteilhaft ist oder gar zu einer finanziellen Überforderung führt.1220 Dies gilt für Sachdarlehen ebenso wie für Gelddarlehen. 2. Zahlungsaufschübe und sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen Nach § 506 BGB sind die Regelungen über das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht auch für solche Fälle, in denen ein Unternehmer einem Verbraucher einen entgeltlichen Zahlungsaufschub oder eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt, entsprechend anwendbar. Unter Zahlungsaufschub versteht man Vereinbarungen, durch die die Fälligkeit abweichend vom dispositiven Recht hinausgeschoben wird, um dem Verbraucher die Zahlung des vereinbarten Preises zu erleichtern.1221 Den relevantesten Fall des Zahlungsaufschubs stellen die Teilzahlungsgeschäfte im Sinne des § 506 Abs. 3 BGB dar.1222 Entgeltlich ist ein Zahlungsaufschub immer dann, wenn sich hierdurch das vom Verbraucher zu leistende Entgelt erhöht.1223 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob in denjenigen Fällen, in denen der Unternehmer bei Teilzahlungsgeschäften die fragliche Leistung nur gegen Teilzahlungen 1217 Folgerichtig wurde von der ganz h. M. dementsprechend auch das Sachdarlehen bereits unter die Regelungen des Verbraucherkreditgesetzes gefasst, Mülbert, WM 2002, 465, 466 m.w. N. 1218 Canaris, AcP 2000, 273, 349. 1219 Reiner, AcP 2003, 1, 10; in diesem Sinne auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 139; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 239; Koch, GPR 2014, 128, 130. 1220 Wie Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, nachweisen konnte, ist die Unzufriedenheit bei (spontanen) kreditfinanzierten Käufen größer, als sonst üblich, S. 449. 1221 Palandt/Weidenkaff, Vor § 506 BGB Rn. 3. 1222 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 355; zum Teilzahlungsgeschäft auch bereits oben, § 5 F. 1223 Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2370.

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erbringt (§ 507 Abs. 3 S. 1 BGB), eine Vermutung für die Entgeltlichkeit der Leistung besteht.1224 In Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs der sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen herrscht im Einzelnen Uneinigkeit. Unstreitig kommt der Kategorie der sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen eine Auffangfunktion zu.1225 Hierbei sollen diejenigen Fälle von den Verbraucherkreditvorschriften erfasst werden, die nicht bereits die Voraussetzungen des entgeltlichen Darlehens oder des entgeltlichen Zahlungsaufschubs erfüllen, aber gleichwohl entgeltlichen Kreditcharakter haben.1226 Der Streit betrifft die Frage, wie die Abgrenzung in Konstellationen der Gebrauchsüberlassung zwischen sonstigen Finanzierungshilfen und „einfachen“ Gebrauchsüberlassungsverträgen zu erfolgen hat. Namentlich geht es um das Finanzierungsleasing, das den praktisch wichtigsten Fall der sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfe darstellt.1227 Nach teilweise vertretener Auffassung werden die Situationen, in denen Gebrauchsüberlassungsverträge als Finanzierungshilfen zu qualifizieren sind, in § 506 Abs. 2 BGB abschließend umschrieben.1228 Gebrauchsüberlassungsverträge können demnach nur dann als sonstige Finanzierungshilfen verstanden werden, wenn an ihrem Ende entweder eine Erwerbspflicht (§ 506 Abs. 2 Nr. 1 BGB) des Verbrauchers bzw. ein Andienungsrecht des Unternehmers (§ 506 Abs. 2 Nr. 2 BGB) steht oder jedenfalls eine Restwertgarantie nach § 506 Abs. 2 Nr. 3 BGB vereinbart wurde. Nach anderer Auffassung handelt es sich bei § 506 Abs. 2 BGB lediglich um eine gesetzliche Fiktion, die die dort genannten Fälle denjenigen der sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen im Sinne von § 506 Abs. 1 BGB gleichstellt.1229 Die Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 506 BGB auf Fälle mit Erwerbspflicht (§ 506 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB) seien insoweit europarechtlich geboten gewesen, die zusätzliche Erfassung von Fällen mit Restwertgarantie (§ 506 Abs. 2 Nr. 3 BGB) solle ein Ausweichen in der Vertragspraxis auf diese Gestaltungsmöglichkeit verhindern.1230 Dieser Ansicht nach kommt es 1224 Dafür: MünchKommBGB/Schürnbrand, § 507 Rn. 26; MünchKommBGB/ Schürnbrand, § 506 Rn. 7; dagegen Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 359; Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 30; Ball, FS Tolksdorf, S. 3. 1225 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 18; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 25. 1226 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 18. 1227 Nach Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 386 und Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 18 beschränken sich nach dem gegenwärtigen Markt die sonstigen Finanzierungshilfen sogar auf das Finanzierungsleasing; a. A. Limbach, nach dem subventionierte Mobilfunkverträge ebenfalls sonstige Finanzierungshilfen darstellen, Limbach, NJW 2011, 3770, 3771. 1228 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 27. 1229 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 81; Bülow, WM 2014, 1413, 1414. 1230 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 84.

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für die Bestimmung eines Gebrauchsüberlassungsvertrags als sonstige Finanzierungshilfe nach § 506 Abs. 1 BGB im Wesentlichen auf die Frage von Vollamortisation und Substanzverzehr an.1231 Demnach wären Gebrauchsüberlassungsverträge also sonstige Finanzierungshilfen gem. § 506 Abs. 1 BGB, sofern dem Verbraucher unabhängig vom Eigentumserwerb der Substanzverzehr gestattet wird und er im Gegenzug dafür den Gegenwert für die aufgezehrte Substanz in Raten an den Unternehmer zu leisten hat, sodass sich die Investition des Unternehmers wieder amortisiert. Das Merkmal der Entgeltlichkeit setzt voraus, dass der Verbraucher über die Amortisation der Anschaffungskosten und einer etwaigen Bearbeitungsgebühr, die die Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrags vergütet, auch ein Entgelt für die Vorfinanzierung leisten muss.1232 In personeller Hinsicht muss es sich gem. § 506 BGB bei derjenigen Partei, die den Zahlungsaufschub bzw. die sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt, um einen Unternehmer handeln.1233 Diejenige Partei, der der Zahlungsaufschub bzw. die sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt wird, muss zudem grds. als Verbraucher handeln.1234 Allerdings wird auch der Anwendungsbereich des § 506 BGB durch § 513 BGB auf Fälle ausgeweitet, in denen der Vorleistungsberechtigte Existenzgründer ist. Nach § 506 Abs. 4 BGB gelten auch für entgeltliche Zahlungsaufschübe und sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen die Ausnahmen in § 491 Abs. 2 und 3 BGB entsprechend. Zahlungsaufschübe und sonstige Finanzierungshilfen sind, was ihren Zweck betrifft, mit Darlehen vergleichbar. Vereinbaren die Parteien etwa einen Zahlungsaufschub, so muss der Kreditnehmer die von ihm geschuldete Geldleistung nicht zum im Gesetz vorgesehenen Zeitpunkt erbringen, sondern erst später leisten.1235 Für die Zeit, in der er nach dem Gesetz bereits hätte leisten müssen, nach der Vereinbarung jedoch noch nicht leisten muss, hat der Kreditnehmer demnach Vermögen zur Verfügung, das er im Regelfall bereits zur Erlangung der Gegenleistung hätte aufwenden müssen.1236 Für diese Zeit wird dem Kreditnehmer also Finanzkraft überlassen. Der Zahlungsaufschub beschreibt insofern den Warenoder Dienstleistungskredit.1237 Muss der Kreditnehmer wegen der Vereinbarung des Zahlungsaufschubs allerdings ein erhöhtes Entgelt für die Leistung erbringen, handelt es sich – wie auch beim entgeltlichen Darlehen – um einen entgeltlichen Kredit. Der Kreditnehmer muss für die Überlassung der Finanzkraft bezahlen. Die sonstige Finanzierungshilfe zeichnet sich dadurch aus, dass dem 1231 1232 1233 1234 1235 1236 1237

Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 68. MünchKommBGB/Schürnbrand, § 506 Rn. 24. Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2369. Billing/Milsch, NJW 2015, 2369, 2369. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 15. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 15. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 15.

272 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Kreditnehmer die Nutzung der versprochenen Leistung – unabhängig vom Eigentumserwerb – bereits überlassen wird, er die Gegenleistung jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt (vollständig) zu erbringen hat. Auch hier gilt also, dass der Kreditnehmer die Leistung bereits nutzen kann, ohne den hierfür im Regelfall üblichen Teil seines Vermögens aufgewendet haben zu müssen. Sofern der Kreditnehmer für die Nutzung der Leistung im Ergebnis mehr zahlen muss, als er es ohne die Finanzierungsabrede hätte tun müssen, liegt ebenfalls eine Überlassung von Finanzkraft gegen Entgelt vor. Dementsprechend lassen sich die zuvor zum Lösungsinteresse des Darlehensnehmers angestellten Überlegungen auch auf das Lösungsinteresse bei Zahlungsaufschüben und sonstigen Finanzierungshilfen übertragen.1238 Die Vereinbarung von entgeltlichen Zahlungsaufschüben und sonstigen entgeltlichen Finanzierungshilfen modifizieren den zugrunde liegenden Vertrag dahingehend, dass die eine Partei zur Vorleistung verpflichtet wird. Auch hier entsteht also ein Bedürfnis dieser Vertragspartei (des Kreditgebers), sich möglichst umfassend abzusichern und dabei den eigenen Profit zu maximieren, sodass auch derartige Verträge sich regelmäßig durch Standardisierung durch den Kreditgeber sowie eine überdurchschnittliche Komplexität auszeichnen. Dementsprechend werden die verschiedenen entgeltlichen Angebote sich auch hier nur schwer mit einander vergleichen lassen und es besteht ebenso eine besondere Gefahr, dass die vorleistungsberechtigte Vertragspartei (der Kreditnehmer) nicht in der Lage ist, ihre eigenen vertraglichen Pflichten vollständig zu überblicken. Zudem führen Zahlungsaufschübe und sonstige Finanzierungshilfen ebenfalls zu einer dem Darlehen entsprechenden Verlockungsgefahr und schaffen damit für den Kreditnehmer das Risiko eines übereilten Vertragsschlusses.1239 Wie beim Darlehensvertrag kann ein vorschneller Vertragsschluss ohne ausreichende Sondierung des Marktes erhebliche finanzielle Nachteile bedeuten. Es besteht in gleicher Weise die Gefahr, dass der Kreditnehmer sich im schlimmsten Fall sogar wirtschaftlich übernimmt.1240 Daraus folgt, dass es bei Zahlungsaufschüben und sonstigen Finanzierungshilfen, ebenso wie bei Darlehensverträgen, mit Blick auf die Komplexität des Vertrags und der Verlockungsgefahr zu übereilten Vertragsschlüssen kommen kann, bei denen der Kreditnehmer erst danach feststellt, dass der Vertrag in seiner konkreten Ausgestaltung nicht in seinem Interesse ist. Das gilt insbesondere für Haushalte an der Basis der Einkommenspyramide, deren ökonomischer Spielraum durch die langzeitige Ratenzahlungsverpflichtung mitunter massiv eingeschränkt werden.1241 Nachdem der Kreditnehmer erkannt hat, dass er sich zu

1238 1239 1240 1241

Canaris, AcP 2000, 273, 349. Canaris, AcP 2000, 273, 349. Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 159. Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 159.

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einem letztlich unerwünschten Geschäft hat verlocken lassen, tritt ein Lösungsinteresse an die Stelle seines Bestandsinteresses. Bei Gebrauchsüberlassungsverträgen liegen die das Lösungsinteresse begründenden typischen Gefahren im Übrigen immer dann vor, wenn das Gebrauchsgut zum Zwecke des Substanzverzehrs bei Amortisation der Kosten der anderen Partei überlassen wird.1242 Im Vergleich zu einfachen Gebrauchsüberlassungsverträgen steigt die Verlockungsgefahr ebenso wie auch die Wahrscheinlichkeit der Komplexität des Vertrags also immer dann, wenn sich dieser durch Amortisation und Substanzverzehr auszeichnet. Zwar ist es zutreffend, dass auch der bloßen Gebrauchsüberlassung ein Kreditelement innewohnt, gleichwohl sind die für die Begründung des Lösungsinteresses typischen Gefahren dort nicht im gleichen Umfang vorhanden.1243 Mit der Einräumung der Möglichkeit zum Substanzverzehr erhöht sich für den Eigentümer einerseits das Risiko für den Insolvenzfall seines Vertragspartners. Denn hier besteht im besonderen Maße die Gefahr, dass der Wert des überlassenen Gegenstands sich deutlich stärker verringert hat, als es durch die von der anderen Seite bisher geleisteten Zahlungen ausgeglichen wurde. Aus diesem Grund werden derartige Verträge regelmäßig ein höheres Maß an Komplexität aufweisen als einfache Gebrauchsüberlassungsverträge. Andererseits steigt durch die Berechtigung zum Substanzverzehr auch die Verlockungsgefahr. Zwar wird derjenige, dem die Sache zum Gebrauch überlassen wird, nicht formell Eigentümer, die Berechtigung zum vollständigen Substanzverzehr bedeutet aber, dass er – anders als bei einfachen Gebrauchsüberlassungsverträgen – letztlich in wirtschaftlicher Hinsicht wie ein Eigentümer gestellt wird. Die Stellung des wirtschaftlichen Eigentümers hat dabei ein ähnliches Verlockungspotential wie das Eigentum selbst. Identifizieren lassen sich die Fälle, in denen es den Vertragsparteien um die Ermöglichung des vollständigen Substanzverzehrs geht, dadurch, dass auf der anderen Seite die vollständige Amortisation der Investition des Kreditgebers steht.1244 In diesen Fällen ist also ein den übrigen Konstellationen des Verbraucherkreditrechts vergleichbares Lösungsinteresse des Verbrauchers festzustellen. 3. Zusammenfassung Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt in den Fällen des Widerrufsrechts bei Verbraucherkreditverträgen also daraus, dass der Verbraucher sich zu einem unüberlegten Vertragsschluss mit weitreichenden Konsequenzen hat verlocken lassen, obwohl dieser von Anfang an nicht seinen wirtschaftlichen Interessen entsprach.1245 1242 1243 1244 1245

Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 68 ff. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 69. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 506 BGB Rn. 70 ff. In diesem Sinne auch Knops, VuR 1998, 107, 113.

274 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 Abs. 1 BGB Wie soeben dargestellt, folgt das objektivierte Lösungsinteresse des Kreditnehmers grundsätzlich aus der Kombination von Komplexität des Kreditvertrags und der Verlockungsgefahr.1246 Eine gewisse Verlockungsgefahr ist dem Kreditvertrag immanent.1247 Sie ergibt sich aus der Möglichkeit eine Leistung zu erlangen, ohne die hierfür eigentlich erforderlichen Aufwendungen bereits aus dem eigenen Vermögen erbringen zu müssen. Die Komplexität der grundsätzlich standardisierten Kreditverträge hingegen ist in der Regel auf das Bestreben von professionellen Kreditgebern zur Risikominimierung einerseits und zur Gewinnmaximierung andererseits zurückzuführen. Sie hat ihre Ursache im Wesentlichen in der Vorleistungspflicht des Kreditgebers. 1. Der personelle Anwendungsbereich Dem Wortlaut der Verbraucherkreditvorschriften entsprechend reicht es aus, dass der Kreditgeber bei Abschluss des Kreditvertrags in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständig beruflichen Tätigkeit handelt. Daraus wird überwiegend geschlossen, dass es für die Qualifikation des Darlehensgebers als Unternehmer unerheblich ist, ob es sich bei der unternehmerischen Tätigkeit speziell um die Darlehensvergabe handelt.1248 Umfasst sein sollen demnach auch die Fälle, bei denen die Darlehnsvergabe nur bei Gelegenheit erfolgt, sofern überhaupt ein sachlicher Zusammenhang zur unternehmerischen Tätigkeit besteht. Das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht wäre demnach nicht auf Verträge beschränkt, in denen ein im engeren Sinne „professioneller Darlehnsgeber“ beteiligt ist. Dagegen wird teilweise eingewandt, dass die besonderen Konsequenzen des Verbraucherdarlehensrechts nur dann gerechtfertigt sind, wenn der Darlehensgeber wegen der Häufigkeit der Darlehensvergabe eine gewisse Erfahrung mit Darlehensverträgen hat.1249 Auf der anderen Seite wird für das weite Verständnis hinsichtlich des unternehmerisch tätigen Darlehensgebers der Verbraucherschutzgedanke in der Regelung aufgeführt.1250 Soweit ersichtlich, beschränkt sich diese Diskussion auf Darlehensverträge, was wohl daran liegt, dass entsprechende Fälle, in denen die Gewährung von Zahlungsaufschüben und sonstigen Finanzierungshilfen „bei Gelegenheit“ der unternehmerischen Tätigkeit die Regel und nicht wie beim Darlehen die Aus1246

Canaris, AcP 2000, 273, 350; kritisch Scholz, MDR 1974, 969, 972. s. o., Kapitel 2, § 6, C.I.1. 1248 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 491 BGB Rn. 18; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn.7; Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 10. 1249 So etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.02.1995 – 17 U 191/94, NJW-RR 1996, 759. 1250 Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 10. 1247

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nahme darstellen und die Anwendung des Widerrufsrechts hier deshalb weniger „ungerecht“ erscheint. Gleichwohl ließe sich die Problematik entsprechend übertragen. Man denke etwa an den Unternehmer, der ausnahmsweise und einmalig in einem besonderen Fall einen entgeltlichen Zahlungsaufschub gewährt. Auch in diesem Fall könnte man argumentieren, dass die besonderen Folgen des Verbraucherkreditrechts nicht gerechtfertigt seien, da es dem Kreditgeber an einer gewissen Erfahrung mit Kreditverträgen fehle. Was das Lösungsinteresse betrifft, ist das Risiko des Darlehensnehmers einen unüberlegten und deshalb für ihn ungünstigen Darlehensvertrag abzuschließen bei Vertragsschlüssen mit professionell agierenden Kreditgebern zwar besonders groß,1251 beschränkt sich allerdings nicht auf diese Fälle. Auch wenn der Kreditgeber kein im engeren Sinne „professioneller Kreditgeber“ ist, kann der konkrete Vertrag inhaltlich sehr komplex sein. Und mit Blick auf die Verlockungsgefahr macht es ohnehin keinen Unterschied, ob der Kreditgeber „professionell“ agiert oder nicht. Dafür, dass der Gesetzgeber nicht nur Unternehmer im Sinne von „professionellen Kreditgebern“ in den Anwendungsbereich einbeziehen wollte, spricht zudem ein Umkehrschluss aus der Ausnahme in § 491 Abs. 2 Nr. 4 BGB.1252 Die Ursache für die Geringergewichtung des Bestandsinteresses des Kreditgebers in den vom Anwendungsbereich des Verbraucherkreditrechts erfassten Fällen dürfte jedenfalls folgende sein: Bei unternehmerisch tätigen Kreditgebern hält der Gesetzgeber es für besonders wahrscheinlich, dass der Vertragsinhalt derart komplex ist,1253 dass für den Kreditnehmer ein Risiko besteht, bezüglich seiner vertraglichen Verpflichtungen einer Fehleinschätzung zu unterliegen.1254 Zudem liegt der Interessenbewertung die Annahme zu Grunde, dass ein Kreditnehmer gerade bei komplexen Verträgen mit regelmäßig weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen oft besonders auf den fachkundigen Rat seines Vertragspartners angewiesen ist und es bei unternehmerisch tätigen Kreditgebern mit Abschlussinteressen besonders wahrscheinlich ist, dass ein unabhängiger Rat nicht erfolgt.1255 In diesem Zusammenhang kommt es ebenfalls zu einer vom Einzelfall losgelösten typisierenden Betrachtung durch den Gesetzgeber.1256 1251

Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 58; Knops, VuR 1998, 107, 112. Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 10; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 7. 1253 Die Komplexität ist dem Kreditvertrag zwar grundsätzlich immanent, sie dürfte bei wirtschaftlich ausgerichteten Unternehmer wegen der oben bereits genannten Umstände (Risikominimierung und Skaleneffekte) jedoch häufig besonders ausgeprägt sein, Benecke, ZIP 2016, 1897, 1900. 1254 Knops, VuR 1998, 107, 113; Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 59; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 239. 1255 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 91; Knops, VuR 1998, 107, 113. 1256 Medicus, JuS 1996, 761, 767. 1252

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Auch diese rechtfertigt sich mit den oben erläuterten gesamtwirtschaftlichen Vorteilen der Rechtssicherheit, wegen denen die Einzelfallgerechtigkeit zurücktreten muss.1257 Auf der anderen Seite des Vertrags muss zudem ein Verbraucher oder bei entgeltlichen Verträgen ein Existenzgründer als Kreditnehmer stehen. Das Lösungsinteresse von Verbrauchern und Existenzgründern ist also nach Ansicht des Gesetzgebers gegenüber demjenigen von sonstigen Kreditnehmern besonders stark zu gewichten.1258 Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass es sich hierbei um Personenkreise handelt, bei denen das Risiko eines übereilten Vertragsschlusses besonders hoch scheint.1259 Denn sowohl der Verbraucher als auch der Existenzgründer zeichnen sich in der Regel durch eine gewisse geschäftliche Unerfahrenheit aus.1260 Beim Existenzgründer soll diese Vermutung jedoch dann nicht gelten, wenn er ein Darlehen von mehr als 75.000A aufnimmt. Bei derart hohen Summen kann nach Ansicht des Gesetzgebers also auf eine gewisse Geschäftserfahrung geschlossen werden. Durch eine geschäftliche Unerfahrenheit wird das Risiko erhöht, dass die eigenen vertraglichen Verpflichtungen für den Kreditnehmer wegen der Komplexität des Vertrags nicht ausreichend erkannt werden.1261 Zudem wird eine geschäftliche Unerfahrenheit die Neigung, angesichts der sofort greifbaren Liquidität die in der Zukunft liegenden finanziellen Folgen zu verdrängen, erhöhen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den privaten Konsum, wo das Problem der Überbewertung des Gegenwartskonsums besonders relevant ist, weil hier die persönliche Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt steht.1262 Hinzu kommt, dass dem Konsum zwangsläufig eine wirtschaftliche Wertvernichtung einhergeht.1263 Insofern formuliert Canaris zutreffend, dass die Möglichkeit sofortigen Konsums gegen spätere Bezahlung hier umso verführerischer und das damit verbundene Risiko umso ernster zu nehmen sei, weil der „Kredit typischerweise alsbald im buchstäblichen Sinne verbraucht zu sein pflegt“.1264 Ein ähnliches Risiko liegt auch bei Existenzgründungskrediten zugrunde, da „Existenzgründungen auf schmaler Kapitalbasis erfahrungsgemäß häufig fehlschlagen, [sodass] auch hier die Gefahr der Wertvernichtung besonders hoch ist“.1265 1257

s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.2. Blaurock, JZ 1999, 801, 806. 1259 Für den Verbraucher, Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 58; für eine vergleichbare Situation beim Existenzgründer Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 205. 1260 Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 46; Knops, VuR 1998, 107, 113. 1261 Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, S. 58 f.; Canaris, AcP 2000, 273, 350; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 328. 1262 Schnauder, WM 2014, 783, 786. 1263 Canaris, AcP 2000, 273, 350; ebenfalls das Kriterium des Konsums in den Vordergrund stellend Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 130. 1264 Canaris, AcP 2000, 273, 350; kritisch Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 89, 297. 1265 Canaris, AcP 2000, 273, 351. 1258

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Im unternehmerischen Bereich gehört die Kreditaufnahme hingegen grds. „zu den selbstverständlichen Maßnahmen normalen Wirtschaftens, [sodass] von einer Verlockungsgefahr zu sprechen geradezu absurd“ wäre und der Kredit hier außerdem der Ermöglichung weiterer Wertschöpfung dient.1266 Wie Sedlmeier formuliert, hat die besondere Berücksichtigung des Lösungsinteresses von Verbrauchern und Existenzgründern seine Ursache in der „berechtigten normativen Erwartung“ dass Unternehmer und sonstige Personen eine „sorgfältige NutzenRisiko-Abwägung“ vornehmen, da es sich bei Investitionsentscheidungen um die „Gretchenfrage“ unternehmerischer Tätigkeit schlechthin handelt.1267 Sofern der Gesetzgeber auf die Verbraucher- bzw. Existenzgründereigenschaft abstellt, um Fälle zu bezeichnen, in denen dem Lösungsinteresse des Kreditnehmers – wegen geschäftlicher Unerfahrenheit und dem daraus resultierenden besonderen Risiko zum Abschluss von übereilten und ungünstigen Darlehensverträgen – ein überdurchschnittliches Gewicht zu zukommt, handelt es sich zweifelsohne um eine Typisierung.1268 Denn weder folgt daraus, dass der Kreditnehmer aus der Rolle des Verbrauchers bzw. Existenzgründers heraus handelt, zwingend eine geschäftliche Unerfahrenheit,1269 was sich daran zeigt, dass auch ein erfolgreicher Kaufmann, sofern er zu privaten Zwecken handelt, den Schutz des Verbraucherkreditrechts genießt.1270 Auf der anderen Seite finden die Verbraucherkreditvorschriften keine Anwendung auf Fälle, in denen im Einzelfall gleichwohl das Vorliegen einer geschäftlichen Unerfahrenheit und dem daraus folgenden besonderen Risiko zu bejahen ist.1271 Man denke etwa an kleine aber eingetragene Sport-, Hobby- oder Kulturvereine als Darlehensnehmer.1272 Auch hier erfolgt die Typisierung im Ergebnis zur Gemeinwohlsteigerung durch Rechtssicherheit. Zusammenfassend lässt sich bezüglich der gesetzgeberischen Interessenbewertung also zunächst feststellen, dass sich das Lösungsinteresse des Kreditnehmers grundsätzlich dann durchsetzen soll, wenn in personeller Hinsicht auf der einen Seite diejenige Person, die sich vom Vertrag lösen möchte, wegen (vermuteter) spezieller Unerfahrenheit besonders schutzwürdig ist (ihr Lösungsinteresse dementsprechend stärker zu gewichten ist) und auf der anderen Seite diejenige Person 1266

Canaris, AcP 2000, 273, 350; zustimmend Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 89. 1267 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 327; in diesem Sinne auch Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 262. 1268 Canaris, AcP 2000, 273, 350. 1269 Schnauder, WM 2014, 783, 786. 1270 BGH, Urt. v. 24.07.2007 – XI ZR 208/06, NJW-RR 2007, 1673. 1271 So stellt Canaris fest, dass es krass realitätswidrig wäre, wenn man unterstellen würde, dass die berufliche Tätigkeit dazu führt, dass die überwiegende Mehrzahl dieser Personen dazu befähige komplexe Kreditbedingungen zu durchschauen, Canaris, AcP 2000, 273, 350. 1272 Remien, ZEuP 1994, 34, 42.

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mit dem Bestandinteresse wegen (vermuteter) spezieller Erfahrenheit besonders schutzunwürdig ist.1273 2. Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen in der gesetzgeberischen Interessenabwägung Die damit einhergehende Bevorzugung des Lösungsinteresses des Verbrauchers gegenüber dem Bestandsinteresse des Unternehmers bei Kreditverträgen lässt sich mit dem Hinweis auf die regelmäßige Komplexität von Kreditverträgen in Verbindung mit einer Verlockungsgefahr allerdings nicht befriedigend begründen.1274 Was die Verlockungsgefahr angeht, wird diese nicht vom Unternehmer ausgelöst, sondern ihre Ursache liegt beim Verbraucher selbst.1275 Insofern kann die Verlockungsgefahr keine geringere Wertung des Bestandsinteresses rechtfertigen.1276 Das trifft aber letztlich auch für die Komplexität von Kreditverträgen zu. Zwar mag die Ursache hierfür teilweise auch beim Kreditgeber liegen, sie ist insoweit allerdings der Tatsache geschuldet, dass Kreditgeber als Vorleistungspflichtige ein durchaus berechtigtes Interesse an der Risikominimierung haben. Deshalb scheint es unangemessen eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses von unternehmerischen Kreditgebern damit zu erklären, dass hier die Kreditverträge regelmäßig sehr komplex sind.1277 Auch die Stärkung des Verbraucherschutzes lässt sich diesbezüglich entgegen der Ansicht von Hericks1278 nicht als abstrakter Argumentationstopos anführen.1279 Die Erklärung der Interessenbewertung im Rahmen des Verbraucherkreditwiderrufs zugunsten des Lösungsinteresses dürfte vielmehr auch in weiteren rechtspolitischen Überlegungen liegen. Der Schutz des Verbrauchers dient dazu, das Vertrauen von Verbrauchern in den europäischen Verbraucherkreditmarkt zu stärken.1280 Zwar bestand im deutschen Recht bereits ein Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen als dies noch nicht durch das europäische Recht vorgegeben war,1281 allerdings steht dies der Annahme, dass das Ziel der Stärkung des 1273 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 241; in diesem Sinne auch Artz, Verbraucher als Kreditnehmer, nach dem das Verbraucherkreditrecht den Verbraucher „vor einem ungünstigen und übereilten Vertragsabschluss [schützen soll], der durch die zwischen ihm und dem professionell handelnden Kreditgeber bestehende Ungleichgewichtslage provoziert wird“. 1274 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 90. 1275 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 87. 1276 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 296. 1277 Fischer, Widerrufsrecht, S. 44; Pfeiffer, NJW 2011, 1, 4; a. A. 1278 Hericks, Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs, S. 21. 1279 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 73. 1280 Erwägungsgrund 8 VK-RiL; kritisch, ob eine Verbraucherkreditrichtlinie zur Erreichung dieses Ziels überhaupt geeignet ist, Nobbe, WM 2011, 625, 625 und Derleder, NJW 2009, 3195, 3198. 1281 Hierzu bereits oben, § 3, B.

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Binnenmarktes einen erheblichen Einfluss auf die Interessengewichtung zugunsten des Lösungsinteresses hatte, nicht entgegen. Vielmehr hat hier eine Verschiebung der Stoßrichtung vom sozialen Verbraucherschutz zum marktbezogenen Verbraucherschutz stattgefunden.1282 Das Widerrufsrecht soll also neben den Verbrauchern und Kreditgebern auch den Herstellern, Händlern und Dienstleistern zugutekommen, da der Zweck von Verbraucherkrediten gerade im Konsum liegt.1283 Abgesehen von der unmittelbaren Förderung des Konsums durch verbraucherfreundliche Kreditregeln hat die Verhinderung von für Verbraucher nachteiligen Krediten zudem mittelbar gesamtwirtschaftliche Vorteile.1284 Im Jahr 2001 waren bereits 16 % der privaten Haushalte in der EU überschuldet.1285 Wegen unverhältnismäßigen Krediten überschuldete Haushalte sind jedoch mittel- bis langfristig in ihrer Konsumaktivität beschränkt.1286 Der Schutz von Verbrauchern vor unverhältnismäßigen Krediten dient insofern zunächst der Verhindung negativer Auswirkungen auf die Konsumentwicklung durch überschuldete Haushalte. Darüber hinaus dient die Regelung dazu gesamtwirtschaftliche Gefahren durch flächendeckend ausfallende Kredite, wie sie sich etwa im Rahmen der sogenannten Sub-Prime-Krise1287 ab 2007 gezeigt haben, zu minimieren. Auch befinden sich überschuldete Haushalte oftmals in einer Abwärtsspirale, welche letztendlich in die staatliche Grundsicherung führt.1288 Flächendeckende Überschuldnung von Privathaushalten belastet damit die Sozialsysteme und kann sogar den gesellschaftlichen Zusammenhalt ingesamt gefährden. Ferner können unterschiedliche Vorschriften zur Kreditvergabe in verschiedenen Mitgliedsstaaten zu dem Binnenmarkt abträglichen Wettbewerbsverzerrungen führen.1289 Somit lässt sich festhalten, dass die grundsätzliche Bevorzugung des Lösungsinteresses von Verbrauchern gegenüber dem Bestandsinteresse von Unternehmern nicht ausschließlich aus den Parteiinteressen folgt, sondern sich auch aus übergeordneten Gemeinwohlüberlegungen ergibt.1290 1282

Gsell, WuM 2014, 375, 376 f. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 64. 1284 Siems, EuZW 2008, 454, 455. 1285 Study of the problem of Consumer Indebtedness, Final Report, 2001, abrufbar über http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/fina_serv/cons_directive/fina_serv06_en. pdf (zuletzt abgerufen am 29.07.2017). 1286 Wie Holzscheck/Hörmann/Davider, Praxis des Konsumentenkredits, S. 170 ff., feststellen, führt eine Kreditbelastung besonders häufig zum Verzicht auf Ferienreisen, aber auch Einschränkungen des Haushaltsgelds und der Ausgaben für Kleidung. 1287 Forkel, BKR 2008, 183. 1288 In diesem Sinne auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 139, die den Zweck des Verbraucherschutzes auch in dem Schutz vor dem „modernen Schuldturm“ und der Eröffnung von Existenzgründungsmöglichkeiten sieht. 1289 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 64. 1290 So auch Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 295 f. 1283

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3. Ausnahmen vom Widerrufsrecht Keine Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge sind nach § 491 Abs. 2 BGB solche Verträge, bei denen der Nettodarlehensbetrag1291 weniger als 200 A beträgt (Nr. 1), bei denen die Haftung des Darlehensnehmers auf eine dem Darlehensgeber zum Pfand übergebene Sache beschränkt ist (Nr. 2), bei denen das Darlehen binnen drei Monaten zurückgezahlt werden muss und nur geringe Kosten vereinbart wurden (Nr. 3), bei denen es sich um besondere Arbeitgeberdarlehen handelt (Nr. 4) sowie bestimmte Verträge, bei denen das Darlehen aufgrund von Rechtsvorschriften im öffentlichen Interesse vergeben wird (Nr. 5) und Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge (Nr. 6). Trotz Vorliegens eines entgeltlichen Verbraucherdarlehensvertrags steht dem Verbraucher zudem kein entsprechendes Widerrufsrecht zu, wenn die in §§ 491 Abs. 4 oder § 495 Abs. 2 BGB genannten Situationen vorliegen. Nach § 491 Abs. 4 BGB findet das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht keine Anwendung auf Darlehensverträge, die in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes gerichtliches Protokoll aufgenommen oder durch einen gerichtlichen Beschluss über das Zustandekommen und den Inhalt eines zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs festgestellt sind, sofern das Protokoll oder der Beschluss bestimmte Mindestangaben enthält. Nach § 491 Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht ein Widerrufsrecht auch in Umschuldungsfällen nicht, wenn der Darlehensgeber wegen Zahlungsverzugs des Darlehensgebers zur Kündigung berechtigt wäre, der ursprüngliche Darlehensvertrag durch eine Rückzahlungsvereinbarung ersetzt oder ergänzt wird, es hierdurch zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens kommt und der neue Gesamtbetrag schließlich geringer als die ursprüngliche Restschuld ist. Diese Ausnahme gilt nach § 514 Abs. 2 S. 2, 2. Fall BGB ebenfalls für unentgeltliche Darlehensverträge. Gemäß § 495 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht auch in Fällen ausgeschlossen, in denen der entgeltliche Darlehensvertrag wegen gesetzlicher Vorgaben notariell beurkundet wurde und der Notar – nach Prüfung in eigener Verantwortung – im Vertrag bestätigt, dass die Rechte des Darlehensnehmers aus den §§ 491a, 492 gewahrt sind.1292 Auch bei Überziehungskrediten im Sinne der §§ 504 Abs. 2 und 505 BGB besteht, wie sich aus § 495 Abs. 2 Nr. 3 BGB und den §§ 504 Abs. 2 bzw. § 505 Abs. 4 BGB ergibt, kein entsprechendes Widerrufsrecht. Bei den in §§ 491 Abs. 2, Abs. 3, 495 Abs. 2 BGB genannten Ausnahmen handelt es sich um Konstellationen, in denen der Gesetzgeber wegen besonderer Umstände eine abweichende Interessenbewertung für erforderlich hält.1293 1291 Der Begriff des Nettodarlehensbetrags wird in Art. 247 § 3 Abs. 2 EGBGB definiert als der Höchstbetrag, auf den der Darlehensnehmer aufgrund des Darlehensvertrags Anspruch hat. Er lässt sich aus dem Gesamtbetrag abzüglich der Gesamtkosten errechnen, Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 66. 1292 Staudinger/Kessal-Wulf, § 495 BGB Rn. 12.

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Was die Ausnahmen in § 491 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 betrifft, geht es um Fälle von Bagatellkrediten, 1294 bei denen die wirtschaftliche Tragweite nicht ausreichend ist, um bei ungünstigen Vertragsschlüssen eine Loslösung vom Vertrag zu rechtfertigen.1295 Die Gefahr einer finanziellen Überforderung wird in derartigen Fällen meist gänzlich fehlen. Der Kreditnehmer ist dementsprechend nicht ausreichend schutzwürdig. Ein etwaiges Lösungsinteresse kann das Bestandsinteresse des Kreditgebers folglich nicht überwiegen.1296 Insbesondere in den Fällen der §§ 491 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 5, Abs. 3, 495 Abs. 2 Nr. 2 BGB fehlt es an einer besonderen Schutzwürdigkeit des Kreditnehmers, weil dieser bereits durch anderweitige Vorschriften geschützt wird. Bei den Fällen, in denen die Haftung des Kreditnehmers auf eine dem Kreditgeber zum Pfand übergebene Sache beschränkt ist (§ 491 Abs. 2 Nr. 2 BGB), wird der Schutz des Kreditnehmers abschließend von den Regelungen der PfandleiherVO als lex specialis geregelt.1297 Wegen des abschließenden Schutzes des Kreditnehmers durch die PfandleiherVO besteht kein zur Aufwertung des Lösungsinteresses ausreichendes Schutzbedürfnis. Dementsprechend bleibt es in diesen Fällen beim Überwiegen des Bestandsinteresses. Entsprechendes gilt auch für die Fälle, in denen Kreditverträge notariell zu beurkunden sind und der Notar bestätigt, dass die Rechte des Kreditnehmers aus §§ 491a und 492 BGB gewahrt sind (§ 495 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Nach § 17 Abs. 1 BeurkG ist der Notar unter anderem verpflichtet, die Parteien über die rechtliche Tragweite ihres Geschäfts zu belehren, wobei sich der Umfang der Belehrungspflicht an der Geschäftserfahrenheit der betroffenen Person zu orientieren hat.1298 Durch die Belehrungspflicht wird also sichergestellt, dass der Kreditnehmer – sollte die aus der Verbrauchereigenschaft folgende Vermutung seiner geschäftlichen Unerfahrenheit im Einzelfall zutreffen – vom Notar umfassend über die rechtliche Tragweite seiner Verpflichtung aufgeklärt wird.1299 Ein entsprechend seiner Geschäftserfahrung aufgeklärter Kreditnehmer hat hier also bereits vor Vertragsschluss die Möglichkeit sich über seine Verpflichtungen klar zu werden. Auch wird ein Kreditnehmer wegen der persönlichen Belehrung kaum in der Lage sein, das Ausmaß seiner Verpflichtungen zu verdrängen. Zudem gilt die notarielle Beurkundung allgemein als adäquater Schutz vor Übereilung.1300 Für 1293

BT-Drucks. 11/5462 S. 18. Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 66. 1295 RegE, BT-Drucks. 16/11643, S. 76. 1296 RegE, BT-Drucks. 16/11643, S. 76. 1297 Staudinger/Kessal-Wulf, § 491 BGB Rn. 8; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 66; Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 491 BGB Rn. 163. 1298 BeckOK/Litzenburger, § 17 BeurkG Rn. 10. 1299 Reiner, AcP 2003, 1, 17. 1300 Faust, BGB-AT, § 8 Rn. 1. 1294

282 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

den Kreditnehmer bestehen die das Lösungsinteresse begründenden typischen Gefahren in Fällen, in denen der Kreditvertrag notariell zu beurkunden ist, also wenn überhaupt nur in abgemilderter Form.1301 Aus diesem Grund kann auch hier ein etwaiges Lösungsinteresse sich nicht gegenüber dem Bestandsinteresse des Kreditgebers durchsetzen.1302 Auch bei gerichtlich protokollierten Kreditverträgen im Sinne des § 491 Abs. 3 BGB geht der Gesetzgeber davon aus, dass der erforderliche Schutz des Kreditnehmers bereits anderweitig, hier speziell durch die gerichtliche Mitwirkung, sichergestellt wird.1303 Auch dann fehlt es also an einer weiteren Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers, sodass das Lösungsinteresse nicht gegenüber dem Bestandsinteresse nicht überwiegt. Soweit Bülow annimmt, dass es bei § 491 Abs. 3 BGB nicht um mangelnde Schutzbedürftigkeit geht, sondern sich der Ausschluss nur durch Praktikabilitätserwägungen begründet,1304 ist dem nicht zu folgen. Die Praktikabilitätserwägungen des Gesetzgebers dürften weniger hinsichtlich des Ausschlusses des Widerrufsrechts als vielmehr hinsichtlich der Informationspflichten und der Formvorschriften einschlägig sein. Bei Krediten, die von Arbeitgebern mit ihren Arbeitnehmern als Nebenleistung zum Arbeitsvertrag zu einem niedrigeren als dem marktüblichen effektiven Jahreszins abgeschlossen wurden und die anderen Personen nicht angeboten werden (Ausnahme des § 491 Abs. 2 Nr. 4 BGB), handelt es sich um freiwillige Sozialleistungen des Arbeitgebers, mit denen dieser in der Regel die Betriebstreue seines Arbeitnehmers belohnen möchte.1305 Indem der Gesetzgeber derartige Fälle nicht dem Verbraucherkreditrecht unterwirft, macht er deutlich, dass das Lösungsinteresse auch hier nicht gewichtiger ist als das Bestandsinteresse. Begründen lässt sich diese Überlegung bei Arbeitgeberkrediten nach § 491 Abs. 2 Nr. 4 BGB zum einen damit, dass die Gewichtung des Bestandsinteresses des Kreditgebers in diesen Fällen im Vergleich zu den Regelfällen des Verbraucherdarlehenskredits nicht verringert wird. Denn sofern es dem Kreditgeber darum geht die Betriebstreue seines Arbeitnehmers zu belohnen, handelt er bei der Kreditgewährung eher im Interesse des Kreditnehmers als im eigenen, sodass er schutzwürdiger ist als in den Regelfällen, in denen der Kreditgeber beim Vertragsschluss vornehmlich im eigenen Interesse handelt. Hinzu kommt, dass das Lösungsinteresse des Kreditnehmers in den Fällen

1301

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1141. Die generelle Verneinung der besonderen Gefahrensituation bei der Einschaltung eines Notars jedoch mit Hinweis auf den sog. „Hausnotar“ des Unternehmers als zu pauschal kritisierend Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1142. 1303 BT-Drucks. 11/5462 S. 18. 1304 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 491 BGB Rn. 151. 1305 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 68. 1302

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des § 491 Abs. 2 Nr. 4 BGB geringer zu gewichten ist als bei Verbraucherkreditverträgen. Denn die Ausnahmeregelung setzt voraus, dass der Kredit zu einem effektiven Jahreszins angeboten wird, der unter dem marktüblichen liegt. Insofern besteht für den Kreditnehmer kein Risiko wegen mangelnder Information einen unwirtschaftlichen Kreditvertrag abzuschließen.1306 Da § 491 Abs. 2 Nr. 4 BGB zudem nur auf Kredite anwendbar ist, die lediglich den Arbeitnehmern des Kreditgebers angeboten werden, fehlt es an einem besonderen Markt für derartige Kredite. Insofern ist eine Vergleichbarkeit zum Schutz des Kreditnehmers auch nicht erforderlich. Aufgrund der Einführung des Widerrufsrechts bei unentgeltlichen Darlehensverträgen in § 514 BGB, für den eine entsprechende Ausnahme bei Arbeitgeberkrediten nicht vorgesehen ist, möchte Schürnbrand zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen in diesen Fällen gleichwohl ein Widerrufsrecht in analoger Anwendung von § 514 BGB begründen.1307 In der Tat scheint es widersprüchlich dem Arbeitnehmer in Fällen, in denen ihm sein Arbeitgeber ein unentgeltliches Darlehen gewährt, ein Widerrufsrecht zuzustehen, aber nicht in Fällen, in denen das Darlehen lediglich vergünstigt ist. Das eine Vergleichbarkeit zum Schutz des Kreditnehmers nicht erforderlich ist, trifft ebenso auf die Fälle des § 491 Abs. 2 Nr. 5 BGB zu.1308 Hier geht es um Kredite, die einem begrenzten Personenkreis auf Grund von Rechtsvorschriften im öffentlichen Interesse gewährt werden und bei denen die Bedingungen insgesamt günstiger als die marktüblichen sind und der marktübliche Sollzinssatz nicht überschritten wird. Auch hier wird durch die Voraussetzungen des § 491 Abs. 2 Nr. 5 BGB sichergestellt, dass der Kreditvertrag sich aus Sicht des Kreditnehmers nicht als unwirtschaftlich herausstellen kann, denn insgesamt müssen die Vertragsbedingungen für ihn günstiger sein als es marktüblich ist und der marktübliche Sollzinssatz darf nicht überschritten werden. Außerdem wird dem Vertragsschluss bei derartigen Krediten in der Regel ein aufwendiges Vergabeverfahren vorausgehen,1309 sodass häufig keine Gefahr besteht, dass der Kreditnehmer sich seiner vertraglichen Verpflichtungen nicht bewusst ist.1310 Ebenso wird hierdurch verhindert, dass der Kreditnehmer sich wirtschaftlich übernimmt. Ein darüber hinausgehendes Schutzbedürfnis des Kreditnehmers besteht nach Ansicht des Gesetzgebers nicht, sodass sich ein etwaiges Lösungsinteresse des Kreditnehmers nicht durchsetzen kann. Auch hier möchte Schürnbrand zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wegen der Einführung des Widerrufsrechts bei unentgeltlichen Darlehensverträgen in § 514 BGB, bei dem eine entspre-

1306

RegE, BT-Drucks. 11/5462, S. 18. Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1109; zust. BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 2a. 1308 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 491 BGB Rn. 176. 1309 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 491 Rn. 71. 1310 Diese Erwägung als rechtspolitisch angreifbar bezeichnend, MünchKommBGB/ Schürnbrand, § 491 Rn. 71. 1307

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chende Ausnahme für Förderkredite nicht vorgesehen ist, in ein Widerrufsrecht in analoger Anwendung von § 514 BGB begründen.1311 Was die Ausnahme in § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB betrifft, ist zunächst erforderlich, dass zwischen den Parteien bereits ein Kreditvertrag besteht, den der Kreditgeber wegen Zahlungsverzug zu kündigen berechtigt wäre. Es handelt sich also um Fälle, in denen ein Kreditvertrag sich in der Krise befindet. Des Weiteren ist erforderlich, dass der Kreditvertrag ergänzt oder ersetzt wird, um ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Es soll also eine Neuordnung erfolgen, die dem Kreditnehmer die Aufrechterhaltung des Kreditvertrags ermöglicht. Hierbei muss der neue Gesamtbetrag zudem geringer sein als die Restschuld. Zweck der Ausnahme in § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist es demnach, den Vertragsparteien in Krisensituationen eine rasche Neuordnung zu ermöglichen.1312 Hierdurch soll insbesondere vermieden werden, dass der Kreditnehmer unnötig lange Soll- und Verzugszinsen aus dem alten Kreditvertrag schuldet.1313 Der raschen Neuordnung stünde ein Widerrufsrecht des Kreditnehmers aber entgegen.1314 Die Abwendung eines gerichtlichen Verfahrens liegt in den von § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassten Fällen vornehmlich im Interesse des Kreditnehmers, sodass ein etwaiges Lösungsinteresse hier nicht von besonderem Gewicht sein kann.1315 Auch bestehen hier nicht die für Kreditverträge typischen Risiken, denn die Vereinbarung führt wegen der realen Minderbelastung aus Sicht des Kreditnehmers zu einer Verbesserung seiner Position.1316 Erklärt sich der Kreditgeber auf der anderen Seite – unter teilweisem Verzicht auf seine Ansprüche – zu einer Ergänzung oder Ersetzung des ursprünglichen Kreditvertrags bereit, ist sein Bestandsinteresse bezüglich dieses neuen Vertrags besonders schutzwürdig. Damit kann sich nach der gesetzgeberischen Wertung ein etwaiges Lösungsinteresse des Kreditnehmers nicht gegenüber dem Bestandsinteresse des Kreditgebers durchsetzen. § 495 Abs. 2 Nr. 3 BGB schließt das Widerrufsrecht für Überziehungsdarlehen im Sinne der §§ 504 Abs. 2 und 505 BGB aus. Gemeinsam ist den genannten Arten von Darlehen, dass sie im Rahmen eines laufenden Kontos gewährt werden. Während § 504 BGB Fälle betrifft, in denen der Darlehensgeber dem 1311

Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1109; zust. BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 2a. RegE, BT-Drucks. 16/11643, S. 84. 1313 RegE, BT-Drucks. 16/11643, S. 84. 1314 RegE, BT-Drucks. 16/11643, S. 84; Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 177. 1315 So auch BGH, Urt. v. 28.5.2013 – XI ZR 6/12, NJOZ 2014, 493, Rn. 24, wonach der Verbraucher in Fällen, in denen Entscheidung für die Darlehensaufnahme bereits gefallen ist, nicht vergleichbar schutzbedürftig sei. 1316 In diesem Sinne wohl auch Ady/Paetz, WM 2009, 1061, 1063; dass bei bloßer Änderung der Konditionen der Kapitalnutzung im Rahmen des ursprünglichen Kapitalnutzungsrechts keine mit dem Darlehensabschluss vergleichbare Entscheidungssituation besteht, ist auch in der Rechtsprechung anerkannt, BGH, Urt. v. 28.05.2013 – XI ZR 6/ 12, VuR 2013, 334. 1312

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Darlehensnehmer die Überziehungsmöglichkeit einräumt, gilt § 505 BGB, sofern eine Überziehungsmöglichkeit nicht eingeräumt, aber geduldet wird. Dem Wortlaut nach gilt § 505 BGB zwar nur für solche Fälle, in denen zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer ein Entgelt für den Fall vereinbart wird, dass der Unternehmer eine Überziehung des Kontos duldet, obwohl er hierzu nicht verpflichtet ist. Gleichwohl ist § 505 nach zutreffender Ansicht auch dann anzuwenden, wenn der Darlehensgeber die Überziehung auch ohne eine entsprechende Rahmenvereinbarung duldet.1317 Die Überziehung eines laufenden Kontos, sei sie vereinbart oder lediglich geduldet, gibt dem Verbraucher eine kurzfristige und flexible Finanzierungsmöglichkeit.1318 Die eingeräumte Überziehungsmöglichkeit stellt insofern einen atypischen Darlehensvertrag dar, als dass dem Darlehensnehmer die Möglichkeit eingeräumt wird sowohl den Zeitpunkt, die konkrete Höhe, als auch die Dauer der Inanspruchnahme im Wesentlichen frei zu bestimmen.1319 Ausgeschlossen wird das Widerrufsrecht bei eingeräumten Überziehungsmöglichkeiten nach § 504 Abs. 2 BGB allerdings nur in Fällen, in denen die Darlehensgewährung entweder auf höchstens drei Monate begrenzt ist oder der Darlehensgeber zur fristlosen Kündigung berechtigt ist. Sofern es die Fälle des § 504 BGB betrifft, also eine eingeräumte Überziehungsmöglichkeit vorliegt, behält sich der Darlehensgeber in der Praxis regelmäßig ein jederzeitiges Kündigungsrecht vor.1320 Hierdurch will der Darlehensgeber sich die Lösung in prekären Fällen ermöglichen, um das Risiko eines Rückzahlungsausfalls zu minimieren. Eine entsprechende Funktion kommt auch der Beschränkung der Laufzeit auf höchstens drei Monate zu. Der Ausschluss des Widerrufsrechts des Verbrauchers erklärt sich diesbezüglich vornehmlich mit Blick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs bei Verträgen über Finanzdienstleistungen. Mit dem Widerruf des Darlehensvertrags könnte sich der Darlehensnehmer nämlich gem. § 357a Abs. 1 BGB einen 30tägigen Aufschub bzgl. der Rückzahlung verschaffen. Damit würde die vom Darlehensgeber vorgesehene Beschränkung des Darlehens auf drei Monate bzw. sein jederzeitiges Kündigungsrecht Gefahr laufen ins Leere zu gehen. Der beabsichtigte Zweck, nämlich die Minimierung des Ausfallrisikos, würde dann unter Umständen konterkariert. Beschränkt man die Darlehensgeber in ihren Reaktionsmöglichkeiten bei prekären Fällen, könnte dies eine restriktivere Haltung bzgl. der Einräumung von Überziehungsmöglichkeiten zur Folge haben. Damit würde aber auch die Möglichkeit zur kurzfristigen und flexiblen Finanzierung für den Verbraucher beschränkt. Die Einräumung eines Widerrufsrechts in den in § 504 Abs. 2 BGB 1317 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 505 BGB Rn. 6; a. A. HK-BGB/ Ebert, § 505 Rn. 2. 1318 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 504 Rn. 1; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 505 Rn. 1. 1319 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 504 BGB Rn. 5. 1320 Ady/Paetz, WM 2009, 1061 Fn. 36.

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genannten Fällen hätte also mittelbar negative Konsequenzen für den Verbraucher.1321 Andererseits besteht aus Verbrauchersicht in den genannten Fällen – wegen der Möglichkeit des Verbrauchers zur jederzeitigen Rückführung – in der Regel auch kein besonderes Bedürfnis an einem Widerruf, da hier, anders als bei der vorzeitigen Rückzahlung in den Regelfällen nach § 500 Abs. 2 BGB, keine Vorfälligkeitsentschädigung nach § 502 BGB vom Darlehensnehmer zu leisten ist (vgl. § 504 Abs. 1 S. 2 BGB). Soweit also das Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht in den Fällen der Darlehensverträge mit Überziehungsmöglichkeit im Sinne des § 504 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist, liegt somit die gesetzgeberische Überlegung zu Grunde, dass das Lösungsinteresse des Darlehensnehmers einerseits keines besonderen Schutzes bedarf, da ihm die Fazilitätsvereinbarung ohnehin die jederzeitige Rückführung ohne zusätzliche Kosten erlaubt. Auf der anderen Seite ist das Bestandsinteresse des Darlehensgebers in den bezeichneten Fällen aus Sicht des Gesetzgebers besonders schutzwürdig, denn ein Widerrufsrecht des Darlehensnehmers könnte zur Aushebelung seiner Vorkehrungen zur Risikominimierung führen, was mittelbar auch negative Konsequenzen für den an einer kurzfristigen und flexiblen Finanzierungsmöglichkeit interessierten Verbraucher hätte. Entsprechendes gilt auch für die Ausnahme vom Widerrufsrecht bei geduldeten Überziehungen i. S. d. § 505 BGB. Der hierbei geschlossene Handdarlehensvertrag1322 berechtigt den Darlehensnehmer ebenso zur jederzeitigen Rückzahlung, ohne dass eine Vorfälligkeitsentschädigung geschuldet wäre. Auf der anderen Seite kann der Darlehensgeber hier ebenfalls jederzeit die Rückführung des Darlehensbetrags verlangen. Somit besteht auch hier auf Seiten des Darlehensnehmers keine besondere Schutzbedürftigkeit. Auf der anderen Seite würden die Widerrufsfolgen des § 357a BGB mitunter zu unangemessenen Verzögerungen bei der Darlehensrückführung führen und dadurch das Risiko von Zahlungsausfällen erhöhen. Darlehensgeber könnten sich als Reaktion darauf gezwungen sehen, zukünftig bei der Duldung von Überziehungen restriktiver zu agieren. Das würde mittelbar zu Nachteilen auf Seiten der Verbraucher führen, da es ihre Möglichkeiten zur kurzfristigen und flexiblen Finanzierung beschränken würde. Dem Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 495 Abs. 2 Nr. 3 BGB liegen also rechtspolitische Erwägungen zugrunde. Was die unentgeltlichen Kreditverträge betrifft, hat der Gesetzgeber lediglich auf die Ausnahme für Überschuldungsdarlehen in § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB Bezug genommen.1323 Soweit der Gesetzgeber die Ausnahmen vom Widerrufsrecht bei entgeltlichen Verbraucherkreditverträgen nicht für das Widerrufsrecht bei un1321 Zu den möglichen negativen Konsequenzen der Widerruflichkeit von Verbraucherkreditverträgen für dringend kreditbedürftige Verbraucher ausführlich Artz, BKR 2002, 603, 607. 1322 HK-BGB/Ebert, § 505 Rn. 2. 1323 § 514 Abs. 2 S. 1 BGB.

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entgeltlichen Verbraucherkreditverträgen übernommen hat, lassen sich den Gesetzesmaterialien keine diesbezüglichen Gründe entnehmen.1324 Wie Schürnbrand feststellt, ist ein weitergehender Verbraucherschutz bei unentgeltlichen Verträgen im Vergleich zu entgeltlichen Verträgen aber nicht veranlasst.1325 Deshalb wird dafür plädiert, dass die Ausnahmen der Widerrufsrechte bei entgeltlichen und unentgeltlichen Verbraucherkreditverträgen durch entsprechende teleologische Reduktionen von § 514 BGB bzw. seine analoge Anwendung anzugleichen sind.1326 Demensprechend soll § 514 BGB bei kurzfristigen Darlehen im Sinne des § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BGB nicht angewendet werden, ein Widerrufsrecht bei Arbeitgeber- und Förderkrediten im Sinne des § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 und 5 BGB hingegen auch für entgeltliche Darlehen bestehen.1327 Fällen eines unentgeltlichen Darlehens mit Pfandsicherung dürften praktisch wohl kaum vorkommen, sodass sich die Frage nach einer analogen Anwendung hier nicht stellt. Was den Ausschluss des Widerrufsrechts für unentgeltliche Kredite in Konstellationen betrifft, in denen dem Verbraucher bereits ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zusteht, dürfte dem die Überlegung zugrunde liegen, dass der Verbraucher hier keines über § 312g BGB hinausgehenden Schutzes bedarf. Wie bereits Bülow feststellt, dürfte der Ausnahmetatbestand allerdings ohnehin überflüssig sein, da ein Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen eine entgeltliche Leistung voraussetzt, sodass § 312g BGB und § 514 BGB keine überschneidenden Anwendungsbereiche haben.1328 4. Auswirkungen der verschiedenen Meinungen zum Begriff der entgeltlichen Finanzierungshilfe Wie zuvor erläutert, bestehen die das Lösungsinteresse rechtfertigenden Risiken bei Gebrauchsüberlassungsverträgen immer dann, wenn das Gebrauchsgut zum Zwecke des Substanzverzehrs bei Amortisation der Kosten überlassen wird. Allerdings stellt der Gesetzgeber hinsichtlich der in § 506 Abs. 2 S. 1 BGB genannten Konstellationen nicht auf Substanzverzehr und die Amortisation ab, sondern darauf, ob am Ende der Gebrauchsüberlassung eine Erwerbspflicht des Verbrauchers (Nr. 1), ein Andienungsrecht des Unternehmers (Nr. 2) besteht bzw. der Verbraucher eine Restwertgarantie übernommen hat (Nr. 3). Die in § 506 Abs. 2 S. 1 BGB genannten Konstellationen weisen zweifelsohne Schnittmengen mit den Fällen auf, in denen das Gebrauchsgut zum Zwecke des Substanzverzehrs bei Amortisation der Kosten überlassen wird, jedoch sind die Fälle nicht deckungs1324

MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 9. MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 9. 1326 Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1108 f.; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 9; BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 2a. 1327 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 9; BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 2a. 1328 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 10. 1325

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gleich.1329 Es sind sowohl Situationen denkbar, in denen eine Erwerbsverpflichtung oder eine Restwertgarantie vereinbart wurde, es aber dennoch an Substanzverzehr und Vollamortisation fehlt, als auch Fälle, in denen keine Erwerbsverpflichtung oder Restwertgarantie vereinbart wurde und die sich trotzdem durch Substanzverzehr und Vollamortisation auszeichnen. Folgt man in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass es sich bei § 506 Abs. 2 BGB lediglich um eine gesetzliche Fiktion handelt, die die dort genannten Fälle denjenigen der sonstigen Finanzierungshilfen im Sinne von § 506 Abs. 1 BGB (die sich grade durch Substanzverzehr und Vollamortisation auszeichnen) gleichstellt, hätte das zur Konsequenz, dass sich ein Lösungsinteresse im Einzelfall – nämlich wenn es an Substanzverzehr und Vollamortisation fehlt, aber gleichwohl eine Erwerbsverpflichtung oder eine Restwertgarantie vereinbart wurde – gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei durchsetzen könnte, obwohl die nach der Gesetzeskonzeption das Lösungsinteresse begründenden Umstände nicht vorliegen. § 506 Abs. 2 BGB würde eine unwiderlegliche Vermutung für das Vorliegen der das Lösungsinteresse begründenden Umstände bedeuten.1330 Eine derartige Vermutung ließe sich damit rechtfertigen, dass sie Beweisschwierigkeiten für den Kreditnehmer vermeidet. Folgt man hingegen der Auffassung, dass es sich bei § 506 Abs. 2 S. 1 BGB um eine abschließende Regelung der Fälle handelt, in denen Gebrauchsüberlassungen sonstige Finanzierungshilfen darstellen, würde das zum einen ebenfalls bedeuten, dass das Lösungsinteresse sich in Fällen durchsetzen kann, in denen die nach der Vorstellung des Gesetzgebers begründenden Umstände nicht vorliegen. Darüber hinaus würde eine solche Interpretation aber auch zur Folge haben, dass der Gesetzgeber das Lösungsinteresse selbst dann, wenn die es begründenden Voraussetzungen erfüllt sind, nur als überwiegend erachtete, sofern der Vertrag zudem eine Erwerbsverpflichtung oder eine Restwertgarantie enthält. Gründe, warum der Gesetzgeber das Lösungsinteresse in den Fällen des § 506 Abs. 2 S. 1 BGB besonders schutzwürdig oder das Bestandsinteresse der anderen Partei besonders wenig schutzwürdig ist, sind hier allerdings nicht ersichtlich.1331 5. Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit durch die Widerrufsfrist Nach §§ 355 Abs. 2, 356b Abs. 1, 2 BGB besteht die Möglichkeit des Verbrauchers zur Loslösung vom Kreditvertrag1332 durch Widerruf grds. nur 14 Ta1329

Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 506 BGB Rn. 81. Staudinger/Kessal-Wulf, § 506 BGB Rn. 32. 1331 Ball, FS Tolksdorf, S. 3, 9. 1332 Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht nur Darlehensverträge, sondern auch Verträge über entgeltliche Finanzierungshilfen i. S. d. § 506 BGB erfasst, BeckOK/Müller-Christmann, § 356b BGB Rn. 2. 1330

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ge ab dem Zeitpunkt, ab dem der Kreditgeber dem Kreditnehmer kumulativ zum Vertragsschluss die Vertragsurkunde oder den schriftlichen Antrag des Kreditnehmers bzw. eine Abschrift einer dieser Dokumente zur Verfügung gestellt hat, und dort alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 i.V. m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB enthalten sind.1333 Die grundsätzliche Beschränkung des Widerrufsrechts auf eine 14tägige Frist dient auch hier dem Interesse des Lösungsgegners, also des Kreditgebers, an Klarheit bzgl. des Bestands des Vertrags.1334 Die Bestimmung, dass die Widerrufsfrist dabei nicht nur vom Vertragsschluss, sondern auch von der Zurverfügungstellung der oben genannten Dokumente vom Kreditgeber an den Kreditnehmer abhängt, trägt dabei den Besonderheiten des objektivierten Lösungsinteresses bei Verbraucherkreditverträgen Rechnung. Denn da das Widerrufsrecht den Verbraucher vor dem übereilten Abschluss eines komplexen Vertrags schützen soll, muss dem Verbraucher die Möglichkeit zur Reflektion der Vertragsschlussentscheidung unter Zurverfügungstellung der Vertragsdokumente gewährt werden.1335 Sofern das dem Darlehensnehmer zur Verfügung gestellte Dokument die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB nicht enthält, beginnt die Widerrufsfrist nach § 356b Abs. 2 BGB erst mit der Nachholung dieser Angaben zu laufen und beträgt dann einen Monat. Sofern die Pflichtangaben eine Änderung des Vertragsinhalts bewirken, ist für den Fristbeginn nach § 356b Abs. 3 BGB zudem erforderlich, dass der Darlehensnehmer eine Abschrift des Vertrags erhält, in der die Vertragsänderungen berücksichtigt sind.1336 Die Pflichtinformationen umfassen gem. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB auch eine Widerrufsbelehrung, sodass auch gewährleistet wird, dass der Verbraucher bzgl. der Widerruflichkeit des Vertrags informiert ist, bevor die Widerrufsfrist zu laufen beginnt. Eine dem Erlöschenstatbestand des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB entsprechende Vorschrift existiert im Rahmen des § 356b BGB nicht, sodass das Widerrufsrecht hier – anders als bei den besonderen Vertriebsformen – ohne ordnungsgemäße Erteilung der Pflichtangaben unbefristet fortbesteht.1337 Im Rahmen des Verbraucherkreditrechts soll das Bestandsinteresse des Unternehmers, der den an ihn gerichteten Anforderungen bzgl. des Fristbeginns nicht genügt, demnach dauerhaft gegenüber dem Lösungsinteresse unterliegen.

1333

BeckOK/Müller-Christmann, § 356b BGB Rn. 3. Ob eine 14tägige Widerrufsfrist den Verbraucher bei komplexen Verträgen in die Lage versetzt ihren Inhalt kritisch nachzuvollziehen, bezweifelnd Schnauder, WM 2014, 783, 788. 1335 Erman/Röthel, § 356b BGB Rn. 1; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 190; Fischer, Widerrufsrecht, S. 44; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 297. 1336 HK-BGB/Schulze, § 356b Rn. 4; zur Frage der Richtlinienkonformität der Monatsfrist Wendehorst, ZEuP 2011, 263, 279. 1337 BeckOK/Müller-Christmann, § 356b BGB Rn. 5. 1334

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III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Verbraucherkreditverträgen nach § 495 Abs. 1 BGB Der Gesetzgeber geht bei der Begründung des objektivierten Lösungsinteresses davon aus, dass die Gefahr besteht, der Verbraucher habe sich zu einem unüberlegten Vertragsschluss mit schwer überschaubaren Konsequenzen verlocken lassen, obwohl der Vertrag von Anfang an nicht seinen wirtschaftlichen Interessen entsprach. Das objektivierte Lösungsinteresse folgt bei Verbraucherkreditverträgen dementsprechend daraus, dass Kreditverträgen eine zum unüberlegten Vertragsschluss verleitende Verlockungsgefahr immanent ist und die entsprechenden Verträge in aller Regel eine besondere Komplexität aufweisen. Die den Kreditverträgen immanente Verlockungsgefahr ist dem Unternehmer nicht zurechenbar. Insoweit liegt die Ursache des Lösungsinteresses also allein in der Sphäre des Verbrauchers. Allenfalls den weiteren Grund des objektivierten Lösungsinteresses, nämlich der regelmäßig hohen Komplexität von Kreditverträgen, mag auch durch ein Interesse des Kreditgebers an einer Risikominimierung geschuldet sein,1338 sodass ihm dies zumindest teilweise zuzuschreiben sein kann. Allerdings sind umfassende Vertragsgestaltungen des Kreditgebers zum Schutz seines Sicherungsinteresses grundsätzlich legitim,1339 sodass es sich selbst bei einer dem Kreditgeber zurechenbaren Vertragskomplexität jedenfalls nicht um einen Umstand handelt, der eine Geringergewichtung seines konkreten Bestandsinteresses rechtfertigt, geschweige denn eine Pflichtverletzung zu begründen vermag. Derjenigen Fälle, in denen von einer besonderen Komplexität der Verträge auszugehen ist, zu bestimmen, indem auf die Unternehmereigenschaft des Kreditgebers abgestellt wird, ist allerdings eine sehr grobe Typisierung. Dass die Umstände, die der gesetzgeberischen Interessenbewertung auch im Einzelfall vorliegen, wird hier dementsprechend nicht gewährleistet.1340 Der geschäftlichen Unerfahrenheit des Kreditnehmers, zu deren Bestimmung der Gesetzgeber auf Verbraucher- oder Existenzgründereigenschaft abstellt, wird eine besondere Schutzbedürftigkeit entnommen und deshalb auf ein besonderes Gewicht des konkreten Lösungsinteresses geschlossen. Auch die Verbrauchereigenschaft stellt dabei ein sehr wenig differenziertes Kriterium für die Bestimmung solcher Fälle dar, in denen ein geschäftlich unerfahrener Kreditnehmer beteiligt ist. Insbesondere werden hierbei auch Konstellationen erfasst, in denen der 1338

s. o. Kapitel 2, § 6, C.I.1. Auch Canaris erkennt, wenngleich in anderem Zusammenhang, eine Vertragsgestaltung des Darlehensgebers zum Schutz seines Sicherungsinteresses als grundsätzlich legitim an, Canaris, AcP 2000, 273, 298. 1340 Hölldampf/Schowerskyi, WM 2015, 999, 999. 1339

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Kreditnehmer geschäftlich sehr erfahren ist. Die ausgeprägte Typisierung im Rahmen des Verbraucherkreditwiderrufs bedeutet, der Gesetzgeber nimmt es hier in Kauf, dass sich das Lösungsinteresse einer Partei auch in Fällen durchsetzen kann, in denen die von ihm angenommenen Gründe für die entsprechende Interessenbewertung tatsächlich nicht vorliegen. Aber auch in sachlicher Hinsicht werden die der gesetzgeberischen Interessenabwägung zugrunde liegenden Umstände lediglich in typisierter Form vorausgesetzt. Das gilt zunächst insoweit, als dass der Gesetzgeber Kreditverträge und Fälle mit besonders komplexen Vertragsinhalt gleichsetzt. Kreditverträge müssen ihrer Natur nach jedoch nicht zwangsläufig komplex sein.1341 Selbst bei einem im Einzelfall sehr einfachen Kreditvertrag kann sich der Kreditnehmer nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich durch ein Verbraucherkreditwiderrufsrecht vom Vertrag lösen. Bei sonstigen Verträgen, die im Einzelfall eine mit dem durchschnittlichen Kreditvertrag vergleichbare Komplexität aufweisen, wird hingegen keine Lösungsmöglichkeit gewährt. Entsprechendes gilt auch mit Blick auf die Verlockungsgefahr. Auch diese ist nicht ausschließlich bei Kreditverträgen denkbar. In anderen Konstellationen, in denen eine Partei einer besonderen Verlockungsgefahr ausgesetzt ist, räumt der Gesetzgeber dem Betroffenen allerdings keine Lösungsmöglichkeit ein. Eine weitere Typisierung nimmt der Gesetzgeber im Rahmen der sonstigen Finanzierungshilfen vor. § 506 Abs. 2 S. 1 BGB stellt die unwiderlegliche Vermutung auf, in den genannten Fällen lägen die typischen Risiken des Kreditvertrags vor, welche das Lösungsinteresse rechtfertigen. Im Einzelfall ist es allerdings durchaus möglich, dass der Vertrag die Eigenheiten zur Begründung des Lösungsinteresses überhaupt nicht aufweist, weil es an Vollamortisation und Substanzverzehr fehlt. Das Verbraucherkreditwiderrufsrecht enthält demnach sowohl in personeller als auch in sachlicher Hinsicht einen ausgeprägt typisierenden Charakter. Es wird nicht sichergestellt, dass die die gesetzgeberische Interessenbewertung rechtfertigenden Umstände im konkreten Einzelfall auch vorliegen,1342 was sich mit Effizienzüberlegungen begründet. Es sind dementsprechend eine Vielzahl von Konstellationen denkbar, in denen sich das Lösungsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen kann, ohne dass es durch die vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Wertungen tatsächlich gerechtfertigt wäre. Das bedeutet im Umkehrschluss weitreichende Ausnahmen vom Grundsatz pacta sunt servanda. Auch im Rahmen des Verbraucherkreditwiderrufsrechts kommt also, indem das konkrete Bestandsinteresse des Unternehmers zugunsten von marktwirtschaftlichen

1341 Dies gilt insbesondere für die seit der Umsetzung der WIK-RiL ebenfalls widerruflichen unentgeltlichen Kreditverträge. 1342 In diesem Sinne auch Duchstein, NJW 2015, 1409, 1409.

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Wohlfahrtsüberlegungen zurücktreten muss, eine geringere Gewichtung des generellen Bestandsinteresses zum Ausdruck. An diesem Befund ändert auch die Reihe von Ausnahmen für besondere Fälle nichts, zumal es sich im Wesentlichen um seltene Spezialfälle handelt, die zudem nicht uneingeschränkt für unentgeltliche Kreditverträge gelten bzw. teilweise auch durch Analogien bei entgeltlichen Kreditverträgen relativiert werden sollen. Auch die grundsätzliche Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit auf 14 Tage führt zu keiner anderen Bewertung – zumal das Widerrufsrecht bei unzureichender Belehrung durch den Kreditgeber grds. sogar zeitlich unbeschränkt besteht. Sofern man davon ausgeht, dass die verbraucherprivatrechtlichen Sonderregelungen auch für Sachdarlehensverträge anwendbar sind, würde dies einen weiteren Anwendungsbereich der undifferenziert typisierenden Interessenabwägung des Verbraucherkreditwiderrufs bedeuten, wodurch sich die abstrakte Geringergewichtung des Bestandsinteresses durch den Gesetzgeber sogar auf eine größere Anzahl von Fällen erstrecken würde. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die in der Lösungsmöglichkeit des Kreditnehmers beim Verbraucherkreditwiderruf zum Ausdruck kommende generelle Gewichtung des Bestandsinteresses gering ist.

D. Das Widerrufsrecht bei Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB Nach §§ 510 Abs. 1, 2, 355 BGB steht einem Verbraucher grundsätzlich auch ein 14tägiges Widerrufsrecht bei sogenannten Ratenlieferungsverträgen mit einem Unternehmer zu. Das Widerrufsrecht bei Ratenlieferungsverträgen ist, anders als die bisher dargestellten Widerrufsrechte, nicht europarechtlich vorgegeben, sondern rein national.1343 I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB Ratenlieferungsverträge sind nach § 510 Abs. 1 BGB Verträge, die die Lieferung mehrerer als zusammengehörend verkaufter Sachen in Teilleistungen zum Gegenstand haben und bei denen das Entgelt für die Gesamtheit der Sachen in Teilzahlungen zu entrichten ist (Nr. 1), sowie Verträge, die die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art zum Gegenstand haben (Nr. 2) und Verträge deren Gegenstand die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen ist (Nr. 3). 1343

BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 1.

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1. Teilleistungen nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB Die in § 510 Abs. 1 Nr. 1 BGB genannten Teilleistungen setzen zunächst voraus, dass durch den Vertrag mehrere Sachen als zusammengehörend verkauft werden. Weitere Voraussetzung der in § 510 Abs. 1 Nr. 1 BGB genannten Fälle ist, dass auch der Verbraucher das von ihm geschuldete Entgelt in Teilzahlungen erbringt.1344 Bei Teillieferungsverträgen im Sinne des § 510 Abs. 1 Nr. 1 BGB handelt es sich also um Konstellationen, in denen der Umfang der Leistung des Unternehmers bereits bei Vertragsschluss feststeht.1345 Als zusammengehörend in im Sinne der Vorschrift gelten Sachen, wenn sie eine funktionelle Verbindung haben,1346 sofern der Gesamtwert der Lieferung die Summe ihrer Teilwerte übersteigt1347 oder wenn die Parteien die Lieferung zum einheitlichen Gegenstand des Kaufvertrags gemacht haben1348. Sind die Teillieferungen derart zusammengehörig, bedeutet das, dass der Leistungsempfänger mit den einzelnen Leistungsteilen sein Vertragsinteresse nicht oder jedenfalls nicht im vollen Umfang verwirklichen kann. Daraus folgt, dass der Empfänger von Beginn an ein Interesse an der vollständigen Leistung hat.1349 Indem die Parteien die Leistung in mehreren Teillieferungen vereinbaren, wird gleichwohl die Vertragsbeziehung auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt. Dies betrifft auch die vom Leistungsempfänger zu leistende Gegenleistung, die ebenfalls in Teilleistungen zu erbringen ist, in der Regel Zug um Zug gegen die Teillieferung der Sachen.1350 Teillieferungsverträge im Sinne des § 510 Abs. 1 Nr. 1 BGB zeichnen sich also dadurch aus, dass auf der einen Seite das Interesse des Sachleistungsempfängers am Erhalt der Sachgesamtheit steht, auf der anderen Seite aber eine Verpflichtung der Parteien zur Leistung über einen längeren Zeitraum begründet wird.1351 Insbesondere die Vereinbarung über die Erbringung der Gegenleistung in Teilleistungen bedeutet, dass der Empfänger der Sachleistung mitunter nicht in der Lage ist, den Umfang der von ihm eingegangen Verpflichtung ohne Weiteres zu überblicken.1352 Demgegenüber steht auf der anderen Seite die Sachgesamtheit, auf dessen Erwerb das Interesse dieser Partei gerichtet ist. Dadurch, dass der Sachleistungsempfänger 1344 Hierzu im Einzelnen Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 37 f. 1345 Zu denken ist etwa an die Lieferung eines mehrbändigen Lexikons, Petermann, Rpfleger 1974, 281, 282 und BGH, Urt. v. 12.01.1976 – VIII ZR 213/74, NJW 1976, 1354. 1346 BGH, Urt. v. 10.03.1993 – VIII ZR 85/92, NJW 1993, 2052, 2053 f. 1347 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 9; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 510 Rn. 13; Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 35. 1348 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 9. 1349 Michalski, JA 1979, 401, 403. 1350 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 37. 1351 Michalski, JA 1979, 401, 403. 1352 Löwe, NJW 1974, 2257, 2261; BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 1; Staudinger/ Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 6 m.w. N.

