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German Pages 240 Year 2014
Maren Harnack Rückkehr der Wohnmaschinen
Architekturen | Band 10
Maren Harnack (Dr.-Ing.) studierte Architektur, Stadtplanung und Sozialwissenschaften in Stuttgart, Delft und London. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HafenCity Universtät in Hamburg und ist seit 2011 Professorin für Städtebau an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Daneben ist sie freie Stadtplanerin, freie Architektin, wirkte an zahlreichen Forschungsprojekten mit und publiziert regelmäßig in den Fachmedien.
Maren Harnack
Rückkehr der Wohnmaschinen Sozialer Wohnungsbau und Gentrifizierung in London
Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 2010 von der HafenCity Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Gutachter waren Prof. Dr. sc. techn. ETH Michael Koch und Prof. Dr. phil. Martina Löw. Die mündliche Prüfung fand am 21. Oktober 2010 statt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort: Neue Stadt Teile | 7 von Michael Koch
Danksagung | 9 1 Beobachtungen, Meinungen und Vorurteile | 11 Wohnmaschinen, sozialer Wohnungsbau und Gentrifizierung | 11 Gibt es eine Renaissance? |14
2 Wohnen in London | 17 Stadtproduktion in London | 17 Die Dominanz der Projektentwickler | 17 Die Kommunalverwaltung zwischen Markt und Staat | 23 Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus | 25 Stadterneuerung im Zeichen der Privatisierung |46 Die Lage bleibt angespannt: Sozialer Wohnungsbau heute | 48 Der Wohnungsmangel bleibt bestehen | 52 Der Londoner Wohnungsmarkt heute | 53 Mieten oder kaufen? | 53 Die Geschichte des Wohnungsmangels | 55
3 Forschungen und Konzepte zum städtischen Wandel | 61 Abstrakte Kräfte. Kapital, System, Gleichgewicht | 62 Individuelle Optimierungsstrategien: Alltagsorganisation und Lebensqualität | 68 Andere Rationalitäten: Jenseits von Common Sense | 74
4 Quellen und Methode | 83 Objektebene und Subjektebene | 85 Die Fallstudien | 85 Was ist Qualität? | 87 Objektbetrachtung | 92 Subjektbetrachtung | 93
5 Objektbetrachtung: „Biografien“ ausgewählter Gebäude | 99 Keeling House: Lasdun’s listed Landmark Building | 99 Trellick Tower: From Tower of Terror to Power Tower | 113 Brunswick Centre: Bloomsbury’s new High Street | 138 Aylesbury Estate: Lost in Transformation | 159
6 Subjektbetrachtung: Erfahrungen der Bewohner | 173 Angebote auf dem freien Markt für Wohneigentum | 173 Alltagerleben | 181 Auf der Jagd nach dem guten Deal | 182 Das Eigenleben der Dinge | 187 Informierte Konsumenten | 195 Distinktionsmuster: Der moderne Connaisseur | 195 Erlebnisorientierung: Die Stadt als Turnschuh | 198 Auf der Suche nach Authentizität: Das urbane Schäferidyll | 201
7 Lernen von London | 209 Forschungsfragen revisited | 209 Systematisch-Abstrakte Ebene: Gentrifizierung, Politik und andere Rahmenbedingungen | 210 Individuelle Optimierungsstrategien und Alltagsorganisation: Wer lebt wie? | 212 Jenseits von Common Sense: Bedeutung und Stil | 214 Die Zukunft der Wohnmaschinen | 217
8 Literatur | 219
Vorwort: Neue Stadt Teile
Die Relevanz der Arbeit lässt sich schon an ihrem Titel erahnen. Ihr Thema liegt quer zum Mainstream der heutigen Städtebaudebatte: Die Rückkehr der sogenannten Wohnmaschine und die neue Liebe zur großen städtebaulichen Form. Dieses Phänomen ist zwar längst augenfällig, wird jedoch im Fachdiskurs häufig ignoriert, weil es nicht in die leider dominierende formalistische städtebauliche Theoriebildung passt. Ein weiterer Fokus der Arbeit ist die mit dem Bedeutungswandel der Wohnmaschine verbundene Gentrifizierung von Stadtteilen, die hier anhand von Beispielen des sozialen Wohnungsbaus in London untersucht wird. Gentrifizierung ist eines der brisanten aktuellen Stadtplanungsthemen bei der Transformation und Weiterentwicklung von bestehenden Stadtteilen: entweder wird abgestritten, dass es sie gibt und behauptet, dass Aufwertung ohne Verdrängung stattfindet, oder aber erscheint als bedrohliches Vertreibungsszenario oder gar als Vertreibungsstrategie. Gentrifizierung als steuerbarer Um- und Aufwertungsprozess, darüber gibt es außer Hoffnungen wenige wirkliche Recherchen. Die Wohnmaschine ist eigentlich ein Topos der Zwischenkriegsmoderne, erfährt jedoch nach dem zweiten Weltkrieg als städtebauliche Typologie eine neuerliche paradigmatische Bedeutung für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbruch und den Anspruch, endlich die der Zeit adäquate „Neue Stadt“ zu bauen. Der Bautyp der Wohnmaschine wurde häufig, aber keineswegs ausschließlich im sozialen Wohnungsbau verwirklicht. In manchen Ländern folgten nach ersten euphorischen Beurteilungen Phasen der Stigmatisierung wegen auftretender sozialer Probleme in diesen Bauten. Die Ursachen dafür lagen in falscher Belegungspolitik und den sozialen Lebensbedingungen der Bewohnerschaft, und weniger im Bautyp. Gleichwohl halten sich die Vorurteile hartnäckig.
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V ORWORT
Mit der neuen Akzeptanz ehemals stigmatisierter Wohnmaschinen kann diese Bautypologie nun vielleicht ihren verdienten Platz in der Städtebaugeschichte einnehmen. Maren Harnack vermag diesen Prozess der „Wiedererfindung“ der Wohnmaschine anhand der genauen Untersuchung von vier Londoner Beispielen sehr anschaulich zu machen. Sie diskutiert diese Beispiele im Kontext von Aufwertungsprozessen und zeigt, dass Gentrifizierung unter bestimmten Voraussetzungen kein Schicksal sein muss, sondern Aufwertung durch neue soziale Nachbarschaften durchaus sozialverträglich sein kann. Maren Harnack zeigt auch sehr schön, wie die „verklärte“ Aneignung von Zeugen vergangener städtebaugeschichtlicher Epochen nach den Altstädten und Mietskasernenstadtteilen des 19. Jahrhunderts, über die Ikonen der Zwischenkriegsmoderne nun die Nachkriegsmoderne erreicht hat. Die Rückkehr der Wohnmaschine bedeutet keine generelle Abwendung vom Leitbild der traditionellen europäischen Stadt. Vielmehr erhält die scheinbar mit eindeutigen Bildern und städtebaulichen Regeln verknüpfte Vorstellung von der europäischen Stadt mit ihr ein neues Element. Und das einheitliche und manchmal auch etwas einfältige Bild von Stadt wandelt sich mit derartigen Erkenntnissen, wie sie die vorliegende Arbeit bereit hält, in ein mehrdimensionales und collagehaftes Bild, das der Realität und Dynamik von Stadt eher entspricht. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zu dem was man wirkungsgeschichtliche Untersuchungen der Produktion von Stadt nennen könnte. Solche Untersuchungen sind notwendig, um im Fachdiskurs der Stadt gestaltenden Disziplinen von den Behauptungen über Ursachen und Wirkungen menschlichen Verhaltens in gebauter Umwelt wegzukommen und zu wirklicher urbanistischer Ursachenforschung zu kommen.
Michael Koch
Danksagung
Elain Harwood hat mir viele sehr wichtige Kontakte vermittelt. Lee Boland, Stuart Tappin, Robert Beiley und David Foreman waren Türöffner zu den vielen Interviewpartnern, ohne die ich diese Arbeit nicht hätte machen können und denen an dieser Stelle Dank gebührt: Andrew, Ania, Ben, Betty, Chris, David, Derek, Donna, Eileen, Frank, Gil, Izatu, Josie, Karl, Len, Linda, Martin, Melvin, Nina, Oludare, Pat, Richard, Sandra, Sheraz, Susannah und Tom. Thomas Hafner, Rolf Lindner, Gabriele Sturm und Julian Wékel danke ich für wichtige Anregungen, Christian Holl dafür, dass er das Manuskript mehrmals und in verschiedenen Stadien gelesen und kommentiert hat und darüberhinaus nicht nur ein kompetenter, sondern auch ein überaus geduldiger Gesprächspartner war. Mit Matthew Gandy und Dominic Church habe ich die Arbeit immer wieder diskutiert, von Gabriele Roy und Michael Janoschka haben die Rohfassung korrigiert. Ganz besonders möchte ich mich bei Martina Löw bedanken, die diese Arbeit von Anfang an begeleitet und unterstützt hat, und bei Michael Koch, der ein ausdauernder und motivierender Sparringspartner war.
Maren Harnack
1 Beobachtungen, Meinungen und Vorurteile
1.1 W OHNMASCHINEN , SOZIALER W OHNUNGSBAU UND G ENTRIFIZIERUNG In diesem Buch geht es um den öffentlich geförderten Nachkriegswohnungsbau in London. Seit einigen Jahren scheint sich in der Londoner Öffentlichkeit die Meinung durchzusetzen, dass diese oftmals nach Prinzipien des modernen Städtebaus errichteten Häuser oder Wohnanlagen wieder „cool“ seien.1 Ähnliches lässt sich in Deutschland beobachten.2 Wiewohl diese Meinung oft geäußert wird, handelt es sich um ein Phänomen, das bisher 1 | Siehe z.B. Jonathan Glanceys Artikel „Noble Folly“ (Guardian, 12. August 2002) in dem er die Ansicht vertritt, das Robin Hood Gardens im Londoner Osten für Familien der Sozialwohnungsklientel zwar ungeeignet sein mag, für junge, trend- und designorientierte Städter aber gut funktionieren könnte: „With a bit of cash and imagination, a much disliked housing estate could be turned into one of the most fashionable London addresses for people brought up on a diet of modern design and architecture.“ Siehe auch die Anleitung „Spot an ex-council bargain“ unter http://uk.propertyfinder.com/2/pf/da/tiscali/guides/chooseAndBuy/exCouncilBargain.do (16. Januar 2008): „the perception of council flats and houses has changed. A new generation of buyers has discovered ex-council properties (or at least, some of them) to be solidly maintained, located in or near fashionable areas“. Hier werden unter anderem auch 5 „hippe“ soziale Wohnungsbauten aufgezählt: Park Hill in Sheffield sowie die Londoner Wohnanlagen Trellick Tower, Boundary Estate, Spa Green und Golden Lane. 2 | Beispielsweise Plattenbauten in Berlin-Mitte, das Projekt „Heimat-Moderne“ in Leipzig, Frank Roost in der TAZ vom 29. August 2000
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weder belegt noch erklärt ist. Neben der Aufgabe, diese Meinung zu verifizieren, ist dann zu erklären, wie und warum es zu dieser Aufwertung kommt. Obwohl sich diese Aufwertungsprozesse auch in anderen Städten und Ländern vermuten lassen, wird hier exemplarisch nur London betrachtet. Dies hat mehrere Gründe: Ň In London ist die Kommune selbst (in ihren verschiedenen Verfassungsformen als London County Council und später als Greater London Council) mit ihrer Bauabteilung bzw. sind die einzelnen Boroughs (und ihre Borough Architects) nach dem Krieg als Bauherren sehr aktiv gewesen. Durch diese Kombination von Bauleitplanung und Gebäudeplanung in einer Organisation wurde die Entstehung sehr großer Siedlungs- und Gebäudeeinheiten in relativ kurzer Zeit begünstigt, die zur Zeit ihrer Entstehung Vorbildcharakter hatten. Ň Begründer und Vertreter der als Brutalismus bekannten Architektur stammen aus England und waren in London aktiv, insbesondere Peter und Alison Smithson und Ernö Goldfinger. Ihre Bauten fallen durch ein zeichenhaftes Erscheinungsbild auf, das diese Häuser einprägsam macht und ein Auslöser für den Wandel hin zu einer positiven Wahrnehmung dieser Wohnhäuser gewesen sein könnte. Ň Der inzwischen weitgehend liberalisierte Wohnungs- und Immobilienmarkt erlaubt Trends viel schneller sichtbar zu werden als es in stärker regulierten Märkten wie dem deutschen der Fall sein kann. Im Vergleich zum Wohnungsmarkt in deutschen Städten wirkt der Londoner Immobilienmarkt wie ein Treibhaus, in dem Preise schneller steigen können und die Bevölkerung sich schneller austauschen kann. Ň Die Regierungsübernahme durch Margaret Thatcher im Jahr 1979 markiert einen grundlegenden und sehr frühen Wechsel hin zu einer neoliberalen Wohnungspolitik, der sich mittlerweile im Markt erkennen lassen müsste.
Begriffe Der Terminus „Gentrification“ wurde im Zusammenhang mit der Aufwertung von städtischen Quartieren erstmals von der Soziologin Ruth Glass verwendet, und zwar in ihrem 1964 erschienen Aufsatz „London: Aspects of change“,3 in dem sie den verstärkten Zuzug von Mittelklassefamilien in den 3 | Glass 1964, S. xviii
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Londoner Stadtteil Islington beschreibt. Die heute gebräuchliche Definition beschreibt Gentrizierung, als den „Austausch einer statusniedrigeren Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet.“4 „Wohnmaschinen“ sind Wohnhäuser, die eine große Anzahl von Wohneinheiten (hier mindestens 70) in einem Baukörper vereinen und zudem den Prinzipien des modernen Wohnungsbaus im Sinne der CIAM oder des Team X verpflichtet sind.5 Diese können Teil eines „Estates“, also einer Siedlung sein, die entweder aus mehreren derartigen Gebäuden besteht, oder aber verschiedene Bauformen vereint, darunter auch Reihenhäuser und kleinere Geschosswohnungsbauten. Entscheidend ist, dass die ausgewählten Projekte in ihrem Planungsansatz aus der Zeit stammen bevor die Rückbesinnung auf die europäische Tradition der Stadt zum dominierenden Leitbild der Stadtplanung wurde. In Großbritannien gab und gibt es verschiedene Anbieter von öffentlich gefördertem oder gemeinnützigem Wohnungsbau. Im Abschnitt zwei 4 | Friedrichs 1996, S. 14 5 | Reyner Banham diskutiert die verschiedenen Aspekte von städtischen Großstrukturen in der Einleitung zu seinem Buch „Megastructures: Urban Futures of the Recent Past“ und zitiert unter anderem Definitionen von Kenzo Tanges Schüler Fumihiko Maki und von Ralph Wilcoxon. Maki definiert Megastrukturen als „a large frame in which all the functions of a city or part of a city are housed. It has been made possible by present day technology. In a sense it is a man-made feature of the landscape. It is like the great hill on which Italian towns were built…“ (zitiert nach: Banham 1976, S. 8). Wilcoxons Definition geht weiter, in dem er Megastrukturen nicht nur als sehr groß beschreibt, sondern auch als „a structure which is frequently 1 constructed of modular units; 2 capable of great or even ‚unlimited‘ extension 3 a structural framework into which smaller structural units (for example rooms, houses, or small buildings of other sorts) can be built – or even ‚plugged-in‘ or ‚clipped-on‘ after having been prefabricated elsewhere“ 4 a structural framework expected to have a useful life much longer than that of the smaller units which it might support. (zitiert nach: Banham 1976, S. 8). Banham erläutert aber auch, dass kein gebautes Beispiel alle diese Elemente enthält, nicht einmal das prototypische Stadtzentrum von Cumbernauld (ebd., S. 10). Das gilt erst recht für die hier untersuchten Beispiele des sozialen Wohnungsbaus, die vor allem Makis erstes Kriterium erfüllen, nämlich dass sie Teile städtischer Funktionen enthalten.
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werden diese verschiedenen Anbieter und Förderwege in Grundzügen erläutert. Der besseren Lesbarkeit halber werden alle diese Wohnungsangebote unter dem Begriff „sozialer Wohnungsbau“ zusammengefasst, weil er weder die Besitzverhältnisse noch die Art der Förderung impliziert und die verschiedenen Formen von kommunalem und gemeinnützigem Wohnungsbau am ehesten umfasst.
1.2 G IBT ES EINE R ENAISSANCE ? Wenn in London bisher schon Wohnmaschinen aufgewertet wurden, ergeben sich daraus drei weiterreichende Forschungsfragen: 1. Warum erleben die Wohnmaschinen aus dem sozialen Wohnungsbau in London zu bestimmenden Fällen eine Renaissance und werden aufgewertet? In der englischen und speziell der Londoner Tagespresse wird häufig der Eindruck erweckt, dass die Gentrifizierung ehemaliger sozialer Wohnungsbauten ein weit verbreitetes Phänomen ist. Ebenso häufig werden Wohnungseigentümer – hier als Gentrifizierer verstanden – zitiert, die sich lobend über ihre Wohnung und das Wohnhaus äußern.6 Diese Hinweise legen nahe, dass die Wohnmaschinen, die bis in die 1970er Jahre hinein entstanden, sich tatsächlich weiterentwickelt haben und nicht mehr ausschließlich als Monstrositäten wahrgenommen werden.7 Eine über diese journalistische Würdigung von Einzelfällen hinausgehende Betrachtung der jüngsten Entwicklung von Wohnmaschinen fehlt bisher völlig. Das Beispiel Keeling House zeigt, dass geförderter Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit im gehobenen Segment des freien Wohnungsmarktes grundsätzlich konkurrenzfähig ist und nicht nur aufgewertet, sondern auch im Sinne der Definition Friedrichs8 gentrifiziert werden kann. Damit stellt sich die Frage, inwieweit auch andere, als gentrifiziert wahrgenom6 | Vgl. beispielsweise Caroll, Rory: „How did this become the height of fashion?“ (Guardian G2, 11. März 1999) oder Bueno, Julia: „Movin on up“ (The Independent on Sunday, 25. Juli 1999) 7 | Martin Richardson beschreibt Trellick Tower beispielsweise als „Koloss“, der die Häuser der Umgebung „erdrückt“ (Architects’ Journal, 10. Januar 1973, S. 91). 8 | Keeling House wurde von einem Investor erfolgreich privatisiert. Die vorherigen Sozialmieter mussten und konnte nicht in das sanierte Haus zurückkehren.
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mene Gebäude tatsächlich Aufwertungsprozessen unterworfen sind und welche Gründe dies hat. Um die Frage zu klären, warum in London Wohnmaschinen aufgewertet werden, werden verschiedene Beispiele verglichen, und zwar hinsichtlich aller Eigenschaften, die einen Einfluss auf die Aufwertung haben können, also Lage, Grundrissqualität, Denkmalschutz, Verkehrserschließung, etc. 2. Liegt der Aufwertung von Wohnmaschinen ein grundsätzlich gewandeltes Verhältnis zur/Verständnis von Stadt zugrunde? Die zeittypische Vorstellung vom Leben in der Stadt spiegelt sich auch in den jeweils vorherrschenden Utopien und Idealbildern wider. Die Aufwertung von Wohnmaschinen in London, oder auch nur deren Wahrnehmung als „aufgewertet“, könnte insofern Ausdruck eines sich langsam durchsetzenden, pluralistischen Stadtverständnisses sein, welches die seit den siebziger Jahren verbreitete Ablehnung der Nachkriegsbauten und neue Wertschätzung historischer Bausubstanz wenn auch nicht ablöst, so doch ergänzt. Möglicherweise werden die Wohnmaschinen heute anders als noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren nicht mehr als ein Angriff auf die idealisierte „europäische Stadt“ verstanden,9 und der Gegensatz zwischen Wohnmaschine und dichtem, gemischt genutztem städtischen Gewebe erscheint nicht mehr unvereinbar. Die mit dem Planungsverständnis von CIAM10 und Team 1011 verbundene Vorstellung, dass die neuen Stadtstrukturen die alte Stadt langfristig vollkommen ersetzen werden, ist heute historisch und stellt den Erhalt älterer historischer Bausubstanz nicht mehr infrage. Der Abstand zu der in dieser Zeit entstandenen Bausubstanz ist 9 | Im Gegensatz dazu steht beispielsweise das im „Planwerk Innenstadt“ beschlossene Leitbild für die Stadtentwicklung Berlins, das unter anderem vorsieht, um die Solitäre auf der Fischerinsel herum neue Blockstruckturen zu entwickeln. Die Diskussionen die das Planwerk Innenstadt hervorgerufen hat, zeigen aber auch, dass dieses Leitbild nicht von allen Teilen der Gesellschaft selbstverständlich getragen wird. 10 | Paradigmatisch ist der Plan Voisin von Le Corbusier, der den Abriss weiter Teile der Pariser Innenstadt und die Neubebauung mit Hochhäusern vorsah. 11 | Paradigmatisch ist der Entwurf für den Golden Lane Estate von Peter und Alison Smithson. Mit ihrem Entwurf verbanden sie die Vorstellung, das die neue Stadtstruktur organisch über die Ruinen der alten, vom Krieg zerstörten Stadt hinweg wachsen würde.
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mittlerweile so groß, dass sie mit einer gewissen Unbefangenheit betrachtet und ihre Ästhetik eigenständig wahrgenommen werden kann.12 Die Wohnmaschine mit ihrem fordistisch geprägten Planungsansatz könnte damit ein Stadtbaustein unter vielen sein, der von bestimmten Gruppen als Wohnstandort gewählt werden kann, und zwar freiwillig. 3. Welche Umstände führen zur Aufwertung? Die Gentrifizierungsliteratur bezieht sich bis heute vor allem auf Bausubstanz, die vor dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg entstanden ist und deutlich andere architektonische Qualitäten aufweist (in Deutschland Geschosswohnungsbau der Gründerzeit, in Großbritannien viktorianische und georgianische Stadthäuser). Neben der Innenstadtnähe gehören dazu vor allem hohe Innenräume, Stuckdecken, Kassettentüren und Holzfußböden sowie eine „repräsentative Erscheinung“.13 Da kaum eines dieser architektonischen Merkmale auf den Londoner Nachkriegswohnungsbau zutrifft, wird dieser vermutlich durch andere Aspekte attraktiv. Bezogen auf die Fallbeispiele stehen die konkreten Handlungsebenen, die zur Aufwertung innerhalb des untersuchten Feldes führen, im Vordergrund. In Anbetracht des unendlich differenzierten Wohnungsmarkts und der ebenso differenzierten Präferenzen ist die Frage nach den Umständen hier jeweils eine nach den spezifischen Rahmenbedingungen und ihren Kombinationen, ohne dass sich daraus Mechanismen ableiten ließen, die Gentrfizierungsprozesse steuerbar machen könnten. Während es für manche Forscher eine Voraussetzung von Gentrifizierung ist, dass es sich um eine Wiederaneignung von Wohnraum handelt,14 der schon früher einmal von höheren Schichten bewohnt wurde, oder zumindest eine Abwertung erfahren hat, ist das Neue an dem Londoner Phänomen im Gegensatz dazu, dass die Mittelschicht sich Wohnraum aneignet, der explizit für Personen mit niedrigerem sozio-ökonomischen Status geplant war und der dies auch äußerlich offensiv zur Schau stellt.
12 | Vgl. neuere Darstellungen der Architekturgeschichte, beispielsweise Pevsners Neuausgabe der „Buildings of England“ (Pevsner et al. 1991–2005) 13 | Falk 1994 14 | Redfern 1997b
2 Wohnen in London
2.1 S TADTPRODUK TION IN L ONDON Die Produktion von Wohnraum und Stadt hat in Großbritannien eine vollkommen andere Tradition als in Deutschland. Während hier auch in den großen Stadterweiterungsquartieren der Gründerzeit häufig Einzelinvestoren auftraten, die ein Grundstück in Realeigentum erwarben, dort ihrem Beruf nachgingen, wohnten und einen Teil der Wohnungen vermieteten, wurden in Großbritannien schon seit dem 17. Jahrhundert ganze Quartiere von Bauträgern entwickelt. Diese planten und bauten nicht nur die Häuser, sondern auch Straßen und Plätze, die sie durch den Verkauf der Häuser refinanzierten. Dieses System von Stadtentwicklung hat Folgen, die auch heute noch spürbar sind. Dazu gehören erstens die relativ schwach ausgeprägte Bauleitplanung, zweitens die durchweg geringe Dichte auch innerstädtischer Projekte und drittens die bis heute anhaltende Dominanz der großen kommerziellen Bauträger auf dem Markt für Neubauwohnungen. Die heutige, problematische Situation auf dem Wohnungsmarkt ist ein Ergebnis dieser Tradition und sie beeinflusst die Käufer noch immer, wenn sie ihre Standortentscheidungen treffen. Sie zeigen auch, dass der kommunale soziale Wohnungsbau in London nicht nur zum Ziel hatte, die ärmsten Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen, sondern als Vorbild in den privaten Sektor hinein wirken sollte.
2.1.1 Die Dominanz der Projektentwickler Die Produktion von Wohnraum beruhte in London traditionell nur in der City of London auf den Aktivitäten von Einzeleigentümern auf ihrer Parzelle,
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die ihnen in Realeigentum gehörte. Der weitaus größte Teil der Produktion, vor allem seit der ersten großen Wachstumsphase im 16. Jahrhundert, wurde von den größeren Landeigentümern unternommen, die Projektentwickler damit beauftragten, Straßen und Häuser zu bauen. Das Land blieb dabei im Eigentum der ursprünglichen Besitzer, die diese „Estates“ verwalteten und an einem langfristigen Werterhalt interessiert waren. Den Bewohnern gehörten nur die Häuser, den Grund auf dem diese standen pachteten sie langfristig von den Landeigentümern. Im Falle von Verkäufen übernahmen die neuen Hauseigentümer die Pachtverträge und entrichteten die Pacht weiterhin an den Grundeigentümer. Nach Ablauf des Vertrags fielen dann das Grundstück und das Gebäude zurück an den Grundeigentümer.1 Abbildung 1: Bedford Square (1775–1783)
Quelle: Maren Harnack
Neu entwickelte Gebiete mussten unter anderem zusammen mit den bereits bestehenden Stadtgebieten ein sinnvolles Straßennetz bilden, jedes Grundstück musste erschlossen sein und ähnliches. Die Pläne für solche Entwicklungen wurden seit 1774 von einer ständigen Kommission geprüft und genehmigt, so dass die Einhaltung eben dieser Regeln gewährleistet wurde.2 Die Architektur der Bebauung selbst war ebenfalls stark reglementiert. So waren beispielsweise Achsen, Öffnungsanteile oder Fassadenmaterialien vorgegeben (z.B. Ziegel, Stuckflächen). Auch die Haustypen waren zielgruppenorientiert standardisiert. Dies war eine Folge des Großen Brands 1 | Rasmussen 1934, S. 164–167; Summerson 1988 (1962) 26 ff; S. 44 ff. 2 | Muthesius 1990, S. 33 ff.
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von 1666. Um den Wiederaufbau zu beschleunigen, wurden (zunächst nur 4) Modellhaustypen unterschiedlichen Standards entwickelt, für die keine Baugenehmigungen eingeholt werden mussten, von deren Vorgaben allerdings auch nicht abgewichen werden durfte. Den Modellhäusern entsprachen auf deren Größe abgestimmte Trassenbreiten, die die Zirkulation verbessern und die Feuergefahr verringern sollten. So entstanden auch in den Estates außerhalb der City of London Häuser, die fast identisch und sehr schlicht waren.3 Das Wohnen im Estate war teurer als das Leben außerhalb, bot den Bewohnern aber auch verschiedene Vorteile. Die Estates funktionierten in etwa so, wie man es heute von Gated Communities kennt. Häufig waren sie umzäunt, bewacht und nicht für jedermann zugänglich, was für die Bewohner ein Gewinn war.4 Zudem legten die Projektentwickler repräsentative Plätze im Innern der Estates an, deren Nutzung den direkten Anliegern vorbehalten war. So konnten die Entwickler und die Grundeigentümer ihre Gewinne maximieren, denn für die Häuser an den Plätzen waren sowohl die Quadratmeterpreise als auch die Erbpachtzinsen am höchsten. An den Rändern der Estates ließen mit der Qualität des öffentlichen Raums auch das Prestige und die Preise nach, allerdings rechtfertigte schon allein die Tatsache, dass eine Liegenschaft noch zu einem Estate gehörte, höhere Preise und verschaffte den Bewohnern höheres Ansehen.5 Der Projektentwickler musste bei der Entwicklung eines Estates immer darauf achten, das Angebot so zu steuern, dass nicht zu viele Häuser gleichzeitig auf den Markt kamen, was die Preise verdorben hätte, und dass immer der Haustyp gebaut wurde, der die maximale Rendite versprach, also bescheidenere Typen in Zeiten schwacher Wirtschaft und großzügige Typen in Zeiten des Booms.6 Die so entstandenen Quartiere prägen noch immer das Bild der Londoner Innenstadtgebiete mit ihren Plätzen und einheitlichen Straßenzügen. Auch viele Quartiersnamen gehen auf die Namen der Estates oder deren Eigentümer zurück, wie etwa Bloomsbury, Belgravia oder Pentonville. Die Interessen der Grundeigentümer und der Projektentwickler ergänzten 3 | Rasmussen 1934, S. 108–113 4 | Ebd., S. 167 5 | Über die Abstufungen von Prestige innerhalb eines Estates siehe Summerson 1988 (1962), S. 24 ff. 6 | Muthesius 1990, S. 68
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sich in diesem System ideal: Der Grundeigentümer war an einer langfristigen Rendite interessiert, managte seinen Estate (die Pachtverträge und den öffentlichen Raum) dementsprechend und sorgte auch dafür, dass die Häuser, die entstanden, eine möglichst gute Qualität hatten. Der Projektentwickler strebte eine effiziente, schnelle und nachfrageorientierte Entwicklung des Gebiets an, da er seinen Gewinn nicht aus der Grundrente erwirtschaftete, sondern aus seiner Tätigkeit als Produzent von Wohnraum. Beides zusammen hat Stadtteile hervorgebracht, die noch heute als außerordentlich hochwertig angesehen werden und die mit ihrem einheitlichen Charakter unsere Vorstellung von London prägen, aber auch Stadtteile, deren bauliche Qualität schon zur Zeit ihrer Entstehung mangelhaft war. Dass zwischen diesen großflächig geplanten und angelegten Estates Restflächen entstanden, ließ sich trotz aller Bemühungen nicht vollständig vermeiden. Hier siedelten sich weniger gutgestellte Personen an, und die zwangsläufig weniger einheitliche und weniger langfristig angelegte Managementstrategie führte dazu, dass Gebäude gegen Ende der Pachtzeit herunterkamen, weil sich Investitionen in den Unterhalt für die Hauseigentümer nicht mehr lohnten. Oftmals war es unter diesen Umständen für die Grundbesitzer die profitabelste Lösung, die an sie zurückgefallenen Häuser zimmerweise an die ärmsten Familien zu vermieten. Doch auch größere Gebiete oder Estates konnten auf diese Weise herunterkommen, wenn es für den Grundbesitzer lukrativ war. Das Leben in aufgeteilten oder zimmerweise vermieteten Häusern, die von den oberen Schichten verlassen worden waren, war für die ärmere Bevölkerung die einzige Möglichkeit sich mit Wohnraum zu versorgen, wenn das eigene Haus selbst in der bescheidensten Form die finanziellen Möglichkeiten überstieg.7 Wenn die Marktsituation sich während der Bauzeit eines Estates grundlegend änderte, wurden unverkäufliche Häuser direkt zimmerweise vermietet, so wie beispielsweise in Golborne, dem Gebiet in dem später Trellick Tower gebaut wurde. Erst um die Jahrhundertwende entstand in London der einzige neue, städtische Haustyp, der sogenannte „Mansion Block“. Eine „Mansion“ ist normalerweise ein großes Landhaus, es entspricht vielleicht einem „Schlösschen“, mindestens aber einer „Villa“. Schon der Name zeigt an, dass ein Mansion Block an diese Wohntradition anknüpfen will, und dementsprechend handelt es sich dabei um ein Apartmenthaus für gehobenes 7 | Rasmussen 1937, S. 221–222
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Wohnen. Die Eingangshallen von Mansion Blocks sind meistens sehr repräsentativ gestaltet. Es gibt häufig Conciergen, die Besucher kontrollieren und Post annehmen, Dienstboteneingänge und Vorfahrten, die nach einem Chauffeur verlangen, dicke Teppiche und viel Messing. Und dem Namen entsprechend haben Mansion Blocks oft einen wenig innerstädtischen Charakter, sondern sie präsentieren sich wie Landhäuser im vorstädtischen Kontext – auch wenn sie eigentlich zentral gelegen sind –, was vor allem an den üppigen Grünpuffern zwischen Haus und Straße liegt. Allerdings sind die Mansion Blocks kein Massenphänomen geworden, sondern eine eher spezialisierte Wohnform geblieben, die mit dem ersten Weltkrieg schon wieder verschwand. Durchgesetzt hat der Typ des Mansion Blocks sich auch deswegen nicht, weil man weniger auf Standardisierung setzten konnte als dies bei Reihenhäusern der Fall war. Anstatt nur das Endhaus etwas schmaler oder breiter zu machen, erfordert ein Geschossbau wie der Mansion Block, eine ganz andere und neue Form der Grundrissorganisation, die jedes Mal aufs neue an die Grundstücksverhältnisse angepasst werden muss – und für die es in London keinerlei Vorbilder gab.8 Auch die Mansion Blocks wurden privat entwickelt und die Trennung zwischen Grundstückseigentümer und Erbpächter gab es auch hier. Die höhere Ausnutzung eines Grundstücks, die die Mansion Blocks zuließen, kompensierte den größeren Bau- und Planungsaufwand offenbar nicht und veranlasste erst recht nicht die Besitzer der traditionellen Estates, ihren Bestand nachzuverdichten. Diese Tradition der Wohnraumproduktion hat die Stadtentwicklung Londons lange geprägt und ihre Folgen sind immer noch spürbar. Dazu gehört, dass der private Wohnraum noch heute vorwiegend von Projektentwicklern produziert wird und Einzelbauherren die Ausnahme geblieben sind, aber auch, dass sich nie eine Tradition für das Wohnen in höherer Dichte im Geschosswohnungsbau entwickelt hat. Ebenso kann 8 | Die Entstehung dieser Wohnform wurde erst dadurch möglich, dass der Verkehr sich so rasant entwickelt hat, dass es selbst für die reichsten Londoner unsinnig wurde, die eigene Kutsche zu benutzen, und diese folglich keine Stallungen, Garagen und das dazugehörige Personal mehr brauchten, und auch keine Mews (Remisen), in denen das alles untergebracht war. Zudem schien zu dieser Zeit eine höhere Baudichte nötig, um mit dem Bevölkerungswachstum Londons einigermaßen fertig zu werden.
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man es als eine Folge der von den Investoren dominierten Projektkultur bezeichnen, dass Formen der öffentlichen Regelung und Beeinflussung von Bauformen, Dichten und Erschließungssystemen relativ schwach ausgeprägt sind. Abbildung 2: Mansion Block in St John’s Wood, um 1900
Quelle: Maren Harnack
Kennziffern wie GRZ oder GFZ sind in Großbritannien weitgehend ungebräuchlich, stattdessen wird die Dichte von Wohngebieten in „Einheiten pro Hektar“ oder, weniger häufig, in „Wohnräumen pro Hektar“ angegeben. Auch andere Festsetzungen, wie sie bei uns in Bebauungsplänen üblich sind, gibt es nicht. Vielmehr werden Ausnutzung oder Bauhöhe fallweise verhandelt, und häufig hängt es von den Einsprüchen der Nachbarn ab, ob ein Bauantrag genehmigt wird oder nicht, denn es gilt die Regel, dass ein neues Projekt die Nachbarn nicht beeinträchtigen darf. Vereinfacht gesagt ähneln die englischen Baugenehmigungsverfahren denen, die in Deutschland nach §34 BauGB verlaufen. Die Ungenauigkeit bei Flächen- und Größenangaben erstrecken sich bis auf die Ebene der Häuser und Wohnungen, deren Größe nicht in Quadratmetern angegeben werden, sondern anhand der Zahl der Wohn- und Schlafzimmer und deren Abmessungen in Fuß. Die aktuellen Diskussio-
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nen um Dichten und Flächenstandards, die in Großbritannien immer wieder geführt werden, lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen.
2.1.2 Die Kommunalver waltung zwischen Markt und Staat Eine Folge der traditionellen Stadtproduktion durch Projektentwickler war, dass sich die übergeordnete Planung lange Zeit auf die besonders wichtigen, übergeordneten Erschließungsstraßen beschränken konnte, und dass die Verantwortung dafür – weil diese Aufgabe nicht besonders umfangreich war – auf der staatlichen Ebene blieb. Allerdings gab es keine institutionalisierte Behörde, die diese Aufgaben übernahm. Immer, wenn in Großbritannien oder in der Londoner Stadtentwicklung ein planerisches oder ein Infrastrukturproblem auftrat, das von übergeordneter Bedeutung war, wurde eine Kommission eingesetzt, die es untersuchte und eine Lösung dafür vorschlug. Die Maßnahmen wurden dann von einem wiederum privaten Träger durchgeführt, der dafür mit dem erforderlichen Kapital und auch den nötigen Rechten, beispielsweise für die Bodenenteignung oder Mauteinnahmen, ausgestattet wurde. Die Entschädigung der vorherigen Eigentümer bemaß sich dann nach dem aktuellen Ertragswert der Grundstücke,9 was zur Folge hatte, dass die ärmsten Stadtgebiete besonders häufig von solchen Infrastrukturmaßnahmen betroffen waren, denn hier blieben die Entschädigungszahlungen an die Eigentümer niedrig. Und ebenso häufig wurden Infrastrukturmaßnahmen benutzt, um „Slumsanierung“ zu betreiben. Neue Straßen, die ehemalige Slums ersetzten, sind beispielsweise Charing Cross Road, Tottenham Court Road, Shaftesbury Avenue und Teile der „New Road“, heute Pentonville und City Road. Die sehr schlanke Verwaltungsstruktur hatte auch zur Folge, dass bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts keine übergeordnete Stadtentwicklungsplanung entstehen konnte. Die Struktur der Estates mit der Trennung von Grundeigentum und Immobilieneigentum war ohnehin so angelegt, dass sich die privaten Interessen der Grundeigentümer und die öffentlichen Interessen zumindest im Bereich des Städtebaus und der Stadterhaltung weitgehend deckten. Erst die Bemühungen um eine verbesserte öffentliche Hygiene und geordnete Abwasserentsorgung führten – 9 | Rasmussen 1937, S. 165–166
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nach dem bereits beschriebenen Modell der für übergeordnete Planungen staatlich eingesetzten Kommissionen – zur Einrichtung der „Metropolitan Commission of Sewers“, die mit der stadtweiten Abwasserentsorgung betraut wurde.10 Die „Commission of Sewers“ wurde 1855 vom „Metropolitan Board of Works“ abgelöst, und erst nachdem sich die Entsorgung der Abwässer über die Themse als unhaltbar erwiesen hatte, wurde die gesamte Londoner Kanalisation modernisiert. Das Metropolitan Board of Works war die erste Einrichtung, die längerfristig und mit stadtteilübergreifenden Kompetenzen ausgestattet arbeiten und planen konnte. Neben dem Bau der Kanalisation bekam das Metropolitan Board of Works stadtweit die Verantwortung für die Feuerwehr und die Slumsanierung. Das Metropolitan Board of Works war allerdings nicht demokratisch gewählt und mit zwei wesentlichen Problemen behaftet: Es hatte keine Planungshoheit, konnte den Einzelinteressen der Boroughs also nichts entgegensetzen, und es war korrupt. Dies war sowohl einigen Einzelpersonen sehr recht, namentlich denen, die mit Land spekulierten, und es lag auch im Interesse der lokalen Verwaltungen der Boroughs, die ihre Kompetenzen und ihre Entscheidungshoheit keinesfalls teilen wollten. Den Problemen einer rapide wachsenden Weltstadt war mit dieser Einrichtung nicht beizukommen, und auch dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der um die Jahrhundertwende bedrohliche Ausmaße angenommen hatte, nicht. Die Mechanismen der projektbezogenen Wohnungsund Stadtproduktion sorgten dafür, dass der private Markt nur Wohnraum für die Mittel- und Oberschicht herstellte. Die Stadt- oder Reihenhäuser, die auf diese Weise entstanden, waren schlicht zu teuer, um die ärmeren Schichten mit Wohnraum zu versorgen. Diese Lücke wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts teilweise von wohltätigen Anbietern geschlossen, bei10 | Es kam in London, wie in anderen europäischen Städten auch, verschiedentlich zu Ausbrüchen von Seuchen, insbesondere der Cholera. Seit 1832 mussten Abwässer auf Anordnung des Gesundheitsbeamten Edwin Chadwick zur Beseitigung in die Themse gespült werden, wo sie allerdings das Trinkwasser vergifteten, das hier entnommen wurde, und zu weiteren Cholerainfektionen führten. 1854 gelang es dem Arzt John Snow nachzuweisen, dass die Choleraepidemien auf bakterienverseuchtes Trinkwasser zurückzuführen waren, was Anlass dafür war, die Abwasserentsorgung und Wasserversorgung trotz des damit verbundenen Planungs- und Verwaltungsaufwandes kommunal einheitlich zu regeln.
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spielsweise dem Peabody Trust, dem Guinness Trust oder der Kirche, die kleine Reihenhäuser und in den Städten auch Geschosswohnungen für die Arbeiterschicht anboten, sogenannte „Tenements“.11 Das Metropolitan Board of Works wurde wegen der beschriebenen Mängel 1889 vom London County Council abgelöst,12 der ersten demokratisch gewählten, übergeordneten Versammlung Londons, die die Aufgaben des Metropolitan Board of Works übernahm und zusätzlich für die Schulen, die Stadtplanung, den ÖPNV und den Wohnungsbau verantwortlich war. Die Bauabteilung des London County Council wurde dann nach dem Zweiten Weltkrieg eines der europaweit führenden Architekturbüros für Wohnungsbau. Das London County Council wurde 1965 durch das Greater London Council ersetzt, das zwar einen größeren Stadtbereich umfasste, aber weniger Kompetenzen als das London County Council hatte, insbesondere auch in der Frage des Wohnungsbaus. Bemerkenswerterweise musste London dann zwischen 1986 und 2000 ganz ohne übergeordnete Planungsebene auskommen und hat erst seit 2000 wieder eine Planungsbehörde, die Greater London Authority, und einen Bürgermeister.
2.1.3 Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus Die in diesem Buch behandelten Beispiele sind oder waren soziale Wohnungsbauten, die vom London County Council (und nicht etwa von den Boroughs, auf deren Grund sie stehen) gebaut und verwaltet wurden, und alle sind heute ganz oder zu einem deutlichen Anteil privatisiert. Diese Situation ist so grundsätzlich anders als man sie in Deutschland kennt, dass Bereitstellung von sozialem Wohnungsbau in den einzelnen Phasen der Londoner Stadtentwicklung eine gesonderte, genauere Betrachtung verdient. Bis in die 1980er Jahre hinein stellte die öffentliche Hand den größten Teil des sozialen Wohnungsbaus direkt zur Verfügung, so dass dieser sich viel stärker mit den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen verändert hat, als dies auf dem privaten Sektor der Fall 11 | Carmona 2003, S. 58 12 | Die Komplikationen, die letztendlich zur Abschaffung des Metropolitan Board of Works und zur Einrichtung des London County Councils führten sind so vielfältig und kompliziert, dass sie hier nicht im Detail behandelt werden können.
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sein konnte. Nur in diesem Zusammenwirken von politischem Willen und öffentlichem Auftrag konnten in der Nachkriegszeit die wegweisenden Projekte des sozialen Wohnungsbaus entstehen, die sich deutlich von den durchschnittlichen, modernen sozialen Wohnungsbauten, aber auch den Produkten des privaten Sektors abheben.
Slumsanierungen und erste Soziale Wohnungsbauten Das London County Council war nach dem „Housing of the Working Classes Act“ von 1890 erstmals in der Lage, sozialen Wohnungsbau direkt anzubieten. Dies geschah in London, wie schon vorher bei den philanthropischen Anbietern, im Geschosswohnungsbau, was der Erkenntnis geschuldet war, dass sich nur so einigermaßen akzeptable Lebensbedingungen erzeugen ließen, die die Zielgruppe auch zu bezahlen imstande war. 1900 eröffnete das London County Council den Boundary Estate, den ersten kommunalen sozialen Wohnungsbau. Dieser ersetzte einen Slum, und die Lebensbedingungen hier waren tatsächlich besser als vorher. Aber die Zahl der angebotenen Wohneinheiten war niedriger als zuvor und die Wohnungen selbst waren für die vorher ansässigen Slumbewohner immer noch zu teuer, so dass sie gezwungen waren, weiter nach Osten zu wandern und die Überbelegung in den dortigen Slums zu vergrößern.13 Ein anderes frühes Projekt des London County Council ist der Millbank Estate in Pimlico, in direkter Nähe zu Themse. Neben Wohnungen entstanden hier auch öffentlich zugängliche Freiflächen, was von besonderer Bedeutung war, weil die privat entwickelten Gartenplätze der Estates eben nicht für jedermann zu benutzen waren.14 Das London County Council legte neben seiner Tätigkeit als Bauherr von Sozialwohnungen auch systematisch Gebiete für die Slumsanierung fest („Slum clearance“). Insbesondere nach dem 1919 Town Planning Act wurde unter der liberalen Regierung ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm gestartet, das mit Blick auf die Kriegsheimkehrer unter dem Motto „homes fit for heroes“ stand und den Qualitätsaspekt der Wohnungen damit in den Vordergrund stellte.15 Mit jedem Regierungswechsel änderte sich auch die Wohnungspolitik. So wurden beispielsweise mit dem 1923 Housing Act unter den Konser13 | Pevsner/Cherry/O’Brian 2005, S. 586–588 14 | Pevsner/Bradley 2003, S. 709–710 15 | Carmona 2003, S. 58
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vativen auch private Anbieter förderungsberechtigt, was sich dann schon 1924 unter Labour16 zugunsten des öffentlichen Sektors wieder änderte.17 Ab 1930 übernahmen die Boroughs die Verantwortung dafür, Programme zur Slumsanierung aufzulegen.18 Die Kennzeichnung von Slumsanierungs-Gebieten hatte dabei leider oft zur Folge, dass die Eigentümer in der Erwartung des baldigen Abrisses ihrer Häuser auch kleine Instandhaltungsarbeiten unterließen und sich die Lage für die Bewohner eher verschlechterte als verbesserte. Bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs wurden auf diese Weise trotz wechselnder politische Orientierungen über eine Million neuer Sozialwohnungen geschaffen und 1939 lag der Anteil des öffentlichen Sektors am Wohnungsmarkt bereits bei elf Prozent.19 Abbildung 3: Der Boundary Estate in Shoreditch (1900)
Quelle: Maren Harnack
Insgesamt hat sich in dieser Zeit eine Arbeitsteilung der Wohnraumversorgung herausgebildet, die für einige Jahrzehnte Bestand haben sollte: der eine Teil des Wohnungsneubaus entstand in Form von Reihenhäusern in immer suburbaneren Lagen und wurde von privaten Entwicklungsfirmen betrieben. Philanthropische Trusts und die öffentliche Hand versuchten, 16 | 1924 Housing Act 17 | Carmona 2003, S. 58 18 | 1930 Housing Act 19 | Carmona 2003, S. 59
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die ärmeren Bürger mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Die Wohnungen, die in diesem Segment entstanden, waren nicht unbedingt billiger als das Angebot auf dem unteren Segment des privaten Mietmarkts, aber durchweg von besserer Qualität. Weil sie zwar preiswert, aber nicht billig waren, zogen sie auch die untere Mittelschicht an, die sich zwischen kommunalen und privaten Anbietern entscheiden konnte. Während das Angebot, das der private Markt produzierte, weitgehend gleich blieb, wirkte der öffentliche Sektor als Innovationsträger und Vorbild in diesen Markt hinein. Diese Rolle hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch verstärkt. Zunächst wurden die Sanierungsbemühungen aber aufgehalten, so dass nach Kriegsende ein regelrechter Neuanfang im Wohnungsbau stattfinden konnte und musste.
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Neubeginn und Wiederaufbau Im Zweiten Weltkrieg wurden große, zum Teil zusammenhängende Flächen Londons zerbombt, im Londoner Osten und Süden um das Gebiet Elephant & Castle herum und in der City waren ca. ein Drittel der Gebäude zerstört. Der Osten und der Süden waren traditionelle Arbeiterquartiere, so dass diejenigen am stärksten von den Kriegsschäden betroffen waren, deren Situation vorher schon besonders schlecht war. Geplante Slumsanierungen waren während des Krieges auf Eis gelegt worden, so dass sich auch die Lage im nicht zerstörten Bestand nach Kriegsende noch deutlich verschlechtert hatte. Trotzdem wurde in dieser Situation die Sanierung bestehender Slums wiederum zurückgestellt, und dem Wiederaufbau der zerstörten Wohnquartiere wurde der Vorrang vor der Verbesserung bestehender Wohnungen gegeben. Auch nach dem Krieg wechselten konservative und Labour-Regierungen, aber allen gemeinsam war, dass sie sich in der Frage der Wohnungsversorgung durch den öffentlichen Sektor einig waren und den sozialen Wohnungsbau vorantrieben. Die konservative Regierung, die ab 1951 mit Harold Macmillan als Wohnungsbauminister die Regierung übernahm, gab das Ziel aus, jährlich 300 000 Wohnungen fertigzustellen, was schon 1951/52 erreicht wurde. 1954 waren 74 Prozent aller fertiggestellten Wohnungen Sozialwohnungen.20 Bis 1950 war die Ingenieursabteilung des London County Council für den Wiederaufbau zuständig. Die Architektenverbände übten immer 20 | Ebd.
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wieder Kritik an der mangelhaften gestalterischen und typologischen Qualität der Neubauten, bis schließlich 1950 die Architekturabteilung des London County Council die Verantwortung für den kommunalen Wohnungsneubau übernahm.21 Hier arbeiteten damals junge, ambitionierte Architekten, die den Ideen der Moderne verpflichtet waren. Die Mitglieder der London County Council Architekturabteilung unternahmen Reisen, beispielsweise nach Marseille, wo sie Le Corbusiers Unité d’Habitation sahen. Beeinflusst von diesen Reisen und den Gedanken der Moderne wurde die Abteilung zu einem der wegweisenden Wohnungsbaubüros in Großbritannien und in Europa.22 Die politische Konstellation war bis zur Reform des London County Council 1965 geradezu ideal, um modernen Wohnungs- und Städtebau zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen für großflächige Wiederaufbau- und Sanierungsprojekte (Flächenverfügbarkeit, Finanzierung, Genehmigungsverfahren) wurden zügig geschaffen, und die innovative, an den Leitlinien der Moderne orientierte Architektur der Bauabteilung wurde von den Entscheidungsträgern unterstützt. Planung, Administration und Ausführung lagen in einer Hand, das Baurecht wurde den Architekturentwürfen entsprechend gestaltet, und um die attraktiven Aufträge brauchte die Abteilung sich nicht einmal zu bemühen, weil sie von Amts wegen damit versorgt wurde.23 Hatte die Bauabteilung sich also für ein Projekt entschieden, gab es für die betroffenen Boroughs kaum eine Möglichkeit, dessen Realisierung zu stoppen oder auch nur die Architektursprache zu verändern. Selbst Projekte, die nicht von der London County Council Bauabteilung durchgeführt wurden, mussten den hier entwickelten Leitlinien entsprechen, so dass der Gestaltungseinfluss der hier beschäftigten Planer und Architekten weit über ihre eigene Arbeit hinaus reichte. Die Architekturabteilung des London County Council hatte hohe gestalterische Ansprüche an ihre Arbeit, und ihre Projekte wurden in der Fachpresse ausführlich publiziert. Der Entwurf für Roehampton beispielsweise, im Südwesten von London gelegen, war seinerzeit vorbildlich und wurde europaweit rezipiert.24 Hier fügen Punkthochhäuser und Wohnscheiben sich zu einem 21 | Architectural Review, 2/1950, S. 137 22 | Glendinning/Muthesius 1994, S. 3 23 | Ebd. 24 | Vgl. Wagner-Conzelmann 2007
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Ensemble von hoher Qualität, wobei sich zwei Grundtypen wiederholen und durch niedrigere Reihenhäuser und gestapelte Maisonettewohnungen, zum Teil mit Läden, ergänzt werden. Ähnliche oder fast identische Haustypen wie hier wurden in der Folge an vielen Orten der Stadt gebaut, wenn auch nicht immer in ähnlich schöner Umgebung wie in Roehampton, wo die Gebäude in vorhandenen Gartenanlagen von Capability Brown platziert wurden und in direkter Nähe zu Richmond Park stehen. Abbildung 4: Die Alton Estates in Roehampton (London County Council Architekturabteilung, 1959)
Quelle: www.flickr.com
Die hohe Dichte, die in den Projekten des Wiederaufbaus häufig durch Hochhausbauten zu erreichten versucht wurde, war der Erkenntnis geschuldet, dass man die Wohnsituation der Menschen nur verbessern konnte, indem man ihnen mehr Raum gab, und dass dies bei gleicher Baudichte zwangsläufig zu einem erheblichen unerwünschten Bevölkerungsrückgang und zur Verdrängungsproblemen führen würde. Dies war weder von der Verwaltung noch von den Bewohnern erwünscht, zumal nicht einmal mit den hohen Dichten, die gebaut wurden, alle Sanierungsbetroffenen in ihrer angestammten Umgebung bleiben konnten.25 So entstand zunächst eine Mischung, die als „mixed development“ bekannt geworden ist und vorsah, Singles, und kinderlose Paare in Hochhäusern oder Wohnscheiben unterzubringen, Senioren und junge Kleinfamilien in nied25 | Glendinning/Muthesius 1994, S. 176–177
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rigen Zeilen und Familien generell, sofern möglich, in Reihenhäusern.26 Diese Strategie wurde später aufgegeben und auch Familien bekamen Wohnungen in Hochhäusern, was wiederholt zu Kritik geführt hat, die sowohl gelegentlich in Untersuchungen bestätigt wurde27 als auch bei differenzierterer Betrachtung zu der Erkenntnis geführt hat, dass Hochhauswohnungen zwar für Familien wenig geeignet sind, aber für Paare ohne Kinder, Singles oder Studenten attraktiv sein können.28 Der Eindruck, dass der größte Teil der kommunalen Wohnungen in Hochhäusern untergebracht wurden, täuscht allerdings. In London waren nur ca. 25 Prozent der neuen Wohneinheiten Hochhauswohnungen, der Rest befand sich in niedrigen Mehrfamilienhäusern oder Reihenhäusern.29 Parallel zum Wirken des London County Council betrieben die Councils selbst Wiederaufbau und etwas später wurde dann auch die Sanierung bestehender Slums in Angriff genommen. Dabei konnten sie Architekten ihrer Wahl beauftragen, mussten die Planungen aber von London County Council genehmigen lassen und sich an die von hier vorgegebenen Flächenstandards und Dichtevorgaben halten. Die Architekturabteilung des London County Council gab die Verpflichtung, neben der Bereitstellung von ausreichend vielen Wohnungen immer auch gute Architektur zu erzeugen, an die Boroughs weiter. Die hier tätigen Kommunalpolitiker fassten diese Anforderungen häufig als unnötige Einschränkung auf und waren eher daran interessiert, ihren Wählern hohe Fertigstellungszahlen zu präsentieren.30 So ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch die Projekte der Boroughs durchweg und in ganz London den Linien des modernen Wohnungs- und Städtebaus folgen und heute vielfach sogar zu denkmalgeschützten Ikonen geworden sind. Bekannte und ausführlich publizierte Beispiele aus dieser 26 | Ebd., S. 26–28 27 | Am bekanntesten ist Alice Colemans „Utopia on Trial“, in dem sich die Autorin stark auf die Arbeit Oscar Newmans bezieht und nachweist, dass Geschosswohnungen für fast alle Probleme der modernen Gesellschaft verantwortlich sind, während sie der Viktorianischen Doppelhaushälfte genau die entgegengesetzten Eigenschaften zuschreibt. Coleman wurde für diese Arbeit umfassend kritisiert (siehe Baxter 2005), wird aber heute noch gerne von Gegnern des Hochhaus- und des Sozialwohnungsbaus zitiert. 28 | Jephcott 1971 29 | Glendinning/Muthesius 1994, S. 4 30 | Ebd.
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Zeit sind Churchill Gardens, Keeling House, der Golden Lane Estate, das Brunswick Centre, Trellick Tower, Barbican, Robin Hood Gardens, Loughborough Junction, Keeling House, Balfron und Trellick Tower.
Neue Strukturen: Das Greater London Council Die Fläche, die das London County Council umfasste, war für eine Stadt der Bedeutung Londons sehr klein, zu klein um die anstehenden Probleme des Wiederaufbaus, der Infrastrukturmodernisierung und der Wohnungsversorgung zu lösen. Daher lag es nahe, die Verwaltung Londons und des Umlands zu reformieren und zusammenzufassen. Abbildung 5: Grenzen der Boroughs im London County Council und Greater London Council
Quelle: eigene Darstellung
1965 trat die Borough Reform in Kraft, und das London County Council wurde zum Greater London Council. Mit dieser Reform wurden viele der ehemals sehr kleinen Boroughs zu größeren Einheiten zusammengelegt, weiter außen liegende Boroughs kamen hinzu. Die erste Wahl des Greater London Council führte aber nicht zu der möglicherweise gewünschten Übernahme durch die Konservativen, vor allem weil einige suburbane Gemeinden sich erfolgreich gegen die Einbeziehung in das Greater London Council wehrten. Die Macht des Greater London Council war insgesamt
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schwächer als die des London County Council. Die Verantwortung für den kommunalen Wohnungsneubau beispielsweise lag nach der Reform beim Greater London Council und den Boroughs gemeinsam. Die Boroughs hatten nach der Reform die volle Planungshoheit, und das Greater London Council musste mit ihnen kooperieren, wenn es Wohnungen bauen wollte.31 Viele der guten Architekten verließen frustriert die LCC-Bauabteilung, weil sich der vormals hohe gestalterische Anspruch nicht aufrechterhalten ließ, und wechselten entweder direkt zu den Boroughs oder aber in die freie Wirtschaft. Das Greater London Council beschränkte seine Bautätigkeit notgedrungen auf die ärmsten und am schwersten von Wohnungsnot und Kriegszerstörungen betroffenen Boroughs, namentlich Tower Hamlets und Southwark, denn diese waren auf die Hilfe stärker angewiesen als wohlhabendere Boroughs. In dieser Zeit (1964 bis 1971) wurden noch einmal massive Anstrengungen unternommen, um die anhaltende Wohnungsnot zu lindern, wobei das Augenmerk zunehmend darauf gerichtet wurde, möglichst viele Wohnungen zu bauen. Die neue Aufgabenverteilung stärkte die Position der Lokalpolitiker, die hohe Fertigstellungszahlen vorweisen mussten und die in den Qualitätsansprüchen der London County Council Architekturabteilung ein Hemmnis für die Wohnraumversorgung gesehen hatten.32 Ab 1967 wirkten auch die Förderrichtlinien darauf hin, mehr Hochhäuser zu errichten und so die Produktion von Wohnungen zu erhöhen.33 Das Greater London Council und die Boroughs, griffen auf industrielle Bausysteme zurück, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Wohnungen erstellen zu können. Die Projekte des sozialen Wohnungsbaus litten unter diesen Umständen doppelt: Erstens hatten die besten Architekten die Bauabteilung des Greater London Council verlassen und arbeiteten nun auf anderen Gebieten, und zweitens wurde beim Wohnungsneubau bisweilen so sehr gespart, dass die Benutzbarkeit litt. Die industrielle Systembauweise ließ ohnehin nur noch bestimmte Konstellationen von Gebäuden und Erschließungsvarianten zu, so dass sie nicht nur die technischen Mängel, sondern auch noch die monotone Erscheinung der Siedlungen ertragen
31 | Ebd., S. 274 32 | Ebd., S. 4 33 | 1967 Housing Subsidies Act. Vgl. Carmona 2003, S. 59
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mussten.34 Ebenfalls der Effizienz geschuldet waren die immer größeren Flächen, die am Stück abgebrochen und neu bebaut wurden. Nach all diesen Anstrengungen lag der Anteil der kommunalen Wohnungen in Großbritannien 1971 bei 31 Prozent und die öffentliche Hand war der größte Anbieter von Wohnraum geworden.35 Abbildung 6: Deckerschließung im Aylesbury Estate (1968–77)
Quelle: Maren Harnack
Die Reformideen der Moderne spielten auch in diesen späten Projekten noch eine Rolle, aber es fehlte das Geld, um sie auch im Detail wirklich zufriedenstellend umzusetzen. Die Einbindung in die Landschaft beispielsweise, die Roehampton noch heute attraktiv macht, beschränkte sich in den Projekten dieser Generation auf die Herstellung großer Rasenflächen, auf denen Ballspiele verboten sind.
