Rückblick mit Zukunft: 100 Jahre Zentral- und Landesbibliothek Berlin [Reprint 2012 ed.] 9783110950953, 9783598115554


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German Pages 254 [256] Year 2001

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Grußwort
Vorbemerkung
Berliner Stadtbibliothek
Eine Bibliothek der Tatsachen
Das Provisorium in der Zimmerstraße
Berlins Bücherschrank
Im Schatten
Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek
Die Wege trennen sich
Unter gegensätzlichen Vorzeichen
Bibliotheksarbeit im Umfeld
Rationalisierungen
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Miteinander oder Nebeneinander?
Jenseits von Library Land?
Schlußbetrachtung – Ein Blick in die Zukunft
Anhang
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen
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Rückblick mit Zukunft: 100 Jahre Zentral- und Landesbibliothek Berlin [Reprint 2012 ed.]
 9783110950953, 9783598115554

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Ulrike Wahlich

Rückblick mit Zukunft: 100 Jahre Zentralund Landesbibliothek Berlin

Mit einem Nachwort von Claudia Lux

Κ · G · Saur München 2001

Reproduktionen: erstellt und gesponsert durch Micro-Univers GmbH, Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wahlich, Ulrike: Rückblick mit Zukunft: 100 Jahre Zentral- und Landesbibliothek Berlin / Ulrike Wahlich. Mit einem Nachwort von Claudia Lux. - München : Saur, 2001 ISBN 3-598-11555-5

Gedruckt auf säurefreiem Papier Aller Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag GmbH München 2001 Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig Satz: Rainer Ostermann, München Druck: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Binden: Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-598-11555-5

Inhaltsverzeichnis

Grußwort Vorbemerkung

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BERLINER STADTBIBLIOTHEK Eine Bibliothek der Tatsachen Die Gründungsphase bis 1906

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Das Provisorium in der Zimmerstraße Von der Eröffnung 1907 bis 1921

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Berlins Bücherschrank Die Bibliothek während der Weimarer Republik

43

Im Schatten Die Bibliothek im Nationalsozialismus

69

BERLINER STADTBIBLIOTHEK UND AMERIKA-GEDENKBIBLIOTHEK Die Wege trennen sich 1945 - 1957

93

Unter gegensätzlichen Vorzeichen 1958- 1967

121

Bibliotheksarbeit im Umfeld 1968- 1977

143

Rationalisierungen 1 9 7 8 - 1989

167

ZENTRAL- UND LANDESBIBLIOTHEK BERLIN Miteinander oder Nebeneinander? 1990-1995

191

Jenseits von Library Land? 1996-2001

215

Claudia Lux Schlußbetrachtung - Ein Blick in die Zukunft

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ANHANG Anmerkungen Literaturverzeichnis Verzeichnis der Abbildungen

237 249 251

Zur Autorin: Ulrike Wahlich ist 1958 geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte, Kommunikationswissenschaften und Erwachsenenbildung in Berlin begann sie mit ihrer journalistischen Tätigkeit. Neben zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte sie mehrere Bücher im Bereich Berlin-Geschichte. Seit 1998 beschäftigt sie sich verstärkt mit der Berliner Bibliotheksgeschichte.

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Grußwort Muß es eine Festschrift geben? Diese Frage stellt man sich unwillkürlich, wenn ein Jubiläum einer Institution naht. Und wenn es das Hundertjährige ist, dann sagt man schnell ja, ohne zu bedenken, was das für denjenigen bedeutet, der diese Leistung vollbringen muß: Details aus 100 Jahren in komprimierter und anregender Form an einem roten Faden zusammenzuführen. Ulrike Wahlich, die ich mit dieser Aufgabe betraut habe, hat das Wunder vollbracht. Sie hat eine Bibliotheksgeschichte auf dem Hintergrund der Spaltung Berlins für zwei Bibliotheken, der Berliner Stadtbibliothek und der Amerika-Gedenkbibliothek sowie ihrer Vereinigung in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin geschrieben. 100 Jahre im Leben einer Bibliothek mögen nicht lang erschienen. Aber die Zeit von 1901 bis 2001 ist eine besondere Zeit. Und vor allem in Berlin bedeuten 100 Jahre für eine Bibliothek ein Auf und Ab zwischen Bürger und König, zwischen Krieg und Frieden, zwischen Ost und West, zwischen Teilung und Wiedervereinigung. Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin hat ihren Ursprung in der 1901 gegründeten Berliner Stadtbibliothek und in der nach der Teilung der Stadt Berlin 1951 vom WestBerliner Senat beschlossenen Errichtung der Amerika-Gedenkbibliothek. Das vorliegende Werk ist die erste Geschichte, die aus der Sicht der Vereinigung die unterschiedlichen Elemente herausarbeitet. Viele haben geholfen, daß dieses Werk entstehen konnte. Da sind all diejenigen zu nennen, die im Bewußtsein über den Wert von Geschichte akribisch Archive in beiden Bibliotheken angelegt, gefüttert und sortiert haben, sowie diejenigen, die sich erinnern konnten, an Personen auf Bildern und an Ereignisse, die sonst nicht festgehalten wurden. Nicht alles konnte diesmal verwendet werden, aber der Dank geht an all diejenigen, die auf so intensive Weise am Zustandekommen dieses Werkes teilnahmen und Material für die zukünftige Forschung aufbereiteten. Eine Bibliothek kann nicht ohne Freunde und Unterstützer auskommen, eine Festschrift nicht ohne Bilder. So ist es an dieser Stelle notwendig, für die gesponserte Digitalisierung aller Bilder Herrn Rosenau und seiner Firma MicroUnivers GmbH Berlin herzlichst zu danken. Ein besonderer Dank gilt unserem Verleger und Freund Klaus G. Saur für seine Entscheidung, uns durch die Herstellung des Druckwerks zu unterstützen. Claudia Lux

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Vorbemerkung Dieses Buch führt seine Leser durch die hundertjährige Geschichte einer großen Urbanen öffentlichen Bibliothek - einer Bibliothek, die wechselnden Zeitläuften unterworfen war, die sich für die Jahrzehnte der geteilten Stadt sogar ein asymetrisches Spiegelbild geschaffen hatte, die aber trotz allem Wandel ihren wesentlichen Profilierungskomponenten immer treu geblieben ist: eine Bibliothek zu sein für die breite Öffentlichkeit, für die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt - unabhängig davon, ob deren Bibliotheksbesuch mit Bildungshunger, Wissensdurst oder Informationsbedürfnis eine zeitkonforme Erklärung fand. Durch all die Jahre hindurch sollte die Bibliothek weder ein exklusiver Tempel der Wissenschaft noch ein gut sortierter Fundort für Zwecke der leichteren Muse sein, bereits zur Bibliotheksgründung war man davon ausgegangen, einen qualitativ hochrangierten Bestand für Bildungszwecke bereitzustellen, der allerdings benutzerfreundlich erschlossen und allgemein zugänglich war. Im Laufe der Zeit änderte sich das Verständnis von bibliothekarischem Tun, die beabsichtigte Wechselwirkung zwischen Bibliotheksarbeit und gesellschaftlichen Prozessen unterlag neuen Sichtweisen und Erfahrungen. Zudem teilte sich die Stadt in zwei ideologisch gegenständige Lager, der kulturelle Auftrag an die Bibliotheken wurde entsprechend verschieden definiert, in Folge erfuhr auch der Ausbau bibliothekarischer Funktionen jeweils andere Gewichtung. Die heutige Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist eine Fusion der Berliner Stadtbibliothek (Ost) und der Amerika-Gedenkbibliothek (West). Beide Bibliotheken hatten vor der Wende einen heterogenen bildungspädagogischen Ansatz, auch die Schwerpunkte ihrer Zielsetzung hatten sich unterschiedlich ausgestaltet - trotzdem war ein gemeinsamer Nenner geblieben, der den Zusammenschluß beider Bibliotheken kalkulierbar machte und eine Brücke zwischen Ost und West bauen ließ. In beiden Bibliotheken war die eindimensionale Ausrichtung auf wissenschaftlich oder öffentlich zugunsten einer breiter angelegten Durchmischung aufgehoben, die Amerika-Gedenkbibliothek orientierte sich dabei am angelsächsischen Vorbild der Public Library, die Berliner Stadtbibliothek sah sich als geistig-kulturelles Zentrum für Studierende ebenso wie für die werktätigen Massen. Beide Bibliotheken nahmen Pilotfunktionen im Bereich neue Medien ein, beide Bibliotheken verfügten über effiziente und leicht zugängliche Erschließungsapparate. In Ostberlin wie in Westberlin konnte die jeweilige Bibliothek deshalb auf kontinuierlich steigende Benutzerfrequenzen verweisen, in beiden Stadthälften war ihnen ein vorderer Platz auf der Beliebtheitsskala unter Bibliotheksnutzern sicher. Das Buch soll den Interessierten chronologisch durch diese Bibliotheksgeschichte begleiten. Beginnend mit der Gründungsphase, der ersten Jahre in einer provisorischen Unterkunft in der Zimmerstraße und schließlich bis zur Weimarer Republik, in der die Bibliothek eine akzentuiertere Profilierung erfuhr, und der Zeit des Nationalsozialismus, als das bibliothekarische Schaffen stark von den politischen Umständen überschattet war, behandelt der erste Teil die Geschichte der Berliner Stadtbibliothek. Im zweiten Teil wird die Geschichte der Berliner Stadtbibliothek während realsozialistischer Zeiten fortgesetzt, parallel dazu entwickelt sich eine Chronologie der Amerika-Gedenkbibliothek. Im dritten Teil, der Zeit nach 1989, werden beide Geschichten wieder zusammengeführt. Das Buch endet mit dem Jahr 2000 - die Geschichte der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist damit aller-

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Vorbemerkung

dings noch längst nicht abgeschlossen, fehlt doch allein schon das Folgekapitel einer endlich adäquaten Unterbringung beider bislang noch getrennten Bibliothekshälften unter einem gemeinsamen Dach. Hier versteht sich das Buch auch als Plädoyer für eine der Bedeutung der Bibliothek angemessene Lösung, die - wie nachzulesen ist - seit Beginn dieses Jahrhunderts auf ihre Realisierung wartet.

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Berliner Stadtbibliothek

Eine Bibliothek der Tatsachen Die Gründungsphase bis 1906

Kurz vor der Jahrhundertwende zeigte sich die Situation im Bibliothekswesen der Stadt Berlin auf den ersten Blick recht vielfältig, gemessen an den Standards in anderen Städten oder gar im internationalen Vergleich hatte Berlin jedoch noch Handlungsbedarf. Das an wissenschaftlicher Literatur und Forschung interessierte Publikum konnte sich an die Universitätsbibliothek und die Königliche Bibliothek wenden, an städtischen wissenschaftlichen Bibliotheken rangierte allen voran die Magistratsbibliothek, deren kommunaler Auftrag im wesentlichen als wissenschaftliche Amtsbibliothek verstanden wurde. So führte Arend Buchholtz, späterer Direktor der Stadtbibliothek und zum damaligen Zeitpunkt noch städtischer Bibliotheksangestellter, aus: „Sie hat in erster Reihe die literarischen Hilfsmittel für die städtische Verwaltung bereit zu halten und bei ihren Erwerbungen insbesondere die Rechts- und Staatswissenschaften, namentlich das Verwaltungsrecht zu berücksichtigen, dann aber auch die moderne Literatur des Gemeindewesens, der Volkswirtschaft, des Armenwesens wie der Sozialpolitik insgemein, des Verkehrswesens, der Versicherungsgesetzgebung etc. zu sammeln. Ebenso aber gehören in ihr Gebiet die Geschichte und Landeskunde der Mark Brandenburg und Berlins. Sie ist hierin wohl die vollständigste Bibliothek, die es im Reiche gibt, und mit ihrer Sammlung von Ansichten von Berlin und anderen märkischen Städten, von Abbildungen und Grundrissen einzelner Gebäude, von Bildwerken hervorragender Berliner Persönlichkeiten werden sich nur wenige Bibliotheken messen können. Auch ihr im Austausch erworbener Besitz an Veröffentlichungen anderer städtischer Verwaltungen des In- und Auslandes nimmt einen breiten Raum ein." (1) Die Magistratsbibliothek besaß einen wertvollen Schatz an Sammlungen und Vermächtnissen. Von Bedeutung waren beispielsweise die Bücherstiftungen von Rudolf Mosse und Dr. George Friedlaender. Die großartigste Sammlung war jedoch die Bibliothek der GöritzLübeck-Stiftung. Sie war von dem ehemaligen Lehrer der Viktoriaschule, Otto Göritz, zusammengetragen worden und erhielt einen unschätzbaren Fundus. Arend Buchholtz faßte die Gründungsgeschichte dieser Stiftung wie folgt zusammen: „Seit Anfang der sechziger Jahre hatte das Studium der deutschen Literatur Göritz dazu geführt, erste Ausgaben deutscher Dichter und Schriftsteller zu sammeln, und seine Vorliebe für den geographischen Unterricht veranlaßte ihn, wertvolle Atlanten, Karten und geographische Bilderwerke zusammenzubringen. Aus kleinen, gar bescheidenen Anfängen erwuchs in zwanzig Jahren unermüdlicher zielbewußter Arbeit eine kostbare Bücherei von etwa zehntausend Bänden. Als Göritz zu Ende der siebziger Jahre seinen Bruder, den Bildhauer

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Berliner Stadtbibliothek

Eine Bibliothek der Tatsachen

Eduard Göritz und seinen Lehrer und Freund Wilhelm Lübeck, den vertrauten Freund Jahns, den Förderer des Berliner Turnwesens in schwerer Zeit, durch den Tod verlor, gewann der Gedanke Leben, die Bibliothek ein Denkmal der Erinnerung an die beiden geliebten Menschen sein zu lassen. Hierzu bewog ihn auch noch der besondere Umstand, daß sein Bruder ihm außer den Modellen zu seinen eigenen schätzenswerten künstlerischen Arbeiten auch noch viele ältere und neuere Kupferstiche in guten Abdrücken hinterlassen und Lübeck ihm noch zu Lebzeiten seinen kostbaren Besitz an Handschriften und Handzeichnungen zur Geschichte des Berliner Turnwesens und Friedrich Ludwig Jahns übergeben hatte. (...) Am 1. Mai 1882 übergab Göritz seine Schenkungsurkunde dem Magistrat. Sie enthielt nun folgende Bedingungen: die Bibliothek sollte den Namen Göritz-Lübeck-Stiftung tragen und die Stadt für deren Aufstellung und Benutzung angemessene Räume in einem städtischen Gebäude anweisen." (2) Zusätzlich existierten in Berlin, neben zahlreichen privaten oder von Vereinen getragenen Einrichtungen, zu diesem Zeitpunkt insgesamt 27 städtische Volksbibliotheken mit einem Bestand von über 100 000 Bänden, die jährlichen Entleihungen überstiegen 600 000 Bände. Außerdem gab es sechs öffentliche Lesehallen, die von der Stadt betrieben wurden. Die erste war 1896/97 in der Mohrenstraße gegründet worden. Diese städtischen Volksbibliotheken und Lesehallen wurden von einer breitgefächerten Leserschaft genutzt, der Großteil der Besucher kam aus der Mittelschicht. Die Bibliotheken waren wöchentlich dreimal, meist mittwochs und sonnabends von 12 bis 14 Uhr und sonntags von 11 bis 13 Uhr geöffnet. Ihre Benutzung war jedem Berliner Einwohner unentgeltlich gegen Beibringung eines Empfehlungsscheins gestattet. Jede einzelne Bibliothek wurde einzeln verwaltet und geführt, die oberste Leitung lag allerdings beim Leiter des städtischen Archivs und der Magistratsbibliothek, 1892 war dieses Amt dem Stadtbibliothekar Arend Buchholtz übertragen worden. Als Arend Buchholtz sein Amt antrat, waren die städtischen Volksbibliotheken nicht einheitlich koordiniert. Es gab für die Bewohner von Berlin keine zentrale Bibliothek, die das öffentliche kulturelle Interesse der Stadt und ihrer Einwohnerschaft widergespiegelt hätte. Lediglich die der Allgemeinheit kaum zugängliche Magistratsbibliothek stand ansatzweise in dieser Funktion - und sie platzte aus allen Nähten. So stellten auch zeitgenössische Beobachter fest: „Im letzten Dezennium des abgelaufenen Jahrhunderts machte sich das Bedürfnis geltend, das städtische Bibliothekswesen neu zu gestalten. Es hatte die Magistratsbibliothek im Laufe der Zeit ihren Bücherbestand so erheblich vermehrt, daß bei dem beschränkten Räume Schwierigkeiten in der Ordnung und Unterbringung des Materials entstehen mußten; zugleich hatte sie die sich immer umfangreicher entwickelnden Volksbibliotheken (zu denen noch die Lesehallen treten sollten) zu verwalten und damit eine sich mehr und mehr erhöhende Arbeitslast." (3) So wurden im Frühjahr 1898 erstmals bei den Berliner Stadtverordneten Stimmen laut, die in diesem Zusammenhang eine Aufwertung des städtischen Bibliothekswesens forderten. In der Sitzung der Stadtverordneten vom 29. März 1898 kam zu Protokoll: „(...) Jedoch ist gelegentlich einer späteren Position (...) die alte Frage der Zentralisierung des städtischen Bibliothekswesens wieder aufgenommen worden. Es wurde darauf hingewiesen, daß durch die vielen kleinen Spezialbibliotheken eine Zersplitterung der für das Bibliothekswesen aufgewandten Mittel eintritt, während es sowohl aus allgemein kulturellen Gesichtspunkten wie aus denen einer umsichtigen Kommunalpolitik als eine Aufgabe der Stadt Berlin erscheint, für eine große städtische Zentralbibliothek Sorge zu tragen. Es wurde daher folgende Resolution angenommen: Die Versammlung ersucht den Magistrat, schleunigst für Erbauung und Einrichtung einer Zentralbibliothek Sorge tragen zu müssen." (4)

13

Berliner

Stadtbibliothek

G a l 2 2 2 2 2 3 2 2 2 2 2 2 EIN P R O G R A M M 2 2 2 2 2 2 2 2 3 2 2 2 Wer in Moabit, auf dem Wedding oder hinter dem Lausitzer Platze wohnt, bestellt in Zukunft mündlich oder schriftlich in der Volksbibliothek seines Stadttheils Bücher und empfangt sie dort in kürzester Frist. Der Verkehr zwischen der Zentralbibliothek und ihren Filialen kann durch radfahrende Boten oder durch Fuhrwerk (Aktenwagen) vermittelt werden. Die Verwaltung wird immer im Auge haben müssen, dass die an der Zentralstelle vorhandenen Büchervorräthe der Allgemeinheit zu freiester, ungehindertster Benutzung zugeführt werden. Von der Zentralbibliothek sollen in breiten Strömen Bildung und Belehrung in die gesammte Bevölkerung bis an die äussersten Grenzen der Stadt geleitet werden : darin liegt ihre Bedeutung, darin auch die Gewähr ihrer Dauer. Die Einrichtung der Zentralbibliothek wird der Kommission aber auch eine zweckmässigere Verwendung der Geldmittel ermöglichen: unter anderm wird die Anschaffung von vielen Exemplaren kostspieliger populärwissenschaftlicher Werke, deren die Volksbibliotheken bei ihrer jetzigen Organisation nicht entbehren können, erspart. Wir sind überzeugt, dass die Zentralbibliothek, Einsicht, geistige Kraft und Zufriedenheit verbreitend und mehrend, der gesammten Bevölkerung zu einem reichen Gewinn werden und eine hohe sozialpolitische Aufgabe erfüllen wird, und können uns dabei auf das Beispiel Wiens berufen, das mit seiner vor zwei Jahren eröffneten Zentralbibliothek die alle Erwartungen weit hinter sich lassende Erfahrung gemacht hat, dass sie von jedermann anerkannt, benutzt und gefördert wird.' Die Kommission behält sich vor, in ihrem Etatsentwurf für das kommende Jahr über den erforderlichen Kostenaufwand, der auf mehrere Jahre zu vertheilen sein wird, die Raumfrage u. a. m. eingehend zu berichten. Sie will aber schon an dieser Stelle ihre Vorschläge für das neue Unternehmen wenigstens skizziren: Die Stadt Berlin errichtet auf ihre Kosten eine Zentralbibliothek. Sie besteht aus Leseräumen, in denen wenigstens zweihundert Personen Platz haben, einer Bibliothek von Nachschlagewerken (Referenzbibliothek) und einer Ausleihbibliothek. Blättern Für Volks* In den Leseräumen liegen Zeitschriften und politische Ä « ™ Zeitungen jeder Art und Richtung aus. usoo) Nr. 1-2 s. ie.

Auszug aus der Festschrift von Arend Buchholtz, August 1900

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Eine Bibliothek der Tatsachen

Bezugnehmend auf diese Resolution kam man im Dezember 1898 zu einem weiteren Entschluß: Da die Fertigstellung eines eigenen Gebäudes Jahre erfordern würde, in der Bibliotheksverwaltung aber zunehmend ein Notstand angemahnt wurde, sei baldige Abhilfe nötig. Es sei deshalb zweckmäßig, die Räume im Rathaus zu entlasten und eine vorläufige Bibliothek in einem anderen städtischen Gebäude aufzustellen. Diese Bibliothek sollte aus Teilen der Magistratsbibliothek und aus Teilen der Göritz-Lübeck-Stiftung bestehen. Die passende Lokalität sah man in den ehemals von der Sparkasse genutzten Räumen in der Zimmerstraße 91. Im gleichen Kontext wurde auch ein zehnköpfiger Ausschuß ins Leben gerufen, der die Magistratsvorlage für die Stadtverordneten vorzubereiten hatte. (5) Am 7. Februar 1899 wurde sodann in der Ausschußsitzung zur Vorbereitung der Vorlage festgestellt, daß der Beschluß vom März 1898 noch lange nicht zur Genüge umgesetzt sei. So wurden zwar die Vorschläge des Magistrates als Provisorium akzeptiert, in gleichem Atemzug wurde aber gefordert, in der nächsten Etataufstellung für eine Erhöhung des Buchbestandes zu sorgen. (6) Knapp über eine Woche später wurde in der Sitzung der Stadtverordneten für die Einrichtung einer Stadtbibliothek plädiert. Eine baldmöglichste Unterkunft solle für die „latenten Schätze, deren wir (...) uns hier rühmen können" gesichert werden; erwartet würde dies vor allem von vielen „wohlgesinnten, wohlhabenden und wohlgeneigten Familien, welche der Angelegenheit unserer städtischen Bibliothek in jedem Betracht fördernd entgegenkommen." (7) Die einstimmige Annahme der Vorschläge zur Einrichtung einer Stadtbibliothek wurde noch unterstrichen durch die Hervorhebung: Ein Bibliotheksneubau sei indessen unverzichtbar: „Wenn wir erst mehr Bücher haben, wird auch ein Haus dafür geschaffen werden, und diese Bücher werden gewiß den Mittelpunkt für das geistige Leben unserer Stadt bilden." (8) Nachdem Anfang 1900 der Umzug von Teilen der Magistratsbibliothek und der GöritzLübeck-Stiftung in die Zimmerstraße erfolgt war, setzte verstärkt die Diskussion um inhaltliche Aspekte der immer konkreter sich bildenden Stadtbibliothek ein. Man war sich darüber einig, daß die in der Zimmerstraße untergebrachten Bestände sich von der bisherigen Magistratsbibliothek abheben müßten. Neben der zentralen Leitung der Volksbibliotheken und Lesehallen sollten von der Zimmerstraße aus eigens definierte Aufgaben wahrgenommen werden. Am 15. März 1900 wurde anläßlich der Beratung über den Spezialetat 39 Β (Geschäftsbedürfnisse und Prozeßkosten) des kommenden Haushaltsjahres sehr kontrovers über das städtische Bibliothekswesen debattiert, nachdem eine besondere Position von 15 000 Mark für die Bibliothek in der Zimmerstraße freigegeben worden war. Die Beiträge waren höchst unterschiedlich: Manche Redner sahen die Funktion der Bibliothek in der Zimmerstraße vor allem in der Zentralisierung des Volksbibliothekswesens, andere sprachen von einer Bibliothek für die Bürgerschaft Berlins und nochmals andere (vor allem Oberbürgermeister Kirschner) bestritten all diese möglichen Aufgaben und wollten in der neuen Bibliothek lediglich eine Verwaltungsbibliothek mit dem Schwerpunkt Berliner Geschichte sehen. Letztlich einigte man sich auf die Beschlußfassung, den Magistrat zu ersuchen, ein Programm für das städtische Bibliothekswesen vorzulegen. (9) Im Juni 1900 wurde daraufhin der Stadtbibliothekar und Stadtarchivar Dr. Clauswitz beauftragt, ein Gutachten über das städtische Bibliothekswesen zu erstellen, das am 3. November 1900 dem Magistrat vorlag und am 10. März 1901 mit den daraus resultierenden Vorschlägen den Stadtverordneten mit der Bitte um Einverständnis unterbreitet wurde.

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Berliner Stadtbibliothek

BIBLIOTECA NAZIONALE

CENTRALE

FIRENZE, β

M.

Á nome di questa Biblioteca rendo vive grazie alla Signoria Vostra per il seguente graditissimo dono, cortesemente inviatoci.

a IL BIBLIOTECARIO 2L

Α1Γ Illustre Signor «

¿'tß^e-j^^ C „ß& è

A-C--

Dankesschreiben aus Florenz vom 19.12.1900 für Zusendung der Festschrift von Arend Buchholtz

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Eine Bibliothek der Tatsachen

In Kürze lautete der von Dr. Clauswitz ausgearbeitete Vorschlag: „Um nun die Bestimmung der Stadtbibliothek zusammenzufassen, so wäre sie zu bezeichnen als eine wissenschaftliche Geschäftsbibliothek für die städtischen Behörden auf breitester Grundlage mit besonderem Ausbau der Staatswissenschaften (...) und des Gemeindewesens über den geschäftlichen Zweck hinaus zu möglicher Vollständigkeit und zum Nutzen der Allgemeinheit. Ferner soll die Bibliothek pflegen die Geschichte der eigenen Stadt und im Zusammenhang damit Landesgeschichte und Landeskunde, ohne ihr zunächst eine genaue Abgrenzung auf diesem Gebiete vorzuschreiben." (10) Der Stadtbibliothekar Arend Buchholtz äußerte sich ebenfalls deutlich zum Thema. Zum 1. August 1900 hatte er anläßlich des 50jährigen Bestehens der Berliner Volksbibliotheken eine Festschrift verfaßt, in der er dezidiert zur Situation des Berliner Bibliothekswesens Stellung nahm und eine klare Perspektive für die Bibliothekslandschaft der Stadt aufzeichnete: „Schon lange wird in der Presse, in öffentlichen Versammlungen, in Fachzeitschriften und Broschüren die Forderung erhoben, dass Berlin im lebhaftesten Verkehrszentrum eine Volksbibliothek und Lesehalle grossen Stils errichte. Die Kommission glaubt, die litterarischen Bedürfnisse der Bevölkerung zu kennen: sie gehen in der That dahin, dass eine Bibliothek geschaffen werde, die an Inhalt über dem Niveau der kleinen, den gesteigerten Ansprüchen nicht genügenden Volksbibliotheken und Lesehallen steht und sie an Umfang übertrifft. Sie soll keineswegs mit den grossen, gelehrten, der litterarischen Produktion dienenden Staatsbibliotheken wetteifern, keine wissenschaftlichen Studien und Arbeiten fördern, weder Aristoteleskommentare noch Sanskritwörterbücher enthalten, sie soll auch nicht der Unterhaltung dienen, sondern soll nicht mehr und nicht weniger sein, als eine Bildungsanstalt für die weiten Kreise der Bevölkerung, die das nicht abweisbare Bedürfnis haben, die Grenzen ihres Wissensgebiets zu erweitern. Die über die Stadt verstreuten, immer mehr an die Peripherie rückenden Volksbibliotheken und Lesehallen werden an Bedeutung noch gewinnen, denn sie sollen der zukünftigen Zentralbibliothek - bleiben wir bei diesem Namen - nebenbei als Zweigstellen dienen und dem Publikum die Benutzung der grossen Bibliothek dadurch erleichtern, dass sie die Bücherbestellungen bei ihr vermitteln und ihm weite Gänge sparen. Wer in Moabit, auf dem Wedding oder hinter dem Lausitzer Platz wohnt, bestellt in Zukunft mündlich oder schriftlich in der Volksbibliothek seines Stadttheils Bücher und empfängt sie dort in kürzester Frist. (...) Von der Zentralbibliothek sollen in breiten Strömen Bildung und Belehrung in die gesamte Bevölkerung bis an die äussersten Grenzen der Stadt geleitet werden: darin liegt ihre Bedeutung, darin auch die Gewähr ihrer Dauer. (...) Wir sind überzeugt, dass die Zentralbibliothek, Einsicht, geistige Kraft und Zufriedenheit verbreitend und mehrend, der gesammten Bevölkerung zu einem reichen Gewinn werden und eine hohe sozialpolitische Aufgabe erfüllen wird. (...)" (11) Auch in den darauf folgenden detaillierten Vorstellungen über Ausstattung, Bestand, Kataloge und sogar Öffnungszeiten bewies Arend Buchholtz, daß er sich schon lange mit dem Thema beschäftigte und ihm ein sehr konkretes und praktikables Bibliotheksmodell vorschwebte. Arend Buchholtz zählte zu den Verfechtern der sogenannten „Lesehallenbewegung", die zunächst von kommunaler Seite her sehr skeptisch beäugt wurde. Die Initiative für diesen neuen Bibliothekstypus kam von privaten Bildungsvereinen, allen voran die von Constantin Nörrenberg inspirierte „Comenius-Gesellschaft" oder die „Gesellschaft für ethische Kultur".

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Berliner Stadtbibliothek

Bücher aus der Jacobsen-Sammlung, die 1906 der Stadtbibliothek testamentarisch zugesprochen wurde

Angeregt durch die angelsächsischen, vor allem amerikanischen Vorbilder hatte man sich hier einer Modernisierung des deutschen Volksbüchereiwesens verschrieben, das noch allzusehr dem Wohlfahrtsgedanken verpflichtet und für die bürgerliche und intellektuelle Mittel- und Oberschicht nicht attraktiv war: Zwar spendete man für die Volksbüchereien, war aber weit davon entfernt, diese auch aufzusuchen und zu benutzen. Die nun ins Leben gerufenen Lese- oder Bücherhallen waren geprägt von einer wesentlich offeneren Atmosphäre: Charakteristisch waren die großen Lesesäle, in deren Regalen wichtige Standardliteratur, Nachschlagewerke, Zeitungen und Zeitschriften für alle zugänglich bereit standen, charakteristisch waren ebenso die erweiterten und benutzerfreundlichen Öffnungszeiten. Die Thekenausleihe stand nun nicht mehr im alleinigen Mittelpunkt des Bibliotheksgeschehens, die Rolle des Bibliothekars als „Hüter des Wissens" veränderte sich zugunsten einer vermittelnden und beratenden Haltung, den Lesern wurde mehr Mündigkeit und Autarkie eingeräumt. Als sehenswertes Musterbeispiel einer Lesehalle galt die „Städtische Volksbibliothek und Lesehalle" der Gemeinde Charlottenburg mit ihrem von zwei Galeriegeschossen umzogenen großen Lesaal, die von Nörrenberg geleitet wurde. Ein anderes vorbildliches und erfolgreiches Beispiel war die von dem Verlagsbuchhändler und sozialdemokratischen Abgeordneten Hugo Heimann in der Kreuzberger Alexandrinenstraße in einem Gartenhaus eingerichtete Lesehalle, die vor allem einen hohen Prozentsatz an Lesern aus der Arbeiterschicht aufweisen konnte. Arend Buchholtz setzte sich in Berlin ebenfalls für den Gedanken der Lesehalle ein. Seinen Bemühungen ist es zu verdanken, daß die Einrichtung von vier Lesezimmern schritt-

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Eine Bibliothek der Tatsachen

weise verwirklicht wurde. Doch erreichte dieser Standard bei weitem noch nicht das von Buchholtz angestrebte Ideal, eine Bibliothek für alle Bürger der Stadt Berlin zu schaffen, die unabhängig von der spezifischen Leserstruktur des engeren Standortes den Ansprüchen aller Bevölkerungskreise genügen würde und die nach modernen Gesichtspunkten ausgestattet sein sollte. Mit diesen Gedanken nahm Buchholtz wesentlichen Einfluß auf die damalige Debatte um die Einrichtung einer Stadtbibliothek, vor allem die liberale und fortschrittlich gesinnte Bürgerschaft und deren parlamentarische Vertreter argumentierten in ähnlicher Weise. Am 3. April 1901 tagte die Stadtverordnetenversammlung, in der ein Ausschuß zur weiteren Beratung eingesetzt wurde. Das Gutachten von Clauswitz stieß hier auf kritische Resonanz: „Meine Herren, (...) meiner Ansicht nach sollte gegenüber den Anschauungen des Magistrats eine Verschiebung eintreten nach der Richtung, daß wir aus der Magistratsbibliothek zwar eine umfassende wissenschaftliche Handbibliothek machen, indem wir sie komplettieren; der Magistrat muß alle Hilfsmittel für seine Geschäfte haben. Aber ein ganz wesentliches Gewicht lege ich auch darauf, daß die Bibliothek in der Zimmerstraße zu einer Bibliothek für allgemeine Bildungsbedürfnisse ausgebaut wird für die Berliner Bevölkerung in ihrer Gesamtheit, für jene Kreise, für die eine solche Bibliothek bisher nicht vorhanden ist." Im selben Zusammenhang war sich der Redner auch sicher, „die Magistratsvorlage verschließt sich der Möglichkeit, daß die Bibliothek in der Zimmerstraße nach dieser Richtung, die ich angedeutet habe, auszubauen sei, nicht vollkommen. Die Vorlage sagt, das soll späteren Entschließungen vorbehalten sein, das sei nicht ausgeschlossen." (12) Am 7. Mai 1901 tagte der Ausschuß erstmals, am 17. Mai 1901, nach einer gemeinsamen Besichtigung der Räumlichkeiten in der Zimmerstraße, wurde die Diskussion erneut fortgesetzt. Nochmals wurde gegen die Magistratsvorlage argumentiert: „ (...) Daß es ebenso wie bei der Magistratsbibliothek auch bei der Stadtbibliothek nicht nötig sei, eine neue Gelehrten-Bibliothek, deren es so viele gäbe, zu schaffen. Von einer solchen habe die Allgemeinheit keinen Nutzen. Dieser fehle in Berlin eine sogenannte Bildungsbibliothek, eine Bibliothek der Thatsachen nicht der Quellen, durch deren Benutzung es jedem aus dem breiten Bürgerstande und aus dem Arbeiterstande möglich werde, sich in den Stand gebildeter Leute sozusagen hineinzulesen. Die Bibliothek sei mithin ein Mittelglied zwischen Volksbibliothek und wissenschaftlicher Bibliothek, gewissermaßen die Fortsetzung der Volksbibliotheken, welche aus ihr gespeist werden müßten." (13) In den Ausschußsitzungen kam es zwischen den Stadtverordneten und den Vertretern des Magistrates schließlich zu einem Einvernehmen. Der Magistrat ließ sich bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung der Stadtbibliothek auf wesentliche Korrekturen ein. So wurde in der entscheidenden Stadtverordnetenversammlung am 6. Juni 1901 zwar auf die Vorlage vom 10. März Bezug genommen, allerdings mit modifizierten Maßgaben: Demnach sollte ein Kuratorium aus fünf Mitgliedern des Magistrats und zehn Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung künftig die Stadtbibliothek gemeinsam mit den städtischen Volksbibliotheken und Lesehallen verwalten. Die Stadtbibliothek sollte dem Bildungsbedürfnis der weitesten Volkskreise entsprechen und als Zentrale für die einzelnen Volksbibliotheken ausgestaltet werden. Dem Magistrat verblieben die Handbibliothek und die mit dem Stadtarchiv verbundenen Fachbibliotheken. Diese beiden Bestandteile bildeten künftig die Magistratsbibliothek. Eine Erhöhung der bisherigen für Bibliothekszwecke gewährten städtischen Mittel sei überdies erforderlich. In den Ausschußsitzungen war auch die Namensgebung eindeutig festgelegt worden. Nachdem auch ,Zentralbibliothek' immer wieder im Gespräch gewesen war, hatte man

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Berliner

Stadtbibliothek

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Eine Bibliothek der Tatsachen

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Verzeichnis der Friedländerschen Sammlung, Titelblatt des Kataloges von 1897

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Berliner

Stadtbibliothek

sich nun endgültig auf ,Stadtbibliothek' festgelegt, „da dann jedermann wisse, daß diese Bibliothek den Bürgern der Stadt gehöre." (14) Im Laufe der Beschlußfassung kam es in der Stadtverordnetenversammlung am 6. Juni 1901 nochmals zu einem kurzen Meinungsabgleich über die Abgrenzung der Stadtbibliothek zur rein wissenschaftlich orientierten Bibliothek. Letztlich verständigte man sich aber auch in diesem Punkte und legte den inhaltlichen Standort der Bibliothek in der Zimmerstraße als Bildungsbibliothek für eine breite Mehrheit fest: „Wenn nämlich ein wissensdurstiger Mann in bürgerlichen Verhältnissen, der keine gelehrten Studien treiben will, und der auch nicht die Grundlage in seinem bisherigen Bildungsgange für gelehrte Studien besitzt, wenn der sich fortbilden möchte, so ist ihm das sehr erschwert, vielleicht unmöglich. Eine Bibliothek speziell für diesen Zweck ist nicht vorhanden, und da schien es uns vor allen Dingen wichtig, daß eine solche Anstalt, die für das Bildungsbedürfnis der gesammelten Bürgerschaft bestimmt ist, gegründet wird, eine Anstalt, die über das Niveau der Volksbibliotheken wesentlich hinausgeht." (15) Anschließend sprach der Stadtverordente Cassel das Schlußwort und ergänzte seinen Vorgänger, indem er betonte, „(...) daß wir allerdings geglaubt haben, nicht eine Bibliothek für solche schaffen zu müssen, die als Gelehrte wissenschaftlich arbeiten wollen, sondern für die weitesten Volkskreise, die aus allen Wissensgebieten das Erforderliche für ihre eigene Bildung suchen. Es wäre geradezu ein Hindernis der Ausbreitung der Bibliotheken für die weitesten Volkskreise, wenn man teure, aber für die Volkskreise gänzlich entbehrliche Quellenwerke anschaffen wollte. Keineswegs aber sollen nur einseitige Richtungen begünstigt werden, sondern zum Beispiel von der Volkswirtschaft, von der Geschichte usw. die verschiedensten Standpunkte, die irgend Interesse bieten, vertreten sein." (16) Am 13. Juli 1901 erklärte sich der Magistrat von Berlin mit dem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung einverstanden, im Etat für das Haushaltsjahr 1902 wurden erstmals Mittel in Höhe von 20 000 M für die Stadtbibliothek ausgeworfen. Im Verwaltungsbericht des Magistrats von Berlin für dieses Etatjahr wurde darüber Rechenschaft abgelegt, daß diese Summe bestimmungsgemäß für die Anschaffung von geschichtlichen Werken verwendet worden seien. Demnach bestand die Abteilung Geschichte am 1. April 1903 aus insgesamt 12 000 Bänden. Neben Neuankäufen resultierte dieser Bestand aus Übergaben der Magistratsbibliothek, der Volksbibliotheken und vor allem aus wertvollen Stiftungsbeständen, Vermächtnissen und Schenkungen. So wurde im Verwaltungsbericht auch vermerkt: „Die Abteilung Geschichte (...) wird nicht nur dem allgemeinen Bildungsbedürfnis, sondern in manchen Gruppen auch gelehrten Studien dienen können." (17) Insgesamt konnte die Stadtbibliothek im Jahre 1903 bereits 35 000 Bände Bestand anmelden, der fast vollständig katalogisiert war. 1905 wurden 53 000 Bände gezählt, 1906 waren es bereits 70 000. Im April 1907 wurden noch knapp 81 000 Bände gezählt, bei der Eröffnung der Stadtbibliothek im Oktober 1907 war der Bestand auf fast 90 000 Bände angewachsen. Zum einen wurden Mittel für die Erweiterung des Bücherbestandes aus dem kommunalen Haushalt bereitgestellt, zum Teil wurden Bücherankäufe auch aus den Zinserträgen von Stiftungen finanziert. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Bestandes basierte jedoch von Anfang an aus Nachlässen und Schenkungen. 1906 war immerhin die Hälfte des Buchbestandes aus früheren Teilen der Magistratsbibliothek und aus Geschenken und Nachlässen zusammengesetzt. Einen Überblick über die Zusammensetzung der ,Stifter und Gönner' liest sich beispielsweise für das Jahr 1905 wie folgt:

22

Eine Bibliothek der Tatsachen

Ψ

329

2 L

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M 20, (387—880.)

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Stûbtticrûriinctcu'Scrîainmluufl

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38». «orlare 1 8 7 M a g . - B ì b l . 00} — ¿ut «efrfjíufj; feffiittfl , betreffe«* t>aèfctebtifdje«ibiiotbefaioefe«. « m 1 5 . 3JWt¿ 1 9 0 0 bèi ®erat&unfi beö 6pe3iol-(ííolg 3 9 Β befd)Íoí$ bie Seríammlutig, „ben äKagiftrat ¡$u erfudjen. it>r citi $ r o · « r a m n i fut ba» i t i M f à e ÍHbliotbífSWeíen oor^uleflen".

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©ibiiotljefen

Λ. bie S i n g i f i r ü t i ' Ö i b l i o t ^ e f ; Β . b i e β t a o i b i b I i o t fj f, O. bíe ^ O i f í - W C T O T b e f e n u n b f l ä b t H d j e u S e f e f j a l i f n ; I ft. bie f l a b í i í é e n Satöbtbiiöijftfeit. Ρ U e n u j j i Hub nufererfeitè werben bie !&oi1d)läge be« S u r a t o r i u m s für bie ¿ n C genannten ©íbliot^eíen, bie ajorfcfylage beö €jtabtarrf)tôarë unb Stabibibiiotljefarë I)r. ( H a u à w i b coin 8. 9iooember 1900. be· treffenb bie ßrridjtung einer ©íebtbibíiotljef, roeJcíje w i r in eiuem R e m p l o i beifügen, fornie bie SBeîdjIfiffi eineé Don une one u n f e r n Slîilte eingefetjta' oorberatbeuben ä u s f d j n f i e i -

gu Α. I

© í e 28Q{ji{irat£bíbliotíjeí wirb jtmíerfiiu nur btejenigen uet· fdjtebeiiarügen T r u d l d m h c i t κ . «»rtfoffen, weldje ber unmittelbare fiobtiftbe Φ « ι ι ί ί — einfd)Uef}lid) beä Sfrdjioö — erforbett. 5Der neue « a i n i ü f l biefttr 5Waaiftral$-©iöIiot()ef ift bereits ira ® m r f begriffen unb Wirb ooraueftdHlid) ηοφ c o r bem S o m m e r b. ausgegeben werben.

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I

3)te SiablbibliottjeF umfafct ¿unädjft biejenigeti ©eftäitbe, loeldje für bie j u A angegebenen ßroerfe nidjt unmittelbar mit&iöeubig finb, iidj glcid)tuoi)i aber biê \>ot 6tUr¿em nod) mit in ber üföagiftraii·' SBibliotbtf im MatfibotiS befanben. D a w i r mit ber Siabtoerorbneten· Sìerfammlung $in|td)tlid) ber S b f o n b m i n g unb α Π » δ | Ι ι φ « ι ©raerterung einer beionbereit Stabtbiblioibe? eumerftanben tinb, fo baben wir fdjou einen nidjt imbeträd)tUn formettet Schiebung pcrinebrte G i n fü^riutg bed ^bmbbienfte«, wo i^tt ber yeterfreiï ber ©tabtgrt»f?b wunfdjt,

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$ i e r a u fd)Ue&en fi Φ b.if ^acbbibliot^eïen int eugöen S i n n e , roeút" j u u à é f t nur für ben engeren ítübíijdKn ®ienft beftimnu finb. ® a . v ¡ geböreit 5. bie ©ibfiotljrf ber ^oibbaU'Äbtfteiltmg, bet i t e f b a u · «Ubeiiimg, bei- Stanalifation, ber ί ΰ α if erwerfe, ber Steuere^utQtibR. b « ?lrmctt-3)iref!Íon unb bergleidjeu meijr. Φ ί ί bebeutetibfte i n biefer W'fct· gebatbíen Síeibe ber ÎxaœbibÛolbefen ift Γ»Φ«τϋΦ bie ®ibíiotbef b«·) .60djbau'?lbtbei{ui:g, loeidje j u r befoubeteu Verfügung bef> betreffenbén Stabi.^nuraii)ö fteíjt. felbftoetfmnblWj aber audi οαη η üb err· 1 ^nietefieuten benuijí werben ! a u n . δΐη biefen gàcbbiblioibefei!, bie i | r e befonberen gtatä babe«, beabîidjtigen w i r felbftrebenb md)t j u rubren, ba fie Ptdj non icfjcr bewährt baben unb, wie ftfton betont. Htr bie ftöblift&e SJerwaUaita nneutbebtlid) fiub. S i t glauben íjientac^ ben « r e i s ber »teblifäen ©ibtiol|¿fen oor bet $ a t t b gefiftiofieu j u baben, otme für affé S e i ' t n f ' | , e ® Γ ' Weiterung beffelben au9jufdjiie|en. S i r erfuiben bie geebrie folgenbe ©eftblu&fafjung:

etabwerorbneteu » Serfammiung

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î ) i e ®erfommlung erfiärt fitb mit ben in bet Vorlage beá aRaaiftratS nom 1 0 . S K a r j 1 9 0 1 auSgeiorodjenen  t u i i b fäfeeu für bie tSntwirfelnmi bee ítñbtilíben ©ibíioibe?^ wefenS einoerftanbeu. Berlin, ben 1 0 . SWarj 1 9 0 1 .

3KaQiflTat ^iffiger Âôîîieï. ^aupt- tmb airliner,

Vorlage für die Stadtverordnetenversammlung betreffend das Städtische Bibliothekswesen vom 10. März 1901

23

.

S i e f»öbtifd(eu ^anbiucrr*.·'unb bergleiíben, iowie bie Sibliotljef be» @tatiftifmafs

ftäbtifdjen

®oltê

bibliotljefen unb öefe^allen hinausgehen; if)r ©üdjerbeftanb foli ben ber îBoIfêbiblÎPtfjeïcn unb öefeljatlen ergangen unb erweitern.

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^at aber itid)t bie Aufgabe, gelehrten ©tubien gu bienen. §2. Sie

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ber SBiffenfdjaft unb Literatur, nur

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Ausführungsbestimmungen für die Berliner Stadtbibliothek, August 1905

25

Berliner

Stadtbibliothek

1907 existierten folgende Abteilungen: Geschichte, Erdkunde, Literaturgeschichte und Dichtung, Kunst, Rechtswissenschaft, Staatswissenschaft, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft und schließlich noch Naturwissenschaft. Bei der Eröffnung der Bibliothek im Herbst 1907 lagen zu allen Abteilungen Kataloge vor, die von der Fachwelt sehr positiv besprochen wurden. Einerseits sprach man ihnen zu, „auf der Höhe der Bibliothekswissenschaft" zu stehen (20) und in dieser Hinsicht äußerst kompetent und fachkundig geführt zu sein, andererseits wurden die Kataloge wegen ihrer Übersichtlickeit und leicht zugänglichen Systematik lobend hervorgehoben. Diese Arbeit konnte Arend Buchholtz natürlich nicht alleine bewältigen. Neben Hilfsdienern und Büroassistenten wurden ihm im April 1904 und im April 1905 jeweils eine Bibliotheksgehilfin zugestellt. Ihre jeweilige monatliche Vergütung betrug 90 Mark. Die nächstfolgende Welle an Neueinstellungen kam erst wieder nach Eröffnung der Bibliothek. Die Arbeit der in der Stadtbibliothek Beschäftigten bezog sich in erster Linie auf den Bestandsaufbau und die Bestandserschließung. Es galt, den Bücherreichtum der Stadtbibliothek für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eine Ordnung der Bestände zu erreichen, die transparent und leicht einzusehen war.

26

Das Provisorium in der Zimmerstraße Von der Eröffnung 1907 bis 1921

Am 15. Oktober 1907 konnte die Stadtbibliothek ihre Räume endlich der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die anfanglichen Öffnungszeiten beschränkten sich zunächst auf 12-15 Uhr und 18-21 Uhr wochentags, der Lesesaal war in den Abendstunden bis 22 Uhr geöffnet. Der Buchbestand betrug knapp 90 000 Bände, insgesamt war die Bibliothek in sieben Abteilungen untergliedert; entsprechend den Abteilungen lagen sieben gedruckte Kataloge vor, die auch zum Stückpreis von 1 M gekauft werden konnten. In einem zeitgenössischen Artikel wurden aufgeführt: „Die Bände des Katalogs haben folgenden Inhalt: 1 und 2: Geschichte, 3: Erdkunde (mit Reisen), 4 und 5: Literaturgeschichte und Dichtung (der Name ,Goethe' wandert durch 63 Seiten), 6: Kunst, Rechts- und Staatswissenschaft, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft, 7: Bibliothek des Lesesaals." (1) Der Aufbau der Abteilungen galt damit allerdings als noch nicht abgeschlossen, sondern sollte in der Folgezeit noch fortgesetzt und um ergänzende Themenbereiche erweitert werden. Kurz vor und kurz nach der Bibliothekseröffnung kamen deshalb sehr hohe Etatkosten für Bücher und Buchbindearbeiten zum Tragen, die zum Teil aus Gemeindemitteln, zum Teil aber auch aus Stiftungsgeldern beglichen wurden: 1907 hatte der entsprechende Etat noch 51 000 Mark betragen, 1908 lag er bei 64 000 Mark, 1909 war er wieder auf 30 000 Mark gesunken. Die Bibliothek wurde vom Publikum sofort angenommen, bereits im ersten Jahr wurden über 100 000 Bände ausgeliehen, 1908 rechnete man mit einer monatlichen Entleihziffer von circa 11 000 Bänden. Der Lesesaal wurde täglich von durchschnittlich 225 Personen benutzt. Zu welchen Belastungen diese hohe Ausleih- und Benutzerfrequenz für Besucher und Bibliotheksmitarbeiter führte, zeigt ein Protokoll der Sitzung der Berliner Stadtverordneten vom 30. Dezember 1908: „Die Leser müssen stundenlang warten, bis sie die Bücher bekommen, besonders in den Abendstunden, und gerade dann kommt dasjenige Publikum, auf das wir besonders rechnen müssen, die kleinen Kaufleute, Handwerker, Arbeiter, die sich bilden wollen." Noch drastischer schilderte es der nachfolgende Redner:,,Meine Herren, das Bedürfnis nach einem Neubau ist allerdings dringend. Wer die Verhältnisse nur ein klein wenig kennt - und dazu baucht man nicht Mitglied des Kuratoriums zu sein - weiß, daß in der Stadtbibliothek Zustände herrschen, wie sie für die Stadt Berlin sich nicht ziemen. Meine Herren, die Bücher sind ja wohl ordentlich untergebracht, aber der Vorraum zur Bibliothek, in dem die Bücher ausgegeben werden, genügt nicht einmal bescheidenen Ansprüchen: er besteht aus einem zweifenstrigen Zimmer, das in zwei gleiche Hälften durch ein Holzgitter geteilt ist; in dem einen Räume befinden sich die Beamten, in dem anderen das Publikum. In diesem letzteren einfenstrigen Zimmer - um es so auszudrücken - befinden sich in der Mitte zwei große Tische mit Stühlen ringsherum; außerdem wird der Raum eingeengt durch eine starke gußeiserne Säule. An den Wänden befinden sich Pulte zum Ausschreiben der Bücherzettel. Es bleibt von diesem einfenstrigen Zimmer für das Publikum nichts weiter übrig als zu beiden Seiten der Tische ein schmaler Gang, in dem sich mit Mühe zwei begegnende Personen ausweichen können. Das ist der Zustand des Bücherausgaberaums der Stadtbibliothek von Berlin!