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also einerseits die Sachgesamtheit im Blick hat, andererseits jedoch mitunter nur die einzelne Teilleistung seiner Gegenleistungspflicht, erscheint ihm der Umfang der eigenen Verpflichtung unter Umständen zunächst gering. Erst die Summe der Teilleistungen macht das erhebliche finanzielle Ausmaß der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung deutlich. Man mag im Zusammenhang mit der Aufteilung des Gesamtpreises in mehrere Teilbeträge von einem „Verniedlichungseffekt“ sprechen.1353 Die Aufspaltung der einander gegenüberstehenden Leistungen in Teilleistungen kann insoweit zu einem übereilten und im Ergebnis unüberlegten Vertragsschluss führen.1354 Dies gilt umso mehr, als dass die erst in einer gewissen Zukunft liegende eigene Zahlungspflicht das Risiko birgt, diese zunächst zu verdrängen.1355 Befasst sich der Empfänger der Sachleistung im Anschluss an den Vertragsschluss eingehend mit dem von ihm abgeschlossenen Vertrag kann er feststellen, dass der Vertrag wirtschaftlich ungünstig ist. An die Stelle des Bestandsinteresses tritt dann ein Lösungsinteresse. 2. Verträge über die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB Was die in § 510 Abs. 1 Nr. 2 genannten Verträge über die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art betrifft, handelt es sich um Sukzessivlieferungsverträge.1356 Erfasst werden sowohl die „echten Sukzessivlieferungsverträge“, bei denen eine von vornherein festgelegte Gesamtmenge geschuldet wird, deren Leistung aber in Teilmengen erfolgt,1357 sofern die Vertragsgegenstände nicht im Sinne der Nr. 1 zusammenhängend sind, sowie „unechte Sukzessivlieferungsverträge“,1358 also Verträge, bei denen sich der endgültige Leistungsumfang durch die Vertragslaufzeit bestimmt.1359 Die erforderliche Regelmäßigkeit ist gegeben, wenn die Leistung zu festen, periodisch wiederkehrenden Zeitpunkten erfolgt.1360 Sachen sind im Sinne der Vorschrift von gleicher Art, wenn eine Übereinstimmung in wesentlichen Artmerkmalen besteht.1361

1353 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 183, allerdings im Zusammenhang dem Schutzbedürfnis beim Verbraucherkreditvertrag. 1354 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 189. 1355 Canaris, AcP 2000, 273, 349. 1356 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 39; Michalski, JA 1979, 401, 403; Petermann, Rpfleger 1974, 281, 282, der als Beispiel die Bezugsverpflichtung für Kindernährmittel nennt. 1357 Staudinger/Olzen, § 241 BGB Rn. 369; Schwab, ZGS 2003, 73, 73. 1358 MünchKommBGB/Gaier, § 314 Rn. 8; Schwab, ZGS 2003, 73, 74. 1359 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 10. 1360 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 10; Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 40. 1361 BGH, Urt. v. 02.02.1977 – VIII ZR 320/75, NJW 1977, 714, 715; Bülow/Artz/ Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 41.

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Dem Wortlaut nach erfasst § 510 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch Fälle, in denen der Verbraucher seine Leistung in einem Betrag im Voraus bezahlt. Teilweise wird jedoch eine teleologische Reduktion dahingehend gefordert, dass auch der § 510 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Fälle zu beschränken sei, in denen der Verbraucher das von ihm geschuldete Entgelt in Teilleistungen erbringt.1362 Nach anderer Ansicht ist zu differenzieren: Die Anwendbarkeit des § 510 Abs. 1 Nr. 2 BGB soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Verbraucher die Gegenleistung in vollem Umfang und im Voraus bezahlen muss, nicht jedoch, wenn der Verkäufer vorleisten muss und der Verbraucher dazu verpflichtet ist, den gesamten Kaufpreis später auf einmal zu zahlen.1363 § 510 Abs. 1 Nr. 2 BGB betrifft in der Regel Fälle, in denen Verbrauchs- oder Gebrauchsgüter geliefert werden, deren Verbrauchs- oder Gebrauchsbedürfnis in regelmäßigen Abständen neu entsteht.1364 Verträge, die der Befriedigung von in regelmäßigen Abständen neu entstehenden Verbrauchs- oder Gebrauchsbedürfnissen dienen, erstrecken sich üblicherweise über einen längeren Zeitraum. Mit der bloßen Tatsache, dass der Bezugszeitraum der Sachlieferung zeitlich gestreckt ist, lässt sich ein Lösungsinteresse jedoch noch nicht ausreichend begründen.1365 Denn es ist nicht ersichtlich, warum der Empfänger der Sachleistung in solchen Fällen, in denen die Lieferung auf einen längeren Zeitraum gestreckt wird, eher sein Interesse am Vertrag verliert als in Fällen, in denen die Sachleistung sofort vollständig erbracht wird.1366 Insofern ist es zunächst zutreffend, wenn § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB teleologisch dahingehend reduziert wird, dass seine Anwendbarkeit dann ausgeschlossen ist, sofern die Gegenleistung des Verbrauchers vollständig und im Voraus zu zahlen ist.1367 Zur Begründung eines Lösungsinteresses sind somit noch weitere Umstände erforderlich. Derartige Umstände können unstreitig in der Tatsache liegen, dass auch die Gegenleistung in Teilleistungen zu erbringen ist. Denn berücksichtigt man, dass es in den Fällen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB in der Regel um Verträge mit langer Dauer handelt, besteht hier – wie im Rahmen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB – eine besondere Gefahr, dass der Empfänger der Lieferungen mitunter nicht in der Lage ist, den Umfang der von ihm eingegangen Verpflichtung ohne Weiteres zu überblicken und er sich deshalb auch zunächst nicht über das volle

1362

BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 11. Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 39; für die Einschränkung bzgl. im vollem Umfang und im Voraus gezahlter Entgelte, die Frage eines darüberhinausgehenden Ausschlusses aber offenlassend, BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 89/89, NJW 1990, 1046. 1364 BGH, Urt. v. 02.02.1977 – VIII ZR 320/75, NJW 1977, 714, 716; Michalski, JA 1979, 401, 403. 1365 BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 89/89, NJW 1990, 1046, 1048. 1366 In diesem Sinne wohl auch Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 1. 1367 BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 89/89, NJW 1990 1046, 1048. 1363

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Ausmaß seiner vertraglichen Verpflichtung im Klaren ist.1368 Wenn sich diese Vertragspartei allerdings zu einem späteren Zeitpunkt des Umfangs ihrer Verpflichtung bewusst wird, ist es möglich, dass sie den Vertragsabschluss bereut und sein Interesse an dem Vertrag verliert. An Stelle des Bestandsinteresses tritt dementsprechend ein Lösungsinteresse. Eine entsprechende Gefahr besteht in den Fällen, in denen der Verkäufer zur Vorleistung verpflichtet ist und der Empfänger der Sachlieferungen die Gegenleistung zu einem späteren Zeitpunkt auf einmal zu erbringen hat, allerdings nicht. Denn dem Empfänger der Sachleistung dürfte der Umfang seiner Verpflichtung bei einer – wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt zu erfüllenden – Pflicht zur einmaligen vollständigen Erbringung der Gegenleistung in der Regel ausreichend deutlich sein. Damit, dass die eine Partei sich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht über das Ausmaß ihrer Verpflichtung im Klaren war, lässt sich ein Lösungsinteresse in diesen Fällen also nicht begründen.1369 Lässt man für die Anwendbarkeit des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB allerdings ausreichen, dass die Gegenleistung erst zu einem späteren Zeitpunkt vollständig fällig wird,1370 könnte man versucht sein die Begründung für das vom Gesetzgeber in § 510 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB zugrunde gelegte Lösungsinteresse in einer besonderen Verlockungsgefahr zu sehen. Bei Kreditverträgen liegt die besondere Verlockungsgefahr in der sofort greifbaren Leistung, obwohl die eigene Leistungsverpflichtung erst in der Zukunft zu erbringen ist. Die Fälle des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB betreffen in der Regel aber nicht sofort greifbare Leistungen, sondern zeichnen sich durch einen langen Bezugszeitraum aus. Durch die Streckung des Bezugszeitraums dürfte die Verlockungsgefahr aber geringer sein als in Fällen, in denen die Sachleistung sofort greifbar ist. Stellt man für die Begründung des vom Gesetzgeber in den Konstellationen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zugrunde gelegten Lösungsinteresses auf die Verlockungsgefahr ab, wäre ein entsprechendes Lösungsinteresse erst recht in solchen Fällen anzunehmen, in denen die Sachleistung sofort vollständig erlangt wird. § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB setzt jedoch explizit das Vorliegen eines Vertrags mit längerer zeitlicher Bindung voraus. Denjenigen Vertragspartner besser zu stellen, der seine Leistung nur über einen längeren Zeitpunkt gestreckt bekommt, als denjenigen, der die Leistung sofort vollständig erhält, obwohl bei letzterem die Verlockungsgefahr sogar größer ist, wäre insofern wertungswidersprüchlich. Aus diesem Grund lässt sich das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse in den Fällen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB auch nicht mit einer etwaigen Verlockungsgefahr begründen. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahingehend, dass ihre An-

1368

BGH, Urt. v. 02.02.1977 – VIII ZR 320/75, NJW 1977, 714, 716. Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 14; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 510 Rn. 20. 1370 So etwa bereits zu § 1c Nr. 2 AbzG, Löwe, NJW 1974, 2257, 2261. 1369

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wendbarkeit nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn der Sachleistungsempfänger seine Gegenleistung im Voraus vollständig erbringt, es aber ihrer Anwendbarkeit nicht im Wege steht, wenn die Gegenleistung zu einem späteren Zeitpunkt vollständig zu erbringen ist, ist demnach abzulehnen. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse lässt sich im Rahmen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB nur damit wertungswiderspruchsfrei begründen, dass einer Vertragspartei der gesamte Umfang ihrer Verpflichtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bewusst war.1371 Hierzu kommt es allerdings grundsätzlich nur dann, wenn diese Partei ihre Leistung ebenfalls in Teilen zu erbringen hat. Dementsprechend ist § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass das Widerrufsrecht nur in Konstellationen besteht, in denen auch der Empfänger der Sachleistung die von ihm geschuldete Gegenleistung in Teilen zu erbringen hat.1372 3. Der Auffangtatbestand nach § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB § 510 Abs. 1 Nr. 3 stellt einen Auffangtatbestand dar.1373 Eine Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb von Sachen im Sinne von § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 1. Fall BGB liegt vor, wenn es an der Zusammengehörigkeit, der Regelmäßigkeit oder der Gleichartigkeit im Sinne der Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB fehlt.1374 Die in § 510 Abs. 1 Nr. 3, 2. Fall BGB genannte Verpflichtung zum Bezug soll Rahmenverträge erfassen, die zum späteren Abschluss von einzelnen Kaufverträgen verpflichten.1375 Wesentliches Element für die Anwendbarkeit des § 510 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist die rechtliche Bindung, an der es etwa fehlt, wenn dem Verbraucher zwar Sachen in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen zugeschickt werden, dieser aber zur kostenlosen Rücksendung berechtigt ist oder aber er den einzelnen Vertragsschluss innerhalb des Rahmenvertrags verweigern kann.1376 Als Auffangtatbestand erfasst § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB unterschiedlichste Situationen. Die in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 1. Fall BGB genannten Konstellationen, in denen eine Verpflichtung zum widerkehrenden Erwerb von Sachen besteht, bezeichnet Teil- oder Sukzessivlieferungsverträge, bei denen es an der Zusammengehörigkeit, Regelmäßigkeit oder Gleichartigkeit der Leistung fehlt.1377 Es geht also um Fälle, in denen der Empfänger der Sachleistung rechtlich zum Abschluss 1371

Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 14; BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 11. Insofern zutreffend Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 14; MünchKommBGB/Schürnbrand, § 510 Rn. 20; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 189. 1373 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 406. 1374 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 12; zu denken ist etwa an Buchgemeinschaften, Löwe, NJW 1974, 2257, 2262. 1375 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 12. 1376 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 47. 1377 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 12. 1372

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dinglicher Verträge i. S. d. § 929 BGB in der Zukunft verpflichtet ist.1378 Mangels Zusammengehörigkeit, Regelmäßigkeit und Gleichartigkeit der Leistungen handelt es sich dabei um Konstellationen, in denen auch die Gegenleistung im Zweifel als Teilleistung zu erbringen ist. Die in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 2. Fall BGB genannte Bezugspflicht erfasst solche Fälle, in denen der Empfänger der Sachleistung rechtlich zum Abschluss schuldrechtlicher Verträge in der Zukunft verpflichtet ist.1379 Die Erbringung des Entgelts in Teilleistungen durch den Sachleistungsempfänger ist hier notwendige Folge des Abschlusses verschiedener, in Ausführung des Grundvertrages erfolgender Einzelverträge.1380 Dementsprechend zeichnen sich auch die Fälle des in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB dadurch aus, dass die Vertragsbeziehung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und der Sachleistungsempfänger die von ihm geschuldete Leistung im Rahmen dieses Zeitraums als Teilleistung zu erbringen hat. Lorenz kritisiert die Regelung, mit Hinweis darauf, dass hier wegen der vergleichsweise geringen finanziellen Belastung des Sachleistungsempfängers in den seltensten Fällen die Gefahr bestünde, dass dieser seine finanzielle Leistungsfähigkeit überschätze.1381 Zwar ist Lorenz in seiner Analyse insoweit zuzustimmen, dass hier auch die Gefahr bestehen kann, dass der Sachleistungsempfänger seine zukünftige finanzielle Leistungsfähigkeit überschätzt.1382 Wie seine Kritik indes zeigt, vermag diese Gefahr das Lösungsrecht des Verbrauchers in der Tat nicht rechtferigen. Allerdings scheint diese Gefahr auch nicht die Ursache des gesetzgeberische unterstellten Lösungsinteresses zu sein. Die Begründung des Lösungsinteresses liegt in den Konstellationen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB vielmehr darin, dass hier ebenfalls eine besondere Gefahr für den Sachleistungsempfänger besteht, sich zunächst nicht über das volle Ausmaß seiner vertraglichen Verpflichtung im Klaren zu sein. Wird sich diese Vertragspartei allerdings zu einem späteren Zeitpunkt über den Umfang ihrer Verpflichtung bewusst, ist es möglich, dass sie den Vertragsabschluss bereut und kein Interesse an dem Vertrag mehr hat. An Stelle des Bestandsinteresses tritt dementsprechend ein Lösungsinteresse. 4. Zusammenfassung Insgesamt sind Ratenlieferungsverträge also dadurch gekennzeichnet, dass der Empfänger der Sachleistung sich gegenüber seinem Lieferanten zur Abnahme von Sachen in der Zukunft und über einen längeren Zeitraum verpflichtet.1383 1378 1379 1380 1381 1382 1383

Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 48. Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 48. Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 19. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 190. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 190. Brönneke/Tonner, Verbraucherrechtsreform 2014, Rn. 406.

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Zudem sind nach zutreffender Ansicht nur solche Verträge erfasst, bei denen der Empfänger der Sachleistung das Entgelt in Teilzahlungen schuldet. Aus der langfristigen Bindung bei gleichzeitiger Teilzahlungsverpflichtung ergibt sich ein besonderes Risiko für den Sachleistungsempfänger, sich bei Vertragsschluss nicht über den Gesamtumfang seiner Verpflichtung im Klaren zu sein.1384 Das vom Gesetzgeber unterstellte Lösungsinteresse folgt bei Ratenlieferungsverträgen also aus der Tatsache, dass der Sachleistungsempfänger sich über das Ausmaß der von ihm eingegangenen Verpflichtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bewusst war und der tatsächlich abgeschlossene Vertrag sich aus seiner Sicht als von Anfang an unerwünscht erweist.1385 II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB Das Lösungsinteresse folgt in den Fällen des Ratenlieferungswiderrufsrechts aus der Unübersichtlichkeit der Verpflichtung. Jedoch gewährt der Gesetzgeber ein entsprechendes Lösungsrecht nicht in jedem Fall bei unübersichtlichen Verträgen, sondern begrenzt diese auf Konstellationen, in denen ein Verbraucher mit einem Unternehmer einen Vertrag im Sinne der § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BGB abschließt. 1. Sachlicher Anwendungsbereich Was die Teilleistungsverträge im Sinne der Nr. 1 betrifft, lässt sich die gesetzgeberische Wertung zugunsten des Lösungsinteresses des Sachleistungsempfängers damit begründen, dass es um Fälle geht, bei denen aus Sicht des Sachleistungsempfängers die Gesamtleistung im Vordergrund steht. Insofern ist die Aufspaltung auf mehrere Teilleistungen letztendlich künstlich geschaffen. Da für den Käufer die Gesamtleistung im Vordergrund steht, liegt die Vermutung nahe, dass sich der Verkäufer mit der Aufspaltung von Leistung und Gegenleistung in Teilleistungen einen Absatzvorteil verschaffen wollte. Der Verkäufer nutzt dann bewusst aus, dass der Käufer bei derartigen Angeboten einerseits die ihm versprochene Gesamtleistung im Blick hat und sich andererseits aber nicht den Gesamtumfang der von ihm eingegangenen Verpflichtung bewusst macht, sondern sich auf den Betrag der einzelnen Teilleistung konzentriert. Insoweit nimmt der Verkäufer im eigenen Interesse also in Kauf, dass sein Vertragspartner im Ergebnis einen unerwünschten Vertrag abschließt. Nutzt der Verkäufer die Vertragsge1384 LG Mannheim NJW-RR 1996, 118; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 277; BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 1; insoweit ist es zutreffend, dass es sich bei dem Ratenlieferungswiderruf Situationen handelt, die wirtschaftlich mit den Kreditverträgen vergleichbar sind, Löwe, NJW 1974, 2257, 2258. 1385 BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 199/01, NJW 2002, 3100, 3101; Bülow/ Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 1; kritisch, ob in diesen Fällen die Notwendigkeit eines Lösungsrechts besteht, Löwe, NJW 1974, 2257, 2257.

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staltung derart als Absatzstrategie, rechtfertigt dies nach der Gesetzeskonzeption eine Geringergewichtung seines Bestandsinteresses. In den Fällen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB wird eine zusammengehörende Sache hingegen nicht vorausgesetzt, sodass die Geringergewichtung des Bestandsinteresses sich regelmäßig nicht auf eine bewusste künstliche Aufspaltung der Leistung zur Absatzsteigerung stützen lässt.1386 Die von § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB erfassten Verträge der regelmäßigen Lieferung von Sachen gleicher Art sind überwiegend solche Verträge, die der Befriedigung eines regelmäßig neu entstehenden Bedürfnisses des Käufers dienen.1387 Hierbei handelt es sich häufig um Konstellationen, die sich durch eine besonders langfristige Bindung auszeichnen.1388 Bei der langfristigen Bindung des Käufers handelt es sich üblicherweise ebenfalls um eine Absatzstrategie des Verkäufers. Aus der Langfristigkeit der eigenen Verpflichtung folgt auch das Lösungsinteresse des Käufers.1389 Auch hier nimmt der Verkäufer dementsprechend wegen seines eigenen Vorteils in Kauf, dass der Käufer einen bei näherer Betrachtung ungewollten Vertrag abschließt. Aus diesem Grund lässt sich in den Fällen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB ebenfalls eine Geringergewichtung des Bestandsinteresses des Verkäufers rechtfertigen. Mit Blick auf die in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB genannten Fälle lässt sich die Geringergewichtung des Bestandsinteresses des Verkäufers ebenfalls darauf stützen, dass die Langfristigkeit in der Regel zur Absatzstrategie des Verkäufers gehört, die darin besteht den Käufer bei dessen Bedarfsdeckung an sich zu binden.1390 In den Fällen des § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB besteht darüber hinaus mitunter deshalb ein besonderes Schutzbedürfnis des Käufers, weil hier mangels Regelmäßigkeit der Lieferung der Umfang seiner Gesamtverpflichtung besonders schwer absehbar sein kann. Die gesetzgeberische Wertung, nach der das Lösungsinteresses beim Ratenlieferungswiderrufsrecht gegenüber dem Bestandsinteresse bevorzugt wird, lässt sich also wie folgt begründen: Das Bestandsinteresse des Verkäufers ist in den in § 510 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 BGB genannten Fällen regelmäßig geringer zu gewichten, weil dieser die Umstände, aus denen das Lösungsinteresse folgt, bewusst als Absatzstrategie benutzt hat. Sofern der Gesetzgeber das Widerrufsrecht 1386 Etwas anderes kann etwa bei Verträgen gelten, bei denen der Leistungsumfang gleichwohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits feststeht, wie etwa beim Aussteuervertrag (hierzu BGH, Urt. v. 02.02.1977 – VIII ZR 320/75, NJW 1977, 714), auf den die oben beschriebene Wertung durchaus übertragen werden könnte. 1387 BGH, Urt. v. 02.02.1977 – VIII ZR 320/75, NJW 1977, 714; MünchKommBGB/ Schürnbrand, § 510 Rn. 19; Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 39. 1388 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 39. 1389 s. o., Kapitel 2, § 6, D.I.2. 1390 Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 19.

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auf Konstellationen beschränkt, in denen der Verkäufer in der Rolle als Unternehmer agiert, ist dies dadurch gerechtfertigt, dass andernfalls nicht vermutet werden kann, bei der jeweiligen Vertragsgestaltung handele um eine Marketingstrategie. 2. Personeller Anwendungsbereich Auch bei der Beschränkung des Ratenlieferungswiderrufsrechts auf Fälle, in denen auf der anderen Seite des Vertrags ein Verbraucher oder Existenzgründer als Käufer steht, handelt es sich um eine gesetzgeberische Wertung. Demnach soll sich das Lösungsinteresse – das sich daraus ergibt, dass der Verkäufer die Lieferung als Absatzstrategie auf Raten aufteilt und der Käufer deshalb den Gesamtumfang seiner Verpflichtung zunächst nicht überblicken kann – nicht in jedem Fall gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen können, sondern nur sofern der Käufer Verbraucher oder eben Existenzgründer ist. Dem Lösungsinteresse von Verbraucher und Existenzgründer wird damit ein höheres Gewicht zugemessen als demjenigen sonstiger Personen in einer vergleichbaren Situation. Dieser Wertung liegt die Überlegung zugrunde, dass Verbrauchers bzw. Existenzgründers hier besonders schutzwürdig sind,1391 weil sie wegen ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit oftmals besonders gefährdet sind, den beschriebenen Marketingmethoden zu unterliegen. Soweit Meller-Hannich, die dem Kriterium der Unerfahrenheit generell kritisch gegenübersteht, zur Rechtfertigung des § 513 BGB vorbringt, die Regelung solle die Existenzgründung erleichtern,1392 verkennt sie, dass dies jedenfalls mit Blick auf Ratenlieferungsverträge nicht tragfähig ist. Denn anders als in Fällen des Existenzgründerdarlehens lässt sich bei Ratenlieferungsverträgen nicht behaupten, dass derartige Verträge für die Existenzgründung von besonderem Interesse sind. Insofern liefert die Erleichterung von Ratenlieferungsverträgen hier keine plausible Begründung für die Bevorzugung des Lösungsinteresses von Existenzgründern. Insoweit kommt hier nur die geschäftliche Unerfahrenheit als Rechtfertigung für Bevorzugung des Lösungsinteresses von sowohl Verbrauchern als auch Existenzgründern in Betracht. Bei den übrigen Personen hält das Gesetz es hingegen für zumutbar, dass sich diese mit den Konsequenzen des Vertrags auseinanderzusetzen und sie sich gegenüber entsprechenden Marketingmethoden behaupten. Die grundsätzliche gesetzgeberische Interessenbewertung im Rahmen des Ratenlieferungswiderrufsrechts lässt sich also wie folgt beschreiben: Das Lösungsinteresse derjenigen Vertragspartei, die sich wegen der Langfristigkeit der vertraglichen Bindung nicht über den Gesamtumfang ihrer in Teilzahlungen zu

1391 So auch Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, die anerkennen, dass insbesondere bei unternehmerisch tätigen Personen die Gefahr von entsprechenden „Rationalitätsfallen“ grundsätzlich geringer sei. 1392 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 130 f., 139.

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erbringenden Verpflichtung bewusst war, kann sich gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei nur durchsetzen, da das Bestandinteresse der anderen Partei geringer zu gewichten ist. Die geringere Gewichtung des Bestandsinteresses folgt daraus, dass diejenige Partei mit dem Bestandsinteresse die Umstände, aus denen sich das Lösungsinteresse ihres Vertragspartners folgt, bewusst als Marketinginstrument zum eigenen Vorteil verwendet hat und die Partei mit dem Lösungsinteresse besonders schutzwürdig erscheint, weil sie wegen ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit für diese Marketingstrategie besonders anfällig ist. Dabei werden auch hier sowohl hinsichtlich des vertragstypenbezogenen als auch des persönlichen Anwendungsbereichs typisierende Vermutungen zugrunde gelegt, die sich wiederum mit Überlegungen der Markteffizienz rechtfertigen.1393 3. Ausnahmen und Beschränkungen des Widerrufsrechts Keine Anwendung soll das Ratenlieferungswiderrufsrecht nach § 510 Abs. 2 BGB allerdings in den Fällen finden, in denen der Vertrag im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde. Auch bei Ratenlieferungsverträgen, bei denen die in Zukunft gerichtete Leistung des Verbrauchers gegen Entgelt kreditiert ist, besteht kein Ratenlieferungswiderrufsrecht, denn dieses wird durch das vorrangige Verbraucherkreditwiderrufsrecht nach §§ 495, 506 BGB verdrängt.1394 Zudem soll bei Ratenlieferungsverträgen, die zugleich Fernunterrichtsverträge sind, das FernUSG hinsichtlich der Widerrufsregelungen vorrangig sein.1395 Gem. § 510 Abs. 3 S. 1 BGB sind die in § 491 Abs. 2 und 3 BGB genannten Ausnahmen im Hinblick auf das Ratenlieferungswiderrufsrecht entsprechend anzuwenden. Hierbei tritt nach § 510 Abs. 3 S. 2 BGB die Summe der vom Verbraucher bis zum frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt zu entrichtenden Teilzahlungen an die Stelle des in § 491 Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Nettodarlehensbetrag. Die nach § 510 Abs. 3 S. 1 BGB geltenden Ausnahmen des § 491 Abs. 2 und 3 BGB beschreiben Situationen, in denen der Gesetzgeber die oben beschriebene Interessenwertung nicht für gerechtfertigt hält.1396 Zu den Gründen, warum die Bewertung der Interessen hier im Einzelnen abweicht, gilt das oben unter C.II.3. gesagte. Allerdings sind die jeweiligen Ausnahmetatbestände für die Ratenlieferungsverträge überwiegend ohne Bedeutung.1397 Was die Ausnahme vom Widerrufsrecht in § 510 Abs. 2 BGB für Fälle angeht, in denen Ratenlieferungs1393

s. o. Kapitel 2, § 6, A.II.3. LG Mannheim, Urt. v. 28.07.1995 – 1 S 112/95, NJW-RR 1996, 118; BeckOK/ Möller, § 510 BGB Rn. 2; Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 7. 1395 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 33. 1396 HK-BGB/Ebert, § 510 Rn. 4. 1397 Bülow/Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 30; zur Begründung im Einzelnen Staudinger/Kessal-Wulf, § 510 BGB Rn. 4. 1394

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verträge in Fernabsatz- oder Außergeschäftsraumsituationen geschlossen werden, liegt dem die Wertung zugrunde, dass der Verbraucher hier bereits über die Widerrufsmöglichkeit nach § 312g BGB geschützt wird, sodass es eines weiteren Schutzes durch ein Ratenlieferungswiderrufsrecht nach § 510 Abs. 2 BGB nicht bedarf. Entsprechendes gilt auch für die Fälle, in denen der Vertrag bereits die Voraussetzungen des § 506 Abs. 1 BGB erfüllt, denn hier sind die Interessen des Verbrauchers durch die umfassende Geltung des Verbraucherkreditrechts gewahrt.1398 Dies gilt ebenso für Verträge über die widerkehrende Lieferung von Lehrmaterial etc. im Rahmen eines Fernunterrichtsvertrags nach § 1 FernUSG, denn hier wird der Verbraucher ausreichend durch die Vorschriften des FernUSG geschützt.1399 Ob die Aufzählung in § 510 Abs. 1 Nr. 1–3 BGB abschließend ist, ist umstritten. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob sich das Widerrufsrecht aus § 510 Abs. 2 BGB auf Verträge über Sachen im Sinne des § 90 BGB beschränkt oder auch in Fällen zur Anwendung kommt, in denen der Vertragsgegenstand eine Dienstleistung ist. Auch eine etwaige Begrenzung des Ratenlieferungswiderrufsrechts auf Verträge über Sachen im Sinne des § 90 BGB wäre eine gesetzgeberische Wertung. Denn die Umstände, die das oben beschriebene Lösungsinteresse bei Ratenlieferungsverträgen begründen, sind nicht auf Fälle beschränkt, in denen die Lieferung von körperlichen Gegenständen Vertragsgegenstand ist.1400 Vielmehr sind auch bei langfristigen Verpflichtungen zum laufenden bzw. wiederkehrenden Bezug unkörperlicher Leistungen die Nachteile des Geschäfts für den Verbraucher oft erst nach Vertragsschluss erkennbar.1401 In diesen Fällen kann es folglich ebenfalls zu einem entsprechenden Lösungsinteresse kommen. Geht man mit der überwiegenden Ansicht davon aus, dass die Lösungsmöglichkeit gleichwohl nur in den Fällen bestehen soll, in denen der Vertragsgegenstand körperliche Leistungen betrifft, bedeutet das, dass der Gesetzgeber diese Fälle trotz gleicher Interessenlage unterschiedlich bewertet. Das diese untschiedlichen Bewertungen sich sachlich rechtfertigen lassen wird teilweise bezweifelt.1402 Zur Rechtfertigung ließe sich allerdings anführen, dass der Gesetzgeber das Lösungsrecht im Interesse des Grundsatzes pacta sunt servanda auf die wirtschaftlich bedeutsamsten Fälle beschränken wollte. Lehnt man eine entsprechende Beschränkung hingegen ab, wäre die Reichweite der Lösungsmöglichkeit weiter und der 1398

LG Mannheim, Urt. v. 28.07.1995 – 1 S 112/95, NJW-RR 1996, 118, 119. MünchKommBGB/Schürnbrand, § 510 Rn. 42. 1400 Wie Mankowski zutreffend feststellt, sind das zu regulierende Moment die Bedingungen und nicht der Bezugsgegenstand, Mankowski, K&R 2001, 365, 366. 1401 BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 6. 1402 So etwa BeckOK/Möller, § 510 BGB Rn. 6: „. . . langfristige Verpflichtungen zum laufenden bzw. wiederkehrenden Bezug von Dienst- und Werkleistungen (Mobilfunk, Internetanschluss usw.) [werden] wirtschaftlich immer bedeutsamer [. . .]. Außerdem erhält [der Verbraucher] nicht einmal einen Gegenwert in Form einer weiterverkäuflichen Sache.“ In diesem Sinne auch Mankowski, K&R 2001, 365, 366. 1399

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Anwendungsbereich des Grundsatzes pacta sunt servanda dementsprechend stärker eingeschränkt.1403 Das Widerrufsrecht ist nach § 355 Abs. 3 BGB grds. auf 14 Tage ab Vertragsschluss beschränkt. Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist ist nach § 356c Abs. 1 BGB darüber hinaus eine ordnungsgemäße Belehrung des Verbrauchers durch den Unternehmer nach Art. 246 Abs. 3 EGBGB. Nach § 356c Abs. 2 S. 2 BGB erlischt das Widerrufsrecht allerdings spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss. Auch hier dient die grundsätzliche Beschränkung des Widerrufsrechts auf die 14tägige Frist, wie auch die Vorgabe des Erlöschens des Rechts nach zwölf Monaten und 14 Tagen, dem Schutz des Unternehmerinteresses in der oben beschriebenen Weise.1404 III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Ratenlieferungsverträgen gemäß § 510 BGB Ausgangspunkt des Widerrufsrechts bei Ratenlieferungsverträgen ist die Gefahr, dass der Sachleistungsempfänger sich über das Ausmaß der von ihm eingegangenen Verpflichtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bewusst war. Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte objektivierte Lösungsinteresse folgt demnach daraus, dass der abgeschlossene Vertrag sich aus Sicht des Sachleistungsempfängers als von Anfang an unerwünscht erweist.1405 Dass der Verbraucher sich bei Ratenlieferungsverträgen mit Unternehmern oftmals über den Umfang seiner Verpflichtung nicht ausreichend im Klaren ist, ergibt sich aus der besonderen Gestaltung des abgeschlossenen Vertrags. Dabei unterstellt der Gesetzgeber, dass es sich bei der Ausgestaltung des Vertrags in der Regel um eine Absatzstrategie des Unternehmers handelt. Insofern ist dem Unternehmer die Ursache des Lösungsinteresses in den Fällen des Ratenlieferungswiderrufsrechts zurechenbar. Zwar stellt das Verhalten des Verkäufers keine Pflichtverletzung dar, eine geringere Gewichtung seines konkreten Bestandsinteresses dürfte es jedoch gleichwohl rechtfertigen. Weitere Umstände aus denen sich eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses ergibt, sind allerdings nicht erforderlich. Die Annahme, dass der Verkäufer die Ratenlieferungsvereinbarung in Fällen, in denen er als Unternehmer handelt, nutzt um zum eigenen Vorteil auf Kosten seiner Vertragspartner seine Leistung abzusetzen, stellt eine vom konkreten Einzelfall losgelöste Typisierung dar. So kann im Einzelfall die Gestaltung des Ver1403 Mankowski spricht insoweit von einem Dammbruch, der in der Summe milliardenschwere Volumina beträfe, Mankowski, K&R 2001, 365, 366. 1404 s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.6. 1405 BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 199/01, NJW 2002, 3100, 3101; Bülow/ Artz/Artz, Verbraucherkreditrecht, § 510 BGB Rn. 1.

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trags als Ratenlieferungsvertrag auch andere Ursachen haben, wie etwa ein Interesse des Käufers an der Gewährleistung von Versorgungssicherheit. In diesen Fällen wäre eine geringere Gewichtung des Bestandsinteresses des Verkäufers mit dem Hinweis auf dessen das Lösungsinteresse provozierenden Verhalten nicht gerechtfertigt. Auch indem auf die Verbraucher- bzw. Existenzgründereigenschaft des Käufers abstellt wird, um Situationen zu bestimmen, in denen das Lösungsinteresse von besonderem Gewicht ist, typisiert das Gesetz.1406 Das gilt zum einen, weil nicht zwingend ist, dass der Verbraucher im konkreten Einzelfall tatsächlich über den Umfang seiner Verpflichtung im Unklaren war. Insofern wird dem Verbraucher hier mitunter ein Lösungsrecht gewährt, obwohl das Lösungsinteresse anderen Gründen, als diejenigen, die aus Sicht des Gesetzgebers die entsprechende Interessenwertung rechtfertigen, entspringt. Zudem sind die Fälle, in den sich der Käufer wegen der Vertragsgestaltung nicht über das Ausmaß des Vertrags bewusst war, nicht nur in Konstellationen denkbar, in denen der Käufer Verbraucher ist. So können auch Käufer, die nicht aus privaten Gründen tätig sind, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wegen der besonderen Gestaltung als Ratenlieferungsvertrag sich zunächst nicht über den Gesamtumfang der eigenen Verpflichtung bewusst sein. Die in der Heranziehung der Unternehmereigenschaft des Verkäufers und der Verbrauchereigenschaft des Käufers liegende Typisierung hat zur Folge, dass durch die Regelung zum Ratenlieferungswiderrufsrecht nicht sichergestellt wird, ob die vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenabwägung im konkreten Fall einschlägig ist. Dies bedeutet, dass sich das Lösungsinteresse im Einzelfall auch dann durchsetzen kann, wenn eine Wertung zulasten des Bestandsinteresses nicht angebracht ist, was sich mit den bereits oben dargestellten gesamtwirtschaftlichen Vorteilen von Rechtssicherheit1407 begründen lässt. Daraus, dass das konkrete Bestandsinteresse des Unternehmers auch im Rahmen des Ratenlieferungswiderrufsrechts zugunsten der Wohlfahrtssteigerung zurücktreten muss, folgt auch hier eine Beeinträchtigung des generellen Gewichts des Bestandsinteresses. Zudem sind die Hürden für die Loslösung vom Vertrag hier vergleichsweise gering, sodass auch insoweit eine relativ geringe Gewichtung des allgemeinen Bestandsinteresses zum Ausdruck kommt.1408 Dies wird zusätzlich verstärkt, wenn man den Anwendungsbereich auf Verträge erweitert, deren Gegenstand nicht Sachen im Sinne des § 90 BGB sind, da die Anzahl der Fälle, in denen es zum Lösungsrecht kommt, noch erweitert wird. Auch die Einschränkung durch den Verweis auf die Ausnahmen in § 491 Abs. 2 und 3 BGB in 1406

Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 36. s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.3. 1408 Durch das Widerrufsrecht sogar „die Grenze des unter dem Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit Erträglichen überschritten“ sieht Löwe, NJW 1974, 2257, 2257. 1407

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§ 510 Abs. 4 BGB ändern an dieser Wertung nichts. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die dort beschriebenen Ausnahmefälle zum großen Teil nicht auf Ratenlieferungsverträge übertragbar sind. Ebenfalls keine andere Beurteilung folgt aus der Beschränkung des Widerrufsrechts auf grds. 14 Tage ab Vertragsschluss und dem Erlöschen spätestens ab zwölf Monaten und 14 Tagen.

E. Das Widerrufsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB Obwohl nicht durch die WIK-RiL vorgegeben, sind im Rahmen der Richtlinienumsetzung Widerrufsrechte für unentgeltliche Verbraucherdarlehensverträge und unentgeltliche Finanzierungshilfen in den §§ 514, 515 BGB eingeführt worden.1409 Gem. § 514 Abs. 2 S. 1 BGB steht einem Verbraucher bei unentgeltlichen Darlehensverträgen i. S. d. § 514 Abs. 1 BGB – also in Fällen, in dem ihm das unentgeltliche Darlehen durch einen Unternehmer gewährt wird – ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu.1410 Eine Ausnahme gilt nach § 514 Abs. 2 S. 2 BGB bei Umschuldungsdarlehen nach § 491 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sowie in Konstellationen, in denen dem Verbraucher bereits ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zusteht.1411 Zudem soll der besondere Verbraucherschutz bei „Bagatellfällen“ 1412 gem. § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB, in denen der Nettodarlehensvertrag weniger als 200 A ausmacht, nach § 514 Abs. 1 S. 2 BGB nicht greifen, sodass hier ebenfalls kein Widerrufsrecht besteht.1413 Nach § 515 BGB findet § 514 BGB entsprechende Anwendung auf unentgeltlichen Zahlungsaufschübe und sonstige unentgeltliche Finanzierungshilfen, sodass auch diese Verträge grds. vom Verbraucher widerrufen werden können.1414 I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB Will man dem objektivierten Lösungsinteresse nähertreten, das der Gesetzgeber in §§ 514, 515 BGB zugrunde gelegt hat, lassen sich im Wesentlichen die Überlegungen fruchtbar machen, die oben zum objektivierten Lösungsinteresse bei Verbraucherkreditverträgen angestellt wurden. 1409 BeckOK/Möller, § 495 BGB Rn. 2; Rosenkranz, NJW 2016, 1473, 1474; Bülow/ Artz, ZIP 2016, 1204, 1204. 1410 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1411 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1412 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1413 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 10. 1414 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1204.

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Auch der unentgeltliche Darlehensvertrag hat die Ermöglichung der Kapitalnutzung durch den Darlehensnehmer zum Gegenstand.1415 Die Unentgeltlichkeit bedeutet, dass der Darlehensnehmer keine Gegenleistung für die Kapitalnutzung erbringen muss. Es werden also weder Zinsen noch sonstige Entgelte wie Antrags- oder Bearbeitungsgebühren erhoben, sodass der effektive Jahreszins „null“ beträgt.1416 Kosten für eine etwaige Besicherung stehen der Unentgeltlichkeit allerdings nicht entgegen.1417 Der unentgeltliche Darlehensvertrag stellt dementsprechend einen unvollkommenen zweiseitigen Vertrag dar, durch den der Darlehensnehmer lediglich zur Rückzahlung der Darlehensvaluta verpflichtet wird.1418 Zwar besteht wegen der Unentgeltlichkeit des Darlehens auf Seiten des Darlehensnehmers weniger ein Interesse an einem Marktvergleich in Bezug auf die Konditionen, die gerade bei entgeltlichen Darlehensverträgen ein wesentlicher Faktor sind.1419 Allerdings unterscheidet sich das unentgeltliche Darlehen in Bezug auf die Verlockungsgefahr nicht vom entgeltlichen Darlehen.1420 Auch beim unentgeltlichen Darlehen kann die Möglichkeit zum sofort greifbaren Konsum dazu führen, dass der Darlehensnehmer „leicht seine – selbstverständlich auch bei einer unentgeltlichen Finanzierung anfallenden – künftigen Zahlungspflichten, die für sich genommen, jedenfalls aber zusammen mit seinen weiteren Verbindlichkeiten seine Leistungsfähigkeit übersteigen können“ 1421 unterschätzt.1422 Die Gefahr, dass sich der Darlehensnehmer wirtschaftlich übernimmt, hängt dementsprechend nicht allein von der Verzinslichkeit des Darlehens ab.1423 Dies gilt entsprechend auch für unentgeltliche Finanzierungshilfen. Da es sich bei Finanzierungshilfen denklogisch um Verträge handelt, in denen der Kreditnehmer dem Kreditgeber eine Gegenleistung für die Hauptleistung schuldet, erstere lediglich gestundet ist, kann sich die in § 515 BGB vorausgesetzte Unentgeltlichkeit nicht auf den gesamten Vertrag beziehen, sondern nur auf die Stundung.1424 Beispielhaft lassen sich hier die „Null-Prozent-Finanzierung“ und das „Null-Leasing“ anführen, bei denen der Gesamtbetrag der Raten dem Bar1415

Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 8. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 8. 1417 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1418 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 9; Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1419 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 1; Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1105. 1420 Diese mögen sogar, wie Schürnbrand feststellt, verstärkt sein, sofern die Kreditaufnahme „umsonst“ ist, Schürnbrand, WM 2016, 1105, 1105. 1421 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 1. 1422 BT-Drucks. 18/7584, 140. 1423 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 3; MünchKommBGB/ Schürnbrand, § 514 Rn. 1; Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206; allerdings dürfte die Gefahr bei entgeltlichen Darlehensverträgen oftmals größer sein, s. o. C.I.1. 1424 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1416

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zahlungspreis der Leistung entspricht.1425 Wie oben bereits dargelegt, haben auch Finanzierungshilfen wirtschaftlich gesehen die Überlassung von Finanzkraft zum Gegenstand.1426 Der Verbraucher ist mit Blick auf die sofort greifbare Leistung ebenfalls verlockt, sodass auch hier die Gefahr eines übereilten Vertragsschlusses und der Überschuldung besteht.1427 Hat sich ein Kreditnehmer von der sofort greifbaren Konsummöglichkeit verlocken lassen und stellt er nachträglich fest, dass dies seine wirtschaftliche Freiheit in einem für ihn nicht akzeptablen Maße beschränkt oder gar seine Leistungsfähigkeit übersteigt, kann dies zu einem Lösungsinteresse führen. Im Ergebnis folgt das objektivierte Lösungsinteresse bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen also daraus, dass der Vertrag aus Sicht des Verbrauchers aus rückblickender Betrachtung von Anfang an nicht seinem Interesse entsprach. Auch hier erweist sich der Vertrag wegen bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegender Umstände als unerwünscht. II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB Das Lösungsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen ist in den in § 514 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 BGB genannten Konstellationen ausgeschlossen. Hinsichtlich der gesetzgeberischen Interessenabwägung lässt sich für die Ausnahme bei Bagatellkrediten im Sinne des § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB und bei Umschuldungsfällen nach § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf die bereits im Rahmen der Verbraucherkreditverträge erfolgten Ausführungen zurückgreifen. Soweit man mit der teilweise vertretenen Auffassung eine analoge Anwendung des Ausnahmetatbestands in § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BGB bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen befürwortet,1428 gelten insofern die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen der Verbraucherkreditverträge ebenfalls entsprechend. Was die Ausnahme für Fälle betrifft, in denen dem Verbraucher bereits ein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zusteht, liegt dem – soweit die Ausnahme überhaupt eingreift – die Überlegung zugrunde, dass der Verbraucher wegen des Bestehens eines Widerrufsrechts keines weiteren Schutzes bedarf.1429 Wie Bülow allerdings zutreffend feststellt, läuft die Regelung nach derzeitigem Rechtsstand bei unentgelt1425 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 515 BGB Rn. 1; BeckOK/Möller, § 515 BGB Rn. 2; Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205. 1426 Oben, C.I.2. 1427 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 515 Rn. 1. 1428 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 9. 1429 BT-Drucks. 18/7584 S. 144.

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lichen Darlehen leer, da das Widerrufsrecht nach § 312g BGB eine entgeltliche Leistung des Unternehmers erfordert, die bei unentgeltlichen Darlehen gerade fehlt.1430 In Hinblick auf die gesetzgeberische Interessenbewertung bei der Beschränkung des Widerrufsrechts nach § 355 BGB auf grundsätzlich 14 Tage, ab dem Zeitpunkt, in dem der Vertrag wirksam zustande gekommen ist, gelten die diesbezüglich bereits erfolgen Ausführungen hier gleichfalls.1431 Ferner besteht das Widerrufsrecht nur in Konstellationen, in denen als Kreditnehmer ein Verbraucher i. S. d. § 13 BGB und als Kreditgeber ein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB handelt. Handelt auf Seiten des Kreditnehmers kein Verbraucher oder auf Seiten des Kreditgebers kein Unternehmer, dann besteht kein Widerrufsrecht des Kreditnehmers, selbst wenn sich eine Verlockungsgefahr tatsächlich realisiert hat. Dem liegt zunächst die bereits zuvor beschriebene Wertung zugrunde, dass Verbraucher nach Ansicht des Gesetzgebers schutzwürdiger sind als sonstige Personen, da Verbraucher für entsprechende Verlockungsgefahren besonders anfällig sind. Von sonstige Personen erwartet der Gesetzgeber in stärkerem Maße an objektiven Kriterien orientierte Entscheidungen bei der Kreditaufnahme. Anders als bei Verbraucherkreditverträgen ist § 513 BGB bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen allerdings nicht anwendbar, sodass Existenzgründer sich hier nicht auf ein Widerrufsrecht berufen können.1432 Zwar mag man die Regelung deshalb mit Schürnbrand für rechtspolitisch nicht überzeugend halten,1433 allerdings kommt hier – wie Bülow/Artz zutreffend feststellen – mangels planwidriger Regelungslücke auch eine analoge Anwendung des § 513 BGB nicht in Betracht.1434 Auf der anderen Seite sind Unternehmer nach Auffassung des Gesetzgebers in Bezug auf ihr Bestandsinteresse weniger schutzwürdig als andere Personen. Dies mag man zunächst damit begründen, dass Anbieter von Waren oder Dienstleistungen auf unentgeltliche Darlehen bzw. unentgeltliche Finanzierungshilfen zur Förderung des Absatzes ihrer Produkte zurückgreifen.1435 Sofern der Warenbzw. Dienstleistungserbringer nicht selbst Kreditgeber ist (er etwa eine Bank zur Finanzierung heranzieht), ist der Kreditgeber oftmals jedenfalls dem Lager des Waren- bzw. Dienstleistungserbringers zuzurechnen. Dies gilt insbesondere wenn der Waren- bzw. Dienstleistungserbringer den Kreditgeber, wie oftmals üblich, mittels einer Art „Zinszuschuss“ für die Kreditgewährung belohnt, indem der 1430 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 10; Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1205; zust. BeckOK/Möller, § 514 BGB Rn. 3. 1431 s. o., A.II.6. 1432 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 25. 1433 MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 8. 1434 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1208. 1435 Riehm, NJW 2014, 3692, 3692.

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Kreditgeber im Innenverhältnis zum Waren- bzw. Dienstleistungserbringer zur Einbehaltung eines gewissen Teils des Gesamtbetrags berechtigt ist.1436 Insofern könnte man die Geringergewichtung des Bestandsinteresses des unternehmerischen Kreditgebers damit begründen, dass die unentgeltliche Kreditvergabe regelmäßig Teil einer Absatzstrategie im Interesse des Unternehmers ist. Der Unternehmer nimmt insofern also in der Regel zum eigenen Vorteil die Gefahr der Verlockung des Verbrauchers in Kauf. Hierbei handelt es sich allerdings sowohl mit Blick auf die besondere Schutzwürdigkeit von Verbrauchern als auch mit Blick auf Gründe für die Geringergewichtung des Bestandsinteresses von Unternehmern um ausgesprochene Typisierungen. Weder muss der Verbraucher im konkreten Einzelfall schutzwürdig sein, noch muss der Unternehmer tatsächlich nur im eigenen Interesse gehandelt haben. Auch insoweit liegen der Typisierung die zuvor bereits erläuterten gesamtwirtschaftlichen Vorteile zugrunde.1437 Dies betrifft aber auch die konkrete Interessenabwägung. Denn auch in Bezug auf unentgeltliche Kredite gilt, dass die Verlockungsgefahr dem Kreditvertrag immanent ist und dem Unternehmer nicht zugerechnet werden kann, sodass sich letztlich bei der gesetzgeberischen Interessenbewertung ebenfalls gesamtwirtschaftliche Überlegungen identifizieren lassen, die zum Überwiegen des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse führen. Wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, zielt auch die Regelung der §§ 514, 515 BGB auf den Schutz von Privatpersonen vor Überschuldung ab.1438 Bei der gesetzgeberischen Interessenbewertung haben die zuvor erwähnten gesamtwirtschaftlichen Nachteile einer weit verbreiteten Überschuldung von Privathaushalten dementsprechend auch an dieser Stelle eine Rolle gespielt.1439 Somit trifft hier ebenfalls zu, dass die grundsätzliche Bevorzugung des Lösungsinteresses von Verbrauchern gegenüber dem Bestandsinteresse von Unternehmern nicht ausschließlich aus den Parteiinteressen folgt, sondern sich auch aus übergeordneten Gemeinwohlüberlegungen ergibt. III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen gem. §§ 514, 515 BGB Der Gesetzgeber geht bei der Begründung des objektivierten Lösungsinteresses – ähnlich wie bei Verbraucherkreditverträgen – auch bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen von einer Gefahr für Verbraucher aus, sich zu unüberlegten Vertragsschluss verlocken zu lassen, ob1436 1437 1438 1439

Riehm, NJW 2014, 3692, 3692. s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.3. BT-Drucks. 18/7584 S. 140. s. o. C.II.2.

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wohl die Verträge von Anfang an nicht ihren wirtschaftlichen Interessen entsprachen. Das objektivierte Lösungsinteresse folgt hier daraus, dass Kreditverträgen eine zum unüberlegten Vertragsschluss verleitende Verlockungsgefahr immanent ist. Die den Kreditverträgen immanente Verlockungsgefahr ist dem Unternehmer allerdings nicht zurechenbar. Insoweit liegt die Ursache des Lösungsinteresses also allein in der Sphäre des Verbrauchers. Eine Geringergewichtung des konkreten Bestandsinteresses des Unternehmers ist damit nicht gerechtfertigt. Erst recht liegt dem Lösungsinteresse keine Pflichtverletzung des Unternehmers zugrunde. Die Heranziehung der Unternehmereigenschaft des Kreditgebers und der Verbrauchereigenschaft zur Bestimmung der Fälle, in denen eine besondere Verlockungsgefahr für den Kreditnehmer aus Eigeninteresse des Kreditgebers besteht, stellt eine starke Typisierung dar. Hierbei nimmt der Gesetzgeber bewusst in Kauf, dass sich das Lösungsinteresse einer Partei auch in Fällen durchsetzen kann, in denen die von ihm angenommenen Gründe für die entsprechende Interessenbewertung tatsächlich nicht vorliegen. Dies dient gesamtwirtschaftlichen Gemeinwohlinteressen. Im Rahmen des Widerrufsrechts nach §§ 514, 515 BGB kommt also, indem das konkrete Bestandsinteresse des Unternehmers zugunsten von marktwirtschaftlichen Wohlfahrtsüberlegungen zurücktreten muss, eine geringere Gewichtung des generellen Bestandsinteresses zum Ausdruck. Dem stehen auch die Ausnahmen vom Widerrufsrecht und seine grundsätzliche Beschränkung auf 14 Tage ab Vertragsschluss nicht entgegen. Insgesamt kommt in der Lösungsmöglichkeit des Kreditnehmers bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen also eine geringe Gewichtung des generellen Bestandsinteresses zum Ausdruck.

F. Das Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen nach § 485 BGB Nach §§ 485, 355 BGB steht einem Verbraucher bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen1440, Verträgen über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen grds. ein 14tägiges Widerrufsrecht zu. Die Widerruflichkeit von derartigen Verträgen ist europarechtlich vorgegeben, denn Art. 6 Abs. 1 TzWR-RiL bestimmt, dass der Verbraucher einen Teilzeitnutzungsvertrag, einen Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt, einen Wiederverkaufs- oder einen Tauschvertrag innerhalb von 14 Kalendertagen ohne Angabe von Gründen widerrufen können muss. Als Teilzeitnutzungsvertrag gelten nach 1440 Kritisch zum Begriff, der wegen des Umfangs der erfassten Konstellationen eigentlich Teilzeitnutzungsrechte-Vertrag heißen müsse, Martinek, GS für Wolf, S. 91, 97.

312 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Art. 2 Abs. 1 lit. a) TzWR-RiL Verträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, mit denen ein Verbraucher gegen Entgelt das Recht erwirbt eine oder mehrere Übernachtungsunterkünfte für mehr als einen Nutzungszeitraum zu nutzen, was der Definition des Teilzeit-Wohnrechtevertrags in § 481 Abs.1, 3 BGB entspricht. Bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte handelt es sich nach Art. 2 Abs. 1 lit. b) TzWR-RiL um Verträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, durch die ein Verbraucher gegen Entgelt in erster Linie das Recht auf Preisnachlässe oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf eine Unterkunft erwirbt, und zwar unabhängig davon, ob damit Reise- oder sonstige Leistungen verbunden sind. Eine entsprechende Definition findet sich in § 481a BGB. Als Wiederverkaufsvertrag, der dem Vermittlungsvertag i. S. d. § 481b BGB entspricht, gelten nach Art. 2 Abs. 1 lit. c) TzWR-RiL Verträge, mit denen ein Gewerbetreibender einen Verbraucher gegen Entgelt dabei unterstützt, ein Teilzeitnutzungsrecht oder ein langfristiges Urlaubsprodukt zu veräußern oder zu erwerben. Bei Tauschverträgen, die im BGB nach § 481b Abs. 2 als Tauschsystemverträge bezeichnet werden, handelt es sich gem. Art. 2 Abs. 1 lit. d) TzWR-RiL um Verträge, bei denen Verbraucher gegen Entgelt einem Tauschsystem beitreten, das ihnen Zugang zu einer Übernachtungsunterkunft oder anderen Leistungen im Tausch gegen die Gewährung vorübergehenden Zugangs für andere Personen zu den Vergünstigungen aus den Rechten ermöglicht, die sich aus ihren Teilzeitnutzungsvertrag ergeben. I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen 1. Teilzeit-Wohnrechteverträge Teilzeit-Wohnrechteverträge (auch Timesharingverträge1441) sind in § 481 Abs. 1 BGB definiert als Verträge, durch die ein Unternehmer einem Verbraucher gegen Zahlung eines Gesamtpreises das Recht verschafft oder zu verschaffen verspricht, für die Dauer von mehr als einem Jahr ein Wohngebäude mehrfach für einen bestimmten oder zu bestimmenden Zeitraum zu Übernachtungszwecken zu nutzen.1442 Einem Wohngebäude gleichgestellt sind nach § 481 Abs. 3 BGB Teile von Wohngebäuden sowie bewegliche, als Übernachtungsmöglichkeit gedachte Sachen und Teile solcher Sachen. Die in § 481 Abs. 1 BGB genannte Verpflichtung des Verbrauchers zur Zahlung eines Gesamtpreises ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass jede Zahlung eines Entgelts ausreicht und dementsprechend auch sukzessive Zahlungsverpflichtungen dieses Merkmal erfüllen.1443 1441 Zum Begriff Timesharing und der korrekten Schreibweise, Staudinger/Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 2. 1442 Meier, ZfIR 2014, 799, 801. 1443 Franzen, NZM 2011, 217, 219; Meier, ZfIR 2014, 799, 801.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Von der erforderlichen mehrfachen Nutzung ist bereits dann auszugehen, wenn das Teilzeit-Wohnrechteobjekt innerhalb des Gesamtnutzungszeitraums zweimal genutzt werden kann. Mangels Mindestaufenthaltsdauer reichen hierfür schon kurze, sogar tageweise Aufenthalte.1444 Der Vertragszeitraum muss mindestens ein Jahr betragen, wobei nach § 481 Abs. 1 S. 2 BGB für die Berechnung sämtliche im Vertrag vorgesehenen Verlängerungsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind. Aus der Definition des Teilzeit-Wohnrechtevertrags lässt sich die Begründung des objektivierten Lösungsinteresses nur noch schwerlich entnehmen.1445 Der Zweck solcher Timesharingverträge ist die Nutzung eines Wohngebäudes oder einer beweglichen Übernachtungsmöglichkeit bzw. eines entsprechenden Teils zur Übernachtung. Es handelt sich also um Verträge, bei der eine Partei der anderen Partei gegen Entgelt ein solches Nutzungsrecht verschafft bzw. zu verschaffen verspricht. Zur Qualifikation eines derartigen Vertrags als TeilzeitWohnrechtevertrag ist zudem erforderlich, dass das Nutzungsrecht periodisch wiederkehrt.1446 Darüber hinaus ist eine Mindestvertragsdauer von einem Jahr notwendig. Deutlicher als nach der aktuellen Definition des Teilzeit-Wohnrechtevertrags tritt das nach der Gesetzeskonzeption in diesen Fällen zugrunde gelegte Lösungsinteresse in § 481 BGB a. F. zu Tage, bei dem hinsichtlich des Vertragszwecks nicht auf die bloße Übernachtung abgestellt wurde, sondern auf die Nutzung zu Erholungs- oder Wohnzwecken. Der Gesetzeshistorie lässt sich also entnehmen, dass im Vordergrund der Teilzeit-Wohnrechte-Regelung Verträge über das Timesharing von Ferienimmobilen stehen.1447 Ausgangspunkt beim Timesharing von Ferienimmobilien ist die Überlegung, dass Erwerber von Ferienimmobilien in der Regel nur an einer kurzzeitigen jährlichen Nutzung der Immobilien interessiert sind.1448 Um die Kosten der Anschaffung und Unterhaltung für den Einzelnen zu reduzieren, schließen sich dementsprechend mehrere Personen zusammen und teilen die Nutzungsmöglichkeit unter einander auf.1449 Zur Kostenreduzierung ist eine Nutzungsoptimierung erforderlich, durch die Leerzeiten möglichst vermieden werden.1450 Daraus folgt, dass Timesharing idealerweise eine große Anzahl 1444

Franzen, NZM 2011, 217, 219. Zur Geschichte des Timesharing im Einzelnen: Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 24 ff.; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 29 ff.; Pfeiffer/Hess, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 1, S. 7 ff. 1446 NK-BGB/Niehuus, § 481 Rn. 14. 1447 BeckOK/Eckert, § 481 BGB Rn. 1. 1448 Ausführlich zum wirtschaftlichen Grundkonzept des Timesharing: Staudinger/ Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 4 f.; Mäsch, EuZW 1995, 8, 9; Fischer, Widerrufsrecht, S. 51. 1449 Martinek, GS für Wolf, S. 91, 93 f. 1450 Staudinger/Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 4. 1445

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von Nutzungsberechtigten voraussetzt,1451 was wiederum eine professionelle Organisation erfordert.1452 Bei professionell organisierten Timesharing-Angeboten ist es zwar möglich, dass dem Erwerber ein dingliches Recht an der Immobilie übertragen wird (eigentumsrechtliche Ausgestaltung), aber zur Erreichung des Vertragszwecks sind auch andere Modelle denkbar, wie etwa die bloße Gewährung eines miet- oder pachtähnlichen Anspruchs auf die periodisch wiederkehrende Nutzungsmöglichkeit (schuldrechtliche Ausgestaltung) oder eine mitgliedschaftsrechtliche Ausgestaltung, bei der die schuldrechtliche Nutzungsbefugnis unmittelbar aus einer Mitgliedschaft folgt.1453 Unabhängig von der genauen Ausgestaltung werden die Nutzung der Wohneinheit bei professioneller Organisation in den meisten Fällen hinsichtlich Ort, Zeitpunkt und Zeitraum genau bestimmt.1454 Zudem sind die Vertragslaufzeiten bei Timesharingverträgen häufig sehr lang; 50 Jahre sind nicht unüblich.1455 Auf die Erfassung derartiger „touristischer Spezialprodukte“ 1456 zielt letztlich auch die aktuelle Definition des Teilzeit-Wohnrechtevertrags in § 481 Abs. 1 BGB ab. Dabei muss sich das Nutzungsrecht, wie § 481 Abs. 3 1. Hs. BGB klarstellt, nicht auf ein ganzes Gebäude beziehen, sondern es reicht, wenn – was schon aus wirtschaftlichen Gründen der Regelfall sein dürfte1457 – das Nutzungsrecht lediglich einen Teil eines Gebäudes betrifft.1458 Die weite Formulierung des TeilzeitWohnrechtevertrags soll einerseits der Vielfalt an möglichen rechtlichen Konstruktion Rechnung tragen und andererseits Umgehungsmöglichkeiten vermeiden.1459 Ausgangspunkt der gesetzlichen Regulierung waren in den 1970er und 1980er Jahren vermehrt aufgetretene Fälle, in denen die Anbieter den Abschluss entsprechender Verträge mittels aggressiver Verkaufsmethoden1460 herbeiführten, indem sie etwa „Drücker“ einsetzten, um Touristen auf offener Straße anzusprechen und in ungezwungener Atmosphäre zum Vertragsschluss überredeten.1461 Eine wei1451 1452

Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 31. So stellt Tonner etwa fest: „Time-sharing ist ein komplexes Marketing-Produkt

[. . .]“. 1453 Zu den drei Grundmodellen der Ausgestaltung im Detail: Staudinger/Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 9; Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 51 ff.; Hildenbrand, NJW 1994, 1992, 1992 f. 1454 Bütter, VuR 1997, 411, 411. 1455 Jedenfalls im Jahre 1994 betrugen die Vertragslaufzeiten in der Regel mindestens 50 Jahre, Hildenbrand, NJW 1994, 1992, 1992. 1456 Bütter, VuR 1997, 411, 411. 1457 Im Durchschnitt verfügten die Timesharing-Anlagen im Jahre 2000 über 57 Wohneinheiten, MünchKommBGB/Franzen, Vor § 481 Rn. 11. 1458 RegE BT-Drucks. 17/2764 S. 16. 1459 RegE BT-Drucks. 17/2764 S. 15 f. 1460 Mäsch, EuZW 1995, 8, 9 f. 1461 Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 10 f.; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 40 f.; Staudinger/Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 35.

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tere gängige Variante zur Kundenwerbung war es, dem Kunden den Gewinn einer Urlaubsreise bzw. eine entsprechende Verlosung anzukündigen, um diese dazu zu bringen sich in die Geschäftsräume der Timesharing-Anbieter zu bewegen und dort in „lockerer Atmosphäre“ zum Vertragsschluss zu bringen.1462 In derartigen Fällen lässt sich ein Lösungsinteresse – wie bei Außergeschäftsraumverträgen im Sinne des § 312b BGB – aus der Überrumpelung der entsprechenden Vertragspartei begründen.1463 Die Voraussetzungen des Widerrufsrechts in Fällen von Teilzeit-Wohnrechteverträgen im Sinne der §§ 485, 481 BGB enthalten allerdings keine Einschränkung durch die das Lösungsrecht auf Konstellationen beschränkt wird, in denen in situativer Hinsicht eine Überrumpelung besteht.1464 Im Gegenteil, knüpft das Teilzeitwohnrechtewiderrufsrecht anstelle von situativen Umständen an den Vertragsinhalt an.1465 Zudem gilt, dass wenn das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse bei Timesharingverträgen allein durch die oben dargestellte, den Abschluss derartiger Verträge häufig kennzeichnende Überrumpelung begründet wäre, eine Berücksichtigung dieses Interesses im Rahmen der Regelungen zum Außergeschäftsraumvertrag ausgereicht hätte.1466 Insofern mag es sein, dass die Tatsache, dass Timesharingverträge – jedenfalls in der Vergangenheit – häufig in Situationen geschlossen wurden, in denen der Anbieter seinen Vertragspartner überrumpelt hat, ein Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, der Erwerber von Teilzeit-Wohnrechten habe ein Interesse daran, die vertragliche Bindung wieder aufzulösen.1467 Wie aber bereits Martinek feststellte, könne man aus gelegentlichen Missbräuchen in der Praxis nicht gleich auf die fehlende Seriosität der Timesharingkonzeption schließen,1468 sodass die Ursache des gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresses in anderen Umständen liegen dürfte. Betrachtet man Voraussetzungen des TeilzeitWohnrechtewiderrufs wird, dass das Gesetz auch nicht nur die Vertragsschlusssituation bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen im Blick hat, sondern es hier insbesondere um den Vertragstypen selbst geht.1469 Eine Besonderheit von Timesharingverträgen liegt darin, dass dem Erwerber häufig1470 suggeriert wird Eigentum zu erlangen, er faktisch allerdings – selbst 1462 Hildenbrand, NJW 1994, 1992, 1993; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 40 f.; Kappus, EWS 1996, 273, 273; so etwa im Fall des OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.1993 – 2 U 156/92, NJW-RR 1993, 1533. 1463 Staudinger/Martinek, Vor § 481 BGB Rn. 35. 1464 Mäsch, EuZW 1995, 8, 12; MünchKommBGB/Franzen, § 485 Rn. 3. 1465 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 298. 1466 In diesem Sinne auch Hildenbrand, NJW 1994, 1992, 1995. 1467 BeckOK/Eckert, § 481 BGB Rn. 3; Kappus, EWS 1996, 273, 273. 1468 Martinek, ZEuP 1994, 470, 477. 1469 In diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 242 und Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 298. 1470 Seriöse Anbieter verzichten in der Werbung in der Regel darauf, mit dem Eigentumsaspekt zu werben, Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 22.

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bei eigentumsrechtlichen Ausgestaltungen – keine dem Eigentum entsprechende Position eingeräumt bekommt.1471 Vielmehr degradieren ihn zahlreiche vertragliche Beschränkungen (etwa bzgl. Nutzungsort, -zeit und -dauer) sowie umfangreiche finanzielle Verpflichtungen1472 (neben dem eigentlichen Erwerbspreis auch Ver- und Gebrauchslasten, das Investitions-, Amortisations- und oft auch das Insolvenzrisiko des Anlagenbetreibers)1473 den Erwerber von Teilzeit-Wohnrechten mitunter zum „Mieter zweiter Klasse“.1474 Im Vergleich dazu ist der Erwerbspreis häufig unverhältnismäßig hoch,1475 denn da für jede Timesharing-Einheit bis zu 50 Abnehmer gefunden werden müssen, entfällt ein nicht unerheblicher Teil des Preises auf Werbungs- und Vertriebskosten.1476 Vielfach handelt es sich bei den betreffenden Verträgen zudem um juristisch Komplexe1477 und deshalb schwer verständliche Vertragskonstruktionen,1478 was zur Folge hat, dass der Erwerber sich in vielen Fällen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses weder über den Umfang seiner Verpflichtungen noch über den seiner Berechtigung im Klaren ist.1479 Verstärkt wird dieses Problem durch die verbreitete Methode Nutzungsrechte in Schüben zu verkaufen und dem Interessenten hierdurch ein begrenztes Angebot zu suggerieren, um dann die Dringlichkeit des Erwerbs als Verkaufsargument zu nutzen.1480 Ein Lösungsinteresse tritt in derartigen Situationen an die Stelle des Bestandsinteresses, sofern der Erwerber realisiert, dass die erheblichen finanziellen Be-

1471 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 35; Mäsch, EuZW 1995, 8, 10; Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 12; LG Hanau, Urt. v. 01.10.1999 –7 O1407/98, NJW-RR 2001, S. 1500, 1501; Zur Motivationsbeeinflussung durch emotionale Werbung auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1157. 1472 Zur Zusammensetzung des Gesamtverkaufspreises einer Anlage ausführlich Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 30 f. 1473 Hierzu im Einzelnen Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 34 ff.; die Belastung durch Nebenkosten steigt häufig sogar im Laufe der Vertragslaufzeit, JäckelHutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 11 f. 1474 Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 12. 1475 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 299; in diesem Sinne auch Mäsch, EuZW 1995, 8, 9, der als Ursache die hohen Vertriebskosten der „Ferienidee“ nennt. 1476 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 35 f. 1477 Pfeiffer/Boos, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 17. 1478 Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 11; Mankowski, in: Schulze/SchulteNölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 367. 1479 RegE, BT-Drucks. 13/4185, S. 12; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 39; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 241 f.; Fischer, Widerrufsrecht, S. 54; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 30 f. 1480 Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 30; Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 10; generell zur Erzwingung überstürzter Entscheidungen als die materielle Entscheidungsfreiheit beeinträchtigender Faktor auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1160.

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lastungen1481 im Vergleich zu der durch weitgehende Reglementierung eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit in keinem angemessenen Verhältnis stehen.1482 Das gilt insbesondere, weil der Erwerber an die Wahl der Ferienunterkunft in der Regel langzeitig (mitunter für fünfzig oder mehr Jahre1483) gebunden ist,1484 was eine erhebliche Beeinträchtigung seines Mobilitätsinteresses darstellt, die sich häufig ebenfalls nicht adäquat im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung wiederspiegelt.1485 Mit der langen Vertragsdauer geht auch eine insgesamt hohe finanzielle Belastung einher, sodass Teilzeit-Wohnrechteverträge aus der Perspektive des Erwerbers regelmäßig von einer wesentlichen wirtschaftlichen Tragweite sind.1486 Die Voraussetzung, dass die Vertragsdauer mindestens ein Jahr betragen muss, ist insofern ein tragendes Typusmerkmal des Time-Sharing-Vertrages,1487 wobei die im Vergleich zur Regellaufzeit relativ kurze „Mindestvertragslaufzeit“ in § 481 Abs. 1 BGB eine Reaktion auf die vielfache Umgehung des Anwendungsbereichs der Vorschriften über Teilzeit-Wohnrechte darstellt.1488 Das dem Gesetz in den Fällen des Teilzeit-Wohnrechtewiderrufs zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt also aus der Tatsache, dass der Erwerber sich bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen häufig nicht vollständig über den Vertragsinhalt im Klaren ist.1489 Die Vorstellung von „Eigentum“ an einer Ferienunterkunft zu erlangen, verlockt ihn zum unüberlegten und damit übereilten Vertragsschluss.1490 Erst nach dem Vertragsschluss und frei von zeitlichem sowie psychologischem Druck ist es dem Erwerber möglich das Ausmaß seiner Verpflichtungen in finanzieller und zeitlicher Hinsicht, samt der umfangreichen Beschränkungen seiner Nutzungsmöglichkeiten, zu erkennen. So führt Tonner etwa aus: „Time-sharing kann für den Verbraucher zum Alptraum werden, wenn er an einen unseriösen Anbieter gerät. Seine Rechtsposition im Time-sharing entbindet ihn weitgehend von den Rechten, die er beispielsweise bei Mängeln an einer Pauschalreise nach 1481

Pfeiffer/Boos, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 17. Insofern zutreffend Tonner, der feststellt, dass der „Time-sharing-Interessent [. . .] allerdings sorgfältig zu erwägen [hat], ob er für die Vorteile [nämlich die die Sicherheit jedes Jahr am gleichen Ort zur gleichen Zeit Urlaub machen zu können] die zum Teil erheblichen Preisunterschiede zur Pauschalreise in Kauf nehmen möchte“, Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 1. 1483 Nach § 481 BGB wird eine derart lange Vertragsdauer allerdings nicht vorausgesetzt, sondern es genügt bereits eine Laufzeit von mindestens einem Jahr. 1484 Pfeiffer/Boos, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 17. 1485 Bütter, VuR 1997, 411, 411. 1486 Eidenmüller, AcP 2010, 67, 91; Fischer, Widerrufsrecht, S. 54. 1487 BeckOK/Eckert, § 481 BGB Rn. 7. 1488 Martinek, GS für Wolf, S. 91, 95, 98. 1489 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 299. 1490 Ausführlich zur besonderen Gefahr eines übereilten Vertragsschlusses Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 40. 1482

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§§ 651a ff. BGB geltend machen könnte, und bürdet ihm einen Teil des unternehmerischen Risikos an dem Projekt auf.“ 1491 Der Verbraucher verspricht sich von dem Timesharing-Vertrag regelmäßig bestimmte Vorteile – oftmals die Kosten für zukünftige Reisen gering zu halten,1492 teilweise wurde ihm das Time-sharing aber sogar als Form der Investition in Immobilieneigentum verkauft.1493 Wirtschaftliche Vorteile gegenüber Pauschalreisen bringen Teilzeitwohnrechte jedoch häufig nicht.1494 Und auch als Investition in Immobilieneigentum ist das Time-sharing mangels funktionierendem Zweitmarkt völlig ungeeignet.1495 Realisiert der Verbraucher, dass der Vertrag nicht die erhofften Vorteile bringt, möchte er sich deshalb unter Umständen wieder von ihm lösen.1496 Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Vertrag in der Regel wegen der langen Vertragslaufzeit von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite ist. Diese Gefahren sind jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers nicht auf TeilzeitNutzungsrechte von Immobilen beschränkt, sondern bestehen im gleichen Maße bei beweglichen Sachen (bzw. Teilen davon), die als Übernachtungsunterkunft gedacht sind, wozu etwa Kabinen auf Kreuzfahrtschiffen, Segelyachten oder Wohnmobile gehören,1497 weshalb diese nach § 481 Abs. 3 BGB den Wohngebäuden gleichgestellt sind.1498 2. Langfristige Urlaubsprodukte Ein Widerrufsrecht nach § 485 besteht zudem bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte im Sinne des § 481a BGB. Langfristige Urlaubsprodukte sind nach § 481a S. 1 BGB Verträge, durch die sich ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher gegen Zahlung eines Gesamtpreises für die Dauer von mehr als einem Jahr das Recht verschafft oder zu verschaffen verspricht, Preisnachlässe

1491 Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 49: „Time-sharing kann für den Verbraucher zum Alptraum werden, wenn er an einen unseriösen Anbieter gerät. Seine Rechtsposition im Time-sharing entbindet ihn weitgehend von den Rechten, die er beispielsweise bei Mängeln an einer Pauschalreise nach §§ 651a ff. BGB geltend machen könnte, und bürdet ihm einen Teil des unternehmerischen Risikos an dem Projekt auf.“ 1492 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 36. 1493 LG Hanau, Urt. v. 01.10.1999 – 7 O1407/98, NJW-RR 2001, S. 1500, 1501. 1494 Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 16 mit Rechenbeispiel; Tonner, Timesharing an Ferienimmobilien, Rn. 42 ff.; in diesem Sinne auch Mäsch, EuZW 1995, 8, 9. 1495 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 36; Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 12; Martinek, ZEuP 1994, 470, 476. 1496 Martinek, NJW 1997, 1393, 1393. 1497 HK-BGB/Staudinger, § 481 Rn. 5; Meier, ZfIR 2014, 799, 801. 1498 Schubert, NZM 2007, 665, 666; Tacou, NJOZ 2011, 793, 794; kritisch, ob eine Einbeziehung derartiger Verträge notwendig ist, Martinek, NJW 1997, 1393, 1394.