34 | Vgl. beispielsweise Architectural Review vom September 1970. Hier wird der monotone Wohnungsneubau bereits offen und deutlich kritisiert: „…loom these off the peg statistical stack – numerical luminaries no doubt in the GLC’s absorption on London’s lengthening housing list. Unaffected by the sophistications of the yardstick-busting, prestige-seeking Thamesmead development down river […] modesty aims to satisfy – costs, numbers and speed of erection.“ 35 | Carmona 2003, S. 59
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Erheblicher Aufwand wurde hingegen betrieben, um die Fußgänger vom Straßenverkehr zu trennen.36 In fast allen Fällen hat dies Kriminalität begünstigt und zur Verunsicherung der Bewohner geführt. Die ins erste oder zweite Obergeschoss gelegte Fußgängererschließung war meistens so gestaltet, dass es zahlreiche, nicht einsehbare und häufig schlecht beleuchtete Zonen gab. Zusätzlich waren die verschiedenen Gebäude häufig durch Brücken miteinander verbunden, was die Verfolgung von Kriminellen unmöglich machte, da sie jederzeit über verschiedene, nicht vorhersehbare Routen flüchten konnten. In vielen Fällen wurden die Brücken wieder entfernt.37 Heute ist man bemüht, diese Siedlungen entweder komplett umzugestalten, die Erschließung zurück auf die Straße zu bringen und so die Erdgeschosszonen der Häuser zu beleben (ein preisgekröntes Beispiel ist Angell Town in Lambeth). In vielen Fällen erweist sich das als so teuer, dass erneut über Abriss und Neubau nachgedacht wird, wie im Falle des später näher beschriebenen Aylesbury Estates, aber auch anderswo. Am 16. Mai 1968 rüttelte das sogenannte „Ronan Point Disaster“ am bisherigen Selbstverständnis der Wohnungsbauer. Eine Gasexplosion in einem Fertigteil-Hochhaus im East End löste einen Einsturz mit Dominoeffekt aus, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Obwohl sich auch vorher schon Stimmen gemeldet hatten, die auf die mangelhafte Qualität der in Systembauweise gebauten sozialen Wohnungsbauten hinwiesen, gilt das Ronan Point Disaster noch heute als der Wendepunkt, an dem sich die allgemeine Stimmung gegen den Massenwohnungsbau gewendet hat. Die nachfolgende Untersuchung des Unglücks ergab, dass nicht das Bausystem versagt hat, sondern dass die Ausführung der Fügungsstellen so mangelhaft war, dass es zum Teileinsturz des Hochhauses kommen 36 | Beispielsweise die Beschreibung von Thamesmead in Architectural Design, November 1969, S. 608 „The routes for pedestrians are being planned as carefully as the routes for vehicles. They will run independently of the roads, through open space, over and under roads and also at an upper level through the high density development to link to the top of the river bank and the main level of the centre. These footpaths will serve schools, shops and playing fields so that movement on foot throughout the entire project will be pleasant and safe for all users.“ 37 | Siehe „Crime runs out“ (Guardian, 1. Februar 1996) Der Artikel berichtet über den Abbruch des ersten Verbindungsstegs im Aylesbury Estate und die damit verbundene Hoffnung, dass sich die Kriminalität reduzieren wird.
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konnte.38 In der Folge dieses Ereignisses wurden die Bauvorschriften dahingehend geändert, dass auch das Versagen einzelner Bauteile nicht zum Einsturz eines Hauses führen darf, eine Regelung, die heute die Sanierungskosten für die heruntergekommenen Systembauten dieser Ära zusätzlich in die Höhe treibt und deren Sanierung oft unrentabel macht. Die verschlechterte Wirtschaftssituation dieser Zeit machte sich auch bei den Ausgaben für die Instandhaltung bemerkbar. Zum Beispiel wurden Hausmeisterstellen eingespart oder Wartungsarbeiten zu selten oder unsachgemäß ausgeführt, was häufig zu Beeinträchtigungen für die Mieter führte, etwa wenn es zu Wasserrohrbrüchen oder verstopften Fallrohren kam oder im Winter die Heizung nicht ausreichend funktionierte. Der Nutzen der Kosteneinsparungen, die durch diese möglichst billige Bauweise erreicht wurden, wurde schon bald infrage gestellt.39 Mit der Auflösung des Greater London Councils im Jahre 1986 gingen die sozialen Wohnungsbauten in den Besitz der einzelnen Boroughs über, die fortan für Vermietung, Instandhaltung und Renovierung zuständig waren. Die neoliberale Politik Margaret Thatchers, die im nächsten Abschnitt genauer erläutert wird, hatte zur Folge, dass die Boroughs noch weniger als vorher in der Lage waren, ihren Wohnungsbestand zu pflegen und verschlimmerte die Situation in den Gebäuden nochmal deutlich. Festzuhalten bleibt, dass die Boroughs diese Entwicklungen kaum beeinflussen konnten. Insgesamt führten sie dazu, dass der soziale Wohnungsbau als solches und die Boroughs als Anbieter von sozialem Wohnungsbau nachhaltig diskreditiert wurden.
Privatisierung und das Right to Buy 1979 übernahmen die Konservativen die Regierung, und ihre Vorsitzende Margaret Thatcher wurde Premierministerin. Als eine der ersten Entscheidungen wurden massive Einsparungen im öffentlichen Wohnungsbau beschlossen, während gleichzeitig die Eigentumsbildung durch deutlich erhöhte Steuervergünstigungen gefördert wurde.40 Der Neubau von kommunalen Wohnungen kam damit zum Erliegen, nur bereits angefangene Projekte 38 | Ministry of Housing and Local Government 1968 39 | Beispielsweise „Cost cuts cause a concrete horror“ (Observer, 14. Januar 1975, S. 3) oder „Did Groucho Marx invent the Cost Yardstick?“ (The Architect, 04/1975, S. 30–33) 40 | Balchin/Rhoden 2002, S. 10–11
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wurden noch abgeschlossen. Schon 1980 zeichnete sich ein radikaler Politikwechsel ab. Mieter von kommunalen Wohnungen bekamen durch das sogenannte „Right to Buy“ das Recht, ihre Wohnung (meist 125 Jahre Erbpacht) oder ihr Haus (Realeigentum) mit erheblichen Rabatten zu erwerben.41 Die Boroughs wiederum durften zunächst nur 40 Prozent der Erlöse aus den Verkäufen in die Instandhaltung ihres Wohnungsbestandes oder in Wohnungsneubau investieren, 60 Prozent mussten für den Schuldenabbau verwandt werden.42 Dieses Verhältnis verschlechterte sich ab 1985 sogar auf 20 zu 80 Prozent.43 Einige Boroughs versuchten zwar, gegen den zwangsweisen Verkauf ihres Eigentums vorzugehen, aber 1982 wurde das Right to Buy gerichtlich bestätigt.44 Schon vor der Einführung des Right to Buy gab es die Möglichkeit, Sozialwohnungen zu kaufen. Allerdings gab es kein Recht der Mieter auf den Erwerb ihrer Wohnung, sondern die Boroughs konnten Wohnungen privatisieren, falls dies in ihre Strategie passte. Für den Fall, dass die ehemaligen Mieter ihre Wohnungen weiterverkaufen wollten, gab es eine Reihe von Restriktionen, zu denen gehörte, dass die Boroughs als Vorbesitzer ein Vorkaufsrecht hatten, und zwar zu dem ehemaligen Verkaufspreis zuzüglich der Kosten für möglicherweise unternommene Reparaturarbeiten.45 Einer der attraktivsten Aspekte des Right to Buy war sicher, dass es nach der Privatisierung der Wohnungen deutlich weniger Restriktionen über deren weiteren Verkauf gab, und dass selbst im Falle des vorzeitigen Weiterverkaufs der größte Teil der Wertsteigerung beim ehemaligen Sozialmieter blieb.46 Der großzügig gewährte Rabatt wurde als Hilfe für den Einzelnen verstanden, mittels derer er in die Lage gebracht werden sollte, sich fortan auf dem freien Wohnungsmarkt versorgen zu können. 41 | 1980 Housing Act. Mieter mussten länger als drei Jahre in ihrer Wohnung gelebt haben, um das Right to Buy ausüben zu können. Der Preisnachlass war abhängig von der Wohndauer und betrug 33 Prozent nach drei Jahren und 50 Prozent des aktuellen Marktwertes nach 20 Jahren (nach Balchin/Rhoden 2002, S. 188) 42 | Balchin/Rhoden 2002, S. 197 43 | Ebd., S. 200 44 | Boddy 1983 45 | Balchin/Rhoden 2002, S. 187 46 | Für den Fall, dass die Wohnung nach weniger als fünf Jahren weiterverkauft würde, musste ein Teil des Verkaufsgewinns an den Borough abgeführt werden (ebd., S. 188)
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Die einmal privatisierten Wohnungen waren damit aber auch dem Pool der günstigen, kommunal vergebenen Wohnungen entzogen. Während der Wohnungsmarkt zu Beginn der Privatisierung zunächst entspannt war, führte die Politik Thatchers schon bald dazu, dass der Bedarf an Sozialwohnungen stieg. Dem steigenden Bedarf stand nun ein schrumpfender Bestand an Sozialwohnungen gegenüber,47 aus dem zudem die attraktivsten Bestände aufgekauft wurden. Diejenigen, die das Glück hatten, eine „gute“ Wohnung oder ein Reihenhaus zu bewohnen, konnten diese mit erheblichen Gewinnen auf dem freien Markt weiterverkaufen, und die Immobilie war unter Umständen nicht einmal als ehemalige Sozialwohnung erkennbar. Als 1986 das Greater London Council aufgelöst wurde, musste London bis zum Jahr 2000 ganz ohne eine übergeordnete Planungsinstanz auskommen. Fragen, die über die Zuständigkeit der Boroughs hinausgingen, wurden direkt auf der Ebene der Nationalregierung geregelt oder von verschiedenen Kommissionen, die einzelne Aspekte der übergeordneten Verwaltung koordinierten, beispielsweise die Abfallentsorgung. Die vorher vom der Greater London Council verwalteten sozialen Wohnungsbauten gingen in den Besitz und die Verwaltung der jeweiligen Boroughs über. Theoretisch wurden die Häuser renoviert übergeben, praktisch waren mit dem Übergang häufig Streitigkeiten über die Zuständigkeit für noch nicht ausgeführte Reparaturen verbunden, deren Durchführung sich zum Nachteil der Bewohner oft noch über Jahre hinzog. Obwohl die Kaufpreise für die Sozialmieter sehr niedrig lagen, mussten die meisten von ihnen den Wohnungskauf durch Hypotheken finanzieren, die die Boroughs vermittelten. Die Mieter kauften zunächst gerne, denn die Belastungen durch Zinsen und Rückzahlung waren häufig niedriger als es ihre Miete vorher war. Dies betraf anfangs vor allem Reihenhäuser, was die Regierung 1986 dazu veranlasste, die Preisnachlässe für Wohnungen heraufzusetzen.48 1988 wurden die Rabatte nochmals angehoben, um 47 | Von 1991 bis 2007 sank die Zahl der kommunalen Sozialmietwohnungen von 703 000 auf 551 000. Die Zahl der von kommunalen und gemeinnützigen Anbietern angebotenen Mietwohnungen sank im selben Zeitraum von 851 000 auf 744 000. Quelle: http://www.communities.gov.uk/housing/housingresearch/ housingstatistics/housingstatisticsby/stockincludingvacants/livetables/ 48 | Mieter von Wohnungen konnten schon nach zwei Jahren kaufen und bekamen 44 Prozent Rabatt (maximal 25 000 GBP), der Wiederverkauf war schon nach drei
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insbesondere die Privatisierung von Wohnungen anzukurbeln, so dass der Anteil der Geschosswohnungen an den Verkäufen insgesamt stieg.49 1989 wurde der maximale Preisnachlass bei Verkäufen durch das Right to Buy nochmals angehoben und auf 50 000 Pfund bezogen auf den aktuellen Marktwert festgesetzt, aber die Zahl der Verkäufe ging weiter zurück.50 Dies war auf die allgemein schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen, die besonders die verhältnismäßig armen Mieter in Sozialwohnungen betraf. Auch der Immobilienboom kam zum erliegen, am deutlichsten daran zu erkennen, dass die Firma Olympia & York 1992 mit der Entwicklung von Canary Wharf spektakulär in Konkurs ging. Als Gegenleistung zu ihrem verbesserten Status mussten die neuen Eigentümer sich allerdings an den Instandhaltungskosten beteiligen, und der vermeintlich günstige Kauf erwies sich vor allem, wenn es sich um Wohnungen in Hochhäusern handelte, unter Umständen als schwer kalkulierbare Verpflichtung, vor allem wenn größere Investitionen anstanden, wie etwa die Erneuerung der Aufzüge, Dächer oder Fassaden.51 Die Einflussmöglichkeiten der Käufer auf die Art und das Ausmaß der Renovierungsarbeiten blieben in diesen Fällen sehr begrenzt, da die Boroughs Eigentümer des Grundstücks geblieben waren und die Einzeleigentümer nur Erbpachtverträge für ihre Wohnung abgeschlossen hatten. Die Eigentümer waren und sind in diesen Fällen zwar verpflichtet, Reparaturen nur in angemessenem Umfang durchzuführen und diese ordnungsgemäß auszuschreiben und zu vergeben, die Boroughs sind als Eigentümer aber auch an die öffentlichen Vergaberichtlinien gebunden, was das Vorgehen statt wie bisher fünf Jahren ohne Restriktionen möglich (Balchin/Rhoden 2002, S. 200). 49 | Die Preisnachlässe waren für Mieter von Häusern nach zwei Jahren 32 Prozent und nach 15 Jahren 60 Prozent. Mieter von Wohnungen erhielten 44 Prozent nach zwei Jahren und 70 Prozent nach 15 Jahren. Der maximale Nachlass wurde auf 40 000 GBP angehoben (ebd., S. 203). 50 | Besonders markant war der Rückgang von 133 800 Verkäufen 1989/90 auf 76 330 Verkäufe 1990/91 und 48 290 Verkäufe 1991/92. Quelle: http://www. communities.gov.uk/housing/housingresearch/housingstatistics/housingstati sticsby/socialhousingsales/livetables/(22. Februar 2010) 51 | Balchin/Rhoden 2002, S. 195. Siehe auch „When a cheap home leaves you flat broke“ (Guardian, 14. Mai 2002) unter http://society.guardian.co.uk/housing/ story/0,7890,1483575,00.html (2. September 2007)
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langsamer, unflexibler und letztendlich auch teurer macht, als es in einem rein privaten Mehrfamilienhaus der Fall wäre. Einige Boroughs richteten zunächst Instandhaltungsfonds ein, wie es auch in Deutschland Praxis ist. Da den Boroughs selbst aber die Mittel fehlten, um ihren Anteil an den notwendigen Reparaturen zu bezahlen, verbesserte sich die Situation in den Häusern durch die neuen Eigentumsverhältnisse zunächst gar nicht. Viele der neuen Eigentümer waren also gezwungen, weiterhin in heruntergekommenen Häusern zu leben, und sie waren weiterhin darauf angewiesen, die notorisch finanzschwachen Boroughs dazu zu bringen, Geld für Pflege und Unterhalt der Gebäude aufzubringen. Wenn nach Jahren der Vernachlässigung die Kosten für Reparaturen dann um ein Vielfaches höher lagen, als sie es bei sachgemäßer Pflege je gewesen wären, mussten sie zudem für die Versäumnisse mit aufkommen und ihren Anteil der Rechnung bezahlen. Die mangelhafte Instandhaltung der sozialen Wohnungsbauten durch die Boroughs führte dazu, dass die neuen Einzeleigentümer das Geld, das sie in Rücklagenfonds eingezahlt hatten, zurückverlangten. 1995 wurde gerichtlich bestätigt, dass die Mittel tatsächlich zurückgezahlt werden müssen, sofern nicht Renovierungsarbeiten in Angriff genommen wurden. Da den Boroughs weiterhin das Geld fehlte, um ihren Anteil an Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten zu zahlen, wurden die Fonds aufgelöst, und die Einzeleigentümer müssen sich seither fallweise an den Instandhaltungskosten beteiligen. Der Nachteil dieser Lösung ist, dass die Summen, die für größere Reparaturen aufgebracht werden müssen, nicht vorab angespart werden können. Wenn es dann zu Renovierungsarbeiten kommt, sind die Kosten häufig so erheblich, dass die Einzeleigentümer sie nicht ohne weiteres aufbringen können und entweder neue Kredite aufnehmen müssen oder gezwungen sind, ihre Wohnungen weiterzuverkaufen, falls sie einen Käufer dafür finden. Hier zeigte sich bald ein weiteres Problem der privatisierten Wohnungen: Die Hypothekenverträge der ehemaligen Sozialmieter waren durch die Vermittlung der Boroughs zustande gekommen, die als Garanten für die Rückzahlung auftraten. Wollten die neuen Eigentümer ihre Wohnungen weiterverkaufen, mussten die nächsten Käufer, falls sie nicht in der Lage waren, bar zu bezahlen, eine Bank finden, die den Verkauf ohne den Borough als Mittler finanzierte. Dies erwies sich in der Praxis als schwierig, und eine Verpflichtung seitens der Boroughs, die Wohnungen zurückzukaufen, bestand und besteht nicht. Für ehemalige Mieter, die sich (ge-
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messen an ihrem Einkommen) mit dem Wohnungskauf hoch verschuldet hatten, konnten Situationen wie diese existentielle Probleme aufwerfen, etwa wenn sie beruflich bedingt umziehen mussten und ihre Wohnung in einer Gegend lag, in der sie sie aufgrund mangelnder Nachfrage nicht vermieten konnten.52 Im hier untersuchten Gebiet des ehemaligen London County Council ist mangelnde Nachfrage allerdings kein Problem, da die Nachfrage nach Wohnraum auch über diesen zentralen Londoner Stadtbereich hinaus sehr hoch ist. Für viele, die also eine vermeintlich günstige Wohnung gekauft hatten, entpuppte sich das großzügige Geschenk der Regierung schnell als Bumerang. Dennoch hat es auch Vorteile gegeben, denn die Tatsache, dass zumindest einige Bewohner nun mit ihrem Vermögen an den Häusern beteiligt waren, hat vielfach auch dazu geführt, dass die Bewohnervertretungen, die „Residents’ Associations“ effizienter arbeiteten oder überhaupt erst gegründet wurden. Daneben hat die Privatisierung durch das Right to Buy auch heute noch gravierende Auswirkungen auf die Siedlungen des Sozialen Wohnungsbaus. Da sich in so gut wie jedem Gebäude einzelne Wohnungen in privater Hand befinden, sind die Möglichkeiten der Boroughs, ihren Gebäudebestand zu sanieren oder gar zu ersetzen stark eingeschränkt. Für den Fall, dass Häuser abgebrochen werden, müssen die Einzeleigentümer zum Marktpreis entschädigt werden, was die finanziellen Möglichkeiten der meisten Boroughs bei weitem übersteigt. Auch im Falle größerer Reparaturen müssen die Eigentümer konsultiert werden, und für den Fall, dass sie mit dem Umfang oder den Kosten der Arbeiten nicht einverstanden sind, kommt es häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Eines der größten Probleme dieser Politik ist, dass vor allem die attraktiven Wohnungen privatisiert wurden und nur die weniger attraktiven weiterhin für die verbleibenden und zukünftigen Sozialmieter zur Verfügung stehen. Während die Bewohnerschaft vorher relativ gut durchmischt war, hat sich der Bestand seit Beginn der Privatisierungspolitik in zwei grundlegend unterschiedliche Richtungen entwickelt: der attraktivere Teil der Sozialwohnungsbauten hat den Weg auf den freien Markt geschafft und wird dort gehandelt, wobei die Banken die Käufe und Verkäufe bereitwillig 52 | „When a cheap home leaves you flat broke“ (Guardian, 14. Mai 2002) http:// society.guardian.co.uk/housing/story/0,7890,1483575,00.html (2. September 2007
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finanzieren. Im weniger attraktiven Teil konzentrieren sich vornehmlich die sozial schwächeren, problembelasteten Gruppen, die unter den Bedingungen extrem angestiegener Wohnungsknappheit und geschrumpften Sozialwohnungsangebot überhaupt noch in den Genuss einer geförderten Wohnung kommen.53 Schon 1986, also noch unter der konservativen Regierung wurde das „Right to Buy“ durch das weniger vorteilhafte „Right to Acquire“ ergänzt, dass den Verkauf von Wohnungen an Mieter von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften regelt.54 Die Unterschiede zwischen dem Right to Buy und dem Right to Acquire bestehen vor allem hinsichtlich der Dauer, die der Mieter bereits in einer Sozialwohnung verbracht haben muss, bevor er die Wohnung kaufen kann, die von zwei auf fünf Jahre verlängert wurde. Außerdem gibt es gegenüber dem Right to Buy verlängerte Fristen für den Weiterverkauf der mit dem Right to Acquire erworbenen Wohnungen, während denen der Preisnachlass anteilig zurückgezahlt werden muss, und die erst nach fünf Jahren vollständig abgelaufen sind. 1997 gab es das erste Mal seit fast zwanzig Jahren wieder eine LabourRegierung mit Tony Blair als Premierminister. Da das Right to Buy die größte staatliche Einzelsubvention war, die ein Individuum bekommen konnte, erfreute es sich allgemein großer Beliebtheit und wurde auch von der neuen Regierung beibehalten. Die Prozentsätze der Preisnachlässe für das Right to Acquire und das Right to Buy blieben erhalten, aber die absoluten Obergrenzen wurden erheblich herabgesetzt.55 Heute sind die Privatisierungen durch das Right to Buy weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Immobilienpreise sind unterdessen so stark angestiegen, dass es für Sozialmieter auch mit den Preisnachlässen schwierig ist, ihre Wohnung zu erwerben. Außerdem ist der frühere Vorteil, dass die monatlichen Belastungen mit dem Kauf zunächst niedriger lagen, sicher nicht mehr gegeben; die Kreditraten würden sogar deutlich über den Mieten liegen, und der einzige mögliche Kaufanreiz könnte in 53 | Office of the Deputy Prime Minister 2005, S. 31–33 und Balchin/Rhoden 2002 219–223 54 | 1986 Housing Act. Siehe auch www.communities.gov.uk/housing/buing selling/ownershipschemes/righttoacquire 55 | Zunächst auf 38 000 GBP in den prosperierenden Regionen und 22 000 in den ärmeren (1999 Housing Order), dann auf 16 000 und 9000 GBP (2001 Housing Order)
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einem noch weiter gestiegenen zukünftigen Immobilienwert liegen, was angesichts der Immobilien- und Finanzkrise nicht mehr so selbstverständlich angenommen werden kann wie noch vor wenigen Jahren.
Eine neue Rolle für gemeinnützige Anbieter Parallel zum Rückgang des kommunalen Wohnungsbaus wurde die Aufgabe, Wohnraum für diejenigen anzubieten, die sich auf dem freien Markt nicht versorgen konnten, auf die gemeinnützigen Anbieter verlagert. Wie bereits erwähnt, waren sie in Großbritannien die ersten Anbieter von sozialem Wohnungsbau, wurden durch die Aktivitäten des öffentlichen Sektors zwischen 1900 und 1970 aber verhältnismäßig unbedeutend. Schon vor der Regierungsübernahme durch die Konservativen 1979 wurde ihre Rolle wieder gestärkt und ist seither beständig gewachsen. 1964 wurde die Housing Corporation gegründet und es entstand das erste Kreditprogramm für Wohnungen mit Kostenmiete. Mit dem 1974 Housing Act wurde ein umfassendes Programm eingeführt, dass es den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften ermöglichte, wie die kommunalen Anbieter zu agieren und umfangreiche Subventions- und Finanzierungsprogramme in Anspruch zu nehmen. Vorher hatten sie sich vor allem auf Randgruppen konzentriert und Altenwohnungen oder Wohnungen für andere spezielle Bedürfnisse angeboten.56 Als Margaret Thatcher 1979 Premierministerin wurde, waren die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften schon zu wichtigen Anbietern von Sozialwohnungen geworden. Die Finanzierung war zunächst sehr komfortabel und risikolos, was auch während der ersten zwei Legislaturperioden der konservativen Regierung so blieb. Dann setzte sich auch auf diesem Sektor eine stärker neoliberale Politik durch, die die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften dazu zwang, stärker mit privaten Geldgebern zu kooperieren.57 Auf diese Weise wurden der Verwaltungsaufwand und das Risiko für die Anbieter deutlich vergrößert.58 Sowohl für die Bewertung von Projekten wie auch für die Mittelvergabe gibt es rigorose Richtlinien und Normen und detaillierte Vorgaben, wie Formulare auszufüllen und Unterlagen einzureichen
56 | Carmona 2003, S. 60 57 | 1988 Housing Act 58 | Vgl. Carmona 2003, S. 62
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sind.59 Die Kostenmiete der heute neu entstehenden Wohnungsbauten liegt so über den finanziellen Möglichkeiten der Sozialmieter, und die meisten müssen Wohngeld beantragen, was die angespannten Haushalte der Boroughs belastet, die so weiterhin beachtliche Summen für den sozialen Wohnungsbau ausgeben müssen. Abbildung 7: Der Wild Street Estate des Peabody Trusts in Covent Garden (1882)
Quelle: Maren Harnack
Die Bedeutung der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften hat sich durch die Programme zum „Large Scale Voluntary Transfer“60 weiter gesteigert. Vor dieser Zeit hatten sie ihren Bestand durch eigene Bautätigkeit und zu einem geringen Teil durch die Renovierung von Gebäuden aufgebaut. Durch die Übertragung ehemals kommunaler Wohnungen an die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften ist deren Anteil am Gesamt59 | Carmona 2003, S. 63–65, Office of the Deputy Prime Minister 2005b, S. 216 60 | Die Programme zum Large Scale Voluntary Transfer begannen mit dem 1988 Housing Act und dauern bis heute an.
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volumen des Wohnungsmarktes gewachsen, aber auch die Probleme mit denen sie fertig werden müssen. Obwohl Anbieter wie der Peabody Trust immer noch vorbildliche Projekte realisieren, hat die Qualität der Versorgung insgesamt fast zwangsläufig abgenommen. Auch der Verwaltungsaufwand ist in einem Maße gestiegen, dass es kleineren Gesellschaften unmöglich macht staatliche Förderung zu erhalten, während die größeren zunehmend wie normale Wirtschaftsunternehmen agieren müssen. Die Situation bei dem kurz „Stock Transfer“ genannten Voluntary Large Scale Transfer hat sich heute zugespitzt. In den Fällen, in denen die Übertragung problemlos und ohne Widerstand der Mieter möglich war, ist sie heute weitgehend abgeschlossen, und in den Fällen, in denen sie heute vorgenommen werden soll, kommt es meistens zu Widerstand der Bewohner. Viele hatten erwartet, dass mit der Regierungsübernahme durch Labour die Boroughs als Anbieter von sozialem Wohnungsbau wieder gestärkt würden, aber die neue Regierung behielt die Transferprogramme bei.61 Die Möglichkeit, an Förderprogrammen teilzunehmen und Investitionshilfen für die Sanierung von sozialen Wohnungsbauten zu bekommen, war auch unter Labour davon abhängig, dass das Eigentum an den fraglichen Wohnungen an eine private oder gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft übertragen wird. Dem müssen die betroffenen Mieter zustimmen, die so oft die Wahl zwischen einer renovierten Wohnung mit neuem Vermieter und dem bisherigen Vermieter in einem allerdings weiter herunterkommenden Wohnumfeld mit den dazugehörigen Problemen haben. Obwohl die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in England eine lange Tradition haben, bestehen seitens der Mieter erhebliche Vorbehalte, die sich einerseits auf die Sicherheit ihres Mietverhältnisses und mögliche Mieterhöhungen beziehen. Andererseits, wenn die alten Wohnungen abgerissen werden müssen, fürchten viele, dass sich auch die Wohnungsstandards verschlechtern, etwa in der Raumgröße oder der Zahl der Zimmer, die ihnen angeboten werden. Die Abstimmungsverfahren zum Stock Transfer sind so Anlass für heftige Auseinandersetzungen und regelrechte Wahlkampagnen, und selbst fast zwanzig Jahre Erfahrung mit dem Programm haben die Vorbehalte gegenüber gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften bei den Mietern nicht ausräumen können.62 Am Beispiel des „Aylesbury Estate“ werden die mit dem Stock Transfer verbundenen Konflikte deutlich. 61 | Balchin/Rhoden 2002, S. 224 62 | Vgl. Ambrosio 1999, S. 60
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2.2 S TADTERNEUERUNG IM Z EICHEN DER P RIVATISIERUNG Obwohl der soziale Wohnungsbau systematisch zurückgeschraubt wurde, waren die Mängel im Bestand so gravierend, dass immer wieder staatliche Förderprogramme aufgelegt wurden, die entweder die Renovierung von Wohnungen ganz allgemein förderten oder aber speziell die Situation im sozialen Wohnungsbau verbessern sollten. Fast alle diese Programme waren (oder sind) wiederum daran gebunden, dass die durch sie geförderten Bestände privatisiert sind oder aber werden. Dem zugrunde liegt die Vorstellung, dass die Boroughs nicht mehr selbst als Anbieter von Wohnraum auftreten, sondern eine eher strategische Rolle einnehmen sollen. Um dies zu erreichen, wurden zwar die Finanzmärkte dereguliert, insbesondere auch der Markt für Hypotheken zu Immobilienfinanzierung, gleichzeitig wurden aber gerade für die Boroughs und später auch für die gemeinnützigen Anbieter von Sozialwohnungen eine Fülle von neuen Restriktionen geschaffen, die einerseits die Instandhaltung und den Neubau einschränkten, andererseits den Verwaltungsaufwand in die Höhe trieben. Obwohl der gemeinnützige Sektor die Rolle der kommunalen Anbieter teilweise übernehmen konnte, ist das Angebot an Sozialwohnungen insgesamt gesunken.63 Das erste derartige Programm, das von 1985–1994 unter der konservativen Regierung lief, und das speziell auf die Probleme großer Sozialsiedlungen abgestimmt war, war Estate Action. Es stellte großzügig Mittel zur Verfügung, um heruntergekommene Wohnungen zu sanieren, verlangte aber gleichzeitig eine so umfangreiche Komplementärfinanzierung durch die Boroughs, dass diese faktisch gezwungen waren, die sanierten Bestände entweder als Eigentumswohnungen zu verkaufen oder aber gemeinnützigen Anbietern zu übertragen, die sie dann weiter als Sozialwohnungen betreiben konnten.64 Insofern kann das Programm Estate Action auch als eine Strategie verstanden werden, die in Übereinstimmung mit der weiteren konservativen Politik die Wohnungsbestände, die nicht ohne weiteres
63 | 1981 gab es 6,6 Millionen kommunale Wohnungen, 1991 5,6 Millionen und 2001 waren es nur noch 5,1 Millionen (Carmona 2003, S. 56) 64 | Die Mittel im Programm Estate Action betrugen zunächst nur 50 Mio GBP, wuchsen aber stetig und betrugen zum Ende des Programms 373 Mio. GBP. Für eine detaillierte Darstellung siehe Balchin/Rhoden 2002, S. 211
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Käufer fanden, so attraktiv machen sollte, dass sie für eine Privatisierung überhaupt erst infrage kamen. Abbildung 8: Umgebaute Deckerschließung in Angell Town, London (ca. 2008), finanziert über Estate Action
Quelle: Maren Harnack
Mit dem Housing Act von 1988 wurden weitere Instrumente geschaffen, um Sozialwohnungen aus dem Verantwortungsbereich der Boroughs herauszulösen, häufig auch, um sie zu sanieren und anschließend zu verkaufen. Die sogenannten Housing Action Trusts funktionieren analog zu den Urban Development Corporations, wie sie zur Entwicklung der New Towns oder später der Docklands eingesetzt wurden. Dabei handelt es sich um Körperschaften, die direkt der Nationalregierung unterstellt sind und so die Sanierung und Privatisierung von Sozialwohnungen betreiben können, ohne auf die Zustimmung der Eigentümer (also der Boroughs) angewiesen zu sein. Ebenfalls seit 1988 konnten Sozialwohnungen im bereits beschriebenen Large Scale Voluntary Transfer an gemeinnützige Anbieter übertragen werden.65 Für die Boroughs war diese Option attraktiv, weil sie damit nicht nur ihr Wohnungseigentum verloren, sondern gleichzeitig auch aller Instandhaltungspflichten ledig waren, denen sie ohnehin nicht nachkommen konnten. Die neuen Eigentümer, in der Regel wiederum gemeinnützige Anbieter, erhielten und erhalten in den meisten Fällen staatliche Zuschüsse, um die Bestände sanieren zu können, müssen einen Teil der Instandsetzungskosten aber auch durch Wohnungsverkäufe 65 | Ebd., S. 215
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refinanzieren.66 Auch die Mieter können seit 1988 den Wechsel zu einem neuen Eigentümer verlangen (Tenants’ Choice). Obwohl die gemeinnützigen Anbieter zunächst nicht mehr als jeweils 10 000 Wohnungen in ihrem Bestand haben sollten, um eine gute Zusammenarbeit zwischen Mietern und Wohnungsgesellschaft zu garantieren, hat sich mittlerweile gezeigt, dass sie sehr häufig gezwungen sind, wie kommerzielle Anbieter zu agieren, so dass es auf diesem noch recht jungen Markt bereits zu Fusionen gekommen ist und weiterhin kommen wird.67 Erst seit 1996 können die Mieter von Sozialwohnungen auch eine eigene Verwaltungsgesellschaft gründen, die das Tagesgeschäft der Hausverwaltung besorgt, während die Boroughs weiterhin für strategische Entscheidungen zuständig bleiben. Damit behalten die Mieter deutlich mehr Kontrolle über ihre Wohnungen, als es im Falle der Übertragung an einen neuen Eigentümer der Fall wäre, sind aber weiterhin den chronischen Finanzierungsschwierigkeiten der Boroughs ausgesetzt.68 Allerdings gibt es Förderprogramme, die diesen Verwaltungsgesellschaften zugänglich sind, zu denen die Boroughs selbst aber keinen Zugang haben.
2.3 D IE L AGE BLEIBT ANGESPANNT : S OZIALER W OHNUNGSBAU HEUTE Obwohl nach der Regierungsübernahme durch Labour viele erwartet hatten, dass der kommunale Wohnungsbau wieder ein wichtigere Rolle spielen und die Frage von bezahlbarem Wohnraum an Bedeutung gewinnen würde, hat sich die Wohnungssituation nicht entspannt. Trotz vieler unterschiedlicher Programme ist der soziale Wohnungsbau in England eingeklemmt zwischen der Notwendigkeit, erschwingliche Wohnungen bereitzustellen und dem Anspruch, dies unter den Bedingungen eines möglichst wenig regulierten Marktes und möglichst geringer direkter Beteiligung der öffentlichen Hand zu tun. Der Markt ist noch dazu dadurch verzerrt, dass das Wohnen im Eigentum fiskalisch seit Jahrzehnten besser gestellt wird als die Miete, weil Steuererleichterungen nicht in dem gleichen Maße als Subventionen behandelt werden wie es bei direkten Finanzhilfen für den 66 | Office of the Deputy Prime Minister 2005b, S. 149 67 | Balchin/Rhoden 2002, S. 214 68 | Ebd., S. 250
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sozialen Wohnungsbau der Fall ist. Die Erwartung, günstigen Wohnraum ohne zusätzliche Kosten für die öffentliche Hand bereitstellen zu können, lebte auch nach dem Ende der extrem neoliberalen Politik Thatchers fort und führte häufig zu qualitativ minderwertigen Ergebnissen, unter denen diejenigen, die keine Wahl haben, leiden müssen. Dennoch zielten die nach der Machtübernahme durch Labour aufgelegten Programme im Vergleich zu denen der Konservativen eher darauf ab, die Situation für die Bewohner zu verbessern und diesen dann auch zu ermöglichen, in ihrer Umgebung zu bleiben. Die Boroughs als Eigentümer von sozialem Wohnungsbau wurden dabei nicht mehr so offensichtlich benachteiligt, wie es unter den Konservativen der Fall war, die strukturellen Probleme und fiskalischen Verzerrungen bestanden aber weiter, so dass sich die Situation nicht grundlegend geändert hat. Schon im Wahlkampf kündigte Labour das wichtigste neue Programm der nächsten Jahre an, den sogenannten „New Deal for Communities“. Ähnlich wie bei dem deutschen Programm „Soziale Stadt“ sollten hier ressortübergreifend beispielhafte Strategien und Lösungen für mehrfach benachteiligte Stadtteile erarbeitet werden.69 Die Projekte arbeiteten in verschiedenen Bereichen der Förderung, von denen die bauliche Umgebung nur einer war. Hier konnten aus dem Programm heraus vor allem Planungsprozesse initiiert und finanziert werden. Falls für Baumaßnahmen weitere Mittel nötig waren, mussten diese separat eingeworben wurden, womit die Finanzierungsprobleme aus der Zeit der Konservativen fortgeschrieben werden und die Privatisierung an gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften für die meisten Boroughs weiterhin ohne Alternative blieb.70 Auch Programme wie „Decent Homes“,71 das Mindeststandards (unter anderem Energieverbrauch und Ausstattung) für Sozialwohnungen ebenso 69 | 1998 wurden zunächst 17 Pilotstandorte ausgewählt, 1999 22 weitere. Die hier erarbeiteten Lösungen sollen später auch an anderen Standorten eingesetzt werden können (Balchin/Rhoden 2002, S. 214; Office of the Deputy Prime Minister 2005b, S. 149 70 | Ausführlich siehe www.neighbourhood.gov.uk/page.asp?id=617 (6. September 1997) 71 | Das Programm entstand, um die im Housing Green Paper verankerten Ziele für den sozialen Wohnungsbau umzusetzen. Darin wurden allerdings neben der angemessenen („decent“) Ausstattung auch der Neubau erschwinglicher Wohnungen, der verbesserte Zugang zu Sozialwohnungen und ein transparenteres Mietsystem
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verbindlich festlegt wie den Zeitpunkt 2010, an dem diese Standards erreicht sein müssen, verbessern zwar vordergründig die Wohnqualität für Sozialmieter, führen aber dazu, dass die Boroughs wiederum Wohnungen privatisieren müssen, um für den Rest ihrer Bestände den „Decent Homes“ Standard überhaupt finanzieren zu können. Abbildung 9: Der kommunale Wohnungsbau geht beständig zurück, im privaten Sektor stagnieren die Fertigstellungszahlen.
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Quelle: eigene Darstellung nach CABE
Wegen des geringen finanziellen Spielraums der Boroughs, der ihnen kaum erlaubt, neue Sozialwohnungen zu bauen oder ihre Bestände zu sanieren, ist in den letzten Jahren das Abschöpfen von Planungsgewinnen immer wichtiger geworden, eine Möglichkeit, die es schon seit 1990 gibt. Dabei werden Baugenehmigungen an Bedingungen geknüpft, beispielsweise an die Errichtung von Kindergärten, Gemeinschaftseinrichtungen72 und seit 1998 auch Sozialwohnungen.73 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass kommerzielle Investoren Infrastruktur und Wohnungen grundsätzlich effizienter bereitstellen können, als die Boroughs selbst, und dass sich ein für alle befriedigendes Ergebnis über privatrechtliche Verträge erzielen lässt. Tatsächlich hängt die Qualität der Ergebnisse, die über diesen Weg erzielt werden, sehr stark vom Verhandlungsgeschick der Parteien und deren Rechtsberatern ab. Tendengefordert, wovon vor allem die beiden erstgenannten ohne radikal andere Politikvorgaben und Förderbedingungen kaum zu verwirklichen sind. (DETR 2000) 72 | Town and Country Planning Act 1990, Section 106. Die Verträge, die in diesem Rahmen zwischen Genehmigungsbehörde und Investor geschlossen werden, sind allgemein als „Section 106 Agreements“ bekannt. 73 | DETR 1998: Planning and Affordable Housing
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ziell bestehen seitens des Investors aber Anreize zum Bau minderwertiger Einrichtungen und Wohnungen, zumal die Förderbedingungen der Housing Corporation umgangen werden können und die Investoren die Gebäude zwar herstellen, langfristige Probleme aber von den späteren Betreibern, meist gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, gelöst werden müssen.74 Die Förderung von preisgünstigem Wohneigentum wurde in den letzten Jahren verstärkt auch auf das sogenannte „Shared Ownership“ ausgedehnt, bei dem mindestens 25% einer Immobilie erworben und der Rest gemietet wird – mit dem Ziel, nach und nach weitere Eigentumsanteile aufzustocken.75 Hier werden bevorzugt Erstkäufer und „Key Workers“76 gefördert, die für das Funktionieren einer Stadt unerlässlich sind, sich aber auf dem angespannten Wohnungsmarkt nicht ausreichend versorgen können. Trotz
74 | Office of the Deputy Prime Minister 2005a, S. 42 „…it generates some perverse incentives to produce smaller units and flats which may not address the requirements of those in the greatest need.“ 75 | Für eine genaue Beschreibung des Shared Ownership siehe Balchin/Rhoden 2002, S. 244. Weitere Einschränkung für Shared Ownership sind, dass die Käufer bereits eine Beziehung zum Quartier haben müssen, beispielsweise weil sie dort schon leben oder arbeiten, und dass sie nicht mehr als 54 000 GBP verdienen dürfen (siehe www.communities.gov.uk/housing/buyingselling/ownershipschemes/homebuy/otherfirsttime/(6.September 2007) 76 | Für eine detaillierte Liste der berechtigten Berufsgruppen siehe www.communities.gov.uk/housing/buyingselling/ownershipschemes/homebuy/keyworkerliving oder www.housingoptions.co.uk/ho2/ho2/eligible.asp. Obwohl auch andere Sektoren schwierig geworden ist, Angestellte zu rekrutieren, was sich ebenso negativ auf die ökonomische Leistungsfähigkeit Großbritanniens und Londons auswirkt (Office of the Deputy Prime Minister 2005, S. 37). So werden mit den Key Worker Programmen vor allem öffentliche Arbeitgeber davon entlastet, sich angemessen an den steigenden Wohnkosten zu beteiligen (ebd., S. 47). Die meisten der speziell auf Key Worker zugeschnittenen Programme fördern nicht nur das Teileigentum, sondern zielen zusätzlich darauf ab, den berechtigten Personenkreis durch zusätzliche Kredite von bis zu 100 000 Pfund in die Lage zu versetzen, Eigentum oder Teileigentum zu erwerben. Die Einkommensgrenze lag 2007 bei 60 000 GBP pro Haushalt, woran sich zeigt, dass zwar auch überdurchschnittlich gut verdienende Personen gefördert werden, diese aber dennoch kaum Wahlmöglichkeiten haben dürften, vor allem wenn sie eine familientaugliche Wohnung benötigen.
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aller Förderung hat Shared Ownership für die Eigentümer viele Nachteile77 und die gegenüber dem Bau von Sozialwohnungen bevorzugte Förderung lässt sich nur durch fortbestehende Vorbehalte und Vorurteile erklären.
2.3.1
Der Wohnungsmangel bleibt bestehen
Die Wohnungssituation in London bleibt trotz der Immobilienkrise vor allem von akuter Knappheit geprägt. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Sozialwohnungen hat sich seit den 1970er Jahren absolut reduziert, während die Nachfrage gleichzeitig gestiegen ist. Vor allem für Familien gibt es kaum passende Angebote, nur wenige Wohnungen haben vier oder mehr Zimmer. Auch die im Verhältnis zu den Marktpreisen sehr niedrigen Sozialmieten sind gemessen an durchschnittlichen Einkommen nicht so niedrig, wie sie zunächst erscheinen. Eine alleinstehende oder alleinerziehende Person muss auch als Sozialmieter zwischen 40 und 50 Prozent des Nettoeinkommens für das Wohnen ausgeben.78 Die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die heute für den Wohnungsneubau und oft auch für die Renovierung des Bestandes zuständig sind, können den Bedarf nicht befriedigen und waren auch traditionell nicht darauf ausgerichtet, in dem hier erforderlichen Umfang zu agieren. Als Folge der extrem hohen Immobilienpreise drängen zunehmend auch Personen aus der Mittelschicht in den sozialen Wohnungsbau, deren 77 | Eine potenzielle Gefahr sind steigende Mieten für den Anteil, der noch nicht gekauft wurde, vor allem, da Käufer auch beim Erwerb von Teileigentum bis an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten gehen. Andererseits sind sie mit ihrem Eigentumsanteil den Gefahren des Immobilienmarktes ausgeliefert und sind außerdem für alle Reparatur- und Instandhaltungskosten verantwortlich, auch für die, die den gemieteten Teil der Immobilie betreffen. Die Eigentumsrechte sind außerdem eingeschränkt, beispielsweise darf eine Wohnung in Shared Ownership nicht weitervermietet werden und auch nicht ohne Einschränkungen weiterverkauft werden, was Standortwechsel erschwert. 78 | Für eine durchschnittliche Sozialwohnung kostete die Nettokaltmiete 2002 26,2 Prozent des Durchschnittseinkommens (Office of the Deputy Prime Minister 2005b, S. 128). Dazu kommen noch Nebenkosten sowie die nicht unerhebliche „Council Tax“.
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Einkommen deutlich über dem Durchschnitt liegt, aber vor allem dann nicht reicht, wenn eine familientaugliche Wohnung finanziert werden muss. Das Thema eines geschützten Marktsegments in der mittleren Preislage, also zwischen Sozialwohnungsniveau und dem freien Markt gewinnt heute zunehmend an Bedeutung. Die wenigen Angebote, die es in diesem Bereich bereits gibt (Key Worker, Shared Ownership) reichen bei weitem nicht aus, um diese große Gruppe angemessen zu versorgen und so auch die Leistungsfähigkeit der Londoner Wirtschaft zu erhalten oder wieder zu erreichen.
2.4 D ER L ONDONER W OHNUNGSMARK T HEUTE Wohnungskäufer müssen heute bei ihren Standortentscheidungen komplexe Rahmenbedingungen berücksichtigen. Außerdem soll eine Vielzahl von Programmen den Wohnungsbau anzuregen oder die Kosten senken. Die Risiken, denen sich die Erwerber von Wohnraum gegenübersehen und die Angebote, zwischen denen sie wählen können, das Umfeld also, in dem sie ihre Kaufentscheidungen (eventuell auch für eine privatisierte Sozialwohnung) fällen, ist von den herrschenden Marktbedingungen abhängig. Darüberhinaus sind Regulierungs- oder Stimulierungsversuchen aller anderen beteiligten Akteure einflussreich (Banken, Bauträger, Vermieter, Grundstückseigentümer).
2.4.1 Mieten oder kaufen? Auf dem Wohnungsmarkt gibt es heute prinzipiell die Möglichkeit, sich zwischen Miete und Eigentum und bei letzterem zwischen Neubauten und Altbauten zu entscheiden. Zur Miete zu wohnen, ist in Großbritannien grundsätzlich anders als hier. In Deutschland genießen Mieter einen relativ gesicherten Status und können nur unter bestimmten, gesetzlich genau geregelten Bedingungen dazu gezwungen werden, die von ihnen bewohnte Wohnung zu verlassen. Der Vermieter kann seinen Mieter dafür vertraglich verpflichten, die Wohnung zu pflegen und zu einem gewissen Maße auch instandzuhalten und Schönheitsreparaturen vorzunehmen. Auch die Möglichkeiten für Mieterhöhungen sind beschränkt und genauestens geregelt.
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Diese relative Sicherheit gibt es für Mieter in Großbritannien nur, wenn sie eine Sozialwohnung von der Kommune selbst oder von einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft („assured tenancy“) mieten. Auf dem freien Markt bieten nur sehr alte Mietverträge eine ähnliche Sicherheit. Die meisten Wohnungen werden heute nur kurzfristig vermietet und sind sogar teilweise möbliert. Mietverträge laufen für maximal fünf Jahre, häufig aber auch kürzer und können nach Ablauf von beiden Seiten ohne Angabe von Gründen gekündigt werden („assured shorthold“). Es ist in dieser Situation unüblich, dass der Mieter einer Wohnung selbst Renovierungsarbeiten vornimmt, oder auch nur seine eigenen Leuchten und Gardinen anbringt. Diese Unterschiede zur deutschen Situation sind wichtig, um zu verstehen, warum das Wohnen im Eigentum auch bei enorm hohen Immobilienpreisen im Verhältnis zur Miete noch immer als attraktiv empfunden wird. In Großbritannien ist es dem Einzelnen nur im Eigentum möglich, seine individuellen Wohnvorstellungen ansatzweise zu verwirklichen, wenn er nicht Mieter einer Sozialwohnung ist. Für die Möglichkeit, seine Wohnvorstellungen tatsächlich zu verwirklichen, zahlt der Käufer einen beträchtlichen Aufschlag. Auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms war die monatliche Belastung durch eine Hypothek in der Regel deutlich höher als die Miete für ein ähnliches Objekt es gewesen wäre,79 und auch nachdem die Immobilienpreise langsam zu fallen begonnen haben ist Kaufen noch immer teurer als Mieten. Noch vor wenigen Jahren war das Verhältnis umgekehrt und die Wohnkosten waren für Mieter höher als für Eigentümer. Die hohen Immobilienpreise und der lang anhaltende Boom lassen sich also auch durch die geringe Attraktivität eines Mietverhältnisses erklären. Die Entscheidung zwischen Kauf und Miete hatte lange noch einen weiteren bedeutenden Aspekt: Die stark steigenden Preise ließen schon vor Jahren befürchten, dass es sich bei dem Immobilienboom um eine Blase handelt, die zukünftig platzen würde. Für den Fall, dass die Immobilienpreise noch weiter sinken als sie es heute schon getan haben,80 wer79 | Für eine Immobilie, die 400 000 GBP kostet, wäre die monatliche Hypothekenbelastung ca. 3500 GBP, die monatliche Miete etwa 2000 GBP (eigene Berechnungen, Stand 2007) 80 | In London etwa sind die durchschnittlichen Immobilienpreise im ersten Quartal 2009 um zehn Prozent gesunken (siehe http://news.bbc.co.uk/2/shared/spl/ hi/in_depth/uk_house_prices/counties/html/county37.stm; 7. April 2009)
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den viele Haushalte, die sehr teure Immobilien gekauft haben, überschuldet sein, und zudem sind auch die Gefahren für die nationale Wirtschaft erheblich. Das persönliche Risiko, dass Immobilienkäufer eingegangen sind, ist also immens und schloss immer auch die Möglichkeit eines zukünftigen Crashs mit großen finanziellen Verlusten ein. Aber auch das Warten war nicht ohne Risiko. Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren schneller gestiegen als die Einkommen, so dass die Befürchtung nicht unbegründet war, dass die eigene Wohnung oder das eigene Haus in immer weitere Ferne rückt, je länger man wartet. Für viele mag dies der Grund dafür gewesen sein, bis an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zu gehen, um eine Wohnung von möglicherweise fragwürdiger Qualität zu kaufen – in der Hoffnung, dass sie weiter an Wert gewinnen wird und es ihnen dann ermöglicht, sich auf der Wohnungs-Leiter eine weitere Stufe nach oben zu arbeiten.
2.4.2 Die Geschichte des Wohnungsmangels Die trotz der Finanzkrise noch immer akute Wohnungsknappheit hat eine lange Geschichte, die hier nur kurz skizziert werden soll. Nach dem Boom, der in den 1980er Jahren durch die Deregulierungspolitik der Konservativen ausgelöst wurde und einem Preisrückgang Anfang der 1990er Jahre sind die Immobilienpreise bis etwa 2008 deutlich über das Niveau des letzten Booms gestiegen, und zwar nicht nur in einigen besonders nachgefragten Gegenden, sondern flächendeckend. Die Durchschnittseinkommen sind im Vergleich dazu deutlich zurückgeblieben, gleichzeitig haben sich Einkommensdisparitären verschärft.81 Die Immobilienpreise und der angespannte Wohnungsmarkt sind in London eines der beliebtesten Konversationsthemen. Zeitungen und Nachrichtenmagazine berichteten ebenso regelmäßig über die „housing crisis“ 81 | Zwischen 1997 und 2007 sind die Immobilienpreise in London um 161 Prozent gestiegen, die Durchschnittseinkommen aber nur um 40 Prozent. 2006 kostete eine Wohnimmobilie im Schnitt 320 000 GBP und damit etwa 13 mal so viel wie ein durchschnittliches Jahreseinkommen, während Banken in der Regel Hypotheken maximal bis zur fünffachen Höhe des Jahreseinkommens vergeben haben (National Housing Federation 2007). Seit der Finanzkrise wird die Hypothekenvergabe allerdings wieder restriktiver gehandhabt.
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und deren Auswirkungen auf die Londoner Wirtschaft wie über die Kreditkrise.82 Viele der Faktoren, die zur Wohnungsknappheit geführt haben, werden seit der Kreditkrise, die ja als Immobilienkrise begonnen hat, verstärkt diskutiert, beispielsweise die Dank der von den Konservativen vorgenommenen Deregulierungen der Finanzbranche immer großzügigere Kreditvergabe der Banken.83 Damit ist es für den Einzelnen zwar einfacher geworden, einen Immobilienkauf zu finanzieren, andererseits wurden die Preise durch die größere Verfügbarkeit von Kapital deutlich angeheizt. Auch die größere Flexibilität im Umgang mit dem eigenen Vermögen, etwa durch Refinanzierungen, hat die verfügbare Geldmenge vergrößert, der damit finanzierte Konsum hat zudem die britische Wirtschaft gestützt und auch so den Immobilienboom am Leben erhalten – aber in der Krise auch anfällig gemacht.84 Der Markt für Neubauwohnungen ist von kommerziellen Projektentwicklern geprägt. Sie stehen in der Tradition der Entwickler von Estates seit dem 17. Jahrhundert und bauen weitgehende standardisierte Wohnungen und Häuser. Die vier größten Wohnungsbaufirmen waren 2007 für fast 40 Prozent der Fertigstellungen verantwortlich und hatten damit eine Position erreicht, in der sie den Markt aktiv beeinflussen können.85 Trotz der stetig steigenden Nachfrage ist die Produktion von Wohnungen seit
82 | Eine Suche nach „housing crisis“ + „London“ auf www.guardian.co.uk ergibt 543 Treffer, auf www.bbc.co.uk 300 Treffer (2. September 2007) 83 | Traditionell liehen Banken für den Erwerb einer Immobilie 2,5 bis 3 Jahreseinkommen bei gedeckelten Zinsen und einer Laufzeit von meist 20 Jahren. 2007 wurden Hypotheken ohne Eigenkapital und bis zum fünffachen Jahreseinkommen vergeben, die Zinsen sind meist flexibel und die Laufzeiten betragen 25–40 Jahre. Dazu kommen Konstruktionen wie „interest only“ Hypotheken, bei denen der eigentliche Kredit gar nicht getilgt wird und Hypotheken über bis zu 125 Prozent des Immobilienwerts, was den Markt weiter angeheizt und später zu Kreditausfällen geführt hat (vgl. Office of the Deputy Prime Minister 2005d, S. 22–25; Larry Elliot (Guardian, 6. Januar 2006) „Property boom builds on a swamp of debt“, siehe http://business.guardian.co.uk/story/0,,1940305,00. html (3. September 2007)) 84 | In Großbritannien waren Immobilien 1980 mit 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beliehen, 2005 bereits mit 55 Prozent, bei steigender Tendenz. 85 | Dominic Church, CABE, Vortrag am 29. März 2007 in London
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1994 annähernd gleich geblieben.86 Als Gründe hierfür werden seitens der Investoren vor allem die Baulandknappheit87 und ineffiziente Genehmigungsverfahren genannt. Andererseits gibt es keine verlässlichen Daten darüber, in welchem Umfang die Investoren Baulandreserven vorhalten. Es steht jedoch außer Frage, dass sie in den Zeiten des Boom zumindest einen Teil ihrer Gewinne auch aus den Wertzuwächsen ihrer Baugrundstücke erwirtschaftet haben.88 Einen Mechanismus, der Landbesitzern einen Anreiz bietet, Bauland tatsächlich auch zu nutzen, gibt es jedenfalls nicht, und in den Zeiten rapide steigender Preise war damit durchaus lukrativer, auf weitere Preissteigerungen zu spekulieren, als Grundstücke und Immobilien sofort zu verwerten, was natürlich auch für private Eigentümer leerstehender Häuser zutrifft.89 Außerdem haben die Investoren lange von der vorherrschenden Wohnungsknappheit profitiert, weil sie dadurch auch relativ minderwertige Wohnungen zu hohen Preisen verkaufen konnten. Die Wohnungsknappheit ist jedoch nur zum Teil ein Mangel an Wohneinheiten, zu einem großen Teil ist auch die Qualität der angebotenen Wohnungen miserabel. Die Tradition, Wohnungsgrößen nicht in Quadratmetern sondern mit der Anzahl der Schlafzimmer anzugeben und die Abschaffung von Flächenstandards durch die Konservativen im Jahr 198090 86 | Office of the Deputy Prime Minister 2005c, S. 15–16; Carmona 2003, S. 48. Vor der Immobilienkrise entstanden jährlich etwa 163 000 neue Wohnungen, denen 223 000 neue Haushalte gegenüberstanden (National Housing Federation 2007) 87 | So sind fast alle größeren Städte von Grüngürteln umschlossen, die die weitere Suburbanisierung verhindern sowie eine verdichtete Innenentwicklung fördern sollen (Muthesius/Glendinning 1994, S. 157) und deren Fortbestand durch nationale Gesetze gesichert ist. Diese Grüngürtel umfassen aktuell etwa 12 Prozent der gesamten Fläche Großbritanniens (Office of the Deputy Prime Minister 2005c, S. 10). 88 | Carmona 2003, S. 50 89 | Office of the Deputy Prime Minister 2005c, S. 15 90 | Die wichtigste Flächennorm waren die „Parker Morris Standards“, die auf dem 1961 veröffentlichten Bericht „Homes for today and Tomorrow“ der Parker Morris Kommission beruhten (Department of the Environment 1961) und die ab 1969 verbindlich für alle sozialen Wohnungsbauten galten, aber unabhängig davon schon vorher von fast allen Boroughs eingeführt wurden. Heute ist die Förderung
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hat die Entstehung von Wohnungen mit sehr kleinen, eigentlich nicht nutzbaren Zimmern gefördert, eine Entwicklung, der seit 2007 durch sogenannte „Housing Information Packs“ entgegengewirkt wird.91 Abbildung 10: Qualität der fertiggestellten Wohneinheiten in London, Wohnheiten, die mit „average“ bewertet wurden, mussten mindestens 10 von 20 Qualitätskriterien erfüllen.