27

Berliner

Stadtbibliothek

Die Berliner Stadtbibliothek Ttmmcvftvnlîc 90-91,

tic He Bejiímutung Ijat, ber Berliner Bftrgerfdjaft p r (Weiterung ber ötlbung unb p r W e r b u n g nütuidier .tenntníjfe ρ Dienen, íft an ben S o d p tagen geöffnet;

lile Ληο Ici!| b ib liotlj eh »on 1 2 - 3 nab 6 - 9 U|r, b t x i t f t f w l m \ 1 2 - 3 u. 6 — 1 0 1 % , $ f e $teiiitJ$nitfi iff u n e n t e e f t l t r i ) * 3taHbtbíiotí)e! fceríelM Büdjer unmittelbar nnb burd) Vermittlung ber pbtifdjen ^ífébíbiieííjefen, Berlin, ben 9, Stowmfcr 1907, .H tifatovi tint fcev 2tnMlul»IiotlKl nnb fcer ftädtildK» WolféfriMinfltcfeu litt* fceictjnUcn Frtedel) ©taWrat, Qkijdmfr ^cgieruugiSrat, «nul M· MOUD * M U N I Β-riha «MB. ML

S o l f a i »b«.

Eröffnungsplakat der Stadtbibliothek Zimmerstraße 90/91 vom November 1907

28

Das Provisorium in der

Zimmerstraße

In der Zeit von 6 bis 9 Uhr abends ist der Andrang so stark, daß der Bibliothekar in seinem einfenstrigen Nebenzimmer 3 Stunden gefangen ist, weil er die Tür nicht zu öffnen vermag; die Leute stehen Kopf an Kopf, eingekeilt in drangvoll fürchterlicher Enge. Bedürfnisse darf der Bibliothekar in dieser Zeit nicht haben (Anm. d. Verf.: Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle .Heiterkeit' der Anwesenden); selbst den Weg durchs Fenster kann er nicht nehmen, es ist vergittert." (2) Zunächst versuchte man, dem Ansturm durch Benutzungsbeschränkungen zu begegnen. Davon betroffen waren die Bewohner der Vororte von Berlin. Folgt man einer bibliotheksinternen statistischen Aufstellung über den Zeitraum vom 15.10.1907 bis zum 11.12.1908, so kamen immerhin 13,7 Prozent der Benutzer der Berliner Stadtbibliothek aus den Vororten. Im Detail ergab sich folgendes Bild: Berlin (4 685); Baumschulenweg (3); Birkenwerder (1); Boxhagen-Rummelsburg (13); Brandenburg (1); Britz (4); Charlottenburg (119); Falkenberg (1); Friedenau (68); Friedrichshagen (2); Grünau (2); Grunewald (2); Halensee (17); Köpenick (4); Lankwitz (2); Lichtenberg (11); Lichtenrade (1); Lichterfelde (26); Luckenwalde (1); Mahlsdorf (1); Mariendorf (1); Marzahn (2); Neu-Babelsberg (2); Nieder-Schönhausen (2); Ober-Schönweide (1); Pankow (9); Plötzensee (1); Potsdam (4); Rangsdorf (1); Reinickendorf (2); Rixdorf (73); Schlachtensee (2); Schmargendorf (4); Schöneberg (150); Schönhausen (5); Schönholz (1); Spandau (5); Steglitz-Dahlem (37); Stralau (1); Südende (21); Tegel (1); Teltow (2); Tempelhof (21); Treptow (5); Waidmannslust (2); Wannsee (1); Weissensee (3); Wilhelmsruh (2); Wilmersdorf (106); Wuhlgarten (1); Zehlendorf (10). (3) So sahen die Berliner Stadtverordneten angesichts der Raumnot in der Stadtbibliothek eine Konkurrenz von Berliner Nutzern und den Vorortbewohnern. Um Nachteile für die Berliner Leser zu vermeiden, erwog man in der Kuratoriumssitzung vom 14.12.1908, ob man nicht den Vorortbewohnern künftig die Nutzung der Stadtbibliothek gänzlich untersagen solle, da die Stadtbibliothek bestimmungsgemäß der Berliner Bürgerschaft zu dienen habe und im Gegenzug die Vorortbibliotheken ja auch keine Bücher an die Berliner ausleihen würden. Die Mehrheit der Kuratoriumsmitglieder sprach sich dann doch gegen diesen Vorschlag aus. Schließlich einigte man sich auf den Kompromiß, künftig keine neuen Lesekarten mehr für Vorortbewohner auszustellen, allerdings sollten die in Diensten der Stadt Berlin stehenden Personen von dieser Neuregelung ausgenommen sein. (4) Man war sich der Schizophrenie der Situation bewußt: Die Vorortbewohner trugen zur Entwicklung und zum Fortschritt Berlins sehr wohl bei, auch wirkte die Benutzungsordnung „kleinlich", wie die Kuratoriumsmitglieder zugestehen mußten, gleichzeitig sahen sie keinen anderen Ausweg, Benutzerandrang und räumliche Not unter ein gemeinsames Konzept zu vereinigen. Auch mit einer Erweiterung der Öffnungszeiten von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends (Beschluß der Stadtverordentenversammlung vom 25.2.1909) konnte dem Problem der Überfüllung nicht begegnet werden. Immer dringlicher schien der Neubau einer Bibliothek. Wie sehr eine räumliche Erweiterung nötig war, zeigt auch ein Blick auf die Statistik: Im ersten Jahr nach der Eröffnung der Bibliothek waren 102 449 Bände entliehen worden, im Oktober 1907 hatte man noch 5 000 Entleihungen registriert, im August 1908 waren es bereits 9 900 und im November 1908 zählte man 10 540 Entleihungen, mit steigender Tendenz. Der Verwaltungsbericht des Magistrates zu Berlin für das Etatjahr 1908, vorgelegt im Frühjahr 1909, erwähnte ebenfalls die Schwierigkeiten der Bibliothek, dem großen Andrang gerecht zu werden und veröffentlichte ebenfalls Zahlenmaterial, das vor allem bezüglich Detailfragen aufschlußreich ist (4):

29

30

Das Provisorium in der

Zimmerstraße

Neben einem Anstieg des Buchbestandes für Ausleihe und Lesesaal (89 510 im April 1908; 102 293 im März/April 1909. Im Lesesaal: 3 380 im April 1908; 3 729 im März/April 1909), war die Gesamtzahl der Entleihungen von 40 838 (Oktober 1907 bis März 1908) auf 122 772 (April 1908 bis März 1909) geklettert. Die Anzahl der über die Volksbibliotheken vermittelten Entleihungen stieg in den beiden angeführten Zeiträumen von 1 572 auf 2 306. Von diesen Entleihungen insgesamt entfielen in den beiden genannten Zeiträumen auf die einzelnen Abteilungen der Bibliothek: 10/07 - 3/08

4/08 - 3/09

4 637 2 288 30 188 1 825 481 280 569

11 143 7 283 88 797 5 301 1 285 738 1 344 125 (ab 3/09) 56 (ab 3/09)

Geschichte: Erdkunde: Literaturgeschichte und Dichtung: Kunst: Rechtswissenschaft: Staatswissenschaft: Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft: Philosophie: Mathematik:

Ebenfalls interessant ist die Zusammensetzung der Bibliotheksbenutzer. So besuchten überwiegend Männer die Bibliothek, vor allem als Lesesaalbenutzer hatten sie einen sehr starken Anteil: Im ersten Halbjahr nach der Eröffnung standen hier 25 173 männlichen Benutzern lediglich 2 201 Frauen gegenüber. Dieses Verhältnis verschob sich vom April 1908 bis März 1909 nochmals zuungunsten der Frauen. Im Verlaufe dieses Jahres wurden nahezu 6 0000 männliche Benutzer und nur knapp über 4 000 weibliche Besucherinnen gezählt. Bei der Betrachtung der Entleiher ergibt sich ein ähnliches, wenn auch weniger ausgeprägtes Verhältnis: Von insgesamt 3 367 im Jahre 1908 ausgestellten Lesekarten entfielen gerade 892 auf weibliche Personen. Der angeführte Verwaltungsbericht brachte zudem aufschlußreiche Zahlen zum Berufsstand der Entleiher. Deutlich wird, daß die überwiegende Mehrheit der Benutzer eher dem bürgerlichen Mittelstand zuzuschlagen war, auffällig ist der relativ hohe Anteil an Schülern. Beamte Akademische Berufe (Ärzte, Juristen, Redakteure etc.) Künstler Lehrer Studierende Schüler Militärpersonen Kaufleute Kaufmännische Angestellte und Lehrlinge Handwerker Arbeiter Ohne Beruf

334 298 80 228 328 528 21 372 535 300 131 212

In der Kuratoriumssitzung vom 19. April 1909 wurde zum wiederholten Male „schleunigst" (5) ein Bibliotheksneubau eingefordert - mit dem Vermerk, daß dies nicht als Luxus,

31

Berliner

Stadtbibliothek

£ d o î g h i V i vcñ Qw

1902

Ex Libris aus dem Gründungsbestand der Stadtbibliothek

sondern als Notwendigkeit auszulegen sei. Lediglich der Berliner Stadtkämmerer hielt dagegen, daß „man gesonnen sei, aus der Stadtbibliothek mehr zu machen, als sie sein soll: sie sei lediglich die Zentralstelle für die städtischen Volksbibliotheken und Lesehallen und weiter nichts." Er blieb mit dieser Meinung allerdings allein. Die Kuratoriumsmitglieder erinnerten nochmals an den Gründungsbeschluß von 1901 und hielten erneut fest, daß die Stadtbibliothek nicht nur ein Verwaltungsgebilde und eine bürokratische Einrichtung sei, sondern eine selbständige Bibliothek mit eigenständigem Profil. So wurde zusätzlich zum Ersuchen um einen Entwurf für ein neues Bibliotheksgebäude vorsorglich die Einstellung von mehr Personal und entsprechende Mittelaufstockung gefordert. In dieser Hinsicht gab es ständigen Handlungsbedarf. Der erste große Schub an Neueinstellungen war nach der Bibliothekseröffnung erfolgt. Mittlerweile arbeiteten neben den verbeamteten Bibliothekaren, allen voran Arend Buchholtz, sieben Bibliotheksgehilfinnen und fünf Hilfsdiener in der Bibliothek (Stand 1909). Arend Buchholtz und die Beamten wurden die ganzen Jahre über aus dem Spezialetat 38 finanziert, alle anderen wurden zunächst aus dem Spezialetat 48 bezahlt. Nachdem dieser Etat in die Regelfinanzierung des Berliner Haushaltes übernommen worden war (ab 1910) erfolgte die Bezahlung der Bibliotheksgehilfinnen und Hilfsdiener aus dem Haushaltstitel X, Museum und Bibliotheken, Abt. 2: Stadtbibliothek, Städtische Volksbibliotheken und Lesehallen. Ein nochmaliger Anstieg des Personals erfolgte 1910. Nun waren insgesamt elf Bibliotheksgehilfinnen und acht Hilfsdiener beschäftigt. Betrachtet man sich den damaligen

32

Das Provisorium in der Zimmerstraße Arbeitsalltag der im Bibliotheksdienst Beschäftigten und die beruflichen Belastungen, war diese Anzahl an Mitarbeitern, vor allem gemessen an dem sehr regen Betrieb in der Stadtbibliothek, gewiß nicht üppig. In den folgenden Jahren stieg die Benutzerfrequenz kontinuierlich an. Betrachtet man die Haushaltsjahre von 1908 bis 1910, so ergibt sich folgendes Bild (6): Entleihungen: 1908

122 772

1909

139 212

1910

170 859

Im Lesesaal wurden benutzt: aus der Handbibliothek:

aus der Ausleihbibliothek:

1908

26 695

1909

41 587

1910

55 239

1908

4 852

1909

7 934

1910

17513

1908

63 250

A n Lesesaalbesuchern wurden gezählt: 1909

80 389

1910

97 545

1911

94 894

Für das Haushaltsjahr 1912 hatte die Zahl der Lesesaalbenutzer 102 026 erreicht (darunter 6 468 Frauen). Geht man von einer durchschnittlichen jährlichen Öffnungszeit der Bibliothek von 260 Tagen aus, so ergibt sich wiederum für die Benutzung des Lesesaals ein Tagesdurchschnitt von circa 400 Benutzern. Da der Lesesaal über nur 100 Sitzgelegenheiten verfügte und man von bestimmten „Stoßzeiten" in öffentlichen Bibliotheken ausgehen muß, so kann man sich das Gedränge vorstellen. Im diesbezüglichen Verwaltungsbericht des Berliner Magistrates wurde dazu ganz sachlich vermerkt: „So erfreulich diese Ergebnisse sind, so tief müssen wir beklagen, daß das seit vielen Jahren geplante Haus der Stadtbibliothek noch immer nicht Wirklichkeit geworden ist. Wir haben schon im voijährigen Berichte mitgeteilt, daß die Hochbauverwaltung beauftragt worden war (3. Mai 1912), für das Gebäude der Stadtbibliothek auf dem Inselspeichergrundstück eine Bauskizze zu entwerfen: sie ist uns auch bis heute nicht vorgelegt worden. Die Raumnot macht sich inzwischen immer fühlbarer, und die Klagen über die Enge und Unbehaglichkeit der Räume werden immer dringlicher." (7) Damit war zum wiederholten Male ein Problem angesprochen, das im Prinzip schon mit der Eröffnung der Stadtbibliothek aufgebrochen war. Die Räume reichten nicht aus, obgleich zwischenzeitlich in der ersten Etage im Seitenflügel noch zusätzliche Räume angemietet worden waren. Die Miete, die bereits 1908 jährlich an die Sparkasse zu entrichten war, betrug 11 600 Mark. (8) Seit 1908 war im Berliner Haushalt ein jährlicher Etat von 100 000 Mark angesetzt, der als Rate für die Ansammlung eines Baufonds zu verstehen war. Kritische Stimmen sahen hier allerdings eher eine Verzögerung der Bauplanung, da noch zu viele Jahre vergehen würden, bis der Fonds zum Tragen käme. (9) Parallel zur Diskussion über die Finanzierung einer neuzubauenden Bibliothek und über die Vorteile eines kommuneneigenen Gebäudes dauerten die Suche nach und die Verhand-

33

Berliner Stadtbibliothek

Fol. 61

Benutzungsordnung für die Berliner Stadtbibliothek genehmigt vom Magistrat am 2. August 1907, abgeändert am 9. Dezember Í909S***? —·—

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_ y{¿A

§ 1. Die Berliner Stadtbibliothek hat die Bestimmung, der Berliner Bürgerschaft zur Erweiterung der Bildung und zur Erwerbung nützlicher Kenntnisse zu dienen. Sie besteht aus einer Aueleihbibliothek und einem Lesesaal. Die Benutzung beider Anstalten ist unentgeltlich. § 2. Die Ausleihbibliothek ist an jedem Wochentage von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends geöffnet. Geschlossen ist sie an den Sonntagen, den staatlich anerkannten Feier. * tagen, den Sonnabenden vor Ostern und Pfingsten und am / f a j / ^ . 24./Dezomber. Die Verwaltung hat außerdem das Recht, • die Bibliothek in jedem Jahre zu Ordnungsarbeiten bis zu einer Woche zu schließen. § 8. Die Benutzung der Ausleihbibliothek ist jedem Berliner Einwohner gestattet, der mindestens sechzehn Jahr alt ist und der Verwaltung die Gewähr bietet, daß er die sich aus der Benutzung der Bücher ergebenden Pflichten erfüllen wird. Verwaltung ist besichtigt, von den ihr ^bekannten Perlenen, die die Bibliothek zu benutzen ischen, die V o r l e ^ j g von AusweispapÎfeçen oder von EmpCçhlungsscheinen inrsjjekannter oder zuforiässig erscheinender Personen zu Tardera. Schüler städtischer Schulen itajjen einen Empfehlhegsechein ihres Kla Ordinarius vorzuweisen. § 4. Die Stadtbibliothek verleiht Bücher unmittelbar und durch Vermittlung der städtischen Volksbüchereien. Wer die Stadtbibliothek unmittelbar benutzen will, hat sich, nachdem er den Bestimmungen des § 3 entsprochen, durch Namensunterschrift zu verpflichten, die Benutzungeordnung zu befolgen. Er erhält hierauf eine mit «einem Namen und mit dem Stempel der Stadtbibliothek versehene Leihkarte, die bei jeder Entleihung vorzuzeigen ist.

Benutzungsordnung der Stadtbibliothek von 1907 mit Überarbeitungen

34

Das Provisorium in der Zimmerstraße lungen über ein geeignetes Grundstück. Mehrere Vorschläge wurden vorgelegt, unter anderem wurde für kurze Zeit auch erwogen, das Markthallengebäude in der Zimmerstraße gänzlich für die Bibliothek zu nutzen. (10) In der engeren Wahl standen zuletzt ein Grundstück in der Parochialstraße gegenüber dem Stadthaus, ein Grundstück zwischen der Stralauer Straße und der Spree sowie ein Grundstück Ecke der Breiten Straße und des Köllnischen Fischmarktes. (11) Schließlich entschied man sich für das Inselspeichergrundstück, zwischen Mühlendamm und Waisenbrücke gelegen, da es auf Grund seiner zentralen Lage, seines Preises und seiner Bebauungsmöglichkeiten am ehesten geeignet schien. Die konkrete Planung für den Bau einer Stadtbibliothek setzte im Jahre 1912/13 ein und wurde dem Stadtbaurat Ludwig Hoffmann übertragen, der sich in mehrfacher Hinsicht bereits als Berliner Stadtarchitekt bewährt hatte. Er entwarf nicht nur ein solitäres Gebäude zur Unterbringung einer Bibliothek, er entwarf vielmehr eine architektonische Gesamtkomposition, die auch vom Magistrat als eine „den ganzen Stadtteil hebende Anlage" (12) verstanden wurde. Geplant war neben dem Gebäude der Stadtbibliothek, die gleichzeitig eine Gemäldegalerie und Räume für andere Verwaltungszwecke beherbergen sollte, ein weiteres repräsentatives Haus für den Berliner Oberbürgermeister. Im Gebäude der Stadtbibliothek sollten zur Spree zugewandt eine Dampferanlegestelle mit Überdachung und ein Restaurationsbetrieb untergebracht werden. Die Bebauung sollte in eine Garten- und Baumanlage integriert sein, so daß zwar die einzelnen Gebäude schlicht und relativ schmucklos stehen würden, der gesamte Komplex allerdings eine „malerische Gesamtwirkung" (13) erzielen sollte. Doch nicht allein die Planung der Außengestaltung klang vielversprechend, auch die Konzeption der Innenräume zeigte sich funktional und modern. Manche Ideen im Vorfeld der eigentlichen Planung, so beispielsweise ein Lese-Dachgarten oder ein separates Lesezimmer für Blinde, scheinen im Zuge der Konkretisierungsphase aufgegeben worden zu sein. Die für den Bibliotheksbetrieb wesentlichen Elemente wurden allerdings in der Planung großzügig bedacht; ein in der Zukunft eventuell erweiterter Bibliotheksbetrieb wurde ebenfalls in Rechnung gestellt. Diese sorgfältige Planung und der exponierte Standort des in seiner Dimension imposanten Projektes sprachen insgesamt für den hohen Stellenwert, den die Stadtbibliothek im kulturellen und gesellschaftlichen Leben Berlins innezuhaben beanspruchte. Im Verwaltungsbericht des Berliner Magistrates für das Etatjahr 1913 war eine detailliertere Beschreibung des Projektes zu lesen: „Geplant ist ein viergeschossiges Gebäude auf dem früheren Inselspeichergrundstück, das die Stadtbibliothek, eine städtische Kunstsammlung und das Stadtarchiv aufnehmen soll und außerdem noch eine Anzahl Räume zu Verwaltungszwecken vorsieht. Der Stadtbibliothek werden von Beginn an zur Verfügung gestellt: das Erdgeschoß, das erste Obergeschoß, Teile des zweiten Obergeschosses und zu einem Teil das nach der Wasserseite hin zu einem voll beleuchteten Untergeschoß ausgebaute Kellergeschoß. Der Haupteingang im Erdgeschoß von der Straße A n der Fischerbrücke führt über eine Vorhalle, an der die Haupttreppen liegen, zu den Katalogräumen und der Bücherannahme und -ausgabe, an die sich auf beiden Seiten das Büchermagazin anschließt, das mit den im Untergeschoß und im ersten Obergeschoß geplanten Magazinräumen im Zusammenhang steht. Im Erdgeschoß sind außerdem vorgesehen: Bureauräume, Zimmer der Bibliothekgehilfinnen, ein Packraum, eine Buchbinderwerkstatt, Räume für den Pförtner und für Fahrräder u.a.m. Im ersten Obergeschoß liegen der große Lesesaal, ein Zeitschriftenlesezimmer, ein Lesezimmer für der Ruhe bedürftige Leser, ferner zwei Zeitungslesezimmer, 4 Räume für solche Bücher-

35

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Erläuterungen

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Haushaltsplan der Stadtbibliothek von 1935

75

Berliner

Stadtbibliothek

päpstlicher als der Papst gibt. Von Sch. hätte ich das eigentlich nicht erwartet, er überschlägt sich in 200%igkeit, derselbe Mann, der mir etwa noch vor Jahresfrist erklärte, ein Buch wie etwa Rosenberg's Mythos würde er unter keinen Umständen für eine Bücherei zulassen. (...) Man versteht, wenn einer schweigt, weil er, täte er den Mund auf, binnen 24 Stunden erledigt wäre und seine Familie einem hoffnungslosen Nichts überließe. Aber es ist nicht zu verstehen, wie z.B. unser Verbandsvorsitzender Dr. Sch. in der Fachzeitschrift Aufsätze veröffentlichen kann, die mit seinen früheren Ansichten in krassem Widerspruch stehen. Warum erhebt er ein solches Geschrei, wer verlangt das von ihm? Kein Mensch. Er könnte schließlich sachlich bleiben und weltanschauliche Belange aus dem Spiel lassen." (9) Schuster hatte auf der Jahresversammlung des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare im September 1933 in Hannover tatsächlich eine Rede gehalten, die programmatisch die Büchereien in den Dienst des Nationalsozialismus stellte und die in Wortwahl und Ausarbeitung bei manchem Volksbibliothekar wahrscheinlich erschrecktes Staunen provozierte. Die Rede fand sich abgedruckt in der Fachzeitschrift ,Die Bücherei', Heft 1, 1934, allein Auszüge aus den einleitenden Worten Schusters sprechen für sich: „Seit wir uns das letzte Mal zur Hauptversammlung unseres Verbandes trafen, hat unser Volk das große Erlebnis gehabt, das seine und seines Staates Entwicklung auf viele Jahrhunderte hinaus bestimmen wird: die nationalsozialistische Revolution und mit ihr den Anbruch des großen Befreiungskampfes, dem zum siegreichen Ende zu führen unsere Aufgabe und die unserer Söhne sein wird. In ihr liegt Sinn und Ziel unseres ferneren Lebens und unserer Arbeit beschlossen. Das deutsche Büchereiwesen hat damit eine große, neue Aufgabe bekommen. Wir freuen uns dieser Aufgabe von Herzen, aber wir werden ihr nur dann gerecht werden könen, wenn wir sie in ihrem ganzen Ausmaße zu übersehen lernen. Sie, meine Berufsgenossen, die als Bildner am Volke und als Erzieher zum Volke diesem die Zeichen des so groß und stürmisch hereingebrochenen neuen Lebens und Glaubens deuten sollen, Sie wissen um die Schwere der Verantwortung aus diesem Anbruch und Sie wissen, daß er nicht Geringes vom deutschen Menschen fordert. Nicht alle, die den neuen Fahnen und Symbolen zujubelten, haben den tieferen Sinn der Stunde begriffen. Wie viele waren müde und skeptisch geworden, zu sehr vertieft in die Sorgen des Alltags, zu einzelgängerisch in einer Zeit des Kampfes aller gegen alle, die sie abstieß, Wie viele standen und stehen auch noch abseits, verwirrt durch die Heilslehren falscher Propheten oder unlösbar verstrickt in die Fesseln der Vergangenheit. Alle diese sind unsere Leser. Und auch die Eifrigen und Treuen, die fest in der Bewegung stehen, uns selbst vielleicht an politischer Kampferfahrung weit überlegen, sie stellen uns dort, wo es um die geistige Sinndeutung ihres eigenen, aus Instinkt und Herz unmittelbar aufbrechenden Erlebens und Handelns geht, oft vor nicht leichte Aufgaben. Wohl erleben wir es immer wieder mit freudigem Erstaunen, wie die deutsche Jugend scheinbar mühelos die Vorform des neuen Menschen, um den wir ringen, aus sich gebiert. Ein biologischer Veijüngungsprozeß, aufsteigend aus den unbewußten Tiefen der Rasse und des Blutes, begleitet die politische und geistige Revolution und schenkt dem Volke die Bereitschaft dieser neuen Jugend, ihren kühnen und reinen Willen, ihre schlichte Geradheit, ihre Gefolgschaftstreue zum berufenen Führer, ihre Verbundenheit über alle die trennenden Schranken hinweg, die Besitz und Kastengeist errichtet hatten. (...)" (10) Andere Zeitgenossen, die Wilhelm Schuster persönlich erlebt haben, nahmen ihn vor dem Vorwurf der Überangepaßtheit in Schutz, sie attestierten ihm hingegen ein hohes Maß

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Im Schatten

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Wir bitten, uns umgehend eine Liste derjenigen Buchhandlungen vorzulegen, bei welchen die Bestellungen für die Stadtbibliothek aufgegeben werden und zu bestätigen, daß nur arische Firmen Berücksichtigung gefunden haben. Gleichzeitig bitten wir um Beifügung der Liste für das 2. Halbjahr 1932. I. A . gez. B r . Häußler. Beglaubigt durch: A n

die

41 · Λ Stadtober inspekt or.

Stadtbibliothek.

Anschreiben der Stadt Berlin an die Stadtbibliothek betr. künftige Buchlieferungen vom 24.4.1933

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Berliner

Stadtbibliothek

an sozialer und mitmenschlicher Verantwortung und Weitsicht. So schreibt der spätere stellvertretende Direktor der Amerika-Gedenk-Bibliothek Adolf von Morzé: „Es soll dem historischen Betrachter jener Zeit klar sein, daß eine solche, im Interesse der Büchereisache und des Berufs übernommene Aufgabe nicht ohne den Gebrauch des zur Herrschaft gelangten Vokabulars zu leisten war. (...) In einem totalitären System ist gerade dem Nichtanhänger oder dem Spätgekommenen das Overstatement eigen, wenn er öffentlich auftritt. Er hat zu beweisen, daß er dazugehört, im Geiste schon immer dabei war. (...) Was sich in Texten wechselnden Inhalts und verschiedenen Anlasses systemkonform niedergeschlagen zu haben scheint, was begleitet war von scharf gegenteiligen vertraulichen, jedoch nicht abgesicherten, Äußerungen, was sich in der Rettung der in den öffentlichen Büchereien verfolgten Literaturbestände in die Stadtbibliothek und deren Nutzung in ihrem Lesesaal wie im städtischen Leihverkehr aussprach, was sich vor allem in stummen helfenden und schützenden Taten gegenüber einzelnen Berufskollegen, Bibliotheksangehörigen, Schülern und Bekannten erwies, das alles bildete eine Einheit. In diesen Erscheinungsformen zeigte sich ein ungeteilter, aufrechter und kluger, gütiger und ringender Mensch." (11) In der bibliothekarischen Fachpresse findet sich immer wieder der Hinweis, daß ein wesentlicher Verdienst Schusters die Rettung der in den Volksbüchereien beschlagnahmten Buchbestände und ihre Überführung in die Stadbibliothek gewesen sei: „Wie durch ein Wunder blieb die Stadtbibliothek verschont. Es ist vor allem dem taktisch geschickten Verhalten von Dr. Schuster zu verdanken, daß auch in den folgenden Jahren die verschiedenen Anschläge der faschistischen Kulturbarbaren abgewehrt wurden. Die verbotenen Bücher blieben in der Bibliothek, sie wurden sekretiert, aber bis Kriegsende jedem zur Verfügung gestellt, der dem Direktor gegenüber nur einigermaßen glaubhaft erklärte, daß er sie zu wissenschaftlichen Zwecken benötige." (12) Einige gingen noch weiter und sahen in der Stadtbibliothek nicht nur eine Möglichkeit, auf den Index gestellte Literatur einsehen zu können, sondern einen Ort der Konspiration und der illegalen Zusammenkünfte: „Auch die verfemten Gewerkschaftler arbeiteten viel in diesem Lesesaal der Illegalen: wenn Erich Händeler einen ,Manchester Guardian' erwischt hatte, ging er von Hand zu Hand." (13) Für manche war Schuster auch einfach eine Vertrauensperson, die man mit der Bitte um Herausgabe umstrittener Literatur durchaus offen angehen konnte, so schrieb 1941 ein Lehrer folgende Postkarte an Schuster: „Mein Schüler (...) wollte sich am Montag aus der Stadtbibliothek die Übersetzung von Dickens, Pickw. holen; aber die Dame verweigerte die Auslieferung, da es sich ,um Unterhaltung aus fremdsprachlicher Literatur' handele. Ich müsse ihm bescheinigen, daß er das Werk brauche. Bitte, lassen Sie es ihm doch aushändigen! Wir sind froh, wenn die Schüler mal etwas anderes lesen als Krieg zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Ich rege zu fleißiger Benutzung der Stadtbibliothek an, kann es aber doch eigentlich schlecht tun, wenn solche Schwierigkeiten entstehen." (14) Wilhelm Schuster gehörte zu den Hauptakteuren der ersten Gleichschaltungsphase. Seine Rolle war getragen von dem Willen, eigene büchereipolitische Zielsetzungen durchzukämpfen und berufsständische Freiräume zu sichern. In diesem Sinne war Schusters Begegnung mit dem Nationalsozialismus getragen von Pragmatismus. Inwieweit er zum Handlanger und Wegbereiter des Nationalsozialismus wurde und in welchem Ausmaß dabei Karrierismus und Eigennutz eine Rolle spielten, bleibt umstritten. Bis heute wird Schusters Wirken deshalb sehr gespalten aufgenommen, selbst sein Engagement für das deutsche Bibliothekswesen gerät manchen vor diesem Hintergrund zur Augenwischerei, wie folgendes

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Im Schatten

Lesesaal der Stadtbibliothek mit Hitlerbild, 30er Jahre

heutiges Resumée verdeutlicht: „Einerseits gab man sich der Illusion hin, man könne den braunen Horden - gewissermaßen auf .fachlicher' Ebene Paroli auf der anderen Seite war man noch auf die geringsten Anzeichen nationalsozialistischen Widerstandes hin bereit, zurückzustecken, ja völlig zu kapitulieren". (15) In der Frage der Bestandsauswahl und -Präsentation zeigte sich Schuster den offiziellen Stellen gegenüber entgegenkommend, in seiner Wahl der Worte ging er auch hier über das verlangte Maß hinaus. So beantwortete er ein Beschwerdeschreiben der HJ vom Mai 1934, worin bemängelt worden war, daß in der Stadtbibliothek eine englischsprachige Zeitschrift ausläge, in der die neuen Verhältnisse in Deutschland kritisiert worden seien, folgendermaßen: „Leider sind die amerikanische Literatur und insbesondere Presse und Zeitschriften stark verjudet. Man wird deshalb kaum eine Zeitschrift finden, die eine deutsche wissenschaftliche Bibliothek für ihre Benutzer halten kann, ohne Gefahr zu laufen, über unser neues Reich, unsere Bewegung und ihre Führer gelegentlich darin gehässige Angriffe zu finden. Dieses unverschämte Magazin (...) aber wird in Zukunft nicht mehr in der Stadtbibliothek gehalten werden. (...) Ich habe aber eine Durchsicht angeordnet, der solche groben Entgleisungen in Zukunft nicht entgehen werden." (16) Die sekretierten Bestände waren mit einem roten Stempel ,S' gekennzeichnet worden und durften nur mit Genehmigung von Schuster (sowie den leitenden Bibliothekaren Pauli und Engelhard) ausgegeben werden. Schuster versuchte hier ebenfalls eine Gratwanderung: einerseits führte er in dieser Frage die Kompetenzen der Stadtbibliothek als wissenschaftlicher Bibliothek an, gleichzeitig signalisierte er diensteifrigen Kooperationswillen:

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Berliner

Stadtbibliothek

„Den Bestimmungen nach wären also in der Stadtbibliothek als wissenschaftlicher Bibliothek nur die von der Staatspolizei beschlagnahmten Bücher zu sperren. Auf Anordnung der Stadtverwaltung ist die Stadtbibliothek aber über die sonst für wissenschaftliche Bibliotheken geltenden Bestimmungen hinausgegangen, indem sie alle diejenigen Bücher bei sich sperrte und nur auf besonderen Antrag verleiht, die in den Stadt- und Volksbüchereien Berlins ausgeschieden sind. Die gesperrten Bücher aus den Katalogen herauszunehmen, ist an sich kein Grund vorhanden, da die Kataloge selbstverständlich grundsätzlich alles enthalten müssen, was in der Bibliothek vorhanden ist. Man müßte sonst ja auch alle wissenschaftlichen gedruckten Bibliographien, die in dem Lesesaal stehen, und alle größeren Handbücher vernichten oder entfernen, wenn man der Ansicht wäre, daß schon die Aufführung eines Titels den Leser politisch oder sonstwie gefährden könnte. Wir haben nun aber aus dem alphabetischen Zettelkatalog, der den Lesern zur Verfügung steht, doch die gesperrten Bücher herausgenommen und in einen besonderen Kasten gestellt, weil wir vermeiden wollten, daß unnötig viel nach solchen Büchern gefragt und die Antwort erteilt werden müßte, daß das Buch gesperrt sei. Aus den systematischen Bandkatalogen lassen sich die Titel natürlich nicht entfernen. (...) Nötigenfalls kann dann der Bibliothekar dem Leser einen Hinweis erteilen, daß er nicht alle Bücher bekommen kann, die darin stehen. Um auch hier das Verfahren abzukürzen, haben wir nun bei den besonders in Frage kommenden Bänden noch extra neben den Titeln vermerkt, daß die Bücher gesperrt seien. Mit all diesen Maßnahmen dürfte die Stadtbibliothek erheblich weiter gegangen sein, als das sonst bei wissenschaftlichen Bibliotheken der Fall ist und von ihnen durch die staatliche Aufsicht verlangt wird." (17) Unter Schusters Leitung wurde der Ausbau der Stadtbibliothek zur allgemeinen wissenschaftlichen Bibliothek weiter vorangetrieben. Zunächst mußte jedoch am 31. März 1934 der Zeitungslesesaal geschlossen werden, als Gründe dafür wurden finanzielle Engpässe und falsche Gebührenpolitik angeführt. (18) Knapp ein Jahr später lieferte Schuster noch andere Argumente für die Schließung. Die Auflösung des Zeitungslesesaals wurde unter anderem begründet, „weil er in der revolutionären Übergangszeit und der Zeit größter Arbeitslosigkeit von unlauteren Elementen zu verbotenen politischen und anderen Zwecken mißbraucht wurde." (19) In diesem Zusammenhang sprach Schuster auch von „unliebsamen Zuständen", da die Leser „den Lesesaal nicht in seiner Hauptbestimmung als Informationsstelle großen Stils benutzten, sondern als Arbeitslose in ihm eine Heimstätte gefunden hatten." (20) In diesem Kontext ist auch Schusters Vorstoß zu werten, Arbeitslose und Kleinrentner auf dem Wege der Gebührenordnung zu disziplinieren und den Charakter der Stadtbibliothek als wissenschaftlicher Einrichtung zu unterstreichen: „Ich beantrage, Freikarten für Arbeitslose und Kleinrentner seitens der Stadtbibliothek künftighin nur dann noch auszugeben, wenn durch die Beantragenden nachgewiesen werden kann, daß sie die Bibliothek zu ernsthaftem Studium, zu beruflicher Fortbildung in Zweigen, für die die Bestände der städtischen Volksbüchereien nicht hinreichend sind, oder für wissenschaftliche und schriftstellerische Zwecke benutzen wollen. Begründung: Die Bestände einer großen wissenschaftlichen Bibliothek werden auch bei weitgehender Sperrung staatsfeindlicher oder unerwünschter Bücher immer in ihren älteren Abteilungen zahlreiche Autoren und Werke enthalten, die für Studium und Wissenschaft unumgänglich sind, dem Leser aber, der aus reinen Bildungs- oder Unterhaltungsbedürfnissen die Bibliothek benutzt, Kopf und Weltbild nur verwirren können, wenn er nicht gründlich durchgeschult ist.

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Im Schatten

Lesesaal der Stadtbibliothek mit Zeitschriftenecke, Mitte der 30er Jahre

Wir handeln volks- und staatspolitisch töricht, wenn wir diesen Leser, der wesensgemäß in die Volksbücherei mit ihrer scharf umrissenen Aufgabe gehört, von der Volksbücherei fernhalten, indem wir ihm die wissenschaftliche Bibliothek ohne weiteres öffnen. (...) Er findet das alles für seine Bedürfnisse viel besser in der Volksbibliothek, dort aber so geordnet und ausgewählt, daß er unmerklich dahin geführt wird, die Dinge richtig zu sehen. (...) Es würde falsch sein, zu glauben, daß die vorgeschlagene Maßnahme unsozial sei. (...) Sie ist vielmehr sozial im tieferen Sinne der Verantwortlichkeit für den Volksgenossen." (21) Ein weiterer Schritt auf dem Wege zur wissenschaftlich orientierten Bibliothek war die Verfügung vom 21.10.1935 (22), in der die bis dahin noch praktizierte freie Benutzungsmöglickeit der Belletristik im Lesesaal aufgehoben wurde. Ebenso wie für die Ausleihe nach Hause waren nun zur Entleihung von Romanen, Novellen, Erzählungen und ihnen gleichzuachtenden Schriften, die nach Goethes Tod (1832) in deutscher Sprache veröffentlicht worden waren (Dramen, Vers-Epen und Lyrik waren unbeschränkt entleihbar), auf schriftlichen Antrag berechtigt: 1. Dozenten und Lehrpersonen, die nachweislich deutschen Unterricht erteilen 2. Studenten der Germanistik oder Studenten der Anglistik oder Romanistik, die Übersetzungen benötigen 3. Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler, wenn sie Mitglieder der Reichskulturkammer sind 4. Schüler für bestimmte im Unterricht behandelte Themen und Verfasser

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Berliner

Stadtbibliothek

Während einerseits der Charakter der Stadtbibliothek als wissenschaftliche Bibliothek mehr und mehr festgelegt wurde, sorgte man andererseits für einen einfacheren Benutzerzugang und übersichtlichere Bestandserschließung. Schuster fand gegenüber dem „Völkischen Beobachter" dafür folgende Worte: , Als wichtigste Aufgabe steht heute die Forderung voran, das gesamte Berliner Büchereiwesen zum Arsenal der großen Geistesbewegung zu machen, die mit dem politischen Aufbruch des deutschen Volkes verknüpft ist. Hierzu wird in Zukunft ein noch viel engeres Zusammenarbeiten zwischen der Stadtbibliothek, als der zentralen Bücherei, und den Stadtund Volksbüchereien der Bezirke notwendig sein. Es genügt nicht, neue Bücherbestände bereitzustellen, es ist auch notwendig, diese Bestände durch Bücherverzeichnisse nach verschiedenen Gesichtspunkten und für die mannigfaltigen Bedürfnisse des neuen Aufbaues und der Schulung zu erschließen. (...) Eine Bibliothek dient ja immer den allerverschiedensten Bedürfnissen, während bestimmte Lesergruppen nur ganz bestimmte Teile des Bestandes gebrauchen. Will man nicht in den Fehler eines liberalistischen Bildungssystems verfallen, das den Leser wahllos mit einer Fülle von Büchern überschüttet, unter denen er sich nicht zurechtzufinden weiß, dann muß man durch besonders zusammengestellte Verzeichnisse für diese Gruppen Auswahlen schaffen." (23) Auch die Katalogisierung der Bestände wurde überholt und im Sinne einer einfacheren Handhabung neu angegangen. 1935 war darüber in einem von der Stadtbibliothek erstellten Bericht zu lesen: „Da eine Stadtbibliothek nicht damit rechnen kann, daß die Mehrzahl ihrer Leser den wissenschaftstechnischen Apparat der vielverzweigten nationalen und internationalen Bibliographie beherrscht (...), so muß sie in der Erschließung der Bücherbestände erheblich weiter gehen, als es die Universitäts- und Staatsbibliotheken benötigen. Die Berliner Stadtbibliothek hat denn auch auf diesem Gebiete von jeher besondere Anstrengungen gemacht, nicht immer aber haben leider die Kräfte im Einklang mit den unternommenen, an sich wünschenswerten Arbeiten gestanden. So hatte die Bibliothek 1932 fast ein Übermaß an Katalogen verschiedener Art, deren Durcharbeitung und Vollendung den notwendigen Anforderungen nicht entsprechen konnte. So mußte im Jahre 1933 die Fortsetzung des die neueste Literatur umfassenden Schlagwortkataloges aus Mangel an Arbeitskräften eingestellt werden. Er wurde 1934 zurückgezogen und, da sich erwies, daß er auf ungenügenden Grundlagen aufgebaut war, wurden im Anschluß an die Göttinger Richtlinien neue Grundsätze für seine gänzliche Umarbeitung aufgestellt." (24) Im Mai 1937 konnte der Schlagwortkatalog mit etwa 15 000 Karten den Lesern wieder zugänglich gemacht werden, er umfaßte am 31. März 1939 rund 33 000 Karten. Er war im allgemeinen auf die vom Jahre 1933 ab erschienene Literatur beschränkt, nur in den Abteilungen Berlin, Brandenburg und Nationalsozialismus wurde er nach rückwärts ergänzt. Im Jahre 1936 erschien der Druckkatalog ,Familienkunde'; ein Nachtrag folgte im Jahre 1937. Die Herstellung eines alphabetischen Kataloges für die Göritz-Lübeck-Stiftung wurde ebenfalls in diesem Jahr abgeschlossen. Für das städtische Dienstblatt wurde ein Auswahlverzeichnis des in der Stadtbibliothek zur Verfügung stehenden nationalsozialistischen Schrifttums hergestellt, das 73 Seiten umfassende Verzeichnis enthielt über 3 000 Titel. Es konnte ein Sonderdruck von 5 000 Exemplaren hergestellt werden, der kostenlos an die Leser abgegeben wurde, „um die Vertiefung im nationalsozialistischen Wesen und Wollen zu fördern." (25) Darüberhinaus konnten auch noch zahlreiche Revisionen an Druck- und Bandkatalogen, Neugestaltungen der Systematik für bestimmte Abteilungen und ein verbessertes Titelauf-

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Im

ΓΊξΜ

Schatten

m

'v^llgera. H a u p t v e r w a l t u n g ,

K u n s t - und Bildungawei

Auf Qrund d e r Rücksprache Mit d e s Herrn Oberbürgermeister und i n V e r f o l g d e r b e i dea H e r r n S t a d t s c h u l r a t m i t dem S t a d t b a u d i r e k t o r Dr. KendSchmidt s t a t t g e f u n d e n e n Besprechung Uber den Saubau d e r S t a d t b i b l i o t h e k im Zusammenhang mit der U m g e s t a l t u n g d e s Molkenmarkte β b i t t e i c h , i n den a u s s e r o r d e n t l i c h e n H a u e h a l t f ü r das Jahr 1938 f U r F r o j e k t i e r u n g s a r b e i t e n f ü r den Reubau 4 e r e t a d t b i b l i o t h e k d i e Summe von IOC 0 0 0 , - 10» e i n s e t z e n zu w o l l e n . Begründung: Die S t a d t b i b l i o t h e k i s t mit i h r e n w e r t v o l l e n Bes t ä n d e n z u r Z e i t im l i a r s t a l l u n z u r e i c h e n d und unwürdig u n t e r g e b r a c h t , m i t einem Zugang Uber den Hof. Der v o r f U g b a r e Baum w i r d b e r e i t s 1938 v o l l b e s e t z t s e i n , s o d a s s d i e B i b l i o t h e k , d i e J ä h r l i c h um r u n d 10 000 Bände w ä c h s t , i n g r ö s s t e R o t l a g e kommen muss. Der L e s e s a a l b i e t e t n u r f ü r 8 000 Bènde A u f s t e i l u n g s r a u m , während 20 0 0 0 Bände n o t w e n d i g wären. Andere Benutzungsraume ( Z e i t s c h r i f t e n l e e e s a a l , V o r t r a g s r a u m , A u s s t e l l u n g s s a a l , L e s s e a a l und A r b e i t s r a u m A i r s t a d t = und f a m i l i e n g e s c h i c h t l i c h e F o r s c h u n g e n usw.) f e h l e n g a n z . Sohon b e i Gründung d e r S t a d t b i b l i o t h e k war e i n e i g e n e s Oebäude i n A u s s i o h t genommen (um 1 9 0 0 ) , 1914 s o l l t e mit einem Neubau begonnen w e r d e n , a l B d e r K r i e g a u s b r a o h . 1928 war e s wiederum s o w e i t , a b e r d e r f i n a n z i e l l e Zusanmenbruch machte den Bau u n m ö g l i c h . Kr muss nun Im Rahmen d e r N e u g e s t a l t u n g d e r I n n e n s t a d t e r f o l g e n , w e i l d i e v i e l b e n u t z t e Z e n t r a l b i b l i o t h e k d e r S t a d t i n den b i s h e r i g e n Räumen s i o h n i c h t mehr f o r t e n t w i c k e l n kann und d a s " d i e l e t z t e O e l e g e n h e i t i s t , i h r i n d e r I n n e n s t a d t e i n e n w ü r d i g e n , d e r Bedeutung d e r B i b l i o t h e k d e r h e i c h s h a u p t s t a a t angemessenen Raum zu s i c h e r n . Da z u r d i e s j ä h r i gen Buchwoche d i e N e u e r r i c h t u n g von B ü c h e r e i e n i n 25O d e u t s c h e n Gemeinden vom H e r r n R e i c h s p r o p a g a n d a m i n i s t e r und O a u l e i t e r B e r l i n s v e r k ü n d e t werden s o l l , würde e i n e ö f f e n t l i c h e Ankündigung d e s Reubaue s d e r B e r l i n e r S t a d t b i b l i o t h e k zu d i e s e r Z e i t b e s o n d e r s g l ü c k l i c h sein. 2.) »fVT V t- ΙΊ B e r l i n , den 21. August 1537 Stodtbiblicti.ek

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¿¿i-tM-U-r-

Schreiben von Wilhelm Schuster an Hauptverwaltung Kunst- und Bildungswesen betreffend Zuschuß für einen Bibliotheksneubau, August 1937

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Berliner

Stadtbibliothek

nahmeverfahren durchgeführt werden. Die seit 1. Januar 1936 bestehende Mitarbeit am deutschen Gesamtkatalog hatte sich ebenfalls eingespielt. Auch während des Nationalsozialismus machte die Stadtbibliothek zahlreiche wichtige Erwerbungen. Zu den wichtigsten Ankäufen zählte die Bibliothek von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Sie umfaßte 6 330 Buchbinderbände, dazu 17 770 Broschüren und Sonderdrucke, die teilweise systematisch geordnet waren. Dazu kamen 790 Bände, Zeitschriften und Lieferungswerke in Heften und 66 Mappen mit Karten und Abbildungen. Die Bibliothek enthielt wertvolle Bestände zur klassischen Altertumswissenschaft und Archäologie. Das Bemühen um Bestandsergänzungen und um die Pflege der historischen Bestände wird bis in die heutige Zeit zu den Verdiensten Wilhelm Schusters gezählt, in diesem Zusammenhang wird beispielsweise der Erwerb der wertvollen Sammlungen des aufgelösten Lessing-Museums erwähnt. (26) Darüberhinaus kümmerte sich Schuster um Erweiterungen des Autographenbestandes und konnte während seiner Amtszeit einige Nachlässe Berliner Persönlichkeiten für die Bibliothek sichern. Der Verwaltungsbericht der Stadtbibliothek für die Jahre 1936 bis 1938 führt beispielsweise folgende Erwerbungen an: „Das Jahr 1937 brachte der Stadtbibliothek mit der Zuweisung der Bibliothek des Friedrich· Werderschen Gymnasiums durch die Stadtverwaltung einen besonders erwünschten Zugang. Die Zahl der übernommenen Bände beträgt 11 171, dazu kommt die Bibliothek des ehemaligen Direktors dieser Anstalt Büchsenschütz mit 1 232 Bänden. Den größten Teil des Bestandes nimmt die Altertumswissenschaft ein. Hierdurch erfährt diese Abteilung der Stadtbibliothek eine so wertvolle Ergänzung, daß sie zusammen mit der Erwerbung der Bibliothek Ulrichs von Wilamowitz-Moellendorf diesen Zweig zu einem der wertvollsten der gesamten Bibliothek macht. Die Bibliothek ist zunächst so aufgestellt und geordnet, daß sie mit Hilfe des alten systematischen Kataloges des Gymnasiums der Benutzung zugänglich gemacht ist. Nach und nach soll sie, wie die Wilamowitz-Bibliothek, unter Auszeichnung durch ein besonderes ,Ex libris' in die allgemeinen Bestände eingearbeitet werden. (...) Durch Kauf erwarb die Stadtbibliothek einen Teil des Nachlasses des Professors Adolf Deissmann mit wertvollen Schriften und Briefwechseln zur Kirchengeschichte der letzten Jahrzehnte. Das Jahr 1938 blieb ohne größere geschlossene Erwerbungen, die auch aus Raummangel nicht mehr würden aufgestellt werden können. (...) Dankenswerterweise bewilligte die Stadtverwaltung die Einrichtung einer Musikalienabteilung, mit der schon einmal begonnen war, die aber dann 1931 in der Notzeit abgebrochen wurde, und stellte 5 000 RM erstmalig für diesen Zweck zur Verfügung. (...) Die für den Lesesaal im Jahre 1937 beschaffte doppelseitige Vitrine, ein kleiner Ersatz für den fehlenden Ausstellungsraum, wurde viel beachtet. Die wechselnden Ausstellungen, (...), erregten trotz ihres geringen Umfanges verschiedentlich auch das Interesse des Rundfunks und der Presse. Eine Vermehrung der Vitrinen, die im Raum vor dem Eingang zum Lesesaal aufgestellt werden können, wurde beantragt." (27) In den darauffolgenden Jahren konnte Wilhelm Schuster außerdem noch den weitaus größten Teil des Nachlasses des Berliner Volksschriftstellers Adolf Glaßbrenner und den Nachlaß des Dichters Max Kretzer in den Besitz der Stadtbibliothek bringen. Unter Schusters Leitung wurden in der Stadtbibliothek verstärkt Ausstellungen gezeigt. Zum einen ergaben sich die Themen aus den Beständen selbst und wurden zu entsprechenden Jahrestagen gezeigt, zuweilen waren die Vorgaben auch nationalsozialistischer Kultur-

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Im Schatten

Stadtbibliothek Bertin C 2. Breitest!·. 36 (Maritali) -

im Kriege geöffnet: 1 AUSieltie WOtlientäflliCll 12-18 I M Lesesaal wotiientägiitfi 1 0 1 8 Uhr

Plakat der Stadtbibliothek während des II. Weltkrieges

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Leihgebühr

Berliner

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politik zugeordnet. So führte beispielsweise der Verwaltungsbericht über die Jahre 1936-38 folgende Ausstellungen auf: (28) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Buchillustrationen aus dem 16.-19. Jahrhundert Berliner Drucke Nürnberg Mussolini Tier- und Pflanzenillustrationen Aus der Peter-Schlehmil-Sammlung Proben aus den Sondersammlungen der Berliner Stadtbibliothek Kaiser Wilhelm I (zum 50. Todestage und zum 125jährigen Jubiläum der Stiftung des Eisernen Kreuzes Das deutsche Land Österreich Arno Holz (zum 75. Geburtstag) Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst (zum 250. Todestag) Gerhard von Scharnhorst (zum 125. Todestag) Friedrich Wilhelm I (zum 250. Geburtstag) Adalbert von Chamisso (zum 100. Todestag) Jacob Grimm (zum 75. Todestag) Anna Luise Karschin Ernst von Wildenbruch (zum 30. Todestag) 150 Jahre E.S. Mittler & Sohn - Berlin (in Gemeinschaft mit dem Verlag) Friedrich Friesen (zum 125. Todestag) Unser Führer Adolf Hitler (zum 50. Geburtstag) In der Pult-Vitrine: 1. Berliner Stammbücher - 2. Italien - 3. Ungarn - 4. Sudetendeutschland - 5. Ehmcke - 6. Selma Lagerlöf (zum 80. Geburtstag) - 7. Münzkunde

Die Verstärkung des wissenschaftlichen Charakters der Stadtbibliothek einerseits und der erleichterte Zugang zu Katalogen und Beständen andererseits, sowie die Benutzerwerbung duch mehr Öffentlichkeitsarbeit, zeigten Auswirkungen auf die Leserschaft und deren Zusammensetzung, wie auch ein Bericht der Stadtbibliothek vermerkt: „Die Umschichtung der Leserschaft durch Abgabe der mehr zur Unterhaltung Lesenden an die Volksbüchereien und der weitere Rückgang der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1936-38 machten sich besonders in der Benutzung des Lesesaals bemerkbar. Die Anzahl der benutzten Bände ging im Gegensatz zu der Zahl der Benutzer nicht erheblich zurück. (...) Das ist ein Beweis für die fortschreitende Ausnutzung des Lesesaales zu ernsthaftem Studium und zu wissenschaftlicher Arbeit. Besonders stark wurden im Lesesaal die Fachzeitschriften benutzt, deren weitere Vermehrung dringend erwünscht ist. Lebhafte Nachfrage herrscht auch stets nach den ausgestellten Neuerscheinungen. Im übrigen hält das Interesse für Familienforschung an." (29) Im selben Bericht wurde die Leserschaft in Berufszweige spezifiziert, demnach waren die Leser aus Arbeiterkreisen erheblich zurückgegangen. Ihren Anteil vermehrt hatten die technischen Beamten und Angestellten, was als Erfolg des fortschreitenden Ausbaus der technischen Abteilung gewertet wurde. Schüler der Fach- und Fortbildungsschulen sowie Handwerkslehrlinge waren zurückgegangen, während der Anteil der Schüler aus höheren Schulen leicht gestiegen war. Eine Erklärung für den Rückgang der Zahlen bei den kaufmännischen und Büroangestellten und bei den mittleren Beamten suchte man in der verlän-

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Im Schatten

NSDAP.