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oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf eine Unterkunft zu erwerben.1499 „Gesamtpreis“ ist hier ebenfalls richtlinienkonform als Entgelt zu verstehen.1500 Auch wenn dies nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen ist, sollen jedoch nur Verträge erfasst werden, bei denen der Preisnachlass bzw. die sonstige Vergünstigung den Hauptzweck des Vertrags darstellt.1501 Dies sei etwa bei herkömmlichen Rabattsystemen und Treueprogrammen, nicht der Fall, da hier die Kundenbindung im Vordergrund stehe.1502 Gegenstand der Vergünstigung muss eine Unterkunft sein, wobei Unterkunft entsprechend § 481 BGB als jede bewegliche und unbewegliche Sache zu verstehen ist, die zu Übernachtungszwecken genutzt werden kann.1503 Damit sind Verträge über Vergünstigungen für sonstige Produkte nicht vom Anwendungsbereich erfasst.1504 Für die Qualifikation als langfristiges Urlaubprodukt ist ebenfalls eine Vertragslaufzeit von mindestens einem Jahr erforderlich, wobei auch hier sämtliche im Vertrag vorgesehene Verlängerungsmöglichkeiten gemäß § 481a S. 2 BGB i.V. m. § 481 Abs. 1 S. 2 BGB zu berücksichtigen sind. Wirtschaftlich gesehen sind Verträge über langfristige Urlaubsprodukte den Teilzeit-Wohnrechteverträgen gleichgestellt. 1505 Denn in beiden Fällen verpflichtet sich der Verbraucher zur Zahlung eines Entgelts, um langfristig in den Genuss von Vergünstigungen hinsichtlich einer Unterkunft zu kommen.1506 Auch die Vermarktung von langfristigen Urlaubsprodukten ist in der Regel mit derjenigen von Teilzeit-Wohnrechten vergleichbar.1507 Letztlich handelt es sich bei langfristigen Urlaubsprodukten häufig um Ausweichmodelle, die ursprünglich entwickelt wurden, um den Anwendungsbereich der Regelungen über Teilzeit-Wohnrechteverträge zu umgehen.1508 Dementsprechend bergen langfristige Urlaubsprodukte ein mit den Timesharingverträgen vergleichbares Risiko für den Erwerber.1509 Bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte erfolgt die Entgeltzahlung einzig für die Einräumung des Rechts auf Vergünstigungen – die eigentliche Sachleistung ist mit ihr noch nicht abgegolten, sondern vom Erwerber gesondert zu

1499 Hierunter fallen etwa die sog. „Travel-Discount-Clubs“, Leible/Leitner, IPRax 2013, 37, 38 und Meier, ZfIR 2014, 799, 801. 1500 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 574; Meier, ZfIR 2014, 799, 801. 1501 Franzen, NZM 2011, 217, 219; Meier, ZfIR 2014, 799, 801. 1502 Franzen, NZM 2011, 217, 219. 1503 Franzen, NZM 2011, 217, 219. 1504 Franzen, NZM 2011, 217, 219. 1505 BeckOK/Eckert, § 481a BGB Rn. 1; Schubert, NZM 2007, 665, 666. 1506 BeckOK/Eckert, § 481a BGB Rn. 1. 1507 MünchKommBGB/Franzen, Vor § 481 Rn. 17. 1508 HK-BGB/Staudinger, § 481a Rn. 1; näher zur Einteilung des Marktes von Teilzeit-Wohnrechten in Erst- und Zweitmarkt Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 46. 1509 BeckOK/Eckert, § 481a BGB Rn. 1.

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vergüten.1510 Die Aussicht auf Preisnachlässe bzw. sonstige Vergünstigungen haben eine generelle Verlockungswirkung. Um das gegen Entgelt erworbene Recht auf Vergünstigungen aber wirtschaftlich optimal zu nutzen, muss der Erwerber für den gesamten Vertragszeitraum die Vergünstigungen in Anspruch nehmen. Das bedeutet, dass sich der Erwerber durch den Vertrag über langfristige Urlaubsprodukte für einen längeren Zeitraum an den jeweiligen Anbieter bindet. Diese Konsequenz steht dem Erwerber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses häufig nicht deutlich vor Augen und zudem spiegelt sich die langfristige Bindung oft auch nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung wieder. Auch hier folgt aus der regelmäßig sehr langfristigen Bindung eine erhebliche finanzielle Tragweite des Vertrags für den Erwerber. Reflektiert der Erwerber nach dem Vertragsschluss die Konsequenzen des Vertrags, erweist dieser sich mitunter als wirtschaftlich unvorteilhaft. In diesen Fällen hat der Erwerber dann ggf. ein Interesse an der Beseitigung der vertraglichen Bindung – an die Stelle des Bestandsinteresses tritt also ein Lösungsinteresse. 3. Vermittlungsverträge Ein Vermittlungsvertrag ist gemäß § 481b Abs. 1 BGB ein Vertrag, durch den sich ein Unternehmer von einem Verbraucher für den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss oder für die Vermittlung eines Vertrags, durch den die Rechte des Verbrauchers aus einem Teilzeit-Wohnrechtevertrag bzw. einem Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt erworben oder veräußert werden sollen, ein Entgelt versprechen lässt.1511 Beim Vermittlungsvertrag im Sinne des § 481b Abs. 1 BGB handelt es sich, wie sich auch aus der sprachlichen Anlehnung an 652 BGB zeigt,1512 also grundsätzlich um einen Unterfall des Maklervertrags.1513 Allerdings sollen auch solche Konstellationen von der Regelung erfasst sein, in denen die Vermittlung von entsprechenden Verträgen gegen Entgelt vereinbart wurde, im Einzelfall jedoch vom gesetzlichen Leitbild des Maklervertrags abgewichen wird.1514 Als Vermittlungsverträge sind dementsprechend etwa auch solche Verträge zu qualifizieren, bei denen sich der Unternehmer vermittlungsunabhängig vergüten lässt.1515 Die Einordnung des Vertragspartners des Verbrauchers in Hinblick auf den vermittelten Vertrag ist irrelevant.1516 Lediglich mit Blick auf den Vermittlungsvertrag muss es sich in personeller Hinsicht beim Vermittler um ei-

1510 1511 1512 1513 1514 1515 1516

HK-BGB/Staudinger, § 481a Rn. 2. Meier, ZfIR 2014, 799, 801. Franzen, NZM 2011, 217, 217. RegE BT-Drucks. 17/2764 S. 16; Meier, ZfIR 2014, 799, 801. Franzen, NZM 2011, 217, 221; Meier, ZfIR 2014, 799, 801. Franzen, NZM 2011, 217, 221. Franzen, NZM 2011, 217, 221.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

321

nen Unternehmer handeln und bei der anderen Vertragspartei um einen Verbraucher.1517 Die zum Widerruf nach § 485 BGB berechtigenden Vermittlungsverträge im Sinne des § 481b Abs. 1 BGB betreffen den Zweitmarkt von Teilzeit-Wohnrechteverträgen und langfristigen Urlaubsprodukten.1518 Zum Widerruf berechtigt sind sowohl Inhaber von Teilzeit-Wohnrechten bzw. langfristigen Urlaubsprodukten, die einen Vermittlungsvertrag schließen, der ihnen die Weiterveräußerung ermöglichen soll, als auch Interessenten, die einen Vermittlungsvertrag schließen, durch den ihnen der Erwerb von Teilzeit-Wohnrechten bzw. langfristigen Urlaubsprodukten ermöglicht werden soll. Aufgrund der langfristigen Bindung des Erwerbers von Teilzeit-Wohnrechten oder langfristigen Urlaubsprodukten hat dieser (jedenfalls nach Ablauf der Widerrufsfrist) oft nur die Möglichkeit seine Investition rückgängig zu machen, indem er seine vertraglichen Ansprüche an einen Dritten (Zweiterwerber) weiterveräußert, wofür ihm jedoch regelmäßig der Zugang zu Interessenten für das entsprechende Produkt fehlt.1519 Diese Situation ausnutzend, bieten die Anbieter von Timesharingverträgen und Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte mitunter ihre Hilfe in Form einer Vermittlung gegen ein (oftmals überhöhtes) Entgelt an.1520 Mangels Alternativen und auch Kenntnis des Marktes sieht sich der an der Veräußerung interessierte Inhaber unter Umständen zum Abschluss eines entsprechenden Vermittlungsvertrags gezwungen, was seine grundsätzliche Schutzbedürftigkeit rechtfertigt.1521 Dies gilt insbesondere, da die Veräußerung auf dem Zweitmarkt in aller Regel nicht verlustfrei erfolgt.1522 Auf den ersten Blick lässt sich das vom Gesetzgeber in den Fällen von Vermittlungsverträgen nach § 481b Abs. 1 BGB angenommene Lösungsinteresse hierdurch allerdings nicht begründen. Denn, so ließe sich argumentieren, selbst die Tatsache, dass das Vermittlungsentgelt mitunter unangemessen hoch ist, ändere nichts daran, dass der Inhaber weiterhin auf die Vermittlung angewiesen sei, wolle er sein Teilzeit-Wohnrecht bzw. sein langfristiges Urlaubsprodukt veräußern. Aber die (vermeintliche) Unwirtschaftlichkeit des Teilzeit-Wohnrechts oder 1517

Tacou, NJOZ 2011, 793, 38. Franzen, NZM 2011, 217, 220. 1519 Franzen, NZM 2011, 217, 220; Rohlfing-Dijoux, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 113 f.; einen Nennenswerten Markt für Teilzeitwohnrechte gibt es zudem nicht, Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 18; Martinek, ZEuP 1994, 470, 476. 1520 Franzen, NZM 2011, 217, 221. 1521 Franzen, NZM 2011, 217, 221. 1522 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 36; Mäsch, EuZW 1995, 8, 9; Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 18; Martinek, ZEuP 1994, 470, 476; wie Tonner feststellt, müsste sich hierzu der Wert der Ferienimmobilie nämlich letztlich verdreifachen, Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 46. 1518

322 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

langfristigen Urlaubsprodukts kann zunächst einen unüberlegten Impuls begründen, dieses wieder abzustoßen, weshalb der Inhaber sich zum Abschluss eines Vermittlungsvertrags gezwungen sieht. Bei genauer Betrachtung erkennt der Inhaber unter Umständen allerdings, dass die Veräußerung – insbesondere wegen des geringen Weiterkaufwerts1523 des Teilzeit-Wohnrechts bzw. langfristigen Urlaubsprodukts und der zusätzlichen Belastung durch ein hohes Vermittlerentgelt1524 – sich als noch unwirtschaftlicher darstellt, weshalb der Ersterwerber vom Verkauf Abstand nehmen will. Mit dem Wegfall seines Interesses an der Veräußerung entfällt auch sein Bestandsinteresse hinsichtlich des Vermittlungsvertrags. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Provisionszahlungspflicht des Ersterwerbers wohl praktisch ohnehin nur erfolgsabhängig vereinbart werden kann: Zwar wurde mit der Formulierung des § 481b Abs. 1 BGB beabsichtigt auch solche Fälle zu erfassen, in denen die Vergütung erfolgsunabhängig geschuldet wird.1525 Aber eine entsprechende Vereinbarung durch AGB dürfte als Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des Vermittlungsvertrags an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB scheitern.1526 Eine entsprechende Individualabrede dürfte bei der Beteiligung eines professionellen Vermittlers nicht nur sehr Unwahrscheinlich sein, sondern wäre wohl ebenfalls unwirksam. Denn ein Entgelt von mehreren tausend Euro dürfte unter dem Blickpunkt der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung bei einem Vermittlungsversuch, der im Zweifel nur wenige Stunden Aufwand erfordert, nach § 138 BGB nichtig sein.1527 Dementspechend verpflichtet der Vermittlungsvertrag den Kunden also grundsätzlich nicht dazu, eine etwaige nachgewiesene oder vermittelte Vertragsabschlussgelegenheit wahrzunehmen.1528 Der Vermittlungsinteressent kann somit, indem er vom Abschluss des Hauptvertrags absieht, seine Leistungspflicht gegenüber dem Vermittler vermeiden.1529 Dass bei Vermittlungsverträgen mit erfolgsabhängiger Provisionspflicht gleichwohl ein Lösungsinteresse des Ersterwerbers besteht, sofern dieser das Interesse an der Weiterveräußerung seines Teilzeit-Wohnrechts oder langfristen Urlaubsprodukts verloren hat, folgt daraus, dass ein solcher Vertrag auch andere Pflichten und Unannehmlichkeiten für den Ersterwerber bedeuten kann. Man denke hier etwa an die Vereinbarung eines Aufwendungsersatzanspruchs, welcher nach

1523

Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 46. Teilweise sollen die Vermittler bis zu 30 % des Erwerbspreises für die Vermittlung verlangt haben, Kelp, Time-Sharing-Verträge, Fn. 157. 1525 Franzen, NZM 2011, 217, 217. 1526 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 168 f. 1527 Staudinger/Arnold, § 653 BGB Rn. 55. 1528 Zur Entschließungsfreiheit des Kunden als Teil des gesetzlichen Leitbilds des Maklervertrags BGH, Urt. v. 20.02.2003 – III ZR 184/02, NJW-RR 2003, 699, 700. 1529 BeckOK/Kotzian-Marggraf, § 652 BGB Rn. 2. 1524

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

323

§ 652 Abs. 2 BGB entgegen der Ansicht von Morath1530 auch für den Fall, dass der zu vermittelnde Vertrag nicht zustande kommt, zulässig ist. Entsprechendes gilt auch für den Interessenten, der zunächst von der Aussicht auf das Teilzeit-Wohnrecht bzw. das langfristige Urlaubsprodukt derselben Verlockungsgefahr unterliegt wie ein Ersterwerber.1531 In diesem Zusammenhang lassen sich die oben erfolgten Ausführungen zum Lösungsinteresse beim Ersterwerb von Teilzeitwohnrechten und langfristigen Urlaubsprodukten im Wesentlichen übertragen: Realisiert der Interessent nach Abschluss des Vermittlungsvertrags, dass das Teilzeit-Wohnrecht bzw. das langfristige Urlaubsprodukt mit hohen Kosten verbunden ist und ihn langfristig einschränkt, möchte er unter Umständen vom Erwerb eines solchen Rechts absehen und verliert dementsprechend auch das Interesse an einem etwaigen ihn verpflichtenden Vermittlungsvertrag. 4. Tauschsystemverträge Der Tauschsystemvertrag (auch als Tauschpoolvertrag bezeichnet)1532 ist in § 481b Abs. 2 BGB definiert als Vertrag, durch den sich ein Unternehmer von einem Verbraucher ein Entgelt für den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrags oder für die Vermittlung eines Vertrags versprechen lässt, durch den einzelne Rechte des Verbrauchers aus einem Teilzeit-Wohnrechtevertrag oder einem Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt getauscht oder auf andere Weise erworben oder veräußert werden sollen.1533 Es geht also um Verträge bei denen sich der Unternehmer gegen Entgelt verpflichtet den Tausch von Teilzeitwohnrechten oder langfristigen Urlaubsprodukten zu vermitteln bzw. zu organisieren.1534 Im Unterschied zum Vermittlungsvertrag betrifft der Tauschsystemvertrag nicht das gesamte Recht, sondern nur die einzelne konkrete Nutzung.1535 Hierbei werden in der Regel zwei Verträge geschlossen.1536 Am Anfang steht der Tauschsystemvertrag, bei dem es sich um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB handelt, dessen Inhalt die gegenseitige Vermittlung von übertragbar ausgestalteten Teilzeit-Wohnrechten der Verbraucher ist.1537 Der zweite Vertrag ist der eigentliche Tauschvertrag, bei welchem dem Verbraucher der Erwerb eines Nutzungsrechts an einem bestimmten anderen Objekt ermöglicht wird, er im Gegengenzug allerdings ein ihm selbst zustehendes Teilzeit1530

Morath, NZM 2001, 883, 884. Schubert, NZM 2007, 665, 667; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 176. 1532 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 28, Tacou, NJOZ 2011, 793, 795. 1533 Zur Frage der Europarechtskonformität der Bestimmung Friesen, EuZW 2015, 381; Meier, ZfIR 2014, 799, 802. 1534 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 577. 1535 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 577. 1536 Bütter, VuR 1997, 411, 412 f. 1537 Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 650. 1531

324 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

Wohnrecht, bezogen auf eine bestimmte Nutzungsperiode, überträgt.1538 Durch den Tauschsystemvertrag wird der Kunde in der Regel sowohl zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen verpflichtet als auch zu Zahlungen im Falle eines konkreten Tausches.1539 Der Vertrag über den konkreten Tausch ist allerdings nicht Gegenstand des § 481b Abs. 2 BGB.1540 Die weite Definition des Tauschsystemvertrags dient dazu, sicherzustellen, dass sämtliche Fälle erfasst werden, in denen der Anbieter sich gegen Entgelt verpflichtet einen Tausch eines Teilzeit-Wohnrechts oder eines langfristigen Urlaubsprodukts zu vermitteln.1541 Als entgeltlich sollen auch solche Verträge gelten, für die eine kostenlose Einführungsphase vorgesehen ist oder deren Gebühr zunächst von einem Dritten übernommen wird.1542 Tauschsystemverträge bieten dem Erwerber von Teilzeit-Wohnverträgen bzw. langfristigen Urlaubsprodukten eine Möglichkeit die häufig starre Bindung an einen bestimmten Urlaubsort und eine im Vorhinein festgelegte Urlaubszeit aufzuheben, wodurch die Flexibilität und damit Attraktivität des Teilzeitnutzungsrechts bzw. des langfristigen Urlaubsprodukts erhöht wird.1543 Die Mitgliedschaft im Tauschsystem hat insofern einen besonderen Stellenwert für den Verbraucher.1544 Dabei ist es in der Praxis üblich, dass der Timesharing-Anbieter und die Tauschorganisation einen Objektanschlussvertrag1545 abschließen, durch den die Anlage in den Tauschring eingebracht wird und zugleich der Anbieter die Verpflichtung übernimmt, für die Aufrechterhaltung bestimmter Qualitätsstandards zu sorgen, z. B. in Bezug auf Lage, Ausstattung und Instandhaltung des Timesharing-Objekts, Qualität der zu erbringenden Dienstleistungen, sowie seine Seriosität und finanzielle Potenz.1546 Daraus resultieren für den Nutzer des Tauschsystems oftmals erhebliche Kosten.1547 Diese Kosten treten zu den regelmäßig geschuldeten Mitgliedsbeiträgen und den Zahlungen für jeden vorgenommenen Tausch hinzu.1548 Die insgesamt wesentlichen finanziellen Konsequenzen1549 1538

Franzen, NZM 2011, 217, 222; Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 650. Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 412. 1540 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 577. 1541 Franzen, NZM 2011, 217, 222. 1542 Franzen, NZM 2011, 217, 222. 1543 Franzen, NZM 2011, 217, 222; Eberl-Borgens, AcP 2003, 633, 649 f.; Bütter, VuR 1997, 411, 412; Martinek, NJW 1997, 1393, 1393. 1544 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 37; Meier, ZfIR 2014, 799, 802. 1545 Bütter, VuR 1997, 411, 414. 1546 BeckOK/Eckert, § 481b BGB Rn. 4. 1547 Tacou, NJOZ 2011, 793, 795. 1548 Jäckel-Hutmacher/Tonner, VuR 1994, 9, 16; Bütter, VuR 1997, 411, 413; zu den entsprechenden durchschnittlichen Kosten im Jahr 2004 im Einzelnen Kelp, Time-Sharing-Verträge, Fn. 168. 1549 Schubert, NZM 2007, 665, 667. 1539

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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sind dem Nutzer des Tauschsystems vor Vertragsschluss regelmäßig nicht ausreichend bewusst.1550 Durch die verlockende Möglichkeit die starre Bindung an einen bestimmten Urlaubsort und eine bestimmte Urlaubszeit aufzuheben, erfolgen vielfach unüberlegte und übereilte Vertragsschlüsse.1551 Reflektiert der Nutzer des Tauschsystems nach dem Vertragsschluss die Konsequenzen des Vertrags, kann an die Stelle des Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse treten. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die bloße Mitgliedschaft im Tauschsystem noch keine Garantie für eine erfolgreiche Vermittlung von Tauschpartnern bietet1552 – vielmehr dürften sich die wesentlichen Tauschwünsche auf besonders beliebte Urlaubsziele während der Hauptreisezeit konzentrieren, sodass es in dieser Zeit zu Engpässen und zu anderen Zeiten zu einer fehlenden Nachfrage kommen kann.1553 Das nach der gesetzgeberischen Konzeption beim Widerrufsrecht bezüglich Tauschsystemverträgen zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt also daraus, dass es sich beim Abschluss derartiger Verträgen regelmäßig um Situationen handelt, bei denen sich eine Vertragspartei unüberlegt und übereilt zum Vertragsschluss hinreißen lassen hat, ohne sich über die erheblichen finanziellen Konsequenzen ausreichend im Klaren gewesen zu sein.1554 5. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich mit Blick auf das objektivierte Lösungsinteresse beim Widerrufsrecht nach § 485 BGB festhalten, dass sich dieses aus den Besonderheiten der jeweiligen Vertragstypen ergibt. Die zunächst sehr vorteilhaft erscheinenden Angebote wirken bei näherer Betrachtung mitunter als unwirtschaftlich.1555 So folgt das Lösungsinteresse bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen und Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte aus der regelmäßigen Gefahr eines übereilten Vertragsschlusses, bei dem sich der Erwerber wegen der Komplexität des Vertrags1556 und der Verlockungsgefahr zunächst nicht vollständig über die Leistung und Gegenleistung bewusst ist. Der Erwerber ist sich deshalb häufig nicht darüber im Klaren, dass es sich wegen der oftmals langen vertraglichen Bindung um Verträge mit erheblicher wirtschaftlicher Tragweite handelt.1557 Das Ziel,

1550 Häufig werden derartige Tauschsystemverträge automatisch im Bündel der zu unterzeichnenden Verträge vorgelegt, Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 412. 1551 Tonner, Time-sharing an Ferienimmobilien, Rn. 412. 1552 Bütter, VuR 1997, 411, 412. 1553 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 37; in diesem Sinne auch Mäsch, EuZW 1995, 8, 9. 1554 RegE, BT-Drucks. 17/2764, S. 16. 1555 Mäsch, EuZW 1995, 8, 9. 1556 Mäsch, EuZW 1995, 8, 12. 1557 Mäsch, EuZW 1995, 8, 12.

326 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

dass der Erwerber mit dem Vertragsschluss häufig verfolgt, nämlich sich Urlaubsreisen zu günstigen Konditionen zu ermöglichen, wird – jedenfalls im Vergleich zu Pauschalreisen – in aller Regel nicht erreicht. Demgegenüber stehen bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen vielfach umfangreiche Beschränkungen des Nutzungsrechts, derer sich der Erwerber nicht ausreichend bewusst ist und die dem Produkt zusätzlich die Attraktivität nehmen. Bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte verlockt die Aussicht auf Preisnachlässe, sodass dem Erwerber bei Vertragsschluss vielfach nicht deutlich genug vor Augen steht, dass sich ein entsprechender Vertrag – wenn überhaupt – nur bei regelmäßiger Nutzung der Preisnachlässe über einen langen Zeitraum rentiert. Wird dem Erwerber bei näherer Betrachtung bewusst, dass er ein für ihn wirtschaftlich unsinniges Produkt erworben hat, möchte er sich wieder vom Vertrag lösen.1558 Auch Vermittlungsverträgen i. S. d. § 481b Abs. 1 BGB ist eine gewisse Verlockungsgefahr immanent. Insbesondere für den Inhaber eines entsprechenden Urlaubsprodukts, der erst nach Ende der Widerrufsmöglichkeit eine etwaige Unwirtschaftlichkeit des Produkts erkennt, bietet der Vermittlungsvertrag oft die einzige Perspektive sich aus der langfristigen Bindung zu befreien. Aber die vermittelte Veräußerung kann sich als noch unwirtschaftlicher erweisen, da der Veräußerungspreis häufig deutlich unter dem Erwerbspreis liegt und zudem regelmäßig hohe Vermittlungsgebühren anfallen. Erkennt der Inhaber dies nach Abschluss des Vermittlungsvertrages möchte er von der Veräußerung Abstand nehmen und verliert damit sein Interesse an der Vermittlung, sodass er wegen etwaiger Kosten die der Vermittlungsvertrag verursacht, ein Interesse an der Lösung vom Vermittlungsvertrag hat. Was den Interessenten von Teilzeit-Wohnrechteverträgen bzw. langfristigen Urlaubsprodukten betrifft, folgt das Lösungsinteresse bezüglich des Vermittlungsvertrags daraus, dass der entsprechende Hauptvertrag oft in der oben beschriebenen Weise nicht die erhofften Vorteile bringt, weshalb der Interessent mit der Erkenntnis sein Interesse am Abschluss des Hauptvertrags verliert. Damit wird aber auch das Festhalten am Vermittlungsvertrag für ihn unattraktiv. Um etwaige Kosten zu vermeiden, möchte er sich auch von diesem lösen. Tauschsystemverträge im Sinne des § 481b Abs. 2 BGB werden häufig zusammen mit den entsprechenden Timesharingverträgen bzw. Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte abgeschlossen1559 bei den Tauschsystemanbietern handelt es sich in der Regel allerdings um von den Anbietern des Timesharingvertrags bzw. des Vertrags über das langfristige Urlaubsprodukt unabhängige Organisationen.1560 Tauschsystemverträge bieten die Möglichkeit die starren Bin-

1558 1559 1560

In diesem Sinne auch Mäsch, EuZW 1995, 8, 12. JurisPK/Tonner, § 481b BGB Rn. 2. Schubert, NZM 2007, 665, 667; Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 177, 179.

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dungen von Teilzeit-Wohnrechteverträgen bzw. den Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte zu beseitigen und erhöhen somit die Attraktivität von entsprechenden Verträgen.1561 Insofern dienen Tauschsysteme den Anbietern von Timesharingverträgen und Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte als zusätzliches Verkaufsargument.1562 Dies mag erklären, dass Verbraucherschutzorganisationen über zahlreiche Fälle berichteten, in denen Timesharing-Anbieter systematisch den (falschen) Eindruck erweckten, der Erwerber könne durch die Mitgliedschaft in einem Tauschpool weltweit aus einer Vielzahl von Anlagen jeweils diejenige aussuchen, in der er Urlaub machen wolle.1563 Die Verlockung durch derartige Versprechen kann den Verbraucher zum Abschluss des Timesharing-Vertrags bzw. Vertrags über das langfristige Urlaubsprodukt sowie des Tauschsystemvertrags veranlassen.1564 Hierbei entstehen dem Verbraucher neben den erheblichen Kosten für den Vertrag über das Teilzeitwohnrecht bzw. das langfristige Urlaubsprodukt auch häufig nicht unwesentliche Kosten für die Teilnahme am Tauschsystem. Oft ist für den Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschluss aber weder der Umfang der Tauschmöglichkeiten noch der „Wert“ des eigenen Rechts im Tauschsystem ausreichend transparent.1565 Mitunter kann es sogar vorkommen, dass der Verbraucher den Tauschsystemvertrag abschließt, ohne dass „seine Anlage“ überhaupt gegenwärtig oder in Zukunft die vom Tauschpool vorausgesetzten Maßstäbe erfüllt und somit gar nicht Bestandteil des Tauschpools wird.1566 Das beim Widerrufsrecht bezüglich Tauschsystemverträgen vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Lösungsinteresse des Verbrauchers folgt dementsprechend aus Verlockung des Tauschsystemvertrags in Kombination mit der bei Tauschsystemverträgen üblichen erheblichen finanziellen Belastung, derer sich der Tauschsystemnutzer häufig vor Vertragsschluss nicht bewusst ist.1567 Insbesondere dann, wenn der Tauschsystemnutzer eine Diskrepanz zwischen dem Wert der vermeintlich zusätzlichen Flexibilität und den hierdurch auf ihn zukommenden Kosten feststellt, ist es möglich, dass an Stelle des Bestandsinteresses ein Lösungsinteresse hinsichtlich des Tauschsystemvertrags tritt.1568

1561

Rohlfing-Dijoux, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 107. Nordhaus, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 143; teilweise werden die Anbieter sogar bereits durch einen entsprechenden Anschlussvertrag rechtlich verpflichtet die zukünftigen Teilzeit-Wohnrechteinhaber zu einer „Mitgliedschaft“ in einer Tauschorganisation zu bewegen, Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 179. 1563 Jud, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 71. 1564 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 179. 1565 Rohlfing-Dijoux, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 108. 1566 Jud, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 71. 1567 Jud, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 71. 1568 In diesem Sinne wohl auch Nordhausen, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 143. 1562

328 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen gemäß § 485 BGB Die Lösungsmöglichkeit von Teilzeit-Wohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen aus § 485 BGB steht – abgesehen von der Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 3, 356a BGB – unter keinen weiteren Voraussetzungen bzw. Beschränkungen, als dem Vorliegen eines Vertrags mit dem in den §§ 481, 481a, 481b BGB genannten Inhalt und der Tatsache, dass es sich bei den Vertragsparteien um einen Unternehmer als Schuldner der vertragscharakteristischen Leistung und einen Verbraucher als dessen zur Entgeltzahlung verpflichteten Vertragspartner handelt.1569 Das Lösungsinteresse, welches der Gesetzgeber beim Vorliegen von Verträgen mit dem entsprechenden Inhalt zugrunde legt, soll sich dementsprechend immer dann gegenüber dem Bestandsinteresse der anderen Partei durchsetzen, wenn es sich bei derjenigen Partei, die wegen der oben beschriebenen Gründe an der Vertragsauflösung interessiert ist, um einen Verbraucher handelt und ihr Vertragspartner Unternehmer ist.1570 Insofern wird das Lösungsinteresse von Verbrauchern, die einen entsprechenden Vertrag schließen im Vergleich zu sonstigen Kunden stärker gewichtet. Dieser besonderen Gewichtung des Lösungsinteresses liegt die Annahme zugrunde, dass Verbraucher bei Abschluss der entsprechenden Verträge in der Regel schutzbedürftiger sind, da bei ihnen das Risiko von unüberlegten und übereilten Vertragsschlüssen vergleichsweise hoch ist.1571 Da das vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Lösungsinteresse bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte, Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen sich gerade aus der bei solchen Verträgen bestehenden Gefahr eines unüberlegten und übereilten Vertragsschlusses ergibt, soll das Lösungsinteresse von Verbrauchern somit besonders zu berücksichtigen sein.1572 Auf der anderen Seite muss ein Unternehmer als Anbieter des Teilzeit-Wohnrechts bzw. des langfristigen Urlaubsvertrags, der Vermittlung i. S. d. § 481b Abs. 1 BGB oder des Tauschsystems stehen.1573 Daraus folgt die Beurteilung des 1569

Meier, ZfIR 2014, 799, 799. Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 329 f. 1571 Zu der Tatsache, dass Menschen sich gerade im beruflichen Bereich generell geschäftsgewandter, durchsetzungswilliger und erfolgsorientierter verhalten, als im privaten Bereich, Canaris, AcP 2000, 273, 360. 1572 Ausführlich zu den Gründen, warum die Risiken von Rationalitätsfallen bei Verbrauchern oft höher sind, als bei sonstigen Personen Engel/Stark, ZEuP 2015, 32, 45, die gleichwohl bezüglich der rollenspezifischen Differenzierung kritisch sind; ebenfalls kritisch bzgl. der Begrenzung des Widerrufsrechts auf Verbraucher-Unternehmerkonstellationen, Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 263 und Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 331. 1573 Martinek, NJW 1997, 1393, 1394. 1570

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Gesetzgebers, dass das Bestandsinteresse von Unternehmern in diesem Zusammenhang weniger schutzwürdig ist, als das sonstiger Anbieter. Diese Beurteilung basiert auf der Überlegung, dass in Fällen, in denen auf der anderen Seite ein Unternehmer steht, die Umstände, welche das Lösungsinteresse des Kunden begründen, häufig besonders ausgeprägt sind.1574 Insbesondere bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen und Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte entsteht die Verlockungsgefahr durch den Wunsch des Erwerbers nach Vergünstigungen bei Urlaubsreisen. Dass dem Erwerber derartige Vergünstigungen suggeriert werden, stellt regelmäßig eine entsprechende Marketingstrategie zum Absatz der fraglichen Produkte dar. Eine solche Marketingstrategie setzt einen zu einem gewissen Grad professionellen Anbieter voraus.1575 Was die Vermittlungsverträge betrifft, wird ein nicht professioneller Vermittler in der Regel ebenso wenig Zugang und Kenntnis vom Zweitmarkt für entsprechende Produkte haben wie der Inhaber selbst. Dementsprechend werden nicht professionelle Personen grundsätzlich als Vermittler ausscheiden. Jedenfalls wird der Preis der Vermittlung hier regelmäßig nicht in entsprechender Weise überteuert sein. Auch Tauschsystemverträge mit nicht professionell tätigen Personen sind nur schwer vorstellbar und faktisch wohl nicht existent. Gleichwohl basiert auch das Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen auf stark typisierenden Wertungsgrundlagen. Auch hier hat die ausgeprägte Typisierung ihre Rechtfertigung in den oben dargestellten Gemeinwohlüberlegungen, da eine ineffiziente Einzelfallprüfung entbehrlich wird.1576 Letztlich liegen dem Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen nach § 485 BGB aber auch weitere Gemeinwohlüberlegungen zugrunde. Die Regelungen zu den Teilzeitwohnrechten und ähnlichen Verträgen dienen der Umsetzung der TzWR-RiL. Im 2. Erwägungsgrund der TzWR-RiL führt der supranationale Gesetzgeber aus, dass Regelungslücken im Rahmen von Teilzeitnutzungsrechten und ähnlichen Urlaubsprodukten zu Wettbewerbsverzerrungen und ernsthaften Probleme für die Verbraucher geführt haben und so das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes verhindert wurde. Insbesondere da der Fremdenverkehr in den Mitgliedstaaten eine immer größere Rolle spiele, sollen ein stärkeres Wachstum und eine größere Produktivität des Sektors der Teilzeitnutzungsrechte und der langfristigen Urlaubsprodukte gefördert werden, indem bestimmte gemeinsame Regeln angenommen werden.1577 Tourismus wird insofern als Mittel zur Stärkung des Binnenmarktes gesehen.1578 Gerade Time1574

Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 176; Martinek, NJW 1997, 1393, 1394. Eidenmüller, AcP 2010, 67, 91. 1576 s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.3. 1577 Erwägungsgrund 2 Timesharing-RiL. 1578 Diese als Begründung stuft Martinek als von „zweifelsfreier Plausibilität und eigenständiger Tragfähigkeit“ ein, stellt aber zugleich die Frage, ob hierbei nicht die 1575

330 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

sharing soll hierbei den Vorteil haben die für Tourismusgebiete typische saisonale Arbeitslosigkeit zu verringern, da hier, infolge der im Vergleich zu herkömmlichen Ferieneigentumswohnungen bzw. zum Hotelgewerbe wesentlich höheren Auslastung, die ständige Beschäftigung von Service-Personal erforderlich sei.1579 Letztendlich ist eine Ursache für die Besserstellung von Verbrauchern gegenüber Unternehmern im Widerrufsrecht bei Teilzeitwohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen also, dass derartige für den Binnenmarkt positive Verträge gefördert werden sollen. Auch das Widerrufsrecht von Teilzeitwohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen ist nach §§ 355, 356a BGB grds. auf 14 Tage ab Abschluss des Vertrags oder eines Vorvertrages beschränkt.1580 Damit die Widerrufsfrist in Gang gesetzt wird, ist nach § 356a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 BGB allerdings erforderlich, dass zudem die in § 484 Abs. 3 S. 1 BGB vorgeschriebene Aushändigung der Vertragsurkunde oder eine Abschrift, sowie die nach § 482 Abs. 1 bezeichneten vorvertraglichen Informationen und das in Art 242 § 1 Abs. 2 EGBGB bezeichnete Formblatt in der vorgeschriebenen Sprache vollständig ausgefüllt überlassen wird. Zudem muss dem Verbraucher gem. § 356a Abs. 3 S. 1 BGB die in § 482a bezeichnete Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß überlassen worden sein, damit die Widerrufsfrist zu laufen beginnt. Verletzt der Unternehmer die in § 356a Abs. 2 S. 1 BGB vorgeschriebenen Informationspflichten, erlischt das Widerrufsrecht gleichwohl spätestens nach drei Monaten und 14 Tagen ab dem (Vor-)Vertragsschluss (§ 356a Abs. 2 S. 2 BGB). Verletzt der Unternehmer seine Pflicht zur Widerrufsbelehrung, erlischt das Widerrufsrecht gem. § 356a Abs. 3 S. 1 BGB nach spätestens zwölf Monaten und 14 Tagen ab Abschluss des (Vor-)Vertrags. Auch hier dient die zeitliche Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit dem Interesse des Unternehmers an Klarheit über den Bestand des Vertrags zu erlangen. Andererseits wird durch die Regelung gewährleistet, dass der Verbraucher – der Begründung des objektivierten Lösungsinteresses entsprechend – grds. sämtliche Informationen zur nachträglichen Überprüfung seiner ggf. übereilt eingegangenen vertraglichen Bindung zur Verfügung hat.1581

gegenwärtige Bedeutung des Timesharings überschätzt oder „strategisch übertrieben“ wurde, Martinek, ZEuP 1994, 470, 479. 1579 Kelp, Time-Sharing-Verträge, S. 33. 1580 Zu den Besonderheiten bzgl. der Widerrufsfrist von gleichzeitig mit einem Teilzeitwohnrechtevertrag angebotenen Tauschsystemvertrag nach § 356a Abs. 4 BGB BeckOK/Müller-Christmann, § 356a BGB Rn. 8 f. 1581 Gleichwohl kritisch wegen der geringen Länge der Widerrufsfrist, Martinek, NJW 1997, 1393, 1397.

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III. Beurteilung der gesetzgeberischen Interessenabwägung beim Widerrufsrecht bei Teilzeit- Wohnrechteverträgen und sonstigen Verträgen nach § 485 BGB Das vom Gesetzgeber in den Fällen des § 485 BGB zugrunde gelegte Lösungsinteresse folgt aus den Besonderheiten der in §§ 481, 481a und 481b BGB genannten Vertragstypen. Bei diesen unterstellt das Gesetz das Risiko, dass eine Partei den Vertrag übereilt geschlossen hat, ohne sich bei Vertragsschluss ausreichend über die Konsequenzen im Klaren gewesen zu sein. Das Lösungsinteresse hat hier also seine Ursache darin, dass der tatsächlich geschlossene Vertrag aus Sicht des Verbrauchers eigentlich von Anfang an unerwünscht war. Dass der Gesetzgeber in Hinblick auf die fraglichen Verträge davon ausgegangen ist, ihre Abschlüsse vielfach durch Überrumpelung des Kunden mittels als anstößig empfundener Vertriebsmethoden zustande kommen, wird im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck gebracht.1582 Vielmehr erfasst § 485 BGB jeden in den sachlichen Anwendungsbereich der §§ 481, 481a und 481b BGB fallenden Vertragsabschluss, selbst wenn dieser völlig druckfrei zustande gekommen ist, anstatt an eine spezifische Überrumpelungssituation anzuknüpfen.1583 Sofern der Gesetzgeber seine Interessenbewertung also auf den Umstand einer etwaigen Überrumpelung stützt, würde das bedeuten, dass in verallgemeinernden Weise unterstellt würde, jeder Teilzeitwohnrechte- und diesem ähnliche Vertrag sei in einer entsprechenden Überrumpelungssituation geschlossen wird. Dies wäre eine wohl kaum der Realität entsprechende Verallgemeinerung. Aber auch sofern das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse sich lediglich auf die sich aus der Kombination von Komplexität der Vertragsmaterie, wirtschaftlicher Tragweite und der Verlockungsgefahr folgenden Übereilung stützt, stellt das bloße Abstellen auf die entsprechenden Vertragstypen zur Bestimmung dieser Umstände eine weitreichende Verallgemeinerung dar. Wie aufgezeigt, haben die in §§ 481, 481a, 481b BGB genannten Verträge zwar grundsätzlich das Potential zu einem übereilten und deshalb unüberlegten Vertragsschluss zu verleiten. Aber indem das Gesetz für die Begründung des Widerrufsrechts lediglich auf das Vorliegen eines entsprechenden Vertrags abstellt, werden Lösungsrechte auch in solchen Fällen begründet, in denen der Vertrag gerade nicht zur Übereilung verleitet hat, etwa weil dem Kunden sowohl der Umfang seiner Verpflichtungen als auch seiner Berechtigungen und damit die Konsequenzen des Vertrags ohne psychologischen Druck auf verständliche Weise verdeutlicht wurde. Die Verlockungsgefahr von Teilzeit-Wohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen ist diesen immanent, auch wenn sie oftmals durch entsprechende Anprei1582 1583

Mäsch, EuZW 1995, 8, 12. MünchKommBGB/Franzen, § 485 Rn. 3.

332 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

sungen des Verkäufers noch gesteigert wird. Auch die wirtschaftliche Tragweite sowie die Komplexität entsprechender Verträge sind in gewissem Umfang der Natur der Sache geschuldet. Die Ursachen des gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresses sind dem Unternehmer dementsprechend nur bedingt zurechenbar. Die einzige Beschränkung hinsichtlich der Frage nach dem grundsätzlichen Bestehen eines Lösungsrechts liegt bei entsprechenden Vertragsgegenständen darin, dass es sich um einen Verbrauchervertrag handeln muss. Der besonderen Berücksichtigung des Lösungsinteresses von Verbrauchern liegt der Gedanke ihrer speziellen Schutzwürdigkeit zugrunde.1584 Auch hier kommt es zu einer Typisierung, denn zum einen bleiben etwa juristische Personen ausgeklammert, bei denen ein ebenso starkes Schutzbedürfnis besteht – man denke etwa an einen als eingetragenen Verein organisierten Seniorenklub, der zu Gunsten seiner Mitglieder entsprechende Produkte erwirbt.1585 Auf der anderen Seite kommt aber auch ein geschäftlich erfahrener und dementsprechend im Einzelfall nicht schutzbedürftiger Kunde wegen der Typisierung in den Genuss des Widerrufsrechts. Das Widerrufsrecht ist insoweit losgelöst von der individuellen Schutzbedürftigkeit.1586 Auch die Beschränkung des Lösungsrechts auf Konstellationen, bei denen ein Unternehmer als Anbieter des entsprechenden Produkts auftritt, handelt es sich um eine Typisierung, die nicht immer gewährleisten kann, dass die vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenbewertung im konkreten Fall auch zutrifft. Während bei Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen eine Privatperson als Anbieter ohnehin unwahrscheinlich ist, besteht insbesondere beim Weiterverkauf eines Teilzeit-Wohnrechts bzw. langfristigen Urlaubsprodukts die Möglichkeit, dass gerade der ernüchterte und enttäuschte Ersterwerber ähnlich dubiose Methoden wie ein ursprünglicher Anbieter anzuwenden versucht, um seinen Anteil an einem Timesharing-Objekt einem Nachfolger „anzudrehen“.1587 Insofern stellt Martinek zutreffend fest, dass ein „Timesharing-Opfer“ sich, obwohl selbst Verbraucher, als überaus „lernfähig“ und „erfinderisch“ erweisen und seinerseits zur Gefahr für andere Verbraucher werden könne, sodass sich ein bedrohlicher Lawineneffekt ergäbe.1588 Hier wäre der Erwerber ebenso schutzwürdig, wie in Fällen in denen er mit einem Unternehmer kontrahiert und der Veräußerer ebenso wenig schutzwürdig, wie ein entsprechender Unternehmer.1589 Andererseits sind aber 1584

Pfeiffer/Hess, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 1, S. 103 f. Staudinger/Martinek, § 481 BGB Rn. 22; auch Pfeiffer/Boos, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 22; Pfeiffer/Hess, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 1, S. 103 f. 1586 Martinek, GS für Wolf, S. 91, 99. 1587 Martinek, NJW 1997, 1393, 1394; Staudinger/Martinek, § 481 BGB Rn. 20. 1588 Martinek, NJW 1997, 1393, 1394; Staudinger/Martinek, § 481 BGB Rn. 20. 1589 So auch Pfeiffer/Boos, in: Pfeiffer, Erwerb von Teilnutzungsrechten Teil 2, S. 22, 31. 1585

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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auch Fälle denkbar, in denen ein Unternehmer mit einem Verbraucher Verträge im Sinne der §§ 481, 48a, 481b BGB schließt, ohne engen zeitlichen Druck oder Verhandlungszwang auszuüben und seinem Vertragspartner so eine wohlüberlegte Entscheidung ermöglicht. Sowohl die das Lösungsinteresse als auch die die gesetzgeberischen Wertungen begründenden Umstände des Widerrufsrechts nach § 485 BGB weisen eine grobe Typisierung auf. Dies hat zur Folge, dass das Bestandsinteresse häufig gegenüber dem Lösungsinteresse zurücktreten muss, ohne dass eine derartige Wertung im Einzelfall zwingend gerechtfertigt wäre. Die hier zum Ausdruck kommende Schlechterstellung des konkreten Bestandsinteresses hat seine Ursache in den zuvor bereits erläuterten Gemeinwohlvorteilen einer Typisierung im Verbraucherrecht.1590 Auch hier muss das konkrete Bestandsinteresse also zugunsten von Gemeinwohlinteressen zurücktreten, sodass hier ebenfalls eine geringe Gewichtigkeit des generellen Bestandsinteresses festzustellen ist. Dies wird beim Widerrufsrecht von Vermittlungsverträgen mit Zweiterwerbern dadurch verstärkt, dass es hier in der Regel an einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Zweiterwerbers fehlt. Zwar wäre der Vertrag über den Erwerb der Teilzeit-Wohnrechte bzw. über das langfristige Urlaubsprodukt nicht nach §§ 481 ff. BGB widerruflich, da der Verkäufer in aller Regel kein Unternehmer im Sinne des § 14 BGB ist. Allerdings hätte der Zweiterwerber sich ebenso für die Beschaffung der gewünschten Leistung auf dem Primärmarkt entscheiden können, wo er als Verbraucher und Vertragspartner eines Unternehmers geschützt wäre.1591 Auf dem Sekundärmarkt kommt dem Zweiterwerber aber der Verkaufsdruck zugute, dem sich der Ersterwerber ausgesetzt wähnt und welcher den Preis des Produkts bestimmen kann.1592 Dementsprechend ließe sich argumentieren, dass der Zweiterwerber bewusst auf den Schutz nach § 481 BGB verzichte, um das Teilzeit-Wohnrecht bzw. langfristige Urlaubsprodukt zu erheblich günstigeren Konditionen zu erwerben. Die erheblich günstigeren Konditionen führen darüber hinaus dazu, dass die Eignung des Teilzeitwohnrechts bzw. langfristigen Urlaubsprodukts zur Erreichung des Ziels des Erwerbers, nämlich die Möglichkeit zu vergünstigtem Urlaub, deutlich wahrscheinlicher sind. Diesbezüglich wird also das Lösungsinteresse des Zweiterwerbers gegenüber dem Bestandsinteresse des Vermittlers trotz zweifelhafter Schutzwürdigkeit des Zweiterwerbers bevorzugt. Auch das Fehlen von Ausnahmen, etwa für Bagatellfälle oder ähnlichem, bedeutet eine sehr umfangreiche Zulassung von Lösungsmöglichkeiten im Hinblick auf die in §§ 481, 481a, 481b BGB genannten Verträge. Insgesamt lässt sich fest-

1590 1591 1592

s. o. A.II.3. Franzen, NZM 2011, 217, 221. Franzen, NZM 2011, 217, 221.

334 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

halten, dass das generelle Bestandsinteresse in der Regelung des § 485 BGB einen geringen Stellenwert einnimmt, was auch nicht durch die zeitliche Beschränkung der Schwebephase nach §§ 355, Abs. 3, 356a BGB ausgeglichen wird.

G. Das Widerrufsrecht bei Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG Grundsätzlich steht dem Teilnehmer bei einem Fernunterrichtsvertrag im Sinne des § 3 Abs. 4 FernUSG gemäß § 4 FernUSG ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Dementsprechend kann sich der Teilnehmer eines Fernunterrichtsvertrags grds. innerhalb von 14 Tagen ab Vertragsschluss wieder von diesem lösen. Europarechtliche Vorgaben bestehen für das Widerrufsrecht bei Fernunterrichtsverträgen nicht. I. Begründung des objektivierten Lösungsinteresses beim Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG Vom Widerrufsrecht nach § 4 FernUSG erfasst sind Fernunterrichtsverträge, die weder die Voraussetzungen von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen i. S. d. § 312b BGB noch die von Fernabsatzverträgen gem. § 312c BGB erfüllen. Als Fernunterricht gilt nach § 1 Abs. 1 FernUSG die auf vertraglicher Grundlage erfolgende entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen. Fernunterricht im Sinne des FernUSG ist auf solche Fälle beschränkt, in denen die Vermittlung auf vertraglicher Grundlage erfolgt. Dies dient der Abgrenzung von Angeboten auf öffentlich-rechtlicher Basis.1593 Ferner ist der Fernunterricht im Sinne des FernUSG grundsätzlich auf Verträge beschränkt, in denen die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten gegen Entgelt erfolgt. Als Gegenleistung für die Vermittlung muss dementsprechend eine Leistung mit Vermögenswert geschuldet werden.1594 Vertragsparteien sind der Veranstalter und der Teilnehmer.1595 Der Teilnehmer muss indes nicht notweniger Weise auch der Lernende im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG sein.1596

1593 1594 1595

Vennemann, FernUSG, § 1 Rn. 6. Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 18. Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 410 mit Hinweis auf § 2 Abs. 1 Fern-

USG. 1596 Denkbar sind auch Konstellationen, in denen der Teilnehmer den Vertrag zugunsten eines Dritten als Lernenden abschließt, Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 410.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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Für die Qualifikation als Fernunterrichtsvertrag muss es sich inhaltlich um einen Vertrag über die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten handeln.1597 Was die Anforderung der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten betrifft, ist eine weite Auslegung geboten.1598 Auf das Niveau der vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es insoweit nicht an.1599 Wie ein Umkehrschluss aus § 12 Abs. 1 S. 3 FernUSG ergibt, betreffen grundsätzlich auch „Hobby-Lehrgänge“ die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Als weitere Voraussetzung des Fernunterrichts muss nach § 1 Abs. 1 FernUSG eine ausschließliche oder überwiegende räumliche Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden vorliegen. Hierbei handelt es sich um ein konstitutives Merkmal des Fernunterrichts,1600 durch welches dieser vom herkömmlichen „Nah- bzw. Direktunterricht“ abgegrenzt wird.1601 Überwiegend ist die räumliche Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden, sofern nicht mehr als die Hälfte des Unterrichts in Form des Nah- oder Direktunterrichts erfolgt.1602 Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 1 FernUSG vor, dass eine Überwachung des Lernerfolgs stattfindet, was den Fernunterrichtsvertrag von „Selbstlernkursen“ abgrenzt.1603 Hierbei soll es bereits ausreichen, wenn eine einzelne Lernkontrolle vereinbart wurde, ohne dass diese auch tatsächlich erfolgen muss.1604 Die Überwachung des Lernerfolgs setzt dabei eine individuelle Lernerfolgskontrolle durch den Lehrenden oder einen Beauftragten voraus, sodass apersonale Kontrollen, die nicht auf die Bedürfnisse des einzelnen Teilnehmers eingehen, nicht ausreichen.1605 Andererseits ist von einem weiten Verständnis des Begriffs der Überwachung des Lernerfolgs auszugehen. So reicht für die Überwachung des Lernerfolgs nach der Rechtsprechung des BGH aus, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat in einer begleitenden Informationsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden bzw. seine Beauftragten zu erhalten.1606 Dementsprechend soll der Anwendungsbereich des FernUSG auch in Fällen zu bejahen sein, in denen zwar keine typischen Prüfungsmaßnahmen vorgesehen sind, den Teilnehmern neben der Übersendung der Lernmaterialien aber vertraglich die 1597 Dieses Kriterium mangels Abgrenzungsfunktion für Überflüssig haltend, Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 93. 1598 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 10. 1599 Vennemann, FernUSG, § 1 Rn. 4. 1600 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 93. 1601 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 11. 1602 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 12; Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 93. 1603 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 94. 1604 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 14. 1605 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 14. 1606 BGH, Urt. v. 15.10.2009 – III ZR 310/08, NJW 2010, 608, 609.

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Möglichkeit geboten wird, den Dozenten persönlich Rückfragen zum Lernstoff zu stellen.1607 Was die Begründung des objektivierten Lösungsinteresses des Teilnehmers von Fernunterrichtsverträgen betrifft, folgt diese im Wesentlichen aus der den Fernunterricht prägenden räumlichen Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden.1608 Zur Überbrückung der räumlichen Distanz ist die Verwendung besonderer – nämlich schriftlicher oder audiovisueller1609 – Unterrichtsmedien notwendig.1610 Da der Begriff des Fernunterrichts nach § 1 Abs. 1 FernUSG ein Überwiegen der räumlichen Trennung von Lehrenden und Lernenden voraussetzt, kommt diesen besonderen Unterrichtsmedien eine wesentliche Bedeutung für die Vermittlung der Kenntnisse und Fähigkeiten zu. Anders ausgedrückt ist die Qualität der Fernunterrichtsmedien entscheidender Faktor für den Erfolg des Fernunterrichts. Hinzu kommt, dass das Material, damit das Ziel des Fernunterrichts erreicht werden kann, auch den persönlichen Bedürfnissen und Präferenzen des Lernenden entsprechen muss.1611 Eine Überprüfung der Qualität und Ausgestaltung des Angebots des Veranstalters ist dem Teilnehmer jedoch vor Vertragsschluss häufig nicht in ausreichendem Maße möglich.1612 Bei den Fernunterrichtsmaterialien handelt es sich insofern um Erfahrungsgüter.1613 Aus der fehlenden Kenntnis hinsichtlich der Qualität und Ausgestaltung des fraglichen Lehrgangs ergeben sich auch Schwierigkeiten für den Interessenten, die einzelnen Angebote zu vergleichen1614 und sich einen Überblick über den Markt zu verschaffen.1615 Auch hat die Isolierung des Teilnehmers zur Folge, dass dieser Erfahrungen und Urteile anderer Fernunterrichtsteilnehmer, im Vergleich zum Direktunterricht, nur unter erschwerten Bedingungen wahrnehmen kann.1616 Zudem besteht bei Fernunterrichtsverträgen eine gewisse Verlockungsgefahr. Denn die Vorstellung der Erlangung von Fähigkeiten und Kenntnissen „bequem von Zuhause“ täuscht mitunter darüber hinweg, dass diese Form des Unterrichts in 1607

Wassermann, jurisPR-BGHZivilR 1/2010 Anm. 3. Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 3. 1609 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 12; Bülow, NJW 1993, 2837, 2838; zu den Unterrichtsmitteln näher Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 5 f. 1610 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 11 f.; Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 4. 1611 Vennemann, FernUSG, § 4 Rn. 3. 1612 Vennemann, FernUSG, Einleitung Rn. 8; Fischer, Widerrufsrecht, S. 33; Fischer, VuR 2002, 193, 194. 1613 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 238. 1614 Insofern stellt Fischer zutreffend fest, dass dem Teilnehmer ein Preis-LeistungsVergleich bei Fernunterrichtsverträgen oftmals nicht möglich ist, Fischer, VuR 2002, 193, 194; in diesem Sinne auch Fischer, Widerrufsrecht, S. 33. 1615 Vennemann, FernUSG, Einleitung Rn. 8. 1616 Fischer, VuR 2002, 193, 194; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 239; Fischer, Widerrufsrecht, S. 33. 1608

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der Regel gleichwohl zeitintensiv ist und kognitive Anstrengungen erfordert.1617 Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Teilnehmer vor Vertragsschluss oft nicht richtig beurteilen kann, ob sich die Vorteile, die er sich von dem Vertrag verspricht, wirklich realisieren lassen.1618 Dieses Problem besteht unabhängig vom Inhalt der vermittelten Fähigkeiten und Kenntnisse. Insofern ist eine weite Auslegung dieser Voraussetzungen zutreffend, nach der alle Arten von Verträgen, die die entsprechenden Risiken bergen, erfasst werden.1619 In der Regel lässt sich die Qualität und Eignung der Unterrichtsmedien erst nach der ersten Lieferung der Originalmaterialien beurteilen.1620 Mitunter wird dem Lernenden auch erst zu diesem Zeitpunkt, nämlich wenn er das Unterrichtsmaterial „in der Hand hält“, bewusst, dass die Erlangung der Kenntnisse und Fähigkeiten nicht bereits durch die Zurverfügungstellung des Materials erreicht wird, sondern in der Regel eben auch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Material erforderlich ist.1621 Stellt sich das gelieferte Material als für den Lernenden wegen der Qualität, der Ausgestaltung oder wegen mangelnder zeitlicher oder kognitiver Ressourcen als zur Erlangung der gewünschten Kenntnisse und Fähigkeiten unbrauchbar heraus, verliert der Teilnehmer das Interesse am Fernunterrichtsvertrag.1622 An die Stelle des Bestandsinteresses tritt dann mitunter ein Lösungsinteresse, sofern der Teilnehmer sich zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet hat. Denn sollte sich herausstellen, dass der Fernunterrichtsvertrag nicht zur Erreichung des Ziels des Teilnehmers geeignet ist, wird er ein Interesse daran haben für den Fernunterricht kein Entgelt leisten zu müssen.1623 Handelt es sich um einen unentgeltlichen Fernunterrichtsvertrag, besteht insofern ein geringeres Schutzbedürfnis des Teilnehmers.1624 Das objektivierte Lösungsinteresse des Teilnehmers bei Fernunterrichtsverträgen folgt also zusammenfassend daraus, dass der Teilnehmer wegen der fehlenden Überprüfbarkeit von Qualität und Eignung des fraglichen Lehrgangs in Kombination mit der von Fernunterrichtsverträgen ausgehenden Verlockung vor Vertragsschluss nicht hinreichend abschätzen kann, ob er den erhofften Nutzen, 1617 In diesem Sinne wohl auch BT-Drucks. 7/4245 S. 12 wonach die bislang geltenden Rechtsvorschriften als nicht hinreichend angesehen wurden, da sie „nicht die besondere Situation eines Fernunterrichtsinteressenten [berücksichtigten], der immer Schwierigkeiten haben wird seine eigenen Fähigkeiten [. . .] einzuschätzen“ und S. 15, wonach das Widerrufsrecht es dem Teilnehmer ermöglichen soll zu prüfen, ob „er in der Lage sein wird, den Anforderungen des Fernlehrgangs gerecht zu werden“. 1618 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 140; Fischer, Widerrufsrecht, S. 33. 1619 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 10. 1620 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 140. 1621 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 140. 1622 Fischer, VuR 2002, 193, 194. 1623 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 140. 1624 Faber/Schade/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 7.

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den er sich für die Zahlung des Kursentgelts verspricht, auch realisieren kann.1625 Stellt er nach der ersten Lieferung des Lehrmaterials fest, dass dies nicht der Fall ist, tritt grds. ein Lösungsinteresse an die Stelle des Bestandsinteresses.1626 Das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse hat bei Fernunterrichtsverträgen also seine Ursache darin, dass der Vertrag aus Sicht des Teilnehmers wegen Umständen, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorlagen, unerwünscht ist.1627 II. Die gesetzgeberische Interessenabwägung beim Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG Wie gezeigt wurde, wird im Rahmen des § 4 FernUSG unterstellt, dass die Teilnehmer bei Verträgen über die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten bei räumlicher Trennung von Lehrenden und Lernenden, regelmäßig erst nach dem Vertragsschluss, nämlich bei Lieferung des ersten Lehrmaterials, in der Lage, sind sich ausreichend über Qualität und Eignung des Lehrganges zu informieren, weshalb an die Stelle des ursprünglichen Bestandsinteresses letztlich ein Lösungsinteresse tritt. Das Lösungsrecht soll den Teilnehmern also vornehmlich die Möglichkeit geben, sich eine konkrete Vorstellung vom Ausmaß des durch den Vertrag eingegangenen Verwendungsrisikos zu verschaffen.1628 Gleichwohl ist die Lösungsmöglichkeit auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen eine Überwachung des Lernerfolgs zumindest vereinbart wurde. Das Lösungsinteresse soll sich dementsprechend nicht gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen, wenn der Vertrag sich ausschließlich auf Lernmittel beschränkt, die auf den Selbstunterricht ausgerichtet sind.1629 Diese Differenzierung lässt sich damit rechtfertigen, dass Verträge über Materialien zum ausschließlichen Selbstunterricht in der Regel von geringerem wirtschaftlichen Umfang sind, denn sie betreffen häufig nur den Kauf von entsprechenden Büchern oder programmierten Unterweisungen.1630 Da sich der Vertragspartner hier nicht zur Lernerfolgskontrolle verpflichtet hat,1631 sind derartige Verträge in der Regel deutlich günstiger.1632 Hinzu kommt die Tatsache, dass von Verträgen über Lernmittel zum rei1625 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 139 f.; Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 30. 1626 In diesem Sinne auch Bülow, NJW 1993, 2837, 2838, der Anliegen des Gesetzes als Möglichkeit zur Korrektur einer falschen Prognose über Eignung und Fähigkeit des Lernenden zur Teilnahme am Fernunterricht beschreibt. 1627 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 66. 1628 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 140. 1629 Wassermann, jurisPR-BGHZivilR x1/2010, Anm. 3. 1630 BT-Drucks. 7/4245 S. 14. 1631 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 4. 1632 Zu den Kosten von Fernunterrichtsverträgen im Einzelnen Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 10.

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nen Selbstunterricht eine geringere Verlockungsgefahr ausgeht, weil hier die Notwendigkeit der intensiven Auseinandersetzung mit dem Material stärker im Bewusstsein des Lernenden stehen dürfte. Die Beschränkung auf die Vermittlung des Fernunterrichtsstoffes auf vertraglicher Grundlage basiert im Wesentlichen auf der Überlegung, dass „die öffentliche Hand den Schutz des Teilnehmers sicherstellt“.1633 Sofern allerdings eine juristische Person öffentlichen Rechts als Anbieter einen Fernunterrichtslehrgang auf vertraglicher Grundlage anbietet, werden die Verträge vom Fernunterrichtswiderrufsrecht nach § 4 FernUSG erfasst.1634 Insoweit wird die Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda also nicht beschränkt. Teilweise wird davon ausgegangen, dass es sich bei § 4 FernUSG um einen Rechtsgrundverweis auf § 355 BGB handelt. Dies würde bedeuten, dass sich das Widerrufsrecht nach § 4 FernUSG, obwohl für die Qualifikation des Vertrags als Fernunterrichtsvertrags nicht notwendig ein Verbraucher als Teilnehmer und ein Unternehmer als Anbieter kontrahieren müssen, auf derartige Konstellationen beschränkt.1635 Nach anderer Ansicht soll es für das Widerrufsrecht aus § 4 FernUSG unerheblich sein, ob es sich um einen Verbrauchervertrag im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB handelt, was bedeuten würde, dass der Verweis auf § 355 BGB einen Rechtsfolgenverweis darstellt und dementsprechend etwa auch selbstständig gewerblich oder beruflich tätige Teilnehmer sich auf das Widerrufsrecht berufen können.1636 Eine Beschränkung des Widerrufsrechts auf Verbraucherverträge würde zu einer weiteren Eingrenzung der Lösungsmöglichkeit führen. Unterstellt man, dass es sich bei der Verweisung des § 4 FernUSG um eine Rechtsgrundverweisung handelt, könnte sich das Lösungsinteresse des Teilnehmers des Fernunterrichts nur gegenüber dem Bestandsinteresse des Veranstalters durchsetzen, wenn der Teilnehmer als Verbraucher handelt und der Veranstalter als Unternehmer. Zwar wird der Veranstalter typischerweise Unternehmer nach § 14 BGB sein, dies ist allerdings nicht zwingend.1637 Eine Beschränkung des Lösungsrechts auf Fälle in denen der Anbieter als Unternehmer tätig ist, würde bedeuten, dass das Bestandsinteresse von nichtunternehmerisch tätigen Anbietern von Fernunterrichtsverträgen stärker gewichtet würde als das von unternehmerisch tätigen Anbietern. Warum unternehmerische Anbieter von Fernunterrichtsverträgen weniger schutzwürdig sein sollen als sonstige Anbieter, scheint hier allerdings kaum 1633 BT-Drucks. 7/4245 S. 13; Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 94. 1634 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 94. 1635 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 413. 1636 AG Aschersleben, Urt. v. 22.08.2006 – 3 C 404/05, BeckRS 2007, 04745 mit Verweis auf Bülow, NJW 1993, 2837. 1637 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 410; in diesem Sinne auch BT-Drucks. 7/4245 S. 11: „Der vornehmlich durch gewerbliche Unternehmen entwickelte und angebotene Fernunterricht [. . .].“

340 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

zu rechtfertigen. Das gilt insbesondere, da das Lösungsrecht im Wesentlichen aus der mangelnden Überprüfbarkeit der Qualität der Materialien folgt. Diese ist auch bei sonstigen Anbietern ebenso schwer möglich und die Gefahren einer geringen Qualität dürften hier sogar größer sein. Da es Anliegen des Gesetzes ist, eine falsche Prognose über Eignung und Fähigkeit des Lernenden zur Teilnahme am Fernunterricht korrigieren zu können, erscheint eine restriktive Auslegung des Gesetzes insoweit nicht geboten.1638 Begründen ließe sich eine derartige Bewertung allenfalls mit der Überlegung, dass bei unternehmerisch tätigen Anbietern die Verlockungsgefahren des Fernunterrichts größer sind, weil diese ihr Produkt oftmals entsprechend anpreisen. Was die Beschränkung der Lösungsmöglichkeit dahingehend, dass sie nur Verbrauchern zustehen soll, betrifft, ließe sich zur Rechtfertigung auf die bei Verbrauchern unterstellte geringere geschäftliche Erfahrung verweisen.1639 Allerdings besteht für alle Interessenten an Fernunterrichtsverträgen die Schwierigkeit die Qualität des Lehrgangs vor Erhalt der ersten Lieferung der Materialen konkret zu beurteilen gleichermaßen. Auch soweit es den fehldenden Maktüberblick betrifft werden unternehmerische Teilnehmer häufig ebensowenig vom Markt für Fernunterrichtsverträge verstehen, wie Verbraucher. Allenfalls lässt sich sagen, dass geschäftlich unerfahrene Personen besondere Schwierigkeiten haben, aus den sonstigen Umständen auf die Seriosität und damit auch auf die Qualität der Materialien zu schließen. Dies scheint zu einer Differenzierung zwischen dem Löungsinteresse von Verbrauchern und Unternehmern indes nicht ausreichend. Im Ergebnis müsste das Widerrufsrecht also selbst dann zur Anwendung kommen, wenn der Teilnehmer Unternehmer ist. Die Verweisung auf § 355 BGB ist demnach zutreffend als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen. Neben den soeben dargestellten individualschützenden Überlegungen zugunsten des Fernunterrichtsteilnehmers dient das Fernunterrichtswiderrufsrecht darüber hinaus auch dem Kollektivgut „Bildung“.1640 Mit den besonderen Regelungen zum Fernunterricht hat der Gesetzgeber versucht das kollektive Rechtsgut „Bildung“ zu schützen, indem durch das Widerrufsrecht des Teilnehmers das Bildungsangebot „Fernunterricht“ in qualitativer Hinsicht verbessert wird.1641 Denn gerade für den Fernunterricht wurde die Gefahr gesehen, dass ein enttäuschter Bildungswilliger auch von zukünftigen (Fort-)Bildungsmaßnahmen absehen könnte.1642 Insofern fließen in die Interessenabwägung beim Fernunterrichtswiderrufsrecht auch Gemeinwohlinteressen ein, aus denen sich die geringere Ge1638

Bülow, NJW 1993, 2837, 2837. s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.2. 1640 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 92; Bülow, NJW 1993, 2837, 2839. 1641 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 92. 1642 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 92. 1639

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

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wichtung des Bestandsinteresses rechtfertigt. Zudem legt der Gesetzgeber auch hier klar typisierende Vermutungen zugrunde, um so Rechtssicherheit zu schaffen und dadurch die gesamtwirtschaftlichen Kosten entsprechender Verträge zu reduzieren. Dies stellt einen weiteren Faktor dar, wegen dem das Bestandsinteresse in der Abwägung zugunsten von Allgemeinwohlinteressen zurücktreten muss. Das Widerrufsrecht besteht nach §§ 4 FernUSG, 355 Abs. 3, 356 Abs. 1 Nr. 1 c) BGB grds. 14 Tage ab dem Zeitpunkt, ab dem der Lernende die erste Lieferung des Fernunterrichtsmaterials erhalten hat. Besonderheiten bestehen nach § 9 FernUSG: Sofern zulässigerweise ein gemischter Vertrag geschlossen wird, bei dem bezüglich der Lieferung einer beweglichen Sache (die nicht Teil des Fernunterrichtsmaterials ist) eine Teilzahlung vereinbart wird, soll sich die Widerrufsfrist für die bewegliche Sache nach § 356b BGB ergeben. Eine solche Vertragsgestaltung hat bisher jedoch, soweit ersichtlich, keine praktische Relevanz.1643 Die abweichende Anknüpfung an den Zeitpunkt der ersten Lieferung an Stelle des Vertragsschlusses trägt dabei dem Sinn und Zweck des Widerrufsrechts Rechnung, denn erst ab diesem Zeitpunkt ist die Möglichkeit zur Prüfung der Qualität des Unterrichtsmaterials und somit der Beseitigung des Informationsdefizits, aus dem das objektivierte Lösungsinteresse folgt, möglich. Auch im Übrigen gelten die Vorgaben des § 356 BGB entsprechend, sodass auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des Widerrufsrechts von Außergeschäftsraumverträgen verwiesen werden kann.1644 III. Beurteilung der Regelung zum Widerrufsrecht von Fernunterrichtsverträgen nach § 4 FernUSG Mit dem Lösungsrecht wird dem Teilnehmer am Fernunterricht die Möglichkeit eingeräumt, anhand des Originalmaterials des Lehrgangs zu prüfen, ob dieser seinen Erwartungen entspricht und ob diese Lernform für ihn geeignet ist.1645 Das objektivierte Lösungsinteresse folgt im Rahmen des Fernunterrichtsvertrags also daraus, dass der tatsächliche Vertrag aus Sicht des Teilnehmers wegen Umständen die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschluss vorlagen – nämlich einer Fehleinschätzung hinsichtlich des Lehrmaterials – unerwünscht ist.1646 Dabei geht das Gesetz davon aus, dass der Teilnehmer von Fernunterrichtsverträgen vor dem Vertragsschluss nicht ausreichend in der Lage ist, sich ein Bild von der Qualität des Materials und der Eignung der Lernform zu machen. Das daraus resultierende Informationsdefizit, aus dem wiederum das Lösungsinte1643 1644 1645 1646

Vennemann, FernUSG, § 9 Rn. 1. s. o., Kapitel 2, § 6, A.I. Vennemann, FernUSG, § 4 Rn. 3. s. o. I.

342 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

resse des Teilnehmers folgt, ist dem Anbieter jedoch nicht zurechenbar.1647 Erst recht ist dem Anbieter keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Zudem handelt es sich bei der Annahme des Informationsdefizits um eine stark generalisierende Betrachtung. Das Bestandsinteresse des Veranstalters unterliegt deshalb auch dann gegenüber dem Lösungsinteresse des Teilnehmers, wenn der Teilnehmer sich im konkreten Einzelfall vor Vertragsschluss ein gutes Bild von der Qualität und der Eignung des Lehrgangs verschaffen konnte und aus anderen Gründen als enttäuschter Erwartungen vom Vertrag zurücktreten möchte.1648 Die daraus folgende Geringergewichtung des Bestandsinteresses wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass mit der Voraussetzung einer Lern- und Erfolgskontrolle eine Beschränkung der Lösungsmöglichkeit auf für den Teilnehmer wirtschaftlich bedeutsame Fälle vorgesehen ist. Zum einen wird durch das Fernunterrichtswiderrufsrecht nichts desto trotz noch ein sehr weites Feld an Verträgen erfasst. Zum anderen handelt es sich bei dieser Voraussetzung ebenfalls um eine Typisierung. Nicht nur können auch solche Fälle, in denen der Vertrag ausschließlich auf das Selbststudium ausgerichtet ist, ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht haben, sondern es besteht auch die Möglichkeit, dass im Einzelfall auch Verträge mit geringem wirtschaftlichen Gewicht eine individuelle Lernerfolgskontrolle vorsehen und dementsprechend grundsätzlich ein Lösungsrecht in Betracht kommt. Dies gilt umso mehr, wenn man mit dem BGH von einer weiten Auslegung des Begriffs der Lernerfolgskontrolle ausgeht. Auch mit der Voraussetzung der individuellen Lernerfolgskontrolle wird also letztlich nicht sichergestellt, dass die dem Lösungsrecht zugrunde liegenden Interessenbewertungen im konkreten Fall auch zutreffend sind. Dass sich hier das Lösungsinteresse auch dann gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen kann, obwohl eine derartige Interessenbeurteilung im Einzelfall nicht gerechtfertigt ist, verstärkt den Eindruck, dass dem Bestandsinteresse bei Fernunterrichtsverträgen generell betrachtet ein geringes Gewicht zugemessen wird. Dagegen spricht auch nicht die zeitliche Beschränkung der Schwebephase durch die nach § 4 FernUSG vorgesehene entsprechende Anwendbarkeit des § 356 BGB. Geht man davon aus, dass es sich bei der Verweisung in § 4 FernUSG um eine Rechtsgrundverweisung handelt, wäre das Widerrufsrecht auf Verbraucherverträge beschränkt. Bei einer derartigen Einschränkung des Anwendungsbereichs wäre das Bestandsinteresse des Veranstalters von Fernunterrichtsverträgen jedenfalls dann gegenüber dem Lösungsinteresse des Teilnehmers bevorzugt, wenn es sich beim Veranstalter ausnahmsweise nicht um einen Unternehmer bzw. beim Teilnehmer nicht um einen Verbraucher handelt. Anders formuliert hätte die Annahme, dass es sich bei der Verweisung in § 4 FernUSG um eine Rechtsfolgenverweisung handelt, zur Konsequenz, dass das Bestandsinteresse in mehr Fällen 1647 1648

A. A. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 21; vgl. hierzu aber Kap. 2., Fn. 1169. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 66.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

343

gegenüber dem Lösungsinteresse zurücktreten muss. Geht man also von einer Rechtsgrundverweisung aus, würde dies einen höheren Stellenwert des Bestandsinteresses im Zusammenhang mit Fernunterrichtsverträgen bedeuten. Aber selbst wenn man den § 4 FernUSG als Rechtsgrundverweisung versteht, käme es jedenfalls zu der bereits zuvor kritisierten starken Typisierung, da dann auf die Parteirollen als Verbraucher bzw. Unternehmer abgestellt wird um Konstellationen zu beschreiben, in denen die Umstände vorliegen sollen, die eine entsprechende Interessenbewertung rechtfertigen. Die Typisierung hätte auch im Rahmen des Fernunterrichts zur Folge, dass im Einzelfall nicht sichergestellt wird, dass die Umstände, aus denen ein Überwiegen des Lösungsinteresses folgt, hinsichtlich des konkreten Vertrags auch tatsächlich vorliegen. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das FernUSG nicht auf die konkrete Schutzbedürftigkeit des Teilnehmers im jeweiligen Einzelfall abstellt. Die ausgeprägte Typisierung dient der Rechtssicherheit, die wiederum gesamtökonomische Vorteile bringt. Das konkrete Bestandsinteresse im Einzelfall tritt hinter die Wohlfahrtsüberlegungen zurück, sodass hierdurch auch zum Ausdruck kommt, dass das generelle Bestandsinteresse im Rahmen des Fernunterrichtswiderrufsrechts ebenfalls von eher geringem Gewicht ist. Die gesetzgeberische Entscheidung für die Gewährung des insgesamt umfangreichen Lösungsrechts bei Fernunterrichtsverträgen hat einen bildungspolitischen Hintergrund.1649 Der Gesetzgeber hat befürchtet, dass Personen, die bei Abschluss des Fernunterrichtsvertrags eine Fehlentscheidung getroffen haben, durch eine uneingeschränkte Bindung an den Vertrag letztlich künftig von einem Fernlehrgang und gegebenenfalls sogar von jedem weiteren Bildungsversuch Abstand nehmen könnten.1650 Die Lösungsmöglichkeit des § 4 FernUSG dient dementsprechend nicht allein dem Ausgleich der Individualinteressen der am konkreten Vertrag beteiligten Personen, sondern soll auch im Interesse der Allgemeinheit das Rechtsgut Bildung schützen.1651 Dieser Schutz des Rechtsgutes Bildung wird letztlich durch die in § 4 FernUSG eingeräumte Lösungsmöglichkeit des einzelnen Teilnehmers erreicht.1652 Die generell in § 4 FernUSG zum Ausdruck kommende Bevorzugung des Lösungsinteresses gegenüber dem Bestandsinteresse ist also dem mit dem FernUSG verfolgten Kollektivschutz geschuldet. Anders ausgedrückt muss das Bestandsinteresse der einen Vertragspartei zugunsten des Allgemeininteresses gegenüber dem Lösungsinteresse der anderen Vertragspartei zurücktreten. Insofern kommt auch hier eine sehr geringere Gewichtung des allgemeinen Bestandsinteresses zum Ausdruck. 1649

Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 141. Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 141 im Verweis auf BT-Drucks. 7/4245 S. 13. 1651 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 92. 1652 Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fernunterrichtsschutzgesetz, S. 92. 1650

344 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

H. Zusammenfassende Beurteilung der untersuchten Widerrufsrechte Die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses liegt bei allen hier untersuchten Widerrufsrechten in den Umständen, die den Vertragsschluss begleiten.1653 Sei es, die Gefahr, dass der Lösungsberechtigte überrumpelt wurde, sei es die Gefahr, dass der Vertrag ihn intellektuell überfordert hat1654 – in jedem Fall handelt es sich um Umstände, die bereits beim Vertragsschluss vorlagen und den Vertrag deshalb aus rückblickender Betrachtung für den Lösungsberechtigten von Anfang an unerwünscht erscheinen lassen. Nach der Einteilung von Lorenz handelt es sich damit um (anfänglich) unerwünschte Verträge.1655 Eine Pflichtverletzung des Lösungsgegners ist in keinem der Widerrufsfälle vorausgesetzt.1656 Die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses ist dem Lösungsgegner darüber hinaus in den überwiegenden Fällen nicht oder nur teilweise zurechenbar.1657 Allenfalls bei Außergeschäftsraum- und Ratenlieferungsverträgen trifft den Unternehmer in der Regel die alleinige Verantwortung für die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses. Aber selbst dort ist dies nicht in jedem Fall zutreffend: Man denke etwa an Fälle, in denen der Verbraucher den Unternehmer (ohne dass es um dringenden Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten nach § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 11 BGB geht) zu sich bestellt hat. Der psychische Druck, der ein Lösungsrecht in diesen Konstellationen rechtfertigen mag, folgt dann im Wesentlichen daraus, dass der Verbraucher den Unternehmer zu sich bestellt hat und ist damit nicht dem Unternehmer zurechenbar. Insgesamt lässt sich die Auffassung Mankowskis, nach der das Widerrufsrecht des Verbrauchers eine Sanktion gegen den Unternehmer sei, indem es dem Unternehmer die durch aggressive oder verdächtige Praktiken gewonnenen Vorteile entzieht,1658 in dieser Pauschalität also nicht bestätigen.1659 Weitergehende Umstände, aus denen sich eine geringere Gewichtung des konkreten Bestandsinteresses des Widerrufsgegners ergeben, sind in keinem der dargestellten Fälle erforderlich. Sofern besondere Umstände vorausgesetzt werden, 1653 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 249; Kohler, AcP 2008, 417, 431. 1654 Vgl. Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 240. 1655 Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 330. 1656 Das Widerrufsrecht ist vielmehr, wie Benecke feststellt, „tatbestandslos“, Benecke, ZIP 2016, 1897, 1897. 1657 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1064; Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 348. 1658 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 882 mit Verweis auf OLG Brandenburg, Urt. v. 17.06. 997 – 6 U 302/96, MDR 1998, 206, 207. 1659 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 105; dafür, dass der widerrufsauslösende Umstand keinesfalls ein unkorrektes Verhalten des Unternehmers sein braucht, bereits für das AbzG Scholz, MDR 1974, 969, 972.