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Quelle: eigene Darstellung nach CABE/Dominic Church
Eine Untersuchung im Auftrag von CABE hat ergeben, dass nur 18 Prozent der neuen Wohneinheiten in London von „guter“ oder „sehr guter“ Qualität sind, 35 Prozent sind „durchschnittlich“, wobei durchschnittlich bedeutet, dass sie nur die Hälfte von 20 definierten Kriterien erfüllen.92 In den Zeidurch die Housing Corporation an die Einhaltung von ähnlichen Flächenstandards gebunden, was dazu führt, dass geförderte Sozialwohnungen häufig über bessere Grundrisse verfügen als im frei finanzierten Wohnungsbau üblich. Für genauere Informationen über die Housing Corporation und deren Tätigkeit siehe www. housingcorp.gov.uk (26. November 2007) 91 | In den Housing Information Packs werden die Grundfläche, der Energieverbrauch und eventuell vorhandene Bauschäden festgehalten. Sie sind verbindlicher Teil des Kaufangebots, auch Makler sind seither verpflichtet, die Wohnfläche Ihrer Objekte anzugeben (Department for Communities and Local Government 2005). Damit gibt es zwar noch keine verbindlichen Mindestgrößen für Räume in Wohnungen, aber sie erzeugen ein Mindestmaß an Transparenz. 92 | Dominic Church, CABE, Vortrag am 29. März 2007 in London
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ten des Booms lag dies zum Teil an der mangelnden Konkurrenz, da sich jede noch so schlechte Wohnung verkaufen ließ, sicher jedoch spielt auch die spezielle Londoner Tradition der Stadtproduktion eine Rolle, bei der die zukünftigen Nutzer auch auf dem freien Markt nicht in den Bau- und Planungsprozess einbezogen werden und das Endergebnis nicht beeinflussen können, und in der es für das Wohnen in höherer Dichte, etwa im Geschosswohnungsbau, kaum Vorbilder gibt. Heute versuchen verschiedene Institutionen die Qualität im Wohnungsbau über Auszeichnungen und ähnliche Anreize zu steigern. Am prominentesten war hier CABE, die „Commission for Architecture and the Built Environment“,93 mit der Kampagne „Building for Life“,94 die CABE gemeinsam mit anderen auf dem Wohnungssektor aktiven Partnern betrieben hat.95 Inwieweit sich damit die Qualität der von privaten Investoren angebotenen Wohnungen nachhaltig verbessern lässt, bleibt allerdings unklar. CABE war bestrebt, bessere Standards gesetzlich zu verankern,96 wurde aber mittlerweile aufgelöst so dass die weitere Entwicklung noch offen ist.
Zwänge und mögliche Auswege Aufgrund der spezifischen Londoner Tradition der investorengesteuerten Stadtproduktion und dem Rückzug der öffentlichen Hand aus dem sozialen Wohnungsbau ist die Produktion von Wohnraum nicht parallel mit der Nachfrage gestiegen. Zudem wird die Qualität des neu entstehenden Wohnraums immer schlechter und der Londoner Wohnungsmarkt birgt für selbstnutzende Käufer erhebliche Risiken, insbesondere durch Überschuldung bei sinkenden Preisen oder steigenden Zinsen. Während es bis in die 1970er Jahre hinein auch für Mitglieder der unteren Mittelschicht und der Mittelschicht nicht unüblich war, in einer Sozialwohnung zu leben oder langfristig auf dem freien Markt zu mieten, bekommen heute nur noch Personen in Notsituationen eine Sozialwohnung, und der 93 | Siehe www.cabe.org.uk (26. November 2007) 94 | Siehe www. buildingforlife.org (26. November 2007) 95 | Beteiligt waren die Home Builders Federation (www.hbf.co.uk; 26. November 2007), der Civic Trust (www.civictrust.org.uk; 26. November 2007), Design for Homes (www.designforhomes.org; 26. November 2007), English Partnerships (www. englishpartnerships.co.uk; 26. November 2007) und der Housing Corporation. 96 | Gespräch mit Dominic Church, CABE, am 29.3.2007 in London
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Mietwohnungsmarkt wurde so weit dereguliert, dass er dem Mieter keine langfristige Sicherheit mehr bietet. Sowohl die mangelhafte Qualität als auch der stark geschrumpfte Mietwohnungsmarkt zwingen potenzielle Käufer dazu, neue Strategien der Wohnraumsuche zu entwickeln. Erst in diesem speziellen Umfeld wird es möglich, dass Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus gegenüber den auf dem freien Markt gebauten auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Vorteile aufweisen können, die beispielsweise darauf beruhen, dass die Raumqualität der Wohnungen, Größe oder der rechtliche Status besser ist, und die die Nachteile, die etwa aus der direkten Nachbarschaft von Sozialmietern erwachsen können, aufwiegen. Obwohl die aus den Zwängen des Wohnungsmarktes erwachsenden Restriktionen nicht die einzige Motivation für den Kauf einer ehemaligen Sozialwohnung sein müssen, lässt sich eine solche Entscheidung doch auch rational rechtfertigen – oder muss zumindest nicht als irrational verstanden werden.
3 Forschungen und Konzepte zum städtischen Wandel
Es hat immer wieder Versuche gegeben, städtische Wandlungsprozesse zu beschreiben und zu modellieren. Die Betrachtung von sozialen Wohnungsbauten der Nachkriegszeit in London ist letztlich nichts anderes als ein weiterer Versuch, diese Beschreibungen anhand von Beispielen, die den gängigen Erklärungsmustern widersprechen, zu ergänzen und zu modifizieren. Obwohl es angesichts der in London zu beobachtenden Aufwertungsprozesse im sozialen Wohnungsbau zunächst naheliegend erscheinen mag, sie vor allem vor dem Hintergrund der Gentrifizierungstheorie zu betrachten, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass es eine allgemeingültige Gentrifizierungstheorie gar nicht gibt, ja das nicht einmal Einigkeit darüber besteht, was Gentrifizierung eigentlich ist. Es gibt jedoch drei unterschiedliche Erklärungsstrategien für die Standortentscheidungen, die zu Aufwertungsprozessen führen können und quer zum Gentrifizierungsdiskurs verlaufen. Sie repräsentieren zugleich drei Maßstabsebenen, auf denen die Standortentscheidungen von Individuen beeinflusst werden. Erstens werden Standortentscheidungen auf der Ebene abstrakter Gleichgewichtsprozesse getroffen, wozu die Ansätze der Chicago School und neoklassische Modelle Erklärungsansätze liefern. Zweitens geht es um die Optimierung individueller Lebens- und Reproduktionsbedingungen und deren Auswirkung auf Standortentscheidungen in der Stadt und drittens um den Raum und das Wohnumfeld als Ausdruck der Persönlichkeit. Diese quer zu den Diskursen verlaufende Ordnung hat außerdem den Vorteil, dass die Literatur zur Gentrifizierung, die hauptsächlich aus dem angelsächsischen Raum stammt, mit den parallel dazu verlaufenden Diskursen in Beziehung gesetzt werden kann, beispielsweise der in Deutschland diskutierten „Renaissance der Innenstädte“ oder den Forschungen zu
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Lebensstilen und der gewandelten Rolle der Frau. Daneben treten rechtliche Unterschiede und Besonderheiten einzelner Länder in den Hintergrund, etwa der in Deutschland sehr ausgeprägte Mieterschutz, der die für die Gentrifizierung typischen Verdrängungsprozesse abmildert.
3.1 A BSTR AK TE K R ÄF TE : K APITAL , S YSTEM , G LEICHGE WICHT Systematisch-abstrakte Modelle prägen unsere heutige Vorstellung von Standortentscheidungen im städtischen Kontext. Gleichwohl sind die in London zu beobachtenden Aufwertungsprozesse von ehemaligen Sozialwohnungen durch sie nicht erklärbar – sie widersprechen ihnen sogar. Gerade deshalb sollen diese Modelle hier noch einmal auf ihre Anwendbarkeit für die speziellen, hier untersuchten Fälle hin überprüft werden. Die systematisch-abstrakt operierenden Modelle beruhen auf der Annahme, dass die Akteure auf dem Markt rational agieren, ihren Präferenzen entsprechende Konsumentscheidungen treffen und dass die so entstehenden Kräfte ein natürliches Gleichgewicht finden, in dem die vorhandenen Ressourcen volkswirtschaftlich optimal verteilt sein werden. Eine der zahlreichen Grundvoraussetzungen des Marktmodells ist, dass der einzelne Akteur das Marktgeschehen nicht beeinflussen kann, dass die „Nachfrage“, das „Angebot“ und das „Kapital“ gewissermaßen abstrakte Akteure sind. Der einzelne ist zwar Teil des Systems, sein Handlungsspielraum ist jedoch beschränkt, konkret auf die Entscheidung über den Einsatz seiner eigenen Ressourcen innerhalb des abstrakten Marktgefüges. Das Stadtverständnis der Chicago School1 beruht auf dieser Vorstellung einer quasi ökologischen Verteilung von Gruppen in der Stadt, die die jeweils für sie optimale Nische besetzen und so ein relativ stabiles Gleichgewicht schaffen. Die bekannten neoklassischen Modelle von Burgess2 , Alonso3 oder Harris und Ullmann4 bauen auf dieser Grundannah1 | „There are forces at work within the limits of the urban community […] which tend to bring about an orderly and typical grouping of its population and institutions.“ Burgess 1965 (1925), S.1 2 | Ebd. 3 | Alonso in: Barnbrock 1975 4 | Harris/Ullmann 1957, nach Balchin/Ball/Kieve 1995 (1977)
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me eines abstrakten, nicht von einem einzelnen Akteur beeinflussbaren Gleichgewichts auf. Sie können damit Suburbanisierung, sowie die Entstehung monofunktionaler Stadtzentren und innenstadtnaher Slums unter Wachstumsbedingungen erklären, wie sie sich in der Vergangenheit tatsächlich beobachten ließen. Auch Subzentren haben in diesen Modellen ihren Platz, und das Sektorenmodell von Hoyt5 führt zusätzlich die Bedeutung geografischer Eigenheiten ein. Abbildung 1: Zonenmodell nach Ernest W. Burgess.
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Quelle: eigene Darstellung nach Park und Burgess 1925
Keines dieser Modelle ist allerdings in der Lage zu erklären, warum die innenstadtnahen Wohngebiete, die entsprechend diesen Modellen eigentlich entweder von armen Bevölkerungsschichten bewohnt oder aber zu Teilen des kommerziellen Zentrums werden müssten, seit den 1960er Jahren für die Wohnnutzung aufgewertet werden. Leicht ließe sich argumentieren, dass die Präferenzen der Wohnungsnutzer sich geändert haben, etwa das 5 | Hoyt 1939, nach Balchin/Ball/Kieve 1995 (1977)
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der Zeit fürs Pendeln ein höherer Wert beigemessen wird und sich daher die Bereitschaft erhöht, für eine innenstadtnahe Wohnung einen vergleichsweise höheren Preis zu zahlen, doch beantwortet dies nicht die Frage danach, worin diese veränderten Präferenzen begründet sind. Auch die Frage, warum alte, heruntergekommene Häuser saniert werden, anstatt sie abzubrechen und neu zu bauen – was rein betriebswirtschaftlich betrachtet häufig lukrativer als die Renovierung wäre – können neoklassische Modelle zunächst nicht erklären. Es hat daher immer wieder Versuche gegeben, diese zu modifizieren, um die zutage tretenden Unregelmäßigkeiten in die Modelle einzubetten. Hoang Huu Phe und Philipp Wakely beispielsweise haben Harris’ und Ullmanns Multi-Nuklei-Modell modifiziert und anstatt der Nähe zum Stadtzentrum als Hauptattraktor sogenannte Statuspole eingeführt, die von Gruppe zu Gruppe variieren können.6 Damit wird das Modell zwar deutlich flexibler und kann auch gleichzeitig nebeneinander existierende, individuell unterschiedliche Standortpräferenzen berücksichtigen, lässt aber die jeweils individuellen Abwägungsprozesse ebenso außen vor wie die älteren Modelle. Neil Smiths dem Neo-Marxismus verpflichtete Rent-Gap-Theorie argumentiert ebenfalls auf der Ebene abstrakter Logiken und erklärt die Aufwertung innerstädtischer Wohngebiete damit, dass dort investiertes Kapital wegen der vorangegangenen Entwertung die höchste Verzinsung verspricht.7 6 | „The residential location pattern of most cities conform to a polar structure, in which one or several poles represent the highest points of certain kinds of social status, recognised by a given proportion of the population, The parameters of social status embrace such qualitatively distinctive notions such as wealth, political power, business, culture, ethnicity, education, etc.“ (Huu Phe/Wakely 2000, S. 11) 7 | Smith fasst seine Sicht auf die Gentrifizierung 1986 zusammen: „In conclusion, we have emphasized that the restructuring of urban space is part of the larger evolution of the contemporary capitalist economy“ (Smith 1986, S. 33) und „The unfortunate truth is that the comparatively low levels of working class struggle since the cold war […] have meant that capital has had a fairly free hand in the structuring and restructuring of urban space. This does not invalidate the role of class struggle during this period, so much so that the capitalist class was generally able to wage the struggle through its economic strategies for capital investment. The investment of capital is the first weapon of struggle in the ruling-class arsenal. […] The urban wilderness produced by the cyclical movement of capital
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Diese elegant einfache Theorie wurde in vielen Fallstudien herangezogen und hat in kapitalistisch oder marktwirtschaftlich orientierten Umfeldern zweifelsohne einigen Wert, da sie die Logik, mit der „das Kapital“ im Falle innerstädtischer Aufwertung agiert, transparent macht. Smith selbst hat seine Theorie im Laufe der Zeit modifiziert und angereichert, dennoch lässt die starke Dominanz der Angebotsseite noch immer viele Fragen offen. Insbesondere vernachlässigt seine Theorie, dass die Gentrifizierer (also die Nachfrager von Wohnraum in gentrifizierten Wohngebieten) schon aufgrund ihres relativen Wohlstands über erhebliche Entscheidungsspielräume verfügen und nicht etwa ausschließlich von abstrakten Kräften gesteuert werden.8 Neil Smith argumentiert heute nicht mehr ausschließlich mit dem Rent Gap, sondern mit einem sehr grundlegenden wirtschaftlichen und demografischen Strukturwandel, der zu neuen Formen der Wertschöpfung auf dem Immobilienmarkt geführt habe.9 Die daraus resultierenden neuen Nachfragemuster bei den Haus- und Wohnungskäufern sieht er daher weniger als Ausdruck souveräner Konsumentscheidungen, sondern ebenfalls als Resultat abstrakter Kräfte, in diesem Fall wiederum des „Kapitals“, das heute in anderer Weise gewinnbringend eingesetzt wird als noch vor einigen Jahrzehnten und die Angestellten erst dazu veranlasst, ihre Standortentscheidungen anders zu treffen als etwa in den 1950er Jahren. Speziell für London argumentierten Hamnett und Randolph mit dem sogenannten „Value Gap“, das sich aus der Differenz zwischen dem aufgrund der Mieteinnahmen und der potenziellen Einnahmen beim Verkauf an selbstnutzende Eigentümer ergibt. Dies habe dazu führt, dass sich die Investition in Mietwohnungen seit den 1960er Jahren immer weniger and its devalorization have, from the perspective of capital, become new urban frontiers of profitability. Gentrification is a frontier on which fortunes are made.“ (ebd., S. 34) 8 | Siehe beispielsweise Hamnett 1991 und die folgende Diskussion: Smith 1992, Hamnett 1992. Während Smith noch 1987 behauptet, dass die Rent Gap Theorie das „necessary centrepiece to any theory of gentrification“ sei (Smith 1987b, S. 165), vertritt Hamnett die Ansicht, dass „individual agency is important in the explanation of gentrification“. Lees/Slater/Wyly betonen, dass die Rent Gap Theorie „rel(ies) on the axiom of economic rationality and downplay(s) the significance of individuals who defy the norm.“ (Lees/Slater/Wyly 2008, S. 74) 9 | Smith 1996, S. 75 ff.
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rechneten und diese in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden, die wiederum nicht für alle Bevölkerungsgruppen erschwinglich waren. Die so induzierte Gentrifizierung ist für Hamnett und Randolph weniger ein Ergebnis veränderter Präferenzen bei den Käufern dieser Wohnungen, sondern durch die geänderten gesetzlichen Regelungen und Rahmenbedingungen bedingt.10 Rent Gap und Value Gap sind zwar Konzepte aus der Frühzeit der Gentrifizierungsforschung, aber beide haben noch immer ihren Wert und sind in der Lage, bestimmte Rationalitäten zu erklären, die bei der Aufwertung von sozialen Wohnungsbauten eine Rolle gespielt haben, wenn sie auch nicht ausreichen, um diese Prozesse allein zufrieden stellend zu erklären. Ebenfalls aus dem Umfeld der Chicago School stammt das Konzept der Invasions-Sukzessions-Zyklen,11 das den Wandel von Wohngebieten auf einer allgemeinen Ebene beschreibt. Das Modell geht davon aus, dass zunächst Pioniere einer Gruppe in ein bisher von einer anderen Gruppe bewohntes Gebiet eindringen, denen dann immer mehr Mitglieder dieser Gruppe folgen, bis sie schließlich die ursprüngliche Bevölkerung verdrängt und das Gebiet übernommen haben. Philipp Clay wendete diese Modell zum ersten Mal auf das Feld der Gentrifizierung an.12 Er entwickelte es weiter und beschrieb Gentrifizierung mit einem doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus, bei dem zunächst Pioniere 10 | „However, we would argue that this ‚preference‘ for ownership is to a large extend a constrained preference, for the potential central-London resident will have to buy his or her accommodation in the absence of a functioning private rental sector, outside of the limited high-rent, short-stay luxury end of the market.“ (Hamnett/Randolph 1986, S. 139) 11 | „Invasions may be classified according to stage of development into (a) initial stage, (b) secondary or developmental stage, (c) climax. The initial stage of an invasion has to do with the point of entry, the resistance or inducement offered the invader by the prior inhabitants of the area, the effect upon land values and rentals. […] During the course of development of an invasion into a new area, either of use or of type, there takes place a process of displacement and selection determined by the character of the invader and of the area invaded. […] The climax stage is reached in the invasion process, once the dominant type of ecological organisation emerges which is able to withstand the intrusions of other forms of invasions.“ (Park 1925, S. 75–77) 12 | Clay 1979, S. 57–59
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in ein Gebiet eindringen und die angestammte Bevölkerung verdrängen und diese Pioniere ihrerseits später von den Gentrifizierern verdrängt werden. In die deutsche Diskussion wurde das Konzept der Invasions-Sukzessions-Zyklen von Jürgen Hoffmeyer-Zlotnik eingeführt,13 Jens S. Dangschat hat das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus von Clay aufgenommen und weiterentwickelt.14 Obwohl für diese Gruppen jeweils persönliche Präferenzen für die Standortwahl ausschlaggebend sind und die Pioniere nicht einmal als Gruppe agieren, werden die Beweggründe kaum behandelt und das Geschehen gewissermaßen als naturgegeben betrachtet. Noch heute wird Gentrifizierung gerne mit Stufenmodellen beschrieben, die ein allgemein gültiges Muster suggerieren, nach dem Gentrifizierung abläuft,15 auch wenn diese den Terminus „Pionier“ vermeiden. Die Stufenmodelle scheinen Aufwertungsprozesse zunächst sehr logisch erklären zu können, fast alle zeigen aber Schwächen, wenn sie auf konkrete Fallstudien angewendet werden. Modelle von Kecskes haben gezeigt, dass es auch ohne Subkultur zu Aufwertungsprozessen kommen kann, beispielsweise durch die Umlegung von Sanierungskosten auf die Miete oder durch diskriminierendes Verhalten des Vermieters bei Neuvermietung.16 Andere Untersuchungen konnten nachweisen, dass Pioniere zum Teil nach den Gentrifizierern oder auch gleichzeitig in ein Gebiet eingedrungen sind.17 Dazu kommt, dass im Verlauf des Prozesses Pioniere zu Gentrifizierern werden können, etwa wenn sie nach Abschluss ihrer Ausbildung im Gebiet wohnen bleiben. Gleichzeitig können Gentrifizierer zu sogenannten „Anderen“ werden, wenn sie älter werden, Kinder bekommen und daher nicht mehr in die Definition des Gentrifizierers passen, die hier von Singles oder Paaren bis zum Alter von 45 Jahren ausgeht.18 Neil Smith zeigte 1996 für Philadelphia, dass ein erheblicher Teil der dort aktiven Gentrifizierer aus der Stadt (72 Prozent) oder sogar aus dem betroffenen Stadtteil (37 Prozent) selbst kamen und man also gar nicht in jedem Fall davon sprechen kann, dass die Gentrifizierer in den Stadtteil eingedrungen seien. 13 | Hoffmeyer-Zlotnik 1977 14 | Dangschat 1988 15 | Lees/Slater/Wyly 2008, S. 173 ff. 16 | Kecskes 1996 17 | Dangschat 1988, Dangschat/Alisch 1996 18 | Ebd.
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3.2 I NDIVIDUELLE O P TIMIERUNGSSTR ATEGIEN : A LLTAGSORGANISATION UND L EBENSQUALITÄT Neben den Erklärungsansätzen, die innerstädtische Aufwertung auf abstrakte Prozesse zurückführen, lassen sich ebenso die Abwägungsprozesse und individuellen Optimierungsstrategien der Wohnungssuchenden betrachten. Dabei rückt notwendigerweise die Nachfrageseite stärker in den Mittelpunkt, da die Nachfrage sich aus den individuellen Optimierungsstrategien der einzelnen Akteure ergibt. Selbstverständlich verfügen die Nachfrager über unterschiedlich hohes Kapital und damit über unterschiedlich gute Möglichkeiten, ihren Alltag zu optimieren. In der Gentrifizierungsforschung standen sich Ansätze, die mit individuellen Optimierungsstrategien argumentierten und solche, die auf der abstraktsystematischen Ebene des Marktes argumentierten, lange unversöhnlich gegenüber. Individuelle Optimierungsstrategien können Teilaspekte der Renaissance von Wohnmaschinen plausibel machen, reichen jedoch nicht aus, um das Phänomen auf allen Ebenen zu erklären. Die lebensstil-, klassenoder geschlechtsspezifischen Strategien, das Alltagsleben zu optimieren, spielen in der Diskussion um Aufwertungsprozesse und veränderte Standortmuster seit langem eine wichtige Rolle und dürfen trotz ihrer Mängel nicht vernachlässigt werden. Die gut beschriebenen Invasions-Sukzessions-Zyklen lassen sich auch als Versuche interpretieren, individuelle Optimierungsstrategien zu verallgemeinern. David Ley hat intensiv über die Motive von Gentrifizierern geforscht. In einem Aufsatz von 199419 unterscheidet er zwei Typen von Akteuren der Aufwertung, die den Pionieren und den nachfolgenden, besser gestellten Gentrifizierern in etwa entsprechen, und zwar den risikofreudigen, idealistischen und nicht so wohlhabenden Typ, der sich wenig um Erwartungshaltungen und Normen schert und daher auch ungewöhnliche Standortentscheidungen trifft, und den risikoscheuen, konservativen Investor, der erst dann investiert, wenn der Aufwertungsprozess sich schon etwas konsolidiert hat. Sie treten im Prinzip nach19 | „Although the early arrivals tend to be risk oblivious in terms of their housing investment, later arrivals who pay a premium for the neighbourhood’s then fashionable reputation are likely to be risk averse, preferring the new face of the neighbourhood over the old.“ (Ley 1994, S. 69)
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einander auf, wobei dies nicht als jeweils in sich abgeschlossene Phase des Aufwertungsgeschehens zu verstehen ist, sondern lediglich bedeutet, dass zunächst mehr Angehörige der einen, dann der anderen Gruppe zuziehen. Beiden gemeinsam ist eine größere finanzielle Stärke als sie die angestammte Bevölkerung vorweisen kann, wobei die erste Gruppe eine liberale, reformorientierte Grundhaltung hat, die zweite aber auch konservativ sein kann. Insofern haben beide Gruppen unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Wohnumfeld und verfolgen mit ihrer Standortwahl unterschiedliche Ziele. Allerdings fällt finanzielle Stärke nicht notwendigerweise mit einer konservativen Grundeinstellung zusammen, so dass die Ziele und Vorstellungen des zweiten Typs sich möglicherweise gar nicht gegen die der weniger gut gestellten, reformorientierten Typen durchsetzen können.20 Im Gegensatz zu den Invasions-Sukzessions-Zyklen impliziert diese Sichtweise also nicht, dass die Entwicklung hin zu einem „aufgewerteten“ Stadtteil zu irgendeinem Zeitpunkt abgeschlossen sein wird, sondern macht das Maß der Aufwertung davon abhängig, inwieweit es Personen gibt, die ihre Lebensumstände in einem aufgewerteten Innenstadtquartier optimieren wollen oder können. Das Konzept der Super-Gentrifizierung, das Loretta Lees erstmals 200321 vorstellte, kann ebenfalls als Teil eines Stufenmodells verstanden werden22 oder als Beschreibung einer Optimierungsstrategie einer bestimmten Gruppe, in diesem Fall der extrem gut bezahlten Kräften, die im internationalen Management tätig sind. Sie verbindet hier den Gentrifizierungsdiskurs mit dem Globalisierungsdiskurs und beschreiben die Auswirkungen extremer Bonuszahlungen und zunehmender Gehaltsunterschiede, die im bereits vollständig gentrifizierten New Yorker Stadtteil Mornington Heights zu weiterem sozialen Wandel geführt haben.23 Butler und Lees24 analysieren in einer späteren Studie Barnsbury in London, den Stadtteil für den Ruth Glass den Begriff Gentrification geprägt hat und der 20 | Wir sollten nicht „assume that rising incomes in the central city necessarily usher in in conservative polititians“ (ebd., S. 70) 21 | Lees 2003 22 | Lees/Slater/Wyly 2008, S. 173 ff. 23 | „There is some independent statistical evidence to support the widespread belief in Brooklyn Heights that this latest wave of gentrification has been fuelled by large bonuses and salaries from Wall Street.“ (Lees 2003, S. 2504) 24 | Butler/Lees 2006
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als Modellfall gilt, und konkretisieren an diesem Beispiel das Phänomen Super-Gentrifizierung. Im Gegensatz zu anderen Stadtteilen fänden sich in Barnsbury überdurchschnittlich viele Bewohner, die zu den absoluten Top-Verdienern zählen und entweder in Oxford oder Cambridge studiert haben. Häufiger als bei anderen Gentrifizierern arbeitet nur einer der Partner, währen der andere sich um die Erziehung der Kinder kümmert. Diese wiederum werden meistens schon auf private Grundschulen geschickt, um auf eine Karriere mit denselben Verdienstmöglichkeiten vorbereitet zu werden, wie sie die Eltern haben. Butler und Lees schließen daraus, dass der ersten Welle, den Pionieren, die sich wenig um soziale Konventionen scherten, und der zweiten Welle, den sogenannten „professionals“, also Ärzten, Architekten und anderen Akademikern, nun eine dritte Welle von Gentrifizierern folgt. Diese schätzten es zwar, in einem Stadtteil zu leben, der eine lebendige Ausstrahlung habe, blieben ansonsten aber lieber unter ihresgleichen. Dass sie dafür objektiv überhöhte Preise zahlen müssen, ist dieser Gruppe nicht wichtig, da sie sehr gut verdient und mit den hohen jährlichen Bonuszahlungen teure Häuser kaufen und eventuell notwenige Hypotheken extrem schnell wieder abbezahlen kann. Mit den hohen Preisen entschädigen sie die vorangegangenen Gentrifizierer, die sich häufig noch aktiv für das Gemeinwesen eingesetzt haben, gewissermaßen für ihre soziale Leistung und kaufen sich gleichzeitig von der Verpflichtung frei, sich ebenfalls zu engagieren. Im Gegensatz zur herkömmlichen Gentrifizierung findet bei der Super-Gentrifizierung allerdings keine Verdrängung im eigentlichen Sinne statt. Die vorherigen Eigentümer verkaufen ihr Immobilien freiwillig, weil sie ohnehin den Standort wechseln wollten oder in den rasant steigenden Immobilienpreisen eine Möglichkeit sehen, ein für sie sehr vorteilhaftes Geschäft zu machen. Sie verlassen den Stadtteil nicht, weil sie ihn sich nicht mehr leisten können, sondern weil er für sie nicht mehr ideal ist, möglicherweise auch weil die Super-Gentrifizierer nicht mehr ihren Vorstellungen einer lokalen Gesellschaft entsprechen.25 Das Konzept der Super-Gentrifizierung geht über das Modell der Invasions-Sukzessions-Zyklen insofern hinaus, als dass es Gentrifizierung als einen Prozess begreift, der nicht notwendigerweise auf einem bestimm25 | „Several long-time residents’ reported in their questionnaire responses plans to cash in on this windfall, either through outright sale or through second mortgages, to finance retirement homes purchases elsewhere…“ (Lees 2003, S. 2502)
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ten Niveau zum Halten kommt. Auch in vollständig gentrifizierten Stadtteilen sind also weitere Aufwertungsprozesse möglich, die weniger von ökonomischen Gewinnerwartungen geprägt sind als von dem Bedürfnis der Bewohner, ihr Leben in einer bestimmten Umgebung zu verbringen. Allerdings hat Dangschat schon 1991 ein vierstufiges Modell von Gentrifizierung entwickelt, in dem er die Möglichkeit vorsah, dass sogenannte „Ultra-Gentrifier“ sich in einem bereits sehr weit aufgewerteten Stadtteil niederlassen, ohne dies aber empirisch so weit zu konkretisieren, wie Butler und Lees es getan haben.26 Daran, wie neue Nachfragemuster zur Aufwertung innerstädtischer Wohngebiete führen, schließt unmittelbar die Frage an, wie diese neuen Nachfragemuster, die Ausdruck neu entwickelter Optimierungsstrategien für das Alltagsleben sind, entstehen, was also dazu führt, dass Menschen zu Gentrifizierern werden. Smith erklärt dies mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel27 und dem demographischem Wandel,28 sieht die dadurch entstehende neue Nachfrage nach innenstadtnahem Wohnraum aber weiterhin als Folge abstrakter Kapitalströme. Beauregard29 sieht prinzipiell zwei Möglichkeiten, die Entstehung dieser neuen Nachfrage zu erklären: Einerseits können bestimmte, neue Lebensstile dazu führen, dass die Menschen ihren Alltag anders optimieren als früher, was dazu führen kann, dass eine Nachfrage nach innerstädtischem Wohnraum entsteht, die es vorher nicht gab. Andererseits lässt sich beobachten, dass es schon immer eine Gruppe von Mittel- und Oberschichthaushalten gab, die eine innenstadtnahe Wohnlage der Peripherie vorzogen (z.B. Mayfair und Belgravia in London), woraus man schließen könne, dass es sich die individuellen Optimierungsstrategien gar nicht geändert haben, sondern dass diese Gruppe lediglich gewachsen sei, und zwar durch die zu der Zeit aktiven geburtenstarken Jahrgänge und durch die Tertiärisierung der Wirtschaft. Smith zeigt in einem seiner späteren Aufsätze, dass die Einkommensverteilung bei Singles vom oberen Fünftel zugunsten des zweithöchsten und
26 | Dangschat 1991, S. 83 27 | Z.B. Smith 1996. Obwohl Smith selbst seine Argumentation nicht als an der Nachfrage orientiert verstehen würde (siehe oben), erklärt er doch das Entstehen einer neuen Nachfrage 28 | Ebd. 29 | Beauregard 1986a, S. 46
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mittleren Fünftels verschoben hat.30 Da das Angebot an hochwertigem innerstädtischem Wohnraum begrenzt ist, kommt es zu Überlauf-Effekten, die dazu führen, dass andere Wohngebiete mit ähnlichen Charakteristika für die Bedürfnisse dieser Gruppe aufgewertet werden. Auch Hamnett argumentiert, dass Gentrifizierung nicht stattfände, wenn es keine Gentrifizierer gäbe, die innerstädtischen Wohnraum nachfragen. Deren Entstehung begründet er dann mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, der gleichzeitig der Grund für das Angebot gentrifizierter oder gentrifizierbarer Immobilien sei, wie etwa Industriebauten, die aus der Nutzung fallen und zu Wohnungen umgenutzt werden können. Hamnett sieht insofern keinen substantiellen Unterschied zwischen angebotsorientierten Erklärungsansätzen wie Rent-Gap und Value-Gap einerseits und nachfrageorientierten Theorien andererseits, da beiden veränderte Produktionsstrukturen zugrunde lägen.31 Paul Redfern32 führt die neu entstandene Nachfrage nach innerstädtischem Wohnraum darauf zurück, dass neue Haushaltstechnologien wie Waschmaschinen, Spülmaschinen, Staubsauger und Zentralheizung neue Optimierungsstrategien möglich gemacht haben.33 Er bezieht sich dabei vor allem auf den angelsächsischen Raum mit seinen teilweise sehr großen Stadthäusern und argumentiert, dass diese von der Ober- und Mittelschicht aufgegeben wurden, weil sie nur mit einer großen Zahl von Hausbediensteten betrieben werden konnten. Zu dem Zeitpunkt, da die Dienstboten nicht mehr bezahlbar waren, konnten diese Häuser nicht mehr genutzt werden und wurden direkt in kleine Einheiten aufgeteilt und an niedrigere Schichten vermietet. Zu einem Filtering-Down-Prozess kam es laut Redfern nicht, da auch die Mittelschicht sich die Dienstboten, die man gebraucht hätte, um ein herrschaftliches Haus zu bewohnen, nicht leisten konnte.34 Erst mit der Einführung von Waschmaschine, Spülmaschine, Staubsauger und Zentralheizung und vor allem mit dem Preisver30 | Smith 1987b 31 | Hamnett 2003 32 | Redfern 1997a, 1997b 33 | „…the evolution of domestic technologies must have proceeded to the point where it becomes financially viable to renovate an old property instead of tearing it down and starting afresh“ (Redfern 1997b, S. 1336) 34 | „A house designed to be run by a complement of four servants could possibly be run by three for a while; it could not be run by two.“ (ebd., S. 1359)
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fall dieser Geräte, sei es für die Mittel- und Oberschicht möglich geworden, in die Häuser zurückzukehren, die sie einst aufgegeben hatten.35 Redfern sieht den Prozess der Gentrifizierung daher als ein einmaliges Ereignis, das dem technischen Fortschritt geschuldet ist. Sein Ansatz ist allerdings begrenzt, weil er lediglich eine weitere technische Voraussetzung für die Aufwertung innerstädtischer Wohngebiete untersucht, nicht aber warum dies Teil einer persönlichen Optimierungsstrategie werden kann, da die neuen Haushaltsgeräte ja auch an anderen Orten zur Erleichterung des alltäglichen Lebens beitrugen. Ein weiterer Auslöser für neue Strategien, das Alltagsleben zu optimieren, ist die sich ändernde Rolle der Frau. Hier sieht Alan Warde einen wesentlichen Auslöser für die gestiegene Attraktivität innerstädtischer Wohngebiete.36 Die Haus- und Erziehungsarbeit werde auch heute noch im Wesentlichen von Frauen bestritten, die diese nur dann mit ihrer Erwerbsarbeit koordinieren könnten, wenn sie die Wege zwischen Haus und Arbeit, Einkaufsmöglichkeiten, Kinderbetreuung und sonstigen Services minimieren. Nur in Innenstadtnähe, so Wardes Argument, kann eine moderne Frau Familie, Beruf und Freizeit miteinander in Einklang bringen, egal ob sie alleinerziehend ist oder sich die Arbeit mit einem Partner teilt, denn nur in innerstädtischen Lagen sind die nötigen Serviceangebote überhaupt in ausreichender Dichte vorhanden. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Frau aus Gründen der wirtschaftlichen Notwendigkeit arbeitet oder aus persönlichen Gründen oder welcher Art von Arbeit sie nachgeht und wie viel sie dabei verdient. Wenn man dieses Argument erweitert, was Warde nicht tut, ließe es sich auch auf Alleinstehende, ob männlich oder weiblich anwenden, die immerhin Haushalt und Beruf miteinander vereinbaren müssen und deren Anteil an der Bevölkerung ebenso zugenommen hat wie der berufstätiger Frauen.
35 | „But without electricity or household appliances for cleaning, cooking, and heating, what good does it do to spend money on repairing the structure of a house which can only be run with the aid of these technologies, or with the aid of servants.“ (Redfern 1997a, S. 1289) 36 | „Both kinds of living arrangements [i.e. Arten von Gentrifizierer-Haushalten] can more easily be seen as ways in which women reorient their behaviour to domestic and labour market pressures than as class solutions to the problem of everyday life“ (Warde 1991, S. 229)
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In ihrer Studie „Frauen und Gentrification“ hat Monika Alisch darauf hingewiesen, dass neue Lebensentwürfe der Frauen zwar eine wichtige Rolle bei Gentrifizierungsprozessen spielen, dass aber auch geänderte Familienbilder bei den Männern dazu beitragen.37 Und auch die Gruppe der an Gentrifizierungsprozessen beteiligten Frauen ist nicht homogen oder lässt sich gar ausschließlich durch ihre geschlechtliche Neuordnung bestimmen. „Diese biologische Tatsache allein ist nicht Ursache für eine unterschiedliche Teilhabe am Prozess der Gentrifizierung. Die Pluralisierung der Lebensentwürfe und -situationen lässt es nicht zu, nach einer Rolle der Frau während der Gentrifizierung zu suchen.“38 Für Alisch ist der Niedergang der Innenstädte in den 1950er und 1960er Jahren auch Ausdruck der damals fast unumstrittenen Rollenzuweisung, die den Mann als Ernährer und die Frau als Hausfrau und Mutter im Eigenheim am Stadtrand sah.39 Die möglicherweise wirtschaftlich notwendige weibliche Erwerbstätigkeit, die auch aus eben dieser Eigentumsbildung erwuchs, war in diesem räumlichen Kontext kaum möglich oder doch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Damit wurde die Suburbanisierung zu einem Hindernis für die Anpassung an veränderte ökonomische Rahmenbedingungen.40 Die Revitalisierung oder Gentrifizierung der innerstädtischen Wohngebiete ist demnach die logische Konsequenz aus einer neuen Rollenverteilung, wenn diese auch durch umfassendere wirtschaftliche Prozesse gefördert wurden.
3.3 A NDERE R ATIONALITÄTEN : J ENSEITS VON COMMON SENSE Eine ganze Reihe von Studien erklärt Gentrifizierung als die Folge von neuen Lebensstilorientierungen. Anders als bei den Erklärungsmodellen, die damit argumentieren, dass die optimierte Organisation des Alltagsle37 | „Ebenso wie jüngere Frauen nicht grundsätzlich der Familie eine Absage erteilen, sondern sich gegen die (institutionalisierte) Familie als Lebensaufgabe wehren, wollen jüngere Männer durchaus mehr Familienbeteiligung, aber eben nicht mehr die lebenslange Verantwortung als alleinige Familienernährer“ (Alisch 1993, S. 271) 38 | Ebd., S. 273 39 | Ebd., S. 99 40 | Alisch 1993, S. 101 nach Saegert 1982, S. 196
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bens die treibende Kraft hinter den Standortentscheidungen ist, geht es in diesem Fall um sehr viel weniger praktische und weniger greifbare Aspekte der Standortwahl. Stil, Distinktion, das Bild, dass man seiner Umwelt (oder auch sich selbst) vermittelt, sich wohlfühlen – natürlich sind auch diese Aspekte in gewisser Weise rational, aber sie lassen sich nicht mit Notwendigkeiten im engeren Sinne begründen, etwa der Nähe zum Arbeitsplatz. Viele dieser Autoren berufen sich auf Pierre Bourdieus Studie „Die feinen Unterschiede“41 und geht von einer weitgehend freien Wahl der Präferenzen aus. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Notwendigkeit weiblicher Erwerbstätigkeit und den damit verbundenen Schwierigkeiten, das Familienleben zu organisieren, steht hier die Möglichkeit der Selbstverwirklichung und die Konstruktion der eigenen Identität im Vordergrund. Begünstigt wir dies durch die verlängerte Phase der Postadoleszenz, in der verschiedene Lebensformen ausprobiert werden können. Die Möglichkeit, diese unterschiedlichen Präferenzen tatsächlich auszuleben, führt dabei zu einer weitgehenden Pluralisierung, die auf der Nachfrageseite die Gentrifizierung auslöst bzw. die Abwanderung an den Stadtrand unattraktiv macht. Jörg Blasius hat für Köln nachgewiesen, dass die Gentrifizierer tatsächlich andere Lebensstile pflegen, als die angestammte Bevölkerung eines Gebiets,42 und hat sich dabei an den von Bourdieu verwendeten Kategorien orientiert. Fraglich bleibt dabei, was die von ihm untersuchten Stilpräferenzen tatsächlich über die Standortentscheidungen und die Beweggründe der Gentrifizierer aussagen. Gary Bridge43 hat versucht mit Bezug auf Bourdieu am Beispiel Sydneys nachzuzeichnen, wie eine „neue Mittelschicht“ ihr kulturelles Kapital einsetzt, um Quartiere der Arbeiterschicht zu überformen. Er bezieht sich dabei insbesondere auf die Konstitutionspraktiken der Mittelschicht, die für ihn im Falle gentrifizierender Nachbarschaften vor allem auf ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein setzen. Dies kommt in der stilgerechten Modernisierung der ehemals heruntergekommenen Häuser zum Ausdruck, in der sich eine gewisse „Kennerschaft“ zeigt.
41 | Bourdieu 1979 42 | Blasius 1993 43 | Bridge 2001
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Gary Bridge sieht Gentrifizierung als ein „Feld“ im Sinne Bourdieus, auf dem wirtschaftliches und kulturelles Kapital eingesetzt wird, um sich gegen andere Schichten abzugrenzen. Die von ihm so genannte „neue Mittelschicht“ ist deswegen neu, weil sie eine spezifische Kombination von wirtschaftlichem und kulturellem Kapital einsetzt, die sie von anderen Gruppen der Mittelschicht unterscheidet, und weil ihr kulturelles Kapital fehlendes wirtschftliches Kapital ersetzt, das nötig wäre, um sich ohne den Umweg der Gentrifizierung mit dem gewünschten Wohnraum zu versorgen. Insofern sei die Neudefinition innenstadtnaher Wohnstandorte durch diese neue Mittelschicht ein Zeichen von klassenspezifischer Machtausübung. Die Preise, die für unrenovierte Häuser gezahlt werden, unterscheiden sich nicht stark von denen für renovierte, weil die Ästhetik der Gentrifizierung vor allem darauf beruht, sich das Haus anzueignen und seinen guten Geschmack zur Schau zu stellen. Der Gentrifizierer zahlt demnach also einen Preisaufschlag dafür, sich selbst verwirklichen zu können, für den er beim direkten Wiederverkauf seiner Immobilie nicht entschädigt wird. Allerdings lebt diese Argumentation davon, dass die Gentrifizierer mittel- oder langfristig in den betroffenen Gebieten die Hegemonie übernehmen und geht nicht davon aus, dass die Gentrifizierer sich auf Dauer in der Minderheit befinden werden, wie es in ehemaligen Londoner Sozialwohnungen zum Teil der Fall ist. David Ley hat sich mit der Entstehung neuer Präferenzen und neuer Zuschreibungen befasst und sich dabei ebenfalls explizit auf Bourdieus Konzept von kulturellem und wirtschaftlichem Kapital bezogen, das davon ausgeht, dass Angehörige einer Schicht kulturelles und wirtschaftliches Kapital gegeneinander austauschen können.44 Dabei zeigt er sehr ausführlich, wie Künstler, die meistens zur Ober- oder oberen Mittelschicht gehören, „Bedeutung“ und symbolische Werte erzeugen. Mit einem sehr hohen kulturellen Kapital sind Künstler in der Lage, ihr sehr geringes wirtschaftliches Kapital auszugleichen und können so Kunstwerke erzeugen, deren Wert weit über dem Materialwert liegt. Ähnlich wie bei der Kunstproduktion wertloses Material zu wertvollen, bedeutenden Werken wird, können Künstler einen Standort mit kulturellem Wert aufladen, der ihn auch für andere Bevölkerungsgruppen höherer Schichten interessant macht, die möglicherweise mit einer anderen (aber dennoch insgesamt hohen) Mischung von wirtschaftlichem 44 | Ley 2003
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und kulturellem Kapital ausgestattet sind. In späteren Phasen werden Stadtteile, die in dieser Weise von Künstlern erschlossen wurden, für immer mehr, wirtschaftlich zunehmend potentere Bewohner interessant, weil diese das kulturelle Kapital, das die Pioniere erzeugt haben, in bares Geld umwandeln können. Für das Geschehen im Londoner sozialen Wohnungsbau ist Leys Ansatz vor allem interessant, weil er erklärt, wie Stadtteile, die unter De-Investitionen leiden, sich zu Stadtteilen entwickeln, in denen zunehmend mehr investiert wird, wobei Ausgangs- und Endpunkt jeweils auf ganz unterschiedlichem Niveau liegen können und er dabei nicht mit abgeschlossenen Phasen operieren muss. In der Abhängigkeit von kulturellem und wirtschaftlichem Kapital für den Status eines Standorts impliziert Ley, dass Individuen mit der Standortwahl ihre Präferenz für eine bestimmte Kombination ausdrücken, und dass andere Individuen in der Lage sind, diese Wahl als kulturelles Statement zu dechiffrieren. Letztendlich jedoch sieht auch Ley in der verstärkten Wertschätzung von kulturellem Kapital, die diesen Entwicklungen zugrunde liegt, eine Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels und des allgemein steigenden Wohlstands in weiten Kreisen, der die schwindende Bedeutung der schlichten Erfüllung lebensnotwendiger Bedürfnisse erst möglich machte. Gerhard Schulzes Werk „Erlebnisgesellschaft“ bezieht sich ebenfalls stark auf Bourdieus Studie „Die feinen Unterschiede“. Er gründet sein Konzept verschiedener Lebensstile weniger auf bestimmte äußere Merkmale als auf ähnliche Weisen des Erlebens.45 Demnach ist heute „das schöne Leben“ (im Gegensatz zum bloßen Überleben, das lange Zeit die Handlungen der Menschen bestimmte) das übergreifende Projekt, das Menschen miteinander verbindet. Mit dem Ziel „ein schönes Leben“ zu haben, hat jede Handlung nicht nur eine außenorientierte Komponente (im Falle der Wohnung Schutz vor Witterung und anderen äußeren Einflüssen), sondern wird, sobald es eine Wahl zwischen mehreren Objekten gibt, die denselben Zweck erfüllen, vor allem von dem innenorientierten Erlebniswert bestimmt. Dementsprechend entwickelt Schulze eine Milieutheorie, und die Räume dieser Milieus sind nicht mehr traditionelle physische „Umgebungen“, die ein Milieu teilt, sondern „Szenerien“ und sogenannte „milieuneutrale Zonen“,46 die vorübergehend aufgesucht 45 | Schulze 1992 46 | Schulze 1994, S. 46
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werden und in ihrem Charakter flüchtig sind, beispielsweise Kneipen und Diskotheken oder Museen und Galerien. Hier betreiben Milieus Selbstdarstellung, die einzelnen Personen suchen diese Szenerien aber nur vorübergehend auf und haben die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Szenerien zu wählen und zu wechseln.47 Schulze geht weder auf das Phänomen der Gentrifizierung ein, noch zählt er die Wohnung, das Haus oder den Standort zu den primären Distinktionsattributen.48 Er schließt den Wohnort sogar explizit aus der Reihe der „Szenerien“, die Bedeutung für die Konstitution von Milieus und die Selbstdarstellung von Individuen haben, aus.49 Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Wahl der Wohnung, zumal wenn es sich um Eigentum handelt, von weit größerer Tragweite ist (finanziell und in Bezug auf die zeitliche Dauer ihrer Auswirkungen) als beispielsweise die Wahl der Kleidung oder des Essens. In Ihrem Buch „Raumsoziologie“ schließt Martina Löw diese Lücke. Sie entwickelt einen Raumbegriff, der verschiedene Konstruktionsweisen zulässt und sowohl den Betrachter (der „Synthetisierende“) mit seinen Bezugssystemen einbezieht als auch den konkreten Raum und die Verortung des Körpers.50 Gleichzeitig versteht Löw Raum auch als Ressource, über die Personen nicht nur aufgrund Ihres Habitus, ihrer Bezugssysteme oder ihrer physischen Anwesenheit in unterschiedlichem Maße verfügen oder sich aneignen können, sondern die Chancen auf Aneignung sind auch über die Besitzverhältnisse (und damit das ökonomische Kapital) ungleich verteilt.51 Sie legt dar, wie aufbauend auf Schulzes Untersuchungen die Wohnung sowohl in ihrer Ausstattung als auch in ihrer Lage Teil der individuellen Raumkonstruktion ist, und eben nicht wie von Schulze angenommen ihre Bedeutung verliert.
47 | Ebd., S. 49—50 48 | Schulze 1992, S. 37 „In vielen Bereichen ist außenorientiertes Handeln zurückgegangen, innenorientiertes Handeln vorgedrungen: Kleidung, Essen, Gartenarbeiten, Partnerschaft, Kinder haben, Instandhaltung der Wohnung, Beruf, Bildung, Transport und anderes.“ 49 | Schulze 1994, S. 51 50 | Löw 2001, S. 202 51 | Ebd., S. 217
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3.4 S TANDORTENTSCHEIDUNGEN ALS A USDRUCK VON I NDIVIDUALITÄT Allen bekannten Ansätzen in der umfangreichen Gentrifizierungsforschung ist gemeinsam, dass sie Aufwertungsprozesse als logische Folge relativ einheitlicher rationaler Abwägungsprozesse begreifen. Stadtökonomisch orientierte Modelle gehen davon aus, dass die Entscheidung für einen bestimmten Wohnort in dem Spannungsfeld von Quadratmeterkosten, Kosten für das Pendeln zur Arbeit und jeweils konsumierbarer Wohnfläche fällt.52 Die Versuche, veränderte Lebensstile53 oder den wirtschaftlichen Strukturwandel54 zur Erklärung von Gentrifizierung zu bemühen, sehen sie als Ergebnis gleichartiger Einzelentscheidungen. Dasselbe gilt im Prinzip für alle marktorientierten Erklärungen, egal ob sie sich auf die Nachfrageseite55 oder die Angebotsseite56 konzentrieren. Zudem beschäftigt sich die Gentrifizierungsforschung fast ausschließlich mit der Wiederaneignung ehemals repräsentativer Wohnbauten, seien es die angelsächsischen Stadthäuser oder gründerzeitliche Wohnungen in Deutschland. Redfern geht in seiner Definition von Gentrifizierung explizit davon aus, dass die fraglichen Bauten zuvor von der Ober- oder Mittelschicht verlassen worden sein müssen und dass es außerdem zur Verdrängung der angestammten Bevölkerung kommen muss. Smiths Rent-Gap-Modell impliziert zudem, dass die Gentrifizierung im Laufe der Zeit alle Stadtteile erfasst, die ein gewisses Maß an Abwertung erfahren haben und dass Stadtteile, in denen die Gentrifizierung begonnen hat, unweigerlich vollständig gentrifiziert werden, da es sich um einen optimierten Prozess der Kapitalakkumulation handelt. Diese Abwägungsprozesse werden jedoch immer von einzelnen Individuen vollzogen. Alle Erklärungsversuche auf der Basis dieser Überlegungen müssen daher versuchen, diese individuellen Ambitionen und Präferenzen zu systematisieren und zu vereinheitlichen. Sie bieten daher auch keine hinreichende Erklärung dafür, warum Menschen in einer bestimmten 52 | Alonso in: Barnbrock 1975; Hoyt 1939, nach: Balchin/Bull/Kieve 1995 (1977) 53 | Spiegel 1986, Alisch 1993 54 | Tertiarisierung, Beauregard 1986 55 | Hamnett/Randolph 1986, Ley 1994 56 | Rent-Gap, Smith 1986, Smith 1996
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Lebenssituation sich dafür entscheiden, zu Gentrifizierern zu werden, denn das Wohnen in den Vororten geht nicht parallel zur Gentrifizierung der Innenstädte zurück.57 Dennoch wird dem Phänomen eine hohe symbolische Bedeutung zugemessen, wie sich an der umfangreichen Literatur zum Thema ablesen lässt.58 Um den Prozess der Gentrifizierung besser zu verstehen, wird in diesem Buch anhand von Beispielen gezeigt, was genau zwischen Gentrifizierern und angestammter Bevölkerung geschieht und was die Gentrifizierer dazu bewegt, sich in einem Umfeld niederzulassen, dessen Status unterhalb dessen liegt, was ihrem Konsumverhalten und ihren eigenen Statusansprüchen normalerweise entsprechen würde. Ohne den bekannten Erklärungsmodellen ihren Wert abzusprechen, wird hier er Erwerb einer Wohnung für die eigene Nutzung vorrangig als eine Konsumentscheidung betrachtet. Dies steht den eher nachfrageorientierten Ansätze der Gentrifizierungsforschung nahe, die Grenzen für die Erklärung der Gentrifizierung als Gesamtphänomen haben. Anstatt eine neue, umfassende Theorie zu entwickeln, werden Extremfälle von einzelnen Standortentscheidungen gezeigt, deren Verständnis möglicherweise geeignet ist, einen bisher wenig beachteten Teilaspekt der Gentrifizierung oder der „Renaissance der Innenstädte“ besser zu verstehen und damit auch aktuelle Diskurse und die Rollen der Akteure darin transparenter zu machen, etwa wenn es um die Renaissance der Innenstädte oder die soziale Mischung von Quartieren geht. Wenn man die Wohnung mit all ihren Eigenschaften (wie Ausstattung, Lage, Umfeld, Aussicht) als Konsumgut versteht, rücken neben den rationalen Abwägungen andere Entscheidungsprozesse ins Blickfeld, die helfen könnten, die Unregelmäßigkeiten in Gentrifizierungsprozessen zu verstehen. Anders als bei Hoang Huu Phe und Patrick Wakely59 geht es dabei allerdings darum, zu verstehen, welche Statuspole für den einzelnen bei seiner Standortentscheidung eine Rolle gespielt haben und wie sie gegeneinander abgewogen wurden. Dieses Vorgehen kann nicht repräsentativ sein, sondern nur einzelne Entscheidungen erklären. Möglicherweise lassen sich dann Muster erkennen, die für mehrere Fälle gleichermaßen gelten, beispielsweise übereinstimmende Qualitätsvorstellungen die eigene 57 | Smith 1986, S. 20—21 58 | Redfern 2003 59 | Huu Phe/Wakely 2000
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Wohnung betreffend oder ähnliche Distinktionsbedürfnisse gegenüber dem jeweiligen sozialen Umfeld. In diesem Zusammenhang ist die interessante Frage nicht mehr, ob und warum die großmaßstäblichen sozialen Wohnungsbauten gentrifiziert werden, sondern warum sich das Spektrum der wählbaren Wohnstandorte auf diesen Gebäudetypus erweitert hat. Damit ließe sich gleichzeitig erklären, warum in London derzeit auch Wohnungen in Wohnmaschinen des sozialen Wohnungsbaus, von denen man noch vor wenig mehr als einem Jahrzehnt glaubte, dass ihre Probleme nur durch Abriss zu lösen seien, von Personen als Wohnstandort gewählt werden, die den gängigen Schemata von Gentrifizierern entsprechen. Die Frage, ob es sich in diesem Fall um Gentrifizierung handelt oder nicht, spielt demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Vielmehr lässt sich untersuchen, wie sich einzelne Individuen im Feld des Londoner Wohnungsmarktes bewegen und warum sie sich für eine Wohnsituation entscheiden, in der sie auf absehbare Zeit in der Rolle des „Pioniers“ bleiben werden, weil sie überwiegend Sozialmieter als Nachbarn haben. Dies stellt eine Reihe von Annahmen, die einem großen Teil der Gentrifizierungsforschung zugrunde liegt, infrage, so etwa die Frage der Verdrängung angestammter Bevölkerungsschichten, und die Art der Immobilie, die im Fall der Wohnmaschinen eben nicht den Wünschen und Aspirationen der oberen Mittelschicht oder gar der Oberschicht entsprechend gestaltet war, sondern zum Ziel hatte, die breite Masse mit günstigem und weitgehend standardisiertem Wohnraum zu versorgen. Außerdem muss Gentrifizierung selbst in einem Umfeld, in dem sie möglich wäre, nicht zwangsläufig eintreten, wenn die Politik entsprechend auf den Prozess einwirkt, beispielsweise indem sie Sozialwohnungen nicht privatisiert, obwohl eine ausreichend große Nachfrage vorhanden wäre. In einem solchen Fall wird der politische Wille zum bestimmenden Faktor, während im öffentlichen Diskurs vermeintlich abstrakten Marktkräften häufig viel Raum eingeräumt wird, die so den Blick auf die anderen Akteure verstellen. Für die Aufwertung ehemaliger Sozialwohnungen in London sind die systematischen Prozesse ebenso wie individuelle Alltagsbewältigung und Strategien der Selbstinszenierung relevant. Dennoch bieten sie nur notwendige, nicht aber hinreichende Erklärungen an. Auf der Ebene der abstrakten Erklärungsmuster können Rent Gap und Value Gap erklären, warum eine Investition in eine derartige Wohnung unter den Bedingungen des Londoner Wohnungsmarktes sinnvoll erscheinen kann.