Rei ohe JugendZentral amt

IL· I )

?.)

Die obige Dienststelle t e i l t mit, dass nachstehende Werke in der Dienststelle Kaiserdasra 4-5 durch Feindeinwirkung in Vertuet geraten 3infl. Die BflaheT sind abzusetzen. I i 996 - Reich und Reichsfeinde AJ 7 7 6 j . i * s t « | | p Das Reioh u.a .Krankheit der europ, Kultur Ai 809 ¿o xÇfiRzer : Das ïerdan des Reiches Co ?06 ' · ' Mulot: Das Reioh in der dtsch.Dichtung Cg 1858 Dippel: »rider und Kämpfer ~ ο;Γ Ch 300 Therme, ludwlg! 3o ein Saustall. Frl.Hensel z.K. u. w.V.... Λ#Τί«ι*.. * t î . . T f ; . . ATU

3.)

Frl.Jahn

z.K. u. w.V

Herrn Dr.Schuster: Neuanschaffung?. T r i . Schwaedt zwecks Auebuchung

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Ausleihe z.K. U. w.VX·.i f y p H y y r ^ M A A f .

7.)

W.v. wegen Schaàensenmeldung Berlin, den 18. Januar 19^5 (fáÁtitíA'

Biicherverlustmeldung an die Stadtbibliothek wegen „Feindeinwirkung", Schreiben der NSDAP/HJ vom 18.1.1945

gerten Arbeitszeit. Mit Stolz wurde auf den kontinuierlichen Anstieg bei den Akademikern, Schriftstellern, Künstlern, Lehrern usw. verwiesen, die nun fast ein Drittel des gesamten Leserschaft ausmachten. (30) Nimmt man im Berichtszeitraum 1936 bis 1938 einen mittleren jährlichen Wert, so stand auf Rangliste 1 der Entleihungen der Bereich Geschichte (ca. 40 000 Bände), dicht gefolgt von der Abteilung Literaturgeschichte und Dichtung (ca. 32 000 Bände). Es folgten Erdkunde (ca. 17 000 Bände), Kunst und Musik (ca. 15 000 Bände) und Naturwissenschaft und Medizin (14 000 Bände). Die Abteilung Technik konnte, ebenso wie der Bereich Philosophie circa 10 000 Bände Entleihungen aufweisen. Es folgten die Abteilungen Buch- und Bibliothekswesen (ca. 7000 Bände) und Sprachwissenschaften (ca. 5 000 Bände). Handel und Verkehr, Religionswissenschaft, Rechtswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften sowie Staatswissenschaften kamen auf jeweils circa 4 000 Entleihungen. Danach folgte die Wehrwissenschaft mit bis zu 3 000 Entleihungen, gefolgt von Land- und Forstwirtschaft und Mathematik mit jeweils 2 000 bis 2 700 Ausleihen. Entleihungen aus der Göritz-Lübeck-Stiftung lagen bei rund 1 000, die Bibliothek zur Frauenfrage konnte auf maximal 500 Entleihungen verweisen, die Wildenbruch-Stiftung lag knapp über 100, die Jacobsen-Stiftung wechselte von mal einer Entleihung jährlich auf höchstens 11, die Bibliothek zur Geschichte des Jahres 1848 (gemeint war Friedländer) hatte in der Regel 3-5 jährliche Entleihungen, lediglich 1937 zählte man 89 Entleihungen, die Bibliotheca Schlemihliana hatte wechselnd 2,9 oder eine Entleihung und die Basnersche Bibliothek kam schließlich von 2 oder 3 Entleihungen pro Jahr sogar auf null Entleihungen im Jahre 1938. (31)

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Berliner

Stadtbibliothek

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges brachte für die Stadtbibliothek Veränderungen, die sich zunächst vor allem beim Personal und in den Öffnungszeiten niederschlugen. Der Kriegsverwaltungsbericht der Stadtbibliothek, der die Jahre von 1939 bis 1941 umfaßte, konstatierte: „Der Ausbruch des Krieges verringerte den Personalbestand der Stadtbibliothek um 33 Köpfe von 70 Köpfen, so daß der Betrieb nur noch in beschränktem Umfange aufrechterhalten werden konnte. Der Lesesaal ist seitdem von 10-18 statt von 10-21 Uhr, die Ausleihe von 12-18 statt von 12-21 Uhr geöffnet. Es wird demgemäß mit einer Schicht statt wie im Frieden mit 2 Schichten gearbeitet. Da Staats- und Universitätsbibliothek bereits um 16 Vi Uhr schließen, sind die letzten Stunden stets besonders stark besetzt. Trotzdem klagen viele Leser, daß die Abendstunden weggefallen seien, da ihre Arbeitszeit ihnen keine andere Benutzungszeit gestatte und sie somit in ihren wissenschaftlichen oder beruflichen Arbeiten ohne die Hilfe einer Bibliothek sehr behindert seien. Der Leihvekehr mit den Büchereien der Bezirke konnte aufrecht erhalten werden, er wird nach Fortfall des vom Stadtfuhrpark betriebenen eigenen Wagens der Stadtbibliothek durch die Aktenwagen vermittelt. Während der Zeit vom 13.2.1940 - 3.3.1940 mußte die Bibliothek wegen Kohlenmangels für die Benutzung geschlossen werden, desgleichen die Ausleihe wegen bevorstehenden Umzuges aus dem Marstall in neue Räume vom 1.11.1940 bis 31.1.1941. Da sich der Umzug hinauszögerte, wurde am 1.2.41 die Ausleihe wieder aufgemacht. Vom 1.7. - 31.7.40 war die Stadtbibliothek wie üblich geschlossen. Trotz des Krieges gelang es, zum 1.4.1940 die seit Jahren vorbereitete Musikalienabteilung zu eröffnen. In den neun Ausleihmonaten dieses Haushaltsjahres wurden 544 Musikalien ausgeliehen. (...) Während die Benutzung die durch Beschränkungen der Ausleih- und Öffnungszeiten, durch die mehrmonatlichen Schließungen und durch die Einziehung bzw. berufliche Überlastung zahlreicher Leser zu erwartenden Rückgänge aufweist, mußte der innere Dienst mit den wesentlich verringerten Kräften in möglichst großem Umfang aufrechterhalten bleiben. (...) Besondere Schwierigkeiten entstanden bei der Verarbeitung der Neueingänge durch den Fortfall einer Kraft an der Prägemaschine (Adrema). Es haben sich einige tausend Karten aufgesammelt, die nicht vervielfältigt werden konnten. Bei der Länge des Krieges erwächst hier ein Rückstand, der zu großen Besorgnissen Anlaß gibt. Auch der Druck der Neuerwerbungslisten mußte eingestellt werden. Im Juli 1940 erhielt die Bibliothek die Nachricht, daß der Marstall für das Kolonialpolitische Amt geräumt werden müsse (...). Endlich wurde das leerstehende Friedrich-WilhelmGymnasium, Kochstraße, als mögliche Lösung gefunden, wenn auf seinem Schulhofe ein Magazinbau errichtet würde. Die Verhandlungen stehen nunmehr nach 12monatigen Bemühungen vor dem Abschluß, die baulichen Entwürfe sind fertiggestellt." (32) Anfang der 40er Jahre waren die Aktivitäten seitens der Stadtbibliothek immer noch von der Hoffnung getragen, einen geregelten Bibliotheksbetrieb aufrecht erhalten zu können. Nicht nur in Aussicht gestellte Umzugspläne förderten einen gewissen Zweckoptimismus, auch die weiterhin getätigten Nachlaß-Übernahmen bewiesen eine zuversichtliche Perspektive. Noch im Juli 1941 stand die Stadtbibliothek mit dem Verein für die Geschichte Berlins in Verhandlung, dessen Bibliothek unter Eigentumsvorbehalt als ständige Leihgabe in den Bestand der Stadtbibliothek zu überführen (die Verhandlungen darüber hatten sich fast fünf Jahre hingezogen). Die Stadtbibliothek plante für diesen gesondert aufzustellenden Buchbestand bereits die Erweiterung von Magazingelegenheiten. (33)

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Zerstörungen im Spreeflügel, 1945

Bezüglich eines eventuell anstehenden Umzuges konnte man im August 1941 in der Presse noch folgende Notiz lesen: „Die Berliner Stadtbibliothek, die gegenwärtig im ehemaligen Marstall am Schloßplatz untergebracht ist, wird im kommenden Jahre in die Räume des ehemaligen FriedrichWilhelm-Gymnasiums in der Kochstraße übersiedeln. Ihren endgültigen Platz wird sie bei der Neugestaltung Berlins finden." (34) Die statistischen Erhebungen der Stadtbibliothek für die Jahre von 1933 bis 1945 (35) zeigten einen konsequenten Bestandsausbau über den gesamten Zeitraum, im Gegensatz dazu standen sinkende Benutzer- und Ausleihzahlen. Die Stadtbibliothek erklärte sich deswegen allerdings in keinster Weise beunruhigt, vielmehr wurde demgegenüber ein proportionaler Mittelwert ,Entleihung pro Leser' angesetzt. Da dieser Faktor im Laufe der Jahre kontinuierlich gestiegen war, interpretierte man dies als Beweis für die intensivere Nutzung der Stadtbibliothek zu ernsthaften und wissenschaftlichen Zwecken. Das auffallende Mißverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Nutzern der Stadtbibliothek war als Konstante übernommen worden, allerdings veränderte sich das Verhältnis zugunsten der Frauen: übertraf 1933 der Anteil der Männer den der Frauen noch um das fast 6-fache, so sank er nach Kriegsbeginn auf weniger als das 4-fache, 1942 standen nur noch 2 7 0 0 Männer 1 2 0 0 Frauen gegenüber. Die Zahl der Lesesaalbesucher war drastisch gesunken, dies erklärte die Stadtbibliothek mit sinkender Arbeitslosigkeit. Denkbar sind natürlich auch andere Ursachen: Immerhin versuchte der nationalsozialistische Staat, individuelle Freizeitgestaltung zu kanalisieren und zu vereinnahmen, einige der früheren Stadtbibliotheksbenutzer waren verhaftet oder

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Berliner

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emigriert und nicht zuletzt war das Präsenzangebot im Lesesaal wesentlich uniformer und unattraktiver geworden.

Bestand Entleihungen nach Hause durch Vermittlung Volksbüchereien Neue Lesekarten Männer Neue Lesekarten Frauen davon Freikarten Lesesaalbenutzer Männer Lesesaalbenutzer Frauen

Bestand Entleihungen nach Hause durch Vermittlung Volksbüchereien Neue Lesekarten Männer Neue Lesekarten Frauen davon Freikarten Lesesaalbenutzer Männer Lesesaalbenutzer Frauen

1933 (1.4.34) 287 000 216 200 15 700

1934 (1.4.35) 295 000 175 000 13 500

1935 (1.4.36) 304 000 167 000 14 000

1936 (1.4.37) 305 000 155 000 14 000

1937 (1.4.38) 317 000 169 000 15 500

9 100 1 600 7 600 10 6000 4 700

6 000 1 100 4 000 90 000 4 000

5 500 1 000 3 300 82 000 3 700

4 300 900 2 000 61 700 3 100

4 000 900 1 500 60 700 3 300

1938 (1.4.39) 330 000 177 000 15 000

1939 (1.4.40) 345 000 135 000 9 000

1940 (1.4.41) 353 000 96 000 6 000

1941 (1.4.42)

1942 (1.4.43)

128 000 11 000

131 000 12 000

3 600 900 1 300 52 000 3 000

2 850 750 990 28 500 2 000

2 300 600 803 21 600 2 100

2 300 900 941 19 000 3 000

2 700 1 200 1 200 12 000 6 000

Waren für die Verwaltungsjahre 1941 und 1942 noch recht optimistische Prognosen gestellt worden, immerhin waren steigende Ausleihzahlen zu verzeichnen, erwies es sich mit fortschreitendem Kriegsverlauf als immer unmöglicher, selbst einen minimierten Bibliotheksbetrieb aufrechtzuerhalten. Bereits in den vorangegangenen Jahren hatte die Bibliothek zuweilen geschlossen werden müssen, sei es aus Kohlenmangel oder infolge von Verdunkelungsanordnungen. Im Frühjahr 1943 wurde die Stadtbibliothek schließlich so erheblich durch Bombenschäden getroffen, daß an eine Fortführung des Regelbetriebes nicht mehr zu denken war. Der gesamte Lesesaal war eingestürzt und die wertvolle Handbibliothek mit einem Bestand von circa 9 000 Bänden war vernichtet. Auch die Bibliotheksschule im Marstallgebäude erlitt Totalverlust. Im entsprechenden Verwaltungsbericht der Stadtbibliothek für das Berichtsjahr 1943 wurde deshalb festgehalten: „In der Woche vom 1. zum 2. März 1943 wurden der Bücherbestand des Lesesaals durch Brandbomben vernichtet und die Ausleihräume durch Wasserschäden unbenutzbar. Nur an die Behörden, wissenschaftlichen Institute und Theater konnte ein direkter Leihverkehr aufrecht erhalten werden. Die Verleihung von Büchern an die einzelnen Leser fand über die Volksbüchereien statt. Nach Hause verliehen: unmittelbar aus der Stadtbibliothek: durch Vermittlung der Volksbüchereien: zusammen:

1942 131 800 12 269 144 069

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1943 6 997 11 709 18 706

Im

Schatten

Eine Leser-Statistik kann nicht aufgestellt werden, da keine Eintragungen in der Stadtbibliothek stattfanden, die Leser wurden in den Volksbüchereien geführt. Die Abteilung Geschichte, Literaturgeschichte und Dichtung, Buch- und Zeitungswissenschaft wurden in den Monaten Februar und März verpackt und nach außerhalb in Sicherheit gebracht." (36) Die Auslagerungen der Bestände der Stadtbibliothek wurden ab 1943 in großem Maßstabe durchgeführt. Im August 1943 wurde an das Organisationsamt der Reichshauptstadt Berlin betreffs Sicherung der Bestände vor Schäden durch Luftangriffe als ausgelagert gemeldet: „A: Wertvolle Bibliotheksbestände: 1. 60 Kisten, 13 500 Bände nach Schloß Kunau (Friedländer, Göritz-Lübeck, Jacobsen) 2. 60 Kisten, 18 000 Bände nach Schloß Eckersdorf (Göritz-Lübeck) 3. 50 Kisten, 15 000 Bände nach Schloß Carolath (Göritz-Lübeck) 4. 105 Kisten mit ca. 25 000 Bänden kommen nach Schloß Kietz/Westhavelland 5. 10 Kisten mit ca. 6 000 Handschriften, Autographen usw. kommen ebenfalls nach Schloß Kietz B: Katalog 11 Katalogschränke enthaltend einen alphabetischen Kartenkatalog (Glogowsky) nach Schloß Criesel." (37) Deutlich wird in dieser Aufstellung, welche Dimension die Verlagerungen erreichten, vorstellbar wird darüberhinaus, welche Logistik eigentlich vonnöten gewesen wäre, um Fehlpackungen und falsche Beschriftungen zu vermeiden - unter dem Druck drohender neuer Bombenangriffe war für solch bedachtes Handeln aber nicht mehr ausreichend Zeit vorhanden.

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Die Wege trennen sich 1 9 4 5 - 1957

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges zeigte eine erste Bestandaufnahme in der Stadtbibliothek die Ausmaße der Zerstörung. Nicht nur das Gebäude selbst hatte großen Schaden gelitten, vor allem die Magazinbestände waren drastisch reduziert - entweder durch Brandbomben zerstört oder in zahllosen Kisten ausgelagert. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek begannen bereits im Mai 1945 mit ersten Aufräum- und Sortierungsaktionen, ein geregelter Leihverkehr mit festen Öffnungszeiten konnte jedoch vorerst nicht aufgenommen werden. In der damaligen Presse war über die Nachkriegssituation folgendes zu lesen: „Eine vom Himmel und Luft begrenzte Freifläche im Marstall, hoch oben, deren seitliche Mauerreste einen einst geschlossenen Raum ahnen lassen - das ist heute der Lesesaal der Berliner Stadtbibliothek. Richtig, an jener Fensterwand standen große Regale mit Büchern aus allen Wissensgebieten. Eines Nachts kam die Katastrophe: Brandbomben schlugen ein! Wenige Minuten danach loderten die Flammen empor und fraßen gierig tausende von Büchern. Darunter viele kaum ersetzbare Nachschlagewerke. Nicht lange darauf fiel der größte Teil der medizinisch-naturwissenschaftlichen Abteilung dem Feuer zum Opfer. Das ist der Zoll, den die Berliner Stadtbibliothek dem unverantwortlichen Hitlerkriege gebracht hat: von 350 000 Bänden wurden 50 000 vernichtet! Das Personal der Stadtbibliothek hat seine Tätigkeit bereits am 21. Mai wieder begonnen und schon beträchtliche Vorarbeit für die Wiedereröffnung geleistet. Man kann sich natürlich noch nicht auf einen bestimmten Termin festlegen, denn die Schwierigkeiten sind groß und dürfen nicht unterschätzt werden. ,Wir haben seinerzeit verpackt und verpackt, um möglichst alles vor den Bomben in Sicherheit zu bringen', so erklärt der kommissarische Leiter. ,Nicht weniger als 1 900 Kisten sind nach Schlesien und in die Mark gewandert, wo die Bücher in Schlössern und Bergwerken untergebracht wurden. Was wir davon wieder zu sehen bekommen werden, wissen wir natürlich noch nicht. Deshalb sind wir heute froh, daß es uns nicht mehr gelang, die letzten 70 Kisten fortzuschaffen. Sie sind uns geblieben und die Bücher in ihnen gehören verschiedenen Abteilungen an. Wir müssen nun erst einmal feststellen, ob damit eine Ausleihe begonnen weden kann. Den Versuch werden wir auf jeden Fall machen.' Die Berliner Stadtbibliothek war besonders deswegen beliebt, weil man auf die Ausgabe der gewünschten Bücher warten konnte. Ob der Betrieb in dieser Form gleich wieder aufgenommen werden kann, ist eine Frage; aber schlimmstenfalls rechnet man mit der Ausgabe

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Eingang Stadtbibliothek mit Benutzern nach 1945

der Bücher einen Tag nach der Bestellung. Man wird bestrebt sein, den früheren Status baldmöglichst wieder einzuführen. Für die Rückbeförderung der verlagerten Bücher in großem Umfange besteht zur Zeit leider keine Aussicht, denn es fehlt die Transportmöglichkeit. Aber demnächst dürfen wenigstens aus Lübben die dort lagernden Bände herbeigeschafft werden können. Siebzig Kisten sind also noch vorhanden, sie ergeben zusammen mit den aus Lübben erwarteten immerhin schon einen Bestand. Dazu kommen aber noch zahlreiche Zuwendungen aus der Bevölkerung, die ganze Regale füllen. Für diese Spenden, die von der Hilfsbereitschaft der Berliner sprechen, ist man natürlich sehr dankbar. Weitere sind angekündigt, und man hofft, daß noch recht viele Bücher aus Privathand an die Stadtbibliothek gelangen werden. Man hat auch bereits die Kaufangebote mehrerer Buchhändler angenommen." (1) Die ohnehin reduzierten Buchbestände erfuhren eine zusätzliche Minimierung durch die Aussonderungsanordnungen der alliierten Behörden. Für den sowjetischen Sektor gab der oberste Befehlshaber Marschall Shukow im September 1945 den Befehl zur Sichtung der Buchbestände. Parallel zu der Entfernung der als faschistisch, militaristisch, imperialistisch oder auch reaktionär indizierten Bücher erfolgte ein kontinuierlicher Bestandsaufbau mit Literatur im Sinne des nun propagierten Gesellschaftsmodells. Sehr zugute kam der Stadtbibliothek eine große Bücherüberweisung des Bergungsamtes des Magistrats, auch private Schenkungen und die in Berlin verbliebenen Sammlungen Wilamowitz-Moellendorff und Friedrich-Werdersches Gymnasium ergänzten den ersten Bestandsaufbau.

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Hofeingangsbereich der Stadtbibliothek nach 1945

Im März 1946 konnte die „Berliner Zeitung" melden, daß bereits eine Sonderbibliothek medizinischer Fachbücher zusammengestellt sei, die an Ärzte und Studenten bei Dringlichkeitsnachweis ausgeliehen werden könne. (2) Organisatorisch war die Stadtbibliothek dem Magistrat von Berlin unterstellt. In der dortigen Abteilung Volksbildung gab es im Dezernat Büchereiwesen zwei Hauptreferate, jeweils für die wissenschaftlichen Bibliotheken und die Volksbibliotheken. Beide Referate agierten in gegenseitiger Abstimmung. Die Entnazifizierung hatte selbstverständlich nicht nur die Buchbestände, sondern auch das Personal betroffen, vor allem galt, daß ehemalige Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen zunächst kein leitendes Amt und keine öffentliche Anstellung innehalten durften. Notwendige Neueinstellungen wurden weniger nach fachlicher Qualifikation sondern eher nach politischer Zuverlässigkeit und antifaschistischer Gesinnung entschieden. Als Hauptamtsleiter für den Aufbau des Büchereiwesens war Erich Kürschner eingesetzt worden, er fungierte gleichzeitig als Direktor der Stadtbibliothek. Bis 1928 war Erich Kürschner Pfarrer in Ostpreußen gewesen, danach arbeitete er als Gefängnispfarrer in Berlin-Tegel. 1933 wurde er entlassen und schlug sich als Bestattungsredner und Transportarbeiter durch. Er war Mitglied der Reichsleitung der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen" und wurde in diesem Zusammenhang 1939 zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach 25jähriger Mitgliedschaft in der SPD, trat er 1946 der SED bei und gleichzeitig aus der Kirche aus. (3) Ab Juni 1946 war die Stadtbibliothek wieder regelmäßig geöffnet. Ein Leseraum war eingerichtet worden, der wochentags von 9-16.30 Uhr benutzt werden konnte, dort standen Nachschlagewerke und eine Handbücherei, ebenfalls lagen Zeitungen und Zeitschriften

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Ausleihe der Stadtbibliothek 1952

aus. In dringenden Fällen konnte auch bereits wieder nach Hause entliehen werden. Ab August war die Stadtbibliothek auch wieder samstags geöffnet. Der Buchbestand belief sich bei der Eröffnung auf 200 000 Bände, rund 100 000 Bände lagen aber noch im Magazin und mußten katalogisiert werden. Auf ein bestelltes Buch mußte man 24 Stunden warten. Der bauliche Zustand war noch immer katastrophal, teilweise wies die Stadtbibliothek offene Fenster und Decken auf. Im Sommer 1946 betrug die Mitarbeiterzahl 20 Fachkräfte. Pressemeldungen zufolge wuchs der Personalstamm bis zum folgenden Jahr auf 42 Mitarbeiter, auch der Buchbestand konnte in diesem Zeitraum erhöht werden. (4) Allmählich zeichnete sich während der allerersten Nachkriegsjahre eine Konsolidierung ab, allerdings brachten die zeitgeschichtlichen Ereignisse bald wieder neue Herausforderungen mit sich. Die politische und institutionelle Teilung der Stadt 1948/49 hatte für die Stadtbibliothek weitgehende Konsequenzen: 70% der Fachbibliothekare gingen in die Westsektoren, es blieben neben einigem technischem Personal lediglich zwei Bibliothekarinnen und einige Praktikantinnen zurück. Sehr dringlich erwies sich folglich die Notwendigkeit einer möglichst sofort einsetzenden Ausbildung von Fachkräften, die bedarfsgemäß auch in Kurzlehrgängen abolviert werden konnte. Vor allem Auszubildende aus Arbeiterfamilien sollten fortan bevorzugt den Beruf des Bibliothekars erlernen. Dank der Ausbildungspraktikanten konnte der Regelbetrieb in der Stadtbibliothek trotz des Personalverlustes aufrecht erhalten werden. 1949 wurde sogar die höchste Ausleihziffer nach dem Krieg registriert. Da auch das Stadtarchiv von den leitenden wissenschaftlichen Mitarbeitern verlassen worden war, wurde es der Stadtbibliothek zur Verwaltung angegliedert. (5)

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Die Leitung der Stadtbibliothek hatte im übrigen einen Wechsel erfahren, von 1949 bis 1951 sollte Karl Schulze der Bibliothek vorstehen. (6) In den Erinnerungen einer ehemaligen Bibliotheksangestellten an die Jahre 1949/50 werden die beschwerlichen Begleitumstände deutlich: So waren beispielsweise die Kataloge veraltet (sie umfaßten teilweise noch verlagerte oder bereits ausgesonderte Bestände). Die Bibliothekare mußten deshalb für Recherche und Bestandsermittlung viel Zeit im Magazin verbringen, im Winter gab es oftmals erfrorene Hände und regelrechte Grippeepidemien, da das Magazin nicht beheizbar war. Obwohl die Benutzerzahlen kontinuierlich stiegen, zeigten sich viele Leser doch sehr verärgert: nach wie vor mußte mit langen Wartezeiten gerechnet werden und aufgund der ungenügenden Kataloge war die „Trefferquote" bei den Bestellungen oft eher zufällig. Bis Mai 1949 konnte die Stadtbibliothek auch von Westberlinern benutzt werden, ab diesem Zeitpunkt wurde eine bedingte Sperre eingeführt: in Ostberlin beschäftigte oder studierende Westberliner durften nach wie vor die Ausleihe benutzen, alle anderen mußten sich auf die Benutzung der Bücher im Lesesaal beschränken. Der Lesesaal, von manchen wegen seiner Größe auch Lesezimmer genannt, bot circa 40-45 Benutzern Platz. Wie auch schon in früheren Zeiten scheint die Benutzung durch Frauen sehr gering gewesen zu sein, im Februar 1951 wurden beispielsweise 56 Studenten und 3 Studentinnen gezählt. Insgesamt wurde der Lesesaal im angegebenen Monat von 345 Personen aufgesucht, allein 75 von ihnen kamen aus den Westsektoren. Bis Ende 1950 war der Lesesaal täglich von 11-14 Uhr, dienstags und freitags bis 19 Uhr geöffnet. Neben der rein bibliothekarischen Arbeit wurden, folgt man den Erinnerungen, im erwähnten Zeitraum auch erste Buchausstellungen anläßlich von Gedenktagen und politischen Ereignissen gezeigt, eine Wandzeitung für das Personal der Stadtbibliothek war eingeführt worden, die auch für die Benutzer erweitert werden sollte. Vorerst begnügte man sich noch damit, das politische Geschehen betreffende Losungen an den holzverkleideten Wänden der Ausleihe anzubringen. (7) 1950 war die Revision der Kataloge fast abgeschlossen. Allerdings lagen in den Bezirksbüchereien immer noch die alten Kataloge der Stadtbibliothek aus, was zu Irritationen und Verärgerungen führte. In den oben erwähnten Erinnerungen wurde dazu vermerkt: „So bedeuten die Bestellungen von Seiten der Volksbibliotheks-Leser ein Tappen im Dunkeln." (8) Der Leihverkehr mit den Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken (AÖB), wie die ehemaligen Volks- und Stadtbüchereien der Bezirke nun genannt wurden, war 1950 wieder offiziell aufgenommen worden. Damit gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bibliothekszweigen wieder enger, man suchte nach funktionellen Gemeinsamkeiten und sah sich wechselseitig als sinnvolle Ergänzung. Durch die kurzzeitlich eingeführten Qualifizierungsmaßnahmen und Ausbildungslehrgänge war der Personalbestand an geschulten Kräften schnell angestiegen, nun jedoch spürbar verjüngt und dem DDR-Gesellschaftsmodell deutlicher verpflichtet. 1950/51 waren wieder 52 Mitarbeiter bei der Stadtbibliothek beschäftigt, davon allein 13 Diplombibliothekare. Das Jahr 1950 war zudem gekennzeichnet von einer weitreichenden Bestandserweiterung, der langjährige Leiter der historischen Sondersammlung bemerkte dazu im Rückblick: „Konnten schon unter den schwierigen räumlichen und materiellen Voraussetzungen der Nachkriegsjahre die umfangreichen Zugänge kaum bewältigt werden, so verschärfte sich die Lage, als der Ostberliner Magistrat in den Jahren 1950/51 die Auflösung der meisten noch bestehenden Berliner Gymnasialbibliotheken verfügte und deren Überführung in die Berliner Stadtbibliothek veranlaßte. Wertvolle Bestandskomplexe, die bis dahin noch in einigermaßen

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sicheren Räumlichkeiten aufgestellt waren, wurden völlig überstürzt geräumt und konnten in den beschädigten Magazinen des Marstallgebäudes nur noch gestapelt werden. Hierbei handelte es sich vor allem um die noch erhaltenen Bibliotheken des Königstädtischen Gymnasiums, des Leibniz-Gymnasiums, des Luisenstädtischen Gymnasiums und des SophienGymnasiums." (9) Im gleichen Jahr erfolgte auch die Angliederung der Mehring-Bibliothek. Zum Sammelgebiet dieser erst in der Nachkriegszeit gegründeten Bibliothek gehörten die Gesellschaftswissenschaften, mit Schwerpunkt auf der Geschichte der internationalen und deutschen Arbeiterbewegung. (10) 1951 hatte sich die Ausleihziffer gegenüber 1949 bereits verdoppelt. Die engere Kooperation mit den bezirklichen Bibliotheken wurde weitergeführt und der Ausleihverkehr mit einem Mietauto begonnen. Die Ausbildung von Bibliothekstechniker-Lehrlingen wurde begonnen und die Interalliierte Musikbibliothek (die spätere internationale Musikbibliothek) wurde aufgebaut. (11) Mehrheitlich lag der Interessenschwerpunkt der Benutzer auf dem Gebiet Literatur und Literaturwissenschaft. Nach einer Bestellstatistik vom Januar 1951 lag hier der höchste Prozentsatz von 32,3%, gefolgt von Medizin und Naturwissenschaften mit 11%, Technik mit 9,8% und Philosophie mit 8,4%. In weiterer Reihenfolge standen Geschichte mit 8,3%, Rechts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften mit 7%, Kunst mit 5,7%, Pädagogik mit 3,6% und Sprachwissenschaft mit 3,3%. Als Schlußlicht wurden die Bereiche Geographie mit 2,8% und Mathematik mit 2,6% aufgeführt. (12) Seit dem 1. Januar 1952 stand die Stadtbibliothek unter neuer Leitung. Bereits ab 1949 war der 1921 geborene Heinz Werner als junger Jurist in den Diensten der Stadtbibliothek und dort zunächst mit der Tätigkeit als Fachrefernt für Rechts- und Staatswissenschaft betraut. Kurzzeitig fungierte er zudem als kommissarischer Leiter des Stadtarchivs. Heinz Werner sollte die Geschichte der Stadtbibliothek über vier Jahrzehnte begleiten, er trug entscheidend zur weiteren Profilierung der Bibliothek bei und setzte ihr eigene, prägnante Akzente. 1952 konnte die Stadtbibliothek stolz vermelden, über eine halbe Million Bücher in ihrem Bestand zu halten, 300 000 davon waren bereits wieder benutzungsfähig. Herausragendes Ereignis des Jahres 1952 war in diesem Zusammenhang die Rückführung eines Teils der ehemals ausgelagerten Buchbestände. Über hunderttausend Bücher, darunter auch die Bibliothek des ehemaligen Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, waren von der ÖSSR zurückgegeben worden. Der offensichtliche Erfolgskurs der Bibliothek schlug sich in verbesserten Serviceleistungen für die Leser nieder: Die Öffnungszeiten wurden verlängert, im Ausleihbereich wurde ein Freihandregal aufgestellt, dessen Bände ebenfalls ausleihbar waren. Ab September war die Sofortausleihe wieder eingeführt worden, nachdem die Benutzer viele Jahre auf diese für die Stadtbibliothek typische Dienstleistung hatten verzichten müssen. Wieder eingerichtet wurde auch der telefonische Auskunfts- und Bestelldienst, thematische Bestellungen waren nun wieder in größerem Umfange möglich und die Stadtbibliothek begann, empfehlende Bibliographien herauszugeben und kleinere Ausstellungen zu zeigen. Bereits 1951 war mit der regelmäßigen Zeitschriftenauswertung in Kartenform begonnen worden, 1952 begann die Stadtbibliothek, die Nachweise über wichtige Aufsätze aus Fachzeitschriften und -Zeitungen in Verzeichnissen zusammenzufassen. Insgesamt wurden vorerst nahezu 250 Zeitschriften und Zeitungen regelmäßig erfaßt, die Verzeichnisse wurden zunächst in 60 Exemplaren vervielfältigt und an die wichtigsten Dienststellen, Institutionen und Bibliotheken der DDR versandt. (13)

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Berliner Stadtbibliothek

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Das folgende Jahr zeigte einen rapiden Benutzeranstieg, auch weil die Sofortausleihe nochmals erweitert wurde. Ebenfalls ausgebaut wurden die bibliographischen Dienste der Stadtbibliothek. Nach Beschlußfassung des Zentralkomitees der SED vom Mai 1953 über „die Verbesserung der Literaturkritik, der Bibliographie und Propagierung des fortschrittlichen Buches" setzte in der Stadtbibliothek eine Erhöhung der bibliographischen Publikationstätigkeit ein, im selben Jahr begann man mit der regelmäßigen Herausgabe von Neuerwerbungslisten ideologisch und ökonomisch wichtiger Literatur. Der Verteiler dieser Listen umfaßte die gesamte DDR, für die die Stadtbibliothek damit zum wichtigen Mittelpunkt in der Erstellung empfehlender Bibliographien wurde. Für die Benutzer wurde die bibliographische Tätigkeit sichtbar in der Zusammenstellung von Literaturlisten zu bestimmten Themen, ein besonderer Service der Stadtbibliothek, der oft und gern in Anspruch genommen wurde. 1953 wurde auch die Fotoabteilung des ehemaligen Instituts für Film, Bild und Funk der Stadtbibliothek überführt, eine weitere wichtige Angliederung erfolgte mit der Übergabe der Ärztebibliothek. In den Worten Heinz Werners liest sich die Geschichte dieser für das Selbstverständnis der Stadtbibliothek wichtigen Fachabteilung wie folgt: „Die Berliner Ärztebibliothek (...) wurde 1949 als Einrichtung des Magistrats von GroßBerlin gegründet, und zwar zunächst als Verwaltungsbibliothek, die lediglich für das öffentliche Gesundheitswesen wissenschaftliche und verwaltungstechnische Literatur bereitzustellen hatte. Doch war von vorneherin beabsichtigt, sie zu einer medizinischen Fachbibliothek zu erweitern, um wenigstens für Berlin die Lücken zu schließen, die durch empfindliche Kriegsverluste in der Versorgung der Ärzteschaft mit der unbedingt erforderlichen Fachliteratur entstanden waren. Um diese stärker in die Öffentlichkeit wirkenden Aufgaben besser lösen zu können, wurde daher die Ärztebibliothek 1953 der Berliner Stadtbibliothek angegliedert, der sie seitdem als Fachbibliothek unterstellt ist. Die (...) Ärztebibliothek mußte buchstäblich aus dem Nichts geschaffen werden. Den Grundstock bildeten die Bestände ehemaliger Krankenhausbüchereien und ähnlicher Einrichtungen, die durch Antiquariatskäufe und vor allem durch Beschaffung der seit Kriegsende erschienenen deutschsprachigen medizinischen Werke planmäßig vermehrt wurde. (...) Als medizinische Fachabteilung steht die Ärztebibliothek vornehmlich Ärzten, Zahnärzten und Apothekern, sowie sonstigen Angehörigen des Gesundheitswesens für wissenschaftliche Arbeit und berufliche Aus- und Weiterbildung zur Verfügung." (14) Einer anderen Darstellung zufolge wurde die Ärztebibliothek auch deshalb der Stadtbibliothek unterstellt, weil man sich dadurch eine kompetente Bestandspflege erhoffte und damit wiederum das .fremdgehen" der Benutzer in die Bibliotheken der Westsektoren unterbinden wollte. (15) Untergebracht war die Bibliothek allerdings nach wie vor außerhalb des Marstallkomplexes, erst Jahre später sollte sie auch räumlich mit der Stadtbibliothek zusammengeführt werden. Im September 1953 begann man in der Berliner Stadtbibliothek mit umfangreicheren Umbauarbeiten, die zumindest für die akutesten räumlichen Probleme Lösungen versprachen. Das provisorisch gedeckte Dach erhielt endlich eine feste Bedachung und in die Magazinräume wurde eine Heizung eingebaut. Zukünftig sollten wieder zwei Leseräume zur Verfügung stehen, getrennt nach Zeitschriften und Büchern und mit größeren Tischen. Schließlich sollte die Stadtbibliothek zumindest tagsüber wieder über den Haupteingang am Marx-Engels-Platz (ehemals Schloßplatz) zu erreichen sein, Eingänge wurden verbreitert und der Ausleihbereich vergrößert. Im Februar 1954 waren die Rohbauarbeiten abgeschlossen, die neuen Räumlichkeiten konnten im September bezogen werden. Der Zeitschriftenlesesaal, in dem circa 500 ver-

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Stapelbestände im Erdgeschoß / Magazin der Stadtbibliothek, 1946

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schiedene Zeitschriften und Zeitungen auslagen, verfügte über 16 Arbeitsplätze, der Lesesaal für Bücher konnte von 32 Personen benutzt werden. Beide Räume lagen im 2. Stock im ersten Quergebäude des Schloßflügels. Erwähnung fand in der damaligen Presse der moderne Ausstattungsstandard, so beispielsweise die Sitzgelegenheiten: „schaumgummigepolstert sind die spezialangefertigten bequemen Stühle" (16), die „geschmackvolle Garderobenablage" (17) und die nicht nur schönen, sondern auch blendungsfreien Leselampen (18). Auch die Atmosphäre der beiden Lesesäle wurde sehr positiv rezensiert: „Bequeme Sessel vor geräumigen Tischen, auf denen formschöne Leselampen nicht fehlen, laden geradezu zur Arbeit ein. Teppiche und Stores dämpfen die Geräusche. In den eingebauten Wandregalen stehen die wichtigsten Nachschlagewerke griffbereit. Im Zeitungs- und Zeitschriftenlesesaal findet der Besucher sogar ein Betrachtungsgerät für Mikroaufnahmen." (19) Generell scheint man auf die technischen Errungenschaften sehr stolz gewesen zu sein. So wird in den Darstellungen immer wieder erwähnt, daß die fotomechanische Abteilung nun auch in der Lage sei, Titelaufnahmen zu erstellen - ein Verfahren, das vor allem den Bibliotheksmitarbeitern eine Arbeitserleichterung brachte. 1955 erfolgte die Angliederung der Ratsbibliothek an die Stadtbibliothek. Ähnlich wie bei der Ärztebibliothek handelte es sich ab diesem Zeitpunkt um eine eigene Fachabteilung, die allerdings vorerst von der Stadtbibliothek räumlich getrennt blieb. Ihr Standort war das Ermelerhaus in der Breiten Str. 11, der Stadtbibliothek direkt gegenüber. Ihr Bestandsaufbau, ihr Aufgabenfeld und ihr spezielle Funktion wurde von Heinz Werner wie folgt umschrieben: „Sie erhielt eine klar umgrenzte Aufgabenstellung mit dem Schwerpunkt, Buch-, Zeitschriften-, Zeitungsliteratur und besonders amtliche Druckschriften als Dokumente und Hilfsmittel der neuen demokratischen Entwicklung und Bewußtseinsbildung zu sammeln und für die Lösung der Verwaltungsprobleme zu erschließen. Im Sinne dieser Aufgabenstellung hat die Ratsbibliothek Anleitung und Hilfe für die Einrichtung und Ausgestaltung von Betriebsbüchereien in einzelnen Verwaltungsbüchereien der Stadtbezirke gewährt. Die Auflösung der neben der Ratsbibliothek bestehenden zentralen Verwaltungsbücherei und der Verwaltungsbüchereien der Stadtbezirke erweiterte den Wirkungsbereich der Ratsbibliothek. (...) Sie hat als Fachabteilung der Berliner Stadtbibliothek die Möglichkeit erhalten, an der Zeitschriftenauswertung der Berliner Stadtbibliothek teilzunehmen, ihre Buchbeschaffung stärker auf spezielle Fachgebiete zu konzentrieren, ihre Sammlung zur Geschichte Berlins und der Mark Brandenburg für die heimatgeschichtliche Forschung auszugestalten, der öffentlichen Benutzung zu erschließen und in regelmäßiger Folge die bibliographischen Hefte , Unser Berlin in Buch und Zeitschrift' herauszugeben. Die Rückführung der verlagerten Bestände aus der Tschechoslowakischen Republik hat die Buchbestände der Ratsbibliothek auf den Gebieten des Staats- und Verwaltungsrechts, der Wirtschafts- und Kommunalwissenschaft, des Sozialwesens und ganz besonders auf dem Gebiet der berlin-brandenburgischen Geschichte derartig komplettiert und erweitert, daß sie von keiner anderen Spezialbibliothek Berlins übertroffen werden können." (20) Folgt man den Aufzeichnungen ehemaliger leitender Mitarbeiter der Stadtbibliothek, so erfuhr allerdings gerade die Ratsbibliothek in den folgenden Jahren einen nicht sehr pfleglichen Umgang mit ihren Beständen, vor allem der Altbestand wurde demnach sehr in Mitleidenschaft gezogen: „(...) der in fast 150 Jahren organisch gewachsene Bestand wurde regelrecht als Steinbruch benutzt. Zahlreiche inzwischen vorhandene Teilbestände (...) wurden aus dem Altbestand aufgestockt." (21) Am 28. September 1955 faßte die Volksvertretung von Groß-Berlin einen Beschluß über die „Aufgaben auf dem Gebiete der Kultur", der im wesentlichen beinhaltete, „zur

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Stärkung und Festigung der Deutschen Demokratischen Republik unsere kulturpolitischen Erfolge zu mehren." Im einzelnen wurde beispielsweise bestimmt, „Maßnahmen zur Schaffung von Kulturzentren in den Stadtbezirken einzuleiten", den „Kampf der patriotisch denkenden und handelnden westberliner Werktätigen, Künstler und Kulturschaffenden für die Erhaltung und Pflege der humanistischen Kultur in Westberlin" zu unterstützen, „eine Verordnung zu erlassen, die den Druck, Vertrieb, Tausch und Besitz von Schund- und Schmutzerzeugnissen verbietet", ebenso wurden auch Regelungen über die Rückgabe der von Berlin (Ost) nach Westdeutschland verlagerten Museums- und Bibliotheksbestände eingefordert. Ziel dieses umfassenden Kulturprogramms war die engere Anbindung der gesamten Bevölkerung an die Kulturarbeit und die qualitative Anhebung der künstlerischen Aktivitäten, außerdem war im Beschlußpapier zu lesen: „Die kulturellen Einrichtungen sind zu Heimstätten aller Werktätigen zu entwickeln." Auf Weisung der Leitung der Abteilung Kultur verfaßte daraufhin auch die Berliner Stadtbibliothek ein entsprechendes Arbeitsprogramm, in dem sie ihr Aufgabenfeld und ihr wissenschaftliches Selbstverständnis nochmals festlegte und zum Beschluß der Volksvertretung Stellung nahm. Deutlich wurde nun eine Schwerpunktsetzung auf die Fachgebiete Technik und Naturwissenschaft propagiert, da man Aktualität in diesem sich schnell fortschreitendem Wissensgebiet nicht aufs Spiel setzen wollte: „Der Beschluß unserer Volksvertretung über die Aufgaben auf dem Gebiete der Kultur leitet eine neue Etappe in der Arbeit aller kulturellen Institutionen des Magistrats von Groß-Berlin ein. (...) Die Aufgaben der Stadtbibliothek lassen sich in zwei wichtige Gebiete teilen. Die Hauptaufgabe besteht in der Unterstützung der Wissenschaft und in der beruflichen und fachlichen Qualifizierung aller Schichten der Bevölkerung Berlins. Die andere große Aufgabe dient der Bewußtseinsentwicklung unserer Bevölkerung und der Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus. Diese Aufgaben werden direkt oder indirekt über andere Bibliotheken (z.B. Volks- und Betriebsbüchereien) geleistet. Den wissenschaftlichen Bibliotheken ist durch den Beschluß des Ministerrats IX,7 die Aufgabe übertragen worden, ,in erweitertem Umfange die Bereitstellung der wissenschaftlichen und technischen Literatur zu sichern, allgemeine Bibliographien wissenschaftlicher und technischer Art zu den Schwerpunktaufgaben des Volkswirtschaftsplanes aufzustellen und diese in ihren Wirkungsbereichen (...) zugängig zu machen'." (22) Entsprechend diesen Vorgaben wurden deshalb insgesamt acht Programmpunkte beschlossen, die auf das Gebiet der technischen und naturwissenschaftlichen Literatur abzielten. Ebenfalls wurden aber auch acht Programmpunkte zu kulturpolitischen Aufgaben in der Massenarbeit aufgelistet: Unter anderem wurde eine Verstärkung des Ausstellungs- und Vortragsprogramms der Stadtbibliothek gefordert, die neu zu schaffenden Vortragsräume sollten aber auch von anderen Organisationen und Gesellschaften genutzt werden können. Die Stadtbibliothek sollte hier mit „Literaturpropagierungsmaßnahmen" unterstützend wirken. Weiterhin wurden als Programmpunkte aufgelistet: a) regelmäßige populärwissenschaftliche Fachvorträge zu Themen, die für die Werktätigen zur Erfüllung ihrer Aufgaben von Interesse und Wichtigkeit sind, unter gleichzeitiger Propagierung der entsprechenden Fachliteratur und Verteilung von Literaturverzeichnissen b) Die Einrichtung einer Freihandabteilung in der Ausleihe der Berliner Stadtbibliothek c) Leserführungen durch die Bibliothek, insbesondere für Fach- und Oberschüler (zunächst versuchsweise)

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STADTBIBLIOTHEK

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Lesesaal der Stadtbibliothek im Ζwischengeschoß des Marstalls, 1954

d) Da die Internationale Musikbibliothek durch Funktionswechsel für die Massenarbeit völlig ausfällt und sich auf die Ausleihung von Musikalien zeitgenössischer Komponisten, insbesondere an Orchester, beschränkt, ergibt sich die Notwendigkeit, die alte Musikabteilung der Berliner Stadtbibliothek wieder von Grund an aufzubauen. (...) Ziel muß es sein, spätestens 1958 eine leistungsfähige Musikabteilung der Berliner Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. „Dies ist um so mehr erforderlich, als in immer größerem Maße die Ausstrahlung der ,Amerika Gedenkbibliothek' durch ihre ausgezeichnet ausgestattete Musikabteilung auf den Demokratischen Sektor von GroßBerlin zunimmt." (23) Bereits in den vorhergehenden Jahren war zwar mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen worden. Doch erst seit der Mitte der 50er Jahre startete die Stadtbibliothek ein regelmäßiges Veranstaltungsprogramm, das sich aus Ausstellungen und Literaturabenden zusammensetzte. So konnte man beispielsweise 1955 anläßlich der Woche des Buches eine von einem wissenschaftlichen Kollektiv zusammengetragene Schiller-Ausstellung besichtigen. (24) Im Juni 1955 war der erste Literaturabend durchgeführt worden: auf Schallplatte war ,Die Abenteuer des Felix Krall', von Thomas Mann selbst gelesen, zu hören - ein Experiment, das auf breite Zustimmung stieß. Diese ersten Erfolge, den Wirkungskreis der Bibliothek zu erweitern, bestätigten die Stadtbibliothek in ihrem Unterfangen, das für eine wissenschaftliche Bibliothek einmalig war. Aus dem Thomas-Mann-Abend entwickelte sich im Laufe der Zeit eine feste Veranstaltungsreihe, die jeden Mittwoch Besucher in die Stadtbibliothek lockte. Im Mittelpunkt dieser Abende standen musikalische oder literarische Werke, die von Schallplatten übertragen

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wurden. Einleitende Vorträge begleiteten das Programm. Die vorgeführten Schallplatten stammten aus der Musikabteilung der Stadtbibliothek, wo sich eine .Diskothek' im Aufbau befand. Diese Veranstaltungen stießen beim Publikum auf große Resonanz. Wegen des regen Zuspruchs mußten viele Tonübertragungen mehrfach wiederholt werden, manche hielten sich über Jahre auf dem Programm. 1956 stand beispielsweise Goethes , Faust' in der Gründgens-Inszenierung allein fünfzehnmal auf dem Spielplan, im selben Jahr erwies sich auch Schillers ,Kabale und Liebe' in der Besetzung der Salzburger Festspiele mit namhaften Schauspielern wie Will Quadflieg, Maria Schell, Nicole Heesters oder Erich Ponto als Publikumsmagnet. Weitere Erfolge waren Aufnahmen von Songs aus der ,Dreigroschenoper' von Brecht und Kurt Weill aus dem Jahre 1930 oder Tonbandaufnahmen von Gershwins Oper ,Porgy and Bess'. (25) Die mittlerweile immer enger werdende Zusammenarbeit mit den bezirklichen Bibliotheken bedingte seitens der Stadtbibliothek die Notwendigkeit einer Definition ihres eigenen Standpunktes. In Abgrenzung zu den rein wissenschaftlich orientierten Bibliotheken sah sich die Stadtbibliothek als allgemeine wissenschaftliche Bibliothek, die ihr Hauptaugenmerk auf die Bereitstellung und Erschließung von Literatur für die Weiterqualifizierung aller Werktätigen und auf die Popularisierung der Wissenschaften lenkte. So hieß es noch 1955: „Die Berliner Stadtbibliothek sieht ihre Hauptaufgabe darin, die Werktätigen an das gute Buch heranzuführen und ihnen beim Studium wissenschaftlicher Werke zu helfen. Etwa 650 000 Bände aus allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens stehen der Berliner Bevölkerung dort zur Verfügung. Zum Leserkreis der Stadtbibliothek gehören vorwiegend Arbeiter, Studenten, Lehrlinge, Wissenschaftler und Staatsfunktionäre. Bedauerlich ist allerdings, daß die Mitarbeiter der staatlichen Organe noch recht wenig von den ihnen hier zur Verfügung stehenden Einrichtungen Gebrauch machen. So ist die Prozentzahl der in der Leserkartei der Stadtbibliothek erfaßten Mitarbeiter der staatlichen Organe im Vergleich zu anderen Berufen verhältnismäßig gering." (26) Trotz Abgrenzung zu den rein wissenschaftlichen Bibliotheken fühlte sich die Stadtbibliothek einem wissenschaftlichen Anspruch verpflichtet, in der Ausrichtung auf eine allgemeiner gefächerte Nutzerschicht und in einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit lag jedoch ihre Besonderheit. In Abgrenzung zu den bezirklichen Bibliotheken wiederum definierte sich die Position der Stadbibliothek mit ihrem gehobenen, wissenschaftlichen Bestandsaufbau und ihrer anders gelagerten Klientel. Gleichwohl fühlte man sich einem gemeinsamen kulturpolitischen Auftrag verpflichtet und sah hier einheitliche Interessenlagen und Kooperationsbedarf. So wurde im Dezember 1954 ein Regelwerk angeordnet, demnach die Berliner Stadtbibliothek künftig unter Beibehaltung und Stärkung ihrer Position als wissenschaftlicher Allgemeinbibliothek mit ihren regionalen und überregionalen Verbindungen zudem zentrale Funktionen für das Netz der Ostberliner Bezirksbibliotheken übernehmen sollte. Im genauen Wortlaut war in der , Anordnung über die Verbesserung der wissenschaftlichmethodischen Arbeit im Bibliothekswesen von Groß-Berlin" vom 3.12.54 festgelegt worden: „Das Bibliothekswesen ist eines der Hauptinstrumente der kulturellen Massenarbeit und wirkt bei der Lösung der wirtschaftlichen und politischen Aufgaben unseres Staates aktiv mit. Zur ständigen Verbesserung der Arbeit in den Bibliotheken ist es notwendig, insbesondere die wissenschaftlich-methodische Arbeit in den Einrichtungen des Bibliothekswesens zu verstärken und auf ein hohes Niveau zu heben.