§ 6 Das objektivierte Lösungsinteresse im Widerrufsrecht

345

die eine stärkere Berücksichtigung des Lösungsinteresses rechtfertigen, sind diese in stark typisierender Weise in Form der Verbrauchereigenschaft umschrieben.1660 Bei Fernabsatz- und Fernunterrichtsverträgen lässt sich selbst aus der Verbrauchereigenschaft des Lösungsberechtigten keine Rechtfertigung für eine besondere Gewichtung des Lösungsinteresses herleiten. Abgesehen vom Widerrufsrecht bei Ratenlieferungsverträgen fließen bei den hier behandelten Widerrufsfällen zudem Gemeinwohlinteressen (in der Regel die Förderung des Binnenmarktes, beim Fernunterrichtswiderrufsrecht der Schutz des Kollektivguts Bildung) in die gesetzgeberische Interessenabwägung ein.1661 Das Bestandsinteresse des Lösungsgegners muss in diesen Fällen auch zugunsten der Allgemeinheit hinter das Lösungsinteresse des Lösungsberechtigten zurücktreten.1662 Zudem basieren die gesetzgeberischen Wertungen in den dargestellten Widerrufsrechten auf weitreichenden, der wirtschaftlichen Effizienz dienenden Typisierungen.1663 Damit tritt die Einzelfallgerechtigkeit stark in den Hintergrund und es ist vielfach möglich, dass einer Vertragspartei ein Lösungsrecht zugestanden wird, obwohl die Umstände, die der gesetzgeberischen Interessenabwägung zugrunde liegen, im Einzelnen nicht vorliegen. So stellt der BGH mit Hinweis auf das Fehlen einer Begründungspflicht für den Widerruf fest, dass es allein dem freien Willen des Verbrauchers überlassen sei, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft.1664 Alles in Allem ist im Rahmen der untersuchten Widerrufsrechte ein sehr geringes bis relativ geringes Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses auszumachen.1665

1660

Koch, GPR 2014, 128, 134. In diesem Sinne auch Lederer, NJOZ 2011, 1833, 1837. 1662 Gärtner, JZ 1992, 73. 1663 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 249. 1664 Urt. v. 16.3.2016 – VIII ZR 146/15, NJW 2016, 1951. 1665 Insoweit zutreffend von einer Relativierung des Grundsatz pacta sunt servanda spricht Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 239 f.; in diesem Sinne wohl auch Lorenz, der von einem „Risiko gelockerter Vertragsbindung“ spricht, die dem Widerrufsgegner auferlegt wird, Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 350. 1661

346 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

§ 7 Zusammenfassung der Ergebnisse zu dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Lösungsinteresse und den hinter den Lösungsrechten stehenden Wertungen Zwischen den Rücktritts- und den Widerrufsrechten lassen sich entsprechend der oben erfolgten Ausführungen wesentliche Unterschiede feststellen: 1. Während es in den Rücktrittsfällen nicht zu einer Vertragsauflösung gekommen wäre, wenn der Vertrag so durchgeführt worden wäre, wie von den Parteien vereinbart,1666 liegt das Lösungsinteresse bei den Widerrufsrechten in Umständen, die bereits beim Vertragsschluss vorgelegen haben.1667 Bei den Widerrufsfällen ist das Lösungsinteresse bei Vertragsschluss angelegt und tritt nicht wie bei den Rücktrittsfällen erst durch äußere Umstände hinzu.1668 Entsprechend der Differenzierung von Lorenz1669 in „unerwünschte“ und „bereute“ Verträge handelt es sich bei den Rücktrittsfällen um bereute Verträge.1670 Bei den Widerrufsrechten handelt es sich nach der Einteilung von Lorenz1671 hingegen um unerwünschte Verträge.1672 Das Widerrufsrecht reagiert auf Störungen in der Entscheidungsfreiheit, während das Rücktrittsrecht auf Störungen in der Vertragsdurchführung reagiert.1673 Nach der Definition von Mankowski sind Widerrufsrechte damit als Beseitigungsrechte zu qualifizieren,1674 deren materiale Legitimierung die Selbstbestimmung des Erklärenden ist.1675 Materiale Legitimierung der Rücktrittsrechte liegt hingegen in der tatsächlichen Störung des Äquivalenzverhältnisses bei der Vertragsdurchführung,1676 sodass sie nicht unter die Kategorie der Beseitigungsrechte fallen. Dementsprechend unterscheiden sich die Rücktritts- und Widerrufsrückabwicklung im Detail auch hinsichtlich der Ziele. Der Rücktritt soll dem Lösungsberechtigten durch den bereuten Vertrag eingeschränkte Dispositionsfreiheit zurückgewähren.1677 Sofern der Zweck des Rücktritts von der wohl 1666

Jaeger, AcP 2013, 507, 511. Kohler, AcP 2008, 417, 431. 1668 Mesch, VuR 2015, 251, 257. 1669 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 2 f.; Lorenz, in: Schulze/ Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 337. 1670 Hierzu bereits oben, § 5, J. 1671 Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 333. 1672 Hierzu bereits oben, § 6, H. 1673 Reiner, AcP 2003, 1, 27. 1674 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 15, 18. 1675 Picker, ZfA 1981, 1, 33 f. 1676 Picker, ZfA 1981, 1, 33 f. 1677 Stoll, AcP 1929, 141, 166 f. 1667

§ 7 Zusammenfassung der Ergebnisse

347

überwiegenden Ansicht als Herstellung des Zustands, wie er nach Vertragsschluss, aber vor dem Leistungsaustausch bestanden hat, beschrieben wird,1678 ist dies zwar inhaltlich zutreffend, aber erklärungsbedürftig. Auch und gerade die Beseitigung der bereits vor dem Leistungsaustausch bestehenden vertraglichen Bindung ist notwendig, damit der Rücktrittsberechtigte die erwünschte Dispositionsfreiheit zurück erlangt.1679 Andererseits ist das vom Rücktrittsberechtigten durch den Vertrag indizierte vermögensmäßige Ergebnis nicht zu beanstanden und bedarf insoweit zur Befriedigung seines Lösungsinteresses grundsätzlich keiner Revision.1680 Die häufig verwendete Formel, Ziel des Rücktritts sei die Herstellung des status quo ante contractum, also die Herstellung des Zustands wie er vor dem Vertragsschluss bestanden hat,1681 ist hingegen unzutreffend. Sie geht zurück auf die Leitidee des Rücktritts vor der Schuldrechtsmodernisierung, wo sich der Gesetzgeber primär am vertraglichen Rücktrittsrecht orientierte.1682 Auf den nunmehr primär am gesetzlichen Rücktrittsrecht orientierten Rücktritt lässt sich dies nach dem oben erfolgen Feststellungen hingegen nicht übertragen. Mit der Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrechts will sich die berechtigte Partei die Verbindlichkeit des Vertrags unter bestimmten Umständen gerade offenhalten (Stichwort „Reuerecht“), sodass es hier durchaus angebracht sein kann, die Partei vollständig von den Konsequenzen des Vertragsschlusses zu befreien – also den Zustand von vor dem Vertragsschluss herzustellen. Anders hingegen bei den gesetzlichen Rücktrittsrechten, die grds. lediglich die Wiederherstellung der Dispositionsfreiheit des Berechtigten dienen.1683 Hierzu ist aber nicht die Wiederherstellung des Zustands von vor dem Vertragsschluss, sondern lediglich des Zustands von vor dem Leistungsaustausch erforderlich. Der Widerruf soll die Gefahr einer Beeinträchtigung der materialen Willensfreiheit des Lösungsberechtigten beseitigen,1684 welche aus der Bindung an den unerwünschten Vertrag resultiert.1685 Hier ist also auch das vertraglich indizierte vermögensmäßige Ergebnis zur vollständigen Befriedigung des gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresses erforderlich. Anders als

1678 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5; Döll, Rückgewährstörungen, S. 51; Linardotos/Russmann, JA 2013, 861, 861; Bartels, AcP 2015, 203, 212. 1679 Stoll, AcP 1929, 141, 154. 1680 So stellt Jaeger, unter Bezugnahme auf Stoll, zutreffend fest, dass das Verhältnis der Parteien von der ursprünglichen Vertragsabrede weiterhin beeinflusst sei, Jaeger, AcP 2013, 507, 511. 1681 So etwa Gaier, WM 2002, 1, 4; Hütte, Gefahrverteilung und Schadensersatz im Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 13. 1682 Stoll, AcP 1929, 141, 165. 1683 s. o. § 5, J. 1684 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 247. 1685 von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1366 ff.

348 Kap. 2: Reichweite der materiellen Identität zwischen Rücktritt und Widerruf

der Rücktritt zielt der Widerruf also tatsächlich auf die Herstellung des status quo ante contractum.1686 2. Bei den Rücktrittsrechten sind die Ursachen des Lösungsinteresses – mit Ausnahme des Rücktrittsrechts wegen Störung der Geschäftsgrundlage – der Partei mit dem Bestandsinteresse zurechenbar. In den überwiegenden Fällen handelt es sich sogar um (objektive) Pflichtverletzungen dieser Partei.1687 Bei den untersuchten Widerrufsrechten lässt sich die Ursache des Lösungsinteresses allenfalls beim Außergeschäftsraum- und Ratenlieferungswiderrufsrecht ausschließlich dem Widerrufsgegner zurechnen. Im Rahmen der übrigen Widerrufsrechte sind dem Widerrufsgegner die Umstände, die das Lösungsinteresse begründenden, hingegen nur teilweise (Verbraucherkredit- und Teilzeitwohnrechtewiderrufsrecht) oder überhaupt nicht (Fernabsatz- und Fernunterrichtswiderrufsrecht) zurechenbar. Die Intensität einer Pflichtverletzung erreicht auch ein etwaiges zurechenbares Verhalten des Widerrufsgegners jedoch in keinem Fall. 3. Während die Rücktrittsrechte im Rahmen der Interessenabwägung über das „Ob“ der Vertragsloslösung vornehmlich die Interessen der am Vertrag beteiligten Parteien berücksichtigen, fließen in die Interessenabwägung bei den Widerrufsrechten an dieser Stelle regelmäßig auch Gemeinwohlinteressen (wie etwa Stärkung des Binnenmarktes1688 oder Schutz der Bildung1689) ein. An dieser Stelle mag man einwenden, dass auch die Aufrechterhaltung von bestehenden Vertragsbeziehungen – wie dies etwa durch den Vorrang der Nacherfüllung geschieht – grundsätzlich im Gemeinwohlinteresse liegen, da hierdurch etwa gesamtwirtschaftlich ungünstige Rückabwicklungen vermieden werden. Damit spielen Wohlfahrtsgewinne durch die Aufrechterhaltung von Verträgen im Rahmen der Interessenabwägung also auch beim Rücktritt durchaus eine Rolle. Derartige Gemeinwohlerwägungen sprechen jedoch immer für den Grundsatz pacta sunt servanda und sind somit bei der Interessenabwägung jeder seiner Ausnahmen zu berücksichtigen – also sowohl beim Rücktritt als auch beim Widerruf.1690 Im Rahmen des Rücktritts spielen sie allerdings – wie oben gezeigt – allenfalls eine untergeordnete Rolle. Primär legt der Gesetzgeber hier die konkreten Interessen der Parteien zugrunde. Bei den Widerrufsrechten wird für die Entscheidung für ein Lösungsrecht hingegen überwiegend auch auf außerhalb der konkreten Vertragsbeziehung ste1686

Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5. Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 348. 1688 Vgl. hierzu auch Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 111: „[Der europäisch veranlasste] Verbraucherschutz dient der Förderung privater Nachfrage [. . .].“ 1689 s. o., Kapitel 2, § 6, G.II. 1690 Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 348. 1687

§ 7 Zusammenfassung der Ergebnisse

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hende Interessen Rücksicht genommen.1691 Zweck des Widerrufs ist es somit nicht nur einem im konkreten Fall für vorrangig erachteten Lösungsinteresse abzuhelfen. Dementsprechend kommt dem abstrakten Bestandsinteresse beim Widerruf ein geringeres Gewicht zu. 4. Anders als in den Rücktrittsfällen wird in den Widerrufsfällen durch die jeweiligen Voraussetzungen nicht sichergestellt, dass das Lösungsrecht sich auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen das Lösungsinteresse seinen Ursprung in der der gesetzgeberischen Wertung zugrunde liegenden Konstellation hat.1692 Vielmehr wird bei den Widerrufsrechten aus Gemeinwohlerwägungen stark verallgemeinert.1693 Auch insoweit fließen also außerhalb der konkreten Vertragsbeziehung stehende Interessen mit in die gesetzgeberische Interessenabwägung ein. Im Rahmen des Rücktrittsrechts hat die Einzelfallgerechtigkeit dementsprechend einen deutlich höheren Stellenwert. Da die Verallgemeinerungen im Rahmen der Widerrufsrechte überwiegend zulasten des Lösungsgegners gehen, lässt sich auch insofern ein geringeres Gewicht des abstrakten Bestandsinteresses bei den Regelungen über die Widerrufsrechte konstatieren. 5. Bei den Rücktrittsrechten kann sich das Lösungsinteresse zudem grundsätzlich nur unter zusätzlichen hohen Hürden gegenüber dem Bestandsinteresse durchsetzen. Bei den Widerrufsrechten konnten entsprechend strenge Anforderungen nicht nachgewiesen werden. Auch hier kommt also im Vergleich mit den Rücktrittsrechten eine geringere Gewichtung des abstrakten Bestandsinteresses bei den Widerrufrechten zum Ausdruck. Insgesamt kommt dem abstrakten Bestandsinteresse in den Fällen der Rücktrittsrechte ein relativ hoher bis sehr hoher Stellenwert zu, während der Stellenwert des abstrakten Bestandsinteresses in den Widerrufsfällen lediglich sehr gering bis relativ gering ist. Somit lässt sich festhalten, dass das Gewicht, dass dem abstrakten Bestandsinteresse zugemessen wird in den Rücktrittsfällen deutlich über demjenigen der Widerrufsfälle liegt.

1691 1692 1693

HK-BGB/Schulze, § 355 Rn. 1. Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 236 f. von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1368.

Kapitel 3

Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite, ihre Legitimation und die daraus folgenden Konsequenzen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Entkopplung § 8 Auswirkungen auf den Vertrag, insbesondere die vertraglichen Erfüllungspflichten Die zuvor festgestellten Unterschiede zwischen den Rücktritts- und Widerrufsrechten können indes nicht pauschal zur Rechtfertigung von Abweichungen auf der Rechtsfolgenebene herangezogen werden. Denn wie bereits der BFH erkannt hat, ist mit Feststellung eines tragfähigen Unterscheidungsgrundes „noch nicht gesagt, daß Art und Ausmaß der an die Unterscheidung geknüpften Rechtsfolgen durch den Unterscheidungsgrund gerechtfertigt“ werden.1 Insofern gilt es nun die Rechtsfolgen des Rücktritts und Widerrufs zu untersuchen, um zu bestimmen, wo sie inhaltliche Abweichungen aufweisen und inwieweit diese durch die oben aufgezeigten Unterschiede gerechtfertigt sind. In diesem Zusammenhang sollen die inhaltlich identischen und die inhaltlich eigenständigen Teile zugleich in den Kontext der Rechtsinstitute – also hinsichtlich ihrer Nähe zum Kern der Regelung – eingeordnet werden. Hierbei werden zur Vereinfachung drei Ebenen unterschieden: Der Kernbereich (als die den unmittelbaren Regelungskern betreffende und damit gewichtigste Ebene), der Mittelbereich (die sich dem Kernbereich anschließende Ebene) und die Peripherie (als die am weitesten vom Regelungskern entfernte und damit für die Beurteilung der formellen Identität unwichtigste Ebene). Der Rücktritt hat nach heute absolut überwiegender Auffassung zur Folge, dass sich das Vertragsverhältnis (ex nunc) vom ursprünglichen Erfüllungsvertrag zu einem Rückgewährschuldverhältnis wandelt.2 Mit der Umwandlung des Erfüllungsvertrags in das Rückgewährschuldverhältnis erlöschen die noch nicht erfüll1 BFH, Beschl. v. 19.07.1972 – II B 11/72, BStBl II 1972, 767, 769; zum Umfang der Rechtfertigung von Abweichungen hinsichtlich der Rechtsfolgen durch die festgestellten Unterschieden, auch Kapitel 1, § 2, B.IV. 2 Annuss, JA 2006, 184, 185; Gaier, WM 2002, 1, 2; Derleder, NJW 2005, 2481, 2483 f.; so bereits vor der Schuldrechtsreform Stoll, AcP 1929, 141, 183 f.; Kaiser, Rückabwicklung, S. 69; Büdenbender, AcP 2000, 627, 633; Knops, FS für Derleder, S. 287, 291; Unberath, Vertragsverletzung, S. 371; Stoll, AcP 1929, 141, 149; a. A. Kohler, AcP 2008, 417, 423 ff.; kritisch auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 13 ff.,

§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag/die vertraglichen Erfüllungspflichten

351

ten Primärleistungspflichten der Parteien.3 Für die herrschende dogmatische Grundvorstellung der Rücktrittswirkung spricht, dass das Rücktrittsrecht, wie oben festgestellt, auf Störungen in der Ausführung des zunächst störungsfreien Vertrags reagiert und sich das Interesse des Rücktrittsberechtigten in der Regel bloß auf die Wiedererlangung seiner Dispositionsfreiheit richtet. Das Schuldverhältnis im Grundsatz bestehen zu lassen und lediglich in ein Rückgewährschuldverhältnis umzuwandeln, bei dem die Primärleistungspflichten erlöschen, trägt also einerseits der Tatsache Rechnung, dass der Vertrag störungsfrei zustande gekommen ist und kollidiert andererseits auch nicht mit den für grds. überwiegend erachteten Interessen des Lösungsberechtigten.4 Vor der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie wurde größtenteils angenommen, dass das Widerrufsrecht ein „besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht“ 5 sei. Deshalb wurde weitestgehend davon ausgegangen, dass auch der Widerruf, dem Rücktritt entsprechend, lediglich zur Umgestaltung des in seinem rechtlichen Bestand intakten Schuldverhältnisses führe.6 Der Ansicht, dass das Widerrufsrecht ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht in diesem Sinne darstellt, wurde jedoch bereits vor der Entkopplung von Widerrufs- und Rücktrittsfolgenrecht mit gewichtigen Gründen widersprochen.7 Diese Argumente lassen sich ohne Weiteres auch auf die neue Rechtslage übertragen. Nach § 355 Abs. 1 S. 1 BGB sind die Vertragsparteien nach dem Widerruf nicht mehr an ihre Willenserklärungen gebunden, sodass naheliegt, dass der Widerruf (anders als der Rücktritt) den gesamten Vertrag (ex tunc) und nicht nur – wie etwa Meller-Hannich8

nach dem das Rücktrittsfolgenrecht an Stelle einer vertraglichen eine bereicherungsrechtliche Grundlage hat. 3 Stoll, AcP 1929, 141, 184; Annuss, JA 2006, 184, 185; Gaier, WM 2002, 1, 4; Arnold, Jura 2002, 154, 156; Motsch, JR 2002, 221, 222; Schwab, JuS 2002, 630, 630; Jaensch, ZGS 2004, 134, 138 f.; Döll, Rückgewährstörungen, S. 61 ff.; Kaiser, Rückabwicklung, S. 69; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 12. 4 Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 157; zust. Döll, Rückgewährstörungen, S. 54. 5 BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278; BGH, Urt. v. 17.03. 2004 – VIII ZR 265/03, NJW-RR 2004, 1058 m.w. N.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 159; von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1365; Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 336 („verbraucherschützendes Rücktrittsrecht“); so noch immer etwa Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 9; Bülow/Artz, NJW 2000, 2049, 2052. 6 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 160; Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 234; Knops, FS für Derleder, S. 287, 301; von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1365 zu § 355 BGB-RegE; Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1094; Braun, ZGS 2008, 129, 129. 7 Reiner, AcP 2003, 1, 27 ff.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 33 f., 53 ff.; Fischer, Widerrufsrecht, S. 96 ff.; kritisch auch Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 369; wie Lobinger feststellt, verliere der Streit an Bedeutung, wenn man entgegen der herrschenden Meinung einen bereicherungsrechtlichen Charakter der Rücktrittsfolgen anerkennt, Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 56. 8 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 160.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

annimmt – die primären Leistungspflichten zum Erlöschen bringt.9 Die Annahme, dass der Widerruf lediglich einen ursprünglichen Erfüllungsvertrag in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umwandelt, führt jedenfalls, wie Reiner zutreffend feststellt, „geradezu in eine Sackgasse [. . .] wenn der Unternehmer das Vertragsangebot des Verbrauchers noch überhaupt nicht angenommen hat und deshalb noch kein Vertrag existiert“.10 Auch der ausdrückliche Ausschluss von weitergehenden Ansprüchen des Unternehmers gegen den Verbraucher in § 361 Abs. 1 BGB (vormals in § 357 Abs. 4 BGB a. F.) lässt darauf schließen, dass der Gesetzgeber davon ausging der Widerruf sei kein besonderes Rücktrittsrecht.11 Denn Zweck des Ausschlusses weitergehender Ansprüche war insbesondere der Ausschluss bereicherungsrechtlicher Ansprüche.12 Beim Rücktrittsrecht hat der Gesetzgeber allerdings einen entsprechenden Hinweis für entbehrlich gehalten, da eine Unanwendbarkeit des Bereicherungsrechts wegen der Konzeption des Rückgewährschuldverhältnisses hier für selbstverständlich erachtet wurde.13 Daraus, dass der Gesetzgeber im Widerrufsfolgenrecht die Unanwendbarkeit für besonders erwähnenswert hielt, lässt sich somit schließen, dass dem Widerruf eine andere Konstruktion zugrunde liegt.14 Letztlich stützte sich die Ansicht, nach der der Widerruf ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht darstellt, unter der alten Rechtslage vornehmlich auf die Verweisung des Widerrufsfolgenrechts auf die §§ 346 ff. BGB.15 Mit der vollständig eigenständigen und vom Rücktrittsfolgenrecht losgelösten Regelung des Widerrufsfolgenrechts im Rahmen der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie ist das zentrale Argument für die Auffassung, dass es sich beim Widerruf um ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht handelt, allerdings entfallen.16 Die Ansicht lässt sich allenfalls noch darauf stützen, dass die Rechtsfolgen des Widerrufs im zweiten Buch des BGB nicht im vierten Abschnitt über das Erlöschen von Schuldverhältnissen, sondern im dritten Abschnitt über die Verträge enthalten sind.17 Wie allerdings Döll – wenngleich in Bezug auf das Rücktritts-

9 So bereits nach der alten Rechtslage Reiner, AcP 2003, 1, 30; für eine ex tunc Wirkung des Widerrufs auch Rehberg, VuR 2014, 407, 410; für eine ex nunc Wirkung Fischer, Widerrufsrecht, S. 214. 10 Reiner, AcP 2003, 1, 30; in diesem Sinne auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 54. 11 Reiner, AcP 2003, 1, 35. 12 BT-Drucks. 17/12637 S. 64. 13 Reiner, AcP 2003, 1, 35. 14 Reiner, AcP 2003, 1, 35. 15 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 159; Kohler, JZ 2001, 325, 335; Lorenz, JuS 2000, 833, 835. 16 Dies erkennt auch Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 8. 17 Kaiser, Rückabwicklung, S. 111.

§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag/die vertraglichen Erfüllungspflichten

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recht – zutreffend feststellt, kann aus der systematischen Stellung der Regelungen alleine jedoch kein Argument zugunsten der Umwandlungslösung gewonnen werden, da eine funktionelle Nähe zu den Erlöschenstatbeständen nicht von der Hand zu weisen ist.18 Auch dem Fehlen von Nutzungsersatzpflichten in der Regelung lässt sich engegen der teilweise vertretenen Auffassung19 kein Rückschluss auf die Rechtsnatur des Widerrufs als ex nunc wirkendes besonderes Rücktrittsrecht entnehmen. Denn was den Ausschluss von Nutzungsersatzpflichten des Verbrauchers betrifft, soll damit (vermeintlich) dem Schutzzweck des Widerrufsrechts nachgekommen werden und was etwaige Nutzungsersatzpflichten des Unternehmers anbelangt, hängt deren bestehen gerade von der dogmatischen Einordnung des Nutzungsersatzes ab, sodass der Rückschluss sich hier als Zirkelschluss erweist.20 Teilweise wird die Ansicht, dass das Widerrufsrecht lediglich ex nunc wirkt, auf die Formulierung des § 355 Abs. 1 S. 1 BGB gestützt, nach der die Vertragsparteien im Falle des Widerrufs „an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden“ seien.21 Mankowski, lässt aber auch dieses Argument nicht gelten und wendet ein, dass die Formulierung und der Umstand, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff Widerruf gerade eine Abgrenzung vom Rücktritt vorgenommen hat, vielmehr nahelege, der Widerruf sei nicht als besonderer Rücktritt konzipiert worden.22 Ob der Widerruf als besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht aufgefasst werden kann23 (und dementsprechend lediglich die Umwandlung des Vertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis zur Folge hat), scheint also spätestens seit der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und der damit einhergehenden Entkopplung der Rücktritts- und Widerrufsfolgen fraglich. Eine diesbezügliche Abweichung der dogmatischen Konzeptionen von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht ließe sich mit Blick auf die oben dargestellten Unterschiede zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfällen damit rechtfertigen, dass der Widerruf – anders als beim Rücktritt, der bereute Verträge betrifft – unerwünschte Verträge behandelt.24 Der Widerruf stellt ein Instrument zum Schutz der materialen Willensfreiheit dar – und steht dementsprechend funktionell der Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) nahe.25 Der Rücktritt hingegen dient nicht dem Schutz der Willensfrei-

18 19 20 21

Döll, Rückgewährstörungen, S. 53 Fn. 17. Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig, Bankrechtstag 2014, Tagungsbericht, S. 217. Hierzu näher unten § 11, A. Lorenz, JuS 2000, 833, 835; in diesem Sinne wohl auch Schärtl, JuS 2014, 577,

581. 22

Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 368. So etwa auch für die aktuelle Rechtslage Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 184; Benecke, ZIP 2016, 1897, 1897. 24 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 55. 25 Reiner, AcP 2003, 1, 203. 23

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

heit,26 sondern reagiert in der Regel auf spätere Störungen im zunächst störungsfrei geschlossenen Vertrag.27 Da der Vertrag beim Rücktritt ohne Störungen zustande gekommen ist, der Vertrag beim Widerruf hingegen von Anfang an mit der (potentiellen) Störung der materialen Willensfreiheit einer Vertragspartei belastet war, ließe sich auch rechtfertigen, im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts einen vollständigen rückwirkenden28 Wegfall des Vertrags anzunehmen,29 während man im Rahmen der Rücktrittsfolgen in dogmatischer Hinsicht ein Fortbestehen des Vertrags mit Umwandlung in ein Rückgewährschuldverhältnis annimmt. Denn wie Kaiser feststellt, sei Ziel des Rücktritts nicht die Wiederherstellung des Zustands, wie wenn der Vertrag nie geschlossen wurde sei, da „die Leistungen nicht wegen einer Störung bei Vertragsschluss, sondern wegen einer Leistungsstörung im Erfüllungsstadium rückabgewickelt werden [weshalb die Rückabwicklung beim Rücktritt] gerade auf der Grundlage, dass ein wirksamer Vertrag geschlossen wurde“ erfolge.30 Dies lässt sich auf den Widerruf allerdings nicht übertragen. Denn anders als im Rücktrittsfall liegt dem Verhältnis zwischen den Beteiligten im Widerrufsfall kein zunächst störungsfrei geschlossener Vertrag zugrunde, sodass auch ein Fortbestehen des Schuldverhältnisses als Rückabwicklungsschuldverhältnis insofern beim Widerruf unangebracht erscheint.31 Inhaltliche Identität zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgen besteht jedenfalls insoweit, als dass in beiden Fällen die noch nicht erfüllten vertraglichen Leistungspflichten nach Ausübung des entsprechenden Gestaltungsrechts erlöschen. Dies wird in § 355 Abs. 1 S. 1 BGB als für die hierauf bezugnehmenden Widerrufsrechte ausdrücklich bestimmt32 und in § 346 BGB für die Rücktrittsrechte als selbstverständlich33 zugrunde gelegt34. Sowohl der Rücktritt als auch der Widerruf führen also dazu, dass die ursprüngliche Bindungswirkung des Vertrags entfällt. Das Rücktrittsrecht hat grundsätzlich die Funktion dem Lösungsberechtigten seine Dispositionsfreiheit zurückzugewähren, wenn es (bei störungsfrei geschlossenen Verträgen) zu Störungen in der Vertragsdurchführung kommt.35 Hat der 26

Reiner, AcP 2003, 1, 203. Staudinger/Kaiser, Vor § 346 BGB Rn. 27. 28 So jedenfalls Fischer, Widerrufsrecht, S. 213; a. A. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 51 f. 29 Martinek, NJW 1997, 1393, 1397. 30 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5. 31 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 53 f. 32 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 225. 33 Denn andernfalls käme es wegen der Verpflichtung der Parteien zur Herausgabe der empfangenen Leistungen aus § 346 Abs. 1 BGB (hierzu sogleich) zu einem unnötigen Hin- und Her des Leistungsaustauschs, Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 2. 34 BT-Drucks. 14/6040 S. 194. 35 s. o., Kapitel 2, § 5, J. 27

§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag/die vertraglichen Erfüllungspflichten

355

Rücktrittsberechtigte die seinerseits geschuldete Leistung noch nicht erbracht, ist die Dispositionsfreiheit des Rücktrittsberechtigten im Hinblick auf die fragliche Leistung wiederhergestellt, sobald die vertragliche Verpflichtung beseitigt wird, welche zur Einschräkung der Dispositionsfreiheit geführt hat.36 Der Wegfall der Primärleistungspflicht des Rücktrittsberechtigten stellt also eine der zentralen Regelungen des Rücktrittsfolgenrechts dar.37 Die Rechtsfolge betrifft also den Kernbereich der Regelung.38 Dies trifft ebenfalls auf den Wegfall der Primärleistungspflicht des Widerrufsberechtigten zu. Das Widerrufsrecht soll es dem Widerrufsberechtigten ermöglichen sich von einem Vertrag zu lösen, der wegen der Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschluss nicht dem Willen einer der Vertragsparteien entsprochen hat und deshalb von dieser Partei (so) nicht erwünscht war.39 Auch hier setzt die Befriedigung des als überwiegend bewerteten Interesse des Widerrufsberechtigten voraus, dass dessen noch nicht erfüllten vertraglichen Verpflichtungen beseitigt werden, weshalb auch hier das Erlöschen der Primärleistungspflichten des Widerrufberechtigten in den Kernbereich der Rechtsfolgenregelung einzuordnen ist.40 Aber auch das Erlöschen der Primärleistungspflichten des Rücktritts- bzw. Widerrufsgegners ist letztlich in den Kernbereich der entsprechenden Rechtsfolgenregelungen einzuordnen.41 Denn das Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht dient, wenngleich als „nachgeschaltete Ebene“, auch dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen, und soll nicht nur das Interesse des Lösungsberechtigten befriedigen.42 Daraus folgt, dass das Interesse der anderen Vertragspartei jedenfalls soweit zu berücksichtigen ist, wie ihm kein gewichtiges Interesse des Lösungsberechtigten entgegensteht. Mit Erklärung des Rücktritts bzw. Widerrufs gibt der Lösungsberechtigte gerade zu verstehen, dass er an der ihm durch den Vertrag versprochenen Leistung kein Interesse (mehr) hat.43 Wegen der synallagmatischen Verknüpfung der Pflichten müssen der Rücktritt und der Widerruf im Interesse des Rücktritts- bzw. Widerrufsgegners und mangels entgegenstehendem Interesse des Lösungsberechtigten dann aber auch zum Erlöschen der Primärleistungspflichten des anderen Teils führen.44 Als gesetzgeberische Reaktion auf 36

Flessner, ZEuP 1997, 255, 256 f. Unberath, Vertragsverletzung, S. 365. 38 Stoll, AcP 1929, 141, 167; Flessner, ZEuP 1997, 255, 263. 39 s. o., Kapitel 2, § 6, H. 40 Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 245. 41 So für den Rücktritt Unberath, Vertragsverletzung, S. 365. 42 s. o., Kapitel 2, § 4, A.; in diesem Sinne auch Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5; Gaier, WM 2002, 1, 7; Wieling, JuS 1973, 397, 398; für das Widerrufsfolgenrecht Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 248. 43 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 873; Krause, Jura 2002, 299, 304; Flessner, ZEuP 1997, 255, 256. 44 Unberath, Vertragsverletzung, S. 365. 37

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

den Konflikt zwischen dem für überwiegend erachteten Lösungsinteresse einer Vertragspartei und dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei stellt der Wegfall der Bindungswirkung des Vertrags sowohl für den Rücktritt als auch für den Widerruf eine der zentralen Rechtsfolgen dar.45 Der Wegfall der primären Leistungspflichten gehört somit zum unmittelbaren Kern der entsprechenden Rechtsfolgenregelungen des Rücktritts und des Widerrufs. Prima facie ist auch die Rechtsnatur der Widerrufs- und Rücktrittsfolgen für die Frage, ob diese in gemeinsamen Rechtssätzen geregelt sein sollten oder nicht, von zentraler Bedeutung und scheint deshalb zunächst in den unmittelbaren Kern der Regelung einzuordnen zu sein. Dem ist bei genauer Betrachtung jedoch nicht so. Denn selbst wenn man annimmt, dass der Widerruf im Unterschied zum Rücktritt nicht bloß zur Umwandlung des Vertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis führt, begründet sich diese Beurteilung im Wesentlichen damit, dass das Lösungsrecht beim Widerruf seine Ursache – wie bei der Anfechtung – im Schutz der materialen Willensfreiheit hat, während der Rücktritt auf Störungen im zunächst störungsfrei geschlossenen Vertrag reagiert. Zur Begründung der teilweise angenommenen abweichenden dogmatischen Grundvorstellung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrechts werden demnach Unterschiede hinsichtlich des jeweils zugrunde liegenden Interessenkonflikts herangezogen. Würde man die Rechtsnatur der Rechtsinstitute in den Rang des Kerns der Regelung einordnen, würde dies für die Beurteilung der Frage nach der Zweckmäßigkeit einer formellen Identität letztlich einen Zirkelschluss bedeuten. Denn dem würde die Annahme zugrunde liegen, dass Unterschiede in der dogmatischen Wirkung grundsätzlich auch eine materielle Eigenständigkeit der Regelungskomplexe rechtfertigen. Das würde jedoch bedeuten, dass das bloße Bestehen von Unterschieden hinsichtlich des Interessenkonflikts im Ergebnis immer auch eine materielle Eigenständigkeit rechtfertigt. Was die Beurteilung der materiellen Identität zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgen betrifft, ist aber gerade zu bestimmen, inwieweit Differenzen auf Ebene des Interessenkonflikts Unterschiede hinsichtlich der konkreten Rechtsfolgen rechtfertigen. Zwar nimmt Fischer an, die Bedeutung der dogmatischen Einordnung des Widerrufsrechts sei zentral für seine Anwendbarkeit, Handhabbarkeit und Ausübung.46 Die Frage, ob das Widerrufsrecht wie der Rücktritt bloß zur Umwandlung des Vertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis oder stattdessen – der Anfechtung entsprechend – den Vertrag rückwirkend beseitigt, hat in Wirklichkeit aber wohl nur Auswirkungen auf Zweifelsfragen bei der Auslegung einzelner Vorschriften.47 Insofern betreffen die teilweise angenommenen dogmatischen Unterschiede hinsichtlich der Rechtsnatur von Rück45 46 47

So für den Widerruf Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 245. Fischer, Widerrufsrecht, S. 5. Zimmermann, FS Kramer, S. 735, 747.

§ 8 Auswirkungen auf den Vertrag/die vertraglichen Erfüllungspflichten

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tritts- und Widerrufsfolgen die Beurteilung der Frage nach der Gebotenheit von materieller Identität nur mittelbar, nämlich soweit sich dies auf konkrete Regelungen auswirkt.48 Selbst wenn man diesbezüglich Unterschiede in der dogmatischen Wirkung der Rechtsinstitute annimmt, handelt es sich hierbei für sich genommen nicht um einen Grund, der einer formellen Identität von Rücktritts- und Widerrufsfolgen wesentlich entgegensteht. Das soll jedoch nicht die Bedeutung der dogmatischen Einordnung der Rechtsinstitute in Abrede stellen. Lediglich für die hier zu beantwortende Frage nach der Zweckmäßigkeit von formeller Identität ist die dogmatische Einordnung nicht von Relevanz, da sie vom Zweck der Rechtsinstitute geprägt ist.49 Weil aber der Zweck von Rechtsinstituten auch die Beurteilung der Frage nach der Zweckmäßigkeit von formeller Identität bestimmt, hat die dogmatischen Einordnung eben keine unmittelbare Auswirkung auf die Frage nach der Zweckmäßigkeit der formellen Identität.

48 In diesem Sinne wohl auch Löwe, der formuliert: „Für den Schutz des Abzahlungskäufers ist es letztlich einerlei welchen Weg der Gesetzgeber gegangen ist, weil relevant allein die Rechtsfolgen sind“, Löwe, NJW 1974, 2257, 2259. 49 Fischer, Widerrufsrecht, S. 5.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

§ 9 Die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen A. Die primäre Rückgewährpflicht I. Die primäre Rückgewährpflicht und ihr Umfang im Rücktrittsfolgenrecht Nach § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB sind die Parteien im Falle des Rücktritts verpflichtet die empfangenen Leistungen herauszugeben.50 Als Leistung i. S. d. § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB gilt nur, was nach dem Vertrag dauerhaft im Vermögen des Empfängers verbleiben sollte.51 Für die Rückabwicklung von Gebrauchsüberlassungsverträgen bedeutet dies, dass sich die Rückgewähr der zum Gebrauch überlassenen Sache nicht nach § 346 Abs. 1 BGB bestimmt, sondern die einschlägige Anspruchsgrundlage sich nach dem Inhalt der empfangenen Leistung richtet, da die Besitzverschaffung an der Sache lediglich temporär und nicht dauerhaft eingeräumt wurde.52 Zurückzugeben sind die Leistungen nach § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB, wie sie empfangen wurden – also in Natur.53 Die Rückgewährpflicht betrifft dementsprechend nur die konkret empfangene Leistung, sodass es sich hierbei selbst dann grundsätzlich um eine Stückschuld handelt,54 wenn die ursprüngliche Erfüllungspflicht in einer Gattungsschuld bestand.55 Etwas anderes gilt jedoch regelmäßig im Hinblick auf Geldschulden, bei denen die Rückgewährpflicht sich nur auf die konkreten Münzen und Scheine erstreckt, wenn der Rückgewährgläubiger ein schutzwürdiges Interesse am Rückerhalt der konkreten Zahlungsmittel hat (etwa bei Liebhabermünzen) und andernfalls lediglich auf den erhaltenen Geldwert bezogen ist.56 Die Art des früheren Transfers (ob dieser also etwa in Bargeld, per Scheck oder Überweisung erfolgt) ist für die Rückzahlungspflichten allerdings gleichgültig.57 Eine Gutschrift des Rückgewährschuldners reicht zur Erfüllung von Rückzahlungspflichten jedoch nicht aus.58 50 Annuss, JA 2006, 184, 185; zur Frage, ob dies auch die Vertragskosten umfasst, s. u. III.5.A. 51 Annuss, JA 2006, 184, 185. 52 Döll, Rückgewährstörungen, S. 71; Annuss, JA 2006, 184, 185. 53 BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 20; Annuss, JA 2006, 184, 185; Gaier, WM 2002, 1, 4; Döll, Rückgewährstörungen, S. 69; Kaiser, Rückabwicklung, S. 112. 54 Kaiser, Rückabwicklung, S. 112. 55 Die Konkretisierung dauert insoweit fort, Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 71; Döll, Rückgewährstörungen, S. 69. 56 Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 3; Annuss, JA 2006, 184, 185; Döll, Rückgewährstörungen, S. 69 f.; Kaiser, Rückabwicklung, S. 112; Büdenbender, AcP 2000, 627, 638. 57 Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 2. 58 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 75.

§ 9 Die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen

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Im Einzelnen umstritten ist die Reichweite der primären Rückgewährpflicht beim Rücktritt.59 Denn die Verpflichtung zur Rückgewähr der empfangenen Leistung wirft die Frage auf, welche Folgen es hat, wenn sich die Leistung seit dem Empfang durch den Rückgewährschuldners verschlechtert hat, weiterveräußert oder in sonstiger Weise beeinträchtigt wurde.60 Teilweise wird vertreten, dass den Rückgewährschuldner im Rahmen der primären Rückgewährpflicht grundsätzlich auch die Verpflichtung zur Beseitigung derartiger Beeinträchtigungen trifft.61 § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB verpflichtet den Rückgewährschuldner bei zwischenzeitlichen Beschädigungen demnach etwa die Leistung (nach Möglichkeit) zu reparieren oder die Leistung bei zwischenzeitlichen Veräußerungen (nach Möglichkeit) zurückzuerwerben.62 Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Rückgewährpflicht den Rückgewährschuldner grundsätzlich zur Rückgewähr der Leistung in dem Zustand verpflichte, indem er sie empfangen habe. Die Grenze der primären Rückgabepflicht wäre somit erst durch die allgemeinen Regeln zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB gezogen. Nach anderer Ansicht ist der Rückgewährschuldner im Rahmen der primären Rückgewährpflicht nicht zur Beseitigung von Beeinträchtigungen verpflichtet.63 Beschädigungen und Veräußerungen müssten im Rahmen der primären Rückgewährpflicht nach § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB nicht repariert bzw. rückgängig gemacht werden.64 Die Grenze der primären Rückgewährpflicht wäre demnach der Zustand, in dem er sich im Vermögen des Rückgewährschuldners befindet.65 Allenfalls, so die Vertreter dieser Auffassung, stehe dem Rückgewährschuldner ein entsprechendes Recht zur Beseitigung zu, um etwaige Wertersatzpflichten zu verhindern.66 Eine letztlich differenzierende Ansicht wird vom BGH und Teilen der Literatur vertreten. Zwar hält der BGH die Meinung, nach der der Rückgewährschuldner – 59

Faust, JuS 2009, 481, 482; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 23. Faust, JuS 2009, 481, 482. 61 Gaier, WM 2002, 1, 9, der dem Vorliegen eines Umstands im Sinne des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB eine Vermutungswirkung für eine Unmöglichkeit entnehmen will. 62 In diesem Sinne etwa Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 2, Gaier, WM 2002, 1, S. 9. 63 Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 3, 10; Schwab, JZ 2015, 644, 646; Lorenz, NJW 2005, 1889, 1892 f.; Annuss, JA 2006, 184, 186; so auch Kaiser, die jedoch de lege ferenda einen Ausschluss erst bei Unmöglichkeit befürwortet, Kaiser, JZ 2001, 1057, 1062; in diesem Sinne wohl auch Motsch, JR 2002, 221, 223. 64 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 158; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 17; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 10. 65 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 27. 66 Annuss, JA 2006, 184, 186; Arnold, Jura 2002, 154, 157; zu den Wertersatzpflichten eingehend unten. 60

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

in den Grenzen des § 275 BGB – zur Beseitigung von Beeinträchtigungen verpflichtet ist, für grundsätzlich zutreffend.67 Insofern solle die Rückgewährpflicht auch Beschaffungselemente aufweisen.68 Allerdings sei bei der Bestimmung des Umfangs der primären Rückgewährpflichten zu berücksichtigen, dass dem Schuldner keine Beseitigungspflichten auferlegt werden dürfen, die einer Schadensersatzpflicht gleichkämen.69 Aus diesem Grunde beschränke sich die Rückgabepflicht bei Verschlechterungen der Leistung auf deren Herausgabe im gegenwärtigen Zustand.70 Die Beseitigung einer dinglichen Belastung käme hingegen nicht einer Schadensersatzpflicht gleich, sodass diese – mithin als Aufgabe einer andauernden Nutzung – im Rahmen der primären Rückgewährpflicht zu erfolgen habe.71 Eine entsprechende Differenzierung wird auch von Teilen der Literatur vertreten. Demnach sei die Grenze der Beseitigungspflicht von der Art der Beeinträchtigung abhängig – eine Beschaffungs- bzw. Beseitigungspflicht besteht bei Veräußerung und Belastung bis zur Grenze des § 275 BGB, eine Verpflichtung zur Reparatur bei Verschlechterungen folge aus der primären Rückgewährpflicht hingegen nicht.72 Ebenfalls eine differenzierende Ansicht vertritt Faust.73 Seiner Auffassung nach sollen nur Beeinträchtigungen, die ab Entstehung des Rückgewähranspruchs eintreten, vom Bereicherungsgläubiger bis zur Grenze des § 275 BGB zu beseitigen sein.74 Denn ab der Entstehung des Rückgewähranspruchs werde der Inhalt der Leistungspflicht endgültig fixiert.75 Der Rückgewährschuldner sei also mindestens zur Rückgabe der Leistung in diesem Zustand verpflichtet. Unter Berücksichtigung des Zwecks des Rücktritts und der Systematik der §§ 346 ff. BGB ist eine Pflicht des Rückgewährschuldners, im Rahmen der Rückgewährpflicht nach § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB, Beeinträchtigungen bis zur Grenze des § 275 BGB zu beseitigen, abzulehnen.76 Der primäre Zweck des Rücktritts besteht darin, dem Rücktrittsberechtigten seine Dispositionsfreiheit zurückzugewähren, wozu ihm auch die bereits erbrachten Leistungen zurückzuge67

BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 17. BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 20. 69 BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 22. 70 BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 23. 71 BGH, Urt. v. 10.10.2008 – V ZR 131/07, NJW 2009, 63 Rn. 26. 72 Schwab, JuS 2002, 630, 632 f.; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 41 ff.; in diesem Sinne wohl auch MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 17; eine Rückerwerbsverpflichtung hat der BGH allerdings in seiner Entscheidung vom 19.11.2008 (VIII ZR 311/07, NJW 2009, 1068) nicht angenommen, obwohl es hier um einen Fall ging, in dem der Rückgewährschuldner das vom Rückgewährgläubiger erhaltene Pferd lediglich an seine Tochter weiterübertragen hat. 73 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 25 ff. 74 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 27. 75 Faust, JuS 2009, 481, 482. 76 Faust, JuS 2009, 481, 482. 68

§ 9 Die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen

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ben sind.77 Da das Rücktrittsfolgenrecht jedoch auch dem Interessenausgleich zwischen den Parteien verpflichtet ist, muss der Rücktrittsgegner ebenfalls seine Dispositionsfreiheit zurück erlangen. Die Rückerlangung der beiderseitigen Dispositionsfreiheit bedeutet, dass das Rücktrittsfolgenrecht vorrangig den Zustand herzustellen hat, der vor dem Leistungsaustausch bestand.78 Sofern jedoch eine zurückzugewährende Leistung beeinträchtigt wurde, ist es allerdings unmöglich beide Parteien so zu stellen, wie sie ohne den Leistungsaustausch stünden. Ist die Herstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch indes nicht ohne Weiteres möglich, müssen die entsprechenden Nachteile einer der Parteien zugeordnet werden. In den Fällen, in denen die Leistungen nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form beim Rückgewährgläubiger vorhanden sind, erfolgt die Zuordnung der Nachteile durch § 346 Abs. 2 und 3 BGB.79 Demnach besteht grundsätzlich eine Wertersatzpflicht des Rückgewährschuldners.80 Den § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB liegt dabei die Wertung zugrunde, dass das Interesse des Rückgewährschuldners in Konstellationen, in denen die Leistung nicht mehr (unverändert) beim Rückgewährgläubiger vorhanden ist, auf den Wert der Leistung beschränkt ist und ein darüberhinausgehendes Interesse am Erhalt tatsächlichen der Leistung im Interesse des Rücktrittsgläubigers zurücktreten muss.81 Dies ist auch gerecht, da der Rückgewährgläubiger mit dem Vertragsschluss gezeigt hat, dass er zur Weggabe des Leistungsgegenstands gegen eine Gegenleistung bereit war.82 Entnimmt man aus § 346 Abs. 1 BGB eine Verpflichtung zur Beseitigung von Verschlechterungen, wäre damit jedoch die den § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BGB zugrunde liegende Wertung umgangen.83 Sofern der Rückgewährschuldner nach einer Veräußerung der Leistung etwa zum Rückerwerb verpflichtet ist, würde das Interesse des Rückgewährschuldners über das bloße Interesse am Wert der Leistung hinaus auf Kosten des Rückgewährgläubigers befriedigt. § 346 Abs. 1 BGB dient also lediglich dazu, den Zustand von vor dem Leistungsaustausch soweit wie möglich wiederherzustellen und enthält dementsprechend für Fälle, in denen dieses Ziel nicht vollständig erreicht werden kann, hinsichtlich der Verteilung der daraus resultierenden Nachteile keine Wertungen. Dies betrifft entgegen der Ansicht von Faust84 auch die Fälle, in denen die Rückgewährpflicht durch den Rücktritt entstanden ist. Eine Pflicht zur Rückgängigmachung von Veränderungen kommt allenfalls über den Schadensersatzanspruch nach § 346 Abs. 4 BGB in Betracht, setzt insofern jedoch ein Verschulden des 77 78 79 80 81 82 83 84

Hierzu ausführlich unter dd). Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5. Schwab, JZ 2015, 644, 646. Lorenz, NJW 2005, 1889, 1892. Annuss, JA 2006, 184, 186. Benicke, ZGS 2002, 369, 371; Döll, Rückgewährstörungen, S. 109. So auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 108; Lorenz, NJW 2005, 1889, 1893. JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 25 ff.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Rückgewährschuldners für die Veränderung voraus. Dementsprechend ist den Meinungen, nach denen der Rückgewährgläubiger im Rahmen der primären Rückgewährpflicht zur Beseitigung von Beeinträchtigungen ist, nicht zu folgen. Der Annahme, dass der Rückgewährschuldner die Wertersatzpflicht jedoch auch durch Rückgängigmachung der Veränderung abwenden kann, steht § 346 Abs. 2 BGB indes nicht entgegen. Das Interesse des Rückgewährgläubigers wird mit dem Erhalt der Leistung in Natur jedenfalls vollständig befriedigt.85 Mit der Beschränkung auf Wertersatz soll also vornehmlich der Rückgewährschuldner vor weitergehenden Verpflichtungen geschützt werden. Dem Rückgewährschuldner ist demnach das Recht einzuräumen, die Wertersatzpflicht durch Beseitigung in Natur abzuwenden.86 Rechtstechnisch bedarf es hierzu einer teleologischen Reduktion von § 346 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB dahingehend, dass eine Wertersatzpflicht in den genannten Fällen nur besteht, sofern der Rückgewährschuldner die Beeinträchtigung nicht von sich aus beseitigt.87 II. Die primäre Rückgewährpflicht und ihr Umfang im Widerrufsfolgenrecht Auch nach dem Widerruf sind die Parteien gem. § 355 Abs. 3 S. 1 BGB zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen verpflichtet.88 Die Definition der Leistung dürfte hier derjenigen des § 346 Abs. 1 BGB entsprechen, sodass auch nur solche Vermögensmehrungen erfasst sind, die dauerhaft beim Empfänger verbleiben sollen.89 §§ 357 ff. BGB enthalten diesbezüglich teilweise ergänzende und modifizierende Regelungen.90 Die Rückgewährpflicht aus § 355 Abs. 3 S. 1 BGB stellt, wie auch diejenige aus § 346 Abs. 1 S. 1 BGB, grds. eine Stückschuld dar, selbst wenn mit der Leistung eine Gattungsschuld erfüllt wurde.91 Eine Ausnahme wird ebenfalls bei Geldschulden gemacht, bei denen in der Regel lediglich der Geldwert zurückzugewähren ist.92 Eine Gutschrift ist auch hierbei nicht ausreichend.93 Im Rahmen des Widerrufs bei Außergeschäftsraum-, Fernabsatz- und Ratenlieferungsverträgen, die weder im Fernabsatz noch außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden, hat der Unternehmer zur Rück85 86

Faust, JuS 2009, 481, 483. In diesem Sinne auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 110; Schwab, JZ 2015, 644,

646. 87

Annuss, JA 2006, 184, 186. Zu den Besonderheiten bei der Rückgewähr von rein digitalen Inhalten, Peintinger, MMR 2016, 3, 6. 89 In diesem Sinne wohl auch Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1095; Piekenbrock/ Rodi, WM 2015, 1085, 1086 f. 90 Erman/Koch, § 355 BGB Rn. 11; Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1086. 91 BeckOK/Müller-Christmann, § 355 BGB Rn. 34. 92 BeckOK/Müller-Christmann, § 355 BGB Rn. 35. 93 Leier, VuR 2013, 457, 459. 88

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gewähr von erhaltenen Geldzahlungen grundsätzlich dasjenige Zahlungsmittel zu verwenden, welches auch der Verbraucher zur Zahlung verwendet hat,94 (§ 357 Abs. 3 S. 1 BGB – für die außerhalb der besonderen Vertriebsformen geschlossenen Ratenlieferungsverträge i.V. m. § 357c S. 1 BGB).95 Abweichungen hiervon sind lediglich durch ausdrückliche Vereinbarungen und nur, sofern dem Verbraucher hierdurch keine zusätzlichen Kosten entstehen, statthaft (§ 357 Abs. 3 S. 2 BGB). Eine Verpflichtung des Rückgewährschuldners zur Beseitigung von Beeinträchtigungen der empfangenen Leistung wird im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts – trotz insoweit identischen Wortlauts (sind „die empfangenen Leistungen [. . .] zurückzugewähren“) – nicht angenommen.96 Insofern dürfte es der allgemeinen Auffassung entsprechen, dass die Rückgewährpflicht nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB sich auf die Sache in dem Zustand, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Widerrufs befindet, bezieht.97 Ein entsprechendes Recht zur Beseitigung von reversiblen, den Wert verringernden Beeinträchtigungen steht dem Verbraucher hingegen zu.98 III. Vergleich der Regelungen zur primären Rückgewährpflicht und Überprüfung etwaiger materieller Eigenständigkeiten hinsichtlich ihrer sachlichen Rechtfertigung Im Hinblick auf die grundsätzliche Statuierung einer Rückgewährpflicht bezüglich der empfangenen Leistungen besteht zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen im Wesentlichen materielle Identität.99 Inhaltliche Eigenständigkeit liegt allenfalls insofern vor, dass der Unternehmer im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts bei Außergeschäftsraum-, Fernabsatz- und außerhalb von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Ratenlieferungsverträgen zur Erfüllung seiner Rückzahlungspflicht auf die vom Verbraucher verwendeten Zahlungsmittel beschränkt ist. Diese Regelung dient der Umsetzung von Art. 13 Abs. 1 S. 2 VR-RiL.100 Weder mit dem Umstand, dass der Widerruf auf unerwünschte Verträge und der Rücktritt auf bereute Verträge reagiert, noch mit der Tatsache, dass das Bestandsinteresse im Rahmen des Widerrufsrechts eine geringere Gewichtung erfahren hat, als im Rahmen des Rücktrittsrechts lässt sich eine besondere Schutzwürdigkeit des Verbrauchers als Zahlungsempfänger im Widerrufsfall gegenüber dem Zahlungsempfänger im Rücktrittsfall begründen. 94

Leier, VuR 2013, 457, 459. Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 71, 74; Buchmann, K&R 2014, 293, 295. 96 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 53; Schwab, JZ 2015, 644, 649. 97 So auch Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 195. 98 Schwab, JZ 2015, 644, 650. 99 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 94. 100 BT-Drucks. 17/12637 S. 63. 95

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Eine sachliche Rechtfertigung für diese Abweichung zwischen dem Rücktrittsund Widerrufsfolgenrecht besteht mit Blick auf die oben herausgearbeiteten Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten also nicht. Andererseits scheint es fraglich, ob der Rechts- und Geschäftsverkehr eine Detailregelung wie den § 355 Abs. 3 BGB braucht.101 Die europarechtlich vorgegebene Regelung des § 355 Abs. 3 BGB erscheint insoweit zu eng. Dem nationalen Gesetzgeber, der bei der Entscheidung zur Übernahme von europäischen Wertungen in nicht europarechtlich determinierte Bereiche einen weiteren Beurteilungsspielraum hat, steht es hier deshalb offen, die Wertungen nicht auf den Bereich des Rücktrittsfolgenrechts zu übertragen. IV. Einordnung der Rückgewährpflicht in den Kontext der Regelung Wie das Erlöschen der nicht erfüllten Primärleistungspflichten stellt auch die Verpflichtung zur Herausgabe der empfangen Leistungen eine zentrale Vorgabe im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht dar.102 Denn wurde der Vertrag bereits vollständig erfüllt, reicht das bloße Erlöschen der Ansprüche nicht aus, um dem Interesse des Lösungsberechtigten an der Beseitigung der Bindungswirkung des Vertrags zu befriedigen.103 Durch die Leistung würde das Vertragsergebnis andernfalls in tatsächlicher Hinsicht perpetuiert. Um dem Lösungsinteresse in derartigen Situationen noch gerecht zu werden, ist es erforderlich auch die Leistungserbringung rückgängig zu machen.104 Das Lösungsinteresse führt dementsprechend zu einem Rückabwicklungsinteresse bezüglich der bereits erbrachten Leistungen.105 Eine gesetzliche Regelung, die auf ein (das Bindungsinteresse der anderen Partei überwiegendes) Lösungsinteresse einer Partei reagieren möchte, muss also in solchen Fällen einen Mechanismus zur Verfügung stellen, durch den eine Rückabwicklung erfolgt.106 Dies gilt gleichermaßen für Fälle, in denen der Vertrag lediglich teilweise erfüllt wurde – auch hier würde, ohne eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen, eine (teilweise) Perpetuierung des Vertrags stattfinden. Zum einen wäre dann dem Lösungsinteresse nicht (vollständig) abgeholfen, zum anderen könnte dies insbesondere bei gegenseitigen Verträgen zu eklatant ungerechten Ergebnissen führen. In der Regel mangelt es bei bloß teilweise erfüllten gegenseitigen 101

BeckOK/Müller-Christmann, § 357 BGB Rn. 4. Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 6. 103 So stellt Berger fest, dass beim Widerruf aus Sicht des Verbrauchers die Rückzahlungspflicht des Unternehmers hinsichtlich des Kaufpreises im Mittelpunkt steht, Berger, Jura 2001, 289, 292; für den Rücktritt vgl. Flessner, ZEuP 1997, 255, 256. 104 Zimmermann, FS Kramer, S. 735, 741. 105 Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 21. 106 Wolf, AcP 1954, 97, 107; Stoll, AcP 1929, 141, 167; Flessner, ZEuP 1997, 255, 263. 102

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Verträgen an einer Äquivalenz der ausgetauschten Leistungen. Dies wird besonders deutlich, wenn etwa nur der Lösungsberechtigte seine Leistung erbracht hat: Er würde ohne eine Rückabwicklung im Zweifel sogar schlechter stehen, als wenn am Vertrag festgehalten worden wäre. Um den Lösungsberechtigten nicht besser zu stellen, als es zur Befriedigung seiner Interessen notwendig ist, muss mit der Vertragslösung allerdings auch die andere Vertragspartei die ihrerseits bereits erbrachten Leistungen zurückbekommen.107 Denn auch der Rücktrittsgegner hat im Falle der wirksamen Vertragsauflösung ein Rückabwicklungsinteresse bezüglich der von ihm erbrachten Leistungen. Da es beim Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht um den gerechten Ausgleich der beiderseitigen Interessen geht und dem Interesse der anderen Vertragspartei im Falle der Vertragsauflösung zumindest die eigenen erbrachten Leistungen zurückzuerhalten, kein berechtigtes Interesse des Lösungsberechtigten entgegensteht, gehört auch die Pflicht zur Rückgewähr der Leistung des Lösungsgegners zum Kernbereich der Lösungsfolgenregelungen. Die grundsätzliche Verpflichtung zur Herausgabe der empfangenen Leistung betrifft dementsprechend den Kernbereich der Rücktritts- und Widerrufsfolgen.108 Indem sowohl das Rücktritts- als auch das Widerrufsfolgenrecht grundsätzlich eine Pflicht zur Rückgabe der empfangenen Leistungen statuieren, weisen sie diesbezüglich materielle Identität in einem Kernbereich der Regelungen auf.

B. Modalitäten der Rückgewähr I. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr 1. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr im Rücktrittsfolgenrecht Zum Erfüllungsort der Rückgewährpflichten enthält das Rücktrittsfolgenrecht keine Regelung.109 Die hierzu entwickelte Meinungsvielfalt ist dementsprechend groß.110 Im wesentlichen Einigkeit besteht darin, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten sich mangels eigener Regelung aus der allgemeinen Bestimmung des § 269 BGB ergibt, der als Leistungsort grundsätzlich den Wohnbzw. Geschäftssitz des Schuldners vorsieht, sofern ein anderer Leistungsort weder bestimmt ist noch aus den Umständen folgt.111 Weitgehend offen ist allerdings die Frage nach den Konsequenzen der Bestimmung des Erfüllungsortes der 107

Berger, Jura 2001, 289, 292. Sheen, Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge, S. 5. 109 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 81; Arnold, Jura 2002, 154, 156. 110 Als kaum überschaubar qualifiziert sie MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 31. 111 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 36; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 31; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 85; Er108

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Rücktrittsrückgewährpflicht anhand von § 269 BGB in denjenigen Fällen, in denen die Parteien – wie es wohl der Regel beim gesetzlichen Rücktritt entspricht112 – keine diesbezügliche Vereinbarung getroffen haben. Dabei lassen sich zunächst zwei Lager unterscheiden – diejenigen, die für einen gemeinsamen Erfüllungsort der beiderseitigen Rückgewährpflichten beim gesetzlichen Rücktritt plädieren113 sowie diejenigen, die sich gegen einen gemeinsamen Erfüllungsort der beiderseitigen Rückgewährpflichten aussprechen und die Erfüllungsorte stattdessen für die jeweiligen Rückgewährpflichten separat bestimmen wollen114. Aber auch innerhalb der beiden Lager herrscht hinsichtlich der Bestimmung des Erfüllungsortes keineswegs Einigkeit. a) Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten Mit Blick auf den gesetzlich Rücktrittsberechtigten wird wohl überwiegend vertreten, dass der Erfüllungsort von dessen Rückgewährpflicht sich grundsätzlich an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz befindet,115 wobei von Teilen angenommen wird, dass zumindest im Fall des Rücktritts wegen eines Mangels nach §§ 437 Nr. 3 und 634 Nr. 3 BGB auf den (vertragsgemäßen) Belegenheitsort der zurückzugewährenden Sache abzustellen sei.116 Wiederum andere verweisen generell auf den (vertragsgemäßen) Belegenheitsort,117 der allerdings teilweise auch dem Sitz des Schuldners gleichgestellt wird.118 Jedenfalls für die gesetzlichen Rücktrittsrechte nicht durchgesetzt hat sich die unter anderem von Köhler vertretene Auffassung, nach der der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten sich grundsätzlich an dem Ort befindet, an dem dieser die man/Röthel, § 346 BGB Rn. 5; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 5; OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, NJOZ 2013, 1255; Annuss, JA 2006, 184, 185. 112 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 86. 113 So etwa BGH, Urt. v. 18./19.09.1974 – VIII ZR 24/73, WM 1974, 1073; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.06.2013 – 13 U 53/13, MDR 2013; OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – U 3 99/11, NJOZ 2013, 1255; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 06.01.2005 – 5 W 306/04, NJW 2005, 906; HK-BGB/Schulze, § 346 Rn.12; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5; Muscheler, AcP 1987, 343, 387; so auch MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 31. 114 So etwa Stöber, NJW 2006, 2661, 2665; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 90; Soergel/Lobinger, § 346 Rn. 40 f.; NK-BGB/Schwab, § 269 Rn. 46. 115 So etwa Stöber, NJW 2006, 2661, 2665; Muscheler, AcP 1987, 343, 386 ff.; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 85, 90; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 31; Erman/ Artz, § 269 BGB Rn. 16; Döll, Rückgewährstörungen, S. 73. 116 Erman/Artz, § 269 BGB Rn. 16; Arnold, Jura 2002, 154, 156; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5, nach dessen Ansicht es allerdings nicht auf die Vertragsgemäßheit ankomme; in diesem Sinne auch JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32. 117 BGH, Urt. v. 18./19.09.1974 – VIII ZR 24/73, WM 1974, 1073; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.06.2013 – 13 U 53/13, MDR 2013, 898; OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – U 3 99/11, NJOZ 2013, 1255; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 41; HK-BGB/Schulze, § 346 Rn. 12. 118 Annuss, JA 2006, 184, 185; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 16.

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Leistung vertragsgemäß empfangen hat.119 Eine Ausnahme macht aber auch Köhler für die Fälle des Rücktritts wegen eines Mangels nach §§ 437 Nr. 3 und 634 Nr. 3 BGB, bei denen seiner Meinung nach auch auf den vertragsgemäßen Belegenheitsort der zurückzugewährenden Sache abzustellen ist.120 Nach Kaiser soll der Erfüllungsort der Primärleistungspflicht jedenfalls in denjenigen Fällen maßgeblich sein, in denen die Vertragspartner ausdrücklich vom üblichen Erfüllungsort abgewichen sind.121 Die abweichenden Ansichten hinsichtlich des Erfüllungsortes der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten sind darauf zurückzuführen, dass die Beurteilung der Frage, ob in derartigen Fällen „Umstände“ im Sinne des § 269 Abs. 1 BGB vorliegen, wegen derer ein vom Wohn- bzw. Geschäftssitz des Schuldners abweichender Erfüllungsort anzunehmen ist, unterschiedlich ausfällt. Verneint man hier solche Umstände, die sich nach § 269 Abs. 1 BGB insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben können, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Erfüllungsort am Wohn- oder Geschäftssitz des Rücktrittsberechtigten als Rückgewährschuldner belegen ist.122 Köhler, der für den Erfüllungsort der Rückgewährpflicht grds. auf den vertraglichen Empfangsort abstellt, nimmt hingegen an, dass es sich bei dem Ort, an dem die ursprüngliche Leistungspflicht zu erfüllen war „nach der Natur des Schuldverhältnisses“ auch um den Erfüllungsort der Rückgewährpflichten handele, da der Rücktritt den Vertrag nicht beseitige, sondern lediglich umgestalte.123 Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen. Zwar ist es zutreffend, dass der Rücktritt nicht zum Erlöschen, sondern zur Umwandlung des ursprünglichen Schuldverhältnisses in ein Rückgewährschuldverhältnis führt. Mit dem Rücktritt erlöschen jedoch die Primärleistungspflichten124 – bei den Rückgewährpflichten handelt es sich also engegen der Ansicht von Dubiel125 keineswegs um modifizierte Erfüllungspflichten,126 sodass bereits insofern keine Kontinuität zwischen dem Erfüllungsort der Primärleistungspflicht und demjenigen der Rückgewährpflichten bestehen kann.127 Allenfalls ließe sich die Annahme, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht am Erfüllungsort der Primärleistungspflicht liegt, damit begründen, dass die Rückgewährpflicht gleichsam das Gegenteil der Primärleistungspflicht sei und dementsprechend eine ursprüngliche 119 Köhler, FS für Heinrichs, S. 367, 370 ff.; Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 39 ff. 120 Köhler, FS für Heinrichs, S. 367, 370 ff. 121 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 86. 122 In diesem Sinne etwa Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 85, 90. 123 Köhler, FS für Heinrichs, S. 367, 370. 124 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 4. 125 Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 39. 126 So bereits Wolf, AcP 1954, 97, 107. 127 So auch Skamel, ZGS 2006, 227, 230.

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Holschuld beispielsweise zu einer Bringschuld hinsichtlich der Rückgewähr führe. Aber auch eine solche Begründung verfängt nicht. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Blick auf Fälle richtet, in denen der ursprüngliche Erfüllungsort schlicht aus der Grundregel des § 269 Abs. 1 BGB folgt. Indem § 269 Abs. 1 BGB im Zweifel eine Holschuld statuiert, soll der Schuldner geschützt werden – der Gedanke dahinter ist, dass dieser, sofern man nicht feststellen kann, dass er mehr versprochen hat, auch nur das Weniger schulden solle. Hat etwa ein Verkäufer einer Sache seinem Käufer nicht auch die Lieferung der Sache versprochen, soll er diese auch nicht schulden, sodass der Käufer die Sache beim Verkäufer abholen muss. Der Käufer hat jedoch dadurch seinerseits nicht gegenüber dem Verkäufer versprochen, ihm die Sache im Falle des Rücktritts zurückzubringen. Ihm als Schuldner auch ohne ein derartiges Versprechen mit dem Transport der Sache zum Verkäufer zu belasten würde ihn entgegen der Grundregelung des § 269 Abs. 1 BGB und – jedenfalls sofern es sich um den gesetzlich Rücktrittsberechtigten handelt128 – ohne sachlichen Grund schlechter stellen, als sein Vertragspartner ursprünglich gestellt wurde. Dieses Ergebnis wäre wertungswidersprüchlich. Auch ein Hinweis auf die „ursprüngliche Gefahr- und Lastenverteilung“ 129 geht an dieser Stelle fehl, da diese gerade auf § 269 Abs. 1 BGB beruhte, der dem Schutz des Schuldners diente und dessen Wertungen dementsprechend nicht ohne Weiteres auf Konstellationen übertragen werden können, in denen der ursprüngliche Schuldner nunmehr zum Gläubiger geworden ist. Aber auch in Fällen, in denen die Parteien abweichend vom Regelfall des § 269 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Primärleistungspflicht eine Bringschuld vereinbart haben und der Erfüllungsort dementsprechend mit der Grundregel des § 269 Abs. 1 BGB übereinstimmend beim Rückgewährschuldner liegt, hat dies seine Ursache nicht darin, dass der Rückgewährgläubiger als ursprünglicher Schuldner mehr versprochen hat – nämlich den Transport der Leistung zum ursprünglichen Gläubiger – sondern vielmehr darin, dass der Rückgewährschuldner seinerseits hinsichtlich einer etwaigen Rückgewähr nichts versprochen hat. Denn die ursprüngliche Vereinbarung des Erfüllungsortes bezog sich keineswegs automatisch auch auf etwaige Rückgewährpflichten, da die Parteien diese für gewöhnlich überhaupt nicht im Blick hatten. Auch hier überzeugt der Hinweis auf die ursprüngliche Gefahr- und Lastenverteilung nicht, da diese in der Regel von den Parteien nur hinsichtlich der Vertragsdurchführung getroffen wurde und eben nicht mit Blick auf die Rückabwicklung. Insofern lässt sich hier auch nicht die mit Blick auf den Erfüllungsort der Nacherfüllung teilweise vorgebrachte Argumentation anführen, dass der Anspruch seine Grundlage in der durch den Kaufvertrag begründeten Leistungspflicht hat, da es sich beim Rückgewähranspruch, anders als beim Nacherfüllungsanspruch nicht um einen bloß modifizierten Er128 129

Zum Fall des Rücktrittsgegners sogleich. Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 40.