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Auf der Ebene der individuellen Alltagsorganisation lassen sich möglicherweise Eigenschaften dieser Wohnungen oder spezielle Rahmenbedingungen bei den Käufern herausarbeiten, die sie attraktiver machen als andere Angebote, und die den Malus ausgleichen, den die Nachbarschaft von Sozialmietern zweifelsohne mit sich bringen. Auf der Ebene der persönlichen Beweggründe, die sich nicht ohne weiteres rational erklären lassen, ist Bourdieus Konzept der Dinstinktion zwar ein grundsätzlich brauchbarer Rahmen für die Analyse, wie die vielen Arbeiten, die sich dessen bedient haben, zeigen, doch zielt er zu sehr auf Stil- und Klassenfragen ab und wird der heute vergleichsweise bedeutenderen Konstruktion der eigenen Identität durch Konsum- (und Standort) -entscheidungen nicht mehr gerecht. Am Beispiel der ehemaligen Sozialwohnungen lässt sich nachvollziehen, wie individuelle Standortentscheidungen gefällt werden und wie einzelne Personen zu ihrem Wohnumfeld in Beziehung treten. Dies wird besonders aufschlussreich vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der Befragten freiwillig eine Wohnsituation gewählt hat, die den gängigen Schemata vom idealen Wohnen sowohl formal als auch in Bezug auf das soziale Umfeld widerspricht. Der bekannte analytische Rahmen dieser Konstruktionsstrategien wird mit Theorien aus der Kultursoziologie ergänzt, die interessante Ansätze zur Entstehung von Zuschreibungen und symbolischen Bedeutungen von Waren, Verhaltensmustern und Stilen aller Art entwickelt hat.60 Hinzu kommen Ansätze aus der Kunst- und Literaturgeschichte, die bisher nicht auf das Feld der Gentrifizierung angewandt wurden. Dies erlaubt, die Aufwertung von Wohnmaschinen weniger als eine ästhetische Strategie denn als eine des Erlebens zu verstehen. Die Distinktion entsteht zudem nicht durch ein gemeinsames historisches Bewusstsein, sondern durch eine romantische Vorstellung vom „echten“, guten, einfachen Leben der Arbeiterklasse. Diese Diskussion kommt aus der Literaturwissenschaft61 und wurde von Thomas Crow62 und Julian Stallabrass63 in den Bereich der Kunstkritik übernommen.
60 | Sontag 1964, Schulze 1992 61 | Empson 1974 (1935) 62 | Crow 1996 63 | Stallabrass 1999, S. 237 ff.
4 Quellen und Methode
Neben Induktion und Deduktion ist die Abduktion eine dritte Art der Schlusslogik. Für die Untersuchung von Aufwertungsprozessen in Gebäuden des sozialen Wohnungsbaus in London bietet sich die Abduktion an, weil sich die zu beobachtenden Prozesse einerseits nicht mit den vorhandenen zur Verfügung stehenden Theorien erklären lassen, und weil es andererseits nicht möglich ist, eine für ein induktives Verfahren ausreichend große Zahl von Fallstudien zu bearbeiten, die sich zudem weit stärker ähneln müssten, als es bei dem Typus des hier untersuchten Projekts überhaupt der Fall sein kann. Insofern konnte es nur darum gehen, in einer kleinen Anzahl von Fällen Strukturen und Zusammenhänge zu erkennen. In diesem Buch werden strukturelle Aussagen über das Aufwertungsgeschehen in sozialen Wohnungsbauten in London gemacht, und zwar auf der Basis empirischer Daten sowie bestehender Theorien, etwa aus dem Bereich der Gentrifizierungsforschung, der Lebensstilforschung aber auch der Kunst- und Literaturwissenschaft entwickelt. Dies ist ein klassisches Anwendungsbeispiel für die Logik der Abduktion, die es möglich macht, „aus beobachtbaren Phänomenen bislang unbegriffene Erklärungen bzw. neue Regelhaftigkeiten“ zu entwickeln. Damit ist die Abduktion der „einzige[r] systematisierte[r], wenn auch wenig lenkbare[r] Prozess, der Hypothesen generieren und damit neues wissenschaftliches Wissen produzieren kann.“1 Gabriele Sturm führt die Abduktion auf Charles Sanders Peirce zurück, für den es neben der Deduktion die Induktion und die Abduktion als zwei weitere, ebenso zulässige Arten des Schlussfolgerns gab, die beide der Findung und Entwicklung von Erkenntnis dienten und unverzichtbar für die durch Deduktion abzusichernde Theoriebildung seien. Formallogisch sei der Deduktionsschluss zwingend, der Induktionsschluss wahrscheinlich 1 | Sturm 2006, S. 27
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und der Abduktionsschluss sogar nur möglicherweise richtig.2 Anders als deduktiv gewonnen Erkenntnisse tritt „abduktiv gewonnene Wahrheit […] sozial gebunden auf: Abhängig vom Erfahrungsschatz der Forschenden sind unter bestimmten Perspektiven und für bestimmte Zwecke neu begründete Ordnungen, neu erkennbare Strukturzusammenhänge zu finden, die zu den bislang nicht wahrgenommenen Problemstellungen Erklärungen und in der Folge Lösungsmöglichkeiten anbieten.“3 Abbildung 1: Quellen, Aussagen und Schlusslogiken
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Quelle: eigene Darstellung nach Gabriele Sturm
Wie Gabriele Sturm anmerkt, ist es unwahrscheinlich, dass die Abduktion die einzige relevante Schlusslogik ist. Sie kann gleichwohl diejenige sein, die dominant ist und die wirklich interessanten neuen Erkenntnisse generiert. Auch in dieser Arbeit kommen deduktive Schlüsse vor, beispielsweise um die Frage zu beantworten, ob es sich bei dem beobachteten Phänomen um Standortentscheidungen nach bekannten Mustern handelt. Ebenso wird induktiv geschlossen, etwa um die Rolle der physischen Eigenschaften der
2 | Ebd., S. 28 3 | Ebd., S. 33
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untersuchten Gebäude zu bestimmen.4 Da die deduktiv und induktiv gewonnenen Erkenntnisse jedoch nicht ausreichen, um Aufwertungsprozesse im sozialen Wohnungsbau zu erklären, wurde die Abduktion als weitere Form herangezogen und konnte neue Erklärungsansätze generieren.
4.1 O BJEK TEBENE UND S UBJEK TEBENE Die Fallstudien wurden auf zwei grundsätzlich unterschiedlichen Ebenen bearbeitet. Einerseits werden die Gebäude als Objekte betrachtet, ihre Planungsgeschichte, die Entstehung, die spätere Entwicklung, Begebenheiten, die das Gebäude beeinflusst haben. Andererseits wurden die Wohnerfahrungen der Bewohner untersucht, ohne die das Alltagsleben in den untersuchten Gebäuden gar nicht zu verstehen wäre. Ergänzend wurde der Diskurs in der Fach- und Tagespresse analysiert und das gesamte Umfeld des Immobilienmarktes betrachtet. Erst im Zusammenspiel dieser ganz unterschiedlichen Betrachtungsebenen wurde es möglich, die jeweils spezifischen Prozesse zu verstehen, die ein Gebäude zu dem gemacht haben, was es heute ist, und die zu den jeweiligen Standortentscheidungen einzelner Individuen geführt haben.
4.2 D IE F ALLSTUDIEN „Wohnmaschine“ ist kein klar definierter Begriff. Weder die Anzahl der Wohneinheiten, noch die Abmessungen einer Wohnmaschine lassen sich als eindeutige Eckpunkte heranziehen. Eine Wohnmaschine ist auch nicht ohne weiteres mit einem Hochhaus gleichzusetzen, kann aber selbstverständlich ein Hochhaus sein. Eine „Wohnmaschine“5 ist hier nicht nur ein Wohnhaus, in dem mindestens 70 Wohnungen befinden, sondern diese müssen auch durch einen einzigen, gemeinschaftlich genutzten Raum erschlossen sein, egal ob das Gebäude sich horizontal oder vertikal ausdehnt. Eine Wohnmaschine ist 4 | Vgl. beispielsweise die Beschreibung der Schlusslogiken bei Reichertz 2007 (2000), S. 280 f. 5 | Vgl. die Diskussion des Begriffs „Megastructure“ bei Reyner Banham, Banham 1976, S. 6–10
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außerdem nach den Gesichtspunkten des modernen Städtebaus gebaut und umfasste dementsprechend zumindest zur Zeit ihrer Entstehung weitere Nutzungen, beispielsweise Gemeinschaftsräume, Kindergärten, ServiceEinrichtungen oder Läden und verfolgt neben der Wohnungsversorgung weitere soziale Ziele, etwa die Stärkung der Gemeinschaft oder die Entlastung der Hausfrau durch moderne Technik. Gelegentlich werden Metaphern verwandt, die darauf anspielen, dass die Wohnmaschine mehr als nur ein Haus, sondern ein eigenes Stück Stadt ist, beispielsweise indem Laubengänge als „streets in the sky“ verstanden werden oder Podeste als „decks“, auf denen Kinder spielen und Mütter sich treffen können. Dementsprechend waren diese Gemeinschafts- und Erschließungsflächen zumindest in den Anfangszeiten der Bauten oft als Erweiterung des Straßenraums gedacht, öffentlich zugänglich und wenig kontrolliert. Zuletzt sollten die Gebäude eine erkennbare Großform haben, was Siedlungen, die nach dem Prinzip des „Low Rise High Density“ gebaut wurden, ausschließt. Zweifelsohne gibt es viele Wohnbauten in London, auf die diese Beschreibung zutrifft. Hier werden nur die Londoner Wohnmaschinen betrachtet, die mindestens einmal in den wichtigsten zeitgenössischen Fachzeitschriften publiziert waren. Daneben kamen auch Gebäude infrage, die in aktuellen und zeitgenössischen Architekturführern und Standardwerken der Architekturgeschichte verzeichnet sind oder unter Denkmalschutz gestellt wurden. Dazu kommen für weniger prominente Architekturzeitschriften Nennungen im Avery-Index und für die Zeit nach 1980 durch den RIBA Webcat, in dem auch kleinste Meldungen archiviert sind. Der besseren Vergleichbarkeit wegen liegen alle Projekte im Bereich des 1963 erweiterten ehemaligen County of London. Dies sind City of London, Westminster (früher Westminster, St Marylebone und Paddington), Kensington and Chelsea (früher Kensington bzw. Chelsea), Hammersmith and Fulham (früher Hammersmith bzw. Fulham), Wandsworth (früher Teile von Wandsworth und Battersea), Lambeth (früher Lambeth und Teile von Wandsworth), Southwark (früher Southwark, Bermondsey und Camberwell), Lewisham (früher Lewisham und Deptford), Greenwich (früher Greenwich und Woolwich), Tower Hamlets (früher Bethnal Green, Stepney und Poplar), Hackney (früher Hackney, Stoke Newington und Shoreditch), Islington (früher Islington und Finsbury), Camden (früher Camden, Hampstead, Holborn und St Pancras). Diese Einschränkung erscheint vertretbar, da es auch innerhalb dieses Gebiets zentrale und periphere Lagen gibt, die sich nicht wesentlich von denen in Boroughs wie Redbridge oder
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Richmond unterscheiden, und alle typischen Formen des sozialen Wohnungsbaus vertreten sind. Zudem war der LCC im wesentlichen innerhalb dieses Gebiets als Bauherr und Anbieter von sozialem Wohnungsbau aktiv, so dass sich das Geschehen nicht ohne weiteres mit dem in den neu hinzugekommenen Boroughs des GLC vergleichen lässt. Die Londoner Wohnmaschinen lassen sich in drei Typen unterteilen: Ň Punkthochhäuser und Wohnscheiben, die von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre vom London County Council (LCC) errichtet wurden. Diese sind sich untereinander formal sehr ähnlich, wurden aber nicht aus vorgefertigten Bauteilen errichtet. Ein Gebäude dieser Art enthält zwischen ca. 70 und 100 Wohnungen. Einzelne Projekte dieser Kategorie wurden mittlerweile unter Denkmalschutz gestellt, andere sind weitgehend unauffällig.6 Ň Plattenbauten in deutlich größeren Einheiten, die nach der Reform des London County Council und der Neuordnung der Boroughs in den sechziger Jahren entstanden. Der LCC war danach vor allem noch in den Boroughs Southwark und Tower Hamlets aktiv, wo sich ein Großteil dieser Projekte befindet. Aus dieser Kategorie wurde bisher kein Objekt unter Denkmalschutz gestellt. Ň Einzelne Objekte aus der Zeit vor und vor allem nach der Reform der Boroughs, die in der Verantwortung der lokalen Verwaltungen entstanden. Diese sind architektonisch oft sehr einprägsam und stehen mittlerweile in vielen Fällen unter Denkmalschutz.
4.2.1 Was ist Qualität? Die Faktoren, die einen sozialen Wohnungsbau attraktiv machen, lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Dies sind erstens die unveränderlichen und langfristig unveränderlichen physischen Eigenschaften, zweitens die veränderlichen physischen Eigenschaften und drittens die ideellen, nicht physischen Eigenschaften.
6 | Prominentestes Beispiel sind die Alton Estates in Roehampton, die zum Teil Vorbild für den städtebaulichen Entwurf des Berliner Hansaviertels waren (siehe Wagner-Conzelmann (2007), S. 49/S. 167;
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Langfristig stabile physische Eigenschaften Qualität der Wohnung: In dieser Kategorie spielt die Grundrissqualität eine wichtige Rolle. Dies schließt die Ausstattung mit privaten Freiräumen ein, die Nutzbarkeit, Möblierbarkeit und die Größe der Räume. Dazu kommen Qualität wie Aussicht, Belichtung und andere räumliche Qualitäten, etwa Durchblicke oder Lufträume. Qualität des Gebäudes: Hierzu zählt zunächst die Qualität der gemeinschaftlich genutzten Bereiche wie etwa der Flure und Treppenhäuser hinsichtlich der oben bereits genannten Aspekte Größe und Belichtung. Dazu kommt, dass möglicherweise weitere Gemeinschaftsräume vorhanden sind, etwa Waschküchen, Fahrradkeller oder Räume für Feste und Feiern. Zu diesem Bereich gehört auch das direkte Umfeld der Häuser, also der Bereich, für den der Eigentümer verantwortlich ist, und der möglicherweise gleichzeitig mit dem Haus vom Architekten entworfen wurde, beispielsweise der Übergang zum öffentlichen Raum, Freibereiche, Park- und Spielplätze. Ein möglicher Indikator für diese beiden Aspekte ist der Denkmalschutz. Qualität des Umfelds: In dieser Kategorie finden sich äußere Einflüsse auf das Gebäude, etwa Verkehrsschneisen, die Nähe zu größeren Parks oder Grünräumen, aber auch das Erscheinungsbild des Quartiers insgesamt. Zentralität: Ein wesentliches Kriterium für die Standortwahl von Individuen ist die Nähe zur Innenstadt. Schon im klassischen Stadtmodell von Alonso ist sie neben dem Preis die zentrale Variable.
Kurz- oder mittelfristig stabile physische Eigenschaften Sauberkeit: Diese bezieht sich sowohl auf die Gemeinschaftsräume im Haus als auch auf das unmittelbare Umfeld. Dazu gehört beispielsweise auch, ob Straßen und Gehwege in der Nachbarschaft gepflegt werden und ob der Müll regelmäßig abgeholt wird. Sicherheit: Hier ist sowohl das Angstempfinden der Bewohner relevant, dem durch geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden kann, als auch tatsächliche Übergriffe, die sich im schlimmsten Fall durch Gewalt gegen Personen äußern, aber auch Einbrüche oder nur verbale Belästigungen sein können. Unterhaltungszustand: Dies bezieht sich auf das Umfeld, auf die Gemeinschaftsflächen und auf die Wohnungen. Dabei spielt sowohl eine Rolle, ob Schäden umgehend behoben werden, als auch die regelmäßige
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Wartung und Pflege der technischen Einrichtungen oder der Gebäudeoberflächen. Infrastruktur: Zu den kurz- oder mittelfristigen physischen Eigenschaften gehört auch die Ausstattung mit Läden oder sonstiger Infrastruktur (Cafés, Kinos, Dienstleistungsbetriebe). Für Familien besonders relevant ist die Frage, ob ein Gebäude im Einzugsbereich einer guten öffentlichen Schule liegt.
Ideelle oder symbolische Eigenschaften Individuell: Gerhard Schulze hat den „Erlebniswert“ eines Konsumguts oder einer Tätigkeit beschriebenen. Neu ist, dass offenbar auch Massenwohnungsbau einen solchen „Erlebniswert“ entwickeln kann. Kollektiv: Ein Gebäude kann als Landmarke dienen oder auch durch seine Geschichte und in der Allgemeinheit verwurzelte Erinnerungen symbolisch bedeutsam werden.7 Ein Gebäude kann umso eher als „erfolgreich“ bezeichnet werden, desto besser es auf jeder einzelnen dieser unterschiedlichen Ebenen funktioniert. Dabei kann Erfolg nicht allein durch den Immobilienmarkt determiniert werden, vielmehr spiegeln Leerstandsquote, Wohnzufriedenheit, Medienpräsenz, Fluktuation oder auch die Länge der Warteliste den Erfolg als Wohnhaus wider. Festzuhalten ist dabei, dass „Erfolg“ trotz aller Bemühungen, eindeutige Kriterien zu finden und diese rational und transparent anzuwenden, immer unscharf bleiben muss. Da es sich hier um eine qualitative Studie handelt wurden die Fallbeispiele nach dem Prinzip der Kontrastierung ausgewählt. Nach Merkens geht es bei qualitativen Untersuchungen nicht um statistische Repräsentativität, sondern um die Generalisierbarkeit der Ergebnisse, die „u.a. dadurch erreicht werden kann, dass die Stichprobe den untersuchten Fall inhaltlich repräsentiert“ und darum, „die Typik des untersuchten Gegenstandes zu bestimmen und dadurch die Übertragbarkeit auf andere, ähnliche Gegenstände zu gewährleisten“.8 Bei qualitativen Studien wird die Frage der Stichprobenziehung damit von einem methodischen zu einem inhaltlichinterpretativen Problem, und Mertens gibt für die die Bestimmung der Stichprobe als Kriterium an, dass der Fall möglichst „facettenreich“ erfasst werden muss. Michael Quinn Patton, den auch Merkens zitiert, 7 | Vgl. Halbwachs 1967 8 | Merkens, Hans (2000), S. 291 ff.
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nennt unter der Überschrift „Purposeful Sampling“ als Kriterien für die Stichprobenziehung bei qualitativen Studien, dass sowohl extreme9 als auch typische10 und kritische11 Fälle einbezogen werden sollten. Aus forschungspraktischen Überlegungen kam es nicht in Frage, im Laufe der Untersuchung weitere Fälle hinzuzuziehen. Aber auch wenn sich spät zeigte, dass sich Trellick Tower und das Brunswick Centre ähnlich sind und die Diskussion um den Abriss von Robin Hood Gardens (Peter & Alison Smithson 1971) erst entbrannte, als die Recherche der Fallstudien schon fast beendet war, liefern die Fallstudien qualitative Aussagen zu den Prozessen, die zu den Aufwertungen beigetragen haben. Ebenso wurde erst im Laufe der Arbeit die Dissertation von Richard Baxter12 veröffentlicht, der Wohnhochhäuser in London untersucht hat und dazu in einer repräsentativen Stichprobe von 45 Wohnhochhäusern in Inner London eine Umfrage zur Wohnzufriedenheit durchgeführt hat, bei der auch einige industriell hergestellte Bauten sehr gut abgeschnitten haben, die die Betrachtung sinnvoll ergänzt hätten, aber ebenso nicht mehr einbezogen werden konnten. In dieser Untersuchung konnten nur vier Fallstudien bearbeitet werden, dabei war noch nicht absehbar, welcher Fall „typisch“ sein würde. Die extremen Fälle waren relativ leicht zu bestimmen: Als Extrem am oberen Ende der Skala musste ein denkmalgeschütztes Gebäude mit zeichenhafter Ausstrahlung stehen, das bereits grundlegend saniert und modernisiert wurde und heute fast ganz in privater Hand ist. Am unteren Ende der Skala war dementsprechend ein aus industriell vorgefertigten Elementen hergestellten Systembau zu sehen, der sich noch fast vollständig in der Hand des Councils befindet, einen schlechten Ruf hat und weder renoviert ist, noch in absehbarer Zeit renoviert werden wird, möglicherweise sogar vom abgebrochen werden soll. Das setzt voraus, dass die offensichtlichen Unterschiede zwischen den Gebäuden nicht notwendigerweise der Grund für dessen Erfolg oder Misserfolg sind, und dass naheliegende Bewertungen und selbstverständlich erscheinende Erklärungsmuster immer Resultat einer durch unsere Zeit gefärbten Sichtweise sind. 9 | Patton 1980, S. 169 ff. 10 | Ebd., S. 173 f. 11 | Ebd., S. 174 ff. 12 | Baxter, Richard (2007)
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Der Charakter und die Geschichte der vier Fallstudien haben spezifische Eigenheiten: Trellick Tower ist in den Medien am stärksten präsent und wird auch in informellen Gesprächen immer wieder als gentrifizierter ehemaliger sozialer Wohnungsbau zitiert, ohne dass es für diese Zuschreibung stichhaltige Argumente gäbe. Keeling House war lange Zeit der einzige tatsächlich vollständig privatisierte ehemalige soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit, der die Größe einer Wohnmaschine hat. Dass das Brunswick Centre zunächst als „typischer“ Fall ausgewählt wurde, hatte mehrere Gründe: Einerseits liegt der Estate in einen Quartier, das immer schon weitgehend unauffällig und ohne größere soziale Probleme war, anders als North Kensington und Bethnal Green, die ehemalige Arbeiterquartiere sind. Andererseits war das Brunswick Centre auf der Ebene alltäglicher Erzählungen als ein Estate mit einer guten „community“ bekannt, der bei den Bewohnern trotz des relativ heruntergekommenen äußeren Erscheinungsbildes beliebt ist. Der Aylesbury Estate wiederum ist als Negativbeispiel für sozialen Wohnungsbau bekannt und schon in den 1990er Jahren wurde der Abriss diskutiert. Andererseits ist er von seiner Lage in der Stadt mit den anderen beiden Beispielen vergleichbar, so dass Zentralität bzw. Dezentralität als Kriterium für den Erfolg oder Misserfolg des Estates schon von Anfang an auszuschließen waren. Um zu verstehen, warum ehemalige Sozialwohnungen für Käufer auf dem freien Markt interessant geworden sind, werden die unterschiedlichen Typen von Häusern als „Persönlichkeiten“ mit all ihren Aspekten behandelt. Die Fallstudie lässt sich also als „Biografie“13 dieser Häuser verstehen, die zunächst alle Ereignisse und Wendungen gleichberechtigt darstellt und die unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung berücksichtigt, also die der Nutzer, die der Fachöffentlichkeit und die der allgemeinen Öffentlichkeit. Diese werden in ihrem zeitlichen Verlauf dargestellt – für die Nutzer durch Bewohnerinterviews, für die Fachöffentlichkeit durch Experteninterviews und die Analyse der Fachmedien und für die allgemeine 13 | In Ihrer Studie über Brooklyn Heights verwendet Loretta Lees die „Biografie“ eines Brownstone-Hauses, um daran die Geschichte des Stadtteils nachzuzeichnen. Vgl. auch Peter Ackroyds Buch „London. The Biography“ (2001), in dem der die Geschichte Londons als Biographie erzählt.
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Öffentlichkeit durch eine Analyse der Tagespresse und soweit möglich von Rundfunk- und Fernsehaufzeichnungen. Dieses Vorgehen ist nicht repräsentativ. Das Phänomen der Aufwertung soll ausdrücklich nicht quantifiziert oder modelliert werden, sondern die persönlichen Entscheidungen und Erfahrungen der Befragten sollen im Vordergrund stehen, so dass Repräsentativität nicht notwendig ist.
4.3 O BJEK TBE TR ACHTUNG Für die Biografien der einzelnen Bauten wurde vor allem Archivmaterial (RIBA, Local History Libraries, Baubehörden) ausgewertet. Für alle Fälle außer den Aylesbury Estate sind die Unterlagen der Baubehörden erhalten und zugänglich. In Großbritannien wird die Recherche dadurch erleichtert, dass die Baugesuche und Bauvoranfragen für jede Liegenschaft gemeinsam archiviert werden und sich auch kleinere Veränderungen wie beispielsweise der Einbau neuer Ladenfronten, Wanddurchbrüche oder Nutzungsänderungen einfach nachvollziehen lassen. Für Trellick Tower und Keeling House konnten zudem die Nachlässe der Architekten eingesehen werden, die im Archiv der RIBA verwaltet werden. Diese umfassen nicht nur die Planungsunterlagen, sondern auch Schriftwechsel – sowohl den Bau betreffend als auch zu Veröffentlichungen, Einladungen zu Vorträgen oder informellem fachlichen Austausch. Da die Quellenlage von Borough zu Borough unterschiedlich und die Dokumentation nicht einheitlich geregelt ist, variieren die Schwerpunkte und die Detailgenauigkeit bei den einzelnen Fallstudien. Dennoch erschien es nicht sinnvoll, die Darstellungen dadurch zu vereinheitlichen, dass vorhandene Informationen nicht verwendet werden und alle Fallstudien so an diejenige anzupassen, die am schlechtesten dokumentiert ist. Auf der Basis dieser Unterlagen sowie der Berichterstattung in der Fach- und Tagespresse, ergänzt durch die Aussagen langjähriger Bewohner, ist es möglich gewesen, detailliert nachzuvollziehen, wie die Bausubstanz sich nach der Fertigstellung bis heute entwickelt hat. Eine Auswahl, die sich auf eine stärker abgegrenzte Betrachtung bezogen und nicht die Analogie zur Biographie gesucht hätte, hätte zwangsläufig vernachlässigt, dass Standortentscheidungen immer ein ganzes Bündel von Kriterien umfassen, die der Nachfrager gegeneinander abwägen muss, um den für ihn individuell größten Nutzen aus seiner Entscheidung zu
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ziehen. Gerade im Fall von Immobilien ist das Angebot unendlich differenziert und kein Angebot unterscheidet sich von dem anderen in nur einem einzigen Kriterium, jedes ist in seiner Kombination von Merkmalen absolut einmalig. Jeder Versuch, einzelne Merkmale zu isolieren, um zu erklären, warum bestimmte Gebäude erfolgreicher sind als andere muss daher scheitern. Möglich ist aber, in einem abduktiven Schlussverfahren Hypothesen darüber aufzustellen, warum die Londoner Wohnmaschinen in bestimmten Fällen attraktive Wohn- und Investitionsobjekte sind, nachdem sich der deduktive Schluss, dass Wohnmaschinen unmenschliche Lebensumgebungen und die betreffenden Bauten daher auch unmenschlich seien, als offensichtlich falsch erwiesen hat.
4.4 S UBJEK TBE TR ACHTUNG In den meisten sozialen Wohnungsbauten in London gibt es drei unterschiedliche Gruppen von Bewohnern: Die Sozialmieter zahlen eine weit unter dem Marktniveau liegende Miete. Als Sozialmieter haben sie einen deutlich besser abgesicherten Status, als wenn sie sich auf dem freien Markt versorgen müssten, wo unbefristete Verträge unüblich sind und es kaum Mieterschutzbestimmungen gibt. Die zweite Gruppe sind die Eigentümer, die ihre Wohnung als Sozialmieter über das Right to Buy erworben haben. Wie schon in Kapitel 2 erläutert, war es für sie in vielen Fällen günstiger, ihre Wohnung zu kaufen als weiterhin Miete zu zahlen. Diese Eigentümer sind überdurchschnittlich stark von drohenden Renovierungen bedroht, da sie häufig nicht wohlhabend genug sind, die Kosten aus Ersparnissen zu bezahlen und auch die monatlichen Belastungen durch eine Hypothek nicht tragen könnten. Häufig handelt es sich bei dieser Gruppe um Personen, die schon seit langem in den Gebäuden leben und ihre Wohnung noch mit den hohen Rabatten der ersten Phase des Right to Buy erworben haben. Obwohl sie meist mit dem Verkauf ihrer Wohnung erhebliche Gewinne machen würden, sind viele von ihnen sehr stark im Quartier oder sogar im Haus verwurzelt und können sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Als letzte Gruppe kommen diejenigen Eigentümer hinzu, die auf dem freien Markt eine bereits privatisierte Wohnung gekauft haben. Sie sind besonders interessant, da sie anders als die anderen Gruppen eine echte
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Wahl zwischen verschiedenen Alternativen treffen konnten und sich dann für die ehemalige Sozialwohnung entschieden haben. Anders als zunächst erwartet hat sich diese Gruppe relativ homogen erwiesen: Es handelt sich ausschließlich um Akademiker ohne Kinder. Für die einzelnen Fallstudien wurden folgende Bewohner befragt: Ň Keeling House Ň Trellick Tower
Ň Brunswick Centre
Ň Aylesbury Estate
4 Eigentümer (von außen) 2 Mieter 3 Eigentümer (Right to Buy) 3 Eigentümer (von außen) 2 Mieter 2 Eigentümer (Right to Buy) 3 Eigentümer (von außen 6 Mieter 2 Eigentümer (Right to Buy)
Anders als die Fallstudien konnten die Gesprächspartner nach dem Prinzip des Theoretical Sampling ausgewählt werden, da die Vorbereitung eines einzelnen Interviews wenig zeitintensiv ist. Das Theoretical Sampling ist ein Prinzip aus der Grounded Theory Methodologie, wie sie von Barney Glaser und Anselm Strauss entwickelt wurde.14 Glaser und Strauss gehen davon aus, dass der Forschende zwar mit einer Vorstellung seines Gegenstandes zu arbeiten beginnt, diese sich aber im Laufe seiner Forschungen aufgrund der bereits gewonnen Ergebnisse ändert und erst auf der Basis dieser Erkenntnisse zu entscheiden ist, von welchen Gesprächspartnern weiterführende Informationen zu erwarten sind.15 Dabei sollte der Forscher nach Glaser und Strauss ein möglichst breites Spektrum von Gesprächspartnern einbeziehen, um eine möglichst umfassende Theorie zu entwickeln.16 14 | Glaser/Strauss 2008 (1967), S. 45 ff. 15 | „The criteria of theoretical sampling are designed to be applied in the ongoing joint collection and analysis of data associated with the generation of theory.“ (ebd., S. 48) 16 | „When maximizing differences among comparative groups (thereby maximizing differences in data) he possesses a more powerful means for stimulating the generation of theoretical properties once his basic framework has emerged. Maximizing brings out the widest possible coverage on ranges, continua, degrees,
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Da sich ein solches Vorgehen fast beliebig lange fortsetzen ließe, haben Glaser und Strauß das Konzept der „theoretischen Sättigung“ entwickelt. Eine Kategorie oder eine Theorie kann immer dann als theoretisch gesättigt betrachtet werden, wenn der Forscher keine weiteren Daten findet, die zu neuen Aspekten der Kategorie oder Theorie führt.17 Kriterien für das Erreichen der Sättigung sind die Grenzen des empirischen Materials, die Tiefe und Dichte der entwickelten Theorie sowie die „theoretische Sensibilität“ des Forschers.18 Damit ist die Qualität einer entwickelten Theorie auch von der individuellen Disposition des Forschers abhängig, was zunächst erstaunlich erscheint, bei näherer Betrachtung aber nicht nur eine Eigenschaft qualitativer Forschung, sondern jeder Art von Forschung ist. In der späteren und in Deutschland stärker rezipierten Weiterentwicklung der Grounded Theory Methodologie von Anselm Strauss und Juliet Corbin ergeben sich zwar einige Unterschiede im Detail, grundsätzlich bleibt das Vorgehen jedoch sowohl im Falle des Theoretical Sampling als auch in Bezug auf die theoretische Sättigung gleich. In der Forschungspraxis, vor allem im Falle von Qualifikationsarbeiten wie dieser, sind die Ressourcen begrenzt und es ergeben sich zwangsläufig Abweichungen und Anpassungen, die weder dem von Glaser und Strauss noch dem von Strauss und Corbin beschriebenen Vorgehen entsprechen und die weiter oben expliziert wurden.19 In allen untersuchten Projekten wurden acht bis zehn Bewohnerinterviews geführt. Die Gesprächspartner wurden durch Empfehlung von Kontaktpersonen gewonnen, wobei es in allen Fällen außer Keeling House jeweils zwei unterschiedliche und voneinander unabhängige Multiplikatypes, uniformities, variations, causes, conditions, consequences, probabilities of relationships, strategies, process, structural mechanisms, and so forth, all necessary for elaboration of the theory.“ (ebd., S. 57) 17 | „The criterion for judging when to stop sampling the different groups pertinent to a category ist he category’s theoretical saturation. Saturation means that no additional data are being found whereby the sociologist can develop properties of the category. As he sees similar instances over and over again, the researcher becomes empirically confident that a category is saturated.“ (Hervorhebungen im Original, ebd., S. 61) 18 | ebd., S. 62 19 | Zu den praktischen Implikation der Grounded Theory Methodology bei Qualifikationsarbeiten siehe Truschkat/Kaiser-Belz/Reinartz (2007)
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toren gab. Im Laufe der Recherchen wurden dann gemäß den Prinzipien des Theoretical Samplings jeweils Gesprächspartner gesucht, die den bereits durchgeführten Gesprächen neue Perspektiven hinzufügen konnten. Insofern wurde das Theoretical Sampling hier mit dem von Patton beschriebenen Schneeballsystem20 kombiniert, indem die Kontaktpersonen jeweils gezielt nach weiteren Kontaktpersonen einer bestimmten Kategorie gefragt wurde. Dies war insbesondere für die Fälle Trellick Tower und Aylesbury Estate relevant: Im ersten Fall stand zunächst nur eine einzige Mieterin zur Verfügung, im zweiten Fall konnten zunächst nur weiße Briten interviewt werden, die im auf dem Aylesbury Estate in der Minderheit sind. In beiden Fällen konnte dieser Mangel bedingt ausgeglichen werden, wenn es auch nicht gelungen ist, auf dem Aylesbury Estate zusätzlich zu Gesprächspartnern mit Migrationshintergrund wenigstens einen Eigentümer zu finden, der eine Wohnung auf dem freien Markt erworben hatte. Abbildung 2: Lage aller Fallstudien Keeling House Brunswick Centre Trellick Tower
City of London
Aylesbury Estate
Quelle: eigene Darstellung
Das Schneeballprinzip wurde auch für die Experteninterviews angewandt, wobei hier die Vermittlung durch bereits bestehende Kontakte weniger entscheidend war. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Projekten weit weniger groß waren als erwartet, so dass bereits nach etwa fünfzig durchgeführten Interviews die Sättigung erreicht wurde.
20 | Patton 1990 (1980), S. 176
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Die Daten wurden in Anlehnung an die Grounded Theory Methodology ausgewertet, d.h. zunächst offen kodiert21 und dann zu Codefamilien zusammengefasst („integriert“)22 . Dies Vorgehen schien aufgrund der sehr offenen Ausgangsfrage und der fortlaufenden Datenerhebung geeigneter als die qualitative Inhaltsanalyse, vor allem weil es eine mehrfache und freiere Kodierung einzelner Textabschnitte zulässt,23 während die qualitative Inhaltanalyse zumindest in der von Mayring24 vertretenen und stark verbreiteten Spielart einerseits zu einem relativ frühen Zeitpunkt die Kernkategorien festlegt25 und von viel strenger einzuhaltenden Ablaufmodellen ausgeht26 und andererseits der Arbeitsschritt der Reduktion eine mehrfache Zuordnung einzelner Textabschnitte nicht zulässt.27 Allerdings bezeichnet auch Mayring selbst die qualitative Inhaltsanalyse für sehr offene Fragestellungen oder stark explorative Studien als nur begrenzt einsetzbar, so dass diese Ausführungen nicht als Kritik an der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse zu verstehen sind. Die Anlehnung an die Grounded Theory entspricht zudem der hier dominanten Erkenntnislogik des Abduzierens. Wie Bruno Hildebrand darlegt, haben Glaser und Strauss ihr Vorgehen zwar als eine Verknüpfung von Induktion und Deduktion verstanden, Hildebrand führt dies aber auf eine unzureichende Absicherung bei Peirce zurück und sieht die Abduktion als die vorherrschende Erkenntnismethode der Grounded Theory an.28 Für die eigentliche Auswertung der Interviews wurde das Programm Atlas TI verwandt, das wiederum auf den Prinzipien der Grounded Theory basiert, ohne diese aber in allen Details widerspiegeln zu können.29 Allerdings hat sich es sich als praktikabler erwiesen, das Programm vorwiegend zum Kodieren zu verwenden und die Kategorien außerhalb des Programm zu synthetisieren.
21 | Vgl. Böhm 2000 22 | Glaser/Strauss 1967, S. 110 ff. 23 | Ebd., S. 105 24 | Vgl. Mayring 2000 25 | Ebd., S. 470 26 | Ebd., S. 474 27 | Mayring 2008, a.a.O., S. 61 ff. 28 | Hildebrand 2007 (2000), S. 34 29 | Muhr/Friese 2008, S. 116; S. 214
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5 Objektbetrachtung: „Biografien“ ausgewählter Gebäude
5.1 K EELING H OUSE : L ASDUN ’S LISTED L ANDMARK B UILDING
Quelle: RIBA Library Photographs Collection
Daten Architekt: Denys Lasdun/Fry, Drew, Drake & Lasdun (Gesamtplanung Claredale Estate) Planung: seit 1954 Bauzeit: 1957–59 Claredale Street, Bethnal Green, E2 72 Wohneinheiten 16 Stockwerke Clusterblock mit Laubengangerschließung Wohnungen nach Parker-Morris-Standards voll saniert voll privatisiert Denkmalschutz Stufe II*
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5.1.1 Eigentumsverhältnisse heute Der Freehold für Keeling House und das Grundstück liegt seit 1999 bei Lincoln Holdings. Die Wohnungen wurden in Erbpacht auf 999 Jahre auf dem freien Markt verkauft. Ein Teil der Wohnungen wurde bereits zum zweiten Mal verkauft. Nicht alle Wohnungen werden von den Eigentümern selbst bewohnt, sondern viele werden von den Einzeleigentümern vermietet. Dieses Investitionsverhalten ist in Großbritannien relativ neu und führt dazu, dass die Privatmieter kurzfristige Mietverträge für möblierte Wohnungen abschließen, die dem Eigentümer maximale Verfügungsgewalt garantieren. Zwischen diesen Mietern und den selbstnutzenden Eigentümern kommt es im Keeling House häufig zu Spannungen, weil sie sich nicht in dem Maße Rücksicht auf ihre Nachbarn und das Haus nehmen, wie die Eigentümer es sich wünschen.1 Abbildung 2: Lage in London Keeling House
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City of London
8k
2,
Quelle: eigene Darstellung
5.1.2 Planungs- und Baugeschichte Das Londoner Eastend ist schon seit seinen Anfängen ein Gebiet mit problematischen Wohnverhältnissen gewesen, und hier entstand auch der erste Soziale Wohnungsbau, der von der öffentlichen Hand finanziert wurde.2 In 1 | Aussagen der Bewohner im Interview 2 | Der Boundary Estate entstand 1900 und ersetzte einen berüchtigten Slum, ohne allerdings dessen ursprünglichen Bewohnern erschwingliche Wohnungen bieten zu können. (Pevsner/Cherry/O’Brian 2005, S. 586–588)
B IOGRAFIEN AUSGEWÄHLTER G EBÄUDE : K EELING H OUSE
unmittelbarer Nähe zum Claredale Estate sind schon 1910 vom Peabody Trust Sozialwohnungen gebaut worden.3 Auch diese waren den miserablen Wohnbedingungen der Gegend geschuldet. Die Daten des 1951er Zensus zeigen allerdings, dass Bethnal Green North, zu dem die Claredale Street gehört, zwar dichter bewohnt war als der Londoner Durchschnitt, die Wohnungen aber nicht wesentlich dichter belegt waren. Vor allem im Vergleich zu den Zensusbezirken Golborne (Fallstudie Trellick Tower) und St. Peter (Fallstudie Aylesbury Estate) scheint die Situation weit weniger dramatisch gewesen zu sein. Da die Ausstattung der Wohnungen im 1951er Zensus noch nicht erhoben wurde, lassen sich hier keine Vergleiche anstellen, allerdings sind zehn Jahre später, also nach dem Bau des Claredale Estates, noch immer vierzig Prozent der Haushalte ohne fließendes Warmwasser und ohne Bad, ein Drittel sogar ohne eigenes WC. Dass diese Situation 1952 besser gewesen sein könnte, ist unwahrscheinlich und macht deutlich, warum die Gegend schon in den 1930er Jahren zur Slumsanierung vorgesehen worden war. Der Claredale Estate war eines der ersten Projekte, dessen Sanierung durch den Krieg und den Wiederaufbau verzögert worden war und das dann mit einem 1954 eingeführten Programm, das nach dem ersten, dringenden Wiederaufbau die Bestandssanierung wieder in Gang bringen sollte, realisiert wurde.4 Schon 1954 wurde die Zwangsenteignung der betroffenen Grundstücke beschlossen,5 1954 begann Denys Lasdun, damals noch Partner im Büro Fry, Drew, Drake & Lasdun mit dem Entwurf.6 Zu dieser Zeit gab es noch keine Förderpolitik, die die Entstehung von Hochhäusern begünstigt hätte, aber die Frage, wo die von der Flächensanierung betroffenen Bewohner während der Bauzeit untergebracht werden könnten, sprach für eine Typologie, die viele Wohneinheiten auf einem kleinen Grundstück unterbringen konnte. Lasduns Studien zeigen, dass er zunächst mehrere Varianten mit verschiedenen Kombinationen von Hochhäusern und langen Riegeln vorsah.7 Die Tatsache, dass die Kombination von zwei Riegeln und einem Hochhaus mehr Wohneinheiten aufnehmen konnte als zwei Hochhäuser und ein Riegel gab dann den Ausschlag für 3 | Siehe http://www.british-history.ac.uk/report.aspx?compid=22752&strquer y=Peabody%20Trust (27. Januar 2010) 4 | Elain Harwood, English Heritage, unveröffentlichtes Gutachten 5 | Bekanntmachung am 28. Mai 1954, East London Observer 6 | Aus dieser Zeit stammen die ersten Pläne, die im RIBA Archiv erhalten sind 7 | Pläne datiert vom 12. Juli 1954 im RIBA Archiv
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die letztendlich ausgeführte städtebauliche Lösung.8 Zunächst verwandte Lasdun für die Hochhäuser außerdem die Typologie des früheren, ähnlichen Projekts in der Usk Street, die er dann im Laufe der Arbeit zu den vier voneinander unabhängigen Türmen weiterentwickelte.9 Abbildung 3: Claredale Estate mit vorheriger Bebauungsstruktur. Die beiden Riegel wurden mittlerweile wieder abgebrochen Claredale Street
Temple Street
Teesdale Street
Quelle: eigene Darstellung
Lasdun führte viele Elemente seines Entwurfs auf Recherchen in der Nachbarschaft zurück. So sollten die für das Eastend typischen, engen Nachbarschaftsbeziehungen in den „Streets in the Sky“, den kurzen Laubengängen fortleben, und die Maisonetten lehnten sich typologisch an das Reihen8 | Notiz vom 26. Mai 1955 (RIBA Archiv). Dass die größere Zahl der Wohnungen nur dadurch möglich wird, dass diese in den Riegeln durchschnittlich kleiner sind als in den Hochhäusern erwähnt Lasdun in diesem Vergleich nicht. 9 | In einer Notiz vom 8. November 1955 (RIBA Archiv) legt Lasdun dar, dass ein neu entwickeltes Layout des Erschließungskerns mit offenen Laubengängen effizienter und feuerpolizeilich günstiger sei als die an Usk Street verwendete Variante. In einem Plan vom 18. Februar 1957 erscheint erstmals der Grundriss mit 4 unabhängigen Türmen, der dann ausgeführt wurde.
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haus an. In jedem zweiten Stockwerk gab es Gemeinschaftsflächen, die nicht nur zum Wäsche trocknen, sondern auch für Hobbys aller Art zur Verfügung stehen sollten.10 Abbildung 4: Grundrisse unteres und oberes Regelgeschoss
Quelle: eigene Darstellung
Kurz vor Baubeginn oder schon während der Bauzeit mussten noch einmal erhebliche Einsparungen vorgenommen werden. Viele Oberflächen wurden weniger hochwertig gebaut und auch Fenster und Heizungen wurden billiger ausgeführt als ursprünglich geplant.11 Abbildung 5: Maisonetten unteres und oberes Geschoss
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Quelle: eigene Darstellung
1957 wurde mit dem Bau begonnen, im August 1958 war das Richtfest für Keeling House, 6 Monate früher als geplant, und im Frühjahr 1959 wurden die Wohnungen bezogen. Schon bald zeigten sich erste Baumängel, bis 1962 gab es zahlreiche Beschwerden über eindringendes Wasser bei 10 | Vgl. beispielsweise Harwood 2000, S. 7.44 oder Schneider 1994, S. 109 11 | Unterlagen aus Lasduns Nachlass (RIBA Archiv)
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stärkerem Wind und über Pfützen, die sich in den Laubengängen bildeten. Offenbar wurden diese Probleme im Laufe der Zeit behoben, jedenfalls finden sich keine Hinweise mehr auf weitere Beschwerden. 1980 kontaktierte der Eigentümer, damals noch der Borough Tower Hamlets, das Büro, das mittlerweile als Denys Lasdun, Redhouse und Softley firmierte, erneut. Es hatten sich Risse im Beton gezeigt, die zu reparieren teuer würde, aber unumgänglich sei, wenn man die Verkehrssicherheit des Hauses erhalten will. In einem längeren Schriftwechsel, der sich daraus ergab, lehnte das Büro ab, die Kosten für die Reparaturen zu übernehmen, kooperierte aber mit den Eigentümern, indem es die Ansichtspläne für die Renovierung zur Verfügung stellte. Dieser Streit zog sich bis Ende 1982 hin und endete damit, dass das Büro keine Kosten übernehmen musste. Die Betonpaneele wurden daraufhin mit einem Anstrich versehen, der sie vor weiterer Korrosion schützen sollte. Wie sich etwa zehn Jahre später herausstellte, hatte der Schutzanstrich den Beton nachhaltig beschädigt. Intendiert war gewesen, ihn durch einen wasserdichten Anstrich vor Feuchtigkeit zu schützen, durch Haarrisse war aber weiterhin Wasser eingedrungen, das durch die Schutzschicht nicht mehr entweichen konnte.12 So korrodierte die Bewehrung stark und es kam zu großflächigen Abplatzungen. Am 11. Oktober 1991 wurde Keeling House für statisch unsicher befunden, da jederzeit größere Stücke der Betonverkleidungen hätten abbrechen und Personen lebensgefährlich verletzten können.13 Den Mietern des Hauses wurden daraufhin so schnell wie möglich andere Wohnungen angeboten, gleichzeitig wurde English Heritage von einem Bewohner auf den Fall aufmerksam gemacht.14 Der damalige Eigentümer von Keeling House, der Bezirk Tower Hamlets, ließ daraufhin mehrere Varianten untersuchen, wie am Besten mit dem Gebäude zu verfahren sei und favorisierte die auf die Wohneinheit 12 | Aktennotiz vom 26. Juni 1993. Paul Drury, Abteilungsleiter der Region London, English Heritage 13 | Eine „Dangerous Structure Notice“ wurde am 11. Oktober 1991 und nochmals am 28. September 1992 ausgegeben, verantwortlich zeichnete die örtliche Bauordnungsabteilung. 14 | Eine Aktennotiz von Elain Harwood, English Heritage, vom 10. Januar 1993 erwähnt, dass die RIBA Keeling House im November 1992 für den Denkmalschutz vorgeschlagen hat und dabei vom Büro Denys Lasduns, Peter Softley & Associates unterstützt wurde.
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bezogen kostengünstigste Variante, die vorsah Keeling House abzureißen und das Grundstück mit 16 bis 22 niedrigeren, traditionelleren Häusern zu bebauen. In den folgenden zwei Jahren bemühen sich English Heritage, Vertreter des Bezirks und Mitarbeiter aus Lasduns Büro gemeinsam darum, einen tragfähigen Kompromiss zu finden, der einerseits erlauben sollte, das Gebäude zu erhalten und andererseits finanzierbar sein musste. Um ein genaueres Bild von den Kosten einer Sanierung zu bekommen, wurde im Auftrag von English Heritage ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, das die Kosten pro Wohneinheit für drei Varianten verglich: Abriss und Neubau, einfache Sanierung und grundlegende Sanierung. Anders als die vorherigen Gutachter kamen die Verfasser dieser Studie zu dem Ergebnis, dass eine umfassende Sanierung zwar unwirtschaftlich sei, eine einfache Sanierung pro Wohneinheit aber nur etwa 60 Prozent einer neu gebauten kosten würde und zudem insgesamt deutlich mehr Wohneinheiten erhalten blieben. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde empfohlen, Keeling Haus mit der Stufe II* unter Denkmalschutz zu stellen, und am 23. November 1993 wurde es in die Denkmalliste aufgenommen. In den folgenden Jahren suchte der Eigentümer einen Käufer für das Haus, wobei English Heritage und Vertreter weiterer Denkmalschutzorganisationen (Twentieth Century Society, DoCoMoMo) intensiv eingebunden wurden, um eine insgesamt tragfähige Lösung zu finden. Vor allem die North British Housing Association, eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, hat sich lange dafür interessiert, Keeling House zu sanieren und weiterhin Sozialwohnungen zu vermieten. Letztendlich wurde erst 1999 ein Käufer gefunden: die Lincoln Holdings plc, ein privater Investor, der auf eine junge, aber gut situierte Schicht von Käufern abzielt, erwarb Keeling House samt Grundstück für 1,3 Millionen Pfund, um die Wohnungen für den freien Markt zu sanieren. Für die beiden benachbarten Zeilenbauten, ebenfalls von Denys Lasdun gebaut, lag schon seit 1998 eine Abrissgenehmigung vor. Lincoln Holdings machte auch für diese Gebäude ein Kaufangebot, das allerdings abgelehnt wurde.15
15 | Interview mit Stephen Friel, Vorstandsmitglied von Lincoln Holdings, am 28. März 2006
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Um die Wohnungen für den freien Markt ausreichend attraktiv zu machen, wurden sie innen fast vollständig neu ausgebaut. Küche und Wohnzimmer wurden zu einem offenen Wohn- und Essbereich zusammengelegt, es wurden neue Treppen, Bäder, Küchen und Deckenstrahler eingebaut und dabei zum Teil noch erhaltene Originalbauteile zerstört. Auch die Gebäudetechnik wurde teilweise erneuert – Aufzüge, Elektroleitungen, Gegensprechanlage, Heizung. Wenig wurde allerdings dafür getan, den Energieverbrauch des Hauses zu senken: Die Wände hätten nur von innen isoliert werden können, was bauphysikalisch problematisch ist und die ohnehin schon recht engen Zimmer weiter verkleinert hätte. Die thermisch nicht getrennten, einfachverglasten Stahlfenster wurden zwar entrostet und neu lackiert, aber auf eine zweite innenliegende Verglasung mit besseren Dämmwerten wurde verzichtet. Mit beträchtlichem Aufwand wurde außerdem der Zugangsbereich neu gestaltet und die Sicherheit verbessert. Das gesamte Grundstück ist heute von einem massiven Zaun umgeben und nur durch mit Zahlencodes gesicherten Türen und Tore zugänglich. Die Laubengänge, die jeweils vier Wohnungen erschließen, sind noch einmal separat über Türen mit Zahlenschlössern gesichert. An den Erschließungskern wurde eine Eingangshalle angebaut, zu gewissen Zeiten ist der Eingang mit einem Concierge besetzt, der auch Aufgaben eines Hausmeisters übernimmt. Zusätzlich zu den bestehenden Wohnungen richteten die neuen Eigentümer im Souterrain weitere acht Wohneinheiten ein und stockten die obersten Wohnungen mit je einem Dachzimmer auf, das die private Dachterrasse erschließt. Lincoln Holdings ist daran interessiert, auf dem Grundstück weitere Wohnungen unterzubringen, was die Wohnungsbesitzer bisher immer zu verhindern wussten. Der Plan, den ehemaligen Wassertank über dem Erschließungskern aufzustocken und zu einem Luxuspenthouse umzunutzen, konnte ebenfalls nicht verwirklicht werden, einerseits wegen des Widerstands der Hausgemeinschaft, andererseits, weil dieser das Erscheinungsbild des Hauses stärker verändern würde als der Denkmalschutz es zulässt. 2001 waren die Sanierungsarbeiten abgeschlossen und die Wohnungen kamen zu Preisen ab 185 000 GBP auf den Markt. Da es auf dem Markt für Eigentumswohnungen keine vergleichbaren Projekte gab, hatten potenzielle Käufer zunächst Schwierigkeiten, ihre Wohnungskäufe über Hypotheken zu finanzieren und der Verkauf lief schleppend an. Das Preisniveau war für damalige Verhältnisse relativ hoch.
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Im Interview erklärte einer der Geschäftsführer von Lincoln Holdings, dass die Sanierung von Keeling House verhältnismäßig unkompliziert und das Projekt für Lincoln Holdings sehr profitabel gewesen sei. Er war davon überzeugt, dass die Annahme, die im ersten Sanierungsgutachten gemacht worden waren, bewusst zu hoch gegriffen waren und dass die Sanierung von Häusern der Nachkriegsmoderne, selbst wenn sie denkmalgeschützt sind, grundsätzlich nicht so kompliziert sei, wie es häufig dargestellt werde. In der unmittelbaren Nachbarschaft von Keeling House sind zwei weitere Häuser Lasduns abgebrochen und durch verklinkerte, traditionellere Reihenhäuser und niedrige Geschosswohnungsbauten ersetzt worden, die weiterhin von Sozialmietern bewohnt werden. Dass Keeling House nachhaltig gesichert werden konnte, zeigt, dass vermutlich auch für diese beiden Wohnhäuser hätten saniert werden können, womit einerseits das Ensemble, andererseits eine größere Anzahl von Wohneinheiten erhalten geblieben wären. Dass dies nicht geschehen ist, muss andere als rein konstruktive-technische Gründe gehabt haben.
5.1.3 Rezeptionsgeschichte Das bei Keeling House angewandte Prinzip des „Cluster-Blocks“ geht auf einen Artikel zurück, den Kevin Lynch 1954 im „Scientific American“ veröffentlicht hat.16 Die Smithsons adaptierten diesen Begriff ebenfalls und stellten Lasduns Projekt in der Ausstellung zur zehnten CIAM-Konferenz in Dubrovnik vor.17 Daraus entstand 1966/67 ein Streit zwischen Denys Lasdun und Reyner Banham über die Zeitangaben über Planung und Bau von Keeling House in Banhams Buchveröffentlichung „The new Brutalism: ethic or aesthetic?“ Denys Lasdun legte Wert darauf, dass die Planung schon 1954 begonnen habe, um nicht in den Verdacht zu geraten, durch Projekte der Brutalisten, namentlich der Smithsons, inspiriert worden zu sein. Banham hielt dies für fragwürdig und beharrte darauf, dass der lange Planungszeitraum historisch unbedeutend sei. Dieser Streit 16 | Kevin Lynch: „The form of cities“ In: Scientific American, 190-4 (1954), S. 54–63. Der Artikel befindet sich im Nachlass Lasduns, der vom Archiv der RIBA verwaltet wird. 17 | Risselada/van den Heuvel (2005), S. 53
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ist nicht für Keeling House spezifisch, sondern betraf auch andere Gebäude Lasduns. Das vorliegende Planmaterial zeigt, dass die Planungen tatsächlich schon Mitte der fünfziger Jahre begonnen haben, z.B. eine Studie zur Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück von 1955. Bis zur Fertigstellung von Keeling House im Jahr 1959 wurden die Konzeption, der Baufortschritt und die Fertigstellung in der Tagespresse begleitet. Der Grundton war positiv und zuversichtlich; die Hackney Gazette titelte beispielsweise „Homes in the sky“ und erläuterte, dass die künftigen Bewohner wie in einer Doppelhaushälfte leben würden,18 der Daily Telegraph berichtete über ausländische Architekten, die die Baustelle besichtigt haben und über die gute Besonnung der Wohnungen, die durch Lasduns innovativen Entwurf gewährleistet wird.19 Ab der Fertigstellung 1959 bis ca. 1965 wurde Keeling House auch in der Fachpresse umfangreich und durchweg positiv rezipiert.20 Dazu kamen Buchveröffentlichungen und Anfragen für Ausstellungen.21 Noch 1994 wurde es im Grundrissatlas Wohnungsbau veröffentlicht, einer typologischen Sammlung vorbildlicher Wohnungsgrundrisse, die zu einem Standardwerk geworden ist und mittlerweile in dritter Auflage vorliegt.22 Schon 1963 erschien aber auch ein erster kritischer Bericht im Evening Standard, der vor allem den Vandalismus durch Jugendliche thematisierte, unter dem nicht nur Keeling House, sondern der gesamte Claredale Estate litt. Familien, die jahrelang darauf gewartet hatten, endlich eine neue Wohnung zu bekommen, wünschten sich nun angeblich, Keeling House so schnell wie möglich wieder zu verlassen.23 Ab Mitte der 1970er Jahre wur18 | „Houses in the Sky“ (Hackney Gazette, 13. November 1957) 19 | „Bridges link tall flats with lifts“ (Daily Telegraph, 5. August 1958) 20 | „Housing, Bethnal Green, London“ (Architectural Review, 5/1960, S. 304– 312), „Cluster Block, Claredale Street, Bethnal Green, London“ (Architectural Design, 6/1960, S. 244–247), „Immeuble d’habitation Bethnal Green, Londres“ (L’Architecture d’Aujourd’hui, 9/1960, S. 139). In Lasduns Korrespondenz gibt es außerdem Hinweise auf weitere Veröffentlichungen, beispielsweise in Bauen und Wohnen (1962), Bouwcentrum (1965) 21 | Beipielsweise in Trevor Dannatt: „Modern Architecture in Britain“ und „Das Hochhaus“, Verlag Gerd Hatje. 22 | Schneider 1994, S.182 23 | „A teenage reign of terror hits flats“ (Evening Standard, 21. November 1963)
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den kritische Stimmen lauter, die nicht nur über die Probleme von Keeling House berichteten, sondern diese als exemplarisch für das Scheitern des sozialen Wohnungsbaus sahen.24 Ab 1992 wurde die Berichterstattung in der Tagespresse noch dramatischer. Einerseits wurde bereits bekannt, dass es erhebliche konstruktive Probleme gab, andererseits war das Gebäude noch immer bewohnt. Der Evening Standard zitierte eine Bewohnerin, in deren Wohnung es so kalt gewesen sei, dass in den Schlafzimmern nachts das Wasser gefror.25 Ebenfalls 1992 wurde beschlossen, Keeling House zu räumen, und die Diskussion über die Zukunft des Gebäudes wurde in der Tagespresse wie in der Fachpresse gleichermaßen intensiv geführt. Allerdings meldeten sich im Verlauf der nächsten beiden Jahre auch Bewohner zu Wort, die deutlich positivere Erfahrungen gemacht haben, insbesondere ein älteres Ehepaar, das von Anfang an dort wohnte und sich trotz der statischen Probleme weigerte, das Haus zu verlassen.26 Besondere Aufmerksamkeit wurde Keeling House zuteil, als es am 23. November 1993 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nach Alexandra Road war es der zweite Nachkriegswohnungsbau, der in die Denkmalliste aufgenommen wurde, und auch weil das Gebäude sich zu dem Zeitpunkt in einem extrem schlechten baulichen Zustand befand, löste die Entscheidung Diskussionen aus. Auch nach der Unterschutzstellung wurde die Frage, ob es abgebrochen oder als Denkmal erhalten werden sollte sowohl in der Tages- wie auch in der Fachpresse weiter kontrovers diskutiert. Martin Pawley war der Ansicht, dass Architekten „loslassen“ können sollten, anstatt an einem Gebäude festzuhalten, das modernen Standards nicht mehr entspricht,27 24 | Beispielsweise: „The concrete Reality“ (Spectator, 8. Juli 1976); Christopher Booker: „Dreams that crack like concrete“ (Daily Telegraph, 22. November 1976.); What award-winning houses are like to live in“ (TimeOut, 16. Januar 1981) 25 | „Families in crumbling tower block risk death“ (Evening Standard, 30. September 1992) 26 | Jonathan Glancey: „Innovative housing block condemned as unsafe“ (The Independent, 12. Oktober 1992); Martin Delgado: „We loved living in our crumbling tower block“ (Evening Standard, 30. April 1993); Ulla Kloster: „Keeling couple vow: ‚We shall not be moved!‘“ (East London Advertiser, 24. Februar 1994) 27 | „Martin Pawley on why we should let old buildings go“ (Architects’ Journal, 9. November 1995)
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während andere Notizen eher bedauernd über den bevorstehenden Abriss berichteten.28 In der Tagespresse konzentrierte sich die Berichterstattung eher auf die Frage, ob ein Investor gefunden werden könne.29 In der Zeit zwischen etwa 1995 und 1999 verschwand Keeling House wieder aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Erst als es 1999 an Lincoln Holdings verkauft wurde, erschienen wieder Artikel in der Tagespresse, die meistens auch die für die damalige Zeit sehr hohen Verkaufspreise von 130 000 GBP für eine kleine Zweizimmerwohnung bis 375 000 GBP für die aufgestockten „Penthäuser“ thematisierten.30 Abbildung 6: „Highpoint“ von Langlands & Bell (1990), Porzellanteller aus der Serie Keeling House
Quelle: www.langlandsandbell.com/peoplwillalwaysneedplates
Die Wohnungspreise waren auch in der Fachpresse ein Thema, allerdings eher als Indiz dafür, dass die Sanierung nicht nur aus architektonischer Sicht gelungen ist, sondern auch auf dem Markt Anklang fand.31 2002 wurde das Sanierungsprojekt mit einem RIBA Award ausgezeichnet; diese Preise wer28 | Catherine Grainger: „Lasdun draws up plans to refurbish his recently listed Keeling House Tower Block“ (Architects’ Journal, 4. Mai 1994); David Taylor: „Demolition day draws nearer for Keeling House“ (Architects’ Journal, 9. November 1995) 29 | Der East London Adervertiser berichtet am 2. Februar 1995 über Verhandlungen mit dem Peabody Trust und den fehlgeschlagenen Versuch, die Sanierung mit Geld aus dem Lottery Fund zu subventionieren, das Architects’ Journal erwähnt am 4. May 1994 die North British Housing Association als potenziellen Investor. 30 | „Now things are looking up for Keeling House“ (East End Life, 21. Juni 1999); „Send them to the tower“ (Evening Standard, 13. Juni 2000); „Born again: the high rise slum“ (The Times Weekend, 1. Juli 2000); „Revamp for Keeling House“ (East London Advertiser, 2. Juli 2000) 31 | Vicky Richardson: „Restauration drama“ (RIBA Journal, 12/1999; Space)
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den an Projekte vergeben, die nicht nur architektonisch hochwertig gestaltet sind, sondern auch die Situation in ihrem Umfeld verbessern.32 In der Fachwelt wird Keeling House heute als ein Klassiker der Wohnungsbaugeschichte wahrgenommen. Dies zeigt einerseits die bereits erwähnte Publikation im Grundrissatlas Wohnungsbau und in weiteren Sammelbänden über Wohnungsbau, aber auch das britische Künstlerduo Langland & Bell hat Keeling House schon 1991 gemeinsam mit Bertold Lubetkins Highpoint 1 in einer Arbeit rezipiert.33 Als jüngstes Beispiel sei noch Hillary Frenchs Buch genannt, das unter dem Titel „Key urban housing of the twentieth century“ eine Sammlung internationaler Wohnungsbauprojekte zeigt, darunter auch Keeling House, den Karl Marx Hof in Wien und die Unité d’Habitation in Marseille.34
5.1.4 Begehung Keeling House wirkt heute sehr gepflegt, allerdings auch abweisend. Das gesamte Gelände einschließlich Parkplatz ist nicht nur von einem massiven, zwei Meter hohen Zaun umgeben, Schilder warnen zusätzlich vor „anti-climb-paint“. Die Eingänge sind mit Zahlencode-Schlössern und Gegensprechanlagen gesichert. Das neue Foyer erzeugt bewusst den Eindruck von Hochwertigkeit. Dazu trägt das dunkle Holz bei, kombiniert mit Glas und Edelstahl, der Tresen des Concierge, auch wenn dieser meistens unbesetzt ist und auch die überhöhten, sehr schweren Eingangstüren. Auch die Freiflächengestaltung gibt sich bewusst hochwertig. Zwar wird ein relativ großer Teil des eingezäunten Grundstücks als Parkplatz genutzt, der Bereich vor dem Eingang ist aber repräsentativ gestaltet. Das auffallendste Element ist ein Wasserbecken, das von einer Brücke überspannt wird, die zum Eingang führt. Beide Elemente erfüllen keinen erkennbaren Zweck, signalisieren aber, dass die Bewohner sich eine auch im laufenden Unterhalt teure Gartengestaltung leisten können. Die Bepflanzung mutet asiatisch an, neben
32 | Siehe http://www.architecture.com/Awards/RIBAAwards/RIBAAwards.aspx (18. März 2009) 33 | Siehe www.langlandsandbell.com/archive/hig01.html (18. März 2009) 34 | French 2008
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Bambussträuchern und Stauden gibt es einige Birken, begehbare Zonen wurden großflächig mit hellen Kieselsteinen bedeckt. Die Flure in den Treppenhäusern, die man vom Aufzug aus betritt, sind hingegen sehr knapp bemessen und konnten bei der Sanierung nicht erweitert werden. Die Laubengänge und die Eingänge zu den Wohnungen sind im Allgemeinen nicht persönlich markiert. Direkte Einblicke sind durch ein schmales Fenster neben der Eingangstür möglich, das allerdings in den meisten Fällen durch einen Vorhang verdeckt ist. Die Oberlichter in den Eingangsfluren sind meistens offen und von den Bewohnern dekoriert.