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BERLINER STADTBIBUOTHEK TONÜBERTRAGUNG D i e n s t a g , 13. N o v e m b e r 1956, 19.30 Uhr

Tifimi pm fältle* Thomas Mann liest aus dem .VERSUCH OBER SCHILLER, und die Novelle .SCHWERE STUNDE-

Ludwig van Beelhovens IX. Sinfonie d-moll, op. 125 mit dem Schlußdioi aus Schillers Ode »An die Freude· N.B.C. Symphony Orchestra

Dirigent: ARTURO TOSCANINI

Korten 10 Tage im voraus in der Amtalhe der Berliner StadtbibUothek. Berlin C 2, Breite SlraBe 36/37 (Man-Engels-Platz)

EINTRITT FREI Veranstaltungsplakat der Stadtbibliothek von 1956

Dazu wird folgendes angeordnet: § 1: (1) In der Berliner Stadtbibliothek sind ab 1. Januar 1955 folgende Abteilungen neu zu bilden: a) Methodik und Inspektion b) Literaturpropaganda c) Kinderbibliotheken Bei den einzelnen Abteilungen können Sachgebiete gebildet werden. (2) Die Berliner Stadtbibliothek hat die Aufgabe, die wissenschaftlich-methodische Arbeit entsprechend der sozialökonomischen Struktur und der Entwicklung des Netzes der öffentlichen Bibliotheken in Groß-Berlin zu leisten. Sie ist für die fachlich-methodische Anleitung der Stadtbezirksbibliotheken verantwortlich, organisiert die Fernleihe in Groß-Berlin und wirkt bei der fachlichen Schulung aller hauptberuflichen Mitarbeiter der allgemeinen öffentlichen und BetriebsBibliotheken als Konsultationspunkt. (3) Die Aufgaben der Berliner Stadtbibliothek als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek werden dadurch nicht berührt." (27) Die mit dieser Verordnung neugegründete ,Methodische Abteilung' trat damit in einige Funktionen ein, die ehemals das Amt für Büchereiwesen ausgeübt hatte. Mit den ihr zugedachten Kompetenzen war eine vom Erscheinungsbild anderer Bezirks- und Stadtbibliotheken in der DDR abweichende Konstruktion geschaffen worden. Ihre Strukturierung durch die Sachgebiete Methodik, Literaturpropaganda und Kinderbuch schuf andererseits eine Angleichung an die bezirklichen Einrichtungen. Die Berliner Stadtbibliothek blieb

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unverändert nachgeordnete Einrichtung der Abteilung Kultur des Magistrats und unterstand der Dienstaufsicht des Referates Buch- und Bibliothekswesen. Die Methodische Abteilung war der Stadtbibliothek angegliedert und kooperierte mit den Staatlichen Allgemeinbibliotheken, die den Bezirksämtern unterstellt blieben. Damit sollte die Spaltung im Bibliothekswesen in Wissenschaftliche Allgemeinbibliotheken (WAB) und Allgemeine Öffentliche Bibliotheken (AÖB) / Staatliche Allgemeinbibliotheken überwunden werden. Es war bewußt keine neue zentrale allgemeine Bezirksbibliothek geschaffen worden, sondern die Aufgaben und Kompetenzen der Berliner Stadtbibliothek als wissenschaftlicher allgemeiner Bibliothek waren erweitert worden. Die Leitung der Methodischen Abteilung sollte demzufolge eng mit dem Direktor der Stadtbibliothek und der Leiterin des Referates Buch- und Bibliothekswesen zusammenarbeiten. Die Aufgabengebiete und Ziele der Methodischen Abteilung waren klar umrissen: - Anleitung der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken in Berlin in Unterstützung der städtischen Verwaltungsstellen - Vereinheitlichung im Bereich der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken - Verbesserung der Bestandspolitik und der Ausleihtätigkeit - Erarbeitung und Herausgabe von Materialien zur Literaturpropaganda und Bestandserschließung - Analyse und Auswertung der Arbeitsergebnisse aller allgemeinbildenden Bibliotheken - Propagierung und Nutzung aller Möglichkeiten, die die Berliner Stadtbibliothek als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek für die Arbeit der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken bietet. Die Aufgaben der den Stadtbezirken unterstehenden Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken lagen in der Unterstützung der Arbeit der Methodischen Abteilung, beispielsweise durch ihr Mitwirken in den insgesamt zehn von der Methodischen Abteilung eingerichteten Arbeitskreisen, die jeweils mindestens einmal monatlich tagten. Neben den Arbeitskreisen zu Methodik, Literaturpropaganda und Kinderbuch gab es beispielsweise noch welche zur Anleitung der Gewerkschaftsbibliotheken, zur Arbeit mit den Leserbeiräten, zur Literaturkritik oder zur Auswahl und Propagierung populärwissenschaftlicher Literatur. So war das (Ost)Berliner Büchereiwesen auf der Grundlage von verbindlichen Abmachungen auf dem Wege zu einer einheitlichen Gestaltung. Die Stadtbibliothek hatte inmitten dieser Konstruktion einen zentralen Platz und konnte durch ihre Doppelfunktion und durch ihr kulturpolitisches Programm ein breites Aufgabenspektrum abdecken. So bilanzierte Heinz Werner 1957 stolz: „In der Zusammenarbeit mit den Volksbüchereien waren wir aber keineswegs nur die Gebenden. Besonders auf dem Gebiet der kulturellen Massenarbeit, auf dem die wissenschaftlichen Bibliotheken in der Vergangenheit kein Betätigungsfeld sahen, empfingen wir wertvolle Anregungen. Seit Anfang 1956 führt die Berliner Stadtbibliothek regelmäßig Literatur- und Musikveranstaltungen für ihre Leser durch, in die die Übertragungen wertvoller Tonaufnahmen von Dichtung und Musikwerken einbezogen werden. Diese Veranstaltungen, die ursprünglich lediglich als eine Leserwerbung gedacht waren, haben der Bibliothek nicht nur viele neue Leser zugeführt, sondern auch dazu beigetragen, die Verbindung zwischen Leserschaft und Bibliothek zu vertiefen. So wurden im 1. Halbjahr 1957 siebenundzwanzig Literatur- und Musikabende veranstaltet, an denen ca. 3 250 Besucher teilnahmen. Der Erfolg unserer Bemühungen (...) spiegelt sich in dem ständigen Anstieg der Benutzung wider. Allein im 1. Halbjahr 1957 haben sich 5 000 Leser für die Ausleihe angemeldet,

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im 1. Halbjahr 1956 waren es 3 100 und im gleichen Zeitraum 1954 2 400. Der Leserzuwachs ist in diesem Jahr somit um 60% größer als im Voijahr. Ein ähnlich hoher Anstieg der Leserzahl ist in der Berliner Stadtbibliothek bisher noch nie erreicht worden. Die Lesesaalbenutzung weist für dieselbe Zeit eine Steigerung von 35% auf. Die Zahl der .Entleihungen am Ort' hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt (1. Halbjahr 1957 = 82 000, 1. Halbjahr 1956 = 60 000, 1. Halbjahr 1954 = 42 000). Der Ausleihverkehr mit den Volksbüchereien ist innerhalb eines Jahres um 50% gestiegen. (1. Halbjahr 1957 = 12 000). (28) Eine völlig andere Entwicklung nahm das Bibliothekswesen in den Westsektoren der Stadt. Nach den zunächst anfallenden Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten und der Revision der Buchbestände waren von den ehemals 58 Volksbüchereien wieder 56 aufgebaut oder neu in Betrieb genommen worden, die Unterbringung war jedoch zum großen Teil unzulänglich, die Einrichtung behelfsmäßig und der Buchbestand überwiegend verbraucht und veraltet. Im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken sahen sich die Westsektoren benachteiligt. Die meisten wissenschaftlichen Bibliotheken befanden sich im Ostteil der Stadt, ihre Benutzung durch Bewohner der Westsektoren war nur beschränkt möglich. Die faktische Teilung der Stadt und die Blockade verschärften diese Zustände noch. Gleichzeitig hatten mittlerweile viele bibliothekarische Fachkräfte den Ostteil der Stadt verlassen. Fritz Moser, der spätere Leiter der Amerika-Gedenkbibliothek, erinnert sich rückblickend: „So stand alles im Zeichen der Selbsthilfe, des Improvisierens. Als ersten Schritt unternahm die neugegründete Freie Universität Berlin, ihre jungen Seminare und Institute so gut es ging mit Spezialliteratur zu fundieren. Etwa gleichzeitig wurden die bibliothekarischen Kräfte der Berliner Stadtbibliothek, die in der übergroßen Zahl ihre alte Wirkungsstätte verlassen und für Westberlin optiert hatten, vom Magistrat mit der Schaffung des Berliner Gesamtkatalogs beauftragt (...). Neben solchen Sofortmaßnahmen wurde als eine der wichtigsten Aufgaben die Errichtung einer neuen Zentralbibliothek in Angriff genommen, deren Bestände allen wissenschaftlich Arbeitenden und Studierenden, aus naheliegenden Gründen aber besonders den Angehörigen der Freien Universität zugute kommen sollten. Schließlich wurde eine für diesen Zweck taugliche größere Privatvilla in der Podbielski-Allee in Dahlem gefunden und von der Stadt gemietet. (...) Am 1. Juli 1950 wurde die Wissenschaftliche Zentralbibliothek', wie ihr Name nun lautete, unter der Leitung von Dr. Gerhard Krohn eröffnet. Drei größere zusammenhängende Wohnräume im Erdgeschoß waren in den Bücherlesesaal, ein weiteres Zimmer zum Zeitschriftenleseraum umgewandelt worden. In engen und verwinkelten Kellerräumen war das Magazin, die Buchbinderei in der ehemaligen Küche untergebracht. Die Verwaltungsräume, der Katalog und die allgemeine Auskunft lagen im ersten Stockwerk, die Ausleihe mit besonderem Eingang im Souterrain. Ein freundlicher Garten, in den man blickte, gab dem Studienbetrieb den Anhauch einer kaum großstädtisch zu nennenden Idylle. Mit einem Fundus von knapp 50 000, wenn auch überwiegend neueren Werken, von denen etwa 4 000 zum Lesesaal gehörten, und einem Anfangsbestand von rd. 500 laufend gehaltenen Zeitschriften konnte die Wissenschaftliche Zentralbibliothek (...) weniger als Lösung denn als Forderung der Zeitsituation aufgefaßt werden." (29) Vor allem die Spaltung der Stadt hatte eine Situation geschaffen, die Handlungsbedarf einforderte, auch im Selbstverständnis der Wissenschaftlichen Zentralbibliothek fand sich dieser politische Hintergrund formuliert:

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Wissenschaftliche Zentralbibliothek in Dahlem, Außenansicht

„Die Einrichtung der WZB wurde im Januar 1949 nach der Trennung Berlins in Ost und West beschlossen, da alle grossen allgemein wissenschaftlichen Bibliotheken, wie (...) die Universitätsbibliothek und die Stadtbibliothek im Marstallgebäude im Osten verblieben waren. Für diese musste in Westberlin schnellstens ein Ersatz geschaffen werden, um hier Kultur, Wissenschaft und Forschung die Grundlagen zur weiteren Arbeit zu gewährleisten." (30) Entsprechend dieser dringlichen Situation gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten Gebäude mit Nachdruck. Vor allem Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuter scheint sich mit dem Einfluß seiner Person für eine Realisierung engagiert zu haben, wie aus einem Schreiben Gerhard Krohns vom März 1950 an ihn hervorgeht: „Vor wenigen Tagen wurde als vorläufge Unterkunft für die WZB für zwei Jahre in Dahlem das Haus Podbielskiallee 14/16/18 gemietet. Damit ist, nach langen Monaten vergeblichen Suchens, die wichtigste Vorbedingung geschaffen, die Bestände der Bibliothek, (...), den Wissenschaftlern von ganz Berlin zugänglich zu machen und damit der Förderung der Kultur in West-Berlin in bescheidenem Masse zu dienen. Nach Überwindung von baulichen, Mobiliar- und Personalschwierigkeiten wird die Bibliothek zu Beginn des Sommersemesters eröffnet werden können. Dieser Augenblick zwingt mich, Ihnen, sehr verehrter Herr Oberbürgermeister, der Sie sich für unser Gebäude dauernd interessiert und persönlich eingesetzt haben, für Ihre unermüdlichen Bemühungen meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen." (31) Wesentliches Moment der neueröffneten Wissenschaftlichen Zentralbibliothek war von Anfang an ihre Ausrichtung als Bibliothek für die allgemeine Öffentlichkeit, eine exklusive Nutzung allein durch die Wissenschaft wurde von vorneherein strikt abgelehnt. So betonte die Bibliothek beispielsweise in einem Schreiben an die Redaktion des „Tagesspiegels" vom 16. April 1952:

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Wissenschaftliche Zentralbibliothek in Dahlem, Innenansicht

„Die WZB wurde geschaffen ausdrücklich mit der Funktion sowohl als Stadtbibliothek als auch als Universitätsbibliothek. Aus dem Nichts wuchs sie empor, zunächst als Gast im Berliner Hauptarchiv, dem ehemaligen Preußischen Staatsarchiv, in deren Kellerräumen ihr Grundbestand sich mehr und mehr stapelte, bis endlich das lang gesuchte Gebäude in der Podbielskiallee gemietet werden konnte. (...) Die Bücher stehen allen Berlinern ohne Unterschied des Berufes und der Vorbildung kostenlos in den Leseräumen und zur Entleihung nach Hause zur Verfügung. Bücher, welche die WZB selbst nicht besitzt, werden dem Leser entweder durch den bei ihr bearbeiteten Berliner Gesamtkatalog nachgewiesen, der, wenn auch erst zur kleineren Hälfte fertig, die wissenschaftlichen Buchbestände von etwa 160 Westberliner Bibliotheken mit schätzungsweise 1,5 Millionen Bänden zusammenfassen soll, oder sie werden im Deutschen oder Internationalen Leihverkehr von ausserhalb beschafft. Zu den Büchern kommt ein Stab von 35 Mitarbeitern, davon 4 Wissenschaftler und 17 Diplombibliothekare. (...)" (32) Schon zur Eröffnung der Wissenschaftlichen Zentralbibliothek war man sich ihres Provisoriums bewußt. So war man sich auch darüber im klaren, daß weder die Räumlichkeiten noch die etwas abseitige Lage ein dauerhaftes Konzept tragen konnten. Allerdings hatte sich zum gleichen Zeitpunkt eine neue Perspektive eröffnet: Von den Amerikanern war der (West)Berliner Bevölkerung im Gedenken an ihre Haltung während der Blockade eine Spende in Aussicht gestellt worden, deren Verwendungszweck freigestellt blieb. Oberbürgermeister Ernst Reuter, der damalige Stadtrat für Volksbildung und weitere namhafte Persönlichkeiten der politischen und kulturellen Öffentlichkeit setzten

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Im Patentamt in der Gitschiner Straße bei der Vorbereitung der AGB-Eröffnung, 50er Jahre

sich für den Neubau einer Bibliothek nach amerikanischem Vorbild ein. Der damals noch als Dezernent für das Bibliotheks- und Archivwesen tätige Fritz Moser wurde mit einer entsprechenden Konzeption beauftragt. Ein mit der Entscheidungsfindung betrautes Komitee, an dem auch amerikanische Berater teilnahmen, votierte am 25. Juni 1950 zugunsten eines Bibliotheksneubaus, der Magistrat von Berlin sicherte im Sommer 1950 laufenden Unterhalt und das Grundstück zu. Im August 1950 teilten die amerikanischen Behörden mit, daß sich ihre Zuwendung für den Bibliotheksbau auf 5 Millionen D M belaufen werde, es handelte sich um Gelder aus den Fonds des Marshall-Plans, die nicht zurückgezahlt werden brauchten. Als Standort für die neu zu erbauende Bibliothek, die laut Senatsbeschluß vom April 1951 als ,Gedenkbibliothek' nun auch einen richtungsweisenden Namen erhalten hatte, war ein Grundstück am Halleschen Tor in Aussicht genommen. Zum einen bot es genügend Planungsspielraum, selbst eventuelle Erweiterungen waren möglich, zum anderen war die Nähe zum Ostsektor der Stadt eine Herausforderung. In der Gesamtsicht auf Berlin lag damit die zukünftige Bibliothek zentral und signalisierte den politischen Willen zur ungeteilten Stadt, in der Frontstellung zum Ostsektor sollte die Bibliothek „gleich einem Wahrzeichen des freien Geistes anziehend und verheißend" (33) wirken. Der freiheitliche Charakter der Bibliothek sollte auch in ihrer Einrichtung, ihrer Architektur und ihrem Wirken Ausdruck finden. Als Vorbild standen hier die großen amerikanischen public libraries. Die Bibliothek sollte allen Bevölkerungskreisen offenstehen und diesen einen umfangreichen Buchbestand auch an fachberuflicher und wissenschaftlicher Literatur

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Dr. Moser erklärt das Modell der Amerika-Gedenkbibliothek, 50er Jahre

bieten. Dabei sollte die Bibliothek weder im Sinne einer aufgeblähten Volksbücherei, die den anderen städtischen Büchereien vorstand, noch im Sinne einer Einheitsbücherei, in der sich der wissenschaftliche Bestand getrennt neben dem allgemeinen Bereich präsentiert, geführt werden. Entsprechend der uneingeschränkten Benutzung durch Leser unterschiedlichster beruflicher und sozialer Provenienz und verschiedenster Altersstufen sollte deshalb die größte Zahl der Bücher in offener Freihandaufstellung zugänglich sein - ein Novum vor allem für den Bereich der wissenschaftlichen Literatur. So wurde in den Besprechungsrunden während der Planungs- und Vorbereitungsphase der Grundcharakter der neuen Bibliothek immer wieder diskutiert, in der Frage einer einheitlichen Systematik für den gesamten Buchbestand wurde beispielhaft argumentiert: „Die Einheit des Gesamtbestandes erfordert ein einheitliches System, das Freihand und Magazin umschliesst. Die oberen Gruppen müssen für den Kern der Bibliothek, die Freihand, anwendbar sein, dem Doppelcharakter der Bibliothek (Freihand und Magazin) muss Rechnung getragen werden stets mit dem Ziel, allen Lesertypen gerecht zu werden. Es ist ein Ausgleich zu finden zwischen praktischen und fachlich-sachlichen Erwägungen; der nicht speziell vorgebildete Leser muss sich zurechtfinden können, ohne durch zu komplizierte und theoretisch-wissenschaftlich-konservative Begriffe verwirrt und eventuell abgeschreckt zu werden, andererseits muss ein Niveau gewahrt bleiben, das auch den wissenschaftlich orientierten Leser anzieht. Die pädagogische Leitidee der Bibliothek muss sichtbar werden, indem man die Bildung weiter Bevölkerungskreise ebenso anstreben wie die Heranzüchtung eines übertriebenen Spezialistentums eindämmen wird.

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Baustelle Amerika-Gedenkbibliothek, April 1953 Wird das System in der AGB vielleicht auch weniger als in der WZB mit dem wissenschaftlich vorgebildeten Leser rechnen können (auch in der WZB zeigte sich laut Umfrage, dass es immer einige Personen gibt, die sich im Gestrüppe der Systematik verfangen, wenn ihnen der Bibliothekar nicht hilft), so darf doch eine gewisse Grenze nicht unterschritten werden, Planmässigkeit muss walten und ein bestimmtes Mass von Sinn für Ordnung beim Leser vorausgesetzt werden." (34) Die Bibliothek sollte ihre Bestände nicht im Magazin verbergen, sondern möglichst viel der Öffentlichkeit präsentieren, wobei dem Sachbuch als , Verführer' eine essentielle Rolle im Freihandbereich zugedacht war. Generell sollte der Magazinbestand mit dem Freihandbereich auch ausgewechselt werden können. Es galt, Leserwünsche zu berücksichtigen und gleichzeitig durch geschickte Präsentation Interesse für Neues zu wecken. Die Mitarbeiter der Planungsphase sahen das Magazin als „verlängerten Arm der Freihandausleihe, der gesamte Bestand wird zusammen verarbeitet und wechselweise in manchen Teilen in der Freihand exponiert. Die ausgestellten Bücher sind gewissermassen Muster, die auf Anfrage aus dem Magazin ergänzt werden können." (35) Das neue Konzept war nicht unumstritten. Da während der gesamten Planungszeit stets amerikanische Fachkollegen als beratende Begleitung zugegen waren und der Bibliotheksbau und die Erstausstattung aus amerikanischen Spendengeldern finanziert wurden, kam in einer Besprechungsrunde deshalb auch die Frage auf, ob die zukünftige Bibliothek an bestimmte Wünsche von amerikanischer Seite gebunden sei. Als Antwort kam zu Protokoll, daß dies nicht der Fall sei, Amerika erwarte lediglich die Anwendung eines modernen Systems. (36)

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Erster Bücherumzug im Mai 1954

Eine entscheidende Frage war die Besetzung des Direktorenpostens an der zu gründenden Bibliothek. Folgt man einem Brief der Bibliothekare der WZB an den damaligen Senator für Volksbildung vom Juni 1952, war zunächst Büchereidirektor Mevissen aus Bremen im Gespräch. Demnach hatte er sich sogar bereits an den Planungen für einen Büchereineubau mitengagiert. Nachdem Mevissen aber offenbar doch abgesagt hatte, begab man sich erneut auf die Suche. Die Mitarbeiter der WZB brachten zum einen Gerhard Krohn und interessanterweise auch Wilhelm Schuster, der zu diesem Zeitpunkt als Referent in der WZB tätig war, für diesen Posten zum Vorschlag und begründeten ihre Option: „(...) hat er (Schuster, Anm. d. Verf.) in ganz Deutschland den Ruf eines führenden Volksbibliothekars, der auch heute wiederum bestätigt wird. Es sei besonders hervorgehoben, dass er seinerzeit bereits Pläne für den Neubau der Berliner Stadtbibliothek vollständig ausgearbeitet hat, die nur aus zeitgegebenen Gründen nicht zur Ausführung kamen. Erinnert sei daran, dass sowohl Herr Direktor Dr. Krohn, als auch Herr Direktor Dr. Schuster bereits an den Vorarbeiten für die Gedenkbibliothek auf Grund ihrer reichen Erfahrungen und Kenntnisse wesentlichen Anteil genommen haben." (37) Schließlich fiel die Entscheidung auf Dr. Fritz Moser. Seit der ersten Planungsphase war er an Konzeption und Gestaltung der neu zu gründenden Bibliothek beteiligt gewesen. Im Frühsommer 1951 hatte er eine Besichtigungstour durch die Vereinigten Staaten von Amerika unternommen, von der er wichtige Anregungen mit nach Berlin zurückbringen konnte. Moser setzte sich sehr stark für das Modell Freihand ein und war maßgeblich an der Profilierung der neuen Bibliothek beteiligt.

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Der amerikanische Einfluß machte sich nicht nur in bibliothekstechnischen Fragen bemerkbar - so hatte man sich beipsielsweise für die Ausleihe mit Lochkarten nach amerikanischem Vorbild entschieden - sehr deutlich wurde die Anlehnung auch in der Architektur selbst. Relativ schnell war man sich darüber einig, eine Planung anzustreben, die Flexibilität, Offenheit und Liberalität architektonisch zum Ausdruck bringen sollte. Der Wettbewerb für den Entwurf der Bibliothek brachte insgesamt fast 200 Lösungsvorschläge. Da selbst die prämierten Entwürfe noch nicht die optimale Konzeption versprachen, wurde gemeinsam mit amerikanischen Experten an optimierten Fassungen weitergearbeitet. Ende Januar 1952 galt die Bauplanung als abgeschlossen. Bei dem zur Ausführung gelangenden Entwurf unter der Federführung des Architekten Fritz Bornemann hatte man besonderen Wert darauf gelegt, tragende Wände und Stützen sparsamst zu verwenden. Zum einen sollte Großzügigkeit, leichter Zugang, Übersichtlichkeit und Klarheit vermittelt werden, zum anderen sollte der Raum veränderbar sein und sich neuen Herausforderungen nicht verstellen dürfen. Ende Januar 1952 war zudem festgelegt worden, die Wissenschaftliche Zentralbibliothek in Dahlem mit der neuzuerbauenden Bibliothek zu vereinen und Teilbestände in die Amerika-Gedenkbibliothek zu überführen und zu integrieren. Damit war ein wichtiger Schritt zur Profilierung der Gedenkbibliothek gemacht, gewährleisteten doch die Bestände aus Dahlem einen Grundstock an wissenschaftlicher Literatur in der Gedenkbibliothek. Das Selbstverständnis der Gedenkbibliothek als Symbiose zwischen Allgemeiner und Wissenschaftlicher Bibliothek war dadurch nochmals gefestigt worden. Im März 1954 wurde Gerhard Krohn, der frühere Direktor der Dahlemer Wissenschaftlichen Zentralbibliothek zum Stellvertretenden Direktor der AGB ernannt. Nachdem der Standort Blücherplatz am Halleschen Tor im Mai 1952 positiv entschieden worden war, datierte der Baubeginn auf den 15. August 1952. Während der Bauphase waren die Bibliothekare mit dem Ausbau und der Erschließung des zukünftigen Buchbestandes beschäftigt. Sie waren in Sichtweite der Baustelle in gegenüberliegenden Räumlichkeiten untergebracht und sahen ihre Aufbauarbeit vom fortschreitenden Bauverlauf ständig begleitet. Im Mai 1954 erfolgte der Einzug in das neue Gebäude, am 17. September 1954 wurde die Eröffnung feierlich und unter Anwesenheit hoher Prominenz begangen. Gleichermaßen scheint, nach Abschluß der offiziellen Feierlichkeiten, die Veranstaltung „fast den Charakter eines Volksfestes" angenommen zu haben, am ersten Öffnungstag, Montag 20. September 1954, glich die Bibliothek „einem Warenhaus zu Beginn des Schlußverkaufs". (38) Der Buchbestand betrug im Herbst 1954 knapp über 100 000 Bände, die Gesamtausleihe belief sich im Oktober 1954 auf 59 000 Bände. Der Aufbau der Bibliothek war funktional gegliedert. Hoch- und Flachbau waren unterkellert und enthielten das Hauptbüchermagazin, das Platz für 350 000 Bände bot und in räumlicher Zuordnung zu den Freihandabteilungen differenziert war. Hier befanden sich auch die technischen Einrichtungen der Bibliothek. Das Erdgeschoß diente ausschließlich dem Publikumsverkehr. Die fünf Obergeschosse des Hochbaus waren dem inneren Bibliotheksbetrieb vorbehalten und beherbergten auch Spezialabteilungen, wie zum Beispiel die Berlin-Abteilung, die wegen ihres Sammelcharakters eine gesonderte Aufstellung erforderte. Rückwärtig an den Hochbau war zu ebener Erde der Flachbau angesetzt. Hier befanden sich die Ausleih-, Lese- und Katalogräume in einer einzigen, durch keine feste Wand unterbrochenen Halle. An den

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Am Eröffnungstag der Amerika-Gedenkbibliothek, 20.9.1954 drei Außenseiten war dieser Bereich durch hohe Glasfensterfronten eingefaßt. Diese Halle war wiederum in verschiedene Zonen aufgeteilt, der Freihandbereich und nahe bei den Fenstern die Leseplätze. Neben den Abteilungen für Schöne Literatur und Allgemeines Wissen und der Zeitschriftenabteilung existierte ein separater Bereich für Jugendliteratur und, am äußersten Ende der Bibliothek, auch für die jüngsten Leser eine Kinderbücherei. Angrenzend an die Allgemeine Auskunft und die Kataloge waren die einzelnen Fachgebiete untergestellt, in einem nach der Nordfront gelegenen Saal fanden sich die musischen Fächer und die Musikbücherei mit einer umfangreichen Schallplattensammlung, Abhörkabinen und einem Piano. Ein von der Bevölkerung gespendetes Fernsehgerät stand für aktuelle Sendungen hier ebenfalls zur Verfügung. Im Gebäude der AGB war auch die Berliner Bibliothekarschule untergebracht worden. Die Dozenten dieser Ausbildungsstätte waren zum großen Teil Bibliothekare der AGB. Zu den Erwerbungsgrundsätzen der Bibliothek gehörte nicht die optimale Vollständigkeit. Vielmehr wurde auf einen lebendigen Gebrauchswert und eine breite Auswahl der wesentlichen und den Anspruch der Zeit auch überdauernden aussagefähigen Literatur geachtet. Ferner wurde ein hoher Anspruch an öffentlichkeitswirksame Bibliotheksarbeit formuliert: „Literatur, die der Forschung im engsten Sinne dient, ist mit Bedacht ausgelassen; sie bleibt den Spezialbibliotheken und -Instituten vorbehalten und kann über die Verbindung zu dem Gesamtkatalog der Berliner Bibliotheken nachgewiesen bzw. im Berliner und Auswärtigen Leihverkehr beschafft werden. (...) Die Aufgaben einer öffentlichen Bibliothek könne sich nicht allein in dem Sammeln und Bereitstellen von Literatur, Musikalien, Anschauungsmaterial usw. erschöpfen. Will sie (...)

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bleibende Werte stiften, so muß sie auch in der Lage sein, sich aller modernen publizistischen Hilfsmittel zu bedienen und möglichst viele Kreise der Bevölkerung anzusprechen. Zu diesem Zweck werden von einer besonderen Abteilung der Bibliothek in Zusamenarbeit mit den einzelnen Fachabteilungen Leserkataloge und -führer, Auswahllisten, kritische Buchbesprechungen u.a.m. hergestellt, Vorträge, Diskussionsrunden und musikalische Darbietungen veranstaltet, die auf die vorhandenen Schätze der Bibliothek aufmerksam machen, Probleme unserer Zeit beleuchten und das Urteilsvermögen zu fördern suchen." (39) Für letztere Zwecke war ein Auditorium eingerichtet worden, das mit 327 Plätzen und einer kleinen Bühne auch Möglichkeiten der Übertragung und Vorführung mit Film- und Projektionsapparaten zuließ. 1955 wurde das „Berliner Büchereigesetz" verabschiedet. Vor dem Hintergrund einer sehr unbefriedigenden Situation im Volksbüchereiwesen war dies ein längst überfälliger Schritt. Die Öffentlichen Bibliotheken sollten nun auf politischer Ebene Förderung erhalten. Seinem Charakter nach war das Büchereigesetz ein verbindlicher Rahmenplan für personelle und materielle Ausstattung der Öffentlichen Bibliotheken, der wie ein Gesetz auszulegen war. Initialer Anlaß für diese Entscheidung war der große Erfolg der Amerika-Gedenkbibliothek, ein breites öffentliches Interesse an modernen und gut ausgestatteten Bibliotheken war nicht mehr zu übersehen, das Modell ,Freihand' schien zu funktionieren und eine alle Erwartungen übertreffende Resonanz zu finden. Die Auswirkung dieser gezielten Förderungsmaßnahmen der bezirklichen Bibliotheken war rasch sichtbar: Das Bibliothekswesen blühte förmlich auf, von überall konnten steigende Zahlen bei Personal, Buchbeständen, Ausleih- und Benutzerzahlen vermeldet werden, der Bibliotheksneubau wurde vorangetrieben und die Freihandaufstellung auch in den Bezirken eingeführt. Durch die Amerika-Gedenkbibliothek war dieser Erneuerungsprozeß mit in Gang gesetzt worden, allerdings wurde ihr in Folge keine weiterreichende Vorbildfunktion mehr zugeordnet. Sie blieb mit den bezirklichen Bibliotheken in unverbindlichem und informellem Kontakt, lediglich über Berliner Leihverkehr war ein Kooperationsmodul geschaffen worden. Damit konnten bei den bezirklichen Bibliotheken Bestellungen in der AGB vorgenommen werden. 1956 begann die AGB mit einem Veranstaltungsprogramm: Vortragsreihen, Konzerte oder Schallplattenstunden gehörten fortan zum festen Repertoire der AGB, die Vortragsreihen waren durch thematisch gestaltete Begleithefte flankiert. Insgesamt entwickelte die AGB rasch eine erstaunliche Benutzer- und Ausleihfrequenz. 1956 wurde der Millionste Leser am 397. Tag der Eröffnung begrüßt. 1957 wurde bei einer Jahresgesamtausleihe von 718 870 Bänden eine Besucherzahl von 468 609 Personen registriert.

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Unter gegensätzlichen Vorzeichen 1958 - 1967 Trotzdem noch 1954 eine Verbesserung der räumlichen Situation für die Berliner Stadtbibliothek realisiert worden war, stand die Bibliothek immer noch vor dem Problem begrenzter Unterbringungskapazitäten. Obgleich die Berliner Stadtbibliothek sich im Bibliotheksnetz der DDR einen festen Platz gesichert hatte und in vielerlei Hinsicht vorbildlich und führend agierte, mangelte es ihr an Platz und repräsentativer Darstellung im Stadtbild. Nach wie vor konnte man die Ausleih- und Katalogräume nur über den Hof des Marstallgeländes und eine steile Treppe erreichen. Die Benutzerräume waren den derzeitigen Erfordernissen bereits wieder nicht mehr gewachsen, die Magazinierung der Bestände bedurfte einer endgültigen und optimalen Lösung. Auch die finanziellen Zuwendungen scheinen nicht genügend ausgewogen gewesen zu sein, wie aus einem Bericht der Bibliothek aus dem Jahre 1957/58 hervorgeht: „Die Berliner Stadtbibliothek kann sich unter den jetzigen Voraussetzungen nicht im notwendigen Maße weiterentwickeln. Obwohl die Bibliothek seit der Gründung des demokratischen Magistrats von Groß-Berlin ihre Ausleihziffer (auf die Bewohner des Demokratischen Sektors von Groß-Berlin bezogen) mehr als verachtfacht hat, stehen ihr heute praktisch zur Buchanschaffung nur die gleichen Mittel wie im Jahre 1948 zur Verfügung. So mußten im letzten Jahr immer mehr Benutzer die Bibliothek unbefriedigt verlassen, weil die verlangte Literatur ausgeliehen und oft sogar mehrfach vorbestellt war. Vor allem aber leidet der Wirkungsgrad der Stadtbibliothek unter den völlig unzureichenden Raumverhältnissen. (...) Die Buchmagazine befinden sich im Spreeflügel des Marstallgebäudes und können bei besseren technischen Einrichtungen nahezu ideale Aufstellungsverhältnisse für die Bücher bieten. Die Räume für das Publikum sind jedoch völlig unzureichend. Zwar wurden vor einigen Jahren der Lesesaal und die Ausleihe ausgebaut, jedoch erweist sich diese nur als Provisorium gedachte Lösung als schon heute nicht mehr ausreichend. Vor allem fehlen der Bibliothek Vortrags- und Ausstellungsräume, so daß sie ihre zahlreichen kulturpolitischen Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen kann. Im übrigen gibt es keine andere Stadtbibliothek einer europäischen Hauptstadt, in der das äußere Bild der Bibliothek einen so unwürdigen Eindruck macht. Dieser Umstand muß ganz besonders bedauert werden, weil in Westberlin inzwischen einige der repräsentativsten Bibliotheksneubauten entstanden sind und andere noch projektiert werden. (...) Leider muß heute schon festgestellt werden, daß die Ausstrahlung der vom Klassengegner bewußt an der Sektorengrenze errichteten Amerika-Gedenkbibliothek, die sich bereits als .Berliner Zentralbibliothek' und ,neue Stadtbibliothek' bezeichnet, auf den Demokratischen Sektor von Groß-Berlin fortlaufend stärker wird. Eine Wandlung kann in dieser Hinsicht nur dadurch erreicht werden, daß durch eine großzügige Verbesserung der baulichen und bibliothekstechnischen Einrichtungen der Berliner Stadtbibliothek Voraussetzungen geschaffen werden, die eine moderne Bibliotheksarbeit gestatten." (1) Doch auch vor dem Hintergrund dieser angeführten Schwierigkeiten wurde in der Berliner Stadtbibliothek weiterhin am Ausbau der Bibliothek gearbeitet. In Anlehnung an die kulturund gesellschaftspolitisch gesetzten parteilichen Vorgaben und Richtlinien stand dabei die Betonung auf sozialistischer Bildungsarbeit im Vordergrund, die Bewußtseinsbildung der Bevölkerung sollte in diesem Sinne befördert werden, in diesem Zusammenhang wurde

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Eingangsbereich der Ausleihe in der Stadtbibliothek, 1954 Parteilichkeit und zielorientierte ideologische Ausrichtung gefordert. Zum einen wurde der Bestandsaufbau entsprechend diesen Thesen geführt. Dem Medium Buch ordnete man eine starke gesellschaftsrelevante Kraft zu, wobei auch hier klare parteiliche Stellungnahme für diese Funktion vorausgesetzt wurde. Entsprechend zierten den Eingangsbereich zum Lesesaal der Stadtbibliothek zwei eingravierte Sprüche: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern - Karl Marx" und „Mehr als das Geld hat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte das Blei im Setzkasten". Im Kontext sozialistischer Bildungs- und Kulturarbeit bemühte man sich um eine verbindliche Beziehung zum Leser - eine dringliche Aufgabe sah man in der Bemühung um den lesenden Arbeiter. Vor diesem Hintergrund war die nun einsetzende verstärkte Verkoppelung der Stadtbibliothek mit den Gewerkschaftsbibliotheken und Betriebsbibliotheken zu sehen. Eine Verselbständigung des wissenschaftlichen Bibliotheksbetriebes weg vom Gros der in der Produktion Beschäftigten sollte damit gar nicht erst aufkeimen, die Bibliothek sollte vielmehr explizit allen Bevölkerungsschichten offenstehen - damit war eine klare Zielsetzung verbunden: die Förderung und Herausbildung eines dem sozialistischen Gedanken verpflichteten Prototypen. Auch die Bereitstellung von Literatur wurde für die Benutzergruppe der lesenden Werktätigen geregelt, sie sollten nicht durch lange Wege und ungünstige Öffnungszeiten in ihrem Bildungsbedürfnis eingschränkt werden, sondern optimal an ihrem Arbeitsplatz die entsprechende Fachliteratur für Weiterbildung oder für die Lösung anstehender technischer

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Probleme einsehen können. So informierte das „Neue Deutschland" im Januar 1960 seine Leser: „Unser Siebenjahresplan sieht vor, daß die Buchproduktion bis 1965 um 70 Prozent gesteigert werden soll, wobei neben Werken, die den Aufbau des Sozialismus in Stadt und Land zum Inhalt haben, die populärwissenschaftliche und wissenschaftlich-technische Literatur einen wachsenden Anteil hat. Die Arbeit mit dem technischen Sach- und Fachbuch wird für das Bibliothekswesen einen neuen Schwerpunkt wichtiger Aufgaben bilden, wenn es seiner Funktion gerecht werden soll, die es im sozialistischen Staat hat. (...) Notwendig und zu erweitern ist eine ständige Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaftsbibliotheken und den technischen Kabinetten der Betriebe und den öffentlichen Bibliotheken. Die Stadtbibliothek wird als Zentrum für die allgemeinbildenden Bibliotheken Berlins ab März 1960 den Leihverkehr in technischer, naturwissenschaftlicher Fachliteratur auch für die Gewerkschaftsbibliotheken der Betriebe einrichten. Die Werktätigen haben dann die Möglichkeit, Fachbücher und wissenschaftliche Literatur telefonisch in der Berliner Stadtbibliothek zu bestellen und bekommen diese kurzfristig an den Arbeitsplatz geliefert. Die Berliner Stadtbibliothek richtet eine Beratungsstelle für technische und naturwissenschaftliche Literatur ein, die individuell berät und in Zusammenarbeit mit Verlagen empfehlende Bibliographien und Literaturverzeichnisse herausgeben wird, um die in der Produktion tätigen Arbeiter, die sich um Aneignung neuer Kenntnisse bemühen, zu unterstützen. (...) Die fotomikrografische Abteilung der Berliner Stadtbibliothek wird helfen, die Entwicklungs- und Forschungsarbeiten in unseren volkseigenen Betrieben durch Herstellung von Mikrofotografien aus technischen Zeitschriften des Auslandes usw. zu fördern." (2) Auch für andere Bereiche baute die Berliner Stadtbibliothek ihre Dienstleistungsangebote aus, gemäß ihrem Selbstverständnis als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek mitsamt der ihr unterstellten Methodischen Abteilung sah sie ihre Aufgabe in der Bereitstellung, Transformation und Multiplikation ihres gespeicherten Wissens und ihrer Kompetenzen in Recherche und Erschließung von Information. So sicherte sich die Berliner Stadtbibliothek gegenüber den allgemeinbildenden, bezirklichen und gewerkschaftlichen ebenso wie gegenüber den wissenschaftlichen Bibliotheken eine Vermittlerposition, im eigenen Haus konnte sie ebenso Wissensbedarf für ein Betriebskollektiv wie für eine studentische Facharbeit bedienen, außer Haus und ebenso breitgefächert gingen darüberhinaus noch eine Fülle von weiterführenden Hilfsmitteln. In einem Eigenbericht der Berliner Stadtbibliothek war entsprechend zu lesen: „Als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek dient sie der Forschung und Lehre und unterstützt die Produktion bei der Lösung technischer und wirtschaftlicher Aufgaben, hilft dem Staatsapparat in allen seinen Teilen und nicht zuletzt einer großen Anzahl kultureller und künstlerischer Einrichtungen (...). Sie wirkt aber auch direkt im großen Umfang mit an der Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus , der fachlichen und beruflichen Qualifizierung und der sozialistischen Bewußtseinsbildung der Berliner Bevölkerung. In immer größerem Maße wurde sie nach der Kulturkonferenz zugleich zu einer wissenschaftlichen Zentrale der Berliner allgemeinbildenden Bibliotheken ausgebaut. Die Berliner Stadtbibliothek hat den Beschlüssen der Kulturkonferenz und des V. Parteitages entsprechend ihre bibliographische Arbeit im großen Umfang erweitert und auf die Bedürfnisse der allgemeinbildenden Bibliotheken ausgerichtet. In großer Zahl wurden empfehlende Bibliographien hergestellt, die für aktuelle politische Fragen wichtige Literatur propagieren und damit der ideologischen Auseinandersetzung und der sozialistischen Bewußtseinsbildung dienen. Diese Bibliographien sind zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel für die allgemeinbildenden und wissen-

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Alphabetischer Katalog der Stadtbibliothek, 1956

schaftlichen Bibliotheken in der ganzen Deutschen Demokratischen Republik geworden. Auch durch ihre Dokumentation auf gesellschaftswissenschaftlichem Gebiet (zentrale Zeitschriftenauswertung), die im Jahre 1958 bedeutend verbessert worden ist, erstreckt sich die Wirkung der Berliner Stadtbibliothek weit über den Raum Berlins hinaus." (3) Zur Profilierung des wissenschaftlichen Anspruches gehörte auch die nunmehr neu geregelte Ablieferungspflicht von (Ost)Berliner Verlagsproduktionen an die Berliner Stadtbibliothek. Bis 1945 hatte keine gesetzliche Regelung existiert, die die pflichtgemäße Ablieferung von Belegexemplaren aus Verlagsproduktionen an dafür vorgesehene Bibliotheken festgelegt hätte. Mit dem Befehl der Sowjetischen Militäradministration vom 2.9.1946 wurde eine solche Ablieferungspflicht erstmals, rückwirkend ab 9.5.1945, geregelt. In der Folge wurden immer wieder verbesserte und erweiterte Regelungen getroffen. 1955 wurde sodann im Zusammenhang mit der Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur eine gesetzliche Grundlage für ein einheitliches Pflichtexemplarrecht geschaffen. 1960 erhielt dieses Gesetz eine neue verbesserte und klarer formulierte Fixierung, im selben Jahr wurde diese Anordnung für Ost-Berlin vom Magistrat übernommen. Die Berliner Stadtbibliothek mit ihren Fachabteilungen wurde in den Kreis der Berechtigten für ein Pflichtexemplar einbezogen - Verlagsproduktionen aus dem „demokratischen Berlin" sollten künftig zu je einem Exemplar auch an die Stadtbibliothek gesandt werden. Mittlerweile hatte sich auch die räumliche Frage der Berliner Stadtbibliothek in Richtung einer zufriedenstellenden Lösung entwickelt. Im Frühjahr 1961 wurden durch die Stadtverordnetenversammlung und das Präsidium des Ministerrates der DDR der Wiederaufbau des Marstallgebäudes und ein Neubau für die Berliner Stadtbibliothek beschlossen, mit der Projektierung wurde ein Architektenkollektiv

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Unter gegensätzlichen Vorzeichen

Eine der ersten Ausstellungen der Stadtbibliothek in der Ausleihe im Zwischengeschoß, 1954

unter der Leitung von Dipl.Ing. Heinz Mehlan beauftragt. Ebenfalls in die Planung eingebunden waren Mitarbeiter der Stadtbibliothek. Da der Spreeflügel sowie ein Quergebäude des Marstalls für ausreichend erachtet wurden, Magazin, Sondermagazine und Fachbibliotheken, Verwaltungsräume und die technischen Abteilungen der Stadtbibliothek in sich aufzunehmen, konnte man sich bei der Planung voll auf die Konzeptionierung der Benutzerräume und der Bestandspräsentation konzentrieren. Hierfür war ein Neubau vorgesehen, der die Baulücke in der Breiten Straße in Abschlußkante der Traufhöhe schließen, sich zum Spreeflügel des Marstalls hin als Flachbau fortsetzen sollte. Die Frage nach einer offeneren Handhabung der Bestandsaufstellung stellte sich für die Stadtbibliothek nur bedingt. Man blieb vorerst bei der konventionellen Aufteilung Magazin - Theke/Lesesaal, allerdings kokettierte man durchaus mit dem Modell „Freihand" und ließ auch die folgenden Jahre nicht von dieser Planung ab. So konnte man von Heinz Werner rückblickend zu diesem Thema folgendes erfahren: „Im Rahmen der konzeptionellen Überlegungen zum Projekt der neuen Berliner Stadtbibliothek spielten Fragen der Freihandaufstellung eine große Rolle. Größe und Charakter des Buchbestandes schlossen selbstverständlich von vorneherein aus, die gesamte Literatur frei zugänglich aufzustellen. Zur Wahrung der Archivfunktion, zur Sicherung wertvoller Literatur, letzlich aber auch zur Durchsetzung des Prinzips einer parteilichen Bibliotheksarbeit mußte eine Magazinierung des überwiegenden Teils des Bestandes angestrebt werden. Dementsprechend wurden auch Zuarbeiten zur Projektierung geleistet. Gleichzeitig war aber von Anfang an die Notwendigkeit unbestritten, einen Teil des Bestandes in einer begrenzten Freihandzone zugänglich zu

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Modell des Stadtbibliotheksneubaus, 1966

machen. Sie sollte vor allem dazu dienen, Leser, die mit aufgabenbedingten Literaturwünschen die Bibliothek aufsuchten, anzuregen, darüber hinaus aktuelle Sachliteratur, gleichermaßen aber auch Belletristik auszuleihen. Eine weitere Überlegung war es, dem Leser der Staatlichen Allgemeinbibliotheken die Benutzung der wissenschaftlichen Stadtbibliothek durch das Vorhandensein eines der gewohnten Aufstellung und Katalogisierung entsprechenden Bestandes zu erleichtern. Die Freihandzone sollte mit dem Katalograum vereinigt werden. Die Durchführung dieses Planes erwies sich jedoch als zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. (...)" (4) Mitten in die Planungsphase für die neue Stadtbibliothek fiel der Bau der Berliner Mauer. Der ohnehin bestehende Riß durch alle Lebensfunktionen der Stadt wurde damit zementiert. Für die Bibliotheksbenutzer bedeutete dies das endgültige Aus wechselseitiger Bibliotheksbesuche. Ungeachtet der politischen Ereignisse und trotz der fortschreitenden Bauarbeiten ging der Bibliotheksbetrieb weiter, auch das in den vergangenen Jahren begonnene Kulturprogramm wurde konsequent fortgesetzt. Im Herbst 1964 begannen die Arbeiten an dem Neubau. Von der damaligen Presse wurde die Schließung der Baulücke als „Plombe aus Stahlbeton und Glas" (5) betitelt. Was hier wenig einladend anklingt, verbarg jedoch in der detaillierten Planung einen architektonischen Entwurf, der mit damaliger modernster Technik und mit zeitkonformem Gestaltungswillen nicht allein neue Räumlichkeiten, sondern auch neue funktionale Möglichkeiten für die Bibliothek aufzeigte.