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füllungsanspruch handelt.130 Das Argument, dass an der ursprünglichen Gefahrund Lastenverteilung und somit auch am ursprünglichen Erfüllungsort festzuhalten sei, da die Vertragsaufhebung nicht ausreiche, um einer Partei mehr zuzumuten als das, womit sie bei Abschluss des Vertrags rechnen durfte,131 versagt bereits deshalb, weil sich kaum behaupten lässt, dass sich ein Schuldner, der sich bereiterklärt hat die Leistung im Rahmen der Vertragserfüllung zum Gläubiger zu verbringen, per se eher mit einer Pflicht zur Abholung im Rahmen eines Rücktritts rechnen musste als der Gläubiger, der sich die Sache hat liefern lassen. Man denke etwa an den Fall eines Autokäufers aus Berlin, der einen Gebrauchtwagen in München kauft und dort abholt. Erleidet der Wagen nach der Überführung nach Berlin aufgrund eines bereits bei Gefahrübergang vorhandenen Mangels einen Motorschaden und ist fahruntüchtig, kann wohl kaum behauptet werden, aus der Tatsache, dass der Käufer den Wagen in München abgeholt und nach Berlin gefahren hat, folge eine Übernahme des Rücktransport (auf einem Abschleppwagen). Allenfalls die pragmatische Überlegung, dass derjenige, der die Sache bereits einmal transportiert hat, regelmäßig unter Beweis gestellt hat, dass er zum Transport in der Lage ist und ihm deshalb auch der Rücktransport möglich sein dürfte, ließe sich zur Rechtfertigung heranziehen. Überzeugen kann diese Überlegung unter dem Blickpunkt einer gerechten Gefahr- und Lastenverteilung allerdings nicht. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Fälle, in denen derjenigen Vertragspartei, die den ursprünglichen Transport bereits vorgenommen hat auch der Rücktransport einfacher möglich ist, wohl die Ausnahme darstellen.132 In aller Regel dürfte der Rücktransport für die Vertragspartei, welche den ursprünglichen Transport übernommen hat ebenso aufwendig und kostspielig sein, wie für die andere Partei. Zudem versagt diese Argumentation bereits im oben gebildeten Beispiel mit dem Wagen, der in Berlin fahruntüchtig geworden ist. Die Tatsache, dass der Käufer den Wagen von München nach Berlin fahren konnte, beweist nicht, dass er auch in der Lage wäre, ein defektes Fahrzeug wieder von Berlin nach München zu verbringen. Vollends versagt die Gegenteils-Begründung hinsichtlich der Rechtfertigung des Erfüllungsortes der Primärleistung als Erfüllungsort auch der Rückgewährpflicht bei der Vereinbarung von Schickschulden. Denn als Gegenteil der Schickschuld, deren Erfüllungsort hinsichtlich der Primärleistung beim ursprünglichen Schuldner lag, müsste der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht nun beim Rückgewährschuldner liegen. Dementsprechend wäre der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht hier gerade nicht der Erfüllungsort der Primärleistungspflicht.133

130

Skamel, ZGS 2006, 227, 228, 230. Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 39. 132 Hierzu auch die Ausführungen unten zu § 357 Abs. 6 S. 3 BGB, der tatsächlich auf einer derartigen Überlegung beruht. 133 Dies erkennt auch Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 40. 131

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Dubiel meint, dass dieses Ergebnis keineswegs bedenklich wäre, da es vorrangig darum gehe, die Lastenverteilung aufrechtzuerhalten und nicht um die formelle Lokalisierung des Erfüllungsortes.134 Dies verkennt allerdings, dass mit der Umkehrung der Schickschuld auch die ursprüngliche Kosten- und Gefahrtragungsregel umgekehrt würde – sodass auch die gewünschte Aufrechterhaltung der ursprünglichen Lastenverteilung insoweit gerade fehlschlägt. Insgesamt lässt sich also eine Verortung des Erfüllungsortes der Rückgewährpflicht am Erfüllungsort der Primärleistung nicht mit der Natur des Schuldverhältnisses begründen und ist dementsprechend abzulehnen. Auch diejenigen, die hinsichtlich der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten auf den (vertragsgemäßen) Belegenheitsort der Sache verweisen, begründen dies – soweit überhaupt eine Begründung erfolgt – mit der Natur des Schuldverhältnisses. Hierbei wird auf die Tatsache abgestellt, dass dem Rücktrittsgegner beim gesetzlichen Rücktrittsrecht die Ursache des überwiegenden Lösungsinteresses zurechenbar ist und er aus diesem Grund auch die Lasten des Rücktritts tragen müsse.135 Konsequenterweise darf dann aber nicht mit Hinweis auf den die Natur des Schuldverhältnisses auf den (vertragsgemäßen) Belegenheitsort abgestellt werden, wenn das zugrunde liegende Rücktrittsrecht aus §§ 313 Abs. 3 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB folgte, da dem Rücktrittsgegner die Ursache des Lösungsinteresses wie zuvor festgestellt hier nicht zurechenbar ist.136 Röthel, der auf den Belegenheitsort der Sache nur abstellen will, sofern es sich um einen Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2 und 634 Nr. 3 BGB handelt, weist zur Begründung auf die Wertung in § 439 Abs. 2 BGB bzw. § 635 Abs. 2 BGB hin, aus denen er schließt, dass dem Käufer oder Besteller im Falle des mangelbedingten Rücktritts keine Kosten für die Rückgewähr anfallen sollen.137 Der Verweis auf die Wertungen im Bereich der Nacherfüllung überzeugen jedoch bereits deshalb nicht, weil – wie der BGH zutreffend feststellt – das Rücktrittsrecht und das Nacherfüllungsrecht in ihrem dogmatischen Ausgangspunkt und ihren Rechtsfolgen so verschieden sind, dass es an einer Vergleichbarkeit der beiden Rechte fehlt.138 Da der Verkäufer bzw. Werkunternehmer bei der Nacherfüllung im Gegensatz zum Rücktritt auch seinen Gewinn behält, erscheint es nicht zwingend, ihn im Rahmen des Rücktritts im gleichen Umfang zu belasten, wie es im Rahmen der Nacherfüllung vorgeschrieben wird. Eine besondere Behandlung der Fälle, in denen der Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2 und 634 Nr. 3 BGB erfolgt ist, 134

Dubiel, Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands, S. 40. BGH, Urt. v. 18./19.09.1974 – VIII ZR 24/73, WM 1974, 1073; Annuss, JA 2006, 184, 185; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32. 136 In diesem Sinne wohl auch Annuss, JA 2006, 184, 185. Zur parallelen Problematik im Rahmen des Ausschlusses der Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB s. u. § 10, A.IV.2.c). 137 Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5. 138 BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 311/07, NJW 2011, 2278 Rn. 28. 135

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hinsichtlich der Bestimmung des Erfüllungsortes der Nacherfüllung deshalb nicht geboten. Sofern man also im Allgemeinen die (vertragsgemäße) Belegenheit der vom Rücktrittsberechtigten zurückzugewährenden Sache nicht wegen besonderer Umstände als Erfüllungsort von dessen Rückgewährpflicht anerkennt, gibt es keinen Grund dies im Rahmen des kauf- und werkvertraglichen Mangelgewährleistungsrücktritt zu tun. Innerhalb der Ansicht, nach der es für die Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten auf den Belegenheitsort der Sache ankommt, ist wiederum umstritten, ob bei einer derartigen Argumentation für die Verpflichtung des Rücktrittsgegners, die Sache am Belegenheitsort abzuholen, noch auf die Frage ankommen kann, ob der Belegenheitsort vertragsgemäß ist.139 In beiden Fällen dürfte der Erfüllungsort in aller Regel – wobei dies bei denjenigen, die auf die vertragsgemäße Belegenheit abstellen sogar noch häufiger der Fall sein wird – mit dem Wohn- bzw. Geschäftssitz des Rücktrittsberechtigten als Rückgewährschuldner übereinstimmen.140 Die Ansicht, nach der der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten sich am vertragsgemäßen Belegenheitsort befindet, scheint allerdings im Ergebnis überzeugender. Zwar weisen die Gegner der Ansicht, nach der es auf den „vertragsgemäßen“ Belegenheitsort ankommen soll, zutreffend darauf hin, dass der Belegenheitsort keinesfalls „nicht vertragsgemäß“ sein könne, da der Rückgewährschuldner zunächst grundsätzlich frei über die Leistung verfügen könne.141 Hierbei wird jedoch verkannt, dass „vertragsgemäß“ in diesem Zusammenhang als Wertungskriterium zugunsten des Rücktrittsgegners vor unvorhersehbaren Rückabwicklungskosten verwendet wird.142 In der Tat liegt es nahe, die Belastung des Rücktrittsgegners, wenn man ihn schon wegen seiner Pflichtverletzung grundsätzlich zur Abholung der Sache vom Belegenheitsort verpflichtet, auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Dabei dürfte die Frage, womit der Rücktrittsgegner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses rechnen musste, eine wesentliche Rolle spielen. War für den Rücktrittsgegner erkennbar, dass im Falle der Rücktrittsrückabwicklung besondere Kosten, etwa wegen eines weit entfernt liegenden Erfüllungsortes, auf ihn zu kommen, wird man von ihm in besonderem Maße erwarten können, sich um eine vertragsgemäße Leistung zu bemühen.143 Kommt er diesen Erwartungen nicht nach, lässt sich damit auch eine Auferlegung von außergewöhnlichen Kosten rechtfertigen. Anders ist der Fall jedoch gelagert, wenn der Rücktrittsgegner nicht mit einem besonderen Belegenheitsort rechnen muss – eine Belastung mit zusätzlichen Kosten ist hier weniger 139 Dafür: BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 16; dagegen: JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 33; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5; Annuss, JA 2006, 184, 185 Fn. 21. 140 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 16. 141 So etwa Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5. 142 In diesem Sinne bereits BGH, Urt. v. 18./19.09.1974 – VIII ZR 24/73, WM 1974, 1073. 143 BGH, Urt. v. 18./19.09.1974 – VIII ZR 24/73, WM 1974, 1073.

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angebracht. Aus dem Blickwinkel der Interessengerechtigkeit scheint die Ansicht, dass es für die Bestimmung des Erfüllungsortes der Rückgewährpflicht des Rücktrittsberechtigten auf den vertragsgemäßen Belegenheitsort der zurückzugewährenden Leistung ankommt, vorzugswürdig. Hierbei dürfte es sich indes in der Regel – sofern nicht ausnahmsweise ein anderer Belegenheitsort zwischen beim Vertragsschluss zugrundegelegt wurde – um den Sitz des Rücktrittsberechtigten handeln. b) Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsgegners Wo der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten des Rücktrittsgegners lokalisiert wird, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab – zum einen, ob von einem einheitlichen Erfüllungsort der Rückgewähr ausgegangen wird und zum anderen, nach welchen Kriterien der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten des Rücktrittsberechtigten bestimmt wird. Diesbezüglich kommt die wohl herrschende Meinung – die einen einheitlichen Erfüllungsort annimmt (Figur des sog. Austauschortes)144 – zu dem Ergebnis, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Rücktrittsgegners sich (einheitlich) ebenfalls am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Rücktrittsberechtigten 145 bzw. an dem mit diesem in der Regel identischen Belegenheitsort der vom Rücktrittsberechtigten zurückzugewährenden Sache146 befindet. Die Vertreter der Ansicht, nach der ein einheitlicher Erfüllungsort für die beiderseitigen Rückgewährpflichten abzulehnen ist, kommen für die Rückgewährpflicht des Rücktrittgegners zu dem Ergebnis, dass diese grundsätzlich am Sitz des Rückgewährgegners147 bzw. am Belegenheitsort der zurückzugewährenden Leistung148 zu erfolgen hat. Auch die Frage, ob der Erfüllungsort der Rückgewährverpflichtung des Rücktrittsgegners ebenfalls am Erfüllungsort der Rückgewährverpflichtung des Rücktrittsberechtigten belegen ist, hängt letztlich davon ab, ob man diesbezüglich besondere Umstände annimmt, aus denen sich eine von der regelmäßigen Belegenheit des Erfüllungsortes am Sitz des Schuldners abweichende Bestimmung des Erfüllungsortes ergibt. Die bejahende Ansicht wird damit begründet, dass sich auch in diesem Zusammenhang aus der Natur des Schuldverhältnisses ein vom Grundsatz des § 269 Abs. 1 BGB abweichender Erfüllungsort ergebe: Da dem Rücktrittsgegner beim gesetzlichen Rücktritt in der Regel die Ursache für 144

Skamel, ZGS 2006, 227, 229. So Muscheler, AcP 1987, 343, 386 ff.; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 31; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5; Erman/Artz, § 269 BGB Rn. 16. 146 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 16; HK-BGB/Schulze, § 346 Rn. 12; Erman/ Röthel, § 346 BGB Rn. 5 und Erman/Artz, § 269 BGB Rn. 16 kommen zu diesem Ergebnis jedenfalls für die Fälle des Rücktrittsrechts nach §§ 437 Nr. 2 und 634 Rn. 3 BGB. 147 Stöber, NJW 2006, 2661, 2665; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 90. 148 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 41. 145

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den Rücktritt zurechenbar sei, müsse der Erfüllungsort seiner Rückgewährpflichten ebenfalls dort belegen sein, wo der Rücktrittberechtigte seine Rückgewährpflichten zu erfüllen hat.149 Diese Begründung lässt sich allerdings nicht auf die Rücktrittsrechte nach §§ 313 Abs. 3 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB übertragen, da es hier an einer zurechenbaren Verursachung des Lösungsintereses durch den Rücktrittsgegner fehlt. Die ablehnende Ansicht argumentiert damit, dass das Rückgewährschuldverhältnis gegenüber dem Rücktrittsgrund neutral sein müsse, da sich die Auswirkungen der Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners in der Entstehung des Rücktrittsrechts erschöpften.150 Eine derartige Argumentation verkennt allerdings, dass es sich bei der Ausgestaltung des Rückabwicklungsregimes um eine weitere Stellschraube zum Ausgleich zwischen dem Lösungs- und dem Bestandsinteresse handelt,151 sodass dem Rücktrittsgrund auch auf dieser Ebene durchaus Wirkung zukommen kann. Gegen die Annahme, dass das Rückabwicklungsregime gegenüber dem Rücktrittsgrund neutral sei, lässt sich zudem auf § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB verweisen, bei dem der Rücktrittsgrund nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers Einfluss auf die Ausgestaltung des Rückabwicklungsregimes hat.152 Wieso ein solcher Einfluss nicht auch hinsichtlich der vom Gesetzgeber nicht explizit geregelten Frage nach dem Erfüllungsort der Rückgewährpflichten in Betracht kommen soll, ist nicht ersichtlich. Geht man zutreffend davon aus, dass der (vertragsgemäße) Belegenheitsort der zurückzugewährenden Leistung grundsätzlich mit dem Sitz des Schuldners übereinstimmt, lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass der Erfüllungsortes der Rücktrittsrückgewährpflichten nach der herrschenden Ansicht in der Regel am Sitz des Rücktrittsberechtigten belegen ist. c) Kosten und Gefahrtragung der Rückabwicklung Von Bedeutung ist die Bestimmung des Erfüllungsortes der Rücktrittsrückgewährpflichten auch für die Verteilung der Kosten- und Gefahrtragung, da diese mangels konkreter Bestimmung aus den nach § 346 Abs. 1 BGB begründeten Handlungspflichten folgen.153 Dementsprechend sind die Kosten der Rückgewähr nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich vom Rückgewährschuldner zu tra149 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32; Muscheler, AcP 1987, 343, 387; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 5; in diesem Sinne wohl auch OLG Schleswig, Urt. v. 04.09.2012 – 3 U 99/11, NJOZ 2013, 1255. 150 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 84; so auch Stöber, NJW 2006, 2661, 2663 ff.; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 41. 151 Vgl. oben, Kapitel 2, § 4, A. 152 Zur Regelung des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB unten § 10, A.IV.2.c). 153 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 42; Annuss, JA 2006, 184, 185; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1069.

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gen,154 hinsichtlich der Rücktransportkosten und -gefahr bestehen jedoch Besonderheiten entsprechend der Qualifikation der Rückgewährschuld. Die Kosten des Rücktransports vom Erfüllungsort weg treffen grundsätzlich den Rückgewährgläubiger.155 Geht man mit der h. M. davon aus, dass der Ort der Rückgewähr grundsätzlich am Sitz des Rücktrittsberechtigten liegt, bedeutet dies – jedenfalls für die Rückgewähr von Sachleistungen – dass der Rücktrittsgegner die Transportkosten und -gefahr zu tragen hat. Denn handelt es sich beim Rücktrittsberechtigten um den ursprünglichen Sachleistungsempfänger, ist seine Rückgewährpflicht, deren Erfüllungsort an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz liegt, als Holschuld zu qualifizieren. Handelt es sich beim Sachleistungsempfänger hingegen um den Rücktrittsgegner, befindet sich der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht beim Rückgewährberechtigten, sodass eine Bringschuld vorliegt. Dementsprechend muss der Rücktrittsgegner auch hier die Rücktransportkosten und -gefahr tragen. Etwas anderes könnte allenfalls für Rückzahlungsansprüche aus der Vorschrift in § 270 Abs. 1 BGB folgen, nach der Geldschulden im Zweifel (qualifizierte) Schickschulden sind.156 Aus der Bestimmung der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld ergibt sich, dass der Erfüllungsort beim Schuldner, der Erfolgsort hingegen beim Gläubiger liegt (Schickschuld157) der Rückgewährschuldner gleichwohl die Kosten und das Risiko der Übermittlung zu tragen hat.158 Geht man jedoch mit der h. M. davon aus, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten einheitlich grundsätzlich am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Rücktrittsberechtigten liegt, ist die Rückgewährpflicht des Rücktrittsgegners, der eine Geldleistung empfangen hat, jedoch als Bringschuld zu qualifizieren, sodass die Vorschrift des § 270 BGB in diesen Fällen nicht anwendbar wäre.159 Mit Blick auf die Kosten und das Risiko der Übermittlung des empfangenen Geldbetrags ergibt sich daraus jedoch kein Unterschied, da der Rücktrittsgegner sowohl bei der Qualifikation der Rückzahlungspflicht als Bringschuld als auch bei der Einordnung als qualifizierte Schickschuld zur Kosten- und Gefahrtragung verpflichtet ist. Auswirkungen könnte § 270 BGB jedoch bezüglich Rückzahlungspflichten des Rücktrittsberechtigten haben. Die Anwendung des § 270 BGB auf dessen Rückgewährpflicht würde bedeuten, dass es sich hierbei um eine Schickschuld

154 Annuss, JA 2006, 184, 185; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 31; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 26; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 82. 155 NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 26. 156 Zur Qualifikation von Geldschulden als Schickschulden Erman/Artz, § 270 BGB Rn. 9; an dieser Qualifikation ändert auch die Zahlungsverzugsrichtlinie in der Auslegung des EuGH nichts, wie Schwab überzeugend darlegt, Schwab, NJW 2011, 2833, 2834 ff. 157 Erman/Artz, § 269 BGB Rn. 1. 158 Erman/Artz, § 270 BGB Rn. 1. 159 So etwa ausdrücklich Döll, Rückgewährstörungen, S. 73.

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handelt, bei der er die Kosten der Übermittlung des Geldes zum Rücktrittsgegner zu tragen hat. Dies widerspricht allerdings der Erklärung, auf die sich die Begründung eines einheitlichen Erfüllungsortes der Rückgewährpflichten stützt. Diese lautet nämlich, dass dem Rücktrittsberechtigen beim gesetzlichen Rücktrittsrecht wegen der grds. zurechenbaren Verursachung durch den Rücktrittsgegner die Lasten der Rückabwicklung nicht auferlegt werden dürfen.160 Konsequenterweise muss man dementsprechend auch für Fälle, in denen der Rücktrittsberechtigte zur Rückzahlung von Geld verpflichtet ist, grds. annehmen, dass die Sonderregel des § 270 Abs. 1 BGB nicht greift und es bei der Qualifikation als Holschuld bleibt, sodass nicht der Rücktrittsberechtigte als Rückgewährschuldner, sondern der Rücktrittsgegner die Kosten und Gefahr der Rückübermittlung des Geldes trägt. 2. Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr im Widerrufsfolgenrecht Aus § 355 Abs. 3 S. 1, 3 und § 357 Abs. 5 BGB (ggf. i.V. m. § 357a Abs. 2 S. 4, Abs. 3 S. 3 BGB bzw. § 357c S. 1 BGB, § 4 S. 2 FernUSG) ergibt sich, dass der Widerrufsberechtigte empfangene Waren grundsätzlich zurückzusenden hat161 – es handelt sich bei dessen Rückgewährpflicht mithin um eine Schickschuld,162 sodass der Erfüllungsort der Rückgewährpflicht des Widerrufsberechtigten an dessen Wohnsitz liegt.163 Neben den sich von selbst verstehenden Fällen, in denen der Unternehmer angeboten hat, die Waren abzuholen (§ 357 Abs. 5 BGB),164 ist die Pflicht des Widerrufsberechtigten zur Rückgewähr von Waren auch dann nach § 357 Abs. 6 BGB keine Schickschuld, sofern die Waren bei einem Außergeschäftsraumvertrag zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu seiner Wohnung geliefert wurden und sie so beschaffen sind, dass sie nicht per Post zurückgeschickt werden können.165 Man denke etwa an den Verkauf von 160

JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 32. Wie Mörsdorf feststellt, wird die Pflicht an keiner Stelle ausdrücklich begründet, sondern ergibt sich vielmehr aus der Gesamtschau der Normen, die an die Existenz einer solchen Pflicht anknüpfen, BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 101. 162 Braun, ZGS 2008, 129, 129; Berger, Jura 2001, 289, 292; Klocke, VuR 2013, 377, 378. 163 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 195; Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 6; BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 104; unbenommen bleibt es dem Verbraucher trotz des Wortlauts in § 357 Abs. 5, 6 S. 1 BGB (zurückzusenden bzw. Rücksendung) die Ware persönlich zum Unternehmer zu verbringen, Klocke, VuR 2013, 377, 377. 164 BeckOK/Müller-Christmann, § 357 BGB Rn. 10; die Gründe für ein solches Angebot können sowohl wettbewerblicher Natur (Steigerung der Absatzchancen durch Konditionenverbesserung) als auch praktischer Natur (Vermeidung von Verlusten durch Beschädigungen auf dem Versandweg), Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 887. 165 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 34 f.; zur Versandfähigkeit generell Mankowski, Beseitigungsrechte, 886. 161

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Leitern an der Haustür.166 In diesen (seltenen167) Ausnahmefällen soll der Unternehmer stattdessen zur Abholung auf eigene Kosten verpflichtet sein, sodass es sich um eine Holschuld handelt. Hinsichtlich des Erfüllungsorts der Rückgewährpflicht bedeutet dies allerdings keine Abweichung vom Grundsatz, da er ebenfalls am Sitz des Widerrufsberechtigten belegen ist. Für die Verpflichtung zur Rückzahlung von Geld sind hingegen die allgemeinen Regelungen der §§ 269, 270 BGB anwendbar, sodass es sich auch hier grundsätzlich um eine Schickschuld handelt und der Leistungsort der Rückgewähr damit am Sitz des Rückgewährschuldners belegen ist.168 Sofern der Widerrufsgegner ausnahmsweise zur Rückgewähr von Sachen verpflichtet ist, handelt es sich nach den allgemeinen Grundsätzen um eine Holschuld, sodass der Erfüllungsort auch hier der Sitz des Rückgewährschuldners ist.169 Der Erfüllungsort der Rückgewähr befindet sich damit bei der Widerrufsrückabwicklung in jedem Fall am Wohn- bzw. Geschäftssitz des jeweiligen Rückgewährschuldners. Was die Rückabwicklungskosten und -gefahr betrifft, folgt diese, anders im Rahmen des Rücktrittsrechts, überwiegend nicht unmittelbar aus den jeweiligen Handlungspflichten, sondern aus Spezialregelungen. Nach § 355 Abs. 3 S. 4 BGB trägt etwa der Unternehmer die Gefahr der Rücksendung der Waren durch den Verbraucher.170 Der Verbraucher hingegen trägt nach § 357 Abs. 6 BGB (ggf. in Verbindung mit §§ 357a Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 3 BGB und § 4 S. 2 FernUSG) und § 357c S. 2 BGB grundsätzlich die unmittelbaren Kosten der Rücksendung von empfangenen Sachen.171 Etwas anderes gilt in den oben bereits erwähnten Fällen des § 357 Abs. 6 S. 3 BGB, bei denen der Unternehmer die Waren auf eigene Kosten abzuholen hat.172 Keine Kosten dürfen dem Ver166 Ein weiteres, gleichwohl weniger lebensnahes Beispiel wäre die Anakonda, die der tierliebende Verbraucher von dem netten Zirkus-Verkäufer in der Fußgängerzone erstanden hat, Förster, JA 2014, 801, 804. 167 Unger, ZEuP 2012, 270, 292. 168 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 194; BeckOGK/ Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 106; Braun, ZGS 2008, 129, 129. 169 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 197. 170 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 104; Schärtl, JuS 2014, 577, 581; hierbei handelt es sich um eine nicht von der VR-RiL vorgegebene Bestimmung, Clausnitzer/ Delfs, ZVertriebsR 2014, 3, 6 f.; zu den ungerechtfertigten Divergenzen mit § 474 Abs. 4 BGB Buchmann, K&R 2014, 293, 294 f. 171 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 103; ausgenommen sind Konstellationen, in denen eine entsprechende Belehrung unterblieben ist (§ 357 Abs. 6 S. 1, 2. Hs. BGB), Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 549; Buchmann, K&R 2014, 293, 294; näher zum Umfang der unmittelbaren Kosten der Rückgewähr Erman/Koch, § 357 BGB Rn. 7; dass die Rechtspraxis von dieser Möglichkeit Gebrauch macht mit Recht bezweifelnd, Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 34; eine derartige Regelung bereits in Bezug auf die Schuldrechtsreform im Jahr 2001 fordernd, Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 352. 172 Buchmann, K&R 2014, 293, 294.

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braucher nach § 357b Abs. 1 S. 1 BGB im Falle des Widerrufs von TeilzeitWohnrechteverträgen, Verträgen über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen auferlegt werden, sodass der Unternehmer hier sämtliche Rückabwicklungskosten – wie etwa Kosten einer notariellen Beurkundung, öffentlichen Beglaubigung, Eintragung in das Grundbuch und Zurücknahme eines Eintragungsantrags – zu tragen hat.173 Hinsichtlich der Verpflichtung zur Rückzahlung von Geld (die in der Regel den Unternehmer trifft174) gilt nach § 270 Abs. 1 BGB, dass grundsätzlich der Rückgewährschuldner zur Übermittlung auf seine Kosten und Gefahr verpflichtet ist.175 Eine besondere Situation besteht allerdings im Hinblick auf die Rückabwicklung bei unentgeltlichen Finanzierungshilfen, für die im Gesetz keine ausdrückliche Rückabwicklungsregelung getroffen wird.176 In Bezug auf unentgeltliche Darlehen und unentgeltliche Finanzierungshilfen ist umstritten, ob diese unter den Begriff der Finanzdienstleistung i. S. d. § 312 Abs. 5 S. 1 BGB fallen,177 sodass auch die unmittelbare Anwendbarkeit des § 357a BGB und somit des Verweises in § 357a Abs. 3 S. 4, Abs. 2 S. 2 auf § 357 Abs. 5 und 6 BGB fraglich ist. Mit Blick auf die Unentgeltlichkeit werden teilweise Zweifel geltend gemacht, ob eine Verpflichtung des Verbrauchers zur Rücksendung der erhaltenen Leistung bei unentgeltlichen Finanzierungshilfen auf seine Kosten aus einem übergreifenden Rechtsgedanken in Betracht kommt.178 Wie der Blick auf die Gestaltungshinweise bezüglich des Musters für die Widerrufsbelehrung bei unentgeltlichen Finanzierungshilfen (Anlage 9 zum EGBGB Nr. 4c) verdeutlicht, ging der Gesetzgeber von einer entsprechenden Rücksendepflicht des Verbrauchers aus. Freilich sind Gestaltungshinweise keine Rechtsnormen, sondern setzen solche, wie Bülow/Artz feststellen, voraus.179 Geht man mit der wohl zutreffenden Ansicht davon aus, dass eine § 357a BGB auf unentgeltliche Darlehen und unentgeltliche Finanzierungshilfen nicht unmittelbar anwendbar ist, der Gesetzgeber – wie die Gestaltungshinweise in Anlage 9 zum EGBGB zeigen – jedoch eine entsprechende Rechtsnorm vorausgesetzt hat, liegt eine planwidrige Regelungslücke vor.180 Eine unterschiedliche Interessenlage zwischen den Parteien bei entgeltlichen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen ist jedoch nicht ersicht173

RegE, BT-Drucks.17/2764, S. 26; Erman/Koch, § 357b BGB Rn. 2. BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 106. 175 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 194; BeckOGK/ Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 106. 176 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206. 177 Dafür etwa MünchKommBGB/Schürnbrand, § 514 Rn. 19; a. A. Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 9. 178 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206. 179 Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206. 180 Dafür spricht auch die „Eile des kodifikatorischen Verfahrens“ bei der Schaffung der §§ 514, 515 BGB, Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1208. 174

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lich.181 Insbesondere leuchtet nicht ein, warum Verbraucher im Rahmen von weniger „gefährlichen“ 182 unentgeltlichen Finanzierungshilfen besser geschützt sein sollten als bei entgeltlichen Finanzierungshilfen. Dementsprechend dürfte auch in Bezug auf die Rückabwicklung von unentgeltlichen Finanzierungshilfen grds. eine Verpflichtung des Verbrauchers zur Rücksendung erhaltener Leistungen auf eigene Kosten bestehen. Im Vergleich zu der Bestimmung des Erfüllungsortes der Widerrufsrückgewährpflichten (grundsätzlich am Sitz des Rückgewährschuldners) stellt sich die Gestaltung der Kosten- und Gefahrverteilung im Widerrufsfolgenrecht somit als geradezu unübersichtlich dar. Während dem Unternehmer als Widerrufsgegner beim Widerruf von Teilzeitwohnrechteverträgen sämtliche Kosten und Gefahren zugewiesen werden, hat der Widerrufsberechtigte hinsichtlich der Rückgewähr von Waren beim Widerruf von Verträgen, die im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossen wurden, Verträgen über entgeltliche Finanzierungshilfen, außerhalb von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Ratenlieferungsverträgen und Fernunterrichtsverträgen zumindest die Kosten der Rückgewähr von Waren zu tragen. Sofern der Verbraucher – in der Regel als Darlehensnehmer – zur Rückzahlung von Geld verpflichtet ist, treffen ihn diesbezüglich sowohl die Kosten als auch die (Verspätungs-)Gefahr der Rückübertragung. 3. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung Im Vergleich zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht zeigen sich hinsichtlich der Bestimmung des Erfüllungsortes der Rückgewährpflicht sowie der Verteilung der Rückabwicklungskosten und -gefahr materielle Eigenständigkeiten zwischen den Rechtsinstituten. Während beim Widerruf grds. ausdrücklich geregelt ist, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten der Sitz des jeweiligen Rückgewährschuldners ist und diesen eine Schickschuld trifft, nimmt die zutreffende herrschende Meinung beim Rücktrittsrecht an, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten i. d. R. einheitlich am Sitz des Rücktrittsberechtigen liegt, sodass es sich bei dessen Pflicht lediglich um eine Holschuld handelt, wohingegen die Verpflichtung des Rücktrittsgegners als Bringschuld ausgestaltet ist. Nur in den Fällen des Rücktritts nach §§ 313 Abs. 3 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB ist konsequenter Weise davon auszugehen, dass der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten sich am Sitz des jeweiligen Rückgewährschuldners befindet und dementsprechend sowohl den Rücktrittsberechtigten als auch den Rücktrittsgegner in Bezug auf die eigene Rückgewährpflicht lediglich eine Holschuld trifft. 181 Worin die „belastbaren Gründe“ gegen eine analoge Anwendung der §§ 357a Abs. 3 S. 4, Abs. 2 S. 2, 357 Abs. 5 und 6 BGB aus ihrer Sicht bestehen, lassen Bülow/ Artz leider offen, Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206. 182 s. o., Kapitel 2, § 6, C.I.1 und E.II.

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Beim Rücktritt werden Kosten und Gefahr der Rückgewähr zudem grds. vollständig dem Rücktrittsgegner aufgebürdet. Eine Ausnahme bilden auch hier die Fälle des Rücktritts nach §§ 313 Abs. 3 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB, nach denen der Rücktrittsgegner lediglich die Kosten und Gefahr für die Rückerlangung der eigenen Leistung zu tragen hat. Im Widerrufsfolgenrecht trifft den Widerrufsgegner eine Verpflichtung zur vollständigen Kostentragung nur im Rahmen der Rückabwicklung von Teilzeitwohnrechteverträgen und ähnlichen Verträgen im Sinne der §§ 481 ff. BGB sowie den Ausnahmefällen des § 357 Abs. 6 S. 3 BGB. In den übrigen Fällen werden dem Widerrufsberechtigten grds. zumindest die Kosten für die Rückübertragung der empfangenen Leistung auferlegt. Die Gefahr trägt grds. der Widerrufsgegner. Sofern es sich bei der Rückgewährpflicht des Widerrufsberechtigten um die Rückzahlung von Geld handelt, trifft diesen darüber hinaus die (Verspätungs-)Gefahr. In den Ausnahmefällen, in denen der Widerrufsgegner zur Herausgabe von Sachen verpflichtet ist, muss der Widerrufsberechtigte diese sogar auf seine Kosten und Gefahr abholen. Insgesamt lässt sich in diesem Zusammenhang also eine Privilegierung des Rücktrittsberechtigten gegenüber dem Widerrufberechtigten bzw. eine Benachteiligung des Rücktrittsgegners gegenüber dem Widerrufsgegner konstatieren. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Kosten des Rücktransportes, die der Rücktrittsgegner grds. vollständig tragen muss, während dem Widerrufsgegner in der Regel nur die Kosten für die Rückgewähr der seinerseits empfangenen Leistung auferlegt werden. Im Gegensatz zum Rücktrittsberechtigten muss der Widerrufsberechtigte für die Rückzahlung von Geld zudem die Verzögerungsgefahr tragen. Ferner wird der Widerrufsberechtigte, anders als der Rücktrittsberechtigte, auch mit nicht erstattungsfähigen Umständlichkeiten belastet.183 Denn der Erfüllungsort der Rückgewährpflichten sowohl des Widerrufs- als auch des Rücktrittsberechtigten befindet sich zwar an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz, bei der Pflicht des Widerrufsberechtigten handelt es sich jedoch in aller Regel um eine Schickschuld, während die Pflicht des Rücktrittsberechtigten lediglich als Holschuld ausgestaltet ist.184 Der Widerrufsberechtigte muss also den Rücktransport organisieren und in die Wege leiten,185 während der Rücktrittsberechtigte grds. lediglich auf Abholung der Leistung warten muss.186 Nur im Hinblick auf die Fälle des Rücktritts nach §§ 313 Abs. 3 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB besteht insoweit eine dem Widerrufsrecht entsprechende Regelung.

183 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 885; Löwe, NJW 1974, 2257, 2261; Braun, ZGS 2008, 129, 129; dies umfasst auch die Pflicht zum Abbau von zu Prüfungszwecken aufgebauter Ware, Buchmann, K&R 2014, 293, 296 f. 184 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 885. 185 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 199. 186 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 885.

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Der Grund dafür, dass die h. M. den Rücktrittsgegner mit den oben aufgeführten Nachteilen belastet, liegt darin, dass dem Rücktrittsgegner die Entstehung des Lösungsinteresses des Rücktrittsberechtigten regelmäßig zurechenbar ist.187 Anders als beim Rücktritt trifft die Verantwortlichkeit für die Ursache des Lösungsrechts in den überwiegenden Fällen des Widerrufs jedoch nicht allein den Erklärungsgegner.188 Da die Ursache des Lösungsinteresses für gewöhnlich nicht allein dessen Vertragspartner zurechenbar ist, kommt hier eine entsprechende Privilegierung des Lösungsberechtigten zulasten des Vertragspartners, wie sie beim Rücktritt erfolgt, nicht in Betracht.189 Die sich insoweit gegen den Verbraucher richtenden Widerrufsfolgen sind der Preis, welcher dieser für sein relativ weitgefasstes Recht zur Lösung einem Vertrag zu zahlen hat.190 Erst dort, wo die Belastung des Verbrauchers derart hoch ist, dass diese gleichsam prohibitiv wirkt und den Widerruf zur unattraktiven Option macht (man denke etwa an die Fälle des § 357 Abs. 6 S. 3 BGB), ist ihre Grenze zu ziehen.191 Diese Grenze sieht Mayer indes bereits durch die bloße Zuweisung der Rücksendekosten an den Verbraucher erfüllt, weshalb er die Kostentragungspflicht als zur Förderung des Binnenmarktes kontraproduktiv einstuft.192 Dabei übersieht er jedoch, dass auch eine Belastung der Unternehmer mit erheblichen Pflichten ebenso zu Beeinträchtigungen des Binnenmarktes führen kann, weshalb ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verbraucherschutz und Wettbewerbsfähigkeit erforderlich ist.193 Mit Blick auf die oben dargelegten Argumente ist hier ein solches ausgewogenes Verhältnis zu bejahen.194 Entgegen der Ansicht von Janal, wonach ein augenscheinlicher Grund für eine Differenzierung fehlt,195 ist die Ausnahme nach § 357 Abs. 6 S. 3 BGB durchaus gerechtfertigt:196 Dem Verbraucher wird es bei Waren, die nicht per Post zurückgesandt werden können, oftmals an einer Transportmöglichkeiten für den Rücktransport fehlen. Da der Unternehmer die Ware bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses liefern konnte, sind entsprechende Möglichkeiten bei ihm hingegen offensichtlich vorhanden. Da die Abholung durch den Widerrufsgegner hier im Zweifel zu deutlich geringeren Kosten und mit geringerem Aufwand 187

s. o., Kapitel 2, § 5, J.; so auch bereits Stoll, AcP 1929, 141, 167. s. o., Kapitel 2, § 6, H. 189 Unger, ZEuP 2012, 270, 292; so im Ergebnis wohl auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.03.1970 – 5 U 120/69, MDR 1970, 587. 190 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 882; in diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 292. 191 Artz, JJZ, S. 227, 251 f. 192 Meyer, NJ 2014, 364, 367. 193 Koch, JZ 2014, 758, 758. 194 In diesem Sinne auch Koch, JZ 2014, 758, 763. 195 Janal, WM 2012, 2314, 2321. 196 Erman/Koch, § 357 BGB Rn. 9. 188

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möglich ist, als wenn den Widerrufsberechtigten eine Schickschuld treffen würde, ist in derartigen Fällen ausnahmsweise eine Holschuld zu statuieren.197 Vor dem Hintergrund, dass eine zu hohe Belastung des Widerrufsberechtigten die Effektivität des Widerrufsrechts beeinträchtigen könnte,198 erscheint es also angebracht den Widerrufsgegner hier zu belasten. Der Grund für die Privilegierung des Verbrauchers hinsichtlich der Rückabwicklungskosten im Rahmen der von § 357b BGB erfassten Verträge dürfte darin liegen, dass es sich insbesondere bei Teilzeitwohnrechteverträgen um Verträge handelt, bei denen die Rückabwicklung (man denke an die zuvor erwähnten Notar- und Eintragungskosten) potentiell von solcher Höhe sind, dass der Widerrufsberechtigte andernfalls von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten werden könnte, wodurch die Effektivität des Widerrufsrechts gefährdet wäre.199 Die materiellen Eigenständigkeiten zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht sind im Hinblick auf die Verteilung der Rückabwicklungskosten, -gefahren und nicht ersatzfähigen Umständlichkeiten also sachlich gerechtfertigt. 4. Einordnung in den Kontext der Regelung Der Rücktritt dient dazu, dem Rücktrittsberechtigten seine Dispositionsfreiheit zurückzugeben, wozu ihm auch bereits erbrachten Leistungen zurückzugewähren sind.200 Im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts sind allerdings grundsätzlich auch die Interessen des jeweiligen Vertragspartners zu berücksichtigen, sodass dieser ebenfalls von Leistungspflichten befreit werden muss und ihm erbrachte Leistungen zurückzugewähren sind.201 Primär geht es beim Rücktrittsfolgenrecht also zutreffend um die Wiederherstellung des Zustands, wie er nach Vertragsschluss, aber vor dem Leistungsaustausch bestand.202 Der Widerruf soll den Widerrufsberechtigten von der Bindung an einen unerwünschten Vertrag befreien – wozu ihm ebenfalls die erbrachten Leistungen zurückzugewähren sind. Auch hier sind allerdings die Interessen der anderen Partei mit denjenigen des Widerrufsberechtigten in Ausgleich zu bringen, sodass auch ihm die erbrachten Leistungen zurückzugewähren sind. Ziel des Widerrufsfolgenrechts ist also grundsätzlich die Wiederherstellung des Zustands vor dem Vertragsschluss. Wurden von den Parteien jedoch bereits Leistungen ausgetauscht, lässt sich weder der Zustand, von vor dem Vertragsschluss, noch der Zustand, wie er nach dem Vertragsschluss aber

197 198 199 200 201 202

BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 104. Erman/Koch, § 357 BGB Rn. 9. BeckOK/Müller-Christmann, § 357b BGB Rn. 1. Kapitel 2, § 5, J. Hierzu bereits oben § 8. Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 5.

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vor dem Leistungsaustausch bestanden hat, vollständig wiederherstellen.203 Denn bereits die hierzu erforderliche Rückabwicklung verursacht in der Regel Kosten und nicht in Geldwert bezifferbare Unannehmlichkeiten – zudem ist sie mit Gefahren verbunden. Bei der Aufteilung dieser Kosten, Unannehmlichkeiten und Gefahren zwischen den Parteien geht es also nicht um den primären Zweck des Vertragsauflösungsrecht zu erreichen, sondern vielmehr um Verteilung der Lasten in Konstellationen, in denen der primäre Zweck gerade nicht vollständig erreicht werden kann. Diese Aufteilung der Kosten, Unannehmlichkeiten und Gefahren der Rückabwicklung ist somit nicht dem Kernbereich des Rücktritts- und Widerrufsrechts zuzuordnen. Gleichwohl sind sie, da sie die Modalitäten der Rückgewähr regeln und somit mittelbar den Kernbereich betreffen, in den Mittelbereich einzuordnen. II. Zeitpunkt der Rückgewähr 1. Die Regelungen im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht Mangels besonderer Vorschriften in den §§ 346 ff. BGB bestimmt sich die Leistungszeit der Rückgewährpflichten beim Rücktritt nach den allgemeinen Regelungen, sodass hier gem. § 271 BGB sofortige Fälligkeit mit Entstehung der Rückgewährpflicht, also ab dem Zeitpunkt, ab dem die Rücktrittserklärung beim Rücktrittsgegner zugeht, eintritt. Da die sich aus dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen der Parteien gem. § 348 BGB Zug-um-Zug zu erfüllen und die Vorschriften der §§ 320, 322 BGB entsprechend anwendbar sind,204 kann der Rückgewährgläubiger sich allerdings nicht auf eine bloße Mahnung beschränken, um den Rückgewährschuldner in Schuldnerverzug zu setzten.205 Vielmehr muss der Rückgewährgläubiger hierzu auch die Rückgewähr der seinerseits in Folge des Rücktritts geschuldeten Leistungen in Annahmeverzug begründender Weise anbieten.206 Im Widerrufsfall sind die empfangenen Leistungen nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB grundsätzlich unverzüglich zurückzugewähren.207 Die Regelung betrifft ihrem Wortlaut nach die Fälligkeit der Rückgewährpflicht.208 Der Begriff „unverzüglich“ scheint auf die Legaldefinition des § 121 BGB zu verweisen.209 Demnach hätte der Rückgewährschuldner grundsätzlich ohne schuldhaftes Zö203 Hütte, Gefahrverteilung und Schadensersatz im Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 13. 204 Büdenbender, AcP 2000, 627, 639. 205 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 293; Herresthal, Jura 2008, 561, 566. 206 BGH, Urt. v. 15.11.1996 – V ZR 292/95, NJW 1997, 581. 207 Korch, NJW 2015, 2212, 2212; Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 548. 208 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 107. 209 In diesem Sinne wohl Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 190.

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gern zu leisten. Dies hätte wiederum zur Folge, dass sich die Fälligkeit anders als im Regelfall des § 271 BGB („sofort“) nicht nach rein objektiven Kriterien bestimmt würde, sondern es auf ein Verschulden des Rückgewährpflichtigen ankäme.210 Ob es für den Zeitpunkt der Fälligkeit jedoch tatsächlich auf ein Vertretenmüssen des Rückgewährschuldners ankommt, scheint fraglich. Die Formulierung der unverzüglichen Leistungspflicht findet sich auch in den Richtlinienvorgaben, namentlich Art. 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 VR-RiL, Art. 13 Abs. 3 lit. b VK-RiL sowie Art. 7 Abs. 4, 5 FernabsatzFinanz-RiL. Mit der Übernahme des Begriffs der Unverzüglichkeit dürfte der nationale Gesetzgeber also lediglich versucht haben Umsetzungsdefizite zu vermeiden.211 Dass der nationale Gesetzgeber autonome Regelungsabsichten verfolgt hat, ist nicht ersichtlich. Dass aber der Richtliniengeber mit der Formulierung „ohne unangemessene Verzögerung“ (without undue delay, dans les meilleurs délais) die Frage, ab wann der Rückgewährgläubiger die Leistung fordern darf, davon abhängig machen wollte, ob der Rückgewährschuldner die Leistung vorsätzlich oder fahrlässig verzögert, darf bezweifelt werden.212 Unterstellt man, dass auch der Richtliniengeber in Art. 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 VR-RiL, Art. 13 Abs. 3 lit. b VK-RiL sowie Art. 7 Abs. 4, 5 FernabsatzFinanz-RiL mit der Anordnung der unverzüglichen Leistungspflicht die Fälligkeit regeln wollte, liegt es nahe, dass die Unverzüglichkeit hier nicht im Sinne der Legaldefinition in § 121 BGB verstanden wurde, sondern objektiv – also gleichbedeutend mit dem in § 271 BGB verwendeten „sofort“ – gemeint ist.213 Da der nationale Gesetzgeber mit der Übernahme des Begriffs unverzüglich jedoch gerade keine eigenen Regelungsabsichten verfolgte, sondern damit seiner Umsetzungspflicht in bestmöglicher Weise nachkommen wollte, scheint es angebracht § 355 Abs. 3 S. 1 BGB europarechtskonform in der Weise auszulegen, dass der Begriff unverzüglich im nicht auf die Legaldefinition in § 121 BGB Bezug nimmt, sondern autonom im Sinne von „sofort“ zu verstehen ist.214 Die Grundregelung zur Fälligkeit der Rückgewährpflichten im Rahmen der Widerrufsrückabwicklung in § 355 Abs. 3 S. 1 BGB wird für einzelne Widerrufsrechte durch sogenannte Höchstfristen ergänzt.215 Für die Rückgewährpflichten beim Widerruf von im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossener Verträge bestimmt etwa § 357 Abs. 1 BGB eine Höchstfrist von 14 Tagen für die Rückgewähr.216 Dies gilt gem. § 357c S. 1 BGB und nach § 4 S. 2 FernUSG 210 Zum Unterschied zwischen den Begriffen „sofort“ i. S. d. § 271 BGB und „unverzüglich“ i. S. d. § 121 BGB ausführlich BeckOK/Unberath, § 271 BGB Rn. 20. 211 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 110.1. 212 So auch BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 109 ff. 213 Dass die Fälligkeit unionsrechtlich im Sinne einer sofortigen Fälligkeit vorgegeben ist, auch BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 109. 214 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 548; BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 110. 215 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 107. 216 Korch, NJW 2015, 2212, 2212.

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auch für die Rückgewährpflichten infolge eines Widerrufs von nicht im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossener Ratenlieferungsverträgen und Fernunterrichtsverträgen. Hinsichtlich des Widerrufs von Verträgen über Finanzdienstleistungen beträgt die Höchstfrist nach § 357a Abs. 1 BGB 30 Tage. Nach § 355 Abs. 3 S. 2 BGB beginnen die Höchstfristen für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung und für den Unternehmer mit ihrem Zugang.217 Indes dürfte es sich, entgegen der wohl von Grüneberg218 vertretenen Auffassung, bei diesen Höchstfristen nicht um von der Grundregel des § 355 Abs. 3 S. 1 BGB abweichende Fälligkeitsbestimmungen handeln. Unter Betrachtung von Erwägungsgrund 48 VR-RiL, der den Verbraucher verpflichtet, „die Waren spätestens 14 Tage nach dem Tag zurückzusenden, an dem er den Unternehmer über seinen Widerruf informiert hat“ und für den Fall, dass „der Unternehmer oder der Verbraucher die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufsrechts nicht [erfüllt]“, „Sanktionen“ verlangt, scheint es naheliegend, dass der Richtliniengeber mit den Höchstfristen den Zeitpunkt vorgibt, ab dem die Nichterfüllung spätestens zu den geforderten Sanktionen führen muss.219 Aus der notwendigen europarechtskonformen Interpretation folgt deshalb, entgegen der von Schärtl220 vertretenen Ansicht, dass die Höchstfristen der §§ 357 Abs. 1, 357a Abs. 1 BGB lediglich den Zeitpunkt eines automatischen Verzugseintritts vorgeben.221 Es lässt sich an dieser Stelle also festhalten, dass die Fälligkeit, wie es der Regelung des § 271 BGB entspricht, sofort mit Entstehung der Rückgewährpflichten eintritt – also ab dem Zeitpunkt, ab welchem dem Widerrufsgegner die ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zugeht.222 Ab diesem Zeitpunkt können die Parteien die Leistung verlangen und den Rückgewährschuldner durch eine entsprechende Mahnung – ein Vertretenmüssen vorausgesetzt – nach § 286 BGB in Verzug setzen.223 Nach Ablauf der Höchstfrist tritt der Verzug automatisch ein, einer Mahnung bedarf es nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.224 Eine Zug-um-Zug Verknüpfung der Rückgewährpflichten besteht mangels einer dem § 348 BGB entsprechender Regelung im Rahmen des Widerrufsfolgen-

217 Kritisch in Bezug auf die Formulierung durch den Umsetzungsgesetzgeber Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 548. 218 In diesem Sinne wohl aber Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 2. 219 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 112. 220 Schärtl, JuS 2014, 577, 581. 221 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 112; Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1087. 222 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 111. 223 BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 111. 224 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 190.

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rechts grds. nicht,225 sodass der Verzugseintritt nicht von einem verzugsbegründenden Angebot der Leistung des Gläubigers abhängig ist. Sofern gesetzliche Höchstfristen für die Rückgewährpflichten beim Widerruf angeordnet werden, beginnt die Frist zur Rückgewähr für den Widerrufsberechtigten vielmehr regelmäßig vor derjenigen des Widerrufsgegners.226 Andererseits reicht es für den Widerrufsberechtigten zur Fristwahrung aus, die Leistung rechtzeitig abzusenden (§ 355 Abs. 3 S. 3 BGB), während der Widerrufsgegner nach allgemeinen Regeln dafür sorgen muss, dass die Leistung bis zum Ablauf der Frist beim Verbraucher eintrifft.227 Ob die Regelungen in der Zusammenschau eine theoretische Vorleistungspflicht des Unternehmers bedeuten,228 darf bezweifelt werden. Die Gesamtschau des § 355 Abs. 3 BGB ergibt diesbezüglich vielmehr ein differenziertes Bild – jedenfalls bei einem Widerruf mittels Brief dürften sich die Unterschiede zwischen dem Fristbeginn und dem Fristende negieren. Allenfalls wenn der Verbraucher zur Erklärung seines Widerrufs ein unmittelbareres Medium wie etwa die E-Mail nutzt, mag die Bestimmung eine Vorleistungspflicht des Unternehmers begründen. Im Ergebnis führt die – vom deutschen Gesetzgeber zudem wohl auch falsch umgesetzte229 – Ausgestaltung der Höchstfristen zumindest dazu, dass sowohl der Rücktrittsberechtigte als auch der Rücktrittsgegner die ihrerseits empfangenen Leistungen regelmäßig auf den Weg zu ihrem jeweiligen Vertragspartner bringen müssen, bevor sie sich der Rückgewähr ihrer Leistungen durch den anderen Teils sicher sein können, sodass jedem Vertragspartner hier (unnötige) Transaktionsrisiken drohen.230 Explizit eine Vorleistungspflicht des Widerrufsberechtigten statuiert jedenfalls der rechtspolitisch nicht unumstrittene231 § 357 Abs. 4 BGB, indem dem Widerrufsgegner bei Verbrauchsgüterkäufen grds. ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Rückgewährpflichten gewährt wird, bis er die Ware des Widerrufsberechtigten zurückerhalten hat, oder der Wider-

225 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 191; dies ausdrücklich begrüßend Korch, NJW 2015, 2212, 2213. 226 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 26. 227 Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 27; Förster, JA 2014, 801, 802. 228 So Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 26. 229 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; zustimmend BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 113. 230 In diesem Sinne wohl auch Unger, ZEuP 2012, 270, 290. 231 Die Regelung als angemessenen Interessenausgleich einordnend, Koch, JZ 2014, 758, 762; a. A. mit Hinweis auf das Insolvenzrisiko, dass die Regelung dem Verbraucher auflastet, Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; in diesem Sinne auch Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 548; kritisch auch Schärtl, JuS 2014, 577, 581, der feststellt, dass die Regelung dem Kernanliegen der VRR-RiL diametral widerspricht; die Regelung als nicht weit genug gehend, um den schutzwürdigen Interessen des Unternehmers gerecht zu werden, kritisierend Buchmann, K&R 2014, 293, 293.

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rufsberechtigte zumindest einen Nachweis über die Absendung der Ware erbracht hat.232 Ein derartiges Zurückbehaltungsrecht steht dem Widerrufsgegner nach § 357 Abs. 4 S. 2 BGB selbstverständlich nicht zu, wenn er angeboten hat die Waren abzuholen.233 Im Falle eines solchen Angebots sind die Leistungen nach h. M. stattdessen Zug-um-Zug zurückzugewähren.234 Für die Ansicht, hier trotz nicht eindeutiger Gesetzeslage eine Zug-um-Zug Verpflichtung anzunehmen, wird dabei argumentiert, dass der Unternehmer andernfalls – da er auch bei der Abholung der Sache regelmäßig auf die Mitwirkung des Verbrauchers angewiesen sei – häufig von einem entsprechenden (für den Verbraucher oft günstigen) Angebot absehen würde.235 Der Verzugseintritt des jeweiligen Rückgewährschuldners hinge nach dieser Auffassung davon ab, dass der Rückgewährgläubiger die seinerseits geschuldete Leistung in Annahmeverzug begründender Weise angeboten hat.236 2. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten, Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung und Einordnung in den Kontext der Regelung Die in § 355 Abs. 3 S. 1 BGB angeordnete unverzügliche Fälligkeit der Widerrufsrückgewährpflichten stimmt – nach der hier vertretenen Auffassung – inhaltlich mit der für die Rücktrittsrückgewährpflicht geltenden sofortigen Fälligkeit nach § 271 BGB überein.237 Was den Fälligkeitszeitpunkt der jeweiligen Rückgewährpflichten betrifft, besteht demnach inhaltliche Identität zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich des Verzugseintritts, also des Zeitpunkts, ab dem die Überschreitung des Leistungszeitpunkts zu Sanktionen führt. Während für die Rücktrittsrückgewährpflichten die allgemeine Regelung der §§ 280 I, II, 286 BGB gilt, es also grundsätzlich auf eine Mahnung des Rückgewährgläubigers ankommt, werden im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts für die überwiegende Anzahl der Fälle Höchstfristen zur Rückgewähr vorgesehen, nach deren Ablauf der Verzug automatisch eintritt. Zudem besteht zwischen den Rückgewährpflichten im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts, anders als im Rücktritts232 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; Korch, NJW 2015, 2212, 2212; Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 355 BGB Rn. 26; Leier, VuR 2013, 457, 459. 233 Förster, ZIP 2014, 1569, 1574. 234 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.11.2014 – I-15 U 46/14, NJW-RR 2015, 877 Rn. 82; Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 191. 235 HK-BGB/Schulze, § 357 Rn. 7; Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 5; BeckOK/ Müller-Christmann, § 357 BGB Rn. 6. 236 Zur Unanwendbarkeit des § 288 Abs. 5 BGB auf Rückzahlungsansprüche des Verbrauchers Korch, NJW 2015, 2212. 237 So auch BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 107 ff.

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folgenrecht, in aller Regel keine Zug-um-Zug Abhängigkeit. Der Schuldnerverzug ist dort dementsprechend nicht daran gebunden, dass der Gläubiger die seinerseits geschuldete Leistung zumindest angeboten hat. Die Parteien werden im Widerrufsfolgenrecht somit grundsätzlich zur Rückgewähr verpflichtet, ohne sich der ihnen zurückzugewährenden Leistung sicher sein zu können. In den Fällen des § 357 Abs. 4 BGB wird der Widerrufsberechtigte im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs sogar ausdrücklich zur Vorleistung verpflichtet. Durch die Vorgabe von Höchstfristen zur Rückgewähr und auch durch die Nichtanordnung einer Zug-um-Zug Verknüpfung der Rückgewährpflichten soll die Widerrufsrückabwicklung beschleunigt werden.238 Eine beschleunigte Rückabwicklung des widerrufenen Vertrags liegt häufig im besonderen Interesse des Widerrufsgegners.239 Die für die Widerrufsrechte vorausgesetzte unternehmerische Tätigkeit kennzeichnet den Widerrufsgegner als „repeat player“ 240, der in aller Regel eine Vielzahl von widerrufbaren Geschäften tätigt und deshalb potentiell mit einer größeren Anzahl von entsprechenden Widerrufsrückabwicklungsfällen konfrontiert ist. Eine zulasten der Risikovermeidung beschleunigte und damit weniger kostenintensive Rückabwicklung kann sich insbesondere bei einer größeren Anzahl von entsprechenden Transaktionen als wirtschaftlich vorteilhaft erweisen.241 Dass das Interesse des Widerrufsgegners an einer beschleunigten Rückabwicklung des Widerrufs, anders als im Rahmen des Rücktritts – bei dem sich allerdings auch bereits die Gruppe der Rücktrittsgegner als ambivalenter erweist – besonders berücksichtigt wird, ist durch die unterschiedliche Interessenwertung auf Ebene des Lösungsrechts gerechtfertigt. Das Bestandsinteresse des Lösungsgegners hat im Rahmen der Widerrufsrechte grundsätzlich eine geringere Gewichtung erfahren als in den Vorschriften über die Begründung der Rücktrittsrechte.242 Die Geringergewichtung des Interesses des Widerrufsgegners auf der Ebene des „Ob“ einer Lösungsmöglichkeit legitimiert insofern eine besondere Berücksichtigung von dessen Interesse auf der Ebene des „Wie“ der Vertragsauflösung – also auf der Rechtsfolgenseite. Die materielle Eigenständigkeit hinsichtlich der synallagmatischen Verknüpfung im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht lässt sich zudem auch mit den Unterschieden hinsichtlich der Bezugspunkte der materialen Legitimierung rechtfertigen. Da der Rücktritt auf Störungen der vertraglichen Äquivalenz reagiert, ist hier ein Fortbestand des ursprünglichen Synal-

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Unger, ZEuP 2012, 270, 290. Ausführlich zum Verzicht auf eine Zug-um-Zug-Verknüpfung der der Rückgewährpflichten BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 21.1. 240 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 7. 241 Die Rationalisierungsmöglichkeiten des Unternehmers als das Widerrufsmodell prägendes Element hervorhebend auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 7. 242 s. o. § 7. 239

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lagmas auch im Rahmen der Rückabwicklung angebracht, während beim Widerruf, der das Synallagmas selbst betrifft, eine derartige Regelung nicht angebracht scheint.243 Bei der Vorleistungspflicht des Widerrufsberechtigten nach § 357 Abs. 4 BGB handelt es sich ebenfalls um eine Privilegierung des Widerrufsgegners gegenüber dem Rücktrittsgegner. Die Vorleistungspflicht des Widerrufsberechtigten soll das Interesse des Widerrufsgegners am Rückerhalt der Ware sichern.244 Zur Rechtfertigung der daraus resultierenden materiellen Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht lässt sich dementsprechend die Argumentation von zuvor übertragen. Die Geringergewichtung des Interesses vom Widerrufsgegner auf der Ebene des „Ob“ einer Lösungsmöglichkeit rechtfertigt auch hier eine besondere Berücksichtigung von dessen Interesse auf der Rechtsfolgenseite. Hinzu kommt, dass dem Widerrufsgegner, anders als es beim Rücktrittsgegner in der Regel der Fall ist, grundsätzlich keine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Eine entsprechende Vorleistungspflicht des Rücktrittsberechtigten kommt also bereits wegen der aus der Pflichtverletzung folgenden geringeren Vertrauenswürdigkeit des Rücktrittsgegners nicht in Betracht. Da der Unternehmer sich im Rahmen des Widerrufsrechts grds. vertragstreu verhalten hat, ist es insofern eher angebracht, den Verbraucher mit dem Risiko einer Insolvenz245 des Unternehmers zu belasten. Soweit Mankowski vor einem „nicht zu unterschätzenden Risiko für den Verbraucher“ warnt, bei „unseriösen Anbietern von Haustürgeschäften [. . .] seiner hingegebenen Leistung verlustig zu gehen“ 246 gilt dem entgegenzuhalten, dass die fehlende Seriosität des Unternehmers wohl weder der tatsächliche Regelfall sein dürfte, noch die Widerrufsrechte nach dem gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresse auf derartige Konstellationen zugeschnitten sind. Insgesamt erweisen sich die materiellen Eigenständigkeiten zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht hinsichtlich des Zeitpunktes der Rückgewähr als sachlich gerechtfertigt. Die Bestimmungen zur Rückgewährfrist zählen zu den Modalitäten der Rückgewähr und lassen sich dementsprechend wie der Erfüllungsort, Kosten- und Gefahrtragung der Rückgewähr in den Mittelbereich im Regelungskontext einordnen. Die Regelungen hinsichtlich des Verzugseintritts stehen mit der Rückgewährfrist zwar in einem Zusammenhang und gehören deshalb im weitesten Sinne zu den Regelungen des Zeitpunkts der Rückgewähr, zu den Modaltäten der Rückgewähr im engeren Sinne zählen sie gleichwohl nicht. Vielmehr handelt es sich um Bestimmungen zur Absicherung der Rückgewährpflichten. Als bloße Hilfsbestimmungen sind sie dementsprechend der Peripherie zuzuordnen. 243 244 245 246

In diesem Sinne bereits Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 18 f. BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 21. Hierzu bereits oben Kap. 3, Fn. 231. Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 358.

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§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen A. Die Wertersatzpflicht im Rücktrittsfolgenrecht I. Grundsätzliches In den Fällen des § 346 Abs. 2 S. 1 BGB, namentlich sofern die Rückgewähr nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist (Nr. 1), der empfangene Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet bzw. umgestaltet wurde (Nr. 2),247 sich verschlechtert hat oder untergegangen ist (Nr. 3), tritt an die Stelle der (primären) Rückgewährpflicht des Erlangten eine Wertersatzpflicht. Dementsprechend muss der Rückgewährschuldner etwa das Ergebnis einer Umgestaltung als solches nicht herausgeben.248 Der Natur des Erlangten nach ausgeschlossen ist die Rückgabe, sofern das Empfangene kein Gegenstand oder Recht ist.249 Die Regelung des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB betrifft also insbesondere unkörperliche Hauptleistungen wie etwa Gebrauchsüberlassungen, Dienst- oder Werkleistungen.250 Unter Verbrauch ist die auf den endgültigen Verlust zielende bestimmungsgemäße Verwendung des Gegenstands zu verstehen,251 nicht hingegen die mit dem Gebrauch einhergehende Verschlechterung.252 Die Veräußerung, wie auch die Belastung, setzt grds. die Vollendung des dinglichen Erwerbstatbestands voraus.253 Umstritten ist allerdings, ob schuldrechtliche Verträge, wenn sie – wie Miete oder Pacht – eine Rückgewähr auch an den Rückgewährgläubiger hindern, gleichzustellen sind.254 Die Begriffe der Verarbeitung und Umgestaltung sind im Sinne des § 950 BGB zu verstehen, sodass eine Reparatur diese Voraussetzungen nicht erfüllt.255 Die in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB geregelten Fälle haben inso247 Zur Frage nach einer Pflicht zur Rückgängigmachung der Veränderung bereits oben, Kapitel 3, § 9, A.I. 248 Schwab, JuS 2002, 630, 631. 249 Annuss, JA 2006, 184, 186; vgl. auch Kaiser, Rückabwicklung, S. 114. 250 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 20; Döll, Rückgewährstörungen, S. 85; nach teilweise vertretener Auffassung handelt es sich bei der Regelung des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB um eine an systematisch falscher Stelle eingeordnete Sonderform der primären Rückgewährpflicht, Gaier, WM 2002, 1, 4 f.; so auch Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059; wie Lobinger feststellt, ist diese Ansicht jedoch weder materiell erheblich, noch dogmatisch überzeugend, Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 66; hinsichtlich der Rechtfertigung des systematischen Standorts von § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 96. 251 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 73. 252 Döll, Rückgewährstörungen, S. 153; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 40; Faust, JuS 2009, 481, 484; den Verbrauch als Form der Nutzung verstehend Kaiser, JZ 2001, 1057, 1067. 253 Döll, Rückgewährstörungen, S. 154 f. 254 Dafür etwa: MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 39; Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 5a; dagegen Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 140. 255 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 42; Gaier, WM 2002, 1, 8; Faust, JuS 2009, 481, 484.

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weit gemeinsam, dass die Rückgewährstörung aus bewussten Entscheidung des Rückgewährschuldners resultiert, die empfangene Leistung für eigene Zwecke zu nutzen und damit endgültig in sein Vermögen zu inkorporieren.256 Hierdurch unterscheiden sich die die Konstellationen des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB von denen der Nr. 3, bei denen es für die Begründung der Wertersatzpflicht nicht auf eine bewusste Entscheidung des Rückgewährschuldners zur Einverleibung der Leistung ankommt. Als Untergang im dortigen Sinne gilt die vollständige Vernichtung der Sachsubstanz bzw. das Erlöschen des empfangenen Rechts.257 Die Verschlechterung meint jede nachteilige Beeinträchtigung von Substanz oder Funktion des herauszugebenden Gegenstands, sofern diese nicht auf eine der im vorrangigen § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB genannten Handlungen zurückzuführen ist.258 Nicht erfasst sind damit nach überzeugender Ansicht Verschlechterungen durch Marktpreiseinbußen.259 Ob die Verschlechterung auch übliche Beeinträchtigungen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs erfasst, ist umstritten.260 Nach der wohl herrschenden Meinung ist die Regelung zum Nutzungsersatz vorrangig und der Begriff der Verschlechterung nach § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB deshalb so zu verstehen, dass durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstandenen Abnutzungsschäden nicht erfasst sind.261 Die Gegenansicht nimmt an, dass auch die durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstandene Abnutzungsschäden grundsätzlich Verschlechterungen im Sinne des § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB darstellen, diese allerdings vom Ausschlusstatbestand für Verschlechterungen durch die Ingebrauchnahme nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 2. Hs. BGB erfasst sind.262 Der Umfang des bestimmungsgemäßen Gebrauchs ist dabei unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 434 Abs. 1 BGB zu bestimmen.263 Sofern der Wertverzehr im Rahmen des Gebrauchs jedoch über den Nutzungsersatzanspruch hinausgeht, wird eine entsprechende Wertersatzpflicht aus § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB angenommen.264 Der Katalog in § 346 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB wird als nicht 256 Döll, Rückgewährstörungen, S. 151; Fest, Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen, S. 31. 257 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 43; Bartels, AcP 2015, 203, 215 f. 258 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 43. 259 Döll, Rückgewährstörungen, S. 178; Bartels, AcP 2015, 203, 215. 260 Annuss, JA 2006, 184, 186; Faust, JuS 2009, 481, 484. 261 So etwa BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 44; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 41; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 82; Gaier, WM 2002, 1, 8; Bartels, AcP 2015, 203, 217 f. 262 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 181 ff.; Arnold, Jura 2002, 154, 157; Schwab, JuS 2002, 630, 633. 263 Döll, Rückgewährstörungen, S. 176 f.; Faust, JuS 2009, 481, 485; Bartels, AcP 2015, 203, 218. 264 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 44; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 41; Döll, Rückgewährstörungen, S. 177; Gaier, WM 2002, 1, 8; Paland/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 9.

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abschließend verstanden, sodass in nicht ausdrücklich erfassten Fällen, in denen dem Rückgewährschuldner die Herausgabe des Leistungsgegenstands nicht oder nicht im ursprünglichen Zustand möglich ist, eine (Gesamt-)Analogie vorgenommen wird.265 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass den Rückgewährschuldner nach § 346 Abs. 2 BGB grundsätzlich eine Wertersatzpflicht trifft, soweit er zur Erfüllung der (primären) Rückgewährpflicht außerstande ist.266 Dementsprechend ist es möglich, dass der Rückgewährschuldner die empfangene Leistung teilweise zurückgewährt und darüber hinaus Wertersatz für den übrigen Teil zu leisten hat.267 Diese Verpflichtung trifft den Rücktrittsberechtigten grundsätzlich ebenso wie den Rücktrittsgegner unabhängig davon, ob er die Beeinträchtigung zu vertreten hat.268 An die Stelle der tatsächlichen Rückabwicklung tritt eine Rückabwicklung dem Werte nach.269 II. Zeitlicher Anwendungsbereich der Wertersatzpflicht In Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich der Wertersatzpflicht stellt sich insbesondere die Frage nach der Abgrenzung der Wertersatz- und der Schadensersatzpflicht nach § 346 Abs. 4 BGB. Teilweise wird angenommen, dass die Wertersatzpflicht lediglich für Rückgewährstörungen bis zu dem Zeitpunkt der Entstehung der Rückgewährpflicht greift und für die Leistungsstörungen ab Entstehung der Rückgewährpflicht ausschließlich die Schadensersatzpflicht nach § 346 Abs. 4 BGB einschlägig ist.270 Dagegen lässt sich allerdings anführen, dass sich im Wortlaut des § 346 Abs. 2 BGB keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung der Wertersatzpflicht auf Rückgewährstörungen vor Entstehung der Rückgewährpflicht finden.271 Darüber hinaus würde eine derartige Abgrenzung jedenfalls zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass der Rückgewährschuldner bis zum Zeitpunkt des Rücktritts grds. verschuldensunabhängig haftet und seine Haftung ab der Entstehung der Rückgewährpflicht nur noch verschuldensabhängig wäre.272 Eine derartige zeitliche Abgrenzung der Wert- und Schadensersatzpflichten in § 346 Abs. 2 und Abs. 4 BGB wird damit zu Recht von der h. M. abgelehnt.273 265

Ausführlich zum Meinungsbild Döll, Rückgewährstörungen, S. 169. Annuss, JA 2006, 184, 186; HK-BGB/Schulze, § 346 Rn. 14. 267 Annuss, JA 2006, 184, 186; Gaier, WM 2002, 1, 9. 268 Annuss, JA 2006, 184, 186; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 134; Döll, Rückgewährstörungen, S. 92 ff. 269 BT-Drucks. 14/6040 S. 93. 270 Giesen, GS für Heinze, S. 233, 234; Wagner, FS für Huber, S. 591, 617. 271 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Fn. 571; Bartels, AcP 2015, 203, 217. 272 Bartels, AcP 2015, 203, 217. 273 Grds. für die Möglichkeit eines Nebeneinanders von Wertersatz und Schadensersatzansprüchen Arnold, Jura 2002, 154, 156; Kaiser, JZ 2001, 1057; zur Reichweite etwaiger Schadensersatzansprüche im Einzelenen unten § 12, B.I. 266

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Eine Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 BGB kann den Rückgewährschuldner also auch für Leistungsstörungen nach dem Rücktritt treffen.274 III. Berechnung des Umfangs der Wertersatzpflicht Der Umfang der Wertersatzpflicht des Rückgewährschuldners soll sich gem. § 346 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB in erster Linie nach der im Vertrag bestimmten Gegenleistung richten; soweit eine solche Bestimmung fehlt, sollen die objektiven Wertverhältnisse maßgebend sein.275 Letzteres betrifft etwa Fälle, in denen zwar die Erbringung einer Gegenleistung vereinbart wurde, diese aber weder bestimmt noch nach §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. BGB bestimmbar ist.276 Eine Ausnahme macht allerdings § 346 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB bei der Berechnung des Wertersatzes für die Gebrauchsvorteile von Darlehen – hier soll es dem Darlehensnehmer möglich sein, nachzuweisen, dass der objektive Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war als die grundsätzlich maßgebende vereinbarte Gegenleistung.277 Die Zugrundelegung der vertraglich vereinbarten Leistung zur Berechnung des Wertersatz wird in Hinblick auf die Fälle des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB kritisiert.278 So führt Gaier aus, dass es, da es nach dem Rücktritt um die Herstellung des Zustandes vor Vertragsschluss ginge, keine Rechtfertigung gebe, sich an den Äquivalenzvorstellungen der Parteien zu orientieren.279 Durch eine an der vereinbarten Gegenleistung orientierte Wertersatzpflicht werde der Rücktrittsberechtigte faktisch an den Vertrag gebunden, was aber in der Regel seinen Interessen widerspreche, da sich eine Person nur für den Rücktritt entscheide, wenn sie bemerke, dass der Vertrag ein schlechtes Geschäft sei.280 Aus dieser Kritik wird teilweise der Schluss gezogen, dass § 346 Abs. 2 S. 2 BGB teleologisch dahingehend zu reduzieren sei, dass die vertraglich vereinbarte Gegenleistung nur in solchen Fällen zugrundzulegen sei, in denen der Rücktritt – wie etwa im Fall des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB – nicht auf einer Äquivalenzstörung beruhe.281 Eine derartige teleologische Reduktion ist, wie Döll jedoch nachweist, unzuläs274

Bartels, AcP 2015, 203, 216. BT-Drucks. 14/6040 S. 196. 276 Döll, Rückgewährstörungen, S. 137. 277 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 22. 278 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 44; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 43; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 86; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059; Kohler, JZ 2002, 682, 688 ff.; Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 12 ff.; Motsch, JR 2002, 221, 225; Faust, JuS 2009, 481, 487; Faust, NJW 2009, 3696, 3698. 279 Gaier, WM 2002, 1, 9; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 44. 280 Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 114; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059; Faust, JuS 2009, 481, 487. 281 Kohler, JZ 2002, 682, 688 ff. 275

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sig.282 Auch kann die rechtpolitische Kritik inhaltlich nicht überzeugen. Bereits die Annahme, dass der Rücktritt der Herstellung des Zustands vor dem Vertragsschluss diene,283 ist verfehlt – Ziel des Rücktritts ist wie oben dargestellt vielmehr die Herstellung des Zustands nach dem Vertragsschluss aber vor dem Leistungsaustausch.284 Auch entspringt das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse des Rücktrittsberechtigten in der Regel nicht daraus, dass dieser bemerkt, dass der Vertrag ein „schlechtes Geschäft“ ist, sondern daraus, dass der Vertragsschluss sich nachträglich, wegen einer Störung in der Vertragsdurchführung, als nicht zur Befriedigung seines Interesses, das ihn zum Vertragsschluss motiviert hat, geeignet erweist.285 Die privatautonom vereinbarte Entgeltabrede wird von der Störung allerdings nicht berührt.286 Sofern der Rücktritt dem Rücktrittsberechtigten bei der Rückabwicklung in natura – wegen der damit verbundenen Aufhebung des subjektiven Äquivalenzinteresses – auch die Lösung von einem schlechten Geschäft ermöglicht, ist dies nicht das primäre Ziel des Rücktritts. Nach teilweise vertretener Ansicht soll jedenfalls unter bestimmten Umständen der objektive Wert der Leistung maßgeben. Dies wird einerseits für Fälle gefordert, in denen der Wert der Leistung, für die Wertersatz geschuldet ist, höher ist als der Wert der Gegenleistung und der Rücktritt aufgrund des Verzugs des Rückgewährschuldners erfolgt.287 Der Verkäufer, der die Kaufsache zu einem Preis unter dem objektiven Wert verkauft (er etwa eine Sache die 100 A Wert ist, für 80 A verkauft) und anschließend zurücktritt, weil der Käufer den Kaufpreis trotz fristsetzung nicht gezahlt habe, solle demnach nicht bloß 80 A zurückfordern können, sondern 100 A. Andererseits wird mitunter gefordert, den objektive Wert dort zugrunde zu legen, wo der Rücktritt seine Ursache in der Mangelhaftigkeit der zurückzugewährenden Leistung hatte und die Gegenleistung den objektiven Wert der Leistung übersteigt.288 Für eine derartige teleologische Reduktion des § 346 Abs. 2 S. 2 BGB wird angeführt, dass der Rückgewährschuldner andernfalls – obwohl er die Ursache des Rücktritts zu verantworten hat – seinen Geschäftsgewinn auf Kosten des Rückgewährgläubigers behalten könne.289

282 Döll, Rückgewährstörungen, S. 118 f.; in diesem Sinne auch Gaier, WM 2002, 1, 9 f.; Faust, NJW 2009, 3696, 3697; BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 311/07, NJW 2009, 1068. 283 So etwa Kohler, JZ 2002, 682, 689; Faust, JuS 2009, 481, 481. 284 s. o., Kapitel 2, § 7; in diesem Sinne auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 127. 285 s. o., Kapitel 2, § 5, J. 286 BT-Drucks. 14/6040 S. 196; Döll, Rückgewährstörungen, S. 127; Benicke, ZGS 2002, 369, 374. 287 Canaris, FS für Wiedemann, S. 3, 22 f. 288 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059; Kohler, JZ 2002, 682, 689 f.; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 96. 289 Hager, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 429, 450.

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Nach der wohl überwiegenden Gegenansicht ist grundsätzlich auch in den genannten Konstellationen die Gegenleistung zugrunde zu legen,290 in den Fällen der mangelhaften Leistung allerdings in einem entsprechend der §§ 441 Abs. 3, 638 Abs. 3 BGB geminderten Umfang291. Dass der Rückgewährschuldner seinen Gewinnanteil (zumindest teilweise) behalten kann, wird dabei mit Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen hingenommen, nach dem die vertraglich vereinbarte Wertproportionalität von Leistung und Gegenleistung auch bei der Rückabwicklung dem Werte nach zum Ausdruck kommen soll.292 In diesem Zusammenhang formuliert der BGH, dass die gesetzliche Regelung diesbezüglich nicht nach verschiedenen Arten von Rücktrittsgründen differenziere.293 Wie Lorenz feststellt, handelt es sich zudem auch gar nicht um ein „unverdientes Geschenk“, wenn der Rückgewährgläubiger seinen Geschäftsgewinn in den Fällen der Rückabwicklung, dem Werte nach, behalten darf.294 Denn in den Fällen der Rückabwicklung in natura ist es dem Rückgewährgläubiger, wegen des Rückerhalts der Leistung, möglich erneut ein günstiges Geschäft abzuschließen.295 Aufgrund des Untergangs der Leistung, dessen Ursache in der Sphäre des Rückgewährschuldners lag, ist dem Rückgewährgläubiger diese Möglichkeit bei der Rückabwicklung dem Werte nach hingegen genommen. Dementsprechend ist am Grundsatz, dass die vereinbarte Gegenleistung für die Berechnung des Wertersatz zugrunde zu legen ist, in aller Regel festzuhalten. IV. Ausschluss der Wertersatzpflicht 1. Die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme Keine Wertersatzpflicht besteht für Verschlechterungen, die lediglich auf die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eines empfangenen Gegenstands zurückzuführen sind (§ 346 Abs. 2 Nr. 3, 2. Hs. BGB).296 Der Ausschluss der Wertersatzpflicht gem. § 346 Abs. 2 Nr. 3, 2. Hs. BGB betrifft nach h. M. solche Wertminderungen, die zuvor neue Sachen allein dadurch erfahren, dass sie nunmehr „gebraucht“ sind.297 Hierzu zählt etwa die Wertminderung eines Kfz durch die 290 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 46; für den Rücktritt wegen Zahlungsverzug BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 311/07, NJW 2009, 1068 mit zust. Anm. Witt. 291 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 46; Annuss, JA 2006, 184, 187; Lorenz, NJW 2006, 1925, 157; Faust, JuS 2009, 481, 487; Reischl, JuS 2003, 667, 667; so im Ergebnis auch Gaier, WM 2002, 1, 9; kritisch gegenüber einer minderungsartigen Lösung, Kohler, JZ 2002, 682, 688 f. 292 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 46; Annuss, JA 2006, 184, 187. 293 BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 311/07, NJW 2009, 1068 Rn. 14. 294 Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 5, 93; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen, S. 127. 295 Döll, Rückgewährstörungen, S. 127. 296 Bartels, AcP 2015, 203, 219. 297 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 42; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 88.