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5.2 TRELLICK TOWER : F ROM „TOWER OF TERROR “ TO „P OWER TOWER “
Quelle: Maren Harnack
Daten Architekt: Ernö Goldfinger (Gesamtplanung Edenham Estate) Planung: seit 1966 Bauzeit: 1970-72 5 Golborne Road, North Kensington, W10 217 Wohneinheiten 31 Stockwerke Hochhaus und mittelgroßer Block, verglaste Laubengänge in jedem dritten Stockwerk Wohnungen über Parker-Morris-Standards teilweise saniert, vollständige Sanierung beschlossen teilweise privatisiert (42 von 219 Wohnungen) Denkmalschutz Stufe II*
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5.2.1 Eigentumsverhältnisse Trellick Tower gehörte zunächst dem GLC und ging nach dessen Auflösung an Kensington & Chelsea über. Diesem Borough gehört das Gebäude noch immer, es wird aber von einer „Tenants’ Management Organisation“ verwaltet. In dieser Organisation sind alle Mieter vertreten und verwalten ihre Häuser und Wohnungen selbst indem sie Vertreter wählen, die die Verwaltung und Instandhaltung beauftragen und kontrollieren. Kensington und Chelsea hat die Verwaltung damit formal an die Mieter übertragen, die Tenants’ Management Organisation ist dem Eigentümer aber dennoch verpflichtet und ist rechtlich ähnlich einer Tochterfirma organisiert. Ein Teil der Wohnungen ist durch das Right to Buy privatisiert worden und wird nun auf dem freien Markt gehandelt. Derzeit gehören 34 der 217 Wohnungen Einzeleigentümern, deren Erbpachtverträge im Jahr 2111 auslaufen werden (entspricht 15,7%). Abbildung 8: Lage in London
Trellick Tower
8,2 km
City of London
Quelle: eigene Darstellung
In den oberen Stockwerken ab dem 23. Stock ist der Anteil der privatisierten Wohnungen überdurchschnittlich hoch (24,5%). Am wenigsten beliebt bei Käufern sind die Stockwerke 4 bis 13 mit nur 7,4% Eigentümern. Ebenso fällt auf, dass besonders viele Vierzimmerwohnungen privatisiert sind (28,6%). 2006 kostete eine Zweizimmerwohnung ca. 230 000, eine Dreizimmerwohnung 340 000 und eine Vierzimmerwohnung 450 000 Pfund. Damit ist die Vierzimmerwohnung zwar billiger, als es Wohnun-
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gen in Kensington und Chelsea durchschnittlich sind, aber immer noch teuer als ein durchschnittliches Reihenhaus in London.35
5.2.2 Planungs- und Baugeschichte North Kensington ist traditionell eine klassische Arbeitergegend gewesen, in der die Wohnverhältnisse ähnlich schlecht waren wie in anderen berüchtigten Slumquartieren. Nikolaus Pevsner schreibt über die Gegend, dass sie nie angesehen gewesen sei.36 Die damals unter „Golborne“ bekannte Gegend zwischen Ladbroke Grove und Regents’ Canal war Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt worden, vorher wurde die Gegend landwirtschaftlich genutzt. Nördlich davon befand sich „Kensal New Town“, das schon etwas früher bebaut wurde. Ursprünglich waren die in Golborne entstandenen Stadthäuser für die Mittelschicht geplant, wurden dann aber sofort zimmerweise an die arme Bevölkerung vermietet. Notting Hill war zunächst noch ein bürgerlicher Stadtteil, aber auch hier griff die weiter vorne beschriebene Aufteilung ehemals bürgerlicher Wohnhäuser und deren geschoss- oder zimmerweise Vermietung um sich, wenn auch erst später. Renovierungs- und Sanierungsarbeiten unterblieben, und im Laufe der fünfziger Jahre hatte die ganze Gegend sich zu einem karibischen Quartier entwickelt, wovon noch heute der „Notting Hill Carnival“ und einige Läden zeugen.37 Die Bewohner waren häufig nicht nur der Willkür der Vermieter ausgesetzt, sondern litten auch unter unsicheren Arbeitsverhältnissen, schlechter Gesundheit und hoher Kriminalität. Die Zustände der Wohnungen und Häuser taten ein Übriges – meistens mussten die vielen Mietparteien in einem Haus sich eine Toilette und einen Wasserhahn teilen, Bäder gab es häufig gar nicht. Im 1951er Zensus war Golborne der Bezirk mit den am stärksten überbelegten Häusern und von allen Londoner
35 | Siehe http://news.bbc.co.uk/1/shared/spl/hi/in_depth/uk_house_prices /counties/html/county37.stm (12. September 2007) gibt folgende Preise an: Wohnung in Kensington und Chelsea ca. 750 000 GBP, Wohnung in London ca. 300 000 GBP, Reihenhaus in London ca. 375 000 GBP. 36 | Pevsner/Cherry 2002, S. 527 37 | Borkwood 2002
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Zensusbezirken der am viertdichtesten besiedelte.38 Auch im 1961er und 1971er Zensus änderte sich dies nicht, obwohl die Belegungsdichte in absoluten Zahlen zurückging.39 Die Ausstattung der Wohnungen war im Zensusbezirk Golborne besonders schlecht: 1961, also vor dem Beginn der Flächensanierung, verfügten nur 24 Prozent der Haushalte über fließendes warmes Wasser, 36 Prozent über ein Badezimmer und 39 Prozent über ein eigenes WC. Zehn Jahre später hatte sich die Situation zwar verbessert und nur 15 Prozent der Haushalte hatten gar kein Bad, 66 Prozent mussten sich ihr Badezimmer allerdings immer noch mit anderen Haushalten teilen, und nur 35 Prozent der Haushalte hatten ein eigenes innenliegendes WC.40 Diese Zahlen machen deutlich, wie schlecht es um die Bausubstanz in der Gegend des heutigen Edenham Estates bestellt war, und können einerseits erklären, warum die Sanierung des Bestandes nicht in Betracht gezogen wurde. Andererseits wird deutlich, mit welchem Komfortgewinn es verbunden gewesen ist, wenn eine Familie aus dem Altbaubestand in eine Neubauwohnung ziehen konnte, und dass die Typologie des Hauses, in dem sich die Neubauwohnung befand, demgegenüber relativ unwichtig war. Das Gebiet, auf dem heute Trellick Tower und der Edenham Estate stehen, wurde wie das des Claredale Estates schon in den dreißiger Jahren zur Slumsanierung vorgesehen,41 als die erste Bebauung gerade ein halbes Jahrhundert alt war. Maxwell Frys Kensal House ist ein Bespiel früher, privater Aktivität bei der Verbesserung der Lebensbedingungen in dem Quartier.42 Weitere Arbeiten wurden durch den Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau verzögert, was dazu führte, dass die Wohnungs38 | Im Londoner Durchschnitt waren 2,5 Prozent aller Wohnräume von mehr als zwei Personen bewohnt, in Golborne waren es 12,7 Prozent, also mehr als fünfmal so viele. 39 | 1961 lebten im Londoner Durchschnitt in 11,5 Prozent der Wohnräume mehr als 1,5 Personen, in Golborne waren es 40,5 Prozent. Die Zahl der Personen, die im Londoner Durchschnitt in einem Wohnraum lebte, sank von 0,83 (1951) auf 0,77 (1961) und 0,62 Personen (1971), in Golborne waren es 1,13 (1951), 1,17 (1961) und 0,97 (1971) Personen. 40 | Hier ist die Vergleichbarkeit dadurch erschwert, dass im vorhergegangenen Zensus nur erhoben wurde, ob ein eigenes WC vorliegt, nicht ob dieses im Haus liegt. 41 | Pevsner/Cherry 2002, S. 527 42 | Ebd.
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zustände sich immer weiter verschlechterten. Obwohl sich die Stimmung gegen Ende der sechziger Jahre schon gegen die großen Flächensanierung wandte, wurden die alten Stadthäuser hier vollständig abgerissen und in verschiedenen Bauabschnitten, von denen der Edenham Estate nur einer war, ersetzt.
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Abbildung 9: Trellick Tower und Edenham Estate
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Grand Union Canal
Kensal Road
Elkstone Road
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Quelle: eigene Darstellung
Im Zuge dieser Flächensanierung wurde auch Londons einziges Stück Stadtautobahn, der Westway, gebaut. Diese Hochstraße war eigentlich als Teil eines größeren Netzes von Stadtautobahnen geplant, aber auch hier zeigte sich bald, dass die öffentliche Meinung sich geändert hatte und solche drastischen Eingriffe in das städtische Gefüge nicht mehr durchsetzbar waren. Die Häuser, die nach dem Bau des Westways in dessen Nähe stehen geblieben waren, wurden von den Emissionen so beeinträchtigt, dass sie unbewohnbar waren und sich niemand mehr für ihren Erhalt einsetzte. Das gesamte Sanierungsgebiet wurde in der Folge als „Kensal New Town“ bezeichnet. Der Teil nördlich der Golborne Road wurde vom Greater London Council geplant, der südliche Teil mit dem Edenham Estate unter der Federführung des Royal Borough of Kensington and Chelsea, der Goldfinger mit dem Projekt beauftragte. Der Sanierungsbeschluss für den Bereich Edenham Street/Kensal New Town und die Enteignungsbeschlüsse wurden 1967 gefasst. Goldfinger hatte bereits 1966 den Auftrag für den Entwurf des Edenham Estate bekommen, und er war seit 1960 mit dem Brownfield Estate und Balfron Tower im East End beschäftigt, einem Projekt, das viele Ähnlichkeiten mit dem Edenham Estate aufweist. Trellick Tower ist Teil des Edenham Estates, der in vieler Hinsicht den klassischen
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„Mixed Developments“ der fünfziger Jahre gleicht. Neben Trellick Tower, dem größten Gebäude gehören auch drei sechsgeschossige Mehrfamilienhäuser, 34 Reihenhäuser und ein Altenwohnheim dazu. Abbildung 10: Wohnungsgrundrisse in den Regelgeschossen
Quelle: eigene Darstellung
Auf dem Gelände des Edenham Estates befanden sich vorher mehrere Blöcke mit Stadthäusern, und mehrere Straßen wurden im Zuge der Neubebauung aufgelöst, darunter Edenham Street, die dem Estate seinen Namen gab, Southam Street, Kensal Place, Teile der Kensal Road und weitere kleine Stichstraßen. Die Hauptverbindung nach Süden ist seither die Elkstone Road, die direkt an der Hauptbahntrasse entlangführt, Trellick Tower und den Estate mit der U-Bahn-Station Westbourne Park verbindet und nach der Neuordnung darunter leidet, dass sie keine direkten Anlieger mehr hat. 1969 wurde die Baugenehmigung für den Bereich des Edenham Estates erteilt und schon 1972 wurden Trellick Tower und der über denselben Eingang erschlossene sechsgeschossige Gebäudeteil des ersten Bauabschnitts fertiggestellt, bis 1975 folgten die weiteren Gebäude des Edenham Estates. Der Bereicht zwischen den Gebäuden und dem Kanal sowie zwischen Elkstone Street und Kanal wurde im Anschluss zu einem Park umgestaltet.
Weitere Entwicklung Goldfinger hatte von Anfang an geplant, dass der Eingang zum Trellick Tower mit einem Concierge besetzt würde und hatte dafür eine Nische im Foyer vorgesehen. Aus Kostengründen verzichtete man dann darauf, was dazu führte, dass der Zugang zum Haus unkontrolliert blieb. Schon wenige Monate nachdem die Mieter eingezogen waren, kam es zur sogenannten „Christmas Crisis“, als am Heiligabend Randalierer die Lösch-
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wasserleitung öffneten und das Wasser für einen mehrere Tage andauernden Kurzschluss sorgte. Während dieser Zeit mussten die Bewohner ohne Wasser, Heizung, Aufzug oder Licht auskommen und der Vorfall wurde in mehreren Tageszeitungen ausführlich dargestellt. Die Überschriften waren teilweise drastisch43 und die zitierten Bewohner sparten nicht mit Kritik.44 Bis 1982 erschienen in den lokalen Zeitungen immer wieder Berichte über die schlimmen Zustände im Trellick Tower, die häufig unzufriedene Bewohner zitieren. Thema waren vor allem Sicherheitsmängel und die Aufzüge, die oft nicht funktionierten oder ungepflegt waren.45 Die Bewohner forderten bessere Sicherheitsmaßnahmen und erreichten schließlich, dass 1982, also zehn Jahre nach dem Erstbezug, eine Gegensprechanlage eingebaut wurde. Diese führte aber nicht zum gewünschten Erfolg, und es gelang Fremden immer wieder, ins Haus zu kommen, so auch einem Fallschirmspringer, der beim Sprung vom Dach des Aufzugsturms starb, weil sein Fallschirm sich nicht öffnete.46 1984 wurde Trellick Tower zusammen mit den Alton Estates in Roehampton und Robin Hood Gardens zu den drei schlimmsten Londoner Gebäuden der Nachkriegszeit gewählt. Aber 1984 gründeten die Bewohner auch eine neue Residents’ Association und fingen an, für Verbesserungen zu kämpfen. Die Bewohnerzeitung „Tower Views“ vom April 1985, die von der Residents’ Association herausgegeben wurde, berichtete von Versuchen, den Borough zu Verbesserungen zu bewegen und von Verhandlungen über die Benutzung des Clubraums und die Reparaturen der Aufzüge. Obwohl in vielen Bereichen Unzufriedenheit herrschte, war der 43 | „Ordeal for hundreds trapped in flats“ (Evening Standard, 27. Dezember 1972) oder „Stranded tenants in GLC deathlock“ (Evening Standard, 5. Januar 1973) 44 | Im Evening Standard (27. Dezember 1972) werden Bewohner zitiert: „In the six months that the flats have been opened similar incidents – though not on this scale – have happened at least five times“ und „It was like walking up the black hole of Calcutta on the stairs“. 45 | Beispielsweise „‚Gloom at the top‘ Families raise the roof“ (Kensington Post, 24. August 1973), „£1m colossus with no soul“ (Kensington Post, 9. Februar 1975), „All packed up and waiting to move“ (West London Observer, 4. November 1977), „Pensioner dies in ‚prison flats‘“ (West London Observer, 10. November 1977), „Tower of Terror ‚more light‘ plea“ (West London Observer, 16. Juli 1980) 46 | „Tower parachutist killed“ (Times, 4. Juni 1982)
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Grundton nicht resigniert, sondern optimistisch, dass sich alle Probleme würden beheben lassen.47 1988 änderte der Borough auf Druck der Bewohner seine Belegungspolitik. Weil Trellick Tower zu diesem Zeitpunkt als schwierig und unbeliebt galt, bekamen nur noch Personen eine Wohnung, die dies explizit wünschten und damit die Warteliste für Sozialwohnungen umgehen konnten. Gegen alle Erwartungen gab es eine ganze Reihe von Freiwilligen, die diese Chance nutzten, auch einige Architekten, die eigentlich gar kein Recht auf eine Sozialwohnung gehabt hätten und in der Folge ihren Teil dazu beitrugen, dass das Image des Hochhauses sich änderte Bis 1987 geschah baulich wenig an dem Gebäude, außer dass immer wieder Antennen auf dem Dach installiert wurden. Im April 1987 wurde eine Studie über mögliche Sicherheitsmaßnahmen vorgelegt,48 die vom Borough finanziert und von der Stiftung „Safe Neighbourhoods Unit“ gemeinsam mit Bewohnern und Mitarbeitern des Boroughs erarbeitet wurde. Die Studie empfahl, einen 24-Stunden Concierge einzurichten sowie weitere Sicherheitsmaßnahmen wie beispielsweise eine neue Gegensprechanlage und Panikknöpfe im Aufzug. Infolge der Empfehlungen wurden die Aufzüge erneuert und ein Schalter für den Concierge eingerichtet, der aber nur 16 Stunden pro Tag besetzt war. Im Zusammenhang mit den Bauarbeiten wurde der Eingangsbereich insgesamt sehr unvorteilhaft umgestaltet. Nicht nur wurde der Tresen des Concierge an einem anderen als dem von Goldfinger vorgesehenen Ort eingerichtet, es wurden auch die Originaltüren ersetzt und die farbigen Glasfenster auf der Rückseite der Eingangshalle wurden entfernt, wie es hieß aus Sicherheitsgründen, weil sie den Raum nicht ausreichend beleuchteten. Mit diesen verschiedenen Maßnahmen begann der schlechte Ruf des Trellick Tower, sich langsam zu verbessern. Schon 1987 erschien im Evening Standard ein erster Bericht, der im Gegensatz zur früheren Berichterstattung das Leben im Hochhaus positiv darstellte49 und auch eine Bewoh47 | „Tower News“, Anfang 1984 (ohne Datum) 48 | „Coming home to Trellick“, Safe Neighbourhoods Unit 1987 49 | Leana Poole: „Here’s to the high life“ (Evening Standard, 15. Juni 1987): „Delighted residents? This is the last thing you might expect in a tower block and yet all the people I‘ve talked to have enthused about their lives spent high above the roar of the traffic.“
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nerin des Trellick Tower zitierte, die gerne dort lebte. Die Vorstellung, dass sich in Hochhäusern selbstmordgefährdete, isolierte Mütter und gebrechliche Rentner sammelten, die kaum in der Lage seien, ihre Wohnungen zu verlassen, wurde hier als ein Vorurteil dargestellt, dass sich bei näherem Hinsehen nicht bestätigen lasse.50 Abbildung 11: Eingangsbereich mit Tresen für den Concierge
Quelle: Maren Harnack
Bis 1991 war die Berichterstattung spärlich und wechselt in ihren Urteilen über Trellick und andere Hochhäuser. Eine Machbarkeitsstudie, die 1989 in Auftrag gegeben wurde und eine Neubebauung der Fläche über der Tiefgarage vorsah, wurde in der Presse nicht einmal erwähnt und glücklicherweise wurde die Planung nicht realisiert.51 Diese Studie sah vor, anstelle der teilweise abgebrochenen Garage eine U-förmige Reihenhausbebauung zu errichten, die weder in ihrer Formensprache noch im Maßstab zum Bestand gepasst hätte und sowohl von den Balkonen der höher gelegenen Wohnungen im Trellick Tower aus einsehbar als auch erheblich verschattet gewesen wäre. 50 | „…dingy grey stumps on the horizon, full of suicidal young mothers with screaming babies and frail grannies struggling breathlessly up the stairs to the 90th floor. Or perhaps not.“ (ebd.) 51 | Royal Borough of Kensington and Chelsea 1989: Improvement of the environment at the base of Trellick Tower (unveröffentlichte Studie)
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1994 wurde die Stelle des Concierge von anfangs nur 16 Stunden täglich auf 24 Stunden aufgestockt, weil auch die nächtliche Sicherheit stärker geschützt werden musste. Ein Jahr später wurde auch eine neue Gegensprechanlage installiert. Die Bewohner setzten sich auch über Fragen der Sicherheit und des Managements hinaus für Trellick Tower ein. 1996–97 gelang es, mit Hilfe von Spenden und persönlichem Engagement, die farbigen Glasfester, die zehn Jahre zuvor beim Umbau des Foyers entfernt worden waren, wieder herzustellen und auch den Schriftzug über dem Eingang wieder anzubringen.
Denkmalschutz und Sanierung 1991 begannen die Bemühungen, Trellick Tower unter Denkmalschutz zu stellen. Der offizielle Antrag wurde am 8. Juli 1991 von DoCoMoMo52 gestellt, anschließend fertigte English Heritage die Gutachten über den Denkmalwert des Gebäudes an. Am 23. April desselben Jahres wurde bereits ein älteres und sehr viel kleineres Gebäude von Goldfinger geschützt, das Geschäftshaus in der Albemarle Street, erbaut von 1955–57. Außerdem stand zu diesem Zeitpunkt schon der National Trust mit Goldfingers Erben in Verhandlungen, um sein privates Wohnhaus samt Einrichtung und Kunstgegenständen zu erwerben und der Öffentlichkeit als erstes modernes Wohnhaus zugänglich zu machen. 1992 fand zudem am Royal College of Art eine Ausstellung über britische Nachkriegsarchitektur statt, die weiter dazu beitrug, nicht nur Goldfingers Architektur salonfähig zu machen, sondern die Nachkriegsmoderne als ganzes zu würdigen. Auch der soziale Wohnungsbau dieser Zeit geriet stärker ins Blickfeld der Architekturhistoriker und des Denkmalschutzes. English Heritage startete in dieser Zeit ein Programm, das sich über mehrere Jahre erstreckte, die Nachkriegsarchitektur systematisch auf ihren Denkmalwert hin untersuchte und zu einzelnen Typologien Gutachten in Auftrag gab. Am 22. Dezember 1998 wurde Trellick Tower gemeinsam mit einer Reihe anderer Wohnungsbauten der Nachkriegszeit unter Denkmalschutz gestellt, darunter die Alton Estates in Roehampton, zwei Estates von Berthold Lubetkin, Park Hill in Sheffield, Lillington Gardens von Darbourne & Darke und Churchill Gardens von Powell & Moya. Trellick Tower erhielt den besonders hohen Schutz der Kategorie II*, die meisten anderen 52 | Brief von James Dunnett/DoCoMoMo an das Department of Environment, Heritage and Sponsorship Division
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Bauten nur den weniger starken Schutzgrad II.53 Dies wurde noch einmal ausführlich in der regionalen und überregionalen Tagespresse behandelt, und während in der Times ein ironischer Kommentar abgedruckt wurde54 und die Daily Mail den Denkmalschutz für diese Bauten als weltfremd und elitär darstellte,55 berichtete der Independent über den Denkmalschutz als Folge eines schon früher einsetzenden Wandels im zeitgenössischen Geschmack.56 Mit dem Denkmalschutz wurde auch die weitere Instandhaltung des Gebäudes komplizierter und vor allem teurer. Für fast alle Veränderungen ist die Zustimmung der Denkmalbehörde erforderlich, und der Status II* bedeutet auch, dass alle Entscheidungen besonders sorgfältig abgewogen und dass selbst für sehr kleine Änderungen Baugenehmigungen eingeholt werden müssen, beispielsweise wenn defekte Scharniere ausgetauscht werden. Bei der seit längerem anstehenden Generalsanierung sind die Diskussionen über Art und Umfang der Arbeiten schon seit mehr als acht Jahren nicht abgeschlossen. Schon 2001 war das Ansinnen, die Versorgungsleitungen zu erneuern und auf der Fassade zu verlegen aus Gründen des Denkmalschutzes abgelehnt worden.
53 | Die Britischen Kategorien für Denkmalschutz sind folgendermaßen unterteilt: Stufe I Bauten von außerordentlichem Interesse; Stufe II* Besonders interessante Bauten von besonderem Interesse; Stufe II Bauten von besonderem Interesse. Nur 1,4 Prozent aller denkmalgeschützten Gebäude genießen den Schutz der Stufe I und nur 4,1 Prozent der Stufe II*. Die meisten denkmalgeschützten Bauten (94,5 Prozent) befinden sich folglich in der schwächsten Kategorie II. 54 | „Enemy of the People“ (Sunday Times, 22. Dezember 1998): „Come, friendly cruise missiles, and fall on Trellick Tower…“ 55 | Bill Mouland „Are these towers really the height of fine design?“ (Daily Mail, 23. Dezember 1998). Zitiert einen Bewohner: „It’s an eyesore and the best thing they can do is blow up the lot“ 56 | Dominic Luytens: „The absolute height of chic“ (Independent on Sunday, 17. Januar 1999): „… And while Fleming loathed him for erecting one of his uncompromisingly modernist buildings near his home in Hampstead, today’s hip Britons view Goldfinger in a different light: as the genius synonymus with Trellick Tower, the architect‘s dizzingly high tower block looked up to as an icon of urban cool.“
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Im Rahmen der geplanten Sanierung wurden mehrere Bauanträge eingereicht und wieder zurückgezogen.57 Besonders kontrovers diskutiert wurde und wird die geplante Erneuerung aller Fenster. Die Originalfester sind Spezialanfertigungen nach dem Entwurf von Goldfinger und mit Isolierglas versehen, das aber nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht. Wann sie das letzte Mal gestrichen wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, den Auskünften der Bewohner zufolge ist es schon mindestens zehn bis fünfzehn Jahre her. Die Ausführungsqualität ist bestenfalls mittelmäßig, unter der abplatzenden Farbe kommt der vorherige Anstrich zum Vorschein. Der Bauantrag für die Sanierung wurde als Paket abgegeben, zu dem nicht nur der Austausch der Fester gehört, sondern auch einige Maßnahmen, die generell als positiv betrachtet werden. Das „Cornice“, das 1985 entfernt wurde, soll im Rahmen der Sanierungsarbeiten wiederhergestellt werden, ebenso die Fenster des Clubraums, die zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Zeitpunkt durch Kunststofffenster ersetzt wurden, die die Rundungen der Fassade nicht nachzeichnen, sondern polygonal abschließen. Die Tatsache, dass English Heritage dem Sanierungspaket und damit auch dem Austausch der Fenster zugestimmt hat, hat viele der engagierten Bewohner enttäuscht.58 Der Kampf um die Fenster hat aber auch dafür gesorgt, dass sich bei vielen Bewohnern eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hat. Dass der geplante Austausch der Fenster so viel mehr Widerstand hervorgerufen hat als andere Maßnahmen, liegt vermutlich auch daran, dass sie direkt Einfluss auf die Raumwirkung in den Wohnungen haben. Sie sind aber auch ein besonders teurer Posten der Sanierung, die die Leaseholder anteilig bezahlen müssen. Den Leaseholdern kann man neben einem architektonischen oder baugeschichtlichen Interesse in jedem Fall auch finanzielle Motive unterstellen. Vor allem diejenigen, die ihre Wohnung über das Right to Buy erworben haben, sind häufig nicht sehr wohlhabend und zudem schon pensioniert, so dass sie wahrscheinlich Schwierigkeiten bekommen werden, ihren Anteil zu bezahlen.
57 | Am 6. Februar 2006 wurde sowohl der erste Bauantrag als auch die Überarbeitung zurückgezogen (LB/05/00164 und LB/05/00165) 58 | Baugenehmigung vom 28. April 2006 (PP/06/00292), vorbehaltlich Listed Building Consent
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5.2.3 Rezeptionsgeschichte Die Reaktionen der Fachwelt auf Trellick Tower waren gespalten. Das Architectural Review, das in den fünfziger und sechziger Jahren viele kommunale Wohnungsbauten publiziert hatte, erwähnte Trellick Tower nicht. Das Architects Journal, die Verbandszeitschrift der RIBA widmete ihm ein ganzes Heft, sparte aber nicht mit Kritik.59 Martin Richardson, Architekturkritiker und selbst ein erfahrener Wohnungsbau-Architekt, der unter anderem beim London County Council an Roehampton gearbeitet hatte, kritisierte sowohl Architektur und Städtebau als auch die Verteilung der Wohnungen innerhalb des Estates. Formal übte Richardson Kritik am Maßstab vor allem des Hochhauses, das er als „Koloss“ bezeichnete, der die Häuser der Umgebung „erdrückt“.60 Er war aber auch der Meinung, dass der Estate keine Einheit formte und dass die Bewohner in den unterschiedlichen Teilen zwangsläufig voneinander getrennt leben würden. Insbesondere die Verteilung der Bewohnergruppen fand Richardson unlogisch, da die Mehrzahl der Familienwohnungen im Hochhaus untergebracht ist, die Altenwohnungen aber in niedrigeren Wohnhäusern.61 Erst auf der Ebene der Wohnungen und der Detaillierung62 fand Richardson auch Positives.
59 | Martin Richardson: „Building Study. Housing in North Kensington“ (Architects’ Journal, 10. Januar 1973) 60 | „…On turning round I was confronted by the colossus crushing the domestic intimacy of the courtyards. Even from more distant parts as Swiss Cottage and Camden Hill, scale is distorted as one sees the tower“ (ebd., S. 91) 61 | „The distribution of dwelling types seems curious. Of the largest units (six persons) no fewer than 25 out of 66 are in the tower. … Two-thirds of the remaining units in the big slab are family units for four persons.“ (ebd., S. 88) „In short, the splitting up of the inhabitants into their different blocks encourages separateness rather than integration; and the effect is reinforced by the fact that the nuisances of children is suffered by the low living older people rather than the high living families.“ (ebd., S. 89) 62 | „The control and quality of detail is impressive, The entrance hall is lined with marble. Lobby doors at all levels are of heavy hardwood with narrow glass strips. […] The quality of these materials in public spaces does a lot for the building […]“ (ebd., S. 92)
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Die Wohnungen selbst beschrieb er als geräumig, übersichtlich und gut proportioniert.63 Richardsons Artikel provozierte den enthusiastischen Leserbrief einer Bewohnerin, die nicht die Kritik an sich falsch fand, sondern dass Richardson daraus den Schluss gezogen hat, dass das gesamte Projekt fragwürdig sei. Keiner der Bewohner sei aus einem Umfeld gekommen, dass Trellick Tower in irgendeiner Weise vergleichbar sei. Nun lebten sie in modernen und technisch hervorragend ausgerüsteten Wohnungen, die noch zudem bezahlbar seien. Die soziale Stabilität sei Sache der Bewohner, nicht des Architekten.64 Dieser Leserbrief ist, wie auch der Artikel von Martin Richardson, geschrieben worden, nachdem die weiter unten beschriebene „Christmas Crisis“ stattgefunden hatte. Dass Richardson sie nicht erwähnt, zeugt wahrscheinlich davon, dass es die Leser eines Architekturmagazins wenig interessiert, wie die Bewohner ein Gebäude aufnehmen. Dass die Bewohnerin die Probleme nicht erwähnt, ist möglicherweise als Hinweis darauf zu versehen, dass die Wohnbedingungen vorher tatsächlich noch viel schlechter waren, als ein etablierter Architekt und Fachjournalist wie Martin Richardson es sich vorstellen konnte. Goldfinger selbst war in seinen späten Lebensjahren eine kontroverse Persönlichkeit. Das Architects’ Journal veröffentlichte zu seinem achtzigsten Geburtstag eine kurze, lobende Werkschau, in der Trellick Tower ei63 | „The dwellings themselves are spacious. This is in part because many are over Parker-Morris’ minimum areas; it is also because there tend to be fewer than more rooms […], and they are clearly and generously planned. The exeptionally wide bay frontage helps the proportions of the rooms, and also allows a big central hall which gives value to the whole flat. The balconies are also impressively large […]“ (ebd.) 64 | Lilianne Sinclair (Architects’ Journal, 18. April 1973, S. 901) „…Nobody I know moved here from Mayfair and I haven‘t noticed any tears being shed for the faded glories of the demoralising slums that festered here not very long ago. My family and the rest of the people around us are now living in light, airy, spacious, comfortable and sanitary conditions at a rent we can afford. […] Finally, when the estate is finished and the canal walks, trees, grass and play areas have dimmed the memory of the dirty, dingy, damp, derelict streets of over-priced misery that were here before, I suggest that all those who live in better conditions than us should be humbly thankful, while all those who don‘t should come and ask Mr Goldfinger how it‘s done.“
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nen prominenten Platz einnahm,65 die aber auch Widerspruch herausforderte.66 1985 wurde Trellick Tower noch einmal die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit zuteil als das „Cornice“ entfernt wurde, ein Betonträger der den oberen Abschluss des Gebäudes bildete.67 Über einen Monat wurden zahlreiche Leserbriefe geschrieben, die ein uneinheitliches Meinungsbild widerspiegelten. Einige verteidigten Trellick Tower und sahen die Entfernung des Cornice als Beschädigung an,68 andere hielten sein Fehlen für völlig irrelevant, da das Gebäude seinen Zweck verfehlt habe und kein gutes Wohnhaus sei.69 Wiederum meldete sich auch hier ein Bewohner zu Wort, der mit dem Leben im Trellick Tower durchweg positive Erfahrungen gemacht hat.70 In der Ausgabe der „Buildings of England“ von 2002 kritisieren Pevsner und Cherry zwar die Flächensanierung den heutigen Vorstellungen entsprechend, die der Renovierung den Vorzug vor der Flächensanierung geben, und sie beschreiben die beiden Hochhäuser gegenüber Trellick Tower als „unattractive“. Dem Edenham Estate hingegen widmen sie mehr Aufmerksamkeit und beschreiben seine Ausstrahlung als eine „für
65 | Unter der Überschrift „Goldfinger at 80“ wird über Trellick Tower geschrieben: „…built when high rise was going out of fashion, so perhaps awaiting for appraisal“. (Architects’ Journal, 15. September 1982, S. 53–54) 66 | Leserbrief von Christopher A. Webb: „Without going into the details of garbage, vandalism, crime, unusable garages and pram-sheds, it must, by now, surely occur to architects that there is a relationship between how people can and will live, and their built environment. Demolition is the answer, not appraisal.“ (Architects’ Journal, 29. September 1984, S. 25) 67 | „Goldfinger topped“ (Architects’ Journal, 27. Februar 1985, S. 22) 68 | Leserbriefe von James Dunnett und Peter Tabori (Architects’ Journal 27. März 1985) 69 | Leserbriefe von Larry Hansen (Architects’ Journal, 13. März 1985), Charles Knewitt und Richard Walker-Arnott (Architects’ Journal, 27. März 1985) 70 | Leserbrief von Dipak Bharadia: „I should like to record that my wife and I have been residents in the tower for over eight years and we have brought up two young children during that time. We have much enjoyed our life here and know of many other families who do so as well. My criticisms are levelled principally at the quality of service from our landlords, particularly in view of the rents now charged.…“ (ebd.)
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England ungewöhnlich seltene Form hochentwickelter Urbanität“71 Dabei vollziehen sie die Kritik, die Trellick Tower zur Zeit seiner Entstehung auf sich gezogen hat, nach, sehen sie aber als Phänomen ihrer Zeit.72 Die Sanierungsbeschlüsse und -planungen wurden auch von der Tagespresse verfolgt und kommentiert. In den Evening News vom 17. Oktober wurden schon vor Baubeginn Vorbehalte gegen das Hochhaus mit 31 Stockwerken geäußert. Der Evening Standard zeigt mit „As these old homes come down, up goes Goldfinger’s street in the sky“ sogar ein leichtes Bedauern über den Verlust der heruntergekommenen viktorianischen Stadthäuser. Aber erst als es nach dem Erstbezug zu ernsthaften Problemen kam, wurde die Berichterstattung häufiger und bekam einen deutlich negativen Unterton.
Tagespresse Rückblickend lässt sich sagen, dass der Denkmalschutz Trellick Tower in der öffentlichen Wahrnehmung nobilitiert hat. Nachdem bekannt wurde, dass Trellick Tower für den Denkmalschutz vorgeschlagen wurde, häuften sich Artikel in der Tagespresse, die dies zum Thema hatten. Im Zuge dieser Entwicklung stieg die öffentliche Aufmerksamkeit für Wohnbauten der Nachkriegsmoderne schlagartig an, und Trellick Tower wurde gewissermaßen zum Symbol, an dem die Fragen des Denkmalschutzes diskutiert wurden. Auch andere Beispiele wurden gelegentlich erwähnt, aber Trellick Tower fehlte in keinem Artikel über den gewandelten Status des sozialen Wohnungsbaus. Die Meinungen darüber waren gespalten, der 71 | „Much more powerful than all this, however, ist he impact of the Cheltenham Estate […], with the unforgettable thirty-storey Trellick Tower, completed in 1972. It is one of the last of those rigorously organized mixed London developments promoted so optimistically by the L.C.C. from the 1950s onwards. The tower contains 217 flats, their arrangement based on Goldfinger’s earlier Balfron Tower in Poplar (1969), that is, with a separate lift and stair tower with bridges to the main block only at every third storey. The resulting silhouette is highly dramatic, not least when lit up at night. At street level, the group of tower and lower blocks, with their impeccably detailed bush-hammered concrete surfaces, exude a sophisticated urbanity rare in England.“ (Pevsner/Cherry 2002, S. 532) 72 | „But by the 1970s public housing on such a monumental scale was already a dinosaur from another age; however handsome and generously planned (the entrance halls are marble-lined, the balconies are large), family flats in towers were no longer acceptable.“ (ebd.)
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Sunday Telegraph machte sich über das Ansinnen lustig73 und stellte den Denkmalschutz als solches in Frage, die Kensington und Chelsea Post drückte Erstaunen aus und fragte, ob andere Probleme, wie zum Beispiel die Überbelegung von Wohnungen, für Trellick Tower nicht dringlicher seien als der Denkmalschutz.74 Time Out und der Independent sahen die Sozialwohnungsbauten hingegen positiver, in Time Out wurde sogar von „architektonischen Leckerbissen“ gesprochen.75 Die bereits erwähnte Ausstellung über britische Nachkriegsarchitektur, die 1992 mit Unterstützung von English Heritage in der Royal Academy stattfand und britische Nachkriegsarchitektur hoher Qualität zeigte, unterfütterte das öffentliche Interesse mit fachlichen Argumenten und der Autorität einer traditionsreichen staatlichen Institution. Eine ähnliche Wirkung dürfte die ebenfalls bereits erwähnte Aufnahme in die Neuauflage von Nikolaus Pevsners Standardwerk „The Buildings of England“ ein Jahr zuvor gehabt haben. Das Ereignis war bedeutend genug war, um in der Buchbesprechung des Guardian erwähnt zu werden,76 auch wenn der Autor dieses Artikels die Begeisterung, die in der Beschreibung in „The Buildings of England“ zum Ausdruck kommt,77 nicht teilt.78 Der letzte offensichtlich negative Artikel über Trellick Tower erscheint ebenfalls in dieser Zeit. 1991 bespricht Giles Smith im Independent eine Fernsehsendung, in der Privatpersonen die Gelegenheit bekommen, ihre Lieblingsorte vorzustellen. Eine Bewohnerin führte in dieser Sendung durch Trellick Tower, konnte den Autor aber nicht zu überzeugen. Spätere Artikel handeln fast ausschließlich von dem Antrag auf Denkmalschutz 73 | Paul Barker: „Heritage after a Fashion“ (Sunday Telegraph, 2. August 1992): „Between Ridiculous and Amusing: Trellick Tower in Golborne Rd, London“ 74 | Anna Teeman: „Tower block set to be listed. 70s building seen in new light“ (Kensington & Chelsea Post, 6. August 1992) 75 | Esther Oxford „‚High-rise horror‘ becomes des res“ (The Independant, 25. November 1992, S. 19) und „Tower power“ von Barry Holmes (Time Out, 16.–23. September 1992) 76 | Richard Boston: „A few home truths for Dr Pevsner“ (Guardian, 18. November 1991) 77 | Pevsner/Cherry 2002, S. 532 78 | „I can’t find anything to like about this building, which for one thing is simply in the wrong place, completely out of place with i ts environs.“ (Richard Boston, Guardian, 18. November 1991)
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und der Wende zum besseren, beispielsweise in Time Out,79 der Times80 oder dem Independent.81 Im Laufe der Jahre 1998 und 1999, also im direkten Zusammenhang mit der Unterschutzstellung, erschienen 12 Artikel in der Tagespresse, die die Transformation von Hochhäusern des sozialen Wohnungsbaus zum Thema haben und entweder pars pro toto Fotos von Trellick Tower zeigten82 oder gleich eine Reportage über die Wandlung des ehemals berüchtigten Trellick Tower brachten.83 Interessant an den Berichten über die Wandlung des Trellick Tower ist, wie einerseits die Vergangenheit und andererseits der zu dem Zeitpunkt aktuelle Zustand des Gebäudes beschrieben werden. In diesen „vorher-nachher“ Gegenüberstellungen wird Trellick Tower als gegenwärtig extrem gefragt und „cool“ dargestellt, und in dem gleichen Maße werden die Vorkommnisse der Vergangenheit dramatisiert, um den Kontrast zu erhöhen. Exemplarisch sei hier der Artikel von Rory Carroll84 zitiert, der als Titelgeschichte in der G2 Beilage des Guardian erschien und auf dem Deckblatt mit folgender Beschreibung begann: „It was a 79 | Johnny Dobbyn: „Tower power“ (Time Out, 16. September 1994) 80 | James Fisher: „The joys of living in a Tower Block“ (Times, 3. November 1993, S.37) 81 | Esther Oxford: „‚High-rise horror‘ becomes des res“ (Independent, 25. November 1992, S.19) 82 | Bill Mouland „Are these towers really the height of fine design?“ (Daily Mail, 23. Dezember 1998); Julia Llewllyn Smith: „Tower block chic“ (The Express, 1. November 1999); Dominic Luytens: „The absolute height of chic“ (The Independent on Sunday, 17. Januar 1999); Jessica Cargill Thompson: „Sellout“ (Time Out, 10. März 1999); Lesley Gillian: „Sky’s the limit for multi-storey living“ (The Sunday Telegraph, 25. April 1999) 83 | Laurette Bremer und Mira Bar-Hillel: „The high-rise and fall“ (Evening Standard, 4. Dezember 1998); Rachel Double: „Power tower“ (Kensington Times und Westminster Times, 23. Dezember 1998); Maev Kennedy: „Heritage Listing for Goldfinger Tower“ (Guardian, 23. Dezember 1998); Rory Carroll: „How did this become the height of fashion?“ (Guardian G2, 11. März 1999); Julia Bueno: „Moving on up“ (The Independent on Sunday, 25. Juli 1999); Stephen Morissey: „The name’s Goldfinger, Erno Goldfinger“ (West Ten, 5. August 1999) 84 | Rory Carroll: „How did this become the height of fashion?“ (Guardian G2, 11. März 1999)
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dilapidated, crime-ridden monstrosity that came to symbolise the failure of high-rise housing. Now it‘s one of London‘s most fashionable addresses. It‘s even been listed.“ Auch wenn Carrolls Beobachtung, dass Trellick Tower zum Symbol für das Versagen des Hochhausbaus wurde, richtig ist, ist die Beschreibung des Baus als „halbverfallene, kriminalitätsverseuchte Monstrosität“ unrealistisch, wenn man sie mit den Aussagen der Bewohner vergleicht. Der Autor fing dann an, die frühere Situation zu beschreiben: „The nightmare would start moments after entering the lobby. Stench of urine, beer and stale sweat would seep from shadows, the lights would be smashed again and the corridor vandalised into gloom. Silence did not mean nobody was there. Walk, and the broken bottles and syringes crunched underfoot. With luck, one of the tower‘s three lifts would be working. Fresh graffiti, used condoms and a passed-out vagrant might have been waiting inside when the doors parted. The 12 person aluminium box, shaped like a coffin, would grind upwards at 1.5 meters per second. Often it would stop at the wrong floor, open into darkness and the sound of dripping water, then resume the ascend. One Christmas vandals on the 12th floor opened the fire hydrant and unleashed thousands of gallons of water into the lifts, blowing fuses and leaving the block without electricity for heat, water or toilet facilities. Grind up another three floors and you would be where a 27-year-old woman was dragged from the lift and raped. Down the same corridor a depressed young mother jumped to her death. On the 21st floor, an 11-year-old girl was dragged from a lift into the chute room and attacked. If there was a figure huddled in a doorway, it was best not to check. It could have been a prostitute waiting for business, an addict shooting up, an imminent squatter or a neighbour fumbling for a key.“ […] Anschließend kontrastierte er dies mit dem heutigen Zustand: „[…] The windows are all intact – actually they are gleaming. Enter the lobby: marble floors, bright, new lifts, a concierge, safe. Young families, professionals and pensioners breeze in and out. An expensively dressed couple pin up a notice asking if anyone wants to sell their flat. There are many such notices. Flats change hands for £150 000. Something unexpected, something astonishing, has happened. Trellick has clawed out of the abyss. Against all the odds, it has hewn a renaissance from the concrete. Crime and disorder have virtually evaporated. Lifts glide, boilers hum, management works. Tenants adore it, Blur sing about it, directors and advertisers film it, T-shirt designers transpose it, architects study it, coach-loads of tourists photograph it“.
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Der Guardian ist eine sehr angesehene Tageszeitung, und auch in dem Magazinteil G2 erwartet der Leser, dass Inhalte sorgfältig recherchiert sind. Dementsprechend erstaunlich ist es, dass der oben zitierte Artikel sich sprachlich und stilistisch zwar auf sehr hohem Niveau bewegt, aber neben einigen Übertreibungen auch eindeutig Unwahrheiten impliziere, die dafür umso plastischer den Gegensatz zwischen vorher und nachher illustrieren. Auffallend ist, dass der Autor für den ersten Teil seiner Beschreibung Wörter gewählt hat, die eine eindeutig negativ konnotiert sind: nightmare, stench, urine, stale sweat, seep, shadows, vandalised, gloom, coffin, grind, dripping water. Er impliziert, dass der Boden nicht nur schmutzig war, sondern geradezu von Abfall bedeckt, der aus zerbrochenen Bierflaschen, benutzen Spritzen und Kondomen bestand und unter den Fußsohlen knirschte, während man sich dem Aufzug näherte. Zweifelsohne kam all dies in der Vergangenheit vor, und auch heute noch findet man gelegentlich Abfälle in den Gemeinschaftszonen des Hauses, wie es bei der großen Anzahl der Bewohner nicht ausbleibt. Doch das Bild, das Rory Carroll mit seiner Beschreibung gezeichnet hat, ist viel negativer, als das die Zeitungsberichte oder die Erzählungen der Bewohner nahe legen. Die anderen Ereignisse, die er beschrieb, haben ebenfalls tatsächlich stattgefunden und lassen sich auch nachvollziehen. Die Einleitung „The nightmare would start moments after entering the lobby…“ legt aber nahe, dass es sich dabei um regelmäßig wiederkehrende Vorkommnisse gehandelt hat, nicht um einmalige, besonders bemerkenswerte und bedauerliche Problemfälle, wie die bereits erwähnte „Weihnachtskrise“ im ersten Jahr nach der Fertigstellung. Zwei weitere Sätze legen außerdem nahe, dass Trellick Tower ein generell gefährlicher Ort war. Einerseits erzeugt „Silence did not mean nobody was there“ eine Stimmung, als habe man sich innerhalb Trellick Towers grundsätzlich in der Erwartung bewegen müssen, dass man jederzeit Opfer von Gewalt werden könne, andererseits impliziert „If there was a figure huddled in a doorway, it was best not to check“, dass man Personen, die man in den Gemeinschaftszonen des Hauses antraf, grundsätzlich besser nicht vertrauen sollte. Dass man diese Personen nicht kannte, hat der Autor dabei vorausgesetzt, der Realität im Haus entsprach dies nicht unbedingt. Ähnlich verhält es sich mit der Beschreibung der Gegenwart. Die Wortwahl ruft positive Bilder hervor: gleaming, new, bright, safe, expensive,
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hum, glide. Schon der erste Satz impliziert mit der Aussage, dass alle Fenster intakt seien, deutlich, dass dies früher die Ausnahme war – wofür es keinerlei Anhaltspunkte gibt. Den hier erwähnten marmornen Fußboden gab es nie und gibt es auch heute nicht, die Wände hingegen waren von Anfang an aus Marmor, während der Text impliziert, dass eine aufwändige Renovierung stattgefunden habe, im Zuge derer man die Wände mit Marmor verkleidet habe. Dasselbe gilt für den Zusammenhang, in dem der Concierge erwähnt wird: Der Leser würde, nachdem er den Artikel gelesen hat, eine gut gestaltet Eingangszone wie in einem teuren Apartmentblock erwarten, aber nicht den tatsächlichen Empfangstresen, der eher einen anstaltsmäßigen Eindruck macht und weder ästhetisch zufriedenstellend ist noch zum Gebäude passt. In der Beschreibung der heutigen Situation „gleiten“ die Aufzüge, früher „quälten“ sie sich nach oben. Auch die Aussage, dass die Boiler summen, erzeugt vor allem Bilder von reibungslos arbeitender Technik, denn die Boiler, die in dem auskragendem Raum im 32. Stockwerk des Aufzugturms untergebracht waren, werden nicht mehr benutzt seitdem die Heizung samt Warmwasserversorgung in den neunziger Jahren auf Elektrobetrieb umgestellt wurde. Eine erste Zusammenfassung liefert der Autor selbst, etwa nach einem Drittel seines Text, und seine Wortwahl ist dabei so bildreich wie zuvor: Erstaunlicherweise, gegen alle Erwartungen, sei es Trellick gelungen, „mit letzter Kraft aus dem Abgrund zu klettern“ („Something unexpected, something astonishing, has happened. Trellick has clawed out of the abyss“). Kriminalität und Unordnung hätten sich „in Nichts aufgelöst“, eine Ausdrucksweise die noch einmal das Wunderbare der Wandlung unterstreicht und das Gebäude als handelndes Subjekt der Wandlung begreift, nicht etwa die Bewohner, die Verwaltung, erfolgreiche Regenerationsmaßnahmen oder alles zusammen. Erst nach dieser umfangreichen Einleitung ging der Autor auf die tatsächliche Geschichte des Hauses ein, den architektonischen Hintergrund und die Bedeutung Ernö Goldfingers. Als wesentliche Meilensteine der Verbesserung nennt der Artikel die „Difficult to let“ Politik der Hausverwaltung, den verbesserten Unterhaltungszustand, namentlich der Aufzüge, und das neue Sicherheitskonzept mit Concierge. Der Tonfall bleibt dabei ähnlich dramatisch wie zu Anfang, beispielsweise wird über Goldfinger behauptet „His career never recovered from Trellick. No one would touch him. He died in 1987, defiant, bitter, his reputation in ruins, his tower loathed.“ Auch hier übertreibt Rory Carroll, denn Goldfinger war zwar
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ein umstrittener Architekt, aber doch einer, dessen runde Geburtstage im Architects’ Journal mit Werkberichten geehrt wurden, die Trellick Tower nicht verschwiegen.85 Auch der Schluss des Artikels verstärkt noch einmal den Charakter der märchenhaften Geschichte: „English Heritage made a shocking decision. They made Trellick Tower a listed building. They said they liked its sublime grandeur.“ Wenn man bedenkt, dass dieser Entscheidung verschiedene Gutachten und jahrelange Diskussionen vorangegangen sind, ist der hier angegebene Grund, dass die „erhabene Größe“ den zuständigen Bearbeitern „gefallen“ habe, wiederum eine Zusammenfassung der Diskussion, die das Irrationale und Wunderbare der Geschichte hervorhebt, anstatt die durchaus handfesten Qualitäten, die Trellick Tower ebenso auszeichnen, und ohne die die Popularität bei den Bewohnern sicher nicht zu erklären wäre, etwa die gut organisierten Grundrisse oder der verhältnismäßig hohe Baustandard. Der hier im Detail behandelte Artikel ist nicht der Einzige, der nach diesem vorher – nachher Schema aufgebaut ist, aber er ist sicher an besonders prominenter Stelle erschienen, und er zeigt das Muster ganz besonders deutlich.86 In der Fachpresse wiederholt sich dieser Aufbau später, beispielsweise in der Deutschen Bauzeitung, die Trellick Tower in der Rubrik „in die Jahre gekommen“ behandelt und auf dem Titelblatt ihres Themenheftes über London gebracht hat.87 Hier wird die Geschichte in einer Bildunterschrift zusammengefasst: „Aus dem ehemalig berüchtigtem Wohnturm ist ein beliebter Wohnort für Yuppies geworden“.88 Trellick Tower wurde und wird in der Öffentlichkeit aber nicht nur über die Presse wahrgenommen, sondern war einerseits Objekt künstlerischer Interventionen, die über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus 85 | „Goldfinger at 80“ (Architects’ Journal, 15. September 1982, S. 53–54). Ein Foto von Trellick Tower ist prominent im Artikel, die Bildunterschrift lautet „…built when high rise was going out of fashion, so perhaps awaiting for appraisal“. Eine negative Grundhaltung gegenüber Goldfinger, seinem Werk oder Trellick Tower ist hier nicht auszumachen. 86 | Vgl. Julia LLewllyn-Smith: „Tower Block Chic“ (Express, 11.Januar 1999) oder Richard Waite: Building Blocks. (Evening Standard, 7. April 2000) 87 | db deutsche bauzeitung. Themenheft London (Februar 2002) 88 | Jörn Ebner: …in die Jahre gekommen. Balfron Tower, 1963–65, Trellick Tower, 1966–72 (db deutsche bauzeitung, 2/2002, S. 80–84)
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wahrgenommen wurden, andererseits wurden hier schon mehrere Musikvideos gedreht, in denen die Architektur als Hintergrund diente, mit dem die jeweiligen Künstler offenbar in Verbindung gebracht werden wollten. Beispielse prominenter Künstler sind Blurs Video zu der 1993 erschienenen Single „For Tomorrow“89 oder das Video zu der Depeche Mode Single „Little 15“ von 1988.90 Abbildung 12: „Breathing in – breathing out“ Lichtinstallation von Ron Haseldon, 1993
Quelle: privat
Abbildung 13: Bilder aus den Videos „For Tomorrow“ (1993) und „Little 15“ (1988) der britischen Bands Blur und Depeche Mode
Quelle: www.youtube.com
89 | Siehe http://www.youtube.com/watch?v=Yvw1R1Ykk5Y (21. Januar 2010) 90 | Siehe http://www.youtube.com/watch?v=d6gaghBYFss (21. Januar 2010)
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Abbildung 14: Kleidung mit Trellick Tower-Motiven
Quelle: Clothkits/peoplewillalwaysneedplates; Maren Harnack
Abbildung 15 Teller aus der Serie „Trellick Tower“
Quelle: peoplewillalwaysneedplates
Die öffentliche Wahrnehmung Trellick Towers ist verglichen mit der tatsächlichen Geschichte des Gebäudes sehr positiv und blendet zahlreiche Probleme, die es auch heute noch gibt, aus. Gleichzeitig ist Trellick Tower in der Tagespresse vor allem zu der Zeit, als English Heritage begann, systematisch Bauten der Nachkriegmoderne unter Denkmalschutz zu stellen, deutlich präsenter als andere Wohnbauten dieser Zeit und steht, anders als Keeling House etwas früher und das Brunswick Centre etwas spä-
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ter, pars pro toto für das hier untersuchte Phänomen. Gleichwohl lassen sich in der Geschichte des Gebäudes keine konkreten Anhaltspunkte dafür finden, warum dies so ist. Vielmehr scheint gerade die Tagespresse Geschichten zu reproduzieren, die mehr oder weniger auf Hörensagen und Kolportage beruhen. Anhand der hier ausgewerteten Quellen lässt sich die Herkunft dieser Geschichten nicht belegen.
