Raumgeschichte einer Hauptstadt: Palermo unter muslimischer und christlicher Herrschaft (ca. 800–1200) 9783110773262, 9783110720020

This study draws out the multifaceted impact the religious and political expansions between 800 and 1200 had on the city

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German Pages 377 [378] Year 2023

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Anmerkungen zu Zeitrechnung, Transkription und termini technici
Einleitung
1 Ansätze der historischen Raumforschung
2 Quellengrundlage der Untersuchung
I Palermo unter muslimischer Herrschaft
1 Eroberung und Transformation
2 Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft
3 Aufspaltung und Übernahme
II Palermo unter christlicher Herrschaft
1 Eroberung und Transformation
2 Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft
3 Aufspaltung und Überformung
Schluss
Summary
Anhang: Karten
Abbildungsnachweise
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Register
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Raumgeschichte einer Hauptstadt: Palermo unter muslimischer und christlicher Herrschaft (ca. 800–1200)
 9783110773262, 9783110720020

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Theresa Jäckh Raumgeschichte einer Hauptstadt

Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom

Band 144

Theresa Jäckh

Raumgeschichte einer Hauptstadt Palermo unter muslimischer und christlicher Herrschaft (ca. 800–1200)

ISBN 978-3-11-072002-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077326-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-077331-6 ISSN 0070-4156 Library of Congress Control Number: 2023939398 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: werksatz · Büro für Typografie und Buchgestaltung, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort � IX Anmerkungen zu Zeitrechnung, Transkription und termini technici � XI

Einleitung 1 1.1

Ansätze der historischen Raumforschung � 3 Annäherung: Wahrnehmung, Nutzung und Repräsentation von städtischem Raum � 3 Stadt­Raum­Transformationen: Traditionen und Terminologien der Stadtgeschichtsforschung � 7 Verortung: Stand und Perspektiven der Palermo­Forschung � 12 Grenzen der Raumanalyse: erzählter Raum und verstellter Blick � 16

1.2 1.3 1.4 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 2.5

I 1 1.1 1.2 1.3

Quellengrundlage der Untersuchung � 20 Raumbeschreibung: Geographie, Kartographie und Reiseberichte � 20 Arabisch­islamische Geographie und Kartographie � 20 Hebräische und arabische Reiseberichte � 23 Raumerzählung: Historiographie und Dichtung � 25 Arabische Historiographie und Dichtung � 25 Lateinische Historiographie und Dichtung � 27 Griechische Historiographie und Dichtung � 32 Raumverwaltung: Administration, Recht und Kommunikation � 33 Raumnutzung: Toponomastik, Architektur und Materialität � 36 Raumerneuerung: Neuzeitliche Historiographie, Kartographie und Stadtplanung � 38

Palermo unter muslimischer Herrschaft Eroberung und Transformation � 43 Raumerschließung: Die Expansion der Aghlabiden von Kairouan nach Palermo � 43 Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos � 49 Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Anwesenheit � 55

VI



2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.3

Inhalt

2.3.1 2.3.2

Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft � 63 Zentralisierung: Palermos Vormachtstellung im aghlabidischen Sizilien � 63 Grenzverschiebung: Der Fall von Syrakus � 63 Frühe Urbanisierung � 69 Islamisierung: Die zentrale Moschee in Palermo � 75 Funktionalisierung: Palermo als mediterrane Handels- und Herrschaftsstadt � 86 Hafen, Viertel und Umland � 86 Neue Herrschaftssitze � 95

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2

Aufspaltung und Übernahme � 105 Interne Konflikte: Wahrnehmungen einer Hauptstadt � 105 Regionale Aufspaltung � 105 Zentraler Machtverfall � 108 Äußere Bedrohung: Palermo als Zielpunkt neuer Expansionen � 113 Angriff und Plünderung � 113 Städtische Selbstverwaltung? � 120 Fall: Eroberung und Aneignung des muslimischen Palermo � 124 Die normannische Belagerung � 124 Überformung und Memorialisierung � 129

II Palermo unter christlicher Herrschaft 1 1.1

1.3.1 1.3.2

Eroberung und Transformation � 141 Raumerschließung: Die Expansion der Hauteville von Melfi nach Palermo � 141 Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos � 148 Umwidmung und Transformation heiliger Orte � 148 Befestigung und Ausbau von Wehranlagen � 153 Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Abwesenheit � 157 Herzogliche Hoheit über Palermo � 157 Städtische Verwaltung in Stellvertreterschaft � 163

2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft � 167 Christianisierung: Das Erzbistum von Palermo � 167 Rezentralisierung: Die Landvergaben Graf Rogers I. � 171 Funktionalisierung: Palermo als Herrschaftsstadt Rogers II. � 177 Verwaltungsorte in der Stadt � 177 Baumaßnahmen und Kontrolle des Umlands � 181 Erhöhung zur königlichen Hauptstadt � 192

1.2 1.2.1 1.2.2 1.3

Inhalt

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3



VII

Aufspaltung und Überformung � 195 Die Stadt von außen: Grenzen und Zugehörigkeiten � 195 Wege nach Palermo: Zugang und Kontrolle � 196 Mauern als Grenzen: Raum und Recht � 201 Stadttore: Repräsentation und Erinnerung � 207 Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation � 214 Die Galca: ein Zirkel der palatialen Raumproduktion � 214 Raumcodes: Wahrnehmung von Rhythmen und Riten � 219 Die Cappella Palatina als Ort von heiliger Raumvalenz � 223 Raumhierarchien: Orte und Gruppen des Palastes � 229 Raumkonflikte: Machtverschiebung und Restrukturierung � 238 Zur Interdependenz von Palast und Stadt � 238 Zwischen Palast und Kathedrale: Aufstieg der palermitanischen Erzbischöfe � 241 Viridaria und Gartenpaläste: Besitz im Hinterland Palermos � 244 Stadt von innen: Sozialtopographie und Gentrifizierung � 248 Die Viertel vor den alten Mauern: zwischen Vielfalt und Segregation � 248 Die Innenstadt als Elitenviertel � 261 Verkauf, Verfall, Enteignung: vom Ende der Muslime in Palermo � 270

Schluss � 277 1 Ausblick: Übernahme und Abkehr � 277 2 Schlussbetrachtung � 289 Summary � 293 Anhang: Karten � 295 Abbildungsnachweise � 303 Abkürzungsverzeichnis � 305 Quellen- und Literaturverzeichnis � 307 Ungedruckte Quellen � 307 Gedruckte Quellen � 308 Literatur � 314 Register � 349 1 Personen � 349 2 Orte � 357

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die ich im September 2018 an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg verteidigt habe. Ein Vorwort dieser Art skizziert für gewöhnlich eine Karte der akademischen Landschaft, in der sich die Verfasserin verortet sieht: Diese Arbeit ist zwischen Hei­ delberg und Rom, Palermo und Münster, Konstanz und Durham entstanden. An all diesen Stationen bin ich Menschen begegnet, denen mein aufrichtiger Dank gebührt. Besonders verbunden fühle ich mich Prof. Dr. Stefan Weinfurter aufgrund seiner För­ derung und der ihm eigenen Güte, von der ich seit meinem Grundstudium bis hin zur Abgabe meiner Dissertation profitieren durfte. Am Historischen Seminar in Hei­ delberg habe ich außerdem Kommilitoninnen, Kolleginnen und Kollegen getroffen, die mir liebe Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter geworden sind und denen ich für ihre Freundschaft und Unterstützung über die Jahre hinweg dankbar bin: Dr. Julia Becker, Dr. Mona Kirsch, Nora Küppers, Stefanie Neuer, Gina Porteck, Dr. Sandra Schulz, Tiana Weidemaier, Dr. Kirsten Wallenwein sowie PD Dr. Tino Licht. Für meine Doktorarbeit hat mich Prof. Dr. Jenny Oesterle im Herbst 2014 in ihrer Nachwuchsgruppe „Schutzgewähr in Phasen religiöser und politischer Expansion“, ei­ nem Projekt des Heidelberg Center for Transcultural Studies, angestellt. Dort hat sie mir sehr große Freiräume gelassen, war aber für mich stets ansprechbar, wofür ich ihr danke. Prof. Dr. Nikolas Jaspert möchte ich für sein Interesse an meinem Tun, die Übernahme des Zweitgutachtens und eine Überbrückungsanstellung an seiner Profes­ sur danken sowie dafür, dass er auch über die Promotionsphase hinaus immer bereit war, Ratschläge zu geben und Ideen zu teilen. Eine nicht formalisierte, aber sehr wertvolle Form der Betreuung übernahm – viel­ leicht unfreiwillig – Dr. Alex Metcalfe, der mir viel Zeit zugestanden hat und an dessen Wissen und Herangehensweisen ich mich zu orientieren versucht habe. Wichtige Kon­ takte konnte ich außerdem in Rom knüpfen, wo ich dankenswerterweise mehrfach vom Deutschen Historischen Institut gefördert wurde. Hier habe ich insbesondere Prof. Dr. Vera von Falkenhausen und Dr. Kordula Wolf zu danken, die sich immer wie­ der für die Arbeit interessiert und sie in verschiedenen Gesprächen durch Kritik und gute Worte bereichert haben. Dank aussprechen möchte ich außerdem Dr. Elena Pez­ zini in Palermo und Prof. Dr. Knut Görich in München, der mein Interesse an Palermo in einem seiner Lektürekurse entfacht und weiter begleitet hat. Fertiggeschrieben wurde die Dissertation in Münster während eines Stipendiums im Rahmen des SFB 1150 „Kulturen des Entscheidens“; für die freundliche Aufnahme und gute Zeit bedanke ich mich bei den Münsteraner Mediävistinnen und Mediävisten. Ausdrücklich Danke möchte ich Prof. Dr. Daniel G. König sagen, der mich gleich nach meiner Disputatio als Mitarbeiterin an seiner Professur in Konstanz eingestellt hat. Von seinem kritischen Geist und breitgefächerten Interesse, seiner Begeisterung an der Sache und großzügigen Bereitwilligkeit, Wissen und Erfahrungen zu teilen, https://doi.org/10.1515/9783110773262-203

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Vorwort

profitiere ich bis heute in vieler Hinsicht, und die anhaltende Kooperation ist mir eine Freude. Überarbeitet habe ich diese Studie in Durham, wo ich 2020 verhältnismäßig früh Erfahrungen auf einer entfristeten Stelle sammeln und dabei auch erleben durfte, was es mit der Atmosphäre eines Departments sowie mit einem selbst macht, wenn ein größerer Teil der dort arbeitenden Menschen eine gewisse Sicherheit bei der weiteren Lebensplanung hat. To my colleagues and, importantly, to The Vic: Thank you ever so much for the community and your friendship! Nach einem weiteren Ortswechsel freue mich sehr, nun Teil des lebendigen und kollegialen Fachbereichs Geschichtswissenschaft an der Universität Tübingen zu sein. Hinsichtlich der Publikation bin ich dem Direktor des Deutschen Historischen In­ stituts in Rom, Prof. Dr. Martin Baumeister, dankbar für die Aufnahme der Schrift in die Reihe „Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom“. Dank gilt auch denen, die die beiden Peer­Review­Gutachten erstellt und viele hilfreiche Anmerkun­ gen gemacht haben. Herzlich danken möchte ich außerdem: Jan Sennekamp, der mit mir die Karten erstellt hat; Johannes Beul, der mich in England während der Corona­ Pandemie von Heidelberg aus mit Literatur versorgt hat; Angelika Stabenow von der Hochschule für Jüdische Studien, die mir in einem der Lockdowns Bücherkisten für mein Vorsingen gepackt hat; Sofie Clossen und Shabnam Hashemi, die mich in Tü­ bingen als wissenschaftliche Hilfskräfte unterstützen. Besonders bedanke ich mich bei Dr. Kordula Wolf für ihre Geduld und das Lektorat, was das Manuskript bereichert hat. Auch Dr. Mona Kirsch hat jede Seite gelesen, bei der Registererstellung geholfen und mir über die Jahre hinweg in mancher Hinsicht beigestanden, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Meiner Familie, meinen weiteren Freundinnen und Freunden, vor allem aber John gebührt ein Dank, der hier nicht auszudrücken ist. Gewidmet sei das Buch unserer lieben Freundin Vera, die jeden Raum erstrahlen ließ und uns unermesslich fehlt. Rom und Tübingen, im April 2023

Anmerkungen zu Zeitrechnung, Transkription und termini technici Im Text werden Jahreszahlen nach verschiedenen Zeitrechnungen angegeben. Vor­ wiegend handelt es sich um Datumsangaben nach dem islamischen Kalender und der lateinisch­christlichen Jahreszählung nach dem stilus communis (d. h. mit Jahresbeginn am 1. Januar). Es kommen aber auch Jahresangaben nach dem oströmischen und jüdi­ schen Kalender vor. Um eine Orientierung zu erleichtern, wurde möglichst immer nach allen Daten das entsprechende lateinisch­christliche Jahr angegeben. Beim Verweis auf Jahrhunderte im Fließtext werden der Übersichtlichkeit halber die Jahrhunderte nur nach dem lateinisch­christlichen Kalender genannt. Die Transkription des Arabischen erfolgt nach den Vorgaben der Zeitschrift „Ara­ bica“, an der sich auch die Übertragung des Judäo­Arabischen orientiert. Eine Aus­ nahme betrifft yāʾ al-nisba, was als īya ausgeschrieben wird. Personen- und Sachnamen können, sofern sie im Duden verzeichnet sind, in ihrer deutschen Wortform wieder­ gegeben werden (beispielsweise Emir anstelle von amīr; Kairo statt al-Qāhira usw.). Arabische, hebräische oder judäo­arabische Patronyme zur Bezeichnung der Abstam­ mung (arab. nasab) werden stets mit „b.“ abgekürzt. Sind Personen unter ihrem nasab bekannt, so wird das Patronym ausgeschrieben (z. B. bei Ibn Ḥawqal). Griechische Begriffe werden in griechischen Buchstaben und, wo sinnvoll bzw. als Fachterminus etabliert, in ihrer gängigen lateinischen Schreibweise wiedergegeben. Griechische Namen erscheinen in lateinischen Buchstaben, aber gemäß ihrer griechi­ schen Form (z. B. Georgios und nicht Georg), es sei denn, die Namen werden direkt aus Quellen zitiert, in denen sie bereits latinisiert wurden (z. B. Nicodemus statt Nikode­ mos). Bei der Wiedergabe lateinischer Namen bestehen Unregelmäßigkeiten, weil die deutschsprachige Forschung gewisse Standards für Namen etabliert hat, die aber nicht einem einheitlichen Muster folgen (z. B. Gaufredus Malaterra, Wilhelm von Apulien, Petrus de Ebulo). Das Adjektiv „muslimisch“ bezeichnet in erster Linie Individuen oder Gruppen, die nach ihrer religiösen Zugehörigkeit zum Islam gefasst werden. „Muslimisch“ findet außerdem Verwendung, um Konkreta und Abstrakta, die von muslimischen Menschen geprägt wurden (wie z. B. Viertel oder Herrschaft), zu beschreiben. Das Adjektiv „isla­ misch“ wird verwendet, um Systeme oder Institutionen zu beschreiben (beispielsweise islamisches Recht). Ist von „arabisch“ die Rede, wird meist auf Sprache, an einigen Stellen aber auch auf ethnische Zugehörigkeit abgehoben. „Griechisch“ bezeichnet die sprachliche oder religiöse Zugehörigkeit von Men­ schen, während sich „oströmisch“ politisch auf das von Konstantinopel aus beherrschte Reich, dessen Institutionen und Akteure bezieht; im weiteren Sinne kulturelle Aus­ drucksformen und Stile werden auch als „byzantinisch“ bezeichnet. Ist von „arabisch­islamisch“ oder „lateinisch­christlich“ die Rede (beispielsweise arabisch­islamische Expansion, lateinisch­christliche Sphäre), so wird dabei auf die https://doi.org/10.1515/9783110773262-204

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Anmerkungen zu Zeitrechnung, Transkription und termini technici

Dominanz dieser jeweiligen Gruppen in Bezug auf längere Prozesse oder großflächige politische Gebilde abgehoben, was keineswegs aber ausblendet, dass nicht auch Men­ schen anderer religiöser oder sprachlicher Prägung an diesen mitwirkten. Schließlich wird bei den Adjektiven noch „sizilisch“ und „sizilianisch“ differenziert, indem ersterer Begriff für die Geographie sowie für Menschen, Dinge und Institutionen aus der Zeit vor dem Risorgimento verwendet wird. In den Quellen erwähnte Toponyme werden, mit Ausnahme der heute im Italie­ nischen gebräuchlichen, kursiv gesetzt. Arabische Ortsnamen wie al-Ḫāliṣa werden groß geschrieben, nachdem sie begrifflich eingeführt wurden. Bei zusammengesetzten Toponymen wie bāb al-baḥr oder bāb al-Sūdān werden jeweils die darin enthaltenen Eigennamen großgeschrieben. Bei lateinischen Ortsnamen wird der Groß- und Klein­ schreibung der Quellen gefolgt. Hinweise auf den Koran werden in Klammern nach folgendem Schema angeführt: (Q Sure: Vers); eine bibliographische Angabe erfolgt nur dann, wenn eine Übersetzung angeführt wird.

| Einleitung „I write about cities spatially. More specifically, I am an avowed spatialist, a determined advocate for the critical power of the spatial or geographical imagination. I see the city and urban life, today as well as over the entire 12,000 years of urban societal development, as generatively and causally spatial.“ S o j a, Writing the City, S. 271.

1 Ansätze der historischen Raumforschung 1.1 Annäherung: Wahrnehmung, Nutzung und Repräsentation von städtischem Raum Von mancher Dachterrasse im Zentrum Palermos blickt man auf unzählige Wohn­ häuser und Palazzi, über deren ockerfarbenen Ziegeldächern ornamental verzierte Kirchtürme und verschiedenfarbige Kuppeln emporsteigen. Verwinkelte Straßenzüge, die hier und da von offenen Plätzen und geradlinigen Boulevards aufgebrochen wer­ den, erscheinen in der Ferne ringsum von dramatisch steil geformten Bergen in ihrer Ausdehnung begrenzt. An einem Ende der Stadt thront auf einer Anhöhe gelegen das Parlament der Autonomen Region Sizilien im ehemaligen Königspalast, am anderen eröffnet sich der Hafen bis zum Horizont hin ins tiefe Blau des Meeres. Die hier anle­ genden Schiffe, Frachter und Fähren verbinden Palermo, die Hauptstadt Siziliens, mit anderen Knotenpunkten des Mittelmeeres wie Genua, Tunis oder Neapel. Der Hafen fungiert als Umschlagplatz für eintreffende Warenströme, aber auch als Zugangstor für Personen: für Schiffsbesatzung, Handeltreibende, Heimkehrende, Reisende und Schutzsuchende. Die Menschen, die hier eintreffen, unterscheiden sich in ihrer Zeitlichkeit, die sie mit der Stadt verbindet, nämlich dadurch, ob sie seit Generationen hier leben oder erst ankommen, ob sie dauerhaft oder vorübergehend, tage- oder stundenweise blei­ ben werden. In die Stadt eintretend laufen sie unterschiedliche Zielpunkte an, werden dabei zum Teil aber durch dieselben Straßen ziehen und dieselben Eindruck erwe­ ckenden Bauten erblicken. Das Gesehene wird abhängig von den je eigenen Kontin­ genten an Wissen und Erfahrungen in verschiedener Weise eingeordnet und bewertet. Vor dem Hintergrund der individuellen Wahrnehmungsmuster, die geprägt sind durch Herkunft, Religion, Kultur, Geschlecht, Status und Sozialisierung, und begrenzt vom eigenen Horizont, nimmt der durchschrittene Stadtraum eine jeweils andere Größe, Bedeutung und Beziehung zur umgebenden Außenwelt an.¹ Gemeinsam ist den sich im Stadtraum Befindlichen, dass sie, während sie die Stadt begehen, mit ihr in eine Beziehung treten.² Denn, während wir etwas in der Stadt tun, tut auch die Stadt etwas mit uns: Sie wirkt. Sie wirkt, weil sie sich in einer spezifischen Form und Gestalt prä­ sentiert, und sie wirkt, indem sie die Handlungen und Haltungen anderer Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in sich bündelt.

1 Vgl. grundlegend die Arbeiten der Human- und Kulturgeographin M a s s e y, Space. Die individuelle Wahrnehmung und globale Bedeutung von Raum streicht insbesondere ihr Essay zur Kilburn High Road in London hervor; d i e s ., Global Sense. 2 Zum Spaziergang als Raumpraktik bzw. als Methode des Erkenntnisgewinns über Raum vgl. M o l e s, Walk. https://doi.org/10.1515/9783110773262-001

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Ansätze der historischen Raumforschung

Das, was wir sehen und wahrnehmen, ist keineswegs zufällige Konstellation. Die räumlichen Verhältnisse jeder Stadt sind eine Momentaufnahme oder ein in der Zeit fixiertes Ergebnis langwieriger Entstehungsprozesse, die durch lokale, regionale und überregionale politische, wirtschaftliche sowie soziale Entwicklungen hervorgebracht wurden. So finden in Palermo die Gottesdienste der tunesisch­muslimischen Gemeinde in einer zur Moschee umgewandelten Kirche statt, die im 12. Jahrhundert gegründet und in ihrer vom Barock überformten Gestalt durch einen der Bombenangriffe von 1943 schwer beschädigt worden war. Unweit entfernt werden Asylsuchende in einer von Jesuiten geführten Unterkunft aufgenommen, die einst spanische Inquisitoren be­ herbergte und auf den Fundamenten eines arabisch­islamischen Badekomplexes fußt, der von einigen auch als antikes Ritualbad (Mikwe) der jüdischen Gemeinde identifi­ ziert wird, die von eben jenen Inquisitoren zerschlagen wurde.³ Und insgesamt ist die kulturelle Prägung einiger Bereiche in der palermitanischen Altstadt heute von Bewoh­ nerinnen und Bewohnern beeinflusst, die ‒ von unterschiedlichsten Gründen bewegt ‒ aus verschiedenen asiatischen und afrikanischen Ländern nach Sizilien eingewan­ dert sind und sich dort an Stellen niedergelassen haben, die nach den Mafiakriegen zwischen den 1960er und 1980er Jahren leer standen und heruntergekommen waren. Die (wieder)belebten Strukturen des Stadtraums bilden damit soziale Ordnungen oder Vorstellungen des Hier und Jetzt ab, materialisieren in ihren archäologischen Schichten und historischen Bauabschnitten aber auch in der Vergangenheit geschaf­ fene und geprägte Formen städtischen Lebens. Urbane Geschichte wird also stetig von mehreren Akteuren zugleich fortgeschrieben, durch Aneignung oder Überformung ge­ staltet und in Konkurrenz immer wieder (neu) bewertet. An diesen Prozessen beteiligen sich keineswegs nur Individuen und soziale Gruppen, sondern auch Institutionen, die Raum strategisch einnehmen und nutzen, um ihre Gegenwart (kultur)politisch zu in­ szenieren. In Palermo ließ sich dies während der vergangenen zehn Jahre in eindrucks­ voller Weise beobachten, als Entscheidungstragende mit mehreren Großprojekten für eine urbanistische Um-Gestaltung und Um-Deutung der Stadt sorgten, in deren Zuge besonders eine Schicht der urbanen Vergangenheit gezielt sichtbar gemacht wurde: das „arabisch­normannische Palermo“. Der Begriff „arabisch­normannisches Palermo“ soll die Periode umschreiben, in der Palermo unter normannischer Herrschaft stand (1071/1072‒1194), gleichzeitig aber durch kulturelle Einflüsse aus der arabisch­islamischen Sphäre geprägt wurde, die bis zur normannischen Eroberung der Stadt am Jahresübergang von 1071/1072 Palermo selbst miteinschloss. Diese Phase gilt als Zeit besonders intensiven wie produktiven Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Hintergründe, und die großen Kul­ turgüter, die heute Palermos Attraktivität als Reiseziel ausmachen, gehen auf sie zurück.

3 Zu aktuellen interkulturellen Dynamiken im palermitanischen Stadtraum am Beispiel des Viertels Ballarò vgl. W u l f f B a r r e i r o / B r i t o G o n z a l e s, Production; zur medialen Verarbeitung dieses Themas vgl. z. B. H o r o w i t z, Palermo.

Annäherung: Wahrnehmung, Nutzung und Repräsentation von städtischem Raum



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Die betonte Hervorkehrung, die Ausgrabungen und Ausstellungen der Überreste des „arabisch­normannischen Palermo“ repräsentieren einen Stadtraum, dem im öffentli­ chen Diskurs durch Rückgriff auf historisierende Rhetorik Tiefe und Nachdruck, durch Anspielungen auf zeitaktuelle Geschehnisse aber auch Dringlichkeit und Relevanz ver­ liehen wurde – mit Erfolg. Unter dem Titel „arabisch­normannisches Palermo“ wurde Siziliens Hauptstadt 2015 in die Liste des UNESCO­Welterbes aufgenommen.⁴ Gleichzei­ tig berichteten internationale Zeitungen, wie sich Palermos Bevölkerung und politische Führung inmitten der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise als „nahöstliche Stadt im Zentrum Europas“⁵ versteht und dies aus der eigenen urbanen Raumgeschichte her­ aus begründet. Der Raumgeschichte Palermos verschreibt sich auch das vorliegende Buch. Es un­ tersucht den in diesen Absätzen skizzierten, vielschichtigen Informationsgehalt, den die Stadt durch ihre räumlichen Strukturen, deren Anordnungen und Funktionen über Geschichte und Gesellschaft bzw. über Gesellschaft zu einer spezifischen Zeit in der Geschichte vermittelt und außerdem, wie diese Strukturen von Menschen der Ver­ gangenheit genutzt und wahrgenommen wurden. Die Untersuchung umspannt den Zeitraum, in dem Palermo zur Hauptstadt Siziliens wurde, als solche unumstritten die Insel dominierte und dabei als wichtiger Knotenpunkt im zentralen Mittelmeerraum fungierte. Voraussetzung für die Herausbildung dieser Stellung war die Einnahme der Stadt im Jahr 216/831 durch Muslime aus Nordafrika, im Zuge derer das Hauptheerlager der muslimischen Eroberer Siziliens in Palermo aufgeschlagen worden war und einen langwierigen Prozess der Urbanisierung, Zentralisierung und Islamisierung angesto­ ßen hatte. Mit der vollständigen Etablierung muslimischer Herrschaft auf Sizilien im 10. Jahrhundert dehnte sich der Einfluss der Stadt weiter aus, ihre Strukturen wurden dichter sowie komplexer und garantierten so selbst durch das von Instabilität geprägte mittlere 11. Jahrhundert Palermos Beständigkeit als Hauptstadt und Handelsmetropole. Eine Zäsur stellte die Eroberung der Normannen 1071/1072 dar: Der Herrschafts­ wechsel brachte die Umwälzung der politischen und religiösen Ordnung mit sich, ver­ änderte die Strukturen und Kontexte urbanen Lebens und Handelns und verschob die demographischen sowie im weitesten Sinne soziokulturellen Gleichgewichte der Stadt so, dass Palermo im transregionalen Geflecht mediterraner Netzwerke und Reiche neu positioniert wurde. Am Ende dieser Periode steht eine viel gerühmte, königliche Haupt­

4 Die Liste ist online abrufbar; URL: https://whc.unesco.org/en/list/1487/ (14. 8. 2023). 5 Vgl. die Aussagen des Bürgermeisters Leoluca Orlando, u. a. am 1. Mai 2017: „Il tema di fondo è che noi non siamo una città europea. Palermo è una città mediorientale in Europa … Siamo stati ricono­ sciuti dall’Unesco ed inseriti nella world list non perché abbiamo i monumenti arabo normanni, ma perché noi siamo ora arabo normanni“, zitiert in: d e L u c a, L’Europa; außerdem die Aussagen der Kommune, als Palermo 2018 Kulturhauptstadt Italiens wurde: „Palermo per la sua storia e il suo pre­ sente è espressione delle diverse culture europee che dialogano con il mondo arabo e, anche, capi­ tale mediorentale dentro la complessa cultura europea.“; URL: https://www.comune.palermo.it/js/server/ uploads/_31012017161757.pdf (14. 8. 2023).

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Ansätze der historischen Raumforschung

stadt, die ihre Bedeutung als Zentrum des Süditalien miteinschließenden Königreiches Sizilien bei der staufischen Übernahme 1194 zwar zunächst behaupten konnte, spätes­ tens aber dann einbüßte, als Friedrich II., König Siziliens (1198‒1250) und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1220‒1250), seine Hauptresidenz in den 1220er Jahren auf das süditalienische Festland nach Foggia verlagerte. Gegliedert ist die Untersuchung in zwei Hauptkapitel, die sich an den mit Erobe­ rung verbundenen politischen Zäsuren orientieren bzw. daran, ob die Stadt von Mus­ limen (216/831‒464/1071) oder Christen (ab 1072) beherrscht wurde. Dieser Rahmen soll es ermöglichen, die Stadtgeschichte Palermos unter muslimischer sowie unter la­ teinisch­christlicher Herrschaft zu behandeln, auch wenn aufgrund der Quellenlage ein größerer Teil der Studie der lateinisch­christlichen Zeit zufällt. In der Gegenüber­ stellung können dabei Auswirkungen von religiös­politischen Umwälzungen auf den städtischen Raum aufgezeigt und spezifische Muster oder Träger des Wandels erkenn­ bar werden. Durch diesen Zuschnitt lassen sich neben gezielter Herrschaftseinwirkung von außen bzw. von oben auch komplexe oder diffusere sozio­kulturelle Aushandlun­ gen greifen, die in den Quellen anderweitig kaum auszumachen sind. Die Unterkapitel zeichnen Palermos Entstehungs- und Transformationsprozesse entlang markanter Entwicklungslinien in überwiegend chronologischer Folge nach. Mit Henri Lefebvre (gest. 1991) gesprochen beleuchten die Unterkapitel dabei zum ei­ nen die Formierung der Stadt in ihren Strukturen durch Ereignisse und Akteure („la formation“; entspricht den Kapiteln zu „Eroberung und Transformation“). Zweitens zeigen sie, wie sich Individuen, Gruppen oder Organisationen im Stadtraum etablier­ ten und repräsentierten („lʼétablissement“; entspricht den Kapiteln „Etablierung und Strukturen“), wie sie Raum nutzten und wahrnahmen, sowie drittens, wie und warum Raumstrukturen in ihrer Entwicklung beschleunigt, angehalten oder aufgelöst werden konnten („le déclin et l’éclatement“; entspricht den Kapiteln „Aufspaltung und Über­ nahme / Überformung“).⁶

6 L e f e b v r e, Production, S. 59, 369‒374. Zur Rezeption und weiteren Ausdeutung seines Konzepts in der sozial- und geschichtswissenschaftlichen Forschung vgl. u. a. S o j a, Postmodern Geographies, ins­ bes. S. 4; d e r s ., ‚Zeitgeist‘; B u t l e r, Lefebvre, S. 1‒42, H o f m a n n / S c h r e i b e r, Raumwissen, S. 13 mit Abb. 1; S c h m i d, Stadt, S. 208; S c h l ö g l; Räume, insbes. S. 60‒71; G o t t h a r d, „Spatial Turn“, S. 15‒49; D ö ­ r i n g / T h i e l m a n n, Räume; d i e s ., Spatial; R a u, Räume; d i e s . / H o c h m u t h, Stadt; B a c h m a n n ­ M e ­ d i ck, Turns, S. 292; D ü n n e, Räume, S. 297; L ö w, Raumsoziologie, S. 156, 166 f.

Stadt­Raum­Transformationen: Traditionen und Terminologien der Stadtgeschichtsforschung



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1.2 Stadt­Raum­Transformationen: Traditionen und Terminologien der Stadtgeschichtsforschung Städte tradieren Leben verhältnismäßig dicht, weshalb sie für einen bestimmten Zeit­ punkt und Ort in der Vergangenheit facettenreiche Eindrücke von Gesellschaft, Wirt­ schaft, Religion oder Kult, Recht, Administration sowie materieller und visueller Kul­ tur vermitteln. Das Feld der Stadtgeschichtsforschung ist dementsprechend breit ge­ fächert und durch eine Vielfalt disziplinärer Zugänge charakterisiert. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass sie häufig eine Typisierung von Städten aufstell­ ten, wobei die daraus hervorgegangene Bildung städtischer Idealtypen wie „die antike Stadt“, „die mittelalterliche Stadt“, „die europäische Stadt“ oder „die orientalische / is­ lamische Stadt“ eine große Wirkung entfaltete.⁷ Kritisch zu bewerten ist diese Typen oder Konzepte zumal vor dem Hintergrund, dass sie oft als Indikator für städtische und damit unmittelbar für weitergreifende gesellschaftliche Entwicklung angesehen wurde – und zwar bisweilen mit der positiven oder negativen Konnotation des Fortoder Rückschritts. Gerade in den Diskussionen über das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität nach Herrschaftsumbrüchen und den an ihnen entlang konstru­ ierten Epochen-, Disziplinen- und „Kulturraum“grenzen haben sich so Narrative und Bias etabliert, die es für eine Untersuchung Palermos kritisch zu betrachten gilt, weil die Stadt sowie Sizilien als Ganzes in mehrfacher Hinsicht eine Schnittstelle solcher Grenzen darstellen. Die historische und archäologische Altertumsforschung reflektierte bis in die 1980er Jahre Stadtgeschichte und Stadtentwicklung häufig unter dem Paradigma des Nieder­ gangs Roms und des weströmischen Reiches auf der einen sowie des Aufstiegs germa­ nischer Stämme und des Islam auf der anderen Seite. Dabei wurde lange die These akzeptiert, dass die neuen Expansionen das Ende der „antiken Einheit“ des Mittelmeer­ raumes herbeigeführt hätten.⁸ Dies könne mitunter am Beispiel der antiken Stadt (ge­ meint ist dabei die griechische oder griechisch­römische Stadt) nachvollzogen werden, deren klare Strukturen aufgelöst worden oder verkommen seien.⁹ An diesem Punkt nahmen die Mittelalterarchäologie und Geschichtswissenschaft die Spur auf und frag­

7 Stark geprägt sind solche Typisierungs- und Definitionsansätze von den Arbeiten Max Webers (gest. 1920); vgl. We b e r, Wirtschaft, hg. von N i p p e l, S. 59–100. Aus seiner Begriffsbildung und Katego­ risierung ging gerade in der deutschsprachigen Forschung das stark verfassungsrechtlich orientierte, für die Städte des Reichs anerkannte „Kriterienbündel“ hervor; vgl. u. a. I r s i g l e r, Überlegungen; d e r s ., Annäherungen; d e r s ., Mittelalterliche Siedlung; E n n e n, Europäische Stadt. Für die Erforschung isla­ mischer Städte erweist sich diese Typisierung als wenig brauchbar; vgl. N i c h o l a s, Urban Typologies; W i r t h, Konzeption; Fe l d b a u e r, Islamische Stadt. 8 So P i r e n n e, Mahomet; für eine grundlegende Revision der These vgl. z. B. die einflussreiche Arbeit von W i c k h a m, Framing the Early Middle Ages; hinsichtlich mediterraner Handelsströme und -netz­ werke vgl. insbes. M c C o r m i c k, Origins. 9 Vgl. u. a. P i r e n n e, Medieval Cities; L i e b e s c h u e t z, Decline, hier bes. S. 247 f.

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ten nach den Grundlagen und Charakteristika ‚mittelalterlicher Städte‘, anders gesagt danach, wie sich Städte entwickelten, wenn sie aus der Antike ererbt wurden oder als Neugründungen heranwuchsen.¹⁰ Aus beiden Perspektiven des Aus- und Rückblicks wurde ‚die antike Stadt‘ lange überwiegend als ein Ideal angesehen, und man deutete ihre schematische, achsenorien­ tierte Topographie sowie den Baubestand an den zentralen Orientierungspunkten des Stadtraums, wie beispielsweise die von Säulen gesäumten Boulevards oder die Agora, als Zeichen für gesellschaftliche, politische, kulturelle oder intellektuelle Ordnungssys­ teme von ‚Zivilisationen‘.¹¹ Städte, die durch Eroberungen oder Neugründungen in die arabisch­islamisch beherrschte Sphäre fielen, galten dem gegenüber als beengt, chao­ tisch und sich topographisch einer Öffentlichkeit verschließend.¹² Während niemand abstreiten würde, dass eine muslimisch beherrschte oder stark muslimisch geprägte Stadt Raummarker aufweist, die sie von einer ‚antiken‘ Stadt unterscheiden, ist die Deutung dieser Befunde zugleich von kolonialen und orientalistischen Sichtweisen be­ einflusst, die die Dominanz oder ‚Überlegenheit‘ europäischer Mächte über den Nahen und Mittleren Osten sowie über Nordafrika (im Sinne desjenigen Gebiets, das heute die multinationalen, durch den Gebrauch der arabischen Sprache geprägten Länder des afrikanischen Kontinents umfasst) zu rechtfertigen suchten. Systematisch revidiert wurden solche Narrative erst in den letzten Jahrzehnten von Forschern und Forsche­ rinnen, die durch konkrete Regionalstudien die als starre Einheit wahrgenommene „is­ lamische Welt“ aufbrachen und die Vorbedingungen für die sowie die Entwicklungen nach den arabisch­islamischen Eroberungen anhand von Fallbeispielen untersuchten.¹³ So konnte beispielsweise Hugh Kennedy in seinem einflussreichen Aufsatz „From Polis to Madina“ 1985 zeigen, dass in Syrien und Palästina schon im 6. Jahrhundert die Kolonnadenstraßen der „antiken“ Stadt zu verschwinden begannen, dass die Agoren privatisiert, die Stadtzentren mehr und mehr kommerzialisiert wurden. Außerdem führte Kennedy vor Augen, dass diese als Niedergang deklarierte Transformation der „antiken“ Stadt keineswegs mit einem Niedergang des Phänomens Stadt an sich kor­ relierte, sondern dass Städte in diesen Gebieten unter muslimischer Herrschaft im

10 Vgl. u. a. das Überblickswerk von N i c h o l a s, Growth. 11 Zur Kritik an einer solchen Herangehensweise, die die vielfältige Bedeutung von Stadt gezwungener­ maßen reduziert, L ö w, Raum, S. 14; B e r k i n g / L ö w, Eigenlogik, S. 7. 12 Vgl. beispielsweise die Arbeiten von Jean Sauvaget, der die Struktur muslimischer Städte in der Le­ vante als kontrapunktisch und chaotisch im Vergleich zur Ordnung antiker Städte darstellt: S a u v a g e t, Alep. Zur Struktur der islamischen Stadt vgl. außerdem M a r ç a i s, Islamisme; d e r s ., Urbanisme; d e r s ., Conception; B r u n s h v i g, Urbanisme; G r u n e b a u m, Structure. Mit dem Einfluss Webers setzen sich kri­ tisch auseinander L a p i d u s, Muslim Cities; H o u ra n i / S t e r n, Islamic City. 13 Einen forschungsgeschichtlichen Abriss mit einschlägiger Bibliographie bieten Wa t t / W i n d e r, Almadīna; eine lesenswerte, kritische Aufarbeitung zu den älteren Forschungskonzepten findet sich au­ ßerdem in A b u ­ L u g h o d, Islamic City; R ay m o n d, Islamic City; A l s ay y i d, Study.

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Gegenteil sogar florierten.¹⁴ Eine ähnliche Prämisse wurde bald darauf für die Städte Nordafrikas formuliert, wovon archäologische Forschungsprojekte inspiriert wurden, die sich mit den Städten dieser Region am Übergang zur muslimischen Herrschaft beschäftigen und die konkreten Muster ihrer Entwicklung und Transformation freile­ gen.¹⁵ Palermo stellt für die Stadtgeschichtsforschung insofern einen faszinierenden Ge­ genstand dar, als hier mehrere Stadttypen und Entwicklungstypologien an ein und demselben Ort zusammenkommen: Als phönizische Gründung mit Einflüssen der rö­ mischen, vandalischen, oströmischen sowie schließlich muslimischen Herrschaft weist Palermo hinsichtlich der städtischen Raumgeschichte für die erste in dieser Arbeit zu analysierende Phase mehr Gemeinsamkeiten mit Städten Nordafrikas (im Sinne der römischen Provinz Africa bzw. der islamischen Provinz Ifrīqiya) auf als mit denen Ost­ siziliens oder des süditalienischen Festlands.¹⁶ Für diese Phase ist Palermo also in histo­ rische Makroregionen einzubinden, die nicht unbedingt mit dem heutigen Verständnis geographischer, geopolitischer oder kultureller Entitäten übereinstimmen. Innerhalb der muslimisch beherrschten Sphäre ist Palermo als Zentralort zu sehen, der einerseits in transmediterrane und andererseits in innerinsulare Raumhierarchien eingebunden war und in beiden Settings je spezifische Formen oder Funktionen sowie ein Netz von Verbindungen ausbildete.¹⁷ Für die zweite zu analysierende Phase verschiebt sich dieser Bezugsrahmen, und lokale wie transregionale Raumbeziehungen sind neu zu bewerten. Die Erzählmuster in Quellen und Forschungen operieren häufig mit Begriffen wie „Rückeroberung“ oder „(Re-)Christianisierung“, wenn sie beschreiben, wie Palermo in die lateinisch­christli­ che Sphäre überführt wurde. Diese Entwicklung kann im Sinne Robert Bartletts als „Europäisierung Europas“¹⁸ gedeutet werden, die mitunter für die Herstellung neuer religiös­politischer Grenzen sorgte und innerhalb dieser Grenzen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, genauer gesagt eine lateinische Christianisierung, herbei­ führte. Für die Raumanalyse des ‚europäisierten‘ Palermos wird es dann notwendig, Städte, Siedlungen, Kastelle und Reiche als Vergleichspunkte zu bedenken, die beispiels­ weise im Zuge der normannischen Eroberung Englands, der christlichen Eroberungen muslimisch beherrschter Gebiete auf der iberischen Halbinsel, der normannischen

14 Ke n n e d y, Polis; zu einer Wiederbetrachtung unter Einbeziehung des neueren Forschungsstandes vgl. Av n i, „Polis“. 15 Vgl. insbes. T h é b e r t / B i g et, Afrique; neuere Arbeiten auch von L e o n e, Change; d i e s ., Changing Townscapes; d i e s ., End. Zu laufenden Forschungsprojekten vor allem Fe n w i c k, Islamic North Africa; d i e s ., Medieval Urbanism; d i e s ., Fate; d i e s ., Africa. 16 Fe n w i c k, Early North Africa, S. 47‒69. 17 Vgl. dazu grundlegend die Arbeiten von N a ko i n z, Concepts, S. 258; d e r s ., Zentralortforschung; d e r s ., Zentralorte, der die von Christaller geprägte Zentralortforschung diskutiert und dabei die Frage nach der Zentralität unter dem Aspekt der Relationalität zwischen Zentralort und Region neu aufrollt. 18 B a r t l e t t, Making of Europe, S. 310‒334.

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Eroberungen auf dem griechisch bzw. oströmisch und langobardisch geprägten süd­ italienischen Festland oder – zu geringerem Ausmaß – der lateinischen Herrschaft im Heiligen Land transformiert wurden.¹⁹ Unter diesen christlich dominierten Städten nahm das christianisierte Palermo auf­ grund der urbanen Vorprägungen aber eine Sonderstellung ein. Dazu gehörte auch, dass die normannischen Herrscher dort eine Hauptresidenz mit Verwaltungszentrum etablierten, dass außerdem die städtische Ökonomie, Produktion und Handelsaktivi­ tät der mediterranen Metropole in besonderer Weise spezialisiert war. Beides führte bisweilen dazu, dass Palermo als vormoderne europäische Hauptstadt mit Modellcha­ rakter angesehen wurde.²⁰ Dies geschah oft mit einem bewundernden Blick, aber auch mit einer nicht näher rückgebundenen Bezugnahme auf die Zeit muslimischer Herr­ schaft oder die arabisch­islamischen Einflüsse in Palermo. Oft wurde sogar übersehen, dass es aus stadttypologischer Perspektive eben gerade die Rolle Palermos als Hauptund Handelsstadt ist, die die Phasen muslimischer und normannischer Dominanz in Sizilien miteinander verbindet. In Palermo überlagern sich also verschiedene Typen von Stadt in den urbanen Schichten, werden voneinander abgelöst und wieder aufgenommen oder existieren sogar parallel zueinander. Es gilt daher auszutarieren und zu zeigen, wie an ein und demselben Ort Kontinuitäten und Diskontinuitäten bestehen können oder, anders gesagt, in Fluidität und Spannung miteinander koexistieren und konkurrieren. In einer relativ neutralen, an geographischen Markern der Um- und Außenwelt orientierten Typisierung könnte Palermo mit Peregrine Horden und Nicholas Purcell auch als eine mediterrane Stadt bezeichnet werden,²¹ also als eine Stadt, die durch ihre Lage im (zentralen) Mittelmeer­

19 Anregungen bieten Studien, die sich mit den Transformationen anderer Städte befassen. Zur Stadt Mallorca B e r n a t R o c a, Madina. Zum urbanen Wandel im frühislamischen Palästina G i d e o n, „From Po­ lis“. Zur Transformation Toledos d e l a P a z E s t e v e z, Conquista; S e g u ra G ra í ñ o, Conquista. Für einen Vergleich zwischen Toledo und Sevilla M a s e r, Conquered. Für Konstantinopel am Übergang zu osma­ nischer Herrschaft K a f e s c i o ğ l u, Constantinopolis. Intra­religiöser, dynastischer Herrschaftswechsel in Hauptstädten lässt sich u. a. anhand des Übergangs Kairos von den Fatimiden an die Ayyūbiden unter Sa­ ladin beobachten, der als erster Sultan Ägyptens versuchte, die fatimidisch­schiitischen Prägungen der Stadt auszumerzen; vgl. O ’ K a n e, Ayyūbid Architecture; M a c Ke n z i e, Ayyūbid Cairo. Zur Besonderheit der urbanen Transformation Jerusalems im 12. Jahrhundert M u r ray, Constructing Jerusalem; d e r s ., Demographics; Vo l t a g g i o, Hagia Polis. 20 M a r o n g i u, Model State; Kö l z e r, Königshof. Die Herausbildung europäischer Hauptstädte ist über­ dies zu beobachten für London, Paris und Székesfehérvár (Stuhlweißenburg); vgl. S c h o f i e l d, London; Ke e n e, London; S o h n, Residenz; O b e r s t e, Geburt; G ö c ke n j a n, Stuhlweißenburg. 21 Vgl. H o r d e n / P u r c e l l, Corrupting Sea, insbes. Teil 2, Kap. IV „Ecology and the Larger Settlement“, S. 89‒122, wo diskutiert wird, wie die Städte des Mittelmeeres stets in Zusammenhang mit ihrem Hinter­ land und ihrer mediterranen Umwelt als ökologische Netzwerke von Ressourcen, Gütern, Menschen, poli­ tischer Macht und Ideen studiert werden sollten. Die klassische Typisierung von Städten bzw. Siedlungen wird kritisiert, während umgekehrt aber auch die Überzeugung der Autoren als problematisch einzustu­ fen ist, dass zwischen mediterranen Städten, Kleinstädten und Siedlungen keine Unterschiede hinsicht­

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raum, durch das ihr eigene Klima und fruchtbare Hinterland, die davon beeinflussten wirtschaftlichen Tätigkeiten sowie den großen Hafen mit der daraus resultierenden Ver­ bindung zur Außenwelt charakterisiert ist.²² In anderem Zusammenhang hat die Stadtforscherin Martina Löw aber konstatiert, „dass es keine Definition von Stadt geben kann, die epochen- und kulturübergreifend ist“.²³ In diesem Sinne ist an dieser Stelle hinsichtlich der Terminologien festzuhalten, dass eine Etikettierung von Raum, Zeit und Gesellschaft nach scheinbar klar zu defi­ nierenden oder benennenden Entitäten wenig aussagekräftig für spezifische Zustände oder Entwicklungen innerhalb eines Raum­Zeit­Gefüges ist (z. B. nach Religionen wie „islamisch“ oder „christlich“; nach geographischen Konstrukten wie „orientalisch“ oder „europäisch“; nach Dynastien wie „fatimidisch“ oder „normannisch“; nach Sprache wie „arabisch“, „griechisch“, „lateinisch“, oder nach Herrschaftskomplexen bzw. deren kul­ tureller Prägung wie „oströmisch“ bzw. „byzantinisch“). Reflektiert wird dies für die muslimisch beherrschte Sphäre, indem einige For­ scherinnen und Forscher im Englischen mit dem Terminus „Islamicate“ operieren, weil dieser zum Ausdruck bringt, dass Raum, Geschichte, Kultur usw. nicht nur durch die herrschenden Muslime und islamische Institutionen geprägt wurden, sondern auch von anderen religiösen Gruppierungen und ihren Einrichtungen oder kulturellen Er­ zeugnissen.²⁴ In der vorliegenden Studie werden Begriffe wie „muslimisches Palermo“ o. ä. daher nur behelfsmäßig verwendet, um einen Zeitraum zu markieren bzw. um die behandelte Zeit in Phasen zu untergliedern, in denen bestimmte Herrschaftsbereiche von Personengruppen dominiert wurden, denen eine Zugehörigkeit zu den genannten Kategorien zugewiesen werden kann bzw. die eine solche Zugehörigkeit für sich selbst annahmen. Es schwingt darin aber nicht die Vorstellung eines spezifisch muslimischen oder christlichen Seins, Aussehens oder Funktionierens mit.

lich ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Merkmale auszumachen seien. Ebenfalls wird die These, dass Akkumulation politischer Macht und Institutionen, d. h. die Funktion als Zentralort, entsprechende Aus­ wirkungen hatten, von ihnen abgelehnt; vgl. ebd., S. 102 f. 22 Diese Bezeichnung wird für Palermo zwar vereinzelt verwendet, um die Lage der Stadt zu beschrei­ ben, ist aber nicht als Forschungsbegriff fundiert. So erschien beispielsweise der weit rezipierte Sam­ melband zu Palermo unter dem Untertitel „A Mediterranean City“, doch wurde der Begriff nicht über die Bedeutung als geographischer Referenzpunkt hinaus konzipiert; N e f (Hg.), Companion, darin bes. d i e s ., Medieval History. Gleiches gilt für M i c a ra / P e t r u c c i o l i (Hg.), Mediterranean Medina. Eine An­ näherung an die „mediterrane Stadt“ als distinktes urbanes Phänomen wurde – wenngleich nicht aus historischer Perspektive – unternommen von E h l e r s, Mediterranean City. 23 Löw, R a u m, S. 14. 24 Zu diesem Begriff grundsätzlich H o d g s o n, Venture, hier S. 59.

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1.3 Verortung: Stand und Perspektiven der Palermo­Forschung Mit dem Fokus auf epochen- sowie kultur­übergreifende Transformationen Palermos und dem Vorhaben, städtischen Wandel mit lokalen wie überregionalen politischen und sozio­kulturellen Dynamiken oder Akteuren in Verbindung zu bringen, setzt die vorlie­ gende Untersuchung neue Akzente in der Erforschung Palermos. Diese war traditionell überwiegend lokalhistorisch ausgerichtet (sowohl im Sinne derer, die forschen, als auch hinsichtlich des Bereiches, der erforscht wird) und strebte meist eine detaillierte, topo­ graphische Darstellung noch existierender oder in den Schriftquellen erwähnter Orte, Viertel und Gebäude des Stadtraums an. Aus diesem Zugang eines Wo-ist­was­und­ wann­entstand-es resultiert seit dem 16. Jahrhundert die Tendenz, sich der Stadtgestalt durch eine Rückschau anzunähern, bei der einzelne Raumobjekte in die Geschichte Siziliens eingeordnet bzw. den Erfolgen ausgewählter Herrscher und Dynastien zuge­ schrieben werden.²⁵ Aus allen Perioden der sizilischen Geschichte sticht dabei immer wieder der Zeitraum der normannischen Eroberung und des später begründeten König­ tums hervor. Diese Phase normannischer Herrschaft wurde traditionell als glorreicher Beginn der „eigenen“ Geschichte Siziliens gedeutet, nämlich als diejenige Vergangen­ heit, mit der sich die Geschichtsschreiber der jeweiligen Gegenwart oder die Herrscher und Institutionen, für die sie schrieben, identifizierten. Einen grundlegenden Pfeiler dieser Identifikation bildete vor allem die von den Normannen gestärkte und schließ­ lich dominant gewordene lateinisch­christliche Religion,²⁶ die in der Stadtgestalt (nicht nur Palermos, sondern der meisten Städte und Ortschaften Siziliens) sichtbar veran­ kerte Landmarken hinterließ. Die wenigen Überreste im städtischen Raum, welche auf muslimische Urheberschaft zurückgehen, wurden hingegen oft historiographisch fehl­ gedeutet oder ausgeblendet, städtebaulich angeeignet oder teilweise dem endgültigen Verfall preisgegeben.²⁷ Eine Aufarbeitung der muslimischen Vergangenheit und ihrer räumlichen Bezugs­ punkte fand erst durch die Auseinandersetzung mit den arabisch­islamischen Erschei­ nungsformen der normannischen Herrschaftsrepräsentation statt, die ab dem 18. Jahr­ hundert durch die verstärkte akademische Beschäftigung mit der arabischen Sprache begann.²⁸ Diese wurde in der Zeit des Risorgimento erheblich vorangebracht, wobei

25 Zurückzuführen ist diese Tradition vor allem auf die Gelehrten Claudio Arezzo und Tommaso Fazello; siehe zu ihnen die Ausführungen unten in der Einleitung Kap. 2.5 mit weiterführender Literatur. 26 Diese Sichtweise wurde v. a. begründet und fortgeschrieben von P i r r i, Chronologia; d e r s ., Sicilia sacra; I n v e g e s, Annali; M o n g i t o r e, Palermo; siehe hierzu ebenfalls die Einleitung Kap. 2.5. 27 Ausgewählte Beispiele dafür wurden partiell aufgearbeitet – u. a. für eine fehlgedeutete arabische Inschrift – bei Z e l d e s, Last Multi­Cultural Encounter; und für den sogenannten Ponte dell’Ammiraglio von J ä c k h, Water; vgl. außerdem B r u z e l i u s, Imperialism. 28 Die ersten wichtigen arabistischen Arbeiten für Palermo wurden vorgelegt von G r e g o r i o, Rerum arabicarum; zur Entwicklung des Arabischen als akademische Disziplin in Sizilien vgl. M a l l e t t e, Euro­ pean Modernity, Kap. 3, S. 65‒99.

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dann aus den arabischsprachigen Zeugnissen eine sizilianische Besonderheit bzw. Ei­ genständigkeit abgeleitet wurde. Als eminente und bis heute die Forschung prägende Gestalt tritt hier vor allem Michele Amari (gest. 1889) hervor, der allerdings keineswegs spezifisch der Stadtgeschichtsforschung zugeordnet werden kann. Vielmehr galt Ama­ ris historisches Interesse aufgrund seiner politischen Hoffnungen auf ein unabhängiges Sizilien zunächst der sizilianischen Vesper (1282), die als ersehnter Kampf gegen die Fremdherrschaft gedeutet wurde.²⁹ Im weiteren Verlauf seiner Forschungen verschob sich Amaris Fokus jedoch auf die Ära der muslimischen Herrschaft, die für ihn das goldene Zeitalter eines autono­ men Siziliens verkörperte. Systematisch trug Michele Amari arabischsprachige, Sizilien betreffende erzählende Zeugnisse zusammen und publizierte sie in der „Biblioteca ar­ abo­sicula“.³⁰ Etwa zur gleichen Zeit sammelte und transkribierte der Palermitaner Salvatore Cusa (gest. 1893) erstmals die arabischen Dokumente, die auf die norman­ nisch­staufische Herrschaftszeit zurückgingen und in den Archiven der Stadt lagerten.³¹ Im Gegensatz zu Cusa hinterließ Amari aber auch eine historische Interpretation der Quellen, die er mit seiner mehrbändigen „Storia dei Musulmani di Sicilia“ vorlegte, wel­ che die Geschichte der Muslime Siziliens von den Anfängen über die normannische Eroberung bis zu den Staufern behandelt.³² Es ist teilweise der ideologischen Überzeugung Amaris zuzuschreiben, dass sein opus magnum in vieler Hinsicht eine prononcierte Kontinuitätserzählung darstellt, mit der die Langlebigkeit arabischer bzw. muslimischer Einflüsse auf das normannische und schließlich staufische Sizilien unterstrichen wird. Während Amari von einigen

29 A m a r i, Guerra. 30 BAS (arab.), hg. von A m a r i; BAS (ital.), hg. von A m a r i; die Neuauflage BAS² (arab.), hg. von A m a r i / R i z z i t a n o ; BAS² (ital.), hg. von A m a r i / R i z z i t a n o. Amaris Zusammenstellung enthält nur Sizilien be­ treffende Passagen arabisch­islamischer Werke. Hier wurde deshalb mit den jeweiligen Einzel­Editio­ nen gearbeitet. Zur Orientierung sind meistens aber auch die entsprechenden Angaben zu Amaris BAS² gemacht worden, wobei bei Werken, die in gut zugänglichen Editionen und Übersetzungen vorliegen, darauf verzichtet wurde. 31 D i p l o m i, hg. von C u s a. Cusas Gesinnung tritt in der Einleitung zu seinem Werk deutlich zu Tage, wenn er festhält: „Ma un periodo è stato sempre, ed a preferenza studiato dagli storici nostri. Esso è quello di cui si è detto, il normanno­svevo, quello a cui ha fissato in ogni tempo lo sguardo il Siciliano, come ad un punto bianco nel nero orizzonte. Lo straniero, mosso da rispetto, lo ha lasciato a noi non tocco [sic], perchè proprietà nostra.“; ebd., S. VII. 32 A m a r i, Storia, hg. von N a l l i n o; die umfassendste, neuere Abhandlung stammt von M e t c a l f e, Mus­ lims of Italy, und der aktualisierten, italienischen Version: M e t c a l f e, Musulmani; vgl. außerdem die Dar­ stellungen von C h i a r e l l i, History; Va n o l i, Sicilia. Eine weitergefasste Geschichte Siziliens zwischen der späten oströmischen und normannischen Herrschaft lieferte D a v i s ­ S e c o r d, Three Worlds. Eine auf die Normannen fokussierte Geschichte stammt von N e f, Conquérir. Zu Amari und seiner Bedeutung in po­ litischen Diskursen vgl. D a i n o t t o, ‚Other‘ Europe; M a l l e t t e, European Modernity; d i e s ., Orientalism; N e f, Michele Amari; Wo l f, Orientalismo meridionale.

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seiner Zeitgenossen dafür scharf angegriffen und verspottet wurde,³³ bleiben seine Arbeiten bis heute aber richtungsweisend für die Forschung, insbesondere weil sie die Grundlage für die Beschäftigung mit der arabischsprachigen Administration der Normannen legten. Amari hatte erkannt, dass diese Ähnlichkeiten mit fatimidischen Verwaltungspraktiken aufweist, was er als Kontinuität zur kalbidischen Herrschaft erklärte. Diese Spur führte Forscher seit den 1980er Jahren zu einer weiteren Nu­ ancierung: Dass nämlich die frühesten arabischsprachigen Urkunden tatsächlich an lokale und demnach kalbidische Praktiken anknüpften, wohingegen die Verwaltung der königlichen Zeit auf fatimidischen Modellen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts beruht, was Jeremy Johns durch den Transfer von Expertenwissen erklären konnte.³⁴ In ähnlicher Weitsichtigkeit vermutete Michele Amari auch für Raumfragen be­ züglich Verortung und Nutzung, Architektur und materieller Kultur der Normannen in Palermo an vielen Stellen eine Übernahme muslimischer und islamischer Strukturen. Bald nach Amaris Bereitstellung neuer Quellen und Interpretationen zur Geschichte Siziliens, vor allem zur Hauptstadt Palermo, folgten auch andere Arbeiten, die ge­ zielt die topographische Erforschung Palermos in den Mittelpunkt stellten.³⁵ Solche textbasierten Ergebnisse konnten vor allem in den vergangenen zehn Jahren durch archäologische Studien an mehreren Stellen präzisiert und durch neue Befunde er­ weitert werden, wobei einige Kontinuitätsthesen Amaris auch hier mehrfach bestätigt wurden.³⁶ Insgesamt lässt sich in den hundert Jahren nach Amari aber feststellen, dass die Sichtweise, die in der Phase muslimischer Herrschaft eine lange, tiefgreifende Bruch­ stelle wahrnimmt, überwiegt. Dies kann nur teilweise darauf zurückgeführt werden, dass für diese Zeit wenig Material zur Analyse vorliegt. Vielmehr ist dieser Umstand auch damit zu begründen, dass sich darin historiographische Traditionen abzeichnen, welche die Normannen als Herrscher Siziliens, zumal gegenüber den Muslimen, favo­

33 So beispielsweise Carlo­Alberto Garufi, ein mit lateinischen Quellen arbeitender Zeitgenosse Amaris, den Jeremy Johns beschreibt als „a figure of insular stature with none of Amari’s breadth and depth of scholarship, pretended to disprove Amari’s argument by means of a detailed philological discussion, regardless that he knew no Arabic“; J o h n s, Arabic Administration, S. 7. 34 Dazu zunächst N o t h, Einleitung; d e r s ., Die arabischen Dokumente; die grundlegende Aufarbeitung stammt von J o h n s, Arabic Administration, hier v. a. Kap. 5 und 9. 35 Umfassende Raum- bzw. Topographieanalysen stammen von D i G i o v a n n i, Topografia, 2 Bde.; C o l u m b a, Topografia. Neben vielen verstreuten Aufsatzstudien zu einzelnen Aspekten sind die sich über mehrere Herrschaftsphasen erstreckenden Bemühungen in Sammelbänden zusammengetragen; vgl. v. a. L a D u c a (Hg.), Storia; G a b r i e l i / S c e r ra t o (Hg.), Arabi; N e f (Hg.), Companion; A r c i f a / S g a r ­ l a t a (Hg.), Polis. Monographien stammen von M a u r i c i, Palermo araba; d e r s ., Palermo normanna. 36 V. a. seine Vermutung, dass es sich beim Favara­Palast Rogers II., auch Castello del Maredolce, um einen Bau handle, der auf die arabisch­islamische Zeit zurückgeht; vgl. A m a r i, Storia, S. 407; zu einer Aufarbeitung dieser Diskussion vgl. D e S i m o n e, Enigma.

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risieren.³⁷ Die islamische Phase wird dann bloß im Vorbeigehen bzw. überwiegend aus der Rückschau thematisiert. Gerade aber der Blick in die Vergangenheit durch die Linse der christlichen Eroberer zeigt stets einen Raum, in welchem die Überformung oder Aneignung des vormals durch muslimische Herrschaft bzw. während muslimischer Herrschaft geprägten Stadtraums zementiert ist. Das muslimische Palermo erscheint unter dieser Prämisse gleichsam ohne eigene Geschichte als starre und eindimensionale Vor- oder Unterlage, welche die Normannen für die Herausbildung ihrer Hauptstadt verwendeten. Diese Bias zu dekonstruieren fällt schwer, weil sie durch die bis heute wirksamen nationalen Prägungen verschiedener Forschungstraditionen mitsamt der disziplinä­ ren Fähigkeiten (insbesondere die der sprachlichen Schulung) aufrechterhalten wird. Wertvolle Ansätze, welche die Erscheinung und Entwicklungen Palermos unter mus­ limischer Herrschaft wesentlich erhellt haben, stammen vor allem von der Arabistin Adalgisa de Simone und den Archäologinnen Elena Pezzini, Alessandra Bagnera, Lucia Arcifa und Alessandra Molinari, die archäologische und toponomastische Befunde mit „light touch comparisons“ kombinieren, d. h., dass sie an geeigneter Stelle nach ähnli­ chen Entwicklungen in anderen Städten suchten und dafür beispielsweise Vergleichs­ punkte in Ifrīqiya aufzeigten. Außerdem kollaborieren die genannten Archäologinnen seit einigen Jahren intensiv mit der in diesem Feld überhaupt sehr bedeutenden His­ torikerin Annliese Nef, und aus dieser Zusammenarbeit sind mehrere, für diese Arbeit zentrale Publikationen hervorgegangen.³⁸ Außerdem wurde durch die interdiszipli­ näre Kooperation das Quellenkorpus sowohl für historische als auch für archäologische Fragestellungen diversifiziert. In der Vergangenheit war nämlich gerade von archäolo­ gischer Seite gewarnt worden, dass es kaum angemessen sein könne, Palermos urbane Strukturen bzw. die Stadt (und ihre Geschichte) rekonstruieren zu wollen, weil man für Palermo nüchtern das Dilemma konstatieren müsse, dass innerhalb Siziliens hier zwar die ausführlichsten Schriftquellen, aufgrund der kontinuierlichen und dichten Besie­ delung aber vergleichsweise besonders wenige, überwiegend punktuelle und zufällig aufgetane archäologische Datensätze vorliegen.³⁹

37 Eine solche Tendenz findet sich beispielsweise bei L o n g o, First Norman Cathedral; d e r s ., Idealizing the Mediterranean; d e r s . (Hg.), Palazzo. Einen Überblick über die Forschung zum muslimischen Sizilien seit den 2000er Jahren bietet C a s s a r i n o, Studies. 38 Die Ergebnisse dieser Kollaborationen erschienen in A r c i f a / B a g n e ra / N e f et al., Dynamiques; A r ­ c i f a / S c a r l a t a (Hg.), Polis; N e f (Hg.), Companion; A r c i f a / B a g n e ra / N e f, Archeologia. 39 A r d i z z o n e / P e z z i n i / S a c c o, Role; d i e s ., Scavo; S a c c o, Ceramiche. Zu den aussagekräftigeren Be­ funden aus kleineren Ortschaften und den daraus entwickelten ‚epochenʻ­übergreifenden Ansätzen vgl. J o h n s, Monreale Survey; M o l i n a r i, Fortified and Unfortified Settlements; d i e s., Paesaggi; d i e s . / N e r i, Risultati; R i z z o, Insediamento; C a r v e r / M o l i n a r i, Insediamenti.

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1.4 Grenzen der Raumanalyse: erzählter Raum und verstellter Blick In der Abwesenheit weitgreifender und systematischer archäologischer sowie human­ geographischer Analysen im palermitanischen Stadtraum bleibt man überwiegend auf eine Auswertung von in schriftlichen Quellen dargelegten Rauminformationen ange­ wiesen. Dabei fällt zunächst auf, dass über viele Räume oder Raummarker schlicht keine oder kaum erzählte Informationen vorliegen, auch wenn ihnen innerhalb der Stadt hohe Relevanz zugekommen sein muss. Dies trifft schon allein auf geologische Determinanten zu, beispielsweise auf die drei die alte Kernstadt bestimmenden Gren­ zen: den Fluss Kemonia (auch Winterfluss genannt) im Süden, den Papireto im Norden sowie die Küstenlinie und Hafenbucht im Nordosten Palermos. Sie werden in den Quel­ len kaum thematisiert, und die Ausmaße ihrer Morphologie sind durch Erosion sowie wegen Schwankungen des Wasserstandes je nach Jahreszeit für die hier behandelte Phase kaum präzise zu ermitteln. Die Morphologie aber hätte wichtige Auswirkungen auf die genaue Verortung der an den Strömen gelegenen Viertel oder die Qualität der sich dort befindlichen Gebäude. Wie lückenhaft das Wissen, wie beschränkt der Blick ist, wurde gerade bei der Erstellung der diesem Buch beigegebenen Karten deutlich. Diese Karten sollen als Orientierungshilfen dienen und Veränderungen räumlicher Strukturen zu sechs Zeitbzw. Entwicklungsstufen visuell leicht erschließbar machen (siehe die Karten 1‒6 im Anhang).⁴⁰ Auf der Grundlage moderner, von OpenStreetMap zur Verfügung stehender Karten­Daten wurden hierfür zum einen Orte oder Bauten der palermitanischen Ver­ gangenheit erfasst, die durch noch existierende Überreste oder Grabungsergebnisse konkret belegt sind, sodass genaue Koordinaten ermittelt werden konnten. In vielen Fällen aber handelt es sich um sehr approximative Verortungen, die in den Karten auf Grundlage der Textquellen quasi nach Augenmaß gesetzt wurden. Dies ist insbeson­ dere der Fall bei Flächen wie Vierteln, teilweise aber selbst bei Befestigungsanlagen oder Toren sowie bei den erwähnten Wasserläufen, die hier übrigens entlang der heute noch erkennbaren Flussbetten inklusive ihrer Alluvialböden gezeigt werden.⁴¹ Bei der Eintragung der so ermittelten Informationen in die mit ArcGIS erstellten Karten, die in Kooperation mit Jan Sennekamp vom Geographischen Institut der Uni­ versität Heidelberg entstanden, entfachten sich mehrfach Diskussionen darüber, ob

40 Diese Stufen sind: die vorislamische Herrschaftsphase (Karte 1; korrespondierendes Kapitel: I.1.2); die aghlabidische Herrschaftsphase (Karte 2; korrespondierende Kapitel: I.1.2–I.2.2); die fatimidisch­kal­ bidische Herrschaftsphase (Karte 3 und 4; korrespondierende Kapitel: I.2.3–I.3.3); die normannisch­her­ zogliche Herrschaftsphase (Karte 5; korrespondierende Kapitel: I.3.3–II.1.2); die normannisch­königliche Herrschaftsphase (Karte 6; korrespondierende Kapitel: II.2.3–II.3). 41 Sehr unterschiedlich breit kartographierte Flussbetten sind abgebildet bei M a u r i c i, Palermo araba, S. 23; P e z z i n i, Palermo, S. 228 f.; vgl. dazu außerdem die Arbeiten der Archäologin S p a t a f o ra, Panor­ mus; d i e s ., Nuovi dati.

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eine Darstellung der auf Texten basierenden Informationen aus der Perspektive geo­ graphisch­kartographischen Arbeitens überhaupt valide vertretbar sei. Anders gesagt: Wie kann erzähltes Raumwissen kartographisch­wissenschaftlichen Standards gerecht werden? Diesem Punkt könnte von Seiten der Geschichtswissenschaft mit dem Argument begegnet werden, dass die Karten weniger geographische als vielmehr historische und gesellschaftliche Gegebenheiten oder Entwicklungen abzubilden suchen. Das heißt, sie zielen eher darauf ab anzudeuten, was in oder mit einem Raum geschehen ist, als dass sie diesen exakt und unabänderlich verorten wollen. Dies gilt selbst für die Darstel­ lung von spezifischen Orten wie Kirchen, die zwar oft präziser fassbar sind als lediglich umrissene Teilräume der Stadt wie beispielsweise Viertel, doch ist diese konkrete Ver­ ortung nur ein Teilaspekt raumtheoretischer Fragestellungen. So ist es für diese Arbeit beispielsweise relevanter zu fragen, ob ein spezifischer Ort mit einem anderen ver­ bunden war und wie (z. B. über gebaute Strukturen oder über soziale Beziehungen); ob sich ein Quartier jenseits oder diesseits der palermitanischen Stadtmauern befand, welche sozialen, ethnischen oder religiösen Gruppen dort anzutreffen waren, und ob sich räumliche und damit soziale Verschiebungen oder Überschneidungen feststellen lassen. Diese raum­relationalen Faktoren und ihre Aussagekraft für sozio­kulturelle Aushandlungsprozesse würden allein durch präzisere Koordinaten nicht verändert oder deutlicher werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Auswahl und die Reduktion, mit der Quellen über Räume berichten, näher zu reflektieren. Die Narratologie hat dafür das Konzept der semiotischen Räume entwickelt, das im Verständnis darauf operiert, dass der erzählte Raum durch bestimmte Marker und Grenzen gekennzeichnet und dadurch in seiner Dimension notwendigerweise selektiv dargestellt wird.⁴² Daneben haben wahrnehmungspsychologische und wahrnehmungsgeographische Forschungen konkret nachgewiesen, dass Raumdarstellungen die Raumwahrnehmungen, -erinne­ rungen und -vorstellungen der Sehenden bzw. der Erzählenden wiedergeben. Diese innere Raumabbildung wird auch als kognitive Karte oder mental map bezeichnet, die aus einem sogenannten Spacing- oder Syntheseprozess hervorgehe.⁴³ Wie anfangs im Zusammenhang mit den in Palermos Hafen ankommenden Menschen angedeutet,

42 Entwickelt wurde dieses Konzept maßgeblich in L o t m a n, Struktur. Eine Aufarbeitung der narrativen Erzeugung, Wahrnehmung und Beschreibung von Raum und seinen Strukturen aus germanistischer Per­ spektive liefert D e n n e r l e i n, Narratologie, bes. Kap. 7 „Raum als Element der erzählten Welt“, S. 164– 194; außerdem B o d e n h a m e r / C o r r i g a n / H a r r i s, Introduction; R e n n e r, Grenze. 43 Zu diesem Konzept vgl. To l m a n, Cognitive Maps, der die Raumorientierung von Ratten und Men­ schen experimentell untersuchte; maßgeblich ist auch die Arbeit von Ly n c h, Image, der als Architekt die Frage der Raumorientierung und inneren Kartenbildung für interdisziplinäre Zugänge ebnete; weiter zur Anwendung in den Geisteswissenschaften vgl. u. a. D o w n s / S t e a, Kognitive Karten; V i t o u c h (Hg.), Cognitive Maps, S. 15‒72; H a r t l, Kognitive Karten; Wa g n e r, Kognitiver Raum, S. 234‒249; H a r t m a n n, Konzepte, S. 8.

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werden die mental maps aus den je eigenen Assoziationen und Deutungsmustern von Personen hervorgebracht, was in der Konsequenz bedeutet, dass der erzählte Stadt­ raum zunächst das Ergebnis einer individuellen „Raum schaffende[n] Wahrnehmungs­ leistung“⁴⁴ darstellt und als solche auszuwerten ist.⁴⁵ Nach dem Architekten und Stadtplaner Kevin A. Lynch (gest. 1984) sind es vor allem fünf Raumelemente, die eine Chance haben, in individuellen sowie auch in gruppenoder zeitspezifischen Orientierungs- und Ordnungsvorgängen bewusst wahrgenom­ men, aufgegriffen und so in kognitiven Karten erinnert und gegebenenfalls überliefert zu werden: Wege („paths“) wie Straßen mit ihren Ausgangs- und Zielpunkten; Grenzen oder Ränder („edges“) wie Stadtmauern oder Flüsse; Bezirke („districts“) wie mar­ kante Teile von Stadtvierteln; Knotenpunkte („nodes“) wie Kreuzungen und Markt­ plätze; außerdem Wahrzeichen („landmarks“), d. h. Gebäude von besonderer politi­ scher, raumordnender oder religiöser Bedeutung, wie Herrschersitze, Tore, Hauptge­ betshäuser.⁴⁶ Diesselben kognitiven Merkpunkte, die zur Orientierung beitragen und das Bild („image“) einer Stadt prägen,⁴⁷ werden in der für die vorliegende Arbeit her­ angezogenen Überlieferung immer wieder begegnen, wohingegen andere Teilräume und Orte Palermos über Jahrhunderte hinweg in den Quellen gänzlich unbeleuchtet bleiben. In dieser durch die Wahrnehmung einzelner Individuen reduzierten und in Er­ zählungen selektiv vermittelten Welt ist aber nicht nur die Frage zu bedenken, welche Räume überhaupt erzählt werden und wie, sondern es ist außerdem ein kritischer Um­ gang hinsichtlich der Überlieferungschance und des Überlieferungszufalls von Räumen und Orten in ihrer materiellen Präsenz gefordert. Gerade hier ist es sinnvoll, Räume und Orte nach Praktiken ihrer Nutzung sowie der ihnen zugeschriebenen Bedeutung in der Analyse zu unterscheiden. In diesem Sinne hatten beispielsweise religiöse Haupt­ orte bei Herrschaftswechseln oftmals eine höhere Wahrscheinlichkeit, durch Aneig­ nung und Transformation zu überdauern, als Orte der politischen Repräsentation. Was

44 R o t h m a n n, Aisthetik, S. 362; L ö w, Raum, S. 17 f. 45 Ansätze zur Darstellung mehrerer Raumvorstellungen und -wahrnehmungen in einer Bündelung bzw. Übereinanderschichtung werden in der Konstruktion sogenannter „deep maps“ erprobt; vgl. Ay e r s, Place; B o d e n h a m e r, Space, S. 9: „All spaces contain embedded stories based on what has happened there. These stories are both individual and collective, and each of them link geography (space) and history (time)“. Zum cartographic turn vgl. L é v y (Hg.), Cartographic Turn; E n g b e r g ­ P e d e r s e n (Hg.), Literature; B ra n c h, Cartographic. 46 Vgl. dazu Ly n c h, Image, Kap. 3 „The City Image and Its Elements“, S. 46‒82, insbes. S. 47 f. 47 „Image“ ist hier einerseits zu verstehen als das innere Bild, welches ein Individuum von dem es um­ gebenden, äußeren Raum hat. Es kann andererseits aber auch eine Gesamtheit solcher Bilder und damit kollektiv gültige Wahrnehmungs- und Deutungsvorstellungen von Raum darstellen. Die wohl bekann­ teste Diskussion solch kollektiver Abbilder stammt von S a i d, Orientalism, der das Bild des „Orients“ in den als westlich bezeichneten Gesellschaften bzw. ihrer akademischen Disziplinen als Konstrukt ausdeu­ tete, das einer empfundenen Überlegenheit des ‚Westens‘ gegenüber dem ‚Orient‘ entstamme und dazu diene, eben diese weiter zu verfestigen.

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Arnold Esch in erhellender Weise für historische Schriftquellen darlegte,⁴⁸ gilt somit in ähnlicher Weise für die Überlieferung materieller Zeugnisse, für Räume, Orte und Bauten, deren Überleben – wie das von Geschriebenem – durch Zufälle einerseits und von bestimmten Überlieferungschancen andererseits determiniert wird. Die folgende Darstellung der Quellengrundlage ist diachron organisiert und zielt darauf ab, den jeweiligen Aussagewert für die Raumanalyse ebenso wie die hinter den Zeugnissen stehenden Raumpraktiken wie das Reisen oder Begehen, das Aneignen oder Vermessen bzw. die jeweilige Causa ihrer Entstehung und Wahrnehmung im Hinblick auf Raum zu erläutern.

48 E s c h, Überlieferungs­Chance.

2 Quellengrundlage der Untersuchung 2.1 Raumbeschreibung: Geographie, Kartographie und Reiseberichte 2.1.1 Arabisch­islamische Geographie und Kartographie Ein Cluster an Quellen, das über die naturräumliche Lage und menschengemachte Topographie Palermos berichtet, ist dem Genre arabisch­islamischer Geographie zuzu­ ordnen und datiert in das 10. bis 15. Jahrhundert.¹ Die Verfasser dieser Werke erheben den Anspruch, geographischen Raum methodisch fundiert und damit gewissermaßen realitätsgetreu aus der Perspektive des Beobachters darzulegen, nicht zuletzt um Ori­ entierung in den Reichen muslimischer Herrschaft (arab. mamlakat al-Islām) zu er­ möglichen. Die ausführlichste Abhandlung über das muslimisch beherrschte Palermo verfasste der aus Mesopotamien stammende Ibn Ḥawqal (gest. nach 362/973), der die Hauptstadt Siziliens im Frühling des Jahres 362/973 selbst besuchte. Sein in verschiede­ nen Versionen überliefertes „Kitāb ṣūrat al-arḍ (Buch über die Beschreibung der Erde)“ wurde weit rezipiert und wirkte gattungsprägend.² Der Bericht stammt aus einer Zeit, als die Dynastie der Aghlabiden (184/800‒296/909), die in Ifrīqiya geherrscht und von dort aus die Insel Sizilien ab 211/827 erobert hatte, bereits von den schiitisch­ismaili­ tischen Fatimiden (in Ifrīqiya residierend 297/909‒361/973, de facto Vorherrschaft in Ifrīqiya bis 440/1049; Kontrolle über Sizilien ab 297/910) verdrängt worden war. Weil sich Ibn Ḥawqal während seiner Reisen als Gast am Hof der Fatimiden in Ifrīqiya aufhielt und die Kalifen in seinem Werk gleich mehrfach preist, schlussfolgerte die Forschung, dass er vielleicht sogar in deren Auftrag reiste, zumindest aber mit ihnen sympathisierte.³ Dies würde auch erklären, weshalb er sich an vielen Stellen in seinem Werk voller Verachtung über die Einwohner Siziliens und ihre Gepflogenheiten äußerte.⁴ Beson­

1 Einen Überblick über die Entwicklung der Disziplin bietet R a p o p o r t, Islamic Maps. 2 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, hier: S. 128. Kramers liefert ne­ ben der Revision des arabischen Textes auch eine französische Übersetzung: I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t. Darin findet sich auch ein kurzer Abriss über die Bedeutung des Werkes in der arabischen (Reise-)Literatur: W i e t, Importance, in: d e r s ., S. IX–XVII; außerdem zuletzt B e n c h e k r o u n, Requiem. 3 Die Vermutung, dass Ibn Ḥawqal vielleicht in deren Auftrag reiste, bei Gaston Wiet in I b n Ḥ a w q a l, Configuration, S. XII. Wie auch Heinz Halm anmerkt, versäumte Ibn Ḥawqal nicht, die fatimidischen Imam­Kalifen mit typisch ismailitischen Segensformeln zu ehren; H a l m, Mahdi, S. 304. Gehäuft treten diese Formeln beispielsweise bei der Beschreibung von al-Manṣūr und seiner Hauptstadt al-Manṣūrīya auf; vgl. I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 72 (das Lob alManṣūrīyas beginnend ab S. 68). 4 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123 f., 126, 131. https://doi.org/10.1515/9783110773262-002

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ders die Einflüsse von Christen oder Imaziɣen (Pl. von Amaziɣ/Amazigh, bekannt unter der auch negativ konnotierten Fremdbezeichnung Berber) sowie die religiös­rechtli­ chen und sozialen Praktiken der Muslime auf der Insel stießen ihn ab. Während ihm das Hinterland Siziliens als kaum islamisiert galt, deutete er Palermo als Zentrum der Herrschaft und der islamischen Institutionen. Obwohl Ibn Ḥawqal auch an den Mus­ limen Palermos kaum ein gutes Haar ließ, ist sein Bericht von großem Wert, weil er beachtlich detailliert über die Topographie der Stadt, die Lage und Namen ihrer Vier­ tel und Tore sowie über ihre Wasserversorgung informiert war. Ibn Ḥawqals Bericht bietet damit die maßgebliche Grundlage für ein Verständnis über die Topographie und Gesellschaft des muslimischen Palermos. Eine zentrale Herausforderung besteht aber darin, die einzelnen Elemente, die er erwähnt, nach ihren Zeit- und Raumschichten zu differenzieren, um sie in ihrem jeweiligen historischen Kontext analysieren zu können. Rund ein Jahrzehnt nach Ibn Ḥawqal beschrieb der aus Jerusalem stammende al-Muqaddasī (gest. nach 380/990) die zentrale Mittelmeerinsel in seinem „Kitāb Aḥsan al-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm (Buch über die beste Aufteilung des Wissens über die Regionen)“, das als wichtigstes Werk der arabisch­islamischen Geographie der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gilt.⁵ Seine der Region des Maghreb zugehörigen Schilde­ rungen Siziliens sind knapper und sachlicher als die Darstellung des Reisenden Ibn Ḥawqal, da ihnen die überzeichneten, ‚ethnographischen‘ Beschreibungen fehlen. An einigen Stellen liefert al-Muqaddasī aber wichtige Details, die Ibn Ḥawqals Bericht fehlen, wobei unklar bleibt, woher er seine Informationen zu Sizilien und Palermo bezogen hat. Der von al-Muqaddasī entwickelten Systematik, mit der er die islami­ schen Provinzen (arab. iqlīm, Pl. aqālīm) beschrieb, ist es auch zu verdanken, dass einzelne Regionen oder Orte innerhalb der islamischen Sphäre gut miteinander vergli­ chen werden können: Er etablierte nämlich Idealtypen islamischer Provinzen anhand räumlicher Strukturen, die er dann am jeweiligen Beispiel mit den realen Gegebenhei­ ten abglich.⁶ Zu diesen beiden geographischen Werken kommt eine der vielleicht bemerkens­ wertesten Quellen für das muslimisch beherrschte Sizilien hinzu: Der „Kitāb al-ġarāʾib al-funūn wa mulaḥ al-ʿuyūn (Buch über die Kuriositäten der Wissenschaft und Wunder für die Augen)“, besser bekannt unter dem Namen „Book of Curiosities“, ist ein anonym überliefertes Werk, das eine umfangreiche Zusammenstellung des verfügbaren geogra­ phischen und kosmologischen Wissens ebenso wie beeindruckende, kartographische Darstellungen mit dazugehörigen Erklärungstexten beinhaltet. Der Entstehungskontext des Werks ist ebenfalls mit dem fatimidischen Kalifat verbunden, dessen Autorität der Verfasser eindeutig anerkannte.⁷ Es datiert etwa auf die Mitte des 11. Jahrhunderts;

5 A l - M u q a d d a s ī, Aḥsan al-taqāsīm, hg. von D e G o e j e; englische Übersetzung: a l - M u q a d d a s ī, Best Divisions, übers. von C o l l i n s. 6 M i q u e l, Al-Muḳaddasī. 7 Dazu Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 32; R a p o p o r t, Reflections.

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Quellengrundlage der Untersuchung

das älteste erhaltene Manuskript allerdings, das im Jahre 2002 aus privatem Besitz von der Bodleian Library in Oxford aufgekauft wurde, stammt aus dem mittleren 13. Jahr­ hundert. Zumindest die darin enthaltene kreisförmige Weltkarte zeigt sich stark vom kartographischen Wissen jener Zeit beeinflusst.⁸ Sein Wissen über Sizilien bezog der unbekannte Autor zu großen Teilen aus dem Bericht des Ibn Ḥawqal, liefert darüber hinaus aber auch eigenständige und aktuali­ sierte Informationen, die eine spätere Zeitschicht der urbanen Gestalt Palermos und des Hinterlandes hervortreten lassen. Da im Text zu Sizilien politische Turbulenzen angedeutet werden, gingen Jeremy Johns und Emily Savage­Smith zunächst davon aus, dass damit die Invasion der Normannen gemeint und das Werk daher zwischen 1068 und 1071 entstanden sein müsse; mittlerweile wurde die Entstehung auf um 1050 vor­ datiert.⁹ Gleiches wurde für die mit dem Text gemeinsam überlieferte Karte Siziliens angenommen, die als „die größte Insel des Meeres“ betitelt wird. Diese stellt eines der kartographischen Herzstücke des „Kitāb al-ġarāʾib“ dar und dokumentiert faszi­ nierend detaillierte Kenntnisse über die geographische Beschaffenheit Siziliens, die Namen und Lage von Quellen und Flüssen, Bergen und Ortschaften und vor allem über die Hauptstadt Palermo.¹⁰ Die Karte weist allerdings topographische Informatio­ nen auf, die urbane Entwicklungen in Palermo nach oder um 454/1062 zeigen, was womöglich eine zeitlich versetzte Entstehung der Sizilienkarte bedeuten könnte (dazu unten Kap. I.3.2.1., bei Anm. 50). Weitere geographisch­kartographische Werke stammen aus der Zeit, nachdem die Insel Sizilien bereits von den Normannen erobert und in ein christliches Königreich transformiert worden war. Die Beschreibungen des Muḥammad al-Idrīsī (gest. um 560/ 1165), Yāqūt bekannt als Yāqūt al-Rūmī oder Yāqūt al-Ḥamawī (gest. 626/1229) und al-Ḥimyarī (gest. 900/1494) sind aufschlussreich, um die Überformungen nachzuvoll­ ziehen, die sich unter christlicher Herrschaft in Palermo zugetragen haben. Dass diese gerade aus muslimischer Perspektive gespiegelt werden, ist nicht zuletzt deshalb in­ teressant, weil sich daran zeigt, wie die Autoren mit dem Herrschaftswechsel und dem damit einhergehenden Verlust der Insel für den dār al-Islām (wörtl. Haus des Islam, d. h. die muslimisch dominierten Gebiete der Welt) umgingen. Dabei kann man vor allem erkennen, was muslimische Autoren, Jahrhunderte nachdem Sizilien unter lateinisch­christlicher Herrschaft war, erinnert wissen wollten. Besonders detailliert und für diese Untersuchung aussagekräftig ist das Werk des alIdrīsī, der gemeinhin mit der blühenden Kunst, Kultur und Wissensproduktion am Kö­ nigshof Rogers II. (1130‒1154) und Wilhelms I. (1154‒1166) assoziiert wird.¹¹ Der „Kitāb

8 Vgl. Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 1, 30 f. 9 J o h n s, Nuova fonte, S. 410 mit Anm. 3. 10 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 136‒139 (arab.), 462‒466 (engl.); Oxford, Bodleian Library, MS Arab. C. 90, fol. 32B–33A. 11 A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i; G a t a n i, L’opera; N e f, Al-Idrîsî.

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Nuzhat al-muštāq fī iḫtirāq al-āfāq (Buch über die angenehmen Reisen in weitentfernte Länder)“, auch als „Kitāb Ruǧār (Buch Rogers)“ bekannt, liefert neben einer kurzen Ge­ nealogie der normannischen Könige eine Beschreibung der Klimata und Regionen der Welt, von denen al-Idrīsī selbst den Maghreb, die südliche iberische Halbinsel und Teile des Königreichs Sizilien bereist hatte. Darin enthalten ist eine recht ausführli­ che Beschreibung der Hauptstadt Palermo und ausführliche Informationen über die Geographie und die innerinsulare Vernetzung des sizilischen Terrains, wobei al-Idrīsī detailliert die Wegesysteme, Distanzen und Ortschaften der Insel beschreibt. Das Werk, zu dem eine nicht überlieferte silberne Planisphäre gehörte, war wahr­ scheinlich zunächst für Roger II. gedacht, wurde aber erst zur Zeit Wilhelms I. fertig­ gestellt. Während die Sizilienforschung zuletzt verstärkt die Herkunft al-Idrīsīs disku­ tierte,¹² ist sein geographischer Text, der in einigen Manuskripten mit den berühmten Karten der Klimazonen und Regionen überliefert wurde,¹³ längst nicht erschöpfend behandelt worden – dies gilt vor allem für seine Bedeutung als Quelle für die Topo­ graphie und Toponomastik Siziliens. Wenig berücksichtigt wurde außerdem, welche Rückschlüsse seine Zusammenstellung geographischen Wissens auf die interkulturelle Kommunikation am palermitanischen Königshof erlaubt, und vor allem die sich auf­ drängende Frage, welche Informationen al-Idrīsī aus seinen Verbindungen zur herr­ scherlichen Verwaltung geschöpft haben könnte, bleibt überwiegend unerschlossen.

2.1.2 Hebräische und arabische Reiseberichte Wichtige Beschreibungen Palermos sind weiter überliefert in Quellen, die ebenfalls aus der Raumpraktik des Begehens und Wahrnehmens entstanden sind, anders als im Falle Ibn Ḥawqals und al-Idrīsīs aber das eigene Erfahren und Erleben des Raumes in den Vordergrund stellen: Es handelt sich um zwei Reiseberichte iberischer Provenienz, von denen der eine von einem jüdischen Verfasser, Benjamin b. Jonah (gest. um oder nach 4933/1173) aus dem christlichen Norden, und der andere von einem Muslim namens Ibn Ǧubayr (gest. 614/1217) aus dem muslimischen Süden stammt. Rabbi Benjamin, bekannt als Benjamin von Tudela, reiste von Saragossa aus über den Landweg nach Marseille, von dort über Genua und Süditalien nach Griechen­

12 Unbestritten ist, dass al-Idrīsī aus der nordafrikanischen Familie banū Ḥammūd (Hammudiden) stammt, die zwischen 1016 und 1058 in Málaga geherrscht hatte. Die Forschung ist sich jedoch uneins, ob al-Idrīsī in Ceuta geboren wurde und als Erwachsener nach Sizilien kam oder ob schon sein Vater dorthin ausgewandert war; vgl. die Diskussion bei A l l a o u a / N e f, Al-Idrīsī; dagegen J o h n s, Arabic Ad­ ministration, S. 236 mit Anm. 101; neuerdings wurde die Allaoua / Nef­These aufgenommen von D u c è n e, Al-Idrīsī. Zum Werk auch d e r s ., Les œuvres. 13 Vgl. beispielsweise die Karten im Pariser Manuskript, das Ende des 7. / 13. oder zu Beginn des 8. / 14. Jahrhunderts kopiert wurde: Paris, BnF, MS Arabe 2221, insbes. fol. 203v‒204r.

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land, weiter nach Konstantinopel und Jerusalem, von dort nach Bagdad und zu den alten Talmudakademien im Zweistromland, weiter nach Persien und nach Ägypten und schließlich von Damietta über Tinnis nach Sizilien, von wo aus er im Jahr 4933/1173 über Italien nach Kastilien zurückkehrte.¹⁴ Die Textstruktur des als „Massaʾot Benyamin (Reisen des Benjamin)“ bezeichneten Berichts orientiert sich allerdings nicht an der Reiseroute, sondern ist nach Regionen bzw. nach den Kontinenten Europa, Asien und Afrika aufgebaut, womit er sich in der geographischen Wahrnehmung und Aufteilung der Welt von der arabisch­islamischen Tradition unterscheidet. Über die Beweggründe von Benjamins Reise ist wenig bekannt,¹⁵ sein Stil ist sehr schlicht, und das Augenmerk liegt auf jüdischen Gemeinden oder Individuen, die er unterwegs traf. Seine Aussagen zu Sizilien, wo er mindestens Messina und Palermo besuchte, sind insofern relevant, als er einige anderweitig nicht dokumentierte Orte benennt und die ansonsten wenig in den Quellen auftauchende jüdische Bevölkerung der Stadt erwähnt.¹⁶ Der ausführliche Bericht des aus Valencia stammenden und im almohadischen Granada dienenden Ibn Ǧubayr gehört dem Genre des Reiseberichtes (arab. riḥla) an und prägte diese Gattung maßgeblich.¹⁷ Ibn Ǧubayr hatte sich auf eine Pilgerreise zu den heiligen Stätten Mekka und Medina begeben und erlitt auf seiner Rückreise Schiffbruch vor Messina. Gestrandet in Sizilien verbrachte er dort die Wochen von Ramaḍān bis Ḏū l-Ḥiǧǧa 580, was Dezember 1184 bis März 1185 entspricht, bevor er seine Heimreise antrat.¹⁸ Zu betonen ist an dieser Stelle, dass sein ungeplanter Aufenthalt in Sizilien von immerhin drei Monaten im Verhältnis zum Rest seiner Reise von rund zwei Jahren recht lange andauerte. Ibn Ǧubayr durchquerte und beschrieb die von ihm besuchten Städte und Ortschaften Siziliens entlang der Küstenroute von Messina bis nach Trapani und legte besonderes Augenmerk auf Palermo und den königlichen Palast. Seine Darstellung ist eines der wichtigsten Zeugnisse aus der Zeit Wilhelms II. Ibn Ǧubayrs Erzählstil gilt im Vergleich zum späteren Reisebericht des Ibn Baṭṭūṭa (gest. zwischen 770/1368 und 779/1377) als simpel; sein Interesse sei vor allem fromm und religiös­spirituell geleitet.¹⁹ Vom christlich beherrschten Sizilien zeigt sich Ibn Ǧubayr deutlich fasziniert – keineswegs im positiven Sinne ‒, wobei Gefahr und Gewinn seiner Schilderungen darin bestehen, dass er ein durch die normannische Herrschaft gänzlich transformiertes Sizilien im Wissen darum beschreibt, dass die Insel einst mus­ limisch dominiert war. Vor diesem Hintergrund liest sich sein Text in weiten Teilen wie

14 B e ny a m i n m i - T u d e l a, Sefer ha-massaʿot, hg. von Ad l e r, S. vii‒xvi. 15 Eine allgemeine Diskussion des Texts bietet J a c o by, Benjamin; S h a l e v, Benjamin, bespricht die früh­ neuzeitliche Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. 16 B e ny a m i n m i - T u d e l a, Sefer ha-massaʿot, hg. von Ad l e r, S. 78 f. (engl.), 108 f. (hebr.). 17 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e; I b n J u b ay r, Travels, hg. und übers. von B r o a d h u r s t. 18 Die Genauigkeit der Zeitangaben ist eine der Auffälligkeiten seines Stils; vgl. W r i g h t (Hg.), Travels, S. 16; M a t t o c k, Travel, S. 43. 19 Vgl. N e t t o n, Riḥla; G a t e a u, Observations.

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eine Verlustgeschichte. Der Autor eröffnet damit eine interessante Perspektive auf das als marginalisiert empfundene Eigene in der Fremde. Dabei legt er bisweilen durchaus zwiegespalten die Situation seiner Glaubensgemeinschaft unter christlicher Fremd­ herrschaft dar.²⁰ Die Insel war dabei der einzige Ort, an dem der Reisende christliche Herrschaft intensiv beobachten konnte, und diese Erfahrungen haben seinen Beitrag stark geprägt.