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bloße Zulassung.298 Nach anderer Ansicht ist der Begriff „bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme“ hingegen extensiv auszulegen und soll auch den bestimmungsgemäßen Gebrauch erfassen.299 Eine derart weite Auslegung der Ausnahme vom Wertersatz für bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme ist allerdings nur notwendig, sofern man die üblichen Beeinträchtigungen, die der bestimmungsgemäßen Gebrauch verursacht, entgegen der h. M. unter die Verschlechterung im Sinne des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 1. Hs. BGB subsumiert.300 Denn sofern man die durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch üblicherweise verursachte Beeinträchtigungen als grds. zum Wertersatz verpflichtende Verschlechterungen versteht, bedarf es an anderer Stelle einer Einschränkung, damit der Rückgewährschuldner die Abnutzungen nicht doppelt – nämlich einerseits ihm Rahmen des Nutzungsersatzes und andererseits im Rahmen der Wertersatzpflicht – kompensieren muss.301 Diese Korrektur nicht auf der Ebene der Auslegung des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 1. Hs. BGB, sondern auf der Ebene des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 2. Hs. BGB vorzunehmen erscheint dabei nicht nur unnötig,302 sondern widerspricht auch dem Wortlaut von § 346 Abs. 2 Nr. 3, 2. Hs. BGB und der Gesetzeshistorie.303 Der Ansicht, nach der die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme im Sinne des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 2. Hs. BGB auch den bestimmungsgemäßen Gebrauch umfasst, ist deshalb abzulehnen.304 Erst recht nicht zu folgen ist der noch weitergehenden Interpretation, nach der von der Ausnahme in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 2. Hs. BGB auch unverschuldete Verschlechterungen oder Zerstörungen erfasst sein sollen, die anlässlich des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eingetreten sind.305 Hierdurch würde die vom Gesetzgeber in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 1. Hs. BGB angelegte Verteilung von Zufallsrisiken in ihr Gegenteil verkehrt, sodass eine derartige Auslegung dem Willen des Gesetzes widersprechen würde.306 2. § 346 Abs. 3 S. 1 BGB Die Wertersatzpflicht ist des Weiteren nach § 346 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen, sofern sich ein zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der 298

BT-Drucks. 14/6040 196; Gaier, WM 2002, 1, 8. Schwab, JZ 2015, 644, 647; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1061; Arnold, Jura 2002, 154, 157; Perkams, Jura 2003, 150, 150; Motsch, JR 2002, 221, 223; Schwab, JuS 2002, 630, 632. 300 Perkams, Jura 2003, 150, 150. 301 Schwab, JZ 2015, 644, 647. 302 Bartels, AcP 2015, 203, 219. 303 Döll, Rückgewährstörungen, S. 175, 184 f. 304 Bartels, AcP 2015, 203, 219. 305 So aber etwa Kohler, AcP 2006, 683, 734 f.; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1061; Schwab, JuS 2002, 630, 633; wie hier Perkams, Jura 2003, 150, 150 f. 306 Döll, Rückgewährstörungen, S. 186; gegen eine derart weite Auslegung auch Gaier, WM 2002, 1, 8. 299

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat (Nr. 1), der Rückgewährgläubiger die Verschlechterung bzw. den Untergang zu vertreten hat (Nr. 2, 1. Fall), der Schaden beim Rückgewährgläubiger gleichfalls eingetreten wäre (Nr. 2, 2. Fall) oder die Verschlechterung bzw. der Untergang beim gesetzlich zum Rücktritt Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (Nr. 3). In den Fällen des § 346 Abs. 3 S. 1 BGB tritt nach § 346 Abs. 3 S. 2 BGB eine Pflicht des Rückgewährschuldners zur Herausgabe einer verbleibenden Bereicherung an die Stelle der Wertersatzpflicht.307 Hierdurch wird eine noch nachhaltig vorhandene Bereicherung abgeschöpft, obwohl ein Umstand vorliegt, aufgrund dessen der Wertersatzanspruch entfällt oder jedenfalls beschränkt ist.308 a) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB Der Ausschluss der Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB basiert dabei auf folgender Überlegung: Das Ergebnis der Verarbeitung oder Umgestaltung ist wegen der mangelhaften Leistung oftmals wertlos.309 Wäre der Mangel vor der Verarbeitung oder Umgestaltung aufgetreten, hätte der Rückgewährschuldner von der Verarbeitung bzw. Umgestaltung abgesehen und könnte dementsprechend den mangelhaften Gegenstand in natura zurückgeben.310 Dass der Mangel jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar wurde, beruht häufig auf dem Mangel selbst, sodass der Mangel, der im Verhältnis zum Rückgewährschuldner dem Rückgewährgläubiger zuzurechnen ist, auch ursächlich für die Entstehung der Wertersatzpflicht ist. Den Rückgewährschuldner hier zugunsten des Rückgewährgläubigers mit einer Wertersatzpflicht zu belasten wäre also unbillig.311 Deshalb wird die Haftung des Rückgewährschuldners auf eine etwaige Bereicherung begrenzt – also auf Fälle, in denen das Verarbeitungs- oder Umgestaltungsprodukt trotz des Mangels der Leistung werthaltig ist.312 Mit Blick auf die soeben dargestellte Begründung der Ausnahme des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB wird von der wohl überwiegenden Ansicht eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Fälle der Verbindung, Vermischung und des Verbrauchs befürwortet.313

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Döll, Rückgewährstörungen, S. 207. Kohler, JZ 2002, 682, 686. 309 Döll, Rückgewährstörungen, S. 208; Benicke, ZGS 2002, 369, 370. 310 Döll, Rückgewährstörungen, S. 208. 311 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1060 f. 312 Döll, Rückgewährstörungen, S. 209. 313 Für eine analoge Anwendung: Döll, Rückgewährstörungen, S. 210 f.; Annuss, JA 2006, 184, 187; explizit für eine analoge Anwendung für den Verbrauch auch Gaier, WM 2002, 1, 10; Benicke, ZGS 2002, 369, 369; gegen eine analoge Anwendung: Fest, Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen, S. 73; Kohler, AcP 2006, 683, 695 ff. 308

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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b) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB Der Ausschlusstatbestand in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 1. Fall BGB begrenzt die Gefahrverteilung nach dem Verantwortungsprinzip, indem dem Rückgewährgläubiger die von ihm zu verantwortenden Risiken zugeordnet werden.314 Der Rückgewährschuldner soll neben von ihm zu verantwortenden Gefahren grds. nur für Zufallsrisiken einzustehen haben, da eine darüber hinausgehende Haftung offensichtlich unbillig wäre. Vertretenmüssen ist dabei nach der überwiegenden Ansicht in einem untechnischen Sinne einer Verantwortlichkeit zu verstehen, die sich nach der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung bestimmt.315 Sind beide Parteien in diesem Sinne verantwortlich, so entfällt die Wertersatzpflicht des Rückgewährschuldners nur in solchem Umfang, in dem eine Verantwortlichkeit des Rückgewährgläubigers gegeben ist. Eines Rückgriffs auf § 254 BGB bedarf es hierzu entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht316 jedoch nicht, da bereits der Wortlaut des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB mit der Formulierung „soweit“ die Möglichkeit zu einer bloß teilweisen Befreiung von der Wertersatzpflicht eröffnet.317 In den Konstellationen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 2. Fall BGB wird der Rückgewährschuldner von der Wertersatzpflicht befreit, wenn der vorgenommene Leistungsaustausch bei normativer Betrachtung nicht für den Untergang bzw. die Verschlechterung ursächlich war – es hierzu also auch ohne den Leistungsaustausch gekommen wäre.318 Die Herstellung des Zustands ohne den Leistungsaustausch erfordert hier keinen Wertersatz durch den Rückgewährschuldner, da der Rückgewährgläubiger mit dem eingetretenen Verlust auch ohne den Leistungsaustausch belastet worden wäre.319 c) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB Die Befreiung von der Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB privilegiert den gesetzlich zum Rücktritt Berechtigten, sofern er diejenige Sorgfalt eingehalten hat, die er in eigenen Angelegenheiten pflegt.320 Das bedeutet zunächst, dass der Rückgewährschuldner, sofern die Voraussetzungen des § 346 314

Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 12. Döll, Rückgewährstörungen, S. 219 ff.; Annuss, JA 2006, 184, 187; Gaier, WM 2002, 1, 10; Bartels, AcP 2015, 203, 221; in diesem Sinne wohl auch Faust, der eine Abgrenzung nach Sphären fordert, Faust, JuS 2009, 481, 485. 316 So etwa MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 51. 317 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 192; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 69; Döll, Rückgewährstörungen, S. 226; Annuss, JA 2006, 184, 187. 318 Döll, Rückgewährstörungen, S. 229; Faust, JuS 2009, 481, 485. 319 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 52; Döll, Rückgewährstörungen, S. 230; Bartels, AcP 2015, 203, 220; kritisch Kaiser, JZ 2001, 1057, 1060. 320 Faust, JuS 2009, 481, 486. 315

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB vorliegen, generell von der Zufallsgefahr befreit ist, da hier bereits begriffsnotwendig kein Sorgfaltsverstoß vorliegt.321 Darüber hinaus wird der Rückgewährschuldner durch § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB auch von der Wertersatzpflicht für solche Verletzungen befreit, die zwar nicht zufällig, aber unter Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt eingetreten sind.322 Das in der Vorschrift angeordnete „Zurückspringen der Gefahr“ wird vom Gesetzgeber damit begründet, dass die Ursache von gesetzlichen Rücktrittsrechten in einer Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners liege und dieser, da er nicht ordnungsgemäß geleistet habe, auch nicht auf die Endgültigkeit des Gefahrübergangs vertrauen dürfe.323 Wie bereits Canaris und Kaiser festgestellt haben, lässt sich mit dem Hinweis auf eine Pflichtverletzung des Rückgewährgläubigers jedoch lediglich die Befreiung des Rückgewährschuldners von der Zufallsgefahr rechtfertigen.324 Was die Befreiung von der Haftung für unsorgfältiges aber eigenübliches Verhalten des Rücktrittsberechtigten betrifft, dient dies vielmehr dem Schutz des Rückgewährschuldners, der sein Rücktrittsrecht nicht kennt.325 Das Zurückspringen der Gefahr wird zum Teil generell als rechtspolitisch verfehlt kritisiert.326 Gegen die Regelung wird insbesondere eingewandt, dass die Zuordnung der Sachgefahr beim Sachinhaber angemessener sei, da nur dieser das Risiko versichern und durch sein Verhalten steuern könne.327 Für die Regelung spricht, dass durch das Zurückspringen der Gefahr auf den Rücktrittsgegner Anreize für diesen geschaffen werden, durch eine ordnungsgemäße Erfüllung die mit ihr verbundenen Nachteile zu vermeiden.328 Dementsprechend sei die objek-

321 Döll, Rückgewährstörungen, S. 237, Arnold, Jura 2002, 154, 155 f.; Faust, JuS 2009, 481, 486. 322 Döll, Rückgewährstörungen, S. 238. 323 BT-Drucks. 14/6040 S. 196; Reischl, JuS 2003, 667, 670. 324 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 206; Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XLI f. 325 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 203; Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XLI ff.; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen, S. 295; dass sich die Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners es nicht rechtfertigt, diesem auch die wirtschaftlichen Folgen zuzuweisen, die in den Verantwortungsbereich des Vertragspartners fallen, auch Büdenbender, AcP 2000, 627, 680. 326 Honsell, JZ 2001, 278, 281; Kohler, JZ 2001, 325, 327; Lorenz, in: Schulze/ Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 345; in diesem Sinne auch Lorenz, NJW 2005, 1889, 1893, der die Regelung und den ihr zugrunde liegenden Gedanken aber als de lege lata hinzunehmen ansieht; differenzierend Nitze/Grädler, GPR 2011, 20, 284 f. (für den Verbrauchsgüterkauf angemessen, für den Verkauf aus privater Hand unangemessen). 327 Hellwege, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 548 f.; kritisch zur Versicherbarkeit als Kriterium für die Verteilung der Gefahr, Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 229. 328 Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 25; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen, S. 243.

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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tive Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners ausreichendes Zurechnungskriterium für die in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB getroffene Gefahrverteilung.329 Mit Blick auf die Begründung für die Ausnahme von der Wertersatzpflicht in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB werden jedoch auch von den grundsätzlichen Befürwortern der Regelung oftmals Korrekturen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs gefordert. Dies betrifft etwa die Voraussetzung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts. aa) Beschränkung auf Fälle der zurechenbaren Verursachung des Lösungsinteresses durch den Rücktrittsgegner Da sich die Ausnahme von der Wertersatzpflicht auf die objektive Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners stütze, müsse die Anwendbarkeit der Regelung nach teilweise vertretener Auffassung einerseits bei gesetzlichen Rücktrittsrechten ausgeschlossen sein, sofern diesen (wie etwa im Fall des Rücktrittsrechts nach § 313 Abs. 3 S. 1 BGB bzw. § 438 Abs. 4 S. 3 BGB) keine Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners zugrunde liegt und andererseits auch vertragliche Rücktrittsrechte eingeschlossen werden, wenn diese auf einer entsprechenden Pflichtverletzung beruhen. Döll erreicht dieses Ergebnis im Wege einer „historisch-teleologischen Auslegung“ des Begriffs gesetzliches Rücktrittsrecht.330 Teilweise wird allerdings auch eine entsprechende teleologische Reduktion bzw. Analogie des § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB für erforderlich gehalten.331 Ob die Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners Auswirkungen auf die Verteilung der Zufallsgefahr haben kann wird jedoch mitunter bezweifelt.332 Manche lehenen eine solche teleologische Reduktion auch generell ab.333 Nach Schulze, sollen sich jedenfalls in den Fällen des § 313 BGB beide Parteien auf § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB berufen können.334 Vor dem Hintergrund der zuvor herausgearbeiteten Ergebnisse zu den Rücktrittsrechten scheint die Pflichtverletzung als Wertungskriterium jedoch zu eng. Nicht allen untersuchten gesetzlichen Rücktrittsrechten liegt eine Pflichtverletzung zugrunde. Abgesehen von dem Rücktrittsrecht wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage aus § 313 Abs. 3 S. 1 BGB und dem Rücktrittsrecht nach § 348 329 Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 25; in diesem Sinne auch Motsch, JR 2002, 221, 226; Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 121. 330 Döll, Rückgewährstörungen, S. 250. 331 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 54; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 65; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 54; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 27; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 13; Faust, JuS 2009, 481, 486; für eine teleologische Reduktion auch Gaier, WM 2002, 1, 11; Perkams, Jura 2003, 150, 150. 332 Wieling, JuS 1973, 397, 401; Disselhorst, JZ 1970, 418, 419. 333 Bartels, AcP 2015, 203, 227. 334 HK-BGB/Schulze, § 346 Rn. 16.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Abs. 4 S. 3 BGB ist den Rücktrittsrechten jedoch gemein, dass der Rücktrittsgegner das Lösungsinteresse des Rücktrittsberechtigten zurechenbar verursacht hat. Die Annahme, dass der Rücktrittsgegner nicht auf die Endgültigkeit der Vermögensverschiebung vertrauen kann, gilt für diese Fälle insgesamt und ist nicht auf die Konstellationen limitiert, in denen die Ursache des Lösungsinteresses eine Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners darstellt. An Stelle der Begrenzung bzw. Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Konstellationen, in denen das Rücktrittsrecht auf einer Pflichtverletzung des Rücktrittsgegners beruht, hat § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB dementsprechend immer dann Anwendung zu finden, wenn das Lösungsinteresse des Rücktrittsberechtigten vom Rücktrittsgegner zurechenbar verursacht wurde.335 bb) Keine analoge Anwendung in den Fällen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB Teilweise wird eine analoge Anwendung der Vorschrift für die Fälle des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB gefordert, die nicht vom Wortlaut des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB erfasst sind, weil sich dieser nur auf die Verschlechterung und den Untergang bezieht.336 Dem ist, wie Döll ausführt, jedoch grundsätzlich nicht zu folgen.337 Denn bei den in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB genannten Fällen hat der Rückgewährschuldner die empfangene Leistung bewusst und damit vorsätzlich zu eigenen Zwecken genutzt.338 Der Wertung des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB entsprechend darf der Rückgewährschuldner hier nur dann von seiner Wertersatzpflicht befreit werden, wenn ein zurechenbares Verhalten des Rückgewährgläubigers zu einer unfreiwilligen Fehldisposition führt. Ansonsten ist das Risiko, aus dem Einsatz des empfangenen Gegenstands einen Gegenwert zu erwirtschaften, der zur Deckung des zu leistenden Wertersatzes erforderlich ist, dem Rückgewährschuldner aufzuerlegen.339 Eine analoge Anwendung des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB auf die in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB genannten Konstellationen würde es dem Rückgewährschuldner jedoch erlauben die Folgen einer Fehldisposition (etwa einer unter Wert erfolgten Veräußerung oder einer fehlgeschlagenen Verarbeitung) generell auf den Rückgewährgläubiger abzuwälzen, sodass die Wertung des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB umgangen wäre. 335 In diesem Sinne auch MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 55; Kamanabrou, NJW 2003, 30, 32. 336 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 55; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 60; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 55; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 13b; Arnold, Jura 2002, 154, 159; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1062; Kohler, AcP 2006, 683, 698 f. 337 Döll, Rückgewährstörungen, S. 254 f.; gegen eine entsprechende Analogie auch Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 122; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 54; Annuss, JA 2006, 184, 188; Faust, JuS 2009, 481, 486; Benicke, ZGS 2002, 369, 372. 338 Döll, Rückgewährstörungen, S. 254 f. 339 Döll, Rückgewährstörungen, S. 254.

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cc) Korrektur hinsichtlich des Umfangs der Befreiung Eine Korrektur des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB wird zudem auch in Hinblick auf den Umfang der Befreiung gefordert. Zum einen geht es dabei um den Begriff der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten und zum anderen um die Frage, ob eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahingehend erforderlich ist, dass sie nicht (mehr) anwendbar ist, sofern der Rücktrittsberechtigte Kenntnis vom Rücktrittsgrund hatte oder hätte haben müssen.340 Die Formulierung „Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten“ legt nahe, dass es sich um einen Verweis auf den Verschuldensmaßstab der „diligentia quam in suis“ im Sinne des § 277 BGB handelt.341 Der Rücktrittsberechtigte wäre dementsprechend nicht zum Wertersatz verpflichtet, wenn er im Umgang mit der Sache diejenige Sorgfalt eingehalten hätte, die er auch hinsichtlich eigener Sachen pflegt, sofern er dabei nicht die Grenze der groben Fahrlässigkeit überschritten hätte.342 Gegen eine Anwendung des § 277 BGB wird allerdings eingewandt, dass sich die Vorschrift auf das Verschulden bezieht und somit eine Pflichtwidrigkeit voraussetzt.343 Sofern der Rücktrittsberechtigte den Rücktrittsgrund nicht kennt oder kennen muss, kann er mit der Sache jedoch nach freiem Ermessen verfahren, ohne dass dies eine Pflichtwidrigkeit begründen kann.344 Da die Wertersatzpflicht im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts grds. verschuldensunabhängig geregelt ist, kann sie auch nicht durch einen Verschulden voraussetzenden Fahrlässigkeitsmaßstab eingeschränkt werden.345 Deshalb wird teilweise angenommen, dass im Rahmen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die diligentia quam in suis abzustellen sei, sondern ein untechnischer Verschuldensbegriff im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst zugrunde zu legen ist.346 Teilweise werden auch andere Interpretationsvorschläge gemacht.347 Was die teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB bei Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis des Rücktrittsberechtigten von der Rücktrittmöglichkeit betrifft, werden im Wesentlichen drei Ansichten vertreten. Mitunter wird eine derartige teleologische Reduktion insgesamt 340

Perkams, Jura 2003, 150, 151 f. In diesem Sinne etwa Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 30; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 13b; Arnold, Jura 2002, 154, 158; Faust, JuS 2009, 481, 486; Annuss, JA 2006, 184, 188. 342 Arnold, Jura 2002, 154, 158. 343 Kern, AcP 2000, 684, 692; Döll, Rückgewährstörungen, S. 287. 344 Gaier, WM 2002, 1, 11. 345 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1063; Gaier, WM 2002, 1, 11. 346 So etwa OLG Hamm, Urt. v. 08.09.2005 – 28 U 60/05, NZV 2006, 421, 422; Gaier, WM 2002, 1, 11; Herold, Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 122. 347 So soll es etwa nach Hager auf eine hypothetische Betrachtungsweise ankommen, NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 61; nach Faust ist ein empirischer Standard zugrunde zu legen, JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 77 ff. 341

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

abgelehnt – wobei teilweise eine Korrektur des Ergebnisses über die Schadensersatzhaftung nach § 346 Abs. 4 BGB bzw. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB erreicht werden soll.348 Von Einigen wird eine teleologische Reduktion ab dem Zeitpunkt der Kenntnis befürwortet.349 Teilweise wird sogar gefordert die Vorschrift bereits ab dem Zeitpunktpunkt des Kennenmüssens teleologisch zu reduzieren.350 Unter den Befürwortern einer teleologischen Reduktion ist wiederum umstritten, ob diese ab dem zugrunde gelegten Zeitpunkt zu einem Ausschluss des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB insgesamt führt351 oder lediglich der Sorgfaltsmaßstab von der Haftung für Sorgfalt hin zu einer Haftung für jede Fahrlässigkeit angehoben wird352. Die Fragen hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten und der Diskussion um die zeitliche Reichweite des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB umfassend zu beleuchten und zu beurteilen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.353 Für einen Vergleich mit dem Wertersatzregime beim Widerrufsfolgenrecht ist eine abschließende Beurteilung der Auseinandersetzung jedoch auch nicht notwendig, sodass sich die folgenden Ausführungen auf einige wesentliche Gedanken beschränken lassen. Wie Döll zutreffend feststellt, korrelieren die Frage um die Auslegung der eigenüblichen Sorgfalt und die Auseinandersetzung über eine etwaige teleologische Reduktion miteinander.354 Betrachtet man die Begründung der Befreiung von der Wertersatzpflicht für zufällige Verschlechterungen und den zufälligen Untergang der Sache – nämlich, dass der Rückgewährgläubiger wegen der ihm zurechenbaren Verursachung des Lösungsinteresses seines Vertragspartners nicht auf die Endgültigkeit der Vermögensverschiebung vertrauen kann, scheint zunächst eine vollständige teleologische Reduktion des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB ab dem Zeitpunkt der Kenntnis

348 Gegen eine teleologische Reduktion aber für eine Korrektur durch die Schadensersatzhaftung etwa JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 76, 120; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 57; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 53; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 42 f.; Gaier, WM 2002, 1, 11; Annuss, JA 2006, 184, 188; Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31; Faust, JuS 2009, 481, 486 ff.; gegen eine teleologische Reduktion und eine Korrektur durch die Schadensersatzhaftung: Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 13b. 349 NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 59; Arnold, Jura 2002, 154, 158; Schwab, JuS 2002, 630, 636; Perkams, Jura 2003, 150, 152. 350 Derleder, NJW 2005, 2481, 2484; Konzen, FS für Canaris, S. 605, 626. 351 Dafür etwa NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 59; HK-BGB/Schulze, § 346 Rn. 16; Schwab, JuS 2002, 630, 636. 352 So etwa PWW/Stürner, § 346 BGB Rn. 20 f.; Derleder, NJW 2005, 2481, 2484. 353 Eine ausführlichen Darstellung findet sich indes bei in Döll, Rückgewährstörungen, S. 273 ff. 354 Döll, Rückgewährstörungen, S. 273.

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bzw. des Kennenmüssens ausgeschlossen.355 Die fehlende Kenntnis des Rücktrittsrechts rechtfertigt lediglich die Begrenzung der Haftung des Rückgewährschuldners auf die eigenübliche Sorgfalt.356 Dagegen lässt sich auch nicht anführen, dass die Situation des Rückgewährgläubigers ab Kenntnis des Rücktrittsgrundes mit der eines vertraglich zum Rücktritt Berechtigten vergleichbar sei.357 Denn während die Parteien die Rücktrittsmöglichkeit beim vertraglichen Rücktrittsrecht freiwillig vereinbart haben, wird diese dem Rücktrittsberechtigten in den Fällen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB zugestanden, da dessen Vertragspartner durch sein Verhalten zurechenbar die Ursache für ein Lösungsinteresse des Rücktrittsberechtigten gesetzt hat.358 Den Rücktrittsberechtigten in Konstellationen, in denen er sich freiwillig für eine Möglichkeit zur nachträglichen Vertragsauflösung entschieden hat, mit der Zufallsgefahr für die empfangene Leistung zu belasten, scheint jedoch eher gerechtfertigt, als in Konstellationen, in denen ihm die Lösungsmöglichkeit durch das Verhalten seines Vertragspartners – gleichsam unfreiwillig – entsteht.359 Andererseits scheint eine Befreiung des Rücktrittsberechtigten von der Wertersatzpflicht für solche Umstände, die nicht zufällig, aber unter Berücksichtigung seiner eigenüblichen Sorgfalt eingetreten sind, spätestens ab dessen Kenntnis von der Rücktrittsmöglichkeit unbillig.360 Denn diese Privilegierung des Rücktrittsberechtigten lässt sich nicht mit der zurechenbaren Verursachung des Lösungsinteresses durch den Rücktrittsgegner rechtfertigen, sondern basiert auf der Überlegung, dass der Rücktrittsberechtigte in den Fällen des gesetzlichen Rücktrittsrechts davon ausgehen darf, dass die Sache endgültig in seinem Vermögen verbleibt.361 Jedenfalls ab Kenntnis des Rücktrittsrechts darf der Rücktrittsberechtigte jedoch nicht mehr darauf vertrauen, dass die Sache endgültig in seinem Vermögen verbleibt, sondern er muss damit rechnen, dass es zu einer Rückabwicklung des Vertrags kommt.362 Weiß er, dass er die Sache unter Umständen zurückgeben muss, ist der Sorgfaltsmaßstab, der an ihn hinsichtlich des Umgangs mit der Sache anzulegen ist, dementsprechend zu erhöhen.363 Insoweit entspricht die Lage des gesetzlich Rücktrittsberechtigten ab Kenntnis des Rücktrittsrechts 355 In diesem Sinne auch Faust, JuS 2009, 481, 488; Perkams, Jura 2003, 150, 152; Rheinländer, ZGS 2004, 178, 179; Reischl, JuS 2003, 667, 672. 356 s. o., Kap. 3., Fn. 324. 357 So aber etwa Kohler, JZ 2001, 325, 326; Schwab, JuS 2002, 630, 636. 358 Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 13b; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen, S. 296. 359 Döll, Rückgewährstörungen, S. 296 f. 360 Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31; Lorenz, NJW 2005, 1889, 1893; Rheinländer, ZGS 2004, 178, 180; so im Ergebnis auch Faust, JuS 2009, 481, 488, der dies aber im Rahmen der Schadensersatzpflicht berücksichtigen will. 361 Schwab, JuS 2002, 630, 635. 362 Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31; Medicus, JuS 1990, 689, 693. 363 In diesem Sinne auch Gaier, WM 2002, 1, 12.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

durchaus der des vertraglich Rücktrittsberechtigten, da in beiden Fällen von ihnen nicht nur die Sorgfalt eines Eigentümers, sondern die Sorgfalt eines potentiellen Rückgewährschuldners beim Umgang mit der Sache gefordert werden kann.364 Dem Rücktrittsberechtigten die Privilegierung bereits ab dem Zeitpunkt des Kennenmüssens versagen zu wollen, ginge jedoch zu weit.365 Denn wie Döll feststellt, dürfen die Parteien solange auf die Vertragsdurchführung vertrauen, wie kein Rücktrittsrecht als Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda offenbar wird,366 sodass ein Abstellen auf das Kennenmüssen nicht überzeugt. Dafür spricht auch ein e contrario Schluss aus § 377 Abs. 1 HGB, wonach jenseits des beidseitigen Handelskaufs keine Obliegenheit oder gar Pflicht zur Suche nach Rücktrittsgründen besteht.367 Sofern versucht wird, die unbillige Privilegierung über eine Schadensersatzpflicht wieder zu beseitigen, ist dem nicht zu folgen.368 Zum einen ist nicht nachvollziehbar, weshalb den Rückgewährschuldner hinsichtlich des Umgangs mit der Sache bezüglich etwaiger Wertersatzpflichten ein milderer Sorgfaltsmaßstab treffen sollte als hinsichtlich der Schadensersatzpflichten.369 Entweder ist ein bestimmter Umgang mit der Leistung zulässig oder er ist es nicht. Zum anderen ist es inkonsequent den Rücktrittsberechtigten in Fällen, in denen man eine Befreiung von der Wertersatzpflicht für unangebracht hält, gleichwohl von dieser zu befreien und ihm stattdessen eine Schadensersatzpflicht aufzuerlegen. Denn wie Perkams feststellt, wird die Problematik hierdurch lediglich verlagert und nicht gelöst.370 Sofern dem Rücktrittsberechtigten aber eine Privilegierung von der Wertersatzpflicht zu versagen ist, sollte ihm die nach § 346 Abs. 2 S. 2 BGB zu bestimmenden Wertersatzpflicht und nicht die nach den §§ 249 ff. BGB zu berechnende Schadensersatzpflicht auferlegt werden.371 Wie bereits Kaiser und Kohler erkannt haben, ist die Definition der eigenüblichen Sorgfalt in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB grds. keine Frage eines Verschuldensbegriffs, sondern erfordert die Bestimmung eines Pflichtenprogramms.372 364 Zum vertraglich Rücktrittsberechtigten so etwa Büdenbender, AcP 2000, 627, 633; bezüglich des Sorgfaltsmaßstabs ausführlich Medicus, JuS 1990, 689, 690. 365 Dafür aber etwa Gaier, WM 2002, 1, 12; wie hier Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31. 366 Döll, Rückgewährstörungen, S. 304. 367 Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31; Döll, Rückgewährstörungen, S. 304; Fest, Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen, S. 58. 368 Mangels Rückgewährpflichten kann für die Zeit vor dem Rücktritt insbesondere eine Lösung über § 346 Abs. 4 nicht in Betracht kommen, Perkams, Jura 2003, 150, 152 und unten § 12 B.I. 369 Arnold, Jura 2002, 154, 158. 370 Perkams, Jura 2003, 150, 152. 371 Döll, Rückgewährstörungen, S. 307. 372 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1063; Kohler, JZ 2002, 682, 692; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen, S. 295.

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Es geht um die Frage, welche Verhaltensanforderungen an den Rücktrittsgläubiger hinsichtlich seines Umgangs mit der zurückzugewährenden Sache zu stellen sind. Blickt man auf die vorstehenden Überlegungen und auf den Sinn und Zweck des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB ist festzuhalten, dass der Rücktrittsberechtigte, sobald er Kenntnis von der Rücktrittsmöglichkeit erlangt, strengeren Verhaltensanforderungen in Bezug auf den Umgang mit dem erlangten Gegenstand unterliegt als zuvor.373 Da sein Vertrauen auf die Endgültigkeit der Vermögensverschiebung vor Kenntnis der Rücktrittsmöglichkeit besonders schützenswert ist, darf der „gesetzlich“ Rücktrittsberechtigte so mit dem Gegenstand verfahren, wie es ein normal sorgfältiger Eigentümer täte.374 Eine Haftung für Verschlechterungen trifft ihn hier erst dann, wenn er in einer Weise mit der Sache umgeht, bei der – wie es der BGH in ständier Rechtsprechung bezüglich der groben Fahrlässigkeit formuliert – „jedem hätte einleuchten müssen“ 375, dass sich die Verschlechterung realisiert. Hinsichtlich des Verwendungszwecks ist der Rücktrittsberechtigte insoweit nicht an eine im Vertrag angelegte Verwendung gebunden.376 Beispielhaft genannt sei der Käufer eines einfachen Gebrauchtwagens, der diesen zur Teilnahme an einer Straßenrallye benutzt. Ohne entsprechende Vereinbarung liegt die Nutzung als Rallyefahrzeug außerhalb des gewöhlichen Gebrauchs, sodass die damit einhergehenden Wertminderungen auch Verschlechterungen i. S. d. § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB darstellen.377 Da es durch den Gebrauch eines Fahrzeugs im Rahmen einer Straßenrallye jedoch nicht per se zu einer über dem normalen Verschleiß hinausgehenden Verschlechterung des Fahrzeugs kommen muss, handelt der Käufer aber insoweit nicht „grob fahrlässig“. Er mag sich also durchaus noch in den Grenzen der eigenüblichen Sorgfalt bewegen. Vor Kenntnis des Rücktrittsgrundes hätte er dann die aus einem einfach fahrlässigen Fahrfehler bei der Rallye resultierenden Verschlechterungen des Fahrzeugs nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB nicht zu ersetzen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem der Rücktrittsberechtigte die Rücktrittsmöglichkeit kennt, ist er jedoch nur noch von der Zufallsgefahr zu befreien.378 Die an ihn zu stellenden Sorgfaltsanforderungen sind dann nicht mehr die eines Eigentümers, sondern die eines potentiellen Rückgewährschuldners, sodass er beim Umgang mit dem empfangenen Gegenstand auch die Interessen des Rücktrittsgegners zu

373 In diesem Sinne bereits BT-Drucks. 14/6040 S. 195; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1064; Döll, Rückgewährstörungen, S. 309; Motsch, JR 2002, 221, 223. 374 BT-Drucks. 14/6040 S. 195; Gaier, WM 2002, 1, 12; Flume, NJW 1970, 1161, 1166; Bartels, AcP 2015, 203, 235 f. 375 BGH NJW 1953, 1139. 376 Döll, Rückgewährstörungen, S. 314. 377 Faust, JuS 2009, 481, 485. 378 Flume, NJW 1970, 1161, 1166.

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berücksichtigen hat.379 Weil er den empfangenen Gegenstand ausschließlich im eigenen Interesse erworben hat und er sich auch erst durch die tatsächliche Rücktrittserklärung gegen die durch den Leistungsaustausch herbeigeführte Güterzuordnung ausspricht, ist der Rücktrittsberechtigte, der Kenntnis von seinem Rücktrittsrecht hat, gleichwohl – entgegen der Ansicht von Gaier380 – nicht als bloßer Treuhänder des potentiellen Rückgewährgläubigers einzustufen.381 Aufgrund der fortbestehenden vertraglichen Vereinbarung ist der Rücktrittsberechtigte auch berechtigt den Gebrauch bis zum Rücktritt fortzusetzen.382 Die gebotene Berücksichtigung des Interesses des Rücktrittsgegners bedeutet aber, dass der Rücktrittsberechtigte den Gegenstand ab Kenntnis des Rücktrittsgrunds nur noch „vertragsgemäß“ gebrauchen darf.383 Dabei ist vertragsgemäß im Sinne der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung gem. § 434 Abs. 2 BGB zu verstehen. Sofern keine besondere Verwendung vorausgestzt wurde, hat der Rücktrittsberechtigte die Nutzung des Gegenstand demnach auf den gewöhlichen Umfang zu beschränken. Der Rücktrittsberechtigte ist ab Kenntnis der Rücktrittsmöglichkeit insgesamt nur noch von denjenigen Risiken zu befreien, die selbst bei einem einwandfreien Verhalten allein aus dem ihm gestatteten Innehaben und Gebrauchen des empfangenden Gegenstands folgen.384 Eine Nutzung eines Gebrauchtwagens als Rallyefahrzeug ist hier somit grundsätzlich nur dann noch nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB privilegiert, wenn den Kaufparteien dies zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorausgesetzt haben. Eine weitere Verschärfung der Haftung scheint ab dem Zeitpunkt angebracht, ab dem die Rückgewährpflicht eintritt.385 Ab hier ist der Rücktrittsberechtigte nicht nur potentieller sondern tatsächlicher Rückgewährschuldner. Ein Gebrauch des empfangenen Gegenstands ist ihm ab diesem Zeitpunkt grds. überhaupt nicht mehr zu gestatten.386 Da den Rücktrittsberechtigen ab dem Zeitpunkt des Rücktritts die Pflicht zur Rückgewähr der Leistung trifft, steht einer Haftung nach den allgemeinen Grundsätzen nichts entgegen, sodass er Wertersatz für jede ihm zurechenbare Beeinträchtigung des zurückzugewährenden Gegenstands zu leisten hat.

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Döll, Rückgewährstörungen, S. 318; Perkams, Jura 2003, 150, 152. MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 57. 381 Döll, Rückgewährstörungen, S. 318; Gaier, WM 2002, 1, 11; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1061. 382 Döll, Rückgewährstörungen, S. 319; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1064; Motsch, JR 2002, 221, 223; Bartels, AcP 2015, 203, 233 f.; so im Ergebnis auch Faust, JuS 2009, 481, 488; Reischl, JuS 2003, 667, 672. 383 Döll, Rückgewährstörungen, S. 319; Gaier, WM 2002, 1, 12. 384 Döll, Rückgewährstörungen, S. 32. 385 Gaier, WM 2002, 1, 12. 386 Gaier, WM 2002, 1, 13; in diesem Sinne auch Bartels, AcP 2015, 203, 241. 380

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V. Zusammenfassung Für die Wertersatzpflicht des gesetzlich zum Rücktritt Berechtigten lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten: Für unkörperliche Leistungen hat der Rücktrittsberechtigte in jedem Fall Wertersatz zu leisten, da die Ausnahmen von der Wertersatzpflicht in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 2. Hs., Abs. 3 S. 1 BGB sich nur auf gegenständliche Leistungen beziehen. In Fällen, in denen der Rücktrittsberechtigte nicht zur Rückgabe eines Gegenstands in natura in der Lage ist, ohne dass das Unvermögen auf dessen Umgang mit dem Gegenstand zurückzuführen ist, die Ursache also vom Rücktrittsgegner zu vertreten ist oder auf Zufall beruht, trifft den gesetzlich Rücktrittsberechtigen generell keine Wertersatzpflicht. Hat das Unvermögen zur Herausgabe des Gegenstands in natura seine Ursache in einem Verhalten des Rücktrittsberechtigten, ist zu differenzieren. Ist die Herausgabe in natura unmöglich, da der Gegenstand im Vertrauen auf dessen Mangelfreiheit verarbeitet, umgestaltet, verbraucht oder mit anderen Gegenständen verbunden bzw. vermischt wurde, besteht keine Wertersatzpflicht, wenn sich die Leistung als mangelhaft herausstellt. Bis zum Zeitpunkt der Kenntnis des Rücktrittsrechts ist zudem – mit Ausnahme von den Fällen des § 313 Abs. 2 BGB – kein Wertersatz für einen Untergang oder eine Verschlechterung des Gegenstands zu leisten, sofern diese auf einen Umgang zurückzuführen ist, den auch ein durchschnittlich sorgfältiger Eigentümer hätte walten lassen. Im Übrigen ist der Rücktrittsberechtigte zum Wertersatz für ein auf sein Verhalten zurückzuführendes Unvermögen zur Herausgabe verpflichtet. Dies betrifft zum einen grds. die Veräußerung und Belastung des empfangenen Gegenstands, zum anderen die Fälle in denen der Rücktrittsberechtigte Kenntnis von dem Rücktrittsrecht hatte.

B. Die Wertersatzpflicht im Widerrufsfolgenrecht Im Widerrufsfolgenrecht sind die Regelungen zum Wertersatz auf etwaige Pflichten des Verbrauchers, als Empfänger der vertragscharakteristischen Leistung, beschränkt. Hierbei wird grds. nach den jeweiligen Widerrufsrechten unterschieden. Teilweise wird zudem innerhalb der Vorschriften zwischen verschiedenen Leistungsarten differenziert und mitunter auf andere Bestimmungen verwiesen. Auf den ersten Blick ergibt sich dementsprechend ein komplexes Bild. In Hinblick auf die Wertersatzpflicht bei besonderen Vertriebsformen enthält § 357 BGB eigene Bestimmungen für den Wertersatz bei Waren (Abs. 7), bei Dienstleistungen und bestimmten Versorgungsverträgen (Abs. 8), sowie bei nicht auf körperlichen Datenträgern befindlichen digitalen Inhalten (Abs. 9). § 357a BGB, der die Rechtsfolgen beim Widerruf von Verträgen über Finanzdienstleistungen regelt, differenziert hinsichtlich etwaiger Wertersatzpflichten des Verbrauchers zwischen im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossenen Verträgen über Finanzdienstleistungen (Abs. 2 S. 1), Verträgen über entgeltliche Finanzierungshilfen, die von der Ausnahme des § 506 Abs. 4 BGB erfasst sind

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(Abs. 2 S. 2), Verträgen über entgeltliche Finanzierungshilfen, die die Lieferung von nicht auf körperlichen Datenträgern befindlicher digitaler Inhalte betreffen (Abs. 2 S. 3), Verbraucherdarlehensverträgen (Abs. 3 S. 1 ff.)387 und entgeltliche Finanzierungshilfen, die nicht von der Ausnahme des § 506 Abs. 4 BGB erfasst sind. Die Regelung zu den Wertersatzpflichten des Verbrauchers im Falle des Widerrufs eines Teilzeit-Wohnrechtevertrags, Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Vermittlungsvertrags oder Tauschsystemvertrags befindet sich in § 357b Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 BGB. Für den Widerruf von außerhalb besonderer Vertriebsformen geschlossener Ratenlieferungsverträgen enthält § 357c S. 3 BGB Vorgaben zur Wertersatzpflicht. Nach § 357 Abs. 7 BGB hat der Verbraucher, eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB vorausgesetzt,388 bei im Rahmen von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Verträgen für Wertverlust von erhaltenen Waren Ersatz zu leisten, sofern dieser auf einen Umgang zurückzuführen ist, der nicht zur Prüfung ihrer Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise notwendig war.389 Waren sind entsprechend der Definition des § 241a Abs. 1 BGB im Sinne von beweglichen Sachen und Tieren (vgl. § 90a BGB) zu verstehen, die nicht auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden.390 Der Verbraucher hat dementsprechend grds. Wertersatz für Substanzschäden bei erhaltenen beweglichen Sachen, für ihren vollständigen Untergang sowie für Wertverluste, die unmittelbar aus einem negativen Werturteil des Marktes resultieren, zu leisten.391 Ein Wertverlust ist in anderen Worten grundsätzlich immer dann eingetreten, wenn der Unternehmer die gelieferte Ware nicht mindestens zum selben Preis wiederverkaufen kann,392 sodass der Wertersatzpflicht zunächst auch diejenigen Wertbeeinträchtigungen durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Leistung 387 Dazu, dass es sich bei der Regelung in § 357a Abs. 3 S. 1, 2 BGB um eine Anspruch auf primären Wertersatz und nicht um einen Nutzungsersatzanspruch handelt, Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1089. 388 Ob die nach § 357 Abs. 7 Nr. 2 BGB erforderliche Information auch den Hinweis auf die potentielle Haftungsfolge umfasst ist umstritten; dafür: Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 10; BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 72; Janal, VuR 2015, 43, 46; Modi, MMR 2014, 812, 813; Koch, JZ 2014, 758, 763; dagegen: Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; Schwab, JZ 2015, 644, 650; ebenso wohl auch Erman/ Koch, § 357 BGB Rn. 16; HK-BGB/Schulze, § 357 Rn. 10; eine entsprechende Hinweispflicht sogar als richtlinienwidrig ablehnend: Unger, ZEuP 2012, 270, 295; Janal, WM 2012, 2314, 2321; jedenfalls lässt sich eine solche Hinweispflicht nicht in den Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB hineinlesen (so aber Buchmann, K&R 2014, 221, 224), Brinkmann, Iurratio 2015, 20, 23. 389 Diese Regelung geht zurück auf Art. 14 Abs. 2 VR-RiL, Janal, WM 2012, 2314, 2321. 390 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 47. 391 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 52; vgl. auch Leier, VuR 2013, 457, 459. 392 Buchmann, K&R 2014, 293, 296.

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unterliegen. Keinen Wertersatz schuldet der Verbraucher jedoch, sofern der Wertverlust lediglich auf einen zur Prüfung der Ware erforderlichen Umgang zurückzuführen ist, wobei sich das Prüfungsrecht dem Umfang nach an den Prüfungsmöglichkeiten im stationären Handel orientieren soll.393 Dies geht zurück auf die Interessenlage beim Fernabsatzwiderruf, dessen Ziel es ist, die Informationsmöglichkeiten des Verbrauchers möglichst nahe an diejenigen im stationären Handel anzugleichen.394 Abzustellen ist dabei auf ein durchschnittliches Fachgeschäft,395 was gleichwohl Potential für große Rechtsunsicherheit birgt396 und weshalb Buchmann den Vergleich mit dem stationären Handel auch als grundlegendes Missverständnis des Fernabsatzrechts kritisiert.397 In der Regel ist neben der Besichtigung auch das Ausprobieren gestattet, ohne dass der Verbraucher den daraus resultierenden Wertverlust – insbesondere denjenigen aus der Ingebrauchnahme – zu ersetzen hätte.398 Die Formulierung des § 357 Abs. 7 BGB beschränkt die Wertersatzpflicht des Verbrauchers zudem auf Wertverluste, die aus dem Umgang des Verbrauchers mit der Ware entstehen.399 Daraus folgt, dass der Verbraucher entgegen einer teilweise vertreten Ansicht400 von nur Wertersatz für solche Beeinträchtigungen zu leisten hat, die auf ein ihm zurechenbares Verhalten zurückzuführen sind, er für Zufallsschäden jedoch nicht haften soll.401 Dafür spricht auch der telos der Wertersatzpflicht, nach dem der Verbraucher zur sorgfältigen Behandlung der Ware angehalten werden soll, ohne jedoch durch die drohende Haftung von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten zu werden.402 393

Erwägungsgrund 47 VR-RiL. So bereits in Bezug auf die alte Rechtslage BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15, NJW 2017, 878; Brönneke, MMR 2004, 127, 132. 395 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 59; Föhlisch, NJW 2011, 30, 32. 396 Janal, WM 2012, 2314, 2321 und Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 226; so geht etwa das AG Mettmann davon aus, dass die Prüfung bei Fernabsatzgeschäften ein intensiverer Prüfungsumfang wegen des Fehlens von im Ladengeschäft üblichen Beratungs- und Vergleichsmöglichkeiten zulässig sei, Urt. v. 06.08.2014 – 21 C 304/13, MMR 2014, 812. 397 Buchmann, K&R 2014, 293, 296. 398 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 59; vgl. zum Umfang der Prüfungsmöglichkeiten im Einzelnen auch BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 62 ff. und Schwab, JZ 2015, 644, 648 f.; zum Ausprobieren gehört etwa auch der Aufbau und das Befüllen der Matratze eines Wasserbettes, BGH, Urt. v. 03.11.2010 – VIII ZR 337/09, NJW 2011, 56; vgl. auch Föhlisch, NJW 2011, 30; nicht mehr erfasst ist hingegen bei einem gekauften Katalysator der Einbau und eine kurze Probefahrt, BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15, NJW 2017, 878. 399 Schwab, JZ 2015, 644, 649; in diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 293. 400 Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 8; Koch, JZ 2014, 758, 763; Buchmann, K&R 2014, 293, 296. 401 In diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 293; Modi, MMR 2014, 812, 813; Meyer, NJ 2014, 364, 367. 402 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 67 f. 394

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Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich dabei nach den allgemeinen Grundsätzen, sodass der Verbraucher insbesondere auch für einfache Fahrlässigkeit einstehen muss.403 Für die Berechnung des Wertersatzes ist, wie der Umkehrschluss aus § 357 Abs. 8 S. 4 BGB zeigt, auf den objektiven Wert der Ware abzustellen.404 § 357 Abs. 8 BGB verpflichtet den Verbraucher bei im Rahmen von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Dienstleistungsverträgen und Versorgungsverträgen über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen bzw. über die Lieferung von Fernwärme zum Wertersatz, sofern der Verbraucher ausdrücklich verlangt hat, dass mit der Leistungserbringung bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen wird405 und er ordnungsgemäß vom Unternehmer nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 3 EGBGB informiert wurde.406 Für das ausdrückliche Verlangen soll das setzen eines Häkchens bei der Bestellung im Onlinegeschäft allerdings nicht ausreichen, da der Vertrag noch nicht geschlossen ist und somit begrifflich keine Aufforderung des Unternehmers durch den Verbraucher vorliegt.407 Erst recht reicht diesbezüglich eine bloße Klausel in den AGB nicht aus.408 Der Begriff Dienstleistung ist im Sinne des Art. 2 Abs. 6 VR-RiL weit auszulegen und umfasst grundsätzlich Werk- und Geschäftsbesorgungsverträge ebenso wie Gebrauchsüberlassungsverträge, nicht hingegen Finanzdienstleistungen, die in § 357a BGB eine eigenständige Regelung erfahren haben.409 Das für die Wertersatzpflicht erforderliche ausdrückliche Leistungsverlangen des Verbrauchers bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass die Initiative von diesem auszugehen hat, sodass auch seine Zustimmung zur vorzeitigen Leistungserbringung ausreicht.410 Die erforderliche Belehrung, die nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EGBGB auch einen Hinweis auf die mögliche Wertersatzpflicht umfasst, hat ihrem Schutzzweck entsprechend zeitlich vor dem ausdrücklichen Leistungsverlangen zu erfolgen.411 Bei der Berechnung des Wertersatzes ist hier, wie § 357 Abs. 8 S. 4 BGB bestimmt, grundsätzlich der vereinbarte Gesamtpreis zugrunde

403 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 68; in diesem Sinne auch Unger, ZEuP 2012, 270, 293. 404 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 227; Palandt/Grüneberg, § 357 BGB Rn. 11; BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 73. 405 Während das Leistungsverlangen bei Fernabsatzverträgen formlos möglich ist, sieht § 357 Abs. 8 S. 3 BGB für Außergeschäftsraumverträge vor, dass es auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt wird, BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 80. 406 Diese Regelung setzt Art. 14 Abs. 3 und 4 VR-RiL um, Janal, WM 2012, 2314, 2321. 407 Buchmann, K&R 2014, 562, 565. 408 Clausnitzer/Delfs, ZVertriebsR 2014, 3, 6. 409 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 78. 410 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 79. 411 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 82.

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zu legen.412 Insoweit gibt grundsätzlich das Verhältnis zwischen den bis zum Widerruf bereits erbrachten Leistungen und der vertraglich vorgesehen Gesamtleistung Maß.413 Jedoch soll auf den Marktwert der Leistung abgestellt werden, sofern der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch ist (357 Abs. 8 S. 5 BGB).414 Zur Bestimmung des Marktwerts ist also der Preis einer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Leistungen heranzuziehen.415 Im Falle eines Widerrufs von im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossener Verträge über nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche digitale Inhalte wird eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers nach § 357 Abs. 9 BGB ausgeschlossen.416 Bei im Rahmen von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Verträgen über Finanzdienstleistungen trifft den Verbraucher nach § 357a Abs. 2 S. 1 BGB eine Wertersatzpflicht, sofern er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und gleichwohl ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Auch hier ist die vereinbarte Gegenleistung bei der Berechnung des Wertersatz zugrunde zu legen, sofern diese nicht unverhältnismäßig hoch ist, andernfalls ist auf den Marktwert abzustellen (§ 357a Abs. 2 S. 4, 5 BGB).417 Insofern stimmt die Regelung zur Wertersatzpflicht bei im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossener Verträge über Finanzdienstleistungen im Wesentlichen mit den Bestimmungen zur Wertersatzpflicht bei sonstigen im Rahmen besonderer Vertriebsformen geschlossener Dienstleistungsverträge nach § 357 Abs. 8 BGB überein, was vom Gesetzgeber auch ausdrücklich beabsichtigt wurde.418

412 Insofern entspricht die Regelung dem Wortlaut der §§ 357 Abs. 1 S. 1 a. F. i.V. m. 346 Abs. 2 S. 2 BGB, der jedoch von der Rechtsprechung und der h. L. so verstanden wurde, dass die Obergrenze des vom Verbraucher zu leistenden Wertersatzes beim objektiven Wert der Leistung lag, BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 83. 413 LG Hamburg, Urt. v. 22.07.2014 – 406 HKO 66/14, GRUR-RR 2015, 71 mit Anm. Vogt, ITRB 2014, 231. 414 Damit wird die Regelung des Art. 14 Abs. 3 VR-RiL umgesetzt, Janal, WM 2012, 2314, 2321. 415 Erwägungsgrund 50 VR-RiL. 416 Für den Sonderfall, dass es sich um einen im Rahmen von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Vertrag handelt bei dem die digitalen Inhalte finanziert werden, gilt § 357a BGB, hierzu sogleich. 417 So soll etwa, wenn die Finanzdienstleistung in der Auszahlung eines Darlehens, welches von einer Ausnahme des § 491 Abs. 2 BGB erfasst ist, grds. der Sollzinssatz für den Zeitraum bis zur Rückzahlung als Wertersatz herauszugeben sein, Leier, VuR 2013, 457, 461. 418 BT-Drucks. 17/12637 S. 64.

412

Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

In den Fällen, in denen der Vertrag eine entgeltliche Finanzierungshilfe betrifft, die von der Ausnahme des § 506 Abs. 4 BGB erfasst ist, richtet sich die Wertersatzpflicht gem. § 357a Abs. 2 S. 2 BGB grds. nach den Vorgaben in § 357 Abs. 7 und 8 BGB.419 Betrifft die Finanzierungshilfe Waren im Sinne des § 241a BGB, muss der Verbraucher also für solche Wertverluste Ersatz leisten, die auf einen Umgang zurückzuführen sind, der nicht zur Prüfung ihrer Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise notwendig war, sofern er nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB informiert wurde. Wird mit der Finanzierungshilfe eine Dienstleistung finanziert, ist der Verbraucher zum Wertersatz verpflichtet, wenn er den Beginn der Leistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist, nach entsprechender Belehrung, ausdrücklich verlangt hat. Dient die Finanzierungshilfe allerdings zur Finanzierung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten,420 muss der Verbraucher Wertersatz leisten, sofern er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde und der Lieferung der digitalen Inhalte vor Ablauf der Widerrufsfrist ausdrücklich zugestimmt hat (§ 357a Abs. 2 S. 3 BGB).421 In allen Fällen der von der Ausnahme des § 506 Abs. 4 BGB erfassten entgeltlichen Finanzierungshilfe ist für die Berechnung des Wertersatzes grundsätzlich eine etwaige Gegenleistung zugrunde zu legen, sofern diese nicht unverhältnismäßig hoch ist, andernfalls ist auf den Marktwert abzustellen (§ 357a Abs. 2 S. 4, 5 BGB). Für Verbraucherdarlehensverträge ordnet § 357a Abs. 3 S. 1 BGB grundsätzlich an, dass der Verbraucher für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzinssatz zu entrichten hat.422 Handelt es sich bei dem Darlehen allerdings um ein Immobiliardarlehen, soll dem Darlehensnehmer die Möglichkeit zum Nachweis eines geringeren Werts des Gebrauchsvorteils offen stehen423 mit der Folge, dass lediglich dieser geschuldet ist.424 Sofern der Vertrag eine Finanzierungshilfe erfasst, die nicht unter die Ausnahme des § 506 Abs. 4 BGB fällt, ist § 357a Abs. 2 EGBGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass hier die Informationspflichten nach Art. 247 § 12 Abs. 1 i.V. m. § 6 Abs. 2 EGBGB gelten, § 357a Abs. 3 S. 4. Bei finanzierten Finanzdienstleistungen trifft den Verbraucher dementsprechend eine Wertersatzpflicht, sofern er 419 420

Leier, VuR 2013, 457, 461. Gemeint sind insbesondere Download oder Streaming, Leier, VuR 2013, 457,

461. 421

Leier, VuR 2013, 457, 461. Jedenfalls in den Kategorien des § 346 BGB gesprochen handelt es sich hierbei um eine Wertersatzpflicht für die in Natur nicht herausgabefähige Gebrauchsüberlassung, Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1089. 423 Näher zur Ermittlung des geringeren Wertes der Kapitalüberlassung Piekenbrock/ Rodi, WM 2015, 1085, 1089 ff. 424 BeckOGK/Knops, § 357a BGB Rn. 33. 422

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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über diese vor Abgabe seiner Vertragserklärung informiert wurde und anschließend ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt (Abs. 3 S. 4 i.V. m. Abs. 2 S. 1 BGB). Bei finanzierten Verträgen über die Überlassung von Sachen hat der Verbraucher Wertersatz zu leisten, sofern er zuvor ordnungsgemäß nach Art. 247 § 12 Abs. 1 i.V. m. § 6 Abs. 2 EGBGB belehrt wurde und der Wertverlust auf einen Umgang mit der Sache zurückzuführen ist, der nicht zu ihrer Prüfung erforderlich war (Abs. 3 S. 4 i.V. m. Abs. 2 S. 2, § 357 Abs. 7 BGB). Bei der finanzierten sonstigen Dienstleistung ist der Verbraucher zu Wertersatz verpflichtet, sofern er nach Art. 247 § 12 Abs. 1 i.V. m. § 6 Abs. 2 EGBGB belehrt wurde und anschließend ausdrücklich verlangt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Dienstleistung beginnt (Abs. 3 S. 4 i.V. m. Abs. 2 S. 3, § 357 Abs. 8 BGB). Wird mit dem Vertrag der Erwerb von nicht auf einem körperlichen Datenträger gespeicherten digitalen Inhalten finanziert, ist der Verbraucher zum Wertersatz verpflichtet, sofern er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf die Rechtsfolge hingewiesen worden ist und ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Lieferung der digitalen Inhalte beginnt (Abs. 3 S. 4 i.V. m. Abs. 2 S. 3 BGB). In jedem dieser Fälle ist für die Berechnung des Wertersatzes nach § 357a Abs. 3 S. 4, Abs. 2 S. 4, 5 BGB in der Regel auf die im Vertrag bestimmte Gegenleistung abzustellen und ihr Marktwert nur heranzuziehen, wenn die Gegenleistung unverhältnismäßig hoch ist. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich grundsätzlich das bereits zuvor erörterte Problem bezüglich der unmittelbaren Anwendbarkeit des § 357a BGB bei unentgeltlichen Darlehen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen.425 Soweit es die Verpflichtung des Darlehensnehmers bei unentgeltlichen Darlehensverträgen zur Wertersatzpflicht für die Kapitalnutzungsmöglichkeit nach § 357a Abs. 3 S. 1 BGB betrifft, gilt allerdings zu beachten, dass der vereinbarte Sollzins hier mit „null“ zu beziffern ist,426 sodass eine Wertersatzpflicht für die Kapitalnutzungsmöglichkeit ohnehin nicht in Betracht kommt.427 Bei Verträgen über Teilzeit-Wohnrechte, langfristige Urlaubsprodukte, die Vermittlung derartiger Verträge oder entsprechende Tauschsysteme bestimmt § 357b Abs. 1 S. 3 BGB, dass Vergütungen für geleistete Dienste sowie die Überlassung von Wohngebäuden zur Nutzung ausgeschlossen sind.428 Nach § 357b Abs. 2 BGB hat der Verbraucher bei Verträgen allerdings Wertersatz für einen auf einer 425 Die richtige Lösung dürfte, wie oben erläutert in einer Analogie bestehen, Bülow/ Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 15; Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 515 BGB Rn. 11. Vgl. im Übrigen die Ausführungen unter § 9, B.II.2. 426 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 8. 427 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 514 BGB Rn. 15; MünchKommBGB/ Schürnbrand, § 514 Rn. 20; Bülow/Artz, ZIP 2016, 1204, 1206. 428 Leier, VuR 2013, 457, 462.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

nicht bestimmungsgemäßen Nutzung beruhenden Wertverlust zu leisten. Ein etwaiger Wertverlust kann seine Ursache sowohl in der Abnutzung als auch in einer anderweitigen Verschlechterung – wie etwa einer Beschädigung – haben.429 Eine Wertersatzpflicht besteht allerdings nur, sofern der Wertverlust auf eine nicht bestimmungsgemäße Nutzung der Unterkunft zurückzuführen ist.430 Da die Wertersatzpflicht also auf Konstellationen beschränkt ist, in denen eine Nutzung der Unterkunft für den Wertverlust ursächlich war, haftet der Verbraucher nicht für zufällige Wertverluste. Eine Ersatzpflicht des Verbrauchers kommt insoweit nur in Betracht, wenn er diese zu vertreten hat, wobei grundsätzlich die allgemeinen Maßstäbe zur Anwendung kommen.431 Für einen Wertverlust durch Abnutzung hat der Verbraucher nur Wertersatz zu leisten, sofern diese auf einer in quantitativer Hinsicht übermäßigen Nutzung beruht, für sonstige ihm zurechenbare Verschlechterungen trifft ihn hingegen stets eine Wertersatzpflicht.432 Im Falle des Widerrufs von außerhalb von besonderen Vertriebsformen geschlossenen Ratenlieferungsverträgen verweist § 357c S. 3 BGB hinsichtlich der Wertersatzpflicht des Verbrauchers auf § 357 Abs. 7 BGB, der mit der Maßgabe, dass die erforderliche Unterrichtung sich nach Art. 246 Abs. 3 EBGB richtet. Somit muss der Verbraucher – eine ordnungsgemäße Belehrung vorausgesetzt – auch hier nur für denjenigen Wertverlust einstehen, der seine Ursache in einem zur Prüfung der Sache nicht notwendigen Umgang hat.433 Die diesbezüglichen Ausführungen zu § 357 Abs. 7 BGB gelten hier damit ebenfalls.434 Eine über die Vorgaben der Wertersatzpflicht hinausgehende Verpflichtung zur Herausgabe etwaiger Bereicherungen ist nach § 361 Abs. 1 BGB generell ausgeschlossen, sodass eine derartige Pflicht auch dann nicht besteht, wenn der Verbraucher etwa eine unkörperliche Leistung empfangen hat und die Voraussetzungen der Wertersatzpflicht nicht erfüllt sind.435

C. Bestimmung von materiellen Eigenständigkeiten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung Anders als im Widerrufsfolgenrecht, in dem nur eine Wertersatzpflicht des Verbrauchers und somit des Lösungsberechtigten statuiert wird, trifft die Wertersatzpflicht beim Rücktrittsfolgenrecht sowohl den Lösungsberechtigten als auch den Lösungsgegner. Diese Abweichung zwischen den Rechtsfolgenregelun429

BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 13; Leier, VuR 2013, 457, 462. Kritisch in Bezug auf die Europarechtskonformität, Meier, ZfIR 2014, 799, 804. 431 BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 13; in diesem Sinne auch Meier, ZfIR 2014, 799, 804. 432 BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 13. 433 Leier, VuR 2013, 457, 462. 434 s. o., Kap. 3, Fn. 388. 435 BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 5. 430

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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gen geht auf Unterschiede bezüglich der Umstände, aus denen sich das gesetzgeberische Lösungsinteresse ergibt, zurück. Hinsichtlich der Begründung des Lösungsinteresses geht der Gesetzgeber in den Widerrufsfällen davon aus, dass der Verbraucher durch den zu widerrufenden Vertrag die vertragscharakteristische Leistung empfängt und hierfür seinerseits lediglich zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet ist. Der Unternehmer als Lösungsgegner ist im Rahmen des Widerrufsrechts dementsprechend grundsätzlich Empfänger einer Geldleistung, deren Rückgewähr immer nach den Regeln der primären Rückgewährpflicht möglich ist.436 Eine Regelung über etwaige Wertersatzpflichten des Lösungsgegners wurde beim Widerrufsfolgenrecht deshalb nicht für notwendig erachtet. Soweit es die Zinsen betrifft, die ein Unternehmer aus vom Verbraucher erhalten Geldbeträgen gezogen hat, handelt es sich um Nutzungen; somit betrifft dieses Problem nicht die an dieser Stelle erörterte Frage nach dem Wertersatz für empfangene Leistungen, sondern soll erst unten im Zusammenhang mit den Nutzungen erörtert werden.437 Das Lösungsinteresse im Rücktrittsrecht hat seine Ursache in Störungen der Vertragsdurchführung. Diese Störungen können sowohl in Hinblick auf vertragscharakteristische Leistungen als auch in Hinblick auf Geldleistungen auftreten, sodass sowohl der Rücktrittsberechtigte als auch der Rücktrittsgegner Empfänger der vertragscharakteristischen Leistung sein können und Regelungen über etwaige Wertersatzpflichten deshalb für beide Parteien erforderlich sind. Zwar stellt der Umstand, dass im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts, anders als im Rücktrittsfolgenrecht, keine Regelung über Wertersatzpflichten des Lösungsgegners für empfangene Leistungen existiert, insofern eine sachlich gerechtfertigte Eigenständigkeit dar, diese ist für die Beurteilung der Frage nach der Zweckmäßigkeit der formellen Eigenständigkeit allerdings unbeachtlich. Denn die sachliche Rechtfertigung folgt aus der geringen praktischen Relevanz einer entsprechenden Regelung im Widerrufsfolgenrecht. Ob also insoweit an Stelle der fehlenden Regelung diejenige des Rücktrittsfolgenrechts gelten würde, macht insofern aus Wertungsgesichtspunkten keinen Unterschied. Aber auch im Hinblick auf die Regelungen zur Wertersatzpflicht des Lösungsberechtigten bestehen im Detail Abweichungen zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht, die im Folgenden dargestellt und auf ihre sachliche Rechtfertigung hin überprüft werden sollen. Diesbezüglich lässt sich sowohl im Rahmen des Rücktritts- als auch im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts im Wesentlichen zwischen der Lieferung von gegenständlichen Leistungen (zu denen in diesem Zusammenhang jedoch auch Rechte zu zählen sind) und nichtgegenständlichen Leistungen unterscheiden.438 436 Dies entspricht dem anerkannten Grundsatz, dass die Berufung auf eine Entreicherung bei der Pflicht zur Rückgewähr einer Geldleistung unzulässig ist, Döll, Rückgewährstörungen, S. 70; so auch Arnold, Jura 2002, 154, 156. 437 Hierzu unten, § 11, A. 438 Für das Widerrufsrecht BeckOGK/Mörsdorf, § 355 BGB Rn. 93.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

I. Zur primären Wertersatzpflicht für nichtgegenständliche Leistungen Im Rücktrittsfolgenrecht wird eine Wertersatzpflicht für nichtgegenständliche Leistungen in § 346 Abs. 2 Nr. 1 BGB statuiert.439 Im Widerrufsfolgenrecht muss der Verbraucher verallgemeinernd formuliert für erhaltene nicht gegenständliche Leistungen wenn überhaupt nur Wertersatz zahlen, sofern er in Kenntnis dieser Tatsache mit dem Leistungsbeginn einverstanden war. Zu den erhaltenen nicht gegenständliche Leistungen zählen dabei insbesondere Finanz- und sonstige Dienstleistungen aber auch die Lieferung von Wasser, Gas und Strom in nicht bestimmten Mengen bzw. nicht begrenztem Volumen oder Fernwärme und nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten. Grundsätzlich keine Wertersatzpflicht schuldet der Verbraucher für Nutzungsüberlassungen. Was die Ausnahme von der Wertersatzpflicht nach § 357 Abs. 9 BGB für den Widerruf von Verträgen über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten betrifft, entfällt unter den genannten Voraussetzungen bereits das Widerrufsrecht, sodass der Ausschluss der Wertersatzpflicht auch hier auf Fälle beschränkt ist, in denen der Verbraucher nicht belehrt wurde oder nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Eine Ausnahme davon besteht nur für die Kapitalnutzungsmöglichkeit bei entgeltlichen Darlehensverträgen nach § 357a Abs. 3 S. 1 und 2 BGB.440 Für unkörperliche Leistungen, die der Unternehmer im Rahmen von Teilzeit-Wohnrechte- und ähnlichen Verträgen erbracht hat, schuldet der Verbraucher in keinem Fall Wertersatz (§ 357b Abs. 1 S. 3 BGB).441 Die nicht gegenständlichen Leistungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in aller Regel nicht in natura zurückgegeben werden können und daher nicht von den Bestimmungen zur primären Rückgewährpflicht erfasst sind.442 Denn die Bestimmungen stellen zwar eine primäre Rechtsfolge dar,443 jedoch handelt es sich streng genommen nicht um eine Rückgewähr. Eine Rückgewähr setzt schließlich denklogisch voraus, dass sich die entsprechende Leistung zuvor bereits einmal beim Rückgewährgläubiger befunden hat – was im Hinblick auf den im Rahmen der Wertersatzpflicht zu zahlenden Geldbetrag jedoch nicht der Fall gewesen ist. Im Fall der Vertragsauflösung verbleiben die Vorteile der bereits erbrachten nicht gegenständlichen Leistung zunächst beim Leistungsempfänger, der deshalb ohne eine Verpflichtung zum Wertersatz grundsätzlich auf Kosten des Leistungserbringers bereichert wäre.444 439

Annuss, JA 2006, 184, 186. Als Wertersatzpflicht ist es somit irrelevant, ob der Darlehensnehmer die Valuta tatsächlich eingesetzt hat, Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1089. 441 Dies geht zurück auf Art. 8 Abs. 2 TzWR-RiL, Meier, ZfIR 2014, 799, 804. 442 Döll, Rückgewährstörungen, S. 44. 443 HK-BGB/Schulze, § 357 Rn. 11. 444 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 77. 440

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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Auf der anderen Seite führt eine Pflicht zum Wertersatz für bereits empfangene nicht körperliche Leistungen allerdings dazu, dass der Empfänger insoweit (zumindest partiell) an den Vertrag gebunden bleibt.445 Eine Wertersatzpflicht entspricht dabei dem Interesse des Erbringers der unkörperlichen Leistung, der mangels Rückgewähranspruchs in natura andernfalls den Empfänger auf seine Kosten bereichert hätte, ohne hierfür einen Ausgleich zu bekommen. Die Funktion der Wertersatzpflichten bei nichtgegenständlichen Leistungen besteht demnach in der Abschöpfung einer etwaigen Bereicherung des Leistungsempfängers.446 Mit Blick auf die Frage nach dem „Ob“ einer entsprechenden Abschöpfung besteht zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht im Wesentlichen materielle Identität. Nur in Hinblick auf Gebrauchsüberlassungen und die von § 357b BGB erfassten Verträge besteht insoweit grds. materielle Eigenständigkeit. Hier liegt materielle Identität nur bezüglich der Regelungen bei Darlehen vor, für die der Lösungsberechtigte grds. zum Wertersatz für die Gebrauchsüberlassung verpflichtet ist. Was das grundsätzliche Fehlen von Wertersatzpflichten für Gebrauchsüberlassungen im Widerrufsfolgenrecht betrifft, trägt dies der Zielrichtung des Lösungsrechts Rechnung. Demnach hätte der Verbraucher den jeweiligen Vertrag unter anderen Umständen nicht geschlossen, sondern auf die vom Unternehmer im Rahmen des Vertrags gewährte Nutzungsmöglichkeit verzichtet.447 Die zur Nutzung überlassene Leistung des Unternehmers entspricht also oftmals nicht den Bedürfnissen des Verbrauchers,448 sodass dieser durch die bloße Nutzungsmöglichkeit – anders als der Lösungsberechtigte in den Rücktrittsfällen, der den Vertrag auch unter anderen Umständen grds. geschlossen hätte – regelmäßig nicht bereichert ist.449 Ursache der materiellen Eigenständigkeit ist im Kern also, dass beim Widerrufsrecht – anders als beim Rücktrittsrecht – die sogenannte Richtigkeitsgewähr des Vertrags gerade nicht gilt.450 Die diesbezügliche materielle Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsrecht ist somit sachlich gerechtfertigt. Dass der Verbraucher auch beim Widerruf von entgeltlichen Darlehensverträgen451 ausnahmsweise Wertersatz für die Gebrauchsüberlassung leisten muss, ist damit zu begründen, dass das Lösungsinteresse hier oftmals nicht dem fehlenden Interesse an der Kapitalnutzung entspringt, sondern aus den nachträglich als un445

BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 77. In diesem Sinne wohl auch Rehberg, VuR 2014, 407, 410. 447 So auch Unger, ZEuP 2012, 270, 296. 448 BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15, NJW 2017, 878, Rn. 53. 449 Rehberg, VuR 2014, 407, 410; zum Sonderfall der Gebrauchsüberlassung bei Teilzeitwohnrechteverträgen sogleich. 450 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1138 f. 451 Zu den Besonderheiten bei unentgeltlichen Darlehen, s. u. § 10, B. 446

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

günstig erscheinenden Konditionen des Vertrags folgt.452 Deshalb ist der Verbraucher durch die Gebrauchsmöglichkeit bei der Darlehensüberlassung – anders als etwa beim Kauf einer letztlich unerwünschten Sache im Rahmen eines Außergeschäftsraumvertrags – regelmäßig tatsächlich bereichert und eine Verpflichtung zur Herausgabe dieser Bereicherung in Form des Wertersatz für die Gebrauchsmöglichkeit scheint angemessen. Für den Ausschluss von Wertersatz für Dienstleistungen im Rahmen von Vermittlungsverträgen und Tauschverträgen lässt sich zur Rechtfertigung anführen, dass der Verbraucher auch durch sie regelmäßig nicht bereichert wird. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn man sich die Konstellationen vor Augen führt, in denen der Verbraucher sich von einem Vermittlungsvertrag lösen möchte: Bei Vermittlungsverträgen entspringt das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse der Erkenntnis, dass eine Weiterveräußerung des Teilzeitwohnrechts bzw. des langfristigen Urlaubsprodukts die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen des ursprünglichen Erwerbs nicht abmildert, sondern sogar weiter verschärft.453 Der Verbraucher erkennt also, dass eine Weiterveräußerung entgegen seines ursprünglichen Impulses nicht seinen Interessen entspricht. Etwaige Vermittlungsbemühungen des Unternehmers bringen für den Verbraucher unter diesen Umständen jedoch keinen Vorteil. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die Aufnahme in einen Tauschpool. Diese allein – und innerhalb der Widerrufsfrist wird es in aller Regel noch nicht zu einem tatsächlichen Tausch gekommen sein – bereichert den Verbraucher nicht. Hier liegt dementsprechend eine sachliche Rechtfertigung der materiellen Eigenständigkeit vor. Dies trifft jedoch nicht in Hinblick auf eine etwaige Gebrauchsüberlassung der Unterkunft zu, durch die der Verbraucher durchaus bereichert sein kann. Dass bei derartigen Gebrauchsüberlassungen gleichwohl keine Wertersatzpflicht des Verbrauchers besteht, wird damit begründet, dass dieser wegen der Befürchtung, für bereits in Anspruch genommenen Leistungen bezahlen zu müssen, andernfalls von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten werden könnte.454 Zudem sei es dem Anbieter schließlich auch möglich, die Verträge so durchzuführen, dass der Verbraucher das erworbene Nutzungsrecht erst nach Ablauf des „riskanten“ Zeitraums der Widerrufsfrist in Anspruch nehmen kann.455 Die sachliche Rechtfertigung wird hier also einerseits im Schutzzweck des Widerrufsrechts und andererseits in der geringeren Schutzbedürftigkeit des Lösungsgegners gesehen. Eine derartige Begründung des Ausschlusses der Wertersatzpflicht für Gebrauchsüberlassungen bei Teilzeitwohnrechteverträgen und Verträgen über ein langfristiges Urlaubsprodukt kann jedoch nicht überzeugen. Das objektivierte Lö452 453 454 455

Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1097. s. o., Kapitel 2, § 6 F.I.3. NK-BGB/Ring, § 357b Rn. 5. MünchKommBGB/Fritsche, § 357b Rn. 3.