5.2.6 Begehung Die Außenanlagen zur Golborne Road und die Eingangszone wirken gepflegt, die Grünzone am Kanal und entlang der Elkstone Street weniger. Vor allem die Zone am Fuße des Hochhauses, wo sich früher die Tiefgarage befand, ist gestalterisch problematisch und wirkt verwahrlost oder sogar gefährlich. Die Eingangshalle wird vom Tresen des Concierge dominiert. Die vordere Halle ist für jedermann zugänglich, die hintere, in der sich die Aufzüge befinden, nur nach Kontrolle. Allerdings ist die Gestaltung des Tresens und der Zwischenwand nicht besonders ansprechend und eher unter dem Aspekt der Vandalismussicherheit optimiert. Die einzelnen Laubengänge wirken sauber und aufgeräumt. Die Küchenfenster der Zweizimmerwohnungen, die sich auf den Laubengang öffnen, sind meistens verhängt, persönliche Elemente der Mieter sind selten und beschränken sich auf Fußmatten und gelegentlich neue Eingangstüren – selbst Namensschilder sind unüblich. Oft fehlen einzelne Fliesen, was aber weniger auf Vandalismus zurückzuführen ist, als darauf, dass die Ausführung von Anfang an nicht korrekt war. Auch alle anderen Orte wirken sauber und aufgeräumt, lediglich ein Laubengang im zweiten Stock ist etwas ungepflegt.
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5.3 B RUNSWICK C ENTRE : B LOOMSBURY ’S N E W H IGH S TREE T
Quelle: Camden Local Studies and Archives
Daten Architekt: Patrick Hodgkinson (anfangs auch als Foundling Estate bezeichnet) Planung: seit 1954 Bauzeit: 1970–72 Marchmont Street, Berner Street, Hunter Street, Bloomsbury WC1 411 Wohneinheiten 7 Stockwerke Zeilen mit Atriumerschließung Wohnungen nach Parker-Morris-Standards voll saniert teilweise privatisiert (84 von 412 Wohnungen) Denkmalschutz Stufe II
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5.3.1
Eigentumsverhältnisse heute
Die Eigentumsverhältnisse im Brunswick Centre sind verhältnismäßig kompliziert. Der Freehold, also das Realeigentum am Grundstück und am Einkaufzentrum, wurde bereits mehrmals verkauft, zuletzt von Allied London, einer Immobilienfirma, die auf innerstädtische Lagen spezialisiert ist und die die Sanierung durchgeführt hat, und an Hermes, eine Firma, die Pensionsfonds managt. Der Bezirk Camden hat die Wohnungen in Erbpacht übernommen, ist aber nicht für die Instandhaltung aller Bauteile zuständig. Hermes muss die Grundstruktur des Gebäudes instand halten, Camden ist für Fenster, Geländer und dergleichen zuständig. Abbildung 17: Lage in London
Brunswick Centre 2,7
km
City of London
Quelle: eigene Darstellung
Die Einzeleigentümer wiederum sind Unter-Erbpächter vom Bezirk Camden, dessen Pachtvertrag 2072 ausläuft. 2006 waren 84 der 411 Wohnungen in privater Hand (20,4%). Die jeweils obersten Geschosse der Riegel sind dabei überdurchschnittlich stark privatisiert, wobei dies nicht mit der absoluten Geschosszahl korrespondiert, da die nach innen gerichteten Zeilen 7 und die äußeren nur 5 Stockwerke haben. Allerdings ist keine einzige Wohnung in den unteren Stockwerken, die von der Straße aus einsehbar sind, privatisiert.
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5.3.2
Planungs- und Baugeschichte
Die Planungs- und Baugeschichte des Brunswick Centre begann schon lange, bevor die heute bestehenden Gebäude entstanden. Wie bei vielen Projekten der Nachkriegszeit wurde auch für das Brunswick Centre eine einheitliche, historische (in diesem Fall georgianische) Bebauung im Rahmen der Slumsanierung abgebrochen. Das Gelände gehörte zum Foundling Estate des von Thomas Coram gegründeten Waisenhauses, der es im frühen neunzehnten Jahrhundert entwickelt und die Häuser in Erbpacht vergeben hatte. 1958 wurde das Gebiet erstmals an den privaten Investor Alec Coleman verkauft. Zu diesem Zeitpunkt waren die georgianischen Stadthäuser zum größten Teil sehr heruntergekommen und zimmerweise vermietet, einem Abriss stand aus damaliger Sicht nichts entgegen.91 Dabei war Bloomsbury Nord zwar dichter besiedelt als der Londoner Durchschnitt, die Belegungsdichte der Wohnungen war aber nur leicht über dem, die Überbelegung je nach Vergleichsmaßstab sogar unter dem Durchschnitt.92 Die Ausstattung der Wohnungen war in Bloomsbury Nord deutlich besser als in den anderen hier untersuchten Fällen, nur 25 Prozent der Haushalte hatten kein fließendes Warmwasser,93 nur 23 Prozent hatten kein Bad94 und nur 17 Prozent mussten ihr WC mit anderen Haushalten teilen.95 1971 hatte sich die 91 | John Summerson vertritt in seinem Standardwerk „Georgian London“ die Ansicht, dass die hier betroffenen, von James Burton entwickelten Häuser verglichen mit den etwas später von Thomas Cubitt gebauten „looked like jerry-building, which, of course, many of them were.“ (Summerson 1991 (1962), S. 181) 92 | 1951 war die Belegungsdichte insgesamt in London 0,83 Personen/Wohnraum, in Bloomsbury Nord 0,99 Personen/Wohnraum. 1961 und 1971 hatte sie sich auf 0,77 und 0,62 Personen/Wohnraum (London) und 0,84 bzw. 0,67 (Bloomsbury Nord) Personen/Wohnraum reduziert. 1951 waren in Bloomsbury Nord 2,3 Prozent aller Wohnräume mit mehr als 2 Personen belegt, in ganz London waren es 2,5 Prozent. 1961 waren in London 11,5 Prozent aller Wohnräume mit mehr als 1,5 Personen belegt in Bloomsbury Nord waren es 16,4 93 | Gegenüber 41 Prozent in Bethnal Green Nord, 57 Prozent in St Peter und 76 Prozent in Golborne 94 | Gegenüber 40 Prozent in Bethnal Green Nord, 62 Prozent in St. Peter, 64 Prozent in Golborne 95 | Gegenüber 34 Prozent in Bethnal Green Nord, St. Peter 32 Prozent, Golborne 61 Prozent
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Ausstattung mit Bädern in allen untersuchten Gebieten außer Golborne deutlich verbessert,96 die Ausstattung mit Toiletten hingegen scheint zumindest in Bloomsbury Nord sehr viel schlechter geworden zu sein (83 Prozent ohne eigenes innenliegendes WC, 14 Prozent ganz ohne innenliegendes WC), so dass hier möglicherweise von einem Druckfehler auszugehen ist. Abbildung 18: Das Brunswick Centre
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Quelle: eigene Darstellung
Colemans erste Bauvoranfrage sah die Flächensanierung und unter anderem den Neubau eines 40-geschossigen Bürohochhauses und von drei 20-geschossigen Wohnhochhäusern vor und war damit ein typisches Beispiele für die wenig am Bestand orientierte Planungspraxis dieser Zeit. Dem Antrag wurde aber nicht stattgegeben, da der vorgesehene Nutzungsmix nicht den Vorgaben des Bebauungsplans entsprach, die Dichtevorgaben nicht erfüllte und die ausreichende Besonnung der Wohnungen nicht
96 | Nur 13 Prozent der Haushalte in Bloomsbury Nord hatten kein eigenes Bad, in Bethnal Green Nord war es sogar nur 1 Prozent, in St. Peter 3 Prozent, in Golborne hatten allerdings immer noch 66 Prozent der Haushalte kein eigenes Bad. Gegenüber dem 1951er Zensus wurde nicht mehr erhoben, ob überhaupt ein Bad vorhanden war, sondern ob ein eigenes Bad vorhanden war.
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garantiert war.97 Bis 1960 reichte Coleman einige weitere Baugesuche ein, die aber alle abgelehnt wurden. Nach diesen erfolglosen Versuchen beauftragte Coleman Leslie Martin mit der Masterplanung für das Gebiet, und nach einem weiteren, 1962 gescheiterten Konzept und nach weiteren Verhandlungen wurde 1963 eine Bauvoranfrage für eine Mischnutzung mit Wohnungen, Büros, Gewerberäumen, einem Community Centre und einem Hotel positiv beurteilt,98 was insbesondere auf den hohen Wohnanteil zurückzuführen war – das Wohnen in Bloomsbury sollte ausdrücklich gestärkt werden, da die umliegenden Krankenhäuser und Universitätsinstitute diese Nutzung seit langem immer weiter schwächten. Abbildung 19: Die Schnittperspektive zeigt die Struktur des „Podiums“ über dem sich die gestaffelten Wohngeschosse erheben.
Quelle: Architectural Review 10/1972, S. 204/205
Alec Coleman hatte eine Entwicklungsfirma namens „Marchmont Properties“ für das Projekt gegründet, die wiederum eine Partnerschaft mit der Baufirma McAlpines eingegangen war, um das Projekt zu finanzieren. Die Planungen für das Projekt übernahm das Büro Leslie Martin in Zusammenarbeit mit Patrick Hodgkinson, wobei Leslie Martin für die städtebauliche Entwicklung des gesamten Gebiets verantwortlich war, Patrick Hodgkinson für das Architekturprojekt. Die geplanten Wohnungen sollten 97 | Ablehnung der Bauvoranfrage für die Liegenschaften 37–42 Bernard Street, 1–25 Kenton Street, 18, 18A, 19–23 Coram Street, 4–30 Marchmont Street am 14. März 1958. Siehe auch: Listing Branch, Historic Buildings and Areas Advisory Committee (1992): The Brunswick Centre, Bernard Street, London. Unveröffentlichte Studie 98 | Genehmigung am 7. Februar 1964
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ein großes Spektrum abdecken; geplant waren sowohl großzügige Familienwohnungen im oberen Marktsegment als auch kleinere Wohnungen für weniger wohlhabende Personen.99 Abbildung 20: Regelgrundrisse der Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen
Quelle: Eigene Darstellung
In seiner wesentlichen Struktur entsprach dieses Projekt, die Weiterentwicklung eines Studentenprojekts, bereits dem später verwirklichten Bau. Die detailliertere Planung wurde dann 1964 wegen eines zu hohen Büroanteils erneut abgelehnt,100 und das gesamte Projekt geriet wegen finanzieller Schwierigkeiten nochmals ins Stocken. Um es zu retten, aber auch, um die noch immer schwierige Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen, übernahm der Bezirk Camden 1965 den Wohnungsanteil für 99 Jahre in Erbpacht, eine Entscheidung, die die Entwicklung des Brunswick Centres bis heute beeinflusst. Die Aufteilung, die dann verwirklicht wurde, sah vor, dass Marchmont Properties für das Einkaufszentrum verantwortlich blieb und Camden die darüber entstehenden Wohnungen verwalten sollte. Anders als ursprünglich geplant, entstanden fast nur Zwei- und Dreizimmerwohnungen, die noch dazu den Vorgaben des sozialen Wohnungsbaus entsprechen mussten.101 99 | Siehe beispielsweise Peter Murray: „Foundling Estate“ (Architectural Design, 10/1971, S. 605–612) 100 | Negativer Bescheid am 13. April 1964 101 | Siehe beispielsweise Architectural Design, 9/1965, S. 438; The Architectural Review, 11/1967, S. 384/385; Peter Murray: „Foundling Estate“ (Architectural Design, 10/1971, S. 605–612)
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Der erste Bauabschnitt des Brunswick Centres wurde 1966 genehmigt,102 und in der Folgezeit wurden etliche Detailgenehmigungen erteilt, die Teile des Baus betreffen, über die zunächst noch keine genaueren Planungen bestanden. Um die Profitabilität zu erhöhen, wurden auch nach der Übernahme der Wohnungen durch den Bezirk Camden noch Vorschläge gemacht, wie das Grundstück besser zu nutzen sei, beispielsweise 1968 durch ein Terminal für einen Flughafenzubringer – der Vorschlag wurde allerdings abgelehnt,103 weil er, wie schon die ersten Nutzungsvarianten, nicht dem Bebauungsplan entsprach. Ebenfalls 1968 wurde endgültig mit dem Bau begonnen. Während bis 1971 weiterhin Detailplanungen genehmigt wurden,104 wurde im selben Jahr die Zwangsenteignung der weiter nördlich anschließenden Grundstücke abgelehnt, und auch später wurde das Brunswick Centre nicht mehr wie ursprünglich geplant, nach Norden erweitert.105 1971 wurden die Sozialwohnungen bezogen, in vielen Fällen von Menschen, die vorher in der unmittelbaren Nachbarschaft lebten und sich schon vor ihrem Umzug kannten.106 Das Shopping Centre sollte ursprünglich überdacht werden, doch nachdem sich der Bau des nördlichen Abschnitts bis auf weiteres verzögerte, erhielt Marchmont Properties 1972 die Erlaubnis, das Dach erst später zu bauen – was nie geschehen ist.107
102 | Genehmigung der Detailplanung am 7. Januar 1966 103 | Ablehnung am 31. Mai 1968 104 | Genehmigungen vom 2. Februar 1967 Details der Ansichten; 1. Juni 1967 Fassadenmaterial; 6. November 1967 Details Tiefgarage; 28. Februar 1968 PenthouseWohnungen im fünften Stock; 30. Mai 1968 Nutzungsänderungen für Restaurant und Telefonzentrale im Mezzanin; 6. Juni 1968 Materialien; 2. Oktober 1968 Haustechnik; 5. Februar 1969 Fassaden der Läden; 25. März 1969 Materialien; 25. September 1969 geänderte und detailliertere Werkplanung; 8. April 1971 geänderter Eingang von der Marchmont Street aus und Einsparung von sechs Treppen von der Ebene A zur Ebene C; 31. August 1971 neue Fassade für den Safeway Supermarkt 105 | Camden Council unterstütze die Entwicklung des Brunswick Centres und ebenso die Zwangsenteignung der fraglichen Liegenschaften, während die Eigentümer erfolgreich Widerspruch dagegen einlegten (Peter Murray: Foundling Estate. In: Architectural Design, 10/1971, S. 611–612) 106 | Ergebnis der Bewohnerinterviews, Auswertung siehe Kapitel 6 107 | Baugenehmigung vom 19. Januar 1972
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Nach diesem unerwarteten und ungeplanten Baustopp geschah bis in die 1990er Jahre kaum etwas. Gelegentlich wurden Bauanträge für neue Ladenfronten gestellt und genehmigt, häufig gab es Anträge auf Nutzungsänderung, die meistens nur befristet genehmigt wurden. Sobald die geplante Nutzung potenziell ruhestörend gewesen wäre, also bei Anträgen auf Wettbüros, Nachtclubs oder gastronomische Nutzungen, wurden Nutzungsänderungen sehr restriktiv gehandhabt, was sicher dazu beigetragen hat, Konflikte im Estate zu minimieren. Wie in fast allen sozialen Wohnungsbauten gab es auch im Brunswick Centre Bauschäden und Unzulänglichkeiten. Dazu gehörte nicht abfließendes Regenwasser auf den Laubengängen ebenso wie nicht ausreichend funktionierende Heizungen.108 Auch üblich waren die Probleme, die durch die mangelnde Zugangskontrolle entstanden. Die Atrien und das sogenannte Podium im ersten Stock waren zunächst öffentlich zugänglich und wurden auch von Junkies und Obdachlosen genutzt, außerdem entstanden die auch aus anderen Estates bekannten Probleme mit Kriminellen, denen es die Vielzahl der möglichen Fluchtrouten leicht machte, sich der Verfolgung zu entziehen. Auch eine in der Tiefgarage lebende Obdachlosengemeinschaft konnte nicht unbegrenzt geduldet werden. Um diese Situation zu verbessern, wurde bereits 1987 eine Baugenehmigung für die Schließung der Atrien und für die Installation von Garagentoren erteilt,109 allerdings hatte Camden Schwierigkeiten, die Umbauten zu finanzieren. Letztlich wurden erst 1989 die Außentreppen zu den Atrien und auf das Podium gesperrt und 1990
108 | Da die Reparaturarbeiten nicht genehmigungspflichtig waren, sind sie in den Bauakten nicht dokumentiert, sie wurden aber in der Fach- und Lokalpresse detailliert verfolgt. Siehe beispielsweise „Brunswick Centre is leaking“ (The Architects’ Journal, 11. Januar 1978, S. 52–53); „Brunswick Centre ‚slum‘ tenants protest“ (Camden Journal, 19. Oktober 1979); Jean Gray: „Mission impossible! But families win battle for a rate reduction“ (Camden Journal, 26. Oktober 1979); Terry Messenger: „Heat dispute cold war builds“ (St. Pancras Chronicle, 19. Oktober 1984); „Hot air won’t keep us warm!“ (King’s Cross and Brunswick community news, 10/1984); „Open Sewers ran into playground“ (Camden New Journal, 19. Mai 1985); Gary Henson: „Health fears on estate swamped by raw sewage“ ( St. Pancras Chronicle, 28. Februar 1991) 109 | Baugenehmigung vom 8. September 1987
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abgebrochen.110 Die bis dahin offen zugänglichen Treppenhäuser wurden geschlossen und mit Codeschlössern und Gegensprechanlagen versehen, so dass das Podium im ersten Stock zu einem von den Bewohnern beider Blöcke gemeinschaftlich genutzten Raum wurde, der durch Brücken verbunden war. Mit diesem Eingriff wurde die Struktur des Brunswick Centres erheblich verändert, und mit der großen Freitreppe ist ein wesentliches Element des öffentlichen Raums verschwunden, das beispielsweise in Michelangelo Antonionis Film „The Passenger“ noch prominent in Erscheinung trat. Abbildung 21: Sequenz aus Michelangelo Antonionis Film „Professione Reporter“ (1975)
Quelle: Sony Pictures Classic 2006
Die Trennung von Freehold und Leasehold hat beim Brunswick Centre dazu geführt, dass das Grundeigentum und das Einkaufszentrum mehrmals den Besitzer gewechselt haben, während die Sozialwohnungen in der Hand des Bezirks Camden blieben. Jene Besitzerwechsel führten zu einer ganzen Reihe von Bauanträgen, die zum Ziel hatten, das Grundstück besser auszunutzen. Meistens versuchten die Besitzer, neue Wohneinheiten unterzubringen, um diese dann zu verkaufen und mit dem Erlös das bestehende Gebäude zu sanieren. Zunächst erwarb 1991 die Firma Tranmac/Rugby Estates das Brunswick Centre. Um die weitere Nutzung der Tiefgarage durch Obdachlose zu ver110 | Elain Harwood: Brunswick Centre. Unveröffentlichte Studie mit Bezug auf Einwände gegen den geplanten Denkmalschutz
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hindern, wurden im selben Jahr Garagentore installiert und der Zugang damit auf Stellplatznutzer beschränkt. Gleichzeitig wurde erst das Architekturbüro Le Riche Maw mit einem Entwurf für neue zusätzliche Wohnungen beauftragt, die das Einkaufzentrum zum Brunswick Square und nach Süden hin abschließen sollten. Der Entwurf wurde im Mai 1992 zur Genehmigung eingereicht und sowohl von Bewohnern als auch von Patrick Hodgkinson scharf kritisiert, nicht zuletzt wegen seiner traditionalistischen Architektur. Die Umbaupläne führten dazu, dass sich erstmals eine Initiative bildete, deren Ziel es war, dass das Brunswick Centre unter Denkmalschutz gestellt wird, um unvorteilhafte Veränderungen zukünftig zu vermeiden. Obwohl mit English Heritage die zuständige Fachbehörde den Denkmalschutz befürwortete, wurde der Antrag abgewiesen und ein sogenanntes „Certificate of Immunity“ ausgestellt, dass einen erneuten Antrag in den nächsten fünf Jahren verbot. Schon 1993 legten Rugby Estates einen neuen Entwurf vor, diesmal mit David Rock und Camp 5 als Architekten. Das Konzept sah vor, vor dem seitlichen Eingang zum Brunswick Square hin ein neues Wohngebäude zu errichten, wiederum mit der Absicht, durch den Verkauf der Wohnungen die grundlegende Sanierung des übrigen Gebäudes zu finanzieren.111 David Rock hatte zunächst Patrick Hodgkinson als Berater gewonnen, wurde sich dann aber nicht mit ihm einig, so dass das Baugesuch ohne den ursprünglichen Architekten entstand. Wie schon der vorhergehende Entwurf rief auch das Konzept von Rock und Camp 5 starke Proteste bei Bewohner und Denkmalschützern hervor. Obwohl das Gebäude damals nicht unter Denkmalschutz stand, wurde das Baugesuch zurückgezogen, anstatt die formale Ablehnung abzuwarten, und das Projekt wurde vorerst nicht weiter verfolgt.112 Patrick Hodgkinson legte seinerseits ein eigenes Nachverdichtungskonzept vor, das vorsah, das Gebäude an den Erschließungskernen aufzustocken, fand damit aber nicht die Zustimmung der Investoren.113
111 | „Rock produces new Brunswick Scheme“ (The Architects’ Journal, 8. September 1993, S. 6) 112 | Amanda Bailieu: „Brunswick Centre Plan withdrawn“ (Building Design, 13. Mai 1994, S. 24) 113 | Amanda Bailieu: „Dispute over designs for Bloomsbury Icon“ (Building Design, 22. Oktober 1993, S. 1–2)
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Rugby Estates und Tranmac machten dann ab 1995 noch einen weiteren Versuch, eine Baugenehmigung für neue Wohnungen vor dem Eingang zum Brunswick Square zu erhalten, mit den Architekten Hawkins Brown. Das vorgeschlagene Gebäude war deutlich kleiner als das von David Rock und Camp 5, wenn auch am selben Ort. Diesmal konnte der Denkmalschutz letztlich von den Planungen überzeugt werden, allerdings gab es wiederum erhebliche Proteste der Bewohner und auch von namhaften Architekten sowie der 20th Century Society, die sich grundsätzlich dagegen aussprach, das große Portal zum Brunswick Square hin mit einem Gebäude zu verstellen. Der Bauantrag wurde dann auch von Camden Council, der zuständigen Genehmigungsbehörde, abgewiesen. Rugby Estates/Tranmac legten Widerspruch ein, scheiterten damit 1997 aber endgültig.114 Die Eigentümer einigten sich daraufhin mit der Camden Council auf ein Sanierungskonzept auf der Basis des überarbeiteten, abgelehnten Entwurfs115 und verkauften das Grundeigentum mit dem Einkaufszentrum 1998 an Allied London. Im Gegensatz zu Rugby Estates verfolgte Allied London die Strategie, in das Einkaufszentrum zu investieren und durch höhere Umsätze und höhere Mieten genug Gewinn zu machen, um das übrige Gebäude ebenfalls sanieren zu können. Allied London beauftragte die Architekten Stubbs Rich, die mit Patrick Hodgkinson zusammenarbeiteten. Der erste Entwurf sah wiederum ein Gebäude vor dem Eingang zum Brunswick Square vor, dazu ein größeres Gebäude, das das Shopping Centre im Norden abschließen sollte und die Erweiterung der Läden über die Zone der sogenannten Arkaden hinaus. Nach anfänglichen Protesten wurden die Pläne überarbeitet und im Jahr 2000 erhielt Allied London 114 | Ablehnung des Widerspruchs am 30. Juli 1997; Der zuständige Planning Inspector Nicholas Hammans begründet seine Entscheidung wie folgt: „There has been extensive public participation, consultation and exhibition; I have the benefit of a wide range of opinion about the scheme. It is said this new block reflects and restores the Georgian heritage of Bloomsbury. I do not regard that as a saving grace because it is not at all Georgian in appearance, because there are no Georgian buildings left standing around the Square, and because the dominant theme on either side of it is the uncompromising and insistant rythm of the Brunswick Centre. One would not want a pastiche of Georgian style in this setting, and the block seen in isolation would be a handsome building, but it bears no relationship to any identified building in the area – except in so far as it is vertical.“ 115 | Genehmigung vom 1. September 1998
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die Genehmigung, das Einkaufszentrum neu zu gestalten, ein Dach über den offenen Fußgängerbereich zu bauen, die beiden Seiten des Podiums mit Fußgängerbrücken zu verbinden und neue Gewerbeeinheiten zu errichten.116 Als das Brunswick Centre 2003, nachdem die fünf Jahre der Immunität seit dem ersten Versuch 1998 verstrichen waren, doch unter Denkmalschutz gestellt wurde,117 waren die neuen Sanierungspläne schon weit fortgeschritten. Wegen der bis dahin schon durchgeführten Veränderungen erhielt es allerdings nur den schwächsten Denkmalschutz der Kategorie II, der weitere Eingriffe und Veränderungen nicht ausschließt. Die Sanierungspläne mussten daraufhin noch einmal grundlegend überarbeitet werden, was weitere Verzögerungen nach sich zog. Es wurde ein weiteres Mal ein neues Architekturbüro mit der Planung beauftragt, diesmal Levitt Bernstein, die ebenfalls mit Patrick Hodgkinson zusammenarbeiten wollten. Die neue Planung wurde in enger Abstimmung mit English Heritage entwickelt und schon 2001 wurde die Bauvoranfrage für den Umbau mit vergrößerten Ladeneinheiten, zwei Fußgängerbrücken über der Einkaufszone und einem Supermarkt am nördlichen Ende des Shopping Centres genehmigt, wie in Großbritannien üblich vorbehaltlich weiterer Detaillierungen und Materialangaben.118 Über dem Eingang zum Brunswick Square sah die Planung ein halbrund herausstehendes Restaurant vor. Letzteres führte noch einmal zu erheblichen Diskussionen mit dem Denkmalschutz, wurde dann aber doch genehmigt. Allerdings ist es bis heute nicht ausgeführt worden. 2003 wurde das neue Projekt vom Denkmalschutz genehmigt und 2004 wurde mit den Sanierungsarbeiten begonnen. Detailentscheidungen wurden während der gesamten Planungs- und Bauarbeiten getroffen und diskutiert.119 Die Veränderungen beschränken sich im Wesentlichen auf den Bereich des Shopping Centres und die Teile der Wohnungen, die 116 | Genehmigung vom 13. Januar 2000 117 | Department for Culture, Media and Sport 14. September 2000 118 | Genehmigung vom 8. Juni 2001 119 | Beispielsweise 1. September 2003 für den Umbau des Supermarktes und der Ladenlokale; 20. Februar 2004 Erweiterung der Öffnungszeiten; 6. und 22. April 2004 Details der Werkplanung; 20. Mai 2004 Details der Ladenlokale, 20. Juli 2004 Freiraumgestaltung; 14. April 2005 Beleuchtungskonzept; 4. August 2006 Beschilderung
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von außen sichtbar sind. Am auffälligsten ist der cremeweiße Anstrich des Betons, der allerdings von Anfang an geplant war und zunächst eingespart worden war. Dazu kommt der Supermarkt, der das Shopping Centre nach Norden hin abschließt. Hier war eigentlich geplant, die Verbindung von Shopping Centre zur Handel Street durch den Supermarkt hindurch beizubehalten, allerdings hat der Mieter diesen Gedanken durch die Inneneinrichtung konterkariert.120 Abbildung 22: Innenbereich des Shopping Centres nach der Sanierung (2006).
Quelle: Steve Cadman/www.flickr.com
Die Läden wurden über den Bereich der Arkaden hinaus erweitert, was den Freiraum im Innern des Brunswick Centres deutlich verkleinert und auch den Charakter verändert hat. Die Brücken, die die beiden Podien miteinander verbunden haben, wurden abgebrochen und, anders als ursprünglich geplant, nicht ersetzt, so dass die beiden Blöcke nun nicht mehr miteinander verbunden sind. Auch an den Eingängen zum Brunswick Square und zur Bernard Street wurden die Ladenflächen erweitert. Die neuen Fensterflächen beleben den Straßenraum, aber auch hier haben sich das Erscheinungsbild des Gebäudes und die Proportionen des Raums deutlich geändert. 120 | Interview mit dem Architekten David Levitt am 29. September 2005
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2006 wurde das Shopping Centre schließlich neu eröffnet und läuft augenscheinlich mit Erfolg. Erst danach wurde begonnen, auch den Wohnteil zu sanieren. Hier wurden die Gläser der Wintergärten erneuert und vor allem die Entwässerung der Balkone neu geregelt, die bis dahin immer wieder verstopfte und zu Wasserschäden führte. In den gemeinschaftlich genutzten Atrien hingegen wurden keine Verbesserungen vorgenommen, auch der Beton wurde hier nicht beschichtet, da dies technisch nicht notwendig war. In einem Teil der Wohnungen, in dem ein nicht voll funktionsfähiges Heizungssystem eingebaut worden war, wurden die Heizungen erneuert, die Wärmedämmung wurde insgesamt aber nicht verbessert, was insbesondere angesichts der Wintergärten notwendig wäre. Diese wurden zwar neu verglast und mit selbstreinigendem Wärmeschutzglas ausgestattet, die bestehenden, denkmalgeschützten Profile hätten eine Doppelverglasung aber nicht erlaubt. Trotz der erneuerten Entwässerung der Balkone wurde auch hier die fehlende Wärmedämmung nicht nachgerüstet, da der veränderte Bodenaufbau weiterreichende Anpassungen nach sich gezogen hätte.121 So lässt sich zusammenfassend feststellen, dass das Brunswick Centre heute zwar aussieht, als sei es grundlegend saniert worden, dass erhebliche Mängel aber weiter bestehen, weil es Bestandsschutz genießt und die energetische Sanierung nicht verpflichtend gemacht werden kann.
5.3.3
Rezeptionsgeschichte/Medien
Über das Brunswick Centre wird von der ersten Skizze an in der Fachpresse berichtet. Schon die verschiedenen Phasen der Planung, in der das Projekt immer wieder abgelehnt wurde, waren den Fachzeitschriften Meldungen wert, beispielsweise 1967 als Teil eines Berichts über aktuelle Wohnungsbauprojekte in London122 oder 1965 in einem Artikel über die Dichtevorgaben des London County Council.123 Auch die Tatsache, dass der Developer Hodgkinson als Architekten entließ, war 1970 eine Nachricht wert.124 121 | Interview mit dem Architekten David Levitt am 29. September 2005 122 | The Architectural Review, 11/1967, S. 384/385 123 | „Foundling Estate Development“ (Architectural Design, 11/1965, S. 428/429) 124 | „Foundling Estate Project. Architect and developer part company“ (The Architects’ Journal, 6. April 1970, S. 842)
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Anders als der fast zeitgleich entstandene Trellick Tower, wurde das Brunswick Centre von der Fachpresse durchaus positiv aufgenommen. Peter Murray beschrieb das eben fertiggestellte Gebäude als „a building of class; an imaginative approach has risen a building of environment, which combines high density with amenable public space. It is a stylish building – and well styled as stylish buildings go – but over and above that there here is a pleasant architectural space that makes a fitting successor to the graceful squares and streets that once adorned the area“.125 Gleichwohl vertritt Murray die Ansicht, dass der letztendliche Erfolg des Projekt von seiner vollständigen Fertigstellung abhänge, die zu diesem Zeitpunkt bereits fraglich war, wie schon in der Unter-Überschrift deutlich wird: „The success of this imaginative housing scheme in Central London depends on ist total completion – completion which is jeopardised by the problems of site acquisition“.126 Die Architectural Review widmete dem Brunswick Centre 1972 mehr als zwanzig Seiten – bestehend aus einer ausführlichen Fotodokumentation, Datenblatt und einer fast schon euphorischen Kritik von Theo Crosby, der seinen Artikel lobend einleitete: „In terms of architectural quality the new Brunswick Centre almost measures up to its surroundings: that it should be able to do so with a new formal language, and while attempting a highly complex experiment in urban form and site usage, is even more remarkable.“ Crosby verteidigt auch die Flächensanierung, die zum Bau des Brunswick Centre geführt hat, denn „there remain large areas of our cities that can be regarded with too sentimental a view, which do not and cannot actually provide a good environment for living and working. These areas need rebuilding.“127 Crosby sah im Brunswick Centre eine gelungene Lösung für die Neuentwicklung innerstädtischer Wohngebiete, da es sich einerseits an den Maßstab der Umgebung anlehnt, andererseits aber eine dezidiert moderne Architektursprache anwendet. Die positive Meinung Crosbys wurde in der Fachwelt nicht überall geteilt. In seinem Buch „Wohnungsbau im Wandel“ kritisierte David Mackay insbesondere die Atrien als „einsame[r], ja furchterregende[r] Ort[e] mit höchstens gelegentlichem menschlichen Kontakt.“ Auch sonst fand er 125 | Peter Murray: „Foundling Estate“ (Architectural Design, 10/1971, S. 611) 126 | Ebd., S. 605 127 | Theo Crosby: „A good bit of city“ (The Architectural Review, 10/1972, S. 194–216)
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wenig Positives am Brunswick Centre, angefangen beim innenliegenden Platz, dem es durch „seine Verlassenheit an jeglicher Maßstäblichkeit“ fehlte, über die Terrassen, die „ohne Sorgfalt entworfen“ seien, bis zu der Ansicht, dass der Architekt bei der Anordnung der Wohnungen und Balkone „auf die Symmetrie hereingefallen“ sei und die Gelegenheit versäumt habe, „das Klima zu einer Entwurfsdeterminanten zu machen.“128 In der Tagespresse wurde das Brunswick Centre ebenfalls kritisch gesehen. Im Observer Magazine beschrieb Ena Kendell es unter der Überschrift „Babylon comes to Bloomsbury“129 als eine Struktur, die Kontroversen auslöst und wenig geliebt wird, insbesondere wegen des Sichtbetons.130 Dennoch zitiert sie hauptsächlich Bewohner, die mit dem Leben im Brunswick Centre zufrieden sind und zumindest in keiner anderen Sozialwohnung leben wollten.131 Schon 1975 gab es Beschwerden der Bewohner, vor allem über eindringendes Wasser und nicht funktionierende Heizungen. Beide Themen blieben für die nächsten Jahre Streitpunkte, über die in der lokalen Presse immer wieder berichtet wurde, wie auch über den Streit zwischen dem Freeholder und Camden über die Zuständigkeit für diese Probleme.132 Dabei lag der Fokus deutlich auf der Unzufriedenheit der Bewohner, positive Stimmen kamen nicht zu Wort.133 128 | Mackay 1977, S. 126–129 129 | Ena Kendell: „Babylon comes to Bloomsbury“ (Observer Magazine, 2. November 1973, S. 38–39) 130 | „The concrete is already streaked and dirty, and the most depressing parts of the centre are those, where the concrete is at its most overpowering – the colonnaded galleries on each floor, eerie and gloomy, are like a shot from a 1930s-style film about Sing-Sing.“ (ebd.) 131 | Beispielsweise wird die Frau eines Taxifahrers zitiert: „At first we were undecided whether to stay. Now I don’t want to leave. Everyone here prefers it to a tower block and most prefer it to the normal council estate“ (ebd.) 132 | „A damp nightmare… that’s Brunswick Centre, say residents“ (Camden Journal, 9. Dezember 1977 133 | Beispielsweise „Show piece flats hit by floods“, (1. Februar 1976); „Brunswick Centre ‚slum‘ tenants protest“ (Camden Journal. 19. Oktober 1979); „Mission impossible! But families win battle for a rate reduction“ (Camden Journal, 26. Dezember 1979); „Heat dispute cold war builds“ (Camden Journal, 19. Oktober 1984); „Eviction Threat as strike hots up“ (Camden New Journal, 27. September
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Ab 1987 kamen Berichte über die Obdachlosen hinzu, die in Teilen der Tiefgarage lebten, aber auch andere Bereiche des Brunswick Centres benutzten und zumindest zum Teil als Sicherheitsproblem wahrgenommen wurden.134 In der Berichterstattung gerade gegenüber den Obdachlosen kamen aber auch Stimmen zu Wort, die das Problem eher in der Wohnungpolitik der konservativen Regierung sahen als in dem Verhalten der Obdachlosen selbst. Letztendlich richteten die Obdachlosen mit der Zeit aber so erhebliche Schäden an, dass die Tiefgarage 1992 geräumt werden musste. Nachdem die Sicherheit dann durch den Einbau von Türen und Gegensprechanlagen tatsächlich verbessert wurde, gab es darüber zwar eine Pressemitteilung der Verwaltung, allerdings keine Presseberichte. Nachdem der Freehold des Brunswick Centres 1991 zum ersten Mal verkauft worden war, konzentrierten sich die Berichte auf die Umbauplanungen und die Aktivitäten von English Heritage, die darauf abzielten, das Brunswick Centre unter Denkmalschutz zu stellen, um architektonisch unbefriedigende Veränderungen zu verhindern. Es ging vor allem um die unterschiedlichen Entwürfe und die Reaktionen darauf, die in Wellen öffentlich diskutiert und kommentiert wurden. Die Bewohner verbanden mit dem Verkauf zunächst die Hoffnung, dass längst überfällige Reparaturarbeiten endlich durchgeführt würden, eine Erwartung, die sich zunächst nicht erfüllen sollte. Gleichermaßen wurde befürchtet, dass der Denkmalschutz die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten weiter verzögern könnte. Dabei standen die Bewohner dem Denkmalschutz durchaus nicht nur ablehnend und den Bauplänen der Investoren nicht nur positiv gegenüber. Eine Bewohnerin schrieb beispielsweise in einem Leserbrief an das Camden New Journal, dass „given the sort of ‚improvements‘ the developers envision, it might be argued
1984); „Hot air won’t keep us warm!“ (Kings’ Cross and Brunswick community news, Oktober 1984); „Open sewer ran into playground“ (Camden New Journal 1. Juli 1985); „All out rent strike is threatened“ (St. Pancras Chronicle, 23. November 1986) 134 | „Clean-up for estate“ (Camden New Journal, 10. Oktober 1987); „Homeless men face organised gangs in car park complex“ (St. Pancras Chronicle, 26. April 1990); „More heartbreaking news for estate ‚no-one wants to know‘“ (St Pancras Chronicle, 24. Mai 1990); „When danger is your sleeping partner“ (Holborn and City Guardian, 18. Mai 1990); „Homeless death blow“ (St. Pancras Chronicle, 10. Dezember 1992);
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listing is not such a bad idea.“135 Im Rahmen dieser Berichterstattung wurden immer wieder die strukturellen Probleme, die zwischen Investoren, Bewohnern und Camden auftraten, thematisiert, weniger die Entwürfe selbst. Dabei wurde häufig auf die komplizierte Bau- und Planungsgeschichte Bezug genommen und das Brunswick Centre wurde in der Fach- und Tagespresse Beteiligten gleichermaßen als ein Gebäude mit Potenzial dargestellt, das wegen der komplizierten Eigentumsverhältnisse brach liegt.136 Als 2000 ein zweiter Anlauf genommen wurde, das Brunswick Centre unter Denkmalschutz zu stellen, wurde auch dies ausführlich diskutiert und kommentiert. Es wurden sowohl ablehnende als auch zustimmende Meinungen vertreten, und der Architekturkritiker Deyan Sudjic nutzte das Beispiel, um im Observer zu diskutieren, ob es überhaupt sinnvoll ist, zeitgenössische Architektur unter Denkmalschutz zu stellen – und kommt zu dem Schluss, dass dadurch der Denkmalschutz insgesamt geschwächt wird.137 Andere Artikel sind neutral bis positiv gehalten.138 Die 2003 von den Bewohner in den öffentlichen und halböffentlichen Räumen des Brunswick Centres organisierte Kunstausstellung mit dem Titel „Visions of Space and Sanctuary“, war für die Fach- und Tagespresse ein Anlass, auch jenseits der Diskussion um die bauliche Zukunft des Brunswick Centres zu berichten. Generell wurde die Ausstellung positiv aufgenommen, auch wenn die Überschrift „Bizarre art bid to stop ‚neglect‘ of Brunswick“ zunächst Ablehnung impliziert – dann wurde aber doch von einer „cutting 135 | Leserbrief von Lauryn Beer (Camden New Journal, 27. August 1992) 136 | Ebd. 137 | Vgl. beispielsweise Jon Hughes: „Tower block plans sparks furious row“ (Camden New Journal, 18. November 1993); Astragal: „Brunswick revisited?“ (The Architects’ Journal, 18. Mai 1991); „The Battle of Brunswick“ (Architects’ Journal, 22. Juli 1992, S. 11); „Brunswick plans on hold“ (Architects’ Journal, 12. August 1992, S. 5); Andrew Mead: „Bringing a touch of window dressing to a shopping mall“ (Architects’ Journal, 15. September 1993, S. 19–20); „New team to tackle London’s troubled Brunswick Centre“ (Architects’ Journal, 21. September 1995); Lee Gordon: „Protest foil £7m revamp for Brunswick centre“ (Camden New Journal, 7. August 1997); Pamela Buxton: „Brunswick Scheme rejected“ (Building Design, 8. August 1997, S. 4); „New twist in centre saga“ (Camden New Journal, 20. Januar 2000) 138 | Deyan Sudjic: „Whose building is it anyway?“ (The Observer Review, 9. März 2000)
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edge“ Ausstellung berichtet.139 Das Observer Magazine berichtete nicht nur über die Ausstellung, sondern auch über die durchaus positiven Wohnerfahrungen der Bewohner und ergänzte den Artikel mit Fotos, die nicht schmutzige Ecken, leerstehende Läden und vernachlässigte Gemeinschaftsräume zeigten, sondern attraktive Innenräume mit großen ästhetischen Qualitäten. Gerade diese ästhetisierte Darstellung des Gebäudes trat hier zum ersten Mal seit den Veröffentlichungen über das Neubauprojekt wieder auf. Ebenfalls zum ersten Mal wurde in diesem Artikel die Meinung publiziert, dass das Brunswick Centre „increasingly chic“ werde.140 Abbildung 23: Dokumentation der Ausstellung „the brunswick project“ (2003).
Quelle: the brunswick project
Die folgende Welle der Berichterstattung bezog sich auf die Neueröffnung des Shopping Centres im Jahr 2006, die von keiner Seite kritisch gesehen wurde. Im Gegenteil, die vorherrschende Meinung 139 | Z.B. The Times, 19. Juni 1999; „Protection Order for Shopping Mall“ (Camden New Journal, 21. September 2000); „New Protection for Brunswick“, (Camden Chronicle, 21. September 2000) 140 | Jane Lovatt: „Centre forward“ (Observer Magazine, 23. März 2003)
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war, dass das Brunswick Centre in seiner neuen Form endlich die Rolle eines Stadtteilzentrums würde übernehmen können, die ihm zugedacht war, ehe die Wohnungen zu Sozialwohnungen gemacht und potenzielle Ladenbetreiber dadurch abgeschreckt wurden. Patrick Hodgkinson, der Architekt des Brunswick, der die Sanierungsarbeiten beratend begleitet hat, habe darin die Chance gesehen, „to make the centre the ‚superblock with shops‘ that he had envisaged before his original designs were diluted by 60s council wranglings.“141 Der Guardian widmete dem renovierten Brunswick Centre eine ausführliche Besprechung, die zunächst darauf hinweist, dass es bis vor kurzem eine „rain-streaked, litter-strewn concrete monstrosity that seemed destined for the bulldozer“ gewesen sei, während es für die Sanierung gar keiner großen Änderungen bedurft habe, sondern im Wesentlichen die Planungen des Architekten zu vervollständigen gewesen seien.142 Und in Building Design schrieb James R. Payne, dass „the Brunswick looks like becoming the latest in a series of major projects such as the Barbican or Trellick Tower that have become fashionable and sought after commodities for their solid materiality and generous flats as well as their retro chic qualities“. Trotz der immer schon vergleichsweise differenzierten Betrachtung und Bewertung des Brunswick Centres lässt sich also festhalten, dass das Bild in der Öffentlichkeit sich mit der Sanierung noch einmal grundsätzlich zum Positiven gewandelt hat, auch wenn die Wohnungen und die gemeinschaftlich genutzten Erschließungsräume von den Aufwertungen kaum betroffen waren. Und ähnlich wie bei Trellick Tower lässt sich auch in der Berichterstattung über das Brunswick Centre ein deutliches VorherNachher-Muster erkennen, wenn auch nicht ganz so märchenhaft dargestellt, zumal in diesem Fall der Investor als treibende Kraft erkennbar ist.
5. 3 .4 Begehung Das neu eröffnete Shopping Centre wirkt selbstverständlich gepflegt, sauber und aufgeräumt. Obwohl es abseits der üblichen Wege liegt, ist der Raum gut belebt. Die neue, einheitliche Beschilderung auch außen am 141 | Caroline Ryder: „Bizarre art bid to stop ‚neglect‘ of Brunswick“ (Camden Chronicle, 20. März 2002) 142 | Jane Lovatt: „Centre forward“ (Observer Magazine, 23. März 2003)
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Gebäude unterstützt diesen Eindruck. Die noch unsanierten Wintergärten standen noch eine Weile in deutlichem Kontrast zur frisch sanierten Oberfläche. Die Atrien der Wohngebäude wirken weniger freundlich als das Äußere, vor allem weil der Beton hier nicht gereinigt und beschichtet wurde, sondern noch grau und schmutzig ist. Einige Laubengänge wurden von Bewohnern weiß gestrichen, was insgesamt einen uneinheitlichen Eindruck macht. Relativ viele Bewohner haben ihre Eingangstüren mit einer zweiten Gittertür gesichert, um sich vor Einbrüchen zu schützen. Weitere persönliche Gestaltungseingriffe beschränken sich auf gelegentlich neue Eingangstüren und auf die Wohnungsnummern, selten auch Topfpflanzen. Die Atrien haben dadurch kaum den Charakter eines von den Bewohnern genutzten Raumes, sondern wirken sehr streng und kühl – bleiben dadurch aber auch in ihrer Form und physischen Größe wahrnehmbar. Es zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen dem äußeren und dem inneren Erscheinungsbild. Auch dadurch entsteht der Eindruck, dass das Shopping Centre wenig mit den lokalen Bewohnern zu tun hat. Da die Investoren besonderen Wert auf ein insgesamt gepflegtes äußeres Erscheinungsbild gelegt haben, um den Erfolg des Shopping Centres zu sichern, wirkt das Brunswick Centre heute wie ein Privatgebäude – auch weil es in London unüblich ist, dass soziale Wohnungsbauten ähnlich sauber und gepflegt erscheinen wie das Brunswick Centre. Insofern verwundert es nicht, dass die Sozialwohnungen in der Berichterstattung über die Sanierung und die Eröffnung des Shopping Centres nicht erwähnt wurden. Hier entsprechen sich physische Erscheinung und öffentliche Wahrnehmung eindeutig.
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5.4 A YLESBURY E STATE : L OST IN TR ANSFORMATION
Quelle: Maren Harnack
Daten Architekt: F.O.Hayes/Sytembauweise Jespersen 12 hier wird vor allem die Südwest-Ecke betrachtet Planung: seit 1966 Bauzeit: 1968–77 Zwischen Albany Road, Old Kent Road, East Street, Walworth SE17 2800 Wohneinheiten 4–11 Stockwerke elfgeschossige Hochhausscheiben und 4–5geschossige Blöcke, Laubengangerschließung im 2. Stock Wohnungen über Parker-Morris-Standards nicht saniert teilweise privatisiert Bradenham 33 von 212 Wohnungen Chiltern 8 von 154 Wohnungen kein Denkmalschutz
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5.4.1 Eigentumsverhältnisse Der Aylesbury Estate gehört dem Borough Southwark. Insgesamt sind etwa 17% der 2800 Wohnungen privatisiert. Die Anteile sind in den einzelnen Häusern unterschiedlich und reichen von wenigen Prozent bis zur vollständigen Privatisierung. Um die Mittel für die dringend notwendige Sanierung zu bekommen, hatte Southwark ursprünglich angestrebt, den gesamten Estate an eine gemeinnützige Wohnungsgesellschaft zu übertragen („stock transfer“), die dann neue Sozialwohnungen bauen und diese durch zusätzlich auf dem Gelände unterzubringende Wohnungen für den freien Markt finanzieren sollte. Diesem Transfer müssen die Bewohner zustimmen, was sie im Falle des Aylesbury Estates bisher nicht getan haben. Da der Estate nach zähem Ringen nun doch abgebrochen und neu gebaut werden soll, ist eine Zustimmung der Bewohner nicht mehr nötig, und die Eigentumsverhältnisse werden sich vermutlich bald grundlegend ändern. Abbildung 25: Lage in London
City of London 3,3 km
Aylesbury Estate
Quelle: eigene Darstellung
Für die Einzeleigentümer entstehen damit erhebliche Probleme, denn sie müssen sich bis zum Abriss an den Renovierungs- und Instandhaltungskosten beteiligen und ihre Wohnungen dann zu einem festgesetzten Preis an das Council verkaufen. Dass sie für diesen Preis eine ähnliche Wohnung in der Gegend werden kaufen können, ist sehr unwahrscheinlich, ein Recht auf eine Sozialwohnung im neu gebauten Estate haben sie ebenfalls nicht.
B IOGRAFIEN AUSGEWÄHLTER G EBÄUDE : A YLESBURY E STATE
5.4.2 Planungs- und Baugeschichte Die Planungsgeschichte des Aylesbury Estate im engeren Sinne ist nicht sehr gut nachvollziehbar, die Bauanträge und sonstigen Planungsunterlagen sind nicht sauber archiviert und daher nicht zugänglich. Erst seit 1998 werden Baugesuche online vorgehalten und sind problemlos einsehbar.143 In den Interviews mit langjährigen Bewohnern des Estates konnte zwar auch ein großer Teil der Geschichte des Estates rekonstruiert, aber nicht durch offizielle Dokumente abgesichert werden. Abbildung 26: Aylesbury Estate und Umgebung
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Quelle: eigene Darstellung
Das Gebiet um Elephant & Castle sowie die direkt südlich davon gelegenen Quartiere Newington und Walworth wurden im Laufe den 19. Jahrhunderts aufgesiedelt, vorher gab es hier ein Landhaus, zu dem das Dorf Walworth gehörte. Schon im 18. Jahrhundert entstanden sogenannte „Almshouses“, in denen die Kirche oder zunftähnliche Organisationen Wohnraum für bedürftige Bürger zur Verfügung stellten. Im Zweiten Weltkrieg wurden Elephant & Castle, Newington und Walworth mehrmals bombardiert und dabei relativ stark zerstört.144 Nach dem Krieg legten die Zerstörungen eine grundlegende Neuplanung des Gebiets 143 | Siehe http://planningonline.southwarksites.com/planningonline2/ (11. März 2009) 144 | Boast (1997), S. 65–68
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nahe, zumal vor allem das Gebiet Elephant & Castle sowie die sich von dort verzweigenden Straßen schon vor dem Krieg notorisch überlastet waren. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war das Gebiet des heutigen Aylesbury Estate zur Slumsanierung vorgesehen. Zwar war das Gebiet sowohl im Zensus 1951 (107 Einwohner/Acre) als auch 1961 (98 Einwohner/Acre) fast zweieinhalbmal dichter besiedelt als der Londoner Durchschnitt, aber entsprach damit noch immer der Dichte anderer innerstädtischer Wohngebiete; die Wohnungen waren zudem nicht überbelegt.145 Die mit den Bewohnern des Quartiers geführten Interviews und in der Tagespresse wiedergegebene Bewohnerstimmen lassen aber darauf schließen, dass diejenigen, die in den Aylesbury Estate zogen, vorher meistens weder über eine abgeschlossene Wohnung verfügten noch über Küche und Badezimmer. Die großflächige Entwicklung der 28 Hektar, die heute den Aylesbury Estate ausmachen, war auch Folge einer veränderten Subventionspolitik der Nationalregierung, die Boroughs belohnte, die umfassende Slumsanierung betrieben. Die dabei zwangsläufig entstehenden großflächigen Sanierungsgebiete wiederum begünstigten die Verwendung industriell vorgefertigter Systembauten, wie sie im Aylesbury Estate entstanden, und auch die Nationalregierung sah in der Verwendung industrieller Bausysteme einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Ende der 1960er Jahre noch immer grassierenden Wohnungsnot. Die Trennung von Fußgänger- und Autoerschließung entsprach dabei den neuesten Erkenntnissen der Zeit und der Erwartung, dass der Verkehr zukünftig noch weiter zunehmen werde. Die Brücken, die die einzelnen Gebäude des Estates verbanden, trugen zur rasch ansteigenden Kriminalität bei, da sie Kriminellen zahlreiche Fluchtrouten eröffneten und die Fußgängererschließung im zweiten Geschoss ohnehin schlecht einsehbar und für Polizeiautos nicht zugänglich war. 1996 wurden sechs dieser Brücken abgebrochen und 1997 zwei weitere, womit die Sicherheit für Fußgänger erfolgreich gesteigert wurde. Noch vor dem Regierungswechsel zu Labour 1997 wurde ein Wettbewerb für die Sanierung des Aylesbury Estate ausgeschrieben und entschieden, den das Büro Levitt Bernstein gewann. Anschließend wurde im Programm „New Deal for Communities“ Geld für die Umsetzug beantragt und auch bewilligt. Gleichzeitig wurde Will Alsop mit ersten Architekturentwürfen 145 | 1951 und 1961 Census County Report für London. Daten für den Ward St. Peter, zu dem der größte Teil des Aylesbury Estates gehört, insbesondere die hier näher betrachtete Südwestecke.
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beauftragt, die aber bei den Bewohnern auf Ablehnung stießen. Dies führte dann wiederum dazu, dass sie der Übertragung des Estates an eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft nicht zustimmten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, in den von Alsop entworfenen Häusern zu leben.146 Mit der Ablehnung des Transfers scheiterte zunächst auch die Finanzierung, da die Councils nicht berechtigt sind, Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau zu beantragen. In der Folge wurde das Büro Levitt Bernstein damit beauftragt, zunächst für die südwestliche Ecke des Estates eine umfangreiche Umnutzung und Umgestaltung zu planen. Ein wesentliches Ziel dieser Planung war es, wieder einen traditionellen Straßenraum herzustellen, die Zugangskontrolle zu verbessern und die bautechnischen Mängel zu beseitigen. Erst im Laufe dieser Planungen (im September 2004) stellte sich heraus, dass ein Teil der Gebäude statische Mängel hatte, deren Beseitigung zu untragbaren Kostensteigerungen geführt hätte, so dass das Sanierungsprojekt gestoppt wurde und der gesamte Estate nun doch stückweise abgebrochen und neu gebaut werden wird. Seit 2001 wurden für das Gebiet des Aylesbury Estate in diesem Zusammenhang zahlreiche Baugesuche eingereicht, die die Einrichtung von Informationszentren oder Gemeinschaftseinrichtungen vorsehen und die im Zusammenhang mit dem angelaufenen Programm „New Deal for Communities“ stehen. Dazu gehören temporäre Büroräume, das Aylesbury Women’s Centre, ein neuer Kindergarten und die Renovierung verschiedener Spielplätze. 2005 wurde eine Baugenehmigung für die Renovierung und Neuorganisation der Erschließung und der gemeinschaftlichen Bereiche für das Gebäude Bradenham beantragt und erteilt, die Arbeiten wurden aber nie begonnen. Seit 2005 wurden ebenfalls mehrere Genehmigungen im Zusammenhang mit der Neuentwicklung eines Altentageszentrums sowie einiger neuer Wohnungen auf einem freien Grundstück in der südwestlichsten Ecke des Estates und von dort ausgehend seit 2007 für den Abriss und Neubau der ersten Wohnhäuser des Estates erteilt. Wenn man davon ausgeht, dass außer den Original-Baugenehmigungen alle Unterlagen erhalten sind, kann man daraus schließen, dass bis zur Revitalisierungsstudie von Levitt Bernstein und den daraus resultierenden Bauanträgen keine nennenswerten Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt wurden, was sich mit den Aussagen der interviewten Bewohner deckt.