2.2 Raumerzählung: Historiographie und Dichtung 2.2.1 Arabische Historiographie und Dichtung Die arabisch­islamische Überlieferung, die sich mit der Geschichte des muslimischen Siziliens beschäftigt, ist relativ spärlich, und das, was an Historiographie überliefert ist, entstand überwiegend in großer zeitlicher wie räumlicher Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung. In der vorliegenden Studie wird sie vorwiegend zur Rekonstruktion von Ereignissen oder Entwicklungen während der muslimischen Herrschaft in Sizi­ lien sowie zur Kontextualisierung von Personen, die im palermitanischen Stadtraum gewirkt haben, herangezogen. Nach derzeitigem Stand stellt die einzige auf uns gekom­ mene, ausführliche und aus sizilischer Perspektive geschriebene Quelle die anonyme „Geschichte der Insel Sizilien (Tarīḫ ǧazīrat Ṣiqilliya)“ dar, besser bekannt unter dem Namen „The Cambridge Chronicle“. Dieses im 19. Jahrhundert entdeckte Werk stammt wahrscheinlich von einem Palermitaner, vielleicht einem Christen, der vom Beginn der Eroberung Siziliens durch die Muslime bis zum Jahr 353/964–965 in annalistischer Form vorwiegend über Ereignisse in Palermo berichtet.²¹ Weitere Beispiele für ara­ bischsprachige Geschichtsschreibung über Sizilien sind nur fragmentarisch erhalten²² oder verlorengegangen, sodass deren Existenz nur aus anderen Notizen bekannt ist.²³

20 N e t t o n, Riḥla, S. 29 f. 21 Die arabische Version findet sich als Cambridge Chronicle in BAS² (arab.), Bd. 1, S. 190–203; BAS² (ital.), Bd. 1, S. 277–291; die griechische Version findet sich in: Die byzantinischen Kleinchroniken, hg. von S c h r e i n e r, S. 326‒340. Vermutet wird, dass der Text aus dem späten 4. bis frühen 5. AH bzw. dem späten 10. bis frühen 11. Jahrhundert n. Chr. stammt, womit er das früheste historiographische Zeugnis darstel­ len würde, das für das muslimische Palermo zur Verfügung steht. Vgl. außerdem N e f, Islamic Palermo, S. 39‒60; M e t c a l f e, Arabic Speakers, S. 9; C o z z a ­ L u z i (Hg.), Cronaca. 22 M a n d a l à, Martyrdom. 23 Zur verlorengegangenen Biographie Rogers II. des al-Ḥanaš vgl. M e t c a l f e, „De Saracenico“, S. 58; ̌ addād und seiner Rezeption im Kontext der Ereignisse um Philipp von al-Mahdīya zum Werk des Ibn Sh am Hof Rogers II. vgl. J ä c k h, Verbrechen.

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Quellengrundlage der Untersuchung

Als Teilgebiet der allgemeinen islamischen Geschichte wird Sizilien daneben in allen umfassenden arabischsprachigen Weltchroniken thematisiert.²⁴ Für die kompila­ torisch angelegten Werke trugen insbesondere Autoren wie Ibn al-Aṯīr (gest. 606/1210) und al-Nuwayrī (gest. 8. / 14. Jahrhundert) Informationen aus verschiedenen, ihnen zur Verfügung stehenden und mittlerweile häufig verlorengegangenen Quellen zusammen. Die Texte widersprechen sich teilweise, die Angaben von Daten und die Erklärungen historischer Zusammenhänge sind machnmal unzuverlässig bzw. widersprüchlich, und vor allem sind die Informationen sehr lückenhaft. Dass Sizilien in der arabisch­isla­ mischen Historiographie insgesamt kaum ein eigener Platz eingeräumt wurde, dürfte darin begründet liegen, dass die Insel in mancher Hinsicht eine Randstellung im dār al-Islām einnahm. Im Vergleich zur übrigen arabisch­islamischen Expansion im Mittelmeerraum wurde Sizilien erst spät und noch dazu in einem sehr langwierigen Prozess erobert. Die Islamisierung ging schleppend voran, und erst mit den späteren Kalbiden (für die Fatimiden stellvertretend in Sizilien 335/947 ‒ mind. 431/1040 oder sogar 445/1053 re­ gierend) etablierte sich eine weitgehend selbstständige Dynastie, die entsprechende Strukturen der Repräsentation ausbildete, was auch die literarische Produktion an­ regte. Das Gebiet fiel dann aber vergleichsweise früh in die Hände der „Franken“ (al-Ifranǧ) und war somit bereits ab dem späten 11. Jahrhundert eine der islamischen Welt entfremdete Provinz. Bis zur Deportation der Muslime unter Friedrich II. flammte das Interesse für Sizilien in der arabischsprachigen Historiographie im Wesentlichen nur dann auf, wenn es die Lage der unter christlicher Herrschaft lebenden Muslime zu beklagen, die Herrschaftsrepräsentation und -praktik ihrer Könige zu bestaunen (nicht zwingend in der positiven Konnotation), oder Hoffnungen auf eine Rückeroberung durch die Muslime auszudrücken galt.²⁵ Eine untergeordnete Rolle spielt die arabischsprachige Dichtung. Nennenswert aus diesem Genre sind die Werke von Ibn Ḥamdīs, genannt al-Ṣiqillī (gest. ca. 527/1132‒1133), und Ibn Qalāqis (gest. ca. 567/1172). Der Erstgenannte verließ Sizilien zur Zeit der nor­ mannischen Eroberungen und verfasste in Nordafrika eine Reihe von Gedichten, in denen er sich an das Land seiner Kindheit in nostalgischen Versen erinnerte. Der Zweite hingegen wurde in Alexandria geboren und kam Ende der 1160er Jahre nach Sizilien. Dort hielt er sich für mehrere Monate in Palermo auf, wo er zunächst von einem der einflussreichsten Muslime der Stadt patroniert wurde, aber auch in Kontakt mit dem königlichen Hof trat. In beiden Werken werden Räume besungen und gelobpreist,

24 I b n a l - A ṯ ī r, Kāmil, hg. von Ta m u r ī; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī; I b n a l - A ṯ ī r, Kāmil, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 263–354; BAS 2 (ital.), Bd. 1, S. 353–507; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in: BAS 2 (arab.), Bd. 2, S. 480–509; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 110–160. 25 Vgl. beispielsweise a l - Ḥ a m a w ī, Tarīḫ, hg. von D ū d ū/D a r w ī š, S. 99 f. Diskutiert werden diese Schil­ derungen bei E n g l, Verdrängte Kultur, u. a. S. 98 f., 104–122; zu den arabischen Quellen über die Muslime in Lucera vgl. L e d e r, Bedeutung.

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die als Vorstellungsrahmen und Bühne für den Ausdruck von Gefühlen, Bildern sowie von politischen Gedanken fungieren. Da sie aber an reale Räume und ihre Akteure gebunden oder teilweise sogar von ihnen inspiriert sind oder auf konkrete Orte Bezug nehmen, eignen sie sich, um das Verhältnis von Raum und Imagination zu reflektieren.

2.2.2 Lateinische Historiographie und Dichtung In lateinischen Schriften ist Sizilien bis zur Phase der normannischen Eroberung spo­ radisch dokumentiert. Dann aber setzt eine Überlieferung ein, welche die Geschichte der lateinisch­christlichen Eroberer Siziliens ausgesprochen dicht schildert. Vier Chro­ niken süditalienischer Provenienz berichten umfangreich und in dezidiert normanni­ scher Gesinnung über die Taten der Brüder Robert Guiskard und Roger I. Diese Texte, die von der Forschung bisher zumeist dazu verwendet wurden, die Ereignisgeschichte (histoire) der normannischen Eroberung Siziliens zu rekonstruieren, werden in der vor­ liegenden Studie daraufhin untersucht, in welcher Art und Weise erzählt wird (récit),²⁶ und zwar über die Stadt Palermo sowie über mit der Stadt verbundene Akteure. Zu die­ sem Zweck werden die Erzählungen an den entsprechenden Stellen angehalten und unter Einbeziehung der spärlichen Parallelüberlieferung diskutiert. Dies kann ganz entscheidend zu einem Verständnis beitragen, wie Raum von den Eroberern bzw. ih­ ren Geschichtsschreibern wahrgenommen wurde, wie sich Ereignisse auf diesen Raum auswirkten und wie Personen(gruppen) sich in diesem repräsentierten. Unter den vier Chroniken ist die „Historia Normannorum“ des Amatus von Mon­ tecassino, Mönch der Abtei von Montecassino, die früheste und an vielen Stellen de­ taillierteste Quelle.²⁷ Die Chronik deckt einen Berichtszeitraum von etwa 1016 bis 1078 ab und wurde dem Abt Desiderius von Montecassino gewidmet. Wahrscheinlich zwi­ schen den Jahren 1078 und 1086 verfasst, nämlich nach dem Tod Richards I. von Capua 1078, mit dem die „Historia“ endet, und bevor Desiderius als Viktor III. (1086‒1087) zum Papst gewählt wurde, spiegelt Amatus den Aufstieg der Normannen in Südita­ lien aus der Perspektive Montecassinos, die geprägt war von der Dreieckskonstellation der Abtei zwischen Papsttum, der neuen normannischen Herrschaft und dem fernen Kaisertum.²⁸ Die umfangreiche Geschichte des Amatus ist von der Forschung lange

26 Dieses Begriffspaar geht zurück auf das Werk des Literaturwissenschaftlers G e n e t t e, Discours, der die neuere Narratologie maßgeblich beeinflusste; vgl. M a r t í n e z, Erzählen. 27 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é. Vgl. dazu grundlegend die Ein­ leitung von Graham Loud in der Übersetzung der „Ystoire“ von Prescott Dunbar, die überdies wertvolle Kommentare und Querverweise Louds enthält: A m a t u s o f M o n t e c a s s i n o, History, übers. von D u n ­ b a r, eingel. und komm. von L o u d, S. 1–38. 28 Das durchaus enge Verhältnis zwischen dem Abt von Montecassino und Robert Guiskard wird bei­ spielsweise im Kontext der Synode von Melfi 1059 deutlich, als Robert dem Kloster durch Geschenke sein Wohlwollen demonstrierte. Die Darstellungsweise des Amatus wurde bisweilen als religiös verherrli­

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Quellengrundlage der Untersuchung

als problematisch eingestuft worden, da sie lediglich in einer altfranzösischen Überset­ zung des 14. Jahrhunderts unter dem Titel „Ystoire de li Normant“ überliefert ist.²⁹ Eine ausführliche Auswertung ist daher bisweilen zu kurz gekommen und zumal hinsicht­ lich der Eroberung Siziliens nicht ausreichend gewürdigt worden. Wie neuere Studien unter Berücksichtigung der weiteren Überlieferungsgeschichte süditalienischer Chro­ niken der Zeit demonstrieren konnten, ist die Übersetzung weitaus zuverlässiger als zunächst vermutet und der Quellenwert der „Ystoire“ entsprechend als hoch einzu­ schätzen.³⁰ Robert Guiskard ist auch der Held der in eleganten Hexametern komponierten „Gesta Roberti Wiscardi“ des Wilhelm von Apulien.³¹ Geschrieben wurden die „Gesta“ womöglich auf Anregung Papst Urbans II. (1088‒1099) und beendet wahrscheinlich vor 1111.³² Wilhelm von Apulien war vorwiegend mit den Geschehnissen auf der südita­ lienischen Halbinsel befasst und stützte sein Wissen auf lokal verbreitete Texte wie die „Annales Barenses“, den Anonymus Barensis sowie Lupus Protospatharius.³³ Über die Ankunft der Normannen auf Sizilien berichtet Wilhelm von Apulien intensiv erst im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für die Eroberung Palermos und damit ab dem Zeitpunkt, an dem Robert Guiskard in Sizilien aktiv wurde. Gerade zur Eroberung Palermos liefern die „Geste“ eigenständiges und detailreiches Wissen. Die ausführlichsten Informationen über die fast 30 Jahre dauernde Unterwerfung der Insel stammen aus den „De rebus gestis“ des Gaufredus Malaterra. Der norman­ nische Mönch schrieb eine von Tatenberichten inspirierte Chronik über Graf Roger und seinen Bruder, die er einem gewissen Ansgerius widmete, der später das Amt des ersten Abtes von S. Agata in Catania sowie den Bischofssitz der Stadt bekleidete. Dort verfasste Malaterra sein Werk wohl zwischen den Jahren 1098 und 1101, nach­ dem er zuvor in den Abteien von S. Eufemia in Nicastro und SS. Trinità di Mileto gelebt hatte. Malaterra schrieb seine Chronik zu einem Zeitpunkt, als Roger seine Herrschaft über das gewonnene Territorium bereits konsolidiert hatte. Der Chronist kennzeichnet sein Werk als Auftragsarbeit und erwähnt, dass er während der Zeit seiner Niederschrift den Grafen mehrfach persönlich getroffen habe. Für zahlreiche Ereignisse stellt Malaterra Informationen bereit, die anderweitig nicht überliefert

chend und ideologisch gescholten, was die Aussagen der „Ystoire“ den anderen Eroberungschroniken gegenüber zu Unrecht als minderwertig erscheinen ließ. Vgl. B e c ke r, Graf Roger, S. 1–37, hier bes. S. 7 f. 29 E b d ., S. 5‒8. 30 Ku j a w i n s k i, Ystoire; d e r s ., Traduction. 31 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von Mathieu. 32 Ebd., Einleitung, S. 11. 33 A n o ny m u s B a r e n s i s, Chronicon, hg. von M u ra t o r i, S. 147–156; L u p u s P r o t o s p a t h a r i u s, An­ nales, hg. von P e r t z, S. 52–63; Annales Barenses, hg. von P e r t z, S. 51–56; C h u r c h i l l, Annales Barenses.

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sind, und mehrere Verweise in seiner Chronik lassen vermuten, dass er diese aus mündlichen Berichten erhielt.³⁴ Neben diesen drei frühen Chroniken existiert eine weitere Quelle, die sich in der Zeit des Regnum Siciliae mit der Herkunft und dem Aufstieg des nun königlichen Ge­ schlechts der Altavilla (Hauteville) beschäftigt: Die „Historia Sicula“ des sogenannten Anonymus Vaticanus hat in der Forschung lange wenig Beachtung erfahren, weil ihre Originalität und Datierung als umstritten galten. So wurde die „Historia“ bisweilen als Zusammenfassung der „De rebus gestis“ des Gaufredus Malaterra interpretiert, als ein Werk des 13. Jahrhunderts gedeutet oder überhaupt übersehen.³⁵ Der anonyme Verfas­ ser weist aber durchaus eigenständiges Wissen über die normannischen Eroberungen nach und gibt zudem Auskünfte über die Zeit des rogerianischen Königtums, die an­ derweitig nicht überliefert sind. Neuere Studien haben überzeugend eine Datierung in die Zeit Rogers II. – wohl zwischen 1148 und 1154 – bestätigen können.³⁶ Es erscheint durchaus angebracht, diese vier Texte zusammen sowohl aufgrund der inneren Textkritik als auch vor dem Hintergrund ihrer Überlieferungslage als einen Kanon von Eroberungschroniken zu deuten. Sie teilen gemeinsame Themen, Topoi und Narrative der normannischen Eroberung. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Chroni­ ken aber nicht für eine Rekonstruktion der Ereignisse herangezogen, sondern vielmehr sollen auf dieser Basis die bedeutungstragenden Orte der Eroberung lokalisiert und da­ hingehend analysiert werden, was sie über Raumwahrnehmung und -erinnerung am entscheidenden Übergang zwischen arabisch­muslimischer und lateinisch­christlicher Herrschaft vermitteln. Nach der Eroberung Siziliens bricht die Geschichtsschreibung zunächst ab und setzt erst wieder in der königlichen Zeit ein. Von zentraler Bedeutung sind hier neben wenigen Kapiteln bei Alexander von Telese (gest. vor 1143), der eine auf Roger II. fo­ kussierte Geschichte des normannischen Süditalien und Sizilien schrieb, vor allem die Werke des Hugo Falcandus und Romuald von Salerno bedeutend. Beide Autoren lebten in den 1160er Jahren selbst einige Zeit in Palermo und verkehrten am königlichen Hof. Romuald, der spätere Erzbischof von Salerno (1153‒1181), hält recht allgemeine Infor­ mationen zur Stadt und zum Palast von Palermo in seinem „Chronicon“ bereit.³⁷ Hugo

34 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, Histoire du Grand Comte, hg. von L u c a s ­ Av e n e l; G a u f r e d u s M a l a ­ t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i. Im Folgenden werden Buch 1 und 2 nach der neuen Edition von Lucas­Avenel zitiert, bei Buch 3 und 4 muss hingegen weiterhin auf die Ausgabe von Pontieri zu­ rückgegriffen werden. 35 A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o; als Quelle des 13. Jahrhunderts gedeutet in der Edition von A m a t u s o f M o n t e c a s s i n o, History, übers. von D u n b a r, eingel. und komm. von L o u d, S. 18; Die Zitation des Textes erfolgt hier teilweise in einer von Caruso abweichenden Lesart, basierend auf dem Manuskript BAV, Vat. lat. 6206. 36 A m a r i, Storia, Bd. 3, S. 24; S t a n t o n, Anonymus Vaticanus; A s p i n w a l l, Cronica. 37 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i; zur Kompilation dieses Werks und der Frage der Autorschaft vgl. M a t t h e w, Chronicle.

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Quellengrundlage der Untersuchung

Falcandus hingegen zeichnet sich in seinem „Liber de regno Sicilie“, auch bekannt als „Historia“ (in der Neuedition betitelt als „De rebus circa regni Siciliae curiam gestis“),³⁸ durch das besonders detaillierte Insiderwissen der Geschehnisse am normannischen Königshof aus und verortet diese ausführlich an räumlichen Parametern. Die Auswer­ tung dieser Schilderungen bilden einen Schwerpunkt in Kap. II.3.3 und II.3.4. Wie Rolf Köhn 2011 darlegte, ist Hugo Falcandus alias Hugo Fulqualdi aller Wahr­ scheinlichkeit nach mit Hugo V. von Saint Denis zu identifizieren, der dort am 10. Mai 1186 zum Abt (1186‒1197) erhoben wurde.³⁹ Am Hof in Palermo war Hugo wohl im Gefolge des Stephan von Perche zwischen 1166 und 1168/1169 anwesend, was erklären dürfte, woher seine detaillierten Kenntnisse über die späten Jahre der Herrschaft Wil­ helms I. und die Regentschaft der Margarethe (1166‒1171) stammen. Die in der Hand­ schriftenüberlieferung stets mit dem „Liber de regno Sicilie“ überlieferte „Epistola ad Petrum“ wird als weiteres Werk des Falcandus angesehen. Darin richtet sich der Verfasser in Reaktion auf den Tod Wilhelms II. (1171‒1189) an den Thesaurar der paler­ mitanischen Kathedrale.⁴⁰ Zunächst wird die politische Lage und Zukunft des Königrei­ ches diskutiert, wobei der Autor nicht nur vor der Gefahr der Herrschaftsübernahme warnt, sondern auch vor drohenden Konflikten zwischen Christen und Muslimen. Der zweite Teil behandelt die Städte der Insel Sizilien und preist ihre geographischen wie topographischen Besonderheiten. Die Hauptstadt Palermo wird als letztes und am aus­ führlichsten beschrieben. Deutlich spricht aus diesem Abschnitt das Raumwissen einer vergangenen Zeit einerseits sowie eine starke Anteilnahme an den politischen Entwicklungen der Ge­ genwart andererseits. Die Beschreibung Palermos, die spezifische Orte oder gebaute Strukturen aus dem Stadtraum hervorhebt und teilweise mit Vertretern der palermita­ nischen Elite verbindet, zeigt ein Raumwissen, das die Stadt topographisch im Zustand der frühen zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts widerspiegelt. Dies würde dafür spre­ chen, dass Falcandus nicht nur dem Hof, sondern auch der Stadt Palermo schon seit

38 Aufgrund der guten Kommentare bleibt die alte Edition für diese Arbeit weiterhin maßgeblich und wird stets zusammen mit der neueren Edition angegeben: H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra ­ g u s a; auf die neue Edition wird für abweichende Lesarten zurückgegriffen: H u g o Fa l c a n d u s, De re­ bus, hg. von D ’A n g e l o. 39 Kö h n, Identität, hier insbes. S. 539. Unter den vielen Vorschlägen zur Identifizierung des Hugo Falcan­ dus vgl. F ra n ke, Identität, der mit dem unbekannten Autor Peter von Blois identifizierte, und D ’A n g e l o, Intellettuali, der ihn in Wilhelm von Blois auszumachen suchte. Auf diese Publikationen antwortete Köhn als großer Experte zu Peter von Blois, indem er beide Vorschläge dekonstruierte und selbst eine über­ zeugende Identifizierung entwickelte. Die älteren Vorschläge werden diskutiert in der Einleitung der weit rezipierten englischen Übersetzung der „Historia“: H u g o Fa l c a n d u s, History, übers., eingel. und komm. von L o u d / W i e d e m a n n, S. 28–42. 40 In einer Urkunde von 1188 ist ein „Petrus Panormitanus canonicus et thesaurarius“ bestätigt; J a m i s o n, Admiral, S. 196 f., hält diesen für den Thesaurar der palermitanischen Kathedrale; W h i t e, La­ tin Monasticism, S. 139, identifiziert ihn mit dem Thesaurar Petrus Indulsis der Cappella Palatina.

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Ende der 1160er entfremdet war und beim Schreiben der „Epistola“ womöglich auf die „Historia“ als Gedächdnisstütze zurückgriff. Dem Adressaten hingegen wären die Räumlichkeiten der Stadt und auch deren Veränderungen in den Jahren bis 1189 wohl bekannt gewesen. Er hätte damit auch an den Ereignissen, vor denen Falcandus warnt, durch seine physische Präsenz vor Ort Anteil gehabt, was die Frage nach der Schreib­ absicht aufkommen lässt, die bisher nicht umfassend diskutiert wurde.⁴¹ Schließlich kommt keine Auseinandersetzung mit dem normannischen Palermo umhin, die in Versen verfasste und mit beachtlich detaillierten wie aussagekräftigen Miniaturen versehene Chronik des Petrus von Ebulo in die Analyse einzubeziehen.⁴² Den „Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis“ verfasste der wohl aus Süditalien stammende Autor für Heinrich VI., römischer Kaiser (1191‒1197) und König Siziliens (1194/1195‒1197), und besang darin den Aufstieg des Staufers auf den sizilischen Thron, was gleichzeitig das Ende der agnatischen Linie normannischer Herrschaft markierte. Zwar ist das Werk für die Ereignisgeschichte des Herrschaftswechsels von Kennern der Staufer eingehend analysiert worden, die spezifisch palermitanischen Entwicklungen oder die vor allem im Raum sichtbar gemachten arabisch­islamischen Elemente des normannischen Regnum sind von diesen aber oft exotisierend hervorgehoben wor­ den. Obgleich Petrus von Ebulo selbst nicht mit den Begebenheiten vor Ort vertraut gewesen zu sein scheint, sind gerade die mit seinem Text entstandenen Miniaturen der Chronik als wichtige Raumquellen zum spätnormannischen Palermo anzusehen. Sie bilden wahrscheinlich keine durch persönliche Erfahrung entstandene kognitive Karte ab, sondern stellen eine imaginierte Form dar, die auf der Grundlage des Raumwissens anderer Quellen entstand. Stellenweise bezieht die vorliegende Arbeit auch die wenig beachteten, ab dem 13. Jahrhundert und dann nach der sogenannten Sizilianischen Vesper entstandenen kleineren Geschichtswerke in die Untersuchung mit ein. Diese sind deshalb relevant, weil sie eine Brücke zwischen den normannischen Quellen und der frühneuzeitlichen Historiographie schlagen, deren Vertreter teilweise nur eingeschränkten Zugang zu den Manuskripten der normannischen Chroniken hatten⁴³ und daher auf lokale Kom­ pilationen angewiesen waren, so wie beispielsweise die quasi unbeachtete „Epistola

41 Während Graham A. Loud es als Propagandapamphlet beschreibt, L o u d / W i e t, History, S. 2, handelt es sich für Edoardo D’Angelo um eine laus Civitatis, in der das politische Element von marginaler Bedeu­ tung sei, D ’A n g e l o (Hg.), Introduzione, S. 29. Interessant ist jedenfalls, dass der Brief in der handschrift­ lichen Überlieferung wie selbstverständlich immer gemeinsam mit der „Historia“ und ohne irgendeine Form der Abgrenzung überliefert wurde – manchmal voran und manchmal hintenan gestellt; vgl. D ’A n ­ g e l o (Hg.), Introduzione, S. 7. 42 Die Edition bleibt weiterhin auch maßgeblich auch für die Diskussion der Miniaturen: P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s; vgl. außerdem K ra f t, Bilderbuch. 43 In Palermo haben von den Eroberungschroniken beispielsweise nur zwei Kopien der „De rebus gestis“ des Gaufredus Malaterra überdauert: Palermo, Biblioteca Centrale della Regione Sicilia Alberto Bombace, MS X.A.16. (14. Jahrhundert); Palermo, Biblioteca Comunale, MS Q.q.e.165. (16. Jahrhundert).

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fratris Conradi“ aus dem späten 13. oder 14. Jahrhundert.⁴⁴ Ähnliches gilt für das „Breve Chronicon“,⁴⁵ den Anonymus Palermitanus, auch bekannt als „Chronicum Siculum“,⁴⁶ sowie die „Annales Siculi“.⁴⁷

2.2.3 Griechische Historiographie und Dichtung Neben den arabischen und lateinischen Quellen existiert eine Reihe griechischspra­ chiger Schriften aus dem Genre der Historiographie und Hagiographie, der Brief- und Dichtkunst. Diese Schriften setzen sich zunächst stark mit dem Verlust der Insel an die Muslime auseinander, dokumentieren für die spätere Zeit aber das Überdauern des griechisch­christlichen Kultes sowie der griechischen bzw. oströmischen / byzanti­ nischen Kultur. Obwohl das Griechische als Sprache literarischer Produktion auch nach der Zeit der oströmischen Herrschaft fortbestand und unter normannischer Herrschaft sogar wieder eine Blüte erlebte, ist die Relevanz griechischer Quellen für die vorlie­ gende Studie verhältnismäßig gering. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die griechische Geschichtsschreibung, ähnlich wie die arabisch­islamische Historiographie, Sizilien als Provinz eines Großreiches behandelte eher als eine eigene sizilisch­grie­ chische Geschichtsschreibung hervorzubringen. So wird zwar die arabisch­islamische Expansion in den großen Geschichtswerken thematisiert,⁴⁸ doch danach schwindet das Interesse aus Konstantinopel, und die Insel wird folgend zumal dann bedeutend, wenn Sizilien in Kontakt und Konflikt mit dem oströmischen Reich trat. Die sizilisch­ griechischen Hagiographien entstanden in den monastischen Zentren der Insel, unter denen zur Zeit der normannischen Königsherrschaft vor allem das Kloster S. Salvatore di Messina eine herausragende Stellung für die Handschriftenproduktion einnahm.⁴⁹ Zu Raumfragen Palermos lassen sich kaum Informationen aus ihnen beziehen. Eine bedeutende Ausnahme stellt das Zeugnis des Theodosios dar, der den Über­ gang von oströmischer zu muslimischer Dominanz in Sizilien dokumentiert. Er be­ richtet im Detail über die Eroberung von Syrakus 264/878 in einem Brief, den er aus der Gefangenschaft in Palermo an einen nicht näher zu identifizierenden Archidiakon namens Leon richtet.⁵⁰ Sein Augenzeugenbericht kommt ausführlich in dieser Arbeit

44 C o n ra d, Epistola, hg. von C a r u s o; ich danke John Aspinwall für den Hinweis, dass eine Datierung des Werkes in das 14. Jahrhundert wahrscheinlicher ist. 45 Breve Chronicon, hg. von D e l l e D o n n e. 46 Anonymi Chronicon Siculum, hg. von G r e g o r i o. 47 Annales Siculi, hg. von P o n t i e r i. 48 T h e o p h a n e s C o n t i n u a t u s, Chronographiae, hg. von Fe a t h e r s t o n e / S i g n e s C o n d o ñ e r / d e B o o r; I o a n n i s S c y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n. 49 Dazu grundlegend v o n Fa l ke n h a u s e n, L’Archimandrito. 50 Ein griechisches Manuskript des Briefes aus dem 11. Jahrhundert ist erhalten, überliefert den Text allerdings nur unvollständig: Paris, BnF, MS Grec 3032, fol. 150r‒152v. Im 17. Jahrhundert wurde der Text

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zur Sprache, weil es sich um eine ausgesprochen frühe und wenig beachtete Quelle handelt, die Einblick in die Zeit der muslimischen Herrschaftsetablierung in Sizilien und zumal in Palermo erlaubt. Eine weitere kaum ausgewertete Schrift sind die so­ genannten „Tristia ex Melitogaudo“, die erst vor wenigen Jahren ediert wurden und noch immer kaum in der Forschung bekannt sind.⁵¹ Der anonyme Autor, der offenbar eine Anstellung am palermitanischen Königshof zur Zeit Rogers II. innegehabt hatte, drückt darin in 4 043 iambischen Trimetern Klage und Verzweiflung über seine Ver­ bannung nach Gozo aus. In den langatmigen, oftmals verwirrenden Versen fleht das lyrische Ich darum, den Ort seines Exils verlassen und nach Sizilien zurückkehren zu dürfen. Als Quelle für die Raumgeschichte Palermos ist dieses Werk interessant, weil die Sehnsucht des Verbannten nach der sizilischen Hauptstadt einerseits Einblicke in das soziale, raumgebundene Gebilde des Königshofes gibt und andererseits das räum­ liche Ausgestoßensein aus der Stadt und einen damit einhergehenden Schutzverlust literarisch verarbeitet.⁵²

2.3 Raumverwaltung: Administration, Recht und Kommunikation Von großem Wert für diese Studie sind des Weiteren administrative Quellen, weil sie Informationen über das zeitgenössische Verwalten und Ordnen sowie die Produktion und Nutzung von Raum beinhalten, was Einblicke in die im Raum verankerten Öko­ nomien geben. Auszuwerten sind dabei zum einen die offiziellen Beurkundungen der herrscherlichen Verwaltung und zum anderen verschiedene private Zeugnisse, die zum Beispiel das Kaufen und Verkaufen von Grundstücken oder Geschäfte an bestimmten Orten, dokumentieren. Urkunden oder Verwaltungsdokumente aus der Zeit muslimischer Herrschaft in Sizilien sind, obwohl von einer zentralen Administration in Palermo auszugehen ist, nicht oder nur in außergewöhnlichen Fällen überliefert.⁵³ Geschäftsabwicklungen und Strukturen der aghlabidischen oder fatimidisch­kalbidischen Raumverwaltung sind daher nur schwer und meist nicht ohne Rückbezug auf Ifrīqiya oder andere arabisch­

von Ottavio Gaetani in einer recht freien Übersetzung ins Lateinische übertragen: T h e o d o s i u s M o n a ­ c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i; das griechische Manuskript wurde ediert als: Te o d o s i o, Espugnazione di Siracusa, hg. von Z u r e t t i. Zur Diskussion des lateinischen und griechischen Textes vgl. L a v a g n i n i, Siracusa; R o g n o n i, Pied. 51 Tristia ex Melitogaudo, hg. von B u s u t t i l / F i o r i n i / Ve l l a. Die bisher einzige ausführlichere Bespre­ chung des Gedichtes stammt von L a u x t e r m a n n, Tomi. 52 Tristia ex Melitogaudo, hg. von B u s u t t i l / F i o r i n i / Ve l l a, S. 212‒214, fol. 107v‒r. 53 Zu einem Neufund von vier kalbidischen Dokumenten in Damaskus, genauer gesagt der Qubbat alḪazna in der Umayyaden­Moschee, vgl. J o h n s / J a m i l, DocuMult (in Vorbereitung für die Proceedings of the 4 th Conference on the Layout and Structure of Arabic Documents); hierbei handelt es sich aber nicht um Zeugnisse der zentralen Verwaltung.

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Quellengrundlage der Untersuchung

islamische Herrschaftsgebiete einerseits sowie auf der Grundlage der frühen arabisch­ sprachigen Dokumente der normannischen Zeit andererseits zu ermitteln.⁵⁴ Letztere setzen ein mit dem Abschluss der Eroberung Siziliens, einer Zeit, die sich für die Frage nach Transformation und Neuordnung des Terrains als entscheidend erweist. Eine Besonderheit der normannisch­sizilischen Dokumente ist ihre Mehrsprachigkeit sowie die Integration der jeweils spezifischen, oftmals an Sprache gebundenen Methoden der Raumorganisation: Neben dem Lateinischen bedienten sich die sizilischen Verwalter der Grafen und Könige vor allem des Arabischen und Griechischen, wobei letzteres für die kalabrische sowie für die frühe sizilische Verwaltung der Grafenzeit in vielen Fällen die bevorzugte Sprache darstellte.⁵⁵ Nach Form und Inhalt lassen sich die Grenzbeschreibungen und Personenregister als spezifische Form der normannisch­sizilischen Urkundenpraxis ausmachen. Diese verzeichnen zu Besteuerungszwecken die Grenzen und Bewohner eines Territoriums, wobei Jeremy Johns zeigen konnte, inwiefern die Normannen bei der Erstellung der Personenregister auf Dokumente der islamischen Verwaltung zurückgriffen, die sie bei ihrer Eroberung vorgefunden hatten.⁵⁶ Diese Zeugnisse haben ebenso wie die späteren Urkunden der normannischen Herrscher einen Quellenwert für Raumfragen, weil sie zeigen, wie Territorien mitsamt ihrer Bevölkerung verwaltet wurden und welcher stra­ tegische Wert oder auch welche Erträge spezifischen Orten oder Räumen zugeschrieben wurden. Interessante Auskünfte versprechen in diesem Zusammenhang auch einige der Privaturkunden aus der Stadt Palermo, die in Arabisch, Latein und Griechisch bei­ spielsweise Grundstücksverkäufe oder Tauschgeschäfte dokumentieren und demnach für ähnliche topographische Fragen ausgewertet werden können.⁵⁷

54 J o h n s, Arabic Administration, S. 11‒30; M e t c a l f e, Messaging, insbes. S. 87‒92. 55 B e c ke r, Urkunden, hier S. 2 f. Für die arabischsprachige Verwaltung grundlegend J o h n s, Arabic Ad­ ministration, S. 31–90, der die Studie von Ta k ay a m a, Administration ablöst. Die arabischen Dokumente sind bisher nur vereinzelt ediert, eine kritische Gesamtedition wird im Rahmen eines Projekts des Euro­ pean Research Council an der University of Oxford und der Università degli Studi di Palermo angestrebt: Das Projekt „Documenting Multiculturalism. Co-Existence, Law and Multiculturalism in the Administra­ tive and Legal Documents of Norman and Hohenstaufen Sicily, c.1060 – c.1266“ steht unter der Leitung von Jeremy Johns; vgl. URL: https://cordis.europa.eu/project/id/787342/de; http://krc.orient.ox.ac.uk/docu­ mult/index.php (14. 8. 2023). Eine zusammenfassende Betrachtung mit Blick auf die griechische Prägung lieferte kürzlich N e f, Diplomes. Zu den griechischen und lateinischen Dokumenten der gräflichen Zeit vgl. Documenti, hg. von B e c ke r; unter den zahlreichen Publikationen Vera von Falkenhausens sind hier vor allem die folgenden Editionen und Regesten hervorzuheben; v o n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia; d i e s ., Testo. 56 J o h n s, Arabic Administration, S. 42–62. 57 Zurückzugreifen ist für die arabischen Dokumente weiter auf die Transkriptionen in Diplomi, hg. von C u s a. Die Nummerierung der Urkunden in diesem Werk mag zunächst verwirrend sein, weil die Tran­ skriptionen selbst mit römischen Zahlen überschrieben sind. Diese weisen darauf hin, um das wievielte Dokument es sich im jeweiligen Archiv / Fondo handelt. Die hier in den Anmkerungen nebst Seitenzah­

Raumverwaltung: Administration, Recht und Kommunikation



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Eine weitere bedeutende Quellengruppe für Sizilien stellt die Überlieferung aus der Geniza der Ben Ezra Synagoge in Alt­Kairo dar.⁵⁸ Hier wurden Forscher während des 19. Jahrhunderts auf abertausende Dokumente aufmerksam, die den Alltag jüdischer Menschen insbesondere zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert beleuchten, die mit der Ben Ezra Synagoge religiös(-rechtlich), familiär, wirtschaftlich oder in anderer Weise verbunden waren. Eine bedeutende Gruppe von ihnen war im Mittelmeerhandel aktiv und operierte in einem Handelsraum, der sich während der Herrschaft der Fatimiden vor allem um das Aktionsdreieck zwischen Kairo, Ifrīqiya und Sizilien erstreckte, aber auch bis in den Nahen Osten, nach al-Andalus und später über den Jemen bis nach Indien reichte. Das charakteristische Medium der Kommunikation innerhalb dieser Handelsnetzwerke ist der Brief (überwiegend in Judäo­Arabisch), mit dem Neuigkeiten transregional ausgetauscht, Geschäfte abgewickelt und auch Politik – mindestens auf inner­jüdischer Ebene – betrieben wurde.⁵⁹ Damit trugen die Briefe wesentlich zur ökonomischen Verwaltung innerhalb dieses Aktionsraums bei sowie zum Austausch generell. Anders als die ordnenden, beschreibenden Raumzeugnisse von Geographen oder Reisenden sprechen die Dokumente der Geniza dabei über Raum, der für die Geschäfte des Alltags, des Handels und der Politik genutzt wurde. Weil die Texte der Geniza diachron sowohl über die muslimische als auch die christliche Herrschaft in Palermo berichten und die Gruppe der Juden als religiöse und demographische Minderheit unter der Dominanz beider Herrschaften lebte, eröffnen sie die Perspektive einer dritten Partei auf die politischen und religiösen Expansio­ nen in Sizilien zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert. In auffälliger Weise bricht die Überlieferung aber mit den normannischen Eroberungen ein und nimmt auch nach der kriegerischen Umbruchszeit nicht wieder in gleichem Umfang Fahrt auf. Dieser Umstand deutet darauf hin, wie sehr die jüdischen Händler der Geniza­Gesellschaft in der islamisch beherrschten, arabischsprachigen Welt des Mittelmeerraumes verankert waren. Es unterstreicht außerdem die Bedeutung des erwähnten Aktionsdreiecks, das als ein zusammenhängender Handelsraum bespielt wurde beziehungsweise als Entität wirkte, in der sich Akteure in einem engen und gut funktionierenden Austausch be­ wegen konnten. Die normannische Eroberung durchzog diesen Raum mit einer neuen Grenze, die in anderem Zusammenhang vom Geniza­Pionier Shlomo Dov Goitein und neuerdings von Jessica Goldberg als „deep barrier“ zwischen der arabisch­islamischen und lateinisch­christlichen Sphäre des Mittelmeerraumes gedeutet wurde.⁶⁰

len angegebenen Nummern hingegen folgen Cusas chronologisch sortierter Übersicht der Urkunden, die sich findet auf S. 695–747. 58 In the Kingdom, hg. von G i l; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n. 59 Vgl. die Einführung bei R u s t o w, Lost Archive, Teil 1, Kap. 1‒3, S. 1‒110. 60 G o i t e i n, Mediterranean Society, Bd. 1, S. 43; G o l d b e r g , T ra d e, S. 25, 306‒308, 333‒336; vgl. außer­ dem L e v, Perception.

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Quellengrundlage der Untersuchung

2.4 Raumnutzung: Toponomastik, Architektur und Materialität Eng verbunden mit der Verwaltung von und der Kommunikation über Raum sind seine Nutzung und Gestaltung. Diese kann durch eine Analyse von Toponomastik bzw. To­ ponymen und Architektur greifbar werden. Die Toponyme sind deshalb so interessant, weil Räume und Orte durch Namensgebung mit Sinn und Bedeutung aufgeladen wer­ den und damit einen Eindruck davon vermitteln, wie sie erfahren oder genutzt, konzep­ tualisiert und konstruiert wurden.⁶¹ So liegt der Quellenwert der bereits vorgestellten Zeugnisse nicht nur darin, die Stadt, ihre Viertel und einige ihrer Monumente durch Beschreibung, Erzählung und Verwaltung zu veranschaulichen, sondern gerade auch zu benennen. Aus den Toponymen lassen sich so nicht nur naturräumliche Markierun­ gen, sondern auch wichtige Hinweise auf soziale und herrschaftliche Strukturen lesen sowie auf bestimmte, mit ihnen verbundene Praktiken schließen, die in anderen Quel­ len überhaupt nicht thematisiert oder überliefert werden. Da viele der Toponyme dem Arabischen entstammen, ist hier nicht nur eine Kenntnis der Sprache und der darin verankerten Konnotationen vonnöten, sondern auch eine Berücksichtigung regionaler Dialekte, vor allem aus dem nordafrikanischen Sprachraum.⁶² Gerade die geographischen und kartographischen Werke ebenso wie die Verwal­ tungsdokumente halten hierfür noch weitgehend ungenutztes Material der historischen Mikro­Geographie bereit. Weil die Toponyme außerdem sprachlich kodiert sind, lassen sich mit ihnen Fragen von (Dis-)Kontinuität sowie Gruppenzugehörigkeit in Raum­ praktiken und Nutzungsverhalten diskutieren. Adalgisa de Simone und Alex Metcalfe konnten diesen Ansatz beispielsweise für die Wasserquellen Palermos fruchtbar ma­ chen und zeigen, wie noch lange unter normannischer Herrschaft auf lokaler Ebene mit muslimischen Praktiken über diese lebenswichtige Ressource verfügt und verhan­ delt wurde.⁶³ An diesem kleinteiligen, aber lohnenswerten Unterfangen versucht sich an mancher Stelle auch die vorliegende Arbeit, um ein besseres Verständnis von der Insel Sizilien hinsichtlich ihrer Islamisierung und Arabisierung bzw. Christianisierung und Latinisierung zu erlangen. Neben der Benennung des Gesehenen sind auch die gebauten Formen und Struk­ turen sowie deren Verortung und Wahrnehmung von Bedeutung. Architektur materia­ lisiert die Raumvorstellungen und -konzeptionen vergangener Menschen und Zeiten. Dabei sind nicht nur die heute noch sichtbaren Bauten von Belang, sondern gerade

61 L ö w, Raum, Kap. 8, S. 123‒139. 62 Als wichtigste Hilfsmittel dafür dienen C a ra c a u s i, Arabismi; d e r s ., Lessico greco; d e r s ., Dizio­ nario onomastico; We t t i n g e r, Place­Names; außerdem die publizierten sowie noch unveröffentlich­ ten Arbeiten Alex Metcalfes, der nicht zuletzt aus seiner Beschäftigung durch sein Projekt „Arabic Documents of Norman Sicily. The Monreale ‚Registers of Menʻ“ detailliert über die Toponomastik Siziliens informiert ist. 63 D e S i m o n e, Palermo araba; M e t c a l f e, Dynamic Landscapes.

Raumnutzung: Toponomastik, Architektur und Materialität



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auch die in anderen Raumquellen erwähnten, mittlerweile teilweise oder gänzlich ver­ schwundenen Gebäude. Dabei fällt auf, dass der Großteil der belebten Strukturen der Stadt überhaupt nicht in den Quellen auftaucht und wir völlig im Unklaren darüber sind, wie und in welchen Arten von Behausung die Menschen in Palermo überhaupt lebten. Die durch Erzählung und Beschreibung in kognitiven Karten skizzierten Ge­ bäude oder Monumente fangen vielmehr den Raum der Repräsentation im weiteren Sinne ein und sollten entsprechend im Kontext von Macht und Herrschaft gelesen werden.⁶⁴ Die Archäologie hat solche raumstrukturierenden Gebäude oder Monumente mit ihren Nutzungsmöglichkeiten in Verbindung gebracht und dabei spezifische Strukturen ausgedeutet, welche sich insbesondere an Zentralorten ausbilden.⁶⁵ Auch in weniger intensiv von Herrschaft durchdrungenen oder von Herrschaft genutzten Räumen sind gebaute Landmarken zu finden und zeigen die Lebensraumkonstitution der Stadtge­ sellschaft und sogar einzelner Gruppen darin auf. Hier kann zum einen nach deren Verhältnis zur Herrschaft gefragt werden sowie zum anderen danach, welche Bezie­ hung zwischen gebauten Orten bzw. Gebäuden und Personen(gruppen) bestehen. Diese Perspektive, die immer die passive Positionierung durch andere sowie die aktive Selbst­ positionierung abwiegen sollte, offenbart die „relationale (An-)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“⁶⁶. Archäologische bzw. materielle Befunde liefern dazu weitere Informationen, wes­ halb es wichtig ist, sie mit in die Analyse einzubeziehen. So geben beispielsweise auf­ gefundene Überreste wie Keramiken, die Zusammensetzung von Mörtel oder auch die in Amphoren konservierten Rückstände von Nahrung Einblicke in lokale Praktiken so­ wie in mediterrane Verbindungen und Transferwege, was die Eingliederung der Stadt in wirtschaftliche, kulturelle oder politische Netzwerke greifbarer macht. Vor allem erlauben solche Quellen, auf lokaler Ebene Praktiken der Raumnutzung und gege­ benenfalls deren Veränderung oder Konservierung über die Zeit hinweg zu greifen. Des Weiteren ist Materialität, die Schrift und Bild bzw. Schrift und Form verbindet, wie Münzen oder Inschriften (zu einem gewissen Grade auch die arabischen Urkunden der normannischen Verwaltung), im Hinblick darauf auszuwerten, wie sie in spezifischen Zusammenhängen zur Raumrepräsentation beiträgt.

64 L e f e b v r e, Production, S. 143. 65 „[There are] ten functions that define central places …, i. e. political and administrative, legislative, security, cultic and spiritual, cultural, charity, agricultural / economic, craft production, trade, traffic and transport, while [one can] also summarise five main ones … i. e. administration, security, industry, trade and cult.“; V i o n i s / P a p a n t o n i o u, Central Place, S. 5 mit Verweis auf weiterführende Literatur. 66 L ö w, Raumsoziologie, S. 271.

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Quellengrundlage der Untersuchung

2.5 Raumerneuerung: Neuzeitliche Historiographie, Kartographie und Stadtplanung Ausgewertet wurden auch die Arbeiten frühneuzeitlicher Autoren zur Stadtgeschichte Palermos. Sie machen die Beständigkeit urbaner Strukturen deutlich und ermöglichen es, unter Kenntnisnahme der ‚alten‘, arabisch­normannischen Topographie und Topo­ nomastik einerseits sowie der heutigen Stadtgestalt andererseits, den Charakter Paler­ mos als urbanes Palimpsest zu erkennen. In vielen der großen sizilianischen Geschichts­ werke des 16. bis 18. Jahrhunderts erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Stadtraum Palermos durch die Analyse von Teilräumen und Orten, deren Entstehung und Relevanz entweder bis weit in die Vergangenheit zurückdatiert werden, oder die im Sinne aktua­ lisierender Einschreibungen in den Raum durch neue Herrscher besprochen werden. Obwohl in diesen Werken an vielen Stellen Kontinuitäten der Raumnutzung beobach­ tet werden können, zeigt eine kritische Auseinandersetzung mit den frühneuzeitlichen Quellen, dass das Wissen um einige dieser alten, bedeutungstragenden Orte oftmals verlorengegangen und ideologisch überformt worden war. Hervorzuheben ist zunächst das Werk Claudio Mario Arezzos (gest. zweite Hälfte 16. Jahrhundert) „De situ insulae Siciliae“, das 1537 veröffentlicht und König Karl I. von Spanien (1516‒1556, gest. 1558) beziehungsweise Kaiser Karl V. (1519‒1556) gewidmet wurde.⁶⁷ Arezzos Geschichte Siziliens zeichnet sich durch einen Fokus auf die Städte der Insel aus, deren Geschicke der Autor von der Antike bis in seine Zeit hin nachzeich­ net. Einen ähnlichen Ansatz wählte auch der bekannteste Vertreter frühneuzeitlich­ sizilischer Historiographie: Tommaso Fazello (gest. 1570). Sein 1558 publiziertes und in elegantem Latein verfasstes Werk „De rebus Siculis“, das ebenfalls von der sagenum­ wobenen Vorzeit bis in das 16. Jahrhundert reicht, soll die Sitten und Gebräuche ihrer Bewohner Siziliens aus der historischen Entwicklung heraus erklären.⁶⁸ Wie Arezzo legte auch Fazello einen Schwerpunkt auf die Beschreibung der Städte, unter denen Palermo als glorreiche Hauptstadt der Insel heraussticht.⁶⁹ Den Darstellungen und Zu­ schreibungen Fazellos folgten zahlreiche Historiographen, sodass sein Einfluss auf die sizilienbezogene Geschichtswissenschaft nicht wegzudenken ist. Dies führte jedoch an einigen Punkten, vor allem hinsichtlich der gebauten Stadtgeschichte, zu Fehlbewer­ tungen und bedarf daher einer kritischen Lektüre.⁷⁰

67 A r e z z o, De situ insulae. 68 Fa z e l l o, De rebus Siculis. 69 Es ist Fazello auch zu verdanken, dass materielle Überreste des antiken Siziliens im wahrsten Sinne des Wortes wiederentdeckt wurden, so beispielsweise der Tempel des Zeus Olympios bei Agrigent so­ wie antike Monumente bei Eraclea Minoa; vgl. Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 307, 248. Dazu auch M o m i ­ g l i a n o, Riscoperta; C a n z a n e l l a, Tommaso Fazello; S c o p e l l i t i, Fonti. 70 Fazello stellt die grundlegende Quelle für viele nachfolgende Geschichtsschreiber dar, die ihrerseits wiederum eine breite Rezeption erfahren haben, so beispielsweise P i r r i, Chronologia, die sich zur be­ rühmten „Sicilia sacra“ entwickelte, sowie I n v e g e s, Annali. Fazello gilt unter diesen zumeist als zentrale

Raumerneuerung: Neuzeitliche Historiographie, Kartographie und Stadtplanung



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Auch verschiedene Karten, die zur Auswertung der palermitanischen Stadtge­ schichte herangezogen werden, datieren aus dem 16. Jahrhundert. Sie veranschauli­ chen, welche Bereiche der muslimisch beziehungsweise normannisch geprägten Stadt zu ihrer Entstehungszeit noch erhalten waren, und betonen auf diese Weise die Bedeu­ tung dieser Räume für die Wahrnehmung, Nutzung und Repräsentation Palermos. Wie auch die Historiographie so lassen die frühneuzeitlichen Karten die phasenweise, pro­ grammatische Umgestaltung erkennen, die Palermo unter den Viceré erfuhr.⁷¹ Dieser Prozess lässt sich von der „Cosmographia“ des Sebastian Münster (gest. 1552) über die „Städte der Welt“ von Georg Braun (gest. 1622) und Franz Hogenberg (gest. 1590) bis hin zur Gravur des Natale Bonifazio (gest. 1592) und Orazio Maiocco verfolgen.⁷² Letztere ist bei Weitem die detaillierteste palermitanische Stadtansicht der Zeit: 128 Gebäude und Strukturen sind in dieser Darstellung namentlich verzeichnet, von denen mehr als die Hälfte durch toponomastische und topographische Übereinstimmungen eindeutig mit normannischen oder sogar vornormannischen Bauten identifiziert werden kann. Weitere, für die vorliegende Studie intensiv genutzte Werke stammen aus dem 18. Jahrhundert, wie beispielsweise die 1723 publizierte Arbeit „Le Porte di Palermo“ von Lipario Triziano, welche die ehemaligen sowie die zur Abfassungszeit noch exis­ tierenden Stadttore lokalisiert und beschreibt. Der Autor ist keineswegs ein Unbekann­ ter: Lipario Triziano ist das Pseudonym, unter dem der namhafte Historiker Antonio Mongitore (gest. 1743) in den von Maria Alexandra (gest. 1689), ehemals Christina von Schweden, begründeten Dichterzirkel „Accademia dell’Arcadia“ eingetreten war.⁷³ Die­ ser in Rom ansässige Gelehrtenkreis bemühte sich nachdrücklich um die Aufarbeitung der Geschichte des Königreiches Sizilien.⁷⁴ Die Studien Mongitores und seiner Zeitge­ nossen, denen auch Gaetano Giardina (gest. vor 1732) und Ludovico Muratori (gest. 1750) angehörten, stehen für eine neue Zeit sizilischer Geschichtsforschung. Vor allem die in

Autorität; vgl. beispielsweise C l ü v e r, Sicilia, bis hin zu A m a r i, Storia, hg. von N a l l i n o. Bis heute bildet sein Werk häufig die Grundlage für Annahmen und Zuschreibungen in der Stadtgeschichte Palermos, die bisweilen ohne Belege und unhinterfragt übernommen werden; vgl. dazu z. B. J ä c k h, Water. 71 Der Fokus solcher Bemühungen lag auf dem königlichen Palast, den Stadttoren und Befestigungs­ anlagen sowie zentralen Plätzen; vgl. Fa g i o l o / M a d o n n a, Teatro; V i g i a n o, Esercizio; D i Fe d e, Ar­ chitettura. Die Stadtansichten vermitteln beispielsweise einen Eindruck vom Normannenpalast, bevor einige der normannischen Türme abgerissen und die Front durch eine Barockfassade überformt wurde; vgl. dazu D i Fe d e, Architettura. 72 M ü n s t e r, Cosmographie; B a l l i n o, De’disegni; B ra u n / H o g e n b e r g, Civitates; M a i o c c h u s / B o n i ­ f a z i o, Palermo; B e r t e l l i, Theatro. Die teilweise bestechende Ähnlichkeit der Stadtansichten ist auf die unklaren „Urheberrechte“ zurückzuführen; vgl. dazu die Studie von W i t c o m b, Copyright; zum Entste­ hungskontext der Karte von Maiocco / Bonifazio ebd., bes. S. 143‒145. 73 Palermo, Biblioteca comunale, 2Qq.H1, Nr. 6; C a n g i a m i l a, Orazione. 74 Gemeinsam mit Gaetano Giardina gründete Mongitore die „Accademia dei Geniali“ und gab auch die „Bibliotheca Sicula“ heraus, deren erster Band 1707 erschien. Von Muratori weitergeführt erlangte diese Reihe weite Beachtung in Europa und ist teilweise bis heute die Grundlage für die Aufarbeitung normannisch­sizilischer Quellentraditionen.

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Quellengrundlage der Untersuchung

dieser Phase entstandenen Quellensammlungen lateinischer Texte bildeten noch lange den wissenschaftlichen Standard für jede Beschäftigung mit dem Regnum Siciliae. Ungleich später begann dann die Auseinandersetzung mit der muslimischen Herr­ schaft in Sizilien, wobei die bereits erwähnten, in Sizilien ansässigen Gelehrten von Rosario Gregorio bis zu Michele Amari einen wesentlichen Beitrag dazu durch die Auf­ arbeitung arabischsprachiger Inschriften im palermitanischen Stadtraum leisteten.⁷⁵ Erkenntnisse konnten auch aus den zahlreichen unveröffentlichten Dokumenten, die in den Bibliotheken und Archiven Palermos überliefert sind, gewonnen werden. Sie umfassen Skizzen, Pläne, Aufzeichnungen und Fotographien von Stadtarchitekten, Re­ stauratoren, Archäologen und Mitarbeitern der Akademien oder Kulturinstitute. Be­ sonders nennenswert sind dabei die Unterlagen von Francesco Valenti (gest. 1953), der als Leiter der Soprintendenza all’arte medioevale e moderna della Sicilia seit den 1920er Jahren zahlreiche Restaurationen in Palermo und insbesondere an den „ara­ bisch­normannischen“ Monumenten der Stadt durchgeführt hat.⁷⁶ Wertvoll sind diese Akten, weil sie Eindrücke der Stadt beinhalten, die durch Krieg zerstört und durch mo­ derne Urbanisierung überformt sind, aber sie dokumentieren auch Bauprojekte oder Grabungen, bei denen Verlorengegangenes oft zufällig, in jüngerer Zeit aber auch ge­ zielter wieder an die Oberfläche befördert und so für neue Untersuchungen nutzbar wurde. Dieser Aspekt von Grabungsinitiativen oder Stadtplanung führt zurück zu der am Anfang beschriebenen Verbindung zwischen städtischer (Selbst-)Darstellung und Erinnerung. Er führt vor Augen, wie ein Bild von Palermo auch in den Quellen und For­ schungen über Jahrhunderte hinweg geschaffen und aktualisiert wurde bzw. wird, wie Erinnerungen im Raum gesucht und in diesen eingeschrieben werden, was den städti­ schen Raum selbst und seine darin enthaltene Geschichte als komplexen, bedeutenden Untersuchungsgegenstand hervorhebt.

75 Vgl. A m a r i, Iscrizioni. 76 Vgl. Palermo, Biblioteca Comunale, Qq E 165; 2 Qq H1, Nr. 6; Qq D11; insbes Fondo Valenti, 5 Qq E 141, 5 Qq E 143, 5 Qq E 146, 5 Qq E 180, 5 Qq E 187, 5 Qq E 188.

| I Palermo unter muslimischer Herrschaft

1 Eroberung und Transformation 1.1 Raumerschließung: Die Expansion der Aghlabiden von Kairouan nach Palermo Rund ein Jahrhundert nach dem Tod Muḥammads (gest. 11/632) hatten muslimische Truppen ein Gebiet erobert, das sich von der iberischen Halbinsel im Westen bis nach Chorasan im Osten erstreckte. Diese frühe Phase der arabisch­islamischen Expansion wird in den Quellen und der Forschung überwiegend als große Erfolgsgeschichte be­ wertet, die u. a. durch religiöse Ideologie und Beutelust vorangetrieben und später durch eine effektive und integrative Verwaltung konsolidiert wurde.¹ Von bereits kon­ trollierten Territorien aus sicherten die Muslime in weiteren Expansionszügen ver­ stärkt den Seeweg und eroberten nach und nach verschiedene Inseln des Mittelmeer­ raums. So wurden Zypern und Rhodos (Mitte 7. Jahrhundert), später Kreta und Sizilien (erste Hälfte des 9. Jahrhunderts) sowie schließlich die Balearen (10. Jahrhundert) wie­ derholt angegriffen und schließlich eingenommen. Die Etablierung der Muslime auf Sizilien unterscheidet sich maßgeblich von den früheren Eroberungen hinsichtlich der Geschwindigkeit der Unterwerfung sowie der Dauer und Effizienz der herrschaftlichen Durchdringung. Der Ausgangspunkt für die Eroberung der Insel durch die Muslime wird gemeinhin auf das Jahr 212/827 da­ tiert. Einige Quellen lassen jedoch vermuten, dass die Muslime schon lange zuvor ein Interesse an der größten und bedeutendsten Mittelmeerinsel gezeigt hatten. AlBalāḏurī (gest. 278‒279/892), ein früher Historiograph zur islamischen Expansion, er­ innert daran, dass es der Kommandeur Muʿāwiya b. Ḥudayǧ al-Kindī (gest. 54/672) gewesen sei, der den ersten Angriff auf Sizilien befehligt habe, und zwar während der Herrschaftszeit des ersten ummayadischen Kalifen Muʿāwiya b. Abī Sufyān (41– 60/661–680).² Muʿāwiya b. Ḥudayǧ gilt als Gefährte des Propheten (arab. ṣāḥib rasūli ͗llāh) und hatte schon in den frühen Gefechten gegen das oströmische Reich, wie bei­ spielsweise in der Schlacht am Yarmuk (15/636), teilgenommen. Später führte er eine große Armee nach Sousse, das antike Hadrumetum, an der Küste Ifrīqiyas.³ Seit jenem ersten Ausgreifen nach Sizilien, so al-Balāḏurī, sei die Insel immer wieder angegriffen und rund 20 ihrer Ortschaften zur Zeit seines Schreibens bereits eingenommen wor­

1 Vgl. dazu die einschlägigen Darstellungen von D o n n e r, Islamic Conquest; Ke n n e d y, Arab Conquests; H oy l a n d, God’s Path. 2 A l - B a l ā ḏ u r ī, Futūḥ al-buldān, hg. von d e G o e j e, S. 235; a l - B a l ā ḏ u r ī, Origins, über. von K h ū r ī H i t t i, S. 375. 3 A b u n ­ N a s r, History, S. 28 f.; L a r o u i, History, S. 80. https://doi.org/10.1515/9783110773262-003

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Eroberung und Transformation

den. Andere arabisch­islamische Quellen datieren den ersten muslimischen Angriff auf Sizilien um die Mitte des 7. Jahrhunderts.⁴ Unklar bleibt, was genau eigentlich unter diesen Angriffen zu verstehen ist. Han­ delte es sich um Beutezüge oder Expeditionen? Hatten die Muslime Austausch oder Eroberung im Sinne? Eine arabischsprachige Quelle des 13. Jahrhunderts, die sich als Reiseführer zu heiligen Stätten versteht, behauptet, dass Ḥasan b. Muʿāwiya b. Ḥudayǧ al-Sakūnī in der Rocca di Prizzi (arab. qalʿat Brazzū), einem kleinen Örtchen auf halbem Wege zwischen Palermo und Agrigent, bestattet worden sei. Dieser Ḥasan habe Prizzi sowie einige andere Festungen erobert. Der Autor des Werkes, al-Harawī (gest. 611/1215), benennt weitere bedeutende muslimische Persönlichkeiten, die ihre letzte Ruhestätte in Sizilien gefunden hätten. Darunter zählt er Prophetengefährten ohne Namen, die in Marsala bestattet seien.⁵ Prophetengefährten und deren Schüler (arab. tābiʿ, Pl. tābiʿūn) genießen im Islam besonderes Ansehen und ihre angebliche Präsenz oder Bestattung an einem Ort wurde häufig aus der Rückschau auf die Eroberungsvorgänge angeführt, um eine direkte Verbindung des Gebiets zum Propheten herzustellen.⁶ Es ist denkbar, dass al-Harawī solche islamischen Fundamente Siziliens in einer Zeit zu betonen suchte, als muslimisches Leben auf der Insel schon weitgehend marginalisiert war. Davon ab­ gesehen wäre aber auch zu überlegen, ob die frühesten muslimischen Aktivitäten in Sizilien mehr als nur kurzlebige Beutezüge an Küstenorten gewesen sein könnten. So­ mit wäre nicht völlig auszuschließen, dass Reisen, Razzien, Austausch und vielleicht sogar erste Formen von muslimischer Ansiedlung in Sizilien vor dem 9. Jahrhundert stattfanden. Auch für das oströmische Reich, das Sizilien seit dem Sieg des Feldherren Belisa­ rios (gest. 565) über die Ostgoten als Provinz beherrschte, rückte die Verteidigung der Insel gegen die expandierenden Muslime schon früher in den Fokus. Der erste in der arabisch­islamischen Geschichtsschreibung belegte Angriff auf Sizilien ereignete sich während der Regentschaft des oströmischen Kaisers Konstans II. (641‒668). Während seiner noch jungen Herrschaft hatte er bereits enorme Gebietsverluste durch die mus­ limischen Eroberungen im östlichen und südlichen Mittelmeerraum zu beklagen. In den 660er Jahren wandte sich der Kaiser den westlichen Grenzen seines Reiches zu und zog nach einer erfolglosen Belagerung des langobardischen Benevent und einem Besuch in Rom nach Sizilien.⁷ Dort nahm er seine Residenz in Syrakus. Er beabsichtigte sogar, so weiß der griechische Geschichtsschreiber Theophanes (gest. um 817/818) zu berichten, seine Frau und Kinder dorthin bringen zu lassen.⁸ Dieser Hinweis könnte

4 Vgl. a l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 194; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in: BAS 2 (arab.), Bd. 2, S. 425; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 531; D a v i s ­ S e c o r d, Three Worlds, S. 77‒83, 104. 5 A l - H a ra w ī, Kitāb al-Ishārāt, hg. und übers. von M e r i, S. 142‒145. 6 Vgl. zum persischen Kontext dieses Phänomens H a n a o k a, Authority, bes. S. 138 f. 7 Vgl. PmbZ Online, Art. Konstans II. #3691/corr.; C o s e n t i n o, Constans II. 8 T h e o p h a n e s C o n f e s s o r, Chronographia, hg. von d e B o o r, Bd. 1, S. 351.

Raumerschließung: Die Expansion der Aghlabiden von Kairouan nach Palermo



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darauf deuten, dass Konstans II. ein kaiserliches Zentrum in Syrakus, dem antiken Sitz der Tyrannen Siziliens und der oströmischen Provinzhauptstadt, etablieren wollte.⁹ Die Beweggründe dafür sind nicht eindeutig, werden häufig aber dem Druck auf die Provinzen des Ostens sowie den Spannungen am Hof in Konstantinopel zugeschrieben. Der Hof soll sich auch gegen das Vorhaben gestellt haben, die kaiserliche Familie nach Sizilien zu bringen, wo Konstans II. bald einem Komplott zum Opfer fiel und ermordet wurde.¹⁰ In arabischsprachigen Quellen ist dokumentiert, dass Sizilien im späten 7. Jahr­ hundert unter die Vorherrschaft eines Militärverwalters gestellt wurde. Dieser Amtsin­ haber ist womöglich als Stratege zu identifizieren, was dafürspräche, dass die Provinz Sizilien schon bald nach den ersten Angriffen durch die Muslime zum thema (griech. θέμα) umstrukturiert wurde.¹¹ Die themata wurden von der Forschung als Reaktion der oströmischen Führung auf die islamische Expansion gedeutet, weil diese Verwaltungs­ einheiten auch neue militärische Verbände schufen, die das an seinen Grenzregionen massiv bedrohte Großreich wehrhafter machen sollten.¹² Die Einführung dieser Orga­ nisationsform in Sizilien kann als weiteres Indiz für die frühen muslimischen Expansi­ onsbestrebungen im zentralen Mittelmeerraum gedeutet werden, die in der Folge eine Abwehr von Seiten Ostroms notwendig erscheinen ließen. Abgesehen von verstreuten Hinweisen in den Annalen zu einzelnen Angriffen auf oder Expeditionen nach Sizilien liegen lange keine eindeutigen Informationen über die muslimische Aktivität im zentralen Mittelmeerraum vor. Derweil trugen sich aber wesentliche Verschiebungen in Ifrīqiya zu, wo die Muslime nach ihren militärischen Erfolgen gegen das oströmische Reich ihre neugewonnenen Stellungen festigten. Rund 55 Kilometer landeinwärts von Sousse wurde eine Lagerstätte nahe einer Quelle ge­ gründet.¹³ Spätere Geschichtsschreiber sind sich uneins, ob die Gründung dieser Stätte Muʿāwiya b. Ḥudayǧ oder ʿUqba b. Nāfiʿ (gest. 63/683), dem führenden Eroberer des Maghreb, zuzuschreiben sei.¹⁴ Unumstritten ist, dass der Ort unter dem Namen al-Qay­ rawān (Kairouan) bekannt wurde, was in seiner sprachlichen Bedeutung entweder als „Ansammlung von Menschen“ oder „Lagerplatz“ zu verstehen ist. Archäologisch weist der Ort keine Strata aus der Phase vor der Eroberung durch die Muslime auf, sodass

9 P r i g e n t, Sicilie de Constant II; J a n ko w i a k, Arab Siege. 10 T h e o p h a n e s C o n f e s s o r, Chronographia, hg. von d e B o o r, Bd. 1, S. 352. 11 Womöglich operierte Sizilien seit 697 als thema, wurde zunächst aber nicht explizit als solches be­ zeichnet. Offenbar gegründet nach dem Fall von Karthago ist es erstmalig in arabischen Quellen belegt; vgl. dazu O i ko n o m i d e s, Liste arabe, S. 121‒130. Zum thema Sikelias vgl. grundlegend P r i g e n t / N i c h a ­ n i a n, Stratèges. Für die spätere Phase vgl. außerdem v o n Fa l ke n h a u s e n, Untersuchungen. 12 L i l i e, Byzantinische Reaktion; K a ra g i a n n o p u l o s, Entstehung; einen Überblick gibt H a l d o n, War­ fare, S. 107‒115. 13 A l - M ā l i k ī, Riyāḍ al-nufūs, hg. von a l - B a k k ū š, Bd. 1, S. 30. 14 Ebd.

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Eroberung und Transformation

von einer Neugründung ausgegangen werden kann.¹⁵ Als gesichert gilt in der histo­ riographischen Tradition außerdem, dass ʿUqba b. Nāfiʿ ebendort einen Platz für das Gebet absteckte, wo die für lange Zeit größte und bedeutendste Moschee Nordafrikas entstand, die bis heute ein wichtiges Pilgerzentrum ist. Al-Qayrawān wurde noch unter ʿUqba b. Nāfiʿ das politisch­administrative und religiös­rechtliche Zentrum von Ifrīqiya. Nach heftigen Unruhen in Ifrīqiya wurde um 184/800 ein Vertreter aus dem arabi­ schen Stamm banū l-Aġlab vom abbasidischen, in Bagdad residierenden Kalifen Hārūn al-Rašīd (117‒193/786‒809) als Emir über die Region eingesetzt.¹⁶ In der dritten Genera­ tion ihrer Herrschaft griffen die Aghlabiden nach Sizilien aus. Dieses Unternehmen ist gekennzeichnet von einer Phase innerer Spannungen einerseits und Expansionsbemü­ hungen andererseits.¹⁷ Während in griechischen Quellen von einem sich anbahnendem Aufrüsten die Rede ist, belegen lateinische Texte Schutzgesuche der Griechen an den römisch­fränkischen Kaiser.¹⁸ Mit Blick auf Sizilien suggerieren alle historiographi­ schen Traditionen, dass eine gewisse Vernachlässigung durch die zentrale oströmische Herrschaft sowie Zwistigkeiten unter den Verwaltern der Insel die Desintegration und schließlich den Verlust Siziliens für Konstantinopel begünstigt hätten. Namentlich habe ein gewisser Euphemios, der Tourmarch (d. h. der Befehlshaber des τούρμα oder τοῦρμα / tourma) Westsiziliens mit Hauptort in Palermo, rebelliert und versucht, sich selbst zum Herrscher der Insel aufzuschwingen. Die Figur des Euphe­ mios ist in arabischen, griechischen und lateinischen Quellen belegt. In einem Text wird ihm vorgeworfen, sich an fremden Küsten bereichert zu haben, andere Erzählungen sprechen von einem Frauenraub, der dem Eklat zwischen ihm und der oströmischen Führung vorausgegangen sei.¹⁹ Einig ist sich die Historiographie darin, dass Euphemios schließlich beim aghlabidischen Emir in Ifrīqiya vorstellig wurde, um dessen militä­ rische Unterstützung für eine Eroberung Siziliens zu ersuchen. Der lateinischen und griechischen Überlieferung zufolge habe dieser sogleich eingewilligt.²⁰

15 Fe n w i c k, Early Urbanism, S. 204‒210. 16 Zum Aufstieg der Aghlabiden vgl. den Überblick von Ke n n e d y, Origins. 17 Zu diesen Expansionsbemühungen vgl. Ta l b i, Émirat, hier bes. S. 385 f.; eine Neubetrachtung liefert außerdem N e f, Islamic Historiography, und d i e s ., Reinterpreting the Aghlabids. 18 S c h ä p e r s, Lothar I., S. 178‒181 mit Verweis auf die Quellen und neueren Forschungen. 19 Vgl. Chronicon Salernitanum, hg. von We s t e r b e r g h, cap. 60, S. 59; T h e o p h a n e s C o n t i n u a t u s , Chronographiae, hg. von d e B o o r, Bd. 2, cap. 27, § 16–20, S. 81; I o a n n i s S c y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, cap. 20, S. 46 f.; außerdem P r i g e n t, Carrière; d e r s ., Pour en finir. 20 T h e o p h a n e s C o n t i n u a t u s, Chronographiae, hg. von Fe a t h e r s t o n e / S i g n e s C o n d o ñ e r / d e B o o r, cap. 27, S. 120 f.; I o a n n i s S c y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, ΜΙΧΑΗΛ Ο ΤΡΑΥΛΟΣ, cap. 20, S. 46 f.; cap. 20‒21, S. 46 f.; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, S. 48‒50; Chronicon Salernitanum, hg. von We s t e r b e r g h, cap. 60, S. 59; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 5, S. 488–491; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 270 f.; BAS² (ital.), Bd. 1, S. 364‒366; Vgl. PmbZ Online, Art. Euphemios, #1701; Art. Konstantinos #3928; Art. Homoniza, #2594; P r i ­ g e n t, Carrière; T r e a d g o l d, Byzantine Revival; K i s l i n g e r, Regionalgeschichte.

Raumerschließung: Die Expansion der Aghlabiden von Kairouan nach Palermo



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Narrative der Kollaboration und des Verrats sind keineswegs unbekannt, wenn es darum geht, große Eroberungen bzw. Niederlagen zu rechtfertigen.²¹ Aus der Per­ spektive arabischsprachiger Quellen lässt sich jedoch feststellen, dass die Frage, ob man in Sizilien militärisch eingreifen, die Insel erobern oder gar besiedeln solle, offen­ bar kontrovers diskutiert wurde: Der Geschichtsschreiber al-Nuwayrī berichtet, dass der Emir Ziyādat Allāh I. (201‒223/817‒838) seine Notablen und Rechtsgelehrten aus Kairouan versammelt habe, um über das von Euphemios in Aussicht gestellte Un­ terfangen zu beraten.²² Al-Nuwayrī lässt in seiner Darstellung dabei einen gewissen Saḥnūn b. Qādim (gest. 246/861) zu Wort kommen, der sich strikt gegen einen Angriff auf Sizilien ausgesprochen habe, weil die Nähe der Insel zum oströmisch kontrollierten Kalabrien und die große Entfernung zum nordafrikanischen Festland die Insel für eine Eroberung ungeeignet mache. Neben dieser geostrategischen Überlegung dürften aber auch andere Gründe gegen das Unternehmen vorgebracht worden sein. Aus der Samm­ lung von Gelehrtenbiographien aus Ifrīqiya, die der in Kairouan wirkende malikitische Rechtsgelehrte und Historiograph al-Mālikī (gest. nach 449/1057) zusammenstellte, geht ebenfalls hervor, dass mehrere islamische Rechtsgelehrte Eroberungen und vor allem Plünderungen kritisch gegenüberstanden.²³ Gerade unter den Vertretern der malikiti­ schen Rechtsschule scheint die Sorge groß gewesen sein, dass die Moral der Muslime durch Beutekriege verdorben werden könne.²⁴ Die Meinung, dass man eine Eroberung Siziliens anstreben sollte, setzte sich schließ­ lich durch. Propagiert wurde sie angeblich insbesondere von Asad b. al-Furāt (gest. 213/ 828) – einem Rivalen des Saḥnūn – und mit Verweis auf die Pflicht zum ǧihād (wörtl. Anstrengung, Bemühung, Kampf) im Sinne seiner militärischen Auslegung gerechtfer­ tigt.²⁵ Asad hatte in Medina bei Mālik b. Anas (gest. 179/796), dem Begründer der mali­ kitischen Rechtsschule, studiert, vertrat in Ifrīqiya aber später die Lehrmeinungen der Hanafiten.²⁶ Der aghlabidische Emir schloss sich den Befürwortern des Unternehmens an, ließ die Vorbereitungen für den Angriff auf Sizilien treffen und beauftragte Asad persönlich mit der Führung. Gemeinsam mit Euphemios stach dieser von Sousse aus

21 So beispielsweise die Figur des Julian im Kontext der muslimischen Eroberung der iberischen Halbin­ sel; vgl. I b n ʿ A b d a l - Ḥ a k a m, Futūḥ Miṣr, hg. von To r r e y, S. 205 f., und I b n a l - Q ū ṭ i y y a, Tarīḫ iftitaḥ, hg. von a l - I by ā r ī, S. 29–32. Außerdem Kö n i g, Arabic­Islamic Views, S. 153‒158. 22 A l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 194 f.; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in: BAS² (arab.), Bd. 2, S. 484 f.; BAS² (ital.), Bd. 2, S. 113 f. 23 A l - M ā l i k ī, Riyāḍ al-nufūs, hg. von a l - B a k k ū š, Bd. 2, S. 254‒273; auch er erwähnt Muḥammad b. Saḥnūn, ebd., S. 265. 24 Dazu auch M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 11 f., mit Anm. 18 auf S. 23. 25 Vgl. Talbi, É m i ra t, S. 412. 26 Vgl. B r o c ko p p, Asad b. al-Furāt.

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Eroberung und Transformation

in See. Im Jahr 212/827 landete das Heer, nach Angabe al-Nuwayrīs bestehend aus 700 Reitern und 10 000 Fußkämpfern, in Mazara del Vallo im Südwesten der Insel.²⁷ Nach der problemlosen Einnahme des kleinen Ortes, der einst als Hafen von Se­ linunt gedient hatte, zogen die Truppen direkt gen Osten, um Syrakus anzugreifen. Die militärischen Bemühungen der muslimischen Eroberer waren und blieben lange Zeit auf die alte oströmische Provinzhauptstadt gerichtet. Wahrscheinlich wurde sie als erstes größeres Ziel anvisiert, weil der Fall der Stadt aufgrund ihrer Funktion als administrativer, wirtschaftlicher, militärischer wie repräsentativer Hauptort die weit­ reichendsten Folgen für das politische Gleichgewicht der gesamten Insel gehabt hätte. Die Belagerung von Syrakus musste jedoch frühzeitig abgebrochen werden, da der Widerstand der Stadt, unterstützt durch eine zusätzlich gesandte oströmische Flotte, zu groß war und zudem eine Seuche im muslimischen Heer ausbrach. Asad verstarb noch im Jahr 213/828 und wurde angeblich bei Syrakus bestattet.²⁸ Die Muslime beschränkten ihre Angriffe in den folgenden Jahren auf das Insel­ innere. Ein bedeutender Vorstoß in das Binnenland stellte die Belagerung von Enna im Jahr 214/829 dar. Obgleich auch diese Festung nicht eingenommen werden konnte, deuten einige Indizien darauf hin, dass die muslimischen Eroberungen hier eine neue Dynamik gewannen: Zum einen wurden während der Belagerung Ennas die ersten islamischen Münzen Siziliens geprägt. Sie nennen das Jahr der Belagerung und den Kommandeur der Truppen, Muḥammad Abī l-Ǧawārī (gest. 213/828). Der Name der Münzprägestätte wird mit dem arabischen Wort für Sizilien Ṣiqilliya bzw. Siqilliya an­ gegeben.²⁹ Zum anderen erinnern die arabischen und griechischen Chroniken in die­ sem Zusammenhang an das Ausscheiden des Euphemios aus den Kampfhandlungen.³⁰ Der Einfluss des Aufrührers auf die militärischen Erfolge der muslimischen Eroberer in Sizilien kann zwar nicht eindeutig festgestellt werden, doch scheint ihm als Mittels­ mann und Kenner des Landes doch eine nicht unbeachtliche Bedeutung zugemessen worden zu sein. Aus der Retrospektive deutet Johannes Skylitzes die Episode im spä­ ten 11. Jahrhundert sogar so, dass die Muslime nach dem Tod des Euphemios zu den Herrschern Siziliens geworden seien.³¹

27 A l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 195; andere Lesarten sprechen von 900 Reitern, z. B. B r o c ko p p, Asad b. al-Furāt 28 A l - H a ra w ī, Kitāb al-Ishārāt, hg. und übers. von M e r i, S. 142‒145. 29 L a v o i x, Catalogue, Nr. 840 mit Tafel 3, S. 352; T y c h s e n, Introductio, S. 41 f., Nr. 1, und Tafel 1, Nr. 3; B a l o g, Monetazione, S. 611. 30 Uneinigkeit besteht in den arabischen und griechischen Quellen allerdings darüber, ob Euphemios getötet wurde oder floh; vgl. I o a n n i s S k y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, ΜΙΧΑΗΛ Ο ΤΡΑΥΛΟΣ, cap. 20, S. 46 f.; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u ­ s i n, S. 49 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 5, S. 489–491; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 196; PmbZ Online, Art. Euphemios, #1701; Art. Anonymi, #10510. 31 I o a n n i s S k y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, ΜΙΧΑΗΛ Ο ΤΡΑΥΛΟΣ, cap. 20, S. 46 f.; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, cap. 21, S. 47, 49 f.

Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos



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Von Enna aus zogen sich die muslimischen Truppen weiter in den Westen der In­ sel zurück. Dort belagerten sie bald die Stadt Palermo, die als Zentrum der westlichen Verwaltungseinheit (griech. τούρμα / τοῦρμα / tourma) des thema Sizilien fungierte. Bemerkenswert ist dabei, dass Palermo zumindest zu Beginn des 9. Jahrhunderts als einziger Stadt in der Provinz Kalabrien­Sizilien eigens ein archon (griech. ἄρχων) vor­ stand, der sowohl Verwaltungsangelegenheiten der Stadt als auch das Kommando über militärische Angelegenheiten, insbesondere die Flotte, übernehmen konnte. Vivien Pri­ gent folgert daher, dass Palermo neben Syrakus womöglich der wichtigste militärische Hafen der Provinz war.³²

1.2 Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos Die Stadtanlage, welche die muslimischen Eroberer bei der Belagerung in Palermo vorfanden, erstreckte sich seit der Antike über zwei Teile, die sogenannte Paleopolis und die Neapolis (siehe Karte 1 im Anhang).³³ Erstere bezeichnete schon bei Poly­ bios den älteren, auf einer Anhöhe gelegenen Kern einer Akropolis. In diesem Bereich liegen heute um die Piazza della Vittoria mit Villa Bonanno, einem 1905 angelegten Palmengarten, gruppiert der Komplex des Palazzo Reale mit Sitz des Parlaments der Autonomen Region Sizilien, mehrere Kirchen und Kapellen sowie Teile des Quartiere Militare di San Giacomo degli Spagnoli bzw. der Caserme dalla Chiesa­Calatafimi und des erzbischöflichen Palastes (mitsamt Archiv und Museo Diocesano).³⁴ Die neuere Stadt hingegen lag unterhalb davon und erstreckte sich hin zur Meeresbucht, wo der Hafen lag. Zumindest bis in die römische Zeit waren Paleopolis und Neapolis voneinan­ der durch eine Mauer oder einen Wall getrennt. Beide Teile wurden aber gemeinsam von Befestigungsanlagen umschlossen, deren Gründung auf die Phönizier zurückgeht und deren Wehrhaftigkeit von Prokop zum Zeitpunkt der Eroberung Palermos durch Belisarios bezeugt wurde.³⁵ Dieser von der Stadtmauer umschlossene Bereich, der bis heute in Teilen erkennbar ist, maß seiner Länge nach mehr als einen Kilometer und wurde von einer geraden Hauptstraße durchzogen. Dort, wo die lange, gerade Straße von der Neapolis bzw. Unterstadt in die Paleopolis bzw. Oberstadt führte, wurde das Fundament einer Kirche entdeckt und folgend vermutet, dass es sich dabei um die

32 P r i g e n t, Palermo, S. 24 f. 33 Die Namen der beiden Stadtteile sind belegt bei P o l y b i u s, Historiae, hg. von Theodorus B u e t t n e r ­ Wo b s t, Stuttgart 1962, Bd. 1, lib. 1‒3, S. 54. 34 Neben den natürlichen Segmenten lassen sich auf der palermitanischen Akropolis außerdem die Bau­ phasen bzw. Gebäudereste verschiedener Herrschaftszeiten finden; vgl. grundlegend Va l e n t i, Lavori eseguiti; d e r s ., Palazzo, S. 301‒306; C a l a n d ra et al., Palazzo. 35 P r o ko p, Vandalenkriege, hg. von Ve h, S. 41‒47; zur Beschreibung der Topographie in römischer Zeit vgl. W i l s o n, Towns of Sicily, S. 153‒158; den Mauerverlauf skizziert knapp M a u r i c i, Castelli, S. 24‒26.

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Überreste der ursprünglichen Kathedrale handeln könnte. Ob sich hier einst auch ein Tempel befand, ist unklar; auch die Lage des antiken Forums ist nicht bekannt.³⁶ Die Grenzen des vorislamischen Palermo sind abgesehen von der Stadtmauer auch anhand von Nekropolen erkennbar, die sich an verschiedenen Punkten extra muros (d. h. vor den Mauern) befanden.³⁷ Entlang der südlichen Linie lassen sich Schwer­ punkte frühchristlichen Lebens ausmachen, denn dort finden sich mehrere Kirchen, die auf die Spätantike zurückgehen und teilweise mit Katakomben ausgestattet sind.³⁸ Auch ein Teil der jüdischen Gemeinschaft, die um 600 mehrere Synagogen betrieb, wird hier vermutet.³⁹ Hinsichtlich des christlichen Kultes ist zu betonen, dass zum Zeitpunkt der Eroberung Palermos durch die Muslime sowohl der lateinisch­römische als auch der griechisch­oströmische Ritus an mehreren Orten innerhalb und außerhalb des Mauerrings praktiziert wurde. Weil das lateinisch­römische „patrimonium“ von Pa­ lermo in mehreren Briefen Gregors des Großen thematisiert wird, weiß man sogar mehr über die lateinisch­christlichen Strukturen der Zeit und die mit ihnen verbunde­ nen Personen.⁴⁰ Es fehlen jedoch Daten, um Kirchen genau lokalisieren oder zuordnen zu können. Den Grenzverlauf Palermos verdeutlichen des Weiteren die palermitani­ schen Flussbetten, die unterhalb der Stadtmauern lagen. Hier umflossen der Papireto und die Kemonia Palermo und vereinten sich, wo sie in die natürliche Bucht ström­ ten. Beide Gewässer, die geologisch gesehen Torrente bzw. Sturzbäche sind, konnten je nach Witterung oder Jahreszeit beachtlich anschwellen. Ihre Alluvialböden lassen sogar vermuten, dass sie dann teilweise schiffbar wurden.⁴¹ Über die genauen Umstände der muslimischen Belagerung Palermos ist wenig be­ kannt. Ein Jahr soll sie gedauert haben und gefallen sei die Stadt im September 216/831. Die Bevölkerung sei dabei laut Ibn al-Aṯīr von 70 000 auf 3 000 dezimiert worden und die bis dato in Palermo verbliebene Führung mitsamt ihren Familien und Besitztümern in sichere, nicht näher spezifizierte Gebiete des oströmischen Reiches geflohen.⁴² Es ist nicht verwunderlich, dass die Verluste durch Flucht oder Tod nach einem Jahr der Be­

36 Zu diversen Zusammenfassungen über die Archäologie des antiken sowie frühchristlichen Palermo vgl. Ta m b u r e l l o, Palermo punico­romana; d i e s ., Palermo antica; D i S t e f a n o / M a n n u n o, Carta ar­ cheologica; B o n a c a s a C a r ra, Palermo paleocristiana, S. 31‒50; S p a t a f o ra, Panormus. 37 G e l a r d a, Palermo, hier bes. S. 81–89. 38 Ebd. sowie B o n a c a s a C a r ra, Necropoli. Beispiele für diese Katakomben finden sich unterhalb des Komplexes Chiesa di Casa Professa: S. Calogero in Thermis, S. Maria de Crypta o della Grotta sowie die etwas dahinter liegende Kirche mit Katakomben von S. Michele Arcangelo. 39 Gregorii I Registrvm, hg. von H a r t m a n n, Bd. 2, lib. 9, Nr. 38, S. 67 (Oktober 598); in diesem Brief ist von Synagogen im Plural die Rede. 40 Vgl. beispielsweise Gregorii I Registrvm, hg. von H a r t m a n n, Bd. 1, lib. 2, Nr. 38, S. 133‒139; Bd. 2, lib. 9, Nr. 23, S. 56 f. Zum Verhältnis des Papstes zur Provinz Sizilien vgl. die Studien von C a r l i r i, Linee gestio­ nali; M a m m i n o, Gregorio Magno; R i z z o, Papa Gregorio; P r i g e n t, Palermo. 41 C u l t r e ra / A z z a ra / C a ra, Microtremor, insbes. Abb. 4. 42 I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 5, S. 492.

Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos



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lagerung erheblich waren. Dennoch sind die Zahlen, die der Historiograph hier angibt, wohl kaum als verlässlich anzusehen, weil sie bestenfalls auf eine Schätzung zurück­ gehen dürften. Außerdem ist zu bedenken, dass die Altstadt Palermos innerhalb der punischen Stadtmauer rund 0,4 km² umfasst.⁴³ Auf dieser Fläche eine Bevölkerung von 70 000 zu vermuten, würde eine unwahrscheinlich dichte Besiedelung voraussetzen.⁴⁴ Während der Belagerung Palermos wird das Militär der Muslime nahe der Stadt­ mauer kampiert haben. Ein solches Feldlager musste ausreichend Platz für die Unter­ bringung der Armee, ihrer Tiere sowie deren Verpflegung bieten. Obwohl die Textquel­ len keine Aussagen darüber treffen, lässt sich mit einer gewissen Sicherheit vermuten, dass die Stoßrichtung des Angriffs nicht über die Küstenroute, sondern vom Landes­ inneren kam. Das Lager wurde daher wohl so aufgeschlagen, dass der Nachschub und Rückzug über bereits kontrollierte Routen gewährleistet war. All diese Kriterien würde die Gegend westlich sowie südwestlich vor der Paleopolis erfüllen. Relevante Informa­ tionen über dieses Gebiet lassen sich aus der Beschreibung des Ibn Ḥawqal gewinnen. Vorsichtig sind dabei die verschiedenen Zeitschichten herauszuschälen, die in seiner mental map zu einer einzigen Topographie hin vermengt sind, weil er eine Moment­ aufnahme der Stadt zum Zeitpunkt seiner Reise abbildet, ohne dabei den urbanen Entstehungsprozess oder die Aussagekraft räumlicher Erscheinungen und Toponyme zu reflektieren. Ibn Ḥawqals Darstellung Siziliens setzt mit einer knappen, allgemeinen Skizzie­ rung der Insel ein, bevor er die Hauptstadt Palermo anhand ihrer Viertel, durch die Verortung ihrer Stadttore und einiger ihrer Bewohner beschreibt. Recht ausführlich dokumentiert er auch die Wasserversorgung der Stadt und erwähnt in diesem Zusam­ menhang ein Viertel, das den Namen al-muʿaskar getragen habe:⁴⁵ „Die Bewohner von al-muʿaskar trinken von der Quelle, die man al-ġirbāl nennt und deren Wasser gut ist. In al-muʿaskar ist auch eine Quelle, die als ʿayn tisʿ bekannt ist, sie ist weniger reich an Wasser als al-ġirbāl. Es gibt auch eine Quelle, die ʿayn Abī Saʿīd heißt, sie ist noch weniger reich, und eine [weitere] Quelle ist bekannt als ʿayn Abī ʿAlī, der einer der Gouverneure war und ihr den Namen gab.“⁴⁶

43 P r i g e n t, Palermo, S. 26; W i l s o n, Towns of Sicily, S. 143; B e l v e d e r e Topografia, S. 293. 44 Verlässlichere Angaben über die Einwohnerzahlen Palermos lassen sich erst ab dem 13. Jahrhundert auf der Grundlage von Abgabenregistern gewinnen. Stephen Epstein geht für das spätere 13. Jahrhun­ dert, das sicher nicht eine Hochphase städtischer Bedeutung und Entwicklung darstellte, von einer Be­ völkerung von rund 50 000 Einwohnern in Palermo aus; vgl. E p s t e i n, Island, S. 53‒59, 297. 45 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123; I b n H a u q a l, Config­ uration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 122. Wenige Kilometer vor Cefalù findet man noch heute ein Ort namens L’Ascari, der als latinisierte und italianisierte Form eines arabischen Toponyms gedeutet werden kann, welches auch ein Heerlager al-ʿaskar bezeichnet haben dürfte. 46 Übersetzt nach I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123.

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Grammatikalisch gesehen ist al-muʿaskar ein nomen loci. Es bezeichnet einen Ort (mar­ kiert durch das Präfix mu-), an dem ein ʿaskar (wörtl. Militärlager) zu finden ist. Ibn Ḥawqal lokalisiert dieses durch den Hinweis auf Wasserquellen, die das entsprechende Quartier versorgten: Mit al-Ġirbāl sind die bis ins frühe 15. Jahrhundert als aqua Gri­ bel / flumen Garbelis und heute als Sorgenti del Gabriele bekannten Quellen zu identi­ fizieren, die etwa vier Kilometer nordwestlich der palermitanischen Altstadt entsprin­ gen. Laut Ibn Ḥawqal wurde al-Ġirbāl für die Bewässerung von Gärten oder für die Landwirtschaft genutzt und mit Wasserrädern betrieben.⁴⁷ Dieses Wasser floss bis in die Gegend vor der Paleopolis, wo es abgezweigt werden konnte.⁴⁸ Während die Ur­ sprungsquelle al-Ġirbāl womöglich mit einem Gegenstand (wörtl. das Sieb) oder der (am Ort vollzogenen) Praxis des Siebens in Zusammenhang steht (alt­ital. garbellare), verweist das Hydronym tisʿ auf „neun [Kanäle]“ und damit wohl auf ein lokales Be­ wässerungssystem von Kanälen.⁴⁹ Die anderen beiden Quellen sind nach Personen benannt. Als Namensgeber der Quelle ʿayn Abū Saʿīd wurde Abū Saʿīd Mūsa b. Aḥmad al-Ḍayf identifiziert, der 304/916 während der frühen fatimidischen Herrschaft über Palermo in deren Auftrag städtische Unruhen befrieden konnte.⁵⁰ Adalgisa de Simone geht davon aus, dass ʿayn Abū Saʿīd dem später als Danissini bekannten Flüsschen entspricht, das ebenfalls von Westen kommend nördlich entlang der alten Stadtmauer verläuft.⁵¹ Die von Ibn Ḥawqal zuletzt genannte Quelle ʿayn Abī ʿAlī trage den Namen eines palermitanischen Führers, Abū ʿAlī al-Ḥasan b. Nāqid, der zwischen 282/895–283/ 896 eine Revolte der muslimischen und christlichen Palermitaner gegen die Dominanz von Ifrīqiya anführte.⁵² Bezüglich der Toponomastik dieses Gebietes ist zunächst prinzipiell bemerkens­ wert, dass sich hier ein Viertel findet, das „Ort des Militärlagers“ heißt. Dieser spre­ chende Name deutet darauf hin, dass sich hier ein wichtiger militärischer Schwerpunkt der Stadt befand. Unmittelbar nach der Erwähnung der alten Festungsanlage kommen­ tiert Ibn Ḥawqal die besondere Bedeutung von al-Muʿaskar, indem er die dort verorte­ ten Quellen als Garant für die Frischwasserversorgung der gesamten Stadt beschreibt.⁵³

47 Ebenfalls ist die Quelle belegt auf der Karte im Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 96, S. 137 (arab.), 464 (engl.). 48 D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 38. C a ra c a u s i, Arabismi, Nr. 125 („Garbeli“), S. 237; M e t c a l f e, Dynamic Landscapes, S. 99. 49 Andere Lesarten der Handschrift schlagen hier die Zahl „sieben (arab. sabʿa)“ vor. Ohne Punktierung der Buchstaben sind beide Worte leicht zu verwechseln. Vgl. dazu Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 144‒143 (arab.), 458 f. (engl.) mit Anm. 28. 50 Cambridge Chronicle, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 169; BAS 2 (ital.), Bd. 1, S. 282. 51 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 99. 52 Vgl. Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 143 (arab.), 459 (engl.) mit Anm. 29; außerdem die Er­ wähnung auf der Karte ebd., Nr. 133, S. 136 (arab.), 488 (engl.); A m a r i, Storia, Bd. 1, S. 572–574. 53 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 122. Wie eng der Besitz und die Ausübung von Wasser­

Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos



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Weiterhin fällt auf, dass die Quellen teilweise nach den militärischen Machthabern Palermos benannt wurden. Dies könnte die Stiftung oder den Ausbau von Bewässe­ rungssystemen mit Kanälen (arab. qanāt) oder anderen Formen der Irrigation durch jene Machthaber festhalten, die sich so vielleicht um eine bessere Verteilung dieser wichtigen Ressource für das Viertel al-Muʿaskar bzw. für einzelne Teile davon verdient gemacht hatten. Notwendig erscheint dies vor dem Hintergrund, dass das Gebiet von al-Muʿaskar gemäß Ibn Ḥawqals etwaiger Angaben in seiner Fläche beträchtlich ge­ wesen sein muss. Wahrscheinlich reichte es fast bis zu dem Ort, den Ibn Ḥawqal als Bāyḍāʾ bezeichnet und dessen Entfernung zur Stadt er mit etwa einem halben farsaḫ angibt, was rund zweieinhalb Kilometern entspricht.⁵⁴ Die nach militärischen Führern verschiedener Perioden benannte Wasserversor­ gung legt außerdem eine langfristige strategische Bedeutung des Quartiers nahe. Ein weiteres Indiz in Ibn Ḥawqals Bericht verweist insbesondere auf die weit zurücklie­ gende Geschichte muslimischen Einflusses in Palermo: So schreibt er, dass ein Stadttor, das von al-Muʿaskar aus Zutritt zur Stadt im Bereich der Paleopolis gab, den Namen bāb Ibn Qurhub trug.⁵⁵ Dies könnte auf den militärischen Führer ʿUṯmān b. Qurhub (gest. nach 217/832) verweisen, der für die Belagerung und Einnahme Palermos verant­ wortlich war. Das nach ihm benannte Stadttor könnte etwa den Punkt erinnern wollen, von dem aus die muslimischen Truppen in die Altstadt eingedrungen waren. Es könnte aber auch von ihm als Verbindungsstelle zwischen der Paleopolis und al-Muʿaskar an­ gelegt worden sein und damit der Kontrolle oder Absicherung gedient haben. Nach der Einnahme der Stadt sei es nämlich Ibn Qurhub gewesen, der die Truppenkontingente der Muslime dort dauerhaft ansiedelte.⁵⁶ Der Name al-Muʿaskar könnte damit konkret auf jenes Lager hinweisen, das im Zuge der muslimischen Belagerung Palermos er­ richtet und unter Ibn Qurhub zur permanenten Ansiedlung des muslimischen Heeres bestimmt worden war.⁵⁷

rechten mit der Stadtherrschaft verbunden sind und welche Besteuerungspraktiken daraus resultieren, tritt u. a. hervor bei Ya ḥ y ā b e n Ād a m, Kitāb al-ḫarāǧ, hg. und übers. von B e n S h e m e s h, Bd. 1, S. 71– 77. Vgl. zu diesem Aspekt außerdem N e f, State. 54 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 122; Yā q ū t, Muʿgam, hg. von Dār Ṣādir, Bd. 1, S. 483. 55 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. 56 I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, hg. von C o l i n / L e v i ­ P r o v e n ç a l, Bd. 1, S. 104; I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 410; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 7; vgl. auch a l - Ḥ i my a r ī, al-Rawḍ, hg. von ʿ A b b ā s, S. 429. 57 Alessandra Bagnera behandelt das Militärlager al-Muʿaskar erst im Abschnitt zu „The New Palermo of the Fatmids“; B a g n e ra, Islamic Palermo, S. 69–74, hier bes. S. 73 f. Hinsichtlich der Frage, auf wel­ che Phase das Militärlager zurückgehen könnte, trifft sie keine konkrete Aussage. Weil sie aber schreibt, „[the] new definition of the city of Palermo [i. e. under the Fatimids] may have been informed from the outset [i. e. from before the Fatimid arrival] by the presence of an area set aside for a military function, the Muʿaskar“, ließe sich vermuten, dass auch sie von der Existenz eines solchen Lagers in aghlabidischer Zeit ausgeht.