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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sungsinteresse hat bei diesen Konstellationen seinen Ursprung insbesondere in der langfristigen Bindung und der daraus folgenden erheblichen finanziellen Auswirkungen des Vertrags, derer sich der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschluss (noch) nicht in ausreichendem Maße bewusst ist.456 Davon ausgehend, dass derartige Verträge den Verbraucher in der Regel 50 Jahre binden, ist die Annahme abwegig, der Verbraucher könnte von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten werden, wenn er für die innerhalb der Widerrufsfrist erfolgte Nutzung der Unterkunft Wertersatz zu leisten hätte. Zwar trifft es zu, dass eine Wertersatzpflicht den Verbraucher insoweit partiell an dem Vertrag festhalten würde. Da dem Verbraucher innerhalb der Widerrufsfrist aber wohl allenfalls eine einmalige Nutzung der Unterkunft möglich sein dürfte, hat die durch die Wertersatzpflicht erfolgte partielle Bindung an den Vertrag bei einer durchschnittlichen Gesamtlaufzeit von 50 Jahren nur den Umfang von 2 % des Gesamtvertrags. Ein Widerruf würde das aus der langfristigen Bindung entspringenden Lösungsinteresse also gleichwohl im Wesentlichen befriedigen. Eine diesbezügliche Wertersatzpflicht wird den Verbraucher also kaum vom Widerruf abhalten. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit des Anbieters, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung die Nutzung vor Ablauf der Widerrufsfrist zu verhindern, überzeugt nicht. Zwar wird an den erfassten Übernachtungsmöglichkeiten, die vom Verbraucher in der Regel zu Erholungszwecken genutzt werden, oftmals ein weniger kurzfristiges Bedürfnis des Verbrauchers bestehen, als bei vielen anderen Dienstleistungen – schließlich ist es nicht unüblich seinen Urlaub mindestens einige Wochen im Voraus zu planen. Aber den Unternehmer durch die Rechtsfolgen mit der Obliegenheit einer entsprechenden Vertragsgestaltung zu belasten, scheint mit Blick auf die Tatsache, dass seinem Bestandsinteresse bereits auf der Ebene der Voraussetzungen des Lösungsrechts ein geringes Gewicht zugemessen wird, unberechtigt. Allenfalls der Hinweis Mankowskis, dass durch den Ausschluss von Wertersatzpflichten ein Anreiz für den Unternehmer geschaffen wird, die Nutzungsmöglichkeit durch eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung möglichst kurz zu halten trifft zu.457 Andererseits gilt indes zu beachten, dass Probleme bezüglich der Nutzung des Teilzeitwohnrechts, wie Kappus feststellt, regelmäßig nicht vor der ersten vertraglich festgelegten Nutzung auftreten, sodass das Erlöschen des Widerrufsrechts vor der erstmaligen Nutzung eine nicht unerhebliche Beschränkung des Schutzes des Verbrauchers darstellt und bereits deshalb nicht wünschenswert wäre.458 Gleichwohl wird der Unternehmer jedenfalls selbst bei völlig gesetzeskonformem Verhalten in nicht gerechtfertigter Weise durch den generellen Ausschluss von Wertersatz für Gebrauchsvorteile bestraft.459 456 457 458 459

s. o., Kapitel 2, § 6 F.I.1. und 2. Mankowski, Beseitigungsrechte, 906. Kappus, EWS 1996, 273, 275. Martinek, NJW 1997, 1393, 1397; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 906.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Die Ausnahme von der generellen Wertersatzpflicht für unkörperliche Leistungen bei von § 357b BGB erfassten Verträgen ist im Ergebnis also nur teilweise sachlich gerechtfertigt. Was die Berechnung der generellen Wertersatzpflicht für unkörperliche Leistungen betrifft, besteht insoweit materielle Identität zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht, als dass in beiden Fällen grds. die vereinbarte Gegenleistung als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist. Im Widerrufsfolgenrecht soll allerdings in der Regel immer dann auf den Marktwert der Leistung abgestellt werden, wenn die vereinbarte Gegenleistung unverhältnismäßig hoch ist.460 Auf den Marktwert kommt es nach der h. M. beim Rücktritt – eine Gegenleistung vorausgesetzt – hingegen nur in den Ausnahmefällen des § 346 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB an.461 Ihre Rechtfertigung hat diese Diskrepanz zwischen den Berechnungsgrundlagen der Wertersatzpflicht in den unterschiedlichen Ursachen des gesetzgeberisch zugrunde gelegten Lösungsinteresses. Mit dem Rücktrittsrecht soll dem Lösungsberechtigten ermöglicht werden auf Störungen in der Durchführung des fehlerfrei geschlossenen Vertrags zu reagieren. Hier grundsätzlich an vertraglichen Bewertungen durch die Parteien festzuhalten erscheint interessengerecht, da die aufgetretene Störung allein die Vertragsabwicklung, nicht aber die von den Parteien privatautonom ausgehandelte Entgeltabrede betrifft.462 Da das Widerrufsrecht im Gegensatz zum Rücktrittsrecht auf potentielle Störungen im Rahmen des Vertragsabschlusses reagiert, ist hier nicht im gleichen Maße wie in den Rücktrittsfällen sichergestellt, dass die vereinbarte Gegenleistung auch angemessen ist.463 Die Regelung im Widerrufsfolgenrecht dient also dazu, dem Schutzzweck des Widerrufsrechts auch in Fällen, in denen sich eine Störung der Entscheidungsfreiheit in einer unverhältnismäßig hohen Gegenleistung niedergeschlagen hat, zur Geltung zu verhelfen. Dass andererseits jedoch nicht in jedem Fall, in dem die vereinbarte Gegenleistung den Marktwert der Leistung überschritten hat, auf den Marktwert abgestellt wird, liegt im Interesse des Widerrufsgegners und lässt sich dementsprechend als Ausgleich für die geringere Gewichtung seines Bestandsinteresses auf der Ebene des „Ob“ des Lösungsrechts auffassen. Der Zweck dieser Regelung liegt also darin, dass dem Verbraucher einerseits die Vorteile eines günstigeren Geschäfts erhalten bleiben sollen und andererseits eine unangemessene Benachteiligung des

460 Eine Ausnahme besteht insoweit lediglich hinsichtlich der Wertersatzpflicht für die Gebrauchsüberlassung bei nicht grundpfandrechtlich geschützten Darlehen, in denen der vereinbarte Zins in jedem Fall als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist, BeckOGK/Knops, § 357a BGB Rn. 31 f. 461 Die Zugrundelegung der vereinbarten Gegenleistung als dem Ziel des Rücktritts entgegenstehend kritisierend, Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 160. 462 BT-Drucks. 14/6040 S. 196. 463 In diesem Sinne auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 109.

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Unternehmers, der sich völlig korrekt verhalten hat, vermieden wird.464 Eine derartige Regelung ist im Rücktrittsfolgenrecht nicht erforderlich. Entgegen der Ansicht von Buchmann, nachdem die Regelung in § 357 Abs. 8 S. 4 BGB einen ungerechtfertigten Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellt,465 ist die insoweit bestehende materielle Eigenständigkeit also materiell gerechtfertigt. Was die Sonderregel für Darlehensverträge in § 346 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB betrifft, ist ihre Existenz lediglich historisch zu erklären466 – ihren eigentlichen Zweck hat sie mit dem Gesetz zur Umsetzung der VR-RiL verloren. Weder ihre Sonderstellung im Vergleich zur allgemeinen Regelung des § 346 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB noch die Unterschiede zu der Regelung in § 357a Abs. 3 S. 2 f. BGB lassen sich sachlich rechtfertigen.467 Materielle Eigenständigkeit besteht zudem insoweit, als dass die Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB unter keinen weiteren Voraussetzungen bzw. Einschränkungen steht.468 Der Verbraucher ist im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts hingegen nur zum Wertersatz verpflichtet, sofern er über diese Rechtsfolge informiert wurde und er gleichwohl mit einem Leistungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist einverstanden war. Auch hier lässt sich die materielle Eigenständigkeit zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen mit Blick auf die unterschiedlichen Umstände, die das Lösungsinteresse begründen, sachlich rechtfertigen. Mit dem Widerrufsrecht soll sich der Lösungsberechtigte vor unerwünschten Verträgen schützen können – also vermeiden können, Gegenleistungen für solche Leistungen erbringen zu müssen, die insgesamt nicht seinem Interesse entsprechen. Das Rücktrittsrecht hat seinen Ursprung in Störungen, die erst nach dem Vertragsschluss aufgetreten sind. Während in den Rücktrittsfällen also zumindest davon ausgegangen werden kann, dass die nicht gegenständliche Leistung grundsätzlich dem Interesse des Empfängers entspricht,469 ist dies in den Widerrufsfällen nicht gleichermaßen gewährleistet. Nur sofern der Widerrufsberechtigte über eine mögliche Wertersatzpflicht informiert wurde und er dem Leistungsbeginn anschließend gleichwohl zugestimmt hat, ist er weniger schutzbedürftig.470 Indem die Wertersatzpflicht für unkörperliche Leistungen im Rah-

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Vgl. auch HK-BGB/Schulze, § 357 Rn. 11. Buchmann, K&R 2014, 562, 565. 466 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 22. 467 Die Unterschiede hinsichtlich § 346 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB zu § 357a Abs. 3 S. 2 f. BGB sind, was nicht grundpfandrechtlich gesicherte Verträge anbelangt, lediglich durch die neue Verbraucherkreditrichtlinie bedingt; zur Sonderregelung des § 346 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB im Vergleich zu § 346 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB kritisch: Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 17; Schmidt-Kessel, ZGS 2002, 311, 315. 468 Insbesondere die in § 346 Abs. 3 BGB genannten Einschränkungen betreffen lediglich die Rückgewähr bei gegenständlichen Leistungen. 469 Döll, Rückgewährstörungen, S. 109. 470 So im Ergebnis auch Unger, ZEuP 2012, 270, 296 f. 465

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men des Widerrufsfolgenrechts an eine entsprechende Information und ein anschließendes Einverständnis des Verbrauchers zum Leistungsbeginn geknüpft wird, wird also den besonderen Umständen, der dem Widerruf zugrunde liegenden Konstellationen, Rechnung getragen.471 Einer derartigen Regelung bedarf es im Rücktrittsfolgenrecht nicht. II. Zur sekundären Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistungen Die grundsätzlich zum Wertersatz für gegenständliche Leistungen verpflichtenden Umstände werden im Rahmen des § 346 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB (wenngleich nicht abschließend) kasuistisch aufgezählt,472 und § 346 Abs. 3 BGB statuiert wiederum Ausnahmen von der Pflicht. Im Gegensatz dazu wird die diesbezügliche Wertersatzpflicht im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts durch eine negative Abgrenzung (nicht zur Prüfung notwendiger Umgang gem. § 357 Abs. 7 Nr. 1 BGB bzw. nicht bestimmungsgemäße Nutzung gem. § 357b Abs. 2 BGB) vorgenommen. Obwohl die Regelungstechnik im Hinblick auf die Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistungen zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht also erheblich differiert, besteht was die zum Wertersatz für gegenständliche Leistungen verpflichtenden Umstände betrifft, im Wesentlichen materielle Identität. Denn in beiden Fällen schuldet der Lösungsberechtigte grds. nur Wertersatz, sofern er den Leistungsgegenstand nicht oder nicht im ursprünglichen Zustand herausgeben kann, weil dieser aufgrund einer auf seinem Verhalten beruhenden, nach dem Leistungsaustausch eingetretenen Veränderung ganz oder zumindest teilweise beeinträchtigt wurde. Bei der Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistungen handelt es sich damit grundsätzlich in beiden Fällen um eine sekundäre Rücktrittsfolge.473 Im Hinblick auf die Wertersatzpflicht nach § 357b Abs. 2 BGB gilt dies jedoch entgegen der Auffassung von Mörsdorf 474 nicht uneingeschränkt. Als sekundäre Rücktrittsfolge kommt die Wertersatzpflicht nur insoweit in Betracht, wie sie an die Stelle einer ursprünglichen Herausgabepflicht der Unterkunft tritt. In der Regel leistet der Unternehmer bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen jedoch nicht die Unterkunft an den Verbraucher, sondern lediglich die Gebrauchsüberlassung,475 sodass eine Herausgabepflicht des Verbrauchers bezüglich der Unterkunft überhaupt nicht besteht. Das gilt erst recht für Verträge über langfristige Urlaubsprodukte. Mangels primärer Herausgabepflicht kann hier auch keine sekundäre Wertersatzpflicht an deren Stelle treten. Bei der Wertersatzpflicht nach § 357b Abs. 2 BGB handelt es sich deshalb 471 472 473 474 475

Unger, ZEuP 2012, 270, 297. Döll, Rückgewährstörungen, S. 44. Döll, Rückgewährstörungen, S. 45. BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 11. MünchKommBGB/Franzen, § 481 Rn. 9 ff.

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streng genommen im Grunde nicht um eine sekundäre Widerrufsfolge, sondern lediglich um eine Klarstellung, dass der Verbraucher nach dem Widerruf hinsichtlich von Verschlechterungen der überlassenen Unterkunft nicht schlechter aber auch nicht besser gestellt werden soll, als wenn der Vertrag bestand hätte. Grundsätzlich ergibt sich die Rechtsfolge des § 357b Abs. 2 BGB allerdings bereits aus den §§ 280 ff. BGB bzw. – sofern man der Ansicht folgt, dass der Widerruf den Vertrag zum Erlöschen bringt – aus § 993 BGB wegen Fremdbesitzerexzess. Die Haftung nach §§ 280 ff. bzw. § 993 BGB ist auch nicht nach § 361 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, da vom Widerrufsrecht unabhängige Schadensersatzansprüche von dieser Regel nicht erfasst sind.476 1. Ausschluss der Zufallshaftung Auf den ersten Blick überraschend, besteht also grds. auch insoweit materielle Identität, als dass der Lösungsberechtigte in beiden Fällen regelmäßig nicht mit der Zufallsgefahr belastet wird. Der Umstand, dass der Rücktrittberechtigte im Rahmen des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB von der Zufallsgefahr für den empfangenen Gegenstand befreit wird, erklärt sich damit, dass dessen Lösungsinteresse in den erfassten Fällen vom Lösungsgegner zurechenbar verursacht wurde.477 Für die Rücktrittsfälle nach § 313 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Rücktrittsberechtigte mangels Anwendbarkeit des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB auch für Zufall einzustehen.478 Dem Grunde nach gilt dies auch für die Fälle des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB, hier ist der Rücktrittsberechtigte als Verkäufer aber grds. bloß Empfänger einer Geldleistung, sodass die Unanwendbarkeit des § 346 Abs. 3 S. 1 BGB insoweit keine praktische Relevanz hat. In Zusammenhang mit § 438 Abs. 4 S. 3 BGB stellt sich vielmehr die Frage, ob man hier nicht § 346 Abs. 3 S. 1 BGB sogar zugunsten des Käufers anwenden sollte. Formal betrachtet ist dieser zwar Rücktrittsgegner. Indem er sich auf die Zurückbehaltungseinrede berufen hat, hat er aber seinerseits ein Recht geltend gemacht, das den Kaufvertrag letztlich in die Rückabwicklung getrieben hat. Einer derartigen Betrachtungsweise steht auch nicht entgegen, dass hierbei die Einrede mit dem Rücktritt gleichgestellt wird. Denn wie bereits Thomale dargelegt hat, lassen sich Einreden und Gestaltungsrechte durchaus gleichsetzen.479 Allerdings spricht gegen eine derartige „umgekehrte Anwendung“ des § 346 Abs. 3 S. 1 BGB, dass auch der Käufer seinerseits den Kaufpreis noch nicht vollständig gezahlt hat – ihn trifft also ebenfalls Verantwortung für die besondere Situation des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB. Zwar ist seine Nichtleistung keine Pflichtverletzung, da ihm bis zur Verjährung des 476

BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 6. s. o. Kapitel 3, § 10, A.IV.2.c). 478 Hier ist insoweit das Vertrauen des Rücktrittsgegners auf die Endgültigkeit des Vertrags überwiegend, Gaier, WM 2002, 1, 11. 479 Thomale, AcP 2012, 920 ff. 477

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Nacherfüllungsanspruchs ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB zustand. Indes hat er es versäumt, den Verkäufer zur Nacherfüllung zu bewegen. Dementsprechend scheint eine Privilegierung des Käufers durch Anwendung des § 346 Abs. 3 S. 1 BGB in den Fällen des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB ebenfalls nicht angezeigt. Auch in den Widerrufsfällen sind die Umstände, aus denen das Lösungsinteresse folgt dem Lösungsgegner in der Regel nicht oder nicht ausschließlich zurechenbar.480 Daraus könnte man folgern, dass dem Lösungsberechtigten im Widerrufsfolgenrecht – anders als grds. im Rücktrittsfolgenrecht – die Zufallsgefahr für den erlangten Gegenstand aufzuerlegen ist, wie es in den Fällen des Rücktritts nach §§ 313 Abs. 2 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB der Fall ist. So entsprach es jedenfalls für den ordnungsgemäß informierten Verbraucher auch der Rechtslage vor der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie nach § 357 Abs. 3 S. 3 BGB a. F.481 Den Verbraucher im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts mit der Zufallsgefahr für den empfangenen Gegenstand zu belasten, würde jedoch entgegen der Auffassung von Lorenz482 dem Sinn und Zweck des Widerrufsrechts widersprechen.483 Das Widerrufsrecht reagiert auf Störungen in der Entscheidungsfreiheit.484 Die das Lösungsinteresse begründende Störung liegt hier bereits bei Vertragsschluss vor.485 Dementsprechend wäre auch die Entscheidung zur Übernahme der Sachgefahr für etwaige Leistungen von ihr betroffen.486 Als Reaktion auf die Störung in der Entscheidungsfreiheit muss dementsprechend auch die im Vertrag begründete Übernahme der Zufallsgefahr entfallen. Zwar ließe sich die Auferlegung der Zufallsgefahr auf der anderen Seite damit rechtfertigen, dass der Verbraucher durch das in seinem freien Belieben stehende Widerrufsrecht zulasten des Unternehmers begünstigt wird487 – die geringe Berücksichtigung des Bestandsinteresses auf der Ebene des „Ob“ des Lösungsrechts also eine stärkere Berücksichtigung des Interesses des Lösungsgegners auf der Ebene des „Wie“ der Loslösung erfordert. Daraus folgt allerdings nur, dass hier ein Regelungsspielraum bestand, den der Gesetzgeber durch die eindeutige Entscheidung gegen eine Belastung des Verbrauchers mit der Zufallsgefahr genutzt hat.488 So480

s. o. Kapitel 2, § 6, H. Staudinger/Kaiser, § 357 BGB Rn. 53; die Regelung als sachgerecht bezeichnend, Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 350. 482 Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 350. 483 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 901; BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 67. 484 s. o., Kapitel 2, § 6, H. 485 s. o., Kapitel 2, § 6, H. 486 Dies wohl verkennend, Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 248. 487 Staudinger/Kaiser, § 357 BGB Rn. 53. 488 So auch Lorenz, der feststellt, dass sich der Gesetzgeber auf eine schmale Gratwanderung begibt, indem er einerseits den „Preis“ des Widerrufs für den Widerrufsberechtigten nicht zu hoch werden lassen darf, damit der ein Widerruf effektives Schutz481

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weit also hinsichtlich der Zufallshaftung zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht materielle Eigenständigkeit besteht, nämlich mit Blick auf die Verteilung der Zufallsgefahr beim Rücktritt nach §§ 313 Abs. 2 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB, ist diese sachlich gerechtfertigt. 2. Ausnahmen von der Wertersatzpflicht und Sorgfaltsmaßstab a) Materielle Eigenständigkeiten Wesentliche Unterschiede bestehen bei den Regelungen über die sekundären Wertersatzpflichten im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs und den von der Wertersatzpflicht ausgenommenen Konstellationen. Während sich die Verantwortlichkeit des Lösungsberechtigten beim Widerrufsrecht nach den allgemeinen Regeln bestimmt, sodass dieser grds. auch für jede Fahrlässigkeit einzustehen hat, ist der Sorgfaltsmaßstab des lösungsberechtigten Rückgewährschuldners im Rahmen des gesetzlichen Rücktrittsrechts grds. auf die eigenübliche Sorgfalt beschränkt. Nur bei den Rücktrittsrechten nach §§ 313 Abs. 2 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB ist § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB nicht anwendbar, sodass der Rückgewährschuldner auch hier für jede Sorgfaltsverletzung einzustehen hat. Mit Blick auf § 438 Abs. 4 S. 3 BGB gilt fehlt es jedoch auch hier an einer praktischen Relevanz der Ausnahme von § 346 Abs. 3 S. 1 BGB, da der Lösungsberechtigte zugleich als Verkäufer Empfänger einer Geldleistung ist und somit ein zu ersetzender Wertverlust nicht in Betracht kommt.489 Im Hinblick auf den Sorgfaltsmaßstab des Lösungsberechtigten beim Rücktritt nach §§ 313 Abs. 2 S. 1 und 438 Abs. 4 S. 3 BGB besteht jedenfalls materielle Identität zu der Regelung im Widerrufsfolgenrecht. Bezüglich des Sorgfaltsmaßstabs bei den übrigen Rücktrittsrechten besteht hier allerdings eine rechtfertigungsbedürftige materielle Eigenständigkeit. Anders als im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts kommt eine Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistung beim Widerrufsrecht – abgesehen von den Fällen des § 357b BGB – zudem nur unter der zusätzlichen Voraussetzung in Betracht, dass der Rückgewährschuldner ordnungsgemäß belehrt wurde. Fehlt es in diesen Fällen an einer entsprechenden Belehrung, muss der Rückgewährschuldner also unter keinen Umständen Wertersatz leisten – selbst wenn er nicht einmal die eigenübliche Sorgfalt beachtet hat.490 Wurde der Verbraucher hingegen ordnungsgemäß belehrt, hat er, anders als der Rückgewährschuldner im instrument bleibt und andererseits die Interessen des Unternehmers berücksichtigen muss, Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 348. 489 Hinsichtlich der „umgekehrten“ Anwendung der Privilegierung im Falle des § 438 Abs. 4 S. 3 BGB auf den Käufer, siehe bereits die Ausführungen bezüglich der Zufallsgefahr, oben, 1. 490 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 226; so bereits für die alte Rechtslage Bartholomä, NJW 2012, 1761, 1762.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Rücktrittsfolgenrecht, auch für denjenigen Wertverlust einzustehen, der durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der erhaltenen Leistung entstanden ist, sofern es sich hierbei nicht um eine notwendige Folge der Prüfung der Ware handelt. Zwar wird die im Rahmen des Widerrufsrechts zulässige Prüfung, wie Mörsdorf feststellt, oftmals auch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme umfassen,491 doch ist dies nicht notwendigerweise der Fall.492 Es handelt sich bei den unterschiedlichen Maßstäben an den wertersatzlos möglichen Umgang mit dem erhaltenen Gegenstand eine um bewusste materielle Eigenständigkeit. Zudem wird nach der h. M. diejenige Verschlechterung der Leistung nicht von der Wertersatzpflicht im Rücktrittsfolgenrecht erfasst, die auf die bestimmungsgemäße Benutzung der Ware zurückzuführen ist.493 Im Widerrufsfolgenrecht entfällt die Wertersatzpflicht des Widerrufsberechtigten für die Verschlechterung aus der bestimmungsgemäßen Benutzung lediglich in den Fällen des § 357b BGB – in den übrigen Fällen ist der Rückgewährschuldner auch für derartige Verschlechterungen grds. wertersatzpflichtig. Darüber hinaus existiert im Widerrufsfolgenrecht keine dem § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB entsprechende Regelung. b) Sachliche Rechtfertigung aa) Die Belehrungspflicht als Voraussetzung der Wertersatzpflicht im Widerrufsrecht Der Umstand, dass das Widerrufsfolgenrecht, anders als das Rücktrittsfolgenrecht, den Lösungsberechtigten nur mit der sekundären Wertersatzpflicht belastet, wenn dieser vom Lösungsgegner ordnungsgemäß über sein Lösungsrecht belehrt wurde, lässt sich mit Unterschieden auf der Tatsachenebene rechtfertigen. Dem Unternehmer als „repeat player“ wird eine bessere Kenntnis der Rechtslage als dem Verbraucher unterstellt.494 Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass der Unternehmer die Widerruflichkeit des Vertrags kennt, der Verbraucher sich dieser mitunter jedoch nicht bewusst ist.495 Damit das Widerrufsrecht ein effektives Schutzinstrument für den Verbraucher ist, muss der Verbraucher dementsprechend vom Unternehmer über die Lösungsmöglichkeit und seine Modalitäten informiert werden.496 Der Ausschluss der Wertersatzpflicht bei fehlender Widerrufsbelehrung stellt in diesem Zusammenhang einen Anreiz für den Unternehmer dar, durch eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung die aus dem Ausschluss der

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BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 69. Förster, JA 2014, 801, 804. 493 s. o., Kap. 3, Fn. 252. 494 s. o., Kap. 2, Fn. 1029. 495 s. o., Kapitel 2, § 6, A.II.6. 496 Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 362; in diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 10.04.2008 – Rs. C-412/06, NJW 2008, 1865, Rn. 33. 492

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Wertersatzpflicht resultierenden Nachteile zu vermeiden.497 Darin dürfte auch die Begründung dafür liegen, dass der nicht ordnungsgemäß belehrte Verbraucher selbst dann keinen Wertersatz schuldet, wenn er den Gegenstand nicht mit der eigenüblichen Sorgfalt behandelt.498 Allerdings hat bereits Scholz zu § 1d Abs. 2 AbzG festgestellt, dass sogar die Begrenzung der Haftung des nichtbelehrten Verbrauchers auf dessen eigenübliche Sorgfalt eine schwerwiegende Sanktion zur Erzwingung der Belehrungspflichten darstellt, sodass sich die Frage stellt, ob der vollständige Ausschluss von Wertersatzpflichten nicht „über das Ziel hinausschießt“. Davon ausgehend, dass der Ausschluss der Wertersatzpflicht bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung seine Rechtfertigung in einer derartigen Anreizfunktion hat, dürfte die Grenze für den Ausschluss des Wertersatzes dann jedenfalls bei einer vorsätzlichen Beschädigung oder Zerstörung des Gegenstands durch den Verbraucher haben. Eine darüber hinausgehende Auslegung der Befreiung von der Wertersatzpflicht ist für die Anreizwirkung nicht erforderlich. Der hier vertretenen einschränkenden Interpretation dürfte auch die europarechtlichen Vorgaben nicht entgegenstehen, da der Grundsatz von Treu und Glauben, gegen den der Verbraucher in den Fällen des Widerrufs nach vorsätzlicher Beschädigung oder Zerstörung des erhaltenen Gegenstands verstößt, europarechtlich anerkannt ist.499 Folgt man der hier vertretenen Auffassung, sind auch insoweit die Unterschiede zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht sachlich gerechtfertigt.500 bb) Abweichungen beim Sorgfaltsmaßstab Mit der im Widerrufsfolgenrecht bestehenden Beschränkung der Wertersatzpflicht auf Konstellationen, in denen der Lösungsberechtigte zuvor über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, lässt sich auch die Abweichung hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs rechtfertigen, den der jeweilige Lösungsberechtigte im Umgang mit dem Gegenstand zu beachten hat.501 Denn dass der Rücktrittsberechtigte grds. keinen Wertersatz für die Verschlechterungen oder den Untergang des Gegenstands zu leisten hat, der trotz Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt eingetreten ist, wird mit dessen Unkenntnis des Lösungsrechts begründet. Bis zur Kenntnis kann der Rücktrittsberechtigte legitimerweise von der Dauerhaftigkeit der Vermögensverschiebung ausgehen und deshalb mit dem Gegenstand verfah497

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 901; Schärtl, JuS 2014, 577, 582. Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Band IV, A.5, Art. 3 RiL 93/13/EWG Rn. 66. 499 Scholz, MDR 1974, 969, 970. 500 Bartholomä, NJW 2012, 1761, 1763. 501 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 900 f.; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1065; so auch bereits Petermann, der zu § 1e Abs. 2 AbzG festgestellt hat, dass der Gesetzgeber mit dem dortigen Ausschluss der Wertersatzpflicht des Käufers bei Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt „über das Ziel hinausgeschossen“ sei, Petermann, Rpfleger 1974, 281, 282. 498

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

ren, als sei er Eigentümer.502 Erst ab Kenntnis der Rücktrittsmöglichkeit ist ein strengerer Maßstab bei der Sorgfalt im Umgang mit dem Gegenstand – nämlich der eines potentiellen Rückgewährschuldners – anzulegen.503 Der im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts zum Wertersatz verpflichtete Verbraucher kann wegen der von der Wertersatzpflicht vorausgesetzten Belehrung hingegen von Anfang an nicht sicher sein, dass die Vermögensverschiebung dauerhaft ist und hat dementsprechend ab Erhalt der Ware die Sorgfalt des potentiellen Rückgewährschuldners anzulegen.504 Ein geringerer Maßstab beim Umgang mit dem Gegenstand ist nach dem Sinn und Zweck des Widerrufsrechts auch nicht erforderlich.505 Das Widerrufsrecht soll dem Lösungsberechtigten lediglich ermöglichen den Vertragsschluss zu überdenken, ohne dass Umstände vorliegen, die seine freie Willensbestimmung beeinträchtigen. Während dieser Bedenkzeit besteht kein Grund für den Verbraucher die Leistung endgültig seinem Vermögen zuzuordnen, indem er sie behandelt wie sein sonstiges Eigentum.506 Tut er dies dennoch, indem er den Gegenstand nicht wie ein potentieller Rückgewährschuldner, sondern wie ein endgültiger Eigentümer behandelt, schafft er dem Sinn des Lösungsrechts zuwiderlaufende Fakten und ist deshalb nicht schutzwürdig.507 cc) Der bestimmungsgemäße Gebrauch Dass der Rückgewährschuldner nach einhelliger Meinung im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts nicht zum Wertersatz für die mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einhergehende Verschlechterung verpflichtet ist, begründet sich mit der für vorrangig erachteten Nutzungsersatzpflicht, mit der diese Verschlechterung im Rücktrittsfolgenrecht bereits ausgeglichen wird.508 Grundsätzlich besteht also auch im Rücktrittsfolgenrecht eine Ersatzpflicht für derartige Verschlechterungen. Lediglich in den Fällen des § 357b BGB besteht damit überhaupt keine Ersatzpflicht für die durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstandenen Verschlechterungen an der Leistung – hier der Unterkunft. Die diesbezügliche Beschränkung auf Wertverluste, die durch eine nicht bestimmungsgemäße Nutzung verursacht wurden, soll dabei einen Interessenausgleich schaffen. Einerseits soll vermieden werden, dem Verbraucher durch das Widerrufsrecht solche Kosten aufzulasten, die ihn von der Ausübung des Widerrufs abhalten könnten – was dadurch gewährleistet wird, dass dem Verbraucher bei ordnungs502

s. o., A.IV.2.c)cc). s. o., A.IV.2.c)cc). 504 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 900 f.; Kohler, JZ 2001, 325, 336; Förster, ZIP 2014, 1569, 1575; Förster, JA 2014, 801, 804. 505 Rheinländer, ZGS 2004, 178, 181. 506 Koch, JZ 2014, 758, 763; Kohler, AcP 2006, 683, 704. 507 In diesem Sinne für den vertraglich Rücktrittsberechtigten, Büdenbender, AcP 2000, 627, 653. 508 s. o., A.IV.1. 503

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gemäßer Nutzung der Unterkunft keinerlei Wertersatzpflichten treffen.509 Andererseits bedürfen die Interessen des Lösungsgegners besonderer Berücksichtigung, da ihnen bereits auf der Ebene des „Ob“ des Widerrufs lediglich ein geringeres Gewicht zugemessen wurde. Dass die durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstandenen Verschlechterungen der Unterkunft jedoch gravierend genug sein könnten, damit sie den Verbraucher wegen der entsprechenden Wertersatzpflicht vom Widerruf des ihn oftmals über mehrere Jahrzehnte bindenden Teilzeitwohnrechtevertrags bzw. des Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt abhalten, darf bezweifelt werden.510 dd) Ersatz des durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandenen Wertverlusts Auch der Umstand, dass der Rücktrittsberechtigte für Wertverluste durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme keinen Ersatz leisten muss, der Widerrufsberechtigte hingegen nur von der Wertersatzpflicht befreit wird, sofern der Wertverlust auf einen zur Prüfung der Ware erforderlichen Umgang zurückzuführen lässt, ist sachlich gerechtfertigt.511 Das Rücktrittsrecht reagiert auf Störungen in der Vertragsdurchführung. Wie dargestellt, darf der Rücktrittsgegner, da diesem die zum Rücktritt berechtigende Störung beim Erhalt der Sache regelmäßig noch nicht bekannt ist, davon ausgehen, dass der Gegenstand dauerhaft in seinem Vermögen verbleibt und ihn deshalb – wie es in aller Regel seine Absicht bei Vertragsschluss gewesen sein wird – auch in Gebrauch nehmen. Aber selbst wenn ihm die Störung bereits bekannt ist, wird er – da ihm oftmals die Mittel zur anderweitigen Beschaffung des Gegenstands vor der Rückabwicklung des ursprünglichen Vertrags fehlen – häufig gezwungen sein die Sache zunächst zu benutzen.512 In den Widerrufsfällen, in denen dem Widerrufsberechtigten ermöglicht werden soll, seine Entscheidung zum Vertragsschluss frei von Umständen, die seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen, zu überdenken, ist eine Privilegierung der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme hingegen nicht in jedem Fall erforderlich.513 Nur dort, wo das Lösungsinteresse seine Ursache in einem Informationsdefizit über ein Erfahrungsgut hat, ist der Gegenstand für den Widerrufsberechtigten hinsichtlich der Frage, ob er am Vertrag festhalten will oder nicht, überhaupt von Belang.514 In den übrigen Fällen erfordert es der Sinn und Zweck des Widerrufsrechts streng genommen nicht, dem Lösungsberechtigten 509

BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 12. Hierzu bereits die Ausführungen zur primären Wertersatzpflicht für die Gebrauchsüberlassung, C.I. 511 Hierbei handelt es sich um eine nicht unerhebliche Besserstellung des Widerrufsgegners gegenüber dem Rücktrittsgegner, Berger, Jura 2001, 289, 293. 512 Rheinländer, ZGS 2004, 178, 181; Bartels, AcP 2015, 203, 224. 513 Kohler, JZ 2001, 325, 336. 514 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 898. 510

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überhaupt einen wie auch immer gearteten Umgang mit der Ware zu gestatten. Aber auch dort, wo das Lösungsrecht aus dem Informationsdefizit bei Erfahrungsgütern begründet ist, ist es nur erforderlich dem Verbraucher einen solchen Umgang mit dem Gegenstand zu gestatten, der zur Beseitigung des Informationsdefizits notwendig ist. Insofern sind die Wertersatzpflichten des Verbrauchers entgegen der Auffassung Mankowskis515 nicht generell als Fremdkörper im Gedanken des Widerrufsrechts einzustufen. Vielmehr muss der Verbraucher die Ware wie Mankowski selbst zugibt, nur prüfen können, ohne mit einer Wertersatzpflicht belastet zu werden.516 Genau in diesem Umfang ist ihm der Umgang mit der Leistung nach § 357 Abs. 7 BGB auch gestattet. Entgegen der Aufassung von Artz stellt die Wertersatzpflicht für die Ingebrauchnahme auch keine inakzeptable Schwächung der Rechtstellung des Verbrauchers dar.517 Sofern die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme nicht zur Prüfung der Ware erforderlich ist – etwa weil der Verbraucher das im Fernabsatz gekaufte Kraftfahrzeug auch legal mittels Kurzzeitkennzeichen gemäß § 16 FZV im normalen Straßenverkehr ausprobieren kann518 – muss er die darüber hinausgehende bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme im Interesse des Lösungsgegners unterlassen.519 Den Verbraucher von der Ersatzpflicht bzgl. des durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandenen Wertverlusts in den Fällen zu befreien, wo diese nicht zur Prüfung der Leistung erforderlich ist, ist nicht durch den telos des Widerrufsrechts geboten.520 Wie gerade ausgeführt, ist aber auch die Privilegierung des zur Prüfung notwendigen Umgangs mit der Ware im Widerrufsfolgenrecht nur erforderlich, wenn das Lösungsinteresse seinen Ursprung in Informationsdefiziten hinsichtlich eines Erfahrungsgutes hat. Dies ist allerdings nur bei Fernabsatzverträgen über Erfahrungsgüter und bei Fernunterrichtsverträgen der Fall.521 Sofern der Verbraucher auch in anderen Konstellationen – etwa beim Widerruf eines Außergeschäftsraumvertrags oder eines Ratenlieferungsvertrags – ein solches Prüfungsrecht hinsichtlich erworbener Gegenstände zugestanden bekommt, ohne dass er für die damit einhergehenden Verschlechterungen Wertersatz zu leisten hat, handelt es sich um eine nicht vom Sinn und Zweck der Widerrufsrechte ge515 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 892; Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 357, 369 f. 516 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 898. 517 Artz, JJZ, S. 227, 251. 518 Schwab, JZ 2015, 644, 648. 519 So auch Brönneke, MMR 2004, 127, 132; Kohler, AcP 2006, 683, 704. 520 So hat bereits Scholz zur Regelung des AbzG, nachdem der Verbraucher beim Widerruf nicht zum Ersatz für durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstandenen Wertverlust zu leisten hat, festgestellt, dass es sich „keinesfalls um ein Optimum an Billigkeit und Gerechtigkeit“ handelt, Scholz, MDR 1974, 969, 970. Zur Gefahr, dass der Verbraucher den durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandenen Wertverlust sachwidrig für eine nachträgliche Neuverhandlung der Vertragskonditionen nutzen könnte, Kohler, JZ 2001, 325, 336. 521 s. o., Kapitel 2, § 6, B.I. und G.I.

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botene Verallgemeinerung der Situation beim Fernabsatzrecht. Die damit einhergehende Privilegierung des Verbrauchers ist – insbesondere unter Berücksichtigung der geringen Gewichtung des Bestandsinteresses des Unternehmers auf der Ebene des „Ob“ der Loslösung – sachlich nicht gerechtfertigt.522 Die materielle Eigenständigkeit von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht, die sich aus der Privilegierung des Rücktrittsberechtigen gegenüber dem Widerrufsberechtigten beim gestatteten Umgang mit der Ware ergibt, ist gleichwohl sachlich gerechtfertigt.523 ee) Die Ausnahme des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB Das Fehlen einer dem § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB entsprechenden Regelung im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts ist den verschiedenen gesetzgeberisch zugrunde gelegten Umständen des Lösungsinteresses geschuldet. Das Widerrufsrecht dient dazu, dass sich der Lösungsberechtigte, da der Vertragsschluss unter Umständen erfolgt ist, die die Gefahr einer Beeinträchtigung seiner materiellen Willensfreiheit bargen, die Chance hat den Vertrag frei von den potentiell beeinträchtigenden Umständen zu überdenken. Solange der Empfänger der Leistung sich noch nicht sicher ist, ob der Vertrag auch tatsächlich seinem Willen entspricht, kann ihm auch zugemutet werden, noch keine Handlungen vorzunehmen, durch die die Leistung endgültig in sein Vermögen integriert wird. In den Rücktrittsfällen, in denen die zur Vertragsauflösung berechtigende Störung nicht den Vertragsschluss, sondern die Vertragsausführung betrifft, hat der Lösungsberechtigte hingegen zunächst – bis sich ihm die Störung offenbart – keinen Grund die Leistung nicht endgültig in sein Vermögen zu integrieren. Sinn und Zweck des Lösungsrechts beim Rücktritt erfordern – anders als dies beim Widerruf der Fall ist – eine Befreiung von der Wertersatzpflicht für die in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB genannten Fälle. 3. Berechnung des Wertersatzes Materielle Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht besteht auch in Bezug auf die Berechnungsgrundlage für den Wertersatz bei gegenständlichen Leistungen. Während nach § 346 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB die Gegenleistung zur Bestimmung des Wertersatzes zugrunde zu legen ist, ergibt der Umkehrschluss aus § 357 Abs. 8 S. 4 BGB, dass im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts für den Wertersatz bei gegenständlichen Leistungen auf deren objektiven Wert abzustellen ist.524 Wie bereits bei den Ausführungen zur Berechnung

522

Löwe, NJW 1974, 2257, 2263. In diesem Sinne auch BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15, NJW 2017, 878, Rn. 36. 524 s. o., Kapitel 3, § 10, B. 523

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

des Wertersatzes für nichtgegenständliche Leistungen dargestellt, unterscheiden sich die Rücktritts- und die Widerrufsrechte insofern, als dass die das Lösungsinteresse begründende Störung in den Rücktrittsfällen keinen Einfluss auf die vertragliche Bewertung der Leistung hat, während in den Widerrufsfällen die Angemessenheit der vereinbarten Gegenleistung gerade wegen der das Lösungsinteresse begründenden Störung nicht sichergestellt ist.525 Sofern der BGH diesbezüglich zwischen Haustürgeschäft und Fernabsatz differenziert und nur bei ersteren eine für die Entgeltabrede relevante Beeinträchtigung annimmt,526 ist dem zu widersprechen. Denn diese Argumentaion verkennt, dass auch eine auf Informationsdefiziten basierende Fehlvorstellung bezüglich der Leistung oftmals mit einer falschen Beurteilung ihres Wertes einhergeht. Die Erreichung des mit dem Widerruf verfolgten Zwecks erfordert somit auch das vertraglich indizierte vermögensmäßige Ergebnis zu beseitigen, um das gesetzgeberisch zugrunde gelegte Lösungsinteresse vollständig zu befriedigen.527 Um den Zweck des Rücktrittsrechts zu erreichen bedarf das vertraglich indizierte vermögensmäßige Ergebnis hingegen grundsätzlich keiner Revision. Die Orientierung am objektiven Wert an Stelle der vereinbarten Gegenleistung ist zur Erreichung des Zwecks des Widerrufs jedoch nur insoweit erforderlich, wie der objektive Wert der Leistung hinter der vereinbarten Gegenleistung zurückbleibt. Liegt der objektive Wert über dem der Gegenleistung, ist eine Berechnung anhand des objektiven Werts hingegen nicht geboten. Denn hier würde eine Zugrundelegung der vereinbarten Gegenleistung die Parteien ausschließlich zum Nachteil des Lösungsgegners an der vertraglichen Vereinbarung festhalten. Dieser hat seine auf den Vertragsschluss gerichtete Entscheidung jedoch grds. frei von willensbeeinträchtigenden Umständen getroffen und war gleichwohl bereit den Gegenstand für die Gegenleistung einzutauschen.528 Mangels Schutzbedürftigkeit des Lösungsgegners wäre es unangemessen diesen bei einem Widerruf seines Vertragspartners besser zu stellen, als er es bei der Vertragsdurchführung wäre. Sofern im Widerrufsfolgenrecht, anders als im Rücktrittsfolgenrecht, nicht die vertraglich vereinbarte Gegenleistung, sondern der objektive Wert der Gegenleistung zugrunde zu legen ist, rechtfertigt sich dies, wie gerade erläutert, ohne Weiteres mit den unterschiedlichen Zwecken des Rücktritts und des Widerrufs. Begründungsbedürftig sind allenfalls die Differenzen der Wertersatzberechnung zwischen körperlichen und unkörperlichen Leistungen im Widerrufsfolgen-

525

Benicke, ZGS 2002, 369, 374 f.; von Koppenfels, WM 2001, 1360, 1368. BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15, NJW 2017, 878 Rn. 52. 527 s. o. Kapitel 2, § 7. 528 Wie Braun feststellt, ist der Unternehmer nach wie vor an seinen Erklärungen festgehalten, Braun, ZGS 2008, 129, 131. 526

§ 10 Die Wertersatzpflicht bei empfangenen Leistungen

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recht selbst. Denn hinsichtlich der unkörperlichen Leistungen wird – im Interesse des Lösungsgegners – gleichwohl grundsätzlich auf die vereinbarte Gegenleistung abgestellt.529 Insoweit werden dort die Interessen des Lösungsberechtigten nicht vollumfänglich befriedigt, sondern müssen zugunsten des Lösungsgegners teilweise zurückstehen.530 Bei gegenständlichen Leistungen werden die Interessen des Lösungsgegners hingegen nicht in einem entsprechenden Maße berücksichtigt, sondern die Interessen des Lösungsberechtigten vollständig befriedigt. Im Rahmen des Wertersatzes für nichtgegenständliche Leistungen muss der Lösungsberechtigte dem Leistungsbeginn jedoch auch ausdrücklich zustimmen – eine entsprechende Regelung ist beim Wertersatz für gegenständliche Leistungen nicht vorgesehen. Indem der Lösungsberechtigte, in Kenntnis der Folgen bezüglich einer etwaigen Wertersatzpflicht, dem Leistungsbeginn zustimmen muss, bekommt er eine weitere Chance die eingegangene vertragliche Bindung zu überdenken. Sofern er dem Leistungsbeginn gleichwohl zustimmt, ist er weniger schutzwürdig. Die Berücksichtigung des Interesses des Lösungsgegners bei der Berechnung des Wertersatzes für nicht gegenständliche Leistungen rechtfertigt sich also damit, dass das Gewicht des Interesses des Lösungsberechtigten hier geringer einzustufen ist als in den Fällen der Wertersatzpflicht bei gegenständlichen Leistungen, bei denen dem Lösungsberechtigten keine entsprechende zusätzliche Chance zum Überdenken der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung vor dem Leistungsbeginn gewährleistet wird.531 4. Verpflichtung zur Herausgabe etwaiger Bereicherungen beim Ausschluss der Wertersatzpflicht Materielle Eigenständigkeit zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht besteht auch in Hinblick auf eine Verpflichtung zur Herausgabe etwaiger Bereicherungen in Fällen, in denen die Wertersatzpflicht ausgeschlossen ist. Während § 346 Abs. 3 S. 2 BGB eine solche für das Rücktrittsfolgenrecht statuiert, besteht eine entsprechende Vorgabe im Widerrufsfolgenrecht nicht. Da das Widerrufsfolgenrecht die Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher, wie § 361 Abs. 1 BGB ausdrücklich festlegt, abschließend regelt,532 ist diesbezüglich auch ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht ausgeschlossen.533 Zugegeben ist der praktische Anwendungsbereich des § 346 Abs. 3 S. 2 BGB gering, da die Bestimmung lediglich solche Vermögensmehrungen erfasst, die weder gem. § 346 Abs. 1 BGB zurückzugewähren sind, noch nach § 346 Abs. 2 529 530 531 532 533

295.

s. o. Kapitel 3, § 10, B. In diesem Sinne auch Rehberg, VuR 2014, 407, 410. So im Ergebnis wohl auch Janal, WM 2012, 2314, 2321. BGH, Urt. v. 15.05.2014 – III ZR 368/13, NJW 2014, 2857 Rn. 36. BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 5; Buchmann, K&R 2014, 293,

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

S. 1 BGB zu ersetzen sind.534 Zu denken wäre diesbezüglich etwa an Fälle des Verbrauchs. Kaiser nennt hier beispielshalber den Restaurantbesucher, der nach § 346 Abs. 3 S. 2 BGB die Vorteile als Bereicherung herauszugeben hat, die er durch den Genuss eines Menüs bis zum Entdecken einer Schnecke erlangt hat, wegen der er vom Vertrag zurücktritt.535 Im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts, in denen die Wertersatzpflicht von einer entsprechenden Belehrung des Verbrauchers abhängt, hätte eine entsprechende Verpflichtung zur Bereicherungsauskehr einen ungleich größeren Anwendungsbereich. Der Ausschluss weitergehender Ansprüche in § 361 Abs. BGB wird damit begründet, dass der Verbraucher andernfalls von der Ausübung seines Widerrufsrechts abgehalten werden könnte und dadurch die Effektivität des Widerrufsrechts beeinträchtigt werden würde.536 Mit Blick auf den Ausschluss von Ansprüchen auf die Herausgabe einer etwaigen Bereicherung vermag diese Begründung jedoch nicht zu überzeugen. Denn durch die Verpflichtung zur Herausgabe einer Bereicherung würde der Verbraucher nur verpflichtet werden solche Vorteile an den Unternehmer auszukehren, die er durch den widerrufenen Vertrag erlangt hat und die tatsächlich noch in seinem Vermögen vorhanden sind.537 Der Zweck des Widerrufsrechts – nämlich die Rückgewähr der materiellen Entscheidungsfreiheit – rechtfertigt eine derartige Bevorzugung des Verbrauchers somit nicht. Löst er sich vom Vertrag, weil er zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich die eingegangene vertragliche Bindung insgesamt als unvorteilhaft erweist, scheint es nicht notwendig ihm Vorteile aus dem Vertrag zu belassen. Denn diese Vorteile wird er bei der Gesamtbewertung des Vertrags einbezogen und gerade nicht als gewichtiger als die Nachteile eingestuft haben. Der Verlust der tatsächlich erlangten und noch vorhandenen Vorteile wird den Verbraucher dementsprechend nur selten vom Widerruf abhalten können. Dass der Verbraucher in den Fällen, in denen er keinen Wertersatz leisten muss, auch nicht zur Herausgabe etwaiger Bereicherungen verpflichtet ist, schafft allerdings zusätzliche Anreize für den Unternehmer, den Verbraucher ordnungsgemäß zu informieren. Eine derart weitreichende Privilegierung des Verbrauchers auf Kosten des Unternehmers, dessen Bestandsinteresse bereits generell kein besonderes Gewicht zugemessen wird, mag man rechtspolitisch zwar für kritikwürdig halten. Dem Gesetzgeber ist hier jedoch ein weiter Regelungsspielraum zuzugestehen, sodass man die diesbezügliche materielle Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht im Ergebnis als gerechtfertigt einstufen können wird.

534 535 536 537

Annuss, JA 2006, 184, 188; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 218. Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 218. HK-BGB/Schulze, § 361 Rn. 1. Kohler, AcP 2008, 417, 432.

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D. Einordnung der Wertersatzpflichten in den Kontext der Regelung I. Die Einordnung der primären Wertersatzpflichten in den Kontext der Regelung Das primäre Ziel des Rücktrittsfolgenrechts ist die Herstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch. Im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts sollen die Folgen des Vertragsschlusses insgesamt beseitigt werden. Sofern im Rahmen des aufzulösenden Vertrags nichtkörperliche Leistungen erbracht wurden, wären auch diese zur Erreichung des primären Ziels des Rücktritts- bzw. Widerrufsrechts herauszugeben. Dies ist bei nichtkörperlichen Leistungen ihrer Natur nach jedoch nicht möglich. Sie haben sich jedoch oftmals in Form einer Vermögensmehrung beim Empfänger niedergeschlagen. Eine derartige Vermögensmehrung ist zur Herstellung des von den Rücktritts- bzw. Widerrufsfolgenrecht angestrebten Zustands grds. abzuschöpfen und an den ursprünglichen Leistungserbringer zu übertragen. Dementsprechend handelt es sich bei der Wertersatzpflicht für nichtkörperliche Leistungen um Regelungen, die die Erreichung des primären Ziels der Vertragslösung betreffen,538 sodass sie in den Kernbereich der Regelung einzuordnen sind. II. Die sekundären Wertersatzpflichten im Kontext der Regelung Wie bereits Flume erkannt hat, gibt es bei der Rückabwicklung im Rahmen des Rücktritts (was auch auf den Widerruf zutrifft) keine apriorisch richtige Gefahrverteilung.539 Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Verteilung der Zufallsgefahr, denn hier steht jeder Regelungsversuch vor dem Dilemma, dass von zwei am Untergang bzw. an der Verschlechterung des empfangenen Gegenstands schuldlosen Beteiligten einem der Verlust auferlegt werden muss.540 Aber auch die generelle Ausgestaltung von Wertersatzpflichten in Fällen, in denen eine Rückabwicklung in natura nicht vollumfänglich möglich ist, stellt letztlich eine nicht von den primären Zielen der Lösungsmöglichkeiten prädeterminierte Interessenabwägung dar.541 Der Rücktritt soll im Interesse der Dispositionsfreiheit des Rücktrittsberechtigten vornehmlich die Rechtslage von vor dem Leistungsaustausch herstellen.542 Der Widerruf soll im Interesse der Entscheidungsfreiheit des Widerrufsberechtigten sogar weitergehend die Folgen der vertraglichen Bin538

In diesem Sinne auch Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059. Flume, NJW 1970, 1161, 1165. 540 Flessner, NJW 1972, 1777, 1780; Bartels, AcP 2015, 203, 219 f. 541 Flessner, NJW 1972, 1777, 1780; in diesem Sinne auch Büdenbender, AcP 2000, 627, 654; Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 329, 345. 542 s. o. Kapitel 2, § 7. 539

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

dung insgesamt beseitigen. In beiden Fällen sind jedoch auch die Interessen des Lösungsgegners zu berücksichtigen, dessen Bestandsinteresse bereits auf der Ebene des „Ob“ einer Vertragslösung vollständig zurücktreten musste. Sowohl das Rücktritts- als auch das Widerrufsfolgenregime haben also zum Ziel, für beide Parteien (mindestens) die Rechtslage herzustellen, wie sie vor dem Leistungsaustausch bestand.543 Sofern jedoch ein geleisteter Gegenstand in der Zeit nach dem Leistungsaustausch beeinträchtigt wurde, lässt sich dieser angestrebte Zustand rein faktisch nicht mehr erreichen.544 Die Wertersatzpflichten, die in derartigen Fällen als Rücktritts- und Widerrufsfolgen statuiert werden, dienen somit grds. der Zuweisung von Nachteilen für den Fall, dass die vollständige Beseitigung der Konsequenzen des erfolgten Leistungsaustauschs, für den seinerseits der zu lösende Vertrag ursächlich war, in tatsächlicher Hinsicht unmöglich ist. Es handelt sich bei den Bestimmungen zur Wertersatzpflicht für gegenständliche Leistungen demnach um sekundäre Regelungen, die erst eingreifen, wenn das eigentliche Ziel des Lösungsrechts nicht erreichbar ist. Aus diesem Grund sind die Bestimmungen zur Wertersatzpflicht in den Mittelbereich des Regelungskontexts der Rechtsfolgenregime einzuordnen.

543

Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 21. Hütte, Gefahrverteilung und Schadensersatz im Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 13. 544

§ 11 Nutzungen und Aufwendungen

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§ 11 Nutzungen und Aufwendungen A. Die Regelungen betreffend Nutzungen und Aufwendungen im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht Nach § 346 Abs. 1 BGB sind neben den empfangenen Leistungen grundsätzlich auch sämtliche ab dem Leistungsempfang tatsächlich gezogenen Nutzungen vom Rücktrittsrückgewährschuldner herauszugeben.545 Zu den Nutzungen zählen nach § 100 BGB Sach- und Rechtsfrüchte sowie Gebrauchsvorteile.546 Nach der herrschenden Meinung bezieht sich die Nutzungsherausgabepflicht nach § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB allerdings nur auf Konstellationen, in denen die Gebrauchsüberlassung nicht Hauptleistungspflicht des ursprünglichen Vertragsverhältnisses war.547 Die Nutzungen müssten gerade aus dem erlangten Leistungsgegenstand gezogen worden sein, sodass eine Anwendbarkeit des § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB in Konstellationen, in denen die Gebrauchsüberlassung selbst den eigentlichen Leistungsgegenstand darstellt, nicht in Betracht kommt.548 Mit Blick auf die Fälle, in denen die Gebrauchsüberlassung keine Hauptpflicht des Vertrags war, wird teilweise davon ausgegangen, dass bereits aus § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB eine Wertersatzpflicht für Gebrauchsvorteile folgt.549 Die überwiegende Ansicht geht hingegen davon aus, dass die Regelung in § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB sich auf Nutzungen beschränkt, die in Natur herausgegeben werden können, und lehnt dementsprechend eine Wertersatzpflicht für Gebrauchsvorteile aus § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB ab.550 Eine entsprechende Wertersatzpflicht für Nutzungen, die – wie es insbesondere bei Gebrauchsvorteilen der Fall ist – nicht in natura herausgegeben werden können, folge vielmehr aus § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB.551 Dem ist mit Blick auf den Wortlaut und die Systematik des § 346 BGB zuzustimmen. § 346 Abs. 1 BGB stellt den Grundsatz auf, dass die Rückgewähr bzw. Herausgabe in natura zu erfolgen hat; § 346 Abs. 2 BGB 545 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 33; zum daraus resultierenden Wertungswiderspruch zum Schadensersatzrecht Höpfner, NJW 2010, 127, 129; zur Vereinbarkeit einer Nutzungsersatzpflicht des Rücktrittsberechtigten mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie BGH, Urt. v. 16.09.2009 – VIII ZR 243/08, NJW, 2010, 148 und (orbiter dictum) EuGH, Urt. v. 17.4.2008 – Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433. 546 So auch Döll, Rückgewährstörungen, S. 78. 547 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 47; Annuss, JA 2006, 184, 185. 548 s. o. Kapitel 3 § 10 A.I.; in diesem Sinne auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 47. 549 BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 33; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 33. 550 Döll, Rückgewährstörungen, S. 82; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 25; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 251; Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 67; Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 3; Gaier, WM 2002, 1, 6; Schwab, JuS 2002, 630, 631; Annuss, JA 2006, 184, 185. 551 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 25.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

ergänzt diesen Grundsatz um eine Wertersatzpflicht unter den genannten Voraussetzungen.552 Der Wortlaut des § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB nennt zudem ausdrücklich die Herausgabe neben der Rückgewähr und bezieht sich damit auf die Nutzungen, die ihrer Natur nach nicht herausgegeben werden können,553 was dadurch unterstrichen wird, dass die Vorschrift auf das Erlangte und nicht nur die empfangene Leistung abstellt.554 Bei der Berechnung des Wertersatzes für die Gebrauchsvorteile ist dabei auf die zeitanteilige lineare Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer abzustellen.555 Eine Wertersatzpflicht tritt nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BGB auch dann an die Stelle der Herausgabepflicht, wenn die ursprünglich in natura herausgabefähigen Nutzungen nicht mehr herausgegeben werden können. Bezüglich der Wertersatzpflichten gilt in Hinblick auf Nutzungen im Wesentlichen das zu den Wertersatzpflichten bei empfangenen Leistungen Gesagte.556 Nach § 347 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Rückgewährschuldner darüber hinaus grds. zum Ersatz von Nutzungen verpflichtet, die er entgegen der Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht gezogen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Nach § 347 Abs. 1 S. 2 BGB trifft die Wertersatzpflicht für nicht gezogene Nutzungen den gesetzlich zum Rücktritt Berechtigten jedoch nur, soweit er dabei die eigenübliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.557 Die Wertersatzpflicht greift zudem generell nicht ein, sofern es sich bei der Nutzungsmöglichkeit um die Hauptleistung selbst handelt.558 Anders als die Regelung vor der Schuldrechtsreform enthält die Bestimmung nunmehr keine ausdrückliche Verzinsungspflicht, womit dem Umstand Rechnung getragen werden soll, dass der Rückgewährschuldner mitunter – insbesondere bei geringen Beträgen und kürzerer Nutzungsdauer – nicht in der Lage ist, für das empfangene Geld eine Verzinsung zu erlangen.559 Gem. § 347 Abs. 2 BGB hat der Rückgewährschuldner grds. einen Anspruch auf den Ersatz von auf den Gegenstand gemachten notwendigen Verwendun552 553 554

Schwab/Witt, Examenswissen, S. 346. Gaier, WM 2002, 1, 5. Schwab/Witt, Examenswissen, S. 346; zustimmend Döll, Rückgewährstörungen,

S. 82. 555 Bartels, AcP 2015, 203, 216; LG Arnsberg, Urt. v. 14.06.2017 – 1 O 227/16, BeckRS 2017, 114381 Rn. 38; so bereits zur Wandlung BGH, Urt. v. 26.06.1991 – VIII ZR 198/9, NJW 1991, 2484. 556 s. o. 3.a); Annuss, JA 2006, 184, 186. 557 Gegen die Bestimmung werden indes die gleichen Einwände erhoben, wie gegen die Privilegierung des gesetzlich zum Rücktritt berechtigten nach § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB Kaiser, JZ 2001, 1057, 1067. 558 Staudinger/Kaiser, § 347 BGB Rn. 7; JurisPK/Faust, § 347 BGB Rn. 11. 559 BT-Drucks. 14/6040 S. 197; HK-BGB/Schulze, § 347 Rn. 1; diesbezüglich kritisch Kohler, JZ 2001, 325, 335.

§ 11 Nutzungen und Aufwendungen

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gen560 (S. 1) sowie einen Anspruch auf Ersatz anderer auf den Gegenstand gemachten Aufwendungen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert561 wird. Bei den Nutzungsherausgabepflichten ist im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts zu differenzieren. Jedenfalls der Verbraucher wird im Zuge der Rückabwicklung nicht zur Herausgabe der tatsächlich gezogenen Nutzungen verpflichtet.562 Auch bei der Verpflichtung des Verbrauchers zur Nutzungsentschädigung bei Verbraucherkreditverträgen nach § 357a Abs. 3 BGB handelt es sich, wie sich bereits aus der grundsätzlichen Zugrundelegung des Sollzinssatzes ergibt, nicht um eine Verpflichtung zur Herausgabe der tatsächlich gezogenen Nutzungen.563 Es fehlt im Rahmen der §§ 355 ff. BGB eine dem § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB entsprechende Anordnung zur Nutzungsherausgabe sowie eine dem § 347 Abs. 1 BGB entsprechende Wertersatzpflicht für nicht gezogene Nutzungen. Dieses Ergebnis ist jedenfalls im Anwendungsbereich der vollharmonisierenden VRRiL auch zwingend, da hier keine Wertersatzpflicht des Verbrauchers für Nutzungen, die nicht mit einem Wertverlust korrespondieren, vorgesehen ist.564 Zudem handelt es sich beim Widerrufsfolgenrecht, wie § 361 Abs. 1 BGB klarstellt, um eine abschließende Regelung soweit Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher betroffen sind, sodass diesbezüglich etwa auch ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht gesperrt ist.565 Hinsichtlich der Frage, ob den Unternehmer hingegen allgemein eine Pflicht zur Herausgabe tatsächlich gezogener und vorhandener Nutzungen trifft, ist zunächst entsprechend der dogmatischen Einordnung des Widerrufsrechts zu differenzieren. Geht man dabei mit der (auf gewichtige Argumente gestützten) Ansicht davon aus, dass der Widerruf zu einem ex tunc Erlöschen des gesamten Vertrags führt, trifft den Unternehmer eine entsprechende Herausgabepflicht nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts. Denn weitergehende Ansprüche des Verbrauchers gegen den Unternehmer werden im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts nicht ausgeschlossen,566 sodass einer ergänzenden Anwendung der §§ 812 ff. BGB hier nichts im Wege steht. Dass die Regelungen zum Widerrufsfolgenrecht lediglich in Hinblick auf Ansprüche gegen den Verbraucher abschließend sind, entsprach grds. bereits der alten Rechtslage in der Interpretation nach der der h. M. Demnach war der in § 357 Abs. 4 BGB a. F. enthaltenen Ausschluss weitergehender Ansprüche teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass er ledig560

Zum Begriff der notwendigen Verwendungen, Gaier, WM 2002, 1, 7. Dies wird auf Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht verstanden, Gaier, WM 2002, 1, 7. 562 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 225 f.; Leier, VuR 2013, 457, 459. 563 Insofern missverständlich Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 193. 564 Unger, ZEuP 2012, 270, 295; Janal, WM 2012, 2314, 2321. 565 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 228; BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 5. 566 BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 3. 561

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

lich Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher, nicht jedoch Ansprüche des Verbrauchers gegen den Unternehmer ausgeschlossen wurden.567 Auch im Rahmen des Bereicherungsrechts beschränkt sich die (primäre) Nutzungsherausgabepflicht, hier aus § 818 Abs. 1 BGB, auf die Herausgabe der Nutzungen in natura. Soweit die Nutzungen aufgrund ihrer Beschaffenheit von vornherein nicht herausgabefähig sind oder ihre tatsächliche Herausgabe aufgrund anderer späterer Umstände nicht mehr möglich ist, besteht an Stelle der Herausgabepflicht aus § 818 Abs. 1 BGB eine Wertersatzpflicht nach § 818 Abs. 2 BGB.568 Geht man hingegen mit der überwiegenden Ansicht, davon aus, dass das Widerrufsrecht lediglich zu einer ex nunc Umwandlung des Vertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis führt, wäre ein Anspruch auf Nutzungsersatz für die Zeit bis zum Widerruf aus §§ 818, 812 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, da der Verbraucher die Leistung cum causa, nämlich aufgrund des (zu dieser Zeit) noch nicht widerrufenen Vertrags erbracht hat.569 Da die Ansicht, nach der der Widerruf lediglich ex nunc wirkt, sich dogmatisch damit begründet, dass es sich beim Widerrufsrecht um ein speziell ausgestaltetes Rücktrittsrecht handelt, wäre hier in Bezug auf von Unternehmer gezogene Nutzungen entgegen der Ansicht von Knops570 jedoch ein Rückgriff auf § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB naheliegend. Eine Regelung zum Aufwendungsersatz enthält das Widerrufsfolgenrecht nicht. Diesbezügliche Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher – die praktisch allerdings auch kaum vorstellbar sind, da der Unternehmer regelmäßig bloß Geldleistungsempfänger ist – wären jedoch nach § 361 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Ansprüche des Verbrauchers auf Aufwendungsersatz kämen allenfalls über das Bereicherungsrecht bzw. §§ 994 ff. BGB571 oder über eine Gesetzesanalogie zu § 347 Abs. 2 BGB572 in Betracht.

B. Sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht bezogen auf die Regelungen zu Nutzungen In Hinblick auf den Ersatz von nicht gezogenen Nutzungen besteht zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht materielle Eigenständigkeit. Denn während das Rücktrittsrecht den Rückgewährschuldner in § 347 Abs. 1 BGB 567 Nachweise bei Staudinger/Kaiser, § 357 Rn. 98, die selbst jedoch die gegenteilige Auffassung vertreten hat. 568 MünchKommBGB/Schwab, § 818 Rn. 48 ff. 569 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 217; vgl. diesbezüglich auch die Diskussion in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig, Bankrechtstag 2014, S. 217. 570 Knops, FS für Derleder, S. 287, 295. 571 Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, § 495 BGB Rn. 218. 572 Schwab, JZ 2015, 644, 651.

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grundsätzlich eine – wenn auch im Fall des gesetzlich zum Rücktritt Berechtigten begrenzte – Ersatzpflicht auferlegt, besteht eine solche Ersatzpflicht im Widerrufsfolgenrecht generell nicht. Was die Verpflichtung des Lösungsgegners zur Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen betrifft, hängt die Beurteilung der Frage, inwieweit zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht materielle Eigenständigkeit besteht, von der rechtsdogmatischen Einordnung des Widerrufsrechts ab. Geht man davon aus, dass der Widerruf den gesamten Vertrag ex tunc erlöschen lässt, besteht zumindest teilweise materielle Identität. Denn dann wäre in Bezug auf vom Unternehmer gezogene Nutzungen der Weg für eine Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts frei, sodass diesen eine dem Rücktrittsfolgenrecht entsprechende Verpflichtung zur Herausgabe gezogener Nutzungen treffen würde. Außerdem sieht das Bereicherungsrecht eine grds. mit dem Rücktrittsfolgenrecht vergleichbare Regelung vor, da auch die Nutzungsherausgabepflicht nach § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB (jedenfalls nach der überwiegenden Ansicht) zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet, die in natura herausgegeben werden können, und ansonsten grds. eine Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 BGB besteht. Geht man hingegen davon aus, dass der Widerruf dogmatisch ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht darstellt, wäre die Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts ausgeschlossen und auch in Bezug auf die Nutzungsherausgabepflichten des Lösungsgegners bestünde materielle Eigenständigkeit, sofern man nicht eine Anwendbarkeit des § 346 Abs. 1, 2. Fall BGB annimmt. Das Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht weichen jedenfalls voneinander ab, sofern es um vom Lösungsberechtigten gezogene Nutzungen geht. Eine Verpflichtung zur Herausgabe bzw. zum Ersatz tatsächlich gezogener Nutzungen trifft den Verbraucher als Lösungsberechtigten im Widerrufsfolgenrecht nicht. Im Rücktrittsfolgenrecht ist der Lösungsberechtigte hingegen grds. zur Herausgabe oder zum Ersatz für gezogene Nutzungen verpflichtet. Mit Blick auf die Nutzungsherausgabe und -ersatzpflichten des Lösungsgegners lässt sich die materielle Eigenständigkeit in Bezug auf nicht gezogene Nutzungen damit begründen, dass der Lösungsgegner im Rahmen des Widerrufsrechts in aller Regel Empfänger einer Geldleistung ist. Mit Blick auf die oftmals geringen Beträge und den regelmäßig kurzen Zeitraum von der Zahlung bis zum Widerruf scheint eine Verpflichtung zum Ersatz nicht gezogener Nutzungen eine vernachlässigbare Rolle zu spielen.573 Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Widerruf aus Sicht des Verbrauchers lediglich die Folgen des Vertragsschlusses beseitigen soll. Der Verbraucher als Privatmann hätte für derart geringe Beträge innerhalb von kurzen Zeiträumen selbst regelmäßig auch keine nennenswerten Nutzungen gezogen.574 Zwar wird der Ersatz für nicht gezogene 573 574

In diesem Sinne auch Scholz, MDR 1974, 969, 970 f. Derleder, NJW 2005, 2481, 2484.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Nutzungen im Rahmen des Rücktritts nicht an die Möglichkeit der Nutzungsziehung geknüpft, dies lässt sich aber wegen der unterschiedlichen Zwecke von Rücktritt und Widerruf gerade nicht auf die Widerrufsfälle übertragen. Im Rücktrittsrecht tritt der Lösungsgegner im Gegensatz zudem gleichermaßen wahrscheinlich als Sach- wie als Geldleistungsempfänger auf und die Dauer zwischen Überlassung und Rückgewähr ist zudem im Regelfall größer. Auch die Beträge dürften im Mittel höher sein und der Rücktrittsberechtigte ist hier nicht zwingend Privatperson. Insgesamt scheint die diesbezügliche materielle Eigenständigkeit somit sachlich gerechtfertigt. Für die Fälle der vom Lösungsgegner tatsächlich gezogenen Nutzungen ist hinsichtlich der materiellen Eigenständigkeit zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht – die jedenfalls dann bestehen dürfte, wenn man der h. M. in Bezug auf die dogmatische Grundlage des Widerrufsfolgenrechts folgt – keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich. Was die sachliche Rechtfertigung der materiellen Eigenständigkeit hinsichtlich etwaiger Nutzungsherausgabe und -ersatzpflichten des Lösungsberechtigten betrifft, ist zu differenzieren. Der generelle Ausschluss einer Verpflichtung des Verbrauchers zur Herausgabe tatsächlich gezogener und zum Ersatz nicht gezogener Nutzungen im Widerrufsfolgenrecht ist europarechtlich begründet.575 Durch die oben aufgezeigten Unterschiede zwischen den Rücktritts- und Widerrufsrechten ist die diesbezügliche Abweichung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht allerdings nur teilweise gerechtfertigt.576 Betrachtet man die Ausführungen des EuGH im Urteil Pia Messner,577 wird dies deutlich. Demnach würde eine generelle Verpflichtung des Verbrauchers zum Wertersatz für Nutzungen zwar dem Zweck des (dort betroffenen Fernabsatz-)Widerrufsrechts entgegenlaufen578 aber eine Nutzungsersatzpflicht nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung stünde der Zielsetzung des Widerrufsrechts nicht entgegen.579 Genereller Ausgangspunkt der Widerrufsrechte ist, wie oben dargestellt, die gesetzgeberische Annahme, dass eine Vertragspartei wegen des Vertragstyps oder des Absatzmodus zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses regelmäßig nicht in der Lage war ihren Vertragswillen einwandfrei zu bilden und den Vertrag deshalb zu einem späteren Zeitpunkt bereut. Aus dieser Überlegung heraus wird der entsprechenden Vertragspartei für einen gewissen Zeitraum die Möglichkeit zur Vertragslösung zugestanden. Diesbezüglich stellt der EuGH in der Messner-Entscheidung 575 Denn jedenfalls im Anwendungsbereich der VR-RiL dürfte selbst eine bereicherungsrechtliche Abschöpfung von gezogenen Nutzungen unzulässig sein, Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 226; Knops, FS für Derleder, S. 287, 294. 576 In diesem Sinne wohl auch Unger, ZEuP 2012, 270, 294. 577 EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – Rs. C-489/07, NJW 2009, 3015. 578 EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – Rs. C-489/07, NJW 2009, 3015 Rn. 24. 579 EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – Rs. C-489/07, NJW 2009, 3015 Rn. 25.

§ 11 Nutzungen und Aufwendungen

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fest, dass der Verbraucher, wenn er zum pauschalierten Nutzungsersatz wegen der bloßen Möglichkeit zur Nutzung der Sache im Zeitraum bis zum Widerruf verpflichtet wäre, sein Lösungsrecht (immer) nur gegen Zahlung von Nutzungsersatz ausüben könnte.580 Dann aber könne er die ihm eingeräumte Bedenkzeit nicht völlig frei und ohne jeden Druck ausnutzen, was dem Zweck der Bedenkzeit entgegenlaufen würde.581 Dies betrifft aber lediglich eine Ersatzpflicht für die bloße Nutzungsmöglichkeit.582 Eine Herausgabe- bzw. Ersatzpflicht von tatsächlich gezogenen und noch im Vermögen befindlichen Nutzungen schließt diese Argumentation gerade nicht aus.583 Denn es mag zwar zutreffen, dass finanzielle Nachteile den Verbraucher vom Widerruf abzuhalten vermögen,584 die Pflicht zur Herausgabe von tatsächlich gezogenen und vorhandenen Nutzungen vermag eine derartige Wirkung allerdings gerade nicht haben.585 Sofern beim Verbraucher durch den widerrufenen Vertrag eingetretene Vermögensmehrungen zulasten des Unternehmers nicht abgeschöpft werden, wird der Verbraucher in sachlich nicht gerechtfertigter Weise im Vergleich zum Rücktrittsberechtigten bevorzugt.586 Soweit Schwab die Regelung also als „Stück gelungener Gesetzgebung“ einstuft,587 ist dem nicht zuzustimmen. Der Vergleich der Regeln betreffend die Nutzungen im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht ergibt also zusammengefasst folgendes Bild: Sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit besteht in Hinblick auf die Regelungen zum Ersatz für nicht gezogene Nutzungen, die grundsätzlich im Rücktrittsfolgenrecht geschuldet werden und für die im Widerrufsfolgenrecht generell kein Anspruch besteht. Was die Unterschiede zwischen der Herausgabe- bzw. Ersatzpflicht für die im Vermögen des Lösungsberechtigten vorhandenen Nutzungen betrifft, ist die materielle Eigenständigkeit hingegen nicht gerechtfertigt. Entsprechendes gilt auch mit Blick auf die Herausgabe vom Lösungsgegner gezogener Nutzungen, sofern man mit der wohl h. M. davon ausgeht, dass das Bereicherungsrecht aufgrund der dogmatischen Wirkung des Widerrufs gesperrt ist. In Bezug auf Aufwendungsersatzansprüche des Lösungsgegners gegen den Lösungsberechtigten herrscht materielle Eigenständigkeit. Denn gegen den Widerrufsberechtigten sind Ansprüche auf Aufwendungsersatz, anders als gegen den Rücktrittsberechtigten, generell ausgeschlossen. Dies ist allerdings sachlich damit zu rechtfertigen, dass Aufwendungsersatzansprüche des Widerrufsgegners, 580 581 582 583 584 585 586 587

EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – Rs. C-489/07, NJW 2009, 3015 Rn. 23. EuGH, Urt. v. 03.09.2009 – Rs. C-489/07, NJW 2009, 3015 Rn. 23. Faust, JuS 2009, 1049, 1052. Brönneke, MMR 2004, 127, 132. Löwe, NJW 1974, 2257, 2262; Fischer, Widerrufsrecht, S. 71. Sedlmeier, Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 248. Unger, ZEuP 2012, 270, 295; Brönneke, MMR 2004, 127, 132. Schwab, JZ 2015, 644, 650.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

der in aller Regel bloß Geldleistungsempfänger ist, von keiner praktischen Relevanz sind. Im Rücktrittsrecht, wo der Lösungsgegner auch Sachleistungsempfänger sein kann, ist die praktische Relevanz dementsprechend ungleich höher und eine Regelung deshalb notwendiger. Diese sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit ist für die Beurteilung der Frage nach der Zweckmäßigkeit von formeller Eigenständigkeit allerdings irrelevant, da auch hier mangels praktischer Relevanz ebenso die Regelung des Rücktrittsfolgenrechts für das Widerrufsrecht übernommen werden könnte. Was Aufwendungsersatzansprüche des Lösungsberechtigten gegen den Lösungsgegner betrifft, lässt sich im Rahmen des Widerrufsfolgenrecht auf die Vorschriften zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis bzw. zum Bereicherungsrecht zurückgreifen, sodass hier im Wesentlichen materielle Identität mit dem Rücktrittsfolgenrecht besteht, bei dem sich ein etwaiger Ersatzanspruch aus § 347 BGB ergibt.

C. Einordnung in den Kontext der Regelung Die Leistung einer Sache bzw. eines Rechts umfasst auch die Leistung der Möglichkeit seiner Nutzung. Dies umfasst die tatsächlich gezogenen sowie die potentiellen Nutzungen. Wurden tatsächlich Nutzungen gezogen, so sind die potentiellen Nutzungen verwirklicht worden. Da sich das Rückabwicklungsinteresse auf die vollständige Rückgängigmachung des erfolgten Leistungsaustauschs erstreckt, sind somit auch die tatsächlich gezogenen Nutzungen der zugewendeten Sache bzw. des zugewendeten Rechts rückgängig zu machen.588 Dem steht auch kein berechtigtes Interesse des Lösungsgegners entgegen – dieser darf im Fall der Vertragsauflösung nicht besser stehen, als er ohne den Leistungsaustausch stünde. Hierzu ist vornehmlich die gezogene Nutzung in natura herauszugeben. Sofern dies nicht möglich ist, sich die Nutzung jedoch noch im Vermögen des Leistungsempfängers widerspiegelt, ist dieser Vermögenszuwachs durch eine Wertersatzpflicht abzuschöpfen. Die Rückgewähr der gezogenen Nutzungen dient also der Herstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch, sodass die diesbezüglichen Regelungen in den Kernbereich der Lösungsfolgenregelungen einzuordnen sind.589 Sofern Nutzungen nicht gezogen wurden, stellt sich die Lage vergleichbar mit den Fällen der sekundären Wertersatzpflicht dar. Ohne den Leistungsaustausch hätte der Leistende dem Leistungsempfänger die Nutzungsmöglichkeit nicht zugewandt. Zur Interessenbefriedigung des Leistenden bezüglich der Herstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch wäre also auch eine Rückgewähr 588 589

Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 21; Bartels, AcP 2015, 203, 213. So auch Kohler, AcP 2006, 683, 689 f.