146 | Interview mit dem Architekten David Levitt am 23. März 2006
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5.4.3 Rezeptionsgeschichte Auffallend an der Rezeptionsgeschichte des Aylesbury Estates ist, dass sie sich fast vollständig in der Tagespresse abspielt. Entwurf und Realisierung wurden von der Fachpresse nicht begleitet, lediglich in einem Themenheft zum Wohnungsbau in Großbritannien wurde der Aylesbury Estate noch während der Bauzeit kritisch betrachtet, wenngleich nur als Beispiel für den aktuellen Massenwohnungsbau und nicht im Hinblick auf seine spezifische Entstehungsgeschichte.147 Erst 1975, also vier Jahre nach der Fertigstellung, wurde die Geschichte des Aylesbury Estate in „The Architect“ detailliert beschrieben. Dieser Artikel geht auch auf die kaum einzuhaltenden Kostenvorgaben ein, die nach Ansicht des Autors zu den erheblichen Baumängeln geführt haben, die zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits aufgetreten waren.148 Zweifelsohne haben sich die Bedingungen in den Wohnungen selbst für die meisten derjenigen, die neu in den Aylesbury Estate gezogen sind, zunächst dramatisch verbessert. So gab es in den ersten Jahren nach der Fertigstellung – bis ca. 1976 – sowohl in der lokalen als auch in der überregionalen Presse viele Artikel, die über die Zufriedenheit der Bewohner mit ihren Wohnungen berichteten, die aber auch schon die Unzufriedenheit mit der Umgebung und der Instandhaltung durch das Council thematisierten.149 Schon wenig später wurden fast nur noch schlechte Nachrich147 | „The tyrannical economics of tracked-crane feedpaths have been given full rein. The blocks are regimented with frightening precision. Any subtleties of the site have been sacrificed to relentless repetition.“ (Architectural Review, 8/1970, S. 144–146) 148 | „The design and construction concepts behind Aylesbury have already been condemned, and many architects will see in this huge maintenance bill confirmation of their suspicion that system building, with its lack of attention to detail, conceals a host of expenses not explicit in the original tenders.“ Robert Toller: „Did Groucho Marx invent the Cost Yardstick?“ (The Architect, April 1975, S. 32) 149 | Beispielsweise schreibt Tony Aldous in der Times vom 3. November 1970: „What do the people who live there think about it? For most of them, it seems, it is such an improvement on what they had before that they regard such criticism as carping.“ Time Out schrieb 1974 „Most people we spoke to, however, were relatively happy with their individual flats, if only they could be transplanted somewhere else“ (Paul MacNicholls: „Slums of the seventies“ TimeOut, 7. Juli 1974, S. 11). Die South London Press kommt zu dem Schluss, dass „The Aylesbury is an
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ten veröffentlicht. Bewohner werden zitiert, die den Aylesbury Estate so schnell wie möglich verlassen wollen, die sich nicht auf die Straße trauen oder deren Wohnungen von Schimmel und Feuchtigkeit befallen sind.150 Die Berichterstattung blieb durchgehend negativ, auch wenn sie sich häufig auf einzelne Fälle bezog, die in einem so großen Estate mit über 2000 Wohnungen natürlich häufiger vorkommen als in einem kleineren. Die Themen wiederholten sich: Feuchtigkeit, Dreck, unsoziales Verhalten der Nachbarn, Kriminalität oder zumindest die Angst davor.151 Eine Beschreibung im Mirror fasste die Situation folgendermaßen zusammen: „There are 11 000 people crammed into 64 acres of concrete jungle where muggings and murder are part of life. Grafitti and vandalism are rife. Syringes used to inject drugs are left in stairwells.“152 Die positiven Ereignisse, über die hätte berichtet werden können, scheinen rar gewesen zu sein, jedenfalls fanden sich in der Presse erst wieder einige positive Berichte, als 1996 die Verbindungsbrücken zwischen den Häusern abgebrochen wurden, die es Kriminellen und Jugendgangs bis dahin ermöglicht hatten, auf unterschiedlichen Routen zu fliehen und sich so der Polizei zu entziehen.153 ugly duckling with tatty feathers but it does provide 2000 badly needed homes.“ („Estate is not just an ugly duckling“ South London Paper 10. Januar 1975, S. 16) 150 | Der Sunday Telegraph zitiert eine Bewohnerin, die wegen des Lärms der anderen Anwohner eine neue Wohnung sucht: „It’s a lovely flat but I can’t stand the noise“ („High and low life dilemma“ Sunday Telegraph, 15. Juli 1973). Ähnliche Berichte erscheinen beispielsweise im Mercury, der eine Bewohnerin zitiert: „The flat you can‘t find fault with, but the noise, dirt and vandalism is another thing.“ (Janet Midwinter: „Within these walls“, 16. September 1976) und die South London Press berichtet 1990, dass eine „young mum with six children faces another Christmas in a tiny two-bedroom-flat blighted with damp.“ („Help me and my family“, 7. Dezember 1990) 151 | Vgl. beispielsweise Brian Alexander „Children who live on the Aylesbury estate“ (South London Press, 6. Dezember 1977); Jean Cleary „Concrete jungle of ‚Colditz‘“ (The Mercury, 18. Juni 1981); Tony Samstag „Flats where fear has become a way of life in ‚muggers’ paradise‘“ (Times, 18. Januar 1983) 152 | Oona Blackman et al. „Five of us live in a room and no one dares to go out.“ (The Mirror, 30. Oktober 1998, S. 35) 153 | „Crime runs out“ (The Guardian, 1. Februar 1996); „End of a hazard“ (South London Press, 13. Dezember 1996)
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Nach dem Regierungswechsel 1997 veränderte sich die Berichterstattung. Zunächst nutzte Tony Blair das berüchtigte Quartier als Kulisse für seine Inszenierung als neuer Regierungschef, und demonstrierte damit, dass er selbst hoffnungslose Fälle nicht verloren gibt.154 Auch Prinz William und seine Klassenkameraden aus Eton besuchten den Aylesbury Estate, um sich dort über die sozialen Probleme zu informieren.155 Die Berichte gingen seit dieser Zeit stärker auf die strukturellen Probleme des Estates und seiner Verwaltung ein, schlossen auch Konzepte für die Zukunft mit ein und ließen die Erfolge, die die Bewohner bis dahin für die Verbesserung ihrer Situation erkämpft haben, nicht außer Acht.156 Insbesondere die Bewilligung erheblicher Mittel aus dem neu geschaffenen Programm „New Deal for Communities“ und die damit verbundenen Renovierungs- und Revitalisierungsprogramme wurden ausführlich behandelt. Ebenso wurden die Bemühungen der unterschiedlichen Akteure, die Situation im Aylesbury Estate zu verbessern, in der Presse gewürdigt. Dazu gehörte auch die Entscheidung, einen Teil des Geldes aus dem „New Deal for Communities“ für einen privaten Wachdienst auszugeben, sogenannte Community Wardens, zu denen vorher arbeitslose Bewohner des Estates ausgebildet wurden.157 Über die Planungen für die Regeneration wurde in allen Phasen detailliert berichtet, zunächst über den geplanten, großflächigen Abriss und Neubau, bei dem etwa 700 Wohnungen erhalten und renoviert werden sollten; zu diesem Zeitpunkt war außerdem geplant, etwa 1400 neue Mietswohnungen und 500 Eigentumswohnungen zu errichten, wobei die sich zunächst abzeichnende Zustimmung der Bewohner offenbar unerwartet war.158 Der New Statesman brachte 2000 einen Artikel, der sogar eindeutig positiv über das Leben im Aylesbury Estate berichtete und die
154 | Vgl. beispielsweise „Resident’s plea for derided estate“ (The Guardian, 15. August 1998) 155 | „Prince William and pals visit the Aylesbury“ (South London Press, 12. Januar 1999) 156 | Vgl. beispielsweise „Cash hope for Aylesbury“ (Southwark News, 17. September 1998) 157 | Kellie Redmont: „War-den on crime“ (South London Press, 6. August 1999) 158 | „Massive Demolition on Aylesbury Backed by Tenants“ (Southwark News, 16. September 1999)
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Zustimmung zum großflächigen Abriss infrage stellte.159 Im Gegensatz zu früheren Artikeln, die nur Bewohner mit negativen Erfahrungen zitierten, kommen hier auch solche zu Wort, die das Leben dort schätzen und weder an einem anderen Ort wohnen wollen noch die Abrisspläne unterstützen. Vor allem der Plan, wie schon bei der Entstehung des Estates, den Bestand komplett abzubrechen und noch einmal neu anzufangen, überzeugte die Autorin nicht,160 da sie die über Jahre mühsam entwickelte Gemeinschaft in Gefahr sah.161 In den der Abstimmung folgenden Monaten wurde vor allem über wachsendes Misstrauen der Bewohner gegenüber dem Council berichtet. Anstatt der unhaltbaren Zustände in den Wohnungen oder der Kriminalität stand nun das Versagen der Bezirksverwaltung im Vordergrund. Die Bewohner wurden nicht mehr als passive Bürger dargestellt, die von der öffentlichen Hand Verbesserungen erwarten, sondern als aktive, positiv eingestellte, engagierte Bewohner, die ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen, dabei aber von der Verwaltung behindert werden. Dazu kommt, dass auch nach dem Regierungswechsel 1997 und bis heute weiterhin etliche Regelungen und Vorschriften dafür sorgen, dass die Bezirke bei der Finanzierung ihres sozialen Wohnungsbaus strukturell benachteiligt sind und für den Fall, dass sie Bestände an gemeinnützige Anbieter übertragen, sogar für den verbleibenden Bestand weniger Förderung bekommen. Die Erwartung, dass die neue Regierung unter Blair diese Strukturen grundsätzlich verändern würde, hat sich nicht erfüllt, und dies schlug sich in der Berichterstattung nieder, die die Probleme zunehmend weniger in der Bewohner- oder Baustruktur sah, sondern in einer verfehlten Wohnungs- und Sozialpolitik.162 159 | Sarah Helm zitiert beispielsweise Beryl Grey: „It’s a lovely estate. Knocking it down is not my cup of tea“ („Lost souls in the city in the sky“, New Statesman, 17. Juli 2000, S. 27) 160 | „But, as time has passed, suspicion has grown, as have fears that, 30 years on, the same mistakes will be made.“ (ebd.) 161 „And in demolishing the Aylesbury, they must know, too, that they will be demolishing their own, hard won community – a community that, in extreme adversity, had finally begun to take root.“ (ebd.) 162 | „The Aylesbury transfer […] will […] lead within three years to a cut in subsidy equivalent to a £ 1,70 a week rise in council rent across the borough“ (Nick Triggle: „Symbol clash“, The Guardian Society, 28. November 2001, S. 10). Im selben Artikel wird ein Politiker der Liberaldemokraten zitiert: „The Aylesbury Estate
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Die Fachzeitschrift „Regeneration & Renewal“ befürchtete, dass „residents of a run down estate in South London are at risk of being misled into voting for a regeneration scheme claimed to contain ‚fundamental flaws‘“163 und berichtet, dass „tenants of the estate allege they had to wait for a leak to see the report“. Bei der angesprochenen Studie handelt es sich um eine Bewertung der Sanierungsplanungen durch CABE, ein staatliches Institut, das die Regierung in Architektur- und Planungsfragen beriet und hinzugezogen wurde, wenn bedeutende Bauaufgaben hinsichtlich ihrer gestalterischen und funktionalen Qualitäten zu bewerten waren, vor allem, wenn es zu Widerstand gegen ein Projekt kam. Zumindest in der Fachöffentlichkeit hatten die Urteile von CABE Gewicht, auch wenn sich die Politik nicht immer daran hielt. Die Studie, die CABE zum Aylesbury Estate angefertigt hat, wurde durchgehend vertraulich behandelt, so dass über die darin erwähnten Mängel nur gemutmaßt werden konnte. Vor allem die Vertraulichkeit als solche hat dazu geführt, dass das Misstrauen zwischen Entwicklungsträgern und Bewohnern gewachsen ist. Zu dem Zeitpunkt, als die Bewohner des Estates der Übergabe ihrer Wohnungen an eine eigens gegründete gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft zustimmen sollten (Ende 1999), konzentrierte sich die Berichterstattung nicht mehr auf die Hoffnungen, die mit dem Regierungswechsel, Blairs Rede auf dem Estate und die Mittel aus dem „New Deal for Communities“ verbunden waren, sondern darauf, dass es nach mehr als zwei Jahren Programmlaufzeit noch immer keine greifbaren Verbesserungen gab, und vor allem darauf, dass das Vertrauen der Bewohner in die Zusagen der Regierung und der Bezirksverwaltung bereits nachhaltig erschüttert war.164 has become symbolic of the government‘s aim of tackling social deprivation. What has been promised by the government is not mirrored by what is happening in reality.“ Und ein Politiker der Konservativen: „The government should be really more flexible.“ Selbst ein anonymer Labour-Politiker kritisiert die Regierungspolitik: „As a Labour Council we find it very difficult to understand why the government is doing this. Those opposed to the regeneration have used it against us.“ 163 | Ben Willis: „Cabe report on Aylesbury ‚buried‘“ (Regeneration & Renewal, 23. November 2001) 164 | „The rundown Aylesbury Estate in South London was promised one of the largest pay outs under the government’s New Deal for Communities. Three years on there’s still no sign of regeneration work starting.“ (Nick Triggle: „Symbol clash“, Guardian Society, 28. November 2001, S. 10). „No matter how many times
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Über die Bewohnergruppe „WATT“ („Worried about tenants’ transfer“), die eine Kampagne gegen die Übertragung organisiert hat, wurde genauso berichtet wie über die Bewohnergruppen, die an den offiziellen Planungen des New Deal for Communities beteiligt waren, und über die Sprecher der Verwaltung und der lokalen Politik. Nachdem die Abstimmung über die Übertragung an eine neu gegründete Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ende Dezember 2001 entgegen der offiziellen Erwartungen scheiterte, wurde darüber und über die nun wieder unsichere Zukunft des Estates berichtet, sowohl in der Tagespresse165 als auch in der Fachpresse.166 Dabei war die überwiegende Meinung, dass die strukturellen Mängel der Wohnungspolitik und insbesondere die mangelhaften Alternativen bei der Abstimmung zum Misserfolg geführt haben.167 Erst nach diesem Ereignis wurde wieder über Diskussionen über alternative Entwicklungsmöglichkeiten für den Aylesbury Faraday [die neu gegründete, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft] has said the size of homes – which are among the biggest in the borough – will not alter, many residents whom the South London Press talked to cited this as one of the main sticking points.“ (Nick Triggle: „Is it ‚Ayles well that ends well?‘“ South London Press, 21. September 2001, S. 39) 165 | Beispielsweise Nick Triggle: „It’s a big no to the regeneration game“ (South London Press, 28. Dezember 2001); Nick Triggle: „It may still get millions“ (South London Press, 1. Januar 2002); Nick Triggle: „Blair flagship is sunk“ (Guardian Society, 2. Januar 2002, S. 4) 166 | Phil Clark: „A breakdown of trust“ (building, 18. Januar 2002, S. 24–26); David Blackman: „Where did it all go wrong?“ (Inside Housing, 22. Februar 2002); Karen Day: „Victory to Southwark’s militant tenancy“ (Public Finance, 8. Februar 2008) 167 | „Understandably the residents were far from impressed with the options on offer. Hailed as a government flagship project, the estate was one of the first ones to receive New Deal for Communities funding in 1998. But somewhere along the line, the London Borough of Southwark’s £375m vision for regenerating its largest estate went horribly wrong. In December an amazing three-quarters of residents turned out to vote, and 73% of them rejected the plans. The authority describes the ballot as a ‚blow‘ and maintains that its regeneration scheme […] was a good deal for the residents. […] Tenants say the fundamental problem lies with the council’s vision of how the estate should be regenerated, which does not reflect what residents want. They also allege that the regeneration scheme became tainted by
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Estate berichtet. Im Vordergrund standen hier die Bemühungen der Lokalpolitiker und der lokalen Parlamentsabgeordneten, gemeinsam mit dem Wohnungsbauminister die Finanzierung von Renovierungsarbeiten zu organisieren, die den Bestand für die Zukunft hätten aufwerten und die sinnvolle Verwendung der Mittel aus dem New Deal for Communities hätten sicherstellen sollen.168 Die schwierige Finanzlage, die das Projekt von Anfang an begleitet hat, blieb dabei weiter Thema, wie auch die Kritik der Bewohner, die auch das neue Sanierungskonzept unzureichend fanden.169 In der Berichterstattung wird zunehmend deutlich, dass das einst ambitionierte Sanierungsprojekt vor allem an der staatlichen Finanzierungspolitik zu scheitern drohte und die langen Verzögerungen bei den Bewohnern zu erheblichem Vertrauensverlust geführt haben.170 Über den Inhalt der Pläne, die das Büro Levitt Bernstein für die Südwestecke des Estates entwickelt hatte, wurde zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr berichtet, anders als noch zu Beginn des Sanierungsvorhabens, gleich nach der Wahl Blairs. In der Berichterstattung wandelte sich die Darstellung des Aylesbury Estates von einem Ort, dessen Bewohner „unsozial“ sind, zu einem Ort, der emblematisch ebenso die Hoffnungen, die 1997 mit dem Wechsel der Regierung verbunden waren, verkörpert, wie das Versagen der Politik bei der Beseitigung von strukturellen Benachpolitical interference and overriding financial considerations.“ (Karen Day: „Victory to Southwark’s militant tenancy“. Public Finance, 8. Februar 2002, S. 26) 168 | Peter Harrison: „Tenants face a long wait“ (South London Press, 19. März 2002); Chris Mullany: „‚Aylesbury transfer was a loaded choice‘ says Harman“ (Southwark Press, 18. April 2002); Naomi Lindsay: „Revised plans tabled for Aylesbury“ (Regeneration & Renewal, 16. August 2002) 169 | Euan Denholm: „Aylesbury needs more than a lick of paint…“ (Southwark Press, 22. Januar 2004) 170 | Der Guardian zitiert einen läng jährigen Bewohner: „I liked Tony Blair’s promises, but those promises went out of the window. People wasn’t expecting the earth here, what they were expecting was something done.“ (Laura Barton: „Death of an Estate“, 14. Oktober 2005, S. 10–15); vgl. aber auch Euan Denholm: „Aylesbury needs more than a lick of paint…“ (Southwark Press, 22. Januar 2004); Euan Denholm: „Decision on Aylesbury Estate demolition is due next week“ (Southwark News, 22. September 2005); Chris Pragnell: „D-Day for the Aylesbury“ (South London Press, 23. September 2005); Mario Ambrosio: „Associations must lose arrogance to win over tenants“ (Inside Housing, ohne Datum)
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teiligungen. Die Erfolge, die der New Deal for Communities beispielsweise in den Bereichen Bildung, Gesundheitsvorsorge und öffentliche Sicherheit bereits erreicht hatte, wurden im Zusammenhang mit dem Regenerationsprogramm fast gar nicht erwähnt. Abbildung 27: Sequenz aus dem Video zu „Hung up“ von Madonna (2005)
Quelle: www.youtube.com (25. Januar 2010)
Abbildung 28: Mobilfunkwerbung von O2. Architektur wie die des Aylesbury Estate repräsentiert hier modernes, urbanes Leben.
Quelle: www.youtube.com (17. Juli 2006)
So lässt sich auch erklären, dass trotz der mittlerweile vollkommen unauffälligen Kriminalstatistik der Aylesbury Estate gelegentlich noch als gefährlich dargestellt wird.171 Andererseits tauchte der Estate 2005 kurz in einem Madonna-Video172 auf („Hung up“ aus dem Album „Confessions on a dance floor“) und die Mobilfunkfirma O2 verwendete in ihrer Werbung eine Zeitlang eine Szene aus der Gegend von Elephant und Castle173 171 | Beispielsweise „2005: Drugs, decay and murders close Europe’s biggest estate“ (Clare Raymont: „Death of urban dream“, Daily Mirror, 29. September 2005) 172 | www.londonist.com/archives/2005/spot-the-london.php (14 .Juni 2006) und http://www.youtube.com/watch?v=S8T1NEO86Mc (22. Januar 2010) 173 | http://www.youtube.com/watch?v=vm0UDtFUf1c (21. August 2009)
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und zeigte auch in einem anderen Werbefilm für das Programm „Friends“ Wohnbauten mit einer ähnlichen Ästhetik. Da weder ein Video eines Popstars wie Madonna noch die Werbekampagne eines großen Mobilfunkanbieters Zufallsprodukte sind, verkörperte für diejenigen, die diese Filme konzipiert haben, die Ästhetik dieser industriell hergestellten Wohnhäuser offenbar in gewisser Weise das moderne, urbane Leben. Dennoch hat sich diese Konnotation weder auf den Aylesbury Estate übertragen noch auf andere, ähnliche Siedlungen aus derselben Zeit.
5.4.4 Begehung Heute wirkt der Aylesbury Estate zwar nicht einladend, aber auch nicht schmutziger als andere Teile Londons. Unangenehm ist eher, dass Vieles vor allem den Charakter von „Vandalismussicherheit“ verströmt. Die nicht konkreten Nutzungen zugeordneten Freiflächen sind häufig ungenutzt und Fenster verhängt, was einen Charakter der Unbelebtheit erzeugt. Nur einzelne der Gärten im Erdgeschoss werden von den Mietern der angrenzenden Wohnungen genutzt, und auch auf den Laubengängen im zweiten OG finden sich kaum Spuren der Aneignung durch die Bewohner. Absperrungen und stachelbewehrte Gitter verstärken diesen Eindruck. Im Gegensatz dazu wirken die Wohnungen angenehm hell und geräumig. Sie sind häufig sehr gepflegt und persönlich gestaltet, ganz im Gegensatz zum Außenraum. Diese offensichtliche Verbundenheit vieler Bewohner zu ihrer Wohnung und die damit zum Ausdruck kommende Wertschätzung des Estates werden von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, so dass dessen schlechter Ruf trotz vieler positiver Entwicklungen fortbesteht.
6 Subjektbetrachtung: Erfahrungen der Bewohner
Die Entwicklungen, die sich in und um die untersuchten Gebäude herum abgespielt haben, sind nur ein Teil der Geschichte. Aus der Sicht derjenigen, die in Wohnmaschinen leben, spielt natürlich das Gebäude und seine öffentliche Wahrnehmung eine Rolle, aber zusätzlich kommen Aspekte zum Tragen, die zunächst nichts mit den Eigenschaften der Gebäude zu tun zu haben scheinen. Insbesondere betrifft dies die Ebenen der individuellen Alltagsoptimierung und der Beweggründe und Erfahrungen „Jenseits von Common Sense“.
6.1 A NGEBOTE AUF DEM FREIEN M ARK T FÜR W OHNEIGENTUM Fast alle Eigentümer, die sich für den Kauf einer privatisierten Sozialwohnung entschieden haben, haben zunächst auch andere Angebote in Erwägung gezogen. Um diese Abwägungsprozesse transparenter zu machen, werden im Folgenden typische Beispiele für Angebote auf dem Wohnungsmarkt vorgestellt, die ähnlich teuer sind wie privatisierte Wohnungen in den hier untersuchten sozialen Wohnungsbauten.
Neubau In innerstädtischen Lagen gibt es kaum Potenzial für größere Neubauprojekte, allenfalls werden Baulücken geschlossen. Auf den Konversionsflächen, die in den letzten Jahren entwicklungsreif geworden sind, wie etwa die Flächen nördlich des Bahnhofs King’s Cross, entstehen zu erheblichen Anteilen Büroflächen. Dort soll zwar ein dichtes, gemischtes Quartier ent-
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stehen, aber eine traditionelle Typologie für den Geschosswohnungsbau gibt es nicht, ebenso wenig Standards für minimale Raumgrößen, Abstellflächen oder dergleichen. Die extrem hohen Immobilienpreise führen dazu, dass sehr viele Zwei- und Dreizimmerwohnungen gebaut werden, deren Zimmer so klein sind, dass sie kaum genutzt werden können und die häufig nur über eine Küchenzeile im Wohnzimmer verfügen. In London sind Projektentwickler zudem dazu verpflichtet, bei jedem Projekt einen Anteil Sozialwohnungen zu errichten, die sie über den Verkauf der Wohnungen für den freien Markt querfinanzieren müssen. Abbildung 1: Neubauwohnung in der Kingsland Road (Souterrain/Hochparterre), 112 m2 für £700 000
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Quelle: eigene Darstellung/www.zoopla.co.uk (24. Februar 2010)
Die bauliche Qualität neuer Wohnungen ist im Allgemeinen nicht hoch. Erst seit wenigen Jahren werden beispielsweise anstatt einfachverglasten Fenstern Isolierglasscheiben eingebaut. Die Decken sind niedriger, die Türen kleiner als man es aus Deutschland kennt. Dazu kommt, dass Neubauwohnungen oft einseitig orientiert sind, weil sich so der Erschließungsaufwand minimieren lässt. Zusammengenommen macht all dies Neubauwohnungen relativ unattraktiv.
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Neubau: Affordable housing Obwohl „affordable housing“ nicht ohne Restriktionen auf dem freien Markt zu haben ist, kann es in den hier untersuchten privatisierten Sozialwohnungen durchaus Eigentümer geben, die auch die Kriterien für ein staatlich gefördertes Eigentum erfüllen. Neben den Mietwohnungen des sozialen Wohnungsbaus, die an die bedürftigsten Mieter vergeben werden, gibt es in fast allen Projekten des sozialen Wohnungsbaus auch Anteile geförderten Eigentums, das als „Shared Ownership“ angeboten wird. Dabei sind die Kaufpreise immer noch so hoch, dass es für Durchschnittsverdiener fast unmöglich ist, diese „erschwinglichen Wohnungen“ zu finanzieren. Abbildung 2: Neubauwohnung in der Copenhagen Street, N1 30% Eigenanteil an 47 m2 für £72 000. Dazu kommt eine monatliche Mietbelastung von etwa £400
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Quelle: eigene Darstellung/www.newlonhomeownership.co.uk (24. Februar 2010)
Allerdings gelten für die von der Housing Corporation geförderten Wohnungen des „affordable housing“ Mindeststandards bei Raumgrößen, Stellflächen und privaten Freiräumen, so dass die räumliche Qualität der Wohnungen verglichen mit den frei finanzierten Projekten relativ gut ist. Trotz Förderung ist der Kaufpreis einer „affordable housing“ Wohnung nicht unbedingt niedriger als der einer privatisierten Sozialwohnung, wo der Käufer zwar gegenüber einer Neubauwohnung in Shared Ownership größeren (oder auch nur anderen) finanziellen Unwägbarkeiten ausgesetzt ist, die aber dafür möglicherweise mehr Platz oder mehr Licht bietet
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oder aber zentraler gelegen ist. Dazu kommt, dass mit dem Erwerb einer geförderten Eigentumswohnung erhebliche Formalitäten und Restriktionen verbunden sind, die beim Kauf frei finanzierter Immobilien nicht bestehen.
Bestand: Reihenhaus/Stadthaus Reihen- oder Stadthäuser sind die klassische englische Wohntypologie, wie sie eingangs beschrieben wurde. Sie bieten viele Vorteile, beispielsweise eine verhältnismäßig hohe Dichte, einen eigenen, wenn auch oft kleinen und von den Nachbarn einsehbaren Garten, und sie sind dabei häufig sehr zentral gelegen, weil sie schon seit dem 17. Jahrhundert gebaut wurden. Abbildung 3: Reihenhaus in der Brecon Road, W6 112 m2 für £675 000.
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Quelle: eigene Darstellung/www.marshandparsons.co.uk (24. Februar 2010)
Der einzige erkennbare Nachteil dieser Typologie ist, dass sie bei den heute extrem hohen Immobilienpreisen kaum noch erschwinglich ist, was sicher auch daran liegt, dass die damit zu erzielende Dichte für eine Stadt der Größe Londons eher niedrig ist. Auch kleinere Reihenhäuser in Lagen ohne U-Bahn-Anschluss oder weit außerhalb sind heute sehr teuer, in vie-
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len zentralen Boroughs liegt der Durchschnittspreis für Stadthäuser heute schon über einer halben Million Pfund.1
Bestand: Mansion Blocks Mansion Blocks sind in London die Vorläufer der heutigen Geschosswohnungsbauten. Wie bereits beschrieben, wendeten sie sich aber traditionell an ein wohlhabendes Publikum, anders als der Geschosswohnungsbau in Deutschland, der Angebote für alle Einkommensgruppen hervorgebracht hat. Der Mansion Block hat gegenüber aufgeteilten Stadthäusern vor allem den Vorteil, dass die Wohnungen von Anfang an als selbständige Einheiten geplant waren. Daher ist einerseits die Raumaufteilung oft besser, andererseits sind die Wohnungen besser gegeneinander isoliert. Auch die Eingangshallen und Treppenhäuser waren von vornherein als halbprivate Erschließungszonen ausgelegt und haben so einen repräsentativeren Charakter als eine Treppe, die ursprünglich wohnungsintern war. Abbildung 4: Souterrainwohnung in einem Mansion Block, Chenies Street, WC1 66 m2 für £450 000.
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Quelle: eigene Darstellung/www.banburyball.co.uk (10. Oktober 2009)
Dennoch leiden die Mansion Blocks darunter, dass es zur Zeit ihrer Entstehung keine Tradition für den Geschosswohnungsbau gab und die Organisation einer Etagenwohnung die Projektentwickler damals vor größere Schwierigkeiten stellte. Anders als auf dem Kontinent ist es außerdem 1 | Ein Stadthaus kostete 2007 in Kensington & Chelsea 2,3 Mio GBP, in Westminster 1,4 Mio. GBP, in Hammersmith & Fulham 850 000 GBP, in Islington 800 000 GBP, in Camden 780 000 GBP, in Wandsworth 610 000 GBP, in Lambeth 530 000 GBP (Quelle: http://news.bbc.co.uk/2/shared/spl/hi/in_depth/ uk_house_prices/counties/html/county37.stm?t (12. September 2007))
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unüblich, dass ein Mansion Block auch Gewerbeeinheiten enthält. Die Trennung zur Straße wird mittels einer großzügigen Vorzone geschaffen, und im Erdgeschoss wird bereits gewohnt. Damit erzeugen Mansion Blocks einen vorstädtischen Straßenraum und Gegenden, in denen sie verbreitet sind, fehlt oft die nötige soziale und kommerzielle Infrastruktur.
Bestand: Converted Terrace Die traditionellen Stadt- oder Reihenhäuser sind schon seit dem 19. Jahrhundert geschossweise in Wohnungen unterteilt worden, und auch heute ist dieses Vorgehen beliebt. Dies bringt verschiedene Probleme mit sich, denn die Stadthäuser sind nicht dafür konzipiert worden, von unterschiedlichen Parteien bewohnt zu werden. Beispielsweise ist die Schallisolierung sowohl zwischen den Wohnungen als auch zwischen Wohnungen und Treppenhaus häufig miserabel. Dasselbe gilt für die Qualität der Grundrisse, denn ursprünglich waren die Wirtschaftsräume in den Untergeschossen untergebracht und der nachträgliche Einbau von Küchen und Bädern in den Obergeschossen führt oft zu unübersichtlichen und schlecht nutzbaren Räumen und verwinkelten Grundrissen. Abbildung 5: Stadthauswohnung, 1. Stock, in der Marchmont Street, WC1 58 m2 für £575 000.
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Während die Unterteilung früher mit einem Statuswechsel für die Immobilie verbunden war, weil sie danach sozial niedrigere Schichten vermietet wurde, ist eine Wohnung in einem unterteilten Stadthaus heute nicht mehr negativ konnotiert. Historische Fassaden und Originalelemente wie Schiebefenster, Holzfaltläden, Stuck oder Kamingesimse sind auch in unterteilten Stadthäusern Statussymbole.
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Bestand: Loft/Umnutzung Die Entwicklung von Lofts zu Ateliers und dann zu einer Wohntypologie für Mitglieder der Mittelschicht hat Sharon Zukin am Beispiel von Manhattan ausführlich dargestellt.2 Auch in London wurden und werden Industrie- und Gewerbebauten zu Wohnungen umgenutzt, ebenso wie Schulen. Die großzügigen Räume, die man sich im allgemeinen unter dem Begriff „Loft“ vorstellt, entstehen dabei in London selten, weil die Wohnungspreise so exorbitant sind, dass auch hier die Flächen extrem optimiert genutzt werden müssen. Abbildung 6: Loft, Souterrain und Hochparterre in Saffron Hill, WC1 136 m2 für £700 000.
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In der Praxis entstehen daraus ähnliche Probleme wie bei den bereits beschriebenen Neu- oder Umbauten: Einseitig orientierte Wohnungen, verwinkelte Grundrisse, nicht abgeschlossene Küchen. Lediglich die Art der Hülle, innerhalb derer ein Umbau stattgefunden hat, unterscheidet sich.
Bestand: privatisierte Sozialwohnung Eine dritte grundsätzlich andere Alternative für Wohnungskäufer ist der Erwerb einer privatisierten Sozialwohnung. Gegenüber umgebauten Stadt- oder Reihenhäusern haben diese den Vorteil, dass sie als Etagenwohnungen gebaut worden sind und die Grundrisse dementsprechend gut 2 | Zukin 1982
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strukturiert sind. Auch wenn die Schallisolierung nicht immer optimal ist, hält sie dem Vergleich mit einem umgebauten Stadthaus meistens stand. Da in London viele Sozialwohnungen im Wiederaufbau entstanden sind, finden sie sich in ebenso zentralen Lagen wie Stadthäuser, nicht nur am Stadtrand. Räumlich haben die Wohnungen oft den Vorteil, dass die Räume nach Parker-Morris-Standards gebaut wurden oder sogar über dem Standard liegen, während sie sowohl in umgebauten Stadthäusern als auch in Neubauten häufig kleiner sind. Der unbestrittenen Nachteil einer solchen Wohnung liegt in dem möglichen Stigma eines sozialen Wohnungsbaus mit Nachbarn, die häufig problematische Lebensgewohnheiten haben, die sich aufgrund der verbreiteten Überbelegung und den geringen Chancen eine größere Wohnung zu bekommen kaum vermeiden lassen. Hinzu kommen die Probleme und finanziellen Unwägbarkeiten, die durch die Beteiligung an Instandhaltungs- und Sanierungskosten entstehen, ein nicht zu vernachlässigender Nachteil dieser Option.
Optionen im Vergleich Die Analyse anderer Angebote zeigt, dass ehemalige Sozialwohnungen nicht allein aufgrund ihres niedrigen Preises gewählt worden sein können. Fast alle interviewten Wohnungskäufer haben von den Schwierigkeiten berichtet, überhaupt eine Wohnung zu finden, die ihren Vorstellungen auch nur annähernd entspricht, selbst wenn ihr Budget verhältnismäßig großzügig bemessen war. Dabei ließ sich fast immer die Kombination von gewünschter Wohnform und dem gewünschten Standort nicht realisieren, ohne auf ehemalige Sozialwohnungen zurückzugreifen. Die Wohnung in einem Gebäude, das noch immer mehrheitlich von Sozialmietern bewohnt wird, war also nicht unbedingt die erste Wahl, sondern wurde erst im Verhältnis zu den anderen Angeboten auf dem Markt attraktiv – weil sie heller, besser geschnitten oder im Detail besser gebaut war. Insbesondere die mangelhafte Qualität im Geschosswohnungsneubau zusammen mit den mittlerweile unerschwinglich hohen Preisen für traditionelle Reihenhäuser lassen die privatisierten Sozialwohnungen zu einer wählbaren Alternative werden. Ob dies so bliebe, wenn mehr Geschosswohnungsneubau in höherer Qualität entstünde, lässt sich nicht ohne weiteres beurteilen.
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6.2 A LLTAGSERLEBEN Neben der Abwägung zwischen Preis, Fläche und Standort, die eher die klassischen Eckpunkte für eine wirtschaftliche Investition beschreiben, ist auf Dauer vor allem das alltägliche Leben in einer bestimmten Wohnung entscheidend für die Zufriedenheit der Bewohner. Die zentrale Kategorie in den Äußerungen aller interviewten Bewohner war das alltägliche Erleben des Zuhauses, das in unterschiedlichen Facetten thematisiert wurde. Dabei wird die Möglichkeit, sich zuhause zu fühlen, nicht als selbstverständlich angesehen, sondern als das Ergebnis durchaus anstrengender Aneignungs- und Aushandlungsprozesse. Die Felder, auf denen diese Prozesse stattfinden, korrelieren lose mit den drei Ebenen, auf denen für die Standortentscheidung relevante Abwägungen getroffen werden (Markt, Alltagsorganisation, Stilfragen). Eine ganze Reihe von Faktoren für die Standortentscheidung und im täglichen Erleben sind durchaus rational erklärbar und auch verallgemeinerbar. Dazu gehören die auch in den neoklassischen Modellen bekannten Qualitäten auf der Ebene der Stadt: Zentralität, Anbindung und Ausstattung mit Wohnfolgeeinrichtungen. Auf der Ebene des Hauses spielen Fragen der Sicherheit, des Zustandes und der zu erwartenden Service Charges eine wichtige Rolle. Für die Wohnung selbst sind Zuschnitt, Preis und Größe die offensichtlichsten Kriterien, aber auch ein privater Außenraum, Aussicht, Helligkeit, Lärm oder Barrierefreiheit werden in den Abwägungsprozess einbezogen. Die Kriterien sind dabei nicht gleichwertig, sondern werden in einer gewissen Reihenfolge abgewogen (in der Auswertung „Art der Standortentscheidung“). Viele Eigentümer berichten, dass sie sich zuerst für das Quartier entschieden und dann unter den dort verfügbaren Wohnungen ihre Wahl getroffen haben. Gelegentlich waren auch mehrere Standorte in der engeren Wahl oder es gibt Kriterien, die unabdingbar sind, etwa ein privater Außenraum. Weitere Kategorien sind hier die Kinder- oder Altengerechtigkeit und in den Erzählungen der Bewohner immer wieder der Vergleich zu anderen Wohnungen im Haus oder zu anderen Standorten in der Stadt.
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Die für das Heimaterleben der Bewohner relevanten Prozesse lassen sich im Wesentlichen unter vier Achsenkategorien3 zusammenfassen: Ň die Positionierung auf einem von Knappheit geprägten Wohnungsmarkt, auf dem man trotz aller Widrigkeiten einen „guten Deal“ machen will Ň die äußeren Einflüsse und technischen Gegebenheiten, die auf das Wohnumfeld einwirken und sich von einzelnen Bewohnern kaum beeinflussen lassen Ň die Interaktion mit anderen Menschen im Umfeld der Wohnung Ň explizite Aussagen zu Lifestyle und Erlebniswert der Wohnsituation Die Achsenkategorien entsprechen wie folgt den drei Ebenen, entlang derer auch der Stand der Forschung dargestellt wurde: Die Ebene der Alltagsorganisation wird von den Achsenkategorien „Eigenleben der Dinge“ und „Soziale Interaktion“ beschrieben, wobei die Aspekte der Alltagsorganisation, die sich quantifizieren lassen und auf die Preisbildung der Immobilien einwirken, hier zur Achsenkategorie des Wohnungsmarktes gezählt werden, weil sie nicht nur im weitesten Sinne zu den Lagequalitäten einer Immobilie gehören. Die expliziten Aussagen zu Lifestyle und Erlebniswert können der Ebene der nicht-rationalen Beweggründe für die Wohnungswahl zugerechnet werden, wobei hier auch Aspekte aus den anderen Feldern relevant sind.
6.2.1
Auf der Jagd nach dem guten Deal
Diejenigen Bauten unter den untersuchten Fallbeispielen, die aufgewertet wurden, wurden aufgrund ihrer Erscheinungsform, ihrer Typologie und ihrer Eigentumsstruktur nicht gleichzeitig mit den sie umgebenden georgianischen oder viktorianischen Stadtvierteln aufgewertet. Trotz ihrer oftmals guten Lage waren sie als Bauten des sozialen Wohnungsbaus offenbar einerseits mit negativen Zuschreibungen behaftet, die einer Aufwertung entgegenstanden, andererseits standen Wohnungen in diesen Gebäuden vor der Einführung des Right to Buy den Käufern auf dem freien Markt 3 | Der Begriff der Achsenkategorie wird als die gängige Übersetzung des Begriffs „core category“ im Deutschen Sprachraum verwendet. Vgl. beispielsweise Böhm 2007 (2000), S. 478
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gar nicht zur Verfügung, kamen für diese Gruppe als Alternativen bei der Standortwahl nicht infrage und konnten insofern auch nicht von den typischen Gentrifizierern bezogen werden. In den vergangenen Jahren ist diese vermeintliche oder reale Stigmatisierung auch offiziell einer neuen Wertschätzung gewichen (beispielsweise daran erkennbar, dass einige Gebäude dieser Art in die Denkmalliste aufgenommen wurden), so dass Wohnungen in diesen Bauten mittlerweile als sichere Kapitalanlage angesehen werden können, sofern sie zum Verkauf angeboten werden. Dass diese Bauten heute auch für prototypische Gentrifizierer interessant geworden sind, beruht auch darauf, dass diese sie nicht in der ursprünglich vorgesehenen Weise, also als Familienwohnung, benutzen. Damit wird die ehemalige Sozialwohnung ein „guter Deal“. Dies wäre ohne die Entstehung neuer, urbaner Lebensstile nicht denkbar, unabhängig davon, ob diese auf veränderten Präferenzen, Distinktionsbewusstsein, Tertiärisierung, Pluralisierung oder Globalisierung beruhen. Dabei erzählt jeder einzelne Befragte aus der Gruppe der Käufer eine eigene Geschichte, in der der Markt immer eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle spielt. So berichtet ein Interviewpartner über seine Erfahrungen beim Wohnungskauf: „And I started making offers, and this went on for months. She was – she wasn’t totally honest, and she eventually got people to gazump 4 each other“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Und ein anderer berichtet: „The decision to buy is very often one of desperation after many renting situations. You know, it’s… it’s hard work and you say ‚I’ve got to buy‘. That’s how it is.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower 4 | In Großbritannien gibt es keinen mündlichen Vertrag. Dies führt in Phasen des Immobilienbooms zur Praxis des „gazumping“: obwohl ein Kaufinteressent ein verbindliches Angebot gemacht hat, kann der Verkäufer weitere, bessere Angebote akzeptieren und die Kaufinteressenten so dazu bringen, sich gegenseitig immer weiter zu überbieten. Da der Kaufinteressent, um den Kauf abzuwickeln, teure Gutachten einholen und Formalitäten abwickeln muss, können ihm durch diese Praxis erhebliche Kosten entstehen. In einer Phase des Überangebots kann ein Kaufinteressent auf dieselbe Weise Verkäufer gegeneinander ausspielen („gazundering“).
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Die Kategorie des Wohnungsmarktes ist zunächst besonders für die Käufer auf dem freien Markt relevant. Anders als zu erwarten, spielt der Wohnungsmarkt aber auch nach dem Kauf der Wohnung noch eine Rolle als Vergleichsmaßstab, etwa dafür, was andere für eine ähnliche Summe haben kaufen können oder dafür, ob die eigene Investition erfolgreich war. „So certainly for the money there was nothing else really that I can see that appealed as much.“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre
Selbst für diejenigen, die beim Kauf ihrer Wohnung gar nicht mit dem Markt konfrontiert waren, und sogar für Mieter, ist der Marktpreis ihrer Wohnung eine Bezugsgröße dafür, dass sie als Right-to-Buy-Eigentümer entweder ein gutes Geschäft gemacht haben oder als Mieter in einer Wohnung leben, die ihnen deutlich mehr bietet als sie auf dem Markt für dieselbe Summe bekämen. Zur Achsenkategorie des „guten Deals“ gehören die Kategorien, die sich auf die Ausstattung der Nachbarschaft mit öffentlichen und sozialen Einrichtungen, die ÖPNV-Anbindung, die Nebenkosten der Wohnung und andere quantifizierbare Eigenschaften, die in die Preisbildung einfließen, beziehen. Dass fast alle Interviewpartner ihre Positionierung auf dem Wohnungsmarkt als vorteilhaft empfanden, sagt dabei noch nichts darüber aus, ob ihre Position tatsächlich so vorteilhaft ist, denn wie bereits beschrieben, sind beispielsweise die Kosten für Renovierungsarbeiten unter Umständen erheblich und können Eigentümer stark belasten. Dafür, dass die Käufer eine ehemalige Sozialwohnungen sogar in einem immer noch vorwiegend von Sozialmietern bewohnten Haus als guten Deal empfinden, sind unter anderem die spezifischen Londoner Gegebenheiten des Immobilienmarktes und der Stadtproduktion entscheidend. Anders als in anderen Städten oder Ländern ist das Angebot an qualitativ hochwertigen Neubauwohnungen mager. Akzeptable, schon beim Bau als solche konzipierte Etagenwohnungen, wie die der deutschen Gründerzeit, gibt es aus historischen Gründen kaum. Erst in diesem Umfeld bekommen die ehemaligen Sozialwohnungen überhaupt die hohe Attraktivität, die sie für die Käufer haben.
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Für diese Annahme spricht, dass keiner der Käufer explizit eine Wohnung in einem Umfeld von Sozialmietern gesucht hat, sondern die Entscheidung sich immer erst in den individuellen Abwägungsprozessen herausgebildet hat, in die in fast allen Fällen auch andere Wohnungen einbezogen waren. Ebenfalls auffallend ist, dass es in der Reihenfolge der Abwägungen eine starke Präferenz für den Ort oder das Quartier gibt. Häufig fiel die Entscheidung für ein Quartier zuerst, dann wurde die Suche aufgenommen. Gelegentlich wurde auch in mehr als einem Quartier gesucht, wobei die unterschiedlichen Suchfelder trotzdem relativ stark eingegrenzt waren. „I specifically looked in this area, then at this block.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower „We were looking for somewhere around here“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Dazu kommt eine relativ starke Präferenz für die räumlichen Qualitäten der Wohnung, also nicht nur die Anzahl der Zimmer sondern Größe, Zuschnitt, Freiraum, Belichtung. „We wanted a space where we could have… a bit of outdoor space, we didn’t need a garden. We wanted somewhere that had… lots of light.“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre „I don’t like conversions, because the space is very poor. And they’re never a home. Whatever you can do to them, they’re not going to be a home“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Für die Käufer, die ihre Wohnung über das Right to Buy erworben haben, spielten diese Überlegungen keine Rolle, da sie nur die von ihnen bewohnte Wohnung kaufen konnten und ansonsten keine Wahl hatten. Häufig stand hier nicht einmal der Wunsch im Vordergrund, Wohneigentum zu erwerben. Bei denjenigen, die ihre Wohnung noch mit den großzügigen Rabatten der ersten Jahre des Right to Buy gekauft haben, war die monatliche Belastung durch den Kredit geringer als die Miete, so dass sie durch den Erwerb ihrer Wohnung sogar Geld sparen konnten.
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„…at the time it was cheaper to have a mortgage, especially with the reduction we got – we got a very big reduction – than pay rent. And that’s what I think decided most people. It certainly did decide me.“ Eigentümer (Right to Buy), Brunswick Centre
Von Gentrifizierung im eigentlichen Sinne kann man nur im Fall von Keeling House sprechen, da nur hier die alten Bewohner verdrängt wurden und neue, ökonomisch und sozial höherstehende Eigentümer eingezogen sind. Zumindest zum Teil hätten die früheren Bewohner es sicher vorgezogen, im Keeling House zu bleiben, auch wenn die Entmietung nicht betrieben wurde, um das Haus besser vermarkten zu können, sondern wegen bautechnischer Probleme. Im Fall von Trellick Tower und dem Brunswick Centre hat das Right to Buy und der anschließende Verkauf der privatisierten Wohnungen auf dem freien Markt zwar scheinbar den Beginn einer Gentrifizierung ausgelöst, allerdings wurden die Sozialmieter nicht verdrängt, sondern sie waren Agenten des Privatisierungsprozesses. Das Angebot für die Gruppe der Sozialmieter hat sich durch die Privatisierung dieser Wohnungen allerdings verkleinert und so dazu beigetragen, dass der Druck auf dem Sektor der sozialen Wohnungen zugenommen hat. Die ehemaligen Sozialmieter, die durch das Right to Buy gekauft hatten und nicht mehr in ihrer Wohnung wohnen, haben diese in den meisten Fällen freiwillig verlassen, weiter verkauft und dabei vor allem finanziell profitiert. Durch steigende Immobilienpreise und sinkende Zuschüsse für die Käufer von Sozialwohnungen ist der begonnene Privatisierungsprozess heute zum Stillstand gekommen. Sollten die jeweiligen Bezirke sich nicht dazu entschließen, die verbleibenden Wohnungen zu privatisieren, ist nicht davon auszugehen, dass es zu einem Austausch der angestammten Bevölkerung kommen wird, was ein Kennzeichen von Gentrifizierung im eigentlichen Sinne ist. Selbst wenn den Sozialmietern von Trellick Tower und Brunswick Centre an anderer Stelle Ersatzwohnungen angeboten würden, müsste man in vielen Fällen davon ausgehen, dass sie dieses Angebot freiwillig niemals annehmen würden, da diese beiden Beispiele zu den besonders attraktiven sozialen Wohnungsbauten in London gehören. Allerdings könnte die Verpflichtung der Eigentümer, zum Teil erhebliche Summen zur Instandhaltung der Gebäude beizutragen, dazu führen, dass die Eigentümer, die ihr „Right to Buy“ ausgeübt haben und vorher Sozialmieter waren, diese Kosten nicht mehr aufbringen können und so zum Verkauf ihrer Eigentumswohnungen gezwungen werden. Dies wäre das
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einzig vorstellbare Szenario einer Gentrifizierung, bei der Bewohner ihre Wohnung verlassen müssten, weil sie die steigenden Kosten nicht mehr aufbringen können, nicht aufgrund politischer Entscheidungen. Aber nur der relativ kleine Anteil der bereits privatisierten Wohnungen wäre davon überhaupt betroffen und die Betroffenen könnten immer noch einen erheblichen Reingewinn aus dem Verkauf verfügen, mit dem sie sich auf dem freien Markt an anderer Stelle problemlos versorgen könnten. Für die Sozialmieter können der Gentrifizierung ähnliche Probleme außerdem daraus erwachsen, dass ihre Wohnungen sich in Gebieten befinden, die in den vergangenen Jahren einer erheblichen Aufwertung unterworfen waren, was auch dazu geführt hat, dass die Zusammensetzung des Einzelhandels sich verändert hat und die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs teurer geworden ist. Ein Beispiel hierfür ist, dass nach der Sanierung des Brunswick Centres anstatt des als günstig geltenden Safeway-Supermarktes ein Waitrose-Supermarkt eingezogen ist, der Produkte im oberen Preissegment anbietet. Strukturell wird der Wohnungsmarkt zudem nicht nur von Angebot und Nachfrage beeinflusst, sondern auch von politischen Entscheidungen. In den hier untersuchten Fällen waren politische Entscheidungen jeweils ausschlaggebend für die Entwicklung der Gebäude. Als erste und wichtigste Rahmenbedingung sei hier das Right to Buy genannt, durch das die Privatisierung von Sozialwohnungen überhaupt erst in Gang gebracht wurde. Auch die unterschiedlichen Verbesserungen der Sicherheit oder der Aufzüge wäre ohne entsprechende staatliche Förderprogramme nicht durchgeführt worden, und ohne sie wären die Gebäude für die Investoren aus der Mittelschicht nie zu akzeptablen Wohnstandorten geworden.
6.2.2 Das Eigenleben der Dinge Technik und Management: Im Bauch der Maschine Alle hier untersuchten Gebäude sind über 30 Jahre alt und folglich entspricht ihre ursprüngliche technische Ausstattung nicht mehr dem heutigen Stand. Aus verschiedenen Gründen wurden beim Bau auch Lösungen realisiert, die sich über die Zeit der Nutzung als nicht alltagstauglich erwiesen haben. Anders als bei Reihenhäusern oder kleinen Wohnanlagen, lässt sich die technische Infrastruktur in den hier untersuchten, großen Gebäuden nicht ohne weiteres austauschen und schon gar nicht von einzelnen
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Bewohnern verändern. Diese sind bei Reparaturen auf Handwerker angewiesen, die sich mit den Eigenheiten des Gebäudes auskennen oder, sofern sie Mieter sind, auf den guten Willen der öffentlichen Wohnungsverwaltung. Das Management der Gebäude ist ein weiterer äußerer Einfluss, der der unmittelbaren Einwirkung der Wohnungsmieter und Eigentümer entzogen ist. Zwar ist die Verwaltung auch im sozialen Wohnungsbau häufig privatisiert, so lange die öffentliche Hand allerdings die Mehrheit der Wohnungen sowie das Grundeigentum hält, müssen komplizierte Vergaberichtlinien und Rahmenverträge beachtet werden, die jede Reparatur teurer und langwieriger machen als es für einen privaten Eigentümer der Fall wäre. Für die privaten Eigentümer kommt als weitere Unsicherheit hinzu, dass sie die zusätzlichen Kosten, die durch die an öffentliche Vorgaben gebundene Verwaltung entstehen, anteilig mit tragen müssen. Rücklagenfonds wie sie in Deutschland bekannt sind, gibt es nicht (oder nicht mehr), und die Kosten für Renovierungen müssen von den jeweils aktuellen Eigentümern getragen werden. Zwar gibt es eine Schlichtungsstelle, die in Streitfällen darüber entscheidet ob Reparaturen notwendig und angemessen sind, aber das Verfahren wird häufig als intransparent und ungerecht empfunden. Diese Faktoren führen dazu, dass die Gebäude aus der Sicht der Mieter und vor allem der Einzeleigentümer (Leaseholder) ein nicht vollständig kontrollierbares Eigenleben führen. Der Denkmalschutz, der dieses Eigenleben noch verstärken könnte, wird dabei allerdings weniger als Belastung empfunden, sondern als Schutz vor allzu willkürlichen Baumaßnahmen der Grundstückseigentümer (Freeholder). Die Entscheidung für das Leben in einer Wohnmaschine heißt also auch, dass man die Entscheidungsgewalt über sein unmittelbares Umfeld zu einem gewissen Teil abgibt. Anders als in einem Reihenhaus kann die technische Ausstattung nicht einfach verändert werden und die Besonderheiten der Installationen, beispielsweise zu schwache Sicherungen, schwankender Wasserdruck, nicht regulierbare Heizungen und dergleichen müssen von den Eigentümern ertragen werden und lassen sich oft nicht einmal mit sehr viel Geld beheben. „…there’s the water pressure, there are all these boring issues, that, kind of… that side of things is difficult.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
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Ebenfalls kaum von den einzelnen Wohnungseigentümern beeinflussbar sind die Verwaltung und das Management der Gebäude, wozu auch Instandhaltung und Renovierungsarbeiten gehören. Im allgemeinen sind alle Bewohner mit diesem Aspekt des Wohnens unzufrieden, können aber relativ wenig ausrichten. Bewohner des Trellick Tower sehen die Verwaltung in der Verantwortung für den schlechten Zustand des Gebäudes: „Physically, the council is responsible for most of the vandalism to the place.“ Eigentümer (Right to Buy), Trellick Tower „There were… a lot of problems that were created by the management of the building.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Die daraus erwachsenden Schwierigkeiten, die Haustechnik und das Umfeld zu kontrollieren, gehören zu den unbestrittenen Nachteilen, wenn man eine privatisierte Sozialwohnung in einer Wohnmaschine kauft. Mindestens ebenso nachteilig sind die ebenso unkontrollierbaren Kosten, die im Falle von Renovierungsarbeiten auf die Eigentümer zukommen. „…for a spend of about twenty million pounds to do the whole building – at great costs for the leaseholders. Fifty thousand pounds they wanted for the slightly larger flats, from each one.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower „There’s also the problem of the proposed major works […] because it’s potentially a big chunk of money extra… which I’m trying not to think about at all.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower „Oh yes, well, all the owners of course will have to pay their share. And … and a lot of the owners are kicking out the butt having to pay their contribution, Camden having to deal with every single one, one by one.“ Eigentümer (Right to Buy), Brunswick Centre
Die Bewohner werden vor größeren Renovierungen zwar konsultiert, können vieles aber nur hinauszögern, nicht verhindern. Insofern ist es nicht überraschend, dass in den Bewohnervertretungen überdurchschnittlich viele Eigentümer vertreten sind, für die die Sicherheit ihrer Investition auch
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davon abhängt, dass das Gebäude insgesamt in einem guten Zustand ist und auf die im Falle umfangreicher Renovierungsarbeiten erhebliche Kosten zukommen. Die Arbeitsbelastung ist groß und wie ein Eigentümer sagte: „You wouldn’t do it unless you had money involved“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre
Es lässt sich aber auch feststellen, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den erfolgreichen und den weniger erfolgreichen Projekten darin besteht, dass das „Eigenleben“ der Gebäude zu einem gewissen Teil unter Kontrolle gehalten werden kann. Dazu gehören insbesondere eine funktionierende Zugangskontrolle und zuverlässige Aufzüge. Dies sehen sowohl die Bewohner so, als auch diejenigen, die sich professionell mit Wohnungsbau befassen. „The lifts are old. And if it wouldn’t gonna come down, I think they’d have to spend a lot of money on new lifts“ Mieter, Aylesbury Estate
Etwas weniger entscheidend aber dennoch wichtig sind Hygiene und Müllentsorgung, die ohnehin weniger problematisch sind, wenn nicht jedermann Zutritt zu den Gemeinschaftsbereichen hat. „If you’ve got a porter, a good maintenance company, the lifts work then people feel positive about the building. And it’s the reason why people didn’t feel positive about it when it was run by the council. The lifts never worked, people used to urinate […] on the steps, there was no privacy, there was no security. When you provide all these things people will feel happy.“ Projektentwickler, Keeling House
Für Trellick Tower ist neben der Sanierung der Aufzüge und der Einrichtung des Concierge auch die „Difficult to let“ Politik, die der Bezirk Kensington & Chelsea der 1980er Jahre verfolgte, entscheidend gewesen, da sie es einigen Begeisterten ermöglicht hat, in das Haus zu ziehen, die unter anderen Umständen kein Recht auf eine Sozialwohnung gehabt hätten. Gerade diese Bewohner haben sich dann wiederum für das Haus engagiert, wie zum Beispiel der Architekt Mick Merhemitch, der in verschiedenen Artikeln der Tagespresse erwähnt wird.
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Weitere Programme waren unterschiedlich erfolgreich. So wurden Sicherheitsmaßnahmen im Trellick Tower über ein Förderprogramm finanziert, im Brunswick Centre wurden auch ohne Förderung Zugangskontrollen eingebaut. Zudem war hier die Installation von Concierges nicht nötig, während eine einfache Gegensprechanlage im Trellick Tower zunächst ohne Wirkung blieb. Ähnliches gilt für das Problem der Obdachlosen, das im Brunswick Centre durch eine gemeinsam Anstrengung von Bewohnern, Council, Polizei und verschiedenen Hilfseinrichtungen gelöst wurde, während es ein ähnliches Vorgehen gegen Drogenmissbrauch im Trellick Tower nicht gab und im Aylesbury Estate zwar eine Verbesserung der Lage eingetreten ist, nicht aber keine generell verbesserte Akzeptanz des Estates zur Folge hatte. Das Eigenleben der Dinge kann aber auch Sozialkontakte fördern und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen. Wo andernorts über das Wetter gesprochen wird, werden in den Wohnmaschinen das Management, die Renovierungspläne oder die unberechenbare Heizung zu Themen des Smalltalks. So wird im Trellick Tower schon seit Jahren versucht, den Einbau neuer Fenster zu verhindern, die sich nicht nur technisch sondern auch optisch von den Originalfenstern unterscheiden. Das Engagement gegen die neuen Fenster eint Eigentümer und Mieter gleichermaßen und ist auch ein Anlass, um mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Ein Eigentümer, der erst seit einigen Jahren im Trellick Tower wohnt, hat durchaus positive Erinnerungen an die Aktivitäten der Bewohner: “The windows, I think they brought a lot of people together. […] I was helping out with a petition, about the windows. And that was really nice, ’cause it gave me an opportunity to go into people’s homes, and say hello, and learn their names.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Auch andere Verbesserungen, etwa die Einführung des Concierge vor mehr als zehn Jahren, waren das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen.
Soziale Interaktion: Die Menschen rundherum Eine verwandte Achsenkategorie ist die soziale Interaktion zwischen den Bewohnern. Dazu gehört die Interaktion zwischen den Bewohnern selbst, zwischen den Bewohnern und der Nachbarschaft, aber auch zwischen den Bewohnern und Außenstehenden, beispielsweise Freunden oder Kollegen, die auf das Haus oder die Umgebung reagieren, wenn sie
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zu Besuch kommen oder davon hören, in welchem Umfeld der jeweilige Interviewpartner lebt. Der Kontakt der Bewohner untereinander wird häufig als eine angenehme Mischung aus Verbindlichkeit und Anonymität beschrieben, die eine Besonderheit des Lebens in einem sehr großen Haus zu sein scheint. „And without ever intruding in each others, you know, it’s a close-knit little community here. You could knock on anybody’s door if you needed help. To know that people are there, without all that dropping in for cups of coffee and tea,…“ Eigentümer (Right to Buy), Brunswick Centre „Yeah, I know my neighbours now, we chat. And… we don’t live in each other’s pockets at all. One neighbour’s got a key… After a time you built up neighbourliness, yeah.“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre
Nur im Fall des Aylesbury Estate hat diese Art des Miteinanders offenbar vorwiegend in der Vergangenheit gegeben, während heute die Anonymität überwiegt. „I think… community-wise it fell apart“ Mieter, Aylesbury Estate „We settled in ok. We knew the neighbours, the tenants that were here already, you know. We got on well with them, no problems, you know. And you knew your neighbours. Today I don’t think it’s like that, I mean… the girl, I don’t know where she is […] I couldn’t tell you who lives the other side. Now, dear, I do see people, they’re strangers, you know“ Mieter, Aylesbury Estate
Sowohl Käufer als auch Mieter haben in ihren jeweiligen Umfeldern positive oder negative Reaktionen auf ihre Standortwahl erfahren. Während negative Erfahrungen bei den Mietern gelegentlich auch darauf zurückzuführen sein mögen, dass es eine Art Stigma angesehen wird, sich nicht selbst auf dem freien Markt versorgen zu können, spielen bei den Käufern eher die Erwartungen des Umfelds an einen standesgemäßen Wohnstandort eine Rolle.