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Eroberung und Transformation

Besondere Relevanz gewinnen solche Überlegungen über die Niederlassung der muslimischen Eroberer, den Ausbau eines Militärlagers und die damit verbundenen politischen wie sozialen Dynamiken im Vergleich mit anderen Orten, die durch die isla­ mischen Expansionen urbanistisch geprägt wurden. Im Osten der arabisch­islamischen Sphäre sind al-Kūfa und al-Baṣra, die beide um 17/638 im heutigen Irak gegründet wur­ den, Beispiele für permanent gewordene Militärstätten, die sich zu städtischen Zentren entwickelten.⁵⁸ In Nordafrika gehören dazu der bereits erwähnte Fall von Kairouan sowie das noch zuvor gegründete al-Fusṭāṭ (bekannt als Alt­Kairo), das um 22/643 nörd­ lich Babylons (heute auch Koptisches Kairo genannt) am Nil entstand. Direkt neben al-Fusṭāṭ wurde 132/750 ein weiteres Lager namens al-ʿAskar errichtet, das dazu diente, die Region für die abbasidischen Kalifen zu dominieren. Unter den Tuluniden wurde al-ʿAskar 254/868 kurzfristig durch eine andere Neugründung mit dem Namen al-Qaṭāʾi (wörtl. die Quartiere) ersetzt. Später gingen alle drei dieser ägyptischen Lager, deren Namen ebenso wie der von al-Muʿaskar sprechend für ihren militärischen Charakter sind, im urbanen Konglomerat von al-Qāhira (Kairo) auf, das von den Fatimiden als miṣr al-Qāhira (der prächtige Bezirk / das prächtige Militärlager) gegründet und 358/969 der Herrschaftssitz der Dynastie wurde.⁵⁹ Zweck all dieser militärischen Lager (arab. Sg. miṣr, Pl. amṣār) war es, jüngst un­ terworfene Territorien zu sichern, weshalb als ihre Gründer meist die militärischen Anführer der Truppen in Erscheinung treten. Bei ihrer Errichtung war die Zukunft der Lager zunächst ungewiss, weshalb sie nicht etwa von einem Gründungsritual be­ gleitet wurden, sondern sich schrittweise sowie in regional verschiedener Weise und Geschwindigkeit entwickelten. Prägend war dabei nicht nur der militärische Fortschritt des Unternehmens, sondern auch die im weiteren Sinne kulturelle Zusammensetzung der Eroberer und Eroberten. Das islamische Militär war aus verschiedenen Provinzen rekrutiert, und einige Truppen waren entweder nach regionalen oder ethnischen Zu­ gehörigkeiten (z. B. Araber, Syrer, Ägypter) oder in familiären Verbünden organisiert. Dieser Teil wurde ǧund genannt. Zum anderen gab es Gruppen, die über andere Formen des Verbunds ins Militär integriert wurden.⁶⁰ Mitgliedern des ǧund wurden zur Stabilisierung des eroberten Terrains oder des begründeten Lagers häufig begrenzte Grundstücke zur Ansiedelung und zum Bebau zugewiesen (arab. ḫiṭṭa). Andere Gruppen siedelten in unbegrenzten Parzellen, und Mitglieder anderer religiöser Zugehörigkeit sowie Händler konnten sich in Siedlun­ gen im Umkreis dieser Lager niederlassen, die im Falle von al-Fusṭāṭ als al-ḥamrāʾ

58 Vgl. P e l l a t / L o n g r i g g, al-Baṣra; H i c h e m, al-Kūfa; D o n n e r, Islamic Conquest, S. 228 f.; M a s s i g n o n, Explication; A l i M u s t a f a, Preliminary Report; D j a i t, Naissance, S. 302; zu Basra vgl. D o n n e r, Tribal Settlement. 59 Vgl. J o m i e r, al-Fusṭāṭ; R o g e r s / J o m i e r, al-Ḳāhira. 60 Eine frühe Beschreibung dieses Prozesses bei a l - B a l ā ḏ u r ī, Futūḥ al-buldān, hg. von d e G o e j e, S. 166.

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(wörtl. die Schmutzige) bezeichnet wurden. Je nach lokalen Vorprägungen des Ter­ rains, der jeweiligen Traditionen der (städtisch, ländlich oder nomadisch lebenden) Truppenkontingente, resultierten unterschiedliche „urbanisierende Impulse“,⁶¹ wäh­ rend die Heereslager zu neuen Städten und Handelszentren heranwuchsen.⁶² In eini­ gen Provinzen, besonders gut belegt für Syrien, prägten die Heerlagerstrukturen sogar die Organisation des gesamten regionalen Umlandes.⁶³ Bei der Typisierung islamischer Städte wurden die aus Heereslagern hervorge­ gangenen Neugründungen also von jenen Städten geschieden, die bereits eine lange Siedlungsgeschichte aufwiesen und nach der Eroberung mit Stationierungen des Mi­ litärs zunächst von außen gesichert und erst peu à peu auch innerhalb der Mauern transformiert wurden. Diese strikte Trennung scheint aber nur bedingt sinnvoll. Für Palermo kann beispielsweise aus den hier angestellten Überlegungen geschlossen wer­ den, dass im Zuge der Belagerung die Gründung eines typischen miṣr stattfand und durch den Erfolg der Eroberung verfestigt wurde. So bildete sich ein Nukleus für die entstehende muslimische Herrschaft heraus, deren Vertreter in einem nächsten Schritt auch den eigentlichen, alten Stadtkern erfassten. Ein solcher Vorgang ist für Palermo bisher nicht herausgestellt und auch nicht in den Kontext anderer Stadtentwicklungen gesetzt worden, obwohl dieser Umstand absolut prägend für die Entwicklung der Stadt als Hauptort des muslimischen Sizilien gewesen wäre und auch im Vergleich mit ande­ ren Städten der arabisch­islamischen Sphäre wichtige Erkenntnisse zur Frage urbaner Transformation liefern kann.

1.3 Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Anwesenheit Bald nach der Einnahme Palermos wurde Ibn Qurhub durch die Aghlabiden entmach­ tet. Laut Ibn ʿIḏārī, der die einzig bekannte Quelle für dieses Ereignis darstellt, geschah dies 217/832‒833,⁶⁴ nachdem bereits im Jahr zuvor Muḥammad b. ʿAbd Allāh b. al-Aġlab, genannt Abū Fihr, von seinem Cousin, dem aghlabidischen Emir Ziyādat Allāh, nomi­ nell zum Gouverneur (arab. wālī) von Sizilien ernannt worden war.⁶⁵ Beim Eintreffen des neuen Machthabers aus Ifrīqiya wurde Ibn Qurhub aus Palermo und wahrschein­ lich sogar aus Sizilien vertrieben. Al-Nuwayrī zufolge regierte Abū Fihr fast 20 Jahre, bis er 236/851 verstarb. Tatsächlich aber ist bei anderen Historiographen schon ab

61 Va n E s s, Theologie, Bd. 1, S. 151. 62 Vgl. den grundlegenden Überblick mit weiterführender Literatur bei D e n o i x, Founded Cities. 63 Vgl. für einen grundlegenden Überblick mit weiterführender Literatur Ke n n e d y, Inherited Cities. 64 I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, hg. von C o l i n / L e v i ­ P r o v e n ç a l, Bd. 1, S. 104; I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 410; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 7. 65 I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 5, S. 489 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, hier bes. S. 273; BAS 2 (ital.), Bd. 1, hier bes. S. 369 f.

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Eroberung und Transformation

217/835 ein neuer wālī belegt, nämlich der Bruder des Abū Fihr namens Abū al-Aġlab Ibrāhīm b. ʿAbd Allāh b. al-Aġlab, was die Verwechslung bzw. Vermengung hin zu einer Person bei al-Nuwayrī erklären dürfte. Ibrāhīm wurde 236/851 von al-ʿAbbās b. al-Faḍl abgelöst, der zehn Jahre an der Macht blieb. Die ersten drei Jahrzehnte muslimischer Herrschaft in Palermo waren damit im Vergleich zu späteren Phasen von Beständigkeit hinsichtlich der lokalen Machthaber gekennzeichnet.⁶⁶ Man darf davon ausgehen, dass sich diese Präsenz von Herrschaft sowie ihre re­ lative Stabilität auf den eroberten Raum der Stadt ausgewirkt haben dürfte, indem dieser durch Bauprojekte eingenommen und so den Bedürfnissen der neuen Macht­ haber entsprechend umgestaltet wurde. Al-Nuwayrī beispielsweise berichtet, dass der erste Herrscher Palermos (und damit meint er aufgrund der genannten Verwechslung die ersten 20 Jahre muslimischer Herrschaft) die Stadt nach seiner Ankunft nie wieder verlassen, sondern als seinen Ruhesitz angesehen habe.⁶⁷ Aus anderen Fällen weiß man, dass den Hauptquartieren des muslimischen Militärs Gebäude von politischer und administrativer Funktion angeschlossen wurden, die mit der Zeit Residenzcharak­ ter entwickelten. Sie sind als dār al-imāra (wörtl. Haus der Herrschaft) bekannt und entstanden regional in unterschiedlicher Geschwindigkeit, was ebenfalls wieder von den Dynamiken der fortschreitenden Eroberungen, aber auch von den Traditionen der sich dort ansiedelnden Gruppen und Individuen abhängig war.⁶⁸ Wann genau und in welcher Bauweise sich ein Sitz des Gouverneurs von Palermo materialisierte, ist nicht belegt. Mit Verweis auf die frühen Jahrzehnte herrscherlicher Anwesenheit in der Stadt könnte man aber davon ausgehen, dass die ersten zentral geleiteten bzw. politisch gewollten Eingriffe der Muslime nicht nur die Ansiedlung des Militärs, sondern auch den Ausbau von Strukturen für Palermos Gouverneur be­ zweckten. Aus dieser Phase ist auch die erste Münzemission belegt, die aus dem Jahr 230/844‒845 stammt und als Prägestätte die „Stadt Palermo (arab. madīnat Balarm)“ nennt.⁶⁹ Mit Blick auf die Lokalität eines dār al-imāra vermutet die Forschung, dass sich die Führung zusammen mit einer Art Privatgarde innerhalb der Oberstadt bzw. der Pa­ laeopolis ansiedelte.⁷⁰ Wo genau, bleibt unklar, und es kann auch nicht gesagt werden, ob oder in welcher Form die Paleopolis zu dieser Zeit von der Neapolis getrennt war. Von Ibn Ḥawqal erfährt man über diesen Bereich lediglich, dass sich im südwestlichen Teil drei Stadttore befanden.

66 Über die ersten muslimischen Herrscher in Palermo I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 5, S. 489–494; ausführlicher noch a l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 196–209. 67 A l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 197 f.; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in: BAS 2 (arab.), Bd. 2, S. 425; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 531. 68 Ein solches dār lil­imāra oder dār al-imāra ist für al-ʿAskar und in al-Fustāt belegt; vgl. a l - M a q r ī z ī, Al-mawāʿiẓ, hg. von W i e t, Bd. 2, S. 264; vgl. auch S a k l y, Kairouan, S. 58. 69 Vgl. B a l o g, Monetazione, S. 612 mit Abb. 12; D e L u c a, Monetazione araba; d i e s ., Monetazione nella Sicilia; d i e s ., Sicilia; T ra v a i n i, Monetazione della Sicilia. 70 So bereits D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 151–166; kürzlich dem folgend L o n g o, „In loco“, S. 250.

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Das Südlichste trug nach Lesart der hier verwendeten Edition den Namen bāb al-anbāʾ und gilt bei Ibn Ḥawqal als das älteste Tor der Stadt.⁷¹ Dies lässt vermuten, dass die Paleopolis, zu der das Tor Zutritt verlieh, ihm als frühester urbaner Siedlungs­ kern bekannt war. Wenn Ibn Ḥawqal in seiner Beschreibung Palermos nämlich einen Baubestand als „alt“ bezeichnet, verweist er auf Strukturen, die mindestens in die vor­ islamische Zeit zu datieren sind. Übersetzt würde bāb al-anbāʾ „Tor der Neuigkeiten“ heißen. Denkbar ist aber auch, dass eigentlich das Wort al-abnāʾ gemeint war, was ohne die (klare) Punktierung der Buchstaben bāʾ und nūn im Manuskript nicht voneinander zu scheiden ist. So argumentierte auch Adalgisa de Simone, dass die Lesart al-abnāʾ hinsichtlich der Bedeutung sogar wahrscheinlicher sei. Die Arabistin vermutet, dass al-abnāʾ eine dialektale Pluralbildung von bināʾ (das Gebäude) darstelle. Weiter folgert sie, es müsse sich um Gebäude gehandelt haben, die bedeutend genug gewesen waren, um für das sich an dieser Stelle befindliche Tor namengebend zu wirken.⁷² De Simone schlägt daher vor, dass diese Gebäude die Residenz des wālī bezeichnet haben könnten. Diese Deutung wird auf den ersten Blick auch durch Urkunden aus der späteren normannischen Zeit gestützt, in denen das Tor als porta aedificorum (wörtl. Tor der Gebäude) belegt ist.⁷³ Auch hinsichtlich der visuellen Wahrnehmung und der daraus abgeleiteten Bedeutungszuschreibung ist diese Übersetzung bzw. Deutung nachvoll­ ziehbar, da dieses Gebiet in normannischer Zeit von markanten Bauten, nämlich den Türmen des königlichen Palastes, gekennzeichnet war. Es wird sogar vermutet, dass die porta aedificorum als ein Zugangstor zum Palastdistrikt fungierte. Verortet wird es an den heutigen Mauern zu Fuße des südlichsten Palastteils, etwa auf der Höhe der kleinen Kirche S. Maria dell’Itria (genannt La Pinta), die in ihrer jetzigen Form aus dem 17. Jahrhundert stammt. An dieser Stelle ersetzt sie die unter normannisch­königlicher Herrschaft bedeutende Kirche S. Andrea in Kemonia sowie eine Vorgängerversion der La Pinta, die der Tradition nach von Belisarios gegründet worden sein soll.⁷⁴ Ob das „Tor der Gebäude“ wirklich den dialektalen Sprachgebrauch der islami­ schen Herrschaftszeit dokumentiert oder nicht eine durch Wahrnehmung überformte Fehlübersetzung bzw. Interpretation der normannischen Zeit darstellt, bleibt zu hinter­ fragen, wenn man bedenkt, dass al-abnāʾ auch der regulären arabischen Pluralbildung von ibn (Sohn) entspricht. Der Terminus al-abnāʾ ist in arabisch­islamischen Quellen gut belegt und taucht häufig im Kontext militärischer Clanstrukturen auf. Dabei sind „die Söhne“ nicht zwingend durch Verwandtschaft verbunden, sondern sie können auch andere Formen eines Zusammenschlusses bezeichnen.⁷⁵ Bāb al-abnāʾ könnte damit als

71 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. 72 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 84 mit Anm. 24 und 92; außerdem M o r s o, Descrizione, S. 359. 73 Diplomi, hg. von C u s a, S. 62, 84, 500. 74 G a s p a r e, Palermo, Bd. 3, S. 64; L o n g o, Sant’Andrea, mit Abb. auf S. 93. 75 C r o n e, Abbasid abnāʾ; T u r n e r, Abnāʾ al-dawla.

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„Tor der Clans“ oder „Tor des Verbundes“ übersetzt werden,⁷⁶ was ein weiteres Indiz für das Vorhandensein und die Bedeutung des muslimischen Militärs in diesem Bereich darstellen würde. Dies läuft aber der Deutung De Simones, dass sich hier vielleicht die Residenz des wālī befunden haben könnte, keineswegs zuwider. Vielmehr könnte sich hinter diesem Verbund beispielsweise derjenige Teil der Truppen verbergen, der als Leibgarde, Elitetruppe oder Patrouille fungierte und in der physischen Nähe zum wālī angesiedelt wurde, um diesen zu stützen.⁷⁷ Weiter liest man in Ibn Ḥawqals Darstellung der Paleopolis, dass sich unmittel­ bar neben bāb al-abnāʾ das schon erwähnte bāb Ibn Qurhub befand, dessen Position vermutlich weiter nördlich lag. Hier wurden 1984 und 1986 Grabungen im heutigen Palazzo dei Normanni, genauer gesagt unterhalb der zentral gelegenen Sala Duca di Montalto, durchgeführt. Sie zeigten zum einen, dass die dortige Stratifikation punische (5. Jahrhundert v. Chr.) und römisch­hellenistische (3. Jahrhundert) sowie mehrere wei­ tere Bauphasen aufweist (siehe dazu auch unten Abb. 15 in Kap. II.3.2.1). Außerdem ist dort ein kleines Tor erkennbar, das gleich mehrfach überbaut wurde.⁷⁸ Ob es sich dabei um bāb Ibn Qurhub handelt, lässt sich nicht sagen. Erwähnenswert ist aber, dass bāb Ibn Qurhub Ibn Ḥawqal zufolge schlecht befestigt war oder an einem schlecht zu ver­ teidigenden Platz stand. In einer Zeit, in der die Stadt mehrfach angegriffen wurde, so Ibn Ḥawqal, hätten Feinde daher durch dieses Tor eindringen und den Bewohnern Pa­ lermos Leid zufügen können, weshalb es vom kalbidischen wālī Abū l-Ḥusayn Aḥmad b. al-Ḥasan geschlossen worden sei.⁷⁹ Unmittelbar in der Nähe des geschlossenen Tores habe derselbe Abū l-Ḥusayn Aḥmad ein neues Tor mit dem Namen bāb al-riyāḏ (wörtl. Tor der Gärten) errichtet,⁸⁰ was möglicherweise auf eine repräsentative Ausgestaltung durch Gärten (arab. riyāḏ) hindeutet, die aufgrund der bereits erwähnten Fruchtbar­ keit und reichen Wasserversorgung des Gebiets aber auch der Versorgung und dem Profit gedient haben könnten.⁸¹ Zu bemerken ist hier auch, dass bāb Ibn Qurhub geschlossen wurde, nicht lange bevor Ibn Ḥawqal die Stadt besuchte. Abū l-Ḥusayn Aḥmad war zwischen 343/954 und 358/969 nämlich der zweite Vertreter der Kalbiden in Palermo und stand damit stell­ vertretend für die noch junge Phase einer neuen Herrschaftselite über Sizilien (siehe

76 In ähnlicher Weise scheint Michele Amari den Begriff verstanden zu haben, indem er bāb al-abnāʾ als „porta de’ giovanotti“ übersetzte; vgl. A m a r i, BAS² (ital.), Bd. 1, S. 20; ebenso J o h n s, Nuova fonte, S. 420 f. 77 Zu einer solchen šurṭa im Militärlager von Fustāt vgl. F u ’a d S ay y i d, Capitale, S. 30 f.; S t e r n, Cairo, S. 91‒94. Einen Hinweis auf eine šurṭa in Palermo findet sich in dem griechisch­normannischen Toponym: „εἰς τὴν σουρτίεν“; vgl. Diplomi, hg. von C u s a, S. 663, und M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 186 f. 78 Vgl. dazu unlängst L o n g o, „In loco“, S. 228. 79 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 120. 80 Ebd., S. 121 f. 81 Bekannt ist der Gebrauch von riyāḏ vor allem in der Architektur Marokkos und in al-Andalus; vgl. C r e s t i, Agdal.

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dazu unten Kap. I.2.3.2). Vor diesem Hintergrund hätte das Schließen und Abbauen von bāb Ibn Qurhub auch eine mit der alten, aghlabidischen Vorherrschaft verbun­ dene Landmarke aus dem Raum entfernt. Gleichzeitig könnten mit den kalbidischen Neuankömmlingen, die sich an ihren fatimidischen Herren orientierten, dort neue Bau­ stile und -praktiken etabliert worden sein, die vielleicht auch auf räumlich­funktionale Verschiebungen und Umgestaltungen in diesem Gebiet zielten. Auch hierfür wäre die gerade angedeutete Garten- bzw. riyāḏ-Architektur ein Zeichen. Ibn Ḥawqals Hinweis, dass sich bāb Ibn Qurhub in der Tat an einem empfind­ lichen Punkt befand, könnte eben darin begründet gewesen sein, dass das Tor eine Verbindung zu al-Muʿskar bzw. der Unterkunft militärischer Gruppen herstellte. Denn mit der Gefährdung durch Feinde und Konflikte, auf die der Reisende hier referiert, könnte er als Sympathisant der Fatimiden (und damit ihrer kalbidischen Vertreter) auf deren schwierige Machtergreifung in Palermo (ab 297/910) anspielen. Von den bereits ansässigen Gruppen ging dabei nämlich erheblicher Widerstand aus, weil der lokale ǧund traditionell den wālī gestützt bzw. sogar ausgerufen hatte und sich durch die neue Herrscherelite (die noch dazu schiitisch­ismailitisch war) entsprechend bedroht, fremdbeherrscht und letztlich auch entmachtet sah. Heftige Auseinandersetzungen waren für Palermo schon im 9. Jahrhundert und damit bald nach der Einnahme der Stadt durch die Muslime prägend. Mehrfach sind innerstädtische Revolten belegt, an denen verschiedene Gruppen des Militärs beteiligt oder sogar für diese verantwortlich waren. In den ersten Jahren nach der Einnahme Palermos stockte die muslimische Eroberung zunächst, wurde in den nächsten Jahr­ zehnten im westlichen Teil der Insel jedoch recht erfolgreich vorangetrieben, bevor sie wieder stagnierte. Ein effektiv geführtes, gemeinschaftliches Eroberungsunternehmen ist dann kaum mehr auszumachen. Vielmehr umfasste die militärische Aktivität nun vor allem Überfälle und Scharmützel, die sich auf einige Monate im Jahr beschränk­ ten.⁸² Für Palermo und die dort ansässigen militärischen Gruppen bedeutete dies, dass weniger Beute in ihre Taschen floss oder wenig neuer Besitz vergeben werden konnte, und es bedeutete auch, dass die stark militarisierten Gruppen über längere Zeiträume hinweg unbeschäftigt waren. Der ǧund konnte dann unbeschäftigt und dadurch gefähr­ lich werden, wie der Geograph al-Iṣṭaḫrī (gest. 346/957) beschreibt.⁸³ Unzufriedenheit führte in einer solchen Eroberungs- und Beutegesellschaft zu Dynamiken, die in Pa­ lermo einerseits in politischer Instabilität resultierten und wiederholt die Vertreibung oder Ermordung des wālī zur Folge hatten. Gleichzeitig kam es zu Spannungen zwi­ schen den Gruppen, die bereits fest angesiedelt waren, und jenen, die weiter Druck auf Eroberungen machten.

82 B r e t t, Rise, S. 237. 83 Vgl. seine Aussage, die Muslime in Sizilien seien „ahl ġazw“ (wörtl. Leute des Raubzugs), wie auch die Muslime auf Kreta: a l - I ṣ ṭ a ḫ r ī, Al-aqālim, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 10; BAS 2 (ital.), Bd. 1, S. 6 f.

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Weiteres Konfliktpotenzial in Palermo bot die Zusammensetzung der Bevölkerung mit ihren verschiedenen Hintergründen und Interessen. Die Teile des Militärs, die zu­ nächst über den aghlabidisch geführten ǧund nach Sizilien gelangten, waren arabische Menschen aus Ifrīqiya. Das Militär verfügte außerdem über Kontingente aus Regionen der südlichen Sahara sowie über von Amazigh geführte Truppen aus al-Andalus. Des Weiteren kamen spätestens seit der Mitte des 9. Jahrhunderts einige umayyadische Exi­ lanten hinzu, die auch als Muslime aus Kreta bekannt sind, und nicht zuletzt gab es eine beachtliche Zahl an Militärsklaven zentraleuropäischer oder balkanischer Herkunft.⁸⁴ In das Heer traten über die Zeit hinweg außerdem lokale, sizilische Kämpfer ein. Zu­ dem kam mit den aus Ifrīqiya entsandten Herrschern auch regelmäßig ein Nachschub von Privatgarden, die den wālī stützen sollten und einen Teil der Beute sowie Einfluss für sich forderten. Zwischen diesen Gruppen herrschte erheblicher Konkurrenzdruck, wobei in den Quellen Gruppenkonflikte in Gegensatzpaaren wie arabische und nicht­ arabische, muslimische und nicht­muslimische, sizilische und afrikanische (d. h. aus Ifrīqiya kommende) Fraktionen dokumentiert sind. Die innere Organisation der Stadtgemeinschaft und die der militärischen Kontin­ gente auf der Basis von Clans oder anderen Formen des Zusammenschlusses drückte sich in der urbanen Topographie oft durch räumliche und soziale Segregation bzw. Clus­ terbildung entlang ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten aus.⁸⁵ In Palermo gibt es nahe dem Tor namens bāb Rūṭa, das die nördliche Mauerwand der Neapolis unweit der Stelle durchbrach, wo diese an die Paleopolis grenzte, einen konkreten Hinweis auf diese Entwicklung. Rūṭa wurde als Bezeichnung für den Papireto gedeutet, an dessen Ufern zur Zeit Ibn Ḥawqals mehrere Mühlen standen.⁸⁶ Im Viertel hinter diesem Tor lebten offenbar die Ṣaqāliba, das heißt Kontingente weißer Militärsklaven. Das nach dieser Gruppe benannte Viertel galt Ibn Ḥawqal sogar als das größte bzw. bevölke­ rungsreichste Palermos, was dem Umstand geschuldet sein könnte, dass im Nachgang der fatimidischen Herrschaftsübernahme vermehrt Ṣaqāliba-Truppen nach Sizilien ka­ men. Es ist jedoch nicht abwegig anzunehmen, dass Ṣaqāliba schon vorher in Palermo ansässig waren. Der Papireto grenzte ihre Siedlung bzw. ihr Lager von der eigentlichen Stadt ab. Dieses Viertel hatte zunächst kein Tor besessen, das Zugang zur Stadt oder zum Hafen­ bereich gewährt hätte. Ibn Ḥawqal erklärt, dass sich die Bevölkerung darüber beklagt habe und dass daher dort ein Tor von Abū l-Ḥusayn Aḥmad b. al-Haṣan b. Abī l-Ḥusayn errichtet worden sei. Dieses wurde auch unter dem Namen bāb ʿayn šifāʾ bekannt, da

84 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 12. 85 A b u ­ L u g h o d, Cairo, S. 24. 86 Zuletzt P e z z i n i, Palermo, S. 196. Es ruft aber auch den berühmten Brunnen Biʾr Rūṭa (Bir Barrouta) in Erinnerung, der im Zentrum von Kairouan mit einem Wasserrad betrieben wird. Die Anlage in ih­ rer heutigen Erscheinung stammt aus dem 17. Jahrhundert, soll jedoch auf eine Gründung von 180/796 zurückgehen; vgl. R a m m a h, Bir Barrouta, S. 156 f.

Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Anwesenheit



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es an der gleichnamigen Quelle ʿayn šifāʾ (wörtl. Quelle der Heilung) lag.⁸⁷ Während das Lager bzw. Quartier der Ṣaqāliba im späteren 10. Jahrhundert noch nicht mit einer eigenen Mauer umschlossen war, erscheint es im „Kitāb al-ġarāʾib“ mit der Beischrift „mit Mauer“ (arab. mʿa sūr).⁸⁸ Dieser Hinweis könnte einerseits einen Prozess der Ur­ banisierung andeuten, bei dem jene Gebiete mitsamt den dort ansässigen Gruppen mit in die Stadt eingebunden wurden. Andererseits könnte die Ummauerung, die mit ei­ nem (verschließbaren) Tor versehen wurde, als eine Form der Kontrollausübung über das Viertel und die sich darin befindliche Gruppe gedeutet werden. Ähnliches wäre für den Bereich südöstlich der Paleopolis anzunehmen, zu dem das Tor bāb al-Sūdān Zugang gewährte. Mit der Bezeichnung Sūdān sind dabei wahrscheinlich schwarze (Mi­ litär-)Sklaven gemeint, die aus der Region der südlichen Sahara (arab. bilād al-Sūdān) erworben und anschließend in das Militär eingegliedert worden waren. Faszinierend zu beobachten ist, wie sich trotz solcher Separationen auch ein Ver­ ständnis davon formen konnte, wer als sizilisch galt oder als fremd, und wie sich dies über die Zeit hinweg wandelte. Die sogenannte „Cambridge Chronicle“ belegt, dass diese Selbst- und Fremdidentifikation schon seit den späten 880ern in heftigen Auseinander­ setzungen resultierte, bei denen „Leute aus Sizilien“ gegen „Leute aus Ifrīqiya“ kämpf­ ten.⁸⁹ Hinter diesen Gruppenzuschreibungen verbergen sich wahrscheinlich Zwistig­ keiten zwischen den einheimischen Siziliern, wozu wohl seit längerer Zeit ansässige Muslime verschiedener ethnischer Herkunft sowie Christen und Juden gehörten, und den immer wieder eintreffenden Neuankömmlingen aus Ifrīqiya, die oftmals als Abge­ sandte der dortigen Herrscher und entsprechend mit Willen zur Machtausübung nach Sizilien kamen. Der anonyme Autor der „Cambridge Chronicle“, der womöglich selbst ein Christ aus Palermo war, weist dabei nicht nur auf eine lokale Entwicklung innerhalb Palermos hin, sondern referiert gleichzeitig auf überregionaler Ebene auch auf die beginnende Abspaltung Siziliens vom aghlabidischen Machtzentrum in Ifrīqiya. Das gemeinsame Agieren der Sizilier und die Herausbildung einer kollektiven, sizilischen Identität wur­ den durch eine Abgrenzung nach außen wirksam. Solche Unabhängigkeitsbestrebun­ gen resultierten u. a. darin, dass der ǧund damit begann, selbst einen wālī zu wählen und auszurufen, während man gegen nach Sizilien entsandte Gouverneure gegebenen­

87 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 120 f. Eine genealogische Übersicht zur Familie der Kalbiden findet sich bei M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. XV. 88 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, fol. 32B–33A, S. 138 (Karte A); Nr. 121, S. 136 (arab.), 464 (engl.). Zu bedenken ist bei dieser Abbildung, dass die Position des bāb Ibn Qurhub im „Book of Curiosities“ mit dem bāb Rūṭa vertauscht ist. 89 Vgl. Cambridge Chronicle, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 193; BAS 2 (ital.), Bd. 1, S. 280; M e t c a l f e, Before the Normans, S. 106 f.

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Eroberung und Transformation

falls durch Kampf und Revolte vorging.⁹⁰ Der Name der bereits erwähnten Quelle ʿayn Abī ʿAlī, der offenbar auf einen Revolutionsführer in Palermo zurückgeht, könnte ein Beleg dafür sein, dass sich solche Bestrebungen auch im urbanen Raum widerspie­ gelten. Durch diese Referenz im Gebiet von al-Muʿaskar wären solche Auseinanderset­ zungen im Gedächtnis der städtischen, genauer gesagt, der militärischen Gemeinschaft Palermos verankert und erinnert worden. Insgesamt vermitteln diese für das frühislamische Palermo aus der Perspektive späterer Quellen zusammengetragenen Rauminformationen das Bild einer gespal­ tenen Stadtgesellschaft, einer militärischen, die Geschicke Palermos bestimmenden Elite und einiger ihrer Subgruppierungen. Deutlich zeigt sich, dass politische Ereig­ nisse und Parteikämpfe ebenso wie ethnische Gruppierungen und vor allem das Ringen um Macht und Einfluss in einem neu entstehenden Provinzzentrum in der städtischen Topographie und Toponymie fassbar werden. Ihre Analyse erlaubt dabei, die ersten Impulse des Wandels zu skizzieren, die Palermo unter der neuen muslimi­ schen Vorherrschaft im 9. Jahrhundert prägten. Obwohl konkrete Orte und genaue Chronologien dabei teilweise weiterhin nur umrissen werden können, lassen sich nun aber räumliche Schwerpunkte der Stadtentwicklung wahrscheinlich ausmachen und unmittelbar mit bestimmten sozialen Gruppen in Verbindung bringen, die we­ sentlich Einfluss auf diese Prozesse nahmen und anderweitig in den Quellen kaum belegt sind oder gar nicht auftauchen.

90 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 29; zur allgemeinen Spaltung der sizilisch­islamischen Gesellschaft vgl. ebd., S. 36; N e f, Fitna sicilienne; M a n d a l à, Una nueva Fuente.

2 Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft 2.1 Zentralisierung: Palermos Vormachtstellung im aghlabidischen Sizilien 2.1.1 Grenzverschiebung: Der Fall von Syrakus Die Entscheidung, Palermo zum Hauptstützpunkt der Muslime Siziliens zu machen, er­ gab sich zunächst aus der Dynamik der langwierigen Eroberung der Stadt und der in diesem Zuge womöglich bereits erfolgten Ansiedlung der Truppen. Als Ausgangspunkt für ein weiteres Ausgreifen hatte der Standort dann gleich mehrere Vorteile: Die Lage der Stadt an einer Bucht der nordwestlichen Küste Siziliens ermöglichte eine schnelle und sichere Anbindung an das aghlabidische Kernland Ifrīqiya entlang der bereits von den Muslimen kontrollierten Häfen von Marsala und Mazara. Darüber hinaus ist die palermitanische Ebene mit ihren zahlreichen Wasserquellen und Flüssen fruchtbar und war für eine Besiedelung sowie die landwirtschaftliche Erschließung besonders geeignet. Gleichzeitig boten die hohen Berge im Hinterland Schutz vor Überfällen aus dem Inselinneren. Außerdem wies der gut bewehrte Stadtkern günstige Vorausset­ zungen für wirtschaftliche Aktivitäten sowie für eine Etablierung von Herrschaft auf. Somit bildete die Stadt sowohl im insularen Machtgefüge als auch hinsichtlich der sich von hier aus eröffnenden transmediterranen Verbindungen in muslimisch beherrschte Gebiete ein strategisch wertvolles Gegengewicht zu Syrakus im Osten der Insel. Nach der Einnahme Palermos konzentrierten sich die muslimischen Bestrebungen zunächst auf die Herausbildung eines dortigen Machtzentrums und die Konsolidierung ihrer Herrschaft in den bereits eingenommenen Bereichen. Weitere erfolgreiche Er­ oberungen begrenzten sich auf die westsizilische Val di Mazara, einige Angriffe galten den Gebieten in der südöstlichen Val di Noto. Als schwer zu erreichen zeigten sich die Städte in der östlichen Val Demone sowie die zentrale Festung von Enna. In archäolo­ gischen Studien wurde diskutiert, wie sich in dieser Phase ein Grenzgebiet formierte und wie sich das Leben innerhalb dieser Zone im Übergang von der oströmischen zur muslimischen Herrschaft veränderte.¹ Hervorzuheben ist zunächst, dass die offenen Dörfer und Siedlungen, in denen noch bis ins 7. Jahrhundert ein sehr lebendiges, in römisch­päpstliche sowie oströmi­ sche Netzwerke eingebundenes Wirtschaftsleben festzustellen war, nun zunächst teil­ weise niedergingen, teilweise aber auch befestigt und von den Muslimen übernommen

1 Vgl. dazu vor allem die umfangreichen Arbeiten von Alessandra Molinari; unter diesen beispielsweise M o l i n a r i, Popolamento rurale. Zu den Einflüssen auf die Bevölkerung vgl. B r e s c, Formazione; außer­ dem M o l i n a r i, Campagne siciliane, und d i e s., Paesaggi rurali. https://doi.org/10.1515/9783110773262-004

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

wurden.² In späterer Zeit, als die Eroberung der Muslime schon weit fortgeschritten oder sogar beendet war, entstanden hier im Landesinneren viele neue Gründungen, oder bereits bestehende Orte blühten wieder auf, wie Grabungsbefunde und topono­ mastische Indizien nahelegen. Sie lassen die Vereinnahmung und stückweise Trans­ formation des Territoriums zutage treten: Beispielsweise verweisen jene sizilianischen Ortsbezeichnungen, die mit Calat-, Calta-, Catal-, Cauta- oder Carta- beginnen, auf einen befestigten Charakter der übernommenen Dörfer oder Neugründungen, da sich ihre Präfixe vom Arabischen qaṣr (wörtl. Burg, viell. vom lat. castrum) oder qalʿa (wörtl. Festung) ableiten. Diese Präfixe verbinden sich häufig mit Landschaft beschreibenden, aus dem Lateinischen und Griechischen adaptierten oder auf Personen verweisenden Worten hin zu neuen arabischen Toponymen.³ Auch gibt es Ortsnamen bzw. Siedlungsformen, die sich mit manzīl oder raḥl zusam­ mensetzen, wobei diese Worte auf unbefestigte Siedlungen verweisen und sich meist mit Namen von Personen oder Stämmen verbinden.⁴ Dadurch lassen sich nicht nur Gruppen des Militärs und der militärischen Elite greifen, sondern es treten auch Prak­ tiken der Landvergabe und Machtsicherung der Eroberer schemenhaft zum Vorschein, die anderweitig kaum dokumentierte Einblicke in die Formation der islamischen Pro­ vinz Sizilien und der ethnischen, religiösen wie sozialen Zusammensetzung geben.⁵ Neben dem Binnenland wurden auch die Küstenregionen mit Wehrorten, sogenann­ ten rubuṭ (arab. Sing. ribāṭ), aufgerüstet.⁶ Als nomen actionis bezeichnet ribāṭ eine architektonische Struktur, die der Stationierung von „murābiṭ“ dient, welche gemäß des 80. Verses der Sure „al-Anʿām“ (wörtl. das Vieh) die Grenzen des dār al-Islām gegen die Ungläubigen des dār al-ḥarb sichern sollen (arab. ribāṭ al-ḫail).⁷ Ein wichtiger Wendepunkt für das Voranrücken der Grenze und die Vereinnah­ mung des neugewonnenen Gebiets durch die Muslime war der Fall von Enna, wo sich die oströmische Verteidigung bis in die späten 850er Jahre halten konnte. Mehrfach versuchten die Muslime, diese Festung im Zentrum Siziliens einzunehmen, weil sie eine Schlüsselfunktion für die Sicherung des griechischen Ostens und zumal der Hauptstadt

2 M o l i n a r i, Islamic Archaeology, S. 342; d i e s ., ‘Islamisation’; d i e s ., Fortified and Unfortified Settle­ ments. 3 Vgl. grundlegend C a ra c a u s i, Diziniario toponomastico; A b b a t e, Toponomastica. 4 M e t c a l f e, Muslims in Italy, S. 38–42; C h i a r e l l i, Ibādī Presence; außerdem M e t c a l f e, Arabic Speak­ ers, S. 60–67. 5 Wertvolle Daten zu diesen Aspekten gesellschaftlicher Neuformierung erhob das archäologisch ausge­ richtete ERC­Projekt „Sicily in Transition“, das unter Leitung von Martin Carver, University of York, und Alessandra Molinari, Università di Roma Tor Vergata, durchgeführt wurde; URL: https://www.york.ac.uk/ archaeology/research/current-projects/sicily-in-transition/#tab-2 (14. 8. 2023). 6 Zu den rubuṭ als architektonischer Ausdruck dieses Beziehungsgefüges vgl. H a l m, Nachrichten; N o t h, Ribāṭ. Zur engen Verbindung sizilisch­islamischer Architektur und den rubuṭ in Nordafrika vgl. H a d d a, Tunisia, darin besonders das Kap. „Architetture militare“, S. 88–96. 7 P a r e t (Hg.), Koran, S. 99.

Zentralisierung: Palermos Vormachtstellung im aghlabidischen Sizilien



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Syrakus dargestellt hatte. Als unter al-ʿAbbās b. al-Faḍl die Expansion der Muslime zwi­ schen 236/851 und 247/861 einmal wieder Aufwind gewann und gleich mehrere wich­ tige Siege errungen wurden, gelang 244/859 schließlich auch die Einnahme von Enna (folgend Castrogiovanni).⁸ Damit brach das Bollwerk in der Grenzzone zwischen mus­ limisch und oströmisch kontrolliertem Gebiet auf, und der Weg nach Syrakus wurde geebnet. In den Jahren 868, 869 und 873 drang das muslimische Heer bis zu den Mau­ ern der Hauptstadt vor.⁹ Die Ausdauer von Belagerern und Belagerten mag dabei auf die enorme Reichweite deuten, die der Ausgang für die jeweilige Seite haben sollte. Als Syrakus 878 erneut angegriffen wurde, war das Hinterland durch Plünderungen und die Besetzung von strategisch wichtigen Kastellen bereits geschwächt. Außerdem wurde die Belagerung zu Land durch eine Seeblockade verschärft, bei der die Syra­ kusaner dieses Mal vergeblich auf die Unterstützung durch eine Flotte warteten. Nach neun Monaten Belagerung fiel Syrakus im Mai 878.¹⁰ In der Madrider Skylitzes­Handschrift, die im 12. Jahrhundert wahrscheinlich in Messina entstand, sind dieser Episode allein drei Miniaturen gewidmet, von denen die erste die Einnahme von Syrakus illustriert. Die Szene verdeutlicht die Abwesen­ heit der oströmischen Verteidigung und das gewaltsame Vorgehen der Muslime gegen die Einwohner, die teils tot auf dem Boden liegend, teils aus der befestigten Stadt stürzend dargestellt sind (siehe Abb. 1). Die anderen beiden Miniaturen zeigen das Eintreffen der Botschaft von der Niederlage Syrakusʼ beim Flottenführer Adrianos, der im lakonischen Monemvasia auf günstige Winde gewartet und sich daher mit seinem Rettungsunternehmen verspätet hatte. Hier hätten dem Admiral zunächst Geisterwe­ sen bzw. Dämonen (griech. δαίμωνες / daimones) die Kunde übermittelt, die später von geflüchteten Syrakusanern bestätigt worden sei (siehe Abb. 2).¹¹

8 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 14 f. 9 Va s i l i e v, Byzance, Bd. 2,1, S. 70 f. 10 Vgl. I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 6, S. 356; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS (arab.), Bd. 1, S. 289; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS (ital.), Bd. 1, S. 396. Vgl. die Darstellung bei al-Ḥimyarī, dessen Bericht über die Stadt wohl auf al-Bakrī fußt; a l - B a k r ī, al-Masālik, hg. von Ṭ a l b a h, Bd. 2, S. 54; a l - Ḥ i my a r ī, Al-rawḍ, hg. von ʿ A b b ā s, S. 317 f.; a l - Ḥ i my a r ī , Al-rawḍ, hg. und übers. von D e S i m o n e, S. 96 f. (ital.); PmbZ Online, Art. Ǧaʿfar b. Muḥammad, #22050; Art. Abū Isḥāq, #20067. Theodosios spricht von einer zehnmonatigen Belagerung, wobei er wohl den Monat miteinbezieht, den die Muslime plündernd in Sy­ rakus verbrachten. Dazu auch L a v a g n i n i, Siracusa, hier S. 278. 11 I o a n n i s S k y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, cap. 37, S. 158–160; J o h n S k y l i t z e s, Syn­ opsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, S. 152 f.; Madrid, Biblioteca Nacional de España, Codex Graecus Vitr. 26–2, fol. 100v und 101r. Zu den Miniaturen der Handschrift und der Geschichte des Codex maßgeblich T s a m a kd a, Illustrated Chronicle.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

Abb. 1: Darstellung der Belagerung von Syrakus durch die Muslime (877/878) im sogenannten Skylitzes Matritensis.

Abb. 2: Darstellung der Überlebenden und Geflüchteten aus Syrakus im sogenannten Skylitzes Matritensis.

Zentralisierung: Palermos Vormachtstellung im aghlabidischen Sizilien



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Über die verheerenden Ereignisse in der Stadt berichtet auch ein Brief, den ein Mönch und γραμματικός namens Theodosios an einen nicht genauer zu identifizierenden Ar­ chidiakon Leon richtete.¹² Theodosios zufolge kämpfte Syrakus lange und vergeblich un­ ter Befehl eines namenlosen πατρίκιος / patrikios gegen die muslimischen Eindringlinge. Während die Hoffnung auf Unterstützung aus dem oströmischen Zentrum schwand, gelang es den Muslimen zunächst, die Hafenbefestigungen und anschließend das See­ kastell zu zerstören, bevor sie die Mauer durchbrechen und dadurch ungehindert in die Stadt eindringen konnten.¹³ Der patrikios hielt nur mehr einen Turm mit 70 Männern und konnte die Stadt nicht länger vor den Eroberern schützen.¹⁴ Der Mönch erinnert sich, dass viele Menschen schutzsuchend in die Salvatorkirche geflohen, dort aber von den Muslimen niedergemetzelt worden seien. Insgesamt seien so mehr als 4 000 Nota­ beln getötet worden. Der patrikios wurde einige Tage nach der Einnahme exekutiert. Theodosios selbst habe mit dem Bischof und zwei Klerikern am Altar der Kathedrale Zuflucht gefunden, als einige der Eroberer in das Gotteshaus eindrangen und den Bi­ schof zwangen, sie in die Sakristei mit den kostbaren Gegenständen zu führen.¹⁵ Anhand der topographischen Hinweise des Theodosios lässt sich folgern, dass die Muslime von der Festlandzunge kommend bis zur Halbinsel Ortygia vorgerückt waren und zunächst die Salvatorkirche eingenommen hatten, die der Lage nach den antiken Apollon­Tempel ersetzte. Die Kathedrale der Stadt hingegen war aus dem Tempel der Athene hervorgegangen und liegt rund 500 Meter weiter auf der Halbinsel im Zentrum der Stadt. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Opfern wurden der Mönch Theo­ dosios, der Bischof und die beiden Kleriker nicht getötet, sondern ‒ offenbar nachdem oder weil sie den Weg zum Kirchenschatz gezeigt hatten ‒ gefangen genommen und vor den Anführer der Muslime geführt, der hier als ἀμηρᾶ / amera bezeichnet wird.¹⁶ Dieser scheint die Salvatorkirche oder den Platz davor genutzt zu haben, um die kon­ fiszierte Beute inklusive die als Gefangene Überlebenden (oder Kooperierenden?) zu begutachten. Das von Theodosios verwendete Wort ἀμηρᾶ leitet sich vom Arabischen amīr ab, was hier mit Befehlshaber übersetzt werden kann. In einigen Fällen kann der Begriff aber auch auf den offiziellen Titel eines Herrschers verweisen, der über ein Emirat verfügt. Aufgrund der arabischen Quellen ist bekannt, dass zunächst der sizilische

12 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 272–277; Te o d o s i o, Espugnazione di Sira­ cusa, hg. von Z u r e t t i, S. 165–173. 13 Va s i l i e v, Byzance, S. 74 f. 14 M a u r i c i, Castelli, S. 26, vermutet aufgrund der topographischen Verortung „an der rechten Ecke der Mauer“, dass der Turm mit dem späteren castello Marchetto übereinstimmen könnte. Zur Eroberung von Syrakus vgl. auch Ta l b i, Émirat, S. 487 f. 15 Die Frage, um welchen Geistlichen es sich dabei gehandelt habe, ist umstritten. Die Zuschreibung Gaetanis, der Bischof sei ein gewisser Sophronios gewesen, wurde von Lavagnini als fiktiv eingestuft; vgl. L a v a g n i n i, Siracusa, S. 275 f. 16 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 276, Sp. 1 f.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

wālī Ǧaʿfar b. Muḥammad als Führer des Unternehmens von Syrakus fungiert, sich aber wegen der Dauer der Belagerung nach Palermo zurückgezogen hatte. An seiner Stelle übernahm dann offenbar ein gewisser Abū Isḥaq das Unternehmen, der im griechischen Theodosios­Manuskript als „Βυσὰχ ὁ τοῦ ἀμηρᾶ χαγὲβ“ bezeichnet wird, also als Busach (d. h. Abū Isḥaq), der χαγὲβ / chageb (von arab. ḥāǧib) des Emirs.¹⁷ Der ḥāǧib stellt einen offiziellen Titel im höfischen Leben muslimischer Herrschaft dar und bezeichnet im wörtlichen Sinne die Person, die den Zutritt zum Herrscher oder seinen Gemächern kontrolliert.¹⁸ Theodosios wurde noch in Syrakus mit anderen seiner „Brüder“ eingesperrt und nach etwa 30 Tagen in Ketten nach Palermo geführt.¹⁹ Zu diesem Zeitpunkt sei Syrakus von den Eroberern völlig geplündert und in weiten Teilen zerstört worden und die Stadt menschenleer gewesen.²⁰ Obgleich die Schilderungen des gefangenen Mönches zweifelsohne stilisiert sind, eine starke parteiische Färbung haben und gerade bezüg­ lich der Zahlen keine hohe Verlässlichkeit aufweisen mögen, so findet die beschriebene Härte, mit der die Muslime gegen die oströmische Hauptstadt Siziliens und ihre Ein­ wohner vorgingen, auch in späteren griechischen sowie arabischsprachigen Quellen ihren Widerhall. Obwohl beispielsweise auch die Bevölkerung von Castrogiovanni bei der Einnahme getötet oder in die Sklaverei geführt worden war und die Festungen von Orten wie Cefalù, Rometta und Aci Castello geschliffen wurden, ist eine derart tiefgreifende Zerstörung wie die von Syrakus einmalig für die gesamten muslimischen Eroberungen Siziliens geblieben.²¹ Ohnegleichen sei auch, wie das geographische Nach­ schlagewerk des al-Ḥimyarī im 15. Jahrhundert verzeichnet, die schiere Masse an er­ beuteten Schätzen gewesen, die von ihrem Umfang und ihrem Wert mit der Eroberung keiner anderen christlichen Stadt zu vergleichen seien.²² Die betonte Ungezügeltheit der Eroberer dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass die Stadt mit Gewalt, d. h. ohne eine herbeigeführte Übergabe genommen wurde (arab. ʿanwatan), was im islamischen Recht eine Vergeltung rechtfertigt und sich unterscheidet von der Übernahme einer Stadt durch Einigung (arab. ṣulḥan oder ʿahd).

17 R o g n o n i, Lettre, S. 218. 18 Vgl. ebd. mit dem Vorschlag, dies als „Abū Isḥaq fils de l’amīr ḥājib“ zu übersetzen. 19 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 275, Sp. 1 f. 20 Va s i l i e v, Byzance, S. 77 f. Ibn al-Aṯīr schreibt, die Eroberer blieben zwei Monate, zerstörten die Stadt und zogen dann weiter; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 6, S. 356; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 285; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (ital.), Bd. 1, S. 389. T h e o p h a n e s C o n t i n u a t u s, Chronographiae, hg. von Fe a t h e r s t o n e / S i g n e s C o n d o ñ e r / d e B o o r, Vita Basilii II, cap. 69, S. 237– 241, hier S. 238, 240, und cap. 70, S. 241 f. 21 I o a n n i s S k y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, cap. 37, S. 158–160, hier S. 160; cap. 4, S. 262 f.; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, S. 152 f., 252; A m a r i, Storia, Bd. 1, S. 468; M a u r i c i, Castelli, S. 50. 22 A l - Ḥ i my a r ī, Kitāb al-rawḍ, hg. von ʿ A b b ā s, S. 317 f.; a l - Ḥ i my a r ī, Kitāb ar-rawḍ, hg. und übers. von D e S i m o n e, S. 96 f.

Zentralisierung: Palermos Vormachtstellung im aghlabidischen Sizilien



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Eine solche Differenzierung findet schon in der griechisch­römischen Rechtstradition statt, die Eroberung durch Gewalt (griech. κατά κράτος / kata kratos, lat. vis) und Eroberung durch Aufgabe (griech. ὁμολογία / homologia, lat. deditio) kennt. Erstere konnte in Versklavung und Zerstörung, zweitere in Verhandlung resultieren, wobei die Sieger der Bevölkerung dann Schutz (griech. πίστις / pistis, lat. fides) garantieren konnten.²³ Das arabisch­islamische Äquivalent dazu ist amān, was nicht nur Schutz und Annahme bedeutet, sondern auch die Niederlegung der verhandelten Bedingungen meinen kann. Klassischerweise schlossen diese amān-Verträge auch die Erstattung von Tribu­ ten und einer Steuer (arab. ǧizya) ein, die Anhänger monotheistischer Buchreligionen (arab. ahl al-kitāb) leisteten, um im Gegenzug den Schutz (arab. ḏimma) der islamischen Obrigkeit zu erhalten.²⁴ Dabei gab es aber nicht eine immer gleiche und jeweils zu über­ tragende Schablone von Konditionen, sondern einen gewissen Verhandlungsspielraum, was auch erklärt, weshalb die christliche Bevölkerung im aghlabidisch beherrschten Sizilien in unterschiedlichen Städten zu unterschiedlichen Rechtsbedingungen lebte.²⁵ In Syrakus scheint es nicht zu solchen Aushandlungen gekommen zu sein. Stattdessen spiegelt sich in der schweren Verwüstung die (rechtlich legitime) Vergeltung der Er­ oberer nach der mehrmals gescheiterten, über Monate zermürbenden und schließlich doch erfolgreichen Belagerung wider, was Alex Metcalfe als psychologischen Sieg be­ zeichnete.²⁶ Außerdem wurde die enorme materielle wie immaterielle Bedeutung der sizilischen Hauptstadt der Griechen und damit gewissermaßen symbolisch auch die oströmische Herrschaft ausgelöscht.

2.1.2 Frühe Urbanisierung Einige Wochen nach der Einnahme von Syrakus gelangte Theodosios mit einem Tross von Gefangenen nach Palermo und erreichte nach sechs Tagen Fußmarsch das Herr­ schaftszentrum des muslimischen Siziliens.²⁷ Die Überführung der Güter und Gefange­

23 Zur Rechtsgeschichte dieser Verträge und ihrer Aushandlungen vgl. v. a. L e v y ­ R u b i n, Non­Muslims, Kap. 1, S. 1‒57, hier bes. S. 24‒32. 24 Zur koranischen Rechtfertigung vgl. P a r e t (Hg.), Koran, Sure 9, 29, S. 134 f.; das Verständnis von alǧizyatu ʿan yadin wurde maßgeblich geprägt von B ra v m a n n, Ancient Arab Background, Teil 1; d e r s ., Ancient Arab Background, Teil 2; zu jüngeren Diskussionen über die Auslegung der Sure vgl. u. a. A b d e l ­ H a l e e m, Jizya Verse; die aktuelle, maßgebliche Studie zu den ḏimmī im frühen Islam stammt von L e v y ­ R u b i n, Non­Muslims. 25 Zu den verschiedenen Rechtskonditionen christlicher Gruppen oder Ortschaften vgl. M e t c a l f e, Mus­ lims of Italy, S. 32‒35. 26 Ebd., S. 27. Zur Bedeutung der Niederlage und deren Rezeption in der griechischen Geschichtsschrei­ bung vgl. v o n Fa l ke n h a u s e n, Conquista. 27 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 276, Sp. 1.

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nen von Syrakus nach Palermo gleicht in der Schilderung des Mönches einem symbo­ lischen Transfer von Herrschaft in die nun unumstrittene neue Hauptstadt Siziliens: Der Triumphzug brachte den lange ersehnten, hart erkämpften Sieg über Syrakus nach Palermo und beendete damit rituell und demonstrativ die Gleichzeitigkeit zweier kon­ kurrierender Hauptstädte zugunsten der Muslime in Palermo. Der Brief des Theodosios enthält im zweiten Teil, der seinen Aufenthalt in Pa­ lermo beschreibt und lediglich in einer lateinischen Übersetzung des griechischen Originals überlebt, wichtige Informationen über das noch junge Herrschaftszentrum der Muslime. Damit handelt es sich um das früheste erhaltene Quellenzeugnis über die Urbanisierung und Transformation der muslimisch beherrschten Stadt. Bei seiner Ankunft vor den Stadtmauern bemerkte Theodosios zunächst, welch enorme Ausdeh­ nung Palermo besaß. Er hielt fest, dass es sich um eine große und dicht bevölkerte Stadt handelte. In der Tat sei Palermo derart überbevölkert gewesen, dass zahlrei­ che Gebäude und Siedlungen das ganze Umland außerhalb der Stadt durchzogen.²⁸ Bei dieser Aussage ist zunächst Vorsicht geraten, um nicht westliche und meist von Orientalismus beeinflusste Vorstellungen der ‚chaotischen‘, ‚beengten‘, ‚verwirrenden‘ Anordnung islamischer Städte zu reproduzieren.²⁹ Vielmehr sollten diese Verweise gelesen werden als die Wahrnehmung eines traumatisierten Gefangenen, dessen Seh­ gewohnheiten in der urbanen Lebenswelt der räumlich durch die Halbinsel Ortygia gewissermaßen begrenzten Stadt Syrakus geprägt worden waren. In Palermo hingegen traf Theodosios auf eine Stadt, die gerade ein rapides Wachstum außerhalb ihres alten Kerns erlebte und deren unmittelbares Umland vor den Mauern durch verschiedene, gruppenspezifisch geprägte Formen von Niederlassungen bestimmt wurde. Die erwähnten Gebäude und Siedlungen vor den Mauern könnten nämlich auf die Niederlassungen jener Gruppen des Militärs referieren, die zunächst nicht urbanisiert waren und in ihrem Verbund auf Landstücken vor der Stadt ansässig wurden. Auch al-Muqaddasī berichtet über Palermo, dass außerhalb der Mauern zahlreiche Stände oder Hütten aus Palmgewächs (Rattan?) zu finden seien, welche die Gebiete nahe der Wasserquellen säumten.³⁰ Dies könnte, ähnlich wie bei Theodosios, ein Hinweis auf die unterschiedlichen vorstädtischen Siedlungen sein und auch die damit in Zusam­ menhang stehende Tierhaltung rund um Palermo andeuten. Aus der späteren Zeit muslimischer Herrschaft in Palermo ist bekannt, dass die Vieh- und Pferdehaltung in und um die Hauptstadt als Privileg der kalbidischen Gouverneure galt,³¹ was ihnen er­

28 Ebd. 29 Vgl. G r u n e b a u m, Structure; kritisch H o u ra n i / S t e r n, Islamic, S. 26‒31, 48 f. 30 Solche Hinweise finden sich auch später bei a l - M u q a d d a s ī, Aḥsan al-taqāsīm, hg. von D e G o e j e, S. 231; a l - M u q a d d a s ī, Best Divisions, übers. von C o l l i n s, S. 191. 31 A l - Ǧ a w ḏ a r ī, Sīrat, hg. und übers. von H a j i, hier Nr. 49, 52, 56, S. 126–127, 129 f., 132; für das Arabische vgl. ebd., S. 129 f., 134, 137. Zum kalbidischen Monopol der Vieh- und Pferdehaltung vgl. auch M a n d a l à, Martyrdom, S. 51–53 mit Anm.

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laubt hätte, das Terrain im Hinterland sowie die Mobilität der Armee zu kontrollieren. Hinsichtlich der extraurbanen Siedlungen weiß man im Hinblick auf al-Fusṭāṭ, dass einige Stämme sich zunächst vor dem Kern der Militärlager­Stadt niederließen und später teilweise städtisch ansiedelten, wobei sie auf andere Grundstücke umzogen und diese bebauten oder aber räumlich von der wachsenden Stadt ergriffen wurden.³² Indi­ viduen, die bereits vor der Niederlassung in al-Fusṭāṭ Stadtbewohner waren, siedelten sich zumeist unmittelbar wieder bzw. weiter städtisch an und waren in der Lage, den eingenommenen Raum an ihre Bedürfnisse anzupassen. In dieser Weise entwickel­ ten sich unterschiedliche urbanisierende Dynamiken, die von verschiedenen sozialen Gruppen und deren Traditionen getragen wurden.³³ Für Palermo legen toponomastische Indizien ähnliche Vorgänge nahe, wobei die zeitliche Dimension dieser Entwicklungen nicht zu klären ist. Vor den südöstlichen Teilen der Altstadt existierten mehrere Viertel, die auf die Gebäude und Quartiere von herausragenden, wenn auch nicht weiter belegbaren Individuen sowie urban lebenden Gruppen verweisen. Eins von diesen hieß masğid Ibn Siqlāb (wörtl. Moschee des Ibn Siqlāb / Ṣaqlāb); es lag südlich der alten Mauern und in weiterer Entfernung vom Fluss wādī ʿAbbās. Vermutet werden könnte hier, dass es sich bei dem Besitzer der Moschee um eine wohlhabende oder durch Grundstückvergabe bevorteilte Person handelte, die sich zunächst ein Heim mit Privatmoschee gebaut hatte, um die herum später – wann genau, ist unklar – ein eigenes Viertel entstand. Der Name könnte auf einen Hintergrund seiner eigenen Person oder seines Vorfahren als weißer Konvertit bzw. als weißer Militärsklave hinweisen (von arab. ṣaqlabī Slave oder slavisch), vielleicht aber auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder eine Herkunft angeben. Weil zwischen Sousse und Kairouan ein Ort namens manzil Siqlab lag, der im 9. Jahrhundert und im Kontext der Eroberung Siziliens nicht unbedeutend war,³⁴ könnte man auch darüber spekulieren, ob dieser Ibn Siqlab eine Verbindung zu Ifrīqiya aufwies. Ohne unmittelbare Abgrenzung folgte von diesem Viertel aus stadtauswärts die sogenannte ḥārat al-ǧadīda (wörtl. das neue Viertel), von dem aus man auch ins Viertel der Juden (arab. ḥārat al-Yahūd) gelangte sowie zu den Zonen einiger Berufsgruppen, auf welche an späterer Stelle einzugehen sein wird. Außerdem lag auf dieser Stadtseite das Viertel des Abī Ḥamīr / Ḥimyar oder Ǧamīm,³⁵ das ebenfalls auf ein exponiertes In­ dividuum zurückzuführen ist.³⁶ Die genannten Viertel waren zunächst nicht befestigt, wurden später aber zumindest teilweise mit einer Mauer umschlossen und mit Zu­

32 Ku b i a k, Al-Fustat, S. 176 mit Karte. 33 D e n o i x, Founded Cities, S. 125. 34 C h a p o u t o t ­ R e m a d i, Aghlabides, S. 66. 35 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. 36 In der Mitte des 12. Jahrhunderts existierte ein griechisches Hydronym, Οὐετελχεμρή, das als „Fluss des Ḥamīr“ oder „Fluss der Esel“ übersetzt werden kann; vgl. C a ra c a u s i, Arabismi, S. 206 f., Anm. 227.

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gangstoren versehen,³⁷ wobei der Mauerverlauf archäologisch nicht vollends geklärt werden kann.³⁸ Auch spätere Quellen vermerken die urbane Ausdehnung Palermos und die be­ achtliche Größe der Stadt. Diese raumexpandierende Entwicklung wird auch an der Bezeichnung des alten Stadtkerns deutlich: Die Paleopolis und Neapolis wurden im ara­ bischen Sprachgebrauch nun zu einer Raumeinheit zusammengefasst und gemeinsam als al-madīnat al-qadīma (wörtl. die alte Stadt) bekannt, was auf den Zuwachs neuer Siedlungsteile hindeutet, die um den alten Mauerring herum entstanden. Ibn Ḥawqal schreibt außerdem, dass Palermo sich immer weiter in die Breite ausgedehnt habe.³⁹ Der „Kitāb al-ġarāʾib“ hält fest, dass Palermo ursprünglich eine Längsform aufwies und dann kreisrund angewachsen sei. In dieser Form, als Kreis, ist der überdimensionale Nukleus der Stadt auch auf der beigegebenen Karte dargestellt.⁴⁰ Giuseppe Mandalà vermutet hinter dieser Aussage eine Anspielung auf die kreis­ runde Anlage der als ideal geltenden Stadtanlage von Bagdad,⁴¹ die offenbar auch Vorbild für die zweite kalifale Palaststadt der Fatimiden, al-Manṣūrīya, gewesen war.⁴² Vielleicht versteckt sich im 10. Jahrhundert dahinter außerdem der Versuch, Palermo deutlich in der Riege muslimischer Metropolen zu verorten. Palermo war laut al-Mu­ qaddasī zumindest hinsichtlich der Fläche größer als al-Fusṭāṭ, das zum Zeitpunkt seines Schreibens immerhin das wirtschaftliche Zentrum Ägyptens war.⁴³ Für die urbane Expansion Palermos spielte das städtische Hinterland zum einen für den Unterhalt der Metropole, zum anderen für die Machtsicherung ihrer herrschen­ den Elite eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Vor allem dem großen Fluss wādī ʿAbbās und den durch ihn fruchtbaren Ländereien kam hierbei eine zentrale Rolle zu. So fanden sich unter aghlabidischer Vorherrschaft an den Ufern des Flusses mehrere Mühlen sowie eine Eisenmine im herrscherlichen Besitz, und es wurde Papyrus für die Herstellung von Verwaltungsmaterial und den Schiffsbau angebaut.⁴⁴ Wie Wasser und

37 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119 f.; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118 f. 38 Archäologische Grabungen der letzten Jahre haben in diesen Gebieten Strukturen auftun können, die auf das 9. und 10. Jahrhundert weisen; vgl. B a g n e ra, Islamic Palermo, S. 67 f. für entsprechende Hinweise. 39 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. 40 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Karte A, fol. 32B–33A, sowie S. 138. 41 M a n d a l à, Martyrdom, hier S. 46. 42 Zur Anlage Bagdads vgl. vor allem L a s s n e r, Caliph’s Domain; zu al-Manṣūrīya vgl. C r e s s i e r / R a m ­ m a h, Sabra al-Mansuriya. 43 A l - M u q a d d a s ī, Aḥsan al-taqāsīm, hg. von D e G o e j e, S. 231; a l - M u q a d d a s ī, Best Divisions, übers. von C o l l i n s, S. 191. Al-Muqaddasī beschreibt Fustāt als eine Metropole, größer als Bagdad, weit ausgedehnt und mit einer hohen Bevölkerungsdichte; ebd., S. 197 f. (Edition), 166 (Übers.). 44 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119 f., 123; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118 f., 121 f.

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Land von Herrschern zu nutzen, wie die Versorgung von Städten zu gewährleisten sei, waren zentrale Fragen des islamischen Rechts, die entsprechend auch von der Histo­ riographie reflektiert wurden. Schon bei al-Balāḏurī findet sich die Vorstellung, dass eine funktionierende städtische Wasserversorgung für eine funktionierende Herrschaft steht.⁴⁵ Für die Bewohner Palermos bemerkt Ibn Ḥawqal aber, dass sie, obgleich der Fluss große Reichtümer barg, keine Möglichkeit gehabt hätten, an diesen teilzuhaben oder von ihnen zu profitieren. Diese Kritik an der Ressourcenvergabe ist Teil von Ibn Ḥaw­ qals harscher Verurteilung der sizilischen Herrscher – wohl zumal rückblickend der aghlabidischen Vormacht – sowie der Bevölkerung, die er für dumm und unfähig hielt. Er erwähnte aber nicht, dass die Annexion von Ländereien und die Vergabe derselben als qaṭāʾīʿ, d. h. als Ländereien für Begünstigte, eine Praxis war, die in Palermo auch unter kalbidischer Zeit belegt ist.⁴⁶ Ein Toponym immerhin verweist im palermitani­ schen Hinterland auf die gemeinschaftliche Nutzung von Wasser. Es handelt sich um einen Zugang zum Fluss, der womöglich der Bevölkerung Teilhabe an Wasser unabhän­ gig von individuellen oder gruppenbezogenen Besitzrechten gewährte: wādī al-ʿāmm (Fluss der allgemeinen Bevölkerung).⁴⁷ Die herrschende Elite und ihre militärische Macht über Palermo manifestierten sich wesentlich vor den Mauern der Stadt, auch wenn sich diese Logik dem nach Palermo geführten Theodosios nicht unmittelbar erschloss. In den Bereich innerhalb der Mauern tretend erkannte er hingegen die Räume und architektonischen Bezüge, in denen die muslimische Herrschaft ihre Macht öffentlich demonstrierte. Der syra­ kusanische Mönch beschrieb, wie er und seine Mitgefangenen vor den Herrscher Pa­ lermos gebracht wurden. Dazu seien sie entlang einer platea media geführt worden. Plateia kann sowohl einen Straßenzug ebenso wie einen Platz bezeichnen, meint in griechischen Städten häufig aber die nach dem sogenannten hippodamischen Schema angelegten, repräsentativ ausgebauten Hauptstraßen. Bei der genannten platea media könnte es sich um dieselbe, zentral gelegene, gerade Straße gehandelt haben, die von Ibn Ḥawqal als ṣimāt bezeichnet wird.⁴⁸ Diese durchzog die Stadt vom Tor des Meeres im Osten bis hin zur Paleopolis im Westen.

45 Dazu das Kapitel in Ly n c h, Arab Conquests. 46 So erhielt beispielsweise der Schreiber und Dichter Ibn al-Ṣabbāġ von den Kalbiden Gebiete für seine Nutzung, ebenso ein Eunuch namens Ǧawḏar; vgl. M e t c a l f e, Dynamic Landscapes, S. 98; ʿA b b ā s, Muʿǧam, S. 211–220; C a s s a r i n o, Arabic Epistolography. 47 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 122; D e S i m o n e, Palermo araba, bes. S. 99. 48 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. Scarlata vermutet, dass es sich bei dieser platea um einen Platz vor dem bāb al-baḥr handelte; vgl. S c a r l a t a, ΧΑΛΚΗ, S. 217–237 mit Karte auf S. 223. Unklar bleibt hier, wieso Theodosios dann den Zusatz „media“ verwendet, der nämlich nicht vermuten lässt, dass sich der Ort am untersten Ende der Stadt befunden hätte.

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Der Begriff simāṭ soll ursprünglich als Lehnwort vom lateinischen Substantiv semita (Weg) gebildet worden sein.⁴⁹ Diese findet sich auch in anderen arabisch­islamischen Städten, z. B. in Kairouan, wo die Hautstraße simāṭ al-ʿaẓima (die prächtige Straße) heißt und zwei Stadttore entlang der Großen Moschee sowie der Märkte miteinander verbindet.⁵⁰ Die Syrakusaner werden auf den Herrscher an einem Ort in der Stadt getroffen sein, der rituell und repräsentativ mit Autorität aufgeladen war. Dabei könnte es sich entweder um eine Moschee oder um die Gebäude des wālī gehandelt haben, der von Theodosios als „amiras maior (großer Emir)“ bezeichnet wird und beim Eintreffen der Gefangenen auf einem Thron gesessen habe.⁵¹ Um wen genau es sich bei diesem „Groß­ emir“ handelte, ist nicht eindeutig zu klären. Die arabische Überlieferung berichtet, dass der wālī Ǧaʿfar noch im Jahr der Einnahme von Syrakus von seinen eigenen Sklaven (arab. ġilmān) ermordet worden sei.⁵² Danach herrschte für mehrere Jahre Chaos in Palermo, wo sich zumindest in einigen nicht näher ausgewiesenen Teilen der Stadt für kurze Zeit ein Verwandter der Aghlabiden namens Ḫurǧ al-Ruʿūna gemeinsam mit den Sklaven des Ǧaʿfar halten konnte. Bald darauf wurden die Rebellen durch alḤusayn b. Rabāḥ vertrieben, der bis 267/881 an der Macht blieb.⁵³ Bei Theodosiosʼ Eintreffen war Ǧaʿfar aber womöglich noch am Leben. Mit der Hilfe eines Übersetzers habe der Herrscher jedenfalls mit den Gefange­ nen über religiöse Themen diskutieren wollen. Welchem Zweck diese Unterhaltung diente, ist nicht klar, aber Theodosios fühlte sich in seinem Brief bemüht zu erläu­ tern, wie er und der gefangen genommene Bischof die christlichen Lehren und ihre Propheten verteidigt hätten. Nach der Unterredung wurden die Syrakusaner wieder in Kerkerhaft geführt. Erwähnenswert ist noch, dass sich Theodosios zufolge Men­ schen ganz unterschiedlicher Herkunft oder Zugehörigkeit im städtischen Raum von Palermo tummelten. Beeindruckt schreibt er, dass unter den Gefangenen auch „Aethio­ pes, Tarsenses, Arabes, Hebraei, Longobardi, tum Christiani nostrates e[x] diversis locis“⁵⁴ gewesen seien. Diese Gruppeneinteilungen beruhen auf religiösen, geographi­

49 Vgl. C a ra c a u s i, Arabismi, S. 337 f. mit Belegen für die semita in arabischen, lateinischen und grie­ chischen (σεμᾶτον) Dokumenten der Normannenzeit. 50 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 101; G o o d s o n, Topographies. 51 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 276, Sp. 1 f. Das solarium repräsentiert als riwāq auch in der islamischen Architektur einen Übergangsraum zwischen innen und außen oder zwi­ schen verschiedenen Teilöffentlichkeiten. 52 Seine Ermordung beschreibt I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, hg. von C o l i n / P r o v e n ç a l , B d . 1 , S . 117, mitsamt der von nun an entstehenden Probleme in der sizilisch­muslimischen Führung; I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 414; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 16. 53 Ebd. Über die Konflikte zur damaligen Zeit, nicht aber über die Ermordung berichtet außerdem I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 6, S. XX; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS 2 (arab.), Bd. 1, S. 288; BAS 2 (ital.), Bd. 1, S. 396. 54 T h e o d o s i u s M o n a c h u s, Epistola, hg. von G a e t a n i, S. 276, Sp. 2.

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schen und sprachlichen Markern bzw. Zuschreibungen, wobei mit „unseren Christen“ die Griechen gemeint sein dürften. Diese Vielfalt unter den Gefangenen und der Hin­ weis, die griechischen Christen seien aus unterschiedlichsten Regionen verschleppt worden, dürfte außerdem darauf hinweisen, wie weit die muslimischen Überfälle und Netzwerke zu diesem Zeitpunkt bereits reichten. Im Gefängnis begegnete Theodosios außerdem auch dem Erzbischof von Malta, dessen Sitz bereits einige Jahre zuvor von den Muslimen zerschlagen worden war.⁵⁵ Der Brief des Theodosios endet wenig hoffnungsvoll. Der „Cambridge Chronicle“ ist zu entnehmen, dass Gefangene aus Syrakus sieben Jahre später durch einen Aus­ tausch gegen 300 Muslime freigelassen wurden.⁵⁶ Die Spur des Mönches taucht dabei aber nicht wieder auf. Gleichwohl hinterlassen die Schilderungen des Theodosios ein eindrucksvolles Zeugnis einer Verlustgeschichte infolge von Herrschaftswechsel. Sie be­ schreiben den Fall von Syrakus als das Ende der oströmischen Provinz Sizilien durch die muslimische Eroberung; die veränderte, marginalisierte Stellung der nun unter musli­ mischer Herrschaft lebenden Christen sowie das Ende jahrhundertealter, christlicher Institutionen im zentralen Mittelmeerraum werden repräsentiert durch die gemein­ sam im muslimischen Palermo eingesperrten Würdenträger. Für die neue Hauptstadt ist der Bericht des Mönches außerdem ein Dokument über die Entstehung neuer Sied­ lungsstrukturen sowie über die Nutzung bereits existierender urbaner Räume.

2.2 Islamisierung: Die zentrale Moschee in Palermo Nachdem die muslimischen Eroberer Palermos die Stadt gesichert und die Truppen dort angesiedelt hatten, nahmen auch jenseits der vor den Mauern gelegenen mi­ litärischen Quartiere und des Gebiets der Paleopolis Umgestaltungen innerhalb der Neapolis zu. Der durch die neue Vorherrschaft herbeigeführte Wandel resultierte dort u. a. in der Einrichtung religiöser Gebäude für die islamische Religionsausübung und Rechtsprechung. Wann genau dieses Ausgreifen in die Kernstadt al-madīnat al-qadīma stattfand und wie schnell dort Neues gebaut oder Altes transformiert wurde, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Für die folgenden Überlegungen musste daher nach Vergleichs- und Anhaltspunkten in der Entwicklung anderer eroberter Städte einerseits sowie in Rechtstexten islamischer Gelehrter andererseits gesucht werden. Es spricht zunächst einiges dafür anzunehmen, dass die islamische Pflichtpraxis des Gebets (arab. ṣalāh) in Palermo zunächst vor allem extra muros und vielleicht

55 Ebd.; vgl. auch L a v a g n i n i, Siracusa, S. 277. Malta war 870 geplündert, der Bischof gefangen genom­ men, die Befestigungen der Schlacht geschleift und der Gouverneur der Insel getötet worden. Al-Ḥimyarī schreibt, Malta habe nach diesem Übergriff keine eigene Bevölkerung mehr gehabt; vgl. a l - Ḥ i my a r ī, Kitāb al-rawḍ, hg. von ʿ A b b ā s, S. 560. 56 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 28 f.; A m a r i, Storia, Bd. 1, S. 409.

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auch im Bereich der Akropolis vollzogen wurde, jedenfalls dort, wo die Muslime sich niedergelassen hatten. Die Christen und Juden der Stadt hätten ihre loci sacri dann zunächst ungebrochen weiterverwenden können. Selbst für das im Islam wichtige ge­ meinschaftliche Freitagsgebet (arab. ṣalāt al-ǧumʿa, wörtl. das Gebet der Versammlung) kann nämlich schlicht ein freier Platz genutzt werden, der muṣallā genannt wird und sich architektonisch nicht unbedingt in einer Weise materialisierte, die Überreste hin­ terlassen würde. Schon islamische Rechtsgelehrte der frühen Zeit stellten jedoch einige Überlegungen zu idealen Städten an, d. h. sie trugen die Institutionen und Ausstattungen zusammen, die eine Stadt benötige, um ein ideales islamisches Leben bzw. ein Leben unter muslimischer Herrschaft zu ermöglichen. In diesen Modellbildungen wird die Moschee im Sinne eines zentralen Hauptversammlungsorts (arab. masǧid ǧāmiʿ, auf Deutsch Versammlungs- oder Freitagsmoschee genannt) als Kern eines islamischen, urbanen Zentrums angesehen.⁵⁷ Die Hauptmoschee diente nicht nur als Versamm­ lungsort für die religiöse Praxis, sondern auch für die Regelung von Angelegenheiten gemeinschaftlichen Interesses (eine islamische wie eine allgemein­städtische Öffent­ lichkeit betreffend). Überdies war der Moscheekomplex ein merkantiler Fokuspunkt, weil hier auch bestimmte Waren beschafft werden konnten. Im Brief des Theodosios bleibt es, wie erwähnt, ungeklärt, ob er den wālī in Palermo an seinem Herrschaftssitz oder etwa an einem zentralen, städtischen Ort religiöser und rechtlicher Praxis traf. Somit wird eine Hauptmoschee in Palermo erst in den schrift­ lichen Zeugnissen des 10. Jahrhunderts eindeutig identifizierbar. Von da an stimmen alle Textquellen darin überein, dass diese Hauptmoschee aus einer Kirche hervorge­ gangen war. Ibn Ḥawqal führt die Geschichte der Moschee am detailliertesten aus und berichtet: „[Palermo] hat eine große Hauptmoschee. Sie war vor der Eroberung eine Kirche, die den Römern [d. h. den Oströmern] gehörte. Darin ist ein großes Heiligtum, und ein gewisser Logiker sagt, dass der Weise der alten Griechen, nämlich Aristoteles, in einem hölzernen [Sarg] in diesem Heiligtum, das die Muslime in eine Moschee konvertiert haben, aufbewahrt wird. Die Christen haben diesem Grab große Bedeutung beigemessen und dort für Heilung gebetet, weil sie verstanden hatten, dass die alten Griechen ihn [d. h. Aristoteles] sehr geschätzt und verehrt haben. Sie bewahren ihn hängend zwischen Himmel und Erde auf, weil die Menschen an ihn Gebete richten für Regen, für Heilung von Krankheit und die schwerwiegenden Dinge, mit denen man sich Gott zuwendet in Zeiten der Schwere, der Sorge vor Tod und bei Unruhen. Ich selbst habe einen hölzernen [Sarg] gesehen, der wahrscheinlich dieses Grab darstellt.“⁵⁸

Bedeutend scheint in dieser Beschreibung zunächst, dass Ibn Ḥawqal der palermitani­ schen Hauptmoschee eine oströmische ebenso wie eine noch weiter zurückreichende

57 Solche Überlegungen lassen sich in allen Rechtsschulen belegen; vgl. K a h e ra, Reading, S. 2 f. Eine wegweisende Analyse auf der Grundlage hanafitischer Quellen lieferte J o h a n s e n, All­Embracing Town. 58 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 118 f.; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 117 f.

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Tradition aus der Antike zuschreibt, indem er festhält, dass die alten Griechen hier Aris­ toteles verehrt hätten. Von Ibn Ḥawqal abgesehen gibt es keine andere Überlieferung, die eine Verehrung des Aristoteles vor Ort oder eine besondere Verbindung zwischen der Stadt und dem Gelehrten nahelegt, zumal bekannt war, dass dieser keineswegs in Palermo bestattet war.⁵⁹ Gleichwohl ist Ibn Ḥawqals merkwürdig anmutende Anekdote zusammen mit der vorsichtigen Andeutung, er habe die Überreste des antiken Kultes in Form einer Holzbox mit eigenen Augen gesehen, was heißt, dass diese auch noch 150 Jahre nach der Eroberung durch Muslime vorzufinden gewesen wären, aussagekräftig. Sie gibt nämlich Einblick in den Prozess der Islamisierung im Sinne einer Aneignung des Stadtraums durch die Muslime. Erinnert bzw. stilisiert wird dabei die historische Vielschichtigkeit der Hauptmoschee, die lange Dauer von religiöser, spiritueller und kultischer Praxis an ein und demselben locus sacer, was letztlich das Überdauern bzw. eine Integration alter Strukturen und Traditionen suggeriert. Es wurde bereits hervorgehoben, dass aus Ibn Ḥawqals Erzählung eine Festigung islamischer Autorität in Sizilien deutlich wird.⁶⁰ Hinzuzufügen ist, dass ein solcher historischer Rückbezug hinsichtlich der zentralen Hauptmoschee auch in anderen Städten beobachtet werden kann, die von Muslimen nicht neu gegründet, sondern aus christlicher Hand übernommen wurden. Vor allem in Damaskus ist bis heute sichtbar, wie antik­pagane Symbole, Materialien und Baustile aufgegriffen wurden, um die Große Moschee zu gestalten. Nach der Eroberung der Stadt im Herbst 14/635 bzw. im Winter 15/636 entstand hier zunächst kein militärisches Hauptlager, vielmehr waren die Truppen des ǧund Dimašq vor allem im syrischen Hinterland angesiedelt. Zentraler, herrscherlicher Bezugspunkt wurde Damaskus erst, als der umayyadische Kalif Muʿāwiya seine Residenz hier errichtete.⁶¹ Das gemeinschaftliche Gebet wurde zunächst auf einer muṣallā, einem freiliegenden Gebetsplatz, verrichtet, während die christliche Gemeinde weiterhin die Kathedrale des heiligen Johannes für den Gottesdienst nutzte. Um 670 berichtet Arculf auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land, dass sowohl Christen als auch Muslime an diesem Ort beteten, allerdings in zwei getrennten Bereichen, was arabischsprachige Quellen der frühen Zeit hingegen nicht belegen.⁶² Die eigentliche Aneignung bzw. Übernahme des christlichen Heiligtums erfolgte, darin stimmt die Überlieferung überein, unter Kalif al-Walīd (86/705‒98/715). Weil der Gebetsplatz für die wachsende muslimische Gemeinde zu klein wurde und die Stadt

59 Das „Book of Curiosities“ beinhaltet diesen Zusatz nicht, sondern hält fest, dass es ein altes Heilig­ tum in Palermo gegeben hätte, genauer gesagt ein Stück Holz, das die Christen anbeteten; vgl. Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, die Karte der Stadt fol. 32a, S. 145 (arab.), 457 (engl.). 60 Va n o l i, Sicilia, S. 167–173. 61 Vgl. E l i s s é e f f, Dimashḳ. 62 Ad a m n a n, De locis sanctis, hg. von B i e l e r, lib. II, cap. 28, 1‒2, S. 220; a l - B a l ā ḏ u r ī, Futūḥ al-buldān, hg. von d e G o e j e, S. 125; a l - B a l ā ḏ u r i, Origins, übers. von K h ū r ī H i t t i, S. 191‒193.

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anderweitig zu dicht besiedelt war, ließ er ein neues, muslimisches Bethaus in ange­ messener Größe errichten. Nachdem den Christen zunächst der Verkauf der Basilika des heiligen Johannes nahegelegt worden war und sie als Ersatz die Mariamitische Kir­ che (arab. al-kanīsa al-Maryamiīya, d. h. eine Marienkirche) als Hauptversammlungs­ ort wählen sollten, wurde die Johanneskirche im Jahr 86/705 großteilig abgerissen und innerhalb weniger Jahre am selben Ort durch eine Moschee ersetzt.⁶³ Offenbar durften Fundamente und die Mauern des Vorgängerkomplexes bestehen bleiben, die vielleicht sogar noch dem antiken Tempelbezirk zuzurechnen sind, und auch das Grab des heiligen Johannes wurde integriert. Für den Neubau wurden alte Materialien ver­ wendet. Mit den deutlich antikisierenden bzw. oströmischen Elementen seiner Gestalt war der Bau ein administrativer, herrschaftlicher Akt, der eine symbolische Kontinui­ tät durch imitatio zur Schau stellte.⁶⁴ Zu jener Idee von Kontinuität gehört auch, dass über Jahrhunderte hinweg arabisch­islamische Anekdoten zur Geschichte des Gottes­ hauses niedergeschrieben wurden, welche die antiken Fundamente und die sich darin verbergenden Geheimnisse erinnerten.⁶⁵ Auch der Stadtgeschichtsforschung galt die Moschee lange als umgewandelte Kirche.⁶⁶ Der Damaszener Fall weist Ähnlichkeiten mit den Narrativen über die frühe Ge­ schichte der Großen Moschee im andalusischen Córdoba auf, was aufgrund der ge­ meinsamen umayyadischen Vergangenheit kein Zufall sein mag.⁶⁷ In Córdoba wurde bald nach der Eroberung 93/711 der Hauptsitz des andalusischen Statthalters al-Ḥurr b. ʿAbd al-Raḥmān al-Ṯaqafī etabliert, was zwischen 97/716 und 100/719 datiert wird. Dort wurden die alte, römische Brücke über den Guadalquivir sowie Mauern der Stadt restauriert und eine Unterkunft für den Verwalter, Gebetsplätze und Friedhöfe ein­ gerichtet. Unter Yūsuf b. ʿAbd al-Raḥman al-Fihrī (129/747‒138/756) nutzte man der Legende nach ebenfalls eine bestehende Basilika der Stadt, S. Vincente, als muslimi­ schen Versammlungsort, wobei die Christen ihre Liturgie dort weiterhin feierten. In dieser Periode der geteilten Raumnutzung sei während der letzten Lebensjahre des folgenden Herrschers, des Umayyaden ʿAbd al-Raḥmān (138/756‒172/788), der Abriss

63 Zu den Quellenstellen und der -diskussion vgl. P e d e r s e n, Masdjid I.; A b d e l l a t i f, Pouvoir politique. 64 „[T]he confiscation of the church was not an act of war, not the result of conquest, but an act of ad­ ministration, the result of the hegemony of a new legal system. It was a consequence of a triumph of a new society.“; L e e u w e n, Waqfs, S. 7. 65 So schreibt al-Nuʿaymī (845/1441‒927/1521) in seinem Werk über Stiftungen, dass sich mitunter ein al­ ter, von griechischen Gelehrten angefertigter Stein in der Moschee befunden habe, der dafür sorgte, dass alle Maultiere, die ihn passieren, dreimal urinieren müssen; vgl. die gesamte Erzählung bei a l - N u ʿ ay m ī, al-Daris, hg. von a l - D ī n, lib. 2, S. 286‒290. 66 Vgl. die Aufarbeitung des Forschungsstandes bei G ra f m a n / R o s e n ­ Ay a l o n, Two Mosques, S. 7‒11; F l o o d, Great Mosque. 67 Vgl. K h o u r y, Meaning, insbes. S. 84; C h r i s t y s, Meaning, insbes. S. 113 f.

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der Kirche erfolgt. In diesem Umkreis sei dann eine Moschee gebaut worden;⁶⁸ die enormen Vergrößerungen folgten unter nachkommenden Generationen. Die betonte Erinnerung, die Identifikation des Raumes mit der christlichen und sogar antiken Ver­ gangenheit ist in Córdoba wie in Damaskus sowohl in der Historiographie als auch bei modernen Stadtforschern ausgeprägt, wobei in Córdoba die Erzählung, ja der Wunsch einer vorislamischen, christlichen Vergangenheit wegen der späteren „Reconquista“ eine zusätzliche ideologische Bedeutungszuschreibung erfahren hat.⁶⁹ Der Blick auf diese Beispiele ist trotz ihrer spezifischen Kontexte gewinnbringend, weil er zunächst einmal eine Vorstellung davon vermittelt, wie langsam der Prozess der Aneignung des zentralen locus sacer verlaufen konnte, während der Ausbau anderer Strukturen Priorität hatte.⁷⁰ Dies verdeutlicht zum einen, dass die Hervorhebung des Moscheekomplexes, der bei frühen islamischen Rechtsgelehrten und später in stadtty­ pologischen Arbeiten zusammen mit den Märkten als der Brennpunkt der islamischen Stadt ausgemacht wird,⁷¹ nur die „voll entwickelte“ bzw. „ideale“ Stadt repräsentiert. Die oft langen Phasen von Herrschaftsetablierung und Stadtgenese werden dabei über­ wiegend ausblendet. Zum anderen bleibt offen, ob die Bauten dezidiert als Neuschaf­ fung oder als Transformationen gedeutet werden sollten und wurden. Auch könnte verstärkt diskutiert werden, inwieweit die Abgrenzung zur Vergangenheit bzw. die Ge­ staltung der Gegenwart durch ein solches Bauwerk eher einen innerislamischen Dis­ kurs darstellt als eine Abgrenzung zur vorherigen, anders­religiösen Dominanz, von der Elemente durch Kontinuität weiterbestehen konnten oder sogar bewusst zitiert wurden. In Abwesenheit ausführlicher Gründungsgeschichten und archäologischer Daten bleibt in Palermo die etwaige Chronologie ebenso wie die genaue Lokalisierung des Moscheekomplexes konturloser als in Damaskus oder Córdoba. Gleichwohl scheint sich die Beschreibung der Moschee von Palermo durch arabisch­islamische Autoren mit der Betonung ihrer Vorgängerbauten und Traditionen am zentralen Ort islamischer Praxis in die Riege anderer bedeutender Städte des dār al-Islām einzureihen. Dabei wurde auch in Palermo mit altem Material gebaut, wie einige antike und teilweise islami­ sierte, das heißt hier inschriftlich mit Koransuren versehene Spoliensäulen vermuten lassen, die auf einen beachtlichen Bau deuten. Nicht gesichert ist, wo genau sich dieser befand und woher die antiken Säulen genommen wurden. Eindeutig zu verorten ist nur der Bezirk, in dem heute die Kathedrale der Stadt steht, die wiederum bei der normannischen Eroberung 1071/1072 aus der Hauptmoschee hervorgegangen und in

68 Zur Baugeschichte generell vgl. unter zahlreichen Arbeiten C a l v o C a p i l l a, Primeras mezquitas, S. 169 f.; M a r f i l, Córdoba; A r c e ­ S a i n z, Supuesta basílica. 69 Zu den frühen Umbaumaßnahmen vgl. u. a. E c ke r, Great Mosque. 70 Zur Moschee von Córdoba vgl. A m a d o r d e l o s R i o s, Mezquita­Aljama; K h o u r y, Great Mosque; C h r i s t y s, Meaning of Topography. 71 Vgl. G r u n e b a u m, Structure, S. 145.

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eine Kirche konvertiert worden war. Folgt man den Autoren zur normannischen Er­ oberung, so fand eine unmittelbare Kontinuität der Raumnutzung statt (siehe unten Kap. II.1.2.2). Weil zudem die arabischsprachigen Quellen der islamischen Phase darin übereinstimmen, dass die Hauptmoschee einst eine Kirche war, stößt man in den meis­ ten Publikationen zur Stadtgeschichte Palermos auf den Hinweis, dass hier auch das ursprüngliche Kathedralgebäude Palermos gestanden habe und dieses mindestens bis in die Zeit Gregors des Großen, wenn nicht in die Antike zurückdatiere.⁷² Da die Kathedrale heute in ihrer überwiegend im späten 12. Jahrhundert gepräg­ ten äußeren Form mit zahlreichen Hinzufügungen späterer Epochen erscheint (das Innere ist völlig barockisiert), ist jedoch auch die Moschee oder die Kathedrale des 11. Jahrhunderts nicht mehr fassbar.⁷³ Versucht man dennoch eine Annäherung an die Frage, inwieweit die Position der Kathedrale mit dem Moscheebezirk übereinstimmen könnte, ist zunächst zu erwähnen, dass unterhalb der heutigen Kathedrale ebenso wie im Diakonikon Strata aufgetan wurden, die auf eine Raumnutzung des 8. bis frühen 10. Jahrhunderts verweisen.⁷⁴ Des Weiteren könnte die südliche Langhausseite der Ka­ thedrale der islamischen Gebetsausrichtung bzw. einer Wand mit Gebetsnische (arab. qibla) entsprechen. Ein Säulenhof (arab. ṣaḥn) hätte sich dahinter Richtung Norden erstrecken können. Hier haben Grabungen ergeben, dass sich unterhalb der Cappella dell’Incoronata, die nördlich des westlichen Narthex der heutigen Kathedrale liegt, eine Säulenhalle aus der Zeit muslimischer Herrschaft oder aber die zu einem Hof gehören­ den Arkaden (arab. riwāq) befanden.⁷⁵ Weitere Grabungen haben gezeigt, dass hier im mittleren 10. Jahrhundert erhebliche Eingriffe, vielleicht bauliche Erweiterungen oder anderweitige Veränderungen, vorgenommen wurden. Die Bautechnik und das dabei verwendete Bindemittel erinnern dabei an Praktiken des fatimidischen Nordafrika.⁷⁶ Womöglich fand demnach ein Umbau des Gotteshauses in der Herrschaftsperi­ ode statt, in der auch Ibn Ḥawqal die Stadt besichtigte. Zu diskutieren wäre dann, ob dies wiederum auch mit dem innerislamischen Herrschaftswechsel und der neuen dynastischen Etablierung der fatimidisch­kalbidischen Herrschaft im Palermo dieser Zeit zusammenhing. Überliefert ist beispielsweise ein Dekret des fatimidischen Kali­ fen al-Muʿizz (341/953‒365/975), das auf 355–356/966–967 datiert und zeigt, dass er als nunmehr nomineller Oberherr über Sizilien den Ausbau urbaner Strukturen anord­ nete. Dieser Befehl ging an alle Städte der Provinzen sowie an Palermo. In dem bei al-Nuwayrī wiedergegebenen Dokument wünschte der Kalif in der Hauptstadt konkret

72 Vgl. u. a. L o n g o, First Norman Cathedral, S. 19; B a g n e ra, Small Town, S. 65; vorsichtiger hinsichtlich der unklaren Lokalisierung P r i g e n t, Palermo, S. 27 f. 73 B e l l a f i o r e, Lettura; D i S t e f a n o, Indagini, S. 29–41. 74 Vgl. B a g n e ra, Small Town, S. 66; G a r o f a n o, Nuove scoperte; S. 587 f.; teilweise wurden diese auch als Fundamente der alten Kathedrale gedeutet, vgl. D ’A n g e l o, Città di Palermo, S. 17‒20. 75 B a g n e ra, Small Town, S. 66. 76 Ebd.; M a u r i c i, Palermo araba, S. 46.