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Prinzipiell war der Neubau in drei Zonen unterteilt: Durch die Eingangszone betrat man die Bibliothek. Vom großen Foyer aus, das als Ausstellungsraum diente, konnte man entweder weiter zur Hauptbibliothek gelangen oder den Weg zur Musikbibliothek, bzw. zu den Veranstaltungsräumen in den oberen Stockwerken einschlagen. Die Nutzung des Foyers als Ausstellungsraum war allerdings anfanglich nicht in das Konzept einbezogen, die Architekten hatten das Foyer lediglich als „optische Kontaktaufnahme zur Welt des Buches" (6) verstanden. Die zweite Zone sollte der Vorbereitung und Information dienen. Eine indirekte Kontaktaufnahme zum Buch sollte hier über die Kataloge und Auskunftsstellen erfolgen, die Ausleihtheke war die Nahtstelle zwischen den aus dem Magazin geholten Büchern und dem Benutzer. Die dritte Zone war dem Lesen und Studieren vorbehalten. Ihr Zentrum war der große Lesesaal mit über 200 Arbeitsplätzen, einer mit 10 000 Bänden bestückten Handbibliothek und einer Zeitschriften- und Zeitungsauslage von 2 000 Exemplaren. Bei der Gestaltung der Räumlichkeiten hatte man nun doch eine kleine Freihandzone in die Planung miteinbezogen. Mit einem Anfangsbestand von knapp über 9 000 Bänden war sie in Nachbarschaft zum Lesesaal eingerichtet worden, von diesem aber deutlich getrennt. Das Verhältnis der Sach- und Fachliteratur im Verhältnis zur Belletristik betrug 60:40. Ab 1. Juli 1966 war die Stadtbibliothek wegen Umzugsarbeiten geschlossen, dreieinhalb Monate später öffnete sie ihre Pforten wieder der allgemeinen Öffentlichkeit mit einem Bestand von 850 000 Bänden (mittlerweile waren weitere ehemals ausgelagerte Bestände aus der CSSR zurückgeführt worden). Nicht nur Magazinbestände mußten in dieser Zeit bewegt und nicht nur das Mobiliar mußte neu gestellt und funktionabel angeordnet werden, auch circa 10 Millionen Karteikarten erfuhren eine Sichtung und Neuordnung. Der offizielle Festakt zur Eröffnung fand am 11. Oktober 1966 mit ausgesuchten Eingeladenen statt. Zahlreiche renommierte Gäste, auch aus dem westeuropäischen Ausland, aus der Bundesrepublik und aus Westberlin waren erschienen. Die eigentliche Eröffnung erfolgte am 24. Oktober 1966, gleichzeitig mit der „Woche des Buches". Viel Bewunderung fanden unter anderem die technischen Innovationen, von denen das Publikum direkt oder indirekt profitieren konnte: Auf den Lesesaalbereich fiel indirektes Licht, da das Dach aus acht langgestreckten Piacryllichtkuppeln bestand; eine sehr effiziente Büchertransportanlage (fünf Förderbänder arbeiteten unabhängig voneinander) sorgte für eine rasche Bedienung an der Ausleihtheke, im Idealfall vergingen von der Bestellung bis zur Buchausgabe gerade mal 10 Minuten; eine moderne Rohrpostanlage sorgte für den kürzestmöglichen Weg von der Bestellung ins Magazin; die lufttechnischen Anlagen waren ebenfalls nach modernsten Standards ausgerichtet. Auch die gestalterischen Elemente des Neubaus wurden vielfach gelobt, allen voran das von Nationalpreisträger und Stahlgestalter Fritz Kühn entworfene Eingangsportal, der sogenannte „A-Teppich". 117 Variationen zum Buchstaben „A" fanden sich hier vereinigt. Fritz Kühn beschrieb in eigenen Worten die beabsichtigte Symbolkraft seiner damals wie heute vielbeachteten Arbeit: „Die Berliner Stadtbibliothek - moderne Architektur - hat ihren Platz zwischen historischen Bauwerken erhalten. Eine Verbindung sollte möglichst durch Betonung des Eingangs erreicht werden. Diese mußte jedoch den geraden, sachlichen Formen unserer heutigen Architektur angepaßt sein. So versuchte ich, durch Handwerklichkeit in der Sprache unserer Zeit dem Eingangsportal der Berliner Stadtbibliothek den Ausdruck des Wertvollen zu geben. Eine moderne wissenschaftliche Bibliothek unserer Zeit ist kein exklusives Literaturmuseum,

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Außenansicht der Stadtbibliothek/Neubau in der Breiten Straße, 1966

das nur einem auserwählten Benutzerkreis zur Verfügung steht. Sie ist im Sinne des sozialistischen Kultur- und Bildungsstrebens eine allen Menschen zugängliche Stätte, die das geistige Gut, die wissenschaftlichen Erkennnisse der Vergangenheit und Gegenwart bewahrt und erschließt für die Nutzung im Dienst des menschlichen Fortschritts. Hinweisend auf den Sinn des ganzen Bauwerks, das Besondere im Inneren des Hauses, wählte ich dazu den Anfangsbuchstaben des Alphabets, das A. Dabei ließ ich den vielen Möglichkeiten Raum, Eigenart und Wandlung im Laufe der Zeiten und Sprachen zu zeigen. (...) Da sich zweiflügelige Türen maßlich nicht gut in die Rasterarchitektur des Bauwerkes einfügen, sollten die Stahlplatten mit den Buchstaben den gesamten Eingang wie ein Teppich überziehen. Die 117 Stahlplatten ließen kein Schriftbild entstehen - vielmehr tragen die gestalteten Buchstaben symbolischen Charakter, sie sind Zeichen für die Schrift im umfassenden Sinne." (7) Auch weitere Gestaltungselemente, beispielsweise die begrünten Innenflächen, die Ruhezonen und die transparente und luftige Bauweise der Glaskonstruktion verliehen der Stadtbibliothek einen freundlichen und einladenden Charakter und versuchten, ihr jegliches museales oder weltfernes Gepräge schon allein durch die architektonische Zeichensetzung zu nehmen. Nicht alle Abteilungen der Stadtbibliothek konnten bei der Neubauplanung Berücksichtigung finden. So blieben die Historischen Sondersammlungen im Quergebäude des Marstalls, auch die Ratsbibliothek sollte nach Fertigstellung der Bauarbeiten dort ihren neuen Sitz haben. In späteren Jahren kamen noch die Diathek, die Artothek und die Ärztebibliothek dazu.

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Auch die schon seit über zehn Jahren existierende Autobücherei, deren Einrichtung eine flächendeckende Literaturversorgung der abgelegeneren Bezirke sicherstellen sollte, zog mit Fertigstellung des Neubaus vom Ermelerhaus in den Marstall. Ihre Arbeitsräume lagen fortan im Seitenflügel. Damit war auch dieses Instrumentarium einer möglichst breitgefacherten und bevölkerungsnahen Bibliotheksarbeit räumlich der Stadtbibliothek in ihrer Scharnierfunktion zu den allgemeinen öffentlichen Bibliotheken angegliedert. Ebenfalls im Quergebäude des Marstalls war die Foto- und Kopierabteilung untergebracht. So folgte die bauliche Konzeption für die Stadtbibliothek zwar noch konventionellen Vorstellungen der Bibliotheksabläufe, allerdings war man sich dessen bewußt und suchte langfristig nach weniger geschlossenen und moderneren Formen. In der Planung des Neubaus zeigte man Offenheit für neue Funktionszuweisungen der Bibliothek und räumte von vorneherein der Aufgabe der Bibliothek als geistiges und kulturelles Zentrum einen breiten Raum ein - ein Vortragssaal mit über 200 Sitzplätzen und moderner technischer Ausstattung, sowie kleinere Arbeits- und Spezialräume stellten dafür genügend Raum. Das kulturelle Programm der Stadtbibliothek war in den späten 50er- und frühen 60er Jahren noch stark von Lesungen und Veranstaltungen aus dem literarischen Themenkreis geprägt. Daneben gab es musikalische Darbietungen klassischer und internationaler Provenienz. Rückblickend erinnerten sich die für diesen Schwerpunkt zuständigen Mitarbeiter der Stadtbibliothek an ihren damaligen Arbeitsbereich: „Bis zum Umzug in den Neubau im Oktober 1966 hatten über 500 , Literatur- und Musikabende' stattgefunden, vielfältig in der Thematik, immer auf politische und kulturelle Ereignisse reagierend, sie begleitend oder vorbereitend, unterschiedlich in den Formen, damalige Mittel und Möglichkeiten optimal nutzend. Programmgestaltung und Durchführung oblagen fast ausschließlich Mitarbeitern der Bibliothek, fremde Gäste als Referenten oder Vortragende waren noch Ausnahmen. Viele Menschen, besonders viele junge, wurden mit Literatur- und Musikwerken des kulturellen Erbes und des sozialistischen Gegenwartsschaffens vertraut gemacht, aus ihrem Kreis neue Benutzer für die Bibliothek gewonnen. Damals schon hatten sich in einem ersten ,Phono-Club' Schallplattenliebhaber zusammengefunden zu Diskussionen und Vorführungen eigener Platten." (8) Der erwähnte Phono-Club war im November 1963 ins Leben gerufen worden. Zunächst kamen 40 Mitglieder, vorwiegend junge Menschen, die in der Musikabteilung der Stadtbibliothek regelmäßig zusammenkamen, um gemeinsam Schallplatten zu hören und darüber zu diskutieren. Mit der Erprobung neuer Medien wurde dabei auch der Versuch unternommen, die Gestaltung der Reihe den Benutzern zu überlassen, was allerdings auf Schwierigkeiten stieß: „Im gemeinsamen Gespräch zwischen den Mitarbeitern der Musikabteilung und den Klubmitgliedern wurde festgelegt, daß man in regelmäßiger Folge an zwei Abenden im Monat in den Räumen der Berliner Stadtbibliothek zusammentreffen wollte, um Wissenswertes und Interessantes aus der Welt der Schallplatte und der Tontechnik zu erfahren und auszutauschen. Die mehrere Tausend Schallplatten und andere Tonträger umfassende Diskothek der Stadtbibliothek bietet alle Voraussetzungen, die vielfältigsten Interessen auf diesem Gebiet zu befriedigen. Die künstlerische Leitung des VEB Deutsche Schallplatte und Mitglieder der Ländergruppe DDR der AIBM (Association Internationale des Bibliothèques Musicales) hatten ihre Unterstützung bei der Gestaltung der Klubabende zugesagt.

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Wir suchen für die neue Berliner Stadt bibliothek aus der nicht werktätigen Bevölkerung zu günstigen Arbeitsbedingungen

mehrere Reinigungskräfte eine

Sekretärin

eine(n) wiss. Bibliothekar(in) eine(n) Fachschulbibliothekar(in) mehrere Bibliothekstechniker

Berliner Stadtbibliothek I M ¿Berlin« Barite Str. 37

Stellenangebote der Stadtbibliothek, 1966

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Buchausgabe, Bestellscheinannahme im Neubau der Stadtbibliothek, 1966

Wir, die Mitarbeiter der Bibliothek, hatten anfangs nicht die Absicht, den Klubmitgliedern an den einzelnen Abenden ein festes Programm vorzusetzen, wie dies etwa bei den seit Jahren regelmäßig jede Woche in unserer Bibliothek stattfindenden öffentlichen Literatur- und Musikveranstaltungen der Fall ist. Es zeigte sich aber bald, daß wir ohne ein bestimmtes Thema für die jeweilige Zusammenkunft nicht in der Lage waren, die doch sehr unterschiedlichen Interessen und Ansprüche der Teilnehmer zu befriedigen." (9) Die Musikbibliothek wurde mitsamt der seit 1955 dazugeschaffenen Phonothek mit Fertigstellung des Bibliotheksneubaus in der Breiten Straße der Berliner Stadtbibliothek als selbstständige Abteilung angegliedert. Damit erfuhr die seit 1940 in der Bibliothek bestehende Musikabteilung eine organisatorische und inhaltliche Aufwertung. Durch das Veranstaltungsprogramm der Stadtbibliothek wurde der Mitte der 50er Jahre eingeschlagene Weg, Bibliotheksarbeit auch außerhalb konventioneller Aufgabenfelder zu sehen, weiter gefestigt. Heinz Werner hatte mit der Eröffnung der Phonothek und mit den ersten literarischen und musikalischen Abenden diese Entwicklung, auch gegen anfängliche Skepsis und Widerstände, eingeleitet. Der Ausbau dieses Veranstaltungskalenders unter Hinzuziehung neuer Medien verfolgte diese Idee weiter und brachte der Stadtbibliothek eine zusätzliche unverwechselbare Profilierungsmöglichkeit. Für die zukünftigen Jahre verwies allein die räumliche Vorgabe des Neubaus mit seinem großen Veranstaltungssaal und den kleineren Nebenschauplätzen auf eine geplante Intensivierung der Veranstaltungsangebote. Im Vergleich zum Ende der 50er Jahre hatte die Berliner Stadtbibliothek zehn Jahre später ihre Situation wesentlich verbessern können. Der Umzug in die neuen Räume war sichtbares Zeichen einer optimistischen Sicht in die nächsten Jahre, der Blick zurück in die

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Magazin im Neubau der Stadtbibliothek mit Bücherförderband

vergangenen Monate seit dem Umzug gab dazu allen Anlaß. 1967 meldete die Fachzeitschrift „Der Bibliothekar" unter dem Titel „Erfolgreiche Halbjahresbilanz der Berliner Stadtbibliothek" folgendes: „Im ersten Halbjahr 1967 meldeten sich in der am 11. Oktober 1966 neu eröffneten Berliner Stadtbibliothek und ihren Fachabteilungen (...) 15 087 Leser an. Besonders hoch war der Anteil junger Leser bis 25 Jahre, er betrug etwa 2/3 der Neuanmeldungen. Im genannten Zeitraum wurden insgesamt 264 390 bibliographische Einheiten benutzt, davon 43% aus dem Gebiet der Technik, Naturwissenschaften und angewandten Naturwissenschaften, 25% gesellschaftswissenschaftliche Literatur, Dichtung und Literaturwissenschaft 21%,

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Kunstwissenschaft 5%, Musik 3% und sonstige 3%. Es fanden 121 Führungen mit etwa 4 000 Teilnehmern statt, darunter viele Delegationen aus Westdeutschland und aus dem Ausland. Aus 17 verschiedenen Ländern waren Besucher vertreten. Die Berliner Stadtbibliothek führte im ersten Halbjahr 71 literarisch-musikalische und populärwissenschaftliche Veranstaltungen mit insgesamt 3 705 Besuchern durch, d.h. jede Veranstaltung wurde durchschnittlich von 50 Teilnehmern besucht. Es wurden ferner 8 Ausstellungen gezeigt." (10) Nur wenige Kilometer entfernt arbeitete die Amerika-Gedenkbibliothek ebenfalls am Ausbau ihres Veranstaltungsprogramms. Hier war dieser Zweig bibliothekarischer Arbeit bereits zum Eröffnungstermin integraler Bestandteil der eigenen Profilierung gewesen. Von Anfang an betrachtete man die Bibliothek auch als Bildungsforum, das nicht nur über das Medium Buch wirken sollte. Eigens für die Veranstaltungen war eine Kontaktstelle für Organisation und Durchführung eingerichtet worden: „Viele Besucher, die die Räume und die bibliothekstechnischen Einrichtungen der Gedenkbibliothek besichtigen, werden - wenn man es ihnen nicht sagt - kaum bemerken, daß die bibliothekarische Tätigkeit nur die eine Seite des Wirkens dieser Bibliothek darstellt. Nicht weniger intensiv sind jedoch die (...) Bemühungen, mit einem vielseitigen Programm von Veranstaltungen, Lesungen und Vorträgen, Konzerten und Schallplattenstunden, öffentlichen Diskussionen und Ausstellungen dem Bildungsstreben breiter Kreise der Bevölkerung Rechnung zu tragen und so zu einem auch für die Bewohner des Oststektors der Stadt erreichbaren Zentrum des Kulturlebens zu werden. (...) Die Vorbereitung und Organisation liegt für die meisten Abende bei der sogenannten , Kontaktstelle' der Bibliothek. Sie ist der eigentliche Initiator der literarisch-wissenschaftlichen Vorträge und nimmt die Verbindung auf zu denjenigen Persönlichkeiten, die sie als Referenten gewinnen will. Auch der technische Ablauf liegt in den Händen der Kontaktstelle, angefangen bei der vorbereitenden Korrespondenz bis hin zum Druck der Einladungen, Plakate und Eintrittskarten, zur Benachrichtigung der Presse und zur organisatorischen Aufsicht während der Veranstaltung. (...) Außerdem sorgt die Kontaktstelle dafür, daß die jeweils in Betracht kommende Fachabteilung eine Buchausstellung zum Thema des Abends vorbereitet. Die Musikabteilung, die Bücherei für junge Menschen und die Kinderbücherei der Gedenkbibliothek bereiten ihr Programm selbständig vor und nehmen die Kontaktstelle nur bei technischen Fragen in Anspruch." (11) Im Jahre der Eröffnung wurden noch 38 Veranstaltungen mit 6 225 Teilnehmern durchgeführt, 1958/59 waren es bereits 213 Veranstaltungen, die von 21 662 Teilnehmern besucht wurden. In eigener Regie wurden davon 168 Veranstaltungen organisiert, in Zusammenwirken mit anderen Stellen wurden 45 Veranstaltungen angeboten. Auf den musikalischen Bereich (Schallplattenstunden und Konzerte) fielen insgesamt 71 Veranstaltungen. (12) Zu den Favoriten der Schallplattenstunden Ende der 50er Jahre gehörte, ähnlich wie in der Berliner Stadtbibliothek, Gershwins Oper,,Porgy und Bess". Die Kooperationspartner der AGB waren zahlreich, zu nennen waren beispielsweise die Società Dante Alighieri, die Deutsch-Griechische Gesellschaft, die Landesgeschichtliche Vereinigung zur Geschichte der Mark Brandenburg, deren Bibliothek der heimatkundlichen Abteilung' der AGB als Dauerleihgabe übergeben worden war, das Berliner AmerikaHaus, die Kant-Gesellschaft, die Deutsch-Schwedische Gesellschaft, die Deutsch-Indische Gesellschaft, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Kulturkreis Berlin e.V., die Urania und Dienststellen des Senators für Volksbildung.

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Eingangsbereich der Amerika-Gedenkbibliothek

Andere Vereine und Gesellschaften, so beispielsweise die Freie Volksbühne, die Volkshochschulen benachbarter Bezirke, die Typographische Gesellschaft, der Europäische Kulturaustausch, die Berliner Stadtmission oder das Katholische Bildungswerk mieteten das Auditorium der Gedenkbibliothek für eigene Veranstaltungen. Die angebotenen Vorträge fächerten sich in verschiedene Themenkreise auf, vorrangig wurde Literarisches geboten, aber auch Leseabende, Gedenkstunden, Expeditionsberichte, historische oder parapsychologische Referate wurden unter dieser Rubrik aufgelistet. Die kleine Bühne des Auditoriums erlaubte auch Einzelveranstaltungen, beispielsweise das Gastspiel des Marionetten-Theaters Harro Siegel, das in 12 Vorstellungen vor 2 730 Zuschauern aufgeführt wurde. Die Diskussionsabende „Forum in der Gedenkbibliothek" starteten am 18. Oktober 1956 mit dem Thema „Ist der Einzelne machtlos?", vorgetragen von dem Schriftsteller Herbert Frank (Amsterdam) vor einem Publikum von 270 Teilnehmern. Die weiteren Themen waren unter anderem: „Bedroht Automation unsere Existenz?", „Mehr Freizeit - wozu?", „Atomkraft - unser Schicksal?", „Warum liest man Kitschromane?", „Ist Wohnkultur ein Vorrecht?", „Gefährdet der Film unsere Jugend?" oder „Brauchen wir noch einen Knigge?". Die Teilnehmerzahl schwankte bei diesen Veranstaltungen zwischen 160 und 280 Teilnehmern. Das , f o r u m in der Gedenkbibliothek" war begründet worden, um die Möglichkeit zu schaffen, Zeitprobleme von allgemeinem Interesse im öffentlichen Gespräch zur Anschauung zu bringen. Folgt man den Darstellungen der Amerika-Gedenkbibliothek, so ging es dabei

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

AMERIKA-GEDENKBIBLIOTHEK B E R L I N S W 61 · B L Ü C H E R P L A T Z 1

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Geöffnet von Montag,dem 4.12 bis Sonnabend, dem 15.12.1961 werktäglich von 11-20 Uhr

Veranstaltungsplakat der Amerika-Gedenkbibliothek von 1961

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Blick in den Lesesaal der Amerika-Gedenkbibliothek, 50er Jahre

weniger darum, „eine Klärung herbeizuführen, als vielmehr die Probleme in ihrer Vielschichtigkeit aufzuzeigen und auf die verschiedenartigen Möglichkeiten einer Lösung hinzuweisen." (13) Zu dieser Veranstaltungsreihe wurde, wie auch bei anderen Reihen praktiziert, ein besprechendes Verzeichnis der passenden einschlägigen Literatur ausgehändigt und eine kleine Buchauswahl in einer Vitrine zur Anschauung gebracht. Sämtliche Veranstaltungen waren Jugendlichen ebenfalls zugänglich. Trotzdem wurden ab Winter 1957/58 spezielle „Abende für junge Menschen" ins Leben gerufen, die ausschließlich für Jugendliche von 15-20 Jahren bestimmt waren. Die Unterschiede zur Veranstaltungsarbeit der Berliner Stadtbibliothek waren nicht quantitativ zu werten, zumal die Stadtbibliothek ihr kulturelles Programm erst mit dem Bezug des Neubaus ausweiten und intensivieren konnte. Anders gelagert hingegen waren Intention und Gestaltung der Bildungsarbeit. Jeweils eingebettet in den gesellschaftlichen Kontext ging man im Ostteil der Stadt von anderen Prämissen als in der westlichen Hälfte aus. Die Amerika-Gedenkbibliothek setzte in ihren „activities" vorrangig auf kulturelle Vielfalt und auf pointierte Konfrontation, wie es ein langjähriger leitender Mitarbeiter formulierte: „Auf bestimmte parteipolitische, weltanschauliche und ideologische Richtungen kann sich das Veranstaltungsprogramm einer Bibliothek nicht einseitig festlegen lassen, obwohl es Divergenzen in der Themenbehandlung nicht zu scheuen braucht. Die Bibliothek ist auch hier ,Treuhänder der Gesellschaft', die alle Standpunkte und Meinungen angemessen berücksichtigen muß. Dazu gehört eine neue Mentalität der Aufgelockertheit und Gelassenheit, abweichende Meinungen zu ertragen." (14)

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

In diesem Sinne folgte die Amerika-Gedenkbibliothek auch in ihrem Veranstaltungsprogramm ihrem in der Eingangshalle eingravierten Leitspruch, der einem Brief des einstmaligen amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson an einen Freund entnommen worden war: „Diese Gründung beruht auf der unbegrenzten Freiheit des menschlichen Geistes. Denn hier scheuen wir uns nicht, der Wahrheit auf allen Wegen zu folgen und selbst den Irrtum zu dulden, solange Vernunft ihn frei und unbehindert bekämpfen kann." Für die Amerika-Gedenkbibliothek bedeutete der Mauerbau im August 1961 eine Zäsur im bibliothekarischen Schaffen, waren doch viele ihrer Benutzer aus dem Ostteil der Stadt. Bücher an Ostberliner waren die ganzen Jahre hindurch ohne besondere Bürgschaft und bürokratische Registrierung verliehen worden. Trotzdem hatte es nie Ärger wegen nicht erfolgter Rückgaben gegeben. Selbst nach dem Mauerbau versuchten einzelne Ostberliner, ihrer Rückgabepflicht nachzukommen; am auffälligsten reagierte ein Ostberliner Leser, der schwimmend über den Teltow Kanal die westlichen Sektoren erreicht hatte und sich sogleich bei der Amerika-Gedenkbibliothek mit der Entschuldigung meldete, er hätte die Bücher leider bei seiner Flucht nicht mittransportieren können. In der Referentenbesprechung vom 12.10.1961 kam unter Tagesordungspunkt 4: „Bücherverluste durch den 13. August 1961" folgendes zu Protokoll: ,3is zum 13.8. hatten 228 Leser aus dem SBS 563 Bände bei der AGB entliehen; hiervon sind 131 Bände von 42 Lesern teils durch Bürgen oder dritte Personen, teils durch die Post oder über die Staatsbibliothek an uns zurückgegeben worden." (15) Im Bibliotheksalltag änderten sich durch den Mauerbau auch Kleinigkeiten, beispielsweise war das Fotografieren im Lesesaal seither erlaubt, „da eine Rücksichtnahme auf Ostleser nicht mehr erforderlich ist." (16) Anders als für die Berliner Stadtbibliothek gestaltete sich für die Amerika-Gedenkbibliothek ihr Verhältnis zu den bezirklichen Bibliotheken. Hatte man sich dort über die Methodische Abteilung ein Instrumentarium direkter Einflußnahme und Mitsprachemöglichkeit geschaffen und war überdies in einem konstruierten festen Netzwerk eindeutig positioniert und abgesichert, war die Stellung der Amerika-Gedenkbibliothek innerhalb der Berliner Bibliothekslandschaft nur vage verankert. Selbst die mehrheitlich angenommene Vorbildfunktion der Amerika-Gedenkbibliothek hinsichtlich inhaltlicher Konzeption und deren architektonischer Umsetzung scheint auf die Berliner Verhältnisse nur schwerlich Wirkung gezeigt zu haben. So berichtete ein kanadischer Bibliothekar, der im Frühjahr 1964 im Auftrage des Berliner Senats eine zweiwöchige Besichtigungstour durch die Bibliotheken der zwölf West-Berliner Bezirke, inklusive der Amerika-Gedenkbibliothek, unternommen und darüber einen abschließenden Bericht angefertigt hatte: „Es gehört zu den Zielen der AGB, Anregung und Vorbild für andere öffentliche Büchereien zu sein. Als die AGB errichtet wurde, verkörperte sie in sich viele neue Begriffe der Vorstellungen über die Öffentliche Büchereiarbeit für andere Berliner und deutsche Bibliotheken. Die AGB hat sich als ein großer Erfolg erwiesen, und die Grundsätze, die sich in diesem 1954 errichteten Gebäude ausdrücken, haben den Prüfungen der Zeit standgehalten und sind weitgehend unverändert geblieben. Das Gebäude ist nicht mehr groß genug, und eine zu starke Unabhängigkeit der Abteilungen hat sich zu einer Überspezialisierung in den Beständen und im Mitarbeiterstab entwickelt. Trotz allem sind das Freihandsytstem, die Gliederung des Bestandes in Abteilungen, die Benutzung von Zeitschriften-, Nachschlageund Freihandbeständen für Studienzwecke, die Zentralisierung der Ausleihe und Leseranmeldung, der freie Zugang zu den Beständen in einem großen, ungeteilten Raum usw. gültige Grundanschauungen geblieben.

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Im Neubau der Kinderbibliothek, 1958

Aber diese in der AGB angewandten Prinzipien haben Büchereien in anderen Teilen Deutschlands stärker beeinflußt als in Berlin. Nicht alle diese Grundsätze sind auf die Stadtbüchereien zu übertragen, aber bei einigen ist es möglich. Bei meinen Besichtigungen sah ich kaum einen Beweis dafür, daß die AGB die Planung neuer Hauptstellen beeinflußt hatte. (...)" (17) Auch in weiterer Hinsicht gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen AmerikaGedenkbibliothek und bezirklichen Bibliotheken eher zäh. Die Gründe dafür lagen in der Struktur des Berliner Bibliothekswesens, das keine einheitlichen Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse vorsah und daher den bezirklichen Bibliotheken gegenüber der AmerikaGedenkbibliothek keinerlei Abstimmung abverlangte, ebenso in oftmals persönlich gelagerten Voreingenommenheiten und bezirklicher Selbstherrlichkeit. Dabei gab es durchaus Versuche, Kooperationen zu erstellen, so konnte der Besucher aus Kanada auch über positive Zusammenarbeit berichten: „Der neu eingeführte , AGB-Titeldienst' ist ein gutes Beispiel für die Modellarbeit der AGB. Er wurde gern angenommen. Alle Bezirke außer Tiergarten machen davon Gebrauch. Charlottenburg übernimmt nur 40% der Karten und Kreuzberg benutzt den Dienst gelegentlich. Spandau dagegen wartet mit seinen neuen Büchern auf das Eintreffen der AGBKarten, und Schöneberg stellte sein Verfahren der Titelaufnahme auf das von der AGB geübte um. Es ist jedoch sehr bedauerlich, daß die führende Rolle der AGB nicht auch auf andere Weise akzeptiert wurde, daß nicht mehr weiträumige Baupläne verwirklicht wurden und daß die Selbständigkeit der Bezirke eine einheitliche Einstellung zum Öffentlichen Büchereiwesen in West-Berlin verhindert zu haben scheint." (18)

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

So wurden bereits bestehende gemeinsame Organisationsabläufe manches Mal boykottiert, unterlaufen oder nicht genügend berücksichtigt. In den Referentensitzungen der AmerikaGedenkbibliotheken waren immer wieder diesbezügliche Klagen zu hören. Demnach funktionierte selbst der Berliner Leihverkehr, ein Kernstück im Selbstverständnis der AmerikaGedenkbibliothek als zentrale Dienstleistungstelle, scheinbar nur unbefriedigend. Auch hier interpretierten manche bezirklichen Bibliotheken ihre Arbeit eher in Konkurrenz zur Amerika-Gedenkbibliothek. Ein wechselvoller Informationstausch, gegenseitige Inanspruchnahme bibliothekarischer Dienste oder gar ein gemeinsamer Katalog bibliothekspolitischer Forderungen gehörten nicht zum Kanon des Bibliotheksalltags. Auf der anderen Seite hatte die Amerika-Gedenkbibliothek, die sich als Public Library gleichermaßen dem wissenschaftlichen Profil verpflichtet sah, auch auf diesem Terrain nicht die entsprechenden Verbindlichkeiten wie die Berliner Stadtbibliothek. So hatte letztere beispielsweise über klare Regelungen zum Bezug von Pflichtexemplaren eine deutliche Stärkung ihres wissenschaftlichen Anspruchs erhalten. Im Kontext aller öffentlichen Stellungnahmen und Erklärungen wurde der wissenschaftliche Hintergrund der Berliner Stadtbibliothek stets betont, im Netzwerk anderer rein wissenschaftlich geprägter Bibliotheken suchte man hier ständig nach Kooperationen und Partnerschaften. Die Stellung der AmerikaGedenkbibliothek war dagegen, betrachtet man allein die Pflichtexemplarregelung, unbestimmter. Zwar exisitierten in dieser Hinsicht Abmachungen und Regelwerke, allerdings nicht eindeutig und verpflichtend. 1965 erfuhr das Pflichtexemplarrecht eine Festlegung, nach der die Amerika-Gedenkbibliothek das Recht erhielt, von jedem Druckwerk eines Berliner Verlages ein Exemplar angeboten zu erhalten. Gleichzeitig waren aber auch die Universitätsbibliotheken Bezieher von Pflichtexemplaren. So hätte sich die Amerika-Gedenkbibliothek in ihrer Außenwirkung gegenüber anderen Bibliotheken sicherlich mehr Kontur erwünscht. In der Resonanz bei den Benutzern zeigte sich allerdings, daß ihre Orientierung am angelsächsischen Modell der Public Library der Amerika-Gedenkbibliothek rekordverdächtige Ausleih- und Benutzerfrequenzen brachte. Wie sehr sich das von Anfang an propagierte Moment der „fexibility" im Bibliotheksalltag bewährte, zeigte sich nun im Umgang mit nicht erwarteten Besucherströmen: Bedarfsgerecht konnten Abteilungen verändert und anders gestellt werden. Vor allem für die jungen Leser mußte man schnell nach neuen Möglichkeiten der Bestandspräsentation suchen, da die vorgegebene Aufstellung eher Orientierungslosigkeit verursachte. So wurde in der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Bibliothek in Erinnerung gebracht: „Als trügerisch erwies sich auch die Hoffnung, daß Leser der verschiedenen Altersgruppen die ihnen vorbehaltenen Regionen aufsuchen würden. Weder Erwachsene noch Jugendliche und Kinder benutzten nach der Eröffnung die Bereiche, die ihnen zugedacht waren. Die aufgelockerte Aufstellung der Regale, die offenen Buchabteilungen, die durch einen breiten Mittelgang miteinander verbunden waren, verlockten viele Besucher mehr zum Umherschweifen als zum Verweilen. (...)" (19) Die Flexibilität der offenen Raumgestaltung erlaubte zunächst durch einfaches Umstellen der Regale eine klarere Einheit für die Kinderliteratur, 1957 wurde die Kinderbücherei schließlich in einen eigens dafür erstellten Anbau verlegt. Wesentlich schwieriger gestaltete sich eine adäquate Aufstellung für die Altersgruppe der jugendlichen Leser. In der Diskussion um die Einrichtung einer eigenen Jugendabteilung oder ,.Bücherei für junge Menschen" (department for young adults) zeigte sich die AmerikaGedenkbibliothek auf dem aktuellen Wissensstand der allgemeinen Debatte um Büchereiarbeit mit Jugendlichen. Im Gegensatz zu traditionellen Vorstellungen im Umgang mit den

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Bücherei für junge Menschen, 1960

Bedürfnissen der jungen Leser, die den Erfahrungshorizont der Jugendlichen oftmals falsch einschätzten und den Informationsbedarf entsprechend zu wenig fördern konnten oder demotivierend wirkten, verließ man sich in der Amerika-Gedenkbibliothek auf Erfahrungen in den großen amerikanischen Bibliotheken. Dort war man zu der Erkenntnis gelangt, daß nur eine eigens definierte bibliothekarische Jugendarbeit der Gefahr begegnen könne, die Jugendlichen nach Entwachsen aus der Kinderbibliothek in ein bibliothekarisches Niemandsland zu entlassen. Mit speziellen Angeboten im Bestand und in der Aufstellung, was vor allem engagierte Auseinandersetzung mit dieser Altersgruppe voraussetzte, hatte man in Amerika gute Erfolge erzielt. An diese Erfahrungen knüpfte die Amerika-Gedenkbibliothek nun an und richtete 1958 die eigene „Jugendecke" ein, die junge Leser zwischen 14 und 18 Jahren mit Literatur versorgte - mit einem hohen Sorgfaltsanspruch gegenüber Lehrlingen, Praktikanten und Jungarbeitern, um auch ihnen die Chance positiver Bibliothekserfahrung nicht zu verbauen. So zeigte die Amerika-Gedenkbibliothek gegen Ende der 60er Jahre in vieler Hinsicht Merkmale einer großen städtischen Public Library. Zum einen fühlte sie sich auch der Pflege von literarischen Nachlässen verpflichtet und baute hier ihre Sammlungen weiterhin aus, auch wenn im Vergleich zur Berliner Stadtbibliothek kein vergleichbarer Bestand zu verzeichnen war. Zu den wichtigsten Sammlungen gehörten ein Teil des Nachlasses von Arno Holz, die Kleist-Sammlung, die Sammlung 1848 (Flugblätter) und das Archiv der Unterhaltungschriftstellerin Hedwig Courths-Mahler, das zu einer Sammlung zur Erforschung der Trivialliteratur erweitert worden war. Gemeinsam mit der Berlin-Abteilung der Amerika-Gedenkbibliothek waren diese literarischen Sondersammlungen etwas abseits vom Kernbereich der Bibliothek und mit reduzierten

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Unter gegensätzlichen

Vorzeichen

Öffnungszeiten angesiedelt, was zwar offenkundig vom Gesamtkonzept einer zusammenhängenden Publikumszone etwas abwich, jedoch zumindest für die Berlin-Abteilung durch eine der Hauptbibliothek analoge Bestandspräsentation ausgeglichen wurde. Dem Grundgedanken einer gleichzeitig wissenschaftlich wie auch allgemein-öffentlichen Ausrichtung blieb man ungebrochen verbunden und agierte entsprechend in Bestandsauswahl und Bestandsvermittlung. In der Gedenkbibliothek lediglich angesiedelt war die Deutsche Musik-Phonothek - ein zentrales, von Bund, Ländern und dem Land Berlin paritätisch finanziertes Sammelarchiv von dokumentarischem Wert zur Benutzung von Forschung und Lehre. Der öffentlichen und allgemeinen Benutzung zugänglich war dagegen die Diskothek der Amerika-Gedenkbibliothek, die als ein Novum in der deutschen Bibliotheksgeschichte bereits zur Eröffnung der Bibliothek eingerichtet worden war und Mitte der 60er Jahre circa 5 000 Schallplatten zum Abhören bereithielt. Das Veranstaltungsprogramm zeigte ein breites Themenspektrum und vervollständigte in seiner Vielfalt das Profil der Bibliothek. Im Bereich der musikalischen Öffentlichkeitsarbeit bewährte sich die Amerika-Gedenkbibliothek als ein Forum für Moderne Klassik west- und osteuropäischer Provenienz. Grundsätzlich hatte die Amerika-Gedenkbibliothek mit dem von Anbeginn fest in ihrem Bibliothekskonzept verankerten Aktionsprogramm ein für deutsche Bibliotheken ungewohntes Feld betreten und besetzte hier eine wegweisende Funktion.

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Bibliotheksarbeit im Umfeld 1968 - 1 9 7 7

Eine wesentliche Erneuerung erfuhr das Bibliothekswesen der DDR durch die im Mai 1968 erlassene Bibliotheksverordnung. Damit war erstmals eine umfassende gesetzliche Regelung für das Bibliothekswesens geschaffen worden, man feierte die Bibliotheksverordnung deshalb als einen entscheidenden Meilenstein im Erwachsen eines einheitlichen, sich wechselseitig ergänzenden Bibliothekssystems. Als neuer Bibliothekstypus war die .Wissenschaftliche Allgemeinbibliohek des Bezirks', kurz WAB(B), geschaffen worden - die so bezeichneten Bibliotheken sollten künftig ihre Aufgabe als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek erfüllen, daneben sollten sie zugleich die Funktion einer Hauptbibliothek im Netz der staatlichen allgemeinen öffentlichen Bibliotheken einnehmen und als solche auch die Einwohner (Erwachsene, Kinder und Jugendliche) ihres unmittelbaren Einzugsbereiches bibliothekarisch versorgen. Für Berlin wurde diese Verordnung im Herbst 1968 modifiziert übernommen, in einer diesbezüglichen Mitteilung war zu lesen: „Der Magistrat von Groß-Berlin hat zur Anwendung der , Verordnung über die Aufgaben des Bibliothekssystems bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR' vom 31.5.68 für Berlin folgendes verfügt: Die Berliner Stadtbibliothek ist die Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek für Berlin Hauptstadt der DDR - im Sinne von § 5, Abs. 3 der Verordnung. Sie erfüllt die sich daraus ergebenden Aufgaben in enger Kooperation mit der Deutschen Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek. Zugleich übt die Berliner Stadtbibliothek Funktionen einer Bezirksbibliothek Berlins im Sinne von § 7, Abs. 3 der Verordnung aus, insbesondere in der methodischen Arbeit zur Unterstützung der Bibliotheken der Stadtbezirke." (1) Damit waren zunächst keine einschneidenden administrativ-strukturellen Veränderungen vorzunehmen, die Effektivität des Berliner Bibliothekswesens sollte in bewährter Kooperation und sozialistischer Gemeinschaftsarbeit weiter gesteigert werden. Die Berliner Stadtbibliothek hielt ihre methodisch anleitende Stellung gegenüber den bezirklichen Bibliotheken, verstärkt hatte sie nun aber selbst Funktionen einer Bezirksbibliothek wahrzunehmen - Grund genug, sich seitens der Stadtbibliothek Klarheiten über ihre Profilierung zu verschaffen. Zum einen sah man in dieser Mixtur aus Aufgabenfeldern durchaus positive Wechselwirkungen, jedoch bemühte man sich energisch, den wissenschaftlichen Anspruch hervorzuheben und hier vorrangige Funktionen festzulegen: „Weit fortgeschritten ist die Entwicklung in Berlin. Seit Jahrzehnten steht an der Spitze der den staatlichen örtlichen Organen unterstellten Bibliotheken als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek die Berliner Stadtbibliothek, die mit ihrem gegenwärtigen Bestand von 1 Million Bänden, der sie in die Reihe der größten Bibliotheken unseres Staates stellt, zugleich ein wissenschaftliches Bestandszentrum für die Gewerkschaftsbibliotheken und für viele betriebliche und institutionelle Fachbibliotheken darstellt. Ihre langjährigen Erfahrungen und Leistungen waren ausschlaggebend dafür, daß in Berlin keiner Staatlichen Allgemeinen Öffentlichen Bibliothek die Aufgabe übertragen wurde, die Funktionen einer Stadt- und Bezirksbibliothek zu übernehmen, wie dies 1956 in den übrigen Bezirken geschah. Statt dessen wurde der wissenschaftlichen Stadtbibliothek eine Methodische Abteilung für

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Blick in den Lesesaal der Stadtbibliothek, Ende der 60er Jahre

allgemeine öffentliche Bibliotheken angegliedert. (...) Nachdem aber im Jahre 1966 der Bau der neuen Berliner Stadtbibliothek abgeschlossen war und diese sich in erweiterter Funktion mehr und mehr zu einer unentbehrlichen Bildungs- und Kultureinrichtung entwickelte, waren die Voraussetzungen geschaffen, Fragen einer Integration der wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek mit der .Abteilung allgemeine öffentliche Bibliotheken' zu lösen. Gegenwärtig hat dieser Prozeß ein Entwicklungsstadium erreicht, das auch strukturelle Veränderungen in der Stadtbibliothek gebietet. Dabei wird die Berliner Stadtbibliothek und das sei mit Nachdruck festgestellt - in ihrer Funktion als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek im Sinne des § 3 der BVO mit allen Konsequenzen weiter ausgebaut, gleichzeitig aber ihr Wirken als Bezirksbibliothek erweitert werden. Ziel der Integration ist es, nicht nur die Bibliothek als Bestandszentrum, sondern das gesamte Potential schwerpunktmäßig auch zur Lösung der sich aus der Funktion einer Bezirksbibliothek ergebenden Aufgaben zu nutzen. Die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen der wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek einerseits und den allgemeinbildenden Bibliotheken andererseits wird sich nicht nur günstig für die letzteren auswirken, auch die Stadtbibliothek wird es leichter haben, ihre Primärfunktion wahrzunehmen, weil sie durch leistungsfähigere .Vorwerke' entlastet wird." (2) In der Regel berief sich die Berliner Stadtbibliothek lediglich auf ihre anleitenden Funktionen gegenüber den bezirklichen Bibliotheken, die Übernahme der ΒibliotheksVerordnung wurde in diesem Sinne als gesetzliche Verankerung bereits bestehender Strukturen interpretiert. 1971 war seitens der Stadtbibliothek zu vernehmen:

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Bibliotheksarbeit im Umfeld

Blick in den Katalograum und in die Ausleihe der Stadtbibliothek, Ende der 60er Jahre

„Die Berliner Stadtbibliothek gehört zu den großen wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken unserer Republik. Sie übt zugleich bestimmte Funktionen einer Bezirksbibliothek aus und hat wesentlichen Anteil an der Erfüllung der Aufgaben, die sich für die Weiterentwicklung des Bibliothekswesens aus der Bibliotheksverordnung ergeben. Auch über den Berliner Raum hinaus nimmt sie Funktionen im Netz sowohl der wissenschaftlichen als auch der allgemeinbildenden Bibliotheken wahr. So wurden von der Berliner Stadtbibliothek zentrale Bibliographien und Informationsmaterialien (z.B. Zeitschriftenauswertung, Bibliographische Kalenderblätter, empfehlende Bibliographien usw.), die den wissenschaftlichen und den allgemeinbildenden Bibliotheken dienen, erarbeitet. In der jetztigen Phase der Entwicklung spielen im gesamtstaatlichen Bibliothekswesen die regionalen wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken eine große Rolle. Es ist festzustellen, daß auch Berlin durch jahrelange kontinuierliche Arbeit gegenüber anderen Bezirken der DDR einen beachtlichen Vorlauf geschaffen hat. Seit Jahrzehnten nimmt die Berliner Stadtbibliothek de facto für Berlin auch Funktionen einer Leitbibliothek für die allgemeinbildenden Bibliotheken wahr. Eine Rechtsnorm wurde hierfür durch die bereits erwähnte Übernahme der BVO in der modifizierten Fassung gesetzt. Als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek hat die Berliner Stadtbibliothek ständig wachsende Bedürfnisse nach Fachliteratur bzw. nach anderer Literatur für berufliche Praxis, Lehre und Forschung, Ausund Weiterbildung zu befriedigen. (...) Im Netz des wissenschaftlichen Bibliothekswesens der DDR nimmt sie auch in immer größerem Maße regionalkundliche Aufgaben wahr. Damit sind Entwicklungstendenzen bereits angedeutet. (...)