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„My mother was devastated. She’s one of these Socialist heroes. She was just not imagining her daughter living like that… she was imagining me as somewhere people live in big mansions and not in a council building.“ Mieter, Trellick Tower
Sofern die Käufer sich jedoch in einem akademischen Umfeld mit einer gewissen Affinität zur Kreativität bewegen, sind zustimmende Bemerkungen die Regel. „I think that hmm… depends on what social circle people are in. So architects, friends of mine, photographers – I hate, I really hate to say it, but it seems like they’re the kind of… middle class people seem to appreciate its history and heritage.“ Eigentümer (von außen), Keeling House „They’re all like ‚Wow, you live in the Brunswick, that’s cool!‘“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre
Dabei ist jedoch festzuhalten, dass negative Kommentare in fast allen Fällen nur von Familienangehörigen der älteren Generation berichtet wurden, nur in einem einzigen Fall gab es auch im Freundeskreis des Interviewpartners Vorbehalte gegen das Haus. One of my friends is a lord, but he’d kind of pull his nose up when he sees Trellick Tower, he wouldn’t come here really. Eigentümer (Right to Buy), Trellick Tower
Durch die Art der Nachbarn wird innerhalb des Hauses auch die Kategorie Sicherheit beeinflusst. Dies fängt bei der Tatsache an, dass die Anwesenheit von anderen Menschen in unmittelbarer Nähe Sicherheit gibt. I mean, I think it’s crazy that people don’t understand the kind of security that one has mentally. […] there’s something really nice about being lifted off: So, you don’t feel like you’re down there in the city, you’re kind of… you’re in a space that’s calmer, and you’re surrounded by people – who may be bonkers, but, you know, they’re still people. Eigentümer (von außen), Trellick Tower
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Die Nachbarn können aber auch das Gefühl von Unsicherheit vermitteln, wenn sie unbekannt sind oder als kriminell wahrgenommen werden. „I’ve seen people who’ve been stabbed in the in the foyer, and that kind of thing. But I haven’t found that much goes on inside. Perhaps because they don’t want to do it in their own environment.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Daneben trägt ein freundlicher Umgang untereinander generell dazu bei, dass die Bewohner sich heimisch und gut aufgehoben fühlen. Dass viele Außenstehende anstatt dieses nachbarschaftlichen Umgangs erwarten, dass zwischen den Bewohnern ein anonymes Verhältnis herrscht, ist dabei vielen klar. „Yes, when I think about my other friends in London, I think that they are actually more isolated than people in this high building, although we’ve got services which are applyable for people who are living in high buildings…“ Mieter, Trellick Tower
Im Keeling House halten die Bewohner über eine Mailingliste Kontakt zueinander. Diese Art der Kontaktpflege scheint relativ unpersönlich zu sein, dennoch gibt sie den Bewohnern das Gefühl, immer über alle wichtigen Entwicklungen informiert zu sein. „And interestingly there is […] an e-mail network for Keeling House, and that creates a sense of community in the building as well, because you get to know when there is some kind of issues with security or porter or whatever it is.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Möglicherweise spielt es für das Funktionieren der Mailingliste eine Rolle, dass Keeling House vollständig privatisiert ist und dass fast ausschließlich Berufstätige dort leben. Zudem gibt es fast keine Kinder im Haus und dementsprechend fällt ein weiterer Anlass weg, persönliche Kontakte zu knüpfen. Allem Anschein nach arbeiten auch bei im Haus lebenden Paaren meistens beide Partner, wegen der von Anfang an hohen Wohnungspreise eher in der Privatwirtschaft und in Berufen, die lange Arbeitszeiten begünstigen.
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Auch die Nachbarn sind ein Teil des Alltags, auf den der einzelne Bewohner relativ wenig Einfluss hat. Allerdings sind die Nachbarn in einer Wohnmaschine deutlich näher, und es sind deutlich mehr als etwa in einem umgenutzten Reihenhaus oder in einer Straße mit nicht unterteilten Reihenhäusern. Dass ein großer Teil der Nachbarschaft aus Sozialmietern besteht, heißt in der heutigen Situation auch, dass viele dieser Nachbarn Probleme haben, da nur die Bedürftigsten überhaupt eine Chance auf eine der knappen Sozialwohnungen haben. Diese Nähe zu Sozialmietern wird zumindest von einigen Käufern durchaus als Malus empfunden. „And they put in a kind of very bottom level of society, very vulnerable people, people with AIDS or people – immediate immigrants and that kind of things.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Dieser Malus kann allerdings offenbar durch andere Qualitäten, namentlich die Lage und die räumlichen Qualitäten der Wohnungen, aufgewogen werden – zumindest für die hier interviewten Käufer.
6.3 I NFORMIERTE K ONSUMENTEN 6.3.1 Distinktionsmuster: Der moderne Connaisseur In seiner Untersuchung „Die feinen Unterschiede“ entwickelte Pierre Bourdieu ein detailliertes und differenziertes Konzept der Distinktion.5 Er untersucht die Art und Weise, wie Menschen ihre Wohnungen einrichten, welche Kulturveranstaltungen sie besuchen, welchen Freizeitaktivitäten sie nachgehen, welche Musik sie hören und viele weitere Aspekte des Alltaglebens, anhand derer sich die Klassenzugehörigkeit festmachen lässt und die anderseits dazu dienen, die Klassenidentität zu stärken. Bourdieu unterscheidet die Arbeiterklasse, das Kleinbürgertum und die Bourgoisie, was der in Großbritannien immer noch gebräuchlichen Klasseneinteilung in working class, middle class und upper class (mit den Unterkategorien lower/upper middle class) entspricht. Bourdieus Distinktionskonzept geht dabei immer davon aus, dass die höheren Klassen 5 | Bourdieu, Pierre (1982; orig.1979): Die feinen Unterschiede. Frankfurt a.M.
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sich gegenüber den niedrigeren Klassen abgrenzen müssen, während die niedrigeren Klassen versuchen, in eine höhere Klasse aufzusteigen, etwa durch Bildung. Die Distinktionsmechanismen der oberen Klassen beruhen aber auf Praktiken, die außerhalb der Schulbildung liegen und die daher kaum überwunden werden können. Die Vorstellung, dass auch die Wahl des Wohnstandorts ein Distinktionsmerkmal sein kann, lässt sich nur auf die Wohnstandortwahl derjenigen anwenden, die auf dem freien Markt Eigentumswohnungen gekauft oder gemietet haben, da nur sie eine echte Wahl zwischen Alternativen hatten – im Gegensatz zu Sozialmietern oder den ehemaligen Sozialmietern, die ausschließlich die von ihnen bewohnte Wohnung kaufen konnten. Im Zusammenhang mit der Wohnungswahl von Distinktion zu sprechen bedeutet nicht, dass das Distinktionsbedürfnis der ausschlaggebende Faktor für die Entscheidung ist oder war, sondern dass das Distinktionspotenzial des Wohnstandorts ein zusätzlicher Gewinn sein kann, zusätzlich zu den „rationalen“ Kriterien wie Lage und Zuschnitt der Wohnung. Es liegt in der Natur dieses Konzepts, dass es in den Interviews selten direkt angesprochen wurde, aber dennoch immer wieder implizit auftauchte, etwa im Vergleich mit anderen Optionen. Dabei geht es weniger darum, bestehende Klassenmuster zu festigen, was ja gerade nicht dadurch geschehen kann, dass Angehörige der Mittelschicht sich Räume der Arbeiterklasse aneignen. Vielmehr heben sich die hier getroffenen Standortentscheidungen gerade von den Erwartungen der Mittelschicht ab, werden aber dennoch als überlegen eingeschätzt. Diese Überlegenheit besteht zum einen darin, dass die Raumgrößen, Zuschnitte und/oder die Belichtung besser sind als in anderen Wohnungen, die im Laufe der Suche besichtigt wurden. „The architectural qualities of the place, the qualities of the space in a place are unique, really, pretty much unique.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Die hier untersuchten Häuser unterscheiden sich von anderen Angeboten auf dem Markt zusätzlich auch durch die Geschichte, die sie erzählen und die sie in gewisser Weise einmalig – und damit überlegen – macht. Während die meisten historischen Stadthäuser das Ergebnis kommerzieller Immobilienspekulation sind, sind die sozialen Wohnungsbauten gerade außerhalb der kommerziellen Projektentwicklung entstanden. Selbst wenn
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die Sanierung und Privatisierung von Keeling House eine kommerzielle und zudem für den Investor sehr lukrative Unternehmung war, bleibt die gebaute Utopie von einst doch erkennbar und erlebbar. „So we looked at places […] with some kind of unique character to it, with some kind of story to tell. […] We didn’t want a traditional Victorian house or semidetached house.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Auch der Denkmalschutz eines Hauses wird als nobilitierend empfunden und hebt die eigene Auswahl über die des Durchschnitts. Der Denkmalschutz ist sozusagen die offizielle, staatliche Bestätigung, dass ein Gebäude nicht nur dem persönlichen Geschmack entspricht, der in den hier untersuchten Fällen ja von dem des Durchschnitts abweicht, sondern auch dafür, dass es auch historisch so bedeutend ist, dass es für die Nachwelt erhalten werden soll. „And of course it’s always nice to mention it’s listed“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Nicht zuletzt wird auch das alltägliche Leben in einer Wohnanlage in gewisser Weise als dem im Stadthaus überlegen angesehen. Insbesondere scheinen die Wohnmaschinen eine besondere Mischung aus Privatheit und Gemeinschaft zu bieten, die es den Bewohnern erlaubt, sich in ihre Wohnung zurückzuziehen und dort von den Nachbarn ungestört zu sein und gleichzeitig in einer Art Dorf zu leben, in dem sie ihre Nachbarn kennen und auf den Korridoren und im Aufzug bekannte Gesichter sehen. „So it’s in a way friendlier living here than down the road“ Eigentümer (Right to Buy), Trellick Tower „You can keep yourself to yourself if you want. on the other hand there’s always people you can talk to if you want.“ Mieter, Trellick Tower „And without ever intruding in each others, you know, it’s a close-knit little community here.“ Eigentümer (Right to Buy), Trellick Tower
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Das Distinktionspotenzial einer privatisierten Sozialwohnung erschließt sich natürlich nur denjenigen, die auf dem freien Markt gekauft haben und die Wohnung auswählen konnten, oder die als Right to Buy Eigentümer finanziell ausreichend gut gestellt sind, um sich theoretisch auch eine andere Wohnung kaufen zu können. Dennoch vergleichen auch die Sozialmieter ihre Wohnung mit anderen Wohnungen, die sie kennen und sehen die Vorteile. Lediglich im Aylesbury Estate waren keine Distinktionstendenzen zu erkennen, es konnten auch keine Eigentümer, die ihre Wohnung auf dem freien Markt gekauft hatten, interviewt werden. Ein Experte war der Ansicht, dass der Grund dafür darin liegt, dass Wohnungen, die auf den Markt kommen, zwar schnell einen Käufer finden, diese die Wohnungen dann aber meistens nicht selbst nutzen, sondern sie weiter vermieten. Durch die Auswahl der übrigen Fallstudien könnte man nun zu der Annahme verleitet werden, dass der Denkmalschutz überhaupt erst der Grund für das Distinktionspotenzial dieser Bauten ist. Diese Annahme könnte nur dann abschließend widerlegt werden, wenn mindestens zwei weitere Fallstudien in dergleichen Intensität untersucht würden, wie die hier betrachteten. Die Untersuchungen von Richard Baxter zum Hochhauswohnen in London6 legen dennoch nahe, dass auch in Systembauweise errichtete Wohnhochhäuser zu sehr hoher Wohnzufriedenheit führen können, so dass die These, dass nur Gebäude die architektonisch bedeutend genug sind um unter Denkmalschutz gestellt zu werden, überhaupt ein Distinktionspotenzial haben, nicht ohne weiteres zutrifft.
6.3.2 Erlebnisorientierung: Die Stadt als Turnschuh Wie Gerhard Schulze in seinem Buch Erlebnisgesellschaft7 dargestellt hat, hat heute jede Form des Konsums immer auch einen Erlebniswert, der über den Gebrauchswert hinausgeht. Dies gilt zweifelsohne auch für die Wohnung, auch wenn Schulze diesem Feld des Konsums kaum Beachtung schenkt. Das „gute Leben“, das Ziel der geglückten Existenz ist, drückt sich auch in der unmittelbaren Wohnumgebung aus. Anders als 6 | Edrich House ist ein Systembau in Lambeth und belegt in Baxters „livability index“ den dritten Platz (Baxter 2007, S. 126). 7 | Schulze (1992)
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Bourdieu arbeitet Schulze nicht mehr mit Klasseneinteilungen, sondern mit Lebensstilen, die sich relativ unabhängig von der Altersstruktur entlang ähnlicher Weisen des Erlebens etablieren. Gerade vor dem Hintergrund dass diejenigen, die ihre Wohnung auf dem freien Markt gekauft haben, sich auch für einen Standort mit einer Sozialstruktur entschieden haben, die von der ihrer unmittelbaren Umgebung abweicht, legt nahe, dass sich auch ihr Erleben dieser Umgebung von dem Erleben „normaler“ Standorte unterscheidet. Wie die Distinktionsstrategien, werden auch die Erlebnispotenziale der Standortwahl von den Befragten selten explizit gemacht, gleichzeitig gibt es aber Geschichten und Äußerungen, die darauf hindeuten, dass nicht rationale Aspekte in der Beziehung zum Wohnstandort eine Rolle spielen. Ein gutes Beispiel für dieses Erleben ist ein Käufer, der immer wieder beschreibt, wie seine Meinung über Trellick Tower sich zum Positiven verändert hat: „And my flatmate and I, who currently lives with me, he – we were working through the estate agents’ listings, and there was this picture of this horrible concrete pillar, and I was like: ‚Who would live there? That’s disgusting!‘. And he was like: ‚Look at the proportions of the rooms, and look at…‘, you know, like: maybe we could just have a look. And I thought it might be nice to go and have a look at the views over London, and just see what it was like. And it was on a gorgeous July sunny day, and I went to see flat one-seven-five I think, and the woman who lived there had been there for at least fifteen years, twenty years – quite a long time. She had done the flat up, so it looked totally – it wasn’t what I was expecting. And it was a gorgeous sunny day, the balcony was open, we sat on the balcony an had… and I was like: ‚Oh my god, I think I love this place, it’s amazing!‘ And then I left and I decided I really wanted it.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Auch nach dieser ersten Annäherung an das Haus, bei der die inneren Qualitäten der besichtigten Wohnung eine wichtige Rolle gespielt haben, ändert der Betreffende seine Meinung weiter, etwa über die ästhetischen Qualitäten des Gebäudes, dass damals schon seit einigen Jahren unter Denkmalschutz stand. „And I think that its ugliness is – I mean, it’s what I find very beautiful now. But at first, I admit, when I came here, I thought it was ugly.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
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In ähnlicher Weise wiederum ändert der Befragte auch seine Sicht auf die Mitbewohner. „And I remember particularly, it was the first or second time my sister came to stay, and there was this gang of youths wearing hoodies in the porch – in the lobby downstairs. And I was thinking: oh my god, I hope she – I hope they don’t say anything to her – and they went and opened the door for her. And it kind of really shocked me to think that, you know.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Diese Komponente der Bereicherung durch das Andersartige wird auch von anderen Interviewpartnern erwähnt, entweder durch die Mitbewohner im Haus selbst, oder im Fall von Keeling House, das komplett privatisiert ist, durch die Umgebung. „So we grew to like the whole neighbourhood and atmosphere of this part of London and by that I mean the fact that it’s vibrant, it is interesting in terms of social life and artistic events that happen.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Für diese Personen bietet ihr Wohnstandort also eine interessante Bereicherung ihres Alltagslebens, ohne dass es dabei auf die Abgrenzung zu ihrem sonstigen Umfeld oder die relative Andersartigkeit ihrer Wahl ankommt. „I mean, that, from a lifestyle point of view, makes such a difference“ Eigentümer (von außen), Brunswick Centre
„Lifestyle“ bezieht sich in diesem Fall auf die Nähe zur Arbeit, zu Kneipen und Bars, die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, die auch dadurch vielfältiger werden, dass weniger Zeit mit Pendeln verbracht werden muss. Hier spielt also weniger das spezielle Umfeld des sozialen Wohnungsbaus eine Rolle, sondern ganz allgemein die Lage der Wohnung in der Stadt, die einen höheren Erlebniswert garantiert als ein eher suburbaner Standort es täte.
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6.3.3 Auf der Suche nach Authentizität: Das urbane Schäferidyll In einer weiteren Lesart lässt sich die Attraktivität des Wohnens in einer privatisierten Sozialwohnung auch als eine romantischen Verklärung des guten, echten Arbeiterlebens verstehen. Dabei nimmt das Arbeiterleben eine ähnliche Rolle ein, wie das Landleben in den pastoralen Erzählungen der Romantik. Der Literaturwissenschaftler William Empson übertrug 1935 den Begriff der Pastorale auf die Arbeiterliteratur.8 Empson versteht eine Pastorale als eine Erzählung, die das Landleben in einer stark idealisierten und ästhetisierten, idyllischen Weise beschreibt9 und in der sich daher eine klare Unterscheidung zwischen dem beschriebenen Objekt und dem beschreibenden Subjekt manifestiert.10 Dabei ist der Beschreibende notwendigerweise sozial höherstehend als das beschriebene Objekt, tut aber so, als ziehe er die „einfachen“ Wahrheiten im Leben seines Objekts vor.11 Das „urbane Schäferidyll“ wäre demnach eine Umgebung, in der die „einfachen aber ehrlichen“ Mitglieder der Arbeiterschicht den Hintergrund für das von der Mittelschicht imaginierte „echte“ urbane Leben abgeben. Die
8 | Empson 1974 (1935) 9 | „The essential trick of the old pastoral, which was felt to imply a beautiful relation between rich and poor, was to make simple people express strong feelings (felt as the most universal subject, something fundamentally true about everybody) in learned and fashionable language (so that you wrote about the best subject in the best way). […] “ (ebd., S. 11) 10 | „…most fairy stories and ballads though ‚by‘ and ‚for‘ are not ‚about‘ whereas pastoral though ‚about‘ is not ‚by‘ and ‚for‘“ (ebd., S. 6) 11 | „The simple man becomes a clumsy fool who yet has better ‚sense‘ than his betters and can say things more fundamentally true; he is ‚in contact with nature‘, which the complex man needs to be, so that Bottom is not afraid of the fairies: he is in contact with the mysterious forces of our own natur, so that the clown has the wit of the unconscious; he can speak the truth because he has nothing to lose.“ (ebd., S. 13) „Thus both versions [of pastoral], straight and comic, are based on a double attitude of the artist to the worker, of the complex man to the simple one (‚I am in one way better, in another not so good‘), and this may well recognise a permanent truth about the aesthetic situation.“ (ebd., S. 14)
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Zumutungen dieser sogenannten „echten“ Urbanität werden dabei durch ausreichenden Wohlstand komfortabel abgepolstert. Diese Übertragung des Pastoralen auf den urbanen Kontext ist nicht grundlegend neu, sondern findet sich beispielsweise im Kontext der Boheme seit dem 18. Jahrhundert, wie sie unter anderem von Helmut Kreuzer in seiner Geschichte der Boheme beschrieben wurde.12 Für Kreuzer wurzelt die Boheme-Bewegung geistesgeschichtlich im „Rousseauismus mit seiner Zivilisationskritik und seinem Naturbegriff“,13 wobei nicht die Armut für die Definition des Bohemiens entscheidend ist, „sondern ein bestimmter, intentionell unbürgerlicher Stil seines Lebens (der sich allerdings nicht unabhängig von den materiellen Existenzbedingungen der Armutsboheme ausformt) in der Verbindung mit gegenbürgerlicher Einstellung.“14 Ähnlich wie die idealisierte, romantische Vorstellung vom arkadischen Landleben, sympathisiert die Boheme „mit den ‚Erniedrigten und Beleidigten‘ jeder Art, unterprivilegierten Rassen, Nationen, Klassen, aber mindestens im gleichen Maße mit den Randgruppen, die Marx verächtlich als ‚Lumpenproletariat‘ bezeichnet hat – mit den Vagabunden, die man exotistisch glorifiziert, z.T. auch den Kriminellen, den Prostituierten und Zuhältern. Diese erscheinen – wie die Homoerotiker – der Boheme als verwandte Außenseiter, Träger einer freieren Moral des Individuums oder Opfer einer doppelten Moral der Gesellschaft.“15 Für Kreuzer offenbaren auch die Reisen (oder die Träume davon) der „bürgerlich-unbürgerlichen Intelligenz […] ästhetisches, rousseauistisches oder vitalistisches Verlangen nach dem Reiz des Fremden, noch unbekannten, der regressiven Befreiung in der Sensation des Abenteuers, dem primitivistischen Erlebnis einer arkadisch anmutenden Landschaft, einer für archaisch oder ‚natürlich‘ gehaltenen Gesellschaftsform.“16 Julian Stallabrass hat dieses Konzept exemplarisch auf die Young British Artist angewandt.17 und gezeigt, dass viele dieser Künstler ihre intellektuelle Überlegenheit gegenüber ihren Objekten im Sinne eines pastoralen Blickes ausspielen, ebenso wie die Betrachter dieser Bilder, die offensichtlich nicht 12 | Kreuzer 1968 13 | Ebd., S. 45 14 | Ebd., S. 43 15 | Ebd., S. 50 16 | Ebd., S. 224 17 | Stallabrass 1999, S. 237 ff.
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zu der abgebildeten Schicht gehören oder an den abgebildeten Orten leben müssen etwas in Richard Billinghams Arbeit „Ray’s a Laugh“, in der er seine eigene Unterschichtfamilie ästhetisiert oder in Ruth Blees Luxemburgs Nachtfotos von Council Estates. Abbildung 7: „Vertiginous Exhilaration“ und „Towering Inferno“ von Rut Blees Luxemburg zeigen Londoner Council Estates
Quelle: www.artnet.com (2. August 2011)
Abbildung 8: „Ray’s a laugh“ von Richard Billingham zeigt seine offensichtlich zur Arbeiterschicht gehörenden Eltern.
Quelle: www.squidgemag.com (12. Februar 2010)
Dass der pastorale Blick auf das „Andere“ nicht nur den Künstlern vorbehalten ist, hat Rolf Linder hat in seiner Arbeit zu den Forschungen der Chicago School gezeigt. Die Beliebtheit von „Little Italy“ in den ethnografischen Studien der Chicago School rührt für Lindner auch aus dem, was die Ethnografen in „Little Italy oder Little Sicily suchen und selbstverständlich finden: […] ihr Arkadien, ihre pastorale Idylle mit einfachen, aber glücklichen und liebenswerten Menschen“18 Dass „das italienische Viertel gewissermaßen pars pro toto für das urbane Dorf genommen wird“, liegt laut Lindner „daran, dass es das urban pastoral schlechthin darstellt, das
18 | Lindner 2004, S. 159
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aufgrund seines öffentlichen Charakters den unschätzbaren Vorteil besitzt, unmittelbar zugänglich zu sein.“19 Auch ohne direkte Äußerungen der Bewohner lassen sich die Parallelen zwischen der Wohnortwahl der von außen gekommenen Eigentümer und den Strategien der Boheme, den Forschern der Chicago School oder der Young British Artists erkennen: die Unterprivilegierten und Außenseiter als Nachbarn, der Reiz des Fremden, die vermeintlich archaische oder natürliche Gesellschaft. Im Zusammenhang mit ihrer Wohnerfahrung erwähnen die Interviewpartner, die ihre Wohnungen auf dem freien Markt gekauft haben, Motive, die auf eine ähnliche Haltung schließen lassen, wie Kreuzer sie für die Boheme oder Stallabrass für die Young British Artists diagnostiziert hat, aber immer wieder auch explizit: „Hmm… and also there is an edge to it, so there is that borderline of gentrified London and traditional East End.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
Die Faszination für das traditionelle East End beispielsweise, das von Armut und Einwandererkultur geprägt war, lässt sich nur vor dem Hintergrund nachvollziehen, dass die betreffende Interviewpartnerin selbst in deutlich besseren Umständen lebt als der durchschnittliche Londoner, oder gar der traditionelle East-Ender – jedenfalls wenn man als Vergleichsgröße das vorherrschende Bild heranzieht, nicht die zweifellos auch historisch schon viel differenziertere Realität. „And me and my flatmate we’re both doctors, and I think that for us it’s a very kind of – a very pleasant experience to not be forced to live with people that are similar to you.“ Eigentümer (von außen), Trellick Tower
Auch die Vorstellung, dass Mitglieder der Mittelschicht gewissermaßen gezwungen seien, unter ihresgleichen zu leben, zeugt davon, dass der Betreffende wenig realistische Vorstellungen davon hat, wie groß seine Wahlmöglichkeiten im Vergleich zu denen seiner in Sozialwohnungen lebenden Nachbarn sind. Gleichzeitig hat er mit seiner Standortwahl gezeigt, dass 19 | Ebd., S. 161
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er sich für das „reichere“ Umfeld entschieden hat, indem er sich unter Sozialmieter begeben hat und gleich darin durchaus denjenigen, die sich im 18. Jahrhundert auf der Suche nach dem guten und einfachen Leben als flötespielende Hirten verkleidet haben. Den „Reiz des Fremden“ kann das Wohnumfeld für die neuen Eigentümer der Mittelschicht allerdings nur behalten, solange nicht zu viele der Wohnungen von Eigentümern übernommen werden und die relativ wenigen von außen zugezogenen Eigentümer, in der Terminologie der Gentrifizierungsforschung, im Status des Pioniers verharren können. Gleichzeitig, in den drei hier untersuchten Beispielen Trellick Tower, Brunswick Centre und Keeling House, bieten die Gebäudes als eingetragene Denkmale und Pop-Ikonen auch jenseits der pastoralen Sichtweise kulturellen Status. Abbildung 9: Graffiti von Banksy sind als Kunstwerke anerkannt.
Quelle: www.flickr.com/Yuriy Akopov
Zusätzlich kann man feststellen, dass in der heutigen Populärkultur das „Authentische“ eine sehr wichtige Rolle spielt und Subkulturen in diesem
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Zusammenhang immer wieder vom Mainstream und sogar von der Hochkultur aufgenommen werden. Phänomene wie etwa das Tragen von Sportkleidung im Alltag, Rap oder „ernsthafte“ Graffiti-Künstler wie Harald Nägeli und Banksy sind Beispiele für das massentaugliche Versprechen auf Authentizität im Alltag, das ohne den hierarchischen Blick der Pastorale auskommt. Diese Haltung korreliert auch mit der von Susan Sontag schon früher als „Camp“ beschriebenen Erlebensweise. Camp ist für Sontag ein „ästhetischer Modus“, der mehr mit Stil als mit Schönheit zu tun hat.20 Dieser distanziere sich von Inhalten und sei grundsätzlich apolitisch.21 Sontag unterscheidet insgesamt drei Arten von kultureller Erlebensweise: Erstens die moralische Erlebensweise der traditionellen Hochkultur, zweitens die emotionale Erlebensweise der zeitgenössischen Avantgarde und drittens die ausschließlich ästhetische Erlebensweise des Camp.22 Die sozialutopische Komponente, die alle Projekte des modernen Wohnungs- und Städtebaus auch haben, etwa der Anspruch, dass das Haus die Stadt abbilde oder sie gar ersetze (als eigene Form der Stadt-„Maschine“), spielt in dieser Wahrnehmung keine Rolle mehr – es sei denn als historische Referenz. „And from what I know it is the only building of… you know, there are no other buildings like this. This particular design by Denys Lasdun, I think it was a… very seminal architectural development. And the whole idea of planning and trying to do, you know, a perfect socialist, social-living building, which of course didn’t work – at all.“ Eigentümer (von außen), Keeling House
20 | „Camp is a certain mode of aestheticism. It is one way of seeing the world as an aesthetic phenomenon. The way, the way of Camp, is not in terms of beauty, but in terms of a degree of artifice, of stylization.“ (Sontag 2001 (1961), S. 277) 21 | „To emphasize style is not to slight content, or to introduce an attitude, which is neutral with respect to content. It goes without saying that the Camp sensibility is disengaged, depoliticized – or at least apolitical.“ (ebd.) 22 | “The first sensibility, that of high culture, is basically moralistic. The second sensibility, that of extreme states of feeling, represented in much contemporary ‚avant garde‘ art, gains power by a tension between moral and aesthetic passion. The third. camp. is wholly aesthetic.“ (ebd., S. 287)
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Da es bei Camp um Fragen des Stils und des Geschmacks geht, Geschmack aber „kein System und keine Beweise“ kennt, ist es laut Sontag fast unmöglich, Camp abschließend zu beschreiben, ohne dass diese Beschreibung selbst Camp würde.23 Dennoch erlaubt das Konzept des Camp, nicht nur die Motive der Käufer von Sozialwohnungen zu verstehen, die sich in einem pastoralen Sinne dem guten, einfachen Leben zuwenden, sondern es kann auch Hinweise darauf geben, warum insbesondere Trellick Tower, aber auch das Brunswick Centre, in der öffentlichen Wahrnehmung als „cool“ gelten; jedenfalls legen das relativ teuer und hochwertig produzierte Geschirr mit Motiven moderner Architektur, Abbildungen auf T-Shirts, Röcken oder die künstlerischen Arbeiten von Langlands & Bell dies nahe. Die Gebäude werden in dieser Verwendung ästhetisiert, ohne dass sie deshalb als „schön“ empfunden werden müssen, wie es etwa der oben zitierte Bewohner beschrieben hat, der nach einer längeren Gewöhnungsphase gerade Trellick Towers Hässlichkeit schön findet. Der Inhalt, nämlich noch immer mehrheitlich von Sozialmietern bewohnte Wohnungen und die Tatsache, dass die Architektur ihre Herkunft aus dem Massenwohnungsbau geradezu ostentativ zur Schau stellt, ist für diese Art der Wahrnehmung irrelevant geworden. Die als cool wahrgenommenen sozialen Wohnungsbauten könnten ebenso gut als Beispiele für die Privatisierungspolitik Margaret Thatchers gelesen werden oder für den Ausverkauf des sozialen Wohnungsbaus in London und seine Auswirkungen auf diejenigen, die sich Wohnungen auf dem freien Markt nicht leisten können. In dieser Rolle würden sie sich allerdings kaum als Dekoration hochwertigen Porzellans, T-Shirts oder Röcken eignen.
23 | Ebd., S. 276
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7 Lernen von London
7.1 F ORSCHUNGSFR AGEN RE VISITED Die Londoner Wohnmaschinen werden nicht im klassischen Sinne gentrifiziert, und die vermutete Renaissance dieser Bauten beruht auch auf einer geänderten öffentlichen Wahrnehmung, die nicht unbedingt mit der Erfahrung der Bewohner übereinstimmt. Dennoch kann der Zuzug von Eigentümern aus höheren sozialen Schichten als Aufwertungsgeschehen verstanden werden, ebenso wie deren ausgeprägte Präsenz in den Gremien der Selbstverwaltung und die daraus resultierenden Verbesserungen im Management und in der Unterhaltung der Gebäude und Gemeinschaftsflächen. Diese Personen haben ehemalige Sozialwohnungen als Standorte gewählt, weil diese ihren persönlichen Präferenzen unter den zur Verfügung stehenden Angeboten am besten entsprachen, wobei das nicht damit gleichzusetzen ist, dass diese Kombination von Präferenzen bei der Mehrheit der Wohnungssuchenden verbreitet ist. Die Frage nach dem gewandelten Verständnis von Stadt lässt sich ebensowenig allgemeingültig beantworten. Die Interviews haben gezeigt, dass diejenigen, die sich für das Leben in einer Wohnmaschine entschieden haben, dies nicht als Statement gegen die traditionelle europäische Stadt verstehen, sondern als eine mögliche Ausformung von Stadt unter vielen. Zum Teil haben sie gleichzeitig nach klassischen Stadthäusern oder nach Wohnungen in Mansion Blocks gesucht, ohne etwas Passendes zu finden. Hier zeigt sich also eine Auffassung von Stadt, die eher als „City à la carte“,1 „Collage City“2 oder als Palimpsest3 beschreiben lässt. Dasselbe 1 | Fishman 1990 2 | Koetter/Rowe 1984 3 | Assmann 2009
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gilt etwa für die Journalisten, die positiv über die Wohnmaschinen des sozialen Wohnungsbaus berichtet und so maßgeblich zu deren veränderter Wahrnehmung in der Öffentlichkeit beigetragen haben. Dennoch lässt sich daraus nicht schließen, dass dieses Verständnis von Stadt von allen Schichten der Gesellschaft geteilt wird. Vielmehr zeigt sich, dass diese Konzepte oder Leitbilder dem Leben eines, möglicherweise nur kleinen, Teils der Bevölkerung entsprechen. Es herrscht also eine Pluralität der Leitbilder, die sich nicht nur in der Fachdiskussion spiegelt, sondern die sich auch empirisch nachweisen lässt. Die Frage nach den Umständen lässt relativ eindeutige Antworten zu: Auf baulicher Ebene gibt es notwendige Bedingungen, ohne die eine Aufwertung von Wohnmaschinen nicht möglich ist: Die Zugangskontrolle muss gesichert sein, ebenso wie die Müllentsorgung, und im Falle von Hochhäusern müssen die Aufzüge sicher und zuverlässig arbeiten. Dazu kommt, dass die ehemaligen Sozialwohnungen qualitativ mit denen auf dem freien Markt vergleichbar sein müssen oder sogar besser, um den Malus auszugleichen, den die Sozialmieter in den Nachbarwohnungen mit sich bringen. Sie müssen also für bestimmte Gruppen mit spezifischen Präferenzen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Die romantische Verklärung des Authentischen spielt hingegen vor allem für die symbolische Aufwertung in der öffentlichen Wahrnehmung eine Rolle, die wiederum von den tatsächlichen Rahmenbedingungen des Ortes und Lebens in der Wohnmaschine fast vollkommen unabhängig ist. Über die konkreten Forschungsfragen hinaus erlaubt die Betrachtung der Londoner Wohnmaschinen aber auch, die Vorstellungen und Konzepte zum städtischen Wandel und zu städtischen Aufwertungsprozessen zu ergänzen und zu erweitern. So wie sich die bisherigen Analysen und Erklärungen auf drei Maßstabs- und Betrachtungsebenen bezogen haben, lassen sich auf diesen drei Ebenen bestehende Forschungen ergänzen.
7.2 S YSTEMATISCH - ABSTR AK TE E BENE : G ENTRIFIZIERUNG , P OLITIK UND ANDERE R AHMENBEDINGUNGEN In verschiedenen Aufsätzen und Büchern über Gentrifizierung, oder allgemeiner über innerstädtische Aufwertungsprozesse, wurden die Kräfte beleuchtet, die zu Aufwertungsprozessen geführt haben. Neben den Kapitalinvestoren, die daran interessiert sind und sein müssen, ihr Geld möglichst
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gewinnbringend anzulegen, wurde verschiedentlich auch auf die Rolle der kommunalen Verwaltungen hingewiesen, die beispielsweise Liegenschaften aus ihrem Besitz eher an typische Gentrifizierer verkauften als an die lokale Bevölkerung oder größere finanzkräftige Investoren Einzelbauherren vorgezogen hat. Beispielhaft sind hier die Studien über Society Hill in Philadelphia von Roman A. Cybriwsky, David Ley und John Western4 oder Neil Smiths Untersuchung über die Privatisierung von Stadthäusern im südlichen Harlem, New York.5 Dass sich soziale Wohnungsbauten in London erfolgreich, also wirtschaftlich tragfähig, privatisieren lassen, und dass es Investoren gibt, die eine solche Privatisierung durchführen, zeigt das hier ausführlich behandelte Beispiel Keeling House, aber auch der Aragon Tower in Deptford, der Teil des Pepy’s Estate war und nach einer grundlegenden Sanierung und Umgestaltung 2006 auf den Markt für Eigentumswohnungen kam. Trellick Tower, das Brunswick Centre und der Aylesbury Estate, die sich noch im Besitz der öffentlichen Hand befinden, zeigen aber auch, dass ein einmal begonnener Aufwertungsprozess nicht notwendigerweise zur kompletten Gentrifizierung des betroffenen Gebäudes (oder der Nachbarschaft) führen muss, sondern dass die öffentliche Hand sich ebenso dafür entscheiden kann, attraktive Wohnungen in ihrem Bestand zu belassen und weiterhin an Sozialmieter zu vermieten, wobei sie dabei, wie die Fallstudie Aylesbury Estate gezeigt hat, nicht immer ganz von der nationalen Politik unabhängig agieren können. Zweifelsohne ist diese Fähigkeit, Sozialwohnungen zu halten und zu pflegen auch von Rahmenbedingungen bestimmt, die außerhalb des Einflussbereiches der kommunalen Eigentümer liegen, wie die begonnene Privatisierung durch das Right to Buy ebenso zeigt wie der heute durch geänderte Rabattregelungen und gestiegene Marktpreise zum Stillstand gekommene Privatisierungsprozess. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sowohl die Aufwertungsprozesse als auch die Entscheidung gegen eine Sanierung, wie sie für den Aylesbury Estate gefallen ist, wesentlich von den nationalen und lokalen Politikbedingungen bestimmt sind, nicht nur von der Logik des Kapitals oder des Marktes. Damit ist die Gentrifizierung sozialer Wohnungsbauten insofern steuerbar, als dass sie verhindert werden kann, sofern der politische Wille dazu vorhanden ist. 4 | Cybriwsky/Ley/Western 1986 5 | Smith 1996, S. 140–159
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Die aktuelle Konstellation, in der etwa ein Fünftel der Wohnungen von Privateigentümern bewohnt wird, hat für alle Bewohner Vorteile gebracht, obwohl dieses Ergebnis nie explizit Ziel der lokalen oder nationalen Politik gewesen ist. Dieser Zustand kann tatsächlich als ein Ergebnis abstrakter Kräfte verstanden werden, da aus der Sicht des Grundeigentümers die Mischung von Sozialmietern und Eigentümern einen höheren Verwaltungsund Abstimmungsaufwand nach sich zieht. Die Unterschiedlichkeit der Fallstudien zeigt aber auch, dass die systematisch-abstrakten Rahmenbedingungen nur zum Teil für die konkreten Entwicklungsverläufe verantwortlich sind. Diese waren für alle untersuchten Beispiele gleich, während andere Akteure jeweils nur einzelne Fallbeispiele beeinflusst haben; beispielsweise hatten und haben die Mitarbeiter der lokalen Verwaltung, die Bewohnervertretungen, das Management, die Architekten, die das Gebäude ursprünglich geplant haben und viele weitere ihren Anteil an dem jeweiligen Erfolg oder Misserfolg eines Gebäudes. Abgesehen von der politisch gewollten Privatisierung einzelner Wohnungen, die zweifelsohne dazu beigetragen hat, die Lage in den untersuchten Gebäuden zu verbessern, haben die heute sichtbaren Aufwertungsprozesse nicht wegen der nationalen Politik stattgefunden, sondern trotzdem. Das Beispiel Aylesbury Estate zeigt, dass die Förderbedingungen immer noch widrig sind und die verfügbaren Mittel nicht ausreichen, um die Gebäude zu erhalten oder zu sanieren. Im Falle des Brunswick Centres wurde ein großer Teil der Finanzierung durch den privaten Grundeigentümer übernommen, im Fall Trellick Tower haben die Bewohner immer wieder neue Geldquellen erschlossen, mit denen zum Teil auch nur kleine Maßnahmen finanziert werden konnten, die örtlichen Bezirksverwaltungen hätten diese alleine nicht verwirklichen können.
7.3 I NDIVIDUELLE O P TIMIERUNGSSTR ATEGIEN UND A LLTAGSORGANISATION : W ER LEBT WIE ? Die Ausdifferenzierung der Lebensstile ist heute weit fortgeschritten, so dass nahezu jeder der Käufer einer ehemaligen Sozialwohnung und auch viele derjenigen, die durch das Right to Buy gekauft haben, jeweils ganz unterschiedliche, sehr spezifische Beweggründe für ihre Entscheidung hatte. Alle Käufer, die von außen kamen, sind Akademiker und gehören
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insofern zur viel beschriebenen „neuen Mittelschicht“,6 so dass die These, dass die „neue Mittelschicht“ ein Akteur in Gentrifizierungsprozessen ist, für den Fall privatisierter Sozialwohnungsbauten bestätigt werden kann. In keinem Fall lebten in den Haushalten dieser Käufer jedoch Kinder, so dass das ebenfalls häufig angeführte Argument, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie speziell für Frauen sei eine treibende Kraft hinter innerstädtischen Aufwertungsprozessen, für die hier untersuchten Fälle nicht zutrifft. Im Gegenteil, wenn in den Interviews Kinder zum Thema wurden, dann eher als ein Grund, den Wohnstandort doch noch einmal zu verändern. Dennoch kann die Popularität der privatisierten Sozialwohnungen bei Käufern aus der Mittelschicht als Ausdruck weit differenzierter Lebensstile verstanden werden, denn sie zeigt, dass heute auch ein Leben ohne Kinder – aus welchen Gründen auch immer – eine gesellschaftlich akzeptierte Option ist, und damit die Investition in eine im herkömmlichen Sinne nicht kindgerechte Wohnung. Darüber hinaus zeigt sich aber auch, dass neben den organisatorischen Fragen des Alltagslebens die Möglichkeit, das eigene Leben innerhalb der Wohnung zu organisieren, also die Nutzungsmöglichkeiten, die der Raum bietet, wesentlich zur Attraktivität der Wohnungen beitragen. Die bei den hier interviewten Wohnungseigentümern festzustellende Präferenz für die der Wohnungen inhärenten räumlichen Qualitäten lässt sich dadurch erklären, dass sie ihre Wahl bereits getroffen haben und das Umfeld des sozialen Wohnungsbaus, für das sie sich entschieden haben, eine solche Präferenz nahelegt. Wären Bewohner von aufgeteilten Stadthäusern befragt worden, hätte sich schon durch die Auswahl der Betroffenen eine andere Präferenzen gezeigt, beispielsweise für Stuckverzierungen, offene Kamine oder Holzfußböden. Es können auch keine Aussagen über die Häufigkeit der hier angetroffenen Präferenzen für die räumliche Qualität von Wohnraum gegenüber einem mutmaßlich weniger problematischen sozialen Umfeld gemacht werden. Eindeutig festzustellen ist aber, dass es Wohnungskäufer gibt, die diese Konstellation von Präferenzen aufweisen und deren Anteil an den Londoner Wohnungskäufern insgesamt groß genug ist, um die Nachfrage in dem hier untersuchten Gebäudetyp „Wohnmaschine“ auf konstant hohem Niveau zu halten und die Wohnungspreise nicht unter die vergleichbarer Wohnungen in andersartigen Gebäuden fallen zu lassen. 6 | Vgl. Hamnett 2003
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Damit lässt sich auch erklären, dass es sich heute bei den Käufern ehemaliger Sozialwohnungen nicht (oder nicht mehr) um die in der Gentrifizierungsforschung beschriebenen Pioniere handelt, sondern um diejenigen, die nach den gängigen Stufenmodellen erst in der Konsolidierungsphase in einen Stadtteil einwandern, obwohl eine weitere Aufwertung oder Privatisierung der Gebäude vorerst nicht zu erwarten ist.
7.4 J ENSEITS VON C OMMON S ENSE : B EDEUTUNG UND S TIL Selbst wenn die hier angetroffene Konstellation von Präferenzen die einer Minderheit ist, darf sie nicht vernachlässigt werden, wenn man die Prozesse verstehen will, die Gentrifizierungs- oder Aufwertungsprozessen zugrunde liegen. Gerade der Ausnahmecharakter der hier untersuchten Konstellationen erlaubt es, neue Sichtweisen auf das Feld der Gentrifizierung zu gewinnen. Neben den beiden bekannten Polen der Standortwahl, den klassischen Abwägungsprozessen und den individuellen Optimierungsstrategien – sei es im Hinblick auf die gewandelte Rolle der Frau oder die Tertiärisierung der Wirtschaft – spielen als dritter Pol der Standortwahl wenig quantifizierbare Vorlieben für Stile, Trends und Mode eine wichtige Rolle, gerade wenn es darum geht, neue oder ungewöhnliche Standorte zu erschließen. Die Standortwahl ist eben auch Teil einer konstruierten und zur Schau gestellten Identität.7 In diesem Sinne entspricht der Umgang mit der Wohnung oder dem Haus tatsächlich dem Verhältnis, das in Europa und Amerika vielerorts etwa zum Auto oder zur Mode gepflegt wird. Die Aufwertung ehemaliger Sozialwohnungen ist deswegen ein guter Indikator dafür, dass Stile, Trends und Moden eine Rolle bei der Standortwahl spielen, weil sie alle Kriterien erfüllen, die dem heutzutage populären Leitbild der sogenannten europäischen Stadt in fast jeder Hinsicht widersprechen: Sie sind im Rahmen der Flächensanierung historischer Quartiere entstanden, bilden keine definierten Stadträume, sprengen den historischen Maßstab, passen sich nicht an ihre Umgebung an, enthalten eine Vielzahl gleichartiger Wohnungen und haben eine wenig ausgewogene Sozialstruktur. Die „Wohnmaschinen“ der Moderne werden aber im heutigen 7 | Vgl. beispielsweise z.B. Schneider/Spellerberg 1996; Spiegel 1986, Schulze 1992)
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Kontext nicht mehr als der bedrohliche Gegenpol zur tradierten, dichten, durchmischten europäischen Urbanität wahrgenommen, sondern als Zitate eines heute bereits wieder historisch gewordenen Stadtverständnisses. Dass sie heute als hochwertige Wohnstandorte wahrgenommen werden, und zwar unabhängig von ihrer tatsächlichen physischen und sozialen Entwicklung, hängt auch damit zusammen, dass sie in hohem Maße eigenständig sind und damit ein weit verbreitetes Bedürfnis nach Authentizität befriedigen. Damit sind die hier beobachteten Bedeutungsverschiebungen aber weniger überraschend, als sie zunächst erscheinen, sondern in eine allgemeine und sehr bereit angelegte kulturelle Entwicklung eingebunden, die sich in der Kunst, der Musik, der Mode und eben auch der Architektur ablesen lässt. Dass dieser Prozess auch für die Architektur mittlerweile schon weit fortgeschritten ist, zeigt sich auch daran, dass die drei hier untersuchten „erfolgreichen“ Beispiele Keeling House, Brunswick Centre und Trellick Tower ihrerseits wieder zu Referenzpunkten in den angesprochenen Bereichen geworden sind: Es gibt hochwertiges Geschirr mit grafisch ansprechenden Motiven moderner Architektur, T-Shirts mit Trellick Tower-Auftduck, Röcke mit Fassadenmuster, Kunstwerke, die mit eindeutig wieder erkennbaren Grundrissen sozialer Wohnungsbauten arbeiten und Lieder, die auf Trellick Tower Bezug nehmen. Keines dieser Objekte wäre in derselben Weise attraktiv, wenn es nicht als Statement des Käufers erkannt würde. Dass es als solches erkannt werden kann, erfordert wiederum, dass das Umfeld des Besitzers das Motiv erkennt und ebenso mit eindeutigen Assoziationen belegt, es also ähnliche Eigenschaften wie eine Marke (im Sinne von „brand“) hat. Die Wohnmaschinen erhalten also als avantgardistisches, exklusives oder originelles, aber auf jeden Fall distinguierendes modisches Accessoire eine neue, positive Bedeutung. Diese kann sich vor allem im städtischen Kontext entfalten, weil nur dort das Publikum vorhanden ist, das in der Lage ist, die dazugehörigen Codes zu entschlüsseln. Wenn derartige Gebäude zusätzlich zu ihrem iconhaftem Erscheinungsbild auch noch mit Denkmalschutz ausgestattet sind, können sie als Wegbereiter wirken, die aufgrund ihres Zeichencharakters und der offiziellen Betätigung, wertvolle Architektur zu sein, besonders dazu geeignet sind, die Bedeutung der Wohnmaschine als Stadtbaustein ins Positive zu wandeln. Mit der Strategie, ein Gebäude als „moderne Ikone“ zu vermarkten, waren zuerst die Bewohner des Trellick Tower erfolgreich. Sowohl vom Lincoln Holdings für Keeling House als auch von Allied London für die Lä-
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den und die öffentlich zugänglichen oder sichtbaren Teile des Brunswick Centres, wurde diese Strategie später ebenfalls angewandt. Die zeitliche Abfolge dieser geglückten Imagewandel korreliert mit dem eingesetzten Kapital und dem von den Protagonisten eingegangenen Risiko: die Bewohner des Trellick Tower begannen ihre Kampagne in den frühen 1990er Jahren und setzten außer ihres Engagements kein Kapital ein. Lincoln Holdings kaufte Keeling House 1999 für 1,3 Millionen Pfund und renovierte es bis 2001. Obwohl es keine Angaben über die Kosten der Renovierung gibt, kann man davon ausgehen, dass die Investitionen im einstelligen Millionenbereich lagen.8 Das Brunswick Centre wurde ebenfalls 1999 von Allied London erworben, die Planung war aber deutlich aufwendiger und wurde durch den zwischenzeitlich ausgesprochenen Denkmalschutz noch verzögert. Auch die Investitionssumme lag mit 22 Millionen Pfund deutlich über dem Volumen von Keeling House, und während Lincoln Holdings das komplette Gebäude privatisieren und vermarkten konnte, musste Allied London aufwändige Beteiligungsverfahren mit den Bewohnern durchführen, und auch weiterhin wird der größte Teil der Wohnungen von Sozialmietern bewohnt werden, die nicht nur über wenig Geld verfügen, sondern häufig weitere Probleme haben und damit die Attraktivität des Shopping Centres mindern könnten. Dass Allied London sich trotz dieses gegenüber den anderen beiden Fällen deutlich höheren Risikos für die Investition in das Brunswick Centre entschieden hat, zeigt, wie weit sich die geänderte Wahrnehmung von Großstrukturen der Nachkriegszeit schon konsolidiert hat, und zwar nicht nur in Fachkreisen, wofür der Denkmalschutz ein Indikator wäre, sondern bis in den Mainstream hinein. Für den Aylesbury Estate konnte ein solcher Stimmungswechsel bisher nicht erreicht werden, obwohl die Kriminalstatistik heute unauffällig ist. Zwar hat sich auch hier die Berichterstattung geändert, aber nicht in demselben Maße wie in den anderen Fällen. Auch das zum Teil dort gedrehte Video von Madonna oder die Verwendung ähnlicher Architektur in 8 | Grob geschätzt lag der Verkaufserlös aller Wohnungen bei ca. 10 Millionen Pfund. Im Interview gab einer der Eigentümer von Lincoln Holdings an, dass das Projekt finanziell ein „sehr gutes“ Projekt gewesen sei, dass nicht nur keine Verluste eingefahren habe, sondern einen überdurchschnittlich hohen Gewinn. Bei einem Besuch in der Musterwohnung kurz nach Abschluss der Renovierungsarbeiten erklärte die dort anwesende die Mitarbeiterin von Lincoln Holdings, dass die Hälfte der Wohnungen verkauft sei und dass alle Kosten bereits gedeckt seien.
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O2 Werbespots hat nicht dazu beigetragen, dass der Aylesbury Estate oder andere Projekte dieser Art positiver wahrgenommen werden. Dennoch lässt sich daraus nicht schließen, dass es grundsätzlich unmöglich sei, die Wahrnehmung von sozialen Wohnungsbauten in Systembauweise zu verändern. Im Gegenteil, ist nicht auszuschließen, dass die Wahrnehmung des Aylesbury Estates oder vergleichbarer Quartiere sich in Zukunft ändern wird, sofern die im Abschnitt 7.1 beschriebenen Rahmenbedingungen hergestellt werden. Die Aussagen, die die Bewohner des Aylesbury Estate über ihre Wohnungen machen, ähneln denen der Bewohner in den erfolgreicheren Projekten deutlich mehr, als man zunächst erwarten würde. Positiv werden heute vor allem der gute Zuschnitt der Wohnungen und die großen Fenster beschrieben, während die technische Ausstattung der Wohnungen heute selbstverständlich ist und nur im Vergleich zu den miserablen Bedingungen erwähnt wird, unter denen die Bewohner vorher gelebt haben. Auch die „gute Nachbarschaft“ ist etwas, das es in der Vergangenheit auch in den großen, in Systembauweise entstandenen Siedlungen gegeben hat. Das Spektrum der Möglichkeiten, das sich anhand der hier untersuchten Fälle zeigt, reicht von der kaum mit Kosten verbundenen Imagekampagne im Fall Trellick Tower, die sich wahrscheinlich schon deswegen nicht auf Systembauten übertragen lässt, weil es davon zu viele gibt, die sich untereinander so sehr ähneln, dass sie kaum den Status einer Ikone werden erreichen können, bis zu massiven Investitionen in die Struktur und den Ausbau des Gebäudes, wie beim Brunswick Centre oder bei Keeling House. Jüngere Beispiele wie der renovierte Aragon Tower zeigen, dass auch Systembauten so renoviert werden können, dass die Wohnungen in ihnen auf den freien Markt gute Preise erzielen. Beispiele aus Deutschland, wie etwa in Leinefelde, zeigen dass für eine erfolgreiche Neuorientierung nicht einmal alle Bestände privatisiert werden müssen.
7.5 D IE Z UKUNF T DER W OHNMASCHINEN Zwar müssen einige grundsätzliche Rahmenbedingungen erfüllt sein, um Wohnmaschinen zu tragfähigen Standorten zu machen, aber diese sind nicht notwendigerweise mit hohen Investitionen verbunden. Neben diesen greifbaren Kriterien sind auch weiche Faktoren für die Wahrnehmung einer Wohnmaschine entscheidend, die bisher in der Diskussion von Sanierungs- und Aufwertungsprogrammen kaum eine Rolle spielen.
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Die Betrachtung der Akteursperspektive hat ergeben, dass der Wohnungssuchende als Akteur auf dem Wohnungsmarkt sowohl auf dem abstrakten Feld der Marktprozesse als auch bezogen auf seinen individuellen Lebensstil Standortentscheidungen trifft. Anders als in der bestehenden Gentrifizierungsforschung sind aber insbesondere die Standortentscheidungen der Pioniere von einer durchaus romantischen Sehnsucht nach Authentizität geprägt, die sich auch auf anderen Feldern des Alltagslebens, wie etwa der Mode, der Kunst oder der Musik zeigen. Aus diesen Ergebnissen lassen sich konkrete Handlungsansätze für den Umgang mit Bausubstanz der jüngeren Vergangenheit ableiten: Auch diejenigen Beispiele, von denen wir heute glauben, dass sie niemals aufgewertet werden, können in Zukunft eine Renaissance erleben. Die meisten der Wohnmaschinen des hier untersuchten Typs haben heute ein Alter erreicht, in dem sie entweder grundlegend saniert werden, oder, so die grundsätzlich andere Möglichkeit, abgebrochen werden müssen. Die Aussicht, dass die negative Wahrnehmung unpopulärer Wohnbauten sich ändern oder zumindest neutralisieren könnte, lässt es möglich erscheinen, in großem Umfang Ressourcen zu sparen, wenn umstrittene Gebäude erhalten und weitergenutzt werden können. Dabei scheint es besonders wichtig, mit dem Bestand zu arbeiten, nicht gegen ihn, um so den Aspekt der Authentizität zu stärken. Offen bleibt, ob die Aufwertung der Wohnmaschinen von Dauer sein wird, oder ob es sich möglicherweise um eine nur vorübergehende Mode handelt und das hier vorgefundene Motiv der Authentizität dann von anderen Wohnformen verkörpert wird. Sehr interessant wäre es außerdem, die Londoner Entwicklung mit der in anderen britischen oder europäischen Städten zu vergleichen, und hier auch Vergleiche hinsichtlich der nationalen Wohnungspolitiken und der jeweiligen Wohnungsmärkte anzustellen. Nicht zuletzt bietet das hier nur in Ansätzen bearbeitete Motiv der Authentizität und seine Bedeutung für Prozesse der Gentrifizierung und der Stadtentwicklung und Stadtwahrnehmung eine Fülle von Ansatzpunkten für weitere Forschungen. Mögliche Themenbereiche, in denen Authentizität ein wichtiger Faktor sein könnte, sind beispielsweise die „Creative Cities“ oder die „Creative Industries“, die heute von vielen Städten umworben werden, ohne dass ihre Bedürfnisse greifbar zu sein scheinen.
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„When danger is your sleeping partner“ In: Holborn and City Guardian, 18. Mai 1990 „Help me and my family“ In: South London Press, 17. Dezember 1990, S. 10 „The building was beginning to work“ In: Independent, 15. Mai 1991 „Families in crumbling tower block risk death“ In: The Evening Standard, 30. September 1992 „Rock produces new Brunswick Scheme“ In: Architects’ Journal, 8. September 1993, S. 6 „Empty, crumbling tower block becomes a listed building“ In: The Guardian, 24. November 1993 „New team to tackle London’s troubled Brunswick Centre“ In: Architects’ Journal, 21. September 1995, S. 10 „Slums in the sky“ In: The Economist, 1. Oktober 1995 „Thumbs down for Brunswick appeal“ In: Spectator, 7. August 1997 „Cash hope for Aylesbury“ In: Southwark News, 8. September 1998 „Breathing in and breathing out“ In: Architectural Design Nr. 5 1998, S. VI–VII „Brunswick plans to be displayed“ In: Camden New Journal, 19. November 1998, S. 7 „Enemy of the people“ In: Sunday Times, 22. Dezember 1998 Glosse ohne Titel, The Times 19. Juni 1999 „Massive demolition on Aylesbury backed by tenants“ In: Southwark News, 16. September 1999 „Brunswick to be revamped“ In: Camden New Journal, 8. Juni 2000 „Born again: The high rise slum“ In: The Times Weekend, 1. Juli 2000 „Aylesbury plan jeopardised by £4.40 rent hike scare“ In: Southwark News, 22. Februar 2001 „Is demolition the best option?“ In: Southwark News, 9. August 2001 „Residents keep an eye on Peckham“ In: Southwark News, 9. August 2001 „Fundamental flaws in Aylesbury Masterplan“ In: Southwark News, 15. November 2001 „Levitt and PTE pick up pieces at Aylesbury“ In: Building Design, 17. Januar 2003 „Will Brunswick shine brightly years on?“ In: Camden New Journal, 15. Juli 2004
Architekturen Eduard Heinrich Führ DIE MAUER Mythen, Propaganda und Alltag in der DDR und in der Bundesrepublik März 2012, ca. 240 Seiten, kart., ca. 130 Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1909-6
Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes Juli 2011, 366 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1551-7
Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes April 2012, ca. 350 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1568-5
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Architekturen Sonja Hnilica, Markus Jager, Wolfgang Sonne (Hg.) Auf den zweiten Blick Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen 2010, 280 Seiten, Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1482-4
Joaquín Medina Warmburg, Cornelie Leopold (Hg.) Strukturelle Architektur Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik Januar 2012, 208 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1817-4
Tom Schoper Zur Identität von Architektur Vier zentrale Konzeptionen architektonischer Gestaltung 2010, 252 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1587-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de