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den Bau und die Befestigung von Mauern („yaʾmuruhu bi-bināʾ aswār al-madīna“),⁷⁷ wobei unklar ist, auf welche Strukturen dabei genau angespielt wird; es scheint nicht undenkbar, dass auch andere Bauprojekte in dieser Zeit gefördert wurden. Während Ibn Ḥawqal darüber keine weiteren Aussagen traf, gab er aber recht bemerkenswerte Hinweise über die Ausmaße der Moschee, die er in der bereits zitierten Passage als „sehr groß“⁷⁸ bezeichnete. Später in seinem Bericht erklärte er zudem, dass die Größe der Moschee eine Vorstellung von der urbanen Dichte und der hohen Bevölkerung Palermos vermittle: „Eine Vorstellung vom Ausmaß und der Anzahl der [städtischen] Bevölkerung kann die ganz beachtliche Hauptmoschee von Palermo geben. Ich habe an einem Tag, an dem es dort voll war [d. h. wahrscheinlich am Tag der Versammlung, also beim Freitagsgebet] geschätzt, dass die Moschee mehr als 7 000 Menschen fassen konnte. Es gab maximal 36 Reihen von Gläubigen, die zum Gebet aufgestellt waren, und man kann sagen, dass es rund 200 Männer in jeder Reihe waren“.⁷⁹

Diese Passage wurde in der Forschung bisher lediglich dazu herangezogen, um die Größe des muslimischen Palermos zu betonen. Es ist aber auch lohnenswert danach zu fragen, was diese Angabe über die physische Gestalt des Gebäudes auszusagen ver­ mag. Ibn Ḥawqal macht darüber recht genaue, bislang nicht weiter beachtete Angaben: Er schätzt, dass in rund 36 Reihen je 200 Gläubige das Gebet vollziehen konnten. Für das islamische Gebet wird ein Platz benötigt, der groß genug ist, um die Niederwerfung (arab. suǧūd al-tilāwa) durchzuführen. Dafür wird und wurde eine regional im Mate­ rial oft unterschiedlich ausfallende Unterlage gewählt, die ein Stofftuch, ein Fell oder eine Art Teppich sein kann. Geht man von neuzeitlichen Maßstäben aus, so wird ein Gebetsteppich (arab. saǧǧāda) durchschnittlich mit rund 0,75 Meter Breite auf 1,2 Meter Länge bemessen. Würde man dies – schlichtweg um einen Eindruck von Dimensionen zu gewinnen – auf eine Gebäudekonstruktion übertragen, müsste diese etwa 43 Meter breit auf 150 Meter lang sein und rund 6 450 Quadratmeter umfassen, um die bei Ibn Ḥawqal angegebene Anzahl von Reihen beherbergen zu können. Auch wenn die Meterzahlen nur einen Näherungswert darstellen können, werden durch die von Ibn Ḥawqal gemachte Angabe zur Anordnung der Gebetsreihen Längenund Größenverhältnisse deutlich. Dies lässt zum einen auf eine so beträchtliche Größe schließen, dass die palermitanische Moschee des 10. Jahrhunderts ohne Weiteres mit den bedeutendsten islamischen Gebetsorten der Zeit mithalten konnte. In Damaskus

77 A l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 194; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in: BAS 2 (arab.), Bd. 2, S. 494 f.; BAS 2 (ital.), Bd. 2, S. 134 f. Überliefert ist der Text auch bei Ibn al-Aṯīr; die komplexe Transmissi­ onsgeschichte diskutiert N e f, Fiscalité. 78 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 118; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 117. 79 Übersetzt nach I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 120.

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beispielsweise misst die Halle der Großen Moschee für das Gebet rund 130x 40 Meter und weist damit ähnliche Längenverhältnisse wie die von Ibn Ḥawqal beschriebene Moschee von Palermo auf (siehe Abb. 3).⁸⁰ Noch beeindruckender ist aber vielleicht, dass diese etwaigen Längenverhältnisse einen basilikalen Grundriss suggerieren, der nur wenig vom Grundriss der Kathedrale des 12. Jahrhunderts abweicht (siehe Abb. 4). Hiermit soll nicht eine Kontinuität des Bauwerks, der genauen Position, der Materialien oder Stile postuliert werden. Vielmehr geht es um die historisch betonte Kontinuität der Raumnutzung und Raumgestaltung bei der Aspekte von imitatio oder Adaption bzw. Aneignung stärker wirken konnten als Abgrenzung durch unmittelbare Baumaß­ nahmen am zentralen locus sacer.

Abb. 3: Grundriss der Umayyaden Moschee von Damaskus (Ǧāmiʿ banī Umayya al-kabīr).

80 Das Innere der Großen Moschee von al-Qayrawān, die als Neugründung in der frühen Phase musli­ mischer Herrschaft in Ifrīqiya errichtet wurde, misst beispielsweise lediglich rund 2 600 Quadratmeter; die Große Moschee von Ṣafāqus (Sfax), die unter den Aghlabiden gebaut wurde, etwa 1 100 Quadrat­ meter. Zur Moschee von al-Mahdīya und ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Moscheearchitektur vgl. M a h f o u d h, Grande mosquée. Zum Beispiel Syriens vgl. G u i d e t t i, Contiguity; d i e s ., Shadow. Als Größenreferenz sind hier auch moderne Moscheebauten in Betracht zu ziehen: So soll beispielsweise die in den 1980er Jahren gebaute al-Fātaḥ­Moschee in Bahrain 7 000 Gläubige auf 6 500 Quadratmetern Platz beherbergen können; vgl. URL: https://alfatehbh.net/the-grand-mosque/ (14. 8. 2023).

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Abb. 4: Grundriss der Kathedrale von Palermo vor der Umgestaltung im späteren 12. Jahrhundert.

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Über Palermo hielt Ibn Ḥawqal auch fest, dass es hier mehr als 300 Moscheen und Hunderte weitere im unmittelbaren Umland gegeben habe. Dies bedeutet aber keines­ wegs, dass alle heiligen Orte der Christen Palermos durch Muslime angeeignet und überformt wurden. Man weiß durch toponomastische Indizien beispielsweise davon, dass christliche Elemente bestehen blieben und nebeneinander existierten. Unweit der Großen Moschee fand sich z. B. ein Stadttor, das Ibn Ḥawqal wieder als „alt“ bezeichnet und das den Namen bāb šantaġāt / šant Aġāta trug.⁸¹ Das Toponym verweist auf die hei­ lige Agatha, eine Märtyrerin des 3. Jahrhunderts, die aus Sizilien stammte und deren Verehrung nachweislich die Phase muslimischer Herrschaft überdauerte.⁸² Auffällig ist, dass das Toponym des Tores die arabisierte Form des lateinischen Adjektivs sanc­ ta und nicht des griechischen Wortes ἁγία für die Heilige konserviert, was an dieser Stelle die lateinisch­christliche Vorprägung des Kultes in Palermo und des konkreten Ortes andeuten könnte. In der Tat geht aus der Korrespondenz Gregors des Großen ein Bemühen um die heilige Agatha in Palermo hervor,⁸³ und man weiß auch, dass sich bis ins frühe 14. Jahrhundert an diesem Tor eine kleine Kapelle fand, die eben jener Heiligen geweiht war und auf vorislamischen Fundamenten fußen soll.⁸⁴ Die enorme Zahl von Moscheen, die Ibn Ḥawqal erwähnt, war im städtischen Raum Palermos zudem vielleicht gar nicht sichtbar, will sagen, die Moscheen traten architektonisch womöglich kaum im Stadtbild hervor. Über die 300 palermitanischen Moscheen schreibt der Reisende vielmehr nüchtern, diese hätten aus Dächern, Mauern und Türen bestanden, was eine einfache Bauweise vermuten lässt. Dies dürfte darin begründet liegen, dass es sich hierbei um kleine, private Einrichtungen der Stadtbe­ wohner handelte. Tür an Tür gelegen repräsentierten diese Moscheen in ihrer Raum­ nutzung für Ibn Ḥawqal die Arroganz, die Spaltung und Faulheit der palermitanischen Muslime. Sie beteten nicht gemeinsam, sondern viele richteten eigene Moscheen und auch Schulen ein, um sich damit anderen Pflichten zu entziehen. Dies beträfe vor allem

81 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Configu­ ration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121. 82 Zum Kult der heiligen Agatha in der normannischen Zeit mit Rückbezug auf die spätantike Tradition der Verehrung vgl. O l d f i e l d, Medieval Cult. Oldfield verweist ebd., S. 440 f., 453 f., darauf, dass die Heilige auch von Muslimen verehrt wurde; vgl. auch O l d f i e l d, Sanctity, S. 143; M o t t a, Percorsi, bes. S. 76‒80. Zu den Reliquien und zum Kult der heiligen Agatha in der paläochristlichen Kirche S. Agata la Vetere in Catania vgl. S c a l i a, Traslazione, bes. S. 48–52. 83 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, S. 238 f.; Gregorii I Registrvm, hg. von H a r t m a n n, Bd. 2, lib. 9, Nr. 20 und 21, S. 55 f. (Oktober 598). 84 Weil die Kirche S. Agata de Cassero oder de Guidda in einem Diplom von 1146 als unter dem griechi­ schen Ritus operierend bezeichnet wird, wurde gefolgert, dass es sich auch um einen ursprünglich byzan­ tinischen Ort der Verehrung handele; vgl. B r e s c, Religious Palermo, S. 351, der die lateinische Herkunft des arabischen Toponyms übersah; außerdem D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 453; D ’A l e s s a n d r o, Devozione, S. 68 mit Anm. 65.

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die Pflicht zum ǧihād.⁸⁵ Die Aussage lässt vermuten, dass es sich bei diesen Stadtbe­ wohnern bzw. Moscheebesitzern um Personen handelte, die eigentlich militärischen Dienst leisten sollten und vielleicht dem ǧund oder der Armee verpflichtet waren. Der spöttische Vorwurf Ibn Ḥawqals findet eine faszinierende Bestätigung im wenig beach­ teten Rechtskompendium des Ibn Yūnus al-Ṣiqillī (gest. 451/1059). Ibn Yūnus berichtet von einem sizilischen Rechtsfall, aus dem hervorgeht, dass im muslimischen Sizilien eine Praxis existierte, die persönliche Pflicht zum ǧihād auszulagern, indem diese ge­ gen Bezahlung an Dritte gewissermaßen als zu erbringende Dienstleistung abgegeben wurde.⁸⁶ Dies sind wertvolle Indizien für das religiöse sowie soziale Leben, das Ausdruck im bebauten Stadtraum fand. Auch deutet sich hier in mancher Hinsicht eine Sonder­ stellung der Stadt an, die zwar innerhalb des muslimischen Siziliens eine kulturelle Leitfunktion einnahm; im religiös­rechtlichen ebenso wie im politischen Bereich zeigte sich jedoch ein deutliches Gefälle zwischen Sizilien und Ifrīqiya bzw. den anderen Kern­ provinzen des dār al-Islām. Auch außerhalb Palermos werden gewisse sizilische Eigen­ heiten erkennbar. Hier war die Arabisierung und Islamisierung der Inselbevölkerung regional sehr unterschiedlich ausgeprägt, wobei vor allem der Osten mit seiner Nähe zum oströmisch kontrollierten Kalabrien eine griechisch­christliche Prägung beibehielt. Über die Bewohner in den abgelegenen Gebieten der Insel berichtet Ibn Ḥawqal, dass sich hier die Praxis etabliert hatte, dass Muslime Christinnen heirateten und mit ihnen Kinder hätten, die entweder christliche Mädchen oder muslimische Buben, sogenannte al-mušaʿmiḏūn, würden. Der Begriff mušaʿmiḏ ist auf keine arabische Wurzel zurückzuführen und wurde standardmäßig als „Bastard“ übersetzt.⁸⁷ Tatsächlich handelt es sich aber um ein he­ bräisches Lehnwort, das religiöse Abweichler beschreibt. Die Übersetzung „Bastarde“ für mušaʿmiḏūn ist damit sprachgeschichtlich gesehen nicht haltbar und trifft letztlich auch nicht die Implikation von Ibn Ḥawqals Aussage. Unter „Bastard“ versteht man ge­ meinhin ein Kind aus einer nicht legitim geschlossenen Verbindung. Koranisch ist die Ehe zwischen Muslimen und Christinnen jedoch nicht als verwerflich einzustufen,⁸⁸ nicht zuletzt deshalb, weil nach islamischem Recht die Kinder solcher Ehen ausnahms­

85 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 126 f.; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 125 f. 86 I b n Y ū n u s a l - Ṣ i q i l l ī, al-Ǧāmiʿ, hg. von a l - Ṯ u b ī t ī, lib. 6, S. 228. Für diesen Hinweis danke ich Hossa­ meldin Ali (Kairo / Konstanz). 87 Erstmals als „bastardi“ übersetzt von G a b r i e l i, Ibn Ḥawqal, S. 249; ähnlich die französische Über­ setzung: K ra m e r s / W i e t, Configuration, S. 128 („bâtards“); M e t c a l f e, Arabic Speakers, S. 16, übersetzt „bastardised Muslim“ und fügt in der dazugehörigen Anm. 51 aber hinzu: „[t]he translation in English seems to lie somewhere between mongrels, half­castes, buffoons and imposters“; die Auffassung der Vor­ täuschung findet sich als „trickster“ auch bei L e w i s, Ibn Hauqal, S. 99. 88 Gemäß Q 5:5; zum Verbot für muslimische Frauen, nicht­muslimische Männer zu ehelichen, vgl. Q 2:221; 60:10; 4:141.

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los der Religion des Vaters angehören sollen. Als Normverstoß aus der Perspektive Ibn Ḥawqals gilt demnach erstens, dass die aus christlich­muslimischen Ehen geborenen Mädchen auf Sizilien nicht Musliminnen, sondern Christinnen wurden, sowie zweitens der Umstand, dass die mušaʿmiḏūn, wie er schreibt, den Vollzug islamischer Pflichten nicht angemessen leisteten.⁸⁹ Die „Bastardisierung“ bezieht sich damit nicht auf die Abstammung, sondern auf die Abweichung der korrekten religiösen Praxis. Statt ei­ ner fortlaufenden Islamisierung sei es auf Sizilien demnach zu der „Produktion“ von Christinnen und mušaʿmiḏūn, nicht aber von Muslimen gekommen. Interessant ist, dass diese Ehepraxis, die auch in anderen Sizilien betreffenden Quellen greifbar wird,⁹⁰ mit ihrer geschlechterspezifischen Regulierung der Religionszugehörigkeit innerhalb Sizi­ liens offenbar konfliktfrei blieb.⁹¹ Die Empörung über diese Gewohnheit wird nur in der Außenperspektive des Reisenden zum Ausdruck gebracht.

2.3 Funktionalisierung: Palermo als mediterrane Handels- und Herrschaftsstadt 2.3.1 Hafen, Viertel und Umland Als politisch­militärischer Hauptort und religiös­kulturelles Zentrum der Muslime in Sizilien wurde Palermo auch zu ihrem wichtigsten Umschlagplatz. Aufgrund der andau­ ernden Plünderungen und stückweisen Eroberungen auf der Insel kamen in den Jahr­ zehnten nach der Einnahme Palermos zunächst vor allem geraubte Güter sowie Sklaven und Gefangene im dortigen Hafen an. Mindestens ein Teil von ihnen wird aber nicht vor Ort geblieben, sondern zur Finanzierung weiterer Razzien verkauft und so auch in die Häfen an den Küsten des südlichen Mittelmeeres geschifft worden sein. Die Entstehung einer in dieser Weise auf tragbare Beute und materiellen Reichtum ausgerichteten Ge­ sellschaft war, so formulierte es Michael Brett, ein „way of life“⁹² der palermitanischen Muslime. Die daraus entstehende Wirtschaftskultur beschrieb Alex Metcalfe als „booty

89 Die mušaʿmiḏūn scheinen Ibn Ḥawqal nicht als vollwertige Muslime zu gelten, weil sie den religiösen Pflichten des Islam – genannt werden ṣalāt (Pflichtgebet), zakāt (Almosengabe), ḥağğ (Pilgerfahrt) – nicht zur Genüge nachkämen. So lebten sie in ritueller Unreinheit (arab. ğanāba), von der sich nur einige durch Fasten im Monat Ramaḍān befreien würden (arab. „ġusl al-ğanāba“); vgl. I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 129; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 128; D u y n b o l l, Djanāba, S. 44 f.; B o u s q u e t, Ghusl, S. 1104. 90 Vgl. dazu M e t c a l f e, Transkultureller Wandel, S. 79‒81; M a n d a l à, Minoranze, bes. S. 107–113. 91 Zu Kindern aus interreligiösen Ehen vgl. außerdem Kö n i g, Caught between Cultures, S. 65–68, mit dem Vergleich zu den Märtyrern von Córdoba und den Turkopolen (griech. τουρκόπουλοι), sowie d e r s ., Transkulturelle Verflechtungen, S. 84‒90. 92 B r e t t, Rise, S. 237.

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economy“⁹³. Während des 9. Jahrhunderts fungierte der Hafen von Palermo außerdem als wichtiger Ausgangspunkt für ein weiteres Ausgreifen zur See bzw. für Piraterie an den süditalienischen Küsten. Dort begaben sich Muslime bald auch in den Söldnerdienst lokaler Herrscher⁹⁴ oder führten weiter eigenständig Attacken aus, die in Plünderung und Zerstörung von Kirchen und Klöstern,⁹⁵ in Bari sogar in der Eroberung und der vorrübergehenden Errichtung eines muslimischen Kleinstemirates resultierten.⁹⁶ Bei einigen Rechtsgelehrten in Ifrīqiya rief dies, wie eingangs angedeutet, Kritik und Sorge hervor. Doch nicht nur die Moral der Muslime Siziliens und die Ausfüh­ rung ihrer islamischen Pflichten wurden dadurch als gefährdet angesehen. Auch die Etablierung nachhaltiger Wirtschaftszweige und stabiler Handelsbeziehungen sowie der Ausbau islamischer Institutionen und die Entwicklung von Besteuerungspraktiken gingen auf der Mittelmeerinsel vergleichsweise schleppend voran.⁹⁷ Weil insgesamt zu wenig über die islamische Verwaltung in Sizilien bekannt ist, lassen sich darüber keine näheren Einsichten in das wirtschaftliche Leben gewinnen. Aus den wenigen, zur Verfügung stehenden Informationen lässt sich aber ableiten, dass im Unterschied zu anderen Gebieten des dār al-Islām (lange) keine durchsetzungsfähige Administration auf dem Land ausgebildet wurde. Wie sich die Landwirtschaft im sizilischen Hinterland und die damit verbundene Ökonomie entwickelte, für die Sizilien später viel gerühmt wurde, lässt sich am ehesten an archäologischen Befunden ablesen. Diese wurden in den letzten Jahrzehnten vermehrt auf die Frage hin ausgewertet, wie sich die Agrarkul­ tur und der ländliche Alltag über die Transitionen von oströmischer zu muslimischer hin zu normannischer Herrschaft veränderten.⁹⁸ Inspiriert wurden solche Arbeiten u. a. von der These, dass in Sizilien, vor allem im Westen der Insel, unter den Muslimen die landwirtschaftliche Bestellung durch den An­ bau neuer Pflanzen und durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme zu florieren begann. Den einflussreichen Arbeiten Andrew Watsons folgend, etablierte sich die Vorstellung ei­ ner „Green Revolution“ oder „Islamic Agricultural Revolution“, welche neben Sizilien vor allem die iberische Halbinsel erfasst habe.⁹⁹ In vielen (wirtschafts-)historischen Darstel­

93 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 9, 16, 20. 94 Vgl. für einen Überblick D i B ra n c o / Wo l f, Hindered Passages; M a ra z z i, „Ita ut facta“; zu den ers­ ten als Söldner angeworbenen Muslimen durch Andreas II. von Neapel (834‒840) vgl. J o h a n n e s v o n N e a p e l, Gesta episcoporum Neapolitanorum, hg. von Wa i t z, cap. 57, S. 431. 95 Zur sogenannten „Sarazenengefahr“ in Süditalien vgl. C o n a n t, Anxieties; H o u b e n, Saccheggio; B e r t o, Muslims; D i B ra n c o / Wo l f, Terra. 96 Die grundlegende Studie dazu stammt von M u s c a, L’emirato; eine neuere Betrachtung bei D i B ra n c o, Strategie. 97 Zu diesem Aspekt N e f / P r i g e n t, Contrôle. 98 Vgl. den Überblick bei M o l i n a r i, Sicily, sowie das Projekt von M o l i n a r i / C a r v e r / F i o r e n t i n o, Si­ cily in Transition. 99 Wa t s o n, Agricultural Revolution; d e r s ., Medieval Green Revolution; d e r s ., Agricultural Innovation. Verwendung findet die Begrifflichkeit u. a. bei M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 64, und in Überblicken zur

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lungen über Sizilien liest man bis heute eine beinahe romantisierende und exotisierende Aneinanderreihung von Pflanzen und daraus entstandenen Produkten, welche die Mus­ lime (und mit ihnen die arabischsprachigen Juden) in Sizilien eingeführt, angebaut und vertrieben hätten: Zitrusfrüchte, Papyrus, verschiedene Getreide, Baumwollpflanzen, Zuckerrohr, Dattelpalmen und Oliven hätten Palermos Hinterland zu einem gleichsam paradiesischen Ort gemacht. Diese topische Panegyrik von der Fruchtbarkeit des paler­ mitanischen Umlandes spiegelt sich auch im Toponym der Conca d’Oro wider.¹⁰⁰ Eine zentrale Annahme Watsons lautet, dass viele dieser Kulturpflanzen und das Wissen darüber, sie gewinnbringend anzubauen und weiterzuverarbeiten, auf den mittlerweile von Muslimen dominierten Handelsrouten von Indien über die Gebiete des vormals sassanidischen Reiches, über die Arabia felix und Ostafrika an die Mit­ telmeerküsten gebracht werden konnten.¹⁰¹ In der Folge hätten sich „revolutionäre“ Effekte auf den Handel, die Urbanisierung von Städten und Handelsstützpunkten, das Bevölkerungswachstum sowie die Ausdifferenzierung städtischer und ländlicher Ge­ sellschaften eingestellt.¹⁰² Watson hatte zunächst viel Kritik (zumindest für Teile seiner Arbeit) einzustecken und wurde in einigen Detailfragen auch deutlich korrigiert.¹⁰³ Beinahe 50 Jahre später ist aber zum einen der anhaltende Einfluss seiner These anzu­ erkennen und außerdem zu bemerken, dass diese durch moderne archäo­botanische Studien in beachtlichen Punkten bestätigt werden konnte.¹⁰⁴ Dennoch spricht man mitt­ lerweile statt von einer Revolution eher von einer Transformation der Landwirtschaft, des Handels und der involvierten urbanen Zentren unter muslimischer Herrschaft, weil an schon zuvor bekannte Routen, Netzwerke, Waren, Pflanzen und Bestellungs­ praktiken angeknüpft wurde.¹⁰⁵ Doch wann fand diese Transformation in Palermo und dem westlichen Hinter­ land Siziliens statt? Dazu lohnt sich ein makroskopischer Blick auf die geopolitischen Verschiebungen und Verbindungen innerhalb des zentralen Mittelmeerraums: Seit der Spätantike wirkte die Insel wie eine Drehscheibe zwischen dem west- und dem oströ­ mischen Reich, wobei die Verbindung Palermos zum nordafrikanischen Festland seit der Gründung der Stadt besonders eng war. Während der Amtszeit Gregors des Großen bestanden nachweislich auch gute Kontakte zwischen Palermo und anderen südlichen

Umweltgeschichte H o f f m a n n, Environmental History, S. 142‒148; zur kritischen Verwendung für Sizi­ lien aus aktueller archäologischer Perspektive M o l i n a r i, Sicily, S. 344‒348. 100 Zum Toponym und den darin enthaltenen Konnotationen, Bildern und Vorstellungen vgl. M a n d a l à, Conca d’oro; Güter und Produkte werden u. a. aufgeführt von G o i t e i n, Sicily. 101 Die Grundannahmen der These bei Wa t s o n, Agricultural Revolution, S. 8 f. 102 E b d ., S. 17 f. 103 Vgl. u. a. Rezensionen von J o h n s, Green Revolution?; B u l l i e t, Rez. Agricultural Innovation; C a h e n, Review. 104 Dazu der resümierende Aufsatz von S q u a t r i t i, Seeds. 105 Besonders eindrücklich und ausführlich belegt in der Studie von M c C o r m i c k, Origin.

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Handelsstädten des Mediterraneums, etwa mit Alexandria.¹⁰⁶ Im 7. Jahrhundert ver­ härteten sich die Fronten zwischen dem mittlerweile unter muslimischer Herrschaft stehenden Nordafrika und dem oströmisch dominierten Sizilien, doch zum Erliegen kam der Verkehr zwischen den beiden Regionen nicht.¹⁰⁷ Während über das 8. Jahrhundert wenige Quellen zur Auswertung bereit stehen und von einem gewissen Einbruch der Austauschbewegungen auszugehen ist, was üb­ rigens auch das Verhältnis mit Rom betraf,¹⁰⁸ intensivierte sich der Kontakt zu Ifrīqiya, nachdem Palermo mit Westsizilien dann muslimisch kontrolliert war. Bedeutung ge­ winnt dann auch die Landroute von Palermo nach Agrigent oder Mazara. Mit dem Ende der Eroberungen Siziliens durch die Muslime sorgten die politischen und steuerlichen Verpflichtungen der Inselprovinz gegenüber den aghlabidischen Herrschern, die Aus­ richtung der Handelsströme und die interpersonellen Netzwerke dafür, dass Palermo engstens in die Märkte der arabisch­islamischen Sphäre integriert wurde.¹⁰⁹ Vermutet wird, dass dann auch die insulare Wirtschaft und Agrikultur intensiviert wurden und somit Palermos Aufstieg zu einer bedeutenden Handelsmetropole des Mittelmeerrau­ mes begann. Auch in dieser Hinsicht ist das bereits erwähnte Dekret des al-Muʿizz von 355–356/966–967 interessant, weil es zeigt, dass die Entwicklung der sizilischen Städte in den Provinzen gezielt gefördert wurde, was vermuten lässt, dass sie bis weit ins 10. Jahrhundert vielleicht wenig ausgebaut und vernetzt waren.¹¹⁰ Archäologisch bestätigt sich dies z. B. anhand der Verbreitung von Keramiken pal­ ermitanischer Machart, die noch in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts im We­ sentlichen in der Stadt und ihrem unmittelbaren Umfeld, ab der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts dann aber über die ganze Insel verstreut und schließlich im zentralen Mittelmeerraum auffindbar sind, was für eine Expansion und Verdichtung Handels­ netzwerken in Palermo spricht.¹¹¹ Genauer gesagt handelt es sich dabei um Amphoren, die für den Weinhandel verwendet und in verschiedene Länder exportiert wurden.¹¹² Am besten sind wir über diese wirtschaftlich­expandierende Entwicklung jedoch aus Tausenden von Schriftstücken informiert, die im späteren 19. Jahrhundert in der Ben Ezra Synagoge in Alt­Kairo bzw. Fusṭāṭ gefunden wurden. Überdauert haben diese Quel­ len, die in ihrer reichen Vielfalt das wohl bemerkenswerteste Sammelsurium aus dem arabisch­islamischen Mittelmeerraum darstellen, in der Geniza der Synagoge, d. h. in einem Stauraum für allerart Geschriebenes, das religiös aufgeladene Worte beinhaltet

106 P r i g e n t, Palermo, S. 33–35, mit Verweis auf den Textilhandel zwischen Palermo und Alexandrien. 107 Die Routen wurden teilweise aber über Rom geleitet; vgl. B o n i f ay / M a l f i t a n a, Ceramica. 108 Aus archäologischer Perspektive dazu A r c i f a / L o n g o, Processi; A r d i z z o n e, Ipotesi; aus histori­ scher Perspektive P r i g e n t, Sicilie byzantine. 109 G o l d b e r g, Trade, insbes. S. 253‒274, 319‒322; D a v i s ­ S e c o r d, Three Worlds, S. 102‒106, 142‒165. 110 Vgl. zu diesem in seiner Überlieferung komplexen Dokument N e f, Fiscalité. 111 A r d i z z o n e / P e z z i n i / S a c c o, Role. 112 Vgl. D r i e u et al., Chemical Evidence.

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und daher nicht weggeworfen, sondern rituell entsorgt werden soll. Nur ein kleiner Anteil der so auf uns gekommenen Texte dokumentiert das wirtschaftliche Leben. Ihre Blütezeit hatte die Ben Ezra Gemeinde und damit die Geniza­Überlieferung unter fatimidischer Herrschaft, sodass die Dokumente einen guten Eindruck von den jüdischen Handelsaktivitäten aus dem Zeitraum von etwa 900 bis 1200 geben. Durch das Fenster dieser Geniza blickt man vorwiegend auf Fusṭāt­Kairo, die Hauptstadt Ägyptens, aber auch auf diejenigen Orte, mit denen die Ben­Ezra­Gemeinschaft in engem Kontakt stand bzw. auf diejenigen Orte, zu denen ihre Mitglieder im weiteren Sinne geschäftlich reisten: nämlich ins ländliche Ägypten und seine Hafenstädte, in die Region von Bilād al-Šām (entspricht in etwa der Levante) und al-Andalus, später auch nach Indien. Besonders aktiv waren die jüdischen Reisenden und Händler aber im Handelsdreieck Ägypten–Ifrīqiya–Sizilien, wobei ihnen Ifrīqiya‒Sizilien kulturell als räumliche Einheit galt, sodass die dort aktiven Juden als eine Subgruppe verstanden und über die Zugehörigkeitsbeschreibung „westlich“ definiert wurden.¹¹³ Aus zahlreichen in der Geniza überlieferten Listen, Briefen und Verträgen tritt Pa­ lermo als Hauptbezugspunkt der Juden in Sizilien hervor. Zwar dokumentieren diese Quellen vorwiegend wirtschaftliche Belange, doch geben sie auch Aspekte des sozio­ kulturellen und religiös­rechtlichen Lebens der palermitanischen Juden preis. Einige von ihnen lebten mobil und waren so nur zeitweise bzw. wiederkehrend Teil der Stadt­ gesellschaft Palermos, allerdings ohne dass ihre religiöse und rechtliche Jurisdiktion dieser Stadt spezifisch zugeteilt war. Vielmehr reichte die Einflusssphäre der jüdischen und muslimischen Rechtsautoritäten über territoriale Grenzen hinweg.¹¹⁴ Andere jü­ dische Händler lebten auch permanent vor Ort oder siedelten sogar dorthin über, um sich geschäftlich neu zu etablieren. In Palermo besaßen Juden entsprechend alle not­ wendigen Einrichtungen wie Lagerhäuser, Geschäfte und Wohnbereiche sowie recht­ lich­religiöse Institutionen. Kern des jüdischen Lebens bildete traditionell wohl ein um eine Synagoge gruppiertes Quartier, das als ḥārat al-Yahūd (Viertel der Juden) bekannt war.¹¹⁵ Mit diesem Viertel sind die Juden Palermos die einzige religiöse Minderheit, deren Präsenz toponomastisch und topographisch greifbar ist. Ḥārat al-Yahūd lag unterhalb der alten Stadtmauern, etwa mittig auf der südlichen Seite, und an den Ufern jenseits – vom Stadtkern aus gedacht ‒ der Kemonia. Hier be­ fand sich offenbar schon in spätantiker Zeit ein Schwerpunkt der jüdischen Ansiedlung, der bis zur Vertreibung im 16. Jahrhundert fortbestand. Obwohl Ibn Ḥawqal in seinem Bericht von einem „Tor des Eisens“ spricht, das von der Innenstadt aus zum Juden­ viertel geführt haben soll, ist nicht davon auszugehen, dass das Quartier abgeschottet

113 G o t e i n, Mediterranean Society; d e r s ., Sicily; d e r s ., Medieval Tunisia; G i l, Sicily; d e r s ., Jews in Sicily; M a n d a l à, Jews; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n; G o l d b e r g, Trade. 114 G o l d b e r g, Trade, S. 150‒164. 115 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 121.

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war oder verschlossen wurde. Auch ist eine Konzentration der jüdischen Bevölkerung nicht als Imperativ der islamischen Herrschaft zu verstehen, sondern eher als eine ältere Tradition der Raumproduktion innerhalb einer Gruppe anzusehen – d. h., dass die ethnische und religiöse (Selbst-)Segregation nicht konsequent war oder kontrolliert wurde.¹¹⁶ Vielmehr ist davon auszugehen, dass Palermos Juden, insbesondere jene im Handel, sich auch auf anderen wichtigen Achsen der Stadt bewegten. Auf diesen Interaktionstraßen lässt sich der Hafen als der wichtigste räumliche Bezugspunkt der Wirtschaftsaktivität Palermos ausmachen. Er diente als Umschlagplatz für Waren und Personen. Der Hafen lag in einer natürlichen Bucht, die heute La Cala genannt wird. Spätestens in der kalbidischen Zeit wurde das Hafenbecken von zwei Türmen bewacht, von denen einer wohl im Bereich des heutigen Parco archeologico del Castellammare verortet wird. Der andere Turm dürfte auf der gegenüberliegenden Seite nahe der jetzigen Piazza Marina gewesen sein, die damals noch direkt an die Bucht grenzte. Von den Türmen aus konnte die Bucht mittels einer Hafenkette abgesperrt werden. Vom Hafen Richtung Stadt kommend überquerte man zunächst eine freie Fläche vor den Stadtmauern. Dort sah man noch bis in die Neuzeit die Flüsse Papireto und Kemonia in die Bucht strömen. Durch das bāb al-baḥr betrat man die Stadt. Das bāb al-baḥr (wörtl. Tor des Meeres) galt Ibn Ḥawqal bei seinem Besuch als das berühmteste Tor der Stadt,¹¹⁷ was vielleicht durch den regen Verkehr der Händler und Reisenden begründet werden könnte. Auch scheint das Tor das größte der Stadt gewesen zu sein und wurde wohl zumindest in späterer Zeit von einem Mechanismus reguliert, der es erlaubte, Gruppen von Menschen auf der einen Seite stadteinwärts und auf der anderen stadtauswärts zu lenken, sodass sie mitsamt ihren Gütern und Besitztümern leichter zu kontrollieren und zu besteuern waren.¹¹⁸ Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl Ibn Ḥawqal als auch das „Book of Curiosities“ betonen, Händler, Fremde und Reisende seien in Palermo nicht gut aufgenommen, sondern mit hohen Abgaben besteuert worden, und das, obwohl man auf die Importe von außen angewiesen war.¹¹⁹

116 S t i l l m a n n, Jew, S. 11. 117 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; I b n H a u q a l, Con­ figuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 120. Ein gleichnamiges Tor ist auch aus mehreren anderen Hafenstädten bekannt, z. B. aus al-Mahdīya; vgl. Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, die Karte der Stadt fol. 34A, S. 134‒130 [sic! Wegen der Leserichtung für den Teil der arabischsprachigen Edi­ tion] (arab.), 467‒469 (engl.). 118 B a g n e ra, Small Town, S. 76 mit Verweis auf den mir nicht zugänglichen, folgendermaßen referen­ zierten Beitrag von Gaetano B r u c o l i, Considerazioni topografiche sopra la bab al-bahr, in: Storia di Pa­ lermo II DVD. 119 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 130 f.; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 129 f.; Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 144 (arab.), 458 (engl.).

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Hinter dem Meerestor begann die bereits erwähnte ṣimāt. Diese lange, gerade Straße, die sich über rund 1 000 Meter an der Großen Moschee vorbei bis an die Akropolis ersteckte, diente als innerurbane Hauptverkehrsachse, als Treffpunkt und Geschäftsstraße. Mehrere der Dispute, Gespräche und Beobachtungen, die Ibn Ḥawqal über Palermos Muslime festhielt, spielten sich hier ab, und auch einige der von ihm er­ wähnten Schulen scheinen auf oder nahe der ṣimāt gelegen zu haben.¹²⁰ Die Straße war gepflastert, und an ihrem unteren Ende, d. h. nahe dem Meerestor, sollen sich einige Metzger angesiedelt haben. Bis heute liegt dort rechter Hand vor dem Eintritt zur Stadt ein Markt, der den Namen Vucciria trägt. Dieses Toponym leitet sich aus dem (Alt-)Fran­ zösischen ab (von franz. boucherie, Metzgerei) und wurde popularwissenschaftlich als Beleg für eine Kontinuität der Raumnutzung bis in die lateinisch­christliche Zeit ge­ lesen. Weiter aufwärts sollen sich bei Ibn Ḥawqals Besuch Geschäfte, die Baumwolle feilboten, und die Läden der Wollkämmer angeschlossen haben.¹²¹ Die Märkte für Öl, Getreide, Gemüse und Obst, die Läden der Wechsler, Krämer und Schmiede, die Fischer und Fleischer, die Drogisten und Duftmacher fanden sich hingegen in den Vierteln au­ ßerhalb der alten Mauern im Süden der Stadt.¹²² Das „Book of Curiosities“ allerdings hält fest, dass innerhalb der alten Mauern die Getreidehändler, einige Metzger und die Obst- und Gemüseverkäufer ansässig gewesen seien.¹²³ Die ideale Ausdifferenzierung islamischer Märkte (arab. aswāq, Sg. sūq) nach Hand­ werk und Ware kann aus einigen Beschreibungen herausgelesen und mancherorts noch heute beschaut werden. Der Struktur lag ein Prinzip räumlicher Hierarchisierung zugrunde, d. h., dass die angeseheneren Waren oder Berufe im Zentrum angesiedelt waren. So sollten nahe dem religiösen Hauptort die Kerzen-, Duft- und Räuchermit­ telhändler sein, die Buchmacher, Lederhändler und Schuster. Auch die sogenannten qayṣarīya, wo Textilien wie Leinen oder Wolle verkauft werden, sollten sich ebenfalls in der Nähe der Hauptmoschee und / oder des Herrscherpalastes befinden. Dann würden die Tischler, Schlosser, Kupfergefäßproduzenten und weiter außerhalb die Schmiede folgen. Außerhalb der Tore werden die Viktualien, Wollhändler und Korbmacher loka­ lisiert. Geruchsintensives oder Schmutz erzeugendes Handwerk wie Färber, Gerber und schließlich Töpfer sollten weiter entfernt vom Zentrum sein.¹²⁴ Diese Cluster und ihre Anordnung gelten beispielsweise in der idealen Aufteilung nach Grunebaum als ‚ty­

120 Vgl. den Hinweis auf einen anderweitig nicht belegten ʿĪsā b. Matar, Lehrer einer Schule, die zu einer Moschee des nicht näher bekannten Ibn Zuhrī an der ṣimāt führte; vgl. I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 127; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 126; weitere Beobachtungen zum Geschäft des Ibn Anṭaqī an der ṣimāt ebd., S. 128/127 f. 121 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 120; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118. 122 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119. I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118. 123 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 144 f. (arab.), 457 (engl.). 124 Diese Auflistung findet sich bei G r u n e b a u m, Muslim Town, S. 146 f.

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pisch‘ für ‚islamische‘ oder ‚orientalische‘ Städte, wobei mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass eine räumlich­ordnende Organisation nach Berufs- und Handelsgruppen keine Eigenheit und sicher keine Erfindung ‚islamischer‘ oder ‚orientalischer‘ Städte ist¹²⁵ und zudem nicht für alle Städte zu jeder Zeit gelten kann. In Palermo lässt sich beispielsweise eine in dieser Weise klare, ‚ideale‘ Organisation der Märkte nicht feststellen. Ibn Ḥawqal zufolge waren innerhalb des alten Mauerrings die Metzger, Gefäßmacher und Schuster anzutreffen. Waren für den religiös­spirituel­ len oder intellektuellen Gebrauch, wie Kerzen, Öle, Düfte, Bücher, sind für Palermo nicht genannt. Auch Buchmacher und -händler werden in Palermo überhaupt nicht erwähnt, sodass der einzige Hinweis auf Geschriebenes und die Praktik des Schreibens die Papyruspflanzen sind, welche für die Verwaltung genutzt wurden. Die meisten von Ibn Ḥawqal aufgelisteten Märkte lagen zwischen dem Quartier des Ibn Siqlāb und dem Neuen Quartier. Hier nennt er die Ölverkäufer, dann die Mehlhändler, die Geldwechsler, die Apotheker, die Schmiede und (Klingen-)Polierer; weiter die Märkte der Weizenhändler, (Seiden-)Weber, Fischverkäufer, Getreideverkäufer, einige Metzger, Gemüse- und Obstverkäufer, die, die aromatische Pflanzen vertreiben, Gefäßmacher, Bäcker, Seilmacher, die Gemeinschaft der Parfümeure, Fleischer, Schuhmacher, Färber, Tischler und Töpfer. Die Holzverkäufer hätten sich dagegen weiter außerhalb der Stadt befunden.¹²⁶ Am stärksten waren angeblich die Fleischer vertreten, wobei durchaus denkbar wäre, dass Ibn Ḥawqal hiermit wieder die merkwürdige Besonderheit der Bewohner Palermos unterstreichen wollte. Die Märkte jedenfalls können als ein weiteres Indiz für die fortschreitende und anhaltende Urbanisierung Palermos hinsichtlich eines topographischen sowie demo­ graphischen Wachstums gesehen werden und außerdem Auskunft über die Verbin­ dungsrichtungen der Stadt geben. Diese scheint hinsichtlich wirtschaftlicher Aktivität stärker nach Süden hin orientiert gewesen sein, von wo aus die Landroute am Meer entlang gen Osten oder durch das Hinterland gen Süden genommen werden konnte. Um die südlich der alten Mauern gelegenen Märkte gruppierten sich auch Wohnge­ biete, die neue Quartiere wie die entsprechend benannte ḥārat al-ǧadīda (das neue Viertel) ausbildeten. Diese Bereiche wurden dezidiert als zur Stadt gehörig angesehen, und mit der Zeit erschien es offenbar notwendig, jene Gebiete ebenfalls mit Mauern zu umgeben. Nicht eindeutig zu klären ist, ob die Viertel zunächst einzeln ummauert oder gemeinsam umschlossen wurden. Die Bemerkung im „Kitāb al-ġarāʾib“, dass bei­ spielsweise ḥārat al-Ṣaqāliba „vor vierzig Jahren eine Mauer erhalten“¹²⁷ habe, könnte

125 Beispielsweise A b u ­ L u g h o d, Cairo, bes. S. 3–26. 126 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119 f., sowie zu den Märk­ ten auf der geraden Straße S. 122; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118, 121. 127 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, fol. 32B–33A, S. 138 (Karte A); Nr. 121, S. 136 (arab.), 464 (engl.).

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darauf hindeuten, dass dies zumindest zunächst quartiersweise geschah und zudem auch zu unterschiedlichen Zwecken erfolgte. Zu bedenken ist dabei, dass die Mauern im islamischen Recht die Stadt nicht nach außen zum Land und seiner Bevölkerung hin abgrenzten. Vielmehr konnten verschie­ dene extra­urbane Nuklei ebenso wie das unmittelbare Umland rechtlich als eindeutig zur eigentlichen Stadt gehörig betrachtet werden.¹²⁸ Wie bereits angedeutet reflektier­ ten islamische Rechtsgelehrte früh die Strukturen und Elemente idealer Städte. Neben (1) der Versammlungsmoschee gehörten auch (2) die Märkte als städtisches Wirtschafts­ zentrum, (3) die Wohnviertel, (4) die Stadtmauern sowie (5) extramurale Begräbnis­ stätten zu den wesentlichen Bestandteilen einer städtischen Ansiedlung. Verschiedene Zweige des islamischen Rechts entwickelten dabei das Konzept eines extraurbanen, zur Stadt dazugehörenden Raums, der Versorgung der Bevölkerung diente und so konstru­ iert sein sollte, dass alle religiösen Pflichten innerhalb dieses Raumes erfüllt werden könnten.¹²⁹ Hier fanden sich auch die Grabstätten, außerstädtische Gebetsplätze sowie Raum für landwirtschaftliche Aktivität in kleinerem Umfang wie Gartenbau oder Tier­ haltung. Über die Gärten und Wasserversorgung in diesem extraurbanen Bereich von Palermo machen Ibn Ḥawqal und das „Book of Curiosities“ unterschiedliche Aussagen: Ibn Ḥawqal zufolge gab es hier Bewässerungssysteme, Mühlen wurden betrieben und Gemüse angebaut. Der unbekannte Autor des „Kitāb al-ġarāʾib“ erwähnt jedoch keine dieser Tätigkeiten.¹³⁰ Denkbar wäre, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Veränderungen in diesem Bereich und der Produktionsweise der wirtschaftlichen Erträge eingestellt hatten. Zum einen dürfte dies durch die fortschreitende Urbanisierung, zum anderen aber auch durch anhaltende, militärisch geführte politische Konflikte in der Stadt erklärbar sein. Die Begräbnisplätze deuten ebenfalls auf städtische Ausdehnung hin: unmittelbar nördlich der Hafenbucht Palermos liegt die offenbar älteste muslimische Gräberstätte. In späterer Zeit finden sich Bestattungen südlich der Stadt am heutigen Corso dei Mille nahe dem Oreto / wādī ʿAbbās, und aus kalbidischer Zeit sind Gräber sogar jenseits des Flusses nachgewiesen.¹³¹ Diese Befunde könnten den anhaltenden Expansionsdruck in Richtung der dem Fluss zugewandten Teile Palermos anzeigen und darauf deuten, dass sich in den Jahrzehnten nach Ibn Ḥawqals Besuch bedeutende urbane Entwicklungen vollzogen.

128 Vgl. zu diesem Konzept grundlegend J o h a n s e n, All­Embracing Town. 129 J o h a n s e n, Contingency, S. 94–97. 130 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123; I b n H a u q a l, Con­ figuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 122; Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 142 (arab.), 459 (engl.). 131 Dazu B a g n e ra, Small Town, S. 68 und 84 f.; B a g n e ra / P e z z i n i, Cimiteri; M a n d a l à / U t r e r o Ag u d o, Iglesia; M o l i n a r i / C a r v e r / F i o r e n t i n o, Sicily in Transition.

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2.3.2 Neue Herrschaftssitze Eine Konstante der komplexen und konfliktreichen politischen Geschichte Siziliens stellt das ambivalente und empfindliche Verhältnis zwischen der Inselprovinz und dem Festland in Ifrīqiya dar. Noch bevor Sizilien vollständig von der muslimischen Eroberung durchdrungen war, brach die aghlabidische Herrschaft in Ifrīqiya bereits allmählich zusammen. Diese Destabilisierung kulminierte im Aufstieg der schiitischen Fatimiden, die 296/909 unter ʿUbayd Allāh al-Mahdī (297/909‒322/934) ein eigenes Kali­ fat ausriefen.¹³² Weil sich die neuen Machthaber im streng sunnitischen, stark von der malikitischen Rechtsschule beeinflussten Kairouan kaum etablieren konnte, gründeten sie auf einer kleinen Halbinsel zwischen Sousse und Sfax gelegen eine neue Residenzund Militärstadt namens al-Mahdīya – benannt nach ihrem Herrscher‒, von der aus das Land sowie das Meer dominiert werden konnten. Über die See weiteten die Fatimiden bald auch ihre neue Macht nach Sizilien aus, wobei sie auch die dortige Elite auszutauschen suchten.¹³³ Der neue, nach Palermo entsandte Statthalter wurde von der Bevölkerung aber ebenso wenig wie der nach ismailitischem Recht operierende qāḍī akzeptiert. Nachdem mehrere Versuche, einen fatimidischen Stellvertreter und mit ihm neue Steuerabgaben einzurichten, gescheitert waren, Rebellen in Palermo die Herrschaft an sich gerissen und mit ihren Schiffen sogar die nordafrikanische Küste angegriffen hatten,¹³⁴ sandten die Fatimiden im Sommer 304/916 schließlich eine Flotte nach Palermo, um die Stadt militärisch einzunehmen und zu beherrschen.¹³⁵ Die Führung oblag dabei Abū Saʿīd Mūsa b. Aḥmad al-Ḍayf. Früh kämpfte in Si­ zilien für die fatimidischen Kalifen auch das schlagkräftige Kontingent der Kutāma. Diese rekrutierten sich aus dem gleichnamigen Amazigh Stamm, der schon für den Machtgewinn und die Herrschaftsbehauptung der Fatimiden in Nordafrika als loyale Stütze gedient hatte. Nach sechs Monaten der Belagerung, in denen die bis dato wenig bewehrten Vorstädte Palermos in schwere Mitleidenschaft gezogen worden waren, ka­ pitulierte die sizilische Hauptstadt. Die Stellvertreter der Fatimiden zogen in Palermo ein und entmachteten den lokalen ǧund. Die Verschwörer wurden zunächst eingesperrt, und zwar in Gefängnisse, die sich im Bereich der Akropolis und damit bei der Herr­ scherresidenz befanden.¹³⁶ Auch wurden Befestigungsanlagen geschliffen und Waffen, Pferde sowie Gefangene nach Ifrīqiya verschifft. Unter diesen waren auch die Hauptverantwortlichen der Revolte, die in Ifrīqiya den Tod finden sollten. Namentlich hervorgehoben wird Aḥmad b. Qurhub, Kopf der

132 133 134 135 136

H a l m, Mahdi, S. 93‒132. Zur Herrschaftsetablierung der Fatimiden in Sizilien vgl. P e l l i t t e r i, Framework. H a l m, Mahdi, S. 164 und 167. I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, hg. von C o l i n / L é v i ­ P r o v e n ç a l, Bd. 1, S. 174 f. M a n d a l à, Martyrdom, S. 165 f. mit Anm. 51 und 52.

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Rädelsführer zwischen 300/913 und 304/916.¹³⁷ Alex Metcalfe zufolge könnte es sich bei diesem Ibn Qurhub um einen Vertreter aus demselben Stamm banū Qurhub gehandelt haben, zu dem auch der Eroberer Palermos, ʿUṯmān b. Qurhub, gehört hatte.¹³⁸ Dies würde vermuten lassen, dass die Mitglieder der Qurhub­Familie wohl traditionell loyale Verbündete im palermitanischen ǧund hatten. Vielleicht versuchte Aḥmad b. Qurhub, mit dem lokalen Militär in Palermo die Unabhängigkeit von Nordafrika zu erzwingen. Ibn ʿIḏārī berichtet nämlich, dass Aḥmad Schreiben mit dem abbasidischen Kalifen aus­ getauscht und daraufhin Unterstützung bzw. Legitimation aus Bagdad erhalten habe.¹³⁹ Die Aufständischen hätten somit der schiitischen Vorherrschaft widersprochen, indem sie ostentativ den Schutz der Abbasiden ersuchten. Wenige Jahre später kam es erneut zu Revolten gegen die Fatimiden. Aufstände wegen ihrer Besteuerungspraktiken begannen zunächst in Agrigent, breiteten sich von dort aus aber nach Palermo aus und führten zu einer Belagerung der Stadt vom Hinter­ land. Nachdem der Statthalter der Fatimiden erneut aus der Stadt vertrieben worden war, ließen sie unter Ḫalīl b. Isḥāq b. Ward im Frühling 326/937‒938 eine Zwingburg nahe dem Hafen von Palermo errichten.¹⁴⁰ Von hier aus konnte die pro­fatimidische Seite die Kontrolle über die Stadt zurückerlangen. Kurz darauf setzte der Imam­Kalif al-Qāʾim (322/934‒334/946) al-Haṣan b. Abī l-Ḥ usayn al-Kalbī (326/938‒342/954) als offi­ ziellen Stellvertreter der Fatimiden in Sizilien ein, aus dessen Familie bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts die lokalen Herrscher der Insel hervorgingen.¹⁴¹ Vor diesem Hintergrund erhält die eingangs dieses Kapitels besprochene Errich­ tung neuer Tore ebenso wie das Schleifen des bāb Ibn Qurhub besondere Bedeutung. Die Errichtung von Toren ist eine effektive Form der Kontrollausübung, die das Ab­ sperren ganzer Viertel mit relativ geringem personellen Aufwand möglich macht. Dass diese neuen Tore im Bereich der militärischen Distrikte lagen, weist einerseits auf die mächtige Stellung der darin lebenden Personengruppen und andererseits auf die fra­ gile fatimidisch­kalbidische Vorherrschaft hin. An dieser Stelle fällt auch der im „Book of Curiosities“ erwähnte neue Wachturm auf, was vermutlich auf eine Befestigung in der Gegend des bāb al-abnāʾ hindeutet.¹⁴² Der Kampf um die Vorherrschaft über Palermo und die neue Machtkonstellationen vor Ort stießen bedeutende Veränderungen in der Stadttopographie an, die offenbar

137 I b n ʿ I ḏ ā r ī, al-Bayān, hg. von C o l i n / L é v i ­ P r o v e n ç a l, Bd. 1, S. 168, 174 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 6, S. 619 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 295–297; BAS² (ital.), Bd. 1, S. 408–410. 138 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 47. 139 Ebd. Zur Revolte vgl. außerdem M a n d a l à, Nueva fonte. 140 H a l m, Mahdi, S. 254 f. 141 Zur fatimidischen Vorherrschaft in Sizilien vgl. u. a. M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 44‒69, und B ra ­ m o u l l é, Sicile; neue Einblicke in die spätere Zeit kalbidischer Herrschaft finden sich auch bei M a n d a l à, Martyrdom. 142 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 97, S. 137 (arab.), 465 (engl.).

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weitere räumliche Ausdifferenzierung bzw. Segregationen zur Folge hatten: Dies betraf neben den durch neue Tore kontrollierten Militärdistrikten im Besonderen auch die neue, am Hafen entstandene Festung, die dabei geholfen hatte, die Stadt Palermo in die Knie zu zwingen. Diese wurde mit dem Namen al-Ḫāliṣa (wörtl. die Erwählte oder die [der Herrschaft] Vorbehaltene) bedacht und stand in ihrer physischen Präsenz für die Abgrenzung und sichere Behausung einer umstrittenen Herrscherelite am urba­ nen Zentrum. Alle drei der mit den Fatimiden sympathisierenden Hauptquellen zur Topographie des muslimischen Palermos stellen das Viertel von al-Ḫaliṣa nicht expli­ zit in den Kontext politischer Machtkämpfe. Für Ibn Ḥawqal und al-Muqaddasī stellt al-Ḫāliṣa eine eigene urbane Entität dar, die als zweite Stadt bezeichnet wird. Bei der Beschreibung Siziliens im „Book of Curiosities“ wird al-Ḫāliṣa ebenfalls namentlich erwähnt, und auf dem nächsten Folium, das die Karte Siziliens darstellt, findet sich neben der kreisrund dargestellten Stadt Palermo ein mit Kuppel bekröntes Gebäude, das als „Kastell des sulṭān und seiner Bediensteten und seiner Sklaven“ beschriftet ist. Sulṭān steht dabei für die Macht und Autorität sowie denjenigen, der sie ausübt (siehe Abb. 5a–b).¹⁴³ Als Kastell (arab. qaṣr) habe die Anlage außerdem über eine eigene Moschee und Bäder sowie über Gebäude für das Militär und die Verwaltung verfügt, was al-Ḫāliṣa hinsichtlich ihrer Institutionen als eigene urbane Entität auszuzeichnen scheint. Be­ merkt wird auch, dass al-Ḫāliṣa eigens ummauert war, wobei diese Mauern Ibn Ḥaw­ qal zufolge „nicht mit denen Palermos zu vergleichen“ gewesen seien.¹⁴⁴ Diese Aussage spielt wohl auf die mindere Qualität oder schlicht die geringere Größe der Mauern an, was durch archäologische Befunde Bestätigung findet.¹⁴⁵ Die Anlage sei mit vier Toren an der nördlichen, südlichen und westlichen Seite versehen gewesen. Die östli­ che, zur See gelegene Mauer war ohne Durchlass. Obwohl Ibn Ḥawqal insgesamt die detailliertere Beschreibung Palermos hinterließ, fehlen in seinem Bericht die Namen der Stadttore. Sie lassen sich allerdings der Schilderung des al-Muqaddasī entnehmen (vgl. auch Karte 3). Der Reihe nach nennt er die Tore bāb al-bunūd (wörtl. Tor der Banner), bāb al-ṣināʿa (wörtl. Tor des Arsenals), bāb Kutāma (wörtl. Tor der Kutāma) und bāb al-futūḥ (wörtl. Tor der Eroberungen / Siege).¹⁴⁶

143 Ebd., Nr. 47, S. 464 (engl.), S. 139 (arab.). Zum Titel sulṭān und seiner Entwicklung vgl. K ra m e r s / B o s ­ w o r t h, Sulṭān. 144 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119; I b n H a u q a l, Confi­ guration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118. 145 P e z z i n i, Tratto. 146 A l - M u q a d d a s ī, Aḥsan al-taqāsīm, hg. von D e G o e j e, S. 231 f.; a l - M u q a d d a s ī, Best Divisions, übers. von C o l l i n s, S. 192.

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Abb. 5a: Karte Siziliens im anonymen „Kitāb al-Ġarāʾib al-funūn wa-mulaḥ al-ʿuyūn“.

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Abb. 5b: Karte Siziliens im anonymen „Kitāb al-Ġarāʾib al-funūn wa-mulaḥ al-ʿuyūn“, Detail mit al-Ḫāliṣa.

Die Stadttore von al-Ḫāliṣa unterscheiden sich in ihrer Namensgebung und damit verbunden hinsichtlich ihrer Funktion von denen Palermos. Sie weisen auffällige Ähn­ lichkeiten zu den fatimidischen Residenzstädten von al-Mahdīya (gegr. 300/912‒913), al-Manṣūrīya (gegr. zwischen 334/945 und 336/948) und der in Ägypten angesiedelten alMuʿizzīya al-Qāhira (gegr. 358/969‒359/970) auf. Angeschlossen an intakte urbane Zen­ tren dienten die für die Kalifen al-Mahdī (297/909‒322/934), al-Manṣūr (334/946‒341/ 953) und al-Muʿizz (341/953‒365/975) errichteten Anlagen als fester Herrschaftssitz, der auch ihre militärischen Stützen und den engeren Verwaltungsapparat einschloss. All diesen Residenzstädten sind topographische Marker gemeinsam, die bei einer Neu­ gründung imitiert und als Referenz verwendet werden konnten. So findet sich in alManṣurīya und al-Muʿizzīya jeweils ein Tor namens bāb al-futūḥ gegenüber von bāb Zawīla, wobei beide über eine Hauptstraße miteinander verbunden werden.¹⁴⁷ Zawīla ist der Name eines Ortes im Fezzan­Distrikt des heutigen Libyens, der zu fa­ timidischer Zeit ein wichtiger Umschlagplatz für den Transsaharahandel und vor allem

147 S ay y i d, Capitale S. 103‒106, 397‒431; H a l m, Mahdi, S. 167, 198 f., 367‒370.

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für den Handel mit schwarzen Sklaven war. Aus dieser Region rekrutierten die Fatimi­ den Männer für ein militärisches Kontingent, Zawīla genannt, das die Kalifen treu und tapfer unterstützte. Die Erwähnung von Zawīla in Form eines Stadttors (und ihre dort wohl zu verortende Stationierung) symbolisiert damit ein bedeutendes politisches In­ strument fatimidischer Machtsicherung. In Verbindung mit dem bāb al-futūḥ erinnerte es an die siegreichen Fatimiden und ermöglichte durch die räumliche Verbundenheit die rituelle Inszenierung ihrer Herrschaft. In diesem Kontext spielten die Zawīla­Gar­ den auch eine tragende Rolle im Zeremoniell der Imam­Kalifen, und die Prozession durch eben jene Tore gehörte zum Wesen der fatimidischen Residenzstadt.¹⁴⁸ In Palermo, genauer gesagt in al-Ḫāliṣa, wurde damit durch Toponymie und To­ pographie ein direkter Bezug zur Oberherrschaft der Imam­Kalifen über Sizilien her­ gestellt.¹⁴⁹ Als Kastell an die Provinzhauptstadt Palermo angeschlossen unterschied sich al-Ḫāliṣa von den kalifalen Städten zwar hinsichtlich ihrer ideell­repräsentativen Bedeutung, was auch an den klangvollen Namen der kalifalen Residenzstädte deut­ lich wird. Diese leiten sich als feminine Nisbe von den Namen der Kalifen al-Mahdī, al-Manṣūr und al-Muʿizz ab und stellen somit eine direkte Zugehörigkeit zu diesen Herrschern her bzw. zeichnen diese Kalifen als Gründer aus. Auch die Größe und Komplexität der Anlage von al-Ḫāliṣa konnten nicht mit den kalifalen Palastanlagen mithalten. Im Kleinen lassen sich dennoch einige Raumreferenzen finden, die in alḪāliṣa auf die kalifalen Idealstädte verweisen. So lagen bāb al-futūḥ und bāb Kutāma einander wahrscheinlich gegenüber, hier an der südlichen und nordwestlichen Mauer, und beide Tore waren wohl ebenfalls durch eine zentrale Straße miteinander verbun­ den, sodass sie als Eingangs- und Ausgangspunkt zur Anlage dienten.¹⁵⁰ Die tragende militärische Stütze der Zawīla ist in al-Ḫāliṣa durch die Kūtama ersetzt, die wie oben erwähnt für die Machtergreifung der Fatimiden in Sizilien von zentraler Bedeutung gewesen waren. Es wird vermutet, dass auch die Tore von al-Ḫāliṣa in Rituale und Prozessionen einbezogen waren. Alessandra Bagnera hat die These aufgeworfen, dass man von alḪāliṣa kommend das Meerestor durchschreiten und so das Stadtzentrum Palermos erfassen konnte, beispielsweise indem man hin zur Hauptmoschee oder einem Gebets­ platz (arab. muṣallā), der in der Nähe des bāb al-baḥr vermutet wird, schritt.¹⁵¹ In

148 In diesem Kontext prägte die amerikanische Historikerin Paula Sanders in ihrer Arbeit zum fatidi­ mischen Kairo den Begriff „ritual city“; S a n d e r s, Ritual. Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes findet sich in den Forschungen Jenny Oesterles, welche die Bedeutung der Prozessionen als Kommunikations­ form in transkultureller Perspektive diskutiert; vgl. u. a. O e s t e r l e, Kalifat, hier S. 306‒311. 149 H a l m, Mahdi, S. 305‒307, 367‒372; d e r s ., Kalifen, S. 18‒25, 362‒369. 150 Die Verortung der Tore im modernen Stadtbild stammt zunächst von Michele Amari; ihm folgte die Darstellung von Columba, doch legen aktuelle Forschungen nahe, dass beide die Dimensionen über­ schätzt zu haben scheinen. Dazu C o l u m b a, Topografia, hier S. 401; neuere Grabungsergebnisse bieten S p a t a f o ra / C a n z o n i e r i, Al-Khāliṣa; A r d i z z o n e / P e z z i n i / S a c c o, Scavo. 151 Vgl. B a g n e ra, Small Town, S. 76; P e z z i n i, Madīnat.

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kalbidischer Zeit wurde das Meerestor als Schwellenpunkt bzw. als Ein- und Ausgang zur Stadt Palermo mit Inschriften versehen, die allerdings nur in Zeichnungen über­ liefert und kaum zu entziffern sind (siehe dazu unten Kap. II.3.1.3).¹⁵² Dass Inschriften wohl auch die Befestigung der al-Ḫāliṣa verzierten, lässt ein Stück Mauer vermuten, das in der Via Parlamento aufgefunden wurde und damit wohl zu den nordwestlichen Mauern der Zitadelle gehörte.¹⁵³ Die Tore bāb al-bunūd und bāb al-ṣināʿa deuten auf die militärische Ausstattung der Anlage. Die Frage, ob sich das Arsenal innerhalb der al-Ḫāliṣa oder außerhalb befunden habe, wird von Ibn Ḥawqal und dem anonymen Autor des „Kitāb al-ġarāʾib“ unterschiedlich beantwortet.¹⁵⁴ Anhand archäologischer Befunde lassen sich nördlich des al-Ḫāliṣa-Komplexes an der Hafenbucht, in etwa auf der Höhe des Palazzo Steri, Strukturen und Keramiken aus der Phase muslimischer Herrschaft nachweisen.¹⁵⁵ Es ist allerdings unklar, welche Funktionen eine Vorgängerstruktur übernommen haben könnte und ob diese in Zusammenhang mit der Sicherung des Hafens stand. Wie das „Book of Curiosities“ veranschaulicht, war der Hafen offenbar mit zwei Türmen bewehrt, die als qaṣr al-silsila (wörtl. Kastell der Kette) bezeichnet wurden. Der spre­ chende Name der Wehrtürme verweist auf eine Kette, die den Hafen absperrte.¹⁵⁶ Das Arsenal ist auf der Karte Siziliens zwischen den beiden Wehrtürmen platziert (siehe oben Abb. 5a sowie Karte 3 im Anhang). Während eine solche Wehranlage für das spätere normannisch­staufische castel­ lum maris nördlich der Hafenbucht Palermos schon länger vermutet wurde, ist auf der gegenüberliegenden Seite von einem Pendant hinter der Piazza Marina auszugehen, die damals noch einen Teil der Buch bildete.¹⁵⁷ Hier verzeichnet der „Kitāb al-ġarāʾib“ das Arsenal außerhalb von al-Ḫāliṣa, welches aber gemeinsam mit dem Kastell der Kette wahrscheinlich von al-Ḫāliṣa aus kontrolliert werden konnte und eventuell so­ gar in die Befestigungsanlage von al-Ḫāliṣa eingebunden war. Al-Idrīsī zufolge, der im 12. Jahrhundert über die damals bereits aus dem Stadtbild verschwundene al-Ḫāliṣa

152 Michele Amari will hier das Jahr 360/970 gelesen haben; vgl. A m a r i, Storia, Bd. 2, S. 303. 153 B a g n e ra, Small Town, S. 81 mit Anm. 90. 154 Ibn Ḥawqal vermutet das Arsenal innerhalb der al-Ḫāliṣa; vgl. I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118; Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. [102], S. 137 (arab.), 456 (engl.). 155 B a g n e ra, Small Town, S. 81. 156 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 101 und 103, S. 137 (arab.), 465 (engl.). Die Kämpfe im Hafenbecken waren auch in der Schilderung des Prokop entscheidend, weil sich die Angreifer so den scheinbar unbezwingbaren Mauern nähern und sie in einem Belagerungsturm (griech. δρομών) bezwin­ gen konnten. Diese Art des Belagerungsturms ist auch aus den Schilderungen der Einnahme Jerusalems bekannt, kann aber schon weit früher im oströmischen Reich nachgewiesen werden; vgl. P r y o r / J e f­ f r e y s, Age, S. 64, 177, 225, 324. 157 Zur Archäologie des Palazzo Chiaramonte­Steri vgl. C a n z o n i e r i, Lo Steri; S p a t r i s a n o, Lo Steri; S p a t a f o ra / C a n z o n i e r i, Impianto artigianale.

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schreibt, konnte man von dort das Arsenal am Hafen und auch das Meerestor kontrol­ lieren.¹⁵⁸ Von einem topographisch­strategischen Gesichtspunkt aus verdeutlicht dieser Hinweis, dass al-Ḫāliṣa ursprünglich als eine Zwingburg fungierte, die die Macht über die aufbegehrende Stadt sichern sollte. Anzunehmen ist überdies, dass al-Ḫāliṣa auch als Sitz der kalbidischen Adminis­ tration diente, wo die Steuerlisten sowie die Registratur archiviert wurden, von der bisher allerdings keine Dokumente aufgetaucht sind.¹⁵⁹ Zu bedenken ist außerdem, dass sich die Raumnutzung der Zitadelle bei Bedarf wohl rasch verändern oder auch Mehrfachfunktionen annehmen konnte. So schloss Ibn Ḥawqal Handelsaktivitäten in al-Ḫāliṣa noch aus und nahm sie als überwiegend abgegrenzte Einheit wahr, während al-Muqaddasī einige Jahre später berichtet, dass auch hier Handel stattgefunden habe. Vielleicht deutet dies darauf hin, dass sich die Funktion dieser Anlage und damit die Be­ dürfnisse der darin zunächst verschanzten Herrscherelite innerhalb jener zehn Jahre, die zwischen den beiden Beschreibungen liegen, verändert hatte. Dies würde vielleicht auch erklären, warum Ibn Ḥawqal keine Namen der Tore zu berichten wusste, obwohl er seine Informationen über Palermo aus erster Hand, teils sogar aus Unterhaltungen mit einem Mitglied der Kūtama, erhielt. So könnte sich die Anlage zu einer repräsen­ tativen Raumnutzung hin entwickelt haben, aus der die Kalbiden auch austreten und weitere urbane Räume erschließen konnten. In der Tat blieb die Feste von al-Ḫāliṣa nicht die einzige ausgedehnte neue Bau­ struktur, die mit der kalbidischen Herrschaft in Palermo in Zusammenhang zu bringen ist. Um die Jahrtausendwende lässt sich eine erneute Expansion in das besiedelte Um­ land Palermos erkennen, die bis auf die andere Seite des wādī ʿAbbās ausgriff und nicht nur als Wohnviertel, sondern auch als herrscherliche Residenz zu deuten ist. Das „Book of Curiosities“ verortet hier ein ganzes Quartier namens al-Ǧaʿfarīya, das 50 Jahre vor dem Entstehungszeitpunkt der Quelle errichtet worden sei und aus 10 000 Häusern bestandan habe.¹⁶⁰ Das Toponym ist auch als Nisbe, und zwar in Anlehnung an den Namen Ǧaʿfar, gebildet. Das Viertel dürfte somit auf gezielte Raumproduktion im Sinne einer dezidiert gewollten bzw. geplanten Gründung verweisen. Aus der kalbidischen Zeit lassen sich mehrere Herrscher mit dem Namen Ǧaʿfar nachweisen, unter denen Ǧaʿfar b. Yusūf bekannt ist für seine lange und offenbar erfolgreiche Herrschaftszeit zwischen 388/998‒410/1019. In diese Phase fällt auch ein gewisser Anspruch der Kalb­ iden auf Unabhängigkeit der mittlerweile in Kairo residierenden Fatimiden. Schon Michele Amari identifizierte diesen Herrscher namens Ǧaʿfar als Schöpfer des extraur­

158 A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 591. 159 M e t c a l f e, Language, hier S. 8–11. 160 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 142 (arab.), 459 (engl.).

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banen Palastes,¹⁶¹ der circa zwei Kilometer vom Ufer des wādī ʿAbbās entfernt an einer Süßwasserquelle namens fawwāra (wörtl. Quelle) angelegt worden war.¹⁶² Die Frage, ob es sich bei diesem Palast um den Vorgängerbau des Palazzo della Favara Rogers II. handeln könnte (siehe Karte 6 im Anhang), war in der Forschung lange umstritten.¹⁶³ Durch archäologische Grabungen der letzten Jahre konnte nun nachgewiesen werden, dass der normannische Palast wirklich auf einem islamischen Vorgängerbau fußt, der wiederum Fundamente der oströmischen und sogar römisch­ hellenistischen Zeit aufweist. Adalgisa de Simone merkt allerdings an, dass gleichwohl nicht mit Bestimmtheit gesagt werden könne, ob dem Kastell Ǧaʿfar eine rein resi­ denziale oder auch militärische Funktion zukam.¹⁶⁴ Relevanter als die Klärung dieser ohnehin kaum getrennt voneinander zu denkenden Aspekte von Wohn- und Wehr­ anlage ist der Umstand, dass die Topographie dieses Gebietes darauf hindeutet, dass sich das südöstliche Palermo jenseits des Flusses wādī ʿAbbās seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert zu einem neuen politischen und repräsentativen Zentrum entwickelte. Gleichzeitig erscheint laut dem „Book of Curiosities“ im Norden der Stadt, etwa auf Höhe des bāb Rūṭa und damit in der Gegend der ḥārat al-Ṣaqāliba ein weiteres Viertel, das mit Ǧaʿfar in Verbindung gebracht wird. Es trägt den Namen ḥārat al-Tāǧī (wörtl. Viertel des Tāǧ), was auf den Ehrentitel tāǧ al-dawla (Krone der Regierung) hinweisen könnte, den der kalbidische Emir vom fatimidischen Kalifen erhalten hatte.¹⁶⁵ Die Po­ sition des Viertels, der Hinweis auf Ummauerung und die Darstellungsweise werfen die Frage auf, um was für eine Art von Ansiedelung es sich handelte. Dem Aussehen nach wird es in der gleichen Weise präsentiert wie Viertel mit militärischer Bedeutung. Die Verortung im westlichen Hinterland würde es aber auch für landwirtschaftliche Zwecke sowie zum Wohnen nicht unattraktiv erscheinen lassen. Die Herrschaft des Ǧaʿfar wurde häufig als kulturelle Blütephase bezeichnet. Auf der Grundlage topographischer Beobachtungen bzw. Palermo erfassender Raumkon­ zepte zeigt sich aber, dass diese Annahme nur für einige Teile der Stadt bzw. des städtischen Umlands gültig sein kann, wohingegen andere Gebiete verstärkt von inter­ nen Konflikten geprägt waren und bald auch eine zunehmende Bedrohung von außen erlebten. Die Entstehung neuer Viertel unter den Kalbiden, der Ausbau von Befes­ tigungsstrukturen im Bereich der Paleopolis und in einigen älteren Vierteln können damit auch als Merkmale eines beschleunigten Spaltungsprozesses in Sizilien gedeutet werden. Trotz oder gerade wegen wiederholter Revolten gegen die fatimidisch­kalbidi­ sche Vorherrschaft konzentrierten sich die Kalbiden bei der Festigung ihrer Position

161 A m a r i, Storia, Bd. 2, S. 350. 162 Für eine neuere Aufarbeitung vgl. D e S i m o n e, Enigma. 163 M e i e r, Königspaläste, S. 54–60; G o l d s c h m i d t, Königspaläste, hier S. 555 f., Anm. 19. 164 D e S i m o n e, Enigma, S. 73‒94. 165 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 122, S. 136 (arab.), 465 (engl.) mit Anm. 97; M a n d a l à, Mar­ tyrdom, S. 42.

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stark auf die Hauptstadt (oder Teile davon), sodass auf diese Weise ein gewisser Bruch zwischen dem Zentralort der Insel und dem Rest Siziliens verstärkt wurde oder zu­ mindest sichtbar hervortrat. Auffällig ist in diesem Kontext außerdem die Position religiöser Minderheiten, ins­ besondere der Christen, die im „Kitāb al-ġarāʾib“ weit entfernt von den Stadtmauern verortet werden. Auf der Sizilienkarte findet sich rechts unterhalb der Hauptstadt ein Viertel, das als „ḥāra tuʿrafu bi-kanīsat al-furūḥ (Viertel bekannt als die Kirche des Jubels)“ bezeichnet wird und als bevölkerungsreich und gedeihend galt. Abgegrenzt ist es visuell mit einer feinen roten Linie, wobei der Zusatz, das Viertel habe eine eigene Mauer besessen, fehlt.¹⁶⁶ Unmittelbar angeschlossen ist diesem Viertel eine weitere ḥāra, die mit dem Namen „Graben des tiefen Grundes (ḥufra ġullān)“ identi­ fiziert wird.¹⁶⁷ Interessant ist hinsichtlich des Zusatzes ḥufra, dass mehrere der alten palermitanischen Kirchen entlang des Kemonia in späterer Zeit mit dem Beinamen „chufra“ in Verbindung gebracht werden, wie S. Michele Arcangelo und S. Nicolò dei Greci. Die auf der Karte bezeichneten Viertel müssten zwar deutlich entfernt vom Ke­ monia zu verorten sein, aber ḥufra könnte anzeigen, dass sie ebenfalls an den Ufern eines Flusses oder Baches lagen. Die Lokalisierung der Viertel ist unklar, aber der Verweis auf ein bedeutendes christliches Viertel extra muros, dessen Kirche offenbar prägend und namensgebend war, erhält Bedeutung im Kontext von interreligiösen Spannungen im kalbidisch domi­ nierten Palermo, wobei sich die Christen seit etwa 1000, genauer gesagt während der Herrschaft des Ǧaʿfar in Sizilien und des Fatimidenkalifen al-Ḥākim (386/996–411/1021), vermehrt dem Druck durch die muslimische Obrigkeit ausgesetzt sahen.¹⁶⁸ Wuchsen in dieser Zeit Quartiere der christlichen Bevölkerung außerhalb des Stadtkerns bzw. im palermitanischen Hinterland zu Bedeutung heran? Interessant ist das Viertel kanīsat al-furūḥ außerdem im Zusammenhang mit der späteren normannischen Eroberung, wenn die Behauptung aufgestellt wird, dass ein vor den Mauern der Stadt prakti­ zierender Kirchenmann von den Belagerern aufgefunden und nach Palermo geführt worden war, um dort den christlichen Gottesdienst zu feiern (siehe unten Kap. II.1.2.1).

166 Ebd., Nr. 136, S. 136 (arab.), 466 (engl.) mit Anm. 109. 167 Ebd., Nr. 136, S. 136 (arab.), 466 (engl.) mit Anm. 110. 168 Zu dieser Phase einschlägig M a n d a l à, Martyrdom.

3 Aufspaltung und Übernahme 3.1 Interne Konflikte: Wahrnehmungen einer Hauptstadt 3.1.1 Regionale Aufspaltung In Opposition zu Ǧaʿfar lehnten sich die Palermitaner 410/1019 auf und wählten sei­ nen Bruder Aḥmad b. Yūsuf al-Aḫal (410/1019‒427/1036) zu ihrem Vorsteher, unter dessen Herrschaft die politische Situation der Kalbiden auf Sizilien jedoch erheblich destablisiert wurde. Dabei kam es noch während der ersten Hälfte des 11. Jahrhun­ derts innerhalb Palermos mehrfach zu ausgeprägten militärischen Konflikten. Diese konzentrierten sich wieder auf die Feste von al-Ḫāliṣa, die gleichsam die ungeliebte kalbidisch­fatimidische Vorherrschaft symbolisierte, weil von hier aus die Kontrolle sowohl über die Stadt als auch den Hafen ausgeübt werden konnte. Ihren Höhepunkt erreichten diese Spannungen, als die Zitadelle mit Unterstützung ziridischer Flotten aus Ifrīqiya in den 1030er Jahren belagert wurde.¹ Die Ziriden waren ein Amaziɣ­Stamm, der – ähnlich wie die Kūtama – den Fatimiden bei ihrem Aufstieg als Verbündete ge­ dient hatte. In Ifrīqiya wurden sie nach der fatimidischen Übersiedelung nach Kairo als Statthalter eingesetzt und entwickelten dort bald eigene Interessen, die dazu führ­ ten, dass sie die Macht in Ifrīqiya übernahmen und ihren Einfluss sogar nach Sizilien auszudehnen begannen. Al-Aḫal erbat in seiner Not offenbar oströmische Unterstüt­ zung, mit der die Belagerung zunächst gebrochen werden konnte. Doch als sich diese wieder zurückzogen, wurde die Festung von al-Ḫāliṣa bezwungen und al-Aḫal sowie hunderte Männer mit ihm getötet. Viele Menschen seien dann nach Ifrīqiya geflohen. In Palermo übernahm 427/1035 ʿAbd Allāh, ein Sohn des Ziridenherrschers al-Muʿizz b. Bādīs (407/1016‒454/1062), die Macht, bis dieser um 410/1040 von einem Kalbiden na­ mens al-Ḥasan Ṣamṣām al-Dawla ersetzt wurde, der ein Bruder von Ǧaʿfar und al-Aḫal war.² Die Intervention oströmischer und ziridischer Flotten in Palermo zeigt nicht nur einen kritischen Punkt innersizilischer Dynamiken an, sondern auch, dass der Stadt eine herausragende Rolle im politischen sowie im wirtschaftlichen Gesamtgefüge des zentralen Mittelmeerraumes zukam. Auch der „Kitāb al-ġarāʾib“, der während der poli­ tischen Desintegration Siziliens entstanden sein dürfte, zeigt diese Bedeutung Palermos

1 A b ū l - F i d ā ʾ, Muḫtassar, hg. von a l - B a š a r, Bd. 2, S. 201; A b ū l - F i d ā ʾ, Muḫtassar, in: BAS² (arab.), Bd. 2, S. 97 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 8, bes. S. 436; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (ital.), Bd. 1, S. 443‒449. Möglicherweise berichtet auch der Brief eines palermitanischen Juden aus der Kairoer Geniza über dieses Ereignis, der eine Belagerung Palermos und den „König von Konstantinopel“ erwähnt; vgl. Cambridge T-S NS 149.1; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 50, S. 66‒69. Die Datierung des Dokumentes ist jedoch sehr umstritten; vgl. u. a. Z e l d e s, Genizah Letter. 2 I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 8, bes. S. 436. https://doi.org/10.1515/9783110773262-005

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eindrücklich. Hier ist die gesamte Geographie der Insel um die Hauptstadt Palermo kon­ zentriert, die mittig, rund und überdimensional dargestellt ist und mit ihren Vorstädten und umliegenden Quellen einen großen Teil der gesamten Karte einnimmt (siehe oben Abb. 5a). Die Karte Siziliens im sogenannten „Book of Curiosities“ visualisiert damit ein Bild von Palermo, das sich in den arabischsprachigen Quellen schon recht bald nach der Niederlassung der Muslime in der Stadt finden lässt, nämlich die Zentralität Palermos, die als so bedeutend eingeschätzt wurde, dass sie sogar begrifflich für die Insel Sizilien als solches stehen konnte. Neben Balārm / Balarm, was der arabisierten Form des griechischen Toponyms von Πάνορμος entspricht, wurde die Stadt häufig als al-madīnat al-Ṣiqilliya (wörtl. die Stadt Siziliens) oder schlicht als al-madīna (wörtl. Stadt) bezeichnet. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass die Verwendung von al-madīna das Bild einer heiligen, islamischen Stadt evozieren konnte. Als solche erscheint Palermo in den Versen des Ibn Šaddāt, wenn er die Stadt mit den Worten besingt: „O, Schwester von al-Madīna [das meint hier die Prophetenstadt Medina im Hedschas], die ihren Namen mit kei­ nem anderen Land teilt … Allāh hat Deinen Namen geheiligt“.³ Daneben wird auch der Begriff Ṣiqilliya verwendet, was Sizilien bedeutet, oft aber nur auf Palermo rekurriert. Durch diese Synekdoche wird die Stellung und Bedeutung der Stadt für das Gesamtge­ füge Siziliens als totum pro parte verdeutlicht.⁴ Auch versuchten arabisch­islamische Gelehrte, das Toponym der Insel etymologisch in einer Weise zu erklären, die es wei­ ter religiös auflud: So setze sich Ṣiqilliya aus den griechischen Wörtern συκῆ (Feige) und ἐλαῖα (Olive) zusammen. Beide Früchte weisen deutliche Bezüge zum Koran auf, weil sie in den drei Schwüren der ersten drei Verse der 95. Sura „al-tīn“ (wörtl. die Feige) auftauchen.⁵ Solche sprachlichen Bedeutungszuschreibungen spiegeln die Sym­ bolik der Hauptstadt wider und zeigen an, dass die dem Raum zugeschriebene und wahrgenommene Bedeutung semantisch konzeptualisiert und reflektiert wurde. Der „Kitāb al-ġarāʾib“ deutet neben Palermos Zentralität aber auch eine Bedrohung von außen an. Der Autor unterstreicht, dass sich die Insel im anhaltenden Kampf oder ǧihād gegen christliche Feinde befände.⁶ In der Tat wurde Sizilien, nicht lange nach­ dem eine oströmische Flotte die Verteidigung Palermos gegen die Ziriden unterstützt hatte, von einem oströmischen Feldherrn namens Georgios Maniakes angegriffen. Ei­ gentlich hatte Maniakes den Auftrag von Kaiser Michael IV. (1034–1041) erhalten, die Städte Apuliens gegen die mittlerweile in Süditalien eingetroffenen Söldner aus der

3 I b n Š a d d ā t, Diwān, in: BAS² (arab.), Bd. 1, S. 350 f.; D e S i m o n e, Palermo nei geografi, S. 136, 138. 4 D e S i m o n e, Palermo nei geografi, S. 133–135. 5 Vgl. P a r e t, Koran, S. 432 f.: „Beim Feigenbaum und beim Olivenbaum, beim Berg Sinai, und bei diesem sicheren Ort!“; Chronologisch­literaturwissenschaftlicher Kommentar zum Koran, hg. Berlin­Branden­ burgischen Akademie der Wissenschaften, URL: https://corpuscoranicum.de/kommentar/index/sure/95/vers/1 (14. 8. 2023). 6 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 145 (arab.), 457 (engl.).

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Normandie zu schützen. Doch bald darauf zog Maniakes von dort über Kalabrien nach Sizilien – die Haltung der Führung in Konstantinopel zu diesem Vorgehen bleibt un­ eindeutig. Im Heer des Maniakes befand sich nun auch eine Truppe von mehreren Hundert normannischen Kämpfern, die von Wilhelm Eisenarm befehligt wurde.⁷ Der bemerkenswerte Erfolg des Maniakes im Osten der Insel zeigt Alex Metcalfe zufolge nicht nur das Ende einer zentral gefestigten, muslimischen Herrschaft und die Aufspal­ tung in konkurrierende Teilreiche in Sizilien an, sondern auch, dass die Bevölkerung im sizilischen Osten dem Eroberer zulief, was dafürspräche, dass die griechisch­christ­ lichen Gemeinden hier besonders stark geblieben waren.⁸ In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass auch die sogenannten nor­ mannischen Eroberungschroniken für diese Kampagne ein Überdauern christlicher Fundamente andeuten. So sei es Wilhelm Eisenarm gewesen, der den Führer der Stadt Syrakus, den die lateinische Chronik des Malaterra als archadius (von arab. al-qāʿid) identifiziert, mit einem Schlag in zwei Teile gehauen hatte – eine Tat, die ihm Bewun­ derung und Ansehen bei den Griechen sowie den Siziliern beschert haben soll.⁹ Nach der Beseitigung des muslimischen Anführers habe sich dann Amatus von Montecassino zufolge ein alter Christ mit weißem Haar einem Normannen offenbart und ihn zum Grab der heiligen Lucia geführt. Diese ist, wie die heilige Agatha, eine weitere sizilische Heilige, deren Kult, so will es auch diese Episode, die Zeit der muslimischen Herrschaft überstanden hatte. Der Sarg der Heiligen, die frisch wie am Tag ihrer Beisetzung ge­ wesen sei,¹⁰ wurde geöffnet und mit Silber befüllt nach Konstantinopel gesandt.¹¹ In dieser Erzählung über das erste normannische Handeln auf Sizilien, das in der ehemaligen oströmischen Provinzhauptstadt der Insel spielt, beseitigte Wilhelm Ei­ senarm auf einen Schlag die ‚unrechte‘ muslimische Herrschaft, während ein weiterer Normanne zur Wiederentdeckung der christlichen Fundamente der Insel beitrug – bei­ des verheißungsvolle Taten für das Narrativ einer normannischen Eroberung Siziliens. Der unversehrte Körper der heiligen Lucia entspricht dabei einem hagiographischen Topos, birgt aber auch eine gewisse politische Dimension, indem eine Anknüpfung an

7 I o a n n i s S k y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, ΜΙΧΑΗΛ Ο ΠΑΦΛΑΓΩΝ, cap. 20, S. 405–407; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, S. 381‒383; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 2, cap. 8, S. 275 f. 8 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 82. 9 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 7, S. 150‒153, hier S. 153. 10 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 2, cap. 9, S. 276. 11 Ebd. Zur Auffindung der Heiligen in Syrakus vgl. auch die Chronica monasterii Casinensis, lib. 2, cap. 66, S. 298 f.; G a ra n a, Santa Lucia. Aus Konstantinopel sollen die Reliquien der heiligen Lucia 1204 von den Venezianern geraubt und folgend in die Kirche S. Lucia überführt worden sein, bis diese im 19. Jahrhundert dem venezianischen Hauptbahnhof weichen musste. Die Gebeine wurden anschließend in die Kirche S. Geremia gebracht; vgl. B e r t o l i, Corpo. Die normannische Kirche S. Lucia al Sepolchro in Syrakus wurde unter König Wilhelm I. der Kathedrale von Cefalù vermacht; vgl. Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, S. 123.

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die christliche Zeit vor der muslimischen Eroberung hergestellt wird. Dieses Motiv oder Argument wird auch für die Herrschaftsetablierung der Normannen und der späteren Könige Siziliens ein wichtiges bleiben. Weil Maniakes die normannischen Kämpfer nicht gut behandelt und ihnen ihren Lohn nicht ordnungsgemäß ausgegeben habe, hätten sie sich aus dem Unternehmen zu­ rückgezogen.¹² Der Schwerpunkt ihrer Eroberungsbemühungen konzentrierte sich für die folgenden Jahrzehnte zunächst ganz auf das süditalienische Festland, genauer ge­ sagt auf die lukanische Ebene und Apulien (siehe dazu Kap. II.1.1). Die ohnehin unklaren politischen Verhältnisse in Palermo korrelieren mit einer weitgehenden Quellenarmut dieser Zeit. Aus den spärlichen arabischsprachigen Quellen kann jedoch rekonstruiert werden, dass sich Sizilien spätestens ab der Mitte des 11. Jahrhunderts in vier Teilbe­ reiche aufspaltete, die bisweilen in Analogie zu den nach der Auflösung des Kalifats von Córdoba entstandenen Herrschaftsgebieten als ṭāʾifa (wörtl. Parteiung, Gruppe; Pl. ṭawāʾif) bezeichnet werden.¹³ Ein gewisser ʿAbd Allāh b. Mankūt übernahm die Macht über die westlichen und südwestlichen Gebiete von Trapani, Marsala, Mazara und Sciacca; Ibn al-Ḥawwās be­ herrschte offenbar Agrigent, Castrogiovanni und Castronovo; die Herrschaft in Cata­ nia hatte ein Ibn al-Maklātī inne, der allerdings ermordet wurde. Diesem folgte Ibn al-Ṯumna, der zunächst Catania dominierte und vielleicht sogar Palermo für sich bean­ spruchte. Doch weil die Quellenlage so dürftig ist und Palermo in dieser Unterteilung der sizilischen ṭawāʾif scheinbar nicht vorkommt, ist die Forschung lange davon aus­ gegangen, dass die Stadt ihre führende Stellung unter den anderen urbanen Zentren Siziliens verloren hatte.¹⁴ Allerdings enthalten die lateinischen Chroniken zur norman­ nischen Eroberung wiederholt Hinweise auf Palermo, die eine andere Interpretation erlauben und stattdessen die anhaltende Bedeutung der Stadt als Zentralort Siziliens betonen.

3.1.2 Zentraler Machtverfall Die „grant cité“ von Palermo und Ibn al-Ṯumna Die lateinischen Eroberungsberichte erwähnen die Stadt Palermo zum ersten Mal, kurz bevor sie beschreiben, wie die normannischen Brüder Robert Guiskard und Roger I. in Sizilien landen. In der „Ystoire“ schreibt Amatus von Montecassino, dass Robert Guis­ kard entschlossen gewesen sei, Sizilien zu erobern, seitdem er 1059/1060 in Reggio zum

12 G a u f r e d u s M a l a t e r ra. De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 8, S. 154‒157. 13 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 83 f. 14 Vgl. die Meinung von N e f, Islamic Palermo, S. 49: „it was at the end of the 1030s that Palermo’s role as a capital of Sicily came to an end“.

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Herzog ernannt worden war.¹⁵ Er sei jedoch nicht bereit gewesen, einen Angriff zu star­ ten, bevor nicht Gott seine Zustimmung zum Unternehmen signalisiert hätte.¹⁶ Amatus beschreibt dann, wie sich der Wille Gottes in der Ankunft eines gewissen Vultumine, dem amirail der „grant cité de Palerme“ manifestiert habe. Dieser sei zu Guiskard aus Catania gekommen, um Hilfe gegen einen „Sarazin“ namens Belcho zu erbeten.¹⁷ Als Zeichen seines Vertrauens ließ Vultumine seinen Sohn bei Guiskard zurück, wurde bei seiner Rückkehr nach Sizilien aber von seinen Gegnern vertrieben und musste in Reggio beim normannischen Herzog Schutz suchen. Kurz darauf habe letzterer seinen jüngeren Bruder Roger und Gottfried Ridel angewiesen, die Insel gemeinsam mit Vultu­ mine anzugreifen.¹⁸ Ein ähnlicher Bericht findet sich in der Darstellung des Malaterra, wo ein gewisser Betumen, der als admiraldus Siciliae bezeichnet wird, nach Reggio gekommen sei, um normannische Unterstützung zum Kampf gegen einen princeps na­ mens Belcawed zu erringen. In dieser Erzählung geht Betumen allerdings ein Bündnis mit Roger I. und nicht mit Guiskard ein.¹⁹ Weitere Belege für die erste Begegnung zwischen normannischen und sizilisch­ muslimischen Akteuren überliefern die arabisch­islamischen Quellen. Der „Kitāb Kāmil fī l-tariḫ“ des Ibn al-Aṯīr berichtet, dass Ibn al-Ṯumna, von dem sich die Namen Vultu­ mine / Betumen ableiten, einer der Herrscher (arab. al-quwwād, Sg. al-qāʿid) gewesen sei, der ab den 1050er Jahren Teile des politisch fragmentierten Siziliens kontrollierten. Ibn al-Aṯīr behauptet, dass Ibn al-Ṯumna nach seiner Niederlage gegen den Kommandan­ ten von Agrigent und Castrogiovanni, Ibn al-Ḥawwās, der Belcho / Belcawed entspricht, ein Bündnis mit den Normannen suchte. Deshalb habe eine Unterredung mit Roger stattgefunden, dem Ibn al-Ṯumna anbot, ihn zum Herrscher über Sizilien zu machen. Als dieser aber erwiderte, dass der sizilische ǧund zu mächtig sei, habe Ibn al-Ṯumna

15 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 4, cap. 3, S. 353 f.; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 35, S. 226 f.; Chronicon monasterii Cassi­ nensis, hg. von H o f f m a n, S. 707. Zur Frage der Datierung vgl. außerdem W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 2, S. 154, V. 400 f.; L o u d, Age, S. 190; D e e r, Papsttum, S. 112 f. 16 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é , lib. 5, cap. 7 f., S. 393. 17 Ebd.; eine ähnliche Beschreibung findet sich in der Chronica monasterii Casinensis, hg. von H o f f ­ m a n n, lib. 3, cap. 45, S. 422. 18 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 9 f., S. 393–396. Zu Ibn al-Ṯumna als Verbündeter und Stütze der Normannen vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 32 f., der die Normannen zunächst als seine Söldner identifiziert; dazu kritisch M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 93‒95; B i r k, Norman Kings, S. 41‒48; Wo l f, Sostegni; C a t a l i o t o, Nefanda impietas. Die auf die lateinische Sicht­ weise fokussierte Mediävistik spricht Ibn al-Ṯumna verhältnismäßig wenig Bedeutung zu; z. B. B e c ke r, Graf Roger, 49; R i z z i t a n o, Ruggero, bes. S. 205‒208. 19 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 3 f., S. 252‒257; die Cro­ nica Roberti Biscardi bezeichnet ihn als „Bentantus as the panormitanus princepus“ und schreibt, dass Palermo der Hauptsitz der Tyrannen der Insel sei; BAV, Vat. lat. 6206, fol. 292v, Sp. I.

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erklärt, dass das Militär zum einen gespalten sei und zum anderen überwiegend auf sein Kommando höre.²⁰ Dieses Argument, das Roger dazu bewogen habe, Sizilien anzugreifen, verweist nicht nur auf Konflikte innerhalb der sizilischen Truppen, sondern könnte auch auf eine mögliche Verbindung zwischen Palermo und Ibn al-Ṯumna deuten, da über die Stadt wahrscheinlich ein wichtiger Teil des ǧund organisiert wurde und dort die Flotte stationiert war. Erwähnenswert ist in diesem Kontext auch, dass Ibn al-Aṯīr Ibn alṮumnas Herrschaft zwar mit Catania in Verbindung bringt, gleichzeitig aber auch andeutet, dass seine Autorität in Palermo anerkannt oder zumindest in Teilen der Stadt proklamiert werde. So sei beispielsweise die Freitagspredigt in seinem Namen gehalten worden, außerdem habe er den Herrschertitel al-qādir bi-llāh getragen.²¹ Dieser Titel ist deutlich an Titel der fatimidischen Kalifen angelehnt und lässt ebenso wie das Abhalten der Freitagspredigt in seinem Namen vermuten, dass Ibn al-Ṯumna eine unter den anderen quwwād hervorgehobene Stellung einnahm oder eine solche für sich zu beanspruchen suchte.²² In allen Berichten zum Auftakt der normannischen Eroberungen in Sizilien stellt Ibn al-Ṯumna damit die Schlüsselfigur dar. Die Erzählungen stimmen darin überein, dass der Angriff auf Einladung des Ibn al-Ṯumna hin erfolgte, was das schon aus der Euphemios­Episode bekannte Motiv der Kollaboration lokaler Machthaber mit frem­ den bzw. externen Kräften in Erinnerung ruft. Der Figur des Ibn al-Ṯumna scheint aber zusätzliches Gewicht zugeschrieben worden zu sein, indem er als der führende und rechtmäßige Herrscher Siziliens identifiziert wird. Deutlich wird dies in den lateini­ schen Quellen vor allem daran, dass sich die Worte amirail / admiraldus vom arabischen Titel amīr ableiten, der das führende Amt im islamischen Sizilien bezeichnete. Im Falle des Amatus scheinen außerdem sowohl der Titel als auch der Sitz des amīr untrennbar mit der Stadt Palermo verbunden zu sein. Es drängt sich daher die Schlussfolgerung auf, dass Palermo trotz des Zerfalls Siziliens in mehrere konkurrierende Territorien seine symbolische Bedeutung als Zentrum der Insel behielt und offenbar auch als Ort bzw. Sitz der legitimen Herrschaft über Sizilien wahrgenommen wurde.

20 I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 8, bes. S. 347 f.; I b n a l - A ṯ ī r, Kamīl, in: BAS² (ital.), Bd. 1, S. 446 f. 21 Ebd., S. 347 und 446. 22 Zum Titel vgl. auch M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 85; J o h n s, Arabic Administration, S. 32.