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Eingangsfoyer / Ausstellungsbereich der Stadtbibliothek, Ende der 60er Jahre

Hervorzuheben ist, daß die Berliner Stadtbibliothek seit Erlaß der Bibliotheksverordnung in zunehmendem Maße bestimmte Funktionen einer Bezirksbibliothek übernommen hat. Sie konnte dies nicht zuletzt, weil die (...) Erhöhung ihrer Effektivität als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek dafür die beste Basis bot. Neben den vielfaltigen Formen der Unterstützung der Literaturversorgung (Leihverkehr, Autobücherei), der Bestandserschließung und -Vermittlung (Bibliographien, Informationstätigkeit, literaturpropagandistische Materialien) und der Aus- und Weiterbildung ist sie auf fachlich-methodischem Gebiet vor allem durch ihre Abteilung Allgemeinbildende Bibliotheken tätig. Hier wirkt sie sowohl operativ beratend und helfend an der Basis, wie auch mittels der vielfältigen, regelmäßig tagenden Arbeitskreise von Experten-Gruppen (Mitarbeiter der Stadtbibliothek und der 8 Stadtbezirksbibliotheken) als Koordinierungsund Konsultationsstelle. Weiterhin erarbeitet die Berliner Stadtbibliothek Konzeptionen und Analysen zu entscheidenden Problemen (Planung, Kapazität-Leistung, Standortverteilung, Rationalisierung, Kaderqualifizierung u.a.) als Entwürfe für den Magistrat und als Diskussionsgrundlage für die Stadtbezirke, konzentriert deren statistische Jahresergebnisse sowie Pläne und Berichterstattungen zu den verschiedensten Anlässen und für die jeweiligen zentralen Gremien, wertet sie aus und empfiehlt Schlußfolgerungen und Maßnahmen. (...) Langjährig erprobte und bewährte Kooperationsbeziehungen bestehen zwischen den Stadtbezirksbibliotheken und der Berliner Stadtbibliothek. Neben denen, die im wesentlichen der Literaturversorgung dienen (Leihverkehr, Autobücherei), seien hier vor allem die Arbeitsberatungen der Expertengruppen (...) genannt. Auf der Grundlage von mehr oder

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

weniger langfristigen Arbeitsplänen werden hier entscheidende Probleme aufgegriffen, beste Erfahrungen verallgemeinert und zur Übernahme empfohlen." (3) Innerhalb der Berliner Stadtbibliothek nahm die Freihandabteilung einen besonderen Stellenwert ein. Sie wirkte wie ein in sich geschlossener Komplex, verfügte über eine ganz andere Systematik und führte im Bestand viel Belletristik. Sie war dem Aufbauprinzip einer bezirklichen allgemeinen Bibliothek nachgestellt und verfügte 1968 über einen Bestand von circa 11 000 Bänden. Hier sah man eine selbstverständliche Möglichkeit, Funktionen einer Bezirksbibliothek aufzugreifen und das unmittelbare Wohnumfeld stärker an die Bibliothek zu binden. Freihandpräsentation kam hier einem „Schnupperkurs" gleich, der an die Benutzung der wissenschaftlichen Bestände heranführen sollte, räumlich kam lediglich im gemeinsam benutzbaren Lesesaal eine Mischung beider Bibliothekstypen zustande. Eine damalige Abschlußarbeit im Rahmen der in der Berliner Stadtbibliothek durchgeführten Ausbildung zum Bibliotheksfacharbeiter beschäftigte sich ausführlich mit der Freihandabteilung und kam zu folgendem Resumée: „Die Freihandabteilung der Berliner Stadtbibliothek bietet dem Leser eine Auswahl besonders empfehlenswerter und aktueller Literatur aus der Produktion der Verlage der DDR, sowohl aus allen Fachgebieten als auch der Belletristik, die nach Hause ausgeliehen oder aber auch im Lesesaal benutzt werden kann. Sie entspricht nach Charakter und Umfang ihres Bestandes (ca. 16-17 000 Bände) sowie ihrem organisatorischen Aufbau - besonders in der Buchaufstellung und im Katalogsystem - einer staatlichen Allgemeinbibliothek (StAB). Es werden unter anderem auch die für diese Einrichtungen herausgegebenen Zetteldrucke verwendet. Die im Lesesaal der Berliner Stadtbibliothek untergebrachte Freihandabteilung ist keine selbständige Institution, sondern ein Sonderstandort von einem oder mehreren Exemplaren der in der Gesamtbibliothek vorhandenen Titel. Der Freihandbestand ist wie auch der Lesesaalhandapparat mit seiner speziellen Funktion im Bibliotheksorganismus verankert. Der Unterschied ergibt sich durch die Möglichkeit der Heimausleihe für den Freihandbestand und den strengen Präsenzcharakter des Lesesaalbuchbestandes. Die Freihandabteilung nimmt in doppelter Hinsicht eine Sonderstellung ein. Die Buchaufstellung und das Katalogsystem entsprechen denen der StAB einschließlich der technischen Hilfsmittel wie Buchrücken und Zetteldrucke. Sie wirkt wie eine Bibliothek in der Bibliothek, ist aber wie schon erwähnt, keine selbständige Institution, sondern stellt eine Sonderaufstellung in der Bibliothek vorhandener Titel dar, mit allem Merkmalen der StAB, aber auch gekennzeichnet durch die Zugehörigkeit zum Gesamtbestand: die Bände und auch Kataloge tragen neben den Notationen der Systematik für allgemeinbildende Bibliotheken die Signaturen der Berliner Stadtbibliothek. Die Funktion der Freihandabteilung der Berliner Stadtbibliothek besteht unter anderem auch darin, die Literaturversorgung für die Bürger des neu entstandenen Wohngebietes zu übernehmen, die aus ihren bisherigen Stadtbezirken die Benutzung der StAB gewöhnt und mit dem Umgang des Benutzungsapparates einer wissenschaftlichen Bibliothek noch nicht genügend vertraut sind. Dabei spielt das Eröffnen der Möglichkeit der Gesamtbibliothek für diese Benutzerkreise durch Beratung und Einweisung eine große Rolle. Nicht zuletzt stellt die Einbeziehung des Freihandbestandes zur Präsenzbenutzung im Lesesaal eine Wechselwirkung und Bereicherung dar. Das ist ein Kennzeichen der Besonderheit dieser räumlichen Gemeinschaft in der Berliner Stadtbibliothek. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Unterschiede zwischen Hauptbibliothek und Freihandabteilung ergeben sich durch den unterschiedlichen Benutzungszweck. Ein

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Das A-Portal der Stadtbibliothek großer Teil der Benutzer der Freihandabteilung will sich unmittelbar am Regalbestand orientieren, beziehungsweise am systematischen Katalog, der durch seine Annotationen die Literaturauswahl unterstützt und erleichtert. Bei der Schönen Literatur ist das noch ein bisher nicht ganz gelöstes Problem trotz Themen- und Titelkatalog. Für die wissenschaftliche Bibliothek ergeben sich andere Erfordernisse. Hier sucht der Benutzer in der Regel ganz bestimmte Literatur. Der SK trägt keine Annotationen und ist chronologisch geordnet, so daß sich in jeder Gruppe gleich am Anfang die neueste Literatur anbietet." (4) Nach Plänen von Heinz Werner sollte allerdings das Modell Freihand noch weiter ausgebaut werden, doch trotz einer erheblichen Ausdehnung in der Bestandspräsentation war ein mit der Amerika-Gedenkbibliothek vergleichbares Konzept nicht vorgesehen. Das Projekt Freihand in der Stadtbibliothek war nie in die Gesamtkonzeption des Hauses verwoben und hatte andere Beweggründe. Heinz Werner vermerkte dazu 1976 in einem Aufsatz über die Stadtbibliothek: „Für die weitere Entwicklung plant die Berliner Stadtbibliothek einen Anbau, der es ermöglichen soll, bis zu 200 000 Bände in Freihand aufzustellen. Hierfür sind (...) folgende Gründe ausschlaggebend: Ein beträchtlicher Teil der ausgeliehenen Bände, für die ein konzentrierter Bedarf besteht, kann bei entsprechender Aufstellung durchaus vom Benutzer selbst entnommen werden. Für diese Bestände ist es auch möglich, auf aufwendige beweiskräftige Verbuchungsmethoden, wie sie für wertvolle wissenschaftliche Literatur unabdingbar sind, zu verzichten. Dadurch können beträchtliche personelle und materielle Einsparungen erzielt werden bei gleichzeitiger Verringerung der Wartezeiten für die

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

Berliner Stadtbibliothek

Bestände 388 000 644 700

1949

1956

769 0 0 0

860 500

935 400

1075 529

1959

965

969

973

Statistik der Stadtbibliothek von 1949 bis 1973, Bestände Benutzer. Die Realisierung dieses Projektes ist für die stark frequentierte Berliner Stadtbibliothek besonders wichtig und wird ihr die Grundlage geben, ihre Ausleihzahl noch einmal beträchtlich steigern zu können." (5) In der Planung stand deshalb immer wieder eine Überdachung des Innenhofes. Hier hätte man bequem eine erweiterte Freihandzone unterbringen können. Das Projekt erfuhr allerdings nie eine Realisierung. Ein weiterer Schwerpunkt der bibliothekarischen Arbeit der Stadtbibliothek war nach wie vor ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. In diesem Zusammenhang verstand sich die Stadtbibliothek in der Funktion eines geistig-kulturellen Zentrums. Mittlerweile hatte die Berliner Stadtbibliothek Kooperationspartner für die Veranstaltungen gefunden. Oftmals stellte sie jetzt nur noch die Räume, die Vorträge und Programme wurden von den Partner-Organisationen ausgearbeitet. Ergänzend fügte die Stadtbibliothek nach Bedarf bibliographische Empfehlungslisten oder eine Auswahl entsprechender Literaturexponate bei. Vorrangig die in Kooperation mit der Urania erarbeiteten Veranstaltungen erfreuten sich eines regen Zuspruchs. 1967 wurden noch 140 Vorträge mit insgesamt 7 500 Besuchern gezählt, im November 1968 konnte man für das bisherige Jahr bereits 185 Vorträge und 15 000 Besucher bilanzieren. Heinz Werner vermerkte zu dieser Erfolgsstatistik gegenüber der Presse: „Dies ist vor allem auf die enge Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, so der Neuen Urania, dem Deutschen Kulturbund, der Kammer der Technik - um nur einige zu nennen zurückzuführen. (...)

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Berliner Stadibibliothek und

Amerika-Gedenkbibliothek

Berliner Stadtbibliothek

Benutzer in 1000

Entlei lungen in 1000

Statistik der Stadtbibliothek von 1949 bis 1973, Benutzer und Entleihungen

Vorwiegend junge Menschen suchen die Berliner Stadtbibliothek auf. Dabei zeigt sich immer wieder, daß bei Buchwünschen meist von engen, fachlichen Gesichtspunkten ausgegangen wird. Die Berliner Stadtbibliothek bemüht sich deshalb, als eine Einrichtung, der es obliegt, universelles Wissen zu vermitteln, das Interesse ihrer Leser auch auf andere Wissensgebiete zu lenken. Das gelang ihr mit der Vortragstätigkeit. Die Bibliotheksmitarbeiter haben jetzt begonnen, für die verschiedenen Vorträge kleine Bibliografien auszuarbeiten und den Teilnehmern die zur Vertiefung ihres Wissens notwendige Literaturen mit Signaturen zu verzeichnen. In Zukunft sollen außerdem kleine Buchausstellungen im Vorraum des großen Vortragssaales auf weitere Lektüre aufmerksam machen." (6) Seitens der Bibliothek verstand man sich als Zentrum des guten populärwissenschaftlichen Vortrags und als vielseitige Bildungsstätte. Auch Vorträge zu reinen Fachfragen und zu Spezialthemen wurden angeboten und zahlreich frequentiert. Das Spektrum des Angebotes reichte hier von musikalischen und künstlerischen Themen über historische und gesellschaftswissenschaftliche Vortrage und Diskussionen bis hin zur aktuellen naturwissenschaftlich-technischen Debatte. Die Palette der Bildungsmöglichkeiten umfaßte dabei den Vortrag mit anschließender Diskussion ebenso wie turnusmäßig stattfindende Podiumsgespräche oder kulturelle Darbietungen. Als erklärtes Ziel all dieser Aktionen wurde immer wieder monoton auf den gesellschaftsrelevanten Auftrag der Bibliothek verwiesen, einen im Sozialismus fest verankerten Menschentypus mitzugestalten, der nach Weiterbildung und Wissen strebt, um wiederum das Modell Sozialismus weiter zu befördern. Hier sah sich die Stadtbibliothek einerseits in einen staatlichen und parteilichen Zusammenhang gestellt, der andererseits durch die

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

Vernetzung mit anderen Institutionen und Trägern eine Bestätigung der eigenen Konzeption und eine weitläufig angelegte Wirkungskraft versprach: „Der weitaus grössere Teil der (...) Leser unserer Bibliothek sind junge Menschen im Alter bis zu 25 Jahren und ihre primären Literaturanforderungen an unsere Bibliothek resultieren aus ihren Ausbildungs- oder Qualifizierungsprozessen. Ihre Bildungsbestrebungen waren in den vergangenen Jahren meist ausschließlich auf die Aneignung von engem Fachwissen beschränkt. So war es für uns selbstverständlich, durch mannigfaltige literaturpropagandistische Maßnahmen das Interesse der Bibliotheksbenutzer auch auf solche Literatur zu richten, die einer politischen, sittlichen und ästhetischen Bildung zu sozialistischen Persönlichkeiten dient. Unsere Bemühungen hatten Erfolg, und wir können feststellen, daß in immer größerem Maße gerade die jungen Benutzer unserer Bibliothek von der Universität der Bildungsmöglichkeiten' Gebrauch machen, ihre Freizeit kulturvoll zu nutzen und damit ihren Lebensstandard nicht nur im Sinne der Befriedigung geistiger Bedürfnisse erhöhen, sondern zugleich sich auch Grundlagen zu schaffen, die letztlich wiederum von ökonomischem Nutzen für die gesamte Gesellschaft und damit auch für die Erhöhung des eigenen komplexen Lebensstandards sind. Bekanntlich wirkt die Berliner Stadtbibliothek auch als kulturelles Zentrum nicht nur mit den Mitteln und Medien der Literatur, sondern auch der Musik und der bildenden Künste. Es ist heute noch ungewöhnlich, daß eine wissenschaftliche Allgemeinbibliothek eine solche breite Funktion wahrnimmt. Dies liegt aber letztlich in dem Bestreben begründet, sozialistische Menschen formen zu helfen und sich dabei moderner Methoden der Wissensvermittlung zum Beispiel der sich weiter entwickelnden Informationsträger zu bedienen. Durch sozialistische Gemeinschaftsarbeit, insbesondere mit dem Deutschen Kulturbund, dem VEB Deutsche Schallplatte (als Beispiel sei nur das Berliner Schallplattentheater genannt), der Urania und vielen anderen Organisationen und Institutionen ist es uns gelungen, ein vielseitiges kulturelles Zentrum zu schaffen und mit ihm das geistig-kulturelle Leben in der Hauptstadt zu bereichern." (7) Die Attraktivität der Bibliothek gerade für jüngere Menschen zu erhalten, war stetes Anliegen der Direktion und der Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang muß die zumindest in der Anfangszeit nicht unumstrittene Ausdehnung des Bestandes auf neue und modernere Medien erwähnt werden. Hatte man zunächst Schallplatten in den Bestand mitaufgenommen und damit auch das Veranstaltungsprogramm bereichem können, so folgten nun noch andere Bestanderweiterungen. Heinz Werner, dem der Ruf anhaftete, Berlins „Thekenvater" zu sein, vermerkte in diesem Zusammenhang dazu: „Noch zu häufig wird angesichts des Begriffs .Bibliothek' ausschließlich an das Buch gedacht, dabei unterliegt er zunehmend inhaltlicher Erweiterung - etwa im Sinne von ,Mediothek'." (8) Es folgten in diesem Sinne der Ausbau einer Diathek, einer Artothek und später einer Linguathek. Auch hier verzahnten sich wieder Bestandsangebote mit Veranstaltungsreihen oder Ausstellungen. Für eine Bibliothek mit wissenschaftlichen Spitzenbeständen und historisch und literarisch wertvollen Spezialsammlungen war der von Heinz Werner eingeschlagene Pfad neu. In der Sichtweise auf die Wichtigkeit kultureller Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation hatte hier die Berliner Stadtbibliothek auf den ersten Blick durchaus Ähnlichkeiten mit der Amerika-Gedenkbibliothek, die ebenfalls eine Bestandserweiterung um neue Medien und ein Veranstaltungsprogramm zu einem immanenten Teil ihres bibliothekarischen Selbstverständnisses zählte. Beim genaueren Hinsehen zeigten sich aber doch gravierende Unterschiede, sei es in der inhaltlichen Ausrichtung der Angebote oder im Verständnis von Bildung und Kultur. In der Berliner Stadtbibliothek begriff man die Sortimentserweiterung vorrangig als eine Vergrößerung des gesellschaftlichen Aktionsradius,

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

bei der neben die intime und spezielle Begegnung mit dem Buch nun die Anregung zur gemeinschaftlichen und kollektiven Beschäftigung mit vielfaltigen Formen der Kunst und Kultur zum Tragen kommen sollte. Nicht zuletzt mit Hilfe der vielen Kooperationspartner konnte die Stadtbibliothek auf ein umfangreiches und abwechslungsvolles Programm verweisen, verfolgt man beispielsweise die von der Stadtbibliothek gesammelten Pressemeldungen zu den Jahren 1968 bis 1970, so fanden besondere Erwähnung: (9) Februar 1968: Woche der Stereophonie. In den Räumen der Berliner Stadtbibliothek/ Musikbibliothek in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Rundfunkkomitee erarbeitete Veranstaltung, u.a. mit Begegnungen und Aussprachen mit Rundfunkschaffenden, einer HiFi-Geräteschau und Übertragung von Sendungen. November 1968: In Zusammenarbeit mit der Urania wurde die Veranstaltungsreihe „Kybernetik" in der Stadtbibliothek angeboten. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderen Studenten aus höheren Studienjahren, Assistenten und Mitarbeiter der HumboldtUniversität, Mitarbeiter von Berliner Wirtschaftsinstituten und Interessierte, die regelmäßig auch an den monatlichen „Treffs der Datenverarbeitung und Ökonomie" kamen. Januar - Juni 1969: Erwähnt werden vor allem die in Kooperation mit dem Kulturbund angebotenen Veranstaltungen „Treffpunkt Jugend" (Sonntagfrüh, u.a. mit Manfred Krug) und „Berliner Schallplattentheater", neben diversen Urania-Vorträgen, den Reihen „Aus dem Manuskript" und „Lesetheater" auch noch „Treffpunkt Alex". Im Jahr 1970 war der französische Pantomime Marcel Marceau in der Stadtbibliothek zu Gast. Ihm widmete die Presse seitenlange Reportagen, sein Auftritt galt als der Veranstaltungshöhepunkt des Jahres in der Stadtbibliothek. Dank des großen Foyers im Bibliotheksneubau in der Breiten Straße konnten große und repräsentative Ausstellungen ins Haus geholt oder in eigener Regie angeboten werden, hier sah man eine gute Möglichkeit, die Außenwirkung der Bibliotheksarbeit zu demonstrieren und augenfällig Interessenten zu binden. Von 1966 bis 1975 wurden beispielsweise 160 Ausstellungen angeboten, davon 97 in der Eingangshalle und 63 in den Katalogräumen. Dazu kamen 191 kleinere Ausstellungen, die vor dem Vortragssaal gestellt waren und meist direkten Bezug zum Thema des Vortrage aufwiesen. Das Foyer der Stadtbibliothek war in der Regel den größeren Ausstellungen vorbehalten, die oft in Kooperation entstanden waren. In den Vitrinen des Katalograumes waren kleinere Schauen zu betrachten, die von Bibliotheksmitarbeitern aus den hauseigenen Beständen zusammengestellt waren. Die Ausstellungen gliederten sich, betrachtet man einen längeren Zeitraum, in mehrere inhaltliche Schwerpunkte auf: Zum einen wurden Schriftsteller, ihre Biographien und ihr literarisches Schaffen oder die Geschichte und das Profil eines bestimmten Verlages oder mehrerer thematisch verbundener Verlage porträtiert - vorrangig wurden Literatur der Emigration oder neuere sozialistische Autoren gezeigt, aber auch Schriftsteller aus den Nachlaßbeständen (Glaßbrenner) wurden öffentlich gemacht. Daneben gab es zahlreiche Ausstellungen, die Impressionen, Kunst und Architektur aus befreundeten sozialistischen Ländern zeigten. Fotoschauen und Ausstellungen anläßlich konkreter gesellschaftlicher Ereignisse rundeten das Bild ab. Der Wechsel der Ausstellungen erfolgte in der Regel monatlich. Ein kleiner Überblick über die Ausstellungen, die allein 1975 gezeigt wurden, zeigt die Vielfalt und Ausrichtung des Angebots: (10)

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Bibliotheksarbeit im Umfeld

Blick in Diathek und Artothek, 1970 -

Januar 1975: „Bücher aus der Schweiz". Vorgestellt wurden 1 200 Titel. Veranstalter war die Arbeitsgemeinschaft für das Schweizer Buch, der auch der Schweizer Buchhändler- und Verlegerverein angehörte. Laut Angaben der Arbeitsgemeinschaft war diese Präsentation die bislang wichtigste kulturelle Veranstaltung der Schweiz in der DDR.

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Februar 1975: Modelle von Feierabendheimen

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März 1975: „Frauen 75". Eine Fotoausstellung zum Internationalen Jahr der Frau, gestaltet vom Fotozentrum 102 gemeinsam mit dem Klub der Fotografen.

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April 1975: „Ungarische sozialistische Literatur 1900-1945", ein Kooperationsprojekt mit der Akademie der Künste der DDR. „Bücher aus der CSSR", anläßlich der Tage der Freundschaft und Kultur der CSSR.

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Mai/Juni 1975: „Vom schweren Anfang - Bücher, Bibliotheken und Verlage". Gezeigt wurden Bilder und Dokumente aus den ersten Nachkriegsjahren. Elektrogeräte aus Ljubljana, präsentiert vom Großunternehmen Iskra.

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Juni/Juli 1975: Ausstellung des Bundes der Architekten der UdSSR unter dem Motto: Landschaft und Architektur

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

- Juli/August 1975: „Portugal 1974-75. Ein Jahr Revolution" - September 1975: Ausstellung über Erich Weinert anläßlich seines 85.Geburtstages - Oktober 1975: „Frauen fotografieren". Zum Weltkongreß der Frauen im „Internationalen Jahr der Frau" wurden 350 Fotos von Bildjournalistinnen gezeigt. - November 1975: Anläßlich der „Tage des sowjetischen Buches" wurde eine Buchausstellung von 15 sowjetischen Verlagen mit 900 Buchpräsentationen gezeigt. - November/Dezember 1975: Anna Seghers, anläßlich ihres 75.Geburtstages. Vorbereitet von der Akademie der Künste und dem Ministerium für Kultur. Gezeigt wurden 300 Exponate. Skulpturen eines Bildhauers aus Polen (25 Exponate) Gerne definierte sich die Berliner Stadtbibliothek als „kulturelles Zentrum der fachlichen Qualifizierung" (11), hier klangen die verschiedenen Komponenten der inhaltlichen Schwerpunkte an. Selbstverständlich war man für jeden interessierten Leser offen, im Vordergrund der bibliothekarischen Zielsetzung stand dennoch ein idealtypischer Benutzer. Für viele war die Berliner Stadtbibliothek tatsächlich ein Ort der (sozialistischen) Weiterbildung und Qualifizierung, so druckte beispielsweise 1968 die „BZ am Abend" folgende Leserstimmen ab: Ein Student: „Ich arbeite hier unten im Lesesaal besonders gern: so kann ich mir in einer Entspannungspause eine Oistrach-Schallplatte anhören." Eine Arbeiterin, die sich in einem technischen Fernstudium qualifiziert: „Hier bekomme ich fast alles, was ich brauche: das .Lehrbuch der linearen Optimierung' von Krekò und ,Programmgesteuerte Rechenautomaten' von Goetzke, wenn man sich auf Datenverarbeitung spezialisieren möchte." (12) Allerdings kamen auch Benutzer, die nicht so zielgerichtet arbeiteten, die eher unbestimmte Informations- oder Lesebedürfnisse hatten oder überhaupt zum ersten Mal mit der Bibliothek Kontakt hatten. Auch bei diesen scheint die Berliner Stadtbibliothek durch ihr gesamtes Ambiente, durch benutzerfreundliche Erschließungsmöglichkeiten und hilfsbereite Bibliotheksmitarbeiter sehr positive Resonanz hervorgerufen zu haben, so hätte nachfolgende Textpassage aus der Feder eines Schriftstellers bei vielen Benutzern der Stadtbibliothek sicherlich Zustimmung gefunden: „An der Breiten Straße hatte ich die Idee, in die Stadtbibliothek zu gehen. Der erste Grund dafür war, daß ich sie noch nicht kannte, und der zweite war, daß mich meine Knochen schmerzten. Außerdem sind Stadtbibliotheken so was wie konzentrierte Weisheit, und eine Begegnung damit kann niemals schaden. Ich ließ meine Tasche in der Garderobe und hatte erst mal enorme Schwierigkeiten zu überstehen. Fragebogen ausfüllen und in Karteikarten wühlen und Leihscheine beschreiben und so. Weil ich gerade etwas über Yin und Yang gehört hatte und darüber rein gar nichts wußte, bestellte ich mir eine Schwarte über die allgemeinen Grundlagen der Welt und ihre Entstehung. Ich setzte mich damit in den Lesesaal. Der Lesesaal war phantastisch ruhig und großzügig. Die ganze Bibliothek war phantastisch gut geordnet. Für den vollkommen unwahrscheinlichen Fall, daß ich gezwungen wäre, den Rest meiner Jugend und mein gesamtes

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Bibliotheksarbeit im Umfeld

Musikbibliothek/Phonothek, 1973

Erwachsenenleben und Alter in einer Bibliothek zu verbringen, würde ich mir die Berliner Stadtbibliothek in der Breiten Straße aussuchen. Was möglicherweise eine einseitige Entscheidung wäre, weil ich andere Bibliotheken überhaupt nicht kenne." (13) Die stetige Konsolidierung der bibliothekarischen Arbeit der Berliner Stadtbibliothek, ihre hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und ihr fester Platz innerhalb der sozialistischen Gesellschaftsordnung spiegelte sich wider in ständig wachsenden Benutzerzahlen wie auch in zahlreichen Auszeichnungen. Allen voran wurde Heinz Werner für seine Verdienste um das Bibliothekswesen in der DDR geehrt, aber auch andere Mitarbeiter, einzelne Abteilungen oder die Stadtbibliothek an sich erhielten Urkunden, Prämien, Orden und andere Lobbezeugungen. Vor allem im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs wurden Anstrengungen um Bestleistungen erbracht. Hier wurde bibliothekarischer Erfolg jedoch immer häufiger an Leistungskennziffern gemessen. In wachsenden Zahlen ablesbare Kapazitätssteigerung bibliothekarischer Dienste rückte im Laufe der Jahre für die Berliner Stadtbibliothek zunehmend in den Vordergrund ihrer eigenen Wertschätzung. Zehn Jahre nach Bezug des Neubaus in der Breiten Straße präsentierte sich die Berliner Stadtbibliothek nicht nur als rege tätiges geistig-kulturelles Zentrum der Stadt, auch überregional und international fand die Arbeit der Bibliothek große Aufmerksamkeit und Anerkennung. Man hatte, gemessen an anderen, wissenschaftlich orientierten Bibliotheken in der DDR, ungewohnte und neue Wege in Bestandserweiterung und Öffentlichkeitsarbeit geebnet und konnte auch für diese Schwerpunkte Erfolge und positive Bilanzen verbuchen. Eingebunden in den Kontext sozialistischen Bildungs- und Kulturschaffens sah man sich mit diesen Angeboten zuständig für ein breitgefächertes Publikum, das sich der Weiter-

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

qualifizierung, Wissenssteigerung und sozialistischen Bewußtseinsbildung verschrieben hatte - im Idealfalle wurde hier ein kausaler Zusammenhang mit einem gesamtgesellschaftlichen Prozeß der Weiterbildung und Beförderung des Sozialismus vermutet. Selbstverständlich hatte die Berliner Stadtbibliothek auch eine Liste von Negativposten. Nach wie vor lagerten beispielsweise sogenannte „Stapelbestände" ungeordnet in den Magazinen. Es handelte sich dabei unter anderem um Reste von nach 1945 aufgelösten Schulbibliotheken, Abgaben aus Volksbüchereien und anderen Bibliotheken, Überbleibsel aus laufenden Erwerbungen, einzelne Sonderbestände, Teile der Rückverlagerungen usw. Mittlerweile war ein nicht mehr überschaubarer Mischbestand daraus entwachsen, der dringend eine Durchsicht und Neuordnung benötigte. Teilweise gelangten Bücher aus diesem vermengten Bestand zu den „Scheunenbeständen", die im Zusammenhang mit dem Bau des Palastes der Republik entstanden waren. Die Berliner Stadtbibliothek hatte zugunsten des Palastbaus Magazinräume abgeben müssen, vor allem die Lagerungsorte für die ungeordnet und gestapelt gelagerten Bestände. In der Nähe Berlins wurde zwar eine Scheune als Ausweichmagazin gefunden, hier lagerten die Bücher allerdings völlig unsachgerecht, wurden feucht und vom Schimmel zerfressen. Gemessen an den Erfolgsbilanzen der Berliner Stadtbibliothek rückten solche Probleme allerdings etwas in den Hintergrund. Immer wieder wurde eine Mängelbeseitigung angemahnt, vor allem von einzelnen Mitarbeitern, die unmittelbarer mit diesen Beständen betraut waren. Im Gros der bibliotheksrelevanten Fragen blieben dies aber letztlich doch Details, die vor allem einer einfachen, aber momentan nicht greifbaren Lösung bedurften: mehr Stellfläche, mehr Platz. Die Amerika-Gedenkbibliothek wurde Ende der 60er Jahre mit der Tatsache der bislang niedrigsten Ausleihzahlen (1969: 612 000 ME) konfrontiert. Ursachen dafür sah man unter anderem auch in der 68er-Protestbewegung, die vor allem die Universitäten und Fachhochschulen erfaßt hatte. Immerhin gehörten laut einer damaligen Umfrage circa 77% der Benutzer zum Kreis der Studenten. Die Verknüpfung ihrer Selbstdarstellung mit dem Vorbild Amerika geriet der Bibliothek erstmals zum Nachteil. Der Anspruch der Bibliothek, an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt zu sein und diese widerzuspiegeln, wurde, anders als es der Intention der Bibliothek entsprach, wahr gemacht. 1973 wurde Dr. Fritz Moser pensioniert. Sein Nachfolger wurde Dr. Heinz Steinberg, der viele Jahre als Senatsrat und Leiter der Referate Volkshochschulen und Bibliotheken bei der Senatsverwaltung für Schulwesen tätig gewesen war und dadurch mit der Geschichte des Hauses schon lange in Verbindung stand. Seine Amtszeit begann zeitnah zur Jubiläumsfeier anläßlich des 20jährigen Bestehens der Amerika-Gedenkbibliothek. In diesem Zusammenhang waren Umstrukturierungen und Neuerungen vorgenommen worden, die im Kontext des Selbstverständnisses als .public library' diskutiert wurden. Die Bibliothek war aus eigener finanzieller Kraft nicht in der Lage, ihren Bestand wunschgemäß nach neuzeitlichen Erfordernissen auszubauen. Vor allem die Einführung audiovisueller Medien war ein konkretes Anliegen der Amerika-Gedenkbibliothek, das aber nur über eine zusätzliche Finanzierung von außen zu bewerkstelligen war. So wurde ein Antrag auf Lottogelder gestellt, der bewilligt wurde. Doch nicht nur Finanzielle Hürden waren zu bewältigen, auch die räumliche Integration der Audiovision mußte vollzogen werden, was vor allem auf Kosten des Buchbestandes der Jugendabteilung konzipiert war. An diesem Punkt regte sich innerhalb der Amerika-Gedenkbibliothek Widerstand, man sah die Bibliothek in ihrer Grundkonzeption bedroht und fürchtete um die Abwicklung

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

Nach einem Brand-Anschlag auf die AGB im Mai 1968

wesentlicher Elemente der bisherigen bibliothekarischen Arbeit, beispielsweise auch der Abteilung Allgemeines Wissen und Kinderbibliothek. Steinberg hielt dagegen, daß man diese Abteilungen gar nicht zu schmälern gedenke, sondern lediglich in der Jugendabteilung Abstriche vorgenommen werden müßten: „Der Status der AGB als Public Library wird durch die Planung nicht verändert sondern weiterentwickelt. Die AGB ist Public Library nicht nur in der populären Abteilung und in der Kinderbibliothek sondern auch in den Fachabteilungen; der Public Library-Gedanke ist in dieser Bibliothek insofern unteilbar. Die gegenwärtige Planung entspricht dem Modell einer Public Library in Großform nach amerikanischem Vorbild. Die Entwicklung zur Audiovision in der Public Library legt zwingend nahe, auch in der AGB audiovisuelle Medien in Abteilungen zu integrieren. Nicht die Arbeit der Kinderbücherei, Jugendabteilung und AWI-Abt. (z.B. Klassenführungen) soll eingeschränkt werden, wohl aber der Buchbestand insbesondere der Jugendabteilung. (...) Eine Eigenexistenz der Ju.-Abt. ist ohnehin fragwürdig." (14) Einen neuen und längst überfälligen Arbeitsschwerpunkt sah man zudem in der literarischen Versorgung der in Berlin ansässigen ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien. In der Begründung des Antrages auf Sondermittel für die dafür notwendigen Buchanschaffungen wurde die Zielvorgabe formuliert: „In ihrer Funktion als Berliner Zentralbibliothek will die AGB allen sozialen Schichten und Altersgruppen der Berliner Bevölkerung offenstehen, und zwar nicht nur den einheimischen Bürgern, sondern auch den zur Zeit hier ansässigen ausländischen Arbeitnehmern.

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Berliner Stadtbibliothek und

Amerika-Gedenkbibliothek

354 513 B ä n d e , d a z u 14 79? N o t e n , 9015 Schallp l a t t e n , 7111 B e r l i n - P o s t k a r t e n sind d a s Inventar der Amerlka-Gedqnkbibiiothek a m Halles c h e n Tor. K u p f e r s t i c h e , T o n b ä n d e r , M i k r o f i l m e . Z e l t u n g e n und Z e i t s c h r i f t e n e r g ä n z e n d e n r e i c h e n B e s t a n d d e r Bibliothek, e i n e r g r o ß z ü g i g e n Schenk u n g d e r A m e r i k a n e r . A m 17. S e p t e m b e r 1954 erö f f n e t , hat s i e sich zur e c h t e n „ V o l k s b ü c h e r e i " entwickelt. N a c h d o m System der „Freihond"-Bibllothek kann hier jeder Loser frei in den oftenη s t e h e n d e n Büchern „ s c h n ü f f e l n " .

Wegweiser Haupteingang. Öffnungszeiten: Montag, 16—70 Uhr, Dienstag bis Sonnabend 11— 20 Uhr. Kinderbibliothek {Eingang nur Biücherstraße) Montag bis Freitag 15—18 Uhr, Mittwoch, 15—15 Uhr, und Sonnabend geschlossen. Freier Eintritt. Eingangshalle mit Garderobe. Vorroum mit Itsseranmeldung und mit Bücher-Aus- und ROckgäbe.

MIT usasse DURCH UNSERE STADT

Gedenkbibliothek

os für den letter der tel He und MlkrofHm-Lesezli Große BücherhaUe mit den Abteilungen für Romane, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Technik und Kunst. Lese- und Studiertische. Bücherei für junge Menschen mit Arbeitsraum.

Freihand-Bibliothek. Leseund Vortiagsräume. Katperlespiet· werden mittwach· In unregelmäßiger Folge — ober nach vorheriger Bekanntgabe - - um 15 Uhr 50

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Abhörkobint t. Etage mit den BUri »erwerb und Katalog.

Graphischer Aufriß der Amerika-Gedenkbibliothek vom 8.3.1971

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ι o In der Ζ. Etage die Direktion • ® und dos Sekretariat des Leiter* der Amerika-Gedenkbibitothek, Dr. Moser. I Q Der »echfooicbossiae Hoch• ' bau mit leicht eingeborener Front zum Bfücherpiotr Ist 70 m hoch und 68 m fang, i n Parkplätze Zufahrt Mehringdown nw» fvr lioforanten, Parkplatz für Benutzer JohonniterstroBe neben de· TankIteli·. bliothek. Jerusalems Fi;e< Blücher pio ti η tion Hailesche*

Bibliotheksarbeit

im Umfeld

Beim Bestandsaufbau ist hierbei auf längere Sicht die Relation von einem Buch pro Kopf anzustreben, ein Bestand, der für die deutsche Bevölkerung Berlins in den zwölf Stadtbüchereien und der AGB heute bereits überschritten ist. (...) Auf die AGB entfielen hierbei ca. 25 000 Bände. Im ersten Jahr der Arbeit am Bestandsaufbau will die AGB 5 000 Bände, vornehmlich in den Sprachen Türkisch, Serbokroatisch und Neugriechisch bereitstellen." (15) So wurden in der Amerika-Gedenkbibliothek einerseits die Bestände zeitgemäß ausgebaut bzw. erweitert, das 1974 eingerichtete audiovisuelle Zentrum wurde mit Diathek und mehr Schallplatten und Kassetten versehen, im Bereich Allgemeines Wissen wurden fortan Spiele für Erwachsene angeboten (Spielothek). Die neuen Medien standen auch zur Ausleihe zur Verfügung. Mittlerweile hatte die Bibliothek wieder Rekordausleihzahlen vorzuweisen, 1975 wurden nahezu 1,2 Millionen Entleihungen gezählt. Auf der anderen Seite begann nun tatsächlich der Abbau und die Auflösung der Jugendabteilung, in der Begründung für diesen Schritt war zu lesen: „Man will den Schritt nach vorn und nicht nach hinten, es ist aber auch bekannt, daß viele Kollegen an alten Dingen hängen. (...) Seit vielen Jahren bestehen hinsichtlich der Existenz der Jugendbücherei innerhalb des Hauses Kontroversen, die immer wieder diskutiert wurden. Da sich allgemein herausgestellt hat, daß die gesonderte Aufstellung von Büchern für Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren nicht sinnvoll ist, und daß darüberhinaus statistische Erhebungen im Hause ergeben haben, daß die Benutzer der Jugendbücherei lediglich nur 36% Jugendliche sind, andererseits aber die Jugendlichen nur 17% ihres Literaturbedarfs in der Jugendbücherei decken, hat sich die Direktion entschlossen, diese Art der Aufstellung aufzuheben." (16) Heinz Steinberg befürwortete die Schließung mit heftigen Worten. Seine Argumente zielten darauf ab, daß Berlin im Vergleich zu anderen Städten immer noch an überlebten Strukturen festklebe, junge Menschen benötigten seiner Ansicht nach keine besondere Abteilung - im Gegenteil: sie wirke für die eigentlich anvisierte Zielgruppe eher abschrekkend, da diese sich lieber schon zu den Erwachsenen rechnen wolle. Weiterhin sprach Steinberg von organisatorischen Reibungsverlusten, die der Sonderbestand Jugend mit sich gebracht hätte. Seiner Ansicht nach könnten die freiwerdenden Arbeitsressourcen der in der Jugendabteilung beschäftigten Mitarbeiter nun viel effektiver und sinnvoller auch für Zwecke der Jugendarbeit genutzt werden. In diesem Kontext führte Steinberg gegenüber der Presse an: .Aufgabe der Bibliothekare ist es jedenfalls, jedem Besucher die Übersicht zu erleichtern, die durch jeden Sonderbestand beeinträchtigt wird." (17) „Umfassende Konzepte" und mehr als einen künftigen „reinen Routinebetrieb" für Jugendliche, auch nach der Auflösung der Sonderabteilung für junge Leser, forderte dagegen der ehemalige Direktor Dr. Fritz Moser in einem am 6. März 1977 im Berliner „Tagespiegel" abgedruckten Leserbrief: „Die .Abteilung für junge Menschen' der Amerika-Gedenkbibliothek orientierte sich in den fünfziger Jahren an den in den USA erfolgreichen .Departments for young adults'. Wie der Name schon sagt, in räumlicher und inhaltlicher Nachbarschaft der ErwachsenenAbteilungen, aber unter besonderer Berücksichtigung der alters- und wissensbedingten Erfordernisse dieser Jahrgänge, was Bestandsaufbau und Service anging. Ergänzend suchte man in Spezialkatalogen den von Schule und Lehrzeit gestellten Aufgaben durch differenzierte Erschließung von Sammelwerken, Anthologien (...) besser als sonst üblich gerecht zu werden. Voraussetzung für den .Erfolg' der Einrichtung war die aus spezieller Kenntnis

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Alphabetischer Katalog im Lesesaal der Amerika-Gedenkbibliothek, 1970

der Wünsche und Probleme dieser Benutzer erwachsene, einfühlsame Betreuung durch die Bibliothekare. Wie die Bibliotheksstatistik ausweist, zählten noch 1962 fast 8 Prozent dieser Altersgruppen (16-18) aus allen zwölf Berliner Bezirken zu den ,Kunden'. Wenn dieses Modell einer wesensimmanenten Zwischenform in der Bundesrepublik auch kaum Nachahmung fand, so zeigt diese Zahl doch, daß es für eine Millionenstadt durchaus kein ,Luxus' war. Die stürmischen Veränderungen der Bewußtseinshaltung der Jugend in den sechziger Jahren (antiautotitäre Welle) bewirkte freilich den (...) Rückgang der Frequentierung. (...) Wenn die zunehmende , Verwaisung' aus ökonomisch einleuchtenden Gründen nunmehr eine Änderung erzwingt, so ist mit einer bloßen Auflösung und Eingliederung der Bestände und Erschließungsmittel in die Erwachsenenabteilungen das Problem der echten, intensiven Betreuung noch nicht bewältigt. Weniger im technisch-naturwissenschaftlichen als vor allem im Bereich der Geisteswissenschaften bedürfen junge Menschen auch heute einer viel Zeit und Mühe kostenden Beratung, wollen die vorhandenen, differenzierten Bestände sinnvoll genutzt werden. Das vorhandene ,Kapital' der hierin erfahrenen und geschulten Bibliothekarinnen sollte deshalb nicht vertan, sondern zumindest durch ihren verstärkenden, methodisch unterstützenden Einsatz in diesen Benutzungsbereichen ausgeschöpft werden." (18) Auch Werner Jahrmann, der in der AGB zwanzig Jahre lang als Referent für Kinderund Jugendarbeit zuständig gewesen war, äußerte sich in derselben Zeitungsausgabe zum Sachverhalt. Er verteidigte die Jugendbücherei gegenüber den Vorwürfen von Heinz Steinberg , die Abteilung sei ein leserabweisender Organisationsfehler, der auf einem jugendpsychologischem Irrtum' beruhe (19), und sprach sich demgegenüber für ein Wiedererstarken der Jugendarbeit in der AGB aus.

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

Schallplattenausleihe der Amerika-Gedenkbibliothek in den 70er Jahren

Ebenfalls protestierten die Mitarbeiter der betroffenen Abteilung mit dem Argument, diese Angelegenheit dürfe nicht ausschließlich nach Gesichtspunkten der Effektivität und Betriebswirtschaft beurteilt werden. Die Ursache des statistischen Rücklaufs jugendlicher Benutzer in ,ihrer' Abteilung sei überdies in einem qualitativ unzureichenden Bücherangebot zu suchen. So war demnach der Anschaffungsetat für diese Abteilung seit Jahren nicht mehr aufgestockt worden und der Bestand zeigte entsprechende Lücken in Aktualität und Zeitgeist. Auch seien die Möglichkeiten der Beschäftigten, sich intensiv mit den Interessen und Konflikten der Jugendlichen auseinanderzusetzen, viel zu gering. (20) Doch trotz vieler Proteste wurde die Jugendbibliothek im Januar 1978 geschlossen. Der Problemkomplex einer angemessenen jugendbibliothekarischen Arbeit blieb allerdings auch in den folgenden Jahren ständiger Diskussionsstoff. In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise eine verstärkte Kooperation mit den Schulen angedacht, wobei die Sorge um eine eventuell entstehende Konkurrenzsituation zum Aufgabenbereich der Bezirke diesbezüglich geplante Aktivitäten der Amerika-Gedenkbibliothek zu beeinträchtigen drohte. Im Verhältnis zu den bezirklichen öffentlichen Bibliotheken agierten die Berliner Stadtbibliothek und die Amerika-Gedenkbibliothek sehr verschieden. Zum einen waren sie in unterschiedlich ausgeprägte Netzwerke eingebunden, gleichzeitig besaßen sie ein différentes Selbstverständnis in Bezug auf ihre Leitfunktion und bewegten sich in diesem Punkt innerhalb anderer gesetzlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen. Für die Verhältnisse in West-Berlin sah die AGB nach eigener Darstellung ihre Position wie folgt: „In Berlin hat die Existenz der Gedenkbibliothek viel dazu beigetragen, das vielgestaltige, in kleine und größere Büchereien zersplitterte öffentliche Büchereiwesen zugunsten eines

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

mßm

1. i I · η Β

Der AGB-Direktor Dr. Steinberg, Januar 1978

Systems neuzeitlich angelegter Haupt- und Zweigstellen zu überwinden, aber die Grundstruktur des Berliner Büchereiwesens, das Nebeneinander von zwölf geschlossenen Bezirkssystemen und einer Gedenkbibliothek, ist bisher erhalten geblieben. Sie ist damit, ähnlich wie die alte Berliner Stadtbibliothek, etwas für sich Bestehendes, aber mit dem Unterschied, daß sie nicht nur bestandsmäßig die Bezirksbüchereien ergänzt, sondern ihre Eigenart und Eigenständigkeit als Public Library bewahrt hat. Als Zentralbibliothek im Sinne einer leitenden Hauptbibliothek konnte sie nicht wirken, und der zweite Name .Berliner Zentralbibliothek' enthielt für die Bibliothek selbst keinerlei Verpflichtung, ja nicht einmal die Möglichkeit, von sich aus eine solche Stellung innerhalb des Büchereiwesens anzustreben." (21) So gab es zwar Ansätze zu einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen der AmerikaGedenkbibliothek und den bezirklichen Bibliotheken, hier sind vor allem der 1956 in Gang gesetzte Berliner Leihverkehr und der AGB-Titeldienst zu nennen, der als Auftragsdienst des Deutschen Büchereiverbandes neben den Berliner Bezirken auch von vielen Bibliotheken der Bundesrepublik in Anspruch genommen wurde. Allerdings wurde der AGB-Titeldienst 1977 eingestellt, da er durch den Lektoratsdienst des DBV abgelöst wurde. Auf dem Gebiet der Druckkataloge fanden sich ebenfalls Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Seit 1966 war die Herausgabe der Berliner Druckkataloge der Amerika-Gedenkbibliothek übertragen worden, an deren Ausarbeitung Mitarbeiter von Amerika-Gedenkbibliothek und öffentlichen Bibliotheken Berlins gemeinsam beteiligt waren. Das seit Bestehen der Amerika-Gedenkbibliothek konzipierte Veranstaltungsprogramm wurde auch in den 70er Jahren beibehalten. Beispielsweise sind aus den zahlreichen Ver-

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Bibliotheksarbeit

im Umfeld

anstaltungen des Jahres 1977, die insgesamt 10 386 Besuchern zählten, besonders zu nennen: (22) 19.3.: Feier zum zwanzigjährigen Bestehen der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Berlin e.V. Mit Festvorträgen, griechischem Volkstanz und anschließendem Empfang für geladene Gäste. 29.3.: Musiker aus dem Senegal spielen Werke von Beethoven, Popper, zeitgenössische Komponisten aus dem Senegal und eigene Kompositionen. 14.4.: Zum Weltgesundheitstag 1977 unter dem Motto „Unsere Kinder - fit fürs Leben" werden Vorträge mit anschließender Diskussion angeboten. 9.5. : Gemeinsam mit dem Kunstamt Kreuzberg von Berlin sind Interpreten neuer Musik geladen. Sie spielen Werke von Martinu, Hindemith, Eisler, Haim und Kodaly. 27.5.: Mit dem Internationalen Institut für vergleichende Musikstudien Berlin wird klassische Musik aus Japan zur Aufführung gebracht. 1.10.: Im Rahmen der Berliner Festwochen wird ein Komponistenporträt: Nikolai Badinski veranstaltet. Die Mitwirkenden sind unter anderen das Philharmonische Oktett Berlin, und die Kammermusikvereinigung der Berliner Philharmoniker. Anschließend erfolgt eine Diskussion mit dem Komponisten mit dem Thema: „Warum gehen Komponisten und ihr zeitgenössisches Publikum aneinander vorbei?" 3.12.: Europäische Lautenlieder werden zur Vorführung gebracht. Es werden Werke von Caccini, Mudarra, Ortiz, Vincent, Dowland und Rosseter dargeboten. Im Jahre 1977 wurden insgesamt 18 Ausstellungen in der Eingangshalle der Bibliothek und in der Kinderbücherei gezeigt, die Materialien dazu stammten meist aus der AGB. 3.1. - 2.3.: .Ansichtskarten aus verschiedenem Material". Eine Ausstellung aus der Sammlung Günter Jechow in Verbindung mit der Berlin-Abteilung 9.1. - 4.3.: „Der Winter ist ein rechter Mann". Winterbilder in alten und neuen Kinderbüchern (Kinderbücherei) 13.2. - 5.3.: E. Kästner (zum Vortrag am 16.2.). Mit Leihgaben von Frau Tilly Meyer 7.3. - 19.3.: Zur Woche der Brüderlichkeit (Kinderbücherei) 14.3. - 31.3.: Zum zwanzigjährigen Jubiläum der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Berlin: Archäologische Literatur und Bücher zeitgenössischer griechischer Schriftsteller 19.3.: Aquarelle der Malerin Berta Splittgerber von der Flora Griechenlands 21.3. - 13.4.: „Überall zwitschert's und piept's ... und Ostern ist da" (Kinderbücherei) 1.4. - 18.5.: Zum Weltgesundheitstag 1977: „Unsere Kinder - fit für's Leben" und die besten Bilder des Malwettbewerbs für Kinder, veranstaltet vom Senator für Gesundheit und Umweltschutz: ,Als ich krank war" (zum Vortrag am 14.4.) 18.5. - 6.6.: „Deutscher Schallplattenpreis 1977" 6.6. - 4.9.: „Sommer, Sonne und die See" (Kinderbücherei) 6.6. - 25.6.: „Die Kirche in Berlin und Brandenburg" (zum 17. Deutschen Kirchentag in Berlin) 11.7. - 10.9.: „Das Bilderbuch" 6.9. - 30.9.: „Das war ein toller Sonntag". Bildergeschichte von einem alten Auto, das wieder schön wird. In Verbindung mit einem Preisausschreiben. (Kinderbücherei) 19.9. - 30.11.: „Etwas zum Zuhören ... so oder so ..." (Kinderbücherei) 15.9. - 14.10.: Krisenherd Südafrika 18.10. - 26.11.: Zur 200. Wiederkehr des Geburtstages von Heinrich von Kleist: Ausstellung von Büchern und Bilddokumenten zum Leben und Werk des Dichters

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

29.11. - 4.2.78: „Die Mark Brandenburg in alten Ansichten". Eine Ausstellung aus der Sammlung Günter Jechow in Verbindung mit der Berlin-Abteilung. 1.12. - 30.12.: Zum 70. Geburtstag von Astrid Lindgren (Kinderbücherei) Ähnlich wie bei der Berliner Stadtbibliothek sah sich das Veranstaltungsprogramm der AGB eingebettet in eine Gesamtkonzeption der Bibliotheksarbeit, hier wie dort versuchte man, über die Veranstaltungen die Publizität der Bibliothek zu erhöhen. In beiden Fällen begriff man diese Art von Öffentlichkeitsarbeit als synergetische Ergänzung zum gesellschaftlichen Auftrag der Bibliothek, allerdings waren jeweils andere Vorzeichen gesetzt. Beide wollten Einfluß nehmen und beiden gelang dies auch auf ihre Art und Weise, im Vergleich zur Berliner Stadtbibliothek definierte jedoch die Amerika-Gedenkbibliothek einen gänzlich anderen Standpunkt. Werner Jahrmann formulierte in der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der AGB einen seines Erachtens idealen Ansatz bibliothekarischer Wirkungsmöglichkeit und zitierte in diesem Zusammenhang bibliothekarische Arbeit „als bewußtes Handeln im sozialen Raum" (23): „Erfrischend deutlich hat vor Jahren ein schwedischer Kollege die Zielsetzung der öffentlichen Bibliothek formuliert: ,Bücher ausleihen? Ja! - Platten spielen? Ja! - Kunst ausleihen? Ja! - Aufenthaltsmöglichkeiten für Nichtstuer schaffen, wo sie die Zeit totschlagen können? Ja! - Stätte der Forschung und der Studien sein? Ja! - Den Kindern Freude bereiten? Ja! - Im Vereinsbetrieb mitspielen? Ja! - Durch verschiedene Programme zwischen den Menschen und Kultur vermitteln? Ja! - Sich in die Zeitphänomene einschalten? Ja! - Die Jugendlichen zusammenführen und deren Lebensgefühl vertiefen? Ja! - Die Abweichenden stützen? Ja! - Raum für die Urkonservativen schaffen? Ja! - Platz für Äußerungen des Glaubens und des Unglaubens schaffen? Ja!' In der Sicht deutscher Bibliothekare wären dies vielfach völlig ungereimte Zielsetzungen, in der Sicht der Free Public Library waren sie völlig legitim, da sie in Miniatur eine Synthese der pluralistischen Gesellschaft mit all ihren verwirrend vielfältigen Beschäftigungen und Äußerungen darstellen sollten. Erst dadurch, daß die Bibliothek sich an kulturellen und gesellschaftspolitischen Fragen engagiert, die aktuell und dynamisch in ihrem Veranstaltungsprogramm zur Diskussion gestellt werden, erreicht sie eine intensive Kommunikation, die jenes Element einer nicht konformistischen freien Urteilskraft bildet, die sogar Aktivitäten im Sinne von Bürgerinitiativen auslösen kann." (24) Die Amerika-Gedenkbibliothek begriff sich als Abbild einer vielgestalten, der Demokratie verpflichteten Gesellschaft, gefordert waren deshalb Meinungsvielfalt und Auseinandersetzung darüber. In diesem Kontext stand der freie und ungehinderte Informationszugang für alle Benutzer. In der Öffentlichkeit umstritten blieb allerdings längere Zeit der Umgang mit gesondert gekennzeichneten oder magazinierten Beständen, hier sah sich die Bibliothek dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt. Die besondere Kennzeichnung und entsprechend spezielle Benutzungskonditionen für einzelne Bücher wurden bereits vor der Eröffnung der Amerika-Bibliothek in den Referentenbesprechungen diskutiert und beschlossen und so auch seit Bestehen der Bibliothek gehandhabt. Nach einem bestimmten Richtlinienkatalog wurden die betreffenden Bücher klassifiziert und behandelt. In Kurzfassung gestaltete sich die Rasterung wie folgt: Lediglich einen Kleber mit dem Jefferson-Spruch und der Bitte der Bibliothek, sich bei der Lektüre an diesen Leitsatz zu erinnern, erhielten alle Bücher, die unter „kommunistischen

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Bibliotheksarbeit im Umfeld

Elektronische Wegweiseranlage in der AGB, 1975

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Vorzeichen" herausgegeben worden waren. Eine positive Darstellung der Verhältnisse in der Sowjetunion, die aber in der Abhandlung thematisch sachlich blieb, war ein typischer Fall für solch ein mit dem Vermerk der Bibliothek versehenes Buch, das auch nach wie vor in der Freihand zu finden war. Die nächste Stufe war die Magazinierung und ein roter Tesadurklebestreifen, dann folgte der Signaturvermerk Bp oder Be. Hier handelte es sich um Bücher, die als politisch oder erotisch anstößig gewertet wurden. Mit entsprechendem Hinweis des Bibliothekars wurden diese Bücher in die Ausleihe gegeben. Zuletzt gab es noch die mit SM Bp, SM Be und SM Br vermerkten Bücher. Ihr Standort war das Sondermagazin, dorthin kamen beispielsweise besondere Raritäten, nationalsozialistisches Schrifttum aber auch Bände, die vom Bundesverfassungsgericht verboten worden waren oder kommunistische Propagandaliteratur. Mit Zustimmung des Referenten wurden diese Bücher über das Pult dem Benutzer ausgehändigt. Bücher, die den Vermerk SM Br trugen galten als sehr wertvoll und bedurften zur Einsicht der Genehmigung des Direktors. Seitens der Amerika-Gedenkbibliothek sah man sich trotz dieser Kennzeichnungspraxis als liberal und aufgeschlossen, beispielsweise kam unter Tagesordnungspunkt 2 in der Beiratssitzung vom 8. April 1976 folgendes zu Protokoll: „Grundsätzlich sammelt die Bibliothek entsprechend ihrer Aufgabe und ihrer Zielsetzung jegliche Literatur, auch radikales und vom Gesetz verbotenes Schrifttum für wissenschaftliche Zwecke. Grundsätzlich sind auch alle Bestände frei zugänglich. Bei politisch umstrittener Literatur wird jedoch in der Aufstellung differenziert verfahren. Dr. Müller legte die in der Bibliothek angewandten Leitlinien der Aufstellung dar, die sich in erster Linie am Gesetz orientieren, jedoch im Einzelfall auch Stellungnahme und Engagement des Bibliothekars erfordern. Dr. Steinberg betonte, daß jegliche Sekretierung sehr liberal gehandhabt würde, auch mache die politisch umstrittene Literatur nicht einmal 1% des gesamten Politik-Bestandes aus." (28) Auf der Seite der Kritiker aus dem linksliberalen Lager sah man dies anders, vor allem wurde die Auswahl der indizierten Bücher als zu einseitig erachtet, man fürchtete überdies eine Weitergabe der Daten solcher Benutzer, die diese Literatur einsehen wollten, an den Verfassungsschutz. Die Diskussion spitzte sich Mitte 1977 nochmals zu und gelangte in einer Kleinen Anfrage bis ins Berliner Abgeordnetenhaus. Letztlich legten sich die Wogen der Empörung, die auch aus dem damaligen besonderen politischen Klima resultierten. Für die Amerika-Gedenkbibliothek war diese Debatte symptomatisch für ihre Stellungnahme zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Die Bibliothek sollte sich nicht isolieren und abschotten, sondern sich den Themen der Zeit öffnen und hier Kontroversen nicht scheuen. Daß man dabei, wie auch schon Ende der 60er Jahre im Zusammenhang mit den studentischen Protesten, selbst zum Thema wurde, war vielleicht nicht beabsichtigt, bestätigte aber die Amerika-Gedenkbibliothek in ihrem Ansinnen und stärkte ihr Profil als Kommunikationsforum mitten in einer pluralistischen Gesellschaft.