§ 11 Nutzungen und Aufwendungen

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der Nutzungsmöglichkeit erforderlich.590 Soweit der Leistungsempfänger jedoch keine tatsächlichen Nutzungen gezogen hat, hat sich die Nutzungsmöglichkeit nicht in einem Vermögenszuwachs manifestiert. Die Nutzungsmöglichkeit hat sich nicht in abschöpfbarer Weise im Vermögen des Rückgewährschuldners niedergeschlagen. Den Rückgewährschuldner zum Ersatz nicht gezogener Nutzungen zu verpflichten, bedeutet ihn – zugunsten des Rückgewährgläubigers – schlechter zu stellen, als vor dem Leistungsaustausch. Dem Rückgewährgläubiger keinen Ersatz von nicht gezogenen Nutzungen zuzusprechen hätte auf der anderen Seite zur Folge, dass dieser keinen Ersatz für die Zuwendung der Nutzungsmöglichkeit bekommen würde. Der Zustand, wie er vor dem Leistungsaustausch bestanden hat, lässt sich hier also nicht mehr für beide Parteien herstellen.591 Der Nachteil, dass aus den in der Nutzungsmöglichkeit liegende potentielle Vermögensvorteilen nicht tatsächliche Vermögensvorteile realisiert wurden, ist einer der Parteien zuzuordnen. Es geht also um die Zuweisung von Nachteilen in Konstellationen, in denen das vornehmliche Ziel des Lösungsfolgenrechts, nämlich die Herstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch bzw. ohne den Vertragsschluss, nicht erreichbar ist. Die Bestimmung über nicht gezogenen Nutzungen ist damit in den Mittelbereich der Regelung einzuordnen. Entsprechendes gilt in Bezug auf Aufwendungen.592 Bei notwendigen Verwendungen hätten diese ohne den Vertrag bzw. ohne den Leistungsaustausch grds. den Rückgewährgläubiger getroffen, sodass die Zuweisung der Kosten für notwendige Verwendungen in den Kernbereich der Regelungen fällt. Entsprechendes gilt auch für die sonstigen Aufwendungen, soweit der Rückgewährgläubiger durch sie bereichert wird – zu einer entsprechenden Bereicherung wäre es ohne den Vertragsschluss nicht gekommen, sodass ihre Abschöpfung in den Kernbereich der Regelung fällt. Im Übrigen stellen die sonstigen Aufwendungen Posten dar, die einer Wiederherstellung des Zustands von vor dem Leistungsaustausch bzw. vor dem Vertragsschluss entgegenstehen. Die Zuweisung der durch sie verursachten Kosten fällt damit in den Mittelbereich der Regelung.

590

Kaiser, JZ 2001, 1057, 1067; Bartels, AcP 2015, 203, 214. Hütte, Gefahrverteilung und Schadensersatz im Rückabwicklungsschuldverhältnis, S. 13; dies verkennend, Kaiser, JZ 2001, 1057, 1067. 592 Heß, Rückabwicklung und Wertersatz, S. 21. 591

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

§ 12 Sonstige Rechtsfolgen A. Vertragskosten I. Die Verteilung der Vertragskosten im Rücktrittsfolgenrecht Unter Vertragskosten sollen hier – abweichend vom Verständnis des Begriffs in § 467 S. 2 BGB a. F. – Kosten gelten, die den Parteien für den Abschluss und die Erfüllung des Vertrags entstanden sind.593 Diese werden im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts nach der h. M. generell nicht erstattet.594 Nach anderer Auffassung sollen zumindest die Kosten, die dem Leistungsempfänger für die ursprüngliche Hinsendung eines Leistungsgegenstands entstanden sind, erstattungsfähig sein.595 Als Anspruchsgrundlage für den Anspruch wird dabei auf § 346 Abs. 1 BGB abgestellt.596 Die Ansicht, nach der Vertragskosten generell nicht erstattungsfähig sind stützt sich dabei unter anderem darauf, dass im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung die Regelung des § 467 S. 2 BGB a. F., nach dem der Verkäufer im Falle der Wandelung die Vertragskosten zu ersetzen hatte, gestrichen wurde.597 Wie Faust feststellt, galten als Vertragskosten nach dem herrschenden Verständnis zu § 467 S. 2 BGB a. F. hingegen nur solche Kosten die dem Käufer in Bezug auf Leistungen Dritter entstanden sind.598 Der Gesetzgeber habe bei der Streichung des § 467 S. 2 BGB a. F. auch nur die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Leistungsempfängers in Bezug auf Leistungen Dritter als „Fremdkörper im Recht der Wandelung“ 599 nicht für das neue Rücktrittsrecht übernehmen wollen. Daher bedeute die Streichung des § 467 S. 2 BGB a. F. nicht, dass der Gesetzgeber auch die Erstattungsfähigkeit der ursprünglichen Hinsendekosten ausschließen wollte, da diese keine Kosten in Bezug auf die Leistungen Dritter seien, sondern für Nebenleistungen des Verkäufers gezahlt würden.600 Dementsprechend, so die Befürworter eines Anspruchs auf Erstattung der Hinsendekosten, sei der Hinweis 593 In diesem Sinne auch Kaiser, Rückabwicklung, S. 419; nach dem herrschenden Verständnis zu § 467 S. 2 BGB a. F. galten – wie Krois/Linder ausführen – als Vertragskosten hingegen nur solche Kosten die in Bezug auf Leistungen Dritter entstanden sind, Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446. 594 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 19; Motsch, JR 2002, 221, 222; Eichelberger, VuR 2008, 167, 168; so bereits zum Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung, Kaiser, Rückabwicklung, S. 415 ff. 595 Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446; Braun, ZGS 2008, 129, 133; Faust, JuS 2009, 180, 181. 596 Braun, ZGS 2008, 129, 132 f. 597 BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – VIII ZR 268/07, NJW 2009, 66, Rn. 9. 598 Faust, JuS 2009, 180, 181; in diesem Sinne auch Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446. 599 BT-Drucks. 14/6040 S. 255. 600 Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446.

§ 12 Sonstige Rechtsfolgen

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auf Streichung des § 467 S. 2 BGB a. F. in diesem Zusammenhang kein Argument gegen einen Erstattungsanspruch.601 Für eine Erstattungsfähigkeit der Hinsendekosten wird zudem angeführt, dass es widersprüchlich sei, den Leistungsempfänger nicht von diesen Kosten zu befreien, wenn sie separat aufgeführt würden, da diese Kosten jedenfalls dann erstattungsfähig seien, wenn sie vom Leistungserbringer bereits in die Gegenleistung eingerechnet wurden.602 Auch der Hinweis des BGH, wer einen Rückzahlungsanspruch des Leistungsempfängers für die an den Leistungserbringer gezahlten Hinsendekosten nach § 346 Abs. 1 BGB annehme, müsse folgerichtig auch einen gleich hohen Gegenanspruch „des Verkäufers für die von ihm erbrachen Transportleistungen nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB“ annehmen, überzeuge nicht, denn ein solcher Anspruch würde sich nachträglich auf null reduzieren.603 Damit ein Rückgewähranspruch des Leistungsempfängers hinsichtlich des gezahlten Betrags für die ursprüngliche Versendung aus § 346 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, müsste es sich indes zunächst um eine Leistung handeln, die der (Hautpleistungs-)Erbringer seinerseits vom (Hauptleistungs-)empfänger empfangen hat. Versteht man unter Leistung nur, was nach dem Vertrag dauerhaft im Vermögen des Empfängers verbleiben sollte,604 scheint die Qualifikation der nicht eingepreisten Hinsendekosten als Leistung i. S. d. § 346 Abs. 1 BGB jedoch zweifelhaft. In den Fällen, in denen der Versandkostenbetrag nicht in den Gesamtbetrag eingepreist ist, wurde zwischen den Parteien in aller Regel eine Schickschuld vereinbart.605 Anders als Heinig meint, entspricht es dabei allerdings nicht dem Zufall, ob und inwieweit die Transportkosten einkalkuliert oder getrennt ausgewiesen werden,606 sondern der Parteivereinbarung. Bei der Schickschuld schuldet der Leistungserbringer demnach nicht den Transport als solchen, sondern hat sich lediglich zur Besorgung des Transports bereiterklärt, dessen Kosten der Leistungsempfänger (wie es dem gesetzlichen Leitbild des § 448 Abs. 1 BGB entspricht607) zu tragen hat.608 Der Versandkostenbetrag soll den Leistungserbringer damit nicht für den Transport entgelten, sondern ihm die Mittel zur Verfügung stellen, die er benötigt, um den vereinbarten Transport für den Empfänger organisieren zu können. Insofern ist der Unterschied, anders als 601

Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446; in diesem Sinne auch Braun, ZGS 2008, 129,

133 f. 602 Faust, JuS 2009, 180, 181; Krois/Lindner, WM 2011, 442, 446; Braun, ZGS 2008, 129, 129. 603 Faust, JuS 2009, 180, 181. 604 s. o.; weitergehend Eichelberger, der nur Hauptleistungen vom Herausgabeanspruch erfasst wissen will, Eichelberger, VuR 2008, 167, 167 f. 605 BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – VIII ZR 268/07, NJW 2009, 66, 67. 606 Heinig, JR 2010, 461, 466. 607 BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – VIII ZR 268/07, NJW 2009, 66, 67. 608 Braun, ZGS 2008, 129, 130.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

Braun meint,609 nicht bloß ein kalkulatorischer, sondern ein rechtlicher – er betrifft nämlich die Frage, welche Pflichten der Rückgewährschuldner ursprünglich übernommen hat. Der Versandkostenbetrag soll im Ergebnis jedenfalls gerade nicht dauerhaft im Vermögen des Leistungserbringers verbleiben. Dies gilt selbst dann, wenn eine Versandpauschale vereinbart wurde. Hier mag es zwar möglich sein, dass der vom Leistungsempfänger für den Versand bezahlte Betrag über die dem Leistungserbringer tatsächlichen entstanden Kosten für den Versand hinausgeht und dementsprechend zumindest ein Teil der Leistung dauerhaft im Vermögen des Empfängers verbleibt. Die Vereinbarung einer Pauschale stellt insofern jedoch nur eine Vereinfachung im Interesse beider Parteien dar und nicht wie Krois/Lindner annehmen610 eine Gegenleistung für die Besorgung des Transports. Dagegen, dass der Gesetzgeber die Hinsendekosten nach § 346 Abs. 1 BGB als Leistung aufgefasst hat, spricht auch der systematische Vergleich mit § 357 Abs. 2 S. 1, in dem der Gesetzgeber sich veranlasst sah eine Rückgewährpflicht des Unternehmers für die vom Verbraucher erbrachten Zahlungen für die Lieferung ausdrücklich aufzuführen – diese also nicht bereits unter die nach §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB vorgesehene Verpflichtung zur Herausgabe von empfangenen Leistungen zu fassen sind. Damit lässt sich festhalten, dass auch in Hinblick auf die Hinsendekosten kein Ersatzanspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistungserbringer besteht und Vertragskosten damit im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts insgesamt nicht zu erstatten sind. Damit trägt hier jeder die ihm entstanden Vertragskosten grds. selbst. Der Rücktrittsberechtigte kann diese Kosten allenfalls als Aufwendungsoder Schadensersatz nach §§ 280 ff. BGB geltend machen, was allerdings ein Verschulden des Rücktrittsgegners voraussetzt.611 II. Die Verteilung der Vertragskosten im Widerrufsfolgenrecht Hinsichtlich der Vertragskosten bestehen im Widerrufsfolgenrecht unterschiedliche Regelungen für die einzelnen Widerrufsrechte. Für Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträge bestimmt § 357 Abs. 2 S. 1 BGB, dass der Unternehmer dem Verbraucher grds. etwaige Zahlungen für die Lieferung zurückzugewähren hat.612 Die Vorschrift gewährt dem Verbraucher also einen Anspruch auf Rückerstattung der bereits bezahlten Lieferkosten, die 609

Braun, ZGS 2008, 129, 130. Krois/Lindner, WM 2011, 442, 447. 611 MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 19. 612 In dogmatischer Hinsicht handelt es sich bei der Regelung um einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Erstattung frustrierter Vertragskosten, BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 9. 610

§ 12 Sonstige Rechtsfolgen

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der Unternehmer ihm in Rechnung gestellten hat, weil die Parteien eine Schickschuld vereinbart haben.613 Gem. § 357 Abs. 2 S. 2 BGB gilt dies jedoch nicht, soweit dem Verbraucher zusätzliche Kosten entstanden sind, weil er sich für eine andere (kostenintensivere) Art der Lieferung als die vom Unternehmer angebotene günstigere Standardlieferung entschieden hat.614 In diesem Fall kann der Verbraucher entgegen der Ansicht von Föhlisch/Dyakova615 zumindest die fiktiven Kosten der Standardlieferung herausverlangen.616 Nach § 357c S. 1 BGB ist diese Regelung auch nach dem Widerruf von weder im Fernabsatz noch außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Ratenlieferungsverträgen anwendbar. Insbesondere für Fernabsatzgeschäfte handelt es sich bei den Versandkosten oftmals um die einzig relevante Gruppe der Vertragskosten für den Lösungsberechtigten. Aber auch im Rahmen von Außergeschäftsraumverträgen und sonstigen Ratenlieferungsverträgen entstehen dem Verbraucher als Lösungsberechtigtem Vertragskosten in vielen Fällen – wenn überhaupt – lediglich in Form von Lieferkosten. Einen Ausnahmefall stellen insoweit etwa die Überführungskosten eines vom Verbraucher im Haustürgeschäft gekauften Kfz dar, die der Verbraucher, wenn er das Fahrzeug beim Unternehmer abholt, nicht erstattet bekommt.617 Indem der Unternehmer also grds. zur „Rückgewähr“ der Lieferkosten verpflichtet wird, werden ihm als Widerrufsgegner damit weitestgehend die Vertragskosten auferlegt. Etwas anderes gilt nur insoweit, wie es sich um vom Verbraucher verursachte Sonderkosten handelt – hier sollen die Kosten, da sie auf seine Disposition zurückgehen, auch von ihm zu tragen sein.618 Nach § 357a Abs. 3 S. 5 BGB muss der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber im Falle eines Verbraucherdarlehens die Aufwendungen ersetzen, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann. Aufwendungen sind dabei umgangssprachlich im Sinne von Kosten zu verstehen.619 Zu diesen Kosten gehören etwa Notar- und Grundbuchkosten wie auch Gebühren eines Einwohnermeldeamts – nicht hingegen Kosten für Anfragen bei privaten Auskunfteien wie etwa der SCHUFA.620 Im Rahmen der Rückabwicklung von widerrufenen Darlehensverträgen wird bei den Vertrags613

BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 12; Buchmann, K&R 2014, 293, 294. Man denke etwa an eine Overnight-Express-Lieferung, Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 548; BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 13; Schwab, JZ 2015, 644, 654; Leier, VuR 2013, 457, 458; Buchmann, K&R 2014, 293, 294. 615 Föhlisch/Dyakova, MMR 2013, 71, 75. 616 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, JM 2014, 222, 225; BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 13; Schärtl, JuS-Extra 2014, 12, 35. 617 Artz/Brinkmann/Ludwigkeit, DAR 2015, 507, 509 f. 618 BeckOGK/Mörsdorf, § 357 BGB Rn. 13. 619 MünchKommBGB/Fritsche, § 357a Rn. 19. 620 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Rn. 332; MünchKommBGB/Fritsche, § 357a Rn. 19; BeckOGK/Knops, § 357a BGB Rn. 41 mit Hinweis auf BT-Drucks. 16/11642, S. 83. 614

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

kosten demnach differenziert. Diejenigen Vertragskosten, die wegen Zahlungen an öffentliche Stellen entstanden sind, hat der Darlehensnehmer, also der Lösungsberechtigte zu zahlen. Bei diesen Kosten handelt es sich in aller Regel um Kosten, die wegen gesetzlicher Vorgaben unvermeidbar waren. Sonstige Vertragskosten sind dem Darlehensgeber, also dem Widerrufsgegner jedoch nicht zu erstatten – hierbei handelt es sich grds. um Kosten, die (wie beispielsweise eine Auskunft bei der SCHUFA) im Interesse des Darlehensgebers liegen. Während der Widerrufsgegner bei der Rückabwicklung von Verbraucherdarlehensverträgen von den Kosten befreit wird, die ihm wegen gesetzlicher Vorgaben unvermeidbar waren, soll er Kosten, die vornehmlich im eigenen Interesse entstanden sind, selbst tragen. Im Rahmen der Rückabwicklung von widerrufenen Verträgen über Teilzeitwohnrechte, über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Vermittlungsverträgen und Tauschsystemverträgen bestimmt § 357b Abs. 1 S. 2 BGB, dass der Unternehmer dem Verbraucher die Kosten des Vertrags und seiner Durchführung zu erstatten hat. Zu diesen Kosten gehören beispielsweise Kosten für notarielle Beurkundungen und Eintragungen dinglicher Übertragungsakte, Maklergebühren oder Rechtsberatung.621 Hier werden die Vertragskosten also vollständig dem Lösungsgegner zugewiesen.622 III. Bestimmung von materieller Eigenständigkeit und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung Während im Rücktrittsfolgenrecht jede Vertragspartei die eigenen Vertragskosten tragen muss, werden diese im Widerrufsfolgenrecht im Wesentlichen dem Lösungsgegner zugewiesen. Beim Widerruf eines Darlehensvertrags hat der Lösungsberechtigte allerdings diejenigen Vertragskosten des Lösungsgegners zu tragen, die diesem gegenüber öffentlichen Stellen entstanden sind. In Hinblick auf die Vertragskosten besteht also grundsätzlich materielle Eigenständigkeit zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen. Die grundsätzliche Belastung des Lösungsgegners mit den Versandkosten im Widerrufsfolgenrecht resultiert aus dem Sinn und Zweck des Widerrufsrechts. Wie der EuGH mit Blick auf Fernabsatzverträge feststellt, soll hierdurch gewährleistet werden, dass das Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist.623 Den Lösungsberechtigten mit den Vertragskosten zu belasten könnte jedoch eine „abschreckende Wirkung“ 624 haben, die den Verbraucher von der Ausübung seines Rechts abzuhalten vermag.625 621 622 623 624 625

Meier, ZfIR 2014, 799, 804; BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 5. BeckOGK/Mörsdorf, § 357b BGB Rn. 6. EuGH, Urt. v. 15.04.2010 – Rs. C-511/08, NJW 2010, 1941 Rn. 54. EuGH, Urt. v. 15.04.2010 – Rs. C-511/08, NJW 2010, 1941 Rn. 58. Braun, ZGS 2008, 129, 132.

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Die Ursache des objektivierten Lösungsinteresses liegt in den Widerrufsfällen in der Beeinträchtigung der materiellen Willensfreiheit des Verbrauchers. Er hat sich also auf einen Vertrag eingelassen, den er unter anderen Umständen (so) nicht geschlossen hätte, da er die ihm zustehende Leistung (jedenfalls unter Berücksichtigung der von ihm zu erbringenden Gegenleistung) nicht wünscht. Sämtliche Nachteile aus dem Vertragsschluss, die er auch nach dem Widerruf tragen muss, machen den Widerruf für ihn jedoch unattraktiver. Denn im Widerrufsfall verbleiben ihm nur die Nachteile, während er im Falle des Festhaltens am Vertrag zumindest eine (wenngleich ungewollte) Leistung bekommt. Sind die Nachteile, die den Verbraucher unabhängig von der Loslösung treffen, subjektiv empfunden zu gravierend, wird er sich lieber mit dem grds. unerwünschten Vertrag arrangieren.626 Daraus folgt, dass der Leistungsempfänger, der in seiner freien Willensbildung gestört wurde, umso eher bereit sein wird am ungewollten Vertrag festzuhalten, je stärker die Kostenbelastung im Widerrufsfall ist. Dementsprechend sollte der Lösungsberechtigte im Widerrufsfall grds. auch von Vertragskosten befreit werden. Das gilt insbesondere auch beim Widerruf der in § 357b BGB genannten Verträge. Hier dürften die Vertragskosten – man denke an Notar- und Eintragungskosten – sogar oftmals besonders hoch und damit auch das Abschreckungspotential durch Vertragskosten besonders groß sein. Das Abschreckungspotential der Belastung mit den Vertragskosten ist in den Rücktrittsfällen im Vergleich dazu geringer. Denn das Lösungsinteresse rührt daher, dass der Vertrag wegen Störungen in der Vertragsdurchführung ein konkretes Interesse nicht zu befriedigen vermag. Der Rücktrittsberechtigte möchte sich in aller Regel vom Vertrag lösen, um seine Dispositionsfreiheit zurück zu erlangen und das gewünschte Ergebnis anderweitig herbeizuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Lösungsberechtigte sich in den Rücktrittsfällen mit der Situation „arrangiert“, ist damit deutlich geringer. Den Lösungsberechtigten im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts mit den Vertragskosten zu belasten, dürfte also die Effektivität des Lösungsrechts deutlich weniger beeinträchtigen, als dies im Rahmen des Widerrufsfolgenrecht der Fall wäre. Somit ist die diesbezügliche Abweichung zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen sachlich gerechtfertigt. Was die alleinige Belastung des Verbrauchers mit den gegenüber öffentlichen Stellen erbrachten Aufwendungen beim Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags betrifft, lässt sich auch diese Abweichung zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht rechtfertigen. Dazu lassen sich die Unterschiede zwischen dem Rücktritts- und den Widerrufsrechten hinsichtlich der Berücksichtigung des Bestandsinteresses des Lösungsgegners heranziehen. Den Lösungsgegner im Widerrufsfolgenrecht, abweichend vom Rücktrittsfolgenrecht, innerhalb eines ge626

Braun, ZGS 2008, 129, 132.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

wissen Rahmens von den Vertragskosten zu befreien, gleicht insofern aus, dass das Bestandsinteresses des Lösungsgegners im Widerrufsrecht bezüglich der Frage nach der Lösungsmöglichkeit geringer gewichtet wird. Das einerseits für die Belastung des Unternehmers und andererseits die des Verbrauchers mit den Vertragskosten beim Widerrufsrecht eine sachliche Rechtfertigung für Abweichungen zum Rechtsfolgenregime beim Rücktritt (wo jeder seine Vertragskosten selber tragen muss) besteht, scheint die hier gemachten Ausführungen nur auf den ersten Blick in Frage zu stellen. Letztlich deutet dieses Ergebnis allerdings nur auf einen Wertungsspielraum des Gesetzgebers hin – der sachlichen Rechtfertigung der materiellen Unterschiede zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht steht dies jedoch nicht im Wege. Allenfalls die materiellen Unterschiede zwischen den einzelnen Widerrufsfolgen erscheinen insoweit inkonsequent und sind begründungsbedürftig. Der Darlehensgeber wird bei der Belastung mit den Vertragskosten nach einem Verbraucherwiderruf besser gestellt. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür ließe sich allenfalls darauf stützen, dass der Darlehensgeber wegen der starken Regulierung des Verbraucherdarlehensrechts besonders häufig mit Kosten belastet wird, die im Interesse der Allgemeinheit durch öffentliche Stellen verursacht werden. IV. Einordnung in den Regelungskontext Da es bei den Vertragskosten um Belastungen geht, die im Rahmen der Vertragsauflösung nicht ungeschehen gemacht werden können, dienen die diesbezüglichen Regelungen nicht dem primären Zweck der Vertragsauflösung, der darin besteht beide Parteien so zu stellen, wie sie ohne den Leistungsaustausch bzw. ohne den Vertragsschluss stünden.627 Vielmehr geht es auch hier um die bloße Zuweisung von Nachteilen die der zu beseitigende Vertrag in tatsächlicher Hinsicht verursacht hat, sodass die Regelungen in den Mittelbereich des Regelungskontexts einzuordnen sind.

B. Schadensersatz für Rückgewährstörungen I. Die Bestimmungen zur Schadensersatzpflicht des Rückgewährschuldners im Rücktrittsfolgenrecht Nach § 346 Abs. 4 BGB kann der Gläubiger wegen der Verletzung einer Pflicht aus § 346 Abs. 1 BGB nach Maßgabe der §§ 280 bis 283 BGB Schadensersatz vom Schuldner verlangen. Gemäß dem Wortlaut der Vorschrift trifft die Schadensersatzpflicht den Rückgewährschuldner lediglich bei Leistungsstörungen nach dem Rücktritt; eine ausdrückliche Regelung für Leistungsstörungen vor dem Rücktritt hingegen fehlt, sodass diese entsprechend umstritten ist. 627

Kaiser, JZ 2001, 1057, 1069.

§ 12 Sonstige Rechtsfolgen

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Unstreitig haftet der Rückgewährschuldner ab dem Zeitpunkt der Entstehung der Rückgewährpflicht grds. gem. §§ 280 ff. BGB für jede von ihm zu vertretene Unmöglichkeit, Verschlechterung oder Verzögerung bei der Erfüllung seiner Rückgabepflicht.628 Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass die Wertersatzpflicht nicht auf Rückgewährstörungen bis zum Zeitpunkt des Rücktritts begrenzt ist, stehen die Wertersatz und die Schadensersatzpflicht jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nebeneinander.629 Damit stellt sich zumindest auf den ersten Blick die Frage, ob im Rahmen des Schadensersatzanspruchs auch die Privilegierung des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB analog anzuwenden ist.630 Wie zuvor bereits dargestellt, ist es ab dem Zeitpunkt der Entstehung der Rückgewährpflicht jedoch auch im Rahmen der Wertersatzpflicht angebracht, den gesetzlich Rücktrittsberechtigten nach den allgemeinen Grundsätzen für jede ihm zurechenbare Beeinträchtigung der empfangenen Leistung haften zu lassen, sodass insoweit keine Privilegierung aus § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. BGB besteht, die es zu übertragen gäbe.631 Was die Anwendung der Regelung in § 346 Abs. 4 BGB auf solche Rückgewährstörungen betrifft, die bereits vor Entstehung der Rückgewährpflicht eingetreten sind, ist problematisch, dass zu diesem Zeitpunkt nach zutreffender Ansicht noch keine Rückgewähransprüche im Sinne des § 346 Abs. 1 BGB bestanden, die der Rückgewährschuldner hätte verletzen können.632 Dementsprechend wird mitunter eine Schadensersatzpflicht aus § 346 Abs. 4 BGB für vor dem Rücktritt eingetretene Störungen ausgeschlossen.633 Teilweise wird jedoch in derartigen Fällen eine Schadensersatzpflicht aus anderen Anspruchsgrundlagen, insbesondere aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen Verstoß gegen eine vorgreifliche Rücksichtnahmepflicht, 634 angenommen.635 Nach der wohl 628 Kaiser, JZ 2001, 1057, 1059; Faust, JuS 2009, 481, 487; Reischl, JuS 2003, 667, 673; Kohler, ZGS 2005, 386, 386. 629 So auch Reischl, JuS 2003, 667, 673; nach überzeugender Ansicht im Verhältnis der elektiven Konkurrenz, Döll, Rückgewährstörungen, S. 102; a. A. (Anspruchskonkurrenz) Hager, FS für Musielak, S. 195, 200. 630 Dagegen: JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 121; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 62; Kamanabrou, NJW 2003, 30, 31; dafür: Arnold, Jura 2002, 154, 158. 631 So i. E. auch Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 161. 632 So bereits Wolf, AcP 1954, 97, 124; Erman/Röthel, § 346 BGB Rn. 40; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1063; Arnold, Jura 2002, 154, 158; Schwab, JuS 2002, 630, 636; Faust, JuS 2009, 481, 487 f.; Perkams, Jura 2003, 150, 152; Bartels, AcP 2015, 203, 241; Reischl, JuS 2003, 667, 673; Kohler, ZGS 2005, 386, 388; a. A. Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 15. 633 So etwa Giesen, GS für Heinze, S. 233, 234 ff.; Perkams, Jura 2003, 150, 152 f.; JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 121; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 225, 282; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1063. 634 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 118; Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 226; Faust, JuS 2009, 481, 488. 635 Kohler begründet die Haftung ab Kenntnis unter Rückgriff auf §§ 989, 990, 820 Abs. 1 S. 2 BGB bzw. in Analogie zu § 160 BGB, Kohler, ZGS 2005, 386, 391.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

überwiegenden Ansicht besteht allerdings auch in Fällen, in denen die Störung bereits vor dem Rücktritt eingetreten ist die Möglichkeit einer Schadensersatzhaftung nach § 346 Abs. 4 BGB.636 Denn jeder Vertragspartner, so wird argumentiert, verletze seine Pflicht zur Rückgewähr auch dann, wenn er die Ursache dafür, dass er die Sache nicht oder nicht unversehrt zurückgeben könne, vor Rücktrittserklärung gesetzt habe.637 Die Annahme, dass die Pflicht zur Rückgewähr auch dann verletzt wird, wenn die Ursache dafür bereits vor der Rücktrittserklärung gesetzt wurde, kann jedoch nicht überzeugen.638 In den Fällen, in denen die herauszugebende Leistung sich vor dem Rücktritt verschlechtert oder untergeht, entsteht allenfalls eine Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 BGB oder eine Pflicht zur Herausgabe einer Bereicherung nach § 346 Abs. 3 S. 2 BGB – zu einer Herausgabepflicht nach § 346 Abs. 1 BGB für etwaige Gegenstände kommt es beim Untergang also überhaupt nicht und bei der Verschlechterung ist der Gegenstand lediglich im verschlechterten Zustand herauszugeben.639 Mangels weitergehender Pflichten kann dem Rückgewährschuldner – wenn er der Pflicht in diesem Maße nachkommt – keine Verletzung einer entsprechenden Herausgabepflicht vorgeworfen werden.640 Es entsteht schlicht keine Pflicht, deren Verletzungsursache vor der Rücktrittserklärung gesetzt wurde.641 Dies entspricht auch der Gesetzessystematik bei anfänglicher Unmöglichkeit, die wegen der anfänglichen Leistungsbefreiung gerade keine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB darstellt und deshalb die Schaffung des § 311a Abs. 2 BGB erforderlich gemacht hat.642 Der Schadensersatzanspruch gem. § 346 Abs. 4 BGB ist dementsprechend nach überzeugender Ansicht auf Fälle beschränkt, in denen die Störung nach dem Rücktritt entsteht.643 Auch der Versuch, eine entsprechende Schadensersatzhaftung beim gesetzlichen Rücktritt zumindest ab Kenntnis über § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu konstruieren, kann nicht überzeugen.644 Wie Döll festgestellt hat, lässt sich eine entsprechende „vorgreifliche Rücksichtnahmepflicht“ nicht aus § 241 Abs. 2 BGB herleiten, da die Vorschrift selbst keine Rücksichtnahmepflichten anordnet, 636 Soergel/Lobinger, § 346 BGB Rn. 168; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 58; Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 9; in diesem Sinne wohl auch Gaier, WM 2002, 1, 8; Arnold, Jura 2002, 154, 158; für eine Schadensersatzpflicht zumindest ab Kenntnis des Rücktrittsrechts Schwab, JuS 2002, 630, 636. 637 Roth, FS für Canaris, S. 1131, 1142; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 15. 638 Bartels, AcP 2015, 203, 237 f.; Reischl, JuS 2003, 667, 673. 639 s. o. § 9, A.I. 640 JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 117. 641 Bartels, AcP 2015, 203, 241. 642 Kohler, ZGS 2005, 386, 388 f. 643 So auch Kohler, ZGS 2005, 386, 389. 644 Perkams, Jura 2003, 150, 153.

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sondern lediglich darauf hinweist, dass entsprechende Rücksichtnahmepflichten bestehen können – die Rücksichtnahmepflichten müssten sich daher aus dem Schuldverhältnis selbst ergeben.645 Bei gesetzlichen Rücktrittsrechten fehlt es jedoch sowohl an einer ausdrücklichen Anordnung als auch einer entsprechend auslegbaren Vereinbarung, nach der eine derartige Rücksichtnahmepflicht besteht.646 Auch den übrigen Vorschlägen zur Herleitung einer Schadensersatzhaftung des Rückgewährschuldners für Störungen vor dem Rücktritt (sei es über §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB,647 sei es über §§ 820 Abs. 1 S. 2, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1 989 BGB648) ist – wie Döll überzeugend darlegt – nicht zu folgen.649 Weder besteht für eine entsprechende Schadensersatzhaftung eine normative Grundlage noch ein entsprechendes Bedürfnis und zudem sind sie nicht mit dem Prinzip der Rückabwicklung dem Werte nach zu vereinbaren.650 Damit bleibt festzuhalten, dass eine Schadensersatzpflicht des Rückgewährschuldners im Rahmen des Rücktrittsrechts nur für Störungen in Betracht kommt, die nach der Entstehung des Rücktrittsrechts eingetreten sind. Hier gelten dann die allgemeinen Grundsätze der §§ 280 ff. BGB. II. Die Bestimmungen zur Schadensersatzpflicht des Rückgewährschuldners im Widerrufsfolgenrecht Im Rahmen des Widerrufsfolgenrechts gilt nach § 361 Abs. 1 BGB, dass weitere Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher infolge des Widerrufs ausgeschlossen sind.651 Davon erfasst sind insbesondere Ansprüche auf Schadensersatz für den Fall, dass der Verbraucher die Ware oder Dienstleistung nicht oder nur mit erheblicher Wertminderung herausgeben kann.652 Nicht von der Regelung erfasst sind jedoch solche Ansprüche, die sich aus dem Rückgewährschuldverhältnis selbst ergeben.653 Ab dem wirksamen Widerruf haftet der Verbraucher somit nach allgemeinen Vorschriften auf Schadensersatz für etwaige Rückgewährstörungen.654 Zwar betrifft der Ausschluss weitergehender Ansprü645

Döll, Rückgewährstörungen, S. 407 f. Döll, Rückgewährstörungen, S. 408. 647 So etwa Weber in: Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, Rn. 10/50; Harke, Allgemeines Schuldrecht, § 6 Rn. 123. 648 So etwa Kohler, AcP 2006, 683, 712 ff. 649 Döll, Rückgewährstörungen, S. 411 ff. 650 Döll, Rückgewährstörungen, S. 422. 651 Hierbei handelt es sich, wie Hilbig-Lugani feststellt, um eine bloße Klarstellung, Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 549. 652 BT-Drucks. 17/13951 S. 68; AG Mettmann, Urt. v. 06.08.2014 – 21 C 304/13, MMR 2014, 812, mit zustimmender Anmerkung Modi, MMR 2014, 812, 813. 653 BeckOK/Müller-Christmann, § 361 BGB Rn. 6. 654 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 549; Förster, JA 2014, 801, 805. 646

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

che lediglich diejenigen Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher,655 da der Unternehmer jedoch in aller Regel bloßer Geldleistungsempfänger ist, sind zu Rückgewährstörungen führende Pflichtverletzungen des Unternehmers in der Zeit vor dem Widerruf praktisch kaum vorstellbar. Verallgemeinernd lässt sich damit sagen, dass die Schadensersatzpflichten für Rückgewährstörungen im Widerrufsfolgenrecht praktisch auf solche Störungen beschränkt sind, die nach dem wirksamen Widerruf eintreten. III. Zwischenergebnis In Hinblick auf den Schadensersatz für Rückgewährstörungen besteht – zumindest wenn man der hier vertretenen Ansicht folgt und eine Schadensersatzpflicht des Rücktrittsrückgewährschuldners für vor dem Rücktritt liegende Beeinträchtigungen der empfangenen Leistung ablehnt – materielle Identität zwischen dem Rücktritts- und dem Widerrufsfolgenrecht. Denn in beiden Fällen ist eine Schadensersatzpflicht praktisch auf solche Rückgewährstörungen beschränkt, die ab der wirksamen Ausübung des Lösungsrechts eintreten. IV. Einordnung in den Kontext der Regelung Die Verpflichtung zum Schadensersatz für vom Rückgewährschuldner zu vertretene Rückgewährstörungen, die zeitlich nach der Loslösung vom Vertrag eingetreten sind, sichert die Rückgewähransprüche der Parteien ab. Sie dient damit lediglich mittelbar der Herstellung des Zustands, wie er ohne Vertragsschluss resp. ohne Leistungsaustausch bestanden hätte. Als bloßes Mittel zur Absicherung der Rückgewähransprüche sind die Schadensersatzpflichten in die Peripherie des Regelungskontextes einzuordnen.

C. Surrogatherausgabe I. Die Verpflichtung zur Surrogatherausgabe im Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht Im Rücktrittsfolgenrecht kommt in den Fällen der Rückgewährstörung als verschuldensunabhängige Pflicht des Rückgewährschuldners eine Surrogatherausgabe nach § 285 Abs. 1 BGB in Betracht.656 Ob die Vorschrift im Rahmen des Rücktrittsfolgenrechts überhaupt anwendbar ist, wird allerdings teilweise bezweifelt.657 Die Regelungen der §§ 346 ff. BGB seien vielmehr umfassend und die

655

Schärtl, JuS 2014, 577, 582. Arnold, Jura 2002, 154, 156. 657 Staudinger/Caspers, § 285 BGB Rn. 13; Linardotos/Russmann, JA 2013, 861, 869 ff. 656

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Wertersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 BGB damit abschließend.658 Dies bestätige auch § 346 Abs. 4 BGB, der im Falle der Verletzung der Rückgewährpflicht dem Gläubiger zwar Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 280–283 BGB ausdrücklich zuspricht, den Anspruch auf Ersatzherausgabe nach § 285 BGB aber nicht erwähnt.659 Nach wohl überwiegender Ansicht ist § 285 BGB hingegen auch bei Rückgewährstörungen im Rücktrittsfolgenrecht anwendbar.660 § 285 BGB finde auf alle Ansprüche Anwendung, sofern nicht eine Sonderregelung vorliege – und aus der Nichterwähnung des § 285 BGB in § 346 Abs. 4 BGB lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass hier eine derartige Sonderregelung bestehe, da es sich bei § 285 BGB nicht um einen Schadensersatzanspruch handele, § 346 Abs. 4 BGB sich jedoch nur auf Schadensersatzansprüche beziehe.661 Letztlich dürfte der h. M. zuzustimmen sein, denn wie die Gesetzesbegründung zeigt, ist auch der Gesetzgeber von der Anwendbarkeit des § 285 BGB in Fällen von Rückgewährstörungen im Rücktrittsfolgenrecht ausgegangen.662 Dem Wortlaut nach ist § 285 BGB allerdings auf Konstellationen beschränkt, in denen eine Unmöglichkeit der Rückgewähr i. S. d. § 275 BGB vorliegt. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass die Grenze der Leistungspflicht aus § 346 Abs. 1, 1. Fall BGB nicht erst bei Unmöglichkeit eintritt, so müsste § 285 BGB analog auf alle Fälle anzuwenden sein, in denen der Rückgewährschuldner grds. zum Wertersatz nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BGB verpflichtet ist, ohne dass die Leistung unmöglich ist.663 Im Widerrufsfolgenrecht geht aus § 361 Abs. 1 BGB eindeutig hervor, dass die Regelungen der §§ 355 BGB in Hinblick auf Ansprüche gegen den Verbraucher abschließend sind, sodass zumindest für vor dem Widerruf erlangte Surrogate eine Herausgabepflicht nach § 285 BGB hier wohl nicht in Betracht kommt. Sofern die Rückgewährstörung eintritt, nachdem der Vertrag bereits wirksam widerrufen wurde, steht § 361 Abs. 1 BGB einer Anwendung des § 285 BGB hingegen nicht im Wege, da die §§ 355 ff. BGB diesbezüglich gerade keine abschließende Regelung beinhalten. Zudem steht § 361 Abs. 1 BGB einer Surrogatherausgabepflicht des Unternehmers generell nicht entgegen – Fälle, in denen die Leistungspflicht des Unternehmers, der in aller Regel bloßer Geldleistungsempfänger ist, nach § 275 BGB ausgeschlossen ist, dürften praktisch jedoch so gut wie nicht vorkommen. Damit ist eine Anwendbarkeit der Surrogatherausgabepflicht nach 658

Staudinger/Caspers, § 285 BGB Rn. 13. Staudinger/Caspers, § 285 BGB Rn. 13. 660 Staudinger/Kaiser, § 346 BGB Rn. 221; MünchKommBGB/Gaier, § 346 Rn. 47; NK-BGB/Hager, § 346 Rn. 71; BeckOK/Schmidt, § 346 BGB Rn. 62; Palandt/Grüneberg, § 346 BGB Rn. 20; Jauernig/Stadler, § 346 BGB Rn. 2; Gaier, WM 2002, 1, 9; i. E. auch JurisPK/Faust, § 346 BGB Rn. 127 f.; Döll, Rückgewährstörungen, S. 200 f. 661 Döll, Rückgewährstörungen, S. 200. 662 BT-Drucks. 14/6040 S. 194. 663 Döll, Rückgewährstörungen, S. 201 f. 659

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

§ 285 BGB im Wesentlichen auf Konstellationen beschränkt, in denen der Verbraucher von seiner Verpflichtung zur Rückgabe von empfangenen Gegenständen durch nach dem wirksamen Widerruf eintretende Umstände befreit wird. II. Bestimmung von materieller Eigenständigkeit in Hinblick auf Surrogatherausgabepflichten und Überprüfung ihrer sachlichen Rechtfertigung Bezüglich der Surrogatherausgabepflichten besteht zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht materielle Identität, was Rückabwicklungsstörungen nach Ausübung des Lösungsrechts angeht. In beiden Rechtsfolgenregimen besteht hier keine einer Anwendbarkeit des § 285 BGB entgegenstehende Sonderregelung. Für Rückgewährstörungen vor der Geltendmachung des Lösungsrechts sind die Regelungen des Widerrufsfolgenrechts jedoch abschließend, sodass hier eine Verpflichtung zur Surrogatherausgabe, im Gegensatz zum Rücktrittsfolgenrecht, nicht in Betracht kommt. Eine sachliche Rechtfertigung für die darin liegende materielle Eigenständigkeit ist jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich die Begrenzung der Surrogatherausgabepflicht im Widerrufsfolgenrecht nicht damit rechtfertigen, dass eine derartige Verpflichtung den Verbraucher von der Ausübung seines Lösungsrechts abhalten könnte. Denn schlimmstenfalls müsste der Verbraucher lediglich Vorteile auskehren, die er ohne den unerwünschten Vertrag überhaupt nicht erlangt hätte. III. Einordnung in den Regelungskontext Erlangt der Leistungsempfänger, dem die Herausgabe der Leistung nicht mehr möglich ist, ein Surrogat, ist fraglich, ob das Rückabwicklungsinteresse des Leistenden auch die Übertragung des Surrogates umfasst. Wertmäßig kann ein Surrogat unter, über oder exakt bei dem Betrag liegen, der dem Interesse des Lösungsberechtigten an seiner Leistung entspricht. Ist der Wert des Surrogates geringer, so wäre das Rückabwicklungsinteresse des Zuwendenden mit der Herausgabe des Surrogates nicht vollständig befriedigt – der Wertersatzanspruch dient dem Lösungsinteresse in diesem Fall besser. In dem Fall, indem der Wert des Surrogates über dem Wert der Leistung liegt,664 muss man sich bewusst machen, dass das Rückabwicklungsinteresse sich auf den Ausgleich dessen beschränkt, was der Leistende durch die Leistung verloren hat.665 Sofern der Leistende Surrogate herausverlangen kann, die über den Wert der Leistung hinausgehen, ist dies also grds. nicht vom Rückabwicklungsinteresse gedeckt. Eine Ausnahme besteht wie Linardotos/Russmann feststellen jedoch in Fällen, in denen der Rückgewährgläu664

Dies betrifft die Fälle des commodum ex negotiatione, Medicus, JuS 1990, 689,

693. 665

Linardotos/Russmann, JA 2013, 861, 868.

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biger den Mehrwert seinerseits ebenfalls hätte erwirtschaften können,666 was aber – sofern der Wert der Leistung unter dem Wert des Surrogats liegt – wohl nur selten vorkommen dürfte. Entspricht der Wert der Leistung dem Wert des Surrogates, scheint die Herausgabe des Surrogats zunächst ebenso zur Befriedigung des Rückabwicklungsinteresses geeignet wie der Wertersatzanspruch. Bei näherer Betrachtung ist jedoch festzustellen, dass das Rückabwicklungsinteresse sich nicht auf das Surrogat beziehen kann, denn aus Sicht des Lösungsberechtigten hat das Surrogat keine besondere Verbindung zur Leistung und somit auch nicht zum Leistenden selbst, durch welche eine Übertragung des Surrogates gerechtfertigt wäre. Vielmehr ist auch hier das Rückabwicklungsinteresse durch den Wertersatz besser befriedigt. Dies gilt nicht nur für Surrogate, die der Leistungsempfänger als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des Zuwendungsobjekts erlangt hat, sondern auch gleichermaßen für die sogenannten „rechtsgeschäftlichen Surrogate“, d.h. das was der Leistungsempfänger durch Rechtsgeschäft anstelle der ursprünglichen Leistung erlangt hat – also insbesondere auch bezüglich eines Verkaufsgewinns. Eine Verpflichtung zur Surrogatherausgabe dient damit nicht grds. dem primären Zweck des Lösungsfolgenrechts, der in der Befriedigung des Rückabwicklungsinteresses besteht. In den aus Sicht des Rückgewährgläubigers einzig interessanten Fällen, in denen das Surrogat die Leistung wertmäßig übersteigt, geht es vielmehr um die Verteilung von Vorteilen zwischen den Parteien.667 Regelungen bezüglich einer Surrogatherausgabe sind damit in dem Mittelbereich der Regelung einzuordnen.

666 667

Linardotos/Russmann, JA 2013, 861, 868. Linardotos/Russmann, JA 2013, 861, 868.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

§ 13 Zusammenfassung zur Erforderlichkeit und Reichweite der materiellen Identität Sowohl das Rücktritts- als auch das Widerrufsfolgenrecht bestimmen jeweils die Konsequenzen, in Konstellationen bei denen das Lösungsinteresse der einen Partei nach Bewertung des Gesetzgebers bei einem objektivierten Interessenkonflikt mit dem Bestandsinteresse der anderen Vertragspartei überwiegt, sodass zwischen den beiden Rechtsinstituten ein Regelungszusammenhang besteht.668 Dementsprechend ist zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen grds. materielle Identität erforderlich, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Allerdings bestehen zwischen dem Rücktritts- und den Widerrufrechten sowohl auf tatsächlicher Ebene, nämlich bezüglich der Begründung des objektivierten Lösungsinteresses, als auch auf Ebene der Interessenbewertung, nämlich bei der abstrakten Gewichtung des Bestandsinteresses, zahlreiche Unterschiede, durch die sich im Einzelnen materielle Eigenständigkeiten zwischen den Rücktritts- und den Widerrufsfolgen rechtfertigen lassen.669 Unter Berücksichtigung der auf der Tatbestandsebene identifizierten Unterschiede ergibt sich bei der Gegenüberstellung der Rechtsfolgenregelung mit Blick auf die materielle Identität deshalb folgendes Bild: Im Kernbereich der Rechtsfolgenregime – zu dem, neben der Anordnung eines Erlöschens von nicht erfüllten Primärleistungspflichten und der Verpflichtung zur Rückgewähr von erhaltenen und noch vorhandenen rückgabefähigen Leistungen, zur Herausgabe von gezogenen und noch vorhandenen rückgabefähigen Nutzungen und zum Ersatz notwendiger Aufwendungen, auch Wertersatzpflichten für empfangene noch vorhandene Leistungen und gezogene noch vorhandene Nutzungen gehören, die ihrer Natur nach nicht herausgabefähig sind – besteht im Wesentlichen materielle Identität.670 Sofern in diesem Bereich de lege lata materielle Eigenständigkeit besteht, ist sie oftmals nicht sachlich gerechtfertigt. Allenfalls im Detail – wie etwa bei der Zugrundelegung einer vereinbarten Gegenleistung zur Berechnung der Wertersatzpflicht für Leistungen671 – bestehen hier sachlich gerechtfertigte materielle Unterschiede. Im Mittelbereich der Regelungen bestehen hingegen eine Vielzahl von sachlich gerechtfertigten materiellen Eigenständigkeiten zwischen den Rücktrittsund den Widerrufsfolgen. Hierzu gehören etwa die Modalitäten der primären Rückgewährpflicht, die sich berechtigter Weise in Bezug auf den Erfüllungsort sowie die Kosten- und Gefahrtragungsregeln unterscheiden und nur beim Fälligkeitszeitpunkt materielle Identität aufweisen. Auch im Hinblick auf den Ersatz 668 669 670 671

s. o., Kapitel 2, § 3, C. s. o., Kapitel 2, § 7. s. o., Kapitel 3, § 8, § 9, B., § 10, D., § 11, D. s. o., Kapitel 3, § 10, C.I.

§ 13 Erforderlichkeit und Reichweite der materiellen Identität

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nicht gezogener bzw. nicht mehr vorhandener Nutzungen sowie bei der Verteilung der Vertragskosten liegt sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit vor. Zudem besteht bei den Regelungen zur sekundären Wertersatzpflicht lediglich im Grundsatz materielle Identität, bei der Ausgestaltung aber im Einzelnen weitreichende und sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeiten. Allenfalls bei den Aufwendungsersatzregeln ist hier, soweit relevant, grds. materielle Identität verwirklicht. Was die Bestimmungen in der Peripherie des Regelungskontextes betrifft, ergibt sich ein differenziertes Bild. Materielle Identität besteht im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche, die nach zutreffender Auffassung in beiden Fällen nur zur Sicherung der mit der Ausübung des Lösungsrechts wirksam entstandenen Rückgewähransprüche in Betracht kommen. Auch in Hinblick auf die Verpflichtung zur Herausgabe von Surrogaten herrscht materielle Identität bzw. sofern de lege lata materielle Eigenständigkeit besteht, ist diese sachlich nicht gerechtfertigt. Sachlich gerechtfertigte Eigenständigkeit liegt allerdings im Hinblick auf den Verzugseintritt vor.

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

§ 14 Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entkopplung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der zuvor gefundenen Regelungen Aus der grundsätzlichen Erforderlichkeit von materieller Identität zwischen Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht ergibt sich, dass prinzipiell auch formelle Identität zwischen den Regelungen bestehen sollte. Soweit keine sachlichen Rechtfertigungen für inhaltlich abweichende Rechtsnormen vorliegen, sollten diese dementsprechend grds. auch in gemeinsamen Rechtssätzen geregelt sein. Insoweit wäre die Entkopplung der Rücktritts- und Widerrufsfolgenregelung im Rahmen des VR-RiL-UmsG zunächst als nicht zweckmäßig einzustufen. Eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangs der formellen Identität vor der formellen Eigenständigkeit ist aber dort zu machen, der Übersichtlichkeit im Einzelfall der Vorrang vor der besseren Gewährleistung der materiellen Identität zu geben ist. Dies trifft auf Fälle zu, in denen die textliche Menge der Rechtssätze von sachlich gerechtfertigten, materiell eigenständigen Rechtsnormen, unter Berücksichtigung ihrer Einordnung in den Gesamtkontext der Regelung, so groß ist, dass sie gegenüber den gemeinsamen Rechtssätzen – ebenfalls unter Berücksichtigung von deren Nähe zum Regelungskern – erheblich überwiegt. Die Untersuchung des Rücktritts- und Widerrufsrechts hat gezeigt, dass die Rechtsfolgenregelungen in ihrem Kernbereich im Wesentlichen materiell identisch sind bzw. dort wo dies nicht der Fall ist, hierfür oftmals keine sachliche Rechtfertigung der materiellen Eigenständigkeit besteht. Im Mittelbereich des Regelungskontextes überwiegt hingegen die sachlich gerechtfertigte materielle Eigenständigkeit. In der Peripherie ergibt sich diesbezüglich ein gemischtes Bild. Bei den relevantesten Rechtsnormen besteht also größtenteils materielle Identität. Nur in Bezug auf weniger wesentliche Rechtsnormen herrscht sachlich gerechtfertigte Eigenständigkeit zwischen den Rücktritts- und Widerrufsfolgen. Von besonderer Relevanz ist allerdings, das Verhältnis zum textlichen Umfang der Bestimmungen. Wollte man gemeinsame Rechtssätze für das Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht bilden, könnten diese wie folgt lauten: (1) Mit Ausübung des Lösungsrechts entfallen die noch nicht erfüllten vertraglichen Verpflichtungen. (2) Im Falle der Vertragsauflösung sind die empfangen Leistungen und die gezogenen Nutzungen in dem Zustand, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Lösungserklärung befinden, zurückzugewähren oder herauszugeben. (3) Ist die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen, hat der Schuldner, soweit nichts anderes bestimmt ist, Wertersatz zu leisten. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist, soweit nichts an-

§ 14 Entkopplung von Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht

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deres bestimmt ist, eine etwaige im Vertrag bestimmte Gegenleistung zugrunde zu legen. (4) Kann der Schuldner empfange körperliche Leistungen nicht oder nur beeinträchtigt zurückgewähren, hat er, soweit nichts anderes bestimmt ist, Wertersatz zu leisten, sofern dieser Umstand auf ein ihm zurechenbares Verhalten zurückzuführen ist. (5) Die Fälligkeit der sich aus der Vertragsauflösung ergebenden Verpflichtungen richtet sich nach § 271 BGB. (6) Die Vorschriften der §§ 280 ff. BGB sind auf die sich aus der Vertragsauflösung ergebenden Ansprüche anwendbar. Damit würden sich die möglichen gemeinsamen Rechtssätze im Wesentlichen bereits erschöpfen. Für die in Nr. 3 und Nr. 4 genannten Rechtssätze wären im Einzelnen jedoch schon zahlreiche abweichende Vorgaben in jeweils eigenständigen Rücktritts- und Widerrufsfolgenbestimmungen erforderlich. Hinzu kämen separate Vorgaben zum Erfüllungsort, der Kosten- und der Gefahrtragung für die Rückgewähr, der Wertersatzpflicht von nicht gezogenen Nutzungen und der Verteilung der Vertragskosten. Vergleicht man diesbezüglich die Menge an Rechtssätzen, die die jeweiligen Rechtsnormen, des dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht gemeinsamen Regelungskerns, in der derzeitigen Kodifikation einnehmen mit denjenigen, die sich auf die sachlich gerechtfertigt materiell eigenständigen Teile beziehen, ergibt sich folgendes Bild: Der materiell identische Regelungskern des Rücktritts- und Widerrufsfolgenrechts bezieht sich im Wesentlichen auf die Vorgaben in §§ 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2, 3, Abs. 3 S. 2, 347 Abs. 2 S. 1 BGB im Rücktrittsfolgenrecht und die Vorgaben in § 355 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BGB im Widerrufsfolgenrecht. In der derzeitigen Kodifikation betreffen die materiell eigenständigen Rechtsnormen die Vorschriften in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3, Abs. 4, 357 Abs. 1 S. 1, 2, 348 BGB im Rücktrittsfolgenrecht und § 355 Abs. 3 S. 2–4 BGB sowie eigentlich die gesamten §§ 357–357c BGB im Widerrufsfolgenrecht. Betrachtet man allein die in den §§ 346–348 und 355, 357–357c BGB verwendeten Wörter (insgesamt ca. 1400), entfallen somit unter 15 % (ca. 200) auf die oben aufgezählten Bestimmungen, die materiell identische Vorgaben enthalten und über 85 % (ungefähr 1200 Wörter) auf die genannten Vorschriften, die materiell eigenständige Regelungen betreffen. Auch wenn der Vergleich zweifelsohne recht undifferenziert ist, lässt sich ihm doch eine Tendenz entnehmen: Würde man die formelle Identität zwischen Rücktritt und Widerruf soweit herstellen, wie es an sachlich gerechtfertigter materieller Eigenständigkeit fehlt, überstiege

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

der Anteil formell eigenständiger Rechtssätze denjenigen formell identischer sehr deutlich. Obwohl die materiell identischen Regelungen im Wesentlichen in den Kernbereich der Rechtsfolgenregelungen einzuordnen sind und die Rechtssätze von sachlich gerechtfertigten, materiell eigenständigen Rechtsnormen überwiegend bloß den Mittelbereich betreffen, ist hier also folgende Schlussfolgerung zu treffen: Die Menge sachlich gerechtfertigter, materiell eigenständiger Rechtsnormen überwiegt so wesentlich, dass der Übersichtlichkeit hier gegenüber der besseren Gewährleistung durch die materielle Identität der Vorrang einzuräumen ist. Von dem Grundsatz, dass soweit materielle Identität erforderlich ist, auch formelle Identität herzustellen ist, ist hier folgerichtig ausnahmsweise abzuweichen.672 Damit erweist sich die Entkopplung des Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht im Rahmen des VR-RiL-UmsG im Ergebnis als zweckmäßig.673

672 In diesem Sinne auch Wendehorst, NJW 2014, 577, 583; Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441, 547; Schärtl, JuS 2014, 577, 583. 673 Artz, FS für Müller-Graff, S. 167, 169.

§ 15 Annex – Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht

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§ 15 Annex – Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht unter Berücksichtigung der Vorschläge über den „New Deal for Consumers“ sowie der „Warenhandelsrichtlinie“ und der „Richtlinie über digitale Inhalte“ Stand 11.4.2018 sind drei Richtlinienvorschläge der Kommission in der Diskussion, die – sollten Sie in ihrer derzeitigen Form erlassen werden – nicht unerhebliche Änderungen sowohl im Rücktritts- als auch im Widerrufsrecht zur Folge hätten. Hierbei handelt es sich namentlich um den sogenannten „New Deal for Consumers“ 674, dem Vorschlag über eine „Warenhandelsrichtlinie“ 675 sowie dem Vorschlag über eine „Richtlinie über digitale Inhalte“ 676. Während erstere unter anderem Modifikationen der VR-RiL zum Gegenstand hat und somit insbesondere Auswirkungen für das Widerrufsfolgenrecht bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen hat, betreffen die Vorschläge der Warenhandelsrichtlinie und der Richtlinie über digitale Inhalte unter anderem das Rücktrittsrecht wegen nichtvertragsgemäßer Leistung. Der Vorschlag der Warenhandelsrichtlinie soll dabei die VGK-RiL ersetzen. Der Vorschlag der Richtlinie für digitale Inhalte soll den Vorschlag der Warenhandelsrichtlinie in Bezug auf digitale Inhalte ergänzen. Von besonderer Relevanz mit Blick auf das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen dürften bezüglich des „New Deal for Consumers“ zwei Regelungen sein. Zum einen soll das Widerrufsrecht im Falle einer Nutzung, welche über das zur Prüfung der Ware notwendige hinausgeht, vollständig ausgeschlossen werden, Art. 2 Abs. 9 Nr. 3 des „New Deal for Consumers“. Nach der derzeitigen Rechtslage ist in diesen Fällen lediglich eine Wertersatzpflicht vorgesehen, Art. 14 Abs. 2 VR-RiL. Für den Verbraucher würde die Regelung in vielen Fällen eine erhebliche Verschlechterung im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage führen. Ob diese mit Blick auf die Vorteile für den Unternehmer gerechtfertigt ist, ist fraglich. Nach Erwägungsgrund 35 des „New Deal for Con674 Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final. 675 geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, COM(2017) 637 final. 676 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte, COM(2015) 634 final.

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sumers“, soll die Ausnahme vom Widerrufsrecht den Unternehmer entlasten, da dieser nach der derzeitigen Rechtslage vor der Schwierigkeit stünde, den „Wertverlust“ der zurückgesandten Waren zu ermitteln und diese als gebrauchte Waren weiterzuverkaufen oder auszusortieren. Indes müsste der Unternehmer jedenfalls auch im Falle eines Ausschlusses des Widerrufsrechts bei Nutzung in einer über die Prüfung hinausgehenden Weise weithin einen neuen Abnehmer für die Ware finden bzw. diese aussortieren, sofern eine bloße Prüfung der Ware zur Verschlechterung der Ware geführt hat. Fraglich wäre jedoch die Behandlung von „Mischfällen“, in denen zwar einerseits eine Verschlechterung bereits durch eine Prüfung der Ware stattgefunden hat, aber auch eine über die Prüfung der Ware hinausgehende Nutzung erfolgt ist. Man denke etwa an den der Wasserbettenentscheidung des BGH677 zugrunde liegenden Fall, in dem der Aufbau und das Befüllen eines Wasserbetts – nach der BGH-Rechtsprechung eine bloße Prüfung der Ware – bereits die Wertminderung herbeigeführt hat, der Verbraucher das Bett aber zudem noch für einige Tage genutzt hat, bevor er den Widerruf erklärte. Dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 9 Nr. 3 des „New Deal for Consumers“ nach wäre auch hier ein Widerruf ausgeschlossen. Warum der Unternehmer indes wegen der weiteren Nutzung der Ware ohne eine damit einhergehende weitere Wertminderung bessergestellt werden sollte, leuchtet nicht ein. Gleiches gilt aber letztlich auch in Konstellationen, in denen die Weiternutzung eine zusätzliche Wertminderung herbeigeführt hat. Auch ohne die zusätzliche Wertminderung müsste der Unternehmer letztlich einen neuen Abnehmer für gebrauchte Ware finden. Hier ließe sich allenfalls einwenden, der Unternehmer müsse hier zumindest auch bestimmen, inwieweit die Wertminderung durch die weitere Nutzung nach der Prüfung verursacht wurde, wovon er nach den der Regelung zugrundeliegenden Erwägungen gerade befreit werden soll. Aber auch dies überzeugt nicht. Schließlich muss der Unternehmer nach dem oben gesagten ohnehin bestimmten, ob und ggf. wieweit eine Verschlechterung auf einer bloßen Prüfung der Ware und inwieweit sie auf einer weiteren Nutzung der Ware basiert. Letztlich würde die Regelung dem Verbraucher auch ein erhebliches Prognoserisiko bezüglich der Frage, was eine bloße Prüfung und was eine weitergehende Nutzung der Ware darstellt, auferlegen. Denn im Falle des wirksamen Widerrufs wäre der Verbraucher grds. zur unverzüglichen Rücksendung der Ware auf seine Kosten verpflichtet, §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 6 BGB. Stellt sich nach der Rücksendung der Ware heraus, dass der Widerruf unwirksam ist, müsste der Verbraucher die Ware zudem auf seine Kosten wieder vom Unternehmer zurückholen, möchte er nicht auf sie verzichten, ohne den Kaufpreis erstattet zu bekommen. Denn der Anspruch auf Rückgabe der Ware würde sich aus § 812 BGB ergeben, sodass der Erfüllungsort grds. am Sitz des Bereicherungsschuldners678 – hier also dem Geschäftssitz des

677 678

BGH, Urt. v. 3.11.2010 – VIII ZR 337/09, NJW 2011, 56. MünchKommBGB/Schwab, § 818 Rn. 174.

§ 15 Annex – Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht

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Unternehmers – belegen wäre. Der Verbraucher müsste insofern also sowohl die Kosten und die Gefahr für die Versendung zum Unternehmer als auch die Kosten für den Rücktransport zu sich tragen. § 355 Abs. 3 S. 4 BGB wäre hier mangels wirksamen Widerruf nicht anwendbar. Unter bestimmten Umständen könnte ein Ausschluss des Widerrufs in Fällen, in denen eine über die bloße Prüfung der Ware hinausgehende Nutzung stattgefunden hat, aber aus Verbrauchersicht auch vorteilhaft gegenüber der derzeitigen Rechtslage sein. Aufgrund der Rückgewährpflicht der Ware (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB) in Kombination mit der Wertersatzpflicht (§ 357 Abs. 7 BGB) kann es nach dem heutigen Recht vorkommen, dass der Verbraucher im Rahmen des Widerrufs sowohl die Ware zurückgeben muss als auch vollständig Wertersatz zu leisten hat. Nach der im Vorschlag vorgesehenen Regelung hätte der Verbraucher immerhin das Recht die Ware zu behalten bzw. zurückzufordern. Ein derartiges Recht dürfte nach dem eindeutigen Wortlaut der derzeitigen Regelung nicht bestehen – insbesondere ein Herausgabeanspruch bezüglich der Ware gegen den Unternehmer nach § 812 BGB würde am Bestehen eines Rechtsgrunds – nämlich § 355 Abs. 4 S. 1 BGB – scheitern. Zum anderen sieht der „New Deal for Consumer“ eine erhebliche Erweiterung des Zurückbehaltungsrechts des Unternehmers vor. Nach Art. 2 Nr. 7 lit. a) des Vorschlags könnte der Unternehmer, sofern er nicht angeboten hat die Ware beim Verbraucher abzuholen, die Rückzahlung des Kaufpreises verweigern, bis er die Ware tatsächlich zurückerhalten hat. Jedenfalls mit Inkrafttreten einer entsprechenden Bestimmung dürfte an der Gefahrtragungsregel des § 355 Abs. 3 S. 4 BGB in ihrem derzeitigen Umfang nicht mehr festzuhalten sein. Nach der derzeit geltenden Fassung der VR-RiL kann der Unternehmer bei Kaufverträgen die Rückzahlung verweigern, bis er die Waren wieder zurückerhalten hat oder bis der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist, Art. 13 Abs. 3 VR-RiL. Demnach kann der Verbraucher die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs bereits zum Beginn des Transports herbeiführen, indem er diesen gegenüber dem Unternehmer nachweist. Sofern die Ware auf dem Transportweg verloren geht, steht dies dem Rückerstattungsanspruch des Verbrauchers also grds. nicht entgegen. Sollte es jedoch in Zukunft nur noch auf den Zeitpunkt des Eingangs der Ware beim Unternehmer ankommen, kann dieser die Rückzahlung des Kaufpreises im Falle des Verlusts der Ware auf dem Rücktransport letztlich dauerhaft verweigern. In diesem Fall würde der Verbraucher somit die Gefahr für den Verlust der Ware tragen müssen. Weitere Änderungen würden im deutschen Rücktrittsrecht erforderlich sein, wenn die Vorschläge zur Warenhandelsrichtlinie und zur Richtlinie über digitale Inhalte in ihrer derzeitigen Form in Kraft treten würden. Neben Änderungen in Bezug auf die Voraussetzungen des Rücktritts – wie etwa dem Fehlen einer Be-

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Kap. 3: Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite

schränkung auf wesentliche Mängel im Rahmen des Entwurfs zur Warenhandelsrichtlinie679 und der dort nicht vorgesehenen Möglichkeit eines Rücktritts vom ganzen Vertrag wegen einer Teilschlechtleistung680 – betrifft dies auch die Rücktrittsfolgen bei nichtvertragsgemäßer Leistung. So sehen die Vorschläge in Art. 9 Abs. 3 lit. a) und b) des Vorschlags über eine Warenhandelsrichtlinie und Art. 13 Abs. 2 lit. a) und e) des Vorschlags einer Richtlinie über digitale Inhalte entsprechende Höchstfristen für die Rückgewähr von erhaltenen körperlichen Leistungen und der Gegenleistung des Unternehmers vor, wie sie bisher nur im Rücktrittsrecht nach §§ 355 Abs. 3, S. 2, 357 Abs. 1, 357a Abs. 1 BGB vorgesehenen sind. Hierdurch wäre insoweit materielle Identität zwischen dem Rücktritts- und Widerrufsfolgenrecht hergestellt, obwohl die derzeit bestehende materielle Eigenständigkeit durchaus sachlich gerechtfertigt ist. Jedenfalls müsste § 348 BGB in diesem Falle gestrichen werden – auch hier würde den Parteien die also Absicherung ihrer eigenen Leistungsansprüche durch Zurückbehaltung der Gegenleistung genommen. Eine Pflicht zur Herausgabe bzw. zum Ersatz von vor dem Rücktritt gezogenen Nutzungen ist nach beiden Richtlinien-Vorschlägen nicht vorgesehen.681 Insofern wird die Quelle-Rechtsprechung des EuGH682 auf den Rücktrittsfall erweitert – was nach der Argumentation des EuGH nicht abwegig ist, indes vor dem Hintergrund der Überlegungen des BGH im entsprechenden Vorlagebeschluss683 zu den Unterschieden zwischen der Nachlieferung und dem Rücktritt rechtsdogmatisch nicht zwingend ist. Wesentliche Änderungen hätte der Entwurf der Warenhandelsrichtlinie auch in Bezug auf die Wertersatzpflicht des insoweit gesetzlich zum Rücktritt berechtigten Verbrauchers zur Folge. Mit Blick auf den Verlust und den Untergang der Ware ist eine Befreiung von der Wertersatzpflicht nur im Falle der Verursachung durch die Vertragswidrigkeit vorgesehen, Art. 13 Abs. 3 lit. c) des Vorschlags über eine Warenhandelsrichtlinie. Dem Rücktrittsberechtigten würde damit auch die Zufallsgefahr für den Untergang und den Verlust der Ware aufgebürdet. Zu-

679 Kritisch zu dieser Erweiterung des Rücktrittsrechts bereits die Stellungnahme des DAR von Januar 2018 (Stellungnahme Nr. 01/2018), abrufbar unter https://anwalt verein.de/de/newsroom/sn-1-18-geaenderter-vorschlag-fuer-eine-richtlinie-des-euro-parl? scope=modal&target=modal_reader_24&file=files/anwaltverein.de/downloads/news room/stellungnahmen/2018/dav-sn-1-18-mit-anlage.pdf, zuletzt abgerufen am 11.7. 2018. 680 Vgl. Art. 13 Abs. 2 des Vorschlags über eine Warenhandelsrichtlinie. 681 In dem Vorschlag für die Richtlinie über digitale Inhalte ist dies mit Blick auf den Verbraucher in Art. 13 Abs. 4 ausdrücklich festgelegt. Im Übrigen folgt dies aus dem abschließenden Charakter der Regelungen zu den Rücktrittsfolgen in den Entwürfen. 682 EuGH, Urt. v. 17.4.2008 – C-404/06, NJW 2008, 1433. 683 BGH, Beschl. v. 16.8.2006 – VIII ZR 200/05, NJW 2006, 3200.

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dem hat er auch Wertersatz zu leisten, soweit eine Verschlechterung durch eine über die normale Nutzung hinausgehende Verwendung verursacht wurde, Art. 13 Abs. 3 lit. d) des Vorschlags über eine Warenhandelsrichtlinie. Insofern dürfte ein objektiver Maßstab anzulegen sein und der Rücktrittsberechtigte deshalb bereits für jede Fahrlässigkeit haften. Bei der Berechnung des Wertersatzes käme es, wie sich aus Art. 13 Abs. 3 lit. c) des Vorschlags über eine Warenhandelsrichtlinie ergibt, auf den objektiven Wert der Ware an, sodass der Rücktrittsgegner – anders als bei der minderungsartigen Lösung nach der derzeitigen Rechtslage – einen etwaigen Anteil am Geschäftsgewinn verlieren würde.

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Stichwortverzeichnis Abmahnung 70, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 172 Aufwendungsersatz 138, 440, 443 Außergeschäftsraumverträge 219, 230, 234, 235, 243, 410 Bestimmungskauf 204, 205, 206, 207, 208, 209 Bürgschaft 220 Darlehen – entgeltliche Darlehen 56, 265, 268 – unentgeltliche Darlehen 306, 307, 309, 377 Erfüllungsort 365, 366, 367, 368, 369, 371, 372, 373, 374, 375, 376, 378, 379, 388, 460, 463, 466 Erfüllungsverweigerung 103, 104, 105, 106, 107, 112, 121, 124, 160, 168 Fälligkeit 70, 73, 77, 82, 83, 105, 107, 111, 120, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 183, 186, 188, 190, 191, 199, 200, 204, 207, 265, 269, 382, 383, 384, 386, 463, 467 Fehlen der Geschäftsgrundlage 210, 217 Fehlschlag der Nacherfüllung 128, 129, 130, 131 Fernabsatzverträge 53, 247, 261, 448, 450 Fernunterrichtsvertrag 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 343 Finanzierungshilfen – entgeltliche Finanzierungshilfen 264, 269, 271, 288, 378, 407, 408 – unentgeltliche Finanzierungshilfen 54, 306, 307, 309, 377 Fixgeschäft 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 118, 145

formelle Eigenständigkeit 31, 40, 44, 48 formelle Identität 30, 31, 32, 39, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 462, 463, 464 Fristsetzung 70, 71, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 88, 89, 90, 91, 94, 102, 103, 107, 108, 109, 110, 114, 115, 116, 117, 120, 121, 123, 126, 129, 130, 137, 140, 141, 147, 150, 154, 155, 158, 165, 175, 180, 183, 188, 190, 200, 203, 207, 208, 209 Gefahrtragung 64, 365, 373, 374, 375, 388, 463 Interessenabwägung 64, 68, 79, 81, 93, 113, 118, 121, 122, 130, 135, 136, 153, 159, 172, 193, 194, 195, 212, 214, 216, 218, 227, 234, 235, 236, 245, 246, 247, 253, 257, 261, 274, 278, 290, 291, 292, 299, 304, 305, 308, 310, 328, 331, 338, 340, 345, 348, 349, 435 Kaufpreiszahlung 52, 192, 193, 194, 195, 196 Kernbereich 350, 355, 365, 382, 435, 444, 445, 460, 462, 464 Leistungsinteresse 72, 74, 75, 87, 92, 94, 95, 97, 98, 104, 109, 110, 111, 118, 130, 131, 161, 162, 176, 180, 182 Letztverkäufer 103, 141, 143, 153 Lieferant 141, 142, 146, 148, 149, 150, 151, 152, 248 Lieferkette 103, 141, 151, 152, 153, 154 Lieferkosten 448 mangelnde Leistungsfähigkeit 51, 184, 189 materielle Eigenständigkeit 31, 35, 39, 42, 47, 48, 356, 387, 417, 421, 425, 426, 431, 434, 440, 441, 443, 450, 458, 460, 461, 462, 468

490

Stichwortverzeichnis

Materielle Identität 31, 32, 461 Mehrebenensystem 37 Mittelbereich 350, 382, 388, 436, 445, 452, 459, 460, 462, 464 Nacherfüllungsverweigerung 125 Nebenpflicht 169, 174, 209 nicht vertragsgemäße Leistung 92, 95, 97, 99, 100, 101, 117, 126, 177, 182 Nichtleistung 70, 71, 73, 74, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 86, 90, 98, 107, 116, 154, 179, 186, 199, 200, 423 Nutzungsersatz 390, 440, 443 pacta sunt servanda 57, 58, 59, 60, 61, 78, 102, 104, 105, 106, 112, 125, 126, 140, 175, 207, 213, 215, 247, 291, 303, 339, 345, 348, 404 Peripherie 350, 388, 456, 461, 462 primäre Rückgewährpflicht 358, 362 Primärleistungspflichten 351, 355, 364, 367, 460 Privatautonomie 57, 59, 68, 255 Ratenlieferungsverträge 292, 298, 301, 302, 306, 363 Rechtsnorm 29, 30, 41, 46, 377 Rechtssatz 30, 31, 40, 41, 42, 43, 45, 48 Rechtssetzungsgleichheit 32 Regelungszusammenhang 34, 35, 36, 38, 41, 46, 48, 49, 50, 56, 61, 62, 460 Regress 141, 151, 153 Reisevertrag 52, 67 Rückgewährschuldverhältnis 350, 353, 356, 367, 373, 440, 455 Schadensersatzpflicht 360, 391, 403, 404, 452, 453, 454, 455, 456

Störung der Geschäftsgrundlage 51, 66, 210, 212, 213, 348 Surrogatherausgabe 456, 458, 459 Tauschsystemverträge 27, 312, 324, 325, 326, 329 Teilrücktritt 83, 84, 85, 86, 87, 88, 95, 96, 98 Teilzahlungsgeschäfte 197, 201, 269 Teilzeit-Wohnrechteverträge 312, 317, 319 Unmöglichkeit 71, 75, 76, 92, 128, 176, 177, 178, 180, 181, 182, 183, 212, 359, 453, 454, 457 Unzumutbarkeit 120, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 205, 212 Verbraucherdarlehensvertrag 264 Vermittlungsverträge 27, 320, 321, 329 Verträge über ein langfristiges Urlaubsprodukt 27, 54, 311, 377, 418 Vertragskosten 358, 446, 448, 449, 450, 451, 452, 461, 463 Vorleistungspflicht 184, 186, 188, 190, 199, 244, 266, 274, 385, 388 Wertersatzpflicht 68, 361, 362, 370, 389, 390, 391, 392, 394, 395, 396, 397, 399, 400, 401, 402, 403, 404, 407, 408, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 416, 417, 418, 420, 421, 422, 425, 426, 427, 429, 431, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 440, 441, 444, 453, 454, 457, 460, 461, 463, 465, 467, 468 Wertungswiderspruch 33, 34, 48, 437