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Der „amirail de Palerme“ Das erste Ziel der Normannen auf Sizilien war die Stadt Messina.²³ Die Kontrolle dieses strategischen Brückenkopfes zwischen der Insel und Kalabrien war für die Versorgung eines jeden, vom italienischen Festland ausgehenden Feldzuges unerlässlich. Als Reak­ tion auf diesen Angriff habe Palermo laut Malaterra eine letztlich nicht erfolgreiche Flotte entsandt, um die normannische Belagerung zu verhindern.²⁴ Unklar bleibt aber, wer zu dieser Zeit die Macht in Siziliens Hauptstadt innehatte. Malaterra behauptet, dass nach Ibn al-Thumnas Niederlage sein Rivale Ibn al-Ḥawwās die Macht als admiral­ dus ergriffen habe. Laut Amatus hingegen fiel die Kontrolle an einen gewissen amirail namens Sausane.²⁵ Der Name könnte eine anachronistische Anspielung auf den letzten Kalbidenherrscher Ṣamṣām al-Dawla sein, der wohl bis immerhin 1052/1053 in Palermo aktiv war.²⁶ Es ist darüber hinaus bemerkenswert, dass Amatus angibt, dass der amirail Sausane in Palermo gewählt worden war.²⁷ Aufgrund sporadischer Hinweise in den Do­ kumenten der Kairoer Geniza sowie in der arabisch­islamischen Geschichtsschreibung wird vermutet, dass in Palermo zu dieser Zeit ein städtischer Ältestenrat tätig war.²⁸ Die Forschung ist sich allerdings nicht einig, ob ein solcher Rat auf einer unabhängigen städtischen Ebene agierte und damit einen einzelnen Herrscher ersetzte, oder ob die Ältesten neben einem solchen Herrscher tätig waren.²⁹ Die Anspielung auf eine Wahl könnte jedenfalls in Verbindung mit einem solchen Rat gesehen werden. Nach der Eroberung von Messina im Jahr 1061 drangen die Normannen ins Innere der Insel vor und belagerten Ibn al-Ḥawwās in Castrogiovanni. Die auf einem Hügel ge­ legene Festung war zu einem Zufluchtsort für viele Bewohner der umliegenden Städte und Festungen geworden und daher überfüllt. Nach einem normannischen Sieg in der Nähe des Flusses Dittaino³⁰ hätten sich laut Amatus viele der führenden sizilischen

23 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 5, S. 258 f., mit der Ein­ nahme der Stadt in ebd., cap. 10, S. 268 f.; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f ­ e r t é, lib. 5, cap. 10, S. 394‒396, bis zum Eintritt des siegreichen Herzogs in ebd., cap. 19, S. 400. 24 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 8, S. 264 f. 25 Ebd.; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 13, S. 397. 26 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 84. 27 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 13, S. 397. 28 Der Brief eines gewissen Ḥayyim b. ʿAmmār aus Palermo erwähnt einen städtischen Rat (arab. šūrā) : Cambridge T-S NS J 566; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 648, S. 151 f., hier S. 152, Z. 12; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 61, S. 95 f., hier S. 95. Zur Datierung dieses Schriftstücks und Ḥayyim als wich­ tigem Akteur in Palermo; vgl. G i l, Jews in Islamic Countries, S. 550–552, 554, 556, 573 f. Ebenfalls wird eine Gruppe von mašāykh (Pl. von šaykh) erwähnt, welche die Macht in Palermo inne hatten: a l - N u w ay r ī, Nihāyat, hg. von Ta r r ḥ ī n ī, Bd. 24, S. 207; a l - N u w ay r ī, Nihāyat, in : BAS² (arab.), Bd. 2, S. 498; BAS² (ital.), Bd. 2, S. 142. 29 Vgl. N e f, Islamic Palermo, S. 49 f.; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 94 f. 30 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 23, S. 402‒404; G a u ­ f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 16 f., S. 280–285.

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Befehlshaber (caÿte, von arab. al-qāʾid) Guiskard unterworfen und ihm Geschenke über­ bracht.³¹ Als der „amirail de Palerme“ davon erfuhr, schickte er Boten zu Guiskard, die mit Seide, Leinenstoffen, silbernen und goldenen Gefäßen sowie 80 000 ṭarī auf mit kostbarem Zaumzeug und Sätteln geschmückten Maultieren beladen waren.³² Geschenke stellen bekanntlich eine wichtige und hoch ritualisierte Praxis der Di­ plomatie dar.³³ Es könnte sein, dass der amirail hierbei seine Macht zur Schau stellen wollte oder versuchte, einen Waffenstillstand mit Guiskard auszuhandeln. Amatus erin­ nert, wie der Herzog die Geschenke angenommen und im Gegenzug einen Boten namens Petrus zum amirail geschickt habe, der im Glauben frohlockte, die Freundschaft des Her­ zogs gewonnen zu haben.³⁴ Der Bote Peter, der Arabisch verstand und sprach,³⁵ wurde angewiesen, diese seine Fähigkeiten nicht preiszugeben, sondern sie stattdessen dazu zu gebrauchen, heimlich in Palermo zu lauschen und Informationen zu gewinnen. Damit stellt Guiskards Gesandtschaft ein sehr bedeutendes Ereignis in der „Ystoire“ dar, da sie ein Überschreiten zweier bis dahin in seiner Schilderung miteinander unverbundener Sphären beschreibt. Bei seiner Rückkehr berichtete Peter, dass „die Stadt entmutigt und die Einwohner wie ein Körper ohne Mittel zur Verteidigung“³⁶ seien. Während sich solche Aussagen zwar durchaus auf die sich verschlechternde poli­ tische und defensive Lage Palermos beziehen könnten, deuten sie dennoch darauf hin, dass weiterhin eine Form von zentraler Autorität in der Gestalt jenes amirail in der Stadt vorhanden war. Dabei wird der führende Status Palermos unter den anderen sizilischen Städten dadurch gekennzeichnet, dass der Herrscher dieser Stadt sich von den ande­ ren muslimischen Befehlshabern durch einen entsprechenden Titel abhob (ein amirail gegenüber mehreren caÿte). Darüber hinaus ist auch bedeutsam, dass Robert Guiskard von Beginn des sizilischen Unternehmens an darauf bedacht war, Informationen über Palermo einzuholen. Peters Aufenthalt lieferte dabei entscheidende Erkenntnisse und erlaubte dem Herzog, die Anlage der Stadt sowie ihre Versorgung über den See- und Landweg auszukundschaften. Nach dieser Episode soll sich Guiskard nach Apulien zu­ rückgezogen haben, um seine Truppen für die Einnahme von Palermo vorzubereiten.³⁷ Auch Gaufredus Malaterra legte sein Augenmerk nun auf Kalabrien, wo Robert und Roger einen langwierigen, militärisch geführten Bruderkonflikt um die Frage rechtmä­

31 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 23, hier S. 404. 32 Ebd., cap. 24, S. 404. Ähnliches berichtet die Chronica monasterii Casinensis, hg. von H o f f m a n n, lib. 3, cap. 15, S. 378. 33 Vgl. zur Praktik von Geschenkgaben allg. D a v i e s / Fo u ra c r e ( H g . ), Languages; B i j s t e r v e l d, Me­ dieval Gift; G r ü n b a r t (Hg.), Geschenke; zu Robert Guiskard und der Praktik von Geschenkgaben C o ­ w e l l, Warrior Aristocracy, S. 37‒51. 34 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 24, S. 404. 35 Zu Peter, der wahrscheinlich sowohl Arabisch als auch Griechisch sprach, vgl. J o h n s, Arabic Admi­ nistration, S. 33. 36 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 24, S. 404. 37 Ebd., S. 405 f.

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ßiger Landverteilung austrugen. Amatus von Montecassino schweigt zu diesen Querelen, die darin resultierten, dass der Herzog einige der bereits eroberten sowie der noch zu erobernden Ländereien als condominium mit dem jüngeren Bruder teilen musste.³⁸ In Sizilien führte derweil Ibn al-Ṯumna entweder im Auftrag der Normannen oder in Kooperation mit ihnen Expeditionen, Überfälle und Eroberungen durch.³⁹ Als er dabei in Mittelsizilien von Muslimen in einen Hinterhalt gelockt und ermordet wurde,⁴⁰ verließen die bei Troina stationierten Soldaten der Normannen fluchtartig ihre Posten und gaben so ein bereits kontrolliertes Territorium auf. Dieses musste von Roger später wieder zurückerobert werden.⁴¹

3.2 Äußere Bedrohung: Palermo als Zielpunkt neuer Expansionen 3.2.1 Angriff und Plünderung Der archadius von Palermo Im Jahr 1063 lieferten sich die Muslime mit den Normannen eine heftige Schlacht bei Cerami.⁴² Gaufredus Malaterra beschreibt, wie die Sommerhitze Roger I. gezwungen habe, sich von einem Raubzug in der Nähe von Troina zurückzuziehen, als eine Ar­ mee von Muslimen versuchte, seinen Rückzug zu blockieren. Malaterra merkt an, dass dieses Heer nicht nur aus sizilischen Truppen bestand, sondern auch „Africani“ und „Arabi“ einschloss, die nach Sizilien gekommen waren, um Krieg gegen die Normannen zu führen.⁴³ Vermutlich waren diese vom ziridischen Herrscher aus Ifrīqiya entsandt worden. Im Jahr 454/1062 starb al-Muʿizz b. Bādīs, ihm folgte sein Sohn Tamīm b. alMuʿizz. Während die Ziriden in Nordafrika gegen die Hilālī­Invasionen kämpften, die von den Fatimiden als Strafe für ihren Treueschwur dem abbasidischen Kalifen ge­ genüber losgeschickt wurden, entsandte Tamīm eine Flotte mit Truppen nach Sizilien unter der Führung seiner beiden Söhne ʿAlī und Ayyūb, in der Hoffnung, die Insel unter seine Kontrolle zu bringen.⁴⁴

38 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 23‒29, S. 296‒319; zur rechtlichen Grundlage des Verhältnisses vgl. B e c ke r, Graf Roger, S. 43‒47. 39 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 18, S. 286 f.; cap. 20, S. 290 f. 40 Freudig über den Tod des Ibn al-Ṯumna äußert sich ein Brief der Kairoer Geniza­Überlieferung; vgl. Cambridge T-S 13 J 19.20, fol. 1a, 11‒13; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 147, S. 319‒321 [12. Au­ gust 1062]. 41 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 29, S. 314‒319. 42 Ebd., cap. 33, S. 332–343. 43 Ebd., cap. 32, S. 328–331, hier S. 329. Zur muslimischen Kollaboration bei der Schlacht zu Cerami M e t ­ c a l f e, Muslims of Italy, S. 95‒97. 44 I b n a l - A ṯ ī r, al-Kāmil fī l-tarīkh, hg. von To r n b e r g, Bd. 10, S. 132 f.

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Bei Cerami standen sich die muslimischen und normannischen Armeen drei Tage lang gegenüber, nur der Fluss trennte sie. Am vierten Tag griffen die Normannen den Feind an. Malaterra beschreibt, wie die Muslime von einem gepanzerten Kommandan­ ten zu Pferd angeführt wurden, der als „arcadius de Palerna [sic]“ identifiziert wird. Roger I. habe ihn mit einem Schlag seiner Lanze getötet.⁴⁵ Das muslimische Heer, das durch den Tod ihres arcadius (von arab. al-qāʾid) stark entmutigt war, wurde anschlie­ ßend niedergemetzelt; Malaterra spricht von 20 000 Mann, die ihr Leben verloren.⁴⁶ Nach der Schlacht habe der Graf vier Kamele zu Papst Alexander II. (1061‒1073) ge­ schickt und im Gegenzug den apostolischen Segen, die Absolution aller Sünden und ein päpstliches Banner, das „vexillum Sancti Petri“, erhalten.⁴⁷ Die Forschung hat die Schlacht von Cerami im Hinblick auf die normannisch­ päpstlichen Beziehungen und auf gemeinsame Motive oder literarische Elemente in Kreuzzugstexten analysiert.⁴⁸ Die lateinischen Berichte offenbaren aber auch Details über die Organisation des muslimischen Heeres und die Folgen seiner Niederlage. Wenn man Malaterras Bericht Glauben schenkt, scheint es, dass die Normannen dabei nicht nur einen wichtigen muslimischen Anführer (arcadius) ‒ der wieder in Verbin­ dung mit Palermo stand ‒ beseitigten, sondern auch das muslimische Heer massiv dezimierten. Der vormals bei Malaterra mit Palermo verbundene admiraldus taucht in diesem Kontext und auch sonst nicht wieder auf. Laut Ibn al-Aṯīr hat die Ankunft der ziridischen Truppen unter ʿAlī und Ayyūb in Agrigent bzw. Palermo die lokalen muslimischen Mächte gegeneinander aufgewiegelt, führte aber auch zu Konflikten zwischen den Brüdern: Ibn al-Ḥawwās marschierte da­ bei gegen Ayyūb, wurde aber getötet, und Ayyūb wurde zum Herrscher ausgerufen.⁴⁹ Folgend sollen sich Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppierungen in Palermo zuge­ tragen haben, die innerhalb der Stadt kollidierten. Involviert waren dabei angeblich die Palermitaner auf der einen (wörtl. „die Leute der Hauptstadt“) und die „Sklaven des Ayyūb“ (d. h. die Armee) auf der anderen Seite.⁵⁰ Wann genau und in welchem Umfang Ayyūb tatsächlich die Kontrolle über Palermo und die Umgebung erlangte, ist schwer zu beurteilen, da Ibn al-Aṯīr diese Ereignisse nur vage zwischen 454/1062‒1063 und 461/1068‒1069 datiert. Vielleicht könnte dieser Wechsel in der städtischen Vorherr­ schaft bzw. die Unklarheit darüber erklären, weshalb Palermo zur Zeit der Schlacht von Cerami kein eindeutig zu benennender Führer mehr zugeschrieben wurde.

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G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 33, S. 341. Ebd., S. 343. Ebd. und B e c ke r, Graf Roger, S. 130. Vgl. beispielsweise C h e v e d d e n, „Crusade“. I b n a l - A ṯ ī r, al-Kāmil fī l-tarīkh, hg. von To r n b e r g, Bd. 10, S. 132 f. Ebd., S. 133.

Äußere Bedrohung: Palermo als Zielpunkt neuer Expansionen



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Abb. 5c: Karte Siziliens im anonymen „Kitāb al-Ġarāʾib al-funūn wa-mulaḥ al-ʿuyūn“, Detail mit qalʿat Ayyūb.

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Ein kleines Indiz zur Frage, inwieweit Ayyūb jemals Fuß in Sizilien fassen konnte, wurde bisher übersehen: Das „Book of Curiosities“ verortet auf der Straße, die von Agrigent nach Palermo führt, nahe von al-Ḥāliṣa bzw. qaṣr al-sulṭān einen Ort namens qalʿat Ayyūb (wörtl. Festung des Ayyūb; siehe Abb. 5c).⁵¹ Angesichts dessen, dass der Name recht selten vorkommt und die Festung zudem auf der Route zwischen Agrigent und Palermo liegt ‒ einem Gebiet, in dem sich die Machtkämpfe der Ziriden in Sizi­ lien abspielten ‒, handelte es sich möglicherweise um denselben Ayyūb b. Tamīm, der Ibn al-Aṯīr zufolge in Palermo die Vorherrschaft erstritt. Es wäre damit denkbar, dass diese Wehrburg auf eine Verteidigungsanlage des Ayyūb und eine Stationierung seiner Truppen schließen lässt. Diese Identifikation steht und fällt aber mit der genauen Da­ tierung des Werkes, die Yossef Rapoport aufgrund von Konflikten im alexandrinischen Hinterland auf ungefähr 433/1050 ansetzt, als terminus ad quem aber die normannische Eroberung Palermos sieht.⁵² Ruft man an dieser Stelle den Hinweis des anonymen Autors in Erinnerung, dass das Viertel al-Ǧaʿfarīya „vor fünfzig Jahren“ entstanden sei, nämlich wahrscheinlich während der Herrschaft des Ǧaʿfar b. Yusūf (388/998‒410/1019), so verdichten sich die Hinweise darauf, dass es sich in der Tat um jenen Ayyūb und seinen Stützpunkt gehandelt haben könnte. Somit erscheint die Datierung des Werkes bzw. der Sizilien­ karte bis in die 1060er durchaus nicht abwegig. Von solchen Details unabhängig kann aber festgehalten werden, dass diese Entwicklungen die Muslime weiter spalteten und den Widerstand in Palermo entscheidend schwächten. So sah sich die Stadt um 1064, trotz (oder möglicherweise beschleunigt durch) ziridische Verstärkung in Palermo, mit zunehmendem Druck von Innen und Außen konfrontiert.

Ein normannisch­pisanisches Bündnis? Amatus von Montecassinos „Ystoire“ berichtete nicht über die Schlacht von Cerami. Stattdessen schreibt er über Angelegenheiten, mit denen Guiskard in Apulien beschäf­ tigt war. Im Wissen darüber, dass Palermo nicht zu viel Zeit gewinnen sollte, um sich von den bisherigen Niederlagen zu erholen,⁵³ und überzeugt davon, dass eine erfolg­ reiche Belagerung die Stadt vom Land und vom Meer abschneiden musste, suchte Guiskard ein Bündnis mit den Pisanern einzugehen.⁵⁴ Ein solches Bündnis wäre für beide Parteien von Vorteil gewesen: Die Normannen hätten den in Palermo ansässi­ gen ziridischen Widerstand schwächen und die Einwohner der Stadt demoralisieren können, während es den Pisanern möglich gewesen wäre, ihren wachsenden Einfluss

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Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 44, S. 139 (arab.), 461 (engl.). Ebd., S. 32. A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 25–28, S. 404–411. Ebd., S. 410.

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durch Scharmützel und Überfälle im zentralen Mittelmeerraum zu demonstrieren. In der Tat beschreibt Amatus, dass die Pisaner nach Palermo segelten, dort die Hafenkette durchbrachen, das Ein- und Ausfahren von Schiffen verhinderten und sogar kleinere Kämpfe auf dem Land ausfochten. Der „Ystoire“ zufolge wurden sie von Guiskard für ihre Bemühungen belohnt.⁵⁵ Ein besser bekannter Bericht über einen Angriff der Pisaner auf Palermo stammt von Gaufredus Malaterra. Den „De rebus gestis“ zufolge segelten sie bald nach dem Sieg bei Cerami nach Sizilien und gelangten zu Roger I. nach Troina, wo sie ihm einen gemeinsamen Angriff gegen Palermo vorschlugen. Da Roger auswich und mehr Zeit erbat, hätten die Pisaner im Alleingang zugeschlagen, um sich an den Palermitanern für „vergangene Verletzungen zu rächen“ – ein Hinweis, der vielleicht auf Konflikte im Handel oder der Schifffahrt und damit zusammenhängenden Besteuerungen zu tun ha­ ben könnte. Malaterra verweist auch darauf, dass die Pisaner lediglich Händler und als solche unzuverlässige Bündnispartner seien, die stets ängstlich ihre Schiffe verließen und eher an Raubzügen als an Eroberungen interessiert waren. Dass sie in Palermo die Hafenkette durchbrechen konnten, hätten sie, so merkt Malaterra abwertend an, zu einem großen Sieg aufgebläht.⁵⁶ Während Malaterra das Ereignis nicht datiert, ist man in der Sizilienforschung oft davon ausgegangen, dass der Angriff der Pisaner im Jahr 1063 stattfand und von ge­ ringer Bedeutung war.⁵⁷ Es lohnt sich, beide Annahmen zu überdenken. Die pisanische Geschichtsschreibung sowie eine Inschrift des 12. Jahrhunderts, die an der Kathedrale der Stadt angebracht ist, erinnern an den Angriff auf Palermo als wichtiges, ja sinn­ stiftendes Ereignis für die junge Kommune.⁵⁸ Der Inschrift zufolge seien die Pisaner gemeinschaftlich gegen die feindliche Stadt Palermo und die Muslime gezogen, hätten die Sperrkette des Hafens durchbrochen und anschließend sechs große, mit Schätzen beladene Schiffe gekapert.⁵⁹ Sie plünderten eines der Schiffe und verkauften die Güter, ehe sie die übrigen im Hafen verbrannten. Dieser Sieg über Palermo habe dann die Errichtung des zentralen Heiligtums der Kommune Pisa finanziert.⁶⁰ Dass eine Plün­

55 Ebd., S. 411. 56 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 34, S. 344 f. 57 S t a n t o n, Maritime Warfare, S. 113; B i r k, Norman Kings, S. 49; L o u d, Age, S. 157. 58 B e r n a r d o M a ra g o n e, Annales Pisani, hg. von L u p o G e n t i l e, S. 5 f. Zur Inschrift vgl. v o n d e r H ö h, Erinnerungskultur, S. 111 f., 346 f.; Annales Pisani Antiquissimi, hg. von N o v a t i, S. 19 f.; Cronicon Pisanum, hg. von L u p o G e n t i l e, S. 100–102, hier S. 101. 59 Der Raubzug steht dabei im Zusammenhang mit dem gemeinschaftlichen Kampf der Pisaner ge­ gen die „Sarazenen“. Zu den anderen Quellen der frühen Auseinandersetzungen der Pisaner mit den Muslimen vgl. S c a l i a, Contributi; zu Pisa und seiner Motivation, muslimische Ziele zu attackieren, vgl. M a t t h e w s, Conflict, S. 132 f. 60 Vo n d e r H ö h, Erinnerungskultur, S. 346 f.; vgl. außerdem die Überlieferung von B e r n a r d o M a ra ­ g o n e, Annales Pisani, hg. von L u p o G e n t i l e, S. 5; Annales Pisani Antiquissimi, hg. von N o v a t i, S. 11– 20; Ta n z i n i, 1064.

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derung Palermos den Bau der Kathedrale von Pisa ermöglicht haben soll, misst der sizilischen Hauptstadt eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, die sich im symbolischen Wert ihrer spolia ausdrückt. † ANNO QUO XR(ristu)S DE VIRGINE NATUS AB ILLO TRANSIERANT MILLE DECIES SEX TRESQ(ue) SUB INDE / PISANI CIVES CELEBRI VIRTUTE POTENTES ISTIUS ECCL(esi)E PRIMORDIA DANT(ur) INISSE / ANNO QUO SICULAS EST STOLUS FACTUS AD ORAS Q(uo)T SIMUL ARMATI MULTA CUM CLASSE PROFECTI / OM(ne)S MAIORES MEDII PARITERQUE MINORES INTENDERE VIAM PRIMA(m) SUB SORTE PANORMU(m) / INTRANTES RUPTA PORTU(m) PUGNANDO CATENA SEX CAPIUNT MAGNAS NAVES OPIBUSQ(ue) REPLETAS / UNA(m) VENDENTES RELIQUAS PRIUS IGNE CREMANTES QUO PRETIO MUROS CONSTAT HOS ESSE LEVATOS / POST HINC DIGRESSI PARU(m) TERRAQ(ue) POTITI QUA FLUVII CURSU(m) MARE SENTIT SOLIS AD ORTUM / MOX EQUITU(m) T(ur)BA PEDITU(m) COMITANTE CATERVA ARMIS ACCINGUNT SESE CLASSE(m)Q(ue) RELINQUUNT / INVADUNT HOSTES CONTRA SINE MORE FURENTES SED PRIOR INCURSUS MUTANS DISCRIMINA CASUS / ISTOS VICTORES ILLOS DEDIT ESSE FUGACES QUOS CIVES ISTI FERIENTES VULNERE TRISTI / PLURIMA P(re) PORTIS STRAVERUNT MILIA MORTI CONVERSIQ(ue) CITO TENTORIA LITORE FIGUNT / IGNIB(us) ET FERRO VASTANTES OM(n)IA CIRCU(m) VICTORES VICTIS SIC FACTA CEDE RELICTIS INCOLUMES MULTO PISAM REDIERE TRIUMPHO.⁶¹

Während der Text der Dominschrift in der historischen Forschung zur Geschichte Pisas wohl bekannt ist,⁶² wurde er von der Sizilienforschung lange weitgehend übersehen und bisher nur unzureichend hinsichtlich der Frage ausgewertet, was sie über die Ereignisse in Palermo verrät.⁶³ In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass die Pisaner Palermo im Zuge ihres Überfalls offenbar zweimal bzw. von zwei Seiten angegriffen hätten. Einmal vom Hafen aus und einmal von einer Stelle aus, „wo der Lauf des Flusses das Meer bei Sonnenaufgang erreicht (QUA FLUVII CURSU(m) MARE SENTIT SOLIS AD ORTUM)“.⁶⁴ Mit dem erwähnten Fluss im Osten ist zweifelsohne der wādī ʿAbbās gemeint. Dies würde bedeuten, dass keineswegs bloß der Hafen Palermos, sondern

61 Ebd., S. 346 f. mit Übersetzung in Anm. 2, S. 346; einige Varianten oder Lesarten wurden gemäß der Editionen von Novati und Maragone übernommen. 62 Vgl. z. B. S c a l i a, L’impresa. 63 Mittlerweile dazu M a n d a l à, L’incursione; J ä c k h, Norman Conquest. 64 Vo n d e r H ö h, Erinnerungskultur, S. 346 f.

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auch die Außenbezirke der Stadt nahe dem Fluss angegriffen wurden. Von einem topographischen Gesichtspunkt aus ist diese Position besonders interessant, weil die Pisaner von hier aus nicht nur in Viertel wie ḥārat al-ǧadīda oder ḥārat al-Yahūd hätten eindringen können. Eine Landung an der Flussmündung hätte ihnen außerdem erlaubt, die al-Ḫāliṣa sowie die Gebiete von al-Ǧaʿfarīya anzugehen. Damit hätten die Pisaner gezielt ein Gebiet ins Visier genommen, wo aufgrund der sich dort befindlichen Märkte Handelsgüter geplündert und vielleicht auch tragbare Beute aus den herrscherlich­ repräsentativen Gebäuden geholt werden konnte. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Datum der Expedition einzugehen, die in der Inschrift gleich zu Beginn beschrieben wird: „In dem Jahr, nachdem 1063 Jahre vergangen waren, in denen Christus von der Jungfrau geboren worden war“. Diese pisanische Datierung gibt das Jahr 1064 im stilus communis an. Damit hat die Inschrift wichtige Implikationen bezüglich Malaterras Interpretation eines gescheiter­ ten normannischen Angriffs auf Palermo, der im Anschluss an das Kapitel über das Unternehmen der Pisaner beschrieben wird. Die „De rebus gestis“ berichten, dass Guis­ kard 1064 einige hundert Männer nach Sizilien gebracht habe, um Palermo mit seinem Bruder Roger I. anzugreifen, vermutlich im Sommer. Bei seiner Ankunft stellte Guis­ kard seine Truppen auf einem Berg auf, der angeblich von Spinnen befallen war, deren Bisse enorme und sogar tödliche Blähungen verursachten. Die so in Bedrängnis gekom­ menen Normannen waren gezwungen, ihre Lagerstätte zu verlegen. Von einer neuen Position aus belagerten sie die Stadt drei Monate lang. Sie erreichten nichts und zogen sich, ohne etwas bewirkt zu haben, zurück.⁶⁵ Weil die pisanischen Quellen festhalten, dass ihr Angriff auf Palermo am Tag des heiligen Agapitus stattfand, der auf den 18. August fällt,⁶⁶ scheint es nicht ausgeschlos­ sen, dass sich der Angriff der Pisaner und die normannische Belagerung im Sommer des Jahres 1064 für eine gewisse Zeit überschnitt. Unter diesen Umständen könnte Ma­ laterras Beschreibung der pisanischen Gesandten in Troina und der unglückseligen normannischen Belagerung eine kurzlebige Allianz zwischen den beiden Parteien ver­ schleiern wollen. Eine solche Hypothese würde auch erklären, warum Malaterra sich so ausführlich bemühte, die Pisaner zu diskreditieren und das Scheitern der norman­ nischen Expedition auf dem mons Tarantinus nicht ins Lächerliche zu ziehen. Neben diesen Texten berichten auch zwei Briefe der Kairoer Geniza, dass es in Palermo nach den Ereignissen im Hafen zu größeren Unruhen gekommen sei. In ei­ nem Brief, der auf den 23. des Monats Elul, der in den Spätsommer fällt, datiert ist, berichtet Salāma b. Mūsā b. Isaak al-Safāquṣī aus Mazara, dass sich die Handels- und Geschäftsbedingungen in Palermo stark verschlechtert hätten. Innerhalb des letzten

65 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 36, S. 350–353. 66 Im „Antico Calendario della Chiesa Pisana“ wird der heilige Agapitus zweimal erwähnt: Am 18. August und einmal zusammen mit Sixtus und Felicissimus am 6. August; vgl. S a i n a t i, Diario sacro pisano, S. 261.

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Jahres sei der Warenhandel stagniert, und der Kaufmann habe sich gezwungen gese­ hen, seinen Standort zu verlegen.⁶⁷ Er erinnert sich an seine Ankunft in der Stadt und notiert, wie Schiffe die Mauern Palermos umzingelten und so wirtschaftliche Engpässe verursachten. Dies war am jüdischen Neujahrstag, dem 1. Tischri,⁶⁸ der im Jahr 1064 auf den 14. September gefallen wäre. Später in diesem Dokument berichtet Salāma auch über einen Vorfall, bei dem Schiffe im Hafen Palermos verbrannt worden seien.⁶⁹ Ein weiterer Brief, geschrieben in Jerusalem am 28. Tischri vermutlich desselben Jahres, gibt aktuelle Informationen aus erster Hand, die ebenfalls Palermo betreffen. Sein Verfasser, Avon b. Ṣedaqa, habe erfahren, dass im Hafen von Palermo Schiffe verbrannt worden seien.⁷⁰ Die Datierung der beiden Briefe ist problematisch, da nur der Tag und der Monat angegeben sind. Da sie sich jedoch beide auf ähnliche Ereignisse im Hafen während des Monats Tischri beziehen, könnten sie auf den Angriff der Pisaner im Sommer 1064 anspielen.⁷¹ Einmal mehr heben diese Ereignisse und ihre Berichterstattung in den Quellen von außerhalb Siziliens die anhaltende Bedeutung der Stadt Palermo hervor, die weiter als zentrale politische und militärische Basis der Insel, aber auch als Drehscheibe für den Handel und als reicher Ort für Plünderungen gesehen wurde. Der Angriff durch die Pisaner, der eine der frühen maritimen Unternehmungen der Kommune gegen muslimische Gebiete darstellt,⁷² berührt die Frage, ob der Angriff auf Palermo von einer Rivalität unter den mediterranen Handelsstädten motiviert war oder ob Palermo aus weiteren strategischen und symbolischen Gründen wegen der Bedeutung als Hauptstadt Siziliens anvisiert wurde.

3.2.2 Städtische Selbstverwaltung? Für die Zeit nach 1064 berichtet Amatus von Montecassino, wie Guiskard Städte in Apulien einnahm, um so eine Flotte zusammenzustellen, die es ihm ermöglichen sollte, Palermo sowohl vom Land als auch vom Meer aus zu belagern. Amatus deutet wei­

67 Philadelphia, Dropsie College 389; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 751, S. 453‒474; für die englischen Übersetzungen und Datierungsvorschläge vgl. Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 151, S. 332‒344. 68 Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 751, fol. 1a, Z. 25 f., S. 457. 69 Ebd., fol. 1b, Z. 47, S. 471. 70 Cambridge T-S 10 J 5.10; Palestine, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 500, S. 233‒242, hier Z. 20 f., URL: https://geniza .princeton.edu/en/documents/1557/ (14. 8. 2023); Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 153, S. 346‒351, hier S. 347. Der Brief wurde auf den 11. November 1064 datiert, aber in diesem Jahr wäre der 28. Tischri auf den 11. Oktober (julianischer Kalender) gefallen, was in diesem Kontext dadurch gestützt wird, dass der Autor in Zeile 2 festhält, an einem Montag geschrieben zu haben. 71 Moshe Gil hat sie dagegen mit der normannischen Eroberung in Verbindung gebracht; G i l, Jews, S. 556 f. 72 Zum Angriff auf al-Mahdīya im Jahr 1087 vgl. C o w d r e y, Mahdia Campaign.

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terhin an, dass Guiskards Angriff auf den Hafen von Otranto das Ziel verfolgte, die normannischen Seekapazitäten zu stärken und Zugang zu Schiffsbauanlagen sowie zu ausgebildeten Mannschaften zu bekommen.⁷³ Als nächstes folgte die Belagerung von Bari, der letzten Bastion der Griechen in Apulien, die auch Schauplatz der ersten Be­ lagerung und Kämpfe zur See für die Normannen war.⁷⁴ Wilhelm von Apulien stellt dabei eine unmittelbare und zweckmäßige Verbindung zu Palermo her, indem er mit­ teilt, dass sich diese Erfahrung als brauchbar für die spätere Einnahme der sizilischen Hauptstadt erweisen würde.⁷⁵ Roger I. hingegen blieb in den Jahren nach 1064 über­ wiegend in Sizilien, um das westliche Territorium der Insel durch weitere Überfälle zu schwächen. Als Roger I. 1068 Plünderungen im Hinterland von Palermo durchführte, wurde er bei Misilmeri, etwa 16 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, von einem Heer über­ rascht, das sich aus „allen möglichen Orten“ zusammen rekrutiert hatte. Im darauf­ folgenden Gefecht hätten die Muslime eine vernichtende Niederlage erlitten.⁷⁶ Dieser normannische Sieg bei Misilmeri kann als das Ende der ziridischen Einflussnahme auf Sizilien betrachtet werden. Ibn al-Aṯīr zufolge hatte Ayyūb bis 461/1069 die ziridische Flotte nach Ifrīqiya zurückgezogen,⁷⁷ und womöglich setzte dann schon ein Wegzug von Mitgliedern der Herrschaftselite ein.⁷⁸ Die arabisch­islamischen Quellen erwäh­ nen die Schlacht bei Misilmeri jedoch nicht. Stattdessen gehen sie davon aus, dass Ayyūbs Rückzug auf innerstädtische Konflikte zurückzuführen gewesen sei. Ibn al-Aṯīr berichtete, dass sich im Zuge dieser Auseinandersetzungen ein gewisser Ibn al-Baʿbāʿ in Palermo durchsetzen konnte.⁷⁹ Obwohl es keine ausreichenden Informationen gibt, um die genaue Chronologie der Ereignisse zu rekonstruieren, ist es möglich, dass dieser Machtwechsel sogar der Schlacht von Misilmeri vorausging. In einer Rede, die Roger von Malaterra hier in den Mund gelegt wurde, bezieht sich der Graf auf einen dux, der zum neuen Führer der Muslime gemacht worden sei.⁸⁰ Dieser neue, mit Palermo asso­

73 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 26, S. 405 f. 74 Zur Belagerung Baris vgl. ebd., lib. 5, cap. 27, S. 406‒410; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 40, S. 362–367. 75 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 174, V. 189–191; so auch L o u d, Age, S. 133‒137; S t a n t o n, Maritime Warfare, S. 52 f. 76 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 41 f., S. 368‒371. 77 I b n a l - A ṯ ī r, Kāmil, hg. von Ta d m u r ī, Bd. 8, S. 348. 78 Zu Migrationsbewegungen muslimischer Eliten, die in die Phase früher normannischer Herrschaft datieren und mit dem Dichter Ibn Ḥamdis ihren bekanntesten Vertreter haben, vgl. G ra n a ra, Sicily, S. 388–403; D a v i s ­ S e c o r d, Three Worlds, S. 139–141. 79 Vermutet wurde, dass Ibn al-Baʿbāʿ seine Karriere im Dienst des Tamīm al-Muʿizz began, sich später aber unter fatimidischen Schutz stellen wollte; vgl. G i l, Muslim Rule, S. 558; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 97‒99. 80 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 41, S. 368 f.; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 98 mit Anm. 19 auf S. 110.

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ziierte Titel (von admiraldus zu arcadius hin zu dux) könnte einen solchen politischen Umbruch aufgreifen. Dokumente der Kairoer Geniza liefern weitere Informationen über die innerstäd­ tischen Entwicklungen und jenen von Ibn al-Aṯīr erwähnten Ibn al-Baʿbāʿ.⁸¹ In einem Brief aus Tinnīs, der auf ca. 1068 datiert, erkundigt sich ein gewisser Bišr b. Daʿūd bei einem Nehorai b. Nissim in Fusṭāṭ über den Schiffsverkehr zwischen Westsizilien und Nordafrika.⁸² Hier deutet Bišr die schlechter werdenden Bedingungen auf Sizilien an und weist vielleicht auch auf den Exodus der jüdischen und muslimischen Bevölkerung Palermos hin. Bišr war sehr daran interessiert zu erfahren, ob der Herr Ibn al-Baʿbāʿ (der, wie er anmerkt, zuletzt auf dem Weg nach Alexandria war) geflohen oder nur verreist sei. Neben diesem Brief taucht Ibn al-Baʿbāʿ, der auch unter dem Namen ʿAbd Allāh Muḥammad geführt wird, in mehr als einem Dutzend Fällen in den Jahren bis 1071 auf.⁸³ Dabei scheint sich Ibn al-Baʿbāʿ, der oder dessen Familie möglicherweise jüdischer Herkunft war,⁸⁴ von einem etablierten Kaufmann zu einer Person mit beträchtlichem politischem Einfluss entwickelt zu haben. Um 1068 war er wohl auf dem Höhepunkt seiner Macht. In einem fragmentarisch erhaltenen Brief von ca. 1069 berichtet Faraḥ b. Joseph b. Faraḥ b. al-Qābisī, dass Ibn al-Baʿbāʿ nun aus Alexandria zurückgekehrt

81 Bei der Auswertung des Quellenmaterials hinsichtlich der Chronologie und Prosopographie folge ich G i l, Muslim Rule, S. 558‒562, und Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n. 82 Cambridge T-S 12.386; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 695, S. 306‒309, Jews, hg. und übers. von S i ­ m o n s o h n, Nr. 161, S. 375‒377. 83 Vgl. Cambridge T-S 8 J 24.21, fol. 1a, 10; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 622, S. 194‒197; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 93, S. 176‒178 [1052]. Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 789, S. 570‒575; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 104, S. 206‒209 [1055]. Cambridge T-S K 2.32; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 354, S. 163‒170; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 106, S. 213‒217 [Sommer 1055]. Bemalkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 561, S. 854‒863; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 109, S. 224‒229 [Sommer 1056]. Cambridge T-S 16.179, fol. 1a, 47; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 619, S. 48‒51; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 122, S. 255‒261 [1058]. New York, Jewish Theological Seminary, Ad­ ler Coll. 1822a, fol. 9; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 2, Nr. 294, S. 885‒890; Jews, hg. und übers. von S i m o n ­ s o h n, Nr. 139, S. 296‒298 [1060‒1061]. Oxford, Bodl. MS Heb. c. 28.61; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 576, S. 914‒920; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 156, S. 356‒360 [1065]. Mosseri Collection II, 128 (L130)2; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 460, S. 533‒538; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 158, S. 365‒368 [1065‒1071]. Cambridge T-S 12.386; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 695, S. 306‒309; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 161, S. 375‒377 [1068]. Cambridge T-S 16.13; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 4, Nr. 654, S. 167‒172; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 162, S. 377‒381 [1069]. Oxford Bodl. MS Heb. d. 76.59; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 519, S. 733‒735; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 163, S. 381 f. [1069]. Cambridge T-S Misc. 28.235; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 520, S. 736‒739; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 164, S. 383‒385 [1069]. 84 Indizien zu Ibn al-Baʿbāʿs jüdischem Hintergrund bei G i l, Muslim Rule, S. 559; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 98.

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sei.⁸⁵ Ein wichtiger Abschnitt dieses Briefes hält vage fest: „Ibn al-Baʿbāʿ ist der sulṭān und hat die sizilischen quwwād getötet, und er hat den Feind besiegt.“⁸⁶ Ein paar Tage später schickte Faraḥ b. Joseph einen weiteren Brief, der bestätigte, dass Ibn al-Baʿbāʿ sulṭān geworden sei.⁸⁷ Auch wenn Ibn al-Baʿbāʿ tatsächlich die Macht in Palermo erlangt hatte, so bleiben die genauen Einzelheiten bezüglich seiner Rolle oder Kompetenzen weiter ungewiss. Abgesehen von den Briefen der Kairoer Geniza gibt es eine weitere historiographische Quelle, die über seinen Werdegang berichtet. In der Geschichte des Sibṭ b. al-Ǧawzī (gest. 654/1256) wird behauptet, dass Ibn al-Baʿbāʿ in den späten 1060er Jahren Gou­ verneur von Palermo wurde, aber nicht in der Lage war, seine Geldschuld (d. h. wahr­ scheinlich die anfallende Steuerlast) an die Fatimiden im Jahr 463/Oktober 1070 ‒ Sep­ tember 1071 zu begleichen.⁸⁸ Er habe deshalb die Tore Palermos für die Normannen geöffnet, die ihn später getötet hätten.⁸⁹ Zumindest der letzte Teil jener Interpretation der Ereignisse steht im Widerspruch zu den lateinischen Chroniken, in denen berichtet wird, dass eine Gruppe von städ­ tischen Vertretern (caÿte bei Amatus, primores bei Malaterra) unter Eid und gemäß ihrem Recht (d. h. dem islamischen Recht) die Übergabe Palermos nach einer langen Belagerung ausgehandelt habe.⁹⁰ Es ist unklar, ob Ibn al-Baʿbāʿ unter diesen gewe­ sen war. Der Hinweis aber, dass die Normannen mit einer Gruppe von Palermitanern verhandelt hätten und nicht mit einer einzelnen Person exekutiver Autorität, könnte neben den Erwähnungen eines Rates bzw. šūrā und der Angabe, Vertreter der Stadt seien „gewählt“ worden, als weiteres Indiz gedeutet werden, dass sich in Palermo eine Form städtischer Selbstverwaltung zu etablieren begann oder bereits etabliert hatte.⁹¹ Ähnliche Dynamiken gab es auch in anderen mediterranen Hafen- und Handels­ städten der Zeit, sodass man diese Entwicklungen in Palermo – auch wenn sie sich

85 Oxford Bodl. MS Heb. d. 76.59; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 519, S. 733‒735; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 163, S. 381 f. 86 Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 519, hier S. 519, Z. 5; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 163, hier S. 382. 87 Cambridge T-S Misc. 28.235; Be-malkūt, hg. von G i l, Bd. 3, Nr. 520, S. 736‒739, hier S. 738, Z. 1; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Nr. 164, S. 383‒385, hier S. 384. 88 Ṣ i b t b . a l - Ǧ a w z ī, Mirʾāt, hg. von K h a rā t, Bd. 19, S. 239. 89 Moshe Gil hat vorgeschlagen, dass Ibn al-Baʿbāʿ vielleicht von der jüdischen Bevölkerung unter fati­ midischer Vorherrschaft finanziert wurde; G i l, Muslim Rule, S. 562. 90 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 431; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382–387, hier S. 385. Die lateini­ schen Chroniken berichten außerdem, dass die Normannen bereit gewesen seien, mit den Eliten zu kol­ laborieren oder diese bei Übergabe der Stadt umzusiedeln, wie beispielsweise im Fall von Chamutus/ Ḥammūd, dem qāʿid von Castrogiovanni; vgl. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n ­ t i e r i, lib. 4, cap. 5 f., S. 87 f.; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 100‒102. 91 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 97–99; N e f, Islamic Palermo, S. 49–51, inbes. Anm. 57 auf S. 50. Vgl. au­ ßerdem A m a b e, Urban Autonomy, S. 14 und 114 mit Anm. 33 und 123.

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nur schemenhaft andeuten und lediglich kurz bestanden – vielleicht in diesen Kontext einordnen sollte. Ein wichtiges Beispiel einer semi­unabhängigen Stadtgemeinschaft, die von einer Händlerelite und einem Rat von Noblen geführt wurde, ist im zentra­ len Mittelmeer für Tripolis bekannt.⁹² In diesem Zusammenhang erscheint es umso bedeutsamer, dass Titel und Amt des amīr in den lateinischen Quellen nur bis vor 1063 bzw. 1068 mit der Stadt identifiziert wurden und danach verschwinden. Solche Auslassungen spiegeln möglicherweise aber nicht nur die innerstädtischen Machtbalancen Palermos wider, sondern auch das sich nun verschiebende Verhältnis der Stadt zum Rest der Insel. Nachdem die Normannen in den 1060er Jahren be­ achtliche Teile Siziliens der muslimischen Kontrolle entrissen hatten, wurde es für Palermo – obwohl der Stadt symbolisch immer noch eine herausragende Rolle zuge­ schrieben wurde – immer schwieriger, über das eigene Hinterland hinaus politischen und militärischen Einfluss auszuüben. In dieser Weise auf sich selbst gestellt, könnte eine innere Reorganisation möglicherweise tiefgreifendere politische Wandlungspro­ zesse zur Folge gehabt haben als bisweilen angenommen. Durch die normannische Eroberung Palermos 1071/1072 fanden diese Entwicklungen aber ein abruptes Ende.

3.3 Fall: Eroberung und Aneignung des muslimischen Palermo 3.3.1 Die normannische Belagerung Die Eroberung Palermos ist die am dichtesten geschilderte Ein- und Übernahme einer Stadt durch die Normannen. Obwohl hier alle drei Eroberungschronisten detailreich über die Kampfhandlungen informieren, ist dieses Ereignis in der Forschung bisher wenig ausführlich diskutiert und kaum räumlich analysiert worden.⁹³ Dabei berich­ ten die Texte ausführlich über verschiedene urbane Räume und lassen den Eingriffen in dieselben eine auffällige Aufmerksamkeit zukommen. Die Historiographen benen­ nen und verorten außerdem einzelne Gebäude und versehen diese überdies mit Zu­ schreibungen, die eine weitgehend unbeachtete Aussagekraft über den Vorgang der Einnahme beinhalten. So lassen sich sowohl der Umgang der normannischen Eroberer mit dem Vorgefundenen als auch die Überformung dieser Ereignisse durch gezielte Baumaßnahmen in der späteren Stadtgeschichte fassen. Die Belagerung begann im Spätsommer des Jahres 1071 und erstreckte sich über mehrere Monate. Auf die langwierige und militärisch aufwendige Aktion hatten sich

92 Vgl. die grundlegende Studie von B r e t t, City State. 93 Die normannische Eroberung Palermos aus historischer Perspektive bechreibt wohl am ausführlichs­ ten L o u d, Age, S. 157‒163; außerdem B e c ke r, Graf Roger, S. 56‒62. In den einschlägigen urbanistischen Studien taucht die Eroberung hingegen kaum oder gar nicht auf; vgl. beispielsweise M a u r i c i, Palermo araba; d e r s ., Palermo normanna.

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die Brüder Robert Guiskard und Roger lange im Voraus vorbereitet. Nach dem Fall Baris hatte der Herzog in Reggio seine Schiffe und Kämpfer sowie eine große Zahl von Kriegsgefangenen versammelt und deren Versorgung organisiert, bevor er nach Cata­ nia übergesetzt war.⁹⁴ Von dort begab sich Guiskard vermutlich entlang der Nordküste auf dem Seeweg nach Palermo, während Roger über die Landroute via Troina nach Westen zog. Gemeinsam setzten sie zum Zangenangriff auf die sizilische Hauptstadt an.⁹⁵ Da die Handschrift der „Ystoire“ für die Kapitel 14 und 15 des sechsten Buches größere Ausfälle aufweist, fehlt die Passage über die Ankunft des Heeres in Palermo und den Beginn der Belagerung. Amatus von Montecassino setzt damit ein, dass die Normannen eines Tages einen nicht näher spezifizierten „Palast (palaiz) und die Dinge außerhalb der Stadt teilten“⁹⁶. Ihrem Anführer wurden die mit Obst gefüllten Gärten und die Kontrolle über die Wasserversorgung zugeteilt, die Ritter hingegen erhielten „die königlichen Belohnungen und das irdische Paradies“.⁹⁷ Der Besitz des Landes und dabei zumal die Kontrolle über das Wasser fielen offenbar dem Führer der Eroberer anheim. Hinsichtlich der Identifizierung dieser Person besteht ein textkritisch nicht eindeutig lösbares Problem. Während die neuere Edition der „Ystoire“ an dieser Stelle den „Grafen (conte)“ mit dem Verweis „Corr.“⁹⁸ nennt, ist die Rede im Manuskript ei­ gentlich von „prince“. Diese Wortverwendung könnte auf der Grundlage intratextueller Argumentation zwar als Übertragungsfehler gedeutet werden, erlaubt aber nicht mit Sicherheit zu entscheiden, dass nicht auch der Herzog hätte gemeint sein können. Man dürfte sogar vermuten, dass ihm als dem Ranghöheren der beiden Brüder bei dieser wichtigen Aktion zumindest ein Mitsprache- oder Nachverhandlungsrecht zugestan­ den wurde, das er – wie weitere Entwicklungen im Zuge der Inbesitznahme Palermos zeigen – auch eifersüchtig einforderte. Neben der Frage, wer das neue Land zuerst und wie aufteilte, ist die Aussage des Amatus hinsichtlich des Belagerungsplatzes bemerkenswert. Offenbar wurde ein Ort gewählt, der über eine gute Wasserversorgung, über Gärten und einen repräsentativen Bau oder Gebäudekomplex verfügte. Diese Örtlichkeiten scheinen vor dem Hintergrund einer vorhersehbar langwierigen Belagerung sinnvoll. Vom topographischen Gesichts­ punkt her verweisen sie auf das Gebiet der südlichen, der Stadt Palermo vorgelagerten

94 Zur Belagerung und zum Fall Baris vgl. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 40, S. 362‒367; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 5, cap. 27, S. 406‒410; W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 174, V. 189–191. Vgl. außerdem L o u d, Age, S. 133‒137. 95 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382‒387; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, lib. 6, cap. 14, S. 427; W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 174, V. 204–212. 96 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 16, S. 428 f. 97 Ebd. 98 Ebd., S. 428 mit Anm. 366.

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Distrikte. Der Autor der „Ystoire“ bezieht sich damit aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Areal des wādī ʿAbbās. Einmal mehr wird so auf diejenige Gegend verwiesen, wo nahe des Flusses das Viertel al-Ǧaʿfarīya (unklar auf welcher Flussseite) und die pal­ ermitanische Neustadt sowie die Zitadelle von al-Ḫāliṣa zu finden war. Nachdem dieses Gebiet wohl bereits das Ziel des pisanischen Angriffs von 1064 gewesen war, lässt sich vermuten, dass ihm – vielleicht auch bedingt durch die äußere Erscheinung der Bau­ gestalt und Architektur – immer noch eine bedeutende Position zukam. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass diese extraurbanen Strukturen zu diesem Zeitpunkt weitgehend verlassen waren, was mit den Fluchtbewegungen nach Nordafrika sowie einem Rück­ zug in die besser bewehrte Stadtanlage erklärt werden könnte. Ein weiteres Indiz deutet auf die Verortung des normannischen Lagers und spricht ebenfalls für die unmittelbare Nähe zum wādī ʿAbbās: Die normannischen Angreifer seien eines Tages von ihrem Lager aus zu einem Kastell mit dem Namen Jehan geritten. Dort habe der Graf 30 Muslime ergreifen und fünfzehn Männer töten lassen sowie ihre Pferde an sich genommen.⁹⁹ Es könnte sich bei diesem Kastell um einen Wachturm oder ribāṭ gehandelt haben. Seine Funktion dürfte die Kontrolle des Flusses sowie des See­ verkehrs und damit die Sicherung des südlichen Palermos sowie des Hafenzuganges im Osten gewesen sein. Nach dem erfolgreichen Angriff auf den chastel Jehan habe Roger seinen Bruder dorthin eingeladen, um mit ihm eine Unterredung zu führen.¹⁰⁰ Diese Bemerkung könnte dafür sprechen, dass die Anlage von den Normannen übernommen und als eine Art Stützpunkt für die weitere Belagerung genutzt wurde. Topographisch stimmt der chastel Jehan, welcher zur Zeit des Kommentators der „Ystoire“ St Jehan hieß,¹⁰¹ mit der normannischen Kirche von S. Giovanni (später mit dem Zusatz dei Lebbrosi) überein.¹⁰² Tommaso Fazello identifizierte diese ohne nähere Erläuterung als erste normannische Gründung.¹⁰³ In der urkundlichen Überlieferung wird das Gebäude erstmals als Kirche erwähnt, als es von Roger II. mit Eigentum ausge­ stattet wurde.¹⁰⁴ Der Kirche wurde unter Wilhelm I. ein Leprosorium angeschlossen.¹⁰⁵ Als solches fungierte es auch Ende des 12. Jahrhunderts, denn der Reisende Ibn Ǧubayr erwähnte dort ein Krankenhaus (arab. maristān) als letzte Station auf der zur Stadt füh­

99 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 16, S. 428 f. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Zum Baubefund vgl. D i S t e f a n o, Monumenti, S. 17‒19. Maurici geht davon aus, dass S. Giovanni zur Zeit der Eroberung „certamente“ ein ribāṭ gewesen sei; M a u r i c i, Castelli, S. 62. Bis 2019 wurde ein interdisziplinäres Projekt unter dem Titel „In Quest of the Islamic Heritage in Sicily. The San Giovanni dei Lebbrosi (Palermo) Archaeological Complex in Transition (From Islamic to Norman Periods, 10th‒12 th Centuries)“ unter der Leitung von Guiseppe Mandalà und María Ángeles Utrero durchgeführt. Zu einem ersten Projektbericht vgl. M a n d a l à, Sicilian Questions, S. 9‒11; d e r s ., Iglesia. 103 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 187, sowie I n v e g e s, Annales 3, fol. 78. 104 Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 68, S. 312. 105 Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 4, S. 11‒14; Nr. 8, S. 23‒26.

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renden Hauptroute im Süden.¹⁰⁶ Neben dem Überfall auf den Wachturm Jehan, durch dessen Inbesitznahme die Normannen 1071 sukzessive näher an den eigentlichen Stadt­ kern vordringen konnten, berichten die Eroberungschroniken von weiteren Kämpfen in den Monaten der Belagerung, die sich vor den Mauern Palermos zugetragen haben sollen.¹⁰⁷ So habe auch eine Seeschlacht stattgefunden, die ausführlich in den Versen des Wilhelm von Apulien beschrieben und dabei zum Glaubenskampf stilisiert wird. Ro­ bert Guiskard ließ demnach die in vorherigen Kriegszügen gefangen genommenen Kalabresen, Apulier und Griechen in den Kampf gegen die Muslime ziehen, die sich nicht nur aus Sizilien rekrutierten, sondern auch Unterstützung aus Ifrīqiya erhielten. Vor dem Kampf habe Guiskard seine Leute mit dem Leib Christi gewappnet, während die Muslime wie eine wilde Meute gebrüllt und ihre Trompeten geblasen hätten. Durch göttliche Hilfe sei es den normannischen Truppen dann gelungen, die Feinde in die Flucht zu schlagen. In der Folge hätten sie die Kette des Hafens gebrochen, seien in die Bucht eingedrungen und hätten dort einige Schiffe erobert.¹⁰⁸ Amatus von Mon­ tecassino berichtet ebenfalls von gekaperten Schiffen, die er als „un gath“ (gemeint ist cattus / gattus, was große Galeeren muslimischer Machart sowie Handelsschiffe be­ zeichnen kann)¹⁰⁹ und „une gallee“ spezifiziert.¹¹⁰ Obgleich dieses militärische Auf­ einandertreffen topisch aufgeladen ist, um die Konfrontation zwischen Christen und Muslimen hervorzuheben, könnte diese Schlacht die Stadt tatsächlich wesentlich ge­ schwächt haben. Denn sollten sich die Normannen dadurch Kontrolle über den Hafen verschafft haben, wäre die Stadt blockiert und von der Versorgung abgeschnitten ge­ wesen; ein Ende des Widerstands war damit absehbar. Zu welchem Zeitpunkt der Belagerung dies geschah, ist unklar, jedenfalls zogen sich die Palermitaner anschließend offenbar in die Stadt zurück und rüsteten ihre Mauern und Türme auf, während die Normannen die Tore bedrängten. Wilhelm von Apulien berichtet dann von weiteren Kampfhandlungen¹¹¹ und lässt Guiskard in einer flam­ menden Rede Palermo als „gottesfeindliche Stadt (urbs inimica Deo)“ bezeichnen.¹¹² Für den entscheidenden Angriff, der den Fall der Stadt zur Folge haben sollte, attackier­ ten die Brüder die Stadt von zwei Punkten aus, wie Gaufredus Malaterra und Wilhelm von Apulien überliefern. Auch Amatus zufolge wurden mehrere Orte gleichzeitig un­ ter Beschuss genommen. Alle drei Autoren stimmen darin überein, dass die Mauern

106 107 108 109 110 111 112

I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überarb. D e G o i j e, S. 330. W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 176, V. 223 f. Ebd. S i m e k, Schiffsnamen, S. 122; Medieval Latin, hg. von M a n t e l l o / R i g g, S. 453. A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 16, S. 428 f. W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 174, V. 208 f. Ebd., S. 178.

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Palermos mit Leitern erklommen wurden, die Guiskard habe konstruieren lassen.¹¹³ Überdies geben sie einen räumlichen Anhaltspunkt, um denjenigen Teil Palermos zu identifizieren, der nach fünf Monaten der Belagerung zuerst von den Normannen be­ zwungen werden konnte. Malaterra referiert dabei auf eine „urbs exterior (äußere Stadt)“ und Wilhelm von Apulien auf eine „urbs nova (neue Stadt)“. Das Manuskript der „Ystoire“ ist an dieser Stelle beschädigt, spricht aber von „Alt­Palermo“, um den Bezirk zu bezeichnen, der nach dem zuerst gefallenen Bereich erobert werden konnte. Aus der Perspektive der Eroberungschroniken war es offensichtlich von Relevanz zwischen den beiden „urbes“, einer äußeren und neueren sowie einer älteren und inneren Stadt, zu unterscheiden. Weshalb diese verortende Terminologie aber aussagekräftig sein könnte, ist über die Jahrhunderte hinweg zumindest teilweise in Vergessenheit geraten. In der Forschung zur normannischen Eroberung Palermos wurde daher oft vermutet, dass es sich bei der „urbs nova / exterior“ um ein gewöhnliches Stadtviertel der Neustadt gehandelt habe. Das Adjektiv „neu“ und „außerhalb“ bezieht sich in dieser Lesart darauf, dass jenes Viertel schlicht später errichtet worden sei und vor den Mauern der Altstadt lokalisiert war.¹¹⁴ Die räumliche Bedeutung wird hingegen nur unter Einbeziehung der arabischsprachigen Quellen für die Topographie des muslimischen Palermos deutlich. Aus dieser geht nämlich hervor, dass die neuere, äußere Stadt entweder mit der so­ genannten Vorstadt oder aber mit al-Ḫāliṣa übereinstimmen müsste. Da erstere wahr­ scheinlich ohne sie komplett umschließende, feste Mauern geblieben war, al-Ḫāliṣa hingegen als separat ummauerter Nukleus vor den palermitanischen Stadtmauern lag, ist zu vermuten, dass sie wahrnehmbar den Charakter einer eigenen Entität von urbs hatte. Die Chronisten dürften demnach mit der neuen oder äußeren Stadt eben genau die Festung von al-Ḫāliṣa gemeint haben. Nimmt man dies als gegeben an, so wä­ ren die Normannen zuerst in die unter fatimidischer Vorherrschaft erbaute Zitadelle eingedrungen.¹¹⁵

113 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45 f., S. 382‒391; A m a ­ t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 17‒19, S. 429‒432; W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 174‒182, V. 204‒336. 114 Vgl. C h a l a n d o n, Histoire, S. 207‒209; B e c ke r, Graf Roger, S. 59; L o u d, Age, S. 160. Diese Deutung findet sich schon in der topographischen Beschreibung von D i G i o v a n n i, Topografia 1, S. 125‒155. An­ ders die Interpretation von M a u r i c i, Castelli, S. 60‒62. 115 Erwähnenswert ist in diesem Kontext nochmals die Aussage des Ibn Ḥawqal, der bemerkt, dass „alḪāliṣa eine Mauer aus Stein [hat], die aber nicht zu vergleichen ist mit derjenigen Palermos“; vgl. I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 119; I b n H a u q a l, Configuration, übers. von K ra m e r s, eingel. von W i e t, S. 118.

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3.3.2 Überformung und Memorialisierung Alle drei der frühen normannischen Eroberungschroniken schreiben Robert Guiskard die entscheidende Rolle für die Einnahme Palermos zu. Amatus von Montecassino zufolge habe der Herzog Leitern bauen lassen, um mit diesen in die Stadt gelangen und von innen die Tore öffnen zu können.¹¹⁶ Malaterra hält fest, dass es die Leute Guiskards (lat. „Guiscardenses“) gewesen seien, die einen schlecht gesicherten Teil der Mauern mit Leitern erklimmen konnten. Dies habe zum Fall der urbs exterior geführt.¹¹⁷ Auch Wilhelm von Apulien spricht von der Überwindung der Mauern durch Leitern¹¹⁸ und betont, dass Guiskard der Sieg zu verdanken sei, den er nicht nur durch militärische Stärke und Tapferkeit, sondern auch durch Klugheit und Geschicklichkeit für sich entschieden habe.¹¹⁹ Die während der Königsherrschaft Rogers II. entstandene „Historia Sicula“ eta­ bliert hingegen ein Narrativ, mit dem der anonyme Autor die Gemeinschaftlichkeit der Unternehmung und deren göttliche Unterstützung betont. Nachdem die Normannen schon eine Weile versucht hätten, die Mauern Palermos zu erklimmen, habe eines Tages ein „höchst tollkühner arabischer Krieger (arabicus miles audacissimus)“ eines der Tore offenstehen lassen. Ein Neffe der Brüder trat durch dieses Tor, das plötzlich hinter ihm geschlossen wurde und den normannischen Ritter von seinen Genossen ge­ trennt innerhalb der feindlichen Mauern einsperrte. Während die Normannen vor den Mauern bereits den Verlust ihres Kameraden beklagten, sei diesem Christus zu Hilfe gekommen, sodass er auf wundersame Weise durch ein Tor an der gegenüberliegenden Seite habe entfliehen können.¹²⁰ Nimmt man die Aussage, er sei „appositam partem“ wieder herausgetreten, ernst, so müsste der Normanne entweder von der nördlichen oder südlichen Seite der al-Ḫāliṣa eingedrungen sein, da auf der östlichen, zur Meer gewandten Seite kein Tor war (siehe Karte 3 und 4 im Anhang). Der Anonymus schreibt weiter, dass die Brüder am kommenden Tag die Stadt von zwei Seiten angegriffen hät­ ten und es ihnen dabei gelungen sei, ebenjenes Tor zu zerstören und den Normannen Zugang zu den inneren Mauern Palermos zu verschaffen.¹²¹ Diese Erzählung ist bis in die frühe Neuzeit in der sizilischen Geschichtsschreibung verankert und bildet so den Grundstein eines wichtigen palermitanischen Erinnerungsorts.

116 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 430. 117 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382‒387. 118 Ebd. sowie W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 180, V. 297. 119 Ebd. Für die Rede Roberts vgl. ebd., S. 178, 180, V. 284‒295. Die Tore und Mauern dieser urbs werden besonders im Gedicht des Wilhelm von Apulien betont; vgl. z. B. ebd., lib. 3, S. 174, V. 208; lib. 3, S. 176, V. 223 f.; lib 3, S. 178, V. 271. 120 A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. Lat. 6206, fol. 295r‒v. 121 Ebd.

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Auch Tommaso Fazello berichtet in seinem Werk „De rebus Siculis“ von einem Stadttor, durch das die Normannen Eintritt erlangen konnten und das daher „porta Victoria“ genannt werde.¹²² Zum Dank Gottes hätten die Eroberer dort einen Altar errichtet, der bei Fazello als eine der ersten religiösen Stiftungen der Normannen in Palermo gilt.¹²³ An anderer Stelle erwähnt er zudem, dass dieses Tor seine eigentli­ che Funktion mittlerweile eingebüßt hatte und dauerhaft verschlossen blieb.¹²⁴ Wie Senatsbeschlüsse des ausgehenden 15. Jahrhunderts belegen, war jenes Tor außerdem bereits in neuere Strukturen integriert worden. Ein Zeugnis aus dem Jahr 1489 ver­ anlasst nämlich die Restaurierung einer Kapelle „a fundamentis“, wobei auch ein Tor, das gemeinhin „la Vittoria“ genannt werde und über dem sich ein Bildnis der Jungfrau Maria befand, versetzt werden sollte.¹²⁵ Bald darauf wird diese restaurierte Kapelle wieder erwähnt, als der Senat sowie der Erzbischof Palermos im Jahr 1497 ein Fest einführten, das an jedem 2. Januar die siegreiche Jungfrau in der ihr geweihten Kirche feiern sollte.¹²⁶ Obwohl bei diesem Fest nicht etwa die Befreiung Palermos von muslimischer Herr­ schaft, sondern das Ende der Pest zelebriert werden sollte, lässt sich im 16. Jahrhundert ein eindeutiger Verweis auf eine Korrelation zwischen der Porta Victoria, dem Kult der Jungfrau Maria und der Einnahme Palermos durch die Normannen nachweisen, als eine Inschrift in dieser Kirche angebracht wurde, welche die normannische Eroberung Palermos ins Gedächtnis ruft: „Porta haec, in quam Rogerius invictissimus Siciliae Comes irrumpens aditum exercitui Christiano ad Urbem hanc Panormum ab indigna Saracenorum servitute emancipandam venienti, patefecit, Victoria cognomento, ab eo devictorum Hostium summo cum honore ob insignem reportatam Victoriam, Deipara Virginis cultui victoris ejusdem Principis ardenti, ac pio desiderio consecrata est Quintili Mense Dom. Incarnationis anno M.LXXI.“¹²⁷

Überliefert ist diese Inschrift im Werk des Giardina / Triziano aus dem frühen 18. Jahr­ hundert, das sich den ehemaligen und noch existierenden palermitanischen Stadttoren widmet. Inhaltlich auffällig ist die Inschrift zunächst deshalb, weil hier eine eindeutige Hervorhebung Rogers I. stattfindet. So wird dieser nun als alleiniger Eroberer gerühmt, wohingegen Herzog Robert gar nicht erwähnt ist. Laut Giardina sei an Guiskard in ei­

122 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 434. 123 Neben Fazello u. a. M o n g i t o r e, Palermo, S. 251‒253; I n v e g e s, Annali, fol. 76‒78; G i a r d i n a, Anti­ che porte, S. 11. 124 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 187. 125 Zur Bestätigung des Vicerè Ferdinand von 1489, in welcher der Wiederaufbau der Kirche erlaubt wird, vgl. M o n g i t o r e, Palermo devoto di Maria, S. 251‒253; I n v e g e s, Annali, fol. 76‒78; G i a r d i n a, An­ tiche porte, S. 11. 126 M o n g i t o r e, Palermo, S. 254; A m a r i, Musulmani, Bd. 3, S. 128 f. mit Anm. 4. 127 Zitiert nach G i a r d i n a, Antiche porte, S. 11. Die Datierung der Weihe auf Juli 1071 ist fehlerhaft, da die Eroberung zu dieser Zeit erst begann.

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nem anderen Kirchlein separat erinnert worden, das im Jahr 1598/1599 ebenfalls mit einer Inschrift ausgestattet wurde: „Roberto Panormi Duce, et Siciliae Rogerios Comite imperantibus, Panormitani Cives ab Victoriam habitam, hanc Aedem B. Mariae sub Victoriae nomine sacrarunt. An. Dom. 1071.“ Gemeinsam ist den beiden Inschriften, dass sie eine Verbindung zwischen Marien­ verehrung und siegreicher Eroberung herstellen. Die Bedeutung Marias als Schlachten­ helferin ist allgemein bekannt, für die Verehrung der Maria Genetrix / Deipara bzw. der Θεοτόκος ist aber auch anzuführen, dass diese gerade für die griechisch geprägten Ge­ biete des Mezzogiorno nicht ungewöhnlich war.¹²⁸ Davon abgesehen sticht ins Auge, dass diese Inschrift für Robert deutlich kürzer und spärlicher ausfällt als ihr roge­ rianisches Gegenstück. Außerdem liegt die Kirche, die an den Ort erinnern soll, von dem aus Robert in die Stadt habe eindringen können, im nördlichen Außenbezirk Palermos lag (im Bereich des ehemaligen Ṣaqāliba-Viertels).¹²⁹ Von einem topographi­ schen und strategischen Standpunkt aus betrachtet liegt dieser Ort somit peripher zum sonstigen, in den Eroberungschroniken geschilderten Geschehen. Eine mögliche Erklä­ rung für diese personelle und räumliche Verschiebung bzw. Marginalisierung könnte darin liegen, dass eine Herausstellung Rogers I. und seiner Raumdurchdringung der ideologischen Agenda der Zeit dienlicher war. In dieser Weise sollte nämlich an den Vater des Gründers der sizilischen Monarchie erinnert und damit eine ungebrochene Tradition herrscherlicher Legitimität von der siegreichen Eroberung bis hin zum Kö­ nigtum der Gegenwart hergestellt werden. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass diese inschriftlichen Raummarker des 16. Jahrhunderts von Michele Amari als einem Ver­ fechter der anti­bourbonischen Bewegung und der sizilischen Unabhängigkeit scharf kritisiert wurden: „Ognun vede che renda la tradizione qual correa presso gli eruditi nel XVI secolo; poichè vi e nominato Ruggiero in luogo di Roberto“.¹³⁰

128 Obwohl mehrere frühe normannische Kirchen der Gottesmutter geweiht wurden, kann dies nicht spezifisch mit der Aneignung islamisch oder jüdisch vorgeprägter Orte der Gottesverehrung in Zusam­ menhang gebracht werden, wie dies andernorts der Fall ist; vgl. beispielsweise R ö c ke l e i n, Marienver­ ehrung; R e m e n s ny d e r, Conquistadora, hier Kap. 6 „Mother of Conversion“, S. 175‒205. In Süditalien und Sizilien lässt sich insgesamt eine Vielfalt dieser Heiligenverehrung und Patrozinien beobachten, wobei beispielsweise gezielte Rückgriffe auf lokale, vorislamische Traditionen eine Rolle spielten. Die Einführung ‚neuer‘ Heiliger durch die Normannen nimmt erst später zu; vgl. dazu O l d f i e l d, Sanctity, S. 166 f. Zur Verbindung zwischen einer griechischen Tradition der Verehrung der Gottesgebärerin und der Hauteville­Dynastie in der Kirche von S. Sabino in Canosa di Puglia vgl. Fa l l a C a s t e l f ra n c h i, Co­ nosa, S. 143‒150. Zu griechischen Marienikonen auf dem süditalienischen Festland und der anhaltenden Bedeutung des griechischen Einflusses in Apulien und Kalabrien vgl. D i D a r i o G u i d a (Hg.), Icone di Calabria. 129 Zur Zeit Giardinas waren dort die Padri Minimi di San Francesco di Paola ansässig; vgl. G i a r d i n a, Antiche porte, S. 12; I n v e g e s, Annali, fol. 77 f. 130 A m a r i, Musulmani, S. 128 f. mit Anm. 2. Vgl. außerdem M o n g i t o r e, Palermo, S. 32; D i M a r z o, Ga­ gini, S. 138 mit Anm. 2; B o s c a r i n o / G i u ff r è, Storia, S. 158.

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Aufspaltung und Übernahme

Abb. 6: Die Porta della Vittoria auf dem Stadtplan Palermos von 1732 (Nr. 3).

Im Stadtplan, der Giardinas Untersuchung beigegeben ist (Abb. 6), wird das Siegestor mit der Nummer 3 gekennzeichnet und zwischen der spätgotischen Chiesa della Gancia (S. Maria degli Angeli) und der Kirche S. Teresa verortet.¹³¹ Damit können die porta Vic­

131 G i a r d i n a, Antiche porte, S. 9.

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toria und das erste normannische Eindringen infra muros genauer lokalisiert werden, nämlich am südlichen Rand des al-Ḫāliṣa-Komplexes. Wie in al-Muqaddasī zu lesen ist, lag dort ein Tor, das den Namen bāb al-fuṭūḥ trug, was wörtlich mit „Tor des Sieges“ oder „Tor der Eroberung“ zu übersetzen ist.¹³² Diese toponomastische Übereinstimmung ist wohl kaum als bloße Koinzidenz zu werten, sondern dürfte darauf hindeuten, dass es sich hier um ein und dasselbe Tor handelt, dessen Name als porta Victoria latinisiert oder vielmehr aus dem Arabischen übersetzt und so Lateinisch überschrieben worden ist (siehe Karte 4 im Anhang). Gaufredus Malaterra berichtet, dass innerhalb der urbs exterior die Übergabe der Stadt und die Konditionen für die Bewohner der urbs interior verhandelt worden seien.¹³³ Dieser Umstand könnte dafür sprechen, dass sich eine städtische Autorität innerhalb der Mauern von al-Ḫāliṣa aufhielt oder dorthin kam, um den Eroberern die Unterwerfung Palermos anzubieten. Die Frage aber, wer eine solche Autorität verkör­ pert haben könnte und mit wem die normannischen Brüder derartige Verhandlungen führten, wird nicht weiter ausgeführt. Gaufredus scheint auf eine Gruppe von Musli­ men zu verweisen, die als primores bezeichnet wurden und mit den Normannen in Kontakt traten. Amatus zufolge seien zwei caÿte auf die Normannen zugekommen und hätten um die Bekanntgabe der Bedingungen gebeten.¹³⁴ Beide lateinischen Berichte über ein städtisches Kollegium von Führern oder Ältesten passen zu den judäo­arabi­ schen Quellen, die ein Gremium von šuyūḫ bzw. einen Rat (arab. šūrā) belegen.¹³⁵ Was aber wirklich von der einstigen Bedeutung der al-Ḫāliṣa zum Zeitpunkt der norman­ nischen Eroberung geblieben war, ob die Normannen damit in ein weiterhin aktives und funktionierendes Zentrum von Herrschaft und Administration vordrangen, muss offen bleiben. Denkbar wäre schließlich, dass unter der anhaltenden Bedrohung längst ein Rückzug in die wehrhaftere Altstadt stattgefunden hatte. Ein bereits eingetretener Bedeutungsverlust der Anlage könnte auch dazu beigetra­ gen haben, dass das Wissen über die Existenz und Bedeutung des al-Ḫāliṣa-Komplexes

132 A l - M u q a d d a s ī, Aḥsan al-taqāsīm, hg. von D e G o e j e, S. 231 f.; a l - M u q a d d a s ī, Best Divisions, übers. von C o l l i n s, S. 192. 133 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382‒387; W i l ­ h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 180, V. 320. 134 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 431. 135 Ein interessanter Vergleichspunkt ist in diesem Zusammenhang auch die normannische Eroberung Londons mit den Verhandlungen zwischen den in Westminster kampierenden Eroberern und den städti­ schen Ältesten (senatus / aldermen) über die Übergabe und die Kapitulationsbedingungen der Stadt und ihrer Bevölkerung. Den detailliertesten Bericht zur Einnahme liefert das „Carmen Widonis“, das dem Bi­ schof Guy d’Amiens zugeschrieben wird: The Carmen de Hastingae, hg. von B a r l o w, S. 44‒49. Der Status der Stadt und ihrer Bewohner wird außerdem bestätigt in der sogenannten William Charter (London, Metropolitan Archives Ref. COL / CH/01/001/A).

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Aufspaltung und Übernahme

bald verloren ging.¹³⁶ Ein konkreter und bedeutender Hinweis auf al-Ḫāliṣa kann le­ diglich in dem latinisierten Namen des Viertels Alza/Kalsa nachgewiesen werden. Der Gebrauch des Begriffs beschränkt sich in lateinischen Quellen der normannischen Pe­ riode überwiegend auf topographische Angaben in Urkunden. Auch taucht das Viertel in der stauferzeitlichen Miniatur Palermos im „Liber ad honorem Augusti“ auf.¹³⁷ Die­ ses zeigt hier im Vergleich zu den anderen Vierteln der Stadt eine weniger dichte Gruppierung von Personen, von denen eine mit Spitzbart ohne Kopfbedeckung dar­ gestellt ist, was gemeinhin als Bild eines Griechen gedeutet wird.¹³⁸ Das Viertel wird in keiner der gesichteten lateinischen Quellen mit einer islamischen Vergangenheit oder muslimischer Bevölkerung identifiziert. Aus normannischer Zeit weiß allein das geographische Werk des al-Idrīsī nicht nur um die Herleitung des Namens, sondern hält auch Informationen über seine ehemalige Raumfunktion bereit, indem es erklärt, dies sei früher der Ort gewesen, an welchem „der Sultan mit seiner Entourage“ in der Zeit muslimischer Herrschaft lebt.¹³⁹ Diese Wahrnehmung einer vergangenen Realität arabisch­islamischer Geschichte findet sich auch im späteren geographischen Nach­ schlagewerk „Kitāb al-rawḍ“ von al-Ḥimyarī. Hier ist al-Ḫāliṣa nicht etwa unter dem Lemma Palermo als ein Stadtteil aufgeführt, sondern ihr ist ein gesonderter Eintrag gewidmet, womit sie als eigenständige urbane Entität bewertet oder vielmehr erinnert wird.¹⁴⁰ Der Verfall des Viertels deutet sich möglicherweise auch in der Geographie des Reisenden Yāqūt an. Dieser bezeichnet den Bezirk nämlich einfach als Vorort und hält außerdem fest, dass dieser von der Stadtmauer Palermos umschlossen war.¹⁴¹ Diese Indizien fügen sich mit dem entstehenden Eindruck, dass die Normannen schon unmittelbar nach der Eroberung kein Interesse am Raum der al-Ḫāliṣa gehabt zu haben scheinen. Nach ihrem Sieg über das muslimische Palermo wurde die Zitadelle nicht beibehalten, befestigt oder anderweitig angeeignet und umgebaut. Auch gibt es keine Hinweise für eine systematische Zerstörung oder ein Schleifen der alten Anla­ gen. Zu vermuten wäre daher, dass al-Ḫāliṣa dem Verfall preisgegeben wurde, nachdem

136 Vgl. z. B. Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 434; I n v e g e s, Annales 3, S. 76; G i a r d i n a, Antiche Porte, S. 10; M o n g i t o r e, Palermo, S. 32. 137 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, fol. 98r, S. 46 f. Die Editoren schlagen hier die Lesung Calza vor. Möglich wäre aber auch die Schreibung „Alza“. Zwar findet sich ein ähnlich geschwungenes C in der Überschrift für die Quartiere der Stadt, aber dieses C wird als Verzierung der Viertelnamen verwendet. Die Bezeichnung „Alza“ ist weiterhin in einer Urkunde Fried­ richs II. zu finden, die im April 1205 in Palermo ausgestellt wurde und auf ein Viertel „in loco qui dicitur Alza“ referiert; vgl. Urkunden Friedrichs II., Bd. 1: 1198‒1212, hg. von Ko c h, Nr. 49, S. 99‒101, hier S. 101. 138 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s , fol. 98r, hier Kom­ mentar auf S. 46. 139 A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 591. Die Ähnlichkeit dieser Formulie­ rung zur Beschriftung auf der Sizilienkarte im „Book of Curiosities“ ist bestechend und könnte eine ge­ genseitige Beeinflussung der Werke vermuten lassen; vgl. Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, S. 138. 140 A l - Ḥ i my a r ī, Kitāb al-rawḍ, hg. von ʿ A b b ā s, S. 102. 141 Yā q ū t, Muʿgam, hg. von Dār Ṣādir, Bd. 1, S. 483.

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ihre Strukturen vielleicht bereits durch Jahre des Niedergangs und nach Monaten der Belagerung beschädigt waren. Ein überlieferungsgeschichtlich problematischer, aber dennoch aufschlussreicher Hinweis auf das Ausmaß der Zerstörung von Kastellen, Gebäuden und Palastanlagen in Städten des islamischen Siziliens durch die norman­ nischen Belagerungen findet sich in einer Urkunde, die im Auftrag Rogers I. 1093 für Agrigent ausgestellt wurde.¹⁴² Obwohl es sich hier um eine ins 12. Jahrhundert zu da­ tierende interpolierte Kopie handelt, ist anzunehmen, dass die Städte Siziliens, allen voran Palermo, durch langwierige Belagerung tiefgreifende Zerstörungen, vor allem an den Stadtgrenzen, erfahren hatten. Diese Zerstörung wird auf mittlere Dauer sicht­ bar geblieben und nur punktuell durch Aneignung überformt worden sein. Ähnliches lässt auch die Beschreibung der palermitanischen Festungen durch Agostino Inveges vermuten. In der Eroberungszeit habe es „la Rocca Occidentale, e Terrestre“ gegeben, die er mit dem normannischen Palast auf der Akropolis identifiziert, sowie „[la] Rocca Orientale, e Maritima“, die er mit dem Castellamare in Zusammenhang bringt, und eine dritte, die er „la Città di Muraglia“ nennt und die „wegen der langen Belagerung von fünf Monaten überwiegend in Ruinen lag“.¹⁴³ In der Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte Michele Amari, die Siegeskapelle und das Siegestor zu lokalisieren. Diese glaubte er im barocken Oratorio dei Bianchi erkannt zu haben. Die Inschrift, die im Werk des Giardina / Triziano zitiert wird, schreibt nun auch Amari nieder, nachdem er sie an einer der Seitenwände des Oratoriums gesehen hatte. Offenbar war das Gebäude damals nicht öffentlich zugänglich – jedenfalls dankt Amari dem jungen, später sehr bedeutenden Palermitaner und Archäologen Antonio Salinas (gest. 1914) für seine Unterstützung bei der Besichtigung.¹⁴⁴ Nach umfassenden Renovierungsarbeiten in den 1989er Jahren ist das Oratorio heute zu besichtigen. Dem Besucher präsentiert sich hier ein auf das 11. Jahrhundert datiertes Holztor in einer Ni­ sche der nordöstlichen Innenwand auf Bodenniveau (siehe Abb. 7). Auf einer Tafel mit Erklärungen wird dabei suggeriert, dass es sich tatsächlich um das bāb al-futūḥ handeln könnte. Die hölzernen Türflügel werden von einem Fresko bekrönt, welches das Raum­ arrangement mit dem Tor ikonographisch als zentrales Objekt des Raumes ausweist. Die heilige Jungfrau mit dem Jesuskind thront in der Darstellung als Maria nikopoia, als siegbringende Maria, über dem hölzernen Tor. In ihrer Linken hält sie eine Standarte mit einem roten Kreuz auf weißem Grund,¹⁴⁵ der Apostel Petrus schaut zu ihr auf.

142 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. †36, S. 152‒155, hier S. 155. Diese Urkunde steht in Zusammenhang mit zwei weiteren Fälschungen, die alle eine sehr ähnliche Arenga aufweisen; vgl. e b d ., Nr. †33, S. 143‒146, Nr. †35, S. 150 f. 143 I n v e g e s, Annali, fol. 78. 144 Vgl. A m a r i, Musulmani, S. 128 f. mit Anm. 2. Die Piazzetta della Vittoria ist nicht mit der Piazza della Vittoria zu verwechseln, die dem Palazzo dei Normanni vorgelagert ist; vgl. z. B. D i G i o v a n n i, Topogra­ fia, S. 192 f. 145 Zum Georgskreuz im Kontext normannischer Kämpfe gegen Muslime vgl. auch G o o d, Cult, bes. S. 32‒35.

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Aufspaltung und Übernahme

Abb. 7: Palermo, Cappella della Vittoria o Porta di Santa Maria della Vittoria, Oratorio dei Bianchi.

Fall: Eroberung und Aneignung des muslimischen Palermo



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Zu ihrer Rechten blickt ein junges Mädchen mit Blumenkranz und gelöstem Haar auf den Betrachter. Durch die Lilie in ihrer Hand ist sie als heilige Rosalia, die Stadtpatronin Palermos, zu identifizieren. Unterhalb der Rosalia und zu Füßen Marias befindet sich ein Mann im Anbetungsgestus, der in der palermitanischen Tradition entweder als Robert Guiskard oder aber als Roger I. gedeutet wird.¹⁴⁶ Die offenbar um das Jahr 1710 zu datierende Darstellung zeigt,¹⁴⁷ dass hier wieder­ holt an die Einnahme Palermos erinnert wurde, indem die Porta Victoria als Symbol jenes Ereignisses in einem räumlich­architektonischem Arrangement aktualisiert und gezielt mit Inschriften und Votivbildern ausgestaltet wurde. Diese Form gebauter, in den Stadtraum eingeschriebener memoria dürfte als Geste des Triumphs über das muslimische Palermo und dessen Aneignung als neue, christliche Hauptstadt Siziliens gelesen werden. Als Träger und Medium der Erinnerung, so könnte in Anlehnung an Pierre Nora und Aleida Assmann argumentiert werden,¹⁴⁸ vermittelt dieser Stadttor­ Altar damit zwischen den Zeiten und Zeitwahrnehmungen verschiedener Menschen und markiert in besonderer Vielschichtigkeit den Übergang Palermos von der musli­ mischen zur lateinisch­christlichen Herrschaft.

146 Diese Aussage findet sich auch in Dokumenten der Zeit; vgl. die Vitae Sanctorum Siculorum von Ottavio Gaetano in M o n g i t o r e, Palermo, S. 32: „in eo loco templum aedicatum est, et Imago posita Sanc­ tissimae Deiparae vexillum manu gestantis in beneficii memoriam”; S. 256: „Sotto l’immagine di Maria si vede dipinta la porta, per cui il trionfante Ruggiero entrò vittorioso in Palermo: e sotto l’altare della Vergina, rimovendo il suo palio, vedesi … che diede al detto Conte Ruggiero l’ingresso nella Città“. Zur Tradition von Marienstandarten und der Verehrung der siegbringenden Gottesmutter im Kontext der Kreuzzüge vgl. beispielsweise R i l l e y ­ S m i t h (Hg.), Illustrierte Geschichte, S. 48. 147 P a l a z z o t t o, Giacomo Serpotta, S. 168. 148 Vgl. dazu grundlegend N o ra, Lieux; A s s m a n n, Erinnerungsorte.

| II Palermo unter christlicher Herrschaft

1 Eroberung und Transformation 1.1 Raumerschließung: Die Expansion der Hauteville von Melfi nach Palermo Beim Tod Karls des Großen (771‒814) erstreckte sich sein Reich von den Pyrenäen im Westen bis an die Elbe im Osten und von der Nordsee bis an den südlichen Apennin. In den Folgegenerationen hatten die fränkischen Könige zum einen mit desintegra­ tiven Prozessen im Inneren zu ringen¹ und zum anderen auch Bedrohung an ihren Außengrenzen abzuwehren. Gerade die Küstenregionen entlang der Nordsee und des Ärmelkanals sowie Teile Aquitaniens wurden seit den 830er Jahren mehrfach zum Ziel von Überfällen.² Aus Skandinavien segelten verschiedene altnordisch sprechende Per­ sonengruppen auf Beutezügen die Loire, die Garonne sowie die Seine flussaufwärts, wobei ihnen schon 845 eine Landung in Paris gelang, wo sie Lösegeld für ein Ende der Belagerung der Stadt erpressten. In den Quellen werden die Einfallenden manch­ mal ihrer Tätigkeit nach als Plünderer, ihrer regionalen Herkunft nach als Dänen oder aufgrund ihrer Religion als Heiden bezeichnet. Zusammenfassend gelten sie später als Nordmannen oder Wikinger.³ Jene Wikinger suchten den Norden des heutigen Frankreichs über Jahrzehnte hin­ weg für wiederholte Raubzüge heim. In den Wintermonaten schlugen einige von ihnen jedoch ihre Lager auch vor Ort auf, was in verschiedenen Formen der Kontaktauf­ nahme mit der ansässigen Bevölkerung resultiert haben dürfte. Als Paris 885 erneut angegriffen und für fast ein Jahr belagert wurde, nahm Karl III. der Dicke (881‒887) Verhandlungen mit den Wikingern auf und erwirkte, dass sie von Paris abließen, um stattdessen weiter Richtung Burgund zu ziehen.⁴ Der Abzug hatte jedoch keineswegs zur Folge, dass das Interesse der Wikinger an der Francia dauerhaft schwand. Ihre anhaltenden Raubzüge führten vielmehr dazu, dass es zu Beginn des 10. Jahrhunderts zu einer noch folgenreicheren diplomatischen Annäherung zwischen dem westfrän­ kischen König Karl III. dem Einfältigen (893–898/923) und einem der wikingischen Anführer namens Rollo kam. Wohl 911 soll der König mit Rollo einen Pakt eingegangen sein, wobei letzterer das Christentum annahm und eine Tochter Karls III. ehelichte. Verbunden war damit offenbar auch die Zusage, ein Gebiet zwischen der Epte, einem Seitenarm der Seine,

1 2 3 4

S c h i e ff e r, Karolinger, S. 143 f.; U b l, Karolinger, S. 84 f. Annals of St. Bertin, hg. von N e l s o n, S. 50‒65. B a u d i n, Vikings. S c h i e ff e r, Karolinger, S. 183 f.

https://doi.org/10.1515/9783110773262-006

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Eroberung und Transformation

und der Meeresküste mit Rouen als Zentrum zu übergeben.⁵ Welche Zugeständnisse Rollo bei diesem Pakt zu machen hatte, ist nicht klar. Die Forschung geht aber davon aus, dass sich Rollo verpflichtet haben könnte, das Land nicht länger zu plündern, sondern vielmehr vor weiteren Angriffen zu schützen. Der Chronist Dudo von Saint­ Quentin (gest. vor 1043) stellt diese Entwicklung in seiner „Historia Normannorum“ in einer Weise dar, die Rollo zum ersten Herzog der Normandie stilisiert, obwohl es für eine solche Erhebung, Titulatur ebenso wie für das als Einheit verstandene Territo­ rium keine zeitgenössischen Belege gibt. Unstrittig ist hingegen, dass die Niederlassung und Besiedlung wikingischer bzw. skandinavischer Menschen in diesem Gebiet neue Möglichkeiten für Kontaktaufnahmen und Handel mit dem Norden eröffneten sowie zu weiteren Migrationen und Akkulturation führten. Im Zuge dieser Entwicklungen stiegen die Herzöge der Normandie schließlich zu den wichtigen Großen des Reichs auf. Spätestens um das Jahr 1000 wurde die Normandie Ausgangspunkt für diverse Ex­ pansionen, die von als normannisch bezeichneten Personenverbänden getragen wur­ den. Folgt man der Erzählung des Historiographen Amatus von Montecassino, so hatte diese Ausbreitung verschiedene Stoßrichtungen, und ihr lagen unterschiedliche Mo­ tive bzw. Motivationen zu Grunde. Die deutlich aus Perspektive Montecassinos ver­ fasste „Historia Normannorum“ nennt zuerst die Eroberung Englands, wo Normannen 1066 unter Führung Wilhelms des Eroberers (1066‒1987) die Königskrone – die ihnen rechtmäßig zugestanden habe – ergriffen hätten.⁶ Als nächstes beschreibt Amatus, dass einige Normannen auf die iberische Halbinsel gezogen seien, um dort den Kampf gegen die Muslime zu unterstützen. Nach der erfolgreichen Einnahme der Stadt Barbastro, die vormals Teil des Taifa von Lérida war, sei diese unter die Aufsicht eines Norman­ nen namens Robert Crispin gestellt worden. Bald danach scheiterte das Unternehmen aber, und Crispin begab sich nach Italien, bevor er sich in den Dienst des oströmischen Kaisers stellte und Feldzüge gegen die Slaven und Türken anführte.⁷ Die von Amatus zuletzt benannte, ihm zufolge aber am frühesten zu datierende Expedition habe stattgefunden, nachdem eine Gruppe normannischer Pilger vor dem Jahr 1000 ins Heilige Land gereist sei⁸ und auf dem Rückweg in der Hafenstadt Salerno erlebt habe, wie die dortige Bevölkerung von Muslimen angegriffen und drangsaliert wurde, weil sie gewisse Tributzahlungen nicht oder zu spät geleistet hatten. Dies habe

5 Dies ist auch bekannt als Vertrag von Saint­Clair­sur­Epte; vgl. D u d o v o n S a i n t ­ Q u e n t i n, De Mori­ bus, hg. von L a i r, lib. 2, 28, S. 168. Zur Debatte, unter welchen Konditionen Rollo das Territorium erhielt, vgl. R e y n o l d s, Fiefs, S. 121‒126, 136‒140; H a g g e r, Confrontation; H i c k s, Normans, S. 13‒26. 6 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 1, cap. 3, S. 244. 7 Ebd., lib. 1, cap. 5‒8, S. 245 f.; zu Roberts Diensten in Konstantinopel außerdem die griechische Überlie­ ferung, u. a. in J o h a n n e s Z o n a ra s, Epitome Historiarum, hg. von D i n d o r f, Bd. 4, lib. 18, cap. 15, S. 216– 218; M i c h a e l A t t a l e i a t e s, Historia, hg. von B e k ke r, S. 122‒125, 170 f. 8 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 1, cap. 17, S. 249 f.

Raumerschließung: Die Expansion der Hauteville von Melfi nach Palermo



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vierzig normannische Pilger dazu veranlasst, den langobardischen Prinzen Guaimar III. (ca. 994‒1027) um Waffen und Pferde anzuflehen, womit sie die Muslime sodann ge­ konnt abwehrten.⁹ Daraufhin wünschte Guaimar, dass die Normannen weiter für ihn kämpfen sollten, doch diese lehnten sein Ansinnen mit der Begründung ab, sie wollten sich nur für die gute Sache Gottes engagieren. Daraufhin zogen sie fort und schickten Boten in die Normandie, um weitere Männer dazu zu bewegen, in den Süden zu ziehen, da hier großer Reichtum auf sie warte.¹⁰ Die Vorstellung, dass die Normannen in Süditalien während einer Pilgerreise in lokale Konflikte hineingezogen und so zu Söldnern wurden, findet sich auch in an­ deren Narrativen. So berichtet Wilhelm von Apulien, wie Normannen auf ihrer Fahrt zum Michaelsheiligtum um 1016/1017 auf dem Gargano von einem gewissen Melus von Bari (gest. um 1020) angeworben worden seien, um mit ihm gegen die oströmische Herrschaft in Apulien aufzubegehren.¹¹ Dieser Aufstand missglückte, und Melus setzte sich ins Reich nördlich der Alpen ab. Sodann begab sich mindestens der größere Teil der normannischen Kämpfer auf die westliche Seite der Apenninhalbinsel, um dort in wechselnder Allianz bei den langobardischen Herrschern von Salerno und Capua so­ wie dem Herzog von Neapel anzuheuern. Während andere Geschichtsschreiber leicht abweichende Erzählungen zum ersten Eintreffen der Normannen in Süditalien wieder­ geben, so erkennen sie insgesamt jedoch alle ein eindeutig zu benennendes Ereignis als Schlüsselmoment für die normannische Zuwanderung.¹² Es ist aber zum einen davon auszugehen, dass sich normannische Reisende bereits früher in Süditalien aufhielten. Zum anderen ist es relativ sicher, dass sich das Eintreffen normannischer Gruppen über einen längeren Zeitraum in mehreren sukzessiven Migrationsschüben hinzog.¹³ Die Aktivitäten der Normannen im politisch ohnehin zerklüfteten Süditalien bleibt anfangs in mancher Hinsicht unübersichtlich. Eine Truppe erwies sich im Kampf der wechselnden Allianzen schließlich als so geschickt, dass ihr Anführer Rainulf Drengot (gest. 1045) von Sergius IV. von Neapel (gest. nach 1036) um 1030 als Graf mit einem Stück Land um Aversa in der Grenzregion von Capua belehnt wurde.¹⁴ Einige Jahre später

9 Ebd., lib. 1, cap. 17‒19, S. 249 f. Während die Ereignisse in Salerno von manchen angezweifelt wurden, ist es Loud zufolge als „perfectly credible“ anzusehen, dass dieser Angriff tatsächlich stattfand; vgl. L o u d, Age, S. 63‒66. 10 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 1, cap. 20‒21, S. 251 f. 11 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 1, S. 98‒100, V. 11‒17. 12 Der Chronik von Montecassino zufolge holte Melus vierzig normannische Exilanten von Capua nach Apulien zum Kampf gegen die Griechen; Chronica monasterii Casinensis, hg. von H o f f m a n n, lib. 2, cap. 37, S. 236 f. Radulf Glaber (gest. 1047) und Adémar von Chabannes (gest. 1034) halten fest, dass Nor­ mannen von Papst Benedikt VIII. (1012–1024) angeworben wurden, um das oströmisch beherrschte Apu­ lien zu attackieren; R a d o l f G l a b e r, Opera, hg. von F ra n c e / B u l s t / R e y n o l d s, S. 96‒101; Ad é m a r v o n C h a b a n n e s, Chronicon, hg. von B o u r g a i n / P o n, lib. 3, cap. 55, S. 173 f. 13 Codex diplomaticus Cavensis, hg. von M o r c a l d i / S c h i a n i / D e S t e p h a n o, Bd. 2, Nr. 421, S. 288. 14 J o ra n s o n, Inception; L o u d, Age, S. 60–66.