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Rationalisierungen 1978 - 1989

In der Berliner Stadtbibliothek war auch schon in früheren Jahren bibliothekarische Arbeit einerseits am Bedürfnis der Benutzer, vorrangig aber an ihrem gesellschaftlichen Nutzen gemessen worden. Im Vordergrund stand der Dienst an der sozialistischen Gesellschaft, ein individuelles Bedürfnis nach Information und Bildung wurde anerkannt, allerdings unter das Primat eines sozialistischen Werdegangs gestellt. So wurde beispielsweise 1976 in der b e r liner Zeitung" folgender Artikel seitens der Stadtbibliothek zur Veröffentlichung gebracht: „Der Berliner Stadtbibliothek obliegt es wie allen Bibliotheken, Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und andere Informationsträger zu sammeln, bereitszustellen und zu erschließen. Und sie hat auch die Pflicht zur Information, zur Befriedigung vielfältiger und spezieller Anforderungen, für die Bibliothekskataloge allein nicht ausreichen. Es gibt ganz erstaunliche Informationsbedürfnisse: Da wird ein Gedicht gesucht, in dessen fünfter Zeile ein Birnbaum vorkommt (Fontanes ,Herr von Ribbeck' soll es nicht sein), ein Roman um die Inflationszeit in Berlin, in dem zu Beginn ein grüner Pullover eine Rolle spielt (aber nicht von Fallada), da muß unbedingt nach einem weißen Büffel gejagt werden, der die Oma schon vor dem ersten Weltkrieg entzückt hatte. Da werden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Verfassernamen und Titel präsentiert, deren Auffindung hellseherische Fähigkeiten erfordert. Wiederholen sich verzwickte Anfragen in der gleiche Formulierung, handelt es ich mit Sicherheit um ein Preisausschreiben, das besonders Findige auf diesem Wege lösen wollen. So interessant dies alles auch ist, es steht nicht im Mittelpunkt unserer Informationsarbeit, denn Aufwand und gesellschaftlicher Nutzen müssen in vertretbarem Verhältnis zueinander stehen. Bibliothekare sind nicht allwissend - auch wenn sie manchmal so tun - , sie investieren Zeit und Arbeit, auch bei guter Kenntnis der Suchwege, die zum Ziel führen könnten. Zeit und Arbeit aber müssen in erster Linie für die Anforderungen zur Verfügung stehen, die sich aus den gewachsenen Lern- und Bildungsbedürfnissen in der sozialistischen Gesellschaft ergeben." (1) War die Effizienz bibliothekarischer Arbeit im Bibliothekswesen der DDR seit jeher über ihren gesellschaftlichen Auftrag zur Mitgestaltung des Sozialismus definiert, so fanden sich in diesem Kontext seit den 70er Jahren und verstärkt in den 80er Jahren zusätzliche neue Kriterien. Der „sozialistische Wettbewerb" war umfassend propagiert, einzelne Kollektive wetteiferten um Staatstitel und Prämien, aber auch Leistungen von Einzelnen wurden in diesen Wettstreit einbezogen. Mit Slogans wie „Sozialistisch arbeiten, sozialistisch lernen, sozialistisch leben" wurden Abläufe im Arbeitsalltag betitelt. Wiederholt stellten sich auch Abteilungen der Berliner Stadtbibliothek unter dieses Banner und konnten beispielsweise den Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit" erfolgreich verteidigen. Im Vordergrund bibliothekarischer Leistungsbemessung stand dabei der gesellschaftliche Auftrag und Nutzen, letzterer wurde aber in immer stärkerem Umfang von Begriffen wie Leistungs- und Kapazitätskennziffern, Plansoll, Zielstellung oder Niveausteigerung abgeleitet. Diese Begriffe waren zwar nicht unbedingt neu, rückten aber zunehmend an erste Stelle bei der Bewertung bibliothekarischer Arbeit. Als Voraussetzung einer effektiven Bibliotheksarbeit wurden zwar nach wie vor und selbstverständlich bibliothekarische Kom-

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Berliner Stadtbibliothek und

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1 . Die Planaufgabe« der Ì i a t s b i b l l e t ò a k / B e r l l a - B i b l i a t h e k i » J a h r e 1979 w u r d e « b e r e r f t t l l t . D i e Z a h l d e r a k t i v e » L e e e r erhftht« » i c h gegenüber 1978 um 3 , 9 1 die Zahl de* bac a t e t e l i S M « tua 1*5©

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Auszug aus dem Arbeitsbericht der Ratsbibliothek für das Jahr 1979

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Rationalisierungen

petenz und Engagement für die sozialistische Bildung- und Kulturarbeit angenommen, hinzu kam nun aber auch die Frage nach meßbarer Leistung. Ein Forum dieser Art von Wettbewerb war die sogenannte „Neuererbewegung". Vor allem die Jugend sollte von diesem Programm angsprochen werden. Es galt, für den gesamten Produktionsablauf nach progressiveren, funktionelleren, effizienteren und kostengünstigeren Verfahren zu forschen. Diese Ergebnisse wurden sodann auf der ,,Messe der Meister von Morgen" (MMM) vorgestellt und gegebenenfalls prämiert. Die Aktivitäten der „Neuerer" wurden planmäßig angeleitet und erfaßt, spontane Innovationen wurden sofort in den vorgegebenen Rahmen eingebunden und kanalisiert. So war in den Wettbewerbsnachrichten der Berliner Stadtbibliothek von 1985 zu lesen: „In der Gruppe Neuerer- und MMM-Bewegung hatten wir alle Gelegenheit uns auf unserer 1. Angebotsmesse von der diesbezüglichen Tätigkeit unserer Mitarbeiter zu überzeugen. Immerhin waren mehr als 50 Exponate ausgestellt, von denen auch 4 auf Kreismessen und 3 auf der Bezirksmesse zu sehen waren. Leider ist es noch nicht gelungen, diese Neuerertätigkeit stärker auf die Neuerervereinbarungen zu konzentrieren. Diese bieten ja die Möglichkeit, die Spontaneität einzudämmen und die Neuerertätigkeit fest in die Leitungstätigkeit einzubinden. Beginnend mit der Aufgabenfindung und -erteilung, bietet sich hier für die Direktoren ein weites Feld, das unbedingt bestellt werden muß." (2) Für die Neuerertätigkei der kulturellen Einrichtungen und Betriebe Berlins, war die Abteilung Kultur des Magistrats von Berlin zuständig, kulturelle Einrichtungen der Stadtbezirke unterstanden der Verantwortung der Stadtbezirksräte für Kultur. Im Rahmen einer bibliotheksinternen Weiterbildungsmaßnahme für Seminarleiter zum Thema Rationalisierung und Neuererbewegung las sich die Definition der Neuererbewegung folgendermaßen : „Neuererbewegung: Form der schöpferischen Masseninitiative der Werktätigen zur Verwirklichung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. In den Mittelpunkt der Arbeit der Neuerer ist immer mehr die sozialistische Rationalisierung gerückt. Die Neuererbewegung ist Ausdruck des neuen Charakters der Arbeit und Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs. Sie ist ein wichtiger Bildungsfaktor und fördert die Entwicklung der Werktätigen zu sozialistischen Persönlichkeiten. Die Neuererbewegung entwickelt sich in enger Verbindung mit der Gewerkschaft und ist Ausdruck der Verwirklichung der sozialistischen Demokratie. Die ökonomischen Zielstellungen und thematischen Aufgaben der Neuerer sind als Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs bei der Planung zu berücksichtigen." (3) Die Berliner Stadtbibliothek war vor allem durch ihre Beziehung zu den Staatlichen Allgemeinbibliotheken in die Neuererbewegung eingebunden. Sie sollte, gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Bibliothekswesen, eine planmäßige fachlich-methodische Anleitung der Neuerertätigkeit in den bezirklichen Bibliotheken sichern. Das Neuereraktiv bestand aus bevollmächtigten Vertretern aller Staatlichen Allgemeinbibliotheken und wurde von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Berliner Stadtbibliothek geleitet. Die Anleitungstätigkeit der Hauptabteilung sollte sich darauf konzentrieren, durch ein Höchstmaß an funktionaler Einheit einen weiteren Leistungsanstieg in allen Stadtbezirken zu erreichen. Besondere Aufmerksamkeit sollte auf die Nutzung von Reserven, auf die Durchsetzung weiterer Rationalisierungsmaßnahmen und auf die Gewinnung neuer Leser, insbesondere aus der Arbeiterklasse und unter Kindern und Jugendlichen, gelegt werden.

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Berliner

Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

BERLINER

STADTBIBLIOTHEK

Träger des Ordens „Banner der Arbeit"

Ihre Zeichen

ihre Nachricht vom

Unsere Zeichen

Fernruf :

So :R

2142445

DDR —102 Berlin, Breite Straße 32-34

.1982

Zwischen der Berliner Stedtbibliothek und der Staatlichen Lutherhalle in Wittenberg Lutherstsdt wird folgender Vertrag geschlossen : Die Berliner Stadtbibliothek ü b e r U ß t der Staatlichen Lutherhalle leihweise aus dem Bestand ihrer Sondersaramlungen Band 3 des Nachlesses Lubath (Signatur:GKL A 126o/3) . Als Leihfrist wird die Zeit vom2l . Danu^r bis ZUB¿7. Februar 1983 vereinbart. Oer Band wird persönlich von Berlin n;ch Wittenberg Lutherstedt und von Wittenberg Lutherstadt n.ch Berlin transportiert. Der Postweg ist ausgeschlossen. Der Band ist von der Stsatlichen Lutherhalle im Tresor sicher zu verwahren. aus

Die Stattliche Lutherhalle heftet für alle Schäden, die sich Transport und Benutzung des E^ndes ergeben. Der IVert des Bandes wird mit

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Direktor der Berliner Stedtbibliothek

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festgesetzt.

Direktor der Staatlichen Lutherhalle

Betriebsnummer: Q0271075

Telex : 114513

Bank: 6651-28-4278

Postsdiedc: Berlin B135

Leihvertrag zwischen der Berliner Stadtbibliothek und der Staatlichen Lutherhalle in Wittenberg v o m 10.1.1982

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Rationalisierungen

So war im Arbeitsplan 1982 für die Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken beispielsweise zu lesen: „Die Aufgabenstellung des X. Parteitages der SED erfordert eine höhere Wirksamkeit der Bibliotheksarbeit im Interesse der allseitigen Verwirklichung der ökonomischen Strategie. Der komplexe und differenzierte Einsatz der wissenschaftlichen und Fachliteratur, der künstlerischen Gegenwartsliteratur und der literarischen Werke des wissenschaftlichen und geistig-kulturellen Erbes dient der Bereicherung des Kulturniveaus der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Die kommunistische Erziehung und Bildung der heranwachsenden Generation, der Kinder und Jugendlichen, wird weiterhin vorrangig unterstützt. (...) 3. Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Bibliothekstechnologie, Rationalisierung und Neuererbewegung : Die Initiativen in diesem wichtigen Bereich werden durch Bildung eines Neuereraktivs bei der Hauptabteilung, durch stärkere Berücksichtigung im Wettbewerb u.a. leistungsmäßige Aktivitäten planmäßiger gestaltet. 3.1. Auf der Grundlage eines Aufgabenkataloges werden schrittweise Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Bibliothekstechnologie u.a. Arbeitsmethoden durchgeführt." (4) So liefen bei der Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken die Fäden der Neuereraktive aus den bezirklichen Bibliotheken zusammen, die Stadtbibliothek beteiligte sich aber auch mit eigenen Ideen an der Bewegung. Einen wesentlichen und vielbeachteten Beitrag im Rahmen der Neuererbewegung lieferte die Berliner Stadtbibliothek unter anderem durch die eigene Herstellung von marmoriertem Papier für Buchbinderarbeiten. Die Vorschläge der einzelnen Bibliotheken konnten Detailfragen berühren, aber auch komplexere Zusammenhänge zum Gegenstand ihrer Neuerungsaktivität nehmen. In einem auf Mai 1989 datierten Kurzprotokoll der Berliner Stadtbibliothek zur Aufgabenverteilung für eine Ideenbörse für Neuereraufgaben fanden sich beispielsweise folgende Vorschläge zur Bearbeitung für 1990 aufgelistet: (5) - Thematische Bestandsdarbietung als durchgestylte Gesamtlösung für eine Neubaubibliothek (Marzahn) - Thematische Bestandsdarbietung für Tonträger (Marzahn) - Öko-Bibliothek in der Skandinavischen Str. (Lichtenberg) - Hobby- und Freizeitbibliothek Roederplatz (Lichtenberg) - Neugestaltung der Verbuchung für Filmstreifen (Hohenschönhausen) - Veränderung der Thekensituation in der Anna-Seghers-Bibliothek (Hohenschönhausen) - Eine neue Technologie der ZE wurde in Marzahn erarbeitet und befindet sich in der Erprobung - Leitfaden für Pfändungen (Treptow) - Studie zur optimalen Gestaltung eines Bibliotheksnetzes (Berliner Stadtbibliothek) - Studie zur Beschleunigung des Geschäftsganges unter besonderer Berücksichtigung der ausleihfertigen Bearbeitung (Berliner Stadtbibliothek) - Möglichkeiten der Herstellung von Druckformen für Kleinoffsetdruckmaschinen (Berliner Stadtbibliothek) - Möglichkeiten des Einbandschutzes ohne Verwendung von Folie, Lack oder Latex (Berliner Stadtbibliothek) - Beschaffung oder Herstellung von Rückensignaturschildern, unproblematisch und jederzeit (Berliner Stadtbibliothek) - Möglichkeiten der Vorauswahl aus einem Magazinbestand (Berliner Stadtbibliothek)

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Dr. Heinz Werner, nahezu vierzig Jahre lang Direktor der Berliner Stadtbibliothek, im Jahre 1988

Die Neuererbewegung, wenngleich in Struktur, Zielstellungen und deren Realisierung exemplarisch für den Charakter des sozialistischen Wettbewerbs, war allerdings nur ein Teil des allgemeinen Rationalisierungsprogramms. Möglichkeiten wurden hier ebenso auf anderen Gebieten gesucht, so war beispielsweise ein weiteres Ergebnis im Zusammenhang mit der Durchsetzung rationellerer Arbeitsabläufe die Einrichtung einer Berliner Zentralkatalogisierungsstelle in der Berliner Stadtbibliothek. Allerdings schien diese Initiative zunächst nicht auf die nötige Resonanz zu stoßen, aus den Wettbewerbsnachrichten für 1985 der Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken konnte man in diesem Zusammenhang kritische Vermerke herauslesen: „Konsequente Durchsetzung von Rationalisierung und Zentralisierung zur effektiveren Gestaltung des Leistungsangebotes heißt eine weitere Forderung. In diese Kategorie gehört auch die Schaffung der Berliner Zentralkatalogisierungsstelle, für die noch große Schwierigkeiten überwunden werden müssen. Etwas mehr Einsicht und Entgegenkommen hätten hier bereits vor Monaten positive Ergebnisse zeitigen können. Wird doch mit dieser bibliotheksspezifischen territorialen Rationalisierungsmaßnahme eine prinzipiell neue Etappe der Gemeinschaftsarbeit der Berliner Bibliotheken eingeleitet. (...)" (6) Trotz dieser anfänglichen Startschwierigkeiten scheint letztlich ein zufriedenstellendes Ergebnis zustande gekommen zu sein, so wurde Ende 1987 seitens der Stadtbibliothek resümiert: „Unter den noch anhaltenden schwierigen Startbedingungen hat diese neue Einrichtung der Berliner Stadtbibliothek ihre Arbeit aufgenommen. Als bibliotheksspezifische Form territorialer Rationalisierung wird sie bei voller Leistungsfähigkeit allen Berliner Staatlichen

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Rationalisierungen

Lesesaal - Impressionen aus der Berliner Stadtbibliothek 1988

Allgemeinbibliotheken und darüber hinaus den entsprechenden Bibliotheken in den Bezirken der DDR organisationsaufwendige Parallelarbeit ersparen. Als zunächst provisorische Dienstleistung wurden seit 1.4.1987 wöchentlich Informationslisten mit Titelaufnahmen erarbeitet und nach einem Verteilerschlüssel bis zu den Bezirksbibliotheken der DDR zur Verfügung gestellt. Zwischen April und Dezember 1987 wurden 2 019 Titel bearbeitet." (7) Rationalisierung bedeutete aber nicht allein die Suche nach effektiveren Arbeitszusammenhängen, ebenfalls angesprochen war damit auch der Bereich der technischen Innovation. Bereits in den 70er Jahren war in einem bibliotheksbezogenen Weiterbildungspapier zu lesen: „Sozialistische Rationalisierung: Gesamtheit von Maßnahmen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, die Arbeit wesentlich zu erhöhen. Sie umfaßt die Modernisierung der vorhandenen Technik, die Mechanisierung, die Teilautomatisierung ausgewählter volkswirtschaftlicher bedeutsamer Vorhaben. Sie beinhaltet die konkreten Aufgaben, Mittel und Methoden der planmäßigen Weiterentwicklung und der Erhöhung der Effektivität der sozialistischen Produktion. Ausgehend vom Gesetz der Ökonomie der Zeit sollen mit relativ geringem Aufwand hohe ökonomische Ergebnisse erreicht werden, die der kontinuierlichen Verbesserung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Menschen dienen. (...)" (8) Für die Berliner Stadtbibliothek lasen sich die konkreteren Zielstellungen in diesem Zusammenhang wie folgt: „Wesentliche Schwerpunkte für die weitere Arbeit der Berliner Stadtbibliothek lassen sich ableiten aus den auf der 4. Berliner Konferenz der Bestarbeiter am 20.9.79 gestellten

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Aufgaben sowie den Zielvorstellungen der 11. Tagung des ZK der SED, die darauf gerichtet sind, eine wirksamere Stufe der Rationalisierung in der Volkswirtschaft zu erreichen. Sowohl im Bestandsaufbau als auch in der Bestandserschließung und in der Bestandsvermittlung ergeben sich dafür Möglichkeiten. Das betrifft vor allem die Unterstützung der beschleunigten Anwendung und Entwicklung der Mikroelektronik und der elektronischen Steuerung, gleichermaßen wie der Entwicklung, Produktion und Anwendung von Industrierobotern und des Einsatzes moderner Rechentechnik für die Rationalisierung der informationsverarbeitenden Prozesse sowie für eine effektivere Organisation der Produktion." (9) Demzufolge wurde auf den Ausbau und die Modernisierung des technischen Standards kontinuierlich geachtet, auch wenn die tatsächliche Entwicklung - gemessen an den gesetzten Erwartungen - nur sehr zögerlich verlief. Immerhin scheint aber Ende der 80er Jahre der Durchbruch in der elektronischen Datenverarbeitung nahegestanden zu sein: Im Bericht der Berliner Stadtbibliothek über die Arbeitsergebnisse von 1987 wurde vermerkt: „Ebenfalls auf der Grundlage einer neuen Planstelle konnte im Interesse des notwendigen Bildungsvorlaufs zur künftigen Anwendung der EDV ein erster Lehrgang für leitende Mitarbeiter der StBB und der HA organisiert werden." (10) Das Profil der Berliner Stadtbibliothek zum Ende der 80er Jahre besaß klare Konturen. Die Standortbestimmung innerhalb der Bibliothekslandschaft der DDR war eindeutig, die Leistungs- und Kapazitätskennziffern lagen zum großen Teil über dem erwarteten Soll, die kooperativen Verflechtungen zu anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen waren institutionalisiert und erprobt und die Benutzerzufriedenheit war nach wie vor hoch. Zum Selbstverständnis der Berliner Stadtbibliothek gehörte in erster Linie die Bereitstellung von Literatur für die berufliche Aus- und Weiterbildung und zu gewissen Teilen auch für das wissenschaftliche Studium. Im Freihandbereich fand sich zusätzlich Literatur für den Unterhaltungsbedarf. In dieser getrennten Präsentation zeigte die Berliner Stadtbibliothek Charakterzüge einer Einheitsbibliothek. Darüberhinaus nahm die Stadtbibliothek Einfluß auf die bezirklichen Bibliotheken und fungierte zudem durch ihre Ausstellungs-, Vortrags- und Ausstellungsangebote und die unterschiedlichen Diskussionsforen als vielfältiges geistig-kulturelles Zentrum. Zum Aufgabenbereich der Berliner Stadtbibliothek gehörte zusätzlich die Archivierung und Pflege der historischen Bestände. Im Vordergrund im Umgang mit diesen Sammlungen wurde dabei ein Interesse an der Geschichte der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstandes formuliert, „Pflege des progressiven Erbes" und „Festigung des sozialistischen Geschichtsbewußtseins" waren dabei gerne zitierte Schlagworte. Gleichwohl waren in den Räumen der Stadtbibliothek nach wie vor die alten Sammlungsbestände aus der Gründungsphase der Stadtbibliothek und den folgenden Ankäufen der vergangenen Jahre. Die meisten Titel davon waren im Rahmen des Sammelschwerpunktes der Berliner Stadtbibliothek zu archivieren und zu betreuen. In den Erwerbungsgrundsätzen der Berliner Stadtbibliothek war eine klare Abgrenzung zum kapitalistischen Ausland festgelegt. Einschnitte gab es allerdings vor allem im Bereich ihres Sammelschwerpunktes „Berlin-Literatur", hier wurden auch Titel nicht-sozialistischer Provenienz erworben. Nicht immer ging Heinz Werner dabei den eigentlich vorgesehenen Weg, manchen Titel konnte er nur unter Umgehung von Vorschriften und mit List erwerben. So erinnerte er sich rückblickend: „Es war ja fast kriminell, wie wir mit der Senatsbibliothek, die wir einfach .Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins' nannten, getauscht haben." (11)

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Rationalisierungen

9. bis 29. 1984CZ BeRUneRI StadtBibli Veranstaltungsplakat der Berliner Stadtbibliothek von 1984

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Die offizielle Lesart der Erwerbungsgrundsätze, auch für Literatur aus den nicht-sozialistischen Ländern, lautete: „Die Berliner Stadtbibliothek unterstützt die Entwicklung allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten durch Bereitstellung von Literatur für die berufliche Ausbildung und für die ständige Weiterbildung der Werktätigen sowie zur Befriedigung ästhetischer und kultureller Bedürfnisse. Die Berliner Stadtbibliothek leistet mit ihren spezifischen Mitteln einen Beitrag zur Pflege und Vermittlung des humanistischen und kulturellen Erbes und zur Auseinandersetzung mit der imperialistischen Ideologie. Als Bestandszentrum des territorialen Bibliothekswesens der Hauptstadt der DDR trägt die Berliner Stadtbibliothek durch die Vermittlung von Literatur und anderen bibliothekarischen Leistungen zur immer besseren Wahrnehmung der Hauptstadt-Funktion durch die Berliner Organe, Betriebe und Einrichtungen bei. Spezielle Aufgaben sind hierbei ihren Fachbibliotheken (...) übertragen. Die Erweiterung des zur Erfüllung der Funktion der Berliner Stadtbibliothek notwendigen Bestandes erfolgt nach den Grundsätzen der sozialistischen Wissenschafts-, Bildungs- und Kulturpolitik. Die Bestandserweiterung erstreckt sich in Abstimmung mit der Deutschen Staatsbibliothek und der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin auf Literatur aus allen Wissensgebieten (Bücher, Broschüren, Zeitschriften, Zeitungen sowie audiovisuelle u.a. Informationsträger). Es wird erworben a) die einschlägige DDR-Literatur vollständig b) Literatur aus dem sozialistischen Ausland entsprechend der Festlegung in den Kooperationsvereinbarungen c) Literatur aus nicht sozialistischen Ländern in funktionsbedingter, strenger Auswahl, insbesondere - Literatur über neueste Ergebnisse aus Wissenschaft und Technik und aus anderen Gebieten, die der Erfüllung der Volkswirtschaftspläne der DDR dienen. - Literatur zur kritischen Auseinandersetzung mit imperialistischen Ideologien und wichtigen historischen Erscheinungen; - Berlin-Literatur im Rahmen der Aufgabenstellung von § 5 Abs. 3 der Bibliotheksverordnung." (12) Nicht jeder von der Berliner Stadtbibliothek erworbene Titel konnte vom Benutzer ungehindert entliehen oder eingesehen werden. So waren die als Archivexemplare gekennzeichneten Bände nur im Lesesaal benutzbar, besonders kostbare und unersetzliche Werke konnten selbst im Lesesaal nur mit spezieller Genehmigung durch den aufsichtsführenden Fachreferenten eingesehen werden. Inhaltlich bedenkliche Titel wurden mit einem roten Punkt signiert und waren nur bedingt zugänglich, vor allem Schüler und Lehrlinge unterlagen eingeschränkten Benutzungsbedingungen. In der Anweisung zur Durchführung der Benutzungsordnung der Berliner Stadtbibliothek vom Juli 1982 war darüber zu lesen: „Entsprechend § 6,2 der Benutzungsordnung stehen Bücher, deren uneingeschränkte Verbreitung nicht im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts und der sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung liegt, nur für wissenschaftliche und berufliche Zwecke zur Verfügung. Berufliche oder wissenschaftliche Zwecke können auch als vorliegend angenommen werden, wenn unter Berücksichtigung der Art der Literatur und der Persönlichkeit des Lesers

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Rationalisierungen

ein gesellschaftliches Interesse erkennbar ist. Von der Vorlage einer schriftlichen Befürwortung kann abgesehen werden, wenn der berufliche Zweck auf andere Weise hinreichend nachgewiesen wird. Die Genehmigung zur Benutzung erteilt der aufsichtführende Fachreferent. (...) Literatur, die in kapitalistischen Ländern erschienen ist, steht Schülern und Lehrlingen nicht zur Ausleihe zur Verfügung, Vorausgesetzt, daß keine inhaltliche Benutzungsbeschränkungen vorliegen, können diese Publikationen im Lesesaal eingesehen werden, bei gesellschaftswissenschaftlicher Literatur jedoch nur, wenn der Verwendungszweck durch Vorlage einer Bescheinigung des Auftraggebers (z.B. Schule) nachgewiesen wird." (13) Neben diesen sekretierten Beständen gab es Titel, die mit zwei roten Punkten versehen waren und deren Bedenklichkeit noch über die obigen Ausleihbeschränkungen hinausging. Hier wurden noch engere Benutzungsbeschränkungen angesetzt. Der Auftraggeber mußte die gewünschte Benutzung schriftlich und in Auflistung jedes einzelnen Titels bestätigen. Die Bereitstellung der Titel erfolgte nur für den Lesesaal und nach Genehmigung des aufsichtführenden Fachreferenten. Doch scheinen die Bestimmungen nicht immer sehr eng und bürokratisch gehandhabt worden zu sein. Hier zeigte das Profil der Berliner Stadtbibliothek Schattierungen und Grübchen. Zumindest mancher kam, folgt man Zeitzeugenberichten, in den Genuß einer großzügigen Interpretation im Umgang mit vorgeblich subversiven Titeln. Für einige Benutzer hatte die Berliner Stadtbibliothek deshalb den Flair einer andernorts so nicht ausgeprägten geistigkulturellen Ungezwungenheit. So resümiert der Schriftsteller Rolf Schneider über diese besondere Atmosphäre in der Stadtbibliothek und erinnert sich auch an eigene diesbezügliche Erlebnisse: „Verpflichtet auf die rigiden Bestimmungen der SED-Buchpolitik und eingeengt durch die mageren Devisenzuteilungen der DDR-Administration, mußten sie viel List und Imagination aufbringen, um den Bestand ihrer Bücherei auf der Höhe des Zeitgeistes zu halten und den Wünschen ihres Publikums einigermaßen entgegenzukommen. Heinz Werner (...) hat dies mit einer manchmal geradezu beängstigenden Virtuosität getan. Durch beharrliches Schnorren bei westdeutschen Partnern und einem regen Tauschbetrieb konnte er den neben der Ost-Berliner Staatsbibliothek und der Deutschen Bücherei in Leipzig größten Bestand an nichtsozialistischem Schrifttum im Lande akkumulieren, und es gab keine Bücherei in der gesamten DDR, wo der Zugang großzügiger gehandhabt wurde. Dies sprach sich herum. Es bescherte dem Haus ein eigenes dankbares Publikum und ein besonderes Klima. (...) Zum Dienstpersonal des Hauses gehörten vielfach die Angehörigen politisch einst unliebsamer Personen, die anderswo keine berufliche Bleibe fanden. Die Namen lesen sich wie ein Vademecum des dissidenten Geistes in der DDR. Man konnte auch erleben, daß Pförtner oder anderes Aufsichtspersonal sichtbar und ungeniert Bücher von Adorno oder Bettelheim konsumierten: Autoren, die in anderen Einrichtungen streng indiziert wurden. In der Berliner Stadtbibliothek herrschte das Klima einer geistigen Liberalität, die es anderswo in der DDR nicht gab (...). Ich selbst (...) hatte mit dem Jahre 1979 die Gelegenheit zu öffentlichen Auftritten in der DDR weitgehend verwirkt. Ausnahmen waren Veranstaltungen, die ich in Räumen der evangelischen Kirche hatte, sowie zwei Lesungen in der Berliner Stadtbibliothek. Bei der zweiten, im Spätsommer 1988, nahm der Direktor die Einführung persönlich vor. Sie wird mir unvergeßlich bleiben. Er sagte: ,Ich stimme mit Schneider nicht in allen Dingen über-

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Lesesaal - Impressionen aus der Berliner Stadtbibliothek, 1988

ein. Er meint, Domingo sei ein besserer Tenor als Pavarotti, ich halte es umgekehrt. Sonst haben wir keine Differenzen.' Das Publikum hielt ein wenig den Atem an. Hernach las ich einen Text über politische Intrigen einer Staatsmacht und über die Verfolgung von Dichtkunst durch die Zensur." (14) Eine aufsehenerregende, von offizieller Seite initiierte Präsentation bundesdeutscher Literatur wurde Ende der 80er Jahre in der Berliner Stadtbibliothek geboten. Die Ausstellung, gezeigt vom 20. bis zum 30. Oktober 1988, führte noch durch drei weitere Städte der DDR, sie war im Rahmen des Kulturabkommens zwischen beiden Staaten zustande gekommen und vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig im Zusammenwirken mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt/Main veranstaltet worden. Im Gegenzug war für 1989 eine Ausstellung über Bücher aus der DDR in der Bundesrepublik geplant. Zur Eröffnung sprachen die jeweiligen Vorsteher der beiden Börsenvereine sowie der damalige Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR Dr. Hans Otto Bräutigam. Die Ausstellung zeigte 3 000 Titel von 413 Verlagen, ausgewählt aus 430 000 lieferbaren Büchern, und sollte einen repräsentativen Querschnitt bundesdeutscher Literatur sichtbar machen. Parallel zur Ausstellung standen Lesungen bundesdeutscher Autoren auf dem Programm. Die Ausstellung war ein riesiger Erfolg - tagelang standen die Menschen vor der Berliner Stadtbibliothek Schlange. Die Berliner Stadtbibliothek präsentierte sich zum Ende der 80er Jahre in einem festen institutionellen Umfeld und mit einem eindeutigen gesellschaftlichen Auftrag. Die Festigung

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Rationalisierungen

Schlangen vor der Berliner Stadtbibliothek anläßlich der Ausstellung über bundesdeutsche Literatur, 1989

der sozialistischen Persönlichkeit und die geistig-kulturelle Bildung des sozialistischen Menschen waren die monoton formulierten Vorgaben. Innerhalb dieses festgefügten Rahmens erlaubte sich die Berliner Stadtbibliothek auch den Blick nach außen, was der Bibliothek ein besonderes, von vielen als positiv empfundenes, geistiges Klima verschaffte. Ihre Doppelfunktion als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek und als Leitstelle für die bezirklichen Bibliotheken Berlins, ihre Kooperation mit gewerkschaftlichen Bibliotheken, dazu ihre Informationstätigkeit auch über Berlins Grenzen hinaus und ihre Aufgaben als geistig-kulturelles Zentrum verschafften ihr einen exemplarischen Status und eine beachtenswerte Resonanz; auch auf internationalem Parkett bewegte sich die Berliner Stadtbibliothek als angesehene und anerkannte bibliothekarische Einrichtung. Gleichwohl war gegen Ende der 80er Jahre ein Stillstand eingetreten, da mögliche Weiterentwicklungen nur noch in einer zahlenmäßigen Steigerung und Effektivierung der Arbeitsabläufe gesucht und gesehen wurden. Die Entwicklung der Amerika-Gedenkbibliothek seit den späten 70er Jahren bis 1989 war eine andere, nicht nur weil die gesellschaftlichen Verhältnisse anders gewichtet waren. Zunächst wechselte, mit dem Ausscheiden Von Dr. Heinz Steinberg aus dem Amt, die Leitung der Amerika-Gedenkbibliothek. Die Amtseinführung und Ernennung des Nachfolgers datierte auf den 1. September 1978. Mit dem neuen Leiter, Peter K.Liebenow, begann in der Amerika-Gedenkbibliothek ebenfalls eine Ära der Rationalisierungen, die allerdings einen anderen Wirkungsgrad als die Rationalisierungsmaßnahmen in der Berliner Stadtbibliothek besaßen.

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Berliner Stadtbibliothek und

Amerika-Gedenkbibliothek

Zum einen bedeutete Rationalisierung auch hier technische Evolution: Der Anschluß an die neuen Medien mit ihren Möglichkeiten und die Einführung elektronischer Datenverarbeitung wurde massiv vorangetrieben. Schon seit längerer Zeit beteiligte sich die Amerika-Gedenkbibliothek an einer Zeitschriften-Datenbank, der nächste Schritt in der elektronischen Datenverarbeitung war die Umstellung der Ausleihverbuchung. 1979 war die Einführung von EDV in der Ausleihverbuchung bereits in Diskussion, vorbereitende Untersuchungen waren in Gang gesetzt und Firmenangebote eingeholt worden, Detailplanungen sollten eine eventuelle Umstellung des Ausleihverfahrens von Photoverbuchung auf Verbuchung mit Hilfe der Datenverarbeitung für 1980 vorbereiten. Ebenfalls 1979 waren für den Etat 1980 vier Stellen für die Einführung der Datenverarbeitung bewilligt worden, die allerdings vorerst noch mit einem Sperrvermerk versehen waren. Zudem war 1 Million DM für die Umstellung der Ausleihverbuchung bewilligt worden, ungeachtet dessen, daß noch keine Entscheidung vorlag, welche Firma beauftragt werden sollte. (15) Ein Pflichtenheft zur elektronischen Ausleihverbuchung, das den Ist-Zustand detailliert zusammenfaßte, lag seit Mai 1980 vor, die Beschreibung des Soll-Zustandes war für demnächst in Aussicht gestellt. (16) Diese hoffnungsfrohen Töne verklangen im darauffolgenden Jahr. Zwar wurde am 22.10.1981 der Amerika-Gedenkbibliothek als erster deutscher Bibliothek von der Deutschen Bundespost ein Bildschirmtext-Gerät zur öffentlichen Nutzung übergeben. Im gleichen Jahr wurde aber die in Aussicht gestellte elektronische Datenverarbeitung bei der Ausleihverbuchung aus Etatgründen vorerst abgebrochen. 1983 scheint der finanzielle Spielraum wieder größer geworden zu sein. Am 27.5.1983 wurde im Amtsblatt für Berlin Nr. 27 ein EDV-gestütztes Ausleihverbuchungssystem ausgeschrieben. (17) Ein Jahr später konnte die EDV-Umstellung endlich realisiert werden. Im jährlich veröffentlichten Arbeitsbericht nahm die Amerika-Gedenkbibliothek dazu Stellung: „Von großer Bedeutung war die Besetzung der Stelle des Leiters der Datenverarbeitung zum 1. Januar 1984. Glücklicherweise konnte dafür ein seit langem im Hause tätiger Bibliothekar mit guten Kenntnissen in der Datenverarbeitung gewonnen werden. Ohne die Detailkenntnisse über das Haus wären viele der Überlegungen zur Umstellung und die Umstellung selbst nicht so reibungslos zu bewältigen gewesen. Im April 1984 wurde das Vorsystem von der Firma installiert. Ab 1. Juni wurden durch ABM-Kräfte Bücher mit Etiketten ausgestattet und es wurden Grunddaten erfaßt. Im Einzelnen sind dies Buchnummern, Signatur des Buches, Standort (Lesesaal, Freihand, Magazin etc.), ISBN, Erscheinungsjahr, eventuelle Ausleihbeschränkungen, eventuelle Eintragungen über wertvolle Bücher. Bis zum 31.12.1984 konnten gut 120 000 Bände erfaßt werden. Teilweise waren bis zu 10 ABM-Kräfte beschäftigt." (18) Das Hauptsystem wurde sodann Anfang 1985 geliefert. Am 1.4.1985 wurde die Ausleihverbuchung in der Jugendbibliothek, am 1.7.1985 wurde die gesamte Ausleihverbuchung umgestellt. (19) Rationalisierung bedeutete allerdings auch Etatkürzungen, damit verbunden Einsparungszwänge und Stellenabbau. 1979 feierte die Bibliothek ihr 25jähriges Jubiläum, der Blick in die Zukunft zeigte einerseits realisierbare Perspekiven, so beispielsweise im Bereich der neuen Medien, andererseits sah man sich mit chronischem Platzmangel, akuter Finanzknappheit und besorgniserregenden Personalengpässen konfrontiert.

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Rationalisierungen

Trotzdem suchten die Mitarbeiter der Bibliothek weiterhin nach immer neuen Möglichkeiten der Informationsvermittlung, Dienstleistungen wurden, oftmals unter hohem persönlichem Engagement, optimiert und ausgebaut. Beispielhaft dafür stehen die „Info-Mappen", die seit 1976 geführt wurden und aktuelle Überblicke zu Tagesthemen, zu denen noch keine oder nicht ausreichend Bücher existierten, bieten sollten. Waren einschlägige Bücher zum Thema vorhanden, so wurden sie den Infomappen zugeordnet. Als Materialien wurden für die Infomappen aufbereitet: Kopien von aktuellen Zeitschriften und Zeitungen, Gesetzesblätter usw., aktuelle Info-Blätter und kleine Broschüren wichtiger Institutionen, Kopien aus dem Munzinger Archiv, der Staatsbürgerlichen Arbeitsmappe und aus ähnlichen aktuellen Dokumentationen und bibliographische Hinweise auf weiterführende Literatur, sofern diese nicht fotokopiert werden konnte. Bei den Infomappen bemühte man sich um Aktualität, Gegenwartsbezug und gesellschaftliche Relevanz, bei nachlassendem Interesse wurden Mappen wieder aussortiert und durch neue ergänzt. Einen Überblick über die Themen Vielfalt ergibt sich beispielhaft für das Jahr 1980 aus folgender hausinterner Liste der Amerika-Gedenkbibliothek: (20) , A Im Angebot: 1. Datenschutz. Anfang 1979. 1 Ordner 2. Kurdistan. Anfang 1979. 1 Ordner 3. Jugendarbeitslosigkeit. Herbst 1979. 1 Ordner 4. Berliner Luft. Anfang 1980. 3 Ordner 5. Verkehrspolitik für wen?. Anfang 1980. 1 Ordner 6. Berliner Verkehrsprobleme. Anfang 1980. 1 Ordner 7. Sowjeteinmarsch in Afghanistan. Anfang 1980. 1 Ordner 8. Drogensucht. Anfang 1980. 3 Ordner 9. Kernkraftwerke. Mitte 1980. 3 Ordner 10. Weißer Kreis in Berlin? Mitte 1980. 1 Ordner 11. Umwelt-Chemie (Umweltgefährdung durch chemische Schadstoffe). Oktober 1980. 4 Ordner Β Nicht mehr im Angebot: 1. Berliner Energieversorgung. Juni 1976. 4 Ordner 2. Libanon-Konflikt. Oktober 1976. 1 Ordner 3. Numerus clausus. November 1976. 1 Ordner 4. Bafög. Dezember 1976. 1 Ordner 5. Krisenherd Südafrika. September 1977. 1 Ordner 6. Antidiskriminierungsgesetz. Ende 1978. 1 Ordner" Diese Initiativen seitens der Bibliotheksbelegschaft um Qualitätssicherung und Aktualität wurden allerdings zunehmend von der Diskussion um Etatfragen überschattet. Eine Problemlösung war 1980 für kurze Zeit in Sicht: der Erwerbungsetat wurde erstmals sinnvoll aufgestockt, vom Bezirksamt Kreuzberg waren vorübergehend Räume für ein Ausweichmagazin zur Verfügung gestellt worden und langfristig wurde ein Erweiterungsanbau in Aussicht gestellt. 1980 sollte die öffentliche Ausschreibung erfolgen, die Höhe der ersten Baurate wurde festgelegt und das Projekt perspektivisch in die Internationale Bauausstellung 1984 integriert. (21) Doch schon die folgenden Jahre zeigten wieder die gleichen negativen Meldungen über unzureichende und schleppende Stellenneubesetzung, über Staus bei der Buchein-

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Berliner Stadtbibliothek

und

Amerika-Gedenkbibliothek

Dr. Liebenow, Direktor der AGB von 1978 bis 1988

arbeitung, über festgefrorene oder gekürzte Etatmittel und nach wie vor über akuten Platzbedarf. Das 800 qm umfassende Außenlager in der Köpenicker Straße diente als Übergangslösung, bis die Raumfrage zufriedenstellend gelöst sein würde. Zunächst wurden dorthin ältere Zeitschriftenjahrgänge verlagert. Die ersten Auslagerungen begannen im Herbst 1979. Die praktische Handhabung zweier getrennter Magazine war umständlich und ergab immer wieder neuen Diskussionsstoff. So kam beispielsweise auf der Referentensitzung vom 30. Juli 1981 folgendes vorläufiges Ergebnis zu Protokoll: „Durch das Referat II Β wurde berichtet, daß bis zur Zeit 35 000 Bände in das Außenmagazin Köpenicker Str. ausgelagert wurden. Es handelt sich hierbei um Zeitschriften bis Jahrgang 1965. Weitere Auslagerungen aus dem Magazin wurden im Einvernehmen mit III F 3 aus dem Bereich der Jugendliteratur vorgesehen. Sofern diese Bände von Lesern angefordert werden, werden sie nicht mehr in das Außenmagazin zurücktransportiert. Die Rückholung von Bänden aus dem Außenmagazin findet zur Zeit dienstags und freitags in der Zeit zwischen 8.00 und 9.00 Uhr statt und belastet neben dem Leihverkehrswagen zwei Bibliotheksangestellte jeweils eine Stunde. Die durchschnittliche Menge der zurückzuholenden Bände liegt bei ca. 40. (...) Eine allgemeine Diskussion ergab, daß keine negative Reaktion der Leser festzustellen ist." (22) Doch trotzdem sich Bibliotheksmitarbeiter und Benutzer auf einen modus agendi einigen konnten, war die Konstruktion eines ausgelagerten Magazins auf Dauer nicht tragbar, zudem erschöpften sich die Kapazitäten des Außenlagers immer mehr. Im Januar 1988 war die Aufnahmemöglichkeit der Köpenicker Straße endgültig an ihrem Ende angelangt.