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Eroberung und Transformation

stand Rainulf wieder auf der Seite des salernitanischen Fürsten, der bei einer oströ­ misch geführten Expedition ins muslimisch beherrschte Sizilien Truppenhilfe leisten sollte. Amatus von Montecassino berichtet, dass Fürst Guaimar 300 Normannen sandte, die das Heer des Feldherrn Maniakes über die Straße Messinas begleiteten. Nach ihrer Rückkehr aufs Festland setzte sich ein Teil der normannischen Söldner unter Führung des bereits im letzten Kapitel erwähnten Wilhelm Eisenarm ab und begehrte 1040/1041 in Melfi gegen die oströmische Vorherrschaft in Apulien auf.¹⁵ Während Amatus von Montecassino und Wilhelm von Apulien zufolge die langobardische Verteidigungsan­ lage von Melfi im Kontext dieser Erhebung besetzt wurde,¹⁶ hält Gaufredus Malaterra fest, dass Melfi von jenen rebellierenden Normannen selbst erbaut worden sei, da sie bis dahin über kein eigenes Kastell verfügten.¹⁷ Die Aussage Malaterras ist sachlich zwar nicht korrekt, aber dennoch interessant, weil sie zum Ausdruck bringt, dass die normannische Raum- und Herrschaftsorganisa­ tion eng an spezifische Hauptorte gebunden war. Malaterra begründet Melfis Status als Hauptort, indem er der Stadt eine dreifache Funktion für die Herrschaftskonsolidie­ rung der Normannen zuschreibt: Zum einen habe das Kastell den Normannen Schutz geboten. Weiterhin war es der zentrale Anlaufpunkt, wo die Beute aus den diversen Kriegszügen ins Umland gehortet werden konnte. Zuletzt fungierte Melfi als wichtige Versammlungsstätte für die Normannen.¹⁸ Auf einer solchen Versammlung soll dann auch Wilhelm Eisenarm von seinem Gefolge zum Grafen ausgerufen worden sein.¹⁹ Wilhelm entstammte einer normannischen Familie des Cotentin, die als Altavilla oder Hauteville bekannt wurde. Unter seiner Führung etablierte sich neben Aversa eine zweite normannische Enklave von Eroberern, die sich von Melfi aus zunehmend Ge­ biete aneigneten, die bis dahin unter oströmischer oder langobardischer Herrschaft gestanden hatten. Wilhelms Brüder Drogo (gest. 1051) und Humfred (gest. 1057) folgten ihm als Anführer nach. Ihr brüderlicher Zusammenhalt wird nicht zuletzt in der etwas mehr als 20 Kilometer von Melfi entfernten SS. Trinità di Venosa sichtbar: Hier bestat­ tete Drogo Wilhelm und stiftete die memoria für den ersten Hauteville­Eroberer.²⁰ In

15 I o a n n i s S c y l i t z a e Synopsis istoriarum, hg. von T h u r n, cap. 20, S. 46 f.; J o h n S k y l i t z e s, Synopsis, hg. und übers. von Wo r t l e y / C h e y n e t / F l u s i n, cap. 21, S. 401. 16 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 2, cap. 16‒18, S. 279‒281; L o u d, Age, S. 78‒80; v o n Fa l ke n h a u s e n, Untersuchungen, S. 89, 117 f. 17 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 9, S. 12 f. 18 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 1, S. 112, V. 256 f.; S. 116, V. 313 f.; lib. 2, S. 152, V. 387; lib. 3, S. 182, V. 348‒351; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 2, cap. 19, S. 282 f., cap. 30, S. 294; lib. 4, cap. 5, S. 354 f. 19 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 2, cap. 28, S. 293; L u p u s P r o ­ t o s p a t a r i u s, Annales, hg. von P e r t z, S. 58, wobei eine Verwechslung von Matera mit Melfi vorliegt; so auch B e c ke r, Graf Roger, S. 35, Anm. 20; C h a l a n d o n, Histoire, Bd. 1, S. 91‒111. 20 Recueil, hg. von M e n a g é r, Nr. 1 f., S. 19‒25.

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der Folge wurde die Kirche zu einem dynastischen Begräbnisort und wichtigen Bezugs­ punkt der Brüder.²¹ Um 1048 war Robert Guiskard in Süditalien eingetroffen.²² Der vierte, von einer anderen Frau geborene Spross des Hauteville­Stammvaters Tankred hatte von seinem Halbbruder Drogo ein Stück sumpfiges Land im nördlichen Kalabrien zugewiesen be­ kommen, von wo aus er selbständig Eroberungen führen sollte. In Scribla ließ Guiskard zunächst eine hölzerne Burg auf einem aufgeschütteten Hügel errichten, gab die Feste aber nach ersten Erfolgen auf und ließ im etwas südlicher gelegenen S. Marco Argen­ tano eine Steinburg bauen, die er nutzte, um die stückweise Eroberung Kalabriens zu beginnen.²³ Nach dem Tod Humfreds zog Guiskard Richtung Melfi und übernahm die Führung über die von dort aus kontrollierten Gebiete und Truppen, was eine erhebliche Steigerung seiner Möglichkeiten bedeutete und auch eine gewisse räumliche Reorien­ tierung zur Folge hatte. Denn obwohl Guiskard Zeit seines Lebens nie dauerhaft Fuß an einem bestimmten Ort fasste, blieb Melfi ein zentraler Bezugspunkt, um gewisse Handlungen vorzunehmen oder Ereignisse stattfinden zu lassen, die der Bedeutung des Ortes Anerkennung zollten und diese gleichzeitig weiter stärkten. 1059 beherbergte das Kastell von Melfi eine Synode, auf der Papst Nikolaus II. (1058–1061) Robert Guiskard als Herzog belehnte. Während dies von einigen als das zentrale, legitimationsstiftende Ereignis für die normannische Herrschaftsetablierung und als Voraussetzung für den bald darauf folgenden Beginn der Eroberungen Siziliens angesehen wird,²⁴ erwähnen die pro­normannischen Historiographen das Treffen zwi­ schen Papst und Guiskard oder gar eine Belehnung nicht.²⁵ Von einer Synode in Melfi berichten lediglich einige Verse bei Wilhelm von Apulien,²⁶ der die Zusammenkunft aber eher als Zwischenspiel oder als Unterbrechung im Tun des viel beschäftigten Guiskard darstellt. Dass Robert nach Abschluss der päpstlichen Synode zum Herzog er­

21 B o r d e n a c h e, SS. Trinità di Venosa, S. 1–76; C i r s o n e, Basilica; D ’O n o f r i o, L’abbatiale, S. 111–124; H o u b e n, Grande abbazia; d e r s ., Abtei, S. 139–148; zu Verbindungen zwischen Melfi und Venosa d e r s ., Melfi, Venosa. 22 Zu den Anfängen Roberts in Süditalien vgl. L o u d, Age, S. 110‒123. 23 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 2, S. 151, V. 325; C o n t i, Toponimo, S. 211‒223; N oy é, Château. 24 Einen Abriss der Forschungsmeinungen dazu bieten D e é r, Papsttum, S. 1‒12; B e c ke r, Graf Roger, S. 35‒38. Zu Vorbedingungen und Ablauf vgl. L o u d, Age, S. 186‒194. 25 Amatus zufolge sei Robert nach dem Sieg über Reggio von seinem Gefolge zum Herzog ausgerufen worden, da der Grafentitel nun nicht länger seinem Ansehen und seiner Würde entsprechen konnte: A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 4, cap. 3, S. 353 f.; außerdem W i l ­ h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 2, S. 149 f., V. 320‒331. Vgl. auch G a u f r e d u s M a ­ l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 35, S. 226 mit Anm.; Chronicon monasterii Cassinensis, hg. von H o f f m a n n, lib. 3, cap. 15, S. 377 f.; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a ­ r u f i, S. 184 f.; außerdem vgl. L o u d, Age, S. 190; D e é r, Papsttum, S. 112 f. Zur Datierung vgl. H o f f m a n n, Langobarden, S. 141 mit Anm. 12. 26 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 2, S. 153 f., V. 384‒504.

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hoben wurde, sei laut Wilhelm zudem der Wille von Vielen gewesen, denen der Papst gleichsam Folge leisten musste.²⁷ Überdies stellen die „Geste“ mehrere Strophen zuvor heraus, dass Melfi schon in vornormannischer Zeit die Hauptstadt eines Territoriums gewesen sei, dem traditionell die Herzogswürde zukomme.²⁸ Die Vorstellung, dass die Einnahme bzw. der Besitz von spezifischen Orten herr­ scherliche Ansprüche stärkt und deren Legitimation vergrößert, weil dem Ort selbst eine bestimmte Bedeutung bzw. honor innewohnt, findet sich an mehreren Stellen in den Chroniken zur Eroberung und wirft die Frage auf, wie bzw. welche im Raum ver­ ankerte Bedeutung von den Eroberern wahrgenommen und für ihre eigenen Zwecke genutzt wurde. Der Fokus der ältesten drei Hauteville­Brüder war prononciert und wahrscheinlich pragmatisch auf Melfi und die umliegende Region gerichtet. Viel we­ niger durch wiederholte oder dauerhafte Präsenz an einem Ort greifbar war Robert Guiskard. Seine Eroberungen trieben ihn weit umher und hielten ihn langfristig vom ersten Hauteville­Hauptort entfernt. Gleichwohl scheint er zeit seines Lebens mit Melfi verbunden geblieben zu sein: Er stieß dort diverse Bauaktivitäten an, erließ Urkun­ den zur memoria seiner Brüder in Venosa und heiratete einigen Quellen zufolge in Melfi auch seine zweite Frau Sikelgaita.²⁹ Nach der erfolgreichen Einnahme Palermos veranlasste er außerdem, dass die dort gemachte Beute ins Kastell von Melfi gebracht werde.³⁰ Dies könnte dafür sprechen, dass Melfi unter Robert Guiskard seine Funktion als Schatzkammer der frühen normannischen Eroberungen behielt. Auch über seinen Tod hinaus blieb Guiskard mit der Region verbunden und wurde auf Rat seiner Frau hin in der Familiengrablege von Venosa beigesetzt.³¹ Die Witwe kehrte in ihre Hei­ mat Salerno zurück, und der gemeinsame Sohn Roger Borsa blieb überwiegend in der langobardischen Stadt seiner Mutter verwurzelt. Besonderes Interesse scheint Guiskard außerdem an Städten gefunden zu haben, die bereits als Zentralorte mit überregionaler Dominanz fungierten und symbolisch für die Herrschaft über ein Territorium standen. Dies gilt insbesondere für Palermo und wenig später für Salerno. Für beide Städte, die als wichtige mediterrane Handelsme­ tropolen und zudem als Hauptstädte über eigene Territorien bzw. Herrschaftsgebiete fungierten, sind die Eroberungsvorgänge und die folgenden Eingriffe Guiskards in die urbane Gestalt verhältnismäßig gut dokumentiert.³² Unter allen von Guiskard einge­

27 Ebd., S. 154. Zur Synode von Melfi hinsichtlich der kirchlichen Reformen und zumal bezüglich des Schismas vgl. B ay e r, Spaltung, S. 117‒124. 28 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 1, S. 112, V. 253. 29 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 31, S. 216 f. 30 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 350. 31 Ebd., lib. 5, S. 258, V. 400–404; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 3, cap. 41, S. 82. 32 Zu urbanen Eingriffen in Salerno nach der Einnahme 1076 vgl. A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ys­ toire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 8, cap. 24, S. 500 f; C a r u c c i, Codice, Bd. 1, S. 244‒247; A m a r o t t a, Secolo, S. 95.

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nommenen Städten wurde dem Fall von Palermo aber offenbar eine besondere Reich­ weite zugesprochen, nicht zuletzt wohl auch, weil die Eroberer hier mit der größten Alterität konfrontiert waren. Hinsichtlich der Sprache und Religion, der Größe sowie im weiteren Sinne der Kultur war diese Stadt ganz anders gewachsen und geprägt, sie präsentierte sich räumlich und architektonisch in einer Gestalt, die sie von Städten unter lateinisch­christlicher oder griechisch­christlicher bzw. oströmischer Herrschaft erheblich absetzte. Die wahrgenommene Andersartigkeit Palermos und das Wissen ob ihrer Bedeutung dürften nach der Eroberung für einen besonderen Umgang mit dem Eroberten gesorgt haben. Dieser Umgang ist im Folgenden genau unter die Lupe zu nehmen. Zuvor sei aber noch ein Wort zum ‚Raumverhalten‘ des jüngsten Hautevilles ge­ sagt: Roger war seinen Brüdern spätestens 1057 nach Süditalien gefolgt. Dort schrieb er sich selbstständig bzw. relativ unabhängig von seinen Familienbanden in neue Orte ein. Der Region um Melfi und Venosa schenkte er nie größere Aufmerksamkeit, was damit zu erklären sein könnte, dass er die Phase, in der das Kastell als gemeinsamer Hauptort der sich etablierenden Hauteville und ihrer Gefolgschaft fungierte,³³ nicht selbst miterlebt hatte. Bald nach seiner Ankunft im Süden konzentrierte sich Roger ganz auf Kalabrien, wo er laut Malaterra wohl im Jahr 1058 das castrum von Mileto er­ hielt,³⁴ was in der Folge sein bedeutendster Hauptort wurde. Hier ging er seine Ehe mit Judith von Évreux (gest. 1076) ein, nachdem er erste Erfolge in Sizilien erzielt und sich das „feudum hereditale“ im Kampf gegen Robert Guiskard erstritten hatte.³⁵ Im Verlauf der 30 Jahre währenden Eroberungen in Sizilien etablierte Roger ein zweites gräfli­ ches Zentrum in Troina, das ihm als wichtiger Rückzugs- und auch als Herrschaftsort diente. Gelegen im ostsizilischen Binnenland beherbergte Troina mindestens zeitweise den gräflichen Schatz³⁶ und wurde als erste Stadt Siziliens mit einem Bistum ausge­ stattet.³⁷ Des Weiteren residierte der Graf mehrfach in Troina, und zwar nicht nur für die Dauer der notwendigen Unterbrechungen der sizilischen Kampagnen, sondern bei­ spielsweise auch während des sogenannten Hoftages von 1094, der als ein Höhepunkt der Neuordnung Siziliens angesehen wird.³⁸ In seiner letzten Lebensphase fungierte wieder Mileto als Hauptresidenz Rogers und seiner Familie und wurde schließlich auch der Ort seiner Grablege.³⁹

33 L o u d, Age, S. 92‒145, lässt mit der Inbesitznahme Melfis das Kapitel zu den Eroberungen beginnen und betont ebd., S. 98, den gemeinschaftlichen Besitz des Hauptortes: „Melfi was held in common by all the Norman leaders“. 34 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 32, S. 22. 35 Ebd., lib. 2, cap. 19, S. 35. 36 Ebd., lib. 3, cap. 36, S. 78 f. 37 Ebd., lib. 2, cap. 29, S. 39 f.; Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 2, S. 40‒43. 38 Ebd., lib. 4, cap. 15, S. 93 f. 39 O c c h i a t o, Versi; C u t e r i, Città.

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1.2 Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos 1.2.1 Umwidmung und Transformation heiliger Orte Die Bezwingung Palermos durch die normannischen Truppen ereignete sich wohl vor dem Jahreswechsel 1071/1072: Amatus von Montecassino berichtet, dass die Stadt an Weihnachten 1071 gefallen sei, und auch Malaterra zufolge hatten die Eroberer die von den Palermitanern unterbreiteten Übergabebedingungen noch im Jahr 1071 angenom­ men.⁴⁰ Bei der folgenden Inbesitznahme der Stadt war die Demonstration christlicher Erneuerung ausschlaggebend für die in den Chroniken beschriebenen Handlungen. Demnach kommunizierten die Eroberer ihre neue Vormachtstellung vor allem durch religiös­liturgische Praktiken, die eine stark raumerfassende Komponente aufwiesen und dazu dienten, die physische Aneignung des Stadtraums symbolisch zu kommuni­ zieren. Gaufredus Malaterra berichtet, die Normannen hätten am Tag nach den Ver­ handlungen in der urbs exterior Einzug in den alten Stadtkern gehalten. Amatus von Montecassino beschreibt, dass zunächst der Graf zur Inspektion in die Stadt geritten sei, bevor sich einige Tage später dann beide Brüder zusammen mit tausend Reitern in den Bereich innerhalb der Mauern begaben, um ein Treffen auf dem „Versammlungs­ platz der Sarazenen (altfranz. place de lo encontre de li sarrasin)“ abzuhalten. Von dort zog man zur Moschee.⁴¹ Amatus verortet den „Versammlungsplatz der Sarazenen“ offenbar infra muros. Demnach handelte es sich womöglich um einen Platz bei der Großen Moschee oder aber einen offenen Platz (vielleicht eine muṣallā) in der Nähe des bāb al-baḥr. In beiden Fällen hätten die Eroberer vom Eintrittspunkt des Meerestores aus die lange, gerade Straße (ṣimāt) hin zur Moschee hinauf ziehen können. Diese gemeinschaftli­ che Form der Stadt­Durchschreitung könnte als Prozession gedeutet werden.⁴² Eine rituelle Begehung des alten Stadtkerns entlang dieser Route entsprach einer offenbar schon unter den Kalbiden bestehenden Raumpraktik bzw. -nutzung, bei der die Stadt von ihrem bedeutendsten Stadttor bis hin zum religiösen Hauptort der Großen Mo­ schee und sogar weiter bis zur Akropolis durchschritten werden konnte. Ähnlich wie

40 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 22, S. 432 f. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53 (S. 382). Wilhelm von Apulien gibt hingegen keine Jahreszahl an. Zwei apulische Quellen sowie die „Chronica Amalphitanorum“ da­ tieren das Ereignis auf den Januar 1072. Die Eroberung der Stadt im Jahr 1072 wird angedeutet in den L u p u s P r o t o s p a t h a r i u s, Annales, hg. von P e r t z, S. 60; A n o ny m u s B a r e n s i s, Chronicon, hg. von M u ra t o r i, S. 153. Der im 12. Jahrhundert schreibende Romuald von Salerno gibt der amalfitanischen Überlieferung folgend an, dass Bari im April 1071 gefallen sei und Palermo im Januar darauf; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 186. 41 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 431. 42 Zur Bedeutung von Herrscherprozessionen, v. a. in religiös diversen Stadtgesellschaften, vgl. O e s ­ t e r l e, Prozessionen.

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die arabischsprachigen Quellen des 10. Jahrhunderts identifizieren auch die lateini­ schen Historiographen die Hauptmoschee Palermos mit einer alten Kirche, die von den Muslimen als Moschee genutzt und so „geschändet“ worden sei.⁴³ Amatus zufolge habe Robert Guiskard, der während der Prozession von seiner Frau Sikelgaita beglei­ tet wurde, beim Anblick der palermitanischen Moschee­Kirche Tränen vergossen, das Gebäude „reinigen“ und unmittelbar danach dort die Messe feiern lassen.⁴⁴ Auf Kontinuität verweist neben der räumlichen Weiterverwendung dieses locus sa­ cer als Zentralort religiöser Praxis und feierlicher Zusammenkunft auch die Einsetzung eines lokalen, religiösen Oberhaupts in der Moschee­Kathedrale. Malaterra berichtet, die Normannen hätten einen Erzbischof, der aus späteren Urkunden namentlich als Nikodemos bekannt ist, in einer Kirche namens S. Ciriaco vorgefunden. In dieser Kir­ che hatte dieser, „obwohl er schüchtern und ein Grieche war, den Kult der christlichen Religion so gut wie möglich weitergeführt“.⁴⁵ Die Weise, in der Malaterra den Erzbi­ schof Nikodemos als schüchtern bezeichnet und im selben Atemzug seine Herkunft als Grieche herausstreicht, entbehrt nicht einer gewissen Spöttelei. Dass Malaterra die Kirche von S. Ciriaco als „ecclesia paupera (arme Kirche)“ darstellt, könnte einerseits andeuten wollen, dass die Erscheinung und Ausstattung jenes Gotteshauses ärmlich war. Es könnte sich dabei andererseits um einen Hinweis darauf handeln, dass die Kir­ che im übertragenen Sinne arm war aufgrund der schweren Bedingungen, unter denen sie unter muslimischer Herrschaft gelitten hätte, sodass sich hier auch eine gewisse Anerkennung für die Persistenz der dort praktizierten Frömmigkeit finden könnte. Von den Eroberern in die Moschee­Kathedrale Palermos eingesetzt, wurde Nikodemos trotz seiner griechischen Herkunft, die Einfluss auf die von ihm praktizierte Liturgie gehabt haben muss, später von Papst Alexander II. (1061‒1073) in seinem Amt bestätigt und so zum ersten Erzbischof des normannischen Sizilien.⁴⁶ Erwähnenswert ist, dass sich die Kirche S. Ciriaco und damit auch der den christ­ lichen Kult praktizierende Nikodemos ein gutes Stück außerhalb Palermos befanden. Durch dokumentarische Quellen aus spätnormannischer Zeit kann die Kirche in der contrata von Monreale verortet werden.⁴⁷ Spätestens im 16. Jahrhundert war S. Ku­ riaga, anderweitig auch als S. Ciriaca oder S. Ciriaco belegt, in einen neueren Bau integriert worden, den Tommaso Fazello einer Kirche unter dem Patrozinium der S. Do­

43 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382; W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 332‒336. 44 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 431 f. 45 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382. 46 Nikodemos wird in einer Urkunde Rogers I. aus dem Jahr 1093 erwähnt; vgl. Documenti, hg. von B e ­ c ke r, Nr. 27, S. 125 f. Vgl. auch Fo n s e c a, Istituzioni, S. 148; B e c ke r, Graf Roger, S. 168‒172. Nikodemos wird auch erwähnt in einem Privileg Papst Alexanders II., das aber nur in einer von Calixt II. wiederholten Bestätigung vom April 1123 überdauert; vgl. Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, Nr. *19, S. 228 und Nr. 24, S. 230. 47 D i G i o v a n n i, Casali, S. 7‒9.

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menica zuordnete.⁴⁸ Heute lassen sich in der gleichnamigen Straße durch den Verfall freigelegte Baustrukturen erkennen, die aus vor- oder frühnormannischer Zeit datieren dürften. Diese liegen rund eineinhalb Kilometer unterhalb der Kathedrale von Mon­ reale und rund fünfeinhalb Kilometer entfernt von der palermitanischen Kathedrale und verbinden die beiden Gotteshäuser auf gerader Achse. Die königliche Gründungsurkunde für die Abtei S. Maria Nuova durch Wilhelm II. von 1176 stellt in Bezug auf diese Lokalität heraus, dass eine räumliche Verbindung zwi­ schen der Neugründung und Palermo bestehe, weil sie „non longe a menibus felicis urbis nostre Panormi“ stünde, und hält außerdem fest, dass das neue Haus für die Benediktiner wörtlich über, nämlich „supra sanctam Kuriagium“, gebaut worden sei.⁴⁹ Eine solche Bezugnahme auf die Kirche, in welcher der christliche Kult die Phase mus­ limischer Herrschaft überstanden haben soll, und das in jenem Diplom, welches die Gründung einer neuen, mit Palermo konkurrierenden Einrichtung in Monreale vor­ antrieb, könnte als symbolische Grundsteinlegung oder zumindest als Erinnerung an eine räumlich begründete Tradition gelesen werden.⁵⁰ Die Existenz christlicher Kontinuitäten in und um Palermo suchten die Chronis­ ten der Eroberung auch durch weitere Anekdoten zu belegen. So hebt Amatus von Montecassino hervor, dass sich in der Moschee­Kathedrale während der Zeit musli­ mischer Raumnutzung göttliche Wunder zugetragen haben sollen.⁵¹ Fromme Christen hätten berichtet, dass dort regelmäßig Engelsgesänge zu hören gewesen seien und göttliches Licht das Gebäude erhellt habe. Dieses Motiv soll, ähnlich wie die Auffin­ dung der Gebeine der heiligen Lucia von Syrakus, unterstreichen, dass der christliche Kult von den Normannen nicht etwa neu eingeführt, sondern vielmehr wiederaufge­ nommen wurde.⁵² Gaufredus Malaterra beschreibt in diesem Zusammenhang, wie die Normannen mit großer Hingabe die Kirche neu weihten, die liturgische Ausstattung restaurierten und sodann der „sanctissima Dei Genetrix Maria“ widmeten.⁵³ Auch Ma­ laterra schreibt weiter, dass Palermo „seit antiker Zeit ein Episkopat war, der dann von

48 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 179, 188, 470; D ’A n g e l o, Ulteriore rilettura, S. 91‒99. 49 Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 89, URL: http://www.hist-hh.uni­bamberg.de /WilhelmII/textliste.html (14. 8. 2023); erneuert 1182, ebd., Nr. 120; für das Bestätigungsprivileg Alexan­ ders III. vgl. Regesta Pontificum, hg. von J a f f é, Bd. 2, Nr. 12403 (8332), S. 278; Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, Nr. 2, S. 275 (1174); Nr. 3, S. 275 f. (1176). 50 Zur Einrichtung Monreales, den Besitzungen und Ländereien, vgl. G a r u f i, Catalogo, sowie Diplomi, hg. von C u s a, S. 134‒286. 51 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 20, S. 432. 52 Ebd. 53 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53 (S. 382); Wil­ helm von Apulien erwähnt die „mater Virgo“; vgl. W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 334; die „Historia Sicula“ spricht von der „Dei Genetrix“: A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. Lat. 6206, fol. 295v.

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den ungläubigen Sarazenen geschändet wurde“.⁵⁴ Dies ist einer der wenigen Bezüge bei Gaufredus Malaterra, in denen er auf die Kategorien von „alt“ und „neu“ verweist und die Herrschaft über Palermo sowie die Übernahme des locus sacer durch das Anknüpfen an ein altes Vorrecht legitimiert.⁵⁵ Das in dieser Passage verwendete Vokabular über die Ausstattung der Kathedrale Palermos erinnert an einen weiteren Abschnitt in den „De rebus gestis“, den Malaterra in elegischer Form über die Kathedrale von Troina verfasste. Troina bildete während der Eroberung einen wichtigen Bezugspunkt für Roger in Sizilien und stellte die erste neue Bistumsgründung auf der Insel dar. Die früheste Urkunde für die Kirche von Troina datiert auf das Jahr 1080 und wurde wahrscheinlich nach ihrer eigentlichen Gründung ausgestellt.⁵⁶ Sowohl Malaterra als auch der Text der Urkunde zielen darauf ab, dass die Einrichtung des Bischofssitzes in Troina der Wiederherstellung sowie der Verbreitung des christlichen Glaubens in Sizilien dienen sollte.⁵⁷ Für die Kirche von Troina, die gleichfalls der heiligen Maria (Puerpera) geweiht wurde,⁵⁸ beschreibt Mala­ terra detailliert und in Distichen das Kirchengebäude, seine liturgische Ausstattung und die darin vollzogenen Devotionalpraktiken. Der Bau wird dabei als physische Struktur für die christliche Messe in Sizilien stilisiert und als Raum, in dem die visuell und au­ ditiv wahrnehmbaren Symbole der „christianitas“ kommuniziert und weitergetragen werden konnten.⁵⁹ Das palermitanische Gotteshaus bedurfte hingegen keiner Neugründung, sondern offenbar einer aufwendigen Umgestaltung. Amatus von Montecassino erwähnt hier zu­ nächst einen unmittelbaren Eingriff in die Moschee, den er als „Reinigung“ beschreibt und der stattfand, um das Gebäude der heiligen Maria zu weihen und das erste Hoch­ amt zu zelebrieren. An späterer Stelle schreibt er dann, dass Robert Guiskard in den Monaten nach der Eroberung in Palermo verweilte, um die Angelegenheiten in der Stadt zu ordnen. In dieser Zeit habe der Herzog unter anderem auch eine nicht nä­ her spezifizierte Kirche der Jungfrau Maria zumindest in Teilen abreißen lassen, um diese daraufhin wieder und in verbesserter Form aufzubauen. Als Grund für dieses Vorgehen wird angeführt, dass der Herzog eines Tages von einem erhöhten Punkt der Stadt aus, der als die Zitadelle auf der Akropolis identifiziert wird, erkannt habe, dass

54 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53 (S. 382). 55 Die Überlegung, dass Malaterra eine religiöse Legitimation des Grafen Roger betonen wollte, wurde u. a. diskutiert von L u c a s ­ Av e n e l, Recit. 56 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 2, S. 40‒43. Nachdem Gregor VII. die Gründung bestätigt hatte, sprach Roger der Kirche weitreichendere Rechte zu vgl. ebd., Nr. 5, S. 49‒52; außerdem G e i s, Hofkapelle, S. 31‒34. 57 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 2, S. 40‒43. 58 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 3, cap. 19, S. 68 f.; Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 5, S. 51. 59 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 19, S. 68 (S. 288). Die Durchdringung und Einnahme von Raum über das Medium von Klang oder Lautstärke ist eine bekannte Praxis, die für verschiedene Kontexte diskutiert wurde. Vgl. den Sammelband von N i c k s o n, Sound.

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die Kirche der Gottesmutter „wie ein Ofen aussah“ und ihr Hof gar nicht erkennbar gewesen sei, weil er von „Palästen der Sarazenen“ überragt wurde und außerdem in einem eintönigen hellbraun gestaltet war.⁶⁰ Unstimmigkeit bestand in der Forschung lange darüber, ob es sich bei dieser Kirche um die Kathedrale, um eine Marienkirche im Bereich der Akropolis oder um die Kirche S. Maria della Grotta gehandelt habe.⁶¹ Von einem topographischen Gesichtspunkt aus betrachtet sowie im Hinblick darauf, dass sich Amatus über mehrere Kapitel hinweg mit der Marienkathedrale beschäftigte, könnte davon ausgegangen werden, dass er auch hier die Kathedrale im Sinn hatte. Wenn Robert bei seiner Inspektion auf der Zitadelle der Akropolis entlanggelaufen wäre, hätte er weite Teile der Stadt begutachten können, und die Kathedrale liegt je nach Position in etwa hundert Metern Entfernung. Die Aus­ sage, dass Robert Guiskard das Kirchengebäude aufgrund seines Aussehens verändern wollte, ist dabei insofern relevant, als diese Schilderung der äußerlichen Erscheinung einen einmaligen Hinweis auf Bauweisen des islamisch geprägten Palermos darstellt und dabei Aussagen über Vorstellungen von Raumordnung, Formen, Farben, Flächen und Größen beinhaltet. Guiskard störte sich demzufolge zum einen daran, dass die Kirche von Gebäu­ den der Muslime überragt wurde, was dafür spräche, dass hier Höhe mit Bedeutung gleichgesetzt wird und Raum in Guiskards bzw. Amatus’ Augen durch diesen Marker hierarchisiert wurde. Weiter bezieht sich Amatus auf die Form, die einem Ofen gleich­ käme, was auf ein gewölbtes Dach oder einen Kuppelbau anspielen könnte. Solche Bauweisen sind andernorts für die islamische Architektur bekannt, wie beispielsweise für die Moschee von al-Qayrawān und die Zaytūna in Tunis sowie die Große Moschee und den ribāṭ von Susa. Innerhalb Siziliens, wo keine islamischen Bauten unverändert überlebt haben, sind solche Flachkuppeln aber auch für griechische Kirchen belegt. Ein Beispiel dafür wäre die griechische Cuba di S. Domenica bei Castiglione di Sicilia, die auf das 8. oder 9. Jahrhundert datiert wird und demnach womöglich schon islamische Einflüsse aufweist.⁶² Merkmale früher normannischer Bauten in Sizilien – profaner wie religiöser Art – sind ihre relativ größe Höhe und Wehrhaftigkeit in Form von Türmen (beispielsweise der Campanile von S. Maria di Troina, S. Gerlando di Agrigento und S. Giorgio di Cac­ camo oder die frühen Kastelle von Paternò und Adrano). Ein weiteres Indiz der von Robert angeblich gewünschten Ästhetik ist die Farbe bzw. die Mehrfarbigkeit, die das Gebäude nun im Stadtbild deutlich herausheben sollte. Die neu gestaltete Kathedrale sei nämlich mit Marmor und farbigen Steinen ausgestattet worden, die möglicherweise Ähnlichkeiten mit den polychromen Intarsien an der Kathedrale S. Matteo di Salerno (insbesondere im Quadriportico) aufwiesen, die ebenfalls unter Guiskard umgestaltet

60 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 23, S. 434. 61 Vgl. den Abriss der Forschungsdiskussion bei L o n g o, First Norman Cathedral, S. 22‒25. 62 Vgl. dazu To d e s c o, Architettura, S. 36 f.

Raumerfassung: Einnahme und Befestigung Palermos



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wurde.⁶³ Ein weiterer Bezug zu Salerno besteht insofern, als dass der spätere Chro­ nist Romuald verlautbaren lässt, Robert habe in Palermo eine Kirche errichtet („fecit ecclesiam“) und zwar im Jahr, nachdem er Salerno eingenommen und dort eine Kirche erbaut hatte („dux construxit ecclesiam“).⁶⁴ Ungeklärt bleibt die Frage, wie radikal ein Abriss oder der Umbau der Kathedrale von Palermo war. Ruggero Longo sieht darin einen vollständigen Neubau. Als Argument führt er an, dass das Projekt am Weihnachts­ tag des Jahres 1077 beendet worden sei und dass diese Zeitspanne von fünf Jahren für einen Neubau und nicht für einen Umbau spreche.⁶⁵ In Abwesenheit eindeutigerer Be­ lege, insbesondere auch archäologischer Befunde, bleibt dies eine – wenn auch nicht abwegige – Vermutung. Hinweise darauf, wie Kirchen bald nach der christlichen Einnahme Palermos an verschiedensten Orten der Stadt begründet bzw. wieder belebt wurden, sind vor al­ lem in Geschichtswerken seit dem 16. Jahrhundert präsent.⁶⁶ Während es sich dabei um die durchaus gängige Praktik räumlicher Aneignung durch religiöse Stiftungen gehandelt haben könnte, wurde am Beispiel der Kapelle von S. Maria Vittoria aber bereits deutlich, dass die Belege für jene frühen Weihen oder gar Neugründungen überlieferungsgeschichtlich problematisch sind. Gerade die Darstellung des Antonio Mongitore dokumentiert vielmehr, dass die Betonung eines Überdauerns christlicher Fundamente im muslimisch beherrschten Sizilien ideologisch gewollt war. Eindeutig datierbar durch eine Inschrift ist lediglich der Bau einer Kirche im Hafenviertel („in balnearis“), deren Stiftung von Robert Guiskard und seiner Frau Sikelgaita veranlasst und dem heiligen Petrus geweiht wurde.⁶⁷ Die Inschrift dieser nördlich des Hafens und unweit des späteren Castello a Mare gelegenen Kirche ist auf Griechisch verfasst und stammt aus dem Jahr 1081. Sie verdeutlich damit, dass sich die Christianisierung des Raumes durch kirchliche Einrichtungen nicht rasant, sondern allmählich vollzog. Die Verwendung des Griechischen betont außerdem die verschiedenen, vor Ort präsenten Prägungen christlicher Gruppen.

1.2.2 Befestigung und Ausbau von Wehranlagen Den Chroniken zufolge kam dem zentralen locus sacer als Erstes die Aufmerksam­ keit der Eroberer zu. Nach dieser öffentlichen Inszenierung von Aneignung, Überfor­ mung und Abbruch ehemals muslimischer Traditionen habe die Sicherung militärisch

63 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 23, S. 434 f.; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 189 f., gibt das Jahr 1076 an. 64 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 189 65 L o n g o, First Norman Cathedral, S. 26. 66 Vgl. insbes. M o n g i t o r e, Palermo devota. 67 Recueil, hg. von G u i l l o u, Nr. 195, S. 210 f.

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relevanter Orte begonnen, die laut Malaterra den herrscherlichen Willen Guiskards zur Neuordnung widerspiegelte.⁶⁸ Mit den Befestigungsanlagen treten weitere Akti­ onsräume der Normannen unmittelbar nach der Übernahme hervor. Robert Guiskard und Roger verstärkten demnach Stützpunkte, die dem Schutz der gerade eroberten Stadt dienen sollten. Während bei anderen eingenommenen Städten bisweilen vom Schleifen der alten und dem Errichten neuer Anlagen die Rede ist, gibt es für Palermo keine eindeutigen Hinweise auf die gezielte Zerstörung bereits existierender Struktu­ ren, obwohl – wie für den Fall von al-Ḫāliṣa bemerkt – durchaus von einem gewissen Maß an Demolierung und Verfall in den Monaten vor und nach der Belagerung auszu­ gehen ist. Inwieweit die Normannen vorhandene Strukturen ausbauten oder aber neue Be­ festigungen errichteten, wird von der Forschung kontrovers diskutiert.⁶⁹ Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass Malaterra das Verb firmare verwendet, um den Vorgang der Befestigung zu beschreiben.⁷⁰ Im intratextuellen Vergleich zeigt sich, dass er firmare für gewöhnlich dann benutzt, wenn die Normannen bereits vorhandene Strukturen in Beschlag nahmen und befestigten. Nur in drei Fällen seines Werkes ge­ braucht er das Wort construere oder aedificare und referiert damit auf die Neuerrich­ tung normannischer Kastellbauten.⁷¹ Auch Wilhelm von Apulien legt eine Befestigung bestehender Bauten nahe. Hinsichtlich der Anzahl der Wehranlagen spricht Malaterra von nur einem castrum, wohingegen Wilhelm von Apulien berichtet, dass die Mauern mehrerer castra verstärkt worden seien. Amatus von Montecassino zufolge hätten die Normannen „eine starke Festung (altfranz. une forte roche)“ errichtet, die sich auf ei­ nem „sehr hohen Ort“ befunden habe.⁷² Diese Lokalisierung dürfte einmal mehr mit der Akropolis Palermos zu identifizieren sein, die seit antiker Zeit als Wehr- und Herr­ schaftsort der Stadt genutzt wurde und auch der muslimischen Vorgängerelite und ihrem Militär als zentraler Stützpunkt gedient hatte. Die einzige, wenn auch nicht zeitgenössische Quelle, die eine genauere Verortung der normannischen Befestigungen vornimmt, ist die „Historia Sicula“ aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Dem unbekannten Verfasser nach befestigten die Normannen zwei Kastelle, von denen eines „in der Nähe des Meeres (iuxta maris)“ gelegen haben soll

68 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53. 69 Unter anderem M a u r i c i, Castelli; M e i e r, Paläste; L o n g o, „In loco“. 70 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53. 71 Im ersten Buch taucht „construere“ im Kontext der normannischen Befestigung Melfis auf. In Buch 3 wird aedificare verwendet, um die eingenommene Befestigung von Messina zu beschreiben; vgl. G a u ­ f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 1, cap. 9, S. 12; lib. 3, cap. 32, S. 77; ein anderes Mal benutzt Malaterra das Verb construere, als Robert Guiskard ein castrum nahe Durazzo er­ richtet, um darin zu überwintern; vgl. ebd., lib. 3, cap. 27, S. 74. 72 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 340‒343; G a u f r e d u s M a l a ­ t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 53 (S. 382); A m a t u s v o n M o n t e c a s ­ s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 23, S. 434.

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und das andere „an einem Ort, der Galca genannt wird (in locus quod dicitur Galca)“.⁷³ Das Kastell „iuxta maris“ ist wohl mit dem später als castellum maris bekannten Wehr­ ort am Hafen zu gleichzusetzen, für den eine vornormannische Befestigungsanlage baugeschichtlich sowie in der Darstellung Siziliens im „Kitāb al-ġarāʾib“ als qaṣr alsilsila (wörtl. Kastell der Kette) nachgewiesen ist.⁷⁴ Um den Hafen mit einer Kette zu sichern, hatte der Wehrturm ein Pendant auf der gegenüberliegenden Seite der paler­ mitanischen Bucht. Unter muslimischer Herrschaft dürfte spätestens in der Zeit der Kalbiden der südlichen Seite der Bucht die bedeutendere Rolle zugekommen sein, da dort das Arsenal und die al-Ḫāliṣa als Zwingburg angrenzten. In diesem Umkreis finden sich in späterer Zeit ebenfalls zwei Bauten, die auf die Befestigungsanlagen des Hafens verweisen: Zum einen ist dies die spätgotische, katalanische Kirche S. Maria della Catena, die nicht nur dem Namen nach an die Hafenkette erinnert, sondern in der ein Teil der Kette sogar aufbewahrt worden sein soll.⁷⁵ Zum anderen handelt es sich um den Palazzo Chiaramonte,⁷⁶ auch Lo Steri genannt, der im frühen 14. Jahrhundert errichtet wurde. Im Zuge aktueller Grabungen konnten für Lo Steri Strukturen aus der Zeit muslimischer Herrschaft und darauf aufbauende Bauschichten aufgetan werden. Das „castellum in locus qui dicitur Galca“ hingegen dürfte topographisch mit der Akropolis und dem späteren normannischen Palastdistrikt korrespondieren. Dieser Bereich ist in lateinischen Dokumenten der königlichen Zeit als Galca oder Galcule belegt. Es wird überwiegend angenommen, dass sich der Begriff aus dem Arabischen ableitet: ḥalqa bedeutet etwa „(kreisrund) umschließen“. Diese Übersetzung wurde schon 1558 von Tommaso Fazello vorgeschlagen. Obgleich Fazello des Arabischen nicht mächtig war, beschrieb er die Galca als einen großen Raum, der von einer Mauer umgeben war und „daher von den Sarazenen im Punischen“ (d. h. von den Muslimen auf Arabisch) „Yhalca“ genannt wurde, „was im Lateinischen einen rundumschlossenen Ort bezeichnet“.⁷⁷

73 A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. Lat. 6206, fol. 295v. Fazello gibt eine sehr ähnliche Beschreibung wieder und fügt hinzu, dass das Kastell nahe dem Meer gelegen sei: „ritiene anchor il nome“; Fa z e l l o, De rebus siculis, S. 643. 74 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, A, fol. 32B–33A, S. 464. Hugo Falcandus schreibt dem Kastell eine vornormannische Geschichte zu, indem er das castellum maris als „antiquissimum Sarracenorum templum“ beschreibt; vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 115; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 238. 75 Zur Kette vgl. Z o r i ć, Catena. 76 S p a t r i s a n o, Steri. Eine Erwähnung der Hafenkette findet sich in P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, fol. 98r, S. 46 f.; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 34, S. 45; W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 178, V. 251. 77 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 173. In griechischen Dokumenten taucht dieser Bezirk später als γάλκα auf; vgl. Diplomi, hg. von C u s a, S. 31, 74, 92, 662.

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Auf das Errichten oder Befestigen einer Mauer spielt auch Wilhelm von Apulien an, wenn er darauf hinweist, dass die Normannen eine solche hochgezogen hätten, um „vor den Siziliern geschützt zu sein“.⁷⁸ Amatus deutet für die Gestaltung der Befestigungen auf der Akropolis außerdem an, dass diese einer dauerhaften Niederlassung dienlich sein würden, da die Festung nicht nur gut bewacht, sondern auch so ausgestattet wurde, dass man dort lange Zeit und in Fülle verharren konnte.⁷⁹ Die räumliche Abschirmung der normannischen Minderheit als herrschende Elite stellt bis in die königliche Zeit ein wesentliches Charakteristikum des Raumarrangements in der mehrheitlich muslimisch bewohnten Stadt dar. Die Position der Kastelle sowie die Wehrhaftigkeit ihrer Turmarchitektur ent­ sprechen dabei Gepflogenheiten, die auch andernorts – im normannischen Süditalien ebenso wie in England und in der Levante – sichtbar sind, sodass einerseits von einer dezidiert normannischen Bautradition gesprochen werden kann. Andererseits kamen die Eroberer aber gerade in Sizilien mit verschiedenen, für sie neuen Typen von Kastel­ len, Wach- oder Wehrtürmen (man denke vor allem an die ribāṭ-Architektur) sowie mit befestigten Stadtanlagen in Kontakt, die einer zentralmediterranen sowie islamischen Tradition von Verteidigungs- und Wohnbauten entsprachen.⁸⁰ Dies dürfte sich auch auf die Gestaltung der unter normannischer Ägide errichteten Bauten entsprechend ausgewirkt haben. Wahrscheinlich gilt das insbesondere für Palermo, wo die Eroberer eine bereits ausgedehnte und vielgestaltige Stadt angetroffen hatten, in der Bauten und Architektur­ formen zu finden waren, die aus unterschiedlichen Zeitschichten und von unterschied­ lichen religiösen oder ethnischen sowie dynastischen oder regionalen Traditionen und Entwicklungen geprägt waren. Diese Vielfalt, von der heute allerdings kaum etwas er­ halten geblieben ist, erschwert es erheblich, zwischen lokalen sizilischen Traditionen und Adaptionen einerseits sowie Importen andererseits zu unterscheiden. Ein gutes Beispiel dafür ist die gerade genannte ḥalqa. Unbemerkt blieb bisher nämlich, dass ḥal­ qa spätestens in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als militärisch­institutionell stark aufgeladener Begriff in arabischsprachigen Quellen des östlichen Mittelmeer­ raumes begegnet. Unter den Ayyūbiden und später unter den Mamlūken bezeichnet ḥalqa eine Spezialeinheit der Truppen, die in der Nähe des Herrschers präsent bleibt und sich aus sogenannten freien Soldaten, d. h. Nicht­Mamlūken zusammensetzte.⁸¹ Diese Anwesenheit einer Privatgarde hatte auch Auswirkungen auf die Bauweisen der ayyūbidischen Herrscherzitadellen wie beispielsweise im syrischen Ḥarrān sowie in Damaskus. Dort wurden unter al-ʿĀdil (gest. 615/1218), dem Bruder und Nachfolger des

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W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 337–339. A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 23, S. 434. Zu solcher Einflussnahme vgl. u. a. H a d d a, Architecture; d i e s ., Zirid Palaces; d i e s ., L’architettura. Vgl. grundlegend dazu Ay a l o n, Studies.

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Ṣalāḥ al-Dīn (gest. 589/1193), spezielle Barracken für diese ḥalqa-Einheit innerhalb der Zitadelle eingerichtet, genauer gesagt in ihren Türmen.⁸² Auch der Gebrauch von ḥalqa in der „Historia Sicula“ deutet auf eine Bauweise hin, die durchaus mit einer militärischen Einheit und deren Stationierung in Verbindung stehen könnte. Weil die „Historia Sicula“ über die Eroberung von Palermo aus der Rück­ schau des mittleren 12. Jahrhunderts schreibt, kann nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich bei der dort erwähnten Galca um einen Begriff des 11. Jahrhunderts handelt oder um einen zeitgenössischen Ausdruck des anonymen Autors. In jedem Falle sind Raumbezeichnung und Bau der palermitanischen ḥalqa vor diesem Hintergrund auch deshalb interessant, weil in der Forschung zur ayyūbidischen Architektur diskutiert wird, ob die ḥalqa-Unterbringung unter al-ʿĀdil vom Kontakt mit Kreuzfahrerburgen inspiriert war.⁸³ Da diese wiederum Verbindungen zu Bautypen des normannischen Si­ zilien und Süditalien aufweisen, ergeben sich daraus relevante Fragen zur Entstehung und zum Transfer solcher militär­architektonischer Praktiken.

1.3 Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Abwesenheit 1.3.1 Herzogliche Hoheit über Palermo Nach der Einnahme und Sicherung Palermos durch die Normannen wurde die Herr­ schaft über Sizilien zwischen Robert Guiskard und Roger aufgeteilt. Malaterra zufolge hätte Guiskard für sich Palermo und die Val Demone beansprucht, während Roger „als Dank für seine Unterstützung die restlichen Teile Siziliens“⁸⁴ erhalten habe. Dieser Schachzug streicht zum einen die anhaltende Bedeutung der sizilischen Hauptstadt sowie die strategische Lage der Val Demone als wichtige Verbindungsachse zwischen dem kalabresischen Festland und dem sizilischen Westen heraus. Zum anderen be­ fanden sich die Roger zugesprochenen Gebiete noch weitgehend unter muslimischer Kontrolle, das heißt, dass er das Territorium, um es zu beherrschen, erst noch erobern musste. Bei Amatus von Montecassino ist allerdings zu lesen, dass die Insel mitsamt ihrer Hauptstadt Palermo zwischen dem Herzog und dem Grafen aufgeteilt worden sei, was eine deutlich andere Rechtslage darstellen würde.⁸⁵ Die Frage, wie eine solche Gesamtteilung ausgesehen haben soll, bleibt offen. Wäh­ rend eine räumliche Aufgliederung der Stadt wenig praktikabel scheint, könnte ein Kon­ dominium die Ausübung von Herrschaftsrechten beider Brüder sowie beispielsweise

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H a n i s c h, Ayyūbidische Wehranlagen, S. 74 f. So bereits Ke n n e d y, Crusader Castles, S. 13 f. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 52 f. A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 21, S. 432.

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die Teilung der aus Palermo gewonnenen Einnahmen vorgesehen haben.⁸⁶ Denkbar ist allerdings auch, dass an dieser Stelle der „Ystoire“ die altfranzösische Übersetzung das lateinische Original missverstanden hatte oder der Text womöglich bereits zugunsten Rogers, dem Vater des künftigen Königs, verzerrt worden war. Aus der „Ystoire“ geht nämlich zudem hervor, dass Herzog Robert länger als sein Bruder Roger in Palermo verweilte,⁸⁷ um die Angelegenheiten vor Ort persönlich zu ordnen. Dies lässt vermuten, dass er nicht nur Anspruch auf die Stadt erhob, sondern auch allein entscheiden wollte, wie das eroberte Palermo beherrscht werden sollte. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass Guiskard neben der Transformation der Kathe­ drale und der Befestigung der Kastelle zudem den Befehl erteilt haben soll, Spolien aus Palermo als Zeichen seines Triumphs abzutransportieren. So habe er eiserne Tore und marmorne Säulen in das apulische Troia bringen lassen.⁸⁸ Die Stadt war nach der Einnahme durch Guiskard um 1066 mit einer Zitadelle und einer Garnison ausgestattet worden, und auch ihr Bistum wurde wohl bedacht. Weiterhin hatte Amatus für die Ein­ nahme Troias festgehalten, dass Guiskard dort der „Wille Gottes“ für eine Eroberung Siziliens offenbart worden sei.⁸⁹ Vor seiner Abreise aus Palermo habe der Herzog die Bewohner der Stadt ver­ sammelt und wütend seine finanziellen Verluste beklagt, die er durch die Belagerung und die folgende Befestigung der Stadt erlitten hätte. Die Palermitaner sollten entspre­ chend dafür aufkommen, indem sie Geschenke und Abgaben leisteten und ihrem neuen Herrscher, dem Herzog, außerdem Gefangene sowie die wichtigsten Söhne der gesam­ ten Region übergaben.⁹⁰ Der Hinweis auf die „wichtigsten Söhne der Region“ scheint weniger vor dem Hintergrund eines monetären Ausgleiches von Bedeutung, sondern vielmehr eine Absicherung des Terrains darzustellen. So wären nämlich die künftigen Oberhäupter einflussreicher Familien, die womöglich selbst einen Herrschaftsanspruch hätten erheben können, aus der Region langfristig entfernt.⁹¹ Neben den historiographischen Zeugnissen lassen sich auch aus den materiellen Befunden Hinweise gewinnen, wem die Oberhoheit über Palermo zustand. Es wurde bereits im Kontext mit dem Ausbau christlicher Strukuren angemerkt, dass Guiskard

86 Ähnlich wie bei der Teilung von Zypern 688 zwischen Justinian II. und ʿAbd al-Malik, die jeweils hälftig die Steuern einzogen; vgl. dazu J e n k i n s, Cyprus. Vgl. zu anderen Überlegungen auch M é n a g e r, Amira­ tus, S. 23‒25. 87 Der unbekannte Verfasser der „Historia Sicula“ verweist ebenfalls auf ein Residieren der Eroberer in Palermo während der Reorganisation der Stadt unmittelbar nach deren Einnahme; vgl. A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. lat. 6206, fol. 295v. 88 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 188. Als bedeutend hervorgehoben von G r e e n h a l g h, Marble Past, S. 399. 89 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 4, cap. 3, S. 353 f. 90 Ebd., lib. 6, cap. 23, S. 434. 91 Dies lässt sich auch an der Umsiedlung des Hammūd nachvollziehen; vgl. M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 101 f.

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offenbar federführend mehrere Eingriffe für eine urbanistische und organisatorische Neuordnung vornahm, während seine Frau in diesem Zusammenhang teilweise und sein Bruder hingegen gar nicht erwähnt werden. Auch die numismatischen Zeugnisse aus Palermo unterstreichen die Vormachtstellung Roberts als Stadtherr: Unmittelbar nach der Eroberung machten die normannischen Brüder von der Münzprägestätte Pa­ lermos Gebrauch und ließen Goldmünzen schlagen, welche die neue Herrschaft auch visuell und über ein mobiles Medium kommunizierten.⁹² Bezeichnet werden diese Münzen als ṭarī (wörtl. frisch / neu). Sie entsprechen einem Viertel dīnār und waren in Sizilien eigentlich als rubʿ oder rubāʿī bekannt. Geprägt wurden Münzen dieser Art schon unter den Aghlabiden, und auch andernorts waren sie nicht unbekannt. Der Terminus ṭarī beschreibt aber vor allem diejenigen Vierteldinare, die während fati­ midischer und kalbidischer Herrschaft geprägt wurden. Dies rührt womöglich daher, dass im Mittelmeerraum versiegelte Säckchen voller sizilischer rubāʿī zirkulierten, die frisch bzw. neu und gewissermaßen unbenutzt waren.⁹³ Mit dem Begriff tarenus und ταρίον taucht die Münze auch in lateinischen und griechischen Quellen auf. Die Gestaltung der normannischen ṭarī blieb der Tradition des Ortes treu: Sie stellen eine Teilkopie fatimidischer Münzen dar und demonstrieren so die lange Wirk­ samkeit des fatimidischen Einflusses in Palermo bis in die Übergangszeit von musli­ mischer zu christlicher Herrschaft.⁹⁴ Datiert wurden die normannischen Münzen in hiǧǧrī-Jahren, also nach islamischer Zeitrechnung. Die frühesten ṭarī geben das Jahr 464 an, was dem Jahr 1071 bis zum vierten islamischen Monat (arab. rabīʿ al-ṯānī) und dann dem Jahr 1072 der æra vulgaris entspricht. Hinsichtlich der Inschriften existieren zwei Ausführungen der ersten normannischen Münzen aus der Prägestätte Palermos: Beide nennen auf dem Revers je einen der Brüder und akklamieren deren Herrschaft: „bi-amr Abārt al-dūqa aǧall malik Ṣiqilliya (auf Geheiß des großen Herzogs Robert, Herrscher von Sizilien)“ sowie: „al-qūmmis aḫū l-muʿizz al-dūqa Aruǧgār (der Graf Roger, Bruder des mächtigen Herzogs)“.⁹⁵ Interessant ist zunächst die Arabisierung der lateinischen Titel von dux zu dūqa und comes zu qūmmis, die im Vergleich zur Stilsicherheit arabischer Herrschertitu­ laturen der königlich­normannischen Zeit unerprobt wirkt und anzeigen dürfte, dass diese ad hoc entstanden bzw. schlicht arabisiert wurden. Für Robert werden dabei auf beiden Münzen neben seiner arabisierten, lateinischen Titulatur auch echte islamische Titel bzw. Herrschaftsbezeichnungen verwendet, wobei al-dūqa mit malik Ṣiqilliya und dem honorifizierenden al-muʿizz kombiniert wurden. Das Wort malik, das mit Herr­ scher, König, Besitz oder Herrschaft zu übersetzen ist, wurde seit dem 10. Jahrhundert vermehrt von nicht­arabischen, muslimischen Personengruppen als Titel verwendet.

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J o h n s, Titoli arabi, S. 14. G ra s s i, Ṭarī. J o h n s, Titoli arabi, S. 30. Ebd., S. 36.

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Als Fremdbeschreibung bezeichnet es aber oft auch nicht­muslimische Herrscher.⁹⁶ Almuʿizz hingegen ist ein durch den Fatimidenkalifen al-Muʿizz li-dīn Allāh (341/953‒365/ 975) geprägter Herrscherbeiname, der nach seinem Abzug aus Ifrīqiya auch von vielen der dortigen Ziridenherrscher verwendet wurde. Der Avers beider Münzen wurde mit der šahāda, dem islamischen Glaubensbe­ kenntnis, versehen.⁹⁷ Auch hier zeigt sich die unmittelbare Aneignung bestehender lokaler Praktiken, die auch andernorts nachzuweisen ist und entsprechend zum Ein­ druck einer vielfältigen oder vielgestaltigen Herrschaftsrepräsentation beiträgt. Für Robert Guiskard, der sich, von Palermo abgesehen, kaum in islamisch geprägten Gebie­ ten aufhielt und auch nur wenig mit muslimischen Herrschern oder Personengruppen in Kontakt stand, sind diese ṭarī die einzigen Zeugnisse, die ein experimentelles Aneig­ nen der arabischen Sprache im Kontext seiner herzoglichen Herrschaftsrepräsentation aufzeigen (Abb. 8a–b). Auffällig ist hinsichtlich der Frage nach dem Autoritätsgefälle zwischen den beiden Brüdern, dass sie zwar die Münzprägung als Herrschaftsrecht in Anspruch nahmen, Roger hinsichtlich der Inschriften und Titulaturen seinem Bru­ der gegenüber aber eine eindeutig untergeordnete Stellung zugewiesen wurde. Dieser Eindruck deckt sich auch mit dem Befund der Verwaltungsdokumente.⁹⁸ Zu betonen ist an dieser Stelle, dass die frühen normannischen ṭarī aus Palermo nicht die ersten Münzen lateinisch­christlicher Herrscher sind, die in arabischer Spra­ che geprägt wurden. Vielmehr sind solche Münzen aus Amalfi und Salerno bekannt, wo die Währung vermutlich zu Handelszwecken an Praktiken islamischer Gebiete an­ gepasst wurde. Die führende Numismatikerin auf diesem Feld, Lucia Travaini, hat die frühen arabisch­islamischen Münzprägungen christlicher Herrscher in Süditalien wiederholt als sogenannte pseudo­arabische Inschriften identifiziert.⁹⁹ Alex Metcalfe verdanke ich den Hinweis auf eine langobardische Münze aus Salerno, die entweder unter Guaimar III. (ca. 983–1027) oder Guaimar IV. (1027‒1052) geprägt wurde. Auf die­ ser Münze sind Fragmente des „Pseudo­Arabischen“ ganz eindeutig als echtes Arabisch zu identifizieren, denn sie sind mit gut lesbaren Teilen der šahāda versehen. Auf der Basis dieses Befundes kann geschlossen werden, dass im Tyrrhenischen Meer bereits eine Tradition der arabischsprachigen, islamischen Münzprägung im Namen lateinisch­ christlicher Herrscher bestand. Es handelt sich bei den Münzen der normannischen Brüder in Palermo somit nicht, wie mehrfach betont, um den Ausdruck einer neuen und spezfisch normannischen Kreativität oder Eigenheit.

96 Für die verschiedenen Verwendungen von malik als König der „Franken“ (al-Ifranǧ) und anderer lateinisch­christlicher Herrscher vgl. Kö n i g, Arabic­Islamic Views, Kap. 6, insbes. S. 189‒211. 97 T ra v a i n i, Monetazione, S. 109 f.; Nr. 61, S. 398 f. 98 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 6, S. 55; v o n Fa l ke n h a u s e n, Ancora sul monastero, S. 45; Recueil, hg. von M é n a g e r, Bd. 1, Nr. 52‒54, S. 181‒186; J o h n s, Arabic Administration, S. 68 f. 99 G r i e r s o n / T ra v a i n i, Medieval European Coinage, S. 3.

Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Abwesenheit



Abb. 8a: Ṭarī (Goldmünze) Robert Guiskards mit arabischer Inschrift, Münzstätte Palermo, nach 1071, Avers.

Abb. 8b: Ṭarī (Goldmünze) Robert Guiskards mit arabischer Inschrift, Münzstätte Palermo, nach 1071, Revers.

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Schon einige Monate nach der Einnahme Palermos wandte sich Guiskard von Sizilien ab und widmete sich weiteren Eroberungen auf dem süditalienischen Festland sowie einem Feldzug in oströmische Gebiete. Ein langfristiger Gebrauch von oder ein ausge­ prägterer Umgang mit der arabischen Sprache kann hingegen in den Herrschaftsgebie­ ten Rogers nachgewiesen werden. Dieser war für weitere 20 Jahre damit beschäftigt, die ihm nominell bereits vermachten Teile der Insel zu unterwerfen.¹⁰⁰ Aus dieser Zeit sind für Roger weitere Münzen überliefert, die Einblicke in die Entwicklung der sizilischen Herrschaftsverhältnisse geben: Ein ṭarī des hiǧǧrī-Jahres 47(?), der somit zwischen 470 und 479 bzw. zwischen 1077 und 1087 geprägt wurde, bezeichnet Roger als „al-qūmmis al-aǧall Aǧǧar“. Der Wegfall des Zusatzes von aḫū (wörtl. seinem Bruder, d. h. Guiskard) könnte vermuten lassen, dass die Münze nach dem Tod Roberts, also nach 1085 geprägt wurde. Im Jahr 1088/1089 wird zudem eine Münze mit der Inschrift „Ruǧǧār al-qūmmis bi-Ṣiqilliya“ geprägt, die wiederum allein auf Graf Roger verweist und außerdem mit dem territorialen Anspruch auf (ganz) Sizilien verbunden ist. Da­ bei trat der Graf bald nach dem Tod seines Bruders nicht mehr als der Rangmindere auf und wurde wohl zumindest in den unumstritten unter seinem Befehl stehenden Gebieten der Insel als alleiniger Herrscher proklamiert. In der Tat verschob sich die Macht in Sizilien verstärkt zugunsten Graf Rogers. Nachdem Herzog Guiskard 1085 auf Kefalonia einem Fieber erlegen war, ging die Herr­ schaft über Palermo auf seinen Sohn Roger Borsa über. Dieser wird mehrfach in der sizilischen Hauptstadt fassbar und lässt ebenfalls Münzen in seinem Namen prägen, die dann (wahrscheinlich in den Jahren 1087/1088 sowie 1088/1089) die Prägung „Ruǧǧār al-dūqa“ aufweisen.¹⁰¹ Roger Borsa war Zeit seiner Herrschaft aber überwiegend auf dem Festland beschäftigt, wo er verschiedene Aufstände mit der militärischen Un­ terstützung seines Onkels unter Kontrolle brachte. Als Dank, so berichtet Malaterra, vermachte Roger Borsa seinem Onkel 1091 nun alle ihm bis zu diesem Zeitpunkt ver­ bliebene Kastelle in Kalabrien, womit die Herrschaft über ganz Kalabrien nun an den Grafen fiel. Einigen Manuskripten der „De rebus gestis“ zufolge erhielt Roger außer­ dem die Hälfte Palermos,¹⁰² was durch andere Quellen weder widerlegt noch bestätigt werden kann, als Handschriftenbefund aber das anhaltende Wetteifern um die Vor­ herrschaft über die sizilische Hauptstadt unterstreichen könnte.¹⁰³

100 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 46, S. 53 f. 101 J o h n s, Titoli arabi, S. 16. 102 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 4, cap. 17, S. 96 f. 103 Die in der Garufi­Edition als Codex C bezeichnete Handschrift stammt allerdings erst aus dem 16. Jahrhundert, soll aber auf der Grundlage einer „besonders alten Vorlage“ entstanden sein; vgl. R o ­ m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. LX; Catania, Biblioteca Universitaria (ehemals Biblioteca Ventimilliana), cod. 97.

Raumsicherung: Kontrolle und Autoritätssicherung in Abwesenheit



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1.3.2 Städtische Verwaltung in Stellvertreterschaft Eng verbunden mit den Münzen als fiskalisches Herrschaftsinstrument ist die Frage, wie die Kontrolle und Administration Palermos organisiert wurden. Wie bereits er­ wähnt, verhandelten Eroberer und Belagerte vor der eigentlichen Übergabe der Stadt miteinander. Die Palermitaner scheinen sich durch ihre Unterwerfung dabei einen Handlungsspielraum für die Kapitulationsbedingungen und ihren rechtlichen Status geschaffen zu haben. Die entsprechende Stelle bei Wilhelm von Apulien lässt vermuten, dass die Unterwerfung rituell durch das Vorbringen von Bitten und Versprechungen auf der einen sowie durch Zusagen auf der anderen Seite gekennzeichnet war. Gaufre­ dus Malaterra hingegen beschreibt, dass die Palermitaner ihren Widerstand zu dem Zeitpunkt aufgaben, als die normannische Führung den primores in der urbs exterior versprochen hatte, dass man ihr Gesetz (lex) nicht verletzen werde und sie auch kein neues Gesetz (gemeint ist damit die Religion) anzunehmen bräuchten. Im Gegenzug hätten die Palermitaner zugesichert, ihren neuen Herren treu ergeben zu sein und Tributzahlungen zu leisten. Diese Abmachung hätten die primores der Stadt bei ihrem Gesetz beschworen.¹⁰⁴ Diese Aushandlung wurde bisher als Konzession religiöser Koexistenz bei nachge­ ordneter rechtlich­fiskalischer Stellung gedeutet. Das heißt, die Absprache wurde als Vertrag zwischen Muslimen und Eroberern gelesen, der an die im islamischen Recht verankerte ḏimma erinnert, den vertraglich geregelten Schutzstatus, der zwischen mus­ limischen Eroberern bzw. Herrschern und Anhängern der Buchreligionen bestand.¹⁰⁵ Obwohl im Falle Palermos zwar mehrfach von der lex der Palermitaner die Rede ist, scheint es letztlich aber unklar, ob sich die vereinbarten Tributzahlungen nur auf die Muslime oder auf alle Einwohner der Stadt bezogen. In den „De rebus gestis“ sind Tributzahlungen mehrfach erwähnt, aber nur an einer Stelle werden sie explizit mit der Religionszugehörigkeit in Zusammenhang gebracht, wenn Malaterra schreibt, die Christen der Val Demone hätten vor der normannischen Eroberung Tribute an die Muslime zahlen müssen.¹⁰⁶ In Palermo erinnern die Verhandlungen eher an Vereinba­ rungen, die – wie in Kap. I.2.2.1 dargelegt – gewissermaßen pro Eroberung ausgehan­ delt und ganze Städte oder Ortschaften, nicht nur einzelne (wenn auch demographisch dominierende) Gemeinschaften betreffen konnten. Ein weiterer Punkt ist an dieser Stelle von Bedeutung: Die Bedingungen der Über­ gabe, welche die Palermitaner aushandelten, sollten nicht als Selbstverständlichkeit

104 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 45, S. 382–387, hier S. 385. 105 Vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 34 f.; Ta k ay a m a, Administration, S. 397. Zur ḏimma vgl. grund­ legend C a h e n, Dhimma; d e r s ., Djizya. 106 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von L u c a s ­ Av e n e l, lib. 2, cap. 14, S. 33. Tributa und servitii tauchen zuvor nur für Kalabrien auf; vgl. ebd., lib. 1, cap. 17, S. 17 f.; cap. 28, S. 22.

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angesehen werden. Es sind durchaus andere Beispiele für normannische Eroberungen belegt, in deren Folge derartige Verträge nicht zustande kamen. Bezeichnenderweise betrifft dies vor allem die Städte der frühen Eroberungszüge, wohingegen die Verträge, die Malaterra für Trapani, Taormina, Cinisi, Syrakus und schließlich Noto aufzählt, alle nach den Ereignissen in Palermo ausgehandelt wurden.¹⁰⁷ Teilweise könnte das damit erklärt werden, dass die normannischen Eroberer in Palermo neue Einsichten in (is­ lamische) Verhandlungspraktiken sowie in daran anknüpfende Verwaltungsstrategien erhielten, was in der Folge die Art und Weise ihrer eigenen militärischen und ad­ ministrativen Organisation der Unterwerfung beeinflusste. Dies betrifft nicht nur die Aushandlung und Erhebung von Tributen, sondern womöglich auch die Verwaltung derselben sowie der Stadt als solcher. Ein erster Hinweis darauf findet sich bei Wilhelm von Apulien, der festhält, dass Guiskard – bevor er Palermo verließ und sich zurück auf das süditalienische Festland nach Reggio in Kalabrien einschiffte – einen Soldaten (miles) aus seinem Gefolge be­ stimmt habe, den er als seinen Stellvertreter in Palermo zurückließ und ihn so „den Siziliern als amiratus gab“.¹⁰⁸ Es ist bekannt, dass sich die Bezeichnung amiratus vom arabischen Titel amīr ableitet.¹⁰⁹ Klassischerweise war der amīr dafür zuständig, Steu­ ern, Tribute und die Münze zu verwalten, dabei auch die Register zu führen, Recht­ sprechung zu garantieren und somit für Ordnung in der ihm unterstehenden Stadt oder dem Territorium zu sorgen. Im abbasidischen Kalifat wurde der Titel auch für militärische Anführer verwendet. In den lateinischen Chroniken der normannischen Eroberung Siziliens tauchen seit Beginn des Unternehmens unterschiedlich latinisierte Formen des Titels amīr auf. Diese bezeichnen den Vorsteher der sizilischen Hauptstadt bzw. sogar den als legitim angesehenen Herrscher der Insel, was vermuten lässt, dass über die Verwendung des Titels im muslimischen Sizilien eine gewisse Einigkeit bestand. Die unmittelbare An­ eignung und Verwendung des Titels amiratus knüpft demzufolge an die Strukturen oder Traditionen der islamischen Herrschaftsorganisation in Palermo an. Denn ob­ wohl der Titel bzw. das Amt zwischenzeitlich wahrscheinlich verwaist war, wurde er offenbar weiterhin mit Palermos Bedeutung als Hauptstadt Siziliens und als Sitz des amīr verbunden. Die normannische Gebrauchsweise des Titels nach der Übernahme Palermos lässt dann vermuten, dass der amīr als Stellvertreter des Herzogs bzw. als sein wichtigster Verwalter in Sizilien fungierte. Welche Funktionen dieser neue Vorsteher in Palermo genau übernehmen sollte, kann nur in Umrissen skizziert werden.¹¹⁰ Bei Wilhelm von Apulien scheint die mi­

107 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 3, cap. 11, S. 63; lib. 3, cap. 18, S. 67. Für Syrakus ebd., lib. 4, cap. 2, S. 86. Vgl. dazu auch J o h n s, Arabic Administration, S. 31‒39. 108 W i l h e l m v o n A p u l i e n, La geste, hg. von M a t h i e u, lib. 3, S. 182, V. 340‒343. 109 Zur Herkunft und Verwendung des Titels in der islamischen Welt; vgl. A l - D ū r ī, Art. Amīr. 110 Erste Überlegungen lieferte M é n a g e r, Amiratus, S. 21‒23.

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litärische Sicherung im Vordergrund zu stehen, sodass vermutet werden kann, der amiratus habe die Aufsicht über die in Palermo stationierten Truppen übernommen. Dass ihm aber auch administrative Funktionen oblagen, vielleicht etwa die Verwaltung der Tributzahlungen, lässt sich aus der Urkunde schlussfolgern, in welcher der erste dokumentarisch belegte amiratus auftaucht. In einem nicht eindeutig zu lesenden Jahr in den 1080ern (datiert nach oströmischem Stil auf 6591?/1083?) unterschreibt an unbe­ kanntem Ort ein gewisser Πέτρος Βι(δω)ν (Petrus Bidon) als „στρατιγὸς Πανόρμου τοῦ ἡπερλάντρου δοῦκος (Stratege von Palermo des glänzenden Herzogs)“ eine griechisch­ sprachige Urkunde Graf Rogers für die kleine griechische Abtei S. Nicola di Droso in Kalabrien.¹¹¹ Der στρατηγός / strategos im normannischen Süditalien und Sizilien war insbeson­ dere für administrative Belange verantwortlich, hatte traditionell aber auch wichtige militärische Aufgaben.¹¹² Eine ähnliche Vermischung von Funktionen kann auch für den Strategen Palermos angenommen werden, der – wie der weitere Urkundenbefund zeigt – dem amiratus offenbar insofern gleichgesetzt wurde, als die Titel für Petrus parallel bzw. an die jeweilige Sprache gebunden Verwendung fanden. Ob der amiratus bzw. strategos Petrus derselbe war, den Guiskard 1072 in Palermo eingesetzt hatte, kann nicht gesagt werden.¹¹³ Relevant ist jedoch die direkte Verbindung, die zwischen dem Amt, der Stadt Pa­ lermo und dem Herzog hergestellt wird. Auch die Position, die der Stratege Palermos in den Unterschriftenlisten einnimmt, ist bedeutsam. Er folgt hier den Mitgliedern der normannischen nobilitas, die zum Umfeld Graf Rogers gehörten, unterzeichnet jedoch als erster Amtsträger. Angenommen werden könnte daher, dass der Stratege hier als der hierarchisch an höchster Stelle stehende Bedienstete angesehen wurde. Ihm folgt der Stratege von Milet, Tiroldus. Petrus und Tiroldus waren beide Lateiner. Nach ih­ nen setzten die griechischen Amtsträger und anschließend die griechischen Mönche ihre Signatur.¹¹⁴ Zwar wird auch Tiroldus’ Name in Verbindung zu Milet („Τηρολδος στρατεγός Μηλ[η]του“) verzeichnet, aber ohne die Nennung des Grafen, zu dessen Hof er gehörte. Eine offene Frage wäre auf dieser Grundlage, ob die Zugehörigkeit des Petrus Bido sowohl zu Palermo als auch zum Herzog ausgedrückt werden soll (wenn die obige, von Julia Becker vorgeschlagene Datierung stimmt, handelte es sich sogar noch um Herzog Robert Guiskard). Der zweifache Genitivus possessivus könnte aber auch die Zugehö­ rigkeit der Stadt zum Herzog unterstreichen. Unklar ist außerdem, warum Petrus bei diesem Geschäft überhaupt anwesend war. Wurde hier etwa in Palermo geurkundet,

111 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 6, S. 53‒55, hier S. 55. 112 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Untersuchungen, insbes. Kap. 6, S. 74‒102; d i e s ., Dominazione, S. 111‒113. 113 J o h n s, Arabic Administration, S. 68, nennt ihn beispielsweise „the second Norman emir”, aber ohne Gründe dafür anzugeben. 114 Zur Aufteilung der Unterschriftenliste B e c ke r, Urkunden, S. 31‒33.

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oder liegt es daran, dass Land vergeben wurde, das sich nahe dem herzoglichen Besitz erstreckte?¹¹⁵ Petrus Bidon taucht 1086 noch einmal in zwei weiteren Urkunden auf, in denen er gemeinsam mit anderen Amtsinhabern und Akteuren der Stadt Palermo sowie mit einigen Vertretern der nobilitas Geschäfte Roger Borsas bezeugte.¹¹⁶ Seine Unterschrift folgt hier derjenigen des Erzbischofs von Palermo, des Erzbischofs von Reggio und der nobilitas, doch führt er auch hier wieder die Liste der Amtsinhaber an. In diesen lateinischen Dokumenten trägt Bidon den Titel „armeratus [sic] Palermi“. Weil jene Urkunden Roger Borsas nicht spezifisch Palermo betreffen, sondern lediglich Geschäfte, die vor Ort getätigt wurden, könnte man vermuten, dass Bidon als administrativer Vorsteher der Stadt die dort getätigten Verwaltungsakte gewissermaßen standardmäßig überwachte. Danach verschwindet Bido aus der Überlieferung, und auch der amiratusTitel taucht für längere Zeit nicht wieder auf.

115 Ein Indiz dafür stammt aus dem Jahr 1114, als Roger II. dem Abt von S. Nicolò di Droso gestattete, Gefangene, Fremde und Einwanderer auf den Ländereien des Klosters anzusiedeln. Er betonte aber auch ausdrücklich, dass dies nur erlaubt sei, wenn sie nicht schon für Roger Borsa, seine Barone oder für Roger II. selbst registriert worden seien; vgl. v o n Fa l ke n h a u s e n, L’incidenza, Nr. 131, S. 231. Auch in einer Urkunde, die Konstanze 1197 ausstellte, wird noch auf die Einflussnahme Borsas in diesem Bereich erinnert. 116 M é n a g e r, Amiratus, S. 23‒26, 167 f. und Urkunde Nr. 1, S. 168 (hier ist er im Jahr 1086 belegt als „Pe­ trus Bido, armeratus Palermi“); M é n a g e r, Recueil, S. 181; B e c ke r, Graf Roger, S. 168‒172.

2 Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft 2.1 Christianisierung: Das Erzbistum von Palermo Palermo ist dafür bekannt, als erste Stadt des normannischen Siziliens Sitz eines Erzbis­ tums geworden zu sein.¹ Vor der Eroberung durch die Muslime waren in Palermo latei­ nische wie griechische Kirchenmänner aktiv. Überhaupt spielte die Insel eine wichtige Rolle für den Austausch zwischen lateinischen und griechischen Christen, während sie gleichzeitig auch einen Zankapfel zwischen Rom und Konstantinopel darstellte.² Weil Informationen über Christen aus der Zeit muslimischer Herrschaft in Palermo spär­ lich sind, ist es kaum möglich, Aussagen über die Entwicklung ihrer Einrichtungen zu treffen. Dennoch liest man immer wieder in der Forschung, dass Nikodemos „wieder eingesetzt“ worden sei und dass das Erzbistum „die Zeit muslimischer Herrschaft über­ standen“ hätte.³ Dies suggeriert eine nicht belegbare Kontinuität, drückt aber auch die Vorstellung einer Rechtmäßigkeit der lateinisch­christlichen Vormacht aus. Vielleicht zeigt sich in solchen Aussagen, wie erfolgreich die unmittelbare Einsetzung des Niko­ demos war. Seine Übernahme stiftete nämlich zusammen mit der Inbesitznahme des locus sacer Tradition und Legitimität, während eigentlich etwas Neues etabliert wurde: Denn selbst wenn der Grieche Nikodemos als griechischer Erzbischof in S. Ciriaco bei Monreale praktiziert hätte, wurde er nun in Palermo Erzbischof einer Kirche, die fortan Rom unterstellt war. Die Ansprüche der Päpste auf Sizilien reichten bis in die Spätantike zurück, gewan­ nen in den Jahrzehnten vor der normannischen Eroberung aber eine neue Qualität. So hatte Papst Leo IX. (1049‒1054) seinen engen Vertrauten Humbert von Moyenmoutier (gest. 1061) 1050 zum Erzbischof Siziliens ernannt.⁴ Obwohl Humbert offenbar nie einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte und schon im Folgejahr zum Kardinalbischof von Silva Candida berufen wurde,⁵ zeigt diese Episode die Bemühungen des Papstes um Einfluss in Sizilien – und zwar zu einer Zeit, in der sich dort ein Machtvakuum abzeichnete. Als die Normannen in dieses erfolgreich eingedrungen waren, eigneten sie sich ein wich­ tiges Vorrecht an, als sie die Investitur des Nikodemos eigenständig vollzogen, sodass Papst Alexander II. den Griechen in seinem Amt nur noch bestätigen konnte.⁶ Damit war ein Präzedenzfall geschaffen; bis ins 19. Jahrhundert begründeten die Herrscher

1 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, S. 221 und Nr. 19, S. 228 f. 2 Einen Überblick dazu bietet D a v i s ­ S e c o r d, Three Worlds, S. 29‒71. 3 Documenti, hg. von B e c ke r, S. 125; C a s p a r, Roger II, S. 98. 4 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, Nr. 73, S. 186. Seine Unterschrift als „Humbertus Sicili­ ensis archiepiscopus“ in: Die Konzilien Deutschlands, hg. von J a s p e r, Nr. 30, S. 288; B e c ke r, Graf Roger, S. 131 und 160. 5 Zu Humbert vgl. allg. G i l c h r i s t, Cardinal. 6 Migne PL, Bd. 163, Nr. 218, Sp. 1279A–1280C. https://doi.org/10.1515/9783110773262-007

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der Insel unter Berufung auf diese Tradition den Anspruch, Kirchenoberhäupter in Sizilien selbst bestimmen zu dürfen.⁷ 1083 übernahm der Lateiner Alcherius den Stuhl des Erzbistums Palermo. Ihm kann eine enge Verbindung zur Abtei La Trinità della Cava in Cava de’ Terreni nahe Salerno nachgewiesen werden. Die Abtei stand in enger Beziehung zu den Herrschern in Salerno, und so ist es interessant zu sehen, dass Roger Borsa führend an der Ein­ setzung des Alcherius beteiligt gewesen zu sein scheint.⁸ Obgleich es sich noch immer um ein reines Titularerzbistum handelte, sprach Papst Gregor VII. (1073‒1085) Palermo im Bestätigungsschreiben für Alcherius vom 16. April 1083 die alten, wenn auch mitt­ lerweile „zerstörten“ sowie die zukünftigen Kirchenprovinzen zu.⁹ Hinweise auf ehe­ malige und künftige Raum- oder Rechtsstrukturen der sizilischen Kirche finden sich, obgleich vage, in den Briefen Gregors des Großen. Vielleicht geschah es außerdem in Anlehnung an diesen,¹⁰ dass Gregor VII. nun das Pallium an Alcherius verlieh, wodurch eine enge Verbindung zwischen Erzbischof und Papst hergestellt werden sollte.¹¹ Kon­ trolle über seine Suffragane erhielt Palermo jedoch erst im September 1130, als der palermitanische Erzbischofstuhl offiziell und im Vergleich zu anderen Bistümern der Insel deutlich verzögert in die Metropolitanstruktur eingegliedert wurde.¹² Die bereits etablierten Bistümer von Agrigent, Mazara und Malta wurden in diesem Zusammen­ hang dem Erzbistum Palermo unterstellt.¹³ Auch hinsichtlich der dem Erzbistum zustehenden Ländereien und Mittel unter­ schied sich Palermo von den anderen sizilischen Bischofssitzen. Die Besitzungen kon­ zentrierten sich im Wesentlichen auf die Stadt und ausgewählte Orte im unmittelbaren Hinterland. 1086 übertrug Roger Borsa der Kathedrale den Casale di Gallo (gelegen rund 10 Kilometer westlich von Palermo hinter Mondello) mit 94 villani sowie vier rustici in Misilmeri.¹⁴ Dies ist so zu verstehen, dass Casale di Gallo mit den 94 villani an die Ka­ thedrale vermacht wurde, in Misilmeri hingegen nur vier rustici mit deren jeweiligem

7 Vgl. dazu auch das bei Malaterra überlieferte Schreiben Papst Urbans II. an Roger, das am Ende des Ta­ tenberichtes steht und dem Grafen als Dank für seine Eroberungen verspricht, keine päpstlichen Legaten ohne seine Zustimmung einzusetzen; G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 4, cap. 29, S. 108. Dazu auch C a s p a r, Gründungsurkunden, S. 598; E n z e n s b e r g e r, Lateinische Kirche, S. 6; ausführlicher Fo d a l e, Stato, S. 575‒600; d e r s ., Apostolica Legazia. 8 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 3, cap. 19, S. 68 f.; B e c ke r, Graf Roger, S. 171; Bulle Gregors VII. an Alcherius vom 16. April 1083; Regesta Pontificum, hg. von J a f f é, Bd. 1, Nr. 5258 (3954), S. 644 f.; P i r r i, Sicilia sacra, Bd. 1, S. 70; Fo n s e c a, Istituzioni, S. 152; M é n a g e r, Amiratus, S. 23 und Appendix II, Nr. 1 und 2, S. 167 f. L o u d, Cava. 9 B e c ke r, Graf Roger, S. 170. 10 Im Juli 603 übergab Gregor I. das Pallium dem Bischof Johannes von Palermo; vgl. Gregorii I Regis­ trvm, hg. von H a r t m a n n, Bd. 2, lib. 14, Nr. 40, S. 403. 11 B e c ke r, Graf Roger, S. 170. 12 Vgl. dazu e b d ., S. 168–172. 13 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, Nr. 25 und 27, S. 231. 14 Recueil, hg. von M é n a g e r, Bd. 1, Nr. 52, S. 181 f.; Nr. 53, S. 183 f.; Nr. 54, S. 185 f.

Christianisierung: Das Erzbistum von Palermo



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Landbesitz.¹⁵ Die finanziellen Möglichkeiten des Erzbischofs dürften sich erst durch eine Schenkung im Jahr 1089 verbessert haben, mit der Sikelgaita dem Erzbischof Al­ cherius und den Kanonikern seiner Kirche den sechsten Teil der Einkünfte aller in Palermo lebenden Juden zusprach.¹⁶ Von Friedrich II. wurden diese Urkunde feierlich bestätigt und die Besitzrechte der Kirche über die Juden weiter ausgedehnt, wobei die Kirche von Palermo als bedeutendste und erste des Reichs gerühmt wurde.¹⁷ Die übrigen sizilischen Bistümer gründete Graf Roger. Noch 1080 und ohne Abspra­ che mit dem Papst richtete er das Bistum von Troina ein, das 1096 Messina zugeschlagen wurde. Nach Abschluss der Eroberung wurden mit Zustimmung Roms zwischen 1091 und 1093 vier weitere Bistümer eingerichtet: Catania, Syrakus, Agrigent und Mazara del Vallo, sie alle wurden mit Besitzungen von beachtlichem Umfang ausgestattet, was durch Grenzbeschreibungen, Personenregister und Abgabenlisten genau festgesetzt wurde.¹⁸ Zudem stiftete Roger neue Kirchen und Klöster in diesen Gebieten oder stat­ tete bestehende Einrichtungen mit Schenkungen aus.¹⁹ Palermo aber wurde in diesem Prozess nicht berücksichtigt, was einmal mehr mit den heiklen Verhältnissen aufgrund der konkurrierenden gräflichen und herzoglichen Ansprüche auf die Stadt zu tun ge­ habt haben dürfte. Der früheste Hinweis auf ein Aktivwerden Rogers in Palermo findet sich in einer Urkunde, mit der er dem Erzbischof einen kalabresischen Ort mit 39 villani bei Nico­ tera vermacht. Angeblich war das Kirchenoberhaupt selbst zum Grafen nach Mileto gekommen, „um Unterhalt von ihm zu erbitten“.²⁰ Datiert ist die lateinische Übertra­ gung des griechischen Originals in das Jahr 1092. Weil als Empfänger „pater Nicodemos archiepiscopus Panormitanus“ angegeben wird und Alcherius ja seit 1083 im Amt war, fragt man sich, ob hier Datum oder Name falsch sind. Dies hält Julia Becker für un­ wahrscheinlich,²¹ aber eine überzeugende Erklärung steht weiter aus.²² Im Laufe des Jahres 1095 stellte Graf Roger dann zwei weitere Urkunden aus, diesmal sogar in Palermo selbst, wobei eine die Kathedrale der Stadt, die andere den Erzbischof Alcherius bedachte. Der Haupttext der ersten Urkunde ist in Griechisch

15 Vgl. dazu J o h n s, Arabic Administration, S. 45 f. 16 P i r r i, Sicilia Sacra, 1, S. 75. I n v e g e s, Palermo nobile, S. 127; Codice diplomatico, hg. von L a g u m i n a, Bd. 1, S. 9 f.; M u ra t o r i, Antiquitates Italiae; M a n d a l à, Jews, S. 445; Jews, hg. und übers. von S i m o n ­ s o h n, S. 36. 17 Urkunden Friedrichs II. Bd. 1, hg. von Ko c h, Nr. 146, S. 282‒285, hier S. 284. 18 Für Troina vgl. die Gründungsurkunde von 1080: Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 2, S. 40 f. und die Ausstattung desselben Nr. 5, S. 49‒52. Ebd., für Catania: Nr. 17, S. 92–96; Nr. 20, S. 104–106; Nr. †23, S. 114– 116; für Mazara: Nr. †, 143–146; Nr. †35, S. 150 f.; für Agrigent: Nr. †36, S. 152–155; für Syrakus: Nr. 38, S. 158– 161. 19 Vgl. dazu grundlegend B e c ke r, Graf Roger, S. 159‒217. 20 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 27, S. 125 f., hier 126. 21 Ebd. 22 Keine überzeugende Erklärung liefert, wie dargelegt, v o n Fa l ke n h a u s e n, Documenti greci, S. 438.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

verfasst und vermacht der Kathedrale Land zwischen Jato, Corleone und Limone. Es folgt ein Personenregister, das die Namen von 75 villani in Arabisch aufführt und 24 sogenannte Neuvermählte in Griechisch. Die Kategorie der villani bezieht sich auf Haushalte, die gemeinhin mindestens mit dem Faktor vier multipliziert werden, um sich der eigentlichen Bevölkerungszahl anzunähern; die Neuvermählten hingegen ver­ fügten wohl noch über keine eigenen Familien, ihnen wurde in den ersten Jahren eine verringerte Abgabenleistung zugesprochen.²³ Gemeinsam hatten diese Menschen die erhebliche Tributspflicht von 750 ṭarī zwei­ mal jährlich sowie Getreideabgaben zu leisten. Die andere Urkunde von 1095 an Al­ cherius spricht dem Erzbischof die gleichen Territorien noch einmal zu, aber ohne die Namen und Abgaben der villani zu listen. Außerdem werden ihm Ländereien im Umland von Limone nahe dem heutigen S. Cristina Gela bei Pianetto vermacht.²⁴ Die Gegenden, in denen das Erzbistum nun Besitz hatte, waren überwiegend von Muslimen bewohnt, und ihre Gebietseinteilungen sowie die Personenlisten gingen wahrscheinlich auf Steuerregister der islamischen Verwaltung zurück.²⁵ Trotz dieser scheinbaren Außenseiterrolle in der frühen Organisation der sizili­ schen Kirchenprovinzen wurde Palermo ein bedeutender Rang eingeräumt. Es lässt sich sogar vermuten, dass der Wunsch nach Einflussnahme auf das wichtigste Zen­ trum Siziliens von verschiedenen Parteien, nämlich seitens des Herzogs, des Grafen sowie des Heiligen Stuhls, so hoch war, dass bei der Etablierung neuer Strukturen sowie der Vergabe von Besitz besonders vorsichtig taktiert wurde, insbesondere, solange die Vormachtstellung auf der noch zu erobernden Insel nicht eindeutig und dauerhaft ge­ klärt war. Mit zu bedenken ist außerdem, dass Landbesitz im palermitanischen Becken weiterhin auch in der Hand lokaler, muslimischer Personen und Gruppen blieb, die mit der Eroberung nicht allesamt enteignet wurden oder enteignet werden konnten, weil es die Stabilität der jungen Herrschaft und vielleicht die Versorgung der Stadt gefährdet hätte.

23 Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 52, S. 205‒207. 24 Zu den Schenkungen des Bistums vgl. Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 49, S. 197‒199: 75 villani, 11 Ochsen und Land bei Iato, Corleone und Limone, im Jahr 1095; Nr. 52, S. 205‒207, Jahr 1095 an Alcherius: 75 villani, 11 Ochsen in einem Gebiet nahe der Piana degli Albanesi (genannt werden zur Lokalisierung der Fluss Magunuche, casale Cochena, Limonis, eine weiße Rocha und eine Kirche (?) von S. Agni. 25 J o h n s, Arabic Administration, S. 41, 45 f., 60 sowie App. 1, Nr. 2, S. 301; Nr. 3 S. 301; Nr. 5, S. 302. Vgl. auch Ta k ay a m a, Administration, S. 39 f., 165.

Rezentralisierung: Die Landvergaben Graf Rogers I.



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2.2 Rezentralisierung: Die Landvergaben Graf Rogers I. Nach dem Fall Notos 1091, der letzten Feste muslimischen Widerstandes auf Sizilien, begann Roger systematisch mit der Verteilung des eroberten Landes.²⁶ Aufspaltun­ gen der zuvor schon unterworfenen Gebiete suchte der Graf zu vermeiden, sodass Landvergaben vor Abschluss der vollständigen Eroberung nur dort stattfanden, wo es aus strategischen Gründen notwendig geworden war. Im westsizilischen Binnen­ land, das überwiegend von Muslimen bewohnt war, kam es beispielsweise schon 1079 zur Rebellion gegen die neue Herrschaft.²⁷ Nachdem die Aufstände in Corleone und Jato niedergeschlagen werden konnten, vergab Roger in Partinico und Corleone Land an nicht namentlich genannte Getreue, um das Terrain unter Kontrolle zu halten.²⁸ Davon aber abgesehen versuchte Roger, die Ansprüche der sich herausbildenden nor­ mannisch­sizilischen nobilitas so lange wie möglich abzuwehren. Dies wird deutlich, als der Graf entschieden gegen seinen ältesten Sohn Jordan vorging, der zusammen mit anderen Männern 1083 in der Val Demone aufbegehrt und auf eigenen Landbesitz gedrängt hatte. Auch der Versuch des Ingelmarus, ein Kastell in Geraci zur Stärkung seiner eigenen Machtansprüche auszubauen, wurde strikt unterbunden.²⁹ Bei der Vergabe von Ländereien nach Abschluss der Eroberungen ging der Graf dann so vor, dass er nur kleine Territorien an getreue Kämpfer vermachte, während er größere Ländereien, teilweise mit genau festgelegten Grenzbeschreibungen, Perso­ nenregistern und Abgabeverordnungen, überwiegend Kirchen und Klöstern übertrug.³⁰ Die Stadt und das unmittelbare Umland von Palermo nahmen, wie schon am Beispiel des palermitanischen Erzbistums gesehen, in diesem Prozess eine Sonderrolle ein: Sie blieben von der rogerianischen Verteilung ausgenommen. Dies könnte zum einen so ge­ deutet werden, dass es gar nicht in Rogers Macht lag, Land dort zu vergeben. Weil sich aber sonst in der Conca d’Oro keine Parzellierungen nachweisen lässt, kann vermutet werden, dass dieses Gebiet, das auch für die Versorgung der Metropole wichtig war, in der Hand des Herrschers bzw. Herzogs bleiben und möglichst nicht aufgeteilt werden sollte. Auch die Anzahl neuer kirchlicher oder monastischer Gründungen im Umland von Palermo ist ungewöhnlich gering. Belegt ist nur das griechische Kloster S. Maria di Vicari im gleichnamigen Ort, der aber immerhin 54 Kilometer südöstlich von Palermo

26 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 4, cap. 7, S. 88 f.; cap. 15 f., S. 94 f. 27 Ebd., lib. 3, cap. 20, S. 69. 28 So sind beispielsweise Partinico und Corleone wohl schon um 1079 vergeben worden, nachdem es zu Unruhen in der Gegend gekommen war; vgl. ebd., cap. 2, S. 69. 29 Ebd., lib. 3, cap. 31, S. 70. 30 Vgl. dazu auch ebd., lib. 1, cap. 2, S. 8; cap. 14, S. 15; A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 3, cap. 39, S. 333. Vgl. auch D e é r, Papsttum, S. 107‒109; B u i s s o n, Erobererrecht, S. 328 f.; B e c ke r, Graf Roger, S. 45.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

liegt. Dem Kloster wurden Ländereien in Vicari selbst sowie in Corleone und Ciminna zugestanden.³¹

Abb. 9: Palermo mit Hinterland im späten 11. Jahrhundert.

Bemerkenswert ist die territoriale Organisation des weiter von Palermo entfernten Hin­ terlandes. Es sticht nämlich ins Auge, dass die um Palermo herum liegenden bzw. auf dem Weg nach Palermo liegenden Orte und Befestigungen allesamt an die engsten Getreuen Rogers übergeben wurden (siehe Abb. 9). Im Westen sind dies Carini, 25 Ki­ lometer westlich am Fuß der Montagna Longa, sowie die rund 31 Kilometer südlich gelegene Ebene von Partinico. Carini wurde Radolf Bonellus zugesprochen;³² Partinico überließ man zusammen mit der casale von Mirto der Adelsfamilie Avenel.³³ Rund 40 Kilometer östlich von Palermo wurde Josbert de Lucy, Rogers Schwiegersohn, mit Petteranum sowie mit Gebieten zwischen Termini Imerese (37 Kilometer östlich) und Vicari (56 Kilometer südöstlich) beschenkt.³⁴ Das 48 Kilometer südöstlich gelegene Cac­

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Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 59, S. 228‒231. M a u r i c i, Castelli, S. 276. Ebd., S. 342. Ebd., S. 347 und 382.

Rezentralisierung: Die Landvergaben Graf Rogers I.



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camo unterstand Wilhelm Malabret.³⁵ Das rund 100 Kilometer weit entfernte Geraci Siculo gehörte dem Neffen Rogers, Serlo, und fiel nach seinem Tod (1072) zunächst an Ingelmarus, wurde dann aber aufgeteilt und unter anderem an Roger von Barneville vergeben, der eine Tochter Serlos geehelicht hatte. Dieser Roger erhielt neben Geraci außerdem auch Castronovo 80 Kilometer südöstlich von Palermo.³⁶ Roger befriedigte mit diesen Zuteilungen nicht nur die Forderungen seiner Kämp­ ³⁷ fer, sondern sicherte auch den Zugang zu Stadt und Umland von Palermo durch einen Ring von Befestigungen mit seinen besten Gefolgsleuten.³⁸ Beinahe alle diese Ort­ schaften verfügten bereits über eine vornormannische Festung,³⁹ was ihre historisch strategische Lage in einem auf Palermo ausgerichteten Raumgefüge weiter unterstrei­ chen dürfte. Es darf zudem angenommen werden, dass eine stärkere Durchdringung dieses Terrains mittels kleinteiliger Besitzverteilungen und der dichten Stationierung von Truppenkontingenten auch aus Notwendigkeit erwachsen war. Das unwegsame Gebirge hatte es den Bewohnern schließlich schon Jahre zuvor ermöglicht, sich im Falle von Rebellionen auf Felsen und in Höhlen zu verschanzen. Die Aufteilungen blieben innerhalb der neuen Elite keineswegs konfliktfrei, wie der dreitägige Hoftag von Troina zeigt. Zu seinem sizilischen Hauptort berief Graf Roger wohl 1094 all jene, die bis dato größere Besitzungen von ihm erhalten hatten. Er ließ dann die höchsten Strafandrohungen verkünden, wenn Streitigkeiten über Grenzfest­ legungen anhalten sollten. Das betraf insbesondere auch villani, die ihr Land verließen oder von diesem entwendet wurden.⁴⁰ Ausgehend von dieser Formulierung ist anzu­ nehmen, dass unter Rogers Begünstigten Auseinandersetzungen über Besitzansprüche ausgebrochen waren und womöglich wegen uneindeutiger Privilegienvergabe bzw. feh­ lender Dokumente nicht beigelegt werden konnten. Deshalb wurden Beauftragte einge­ setzt, die durch das Land ziehen und übersehen sollten, dass man sich an die Vorgaben hielt. Dazu war es notwendig, eine genaue Kenntnis des Landes zu haben, und in der Tat weiß man, dass sich die Grenzfestlegungen zumindest teilweise an älteren, bereits exis­ tierenden Grenzen orientierten. Dies geschah, indem Gebiete inspiziert und u. a. durch die Befragung lokaler Ältestenräte Informationen über bestehende Grenzen und dort lebende Menschen eingesammelt wurden. Letztgenannter Punkt ist entscheidend, denn im Zusammenhang mit der Versammlung in Troina wird deutlich, dass die Neuord­ nung der Insel keineswegs nur das Territorium, sondern insbesondere die Bevölkerung betraf, die sich infolge eines jahrzehntelangen Krieges verändert hatte.