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Rationalisierungen

Arbeitsplatz Bibliothek: Signierstelle in der Amerika-Gedenkbibliothek, 70er Jahre

Eine Alternative sah man vorerst nur in der Suche nach einer weiteren ausgelagerten Unterbringung eines Teils der Bestände, im Dezember 1987 wurde im AGB-Infoblatt gemeldet: „Nach den derzeitigen Plänen wird angestrebt, das neue Ausweichmagazin der Bibliothek am Leuschner Damm im Januar bezugsfertig zu machen. Da wir auf das bisherige Magazin Köpenicker Straße leider nicht verzichten können, wird die Bibliothek also bis auf Weiteres mit 2 Ausweichmagazinen leben müssen. Die bereits ausgelagerten und die noch auszulagernden Bestände werden fächerweise und in streng systematischer Ordnung auf die 2 Magazine verteilt, d.h. ein Teil des ,Kö'-Bestandes wird zum Leuschner Damm umziehen müssen. Die Direktion wird sich um zusätzliche Kapazität zur Aufrechterhaltung des jetztigen Rythmus bei dem Heraussuchen und Zurückstellen von AußenmagazinBeständen bemühen." (23) In Anbetracht dieser Provisorien war der geplante Erweiterungsbau für die AmerikaGedenkbibliothek ein sehr dringliches Anliegen, da nicht nur die Magazinräume sondern auch der Freihandbereich von Platznöten betroffen war. Eine Makulierung veralteter Buchbestände war ebenfalls nur beschränkt als Lösung möglich, da sich die Bibliothek dem Anspruch einer optimal sortierten Public Library verpflichtet fühlte. (24) Trotz der bereits in den 70er Jahren erklärten Absicht, die Amerika-Gedenkbibliothek um einen Anbau zu erweitern, waren bis 1983 in dieser Hinsicht keine weiteren konkreten Schritte unternommen worden, erst zu diesem Zeitpunkt wurde ein städtebauliches Gutachten in Auftrag gegeben, das eine Neuordnung des Blücherplatzes unter besonderer Berücksichtigung des Erweiterungsbaues vorsah. Da man dem Architekt aus den 50er Jahren,

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Berliner Stadtbibliothek und

Amerika-Gedenkbibliothek

AMER I K A - 6 E D E N K B I B L I O T H E K BERLINER ZENTRALBIBLIOTHEK UND DER SENATOR FÜR GESUNDHEIT UND UMWELTSCHUTZ

"LEGALE UNO ILLEGALE DROGEN - GEFÄHRDUNG FÜR JUGENDLICHE?" «S«8aWSra>B*CSXKSBSS>SaBSSB>SSSSSSSSCXS3

D Ί S K U S S

I O N S V E R A N S T A L T U N G

am D i e n s t a g , dem 27. November 1979, 19-30 Uhr

I n der

A M E R I K A - G E D E N K B I B L I O T H E K , Blücherplatz, 1000 B e r l i n 61 TE I L N E H H E R : E m s t H e r h a u s , S c h r i f t s t e l l e r , F r a n k f u r t am Main W o l f g a n g H e c k m a n n , D r o g e n b e a u f t r a g t e r des Landes B e r l i n D r . R e g i n e L o c k o t , D i p l . P s y c h . , f r ü h e r D r o g e n s t a t i o n Havelhöhe D r . A n t o n i o S p i 1 i m b e r g o , Humboldt-Krankenhaus, Wiesengrund und V e r t r e t e r von SYNANON INTERNATIONAL und ARBEÌTSGEMEINSCHAFT DROGENPROBLEME e . V . Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung ,Legale und Illegale Drogen' in der Amerika-Gedenkbibliothek, 1979

Bornemann, ein gewisses „Urheberrecht" am architektonischen Gestaltungskonzept zugestand, wurde er zunächst mit den Voruntersuchungen, später dann auch mit der Planung des Erweiterungsbaus beauftragt. Sein Entwurf erfuhr jedoch nicht die nötige Zustimmung, auch seitens der bibliothekarischen Fachwelt wurde dessen Schlüssigkeit und Tragfähigkeit angezweifelt. Inzwischen waren in den Räumlichkeiten der Amerika-Gedenkbibliothek Neuordnungen der Bücheraufstellungen vorgenommen worden. Das Vortrags- und Veranstaltungsprogramm, „seit der Gründung ein konstituiver Bestandteil der Bibliotheksarbeit" (25), wurde aufgegeben. Die Abteilung „Allgemeines Wissen/Romane" erhielt ihr neues Domizil im umgebauten Auditorium. Die Anbauplanung war derweilen ins Stocken geraten. Bornemanns Entwurf wurde vom damaligen Senator für Kulturelle Angelegenheiten abgelehnt, es folgte eine breite öffentliche Diskussion und schließlich eine allgemeine Wettbewerbsausschreibung im Sommer 1988, in deren Folge drei der eingereichten Entwürfe im November desselben Jahres prämiert wurden. Diese Diskussion um das Projekt des Erweiterungsbaus, die vor allem in den nun folgenden Monaten vehement einsetzte und die sich bis 1989 hinzog, hatte neben städtebaulichen, architektonischen und immer wieder finanziellen Fragestellungen auch das Selbstverständnis der Bibliothek zum Thema. Hinterfragt wurde ihr aktueller und zukünftiger Stellenwert innerhalb des Berliner Bibliotheksnetzes. Einen wichtigen Schritt in dieser Planungsphase

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Rationalisierungen hatte man 1987 mit einem Expertenkolloquium zu diesem Thema erreicht, das folgende Ergebnisse zeigte: „Unter dem Vorsitz Dr. Kurt Kreusers wurde kontrovers über die landesbibliothekarischen Funktionen der A G B , über ihre zentralbibliothekarischen Funktionen und über künftige Aufgabenstellungen dieser Public Library diskutiert. Der an diesem Kolloquium beteiligte Direktor der Rotterdamer Gemeente Bibliothek, Piet Schoots, und der britische Architekt Harry Faulkner-Brown (...) wurden vom Senat für Berlin beauftragt, in einer ,Durchführbarkeits-Untersuchung' Methoden vorzuschlagen, wie die beste und geeignetste zentrale Bibliotheksdienstleistung für Berlin erbracht und wie die Amerika-Gedenkbibliothek bei der geplanten räumlichen Erweiterung in den Stand gesetzt werden kann, die Funktionen einer Berliner Zentralbibliothek für den Bereich der Öffentlichen allgemeinen Bibliotheken umfassend wahrzunehmen. Diese .Feasibility Study' wurde im Juni 1987 vorgelegt und im September auf einem zweiten Experten-Kolloquium (...) zur Diskussion gestellt. Nach Auswertung der Kolloquien, des Gutachtens und gesonderter Stellungnahmen des Direktors der Amerika-Gedenkbibliothek und der , Anbau-Initiative von AGB-Beschäftigten' ist ein Raumbedarfsprogramm für die Amerika-Gedenkbibliothek erarbeitet worden, das von einer Verdoppelung der derzeitigen Nutzfläche der Bibliothek ausgeht und die AmerikaGedenkbibliothek als Öffentliche allgemeine Bibliothek mit großen Beständen wissenschaftlicher Literatur zu einem .Marktplatz der Information' machen möchte." (26) Parallel zu diesem Kolloquium über den Erweiterungsbau der Amerika-Gedenkbibliothek war vom Land Berlin, vertreten durch den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, an Dr. Hans-Joachim Kuhlmann (Essen) der Auftrag vergeben worden, ein Gutachten zu einem Bibliotheksentwicklungsplan der Öffentlichen Bibliotheken zu entwerfen. Im Januar 1988 lag dieses Gutachten vor und wurde in Folge zur öffentlichen Diskussion gestellt. Das sogenannte „Kuhlmann-Gutachten" analysierte die Situation des Berliner Bibliothekswesens (Öffentliche Bibliotheken in den zwölf Stadtbezirken und Amerika-Gedenkbibliothek), die geprägt war von einer stark föderalistischen Struktur bezirklicher Eigenheiten und einer sehr heterogenen Entwicklung in den einzelnen Bezirken. Folgerichtig plädierte das Gutachten für eine stärkere Zentralisierung und eine klarere Aufgabenverteilung. Demnach sollte die Amerika-Gedenkbibliothek eine deutlichere Funktionszuweisung als Berliner Zentralbibliothek erhalten. Die Diskussion um Standpunkt und Profil der Amerika-Gedenkbibliothek schien damit eine deutlichere Führung zu gewinnen. Die Zusammenarbeit mit den bezirklichen Bibliotheken West-Berlins, die bislang an bezirklichen Hoheiten und Eigenständigkeiten krankte und nie einen konkreten Handlungsfaden besessen hatte, wurde nochmals neu überdacht. Selbstverständnis und Eigenheit der Amerika-Gedenkbibliothek waren nicht allein über die Rolle als Zentralbibliothek abgeleitet. Das besondere Gepräge der Amerika-Gedenkbibliothek wurde stetig auch hinsichtlich ihres Bestandsaufbaus hinterfragt. Seitens der Bibliothek hob man immer wieder hervor, daß man vor allem die Informationsbedürfnisse der Benutzer befriedigen und als „Gebrauchsbibliothek" fungieren wolle. Konträr dazu sah man sich auch den historischen und antiquarischen Beständen gegenüber verpflichtet und betonte in diesem Zusammenhang gerne das Selbstverständnis einer großen Public Library. Vor allem finanzielle Engpässe und Kapazitätsprobleme brachten dieses Thema in regelmäßigen Abständen wieder zu Protokoll. In der Referentensitzung vom 4.6.1981 wurde beispielsweise unter T O P 3: „Sondermagazin" folgendes zur Diskussion gestellt: „Eine sachgemäße, konservierende Lagerung der z.T. wertvollen Altbestände ist in der A G B unter den augenblicklichen Umständen genau soviel bzw. genau sowenig wie in den

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Leser in der Amerika-Gedenkbibliothek, 1976

größeren wissenschaftlichen Bibliotheken möglich. Dennoch werden alle Referate aufgefordert, ihren Normalbestand laufend zu überwachen, ob dort einige Titel zu Raritäten erklärt werden müssen und zumindest, nicht verleihbar' zu stempeln sind." (27) Im Umgang mit historischen Beständen, die dem Bereich Regional- und Landeskunde zuzuordnen waren, sah man sich hingegen viel deutlicher einem Sammlungsauftrag verpflichtet. Ein konkreter Anlaß, in diesem Kontext nochmals unmißverständlich auf die Aufgabenstellung und das Profil der Gedenkbibliothek zu verweisen, war eine Anfang der 80er Jahre vom Senat angedachte Zusammenlegung bibliothekarischer Aufgaben, vornehmlich im Bereich des Sammelauftrages von Berolinensien, der mit folgender Begründung seitens der Amerika-Gedenkbibliothek begegnet wurde: „Historisch wie sachlich gehört die Sondersammlung Berlin zu den Grundbestandteilen der Amerika-Gedenkbibliothek. Das Konzept für diese Sammlung der landeskundlichen Literatur und die Erwerbung der ersten Berolinensien für die Amerika-Gedenkbibliothek datieren aus einer Zeit noch vor Gründung dieser Bibliothek. Die Ordnung der Sondersammlung Berlin gestaltet sich völlig entsprechend der Gesamtkonzeption für die Amerika-Gedenkbibliothek. In systematischer Aufstellung bildet die Sammlung einen Freihandbereich, der allen Benutzern der Amerika-Gedenkbibliothek, d.h. allen Berlinern uneingeschränkten Zugang und die Möglichkeit zur Ausleihe des größten Teils der dublettierten Bücher bietet. Die Amerika-Gedenkbibliothek steht mit der Konzeption einer substantiell vollständig in die Gesamtbibliothek eingebundenen Landeskundlichen Sammlung in der Tradition der großen angelsächsischen Public Libraries ebenso wie der deutschen Landesbibliotheken. Als

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Rationalisierungen

Berliner Zentralbibliothek ist für sie die Aufgabe zwingend; eines ausdrücklichen Auftrags zur Sammlung der landeskundlichen Literatur, wie er in der Allgemeinen Erläuterung zum Haushalt der Bibliotheken formuliert ist, bedürfte es deshalb im Grunde nicht einmal." (28) Die Pläne des Senats wurden beigelegt, im Ergebnisprotokoll der Referentensitzung vom 27.5.1982 kam unter TOP 2 zur Niederschrift: „Zusammenlegung von bibliothekarischen Einrichtungen: Die ursprünglichen Vorstellungen des Senats sind in der Zwischenzeit bereits wesentlich korrigiert worden; die ursprünglich geplante Zusammenlegung ist abgeschwächt worden; zur Debatte steht nur noch, wie der Sammelauftrag der Senatsbibliothek und der AGB aufeinander abgestimmt werden kann. (...) Bezüglich des Landesarchivs steht nur noch die Überlegung an, ob dort besondere Sammlungsgegenstände (evtl. Flugblätter) konzentriert werden sollen." (29) Die Pflichtexemplarregelung wurde in diesem Zusammenhang immer wieder neu zur Disposition gestellt, zumal auch finanzielle Verpflichtungen und Forderungen damit in Verbindung standen. So kam in der Referentensitzung vom 28.1.1982 unter anderem dieses Thema zur Tagesordnung. Die Amerika-Gedenkbibliothek stand zu diesem Zeitpunkt bereits mit über 100 Verlagen in aktiver Verbindung. „(...) schlägt vor, zunächst grundsätzlich die Frage zu klären, inwieweit die AGB zusammen mit der FU bereit ist, das Pflichtexemplarangebot in Ersatzfunktion für eine in Berlin nicht vorhandene Landesbibliothek wahrzunehmen. (...) Unklar ist bisher die Frage, inwieweit für die AGB (und auch die FU) jeweils die Verpflichtung besteht, Pflichtexemplare für die Region im Sinne einer Landesbibliothek zu archivieren. Das würde bedeuten, daß Verluste bei diesem Material auch retroperspektiv auszugleichen wären und daß, auf Jahrzehnte hin gesehen, zu überlegen wäre, wie diese Bestände in die AGB organisatorisch integriert werden müßten, um das Public-LibraryGefüge nicht zu verwirren." (30) 1986 wurde schließlich der Bezug von Pflichtexemplaren neu geregelt. Trotzdem herrschte für den Westteil von Berlin nach wie vor keine eindeutige Situation. Der stellvertretende Direktor der Amerika-Gedenkbibliothek, Dr. Andreas Anderhub, nahm in seinem 1986 gehaltenen Beitrag zu einem fachinternen Colloquium zum Thema regionalkundliche Bibliotheksarbeit zu diesem Dilemma Stellung: „Wenn man (...) das Pflichtexemplar-Geschäft zum regionalkundlichen Sammelauftrag hinzuzählt, dann haben wir in Berlin folgende Institutionen mit breiterem Sammelauftrag zu berücksichtigen: AGB/BZB, UBFU, ja auch UBTU (hinsichtlich technischer Pflichtliteratur), Landesarchiv, Landesbildstelle, Berlin-Museum, Senatsbibliothek. Auch aus der Sicht der vorgesetzten kulturpolitischen bzw. wissenschaftspolitischen Dienstbehörden ist es so, daß die genannten Einrichtungen als untereinander kooperationsfähig und hinsichtlich ihrer Sammeltätigkeit als abstimmungsfähig betrachtet werden (nur von der Landesbildstelle weiß ich dies explizit nicht). Interessant ist, daß damit stillschweigend vorausgesetzt wird, daß die Einrichtungen hinsichtlich ihrer Vermittlungstätigkeit, wenigstens hinsichtlich ihrer Zielgruppen vergleichbar sind. Sicher: Allgemein zugänglich sind alle genannten Einrichtungen; der ausschließlich wissenschaftlichen Nutzung ist keiner dieser Einrichtungen verpflichtet. Aber die faktische Zugänglichkeit ist doch recht unterschiedlich! (...) Der Sammelauftrag hinsichtlich der Pflichtexemplare wird derzeit weitgehend unkoordiniert von mehreren Bibliotheken wahrgenommen. (...) Eine gemeinsame konzentrierte Fachaufsicht existiert nicht. Das Ergebnis für die Alltagsarbeit ist häufig: Es wird vieles

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Berliner Stadtbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek

Leser in der Amerika-Gedenkbibliothek, 1976

aktiv gesammelt, aber durchsichtig ist es von Benutzerseite nicht: Ständige Unsicherheit bleibt, wo konkret nun das gesuchte Werk vorhanden ist." (31) So zeigte sich die Amerika-Gedenkbibliothek zum Ende der 80er Jahre, im Vergleich zur Berliner Stadtbibliothek, in vielen Aspekten weniger statisch. Allein die Innenräume der Amerika-Gedenkbibliothek ließen Fexibilität und Offenheit zu. Aber auch Angebote und spezielle Servicedienste wurden, anders als in der Berliner Stadtbibliothek, schneller wieder in Frage gestellt und auch in ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz nie als unverrückbare Selbstverständlichkeit erfahren. Mittlerweile war nach zehnjähriger Amtszeit Dr. Liebenow als Direktor wieder ausgeschieden. Nach einer Interimslösung, der stellvertretende Direktor Dr. Milan Bulaty hatte kommissarisch die Geschäfte des Direktors übernommen, war Dr. Klaus Bock seit dem 3.4.1989 der neue Leiter der Amerika-Gedenkbibliothek. Der Einzug der EDV hatte inzwischen weitere Teile der Bibliothek erfaßt und zeigte bereits erste Störanfälligkeiten - die allerdings immer rasch behoben werden konnten. Als erste Öffentliche Bibliothek hatte die AGB im Dezember 1988 einen Personalcomputer für CD-ROM in der „Information" aufgestellt. Gleichzeitig waren bewährte und beliebte Informationsdienste weggefallen oder hatten sich verändert: Das letzte Heft von „Schnelldienst Berlin-Geschichte" erschien im Dezember 1987, die Dokumentation „Künstler der Jungen Generation" wurde im April 1989 eingestellt. Die „Info-Mappen" wurden durch die „Info-Bank. Themen, die im Gespräch sind" ersetzt.

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Rationalisierungen

Der Spatenstich für den Erweiterungsbau lag immer noch in fraglicher Ferne, obwohl mittlerweile ein prämierter Entwurf vorlag. Zahlreiche Ausstellungen waren zu diesem Thema in der Bibliothek selbst und außerhalb gezeigt worden. In der Diskussion um Profil und Selbstverständnis war die Amerika-Gedenkbibliothek anderen Hinterfragungen ausgesetzt als die Berliner Stadtbibliothek. Allein der anders gelagerte gesellschaftspolitische Rückenwind ließ mehr Raum für Anregungen wie auch für Verwerfungen. Der Anspruch, Treuhänder einer pluralistisch strukturierten Gesellschaft zu sein und diese mit nötigen Information bedarfsgerecht zu versorgen, verursachte manche Kursschwankungen, die sich oftmals - ein weiterer Unterschied zur Stadtbibliothek in Berlin-Mitte - einer kritischen Öffentlichkeit stellen mußten. Die Amerika-Gedenkbibliothek besaß internationale Anerkennung, ihr Status als Public Library in Deutschland sicherte ihr einen besonderen Standort im globalen Bibliotheksnetz. Gleichzeitig war ihre Stellung in Berlin selbst immer wieder auf die Probe gestellt, sei es gegenüber den bezirklichen Ansprüchen, sei es gegenüber den anderen wissenschaftlichen Bibliotheken. Ihr Wirken innerhalb der Berliner Bibliothekslandschaft war eher informell und Zusammenarbeiten waren nicht institutionalisiert. Zwar war ein längst überfalliger Bibliotheksentwicklungsplan, der hier vielleicht hätte Klärung schaffen können, bereits in Vorarbeit, trotzdem blieb die Amerika-Gedenkbibliothek vorerst relativ isoliert und suchte stetig erneut nach einem funktionablen, auf ihr Selbstverständnis hin maßgeschneiderten Standpunkt innerhalb der Berliner Bibliothekslandschaft. Zudem zwangen finanzielle Erwägungen vermehrt zu Entscheidungen, die die Diskussion um das Wesen einer Public Library stetig herausforderten. Es galt immer wieder, einer Reduzierung der Amerika-Gedenkbibliothek auf eine „Öffentliche Bibliothek mit großem wissenschaftlichem Bestand" zu begegnen und die Einzigartigkeit von gemischtem Bestandaufbau und gemeinsamer Bestanddarbietung und -erschließung zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund beteiligte sich die Amerika-Gedenkbibliothek an der generellen zeitgenössischen Debatte über die Zukunftsfähigkeit der Institution Bibliothek und suchte grundsätzlich nach gangbaren Wegen, Bibliotheken im modernen Medienzeitalter attraktiv zu halten. In der Öffnung gegenüber aktuellen wie auch brisanten Themen der öffentlichen Debatte und in der Bereitschaft, diese auch in die Arbeit der Bibliothek sichtbar miteinfließen zu lassen, stand gerade die Amerika-Gedenkbibliothek in einer fortwährenden Bewährungsprobe, da dieses Feld bereits von den bezirklichen Stadtbüchereien besetzt sein wollte, die AGB sich aber hier gleichzeitig abzugrenzen suchte.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin

Miteinander oder Nebeneinander? 1990-1995

Mit dem Fall der Mauer und den sich anschließenden politischen Veränderungen kam in die Berliner Bibliothekslandschaft Bewegung. Zunächst erfolgte eine Wanderung der Leserschaft von Ost nach West, die Benutzer der Ostberliner Bibliotheken verließen scharenweise ihre angestammten Bibliotheken, angezogen vom breitgefächerten Bücherangebot im Westen und neugierig auf Titel, die für sie bislang nicht erhältlich waren. Während sich die Ostberliner Bibliotheken zu „gespenstischen Mausoleen" (1) verwandelten, kollabierte manche Westberliner Bibliothek, vor allem in den grenznahen Bezirken, beinahe unter dem Ansturm der neuen Anmeldungen. In der Amerika-Gedenkbibliothek registrierte man 1989 einen Anstieg der Leseranmeldungen um 500%, wovon jede dritte Anmeldung auf einen DDR-Bürger entfiel. Manch einer brachte auch Bücher zurück, die noch vor dem Mauerbau ausgeliehen worden waren. Die Zahl der Neuanmeldungen mußte beschränkt werden, um einen einigermaßen geregelten Betriebsablauf gewährleisten zu können, die EDV-Anlage drohte zusammenzubrechen, die Regale waren wie leergefegt, die Benutzer standen in langen Warteschlangen. Angesichts des rapiden Benutzeranstiegs erhielt die Diskussion um den geplanten Erweiterungsbau der Amerika-Gedenkbibliothek neuen Nährstoff. Nachdem bereits in den vorangegangenen Jahren der Streit um eine adäquate architektonische und stadtplanerisch sinnvolle Umsetzung des Bibliothekskonzeptes virulent gewesen war, hatte man sich im Rahmen eines Wettbewerbs für drei Entwürfe ausgesprochen. Im April 1989 wurde daraufhin von einem Preisgericht einstimmig entschieden, den Entwurf des amerikanischen Architekten Steven Holl zu realisieren. Überraschenderweise kritisierte aber im Sommer 1989 der damalige Berliner Bausenator den prämierten Entwurf und favorisierte demgegenüber den ehemals drittplazierten Wettbewerbsbeitrag von Karin van Lengen. Die folgende Welle an Colloquien, Hearings und öffentlicher Diskussion im Spätherbst 1989 fand zeitgleich mit der Öffnung der Mauer statt und wurde außerdem überschattet von bibliotheksintemen Auseinandersetzungen um innerbetriebliche Strukturen und Arbeitsabläufe. Die Entscheidung für den Entwurf von Karen van Lengen fiel schließlich im Dezember 1989, auf der Grundlage eines Gesprächs zwischen dem Senator für Bau- und Wohnungswesen, der Senatorin für Kulturelle Angelegenheiten, dem Direktor der Amerika-Gedenkbibliothek, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie dem Bezirksbürgermeister und der Baustadträtin des Bezirks Kreuzberg. In der Begründung hieß es:

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Zentral- und Landesbibliothek

Berlin

Der Leiter der Amerika-Gedenkbibliothek Dr. Bock, 1989 (Foto: privat)

„Karen van Lengen läßt den Bibliotheksbau weitestgehend architektonisch und städtebaulich unversehrt. Anders als bei der Arbeit von Steven Holl tritt ihr Erweiterungsbau jedoch in einen unverwechselbaren, von gegenseitigem Respekt geprägten architektonischen Dialog mit dem Altbau und vermeidet damit ein beliebiges Nebeneinander, (...). Damit wird auch den Bedenken des Landeskonservators Rechnung getragen. Der Entwurf der Architektin geht wesentlich schonender mit dem vorhandenen Grün um und schont auch die seit Jahrzehnten gewachsenen Bäume des Blücherplatzes. Er wird darüber hinaus den laufenden Betrieb der Amerika-Gedenkbibliothek nicht so stark beeinträchtigen wie die anderen Entwürfe es getan hätten." (2) Der geplante Baubeginn wurde auf Februar 1991 anberaumt, für die Bauzeit wurden drei bis fünf Jahre veranschlagt. Der vom Senat für Bau- und Wohnungswesen getroffene Beschluß provozierte bei manchem Beteiligten Unmut und Kritik. Trotzdem war man froh, nach den langen Jahren der Entscheidungsfindung nun an einem Punkt angelangt zu sein, der realisierbare Perspektiven aufzeigte, zumal der Entwurf von Karen van Lengen ebenfalls auf eine moderne, medienoffene, an Informationsdiensten orientierte, interaktive und benutzerfreundliche Bibliothek zugeschnitten war. Auch hier zeigten sich die Auswirkungen der mittlerweile die ganze Stadt betreffenden Sparzwänge. Noch im Juli 1991 hatte der zuständige Bausenator auf einer Pressekonferenz zur Kenntnis gegeben, daß der auf 103 Millionen DM veranschlagte Erweiterungsbau nicht auf die Streichliste kommen sollte, der Baubeginn wurde in diesem Zusammenhang aber bereits auf 1992 verschoben. Auch der damalige Senator für Kulturelle Angelegenheiten sprach sich mit Nachdruck für den Erweiterungsbau aus. Einen Monat später, im August

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1991, wurde jedoch im Rahmen der angekündigten Ausgabeverkürzungen von nahezu drei Milliarden DM auch der geplante Anbau der Amerika-Gedenkbibliothek auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch nicht allein eine völlig veraltete EDV-Anlage und akute Platzprobleme (1992 waren 400 000 Bände ausgelagert) belasteten die alltägliche Arbeit in der Amerika-Gedenkbibliothek. Seit dem Amtsantritt des neuen Bibliotheksdirektors Dr. Klaus Bock im Frühjahr 1989 hatten Differenzen um Geschäftsverteilungsplan und Buchanschaffungspolitik zu einer Verschlechterung des innerbetrieblichen Klimas geführt, was schließlich im Dezember 1989 in einem Mißtrauensvotum der Personalversammlung gegenüber der Bibliotheksleitung und in einer entsprechenden Presseerklärung gipfelte. Die Kernpunkte der Kritik lassen sich wie folgt zusamenfassen: - kein Informationsfluß mehr im Hause, selbstherrlicher Führungsstil - der neue Geschäftsverteilungsplan befördere durch die Einführung des Zentrallektorats wiederum Hierarchisierung und Kontrolle - die Reduzierung des Buchangebotes auf weniger Titel und höhere Staffelung bei gleichbleibendem Anschaffungsetat verändere den Charakter der Bibliothek als einer breit gefacherten und breit wirksamen „Bibliothek für alle". Die Amerika-Gedenkbibliothek drohe zur ,3illigbibliothek" zu verkommen. Die gegen die Bibliotheksleitung erhobenen Vorwürfe hatten ihren Hintergrund in dem Versuch Klaus Bocks, die Amerika-Gedenkbibliothek trotz angespannter Finanzlage attraktiv zu halten. Unter seiner Ägide wurde deshalb beispielsweise ein Drittel der Zeitschriftenabonnements gekündigt, um den eingesparten Etat für andere Buchanschaffungen freizumachen, und es wurde eine neue Organisationsstruktur eingeführt, die gewisse Geschäftsabläufe im Hause beschleunigen helfen sollte (Umstellung vom Fachreferenten- auf das Lektorensystem). Klaus Bock hatte dabei - trotz aller notwendigen Sparkalkulationen sicherlich auch Visionen und Vorstellungen eines zeitnahen und modernen Bibliotheksprofils, allerdings konnte er diese gegenüber den Mitarbeitern anscheinend nicht verständlich genug vermitteln. Im Strudel der politischen Veränderungen und Aufbrüche fehlte ihm vielleicht auch das langjährige Standbein inmitten der Berliner Bibliothekslandschaft und das nötige Kommunikationstalent. Am 22. Oktober 1990 gab Klaus Bock bekannt, daß er ab 31.1.1991 in den Ruhestand gehen würde, ab sofort aber bereits beurlaubt sei. Damit war die Leitungsebene in der Amerika-Gedenkbibliothek für die folgenden Monate vakant. Als stellvertretender Direktor fungierte bis auf weiteres Milan Bulaty. Er stand nun einer Bibliothek vor, die im Augenblick, abgesehen von stetig steigenden Benutzerzahlen, in vielerlei Hinsicht nur negativ bilanzieren konnte: Die noch 1988/89 im Zusammenhang mit dem Kuhlmann-Gutachten geführten Diskussionen um einen Berliner Bibliotheksentwicklungsplan, die weit fortgeschritten waren und der Amerika-Gedenkbibliothek einen zentralen Funktionsgewinn im öffentlichen Bibliothekswesen West-Berlins zugedacht hatten, waren in den Hintergrund getreten. Der geplante Erweiterungsbau war auf Eis gelegt und die gesamte bibliothekarische Arbeit stand unter der Maxime des Sparzwangs, der Personal- und Etatkürzungen. Auch wenn die bezirklichen Bibliotheken vom Personalabbau mehr betroffen waren als die Amerika-Gedenkbibliothek, so war doch generell die materielle Basis für das „Zukunftsmodell Bibliothek" im Moment sehr ausgedünnt und ließ wenig Raum für visionäre Entfaltung. Gleichwohl sah sich die Amerika-Gedenkbibliothek in einer Situation extrem verstärkter Benutzerströme und suchte hier nach kurzfristigen Lösungsmöglichkeiten. Abhilfe erhoffte man sich zunächst durch

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Zentral- und Landesbibliothek

Berlin

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1991

Aufriß für eine Nutzung des Palastes der Republik als große öffentliche Bibliothek Berlins für das Erdgeschoß, gemäß einer Aufstellung von Dr. Liebenow, 1992

eine anvisierte Modernisierung der EDV-Anlage, zuvorderst sah man sich jedoch eher dazu gezwungen, Seviceleistungen einzuschränken. Die Berliner Stadtbibliothek war von den Veränderungen seit November 1989 wesentlich deutlicher tangiert, vordergründig vor allem durch den Rückgang der Benutzerzahlen. Wie überall in der DDR und in Ostberlin waren auch in der Berliner Stadtbibliothek die ersten Wochen und Monate nach dem Mauerfall geprägt von Aufbruchstimmung und teils zaghaften, teils auch beherzten Demokratisierungsbestrebungen, gleichzeitig sah man sich mit sehr viel Neuem und Ungewissem konfrontiert. Bereits im Dezember 1989 besuchte der Direktor der Berliner Stadtbibliothek Dr. Heinz Werner gemeinsam mit einigen seiner Mitarbeiter die Amerika-Gedenkbibliothek, um unter anderem über Möglichkeiten der Kooperation zu sprechen. Man war sich der Parallelität aber auch der Heterogenität beider Bibliotheken sehr wohl bewußt und suchte zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht nach einem gemeinsamen Konzept, eher nach punktuellen Absprachen. Vordergründig ähnelten sich die beiden Bibliothekssysteme im Ost- und im Westteil von Berlin. Hier wie dort gab es einerseits die bezirklichen Bibliotheken, die den Bezirksverwaltungen unterstellt waren, daneben standen die beiden großen städtischen Bibliotheken, die dem Senat bzw. Magistrat untergeordnet waren und jeweils für sich den Anspruch formulierten, öffentlich-wissenschaftlich ausgerichtet zu sein. Auf den zweiten Blick zeigten sich jedoch enorme Unterschiede in der Ausgestaltung des Bibliothekswesens in den beiden Stadthälften. Zum einen waren die Bibliotheken in Ostberlin wesentlich straffer und

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hierarchischer in ein organisatorisches Netzwerk eingebunden. Nicht zuletzt über die in der Berliner Stadtbibliothek angesiedelte Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken funktionierte die Vernetzung der bezirklichen Bibliotheken mit den wissenschaftlich ausgerichteten Einrichtungen. Auch die finanzielle und personelle Ausstattung der Ostberliner Bibliotheken war bei weitem großzügiger und gesicherter als in Westberlin. Die bezirklichen Bibliotheken in der westlichen Stadthälfte waren dagegen autarker, gegenüber den anderen Bezirken und gegenüber jeglichen Zentralisierungsbestrebungen, sie waren deshalb auch hinsichtlich Ausstattung, Zielsetzung und Selbstverständnis heterogen. Eine lenkende, steuernde und gestaltende Kraft existierte im Westteil der Stadt traditionell nicht, zwar gab es übergeordnet die Senatskulturverwaltung, ihr standen jedoch bezirkliche Ansprüche und Befindlichkeiten oft konträr gegenüber. Auch über offizielle wie auch informelle Steuerungsrunden konnte dieser Antagonismus nur ungenügend ausgeglichen werden. So gab es für die Zeit nach dem Mauerfall auch keine eingespielten Zuständigkeiten, die Gestaltung einer zukünftigen gemeinsamen Berliner Bibliothekslandschaft in Angriff zu nehmen. Das Ostberliner System wurde recht schnell zum Auslaufmodell erklärt, aus dem Westen wiederum kam wenig Konstruktives: Aufgrund des knapper werdenden finanziellen Spielraums wurden Etatkürzungen und Personalabbau zum Vorschlag gebracht, ein Faktum, das die folgenden Jahre jegliche Diskussion um die Zukunft der Berliner Bibliotheken begleiten sollte. Die Dynamik der Annäherung beider Bibliothekssysteme erfolgte so weniger aus genauen Zielvorgaben oder ausgereiften Konzepten, sondern sie ergab sich vielmehr aus Sachzwängen und innerhalb sehr eng gesteckter Handlungsspielräume, die zudem einseitig von West nach Ost vorgegeben waren. Den Ostberliner Bibliotheken wurde zwar Gelegenheit gegeben, zum Entwurf des nach wie vor überfälligen Bibliotheksentwicklungsplanes Stellung zu nehmen, dieser Plan war aber in seiner Grundidee auf die Westberliner Bibliotheken zugeschnitten, die Chancen der Ostberliner Bibliotheken, hier noch Eigenheiten einzubringen, wurde als gering eingeschätzt. (3) Stark betroffen von diesen Veränderungen war die Hauptabteilung Staatliche Allgemeinbibliotheken in der Berliner Stadtbibliothek. Ihr Aufgabenfeld war nun nicht mehr klar umrissen, die Position gegenüber den bezirklichen Bibliotheken im Ostteil der Stadt mußte neu definiert und begründet werden. So startete im Frühjahr 1990 eine Umfrage unter den bezirklichen Bibliotheken Ostberlins, in der das Verhältnis zur Hauptabteilung abgefragt wurde und Anregungen für die zukünftige Kooperation sowie Kritik am bisher Geleisteten formuliert wurden. Deutlich wurde darin, daß viele Ostberliner Bezirksbibliotheken eine koordinierende Instanz nach wie vor als sinnvoll erachteten, auch im Sinne eines gemeinsamen Sprachrohrs und einer Interessenbündelung. (4) Zwar konnte die Hauptabteilung sich noch eine Zeitlang halten, damit blieb auch die Diskussion um Sinn und Zweck einer zentralen Leitungsebene gegenüber den bezirklichen Einrichtungen virulent, letzten Endes wurde sie aber zum 1. Januar 1992 als eigene Abteilung aufgelöst. Innerhalb der von Westberlin übernommenen Bibliotheksstruktur hatte sie ihre Funktion nicht mehr genügend rechtfertigen können. Ein weiterer Grund für die Auflösung der Hauptabteilung lag in der mittlerweile anders gelagerten Standortbestimmung der Berliner Stadtbibliothek: Im Kontext der Kooperationsabsprachen mit der Amerika-Gedenkbibliothek war eine Aufgabenteilung zwischen beiden Bibliotheken angedacht worden, die der Berliner Stadtbibliothek die Funktion einer Landesbibliothek zuwies. Damit entfielen automatisch andere Leistungsmerkmale. So kam im Dezember 1991 im Konzeptionsausschuß der

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Berlin

Die Direktorin der Amerika-Gedenkbibliothek Dr. Pawlowsky-Flodell, 1994

Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Berliner Öffentlichen Bibliotheken als Information über die Strukturveränderung in der Berliner Stadtbibliothek zu Protokoll: „Grundsätzlich übernimmt die Berliner Stadtbibliothek als Landesbibliothek in Zukunft nur noch ihrem neuen Charakter gemäß entsprechende zentrale Aufgaben für die Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken. Das hat zur Folge, daß ab 1. Januar 1992 die ehemalige Hauptabteilung, bisherige Dienstleistungszentrale für die Öffentlichen Bibliotheken Berlins, nicht mehr existiert." (5) Doch nicht allein die Auflösung der Hauptabteilung war eine einschneidende Veränderung in der Berliner Stadtbibliothek. Aufgegeben wurden beispielsweise auch die Zeitschriftenauswertung, eine über Jahrzehnte tradierte und viel in Anspruch genommene Serviceleistung, oder die Freihandabteilung im Lesesaal. Mittlerweile war zudem der langjährige Leiter der Stadtbibliothek, Prof. Dr. Heinz Werner, in den Ruhestand getreten. Mit seiner Pensionierung zum Frühjahr 1991 kam eine Ära bibliothekarischen Schaffens zum Abschluß, die geprägt war vom Ideal sozialistischer Bildungs- und Kulturarbeit. Heinz Werner hatte über Jahrzehnte die Berliner Stadtbibliothek repräsentiert und ihr zu internationalem Ansehen verholfen, seiner Initiative und seinem Engagement waren Aktivitäten zuzuschreiben, die der Berliner Stadtbibliothek ihren speziellen Charakter verliehen hatten. Er begleitete die Bibliothek mit seiner Kompetenz und Erfahrung noch in die unmittelbare Nach-Wende-Zeit und bereitete die ersten Fühlungnahmen mit Vertretern der bibliothekarischen Fachwelt des Westens vor. Seine Nachfolgerin wurde nach einer Vakanz von fast einem Jahr Gabriele Beger. Sie war unter Heinz Werner bereits langjährig in der Berliner Stadtbibliothek als Bibliothekatin tätig gewesen und kannte das Haus und seine internen Abläufe sehr genau.

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Im Januar 1992 kamen unter ihrer Federführung seitens der Berliner Stadtbibliothek die seit geraumer Zeit anstehenden Konzeptionsgespräche bezüglich einer Aufgabenteilung zwischen Amerika-Gedenkbibliothek und Berliner Stadtbibliothek zu einem ersten Ergebnis: In Absprache mit Vertretern der Senatskulturverwaltung ging man von zwei eigenständigen Organisationseinheiten aus, die getrennte Funktionen innerhalb der Berliner Bibliothekslandschaft wahrnehmen sollten. Nach diesen Plänen sollte die Berliner Stadtbibliothek künftig als Präsenz- und Archivbibliothek fungieren und die Pflicht haben, alle in ihrem Besitz befindlichen Medien zu archivieren und auf Landesebene die Aufgaben einer Speicherbibliothek wahrzunehmen. Des weiteren sollte die Berliner Stadtbibliothek die Pflichtexemplarbibliothek für alle Berliner Verlage sein und sie sollte in Zukunft die Berlin-Bibliographie erstellen. Damit hätte die Berliner Stadtbibliothek die Funktion einer Wissenschaftlichen Landesbibliothek für sich beansprucht. Die Amerika-Gedenkbibliothek sollte hingegen, in Anlehnung an ihre Tradition als public library, zur zentralen Verbrauchsbibliothek auf Landesebene werden, zusätzlich wurden ihr Leitfunktionen für die bezirklichen Bibliothekssysteme zugedacht. Sie sollte als größte Öffentliche Allgemeine Bibliothek eine Ausleihbibliothek sein. Wie bereits in den Planungen zum Erweiterungsbau beschlossen, sollte sie auf neue Magazinflächen verzichten und ihre bisherigen Magazine den Benutzern öffnen. Anläßlich eines diesbezogenen Vortrages im November 1990 hatte Dietger Pforte, Leiter des Referats Literatur- und Autorenförderung, Bibliotheks- und Archivwesen bei der Berliner Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, das nun ausgearbeitete Konzept für die Aufgabenstellung der Amerika-Gedenkbibliothek schon im Vorfeld thematisiert: „Die Amerika-Gedenkbibliothek soll mehr als jede andere Bibliothek im Land Berlin sich am tatsächlichen und potentiellen Bedarf der Nutzer orientieren, also im besten Sinne auf Aktualität ihrer Bestände aussein. Die Medien der Amerika-Gedenkbibliothek sollen .verbraucht' werden können; Verschleiß ist einzukalkulieren. Zugleich soll an der AmerikaGedenkbibliothek die EDV-Verbundzentrale und das Rechenzentrum für alle Öffentlichen Allgemeinen Bibliotheken, also für alle bezirklichen Stadtbibliotheken, eingerichtet werden. Die Amerika-Gedenkbibliothek soll auch die Öffentlichkeitsarbeit der öffentlichen allgemeinen Bibliotheken Berlins koordinieren, in ihr sollen die Zentrallektorate für fremdsprachige Medienbestände angesiedelt sein, sie soll die soziale Bibliotheksarbeit im Land Berlin anleiten und in ihr soll eine Schulbibliothekarische Arbeitsstelle endlich geschaffen werden. Und außerdem soll in der Amerika-Gedenkbibliothek modellhaft der Einsatz neuer Medien und neuer Technologie erprobt werden können." (6) Eine neue Perspektive eröffnete sich im Frühjahr 1992. Der Palast der Republik war seit geraumer Zeit wegen Asbestverseuchung geschlossen und stand an provokant zentraler Stelle leer und ungenutzt. Im Kontext der Debatte um eine adäquate Nutzung des Schloßplatzes wurde deshalb vorgeschlagen, im ehemaligen Renommierbau der DDR einen , Palast der Republik des Geistes' entstehen zu lassen und dort die Berliner Stadtbibliothek, die Amerika-Gedenkbibliothek, die Senatsbibliothek und den Berliner Gesamt-Katalog räumlich zu vereinigen. Man sah dadurch mehrere Probleme auf einmal gelöst: Der chronischen Platznot in allen drei Bibliotheken hätte man etwas entgegenzusetzen, zumal Alternativen (siehe Erweiterungsbau der Amerika-Gedenkbibliothek) derzeit nicht finanzierbar waren. Der Umbau des Palastes wäre kostengünstiger als sein Leerstand, auch architektonisch sah man keine Bedenken wegen einer Umnutzung. Durch das Freiwerden der bislang von den drei Bibliotheken genutzten Gebäude würden neue Unterbringungsmöglichkeiten für andere

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Berlin

Blick auf Katalog und OPAC in der Amerika-Gedenkbibliothek, 1994

platzsuchende Institutionen geschaffen - so sollte beispielsweise das Landesarchiv in das Gebäude der Amerika-Gedenkbibliothek ziehen. Auch eine Kostenersparnis im laufenden Unterhalt durch künftige bessere Erwerbungsabsprachen, zentrale Katalogisierungsarbeiten und generell ergänzende Vernetzungen der Infrastrukturen wurde prognostiziert. Vor allem aber begeisterte die Befürworter dieser Planung die Besetzung dieses zentralen Platzes und die in Aussicht gestellte Außenwirkung: „Es wäre das Volk von Berlin, das tagtäglich in den ehemaligen Palast der Republik hineinströmte, (...). Der Platz vor dem Gebäude wäre nicht mehr leer, wenn täglich nicht bloß 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern rund 1 200 Bibliotheksbesucher einund ausgingen. (...) Die ,Große Öffentliche Bibliothek Berlins' würde den Schlußstein des Bogens bilden, der in unmittelbarer Nachbarschaft von anderen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen geschlagen worden ist: Die Staatsbibliothek Unter den Linden und die Humboldt-Universität sind drei Minuten Fußweg entfernt, die Staatsbibliothek Potsdamer Straße wäre in 20 Minuten zu Fuß zu erreichen, die Senatsbibliothek könnte als Behördenbibliothek den unweit entfernten Ministerien im Regierungsviertel eine große Hilfe sein. Die ,Große Öffentliche Bibliothek Berlins' würde wegen der vielen Besucherinnen und Besucher zu einer Verlebendigung des unmittelbar benachbarten Stadtraums beitragen und in ihrer pluralistischen Arbeitsweise für alle Menschen der Stadt den Bau wirklich zu einem Palast der Republik des Geistes machen." (7) So mancher geriet regelrecht ins utopische Schwärmen eingedenk der vielleicht möglichen Funktionen des Palastbaus, vor allem, wenn der Bibliotheksbau nicht nur als Mekka

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Miteinander oder Nebeneinander? moderner Bibliothekspräsentation gesehen wurde, sondern darüberhinaus als kulturelles und geistiges Zentrum und sozialer Marktplatz: „Auf dem Dach des Palastes thronte selbstbewußt Minervas Eule, ein Buch untern Flügel geklemmt. Der verflossenen Republik größter Lampenladen war stark verändert, (...). Der Parkplatz davor - verschwunden! Eine Grünanlage zwischen Spreearm und Freitreppe des Palastes wurde von Springbrunnen, Plastiken und Bänken gegliedert. Menschen jeden Alters saßen unter Bäumen, ins Lesen versunken oder mit Kopfhörern auf den Ohren. Eine Insel der Bildung, des Kunstgenießens inmitten der Hauptstadt, ein Gegenpol zum umliegenden Geschäfts- und Regierungsviertel - wer hätte das zu träumen gewagt! Zwischen Palast und Dom war der Autoverkehr eingestellt, dort spielten junge Leute Straßentheater. Das Podest der Freitreppe war mit farbenfrohen Kinderzeichnungen belebt. Unter den Baumkronen vor dem Alten Museum veranstalteten, von Publikum umringt, Bildhauer eine Plein-AirWerkstatt. Nach rechts, zum Marstall hin, traten Pantomimen auf, ein Zauberer ließ gerade umweltverdreckende Tauben in seinem Zylinder verschwinden. (...) W i r stürmten in den Palast. Durch Säle, die nur aus Bücherregalen bestanden, durchs Musikarchiv, die Videothek. Im Zentralkatalog saßen Benutzer vor Bildschirmen und ermittelten den Standort von Büchern, Videos, CDs, Dias, Graphiken, die sie ausleihen wollten. Neben dem Aufgang zum Dachgarten-Café hingen die Programme fürs EulenTheater und für den Konzertsaal. (...) Erschöpft setzten wir uns in eines der Palast-Bistros. (...) Die Rückseite der Getränkekarte trug statt Coca-Werbung ein paar Informationen (...): Die drei größten öffentlichen Bibliotheken Berlins, seit Jahren in Raumnot, haben im Palast ihre Bestände zusammengeführt. Das war teuer, aber weit billiger und zeitsparender als Abriß und Neubau. Eine intelligente Lösung. Und wie sie das Viertel verändert hatte!" (8) Allerdings stieß die Idee eines zu vielfältigen Bibliothekszwecken umfunktionierten Palastbaus nicht nur auf ein positives Echo. Auf politischer Ebene, aber auch aus Bibliothekskreisen meldeten sich kritische Stimmen, die dieser Planung Realitätssinn und konzeptionelle Schlüssigkeit absprachen, auch seien Zuständigkeitsfragen zwischen dem Land Berlin und dem Bund nicht geklärt. Sehr prononciert kam die Kritik von bibliothekarischer Seite. Hier wurde dem vorliegenden Palast-Konzept vorgeworfen, man würde damit „am Ende des 20. Jahrhunderts die Schlachten von vorgestern" schlagen, „hier feiert die alte Einheitsbibliothek seligen Angedenkens fröhliche Urständ". (9) Argumentiert wurde überdies, daß „Landesbibliothek" und „Öffentliche Zentralbibliothek" ohnehin untaugliche Begriffe wären, um Bibliotheken vom Typus Amerika-Gedenkbibliothek oder Berliner Stadtbibliothek voneinander abzugrenzen. Beide Bibliotheken getrennt unter einem Dach zu vereinigen, wäre folglich weder zeitgemäß noch sinnvoll. Erinnert wurde an andere Bibliotheksmodelle dieser Art, die schon zu Zeiten ihrer Eröffnung als überholt galten und die heutzutage mühsam die trennenden Wände zwischen den Bibliothekstypen zu beseitigen versuchten. „Diese Wand gibt es auch zwischen A G B und BSB, obwohl die Mauer gefallen ist. So erscheint es wie eine Metapher dieses Zustands, wenn nur alle zwei Wochen das ostberliner Leihverkehrsauto der BSB die alte Demarkationslinie kreuzt und die drei Kilometer entfernte A G B ansteuert. Bereits nach zwei Jahren ist das Konzept der Trennung in wissenschaftliche Landesbibliothek und Öffentliche Zentralbibliothek gescheitert, da die personellen,

finanziellen

und räumlichen Ressourcen für zentrale Bibliotheksaufgaben auf zwei Bibliothekstypen verteilt werden müssen, von denen zur Zeit nur der eine T y p und damit nur die Hälfte der

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Zentral- und Landesbibliothek

Berlin

Oer Senator für Bau- und Wohnungswesen Wolfgang Nagel

S t m n H o f l (New York]

bittet aHe Bürgerinnen und Bürger in Berlin um Beteiligung an der Planung für die Erweiterung der .Amerika Gedenkbibliothek i AGB)'

AnlaS und Ziel Seit Marz dieses J a h r e s lieg! ein Wettbewerbsergebnis mit drei Ersten Preisen der Architekten Steven Holl Lars Lerup und der Architektin Keren van Lengen (alle USA) vor. Nach einer ersten Überartoe tung empfahl die Jury die Arbeit von Steven Holl für die Realisation. Obwohl Kreuzberger Bürger und Fachleute a u s Architektur und

Oer BibfoiheksanMu sowie zusätzliche Gebäude sollen e i r a Neudefinftion des Blu cherplahres dienen. Ein klar definierter Park öst&ch der Bücherei verstärkt dw Verbindung zur Kirche Zum Heiligen Kreuz

Städtebau auf die unbefriedigenden städtebaulichen Rahmenbedingungen fur die AGB immer wieder hingewiesen haben, wurden Änderungsvorschläge für den Wettbewerb vom Vorgangersenat kaum berücksichtigt Die AGB mu3 wegen der räumlichen Enge jedoch zügig ausgebaut werden Oer Senat wül mit Ihnen gemeinsam den Versuch unternehmen, die vorhandenen städtebaulichen und ökologischen Miflstände abzubauen und die notwendigen Konsequenzen für die Entwürfe zu diskutieren. Eine Entscheidung über den Bau wird noch in diesem Jahr erfolgen

Der Turm fungier! ais óftentli· cher Aussichîsrsum mit Bkck auf d « Stadl

Fragen -

Wie Iä8t sich der Blücherplatz als ein städtischer Ort oder eine grüne Mitte entwikketn und wie soll die Verbindung zum Mehringplatz verbessert w e r d e n ?

— Wie täSt sich der Blücherplatz im Bereich Kaufhaus Hertie zu einem typisch Kreuzberger Raum mit Wohnen und Arbeiten entwickeln? — Wie kann der Teil der Blücherstraße, der auf dem Geiände der alten Friedhöfe liegt,

Kann van lM9«n (New York)

ökologisch umgebaut werden, s o da8 er Bestandteil eines lebendigen Stadtquartiers wird? — Welche Anregungen und Bedenken gibt e s für die drei baulichen Erweiterungsvorschiáge und damit für die Verbesserung d e s Bibliotheksbetriebes der AGB? Bürgerbetelligung: Plenen Sie mit! Welcher der drei Vorschläge sollreafisieti werden und was ist die b e s t e Grundtage fur die weitere städtebauliche und ökologische Entwicklung? Anregung • Bedenken · Änderungen

D« Verfasserin versteht den eiucherpiatz als gegenwärtig fragmentier: und unübersichtlich Def Entwurf möchte einen neuen urbinistischen und architektonischen Fokus set zen, indem er cte bestehende Bibliothek und den Anbau zu einem zusammenhängt'rieten Urbanen Raum mit einem Zentrum für kulturelle und sozsie Aktivitäten organisiert

Ablauf der Bürgerbeteiligung

Ausstellung mit Bürgerberatung

öffentliche Vorstellung d e r Entwürfe

Zelt: 5 . 9 . 1 9 8 9 - 2 3 9.1989. täglich

und d e r e n Erörterung

Ort :

(außer Montag) 10—22 Uhr

Zeit: 22 November 1939.10 Uhr

Berlinische Galerie im

Oft:

Martin-Gropius-Beu. Stresemann-

Marttn-Gropius-Bau, Kinosaal im Sockeigeschoß

strafte 110,1000 Berlin 61, im großen Konferenzraum ö. OG. Haupteingang Faltblatt mit Informationen

Dokumentation

über die Entwürfe

Das Uberprüfungsverfahren wird von der

Dieses ist in der Aussteilung und in der

Berlinischen Galerie begleitet, dokumen-

AGB erhältlich sowie telefonisch unter

tiert und voraussichtlich Anfang 1990 ver-

der Nummer 3 1 8 3 - 2 7 5 2 von 9 - 1 6 Uhr

öffentlicht.

an jedem Werktag fur die Laufdauer der Ausstellung abrufbar. Dem Faltblatt ist e«ne Antwortkarte für Anregungen und Bedenken beigefügt die Sie auch gerne in anderer Form äußern können. Ihre Vorschläge s