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Ebd., S. 259. Documenti, hg. von B e c ke r, Nr. 40, S. 165‒168; d i e s ., Graf Roger I., S. 85; M a u r i c i, Castelli, S. 303, 283. C a s p a r, Roger II., S. 27 f.; M e t c a l f e, Muslims and Christians, S. 78‒83. M é n a g e r, Inventaire, S. 358 f. B e c ke r, Graf Roger, S. 85. P e s e z, Sicile. Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 15 der Diplomi delle chiese di Patti e di Lipari, S. 532‒535.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

Aus dokumentarischen Quellen der Zeit geht hervor, dass innerinsulare Fluchtund Migrationsbewegungen dazu geführt hatten, dass zahlreiche Menschen als Ver­ triebene in Sizilien lebten. Roger entsandte daher von Troina aus einige Verwalter, die sogenannte „Unregistrierte“ auffinden sollten. Dabei wurden beispielsweise im Osten der Insel zwischen zwei nur 30 Kilometer voneinander entfernten Ortschaften 500 Fa­ milien „Unregistrierter“ zusammengebracht. Weil man diese Menschen, überwiegend wohl Muslime, keinem Territorium mehr zuordnen konnte, wurden sie in einem eigens für sie gegründeten Kastell namens Focerò angesiedelt. Dort erließ man ihnen für fünf Jahre die Steuerpflicht.⁴¹ Wenige Jahre nach dem Tod Rogers war Focerò Schauplatz mehrerer Revolten, bei denen die Festung gleich dreimal zerstört wurde. Verantwort­ lich dafür war nicht etwa die mittlerweile abgabenpflichtige Bevölkerung. Vielmehr wollten sich die normannischen Barone der villani bemächtigen, um selbst Abgaben von ihnen zu erheben.⁴² Die Regentin Adelasia vermochte es aber, sich gegen diese Rebellen durchzusetzen.⁴³ Ein weiteres Beispiel für herrscherlich initiierte Migrationen und Siedlungsgrün­ dungen findet man im castrum von Patti, das nicht weit entfernt von Focerò lag. Dieses sollte beachtlicherweise allein der Niederlassung von „Menschen der lateinischen Spra­ che (lat. „homines quicumque sint Latine lingue)“⁴⁴ dienen, was zeigt, dass die Bevölke­ rungsgruppen auch auf der Basis sprachlicher und nicht bloß religiöser oder ethnischer Zugehörigkeiten definiert wurden. Außerdem macht dieses Vorgehen deutlich, dass Umund Ansiedlungen gezielt eingesetzt wurden, um gewisse Gruppierungen zusammen­ zufassen und gegebenenfalls von anderen Gruppen ab- bzw. aus strategischen Gebieten auszugrenzen oder zu (re)integrieren. Dies wurde bereits sichtbar, nachdem Roger 1091 Malta unterworfen und von dort die christliche Bevölkerung (überwiegend wohl Ge­ fangene aus Kriegen und Plünderungszügen) mit sich nach Sizilien gebracht hatte.⁴⁵ Auf dem Weg dorthin sollen außerdem die auf Gozo gefangenen Christen miteingela­ den worden sein. Zurück in Sizilien erlaubte Roger den Befreiten die Ansiedelung in einem neugegründeten Ort namens Villafranca im Osten der Insel oder die Rückkehr zu ihren Familien.⁴⁶ Malaterra zufolge hatte die Bevölkerung in Villafranca keine Steu­ erabgaben zu leisten, auch wurde ihnen die freie Benutzung der Wege in Sizilien sowie die abgabenfreie Ausfuhr von Waren über die Straße Messinas gestattet.⁴⁷ Im östlichen Sizilien lassen sich nach dem Ableben Rogers weitere Migrationsbewe­ gungen beobachten, die als lateinisch­christliche Kolonisation bezeichnet werden kön­

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Vgl. grundlegend Fa s o l o, Ricerca. Vo n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia, S. 97 f. Zu ihrer Regentschaft auch H o u b e n, Adelaide. M e t c a l f e, Muslims and Christians, S. 78. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 4, cap. 16, S. 94–96. M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 104 f. G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 3, cap. 16, S. 66; lib. 4, cap. 16, S. 94–96.

Rezentralisierung: Die Landvergaben Graf Rogers I.



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nen. Es handelt sich dabei um einen Zuzug vom italienischen Festland, genauer gesagt aus der Lombardei. In den Quellen werden die Gruppen als Langobardi oder Lombardi gefasst. Die Forschung vermutet, dass ihr Zuzug nach Sizilien durch die Vermittlung von Rogers Schwager Heinrich del Vasto (gest. vor 1141) aus der westligurischen Heimat der Aleramiden gefördert worden war.⁴⁸ Diese Zuwanderung resultierte darin, dass meh­ rere Ortschaften von den Immigranten vom Festland gegründet und bevölkert wurden. Zu den bekanntesten Gründungen gehören Piazza Armerina, Butera, Sperlinga und Ni­ cosia, die auch als „lombardische Städte“ (lat. „oppidae Longobardorum“) bezeichnet werden.⁴⁹ Ihr Einfluss auf die Toponomastik und insbesondere auf die Dialektbildung in der Region kann bis heute nachgewiesen werden.⁵⁰ Die demographische Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch die Einwanderung nicht­sizilischer, lateinisch­christli­ cher Gruppen war schon im 12. Jahrhundert erheblich und führte mehrfach zu blutigen Konflikten, in denen die christliche Bevölkerung der ‚Lombardenstädte‘ mit brutaler Gewalt gegen Muslime vorging.⁵¹ Auch im Westen der Insel entstanden durch die Gebietsaufteilungen unter den normannischen Großen im Umkreis von Palermo Mitte des 12. Jahrhunderts Unruhen, wie das Beispiel der Bonellus­Familie eindrücklich demonstriert. Diese konnte ihren Landbesitz um Carini durch Heiratsallianzen wesentlich vergrößern, wodurch sie auch Caccamo und Prizzi in ihren Besitz brachte. Die Ansprüche einer derart einflussreichen Familie werden in den 1160er Jahren durch ihren Vertreter Mattheus Bonellus sichtbar, der als Schlüsselfigur in der „Historia“ des Hugo Falcandus auftritt und stellvertretend für den Aufruhr der lateinischen nobilitas gegen die königliche Herrschaftsausübung steht. Ihre Unzufriedenheit ließe sich Falcandus zufolge vor allem darauf zurückfüh­ ren, dass sich die Adligen aus dem direkten Umfeld des Königs ausgeschlossen fühlten. So begehrte Bonellus gegen den König auf, ermordete seinen obersten Verwalter und zog sogar mit seinen Rittern von Caccamo aus nach Palermo und drohte, die Hauptstadt zu überfallen. Während diese Passage als Entwicklung des mittleren 12. Jahrhunderts noch unter dem Aspekt sozialer Transformationen im normannischen Regnum zu dis­ kutieren sein wird (siehe Kap. II.3.3), lässt sich im Kontext der Landaufteilungen nach der Eroberung festhalten, dass der etablierte Schutzring um Palermo nur so lange funktionierte, wie die dort ansässigen Barone und Ritter dem Grafen beziehungsweise König treu ergeben und zudem ausreichend beschäftigt waren.

48 Über Urkunden ist der Einfluss Heinrichs allerdings erst ab 1113 fassbar, wohingegen er in den 1090er Jahren noch in seiner Heimat nachzuweisen ist; vgl. dazu v o n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia, S. 97 mit den entsprechenden Belegen. 49 G a r u f i, Aleramici, S. 595; L a V i a, Colonie Lombarde. 50 Va r v a r o, Lingue, S. 185‒188; M e s s i n a, Onomastica, S. 313‒331. Als Gebiet für Dialektstudien des Gallo­Italico vgl. P i a z z a, Colonie. 51 Vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra c u s a, S. 70, 86, 118, 155. Im Vergleich mit anderen Bevöl­ kerungsgruppen nennt er sie auch longobardi: ebd., S. 24, 77, 93, 133; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 88, 176, 200, 266.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

Von den wenigen und häufig nur indirekten Hinweisen abgesehen, taucht Palermo in den Quellen nach dem Ende der Eroberung zunächst also kaum auf, sodass es für räumliche oder demographische Entwicklungen der 1090er Jahre nur sehr wenige In­ formationen gibt. Gleiches gilt für andere sizilische Städte. Für Palermo kann lediglich davon ausgegangen werden, dass vor allem während der letzten Jahre muslimischer Herrschaft eine Auswanderung der Eliten stattgefunden hatte.⁵² Auch der Einfluss jüdi­ scher Händler muss stark zurückgegangen sein, wie sich an der Überlieferung aus der Geniza ablesen lässt. Mit den muslimischen Militäreliten und den jüdischen Händlern dürften zwei bedeutende, die Stadt prägende Gruppen gewissermaßen eingebrochen sein. Weil keine Berichte über Konflikte oder Auflehnungen in Palermo bekannt sind, ließe sich vermuten, dass die neuen Machthaber ihre Stellung dort gut behaupten konn­ ten. Die Schwierigkeit im Umgang mit Siziliens größter Stadt lag hingegen viel eher in den unklaren Ansprüchen zwischen gräflicher und herzoglicher Linie, was dafür sorgte, dass sich beide Seiten zunächst wenig in der Stadt zeigten. Eine Passage in Gaufredus Malaterras Chronik erlaubt allerdings, darüber zu spe­ kulieren, dass Palermo schon Ende der 1090er Jahre – und damit zu einer Zeit, als sich das Blatt zugunsten Graf Rogers gewendet hatte – repräsentative Funktionen über­ nahm. 1097 verheiratete Roger eine seiner Töchter mit dem ungarischen König Colo­ man I. (1095‒1116). Für die Überführung der Braut sollen der Bischof von Nicastro, einige Getreue und 300 Ritter nach Termini (Imerese) gekommen sein, um die Tochter Rogers von dort auf dem Seeweg nach Palermo zu begleiten.⁵³ In Palermo soll eine große Hochzeitsgesellschaft gewartet haben, in deren Gegenwart die Braut dann zu einem Hafen in Alba gesegelt sei, der im Herrschaftsbereich des ungarischen Königs lag.⁵⁴ Palermo hätte damit als Empfangsort für eine königliche Gesandtschaft gedient, von dem aus Frauen aus der Familie Rogers in lateinisch­christliche Königshäuser ver­ heiratet wurden. Rogers Witwe Adelasia (gest. 1118) reiste 1113 ebenfalls von Palermo aus in Pracht und Fülle zu ihrer Eheschließung mit dem König von Jerusalem ab.⁵⁵

52 Vgl. dazu allgemein M e t c a l f e, Muslims of Sicily, S. 83. 53 G a u f r e d u s M a l a t e r ra, De rebus gestis, hg. von P o n t i e r i, lib. 4, cap. 25, S. 102 f., hier S. 103. 54 Ebd. Während die Pontieri­Edition hier „Panorum“ für Palermo liest, gab mir Marie Agnes Lucas­ Avenel die Auskunft, dass sie im zweiten Teil ihrer Edition (Buch 3 und 4) aus paläographischen Gründen „Panorum“ an dieser Stelle zu „Pannoniam“ ändern wird. Für die Identifizierung mit Palermo spricht m. E. aber die aus der Logik der Erzählung und die daraus abzulesende Route bzw. Geographie. 55 A l b e r t v o n A a c h e n, Historia Ierosolimtana, hg. von E d g i n g t o n, S. 842‒844; außerdem B i r k, Nor­ man Kings, S. 100 f.

Funktionalisierung: Palermo als Herrschaftsstadt Rogers II.



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2.3 Funktionalisierung: Palermo als Herrschaftsstadt Rogers II. 2.3.1 Verwaltungsorte in der Stadt Im Juni 1112 stellte der junge Roger II. mit seiner Mutter „in Palermo residierend (Pa­ normi morantes)“ ein Privileg aus.⁵⁶ „Schon ein Ritter, schon ein Graf (iam miles, iam comes)“ urkundete er so ein letztes Mal mit Adelasia gemeinsam, um der erzbischöf­ lichen Kirche von Palermo alle Rechte und Besitzungen zu bestätigen und dabei die enge Beziehung zu ihrem Erzbischof zu betonen. Es gab wohl mehrere Gründe, warum man zu diesem Zeitpunkt in Palermo aktiv wurde. Roger II. übte von diesem Zeitpunkt an seine Herrschaft selbständig aus, nachdem die einflussreiche Mutter die Geschäfte der Grafschaft bis dahin geführt und dabei vor allem den Ausbau der Verwaltung stark geprägt hatte.⁵⁷ Außerdem war im Februar des Vorjahres sein Onkel Roger Borsa verstorben, sein Sohn Wilhelm war noch minderjährig.⁵⁸ Diesen Moment nutzte die gräfliche Seite offenbar, um die noch immer nicht entschiedene Zugehörigkeit Palermos zur Einflusssphäre Rogers II. für sich zu entscheiden, indem dort nun seine Herrschafts­ ansprüche ostentativ behauptet wurden. Vera von Falkenhausen setzt mit dem Dokument von 1112 den Beginn der Über­ siedelung des gräflichen Hofes nach Palermo an, nachdem dieser in den Jahren zuvor maßgeblich in Messina fassbar gewesen war.⁵⁹ Als Residenz für den jungen Grafen war Palermo wahrscheinlich bereits entsprechend ausgestattet, ist in der Urkunde doch zum ersten Mal ein genauer Ausstellungs- bzw. Residenzort, nämlich das „su­ perior castrum nostrum“, angegeben. Dieses auf einer Anhöhe gelegene Kastell dürfte das sich im Gebiet der alten Paleopolis befindliche Stadtkastell bezeichnen. Die Heraus­ stellung des castrum lässt außerdem vermuten, dass sich hier spätestens von jetzt an ein fester normannischer Herrschaftssitz innerhalb Palermos etablierte. Aussagekräf­ tig sind auch die Zeugen der Urkunde von 1112. In der Unterschriftenliste sind mehrere Vertraute Graf Rogers I. vertreten. Mindestens vier der Personen gehörten dabei zu denjenigen Familien, die in der Provinz von Palermo mit Besitz ausgestattet worden waren: Robert Borellus, Richard Bonellus, Robert Avenellus und Wilhelm de Cratteri.⁶⁰ Außerdem taucht der bedeutendste Verwalter seiner gräflichen Mutter Adelasia auf, den der junge Graf nun für seine Regentschaft übernahm: Christoforus ammiratus. Bei Christoforus handelt es sich um die lateinische Namensform von Christodoulos, der seit 1107 im Umkreis Adelasias auftaucht und bis 1125 im engsten Umfeld des Grafen nachweisbar ist. Christodoulos war ein griechischer Christ und stammte offenbar aus

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Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 3, S. 5–8. Vo n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia. Recueil, hg. von M é n a g e r, Bd. 1, Nr. 54, S. 185 f. Vo n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia, S. 94. Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 3, S. 8.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

Marsala in Westsizilien, wo er die Kirche S. Maria di Marsala gründete.⁶¹ Die meisten seiner Urkunden sind in griechischer Sprache, aber er war wohl des Lateinischen und sicherlich des Arabischen mächtig. Arabischsprachige Dokumente verfasste er eigen­ händig und unterzeichnete sie mit dem Namen ʿAbd al-Raḥmān al-Naṣrānī. Mehrfach wurde aufgrund dieses Namens angenommen, dass Christodoulos selbst einen musli­ mischen Hintergrund gehabt habe und vielleicht als Konvertit in den Dienst Adelasias getreten sei.⁶² Der Name ʿAbd Allāh (wörtl. Diener Gottes) wird in Rückbezug auf den Vater Muḥammads nämlich häufig mit einer Konversionsgeschichte hin zum Islam in Verbindung gebracht. Der Beiname al-Naṣrānī bedeutet „der Christ“ und verweist auf die religiöse Zugehörigkeit. Der griechische Name Christodoulos (wörtl. Diener Christi) hingegen wurde mehrfach für muslimische Konvertiten zum Christentum verwen­ det. Sollte Christodoulos tatsächlich konvertiert und nicht etwa als arabischsprachiger, griechischer Christ aufgewachsen sein, so könnte dieses Beispiel die Vermutung von Jeremy Johns stützen, dass die sizilisch­muslimische Bevölkerung eher dazu neigte, die christliche Religion nach dem griechischen Ritus anzunehmen.⁶³ Relevant für unsere Überlegungen ist neben der Religion und Herkunft des Chris­ todoulos aber vor allem sein Titel. Christodoulos ist der erste Verwalter, der wieder als amiratus bzw. ammiratus belegt ist.⁶⁴ Er ist außerdem der erste Verwalter, der den Titel und das Amt in der Verwaltung des Grafen und nicht der Herzöge führte. Zwar wird Christodoulos schon für das Jahr 1093 mit dem Admiralstitel in Zusammenhang ge­ bracht, aber bei dieser frühesten Nennung handelt es sich um eine spätere Bestätigung Rogers II. Es kann daher nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er zu diesem Zeitpunkt den Titel tatsächlich bereits führte. Vera von Falkenhausen vermutet, dass dies spätestens dann der Fall war, als Christodoulos die Kirche von S. Maria in Marsala gründete. Die Datierung der Stiftungsurkunde ist jedoch aufgrund einer fehler­ haften Angabe des Herrscherjahres und der Indiktion umstritten, das Dokument dürfte wahrscheinlich im Jahr 1107/1108 erlassen worden sein.⁶⁵ Erwähnenswert ist außer­ dem, dass Christodoulos im Griechischen nun nicht als στρατηγός / strategos, sondern mit dem arabischen Titel in einer gräzisierten Version als ἀμηρᾶς angeführt wird.

61 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Funzionari, S. 180‒183. 62 J o h n s, Arabic Administration, S. 69 f.; M é n a g e r, Amiratus, S. 29 f.; A m a r i, Storia, Bd. 3, S. 371. 63 J o h n s, Greek Church. 64 Zwar wird gemeinhin auch Eugenios, ein früherer griechischer Verwalter Rogers I. aus Troina, als amiratus bezeichnet, doch ist dieser Titel für ihn nicht zu Lebzeiten überliefert. Lediglich für seine Nach­ kommen, die in Palermo eine Dynastie von hochrangigen Verwaltern bildeten, lässt sich diese Zuschrei­ bung festmachen, als diese 1140 und 1177 als „Söhne des Admirals Eugenios“ bezeichnet wurden; vgl. v o n Fa l ke n h a u s e n, Funzionari, S. 175 f. mit Anm. 54 und 55; d i e s ., Griechische Gemeinden, S. 40‒44; M é ­ n a g e r, Catalogue, Nr. 40; d e r s ., Amiratus, S. 26‒28. 65 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Funzionari, S. 175 f., 180–183; J o h n s, Arabic Administration, S. 69–74; Docu­ menti inediti, hg. von G a r u f i, S. 22.

Funktionalisierung: Palermo als Herrschaftsstadt Rogers II.



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Ab 1112 und vor allem ab den 1120er Jahren tritt Christodoulos dann intensiv als Verwalter einer Administration in Erscheinung, die sich dezidiert in Palermo einzu­ richten begann. Christodoulos scheint sich dabei in Palermo auch unabhängig von Roger II. betätigt zu haben, der selbst in den zwanzig Jahren nach 1112 kaum mehr in Westsizilien weilte, sondern mit Eroberungen auf dem Festland beschäftigt war. Christodoulos etablierte derweil ein festes Verwaltungszentrum in Palermo. Dies passt mit der Beobachtung von Jeremy Johns zusammen, dass der Verwaltungsapparat in den 1120er Jahren größer und komplexer wurde sowie stärker hierarchisch struktu­ riert war.⁶⁶ Ähnliches lässt sich für den Ausbau der Stadt Palermo festhalten. Diese Verbindung zwischen der zentralen Verwaltung und dem konkreten Ort Palermos als unumstrittene Hauptstadt des normannischen Siziliens wurde bisher weitgehend un­ terschätzt. Zwei Rechtsfälle aus dieser Phase verdeutlichen aber die wachsende Zen­ tralität und Raumgebundenheit der höchsten Institutionen Siziliens. Im ersten Fall geht es um die Beschwerde des Abtes von S. Maria di Bagnara in Kalabrien. Dieser wendete sich 1123 an die Verwaltung in Palermo und klagte, dass ihm in einer Bestätigungsurkunde aus dem Jahr 1116 ein villanus weniger zugeteilt worden sei als in den alten Schenkungen aus den Jahren 1085, 1109 und 1111. Er bat deshalb darum, man möge in den Registern nachsehen und ihm den fehlenden Bewohner wieder attestieren. Aus einer kurzen Notiz auf der Rückseite der Urkunde schloss Vera von Falkenhausen, dass in der Tat festgestellt werden konnte, dass eine Person auf der Namensliste fehlte, und zwar ein gewisser Grimoald. Der Name wurde auf der Urkunde nachgetragen. Der paläographischen Einschätzung Vera von Falkenhausens nach, handelt es sich bei dem Schreiber dieses Nachtrags um keinen geringeren als den ἀμηρᾶς Christodoulos.⁶⁷ Der Ort, an dem die Beschwerde kontrolliert und die Urkunde korrigiert werden konnte, war Palermo. Dieser außergewöhnliche Fund spricht dafür, dass die Stadt bereits spätestens um 1123 ein Zentrum der Verwaltung geworden war und hier offenbar auch eine Registratur gepflegt wurde, wo man alte Schenkungen und Urkunden aufbewahrte und im Falle des Konflikts detailgetreu überprüfen konnte. Auch zeigt das Dokument, wie Christodoulos als oberster Verwalter unabhängig vom Herrscher agieren und sein Territorium übersehen konnte. Im zweiten Fall geht es um einen Besitzstreit aus dem Jahr 1123, der in Palermo un­ ter dem Vorsitz des Christodoulos verhandelt wurde.⁶⁸ Die klagende Partei bildete ein gewisser Abū Maḍar b. al-Biṯṯirrānī (von Petteranum) und seine beiden Neffen, die mit größter Wahrscheinlichkeit als Muslime identifiziert werden können. Diese prozessier­ ten gegen Muriella, eine Cousine Rogers II. Muriella besaß beachtliche Ländereien in

66 J o h n s, Arabic Administration, S. 73. 67 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Testo. Ich bedanke mich herzlich bei Vera von Falkenhausen, die mich auf diese Entdeckung aufmerksam machte und mir die Stelle im Dokument ebenso wie ihre damals noch unveröffentlichen Arbeiten darüber zur Verfügung stellte. 68 Diskutiert bei J o h n s, Arabic Administration, S. 73 f. mit Identifikation einiger der Beteiligten.

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Petteranum, die ihr Vater Gosbert von Lucy noch von Graf Roger I. erhalten hatte. Abū Maḍar zufolge hatte sie aber unrechtmäßigerweise eine ihr nicht zustehende Mühle usurpiert. Zu ihrer Verteidigung sandte die Frau drei Bevollmächtigte nach Palermo, um den Fall in ihrem Namen beizulegen. Die Gesandten führten eine arabische Ur­ kunde mit sich, die sie dem höchsten Richter (arab. qāḍī) der Muslime von Palermo vorlegten. Er inspizierte das Zeugnis, zu dem kein Gegenstück in Palermo existierte, da das Dokument innerhalb der Gemeinde von Petteranum erstellt und nicht durch die zentrale Verwaltung ausgegeben worden war. Obwohl das Dokument die Rechte Muriellas bestätigte, berief der qāḍī gemäß islamischen Gepflogenheiten zusätzliche Zeugen ein. Die causa wurde schließlich zugunsten Muriellas entschieden.⁶⁹ Dieser Fall verweist auf die multinormativen Praktiken und den Fortbestand der islamischen Rechtssprechung. Er zeigt jedoch auch, dass Christodoulos als oberster Potentat oder höchste Instanz in Palermo in alle relevanten Rechtsgeschäfte eingebunden war. Dass er dem Fall hier vorsaß, obwohl dieser vom qāḍī verhandelt wurde, könnte der Zuge­ hörigkeit Muriellas zur höchsten normannischen nobilitas geschuldet sein. Die Zentralisierung der herrscherlichen Verwaltung ging mit der Neuschaffung spezifischer Räume in der Stadt einher. Genauer gesagt entstanden Gebäude und Wohn­ quartiere, die mit der Niederlassung hoher Verwaltungsangestellter in Palermo in Ver­ bindung standen. Dabei waren es vor allem Palermos Admiräle, die als Raumpro­ duzenten aktiv wurden und sich im Stadtraum durch Bauprojekte repräsentierten. Schon Christodoulos stiftete wohl eine Kirche – und zwar im Bereich des späteren Pa­ lastdistrikts.⁷⁰ Auch die folgenden Generationen von Admirälen veranlassten sakrale Gründungen⁷¹ und bauten Wohnhäuser bzw. Stadtpaläste.⁷² Ob in Teilen dieser Bau­ komplexe auch Räume für ‚öffentliche‘ Belange der Verwaltung angeschlossen waren, bleibt spekulativ. Eine gewisse Kontinuität einer solchen Raumnutzung würde aber die seit dem frühen 14. Jahrhundert im gleichen Bezirk angesiedelte Curia del Bajulo e de’ Giudici vermuten lassen.⁷³ Später befand sich an dieser Stelle außerdem der Senat und dann das palermitanische Rathaus (Palazzo Pretorio oder Palazzo Senatorio genannt). Das heutige Gebäude grenzt unmittelbar an die Kirche S. Catarina mit ihrem Klosterkom­ plex an, wo die Überreste der Casa Martorana, des Wohnpalasts des ἀμηρᾶς Georgios von Antiochia (gest. 1151/1152), Nachfolger des Christodoulos, sichtbar sind.⁷⁴ Gegen­

69 Palermo, Archivio di Stato, Cefalù, Nr. 1; Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 38, S. 471 f. 70 M é n a g e r, Amiratus, Appendix 2, Nr. 11, S. 185‒187; es handelt sich dabei um die Kirche S. Maria la Grotta, deren Verortung unklar ist und teilweise als Vorgängerbau der Cappella Palatina angenommen wurde; vgl. dazu Z o r i ç, Arx praeclara. 71 Zur Kirche des Georgios von Antiochia vgl. B e l l a n c a, Chiesa; M a s s a i u, Alcune note. 72 S c a r l a t a, Spazio, S. 319–335; außerdem v o n Fa l ke n h a u s e n, Griechische Gemeinden, S. 40–43. 73 D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 384. 74 D i S t e f a n o, Monumenti, S. 115 f.

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über davon liegen die Kirchen des Georgios von Antiochia sowie die des Maio von Bari, Georgios’ Nachfolger. Die Wahl des Ortes für den amiratus-Distrikt begründete Elena Pezzini mit der Nähe zu wichtigen Stadttoren Palermos:⁷⁵ Der Bereich ist in­ nerhalb der Mauern zwischen dem alten Meerestor und der am äußeren Mauerring liegenden Porta Termini verortet, die den bedeutendsten Eintrittspunkt in die Stadt über die Küstenroute bildete.⁷⁶

2.3.2 Baumaßnahmen und Kontrolle des Umlands Etwa einen Kilometer vor der Porta Termini findet sich ein Bauwerk, das Anlass dazu gibt, die Verbindung zwischen den ammirati und Palermo diachron zu reflektieren. Der sogenannte Ponte dell’Ammiraglio ist die älteste erhaltene Brücke über den Oreto/wādī ʿAbbās. Sie besteht aus zwölf kalksteinernen Bögen, die sich zur Mitte hin vergrößern, wobei kleinere Rundbögen mit größeren Spitzbögen im Wechsel stehen. Die Schnitt­ punkte der Bögen bilden die sieben Stützpfeiler des Bauwerks. Aufgrund ihrer leicht spitz zulaufenden Form wird die Bauweise als „Eselsrücken (ital. schiena d’asino)“ bezeichnet. Zwei runde Pfeiler späteren Datums am südöstlichen Ende der Brücke ge­ hörten wahrscheinlich zu einem Brückentor oder -turm. Heute liegt der Ponte dell’Am­ miraglio in einem stark urbanisierten Viertel und hat seinen ursprünglichen Zweck völlig eingebüßt, weil der Fluss nach den verheerenden Überschwemmungen von 1931 von Guadagna bis hin zur Meeresmündung begradigt und so stark kanalisiert wurde, dass die Brücke nun auf dem Trockenen steht.⁷⁷ Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte der Ponte dell’Ammiraglio aber den wichtigsten Zugang zur Stadt von Süden dar. Er blieb u. a. als der Ort in Erinnerung, von dem aus Garibaldis Truppen in die Hauptstadt gelangten und den Widerstand der Bourbonen überwinden konnten.⁷⁸ Im 16. Jahrhundert erwähnen mehrere historische, geographische und kartogra­ phische Werke eine Brücke über den Oreto. Auf dem venezianischen Druck der „Cosmo­ graphia“ von Sebastian Münster aus dem Jahr 1548 ist „Panormus o Palermo hauptstatt“ mit einigen der wichtigsten Monumente abgebildet: Man sieht imposante Gebäude, einen Glockenturm und eine Kuppel. Das städtische Umland wird durch Felder dar­ gestellt, durch die ein dreiarmiger Fluss fließt.⁷⁹ Zwei Flussarme werden von einer

75 P e z z i n i, Palermo, S. 216. 76 Zur Küstenroute (in der römischen Zeit bekannt als via Valeria) vgl. S t ra b o n, Geographika, hg. von R a t d, lib. VI,2,1, S. 164; U g g e r i, Viabilità, S. 97‒295; a l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m ­ b a c i, S. 76; I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 329. 77 Fa b i a n i, Considerazioni; Fa t t a, Ponte, Abb. 1a–f, S. 3; Abb. 26a–b, S. 17. 78 S c i r o c c o, Garibaldi, S. 259. 79 M ü n s t e r, Cosmographie, fol. clxxix.

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großen Brücke mit einem Torhaus überspannt, und man wird davon ausgehen dürfen, dass es sich dabei um den Oreto mit dem Ponte dell’Ammiraglio handelt (Abb. 10).

Abb. 10: „Panormus o Palermo hauptstatt“ von Sebastian Münster.

Im frühesten axonometrischen Stadtplan Palermos von 1569 wird das Gebiet vor Pa­ lermos Mauern als fruchtbares Land dargestellt, durch das sich ein Fluss schlängelt. Ein Übergang über den Fluss ist deutlich zu erkennen. Dieser ist jedoch nur durch zwei Linien markiert, die nicht eindeutig die Form einer Brücke erkennen lassen. Die Illustration wird Giulio Ballino zugeschrieben und enthält drei Inschriften, von denen eine an der Mündung des Flusses angebracht ist. Sie lautet: „Horthus S. Ameragles“ (siehe Abb. 11a–b). Ob der Begriff „Horthus“ auf einen Garten (hortus) anspielt oder ob er auf das Hydronym „(H)Orethus“ hinweist, ist unklar. Der Name „Horethus“ wurde

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erstmals in Vibius Sequesters (4. / 5. Jahrhundert) geographischem Handbuch „De flumi­ nibus“ erwähnt, jedoch kann dieser erst wieder im frühen 14. Jahrhundert im lokalen Sprachgebrauch belegt werden.⁸⁰ Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der Fluss hingegen regelmäßig mit latinisierten Varianten des arabischen Namens wādī ʿAbbās bezeich­ net, etwa als flumen Abbes oder Hueddabes.⁸¹ Weiterhin in den Quellen fassbar sind die Formen sind Huedhabes, Habes, Luedabes und Havedabes.⁸² Der Kupferstich von Natale Bonifazio und Orazio Maiocco aus dem Jahr 1580 zeigt Palermo in größerer Ausführlichkeit. In gleicher Position wie bei Ballino findet sich hier eine Flussüberquerung, diesmal erkennbar als Brücke dargestellt, die auf beiden Seiten von Torhäusern flankiert wird. Sie liegt in einem Gebiet mit gepflegten Gärten und abgegrenzten Feldern (siehe Abb. 12a–b). Außerdem zeigt die Karte eine kleinere Brücke über einen Seitenarm des Oreto. Eine solche näher zur Mündung gelegene Brücke konnte bei Bauarbeiten für die Straßenbahnlinie von Palermo kürzlich als Ponte delle Teste Mozze identifiziert werden.⁸³ In der Karte von Bonifazio und Maiocco ist der Name der größeren Brücke unter der Nummer 125 aufgeführt und lautet: Ponte del Miraglia. Der Begriff „Miraglia“ findet sich bereits in Claudio Mario Arezzos „De situ insulae Siciliae“ von 1537, hier aber offenbar als Bezeichnung für den Oreto. Arezzo erwähnt die Brücke bei der Beschreibung des Gebiets, in dem sich das Hospital von S. Giovanni be­ fand: „Über den Oreto hinweg, … der Fluss, den die Palermitaner Miraglia nennen, gibt es eine steinerne Brücke“.⁸⁴ Während Arezzo nur kurz von einer Steinbrücke spricht, beschreibt Tommaso Fazello 1558 in „De rebus Siculis“ die Brücke näher und erklärt den Ursprung ihres Namens: „eine bemerkenswerte Brücke aus quadratischem Stein, [erbaut] von Georgios von Antiochia, dem Admiral von König Roger, von dem sie ihren Namen erhielt“.⁸⁵ Wahrscheinlich sind die Unterschiede zwischen den Wörtern Mira­ glia, Ameragles und Admirato durch phonetische Veränderungen in der Volkssprache zu erklären. Ein Indiz dafür findet sich schon in einer Chronik des 13. Jahrhunderts, in der Maio von Bari als „Miraglio des Königs“ bezeichnet wird.⁸⁶

80 C o n t i n o / C u s i m a n o / G a t t o, Valle, S. 26. 81 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 182, S. 116, TM 166; Urkunden Friedrichs II, hg. von Ko c h, Bd. 1, Nr. 48, S. 99. 82 Urkunden Friedrichs II, hg. von Ko c h, Bd. 1, Nr. 62, S. 127; Nr. 75, S. 150; Nr. 146, S. 284; Bd. 2, Nr. 289, S. 242. 83 Fa t t a, Ponte. 84 A r e z z o, De situ, fol. VI. 85 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 187. 86 Cronaca di Partenope, hg. von Ke l l y, S. 251:

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Abb. 11a: „Panormus Metropolis Siciliae“ von Giulio Ballino.

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Abb. 11b: „Panormus Metropolis Siciliae“ von Giulio Ballino, Detail mit Horthus S. Ameragles.

Fazellos Behauptung, Georgios von Antiochia habe die Brücke in Auftrag gegeben, wurde weithin als historische Tatsache akzeptiert.⁸⁷ In einer Reihe von Studien brachte man die Bauherrschaft mit verschiedenen Daten in Zusammenhang, u. a. mit dem Jahr 1113.⁸⁸ Dass dann Georg aber tatsächlich der Patron der Brücke gewesen sein soll, kann nicht überzeugen. Er war um 1108 von Nordafrika nach Sizilien gekommen und wurde erst der führende amiratus, nachdem Christodoulos seit Dezember 1125 verschwunden war bzw. nicht wieder belegt ist.⁸⁹ Es ist daher unwahrscheinlich, dass Georg vor 1125

87 P i r r i, Sicilia sacra, Nr. 14, Sp. 295; I n v e g e s, Annali, S. 200. 88 B e l l a f i o r e, Palermo, S. 118; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 126 f. 89 J o h n s, Arabic Administration, S. 74, 96.

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Abb. 12a: „Panormus Metropolis“ von Natale Bonifazio und Orazio Maiocco.

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Abb. 12b: „Panormus Metropolis“ von Natale Bonifazio und Orazio Maiocco, Detail mit lo Ponti del: Miraglia.

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über das Kapital verfügte, um ein so großes und wichtiges Bauprojekt zu leiten. Von solchen Überlegungen könnte die zweite, häuftig zitierte Datierung beeinflusst sein, welche die Erbauung auf die Zeit nach Georgs Aufstieg ansetzt.⁹⁰ In den letzten Jah­ ren wurde die Brücke immer wieder auf das Jahr 1132 datiert, u. a. auch im Dossier der UNESCO, die den Ponte dell’Ammiraglio in das Weltkulturerbe „arabisch­norman­ nisches Palermo“ aufgenommen hat.⁹¹ Diese Datierung würde den Bau der Brücke in den Kontext der Erhebung Palermos zur königlichen Hauptstadt nach Rogers Krönung im Jahr 1130 stellen. Doch auch für diese Behauptung gibt es keine Belege. In Quellen des 12. Jahrhunderts taucht die Brücke nicht auf. Im 13. Jahrhundert erscheint sie mehrfach in Dokumenten, die in Zusammenhang mit der SS. Trinità della Magione stehen. Die Stiftung dieser Kirche ist in engem Zusammenhang mit dem Kanz­ ler Mattheus von Salerno (gest. 1193), einem führenden Bediensteten des königlichen Hofes der Wilhelme, zu betrachten.⁹² Die Magione befindet sich nahe der alten al-Ḫāliṣa am südöstlichen Rand des Bezirks in unmittelbarer Nähe zur Porta Termini. Seit der Zeit Friedrichs II. war die SS. Trinità der Sitz (lat. mansio) des Deutschen Ordens in Palermo, wovon sich wahrscheinlich der Name Magione ableitet.⁹³ Zahlreiche Urkun­ den deuten darauf hin, dass die Abtei im 13. Jahrhundert zu erheblichem Reichtum und Einfluss gelangte. Dazu dürften die Wassermühlen, Weiden und Obstgärten im Hinterland von Palermo beigetragen haben, welche die Abtei in der Nähe des Oreto erhielt.⁹⁴ Die erste urkundliche Erwähnung der Brücke in diesem Kontext stammt vom Au­ gust 1266. Ein gewisser Terrinus de Pafnihovin, Vertreter des Deutschen Ordens in Sizi­ lien, schenkte einem Richter (lat. iudex) namens Robert von Palermo einen Weinberg. Die Konzession war auf zwanzig Jahre befristet und durch eine Grenzbeschreibung definiert. Hier wird das Land, auf dem sich die Brücke befindet, als „der Bezirk der Ad­ miralsbrücke (contrata pontis de ammirato)“ und der Fluss als „der Fluss des Admirals (flumen ammiratii)“ bezeichnet.⁹⁵ Darüber hinaus erscheint der Begriff „flumen Admi­ rati“ auch im anonymen „Chronicon Siculum“ aus dem 14. Jahrhundert, einem Werk, das wahrscheinlich von einem in Palermo ansässigen Verfasser unter aragonesischer Herrschaft geschrieben wurde.⁹⁶

90 D i S t e f a n o, Monumenti, S. 103 f. 91 Dossier der UNESCO, S. 73. 92 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 17, S. 29, TM 8; Nr. 25, S. 33 f., TM 19; M a n d a l à, Latini, S. 208‒210. 93 To o m a s p o e g, Teutoniques. 94 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 8, S. 25, TM 131. 95 Zu Terrinus, auch bekannt als Dietrich von Papenhoven, vgl. To o m a s p o e g, Teutoniques, S. 133, 136, 138, 462, 483, 614‒618; Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 81, S. 63, TM 63; Nr. 603, S. 319, TM 596; Nr. 611, S. 323, TM 604. 96 Anonymi Chronicon Siculum, hg. von G r e g o r i o, S. 124, 145, 222.

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Die Tatsache, dass die Brücke mit einem Fluss und einem Stück Land verbunden war, die dem amiratus als Besitz zugeordnet werden, verdient weitere Aufmerksamkeit. Zu diesem Zweck lohnt es sich, über die Aussagekraft der sizilischen Toponyme nach­ zudenken, die aus dem Arabischen stammen. Diese Ortsnamen beziehen sich nicht nur auf die geographisch­physischen Aspekte von Räumen. Sie können – wie bereits mehr­ fach angeklungen ‒ auch eine religiöse, ethnische oder soziale Zugehörigkeit vermitteln oder auf Besitzverhältnisse hinweisen. Alex Metcalfe zufolge trifft dies insbesondere auf Wasserressourcen zu. In seiner Studie über die Hydronomie des arabisch­norman­ nischen Westsiziliens stellte er fest, dass es „eine Tradition gab, Orte mit Wasserquellen nach denjenigen zu benennen, die wie auch immer geartete Rechte an diesen hatten oder von einer Form des Zugangs zu ihnen profitierten“.⁹⁷ Folglich könnte man vermu­ ten, dass sich der possessive Namenszusatz nicht unbedingt und ausschließlich auf den Urheber / Bauherren oder den Stifter des Baus bezieht, sondern eher auf die Person, welche die Rechte und den Zugang zu diesem kontrollierte. Die Tätigkeitsbereiche des amiratus umfassten administrative, finanzielle und auch militärische Aufgaben, und zwar sowohl unter muslimischer als auch christlicher Herr­ schaft. Dieses breite Spektrum an Zuständigkeiten wirft eine Reihe von Möglichkeiten auf, wie das Amt des Admirals oder ein einzelner Amtsträger mit dem Fluss, der Brücke oder der contrata verbunden gewesen sein könnte. Erstens hätte ein amīr dafür ver­ antwortlich gewesen sein können, Mittel für öffentliche Bauwerke (wie Straßen, Tore, Brücken und Kanäle) und deren Instandhaltung bereitzustellen, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Admiräle Palermos den Bau neuer Strukturen beaufsichtig­ ten. Sie treten dabei gewöhnlich aber nicht als Namensgeber in den Vordergrund. Man denke an den amīr Abū l-Ḥusayn, der Veranlasser einer Reihe von Stadttoren war, von denen jedoch keines seinen Namen trug.⁹⁸ Etwas anders verhält es sich bei den Was­ serquellen. Ibn Ḥawqal behauptet, dass beispielsweise die Quelle namens ʿayn Abī ʿAlī nach „einem ihrer Statthalter“ benannt worden sei.⁹⁹ Es ist jedoch zu beachten, dass sich der Name der Quelle von seinem persönlichen Namen und nicht dem Titel seines Amts ableitet. Ein anderer Zusammenhang zwischen Bauwerk und Namensgeber ist im Kontext der Besteuerung denkbar. Als architektonische Zeichen bzw. Landmarken überwinden Brücken nicht nur physisch­geographische Hindernisse, sondern regulieren auch Ver­ kehrswege und Warenströme. Mit ihrer Lage an der Hauptzufahrtsstraße über den Landweg nahm die Brücke eine ideale Position ein, um Zölle und andere Abgaben einzufordern. Es gibt allerdings kaum Belege dafür, dass oder in welcher Form die Admiräle für diese Gebührenabgaben verantwortlich waren. Ein Dokument aus den 1180er Jahren deutet darauf hin, dass die königliche Verwaltung die Aufsicht über die

97 M e t c a l f e, Dynamic Landscapes, S. 112. 98 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-ar, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122. 99 Ebd., S. 123.

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Wegezölle (passagia) für Brücken, Flüsse und Ländereien in den Gebieten königlichen Besitzes ausübte.¹⁰⁰ Im Jahr 1187 wurden diese passagia von König Wilhelm II. offen­ bar aufgehoben.¹⁰¹ Das entsprechende Dokument wurde von Eugenios ausgestellt, der damals als magister duane baronum das höchste Amt in der königlichen Verwaltung innehatte.¹⁰² Obwohl die Verwendung des Titels amiratus (und in gewissem Maße auch seine Macht und Zuständigkeit) schon Jahrzehnte zuvor eingebrochen oder in Teilen der Gesellschaft verpönt war,¹⁰³ entsprachen Eugenios Aufgaben in der Kanzlei weit­ gehend denen der früheren Admiräle.¹⁰⁴ Doch vielleicht hatte sich das Toponym der Brücke durch eine dort vollzogene Raumpraktik, nämlich der vom Admiral beaufsich­ tigten Abgabepflicht, etabliert. Denkbar ist aber auch, dass die Admiräle sich an dem Gebiet bereicherten, weil es nicht nur strategisch gut gelegen, sondern auch sehr fruchtbar war. Schon im 10. Jahr­ hundert erwähnte Ibn Ḥawqal, dass sich an den Ufern des wādī ʿAbbās Gärten, Ge­ müsebeete und Mühlen befänden.¹⁰⁵ Obwohl Wasser im islamischen Recht als freie Ressource angesehen wird, waren die Gebiete in Wassernähe bzw. mit Wasserzugang offenbar hier nicht unbedingt für die allgemeine Bevölkerung bestimmt.¹⁰⁶ Ein Beleg für eine solche räumliche und soziale Aufteilung bei der Nutzung ist das Hydronym Guadagna, ein Abschnitt des Oreto westlich der Favara. Es leitet seinen Namen wahr­ scheinlich vom arabischen wādī al-ʿāmm ab und scheint damit einen Teil des Flusses zu benennen, auf den die ‚allgemeine Bevölkerung‘ Anspruch hatte.¹⁰⁷ Im Gegensatz dazu könnte man die Frage stellen, ob der wādī ʿAbbās ‒ zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt ‒ einem ʿAbbās gehörte oder von diesem kontrolliert wurde. Auch wenn es nur Indizienbeweise gibt, entsteht der Eindruck, dass „hochrangige Staatsbeamte Kon­ zessionäre, Nutznießer und Akteure der ländlichen Wirtschaft waren“.¹⁰⁸ Mehr noch: Alex Metcalfe konnte für das muslimisch beherrschte Palermo ausgewählte Mitglie­ der der städtischen Gesellschaft identifizieren, die in der Zeit der fatimidischen und kalbidischen Herrschaft Privilegien im palermitanischen Hinterland genossen. Dazu gehörten der Eunuch Ğawḏar, der amīr Yūsuf sowie der Schreiber und Dichter Ibn al-Ṣabbāġ.¹⁰⁹

100 Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 143, S. 3. 101 Ebd., Nr. 143, S. 1‒4. 102 Ebd., Nr. 143, S. 1. 103 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 43; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 228; M a t t h e w, Norman Kingdom, S. 226; Ta k ay a m a, Administration, S. 151. 104 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Griechische Gemeinden, S. 64 f.; d i e s ., Eugenio, S. 502‒505. 105 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123. 106 Ebd., S. 119 f. und 123; D e S i m o n e, Palermo araba, S. 99. 107 M e t c a l f e, Dynamic Landscapes, S. 101; D e S i m o n e, Palermo araba, S. 99. 108 M e t c a l f e, Dynamic Landscapes, S. 98. 109 Ebd., S. 98 mit Anm. 4 und 5.

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Bis in die späte normannische Zeit hinein scheinen Angehörige der städtischen Elite von Palermo Besitzungen in diesem Teil des Hinterlandes der Stadt gehabt zu haben. Eine Schenkung König Wilhelms I. an die Kirche S. Giovanni dei Lebbrosi ver­ weist beispielsweise auf einen Garten in der Nähe des flumen Abbes (Oreto), der einem gewissen Michael Antiochenus, einem Sohn Georgs von Antiochia, gehörte. In min­ destens zwei Dokumenten führt er selbst den Titel admiratus.¹¹⁰ Dieselbe Schenkung bezieht sich auch auf einen Garten, den ehemals der ermordete amiratus Maio von Bari besaß.¹¹¹ Das Hinterland der Hauptstadt könnte also ein Ort gewesen sein, der von innerurbanen Machtkonfigurationen geprägt war und möglicherweise von diesen ausgenutzt wurde. Der „Fluss des Admirals“ könnte damit den Fluss bzw. den Teil des Flusses bezeichnen, der von den priviligierten und einflussreichen Admirälen kontrol­ liert oder genutzt wurde, bevor der Bereich seit der staufischen Zeit mehr und mehr an kirchliche Einrichtungen überging. Es gibt jedoch keinen eindeutigen Hinweis, der die Brücke mit Georgios von An­ tiochia in Verbindung bringt. Vielmehr scheint eine Beziehung zwischen dem Fluss und den städtischen Eliten bestanden zu haben. In Ermangelung eindeutiger Quellen oder archäologischer Grabungen an der Brücke bleibt auch die Datierung ungewiss. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Brücke durchaus auch vornor­ mannisch sein könnte, schließlich steht sie in einem Bereich, der unter den Kalbiden erheblich ausgebaut wurde. Zudem wäre ihr damit die wichtige Funktion zugekom­ men, den Favara­Palast jenseits des Flusses mit den zur Stadt hin gelegenen Vierteln zu verbinden. In der Tat gibt es Belege dafür, dass bereits bestehende Brücken unter den Normannen restauriert wurden. So wurde unter Roger II. eine Brücke über den Simeto zwischen Bronte und Maniace (wieder)aufgebaut, woran eine mittlerweile verschol­ lene Inschrift erinnert.¹¹² Ähnliches könnte sich auch mit dem Ponte dell’Ammiraglio vor Palermo abgespielt haben, und zwar womöglich noch zur Zeit des Christodoulos, was weiter unterstreichen würde, wie sehr die Entwicklung Palermos hin zur Haupt­ stadt Rogers II. von der Einflussnahme dieses amiratus geprägt war. Außerdem würde die Instandsetzung der Brücke und die Verbindung zwischen dem Oreto / wādī ʿAbbās, der Brücke, dem umliegenden Land und den Admirälen der Stadt eine (wiederbelebte) Kontinuität zur muslimischen Herrschaft und ihrer Raumnutzung herstellen.

110 Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 59, S. 169; Nr. 60, S. 172; J o h n s, Arabic Administration, S. 82. 111 Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 8, S. 23‒26; Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 6, S. 23 f., TM 1. 112 Z u r e t t i, Iscrizione, S. 84; M a u r i c i / M i n e l l a, Antichi ponti, S. 37.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

2.3.3 Erhöhung zur königlichen Hauptstadt Am Weihnachtstag 1130 wurde Roger II. zum König eines neuen Reiches gekrönt.¹¹³ Diese Erhebung war im September desselben Jahres bereits durch eine Bulle Ana­ klets II. (1130‒1138, Gegenpapst) legitimiert worden. Sie wurde in der erzbischöflichen Kathedrale von Palermo einige Monate später vollzogen.¹¹⁴ Die bedeutendste erzäh­ lende Quelle zu diesem Ereignis stammt von Alexander von Telese. Seine Schilderung der Königserhebung Rogers II. betont in großer Ausführlichkeit die enge Verbindung zwischen der urbs Panormitana und der königlichen Würde. Dieser Konnex erfuhr von der Forschung bisher wenig Beachtung, obwohl Alexander ihm immerhin die ersten drei Kapitel des zweiten Buches widmete. Nachdem Roger II. seine Eroberungen auf der süditalienischen Halbinsel abgeschlossen hatte und vom Papst bei Benevent mit dem Herzogstitel belehnt worden war, hätten Rogers Vertraute, allen voran sein Onkel Heinrich del Vasto, immer wieder vorgeschlagen, dass der Herzog nun König werden solle. Dabei sollte „Palermo, die wichtigste Stadt Siziliens, als Hauptstadt des künftigen Königs dienen, weil dort bereits in alter Zeit Könige ansässig waren, die über die si­ zilische Provinz geherrscht hatten, bevor [die Stadt] durch ein göttliches Los nun für lange Zeit ohne sie [d. h. die Könige] war“.¹¹⁵ Die Darstellung, dass Roger II. das Königsamt mehrfach angetragen werden musste, entspricht der Idealvorstellung vom bescheidenen Herrscher, der sich diese Stellung nicht eigenmächtig und ohne den Konsens seiner Großen aneignen sollte. Das Vorgehen erinnert damit aber auch an die Erhebungen von Rogers Vorfahren Wilhelm Eisenarm und Robert Guiskard, die von ihrem normannischen Gefolge zum Grafen und Herzog ausgerufen worden waren. Außerdem lässt Alexander hier mehrfach anklingen, dass Gott auf verschiedene Weise seine Unterstützung dieses Vorhabens deutlich gemacht habe.¹¹⁶ Der Verweis auf eine alte Tradition königlicher Herrschaft in Palermo kann in diesem Kontext ebenfalls als Versuch gelesen werden, die umstrittenen Ansprüche auf das Königtum zu rechtfertigen, denn hier wurde dieser Logik folgend nicht etwas Neues geschaffen, sondern vielmehr eine einstige Tradition wiederbelebt. Interessant ist trotz dieser Rhetorik gleichwohl, dass die Etablierung der normannischen Königsherrschaft mit Palermo unmittelbar verknüpft und die Stadt als traditioneller Hauptort Siziliens

113 Dazu vgl. E l z e, Königtum, S. 102‒105; L o u d, Church, S. 150‒158; H o u b e n, Roger II., S. 32‒54; C a s ­ p a r, Roger II., S. 29. Caspar sieht den Schritt, Palermo in Fortsetzung der Politik Rogers I. zur Hauptstadt zu machen, als konsequente Umsetzung einer Politik, die Adelasia im Sinne ihres verstorbenen Mannes fortführte und Roger II. gewissermaßen zur ‚Vollendung‘ brachte. Vgl. außerdem v o n Fa l ke n h a u s e n, Adelasia, S. 94 f., 98. 114 H o f f m a n n, Langobarden, S. 172‒176; H o u b e n, Roger II., S. 54; L o u d, Church, S. 225‒259. 115 A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 1, S. 23. 116 Vgl. dazu auch R e i c h e n m i l l e r, Traumerzählungen.

Funktionalisierung: Palermo als Herrschaftsstadt Rogers II.



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gedeutet wurde. Dies gilt insbesondere, weil eine Vergangenheit als Hauptstadt nur für die Zeit muslimischer Herrschaft auszumachen ist. Im folgenden Kapitel ist bei Alexander von Telese eine beinahe gleichlautende Begründung überliefert. Hier lässt er Roger II. überlegen, ob er dem Vorschlag seines Onkels folgen solle. Der Herzog habe daher geistliche Würdenträger, Gelehrte und die Großen seines Reiches bei Salerno zur Beratung zusammenkommen lassen. Einmütig hätten sie Rogers II. Erhebung befürwortet. Wieder taucht unmittelbar damit verbun­ den die Stadt Palermo auf, wo Roger zum König gemacht werden solle, weil in Palermo die königliche Würde ruhe. Außerdem könne allein Palermo zur Hauptstadt erkoren werden, weil die Stadt seit alters her die Regionen Siziliens beherrschte und nun auch neue Gebiete dominieren solle.¹¹⁷ Diese Aussage ist für die Frage nach Raumordnung und Raumvorstellung relevant, weil der Stadt hiermit eine hohe Zentralität zugeschrie­ ben und sie außerdem an der Spitze der Regionenhierarchie verortet wurde. Mit der Erhebung Rogers II. zum König, so deutet der Text weiter an, werde die Bedeutung der Stadt sogar noch gesteigert, weil sie mit der Zusammenführung der süditalienischen Gebiete auf dem Festland und Sizilien über ein noch größeres Territorium thronen werde. Ein mit Palermo verbundener Legitimitätsanspruch auf das Königtum spricht 1140 auch aus dem Stiftungsprivileg Rogers II. für die Cappella Palatina, die bedeu­ tendste Kirche im königlichen Palastdistrikt. Darin wird ebenfalls an ein altes, zwi­ schenzeitlich verwaistes regnum mit Sitz in Palermo erinnert.¹¹⁸ Der Umstand, dass Palermo nur unter muslimischer Herrschaft als Hauptstadt Siziliens gedient hatte, bleibt unkommentiert – vielleicht deutet Alexander aber vorsichtig eine Diskontinui­ tät christlicher Herrschaft in Palermo an, wenn er schreibt, die Stadt sei „durch das Los Gottes“ für einige Zeit ohne König gewesen“.¹¹⁹ In der frühneuzeitlichen Ge­ schichtsschreibung wird diese Vergangenheit überwiegend übergangen (Mongitore deutet z. B. den Hinweis auf ein ehemaliges Königtum in Palermo als Referenz auf die Herrschaft der Goten in Sizilien¹²⁰) oder unter dem Thema der christlichen, ‚recht­ mäßigen‘ ‚Rück‘-Eroberung behandelt. Der anonyme Autor der „Historia Sicula“, der seine Geschichte des normannischen Sizilien in den späteren 1140er Jahren ver­ fasste, erinnert hingegen an die nicht­christliche Vergangenheit der Stadt, die vor der Eroberung von 1071/1072 „Hauptstadt und der vorwiegende Herrschaftssitz der Tyrannen“¹²¹ gewesen sei. Zurück zur Schilderung Alexanders von Telese: Im dritten Kapitel des zweiten Bu­ ches beschreibt der Chronist die Krönungsvorbereitungen Rogers II., zu der sich dem

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A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 2, S. 23‒25. Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 48, S. 133‒137, hier S. 136. A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 1, S. 23. Vgl. M o n g i t o r e, Palermo devoto, S. 13. A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. lat. 6206, fol. 295r.

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Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft

Chronisten zufolge alle bedeutenden Personen des Reiches sowie eine Volksmenge am dafür vorgesehenen Weihnachtstag in Palermo eingefunden hatten.¹²² Feierlich wurde Roger dann in der erzbischöflichen Kathedrale gesalbt und zum König gekrönt.¹²³ Der offenbar zu diesem Anlass verfasste Krönungsordo ähnelt dem Mainzer Ordo der rö­ misch­deutschen Könige.¹²⁴ Von der Kathedrale aus begab man sich in den königlichen Palast, wo weitere Feierlichkeiten stattfanden und ein Festmahl veranstaltet wurde.¹²⁵ Palermo bildete die Bühne für die herrschaftliche Repräsentation, und eine rituelle Begehung der Stadt durch den neuen König wurde zwischen Kathedrale und Palast inszeniert. Alexander erinnert daran, mit welchem Überfluss Palermo zu diesem An­ lass geschmückt war; er erwähnt Kostbarkeiten aus allen „Teilen der Welt“,¹²⁶ Stoffe, Edelsteine und Speisen, die ungekannten Reichtum zur Schau stellten. Von der For­ schung wurden die Feierlichkeiten in Palermo als „orientalische Pracht“¹²⁷ beschrie­ ben. Konkrete Hinweise auf die Adaptation islamischer Repräsentationsformen beim Herrschaftsantritt Rogers II. als König des Regnum Siciliae gibt es jedoch keine, und so scheint diese Deutung zumindest teilweise eine Projektion vor dem Hintergrund der etwas später zu datierenden materiellen Zeugnisse,¹²⁸ die in Palermo in besonderer Qualität und Quantität von nun an produziert wurden.

122 A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 3, S. 25. 123 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 218; vgl. auch Fa l c o n e d i B e n e v e n t o, Chronicon Beneventanum, hg. von D ’A n g e l o, S. 202. 124 E l z e, Ordo, S. 165–178; zum Mainzer Ordo vgl. B ü t t n e r, Weg, S. 95–110. 125 A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 4‒6, S. 25 f. 126 Ebd. 127 H o u b e n, Roger II., S. 58: „Es muß schon ein überwältigender Eindruck gewesen sein, den die mit orientalischer Pracht abgehaltenen Krönungsfeierlichkeiten hinterließen“. 128 Zu den Herrscherbildern und ihrer Darstellungsweise vgl. z. B. Va g n o n i, Dei gratia. Der Mantel Rogers II., der häufig als Krönungsmantel bezeichnet wird, ist beispielsweise aufgrund seiner Inschrift erst auf das Jahr 1132 zu datieren. Eine ausführliche Studie zum Mantel und seinem Kontext legte zuletzt D o l e z a l e k, Arabic Script, vor.

3 Aufspaltung und Überformung 3.1 Die Stadt von außen: Grenzen und Zugehörigkeiten Von der Zeit Wilhelms I. und des jungen Wilhelms II. abgesehen liegen für die nor­ mannisch­königliche Herrschaft keine erzählenden Quellen vor, die ausführlich von Ereignissen oder Entwicklungen in Palermo berichten. Es existieren jedoch vielfältige materielle Zeugnisse sowie Urkunden, die Aspekte der Raumnutzung und Repräsen­ tation einer etablierten und wohlhabenden königlichen Hauptstadt dokumentieren. Konzentriert man sich, wie häufig in der Forschung geschehen, auf die materielle Kultur, deren Entstehung überwiegend direkt mit dem Palast oder den mit ihm ver­ bundenen Eliten in Zusammenhang steht, so ergibt sich das Bild einer Hauptstadt, die von einem Fortbestehen, ja teilweise sogar von einer Dominanz muslimischer und islamischer Einflüsse geprägt scheint. Diese Sichtweise ist irreführend, wenn man zum einen den Fokus vom Palast auf die Stadt als Ganzes weitet und zum an­ deren nicht nur danach fragt, wie gewisse Räume repräsentativ ausgestaltet waren, sondern auch, welche Prozesse sich in ihnen abspielten und dabei zu Veränderungen beitrugen. Um dies offenzulegen und in Teilen zu rekonstruieren, folgt das Kapitel nicht mehr der bisher recht strikt eingehaltenen Chronologie, sondern dem Itinerar des Reisenden Ibn Ǧubayr, der unter König Wilhelm II., genauer gesagt gegen Ende des Jahres 1184, nach Sizilien gekommen war und mehrere Monate blieb. Seine Raumbeschreibungen sind wertvoll, weil er Palermo zu einer Zeit erlebte, da einschneidende Umstürze die Stadt so nachhaltig verändert hatten, dass sie nun zu einer klar (lateinisch-)christlich dominierten Metropole geworden war und als solche von ihm gesehen wurde. Den Einfluss von Muslimen oder die Sichtbarkeit von islamischen Elementen im städtischen Raum nahm der Reisende dabei als äußerst gering wahr. Im Folgenden wird herausgearbeitet, dass dies als Resultat von Raumkonflikten bzw. von sozialen Auseinandersetzungen und Verschiebungen zu deuten ist, die sich dezidiert in spezifischen Räumen der Stadt abgespielt und auf deren Strukturen und Praktiken der Nutzung ausgewirkt haben. In einem Dreischritt werden exponierte räumliche und architektonische Konfigurationen Palermos herausgegriffen: zunächst werden zentrale Punkte der Stadt von außen beschrieben, dann der Palastbezirk in den Blick gefasst und schließlich verschiedene städtische Viertel skizziert. Innerhalb dieser drei Räume (d. h. des extra­urbanen, palatialen und städtischen) werden kon­ krete Orte und Landmarken, aber auch die sich dort befindlichen bzw. mit ihnen verbundenen Gruppen insbesondere im Hinblick darauf analysiert, wo Kontinuitä­ ten zum muslimisch beherrschten oder zum frühen normannischen Palermo erkenn­ bar sind bzw. wo und wodurch diese abbrachen oder bereits abgebrochen waren. Nachzuvollziehen sind diese Entwicklungen zumal anhand der muslimischen oder als muslimisch identifizierten Gruppen der Stadt. Am ausführlichsten berichtet darü-

https://doi.org/10.1515/9783110773262-008

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Aufspaltung und Überformung

ber die Geschichte des Hugo Falcandus, die im Folgenden an mehreren Stellen intensiv ausgewertet wird.¹

3.1.1 Wege nach Palermo: Zugang und Kontrolle Nach einer Reise zu den heiligen Stätten von Mekka and Medina begab sich Ibn Ǧubayr auf den Rückweg in seine Heimat al-Andalus. Von Kreta aus steuerte er mit einigen nicht näher bekannten Gefährten den Seeweg zur iberischen Halbinsel an, der über Sizilien führte. In der Meerenge von Messina geriet das genuesische Schiff, auf dem sie segelten, in einen Sturm und war dabei zu kentern. Von der sizilischen Küste aus seien mehrere kleine Boote losgefahren, um den Reisenden Rettung anzubieten – allerdings gegen einen erheblichen Preis.² Ibn Ǧubayr zufolge drohte das Schiff geplündert und die (muslimischen) Reisenden in die Sklaverei verkauft zu werden.³ Der König Siziliens, der gerade in seinem Palast zu Messina geweilt habe, hätte dies beobachtet, die Reisenden freigekauft und ihnen sogar die im Hafen anfallenden Gebühren erlassen.⁴ Mit diesen Eindrücken beginnt der rund dreimonatige Aufenthalt Ibn Ǧubayrs auf Sizilien. In jener Zeit entwickelte der Reisende eine besondere Haltung gegenüber der christlich beherrschten Insel. Er schwankt in seinem Bericht zwischen Staunen und Faszination, Erschütterung und sogar Verachtung, und immer wieder sind es Raumkonfigurationen oder -praktiken, die diese Gefühle in ihm auszulösen scheinen.⁵ Dies wird bereits in Messina deutlich, wo Ibn Ǧubayr zwar den König für seine gute Tat lobt und die Schönheit seines Palastes rühmt, doch zugleich die Stadt selbst als „überfüllt mit Christen“ beschreibt und sie dementsprechend als ungastlich wahr­ nimmt.⁶ Dieser Eindruck von einem urbanen Zentrum, in dem es kaum Muslime gab, dürfte u. a. schon darauf zurückzuführen sein, dass Messina auch unter muslimischer Herrschaft niemals so stark islamisiert war wie andere Teile der Insel. Die Erscheinung der Stadt war daher rein visuell viel weniger von islamischen Einflüssen geprägt als die anderen Orte, die Ibn Ǧubayr bisher besucht hatte. Die Aussage reflektiert darü­ ber hinaus aber auch die für Sizilien spezifischen Entwicklungen des 12. Jahrhunderts:

1 Zur bisher ausführlichsten Auswertung der Quelle hinsichtlich ihres Aussagewertes für den palermi­ tanischen Palast vgl. G ö r i c h, Tyrannei. 2 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 321 f. 3 Zu Seerecht und Seeraub vgl. grundlegend K h a l i l i e h, Admiralty; J a s p e r t / Ko l d i t z ( H g . ), Seeraub. 4 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 322. Ob sich Wilhelm II. zu dieser Zeit tatsächlich in Messina aufhielt, ist nicht eindeutig festzustellen, da für den Zeitraum von September 1184 bis April 1185 nur eine Urkunde überliefert ist. Wann und wo diese ausgestellt wurde, lässt sich nicht ermitteln; vgl. Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 135, URL: http://www.hist-hh.uni­ bamberg.de/WilhelmII/textliste.html (14. 8. 2023) 5 N e t t o n, Riḥla. 6 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 323 f.

Die Stadt von außen: Grenzen und Zugehörigkeiten



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Messina war zu dieser Zeit zur bedeutendsten Handelsstadt der Insel aufgestiegen. Von hier aus wurde ein Großteil des Warenverkehrs abgewickelt, der nun insbesondere in der Hand lateinisch­christlicher Gruppen lag, die vor allem aus norditalienischen Handelsstädten kamen und die Seewege ins Heilige Land sowie nach Nordafrika do­ minierten. Damit war Messinas Hafen auch ein wichtiger Treffpunkt für Kreuzfahrer oder Siedler auf dem Weg in den östlichen Mittelmeerraum. Diese Funktion der Stadt dürften ihre Atmosphäre stark geprägt haben.⁷ Auch war in Messina der Großteil der königlichen Flotte stationiert.⁸ Diese besondere maritime und ökonomische Stellung der Stadt steht in starkem Kontrast zur muslimischen Herrschaftsphase, während der die Wirtschaftskraft sowie die Seemacht Siziliens in Palermo konzentriert waren. Von Messina aus machten sich Ibn Ǧubayr und seine Gefährten bald auf den Weg nach Palermo. Palermo war dem Reisenden als Hauptstadt der Insel und Sitz ihres Herrschers bekannt. Sie sei außerdem die einzige Stadt Siziliens gewesen, in der die „städtischen“ (oder urbanen) Muslime („al-ḥaḍarīiyn min al-muslimīn“) lebten,⁹ was nicht nur ein Hinweis auf ihre Lebensgewohnheiten (in Abgrenzung zu ländlich lebenden Muslimen), sondern auch ihre Rechte sein könnte. Denn mit dem Status des „städtischen Muslim“ verbindet Ibn Ǧubayr unmittelbar die Tatsache, dass die Muslime der Hauptstadt eigenen Besitz hatten. Die Reise nach Palermo begann zunächst mit dem Schiff und führte entlang der Küste von Messina über Cefalù nach Termini. Von dort zog Ibn Ǧubayr wegen ungünstiger Winde mit einigen seiner Mitreisenden auf dem Landweg weiter nach Palermo. Die Bemerkung, einige seiner Gefährten seien an Bord des Schiffes in Termini verblieben, um die Habseligkeiten der Reisenden zu bewachen, lässt vermuten,¹⁰ dass das Schiff in irgendeiner Weise als sichereres Transportmittel angesehen wurde. Die Fußreisenden schulterten ihr Gepäck und zogen nach Palermo. Diese Route wurde viel benutzt, und Ibn Ǧubayr schreibt, er habe Menschen so zahlreich kommen und gehen sehen, dass die Straße einem Markt gleiche.¹¹ Auch al-Idrīsī belegte diese Verbindung der Städte in seiner Beschreibung Siziliens und hielt fest, dass die Reisedauer einen Tag betrage.¹² Es ist zu vermuten, dass die Route so stark frequentiert war, da über sie die Waren und Güter aus dem Hinterland sowie aus anderen Hafenstädten der Nordküste und zum Teil vielleicht auch über die Inlandsroute von Agrigent nach Palermo hin zur Porta Termini transportiert wurden.

7 Zur Stellung Messinas als Handelsmetropole vgl. P e n e t, Clavis Siciliae, S. 261–276; A b u l a f i a, Mer­ chants. 8 Einen Überblick über die normannische Seemacht bietet S t a n t o n, Naval Operations, Appendix A, S. 225–272. 9 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 324. 10 Ebd., S. 328. 11 Ebd., S. 329. 12 A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 592.

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Aufspaltung und Überformung

Zwischen Termini und Palermo verbrachten die Reisenden die Nacht in einem Kastell namens qaṣr Saʿd (Saʿd kann sowohl ein Name sein, oder auch Glück heißen) in Meeresnähe. Laut Ibn Ǧubayr war es in der Zeit muslimischer Herrschaft errichtet worden und wurde noch immer von sogenannten „Dienern (Allāhs) (arab. al-ʿibād)“, bewohnt, die er weiter als fromm und asketisch charakterisiert.¹³ Ausgestattet mit einer schönen Moschee verfügte qaṣr Saʿd auch über einen eigenen Imām.¹⁴ Das Kastell, das vielleicht als ribāṭ zu identifizieren ist, habe einen farsaḫ vor Palermo gelegen (rund 5,7 Kilometer). Die Deutung, dass es sich bei diesem qaṣr um das Kastell von Solanto handelt, überzeugt nicht.¹⁵ Ibn Ǧubayr zufolge lag es nämlich rund eine Meile von qaṣr Ǧaʿfar (der späteren Favara) entfernt, was wiederum eine Meile vor Palermo zu lokalisieren ist. Die Meilenangaben von Ibn Ǧubayr sind hier recht exakt. Solanto aber liegt mehr als 15 Kilometer von qaṣr Ǧaʿfar entfernt, und so scheint es unwahrscheinlich, dass sich der sonst sehr kundige Autor an dieser Stelle derart vertan haben würde. In seiner „Storia dei Musulmani“ verortet Michele Amari hingegen das von Ibn Ǧubayr erwähnte Kastell am „Fluss, genannt de’ ficarazzi”, genauer gesagt, „auf der linken Seite des Hügels Cannita“.¹⁶ Dieser Vorschlag würde zwar in etwa mit der Entfernung zu qaṣr Ǧaʿfar zusammenpassen, nicht aber damit, dass Ibn Ǧubayr deutlich sagt, das Kastell habe am Meer gelegen.¹⁷ Vielleicht könnte es in der Umgebung von Acqua dei Corsari lokalisiert werden, archäologische Belege für die Existenz einer Befestigung an dieser Stelle liegen aber derzeit nicht vor. Am nächsten Morgen zogen die Reisenden von qaṣr Saʿd weiter und passierten nach einer Meile qaṣr Ǧaʾfar, dem ein Krankenhaus (arab. maristān) auf der anderen Seite gegenüberlag.¹⁸ Der maristān dürfte mit der Kirche von S. Giovanni (dei Lebbrosi) übereinstimmen, die in der Chronik des Amatus von Montecassino noch als chastel Je­ han bezeichnet wird und wahrscheinlich aus einem ribāṭ hervorgegangen war. Seit der Krönung Rogers II. war die Kirche mehrfach mit Privilegien bedacht worden. In einer Urkunde von 1154 wird der Komplex erstmals als Hospital bezeichnet.¹⁹ Als sol­ ches stellte es eine letzte Station vor der Flussüberquerung am Oreto und den Toren Palermos dar. Von hier aus wird sich Ibn Ǧubayr unweigerlich der porta Thermarum bzw. Porta Termini genähert haben, die den wichtigsten Eingang an der Südwestseite der Stadt bildete.

13 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 329. 14 Ebd. So auch M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 61 f. 15 Vgl. die Übersetzungen: I b n J u b ay r, Travels, übers. von B r o a d h u r s t, S. 215; I b n D s c h u b a i r, Tage­ buch, übers. von G ü n t h e r, S. 248. So gedeutet auch bei A h m a d, History, S. 73, und S h a l e m, Fountains, S. 3. 16 A m a r i, Storia, Bd. 3, S. 843 f. 17 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 329. 18 Ebd., S. 329 f. 19 Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 68, S. 312. Von Wilhelm I. hingegen sind zwei Urkunden für diese Kirche überliefert; vgl. Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 4, S. 11‒14; Nr. 8, S. 23‒26.

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Ibn Ǧubayr berichtet, wie er und seine Gefährten an diesem Stadttor auf könig­ liche Funktionäre getroffen seien. Diese hätten sie zum Anhalten gezwungen, befragt und ihnen dann den Zutritt zur Stadt an jener Stelle verwehrt. Eindrücklich demons­ triert die Schilderung des Reisenden, wie sich die Hauptstadt an den Toren nach außen repräsentierte und den Zustrom durch Stellvertreter des Königs kontrollierte, um In­ formationen zu erfassen und Steuern zu erheben. Damit begann an den Stadtmauern Palermos schon eine verdichtete Sphäre königlichen Einflusses, aber auch ein Raum von anderer Rechtsvalenz. Die Tore und ihre Kontrollinstanzen stellen nicht nur Zei­ chen politischer Machtdemonstration dar, sondern fungieren auch als Schwelle, an der Zugehörigkeit und Aussschluss verhandelt wurden. Dieser komplexe Zusammenhang wird auch in anderen Quellen greifbar. Ein Beispiel dafür ist die während der Königsherrschaft Rogers II. verfasste und unter dem Titel „Tristia ex Melitogaudo“ edierte Klage in griechischen Versen, in der das Thema vom Zugang bzw. von der Zugehörigkeit zur Stadt und vom Einfluss ihrer Verwalter in poetischer Form behandelt wird. Der anonyme Autor, der vormals in Palermo gelebt hatte, drückt in 4 043 iambischen Trimetern Trauer und Verzweiflung über seine Verbannung nach Malta aus. In dem langatmigen und manchmal wirr wirkenden Gedicht fleht er darum, den Ort seines Exils verlassen und nach Sizilien zurückkehren zu dürfen. Einsam und fremd sei er in der Fremde, die Sehnsucht nach Palermo martere ihn. Zugehörigkeit und das Bemühen um die Rückgewinnung einer solchen spielen durch das Werk hinweg eine besondere Rolle. Der Dichter erscheint so als ein aus der Gemeinschaft (der Stadt) Ausgestoßener, was insbesondere an einer Stelle hervortritt, in der er über ein „goldenes Stadttor“ spricht. Die Stadt Athen habe einst eine Institution gehabt („ἦν ταῖς Ἀθήναις θεσμὸς“), die das Gesetz ausgeübt und so die herrscherliche Autorität repräsentiert habe.²⁰ Vertre­ ten worden sei diese Institution durch einen alten Mann, der in Athen das goldene Tor bewachte. In einem Triumphwagen habe er immer wieder die Stadt umrundet und mit seinen Worten harsch und angriffslustig jeden adressiert, der Athen zu betreten ersuchte, „um an ihren unvergleichlich guten Dingen teilzuhaben“. Wer auf die Belei­ digungen des Alten mit Protest oder gar Hybris reagierte, der „verlor sein Glück an den Toren“, das heißt, der Einlass wurde ihm verwehrt: „Αὗται (Ἀθήναι) γὰρ ἔσχον ἐν περιόδοις λόγων [χρόνων?] γηραιὸν ἀκμάζοντα τῇ χρυςῇ πύλῃ, ἐπιδίφριον, τὸν θέλοντ’ εἰσιέναι πόλει, μετασχεῖν ἀγαθῶν ἀσυγκρίτων. στύφουσιν αἰσχροῖς ἐξεπίτηδες λόγοις

20 Ένας Έλληνας, hg. von Β ά σ σ η ς / Π ο λ έ μ η ς , S. 372–376 (mit neugriechischer Übersetzung), hier S. 372, V. 3540; Tristia, hg. von B u s u t t i l / F i o r i n i / Ve l l a, S. 212‒214 (mit englischer Übersetzung), fol. 107r–v. Die bisher einzige ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Gedicht stammt von L a u x t e r m a n n, Tomi.

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ὀνειδιοῦντα νητρεκῶς, ἀνενδότως. Ἀλλ’εἰ μὲν ἀντέτεινε τούτου τοῖς λόγοις, ἀντιλογίας παροτρυνθείς τῷ βέλει, ὁ τὴν ὑποβλημαῖαν ἀκούσας ὓβριν, ὠθεῖτο, πύλης ἀποτυχὼν εἰσόδου.“²¹

Die Verse sind mit Symbolik aufgeladen, die auf die persönliche Situation des anony­ men Dichters und den Bezugspunkt seines Schreibens, ja den Sehnsuchtsort seines Daseins verweisen dürfte: die Stadt, aus der er verbannt wurde. Aus den zitierten Zei­ len spricht die Bemühung um eine (Wieder-)Aufnahme in die polis. Die Verse betonen dabei den Charakter einer Stadt als einem topographisch­physischen sowie rechtlichen und sozialen Raum, in dem Gesetze bzw. Normen formuliert werden, die ihren Bewoh­ nern Schutz, Privilegien oder besondere Rechte gewähren können. Für Teilhabe müsse man eine Prüfung bestehen, bevor die Tore zur Stadt passiert werden können. Wer nicht dazugehöre („ἀπόπολις“, wörtl. der „Ohne­Stadt­Seiende“) und wem die richtigen Kommunikationscodes nicht bekannt seien, der könne abgelehnt werden. Einem so Zurückgestoßenen blieben damit die Vorteile des Stadtinneren vorenthalten, der er­ sehnte Eintritt nach Athen und die Teilhabe an ihren Vorzügen seien ihm verwehrt. Das goldene Stadttor Athens steht hier als Metapher für den Zutritt zu einer idealen Stadt.²² Ein goldenes Tor ist für Athen zwar nicht zu belegen,²³ dennoch ist die Moral der Parabel deutlich: Einlass wird dem Geduldigen oder Demütigen gewährt. Außerdem verweist die Episode darauf, dass der Zutritt zu einer Stadt mitunter von einer einzel­ nen, die Institution repräsentierenden Person abhängig sein konnte, welche die Regeln des Einlasses bestimmte, womöglich aber nicht offenlegte oder gerecht gewährte. An mehreren Stellen, und so auch am Ende der Parabel vom Goldenen Tor, zielt der anony­ me Dichter äußerst kritisch auf keinen geringeren Vertreter eines „θεσμὸς“ als Georgios von Antiochia, den amīr und obersten Verwalter Palermos zur Herrschaftszeit König Rogers II.

21 Ένας Έλληνας, hg. von Β ά σ σ η ς / Π ο λ έ μ η ς , S. 372, V. 3540–3555. 22 Felix Fabri berichtet Ähnliches, als er 1483 nach Alexandria reiste. Dort würde man an den Toren grob beleidigt werden, und nur wer diese Angriffe wegstecke, erhalte Zutritt. Er fügt hinzu, dass Alexandria in dieser Sache Athen folge; Fe l i x Fa b r i, Evagatorium, Bd. 3, hg. von H a s s l e r, S. 148. Außerdem M a d d e n, Triumph. 23 Vielmehr erinnert der Begriff an das wohl berühmteste Tor der theodosianischen Stadtmauer von Konstantinopel. Dieses diente nicht nur als gewöhnliches Stadttor, sondern auch als triumphaler Einzugs­ ort des Kaisers. Für ein goldenes Tor ist des Weiteren die Jerusalemer Stadtmauer bekannt, durch wel­ ches der oströmische Kaiser Heraklios (610‒641) das wahre Kreuz Christi in das aus sassanidischer Hand eroberte Jerusalem gebracht haben soll, bevor er wiederum siegreich durch das Goldene Tor von Kon­ stantinopel in seine Hauptstadt einzog. Der Autor der „Tristia“ erinnert in seinem Gedicht auch an Kaiser Heraklios und lobt ihn huldvoll für seine Taten im Kampf gegen „die Ungläubigen“; vgl. ebd., S. 175, 316. Eingebettet ist diese Passage des Kaiserlobes in den Bericht von der Eroberung Djerbas (529/1134‒1135)

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Georgios von Antiochia war in den 1120er Jahren vom ziridischen Hof in Nord­ afrika nach Palermo gekommen und unter Christodoulos aufgestiegen, wobei er in der Administration sowie für militärische Unternehmungen eingesetzt wurde. Als Ge­ orgios schließlich den Platz des Christodoulos einnahm und zum wichtigsten Berater des Königs wurde, gestaltete er die Politik, Repräsentation und Verwaltung des Reichs auf vielen Ebenen wesentlich.²⁴ Als Vorsteher der königlichen Administration in Pa­ lermo war es allem Anschein nach Georgios persönlich, der für die Verbannung des klagenden Autors nach Gozo verantwortlich war. Dieser hatte vormals nämlich eine Anstellung bei Hofe oder in der Verwaltung innegehabt und spielt in mehreren Versen auf Georgios als gnadenlosen oder harschen Herren an, bevor er ihn wieder rühmt und ihn um Erbarmen anfleht.²⁵ Es liegt somit nahe, dass er in seiner Klage eine gewisse Verbindung zwischen dem Alten von Athen und dem amiratus von Palermo herzu­ stellen versucht. Dabei wird zum einen die Bedeutung der Kontrolle über die Stadt durch Herrschaftsinstanzen hervorgehoben, zum anderen aber auch verdeutlicht, wie die räumlichen Praktiken die Wahrnehmung und Fantasie der beteiligten Akteure oder Benutzer beeinflussen konnten.

3.1.2 Mauern als Grenzen: Raum und Recht Geschah Ähnliches an der Porta Termini mit Ibn Ǧubayr und seinen Wegbegleitern? Der Passus in seinem Reisebericht stellt eines der wenigen und umso bedeutenderen Indizien für den Vollzug von Kommunikation und Rechtshandlungen an den palermita­ nischen Stadttoren dar. Einlasskontrollen an Toren sind Teil von Herrschaftsausübung und dienten meist der Erhebung von Gebühren. Die Gewinne flossen in die Taschen der jeweiligen Stadtherren oder Landbesitzer, weshalb sie in Palermo direkt die Schatz­ kammern des Königs bereicherten. Die Gebühren konnten nicht nur Reisenden wie Ibn Ǧubayr (der seine Besitztümer ja auf dem Schiff gelassen hatte), sondern insbesondere auch Händlern sowie Privatleuten auferlegt werden, die in der Stadt lebten. Schlicht gesagt, Steuern konnten von all jenen verlangt werden, die bei der Durchquerung von Toren und damit dem Betreten von Städten oder Gemeinden Waren, Naturalien oder sonstige Transportgüter mit sich führten. Gleiches galt für die Ein- und Ausfuhr von Waren über den Hafen, sofern diese entladen und in die Stadt gebracht wurden. Die Stadttore fungierten also als Zugangs- und Kontrollpunkte für die ansonsten von Mau­

durch Roger II. Dieses militärische Unternehmen bildet den Beginn der normannischen Expansion nach Ifrīqiya, wobei eine Kontrolle der See- bzw. Handelswege angestrebt und auch die Herrschaft über einige Hafenstädte wie Sousse, Sfax und al-Mahdīya erkämpft wurde. Zu den Bemühungen Rogers II. in Ifrīqiya vgl. J o h n s, Malik; A b u l a f i a, Norman Kingdom; K i n g, Norman Kingdom; B r e s c, Royaume. 24 Zur Karriere des Georgios vgl. J o h n s, Arabic Administration, insbes. S. 72‒74, 80‒90. 25 Tristia, hg. von B u s u t t i l / F i o r i n i / Ve l l a, S. 176, fol. 92; außerdem ebd., S. 210‒212, fol. 106v–107r.

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ern umschlossene Stadt. Die Mauern unterscheiden hier als Grenzen dabei nicht nur zwischen dem physischen Innen und Außen, sondern auch zwischen sozialer Zugehö­ rigkeit und Nichtzugehörigkeit. So begann hinter den Toren des königlichen Palermos ein Raum, in dem bestimmte Personengruppen besondere Rechte innehatten. Darüber liegen allerdings ausgesprochen spärliche Informationen vor, was auch erklären mag, weshalb sich die Forschung vorwiegend darauf konzentriert hat, den Verlauf der palermitanischen Mauern so exakt wie möglich zu rekonstruieren, anstatt die Bedeutung dieser Raummarker für die sich darin befindlichen Personengruppen zu diskutieren.²⁶ Für die frühe staufische Zeit lässt sich sagen, dass die Palermitaner Privi­ legien bei der Ein- und Ausfuhr von Gütern in ihre Stadt genossen. Dies geht aus einem Diplom vom September 1200 hervor, in welchem Friedrich II. den „Bürgern der Stadt (cives Panormi)“ Zollfreiheiten an den Toren, im Hafen sowie freien Handelsverkehr im ganzen Reich gewährte. Von diesen Steuerfreiheiten für den privaten oder persön­ lichen Besitz wurden allerdings bestimmte Güter sowie solche Waren ausgenommen, die von außerhalb des Reiches direkt nach Palermo eingeführt wurden (und nicht etwa vom Hafen in Messina über die Landroute kamen).²⁷ 1221 bestätigte Friedrich II. dieses Diplom, und seit 1255 sind die darin festgehaltenen Privilegien auf einer Marmortafel an der Kathedrale Palermos ausgestellt, die sogar den ältesten Überlieferungsträger dieses Diploms von 1200 bildet.²⁸ Als diese Vorrechte den Palermitanern im Spätjahr 1200 garantiert wurden, war der Kampf um die Vormundschaft des noch minderjährigen Königs Friedrich II. zwi­ schen den Konfliktparteien um Walter von Pagliara (gest. zwischen 1229 und 1231) und Markward von Annweiler (gest. 1202) gerade dabei zu eskalieren.²⁹ Walter war als Bi­ schof von Troia vor dem Tod der Kaiserin Konstanze auf Drängen Papst Innozenzʼ III. (1198‒1216) in den Kreis der Familiaren am Hof in Palermo aufgenommen worden, um die Politik vor Ort in Stellvertreterschaft des kleinen Friedrichs II. zu lenken. Im Frühjahr 1200 hatte Walter sich außerdem vom Domkapitel in Palermo zum Erzbischof wählen lassen, eine Stellung, die er nie tatsächlich antreten sollte, aber vorübergehend seinen Einfluss in der Stadt vermehrte.³⁰ Markward hingegen war Truchsess Hein­ richs VI. gewesen und hatte dessen Einmarsch und Herrschaftsübernahme in Palermo unterstützt. Nun plante er erneut einen Überfall auf Palermo und belagerte bald darauf die Stadt, um sich selbst des jungen Friedrichs zu bemächtigen. Im Spätjahr 1201 gab

26 D ’A n g e l o, Mura e porte; d e r s ., Mura; S c i o r t i n o, Archeologia. Die Verbindung von verschiedenen städtischen Räumen bzw. Vierteln und ihre Bedeutung für städtische Administration wurde untersucht von P e z z i n i, Articolazioni. 27 Urkunden Friedrich II., Bd. 1, hg. von Ko c h, Nr. 20, S. 41‒43, hier S. 42. 28 Vgl. Urkunden Friedrichs II., Bd. 1, hg. von Ko c h, Nr. 20, S. 41; vgl. außerdem ebd., Nr. 151, S. 293‒295. 29 Skizziert werden diese Machtkämpfe in Palermo bei S t ü r n e r, Friedrich II., S. 89‒105. 30 K a m p, Kirche, S. 1122‒1125.

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Palermo auf, und einige Zeit später gelang auch die Bezwingung des Meereskastells, wohin Friedrich II. in Sicherheit gebracht worden war.³¹ Die Gewährung besonderer Zugeständnisse für die Stadtbevölkerung während ei­ ner Phase der Unruhen und Unsicherheit erinnert daran,³² wie Wilhelm I. den Bürgern Palermos ebenfalls die Immunität an den Stadttoren gewährt hatte, nachdem er Op­ fer einer Verschwörung geworden war (dazu auch unten Kap. II.3.1.2). Im Zuge dieser Ereignisse hatten einige nobiles 1161 den Palast gestürmt, den König gefangen genom­ men und seinen Sohn Roger durch die Stadt prozessiert, um ihn dem „Volk (populus)“ gewissermaßen als neuen Herrscher zu präsentieren. Als die Stimmung jedoch wenig später umschlug und das Volk nun doch seinen eigentlichen König zu sehen verlangte, musste Wilhelm wieder frei gelassen werden, und die Revolte scheiterte. In den Wir­ ren starb auf tragische Weise sein jüngerer Sohn, woraufhin der Vater in große Trauer und Erstarrung verfallen sein soll. Dies führte zu Unruhe in der Stadt. Auf Drängen und Flehen seiner Berater hin soll sich der König daher zur aula begeben haben, die vor dem königlichen Palast lag. Dorthin rief man das Volk zusammen, und der König sprach den Palermitanern seinen Dank für ihre Loyalität in schweren Zeiten aus, in­ dem er eine Abkehr von den bisherigen und vor langer Zeit eingeführten consuetudines ankündigte. Überbracht wurde dem Volk diese Botschaft durch den Bischofelekt von Syrakus, Richard, der offenbar noch eine Hinzufügung anhängte, um die Palermitaner wohlwollender zu stimmen, so Falcandus. Im Namen des Königs veranlasste er, dass von nun an „omnes cives Panormitani“, also allen palermitanischen Bürgern, die freie Zu- und Ausfuhr an den Toren der Stadt gewährt werde.³³ Auf dieser Grundlage könnte man vermuten, dass das friederizianische Privileg von 1200 nicht das erste Privileg für die cives Palermos war, sondern womöglich eine Erweiterung älterer Zugeständnisse darstellte. Interessant ist in beiden Fällen, dass die Konzessionen den Palermitanern in einer Situation der Krise und von einem ge­ schwächten König zugesprochen wurden, dem jeweils auch eine gewisse Handlungs­ unfähigkeit attestiert wurde. Wilhelm I. stand offenbar noch unter dem Schock der Unruhen sowie des Todes seines Kindes, und Hugo Falcandus deutet an, dass Richard der Bischofelekt als Vertrauter des Königs wohl Einfluss auf die Verkündung genommen hatte. Friedrich II. hingegen konnte mit seinen sechs Jahren selbst noch keine Politik machen, weshalb Entscheidungen zu dieser Zeit von verschiedenen Akteuren gelenkt wurden. Die Episode in der „Historia“ lässt außerdem vermuten, dass sich in den 1160er Jahren die Gruppe der cives Palermos wohl herauszubilden begann (oder mit diesem

31 Dazu H a m p e, Kindheit. 32 In der Urkunde wird direkt auf eine solche Phase hingewiesen und die Treue der Palermitaner als Grund für dieses Privileg betont; vgl. Urkunden Friedrichs II., Bd. 1, hg. von Ko c h, Nr. 20, S. 41‒43, hier S. 42, Z. 4‒6. 33 Die Ereignisse werden im Detail geschildert von H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 53‒63; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 110‒154.

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Akt gar herausgebildet hatte), die von Hugo Falcandus nun vom allgemeinen Volk (po­ pulus) sprachlich abgesetzt sind. Bemerkenswert ist dabei auch, dass Menschen hier als cives überhaupt erst dann auftauchen, als sie in discordia verfielen und aufbegehrten u. a., so Falcandus, weil sie offenbar Unzufriedenheit ob des königlichen Reichtums empfanden und sodann Rechte einzufordern suchten.³⁴ Von diesen Hinweisen in den erzählten Quellen abgesehen ist keine befriedigende Antwort darauf zu finden, wie sich der Terminus civis für Palermo in normannischer und staufischer Zeit entwickelte oder wie sein Status definiert wurde. Auch die pa­ lermitanischen consuetudines,³⁵ eine Zusammenstellung von Privilegien und Statuten, die aus unterschiedlichen Herrschaftsperioden stammen und auf das 13. bis 14. Jahr­ hundert datieren,³⁶ machen keine Aussagen darüber, wer als civis gefasst wurde.³⁷ Vielmehr dokumentieren die consuetudines verschiedene Rechte der Bürger, wie etwa Steuerfreiheiten oder die Zusage, dass kein Palermitaner unter anderem Stadtrecht gerichtet werden könne.³⁸ Darüber hinaus beinhalten die consuetudines auch Festle­ gungen zu Eherecht und Erbfragen,³⁹ zu Bau- und Verkaufsrecht.⁴⁰ Beim Vorkaufsrecht (lat. ius protimiseos) wird in den Stadtrechten eine Unterscheidung zwischen verschie­ denen Bevölkerungsgruppen vorgenommen. Während nämlich den „cives Panhormi“ [sic] der Vorzug beim Kauf von Grundstücken in der Stadt zugestanden wird, sind „[d]er Fiskus, die Kirche, Klöster, Grafen, Barone, Juden, Sarazenen“ davon ausgeschlossen.⁴¹ Galten Mitglieder dieser Gruppen nicht als cives? Diese Frage, die hier insbesondere im Hinblick auf die Juden und Muslime Paler­ mos von Interesse ist und von der Forschung anderweitig nicht diskutiert wurde, lässt sich nur schwer beantworten. Klar ist, dass Mitglieder dieser Gruppen keinesfalls ohne Rechte waren. Durchaus präsent im Stadtraum, konnten sie Besitz haben und begegnen daher auch bei Transaktionen von Grundstücken oder Häusern im normannisch­kö­ niglichen Palermo in dokumentarischen Quellen.⁴² Meist treten sie allerdings in der

34 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 41, 43 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 120, 124. 35 Consuetudini di Palermo, hg. von l a M a n t i a, sowie als Teil von Consuetudini delle città, hg. von l a M a n t i a, S. 9‒34. 36 Vgl. weiterhin G e n u a r d i, Formazione. Zur Überlegung, dass einige Rechte auf Erlasse und Praktiken aus der Zeit Wilhelms II. stammen, vgl. Codex Juris Municipalis Siciliae, hg. von H a r t w i g, S. 55. 37 Vgl. zu solchen Überlegungen B e c ke r, Vita cittadina, S. 57‒70. Einschlägige Studien zum Stadt­ recht gibt es ansonsten erst für die spätere Zeit, so beispielsweise M i n e o, Città; d e r s ., Sicilia urbana, S. 269‒298; T i t o n e, Citizens. 38 Consuetudini di Palermo, hg. von L a M a n t i a, §3, S. 12 f. 39 Ebd., §38, S. 32. 40 Ebd., §29, S. 28; §39‒40, S. 32 f. 41 Ebd., §27‒28, S. 27 f. 42 Vgl. Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 31, S. 610‒613 (Original unbekannt oder verloren); Palermo, Archivio di Stato, San Martino delle Scale, Nr. 191; Palermo, Cappella Palatina, Nr. 4 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 54, S. 61‒67); Palermo, Archivio di Stato, Magione, Nr. 2 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 102, S. 101‒106); Nr. 3 (Di­

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Rolle der Verkäufer auf, was durch den Ausschluss vom ius protimiseos, aber gerade auch durch die Überlieferungslage bedingt sein dürfte, da Dokumente in kirchlichen, klösterlichen oder herrscherlichen Archiven eine größere Wahrscheinlichkeit hatten zu überdauern. Festzustellen ist auch, dass Rechtsakte vor islamischen Gerichten vollzogen werden konnten, was die anhaltende Anerkennung des islamischen Rechts für innerislamische Angelegenheiten bzw. für Angelegenheiten, bei denen nicht automatisch das kirchliche oder königliche Recht Anwendung finden musste, anzeigt. Dies bestätigen die consuetu­ dines, die explizit das Recht der Muslime, Juden und Griechen anerkennen und ihnen gestatten, ihre eigenen Rechtsforen zu frequentieren. Diese konnten so lange unab­ hängig Recht sprechen, wie sie nicht mit den christlichen bzw. lateinisch­christlichen Instanzen und Gesetzen kollidierten.⁴³ Während es denselben Gruppen auch in ande­ ren sizilischen Städten möglich war, Recht nach ihren Gepflogenheiten zu sprechen,⁴⁴ so gehen die palermitanischen Statuten weiter, indem den Minderheiten der Saraceni, Greci, Hebrei und bemerkenswerter Weise auch den Arabici (d. h. arabischen Christen)⁴⁵ eigene Notare zuerkannt werden. Ihren Rechtsgeschäften aus alter und künftiger Zeit wird zudem vollständige Gültigkeit garantiert.⁴⁶ Eine Auffälligkeit besteht aber auch hier darin, dass die Muslime und Juden, die griechischen und arabischen Christen nicht etwa als cives Panormi oder habitatores, sondern bloß als habitantes bezeichnet werden.⁴⁷ Erst aus einem Diplom Friedrichs III. bzw. Friedrichs II. von Aragón (1296‒1337 als König Sizilien) geht hervor, wer als civis Palermos gelten sollte. Sein Privileg von 1305 bestätigt zunächst Zugeständnisse früherer Herrscher und führt außerdem Rechte ein, die bereits aus Messina bekannt waren. Dies ist übrigens ein Hinweis darauf, dass sich die städtischen Rechte dieser bedeutenden Hafen- und Handelstadt in mancher Hinsicht anders entwickelten als die der sizilischen Haupt- und Residenzstadt. Für Palermo wird im genannten Diplom Friedrichs III. nun dem Modell von Messina folgend definiert, dass ein oriundus, d. h. ein in Palermo Geborener, als civis anerkannt wird. Von außerhalb der Stadt stammende exteri konnten durch die Eheschließung mit einer oriunda zu cives werden. Eheleute, die beide exteri waren und nach Palermo kamen, um dort zu leben (habitator), und ein Jahr, einen Monat, eine Woche und einen Tag

plomi, hg. von C u s a, Nr. 105, S. 107 f.); ebd., Santa Maria della Grotta, Nr. 3 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 117, S. 663 f.); ebd., Cefalù, Nr. 22 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 141, S. 491‒493); Palermo, Archivio Diocesano, Nr. 27 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 160, S. 44‒46); Palermo, Archivio di Stato, Cefalù, Nr. 18 (Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 172, S. 499‒501). Vgl. auch J o h n s, Arabic Administration, Appendix 2, S. 315‒325. 43 So auch geregelt in den Assisen von Ariano; vgl. Assise, hg. von Z e c c h i n o, Art. 1, S. 71. 44 So beispielsweise für Catania (1168), Codice diplomatico, hg. von L a g u m i n a, Bd. 1, Nr. 15, S. 12. 45 Vgl. M a n d a l à, Minoranze, S. 118‒122. 46 Consuetudines, hg. von L a M a n t i a, §36, S. 30 f. 47 So auch M a n d a l à, Minoranze, S. 118 mit Anm. 84; vgl. außerdem S c a r l a t a, Strutture, S. 99 f.

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geblieben waren, wurden ebenfalls zu cives. Auch Witwen von exteri, die in Palermo wohnten, konnten Bürgerinnen sein.⁴⁸ In Messina galt diese Bestimmung für Lateiner, Griechen und Juden. Muslime sind nicht erwähnt. Für Palermo wird im genannten Diplom Friedrichs III. eine Unterschei­ dung zwischen Personen unterschiedlicher religiöser oder rechtlicher Zugehörigkeit nicht vorgenommen, wobei natürlich zu bedenken ist, dass die muslimische Bevölke­ rung um 1300 die Insel ohnehin breits weitgehend verlassen hatte bzw. umgesiedelt worden war. Es ist vor diesem Hintergrund wahrscheinlich, dass eine genauere Defi­ nition des Status civis zu der Zeit, als die Muslime noch zahlreich in Palermo lebten, nicht existierte und erst später ausformuliert wurde. So bleibt es für die frühere Zeit dabei, dass man aufgrund der Unterscheidung von habitatores und habitantes den Ein­ druck gewinnt, dass nicht alle Gruppierungen in Palermo gleichermaßen rechtlich in das Gefüge Stadt integriert waren. Zieht man sich auf ein rein architektonisch­räumlich definiertes Verständnis von Stadt und ihren Bewohnern zurück, so könnte man sagen: Wer innerhalb der Stadt lebte und / oder dort Besitz hatte, gehörte zur Stadtbevölkerung. Bedeutend ist in die­ sem Zusammenhang, dass die Stadtmauern mit ihren Toren und wehrhaften Türmen stets als bestimmendes Element in den Quellen aus der Zeit königlicher Herrschaft auftauchen. Die ausführlichste zusammenhängende Beschreibung der Mauern findet sich in der „Epistola ad Petrum“ des Hugo Falcandus. Ihm zufolge war die Stadt durch Mauern mit zahlreichen Türmen befestigt.⁴⁹ Innerhalb der Mauern sei die Stadt in drei Bereiche gegliedert gewesen, deren mittlerer, innerer Teil von einem zweiten, beson­ ders hohen Mauerring umgeben war.⁵⁰ Gemeint sind damit die Mauern der Altstadt Palermos, deren Verlauf Falcandus auf der südlichen Seite vom Palast entlang des Ke­ monia hin zum Hafen und von der nördlichen Seite des pisanischen Turms entlang des Papireto hin zum Meereskastell verortet. Das innerhalb dieser Mauern gelegene, zentrale und älteste Viertel der Stadt wird in der „Epistola“ vicus Marmoreus genannt; Hugo Falcandus rühmt vor allem seine prächtigen und „erstaunlichen“ Gebäude.⁵¹ Die inneren Mauern und die Position ihrer Tore (teilweise auch die Namen der Tore) waren überwiegend aus der Zeit muslimischer Herrschaft beibehalten worden. Der zweite Mauerring, der die Stadtviertel um die Altstadt herum bewehrte, kann nur in Teilen auf islamische Fundamente zurückgeführt werden. Zwar lässt der „Kitāb al-ġarāʾib“ vermuten, dass mindestens Teile der Neustadt, das Viertel der Ṣaqāliba so­

48 Vgl. M i n e o, Palermo, S. 283 mit weiterführenden Hinweisen. 49 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 177; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 340. 50 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 180 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 51 Ebd.

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wie al-Muʿaskar ebenfalls eigene Mauern hatten,⁵² doch scheint es durchaus möglich, dass diese eher einzelne Quartiere umschlossen und nicht die Form eines einheitlichen Mauerrings hatten. Ein solcher scheint auf eine normannische Neuerung hinzuweisen. Al-Idrīsī hält um 1150 fest, dass es die ganze Stadt umfassende Mauern gegeben habe, was darauf hinweisen könnte, dass sie spätestens unter Roger II. beauftragt oder fer­ tiggestellt worden waren. Bis zum 14. Jahrhundert erfolgte eine Vereinheitlichung und Erweiterung der äußeren Mauern; im Zuge dieser Bautätigkeiten wurden offenbar auch weitere Gebiete eingeschlossen. Je nach Lage innerhalb oder außerhalb der (inneren) Mauern werden den unterschiedlichen Vierteln z. B. bei Hugo Falcandus auch unter­ schiedliche Raumqualitäten bzw. eine sozial- und rechtlich­hierarchisierte Raumord­ nung zugeschrieben. Ein groß angelegtes Bauprojekt wie das des zweiten Mauerrings jedenfalls könnte das Bemühen dokumentieren, die Stadt einheitlich zu erfassen, was deutlich zeigt, dass sich die normannisch­königliche Stadt räumlich anders konstitu­ ierte als das muslimisch beherrschte Palermo.

3.1.3 Stadttore: Repräsentation und Erinnerung Die Baugeschichte und der Verlauf der äußeren Stadtmauer Palermos sind in mehre­ ren lokalhistorischen Studien aufgearbeitet worden.⁵³ Für die normannisch­königliche Zeit bleiben die etwaige Erscheinung und der exakte Verlauf der Mauern aufgrund unzureichender archäologischer Befunde letztlich aber ungewiss. Insgesamt könnten die Mauern eine Fläche von rund 200 Hektar umschlossen haben. Trotz dieser beachtli­ chen Ausdehnung lassen sich bis an den Übergang zum 13. Jahrhundert an den äußeren Mauern nur drei Stadttore namentlich nachweisen. Anders als die arabischsprachigen Toponyme des muslimisch beherrschten Palermos haben die Namen dieser Tore we­ nig Aussagekraft in Bezug auf die damit verbundenen Raumpraktiken; auch lassen sie keine spezifischen Gruppen oder Individuen erkennen, die mit der Errichtung der Tore verbunden werden. Das am frühesten nachzuweisende Tor ist die bereits mehrfach erwähnte Porta Termini an der südlichen Mauer.⁵⁴ Das Toponym leitet sich entweder von der Stadt Termini ab, zu der das Tor auf einer Hauptverkehrsachse hinausführte bzw. von wo aus man die Hauptstadt betrat. Der Name porta Thermarum könnte auch auf Bäder­ komplexe verweisen, die sich in dieser Umgebung befunden haben sollen.⁵⁵ Nach einer Verbindungsroute ist spätestens um 1300 aber auch noch ein weiteres Tor des neuen

52 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, fol. 32B–33A, S. 464. 53 D ’A n g e l o, Mura, S. 224‒230; außerdem B r u n a z z i, Epoca; S c i o r t i n o, Archeologia. 54 I b n Q a l ā q i s, Splendori, hg. von D e S i m o n e, S. 84 f.; vgl. auch D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 2, S. 7 mit Anm. 1. 55 D ’A n g e l o, Mura, S. 224‒230; außerdem B r u n a z z i, Epoca; S c i o r t i n o, Archeologia.

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Mauerrings auf der anderen, nördlichen Stadtseite benannt: die Porta Careni bzw. Ca­ rini.⁵⁶ Diese befindet sich weiter westlich, fast auf Höhe der Kathedrale, und leitet den Verkehr zum bzw. vom nordwestlichen Hinterland zur Hauptstadt (Carini liegt etwa 25 Kilometer westlich von Palermo).⁵⁷ Neben der Porta Termini sind im 12. Jahrhundert noch zwei weitere Tore bekannt, die den Namen von Heiligen tragen. Eins davon ist die Porta Sant’Agata auf der Süd­ seite der Stadt. Nicht zu verwechseln ist diese mit der schon in der Phase muslimischer Herrschaft belegten Porta Sant’Agata bzw. bāb šant Aġaṭa, die sich nahe der Hauptmo­ schee Palermos befand und hier als Teil der alten Stadtmauer, Zugang zum inneren Stadtkern gewährte. Als Hugo Falcandus eine porta Sancte Agate in seiner „Epistola“ erwähnte, verortete er sie ebendort, nämlich nahe der Kathedrale, wo auch eine Kir­ che der Heiligen (S. Agata alla Giulla) gelegen hätte. Spätestens 1202 ist dokumentarisch aber eine weitere porta Sancte Agathe nachgewiesen, die auf der südlichen Seite an den äußeren Mauern und westlich oberhalb der Porta Termini zu lokalisieren ist. Weil dieses Gebiet in der entsprechenden Urkunde bereits als contrata Sancte Agathe be­ zeichnet wird,⁵⁸ ist davon auszugehen, dass das Tor und womöglich eine Kirche, die spätestens im 14. Jahrhundert als S. Agata la Pedata bezeichnet wird, schon lange genug bestanden hatten bzw. von solcher Bedeutung waren, dass sie namensgebend für die ganze contrata wirkten. Man könnte vermuten, dass das Tor der heiligen Agatha am inneren Mauerring in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts (nämlich in der Zeit nach Hugo Falcandusʼ Aufenthalt in Palermo) vielleicht an Bedeutung verloren oder aber der Heiligenkult der Agatha zugenommen hatte, sodass sie nun zur Patronin der contrata im Süden der Stadt aufgestiegen war.⁵⁹ Wieder auf der nördlichen Seite und in relativer Nähe zum Meer fand sich noch ein weiteres Tor mit Heiligenpatrozinium: die Porta San Giorgio, die 1194 belegt ist⁶⁰ und zwischen Hafen und Stadt verortet wird. Die Gegend an der nördlichen Hafenbucht war strategisch bedeutend, weil das Meereskastell als Ort militärischer Sicherung und Kontrolle fungierte, aber wohl auch, weil dies zu jener Zeit die Stadtseite war, wo sich der Schwerpunkt muslimischen Lebens in Palermo abspielte. Ob Georg und Agatha eine besondere Stellung in der palermitanischen Heiligenverehrung zugewiesen

56 Erstmals belegt 1310: Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 517, S. 277. 57 Zur Überlegung, ob es hier das sogenannte bāb al-Haǧǧirīn unter muslimischer Herrschaft gab, vgl. dazu P e z z i n i, Palermo, S. 217 mit Anm. 100. Zur Identifikation von bāb al-Haǧǧirīn als „Babelagerin“ im Süden der Stadt zwischen Albergeria und dem jüdischen Viertel vgl. D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 24, 96, 183, 294, 307, 366, 465. 58 Tabulario, hg. von Lo Cascio, Nr. 21, S. 31. 59 Zum Kult der heiligen Agatha vgl. O l d f i e l d, Sanctity, S. 158‒178, zum Einfluss in Palermo insbes. S. 169‒172; zur Beliebtheit des heiligen Georg und seiner oströmischen Tradition in Süditalien und Sizilien ebd., S. 113‒115. 60 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 17, S. 29, TM 10.

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werden kann, ist nicht eindeutig zu bejahen,⁶¹ jedoch waren beide nachweislich schon vor der Eroberung durch die Muslime Patrone palermitanischer Einrichtungen.⁶² Einen besonderen Zugang zu Palermo stellte weiterhin der Hafen dar, der vor­ wiegend in Urkunden im Zusammenhang mit dem mediterranen Handel auftaucht. Insbesondere ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts garantieren herrscherliche Privilegien verschiedenen Personen(gruppen) die abgabenfreie Zu- und Ausfuhr, wo­ bei neben den Bürgern Palermos zunächst bestimmte Amtsinhaber, Handels­nationes sowie einzelne Mitglieder von Klöstern sowie ganze Konvente begünstigt wurden.⁶³ Die Kontrolle der Waren und Zollerhebungen wurden wohl zumindest teilweise im Um­ kreis der Kala, dem Hafenbecken Palermos, abgewickelt. Die entsprechende Institution wird in den Quellen der staufischen Zeit als doana (von arab. dīwān) bezeichnet, ein Wort, von dem sich auch der laut Duden veraltete Begriff „Douane“ (Zoll; franz. douane, ital. dogana) ableitet. Fazello berichtet für das 16. Jahrhundert, dass am Hafen seit etwa 1520 auch eine Porta Doana gestanden habe und Händler oder Schiffe dort ihre Tri­ bute zahlten.⁶⁴ Der kleine Platz war auch als Piazza della Dogana bekannt und lag unmittelbar bei der Kirche S. Maria della Catena. Inwiefern oder in welcher Form die in normannischer Zeit bestehende Praxis der Zollabgabe im Bereich des Hafens auch räumlich bzw. architektonisch ausgebildet war, bleibt offen. Zwischen dem Hafen und der Stadtanlage infra muros lag ein Viertel, das in der „Epistola“ des Hugo Falcandus als vicus Amalfitanorum bezeichnet wird.⁶⁵ Topogra­ phie und Toponomastik verweisen auf einen Raum des Handels oder vielmehr auf eine Gruppe von Händlern, die wichtig genug war, um den Namen des Viertels zu prägen. Nach dem mittleren 12. Jahrhundert gibt es in der Hafengegend vor den Mau­ ern auch eine Straße der Genuesen und Pisaner, während die Venezianer außerhalb der alten Porta Sant’Agata ansässig waren.⁶⁶ Zu allen drei Niederlassungen gehörten Kirchen, die an die jeweiligen Patrone der Handelsstädte erinnern.⁶⁷ Die Kolonie der

61 B r e s c, Religious Palermo, S. 351. 62 Zu einer vorislamischen Kirche für die heilige Agatha und einem episkopeion bzw. xenon für den heiligen Georg sowie einer Kirche für denselben in Palermo vgl. P r i g e n t, Palermo, S. 27 f. mit Anm. 101, 107 und 109. 63 Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l, Nr. 3, S. 6‒8; Nr. 48, S. 133‒138; Nr. 76, S. 217‒223; App. Deperdita, Nr. 65, S. 311; Nr. 66, S. 311. 64 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 186. 65 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 183; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 66 Vgl. zu den Genuesen A b u l a f i a, Due Italie, S. 162 f., 178, 259, 315, 346; zu den Venezianern, die in den 1160er Jahren die Pisaner als wichtigste lateinische Handelspartner ablösten, A b u l a f i a, Two Italies, S. 135‒140. 67 Zu S. Giacomo für die Genuesen ab 1143, gelegen vor der Mündung des Papireto, vgl. P e z z i n i, Trans­ formation, S. 220 f. mit Anm. 116 und 117; zu S. Marco für die Venezianer und S. Andrea für die Amalfita­ ner, ebd., S. 218, 220; vgl. auch die Karte ebd., S. 229 mit der Verortung der Kirchen und Erläuterungen auf S. 230.

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Amalfitaner dürfte allerdings noch auf die Zeit muslimischer Herrschaft zurückgehen und vielleicht sogar ins 9. oder 10. Jahrhundert datieren.⁶⁸ In dieser Zeit fiel Amalfi eine bedeutende Rolle im Handel an den südlichen Mittelmeerküsten zu, wobei Sizilien als wichtiger Umschlagplatz diente.⁶⁹ Es ist somit durchaus denkbar, dass es sich hier um eine vornormannische Raumpräsenz handeln könnte. Passierte man den vicus vom Hafen kommend, so gelangte man an das Tor, wel­ ches al-Idrīsī als einziges Tor in seiner Beschreibung Palermos benennt. Der Name ist identisch mit der Bezeichnung der arabischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts: bāb al-baḥr.⁷⁰ In den lateinischen Quellen ist überwiegend die bedeutungsgleiche latei­ nische Namsform porta maris für dieses Tor belegt, was ebenfalls auf eine Kontinuität von Topographie und Raumnutzung hinweisen dürfte. Nur Hugo Falcandus bezeichnet es als porta inferior,⁷¹ was daher rühren könnte, dass er die Stadt aus der Perspektive des Palastes bzw. von der Anhöhe des Palastes aus beschrieb, und das Tor von dort aus gesehen „unten“ liegt. Es ist außerdem anzunehmen, dass das Meerestor als von den Muslimen geprägte Landmarke besonders lange und offenbar auch in seiner Gestalt relativ unverändert unter christlicher Herrschaft Bestand hatte. Noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts taucht das Tor in der Stadtgeschichte des Pietro Ranzano und im mittleren 16. Jahrhundert prominent in den „De rebus Siculis“ bei Tommaso Fazello auf.⁷² Zu jener Zeit hatte sich der Name des Tores bereits gewandelt, und es wurde als Porta Patitelli bezeichnet. Dies leitet sich wahrscheinlich von den Schuhmachern ab, die da­ mals ihre Geschäfte in der „contrata Patitelli / contrada porta Patitelli“ betrieben.⁷³ Ihre Funktion hatte die Porta Patitelli zumindest partiell noch beibehalten, da sie weiter­ hin prominent den Zugang vom Meer zum inneren und ältesten Stadtviertel Palermos gewährte.⁷⁴ Über die Porta Patitelli schrieben die gut informierten Dominikaner Ranz­ ano und Fazello, dass dieses Tor von zwei massiven Türmen flankiert worden sei.⁷⁵ Da die Namen der Türme an das Arabische erinnern, könnten diese mit Türmen bzw. ei­ nem Tor aus der Zeit muslimischer Herrschaft identifiziert werden. Beim Eintritt in die Stadt fand sich zur Linken die turris Baych (wohl von arab. baḥr, das Meer), zur

68 P e z z i n i, Palermo, S. 204 und 220; B r e s c, Filologia, S. 12. 69 C i t a r e l l a, Amalfi; d e r s ., Patterns; K r e u t z, Ghost Ships; G o i t e i n, Letters, S. 42‒45. 70 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 122; als solches wird es auch von al-Idrīsī bezeichnet. 71 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 181; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 72 Fa z e l l o, De rebus Siculis, lib. 8, S. 165. 73 Vgl. Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n , Bd. 13, u. a. S. 8574, wo der Schuhmacher Antonio Citu genannt ist. 74 Fa z e l l o, De rebus Siculis, lib. 8, S. 170. 75 So auch noch beschrieben bei M o r s o, Descrizione, S. 62.

Die Stadt von außen: Grenzen und Zugehörigkeiten



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Rechten die turris Pharat (womöglich von arab. faraṭa, vorangehen, durchschreiten; farṭ, Landmarke, Wegweiser; faraṭ, Gewinn, Belohnung). An der turris Baych entdeckte Ranzano eines Tages bei einem seiner Spaziergänge durch Palermo eine monumentale Inschrift. Er glaubte, dass es sich um „chaldäische“ (gemeint ist aramäische) Schrift handeln müsse. Dies galt ihm als Bestätigung dafür, dass Palermo eine der ältesten und ruhmreichsten Städte der Welt sei und ihre Gründung bis in die biblische Zeit zurückdatiere. Ranzano gab dann eine Übersetzung der Inschrift wieder: „Non chi è altro Deu exceptu Deu; non chi è altro potenti excepto quisto midesimi Deu; non chi è altro vinchituri exceptu quillo chi nui adorano per Deu. Quillo chi comanda in quista turri è Sepha filgio di Eliphaz, lu quali fu figlio di Esau frati di Jacob, lu quali fu figlio di Ysaac, chi fu figlio di Abraam. Et per nomo si chama quista turri Baych, et la turri chi è vichina, oy veru appressu a quista, si chama Pherat.⁷⁶

Beginnend mit einer dreifachen Beschwörung des alleinigen Gottes erklärt der Text, dass der Turm Baych im Auftrag eines gewissen Sepha gebaut worden sei, ein direkter Nachfahre Abrahams (Gen. 36,11). Auf dieser Grundlage geht Ranzano über mehrere Seiten hinweg auf das hohe Alter der Stadt Palermo ein, was offenbar auch das Interesse eines Prätors der Stadt weckte, dem dies willkommene Hinweise für die Altehrwürdig­ keit der sizilischen Hautstadt lieferte.⁷⁷ Auch Fazello besprach die Inschrift in seinem Werk und ließ sie sogar auf einer Doppelseite abbilden (Abb. 13). Die Buchstaben deutete er Ranzano folgend als chaldäisch und beschrieb auch den Inhalt des Textes beinahe wortgleich, wenn auch in lateinischer Übersetzung.⁷⁸ Auf Fazellos Abbildung ist die heute verschwundene Inschrift eindeutig als Arabisch in kufischen Lettern zu iden­ tifizieren. Den Inhalt zu verstehen, ist auf Basis des Drucks aber nicht möglich, weil die Buchstaben bloß Imitate der Schrift sind bzw. eine Abschrift darstellen, die ohne Verständnis der Sprache vorgenommen wurde. Vielmehr wird in Unkenntnis über die eigene Stadtgeschichte oder durch Negierung und Ablehung von Teilen ihrer Vergan­ genheit (nämlich der Phase muslimischer Herrschaft) ein Gründungsmythos elaboriert, der aus Entfremdung bzw. Fremdheit Identität stiften und Überlegenheit begründen sollte.

76 R a n z a n o, Origini, S. 63. 77 Dazu auch M a n d a l à, Jews, S. 471. 78 Fa z e l l o, De rebus Siculis, lib. 8, S. 168. Wenig später auch in anderer Form abgebildet bei M a r t i n e s, De situ Siciliae.

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Aufspaltung und Überformung

Abb. 13: Darstellung der arabischen Inschrift auf der Porta Patitelli durch Tommaso Fazello.

Besonders faszinierend an dieser Interpretation ist, dass sich Ranzano beim Dechiffrie­ ren und Übersetzen der Inschrift Unterstützung von Juden geholt haben soll, auf die er in Palermo getroffen sei. Im Verwaltungsschrifttum der damaligen Zeit sind sogar einige jüdische Händler belegt, die unmittelbar an der Porta Patitelli ihre Geschäfte besaßen.⁷⁹ Im Zuge seiner Studien zur palermitanischen Stadtgeschichte will Ranzano sogar gleich mehrfach persönliche Unterhaltungen mit Juden geführt haben, die ihm weitere Informationen zu den Inschriften und ihrer Bedeutung für die Stadtgeschichte vermittelten. Dabei soll ihm von einem gewissen Ysac de Guillelmo⁸⁰ erzählt worden sein, dass ein Jude aus Damaskus während der Herrschaft Wilhelms II. noch eine weitere solche Inschrift gefunden und übersetzt habe.⁸¹ Womöglich handelte es sich auch hier wieder um ein Konstrukt auf der Grundlage arabischer Inschriften, die ja beispielsweise an den Außenfassaden repräsentativer Gebäude des Königs verwendet

79 Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n , Bd. 13, u. a. S. 8300, 8355 f. 80 Ein solcher ist Mitte des 15. Jahrhunderts mehrfach dokumentarisch nachzuweisen; vgl. u. a. ebd., Bd. 10, S. 6195 (aus dem Jahr 1431), 6215 (aus dem Jahr 1440); Bd. 11, S. 7010 (aus dem Jahr 1454), 7110 (aus dem Jahr 1436), 7167 (aus dem Jahr 1443). 81 R a n z a n o, Origini, S. 63.

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wurden.⁸² Damit tauchen hier, wenn auch verschleiert, die beiden Phasen der palermi­ tanischen Geschichte, in denen eine arabische Inschriftenpraktik im städtischen Raum existierte, gemeinsam auf: die muslimische (fatimidische bzw. kalbidische) und christ­ liche (normannische) Herrschaftszeit. Als letztes Bindeglied zu dieser Vergangenheit erscheinen in dieser Episode dabei Vertreter der jüdischen Bevölkerung Palermos. Auffällig an der Übersetzung der Inschrift ist übrigens, dass der erste Teil nach einer recht getreuen Wiedergabe der šahāda klingt. Man könnte sich also fragen, ob zu­ mindest dieser Vers, der ja rein visuell bzw. bildhaft auch für Nicht­Arabischsprachige gut zugänglich war, korrekt wiedergegeben wurde, bevor die angebliche Bauherrschaft mit biblischer Genealogie des zweiten Teiles konstruiert wurde. Als sich Rosario Grego­ rio im Zuge der arabistischen Bewegung des 18. Jahrhunderts daran machte, die „Res Arabicorum“ für Sizilien zusammenzutragen, kam er zum offensichtlichen Schluss, dass es sich bei dieser von Fazello abgebildeten Inschrift erstens um arabische Schrift und zweitens um eine islamische Inschrift handelte, weil sie nämlich Teile des islami­ schen Bekenntnisses beinhalte.⁸³ Außerdem schlägt Gregorio eine Datierung in die Zeit fatimidischer Vorherrschaft vor, nämlich in das Jahr 331/942.⁸⁴ Eine Inschrift aus diesem Jahr würde in eine Phase der politischen Wirren datieren bzw. könnte das Ende dieser Wirren markieren: 325/937 hatten sich nämlich die Sizilier, genauer gesagt die Städte Agrigent und Palermo, gegen die noch junge fatimidische Vorherrschaft aufgelehnt, indem sie die Entrichtung von Steuern verweigert hatten und nicht davor zurückgescheut waren, mit der Unterstützung oströmischer Flotten gegen die Herrscher in Nordafrika vorzugehen.⁸⁵ Die Fatimiden hatten daher Ḫalīl b. Isḥāq b. Ward als neuen wālī mit beachtlichen Truppenkontingenten nach Sizilien gesandt. Nach der Niederschlagung des Aufstandes errichtete er mit seinem Militär seine Basis in al-Ḫāliṣa. Nadia Zeldes hat in ihren Studien zur Begegnung zwischen Ranzano und den Juden Palermos u. a. die Frage aufgeworfen, ob die jüdischen Übersetzer wohl zu der fingier­ ten Übersetzung gekommen waren, weil sie Ranzano für sich gewinnen wollten, indem sie seine Annahmen bestätigten und das „Chaldäische“ nicht als Arabisch offenbarten. Vielleicht suchten diese Juden auch anzuzeigen, dass ihre Präsenz in der Stadt – denn ihrer Tradition nach reihten sie sich ja in die angegebene Genealogie ein – älter war als die christliche.⁸⁶ Vielleicht war es beides, denn die Notwendigkeit für Beschwichtigung

82 Vgl. u. a. D o l e z a l e k, Arabic Script, S. 191‒194; zu den in den Inschriften verwendeten arabischen Herrschertitulaturen vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 268‒274. 83 G r e g o r i o, Rerum Arabicarum, S. 139 f. 84 Ebd. S. 140. Eine Verarbeitung dieser Aufschlüsselung beinhaltet auch M o r s o, Descrizione, S. 46‒72. Vgl. außerdem A m a r i, Storia, Bd. 2, S. 347 f. mit Anm. 1. Zum Duktus fatimidischer Inschriften in kufi­ schen Lettern vgl. B l a i r, Floriated Kufic. 85 G ra n a ra, Sicily, S. 23‒25; Ta k ay a m a, Sicily, Appendix I, 2, Nr. 6 f., S. 257 f. 86 Z e l d e s, Reading, S. 58.

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Aufspaltung und Überformung

und Selbstbehauptung dürfte für die Juden umso dringlicher gewesen sein, als Ranzano selbst mit Vertretern der Kirche involviert war, die ihnen wahrlich nicht wohlwollend gegenüberstanden: Genauer gesagt war Ranzano ein Bewunderer des valencianischen Predigers Vicente Ferrer (gest. 1419), dem eine wichtige Rolle bei der immer radika­ ler werdenden Ideologie von der Konversion der Juden zugesprochen wurde. Nicht viel später und noch zu Lebzeiten Ranzanos wurden schließlich auch Juden Palermos und Siziliens verfolgt und vertrieben, sodass Nadia Zeldes diese Begegnungen nicht zu Unrecht als „last multi­cultural encounter in medieval Sicily“⁸⁷ bezeichnet hat. Die turris Baych blieb länger intakt als ihr Gegenstück, die turris Pharat,⁸⁸ wo schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Kirche S. Antonio Abate bestand. Hier wurde nach 1300 ein Campanile errichtet, der die Wappen der Familien Chia­ ramonte und Sclafani zeigt.⁸⁹ Im frühen 16. Jahrhundert renovierte man die Kirche umfassend und baute sie weiter aus; der Turm des alten Stadttores war damals be­ reits verschwunden. Auch das Tor selbst wurde in den 1560er Jahren zerstört, um die palermitanische Hauptstraße zu verlängern.⁹⁰ Noch während des 16. Jahrhunderts ver­ schwand auch die turris Pharat. Die Erinnerung an beide Türme blieb aber lebendig. So hielt noch im 17. Jahrhundert Agostino Inveges fest, dass Pharat und Baych einst Hafen und Stadt von Palermo bewacht hätten.⁹¹ Nach dem Risorgimento wurde die monu­ mentale Via Roma als Süd­Nord­Achse durch diesen Teil der Altstadt geschlagen, wobei die Westfassade der Kirche S. Antonio sowie die bis dahin tief verwinkelten Gebäude und Gassen freigelegt wurden. Ein Stadttor hätte in dieser räumlichen Konstellation keine Funktion mehr erfüllen können.

3.2 Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation 3.2.1 Die Galca: ein Zirkel der palatialen Raumproduktion Zurück zu Ibn Ǧubayr. Wie erwähnt wurden er und seine Gefährten beim Versuch, die Stadt zu betreten, von königlichen Verwaltern aufgehalten. Von der porta Therma­ rum habe man sie „zu einem Tor geführt, das mit den Palästen des fränkischen Königs

87 Z e l d e s, Multi­Cultural Encounter. 88 I n v e g e s, Annali felici, Bd. 1, fol. 144‒148. 89 D ’A l e s s a n d r o, Devozione, S. 57 f. Vgl. auch die Abbildung des Turmes in der Kartographie von Ma­ iocco / Bonifazio in: A z z a r e l l o, Raffigurazioni, Vedute e Piante di Palermo, Tafel. 12, S. 56; M a i o c c o / B o n i f a z i o, Palermo, città principalissima nella Sicilia, Roma 1602, Bibliothèque nationale de France GED-1568, lokalisiert auf dieser Karte neben der Nr. 85. 90 A m a r i, Storia, Bd. 2, S. 347 f. Mit Anm. 1. 91 I n v e g e s, Annali felici, Bd. 1, fol. 146.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation



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verbunden ist“⁹². Diese Beschreibung lässt vermuten, dass die Reisenden entlang der südlichen Stadtmauer an den südwestlichsten Punkt Palermos gebracht wurden, wo der königliche Palast der Normannen lag (Abb. 14 und 15 sowie Karte 5 im Anhang).

Abb. 14: Rekonstruktion der Galka von Vincenzo Di Giovanni.

Dieser konnte an der Südseite über ein eigenes Tor betreten werden, das in Dokumenten unter dem Namen porta palatii oder auch als porta aedificorum überliefert ist.⁹³ Im heutigen Stadtbild verortet man es gemeinhin an der Flanke des Palastes, wo dieser an das Albergheria­Viertel und den Fluss Kemonia grenzt.⁹⁴ Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass sich hier die mittlerweile überformte Kirche S. Andrea befand, die auch als S. Andrea de Bebbene bekannt war. Bei „Bebbene“ handelt es sich um ein Toponym, das auf die Zeit muslimischer Herrschaft zurückgeht. Genauer gesagt leitet es sich

92 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 328. 93 Diplomi, hg. von C u s a, S. 62, 84, 500. 94 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 85; vgl. außerdem L o n g o, Bab al-abna.

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phonetisch von bāb al-abnāʿ ab. Die Übersetzung zu porta Aedificorum geht auf das bereits in Kap. I.1.3 erläuterte Missverständnis von bāb al-abnā (Tor der Stämme) als bāb al-bināʿ (Tor der Gebäude) zurück.⁹⁵

Abb. 15: Rekonstruktion des Palastdistriktes unter normannisch­königlicher Herrschaft: 1 Cappella Palati­ na – 2 Torre Pisana (mit königlichem Schatz?) – 3 Torre Joharia – 4 Gefängnisse – 5* Torre Greca – 6 Königliche Gemächer (?) – 7 Segrete – 8* Torre Rossa – 9* Porta Palatii – a Porta Galke – b Palasttor (?) – c Via Cooperta – d Aula Regia.

Den frühesten Hinweis auf die räumliche Beschaffenheit des Palastdistriktes enthält, wie an anderer Stelle erläutert, die „Historia Sicula“ des Anonymus Vaticanus, in der das Gebiet als „in loco quod dicitur Galea“ verortet wird.⁹⁶ Eine dem Begriff Galea sehr ähnliche Toponymie findet sich auch in den späteren Beschreibungen des Hugo Falcandus: Dieser spricht im Zusammenhang mit dem Zugang zum und der Absperrung vom königlichen Palastdistrikt über die inneren und äußeren Palasttore.⁹⁷ Er benennt diese einerseits als porta palatii und meint damit das (Haupt-?)Tor des eigentlichen

95 J o h n s, Arabic Administration, Appendix 1, Nr. 23, S. 322; L o n g o, Bāb al-abnāʾ, S. 91‒96. 96 A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. lat. 6206, fol. 295v. 97 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 46, 85; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 128, 152, 188.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation



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Palastgebäudes, welches wieder unterschieden wird von mehreren „fores palatii“, also verschiedenen Türen und kleineren Toren.⁹⁸ Andererseits führt er die sogenannte porta Galcule auf, die als Tor des Palastdistrikts und somit eines weiter gefassten Raumes zu identifizieren ist.⁹⁹ Die porta Galcule gewährte von innerhalb der Stadtmauern ebenfalls den Zutritt zur Südseite des Palastdistriktes. Die palermitanische Galca (Galcula) scheint einerseits also eine räumlich­archi­ tektonische Struktur, nämlich den Mauerring um Palast und Vorplatz, zu meinen. An­ dererseits aber stand diese Struktur unmittelbar mit einem Personenkreis in Zusam­ menhang, der konkret zur Raumproduktion des Palastdiskriktes beitrug. Zunächst sind diesbezüglich die Palast­Wachen oder Spezialeinheiten zu nennen. So berichtet näm­ lich Hugo Falcandus über die Galca, dass zur Zeit Wilhelms I. der Zugang zu ihr durch Absperrung restriktiv reguliert und eine große Anzahl von Wachen benötigt wurde, um den Bereich zu kontrollieren. Man erfährt von hostiarii (Pförtnern)¹⁰⁰ und sagita­ rii curiae (Bogenschützen des Hofes),¹⁰¹ außerdem von Wächtern, die vom Chronisten den castellanes¹⁰² und custodiendi¹⁰³ zugeordnet wurden und denen offenbar der so­ genannte gavarrettus palatii¹⁰⁴ vorstand. Diese hinderten den populus, das heißt die allgemeine Stadtöffentlichkeit, am Zutritt zum Palastdistrikt, sodass sie wesentlich zur Repräsentation dieses palatialen (d. h. den Palast betreffenden oder zum Palast ge­ hörenden) Raumes nach außen beitrugen. In der Befugnis des gavarrettus lag auch die Befehlsmacht über die Gefängnisse,¹⁰⁵ die zunächst innerhalb des Palastdistriktes angesiedelt waren, sowie die Befreiung von Gefangenen.¹⁰⁶ Offenbar entschied der ga­ varrettus außerdem über den Zutritt einzelner Personen zum Palast und war damit eine entscheidende Instanz, welche die Grenzen des Palastdistriktes kontrollierte.

98 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 27, 56, 60, 62, 85, 158; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 94, 144, 150, 152, 190, 310, 312. 99 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 49, 71; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 132, 168. 100 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 46, 62, 91, 98, 135, 155, 157; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 126, 152, 198, 210, 260, 268, 308. 101 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 98, 129, 157; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 210, 258, 310. 102 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 52, 113, 154; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 138, 166, 188, 234, 306, 308, 312. 103 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 53, 156; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 138, 306. 104 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 53, 55, 154; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 138, 142, 302. 105 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 55; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 142. 106 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 154; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 302.

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Aufspaltung und Überformung

Als besonders hochrangige Bedienstete, die in unterschiedlicher Weise ebenfalls an der Kontrolle des palatialen Raumes sowie an den palast­spezifischen Abläufen, Rhyth­ men und Praktiken beteiligt waren, dürfen die sogenannten gayti gelten. Gemeinsam mit den verschiedenen Wachen und anderen Palastbewohnern können sie vielleicht als ein Kreis oder Zirkel identifiziert werden, der auch eine militärische Dimension der Galca nahelegt. Der Titel gaytus leitet sich vom Arabischen al-qāʾid ab und beschreibt entweder Personen mit militärischer Verfügungsgewalt oder kann als eine Art Ehrenoder Auszeichnungstitel verwendet werden. Innerhalb des palermitanischen Palastes übernahm ein Vertreter aus der Gruppe der gayti beispielsweise aber auch die Rolle des Kämmerers (magister camerarius palatii),¹⁰⁷ andere dienten als Flottenführer (ma­ gister stolii) oder im Militär. Im Außendienst wirkten sie jedoch nur vorrübergehend, der Palast blieb ihr hauptsächlicher Wirkungsort.¹⁰⁸ Hier konnten in Abwesenheit des Königs ‒ mindestens unter Wilhelm I. ‒ Bedienstete aus dem Kreis der gayti sogar zum Stellvertreter des Herrschers bestimmt werden, wobei sie dann den gesamten Palast und sogar die Stadt Palermo zeitweise kontrollieren konnten.¹⁰⁹ Die meisten der namentlich fassbaren gayti wurden von Falcandus auch als eunu­ chi bezeichnet (nach dem Schema „gaytus Name eunuchus“). Damit scheinen sie aus der Gruppe der Eunuchen hervorgehoben und sollten als eigene Gruppe oder womög­ lich als Vorsteher der eunuchi gedeutet werden. Das Einsetzen von Eunuchen als hohe Palast- oder Militärbedienstete ist nicht außergewöhnlich in mediterranen Herrschafts­ kontexten.¹¹⁰ Unklar ist für Palermo, ob die eunuchi ganz oder teilweise kastriert waren und woher sie kamen. Mehrere Forscher gehen davon aus, dass sie als Kinder über Nordafrika an den Hof nach Palermo gebracht und dort aufgezogen und ausgebildet wurden,¹¹¹ um militärische und insbesondere auch administrative Funktionen auszu­ führen. Auffällig ist für die sogenannten Palasteunuchen sicherlich, wieviel Macht und eigene Agency sie sowohl innerhalb als auch außerhalb des Palastes erlangen konn­ ten. So besaßen einige von ihnen selbst Besitz in Stadt und Umland von Palermo und betrieben in Krisenzeiten Politik in eigenem Interesse.¹¹² In voneinander unabhängigen Quellen wurden die gayti und eunuchi des Palastes überwiegend als Muslime identifiziert, auch wenn die meisten von ihnen (jedenfalls

107 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 77, 79, 83, 109; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 176, 186, 228 (gaytus Iohar; nach dessen Tod folgte gaytus Petrus und auf diesen der gaytus Richard). 108 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 26, 77; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 90 (gaytus Peter als magister stolii), 176 (gaytus Iohar im Militär). 109 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 79 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 178 (gaytus Martin). Zum Abriss ihrer Karrieren vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 219‒234. 110 Vgl. Ay a l o n, Eunuchs; R i n g r o s e, Eunuchs; To u g h e r, In or out?; e l - A z h a r i, Queens. 111 Vgl. u. a. C a t l o s, Who was Philip, insbes. S. 86‒91. 112 Vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 244; außerdem J o h n s, Arabic Administration, S. 233 f.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation



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dem Namen nach) als Christen markiert oder ausgezeichnet werden. Obwohl sich über die tatsächliche Glaubenspraxis der Eunuchen kaum eine verlässliche Aussage machen lässt, wird allgemein davon ausgegangen, dass es sich generell um zum Christentum Konvertierte handelte, die Kryptomuslime geblieben seien.¹¹³ Benjamin Scheller ver­ mutete, dass die eunuchi trotz ihrer Zuordnung als Saraceni im Sinne einer religiösen und / oder ethnischen Gruppe wohl deshalb überwiegend ungestört im Palast als Kryp­ tomuslime leben konnten, weil der König und sein Hof eine höhere Ambiguitätstoleranz oder „Hybriditätstoleranz“ gehabt hätten als andere Gruppen des Reiches.¹¹⁴ Überträgt man dies weiter auf den Ort des königlichen und höfischen Daseins, so könnte argumentiert werden, dass die relevanten Akteure im Palast die psychosoziale Fähigkeit – wahrscheinlich durch Gewöhnung bzw. Habituation ‒ aufwiesen, Mehrdeu­ tigkeit oder sogar Widersprüchlichkeit, zumindest aber Multikulturalität oder Multire­ ligiosität auszuhalten. Demzufolge könnte der Palast als ein Raum angesehen werden, in dem spezifische Praktiken und Regeln als Normen galten, die von der sich im Pa­ last befindlichen Ingroup entwickelt und durch performative Handlungen (räumlich) aufrechterhalten wurden. Von den Außenstehenden konnten solche Praktiken dann abhängig von den jeweiligen Sehgewohnheiten, Wissensbeständen oder Intentionen unterschiedlich wahrgenommen und decodiert werden. Somit waren nicht der Palast­ distrikt und sein innerer Zirkel ambig oder uneindeutig, vielmehr waren und sind es die Wahrnehmungen der Menschen, die ihn so erfuhren und beschrieben.

3.2.2 Raumcodes: Wahrnehmung von Rhythmen und Riten Handlungen, Routinen und Performation sorgten dafür, dass sich innerhalb des Pa­ lastdistrikts eine eigene Insider­Gruppe aus dort lebenden bzw. wirkenden Personen generierte, wobei ihre Zugehörigkeit zum konkreten Ort des Palastes und damit ihre Verbundenheit mit dem König immer wieder rituell bestätigt wurde. Diese Repro­ duktion verstärkte zum einen das Gefühl oder den Zustand von Zugehörigkeit. Zum

113 U. a. H o u b e n, Between Cultures, S. 28‒30; J o h n s / J a m i l, Signs, bes. S. 187‒191; C a t l o s, Muslims, S. 117‒120. Damit folgt die Forschung den Aussagen zeitgenössischer Autoren, die erstens aber jeweils eigene Gründe dafür hatten, die Gruppe der Eunuchen verallgemeinernd als muslimisch darzustellen. Zweitens zeigt sich bei genauem Lesen, dass die Quellen keineswegs alle gayti oder eunuchi individuell als Saracenus oder Muslim markieren und auch nicht alle von ihnen christliche Namen trugen, die eine Kon­ versionsgeschichte nahelegen. So wird z. B. gaytus Richard von Hugo Falcandus nur implizit als Teil der eunuchi, nie aber als Saracenus bezeichnet; vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 109; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 228; der Name des gaytus Iohar legt beispielsweise keine Zuordnung zum Christentum nahe. Ibn Ǧubayr schreibt sogar explizit, dass „alle oder fast alle“ Eu­ nuchen Muslime waren, die ihren Glauben verbargen; I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 324. 114 S c h e l l e r, Migrationen, bes. S. 180.

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anderen aber sorgte die Notwendigkeit der Bestätigung dafür, dass Menschen der In­ sidergruppe ihre persönliche Loyalität sowie den Nutzen der eigenen Stellung immer wieder beweisen mussten, um nicht aus dem inneren Zirkel verstoßen zu werden oder in Ungnade zu fallen. Der Palast und sein innerer Kreis waren also ganz eigenen sozialen Regeln und Rhythmen unterworfen, sie kommunizierten miteinander über raumgebundene Sprache, sodass es nicht verwundert, dass die Eingeweihten Hugo Falcandus zufolge als „Kenner der Palastgeheimnisse“¹¹⁵ galten. Solche Codes und routinenhaften, mit dem Raum verstrickte Kommunikationspro­ zesse konnte auch der Außenbetrachter Ibn Ǧubayr zur Zeit Wilhelms II. wahrnehmen. Das Zusammenspiel von palatialem Raum und palatialem Personal rief bei ihm Faszina­ tion aufgrund einer gewissen Entrücktheit und einer geheimnisvollen Unantastbarkeit hervor. Nachdem er das Palasttor durchschritten hatte, wurde er durch den Palastdi­ strikt geführt. Über die sich darin vollziehenden Handlungen oder, besser gesagt, über die von ihm vollzogene Raumdurchschreitung berichtete er: „Und wir wurden zu einem Stellvertreter seiner Macht geführt, um uns nach unseren Absichten zu befragen. Dies ist ihr Tun mit allen Fremden, und so geschah es mit uns. Über Esplanaden, durch Tore und herrschaftliche (Innen-)Höfe führten sie uns, und wir sahen hohe Schlosstürme, wohl angeordnete Plätze und Gärten sowie die Vorräume der Bediensteten (ahl al-ḫidma). Das Gesehene erstaunte und verwirrte uns, sodass wir uns der Worte Gottes erinnerten: ‚Und wenn nicht die Menschen zu einer einzigen Gemeinschaft würden, würden wir denen, die an den Barmherzigen nicht glauben, für ihre Häuser silberne Decken machen, und Treppen, auf denen sie hochsteigen können.‘¹¹⁶ Unter den Dingen, die wir sagen, war auch ein Saal, der in einem großen Hof von Gärten und einem Säulengang umschlossen war. Der Saal nahm die ganze Länge des Hofes ein, und wir bestaunten seine Größe. Wir verstanden, dass der König in diesem Raum mit seinen Gefährten speist, und dass die Gänge und Vorzimmer die Räume sind, in denen die Bediensteten sitzen … Beim Verlassen des Palastes waren wir lange durch eine Portikus gegangen, bis wir schließlich zu einer großen Kirche gelangten und erfuhren, dass der König diesen Weg zur Kirche benutzt.“¹¹⁷

Interessant an der Beschreibung des frommen Ibn Ǧubayr ist zunächst, dass sein Zulass zum Palast offenbar einen klar zu benennenden Zweck hatte: So bemerkt er nämlich, dass er und seine Gefährten zu einem „Stellvertreter der königlichen Macht“ gebracht werden sollten, um nach ihren Absichten befragt zu werden. Obwohl Ibn Ǧubayr be­ scheiden anführt, dass dies die Handhabung mit allen Fremden gewesen sei, ist anzu­ nehmen, dass es nur mit solchen Fremden geschah, die als bedeutende Reisende oder als nützliche Informanten angesehen wurden. In der Tat wurde Ibn Ǧubayr hier später nun nicht nur über den Grund seiner Reise und seine Heimat, sondern insbesondere

115 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 62; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 152. 116 P a r e t (Hg.), Koran, Sura 43, S. 343–348, hier Vers 33, S. 345. 117 Übersetzung nach I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 330 f.

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hinsichtlich bestimmter Themen, die relevant für die Außenbeziehungen des Regnum waren, befragt, nämlich danach, ob er Neuigkeiten aus Konstantinopel berichten könne. Während sich Ibn Ǧubayr darüber zu wundern schien und nichts preiszugeben hatte, war ihm zu dieser Zeit noch nicht bekannt, dass das Königreich Sizilien damals bereits einen Angriff auf oströmische Gebiete plante, den es im kommenden Jahr (1185) auch durchführen sollte.¹¹⁸ Bevor er aber überhaupt zu diesem königlichen Bediensteten gelangte, durch­ schritt Ibn Ğubayr verschiedene Teile des Palastes. Er schildert hier detailreich und offensichtlich beeindruckt den Palastdistrikt, der sich ihm als Verzweigung von Gän­ gen, als diffuse Anordnung von Zimmern und Sälen, Plätzen und Gärten präsentierte und nur unter Anleitung eines ‚Eingeweihten‘ passierbar war.¹¹⁹ Dabei wurden die Gäste, denen hier Zutritt zu einem exklusiven Raum gewährt wurde, über regulierte Wegesysteme geführt und vollzogen dadurch ein „ideales Itinerar“¹²⁰ der Raumdispo­ sitionen.¹²¹ Der Palast bzw. der Teil des Palastes, den Ibn Ǧubayr überhaupt zu sehen bekam, dürfte wohl als größer wahrgenommen worden sein, als er eigentlich war. Zurückzuführen ist dies zunächst auf die Vielfalt architektonischer Formen, die Ibn Ǧubayr einzeln hervorhebt, und die das Gesehene dicht und ausgedehnt erscheinen lassen. Darüber hinaus stimulierte das Wissen darum, dass man nur einen kleinen Ein­ blick in ein größeres Ganzes erhielt, die Fantasie, die dadurch wohl zur Überschätzung tendierte. Dies gilt vor allem, weil dem sichtbaren Raum durch Zeichen, Symbole und repräsentative Pracht ein Überschuss an Bedeutung eingeschrieben wurde. Den materiellen Prunk des Palastes greift Ibn Ǧubayr auf, indem er Vers 33 der 43. Koransure „al-Zuḫruf (der Schmuck)“ in seine Beschreibung einfließen ließ. Wäh­ rend diese Passage den Palast ob seiner Schönheit zu rühmen scheint, wird im weiteren Verlauf der Sure aber solch diesseitige Prachtentfaltung klar angeprangert,¹²² was die für Ibn Ǧubayr typische Ambivalenz in seinen Schilderungen des normannischen Si­ ziliens vor Augen führt. Eine weitere, gewissermaßen räumliche Täuschung bzw. eine Faszination für den Palast wurde wohl zudem dadurch evoziert, dass der Besucher zwar in den Palast gelangte, keineswegs aber in die Nähe derjenigen Person, auf welche das gesamte Raumsystem ausgerichtet war: Der Herrscher selbst blieb durch ein architek­ tonisch­topographisches Arrangement verborgen. Avinoam Shalem argumentierte in anderem Kontext, dass jene Verborgenheit ebenfalls zu einer Manipulation des Sehens

118 Vgl. dazu S c h l i c h t e, Wilhelm II., S. 308–318. 119 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 55; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 144 mit dem Hinweis, Graf Simon habe sich gut im verwinkelten Palast ausgekannt, weil er dort aufgewachsen war. 120 Ke r s c h e r, Privatsphäre, S. 166. 121 Ke r s c h e r, Architektur, S. 29. 122 Denn beschlossen wird dies mit: „All das ist nur Nutznießung des diesseitigen Lebens (und ohne bleibenden Wert). Die Gottesfürchtigen aber haben bei deinem Herrn das Jenseits (mit seinen unver­ gänglichen Freuden zu erwarten.)“; vgl. P a r e t (Hg.), Koran, Sura 43, S. 343–348.

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und Empfindens beitrug und Teil der herrscherlichen Repräsentation bzw. in diesem Falle der palatialen Raumproduktion war, die Palast und Palastdistrikt mit besonderer Bedeutung auszeichnete.¹²³ Als Ibn Ǧubayr unter der Herrschaft Wilhelms II. jene teilweise Öffnung des Palas­ tes erlebte, war dieser schon seit Längerem zu einem in mancher Hinsicht entrückten Ort der Zuschreibungen und Abgrenzung geworden. In dieser dritten Generation von Herrschaft im und aus dem Palast hatte sich dort aber auch vieles, was unter Chris­ todoulos und Georgios von Antiochia angelegt worden war, radikal verändert. Denn obwohl für den Betrachter noch eine Facette sichtbar war, die gewisse sprachliche oder stilistische Elemente aus der „Islamicate sphere“ gezielt zitierte, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Einfluss und die Präsenz der arabischsprachigen sowie der muslimischen oder ex-muslimischen Bediensteten erheblich zurückgegangen waren. Der innere Zirkel um den König war im Nachgang zu den gleich noch näher zu be­ leuchtenden Rebellionen von 1160/1061 nämlich verstärkt latinisiert und an manchen Stellen durch Kirchenmänner besetzt worden.¹²⁴ Der ranghohe Bedienstete des Königs, auf den Ibn Ǧubayr als „Stellvertreter seiner königlichen Macht (al-mustaḫlif min qibaliha)“ traf, und der sich mit ihm auf Arabisch unterhielt, kann daher nicht ohne Weiteres über die gesamte Herrschaftszeit norman­ nischer Könige hinweg als palatiales Alltagsphänomen oder als Norm gedeutet werden, sondern muss – zumindest zur Zeit Wilhelms II. ‒ als eine Besonderheit gelten. Als sol­ che wurde sie auch vom Reisenden selbst wahrgenommen. Der mustaḫlif könnte Alex Metcalfe zufolge entweder mit dem gaytus Richard oder mit dem Notar Mattheus von Salerno identifiziert werden.¹²⁵ Ersterer würde für den letzten einflussreichen gay­ tus im engsten Umkreis König Wilhelms II. stehen, der andere für eine Funktionselite von (lateinisch-)christlichen Notaren, die sich an der Verwaltung des arabischsprachi­ gen königlichen dīwān beteiligen konnten, obgleich dieser in den 1180er Jahren aber nur noch zu ausgewählten Anlässen arabisch urkundete. Beide Männer, Richard und Mattheus, sind dabei gewissermaßen Überbleibsel aus der Zeit vor der Palastrebel­ lion von 1161, sodass sie 1184 für fast verschwundene Strukturen aus der frühen Phase normannisch­königlicher Herrschaft in Palermo stehen.

123 S h a l e m, Manipulations, S. 216‒218. 124 Ta k ay a m a, Familiares regis. 125 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 330; dazu auch M e t c a l f e, Arabic Speakers, S. 108.

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3.2.3 Die Cappella Palatina als Ort von heiliger Raumvalenz Bau und Ausstattung Der heute berühmteste Teil des Palastes, den Ibn Ǧubayr bei seinem Aufenthalt offenbar aber nicht zu sehen bekam, ist die capella regia, auch als Cappella Palatina bekannt. Sie illustriert in besonderer Weise Raumpraktiken und Wandel im normannischen Palast. Hugo Falcandus zufolge war sie das erste Gebäude, welches der von der Stadt auf die Galca tretende Besucher vom Palastkomplex erblickte.¹²⁶ Die Besonderheit des Gebäudes wurde architektonisch und visuell schon daran deutlich, dass die Kapelle erhoben über dem Bodenniveau lag. Um sie zu betreten, musste man zunächst über eine monumentale Freitreppe an der Südwand emporsteigen.¹²⁷ Unterhalb der capella regia liegt eine weitere, heute als Chiesa inferiore bezeichnete Kapelle, die wahrscheinlich zusammen mit der capella regia errichtet wurde. Während der zweistöckige Kapellenbau ursprünglich weitgehend frei stand, befan­ den sich an seiner Nordseite Gebäudeteile, die als „Segrete“ bekannt sind und teilweise aus vornormannischer Zeit datieren dürften, mit Sicherheit aber vor 1130 erbaut wur­ den.¹²⁸ Unter Wilhelm I. wurden dort neuere Strukturen errichtet.¹²⁹ Ebenfalls unter diesem König wurde der Kapelle östlich eine neue aula regia vorgelagert, die im mitt­ leren 16. Jahrhundert zusammen mit der sogenannten Torre Rossa aber abgerissen wurde.¹³⁰ Heute ist die Kirche im Süden von neueren Teilen des Palastes, insbesondere durch den Cortile Maqueda aus dem 16. Jahrhundert, derart eingeschlossen, dass ihre ursprünglich emporgehobene Position verdeckt wird. Steigt man heute zur königlichen Kapelle hinauf und passiert das südwestliche, einstige Eingangsportal, betritt man ein Gebäude, das von der Forschung wiederholt als erstaunlicher „Hybrid“, also als „Kreuzung“ oder „Vermengung“ verschiedener, in diesem Falle kultureller Elemente beschrieben wurde.¹³¹ Im Inneren ist die Kapelle nämlich überbordend mit prächtigen Mosaiken im oströmischen bzw. byzantinischen Stil mit viel Gold verziert. Weiterhin ist sie mit antikisierendem, geometrischem opus sectile auf den Böden und an den unteren Wandverkleidungen ausgestattet. Als außer­ gewöhnlichstes Prachtstück ist die Decke des Schiffs zu nennen, die von einem kleintei­

126 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 180; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 342. 127 Valenti hatte vermutet, dass diese in einer der Kirche vorgelagerten Portikus mündete. Da es dafür aber keine anderen Beispiele aus Sizilien gibt, wird sie in aktuelleren Rekonstruktionen ausgelassen; vgl. C a n n e l l a, Capella Palatina, S. 63 f. 128 Vgl. den Abriss bei L o n g o, „In loco“, S. 244‒252. 129 Ebd., S. 252‒258. 130 Ebd. S. 257 mit Anm. 143. 131 Zur Baugeschichte vgl. u. a. B r e n k (Hg.), Cappella Palatina, 4 Bde.; D i t t e l b a c h (Hg.), Cappella Pa­ latina.

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ligen Stalaktitengesims bzw. muqarnaṣ-Gewölbe beschirmt ist. Muqarnaṣ ist aus mus­ limisch beherrschten Gebieten bekannt, wo es klassischerweise aus Stein gefertigt ist und meist als dekorativer, nach oben strebender Abschluss von (Tor-)Bögen oder Kup­ peln verwendet wurde. Die palermitanische Version setzt sich deutlich davon ab. Hier wurde eine ganze Gewölbedecke aus mehreren Holzeinsätzen gefertigt und mit detail­ reichen Bildmotiven sowie Inschriften ausgeschmückt.¹³² Diese Motive und Inschriften wiederum weisen Ähnlichkeiten mit Darstellungen von Keramiken oder Fresken auf, die aus dem Einflussgebiet des fatimidischen Kalifats bekannt sind.¹³³ Sowohl über einzelne, architektonisch oder kunsthistorisch relevante Formenfra­ gen sowie über die Cappella Palatina als Gesamtkunstwerk gibt es eine Fülle von Publi­ kationen, die häufig die Frage behandelt haben, inwiefern das Gebäude die verschie­ denen Kulturen (und die ihnen häufig von der Forschung zugeordneten, meist religiös markierten Personengruppen) im Königreich Sizilien repräsentieren sollte oder von diesen unmittelbar geprägt wurde. Problematisch sind solche Ansätze nicht nur, weil sie einzelne künstlerische Elemente spezifischen Kulturen oder Religionen zuweisen wollen, die von oder zumindest unter den normannischen Herrschern verschmolzen seien. Dabei wird aber übersehen, dass es Traditionen in der Kunst bzw. künsterlische (Ausdrucks-)Formen geben kann, die Menschen verschiedener religiöser, sprachlicher oder sonstiger Zugehörigkeiten miteinander gemeinsam haben. Kritisch zu bewerten ist diese Herangehensweise außerdem, weil dabei oft die Besonderheit des Palastes und seiner raumspezifischen Kunst oder Kultur übersehen wird und von künstlerischer Produktion im Palast auf soziale Begebenheiten geschlossen wurde. Ein weiterer Konzeptionsfehler, die Palastkapelle als ein islamisch­byzantinisch­la­ teinisch­christliches Gesamtwerk zu sehen, resultiert daraus, die Kapelle in der Form, wie sie sich heute bzw. sogar schon so, wie sie sich zum Ende der normannischen Herrschaft präsentierte, keineswegs ursprünglich angelegt und genutzt worden war. Zur Baugeschichte ist dabei zunächst zu sagen, dass lange angenommen wurde, die untere Kirche fuße auf einem Kirchlein, das schon Robert Guiskard gestiftet hatte.¹³⁴ Weiter wurde auf der Grundlage einer hinsichtlich ihrer Authentizität umstrittenen Urkunde vermutet, dass die untere Kirche dann von keinem geringeren als Christo­

132 Vgl. zu ihren arabischen Inschriften J o h n s, Arabic Inscriptions. 133 Ć u r i ć, Palatine Aspects, insbes. S. 140‒144, der Verbindungen zwischen der palermitanischen Pa­ lastkapelle und der Pfalzkirche in Aachen sowie den Palastkirchen von Konstantinopel zieht; B r e n k, La Parete, sieht es als Produkt der verschiedenen Kulturen; so auch ausführlich T r o n z o, Cultures. Au­ ßerdem K i t z i n g e r, Mosaics; Z o r i ć, Arx plaeclara; T r o n z o, Object­Enigma; A n d a l o r o, Wiederherstel­ lung. Erstmals auf Elemente der islamischen Kunst verwies der italienische Orientalist Ugo Monneret de Villard Mitte des 20. Jahrhunderts; M o n n e r e t d e V i l l a r s, Pitture musulmane. Dieser Fährte systema­ tisch nachgegangen wurde erst seit etwa 2000; vgl. u. a. B l o o m, Islamische Ursprünge; G r u b e / J o h n s, Painted Ceilings; J o h n s, Arabic Inscriptions; d e r s ., Muslim Artists; B o n g i a n i n o, King. 134 Den bisherigen Forschungsstand referierend und mit neuen Analysen am Baumaterial abgleichend, L o n g o / R o m a g n o li, Segrete.

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doulos für den jungen Roger II. gestiftet wurde.¹³⁵ Die Weihe der Unterkirche nahm demselben Dokument zufolge der palermitanische Erzbischof Walter (1111‒1122) vor.¹³⁶ Dies würde einmal mehr den Einfluss des amiratus beim Ausbau Palermos zur Haupt­ stadt des Grafen verdeutlichen. Bauhistorisch ist aber nicht zu belegen, dass es sich dabei um dasselbe Bauwerk handelt. Vielmehr geht aus neusten archäologischen Un­ tersuchungen hervor, dass Unter- und Oberkirche gemeinsam entstanden sind. Die Palastkirche wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nach der Krönung Ro­ gers II. begonnen. Ein vom König selbst unterzeichnetes Purpurdokument aus dem Jahr 1140 wurde bisweilen als Gründungsurkunde angesehen. Ernst Kitzinger wies aber darauf hin, dass es sich hierbei auch um ein Schriftstück handeln könnte, das den Stiftungsakt memoriert, die eigentliche Stiftung also schon vorher stattgefunden hatte, vielleicht sogar bald nach 1130.¹³⁷ Ein weiteres Datum von Bedeutung findet sich in einer Inschrift, die das Mosaik eines Christus Pantokrator in der Kuppel umläuft. Hier wird in Griechisch und mit oströmischer Datierung umgerechnet das Jahr 1143 erwähnt und König Roger dabei als Begründer der Kirche erinnert.¹³⁸ Überliefert ist außerdem eine Homilie des griechischen Predigers Philagathos von Cerami (gest. nach 1155), die er zur zeremoniellen Inauguration der Kirche verfasste. Das Werk ist undatiert, die Homilie aber wurde am Festtag des Peter und Paul (29. Juni) gehalten, und dem Apostel Peter ist die Kirche auch geweiht.¹³⁹ Jeremy Johns geht davon aus, dass die Predigt des Philagathos 1143 gehalten wurde und dass dann sowohl die Kapelle selbst als auch ihre dekorativen Elemente mitsamt der Holzdecke fertiggestellt waren.¹⁴⁰ Wahrscheinlich wurde der Bau also zwischen 1140 und 1143 beendet.¹⁴¹ Von Bedeutung ist hinsichtlich des Raumarrangements und der darin vollzogenen räumlichen Praktik, dass das erwähnte Mosaik in der Kuppel der Vierung zusammen mit einem weiteren Mosaik in der Apsis und einem oberhalb der südlichen Seitenapsis, die einzigen Mosaike waren, die auf die Zeit Rogers II. zurückzuführen sind.¹⁴² Daraus wurde geschlossen, dass nur der Kapellenteil hinter der Chorschranke ursprünglich dem religiös­liturgischen Kultvollzug gewidmet war.¹⁴³ Im Schiff hingegen befand sich an der Westwand auch eine Thronplattform, auf die man nach Eintritt in das Gebäude

135 So Z o r i ć, Arx plaeclara, S. 114. 136 Vgl. Documenti inediti, hg. von G a r u f i, Nr. 3, S. 9‒11. 137 K i t z i n g e r, Mosaics, S. 284. 138 Zur Inschrift vgl. C r o s t i n i, L’iscrizione. 139 Der griechische Text mit Übersetzung und Einordnung findet sich bei J o h n s, Date, S. 1‒9. 140 Ebd. 141 Eine Übersicht der Datierungsargumente mit weiteren bibliographischen Hinweisen bietet D i L i ­ b e r t o, Architecture, S. 141‒144. 142 T r o n z o, Cultures, S. 62–94; außerdem R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 253 f. 143 Die strikte Trennung dieser beiden Teile vertreten Z o r i ç, Arx praeclara; T r o n z o, Object­Enigma; J o h n s, Norman Kings, S. 151 f.

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blickte, wohl aber ohne den Herrscher selbst ganz oder teilsweise zu erspähen. Gerade in diesem Kontext ist die hölzerne Muqarnaṣ­Decke interessant, weil ihre Bildthemen höfisches Leben und Gelage rund um den Herrscher mit Dienern und Tänzerinnen, Mu­ sizierenden und Tieren zeigen.¹⁴⁴ Vermutet wurde auf dieser Grundlage, dass das Schiff unter Roger II. als profane Halle der Audienz und des Hofhaltens und der königlichen Repräsentation diente.

Gewandelte Funktion, vereindeutigter Raum Die Raumnutzung der capella regia war also zumindest ursprünglich, genauer gesagt zur Zeit Rogers II., räumlich und funktionell zweigeteilt.¹⁴⁵ Ihre Schlüsselposition in der Raumkonstitution und -funktion des Palastdistrikts lag vielleicht sogar gerade darin, dass Kultausübung und Herrscherrepräsentation eng miteinander verwoben waren. So sollte womöglich das Bild eines Gebäudekomplexes evoziert werden, dessen Raumvalenz zwi­ schen profan­herrscherlicher und heilig­liturgischer Stellung changierte. Wohl bekannt ist beispielsweise für Konstantinopel und Kairo, dass dort die Vorstellung eines heili­ gen Palastes propagiert wurde.¹⁴⁶ Diese Wirkung wurde erzielt, indem der Palast durch verschiedene Bauelemente wie Kirchen und Moscheen sowie durch Symbole, aber auch durch bestimmte raumerfassende Praktiken wie Prozessionen, Gebete oder Audienzen mit besonderer Bedeutung aufgeladen wurde, was auch schriftliche Quellen reflektier­ ten. Solche Verbindungen von Architektur oder gebautem Raum und den im bzw. durch Raum vollzogenen Praktiken konnten von unterschiedlichen Rezipientengruppen von außen sowie von innen wahrgenommen und als komplexes System räumlicher Kom­ munikation verstanden werden. Jenny Oesterle argumentierte im Kontext fatimidischer Paläste sogar, dass Räume in ihrer Bedeutung bzw. Valenz auf der Wahrnehmungsebene so als heilig erkannt werden konnten, auch wenn sie dem Rezipienten selbst nicht als heilig galten.¹⁴⁷ Erwähnenswert ist an dieser Stelle ein arabischsprachiger Inschriftenfries, gefer­ tigt mit opus sectile, aus der Zeit Rogers II., der sich ursprünglich an der südlichen Eingangstür zur Palastkapelle befand.¹⁴⁸ In rhythmischen Versen wird der Palast hier zum Pilgerziel stilisiert, indem die Besucher dazu aufgefordert werden, die Ecken des

144 Vgl. J o h n s, Muslim Artists. 145 T r o n z o, Object­Enigma, S. 222. 146 Der Kaiserpalast zu Konstantinopel wurde als ἱερὸν παλάτιον aufgefasst und inszeniert; vgl. dazu grundlegend T r e i t i n g e r, Kaiseridee, S. 51; B a r d i l l, Visua­ lizing the Great Palace. Zu islamischen Palästen und ihrer Inszenierung als heilig durch Architektur und Rituale vgl. N e c i p o ǧ l u, Outline; S a n d e r s, Ritual. 147 O e s t e r l e, Kalifat, S. 252. 148 J o h n s, Norman Kings, S. 149, 151; D i t t e l b a c h, Ekphrasis; aus einer raumtheoretischen Perspektive O e s t e r l e, Kalifat, S. 261–263.

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Gebäudes zu küssen und sie zu verehren. Inhaltlich erinnert dies zunächst an ein Pil­ gerritual, das fromme Muslime auf der Ḥaǧǧ in Mekka vollziehen, wobei der schwarze Stein des Heiligtums ebenfalls umrundet und mit Küssen versehen wird. Gleichzeitig besteht hier aber eine viel näherliegende Verbindung zu ritueller Praxis im fatimidi­ schen Palast in Kairo. Diesem wohnte nach schiitisch­ismailitischem Verständnis Hei­ ligkeit inne, und die fatimidische Panegyrik besang den herrscherlichen Palast daher mehrfach als Wallfahrtsort.¹⁴⁹ Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der wichtigste Berater und Verwalter Rogers II., der amiratus Georgios von Antiochia, mit solchen Details vertraut war und sogar gezielt nach Kairo geblickt hatte, um Inspiration für die Gestaltung des Herrscherzeremoniells oder der königlichen Repräsentation zu finden, sodass es so zu jener Einschreibung von Raumvalenzen in den Palast von Palermo gekommen sein könnte. Schließlich war es auch Georgios von Antiochia, der die arabischsprachige Verwaltung Rogers II. seit den 1130ern und vermehrt noch in den 1140er Jahren eng an fatimidische Vorbilder anlehnte. Dies ist relevant, weil zwischen Inschriften und Verwaltungsdokumenten, beispielsweise bei der Verwendung gewisser Herrschertitel, wichtige Parallelen be­ stehen. Außerdem hatte Georgios von Antionia arabisch­islamischen Quellen zufolge den König mit Kleidung und Herrschaftszeichen ausgestattet, die den Kalifen von Kairo nachempfunden waren.¹⁵⁰ Ob es aber je zu solchen, durch die Inschrift an der pa­ lermitanischen Palastkapelle angedeuteten Handlungen kam, kann nicht festgestellt werden. Die Inschrift im Vorbeigehen zu lesen, wird für die meisten Besucher ohnhin nicht möglich gewesen sein, und auch sonst liegen kaum Quellen vor, die Einblicke in das Zeremoniell, die Rituale oder sonstige räumliche Praktiken erlauben würden. Vielmehr zeichnet sich für die Herrscher des normannischen Regnum Siciliae die Tendenz ab, dass ein Teil ihrer Repräsentation sogar durch den Rückzug bzw. durch das Verborgensein des Herrschers erzielt wurde. Wie noch ausführlicher zu diskutieren sein wird, lebten die Könige in Palermo nämlich stark auf den Palast beschränkt und zeigten sich wenig in der Stadt oder im Königreich. Der Zugang zu ihnen war, nicht zuletzt durch das räumliche Arrangement des Palastbezirks, extrem beschränkt. Die Nicht­Sichtbarkeit des Herrschers konnte auf der Wahrnehmungsebene unterschied­ licher Rezipienten im Wissen ob seiner Präsenz eine große Wirkung entfachen und ebenfalls dazu beitragen, dass dem palatialen Raum sowie den sich in ihm befindli­ chen Personen eine besondere Valenz verliehen bzw. zugeschrieben wurde.¹⁵¹ Wichtig scheint dabei jedoch die Prämisse, dass Sehen oder selektives Sehen in gewissen re­ gelmäßigen Abständen für unterschiedliche Gruppen inszeniert wurde. Nimmt man an, dass der vorwiegende Ort für diese Inszenierung zur Zeit Rogers II. die königliche Halle bzw. das Schiff der heutigen Palastkapelle war, so ist die folgende Entwicklung

149 O e s t e r l e, Kalifat, S. 257–259 und 261–263. 150 Vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 80‒82 (mit Quellenbelegen), 265 f. 151 S h a l e m, Manipulations, hier bes. S. 226–228.

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als ein bemerkenswertes Abweichen oder zumindest als Wandel von Raumpraktik und Raumrepräsentation unter Roger II. hin zu Wilhelm I. zu sehen. Während der Herrschaft Wilhelms I. wurden die Halle und die Seitenschiffe des Gebäudes nämlich weiter mit Mosaiken biblischer Bildsprache ausgestaltet.¹⁵² In den 1180er Jahren wurden dann ein Narthex und weitere Mosaike hinzugefügt, außerdem die Thronplattform verändert. Anzunehmen ist, so Tronzo, dass sich mit der gewandel­ ten Gestalt auch die Raumkonzeption und -funktion der Palastkapelle transformierte. Vielleicht wurden daher die bereits erwähnte aula im Osten sowie die Strukturen im Norden des Gebäudes nötig, die nun neue Räume für die profaneren Zwecke königli­ cher Repräsentation schufen, insgesamt aber womöglich weniger für halböffentliche Audienzen verwendet wurden als vormals die Cappella Palatina unter Roger II. Die Vereindeutigung der Palastkapelle und ihrer Halle bzw. der Vereinigung beider Ge­ bäudeteile könnte auch als Christianisierung gelesen werden und würde sich damit einfügen in die sozialen und politischen Veränderungen, die sich unter Wilhelm I. hin­ sichtlich der im Palast wirkenden Personengruppen ergaben. Dabei stellte sich ein zunehmender Einfluss durch Männer der Kirche sowie durch lateinisch­christliche In­ dividuen und Gruppierungen ein, von denen nicht wenige von außerhalb Siziliens und insbesondere aus der Francia kamen.¹⁵³ Bevor dieser Prozess näher zu beleuchten sein wird, ist noch erwähnenswert, dass die besondere, vielleicht sogar sakrale Raumvalenz des Palastes als Ort einer entrückten Herrschaft gleichwohl noch zur Zeit Wilhelms II. von Außenbetrachtern wahrgenom­ men werden konnte. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn Ibn Ǧubayr beim Ver­ lassen des Palastes diesen als „ḥaram des Herrschers (ḥaram al-maliki)“ bezeichnet.¹⁵⁴ Aufhorchen lässt der Begriff ḥaram, weil er weit mehr als nur ein architektonisch­ räumliches Gebilde (nämlich den Palast oder einen Teil davon) bezeichnet. Die aus der Wurzel ḥ-r-m abgeleiteten Wortgruppen bilden ein bedeutungsgeladenes semanti­ sches Spektrum. Von ḥaruma / ḥarima, d. h. „verboten sein“, leitet sich im kausativen IV. Stamm das Verb „in den Zustand der Weihe begeben“ ab, eine Form, die zumal für Mekkapilger verwendet wird. Ḥaram drückt etwas Tabuisiertes aus, der Begriff chan­ giert zwischen Verbotenem und Heiligem. Im erfahrbaren Raum manifestierte sich dies wohl durch eine Nicht­Zugänglichkeit und Nicht­Sichtbarkeit. Die Idee eines geheilig­ ten Palastes wurde in Palermo vielleicht auch weiter dadurch hervorgerufen, dass das gesamte Gebiet der Galca dicht von Kirchen durchdrungen war. Innerhalb dieses Mau­

152 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 180; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 342. 153 Sichtbar wird dies auch an der Palastkapelle, die eine eigene Gruppierung bildete: die Hofkapelle; vgl. G e i s, Hofkapelle, hier besonders S. 34–38. 154 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überarb. von d e G o e j e, S. 331.

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errings, einem Bereich, der in seiner Ausdehnung rund 500x300 Meter fasste, lagen in spätnormannischer Zeit allein neun Kirchen.¹⁵⁵

3.2.4 Raumhierarchien: Orte und Gruppen des Palastes Im Folgenden werden der palermitanische Palastkomplex und die Anordnung ein­ zelner Bereiche darin grob umrissen.¹⁵⁶ Dabei geht es aber nicht um eine Analyse der Bauphasen oder eine Einordnung architektonischer Stile, ebensowenig um die möglichst exakte Verortung einzelner Teilräume.¹⁵⁷ Vielmehr gilt es zu fragen, welche Ereignisse an welchen Orten im Palast stattfanden, welche Gruppen daran teilhat­ ten und wie der Palast selbst auf diese einwirkte bzw. durch sie verändert wurde. Diese Betrachtungsweise soll es ermöglichen, Aussagen über weitergreifende Entwick­ lungen von sozialgeschichtlicher und herrschaftsgeschichtlicher Relevanz zu treffen. Während für die ersten Jahrzehnte königlicher Herrschaft zwar kaum Quellen vor­ liegen, die es erlauben würden, solche Entwicklungen zu greifen, informiert aus der Herrschaftszeit Wilhelms I. Hugo Falcandus in großer Ausführlichkeit über Teile des Palastes und die sich darin vollziehenden Machenschaften. Seine Schilderungen brin­ gen spezifische Räume mit spezifischen Personengruppen in Verbindung, die diesen Räumen zugehörig waren oder sie dominierten. Aus solchen Konstellationen entstand im Laufe der 1150er Jahre wachsendes Konfliktpotential, das sich 1161 in einer bru­ talen Revolte entlud und zu nachhaltigen Veränderungen im Palast und der Stadt Palermo führte. Den königlichen Stadtpalast prägte nach außen hin sein festungsartiger Charak­ ter, der wesentlich durch die einzelnen, in unterschiedlichen Bauphasen entstandenen Türme bestimmt wurde. Standen diese Türme mindestens teilweise ursprünglich frei, wurden sie über Gänge, Portikus, Höfe oder Risaliten miteinander verbunden, sodass sich offenbar komplexe Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen ergaben und man sich ohne gute Kenntnis der Topographie schnell verlor.¹⁵⁸ Der äußeren Schlichtheit der mit gleichmäßig behauenen Quadern errichteten und mit Spitzbogenfenstern ver­

155 Es handelt sich um folgende Kirchen: S. Maddalena, S. Paolo, S. Giacomo la Mazara, S. Barbarala Sottana, S. Bartholomeo de Coperto, S. Barbara la Soprana, S. Maria della Pinta, S. Giovanni, S. Costatino; vgl. P e z z i n i, Palermo, S. 229. 156 Vgl. C a l a n d ra, Complesso, S. 9–59; L a M a n n a, Palazzo, S. 62–98; T r o n z o, Normannenpalast; L o n g o, „In loco“. 157 Vgl. für diese Fragen v. a. L o n g o, „In loco“, der den Stand der Forschung zusammenfasst und an einigen Punkten erweitern konnte. 158 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 55; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 144.

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sehenen Türme stand ihre innere Pracht gegenüber.¹⁵⁹ Denn wer die Türme von Innen zu sehen bekam, dem zeigte sich (mindestens auf den höheren Geschossen der Türme) eine Vielfalt an farbigen Steinen, Mosaiken und Fresken.¹⁶⁰ Diese Ausstattung deu­ tete die Forschung häufig als Programm einer multikulturellen Herrschaftsrepräsenta­ tion, weil arabischsprachige Inschriften neben Mosaiken mit oströmisch­inspirierten Formen und Bildtraditionen stehen.¹⁶¹ Weniger Aufmerksamkeit erhielten hingegen Darstellungen, die offenbar Kampf und Rittertum verherrlichen und im privateren Bereichen des Palastes gezeigt wurden.¹⁶² Drei der normannischen Türme, die in den Karten von Maiocco und Bonifazio und insbesondere bei Braun und Hogenberg noch gut zu erkennen sind (siehe Abb. 16a– b),¹⁶³ wurden im Zuge der Umbaumaßnahmen der sizilischen Viceré im 16. Jahrhun­ dert abgerissen.¹⁶⁴ Erhalten sind die heute stark überformten turris Pisana und turris Ioharia im nördlichen Teil des Distrikts sowie der südlich liegende, sogenannte Gefäng­ nistrakt. Im südlichen Bereich der Palastanlage war auch der an der Galca liegende Eintrittspunkt zum Palast (lat. „inferiorem ingressum palatii“) zu verorten. Von dort gelangte man zur heute nicht mehr bestehenden turris rossa (verbunden mit der aula regia) sowie zur turris Greca, die zur Stadt gewandt war und nahe derer sich ein Glo­ cken- oder Aussichtsturm befand, der campanarium genannt wurde und nicht mehr existiert.¹⁶⁵ In der Umgebung des campanarium lag unter Wilhelm I. u. a. der Schulraum der Königsknaben.¹⁶⁶ Genannt wird dieser von Falcandus im Zusammenhang mit Wal­ ter, dem Archidiakon von Cefalù und späteren Erzbischof von Palermo (1169‒1190), der dort die Kinder des Königs unterrichtete. Der „Historia“ zufolge nutzte Walter seine Aufenthalte im Palast offenbar insbesondere aber dazu, um Politik in eigenem Interesse zu betreiben und sich aktiv an Intrigen zu beteiligen, die gegen Wilhelm I. gerichtet waren.¹⁶⁷

159 Beschrieben wird die Architektur auch bei a l - I d r ī s ī, Kitāb nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 592. 160 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 177; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 342. 161 Vgl. u. a. die aktuelle Zusammenfassung des Forschungsstandes bei W i n k l e r / F i t z g e ra l d, Intro­ duction, S. 1‒14. 162 K i t z i n g e r, Mosaic Fragments. 163 B ra u n / H o g e n b e r g, Civitates, S. 59; M a i o c c o / B o n i f a z i o, Palermo, città principalissima nella Si­ cilia, Rom 1602; Bibliothèque nationale de France GED-1568. 164 G o l d s c h m i d t, Königspaläste, S. 37–53. Zu den Umbauarbeiten vgl. D i Fe d e, Architettura, S. 103– 118; V i g i a n o, Esercizio; Fa g i o l o / M a d o n n a, Teatro. 165 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 53; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 140. 166 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 85; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 178. 167 Zu Walter vgl. K a m p, Kirche, S. 1015 f., 1112‒1119.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation

Abb. 16a: „Palermo“ von Georg Braun und Frans Hogenberg.



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Abb. 16b: „Palermo“ von Georg Braun und Frans Hogenberg, Detail mit Palastdistrikt (Galka).

Beim griechischen Turm und dem Glockenturm lagen außerdem die Gefängnisse, auf die vielleicht die Bezeichnung des heutigen Traktes „le prigioni politiche“ zurückgeht.¹⁶⁸ Zur Zeit Wilhelms I. waren in den Gefängnissen mehrere hochrangige Personen der nobilitas, ja sogar Mitglieder aus der königlichen Verwandtschaft eingesperrt.¹⁶⁹ Hugo Falcandus zufolge hatte man hier bald nach dem Tod Rogers II. Personen festgesetzt, in­ dem man sie unter einem Vorwand an den Hof bat und dann im Palast einsperren ließ. Während die genauen Hintergründe von Falcandus nur umrissen und damit begründet werden, dass sich der König vor Revolten dieser Adligen fürchtete, machte der Autor der „Historia“ für die Beschneidung adliger Rechte und die Demütigung ihres Status insbesondere Maio von Bari als Verwalter eines unfähigen Königs verantwortlich.¹⁷⁰ Maio hatte nach dem Tod Georgios von Antiochia die Stellung des amiratus ammira­ torum eingenommen. Anders als seine Vorgänger war Maio ein lateinisch­christlicher

168 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 53; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 140. 169 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 21; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 86. 170 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 8 f., 22 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 60 f., 86 f.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation



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Bediensteter. Die nobilitas des Reiches, die auf Einfluss am palermitanischen Hof sowie auf eine Erweiterung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten in den Provinzen des Regnum Si­ ciliae drängte, störte sich so sehr an Maios Dominanz am Hofe und in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten, dass er ihnen zum Inbegriff der Tyrannei wurde.¹⁷¹ Während die turris Greca den markanten, zur Stadt gewandten Außenpunkt der Anlage im Süden bildete, thronte im äußeren Norden des Distrikts die turris Pisana über Palermo. Über die turris Pisana vermutet man, dass sie im unteren Teil, genauer gesagt in einer schwer zugänglichen Halle, die sich vom Bodenniveau in die Tiefe er­ streckte, den königlichen Schatz beherbergte und damit von besonderer Bedeutung war.¹⁷² Angenommen wird außerdem, dass man von der turris Pisana über die so­ genannte via Cooperta entlang der inneren Stadtmauern bis hin zur Residenz des Erzbischofs („domus archiepiscopi“) gelangte, die bei der Kathedrale lag, genauer ge­ sagt, auf der Höhe ihrer Apsiden und nahe der alten Porta Sant’Agata.¹⁷³ Auch Teile der officinae, also der (herrscherlichen) Werkstätten, sollen innerhalb des Palastes unter­ gebracht gewesen sein,¹⁷⁴ und mit Sicherheit nahm außerdem die Verwaltung mitsamt den Archiven Räumlichkeiten innerhalb des Palastes ein.¹⁷⁵ In beiden Fällen ist aber unklar, wo genau diese angesiedelt waren. Versetzt neben der turris Pisana lag außerdem die turris Ioharia mit den priva­ ten Räumlichkeiten des Königs. Über einzelne Teile des palatialen Raumes und ihre Bedeutung für spezifische soziale Beziehungen erfährt man bei Hugo Falcandus wei­ ter, dass sich der König, wenn er das Gespräch mit seinem Beraterstab im Geheimen suchte oder Neues „de publicis et maioribus regni“ erfahren wollte, dafür in andere, kleinere Paläste zurückzog.¹⁷⁶ Damit könnten die Bereiche zwischen der Ioharia und den zur Gartenseite gewandten Mauern gemeint sein oder aber der Bereich zwischen Ioharia und Cappella Palatina, für den Arezzo einen Bau namens „Chirimbim“ und Fazello einen Bau namens „Thyrimbis“ erwähnt. Dieser sei von Wilhelm I. begonnen und unter Wilhelm II. beendet worden.¹⁷⁷ Erstmals taucht eine Bezeichnung für den Turm als Chirimbi im mittleren 14. Jahrhundert in einer Handschrift des Anonymus

171 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 14–16; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 70‒74. 172 L o n g o, „In loco“, S. 293; zu seiner Architektur und den maghribinischen Einflüssen K n i p p, Torre Pisana. 173 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 181; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 174 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 178; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 340 f. 175 Dies geht nicht zuletzt daraus hervor, dass beim Coup von 1161 die sogenannten defetarii innerhalb des Palastes aufgefunden und zerstört wurden; vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D’Angelo, S. 164. 176 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 178; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 342. 177 A r e z z o, De situ, fol. V; Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 172.

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Palermitanus auf, aber die Ethymologie des Wortes bleibt unklar.¹⁷⁸ Was sich insgesamt an den Beschreibungen in den erzählenden Quellen also abzeichnet, ist eine interne Hierarchisierung des palatialen Raumes, der in südliche, zugänglichere und nördliche, verschlossene Bereiche geteilt wurde. Dazwischen stand die Palastkapelle. Außerdem scheint eine vertikale Hierarchisierung stattgefunden zu haben, denn die vom König frequentierten Bereiche lagen in den oberen Stockwerken der Türme.¹⁷⁹ Auch hier vermittelt die Palastkapelle zwischen Bodenniveau und Turmgeschossen. Dieses Bauarrangement trug dazu bei, dass die Könige Siziliens stark zurückge­ zogen im Nukleus des Palastes lebten. Schon unter Roger II. hatte sich die Tendenz abgezeichnet, dass sich der Herrscher mindestens phasenweise innerhalb des Palas­ tes verschloss und nach außen nicht mehr sichtbar war. Die drastische Beschränkung auf ein kleines personelles Umfeld soll dazu geführt haben, dass sich die Könige dem populus der Stadt kaum zeigten und immer mehr in den Palast zurückzogen, was bis­ weilen zu großen Konfliktsituationen geführt habe. So soll sich Roger II. erstmals für längere Zeit im Palast verschlossen haben, als er und seine erste Frau Elvira (gest. 1135) erkrankt waren und Elvira der Krankheit einige Zeit später erlag. Roger soll dann für Tage so der Trauer verfallen sein, dass er kaum noch Personal um sich erlaubte. Die­ ser Rückzug des Herrschers sorgte offenbar für Verunsicherung, und Gerüchte wurden laut, Roger II. selbst sei auch dahingeschieden.¹⁸⁰ Derweil braute sich auf dem Festland Aufruhr gegen den König zusammen, den dieser schließlich damit beantwortete, dass er nach Salerno reiste, um die Rebellen zu strafen. In den Jahren vor seinem Lebens­ ende soll sich Roger II. erneut im Palast eingeschlossen und dort, so Hugo Falcandus, zur Ruhe gesetzt haben. Dabei tritt hier eine Fantasie der sexuellen Freilebigkeit hinter verschlossenen Palasttüren hervor, wenn weiter festgehalten wird, dass der Herrscher dort nun so viel Geschlechtsverkehr hatte, dass er bald verfrüht und erschöpft dahin­ schied.¹⁸¹ Auch das Dasein Wilhelms I. war ganz auf den Palast fokussiert,¹⁸² den er nur zu wenigen Anlässen verließ und in den auch die Nobilität angeblich nur noch selten zu Audienzen geladen wurde. Aufgrund dessen soll sich schon bald nach seinem Herr­ schaftsantritt das Gerücht verbreitet haben, dass Wilhelm I. verstorben war. In der Konsequenz, so Hugo Falcandus, brachen Rebellionen in Apulien aus, einer Provinz,

178 Vgl. dazu die Überlegungen von Vincenzo di Giovanni, Chiara Bordino und Adalgisa de Simone bei L o n g o, „In loco“, S. 253 f. mit Anm. 127, 133 und 134. 179 So bemerkte Hugo Falcandus, dass man beispielsweise zur aula regia vom Palast aus „hinabstei­ gen“ musste; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 62; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 152. 180 A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 3, cap. 1 f., S. 59 f. 181 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 7; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 58. 182 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 157; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 308 f.

Der königliche Palast: Räume der Herrschaft und Repräsentation



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die nicht nur durch die besonders weite Entfernung zum Herrschaftszentrum charak­ terisiert war, sondern in der die Autorität der Könige Siziliens bzw. der Nachfolger Ro­ gers I. ohnehin immer wieder prekär war.¹⁸³ Zur Niederschlagung der Revolten musste Wilhelm I. selbst nach Apulien ausziehen, wo er Bari als Strafe für eine Auflehnung zerstörte. Während die Gründe für die jeweiligen Aufstände sicher vielfältiger waren, konnten der stark beschränkte Zugang zum König und seine Nichtsichtbarkeit auch in der Hauptstadt zu Unruhen führen, oder zumindest wurde die Unzugänglichkeit zum König beim Aufkommen von Unruhen thematisiert. Innerhalb des Palastes drückte sich der Rückzug des Königs weiter dadurch aus, dass die Zugänglichkeit zu ihm im ohnehin schon abgeschirmten Palastdistrikt räumlich weiter ausdifferenziert und reguliert wurde. Im Norden lag, wie erwähnt, eingeschlos­ sen von der turris Pisana und der Palastkapelle (capella regia), der dem König und seinen Engsten vorbehaltene Trakt, welcher den Namen Ioharia trug. Die Herkunft des Wortes wird auf das Arabische zurückzuführen sein: ǧawhara, was gemeinhin mit Schmuck oder Edelstein zu übersetzen ist. Hugo Falcandus berichtet, dass dieser Ge­ bäudeteil in besonderem Maße mit Dekor und Ornat überladen gewesen sei, dass der König hier seine Zeit in Ruhe und Muße verbracht habe und dass er die Räumlichkeiten als „familiarius“ aufsuchte.¹⁸⁴ Auch wird der Personenkreis derjenigen benannt, die zu den engsten familiares des Königs gehörten und mit ihm gemeinsam die Gemächer in der Ioharia teilten bzw. den König dort aufsuchen konnten. Dies seien zunächst die „matronae puellaeque“ gewesen,¹⁸⁵ über die weiter keine wesentlichen Informationen bekannt sind.¹⁸⁶ Den Frauen und unverheirateten Frauen bzw. Mädchen wird dann unmittelbar noch eine weitere königsnahe Gruppe angeschlossen: die Eunuchen, „qui regi regineque serviunt deputate“. Diese sogenannten Palasteunuchen oder Palastsara­ zenen¹⁸⁷ standen, wie schon weiter oben ausgeführt (Kap. II.3.2.1), in veschiedenen Dienstverhältnissen zum König und lebten in seiner nächsten Umgebung. In zweifacher Hinsicht hatten die gayti und eunuchi trotz oder vielmehr wegen ihres Zugangs und ihrer Nähe zum König eine schwierige Stellung inne. Sie waren in hohem Maße vom Schutz und der Huld des Herrschers abhängig, was auch daran

183 Dazu u. a. Ta k ay a m a, Administration, S. 61‒63; H o u b e n, Roger II., S. 69‒73. 184 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 177 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 342 185 Ebd. 186 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Annahme eines königlichen Lusthauses zumal auf diesen Quellenpassus und seine sehr freie, aber weit rezipierte englische Übersetzung von Graham Loud und Thomas Wiet zurückgeht, die „matronis puellisque“ mit „married ladies, the girls of the harem“ über­ setzen; vgl. L o u d / W i e t, History, S. 259. Eine Passage, die weibliche Gespielinnen konkreter andeutet ist H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 56; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 162. 187 Die ausführlichsten Analysen zu diesem Thema bieten J o h n s, Arabic Administration, S. 212–256; S c h e l l e r, Migrationen; B i r k, Norman Kings, Kap. 5, S. 173‒205.

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sichtbar wird, dass der Vorwurf des Verrats in mehreren Fällen zu ihrem Sturz und sogar zum gewaltsamen Tod führen konnte. Die Forschung sah ihren Verrat stets darin begründet, dass sie Kryptomuslime gewesen seien. Dieser in manchen Quellen impli­ zit konstante und immer wieder explizit gemachte Vorwurf wurde zumal von Hugo Falcandus zur Delegitimation oder Diskreditierung verwendet, von muslimischen Au­ toren wie Ibn Ǧubayr hingegen dazu genutzt, eine Ausdauer und Standhaftigkeit der Glaubensgenossen hervorzuheben.¹⁸⁸ Bei genauem Lesen gilt die religiöse Zugehörig­ keit – selbst wenn sie ein Abfall vom neuen, christlichen Glauben zurück zum Islam gewesen wäre – in keinem Narrativ als Grund für ihr Ende. Vielmehr machen latei­ nische und arabische Quellen klar, dass es politischer Verrat gewesen war, der den Eunuchen ihre Stellung oder das Leben kostete, wobei in diesem Kontext dann die Religion als relevantes Argument herangezogen wird.¹⁸⁹ So könnte man auch sagen, dass es vielleicht vor allem die Außenwahrnehmung der palatialen Raumpraktiken bzw. ein von außen in den Palast getragener Druck war, der die Eunuchen an Leib und Leben gefährden konnte. Ihr Ansehen war den Quel­ len nach zu urteilen schlecht, und Hugo Falcandus brachte die Eunuchen u. a. auch mit Promiskuität und Gewalt in Verbindung. In der Bewertung durch die Forschung wurden diese Zuschreibungen tendenziell recht wenig dahingehend reflektiert, wie diese Anschuldigungen, insbesondere in der Erzähllogik des Hugo Falcandus, als Argu­ mente und Motive dienten, um die von einem Palast und seinem Personal dominierte Herrschaftspraxis im Regnum Siciliae zu kritisieren. In der Tat ist zu bedenken, dass sich hier Vorwürfe in Richtung verdorbener Moral oder gewalttätiger sowie sexueller Exzesse, die von Muslimen an Christen und Christinnen verübt würden, in eine anti­ muslimische Rhetorik einfügten, die während der Herrschaftszeit Wilhelms I. starken Aufwind erhielt und sich auch in handfeste Gewalt übersetzte.¹⁹⁰ Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Eunuchen offenbar von der nobilitas des Reiches beneidet und dabei mit den sich im Palast abspielenden Praktiken der Herrschaftsaus­ übung identifiziert wurden.¹⁹¹ Um diese Dynamik besser einordnen zu können, ist es auch von Bedeutung, die Funktionen und Aktionsräume der gayti bzw. eunuchi im Kontext der Administration genauer in den Blick zu nehmen. Die königliche Verwaltung war räumlich sowie per­ sonell auf das Engste mit dem Palast und dem königlichen Schatz verbunden, sodass

188 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, u. a. S. 25; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, u. a. S. 90; außerdem I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 324. Bei Romuald ist der Vorwurf hingegen absent. Peter bezeichnet er als gaytus und eunuchus, er wirft ihm Verrat als politischer Überläufer vor, macht aber keine Aussagen über seine religiöse Zugehörigkeit; vgl. R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 254. 189 Vgl. dazu J ä c k h, Verbrechen. 190 Auch dazu S c h e l l e r, Migrationen; B i r k, Norman Kings, insbes. S. 210‒221. 191 Zur Bedeutung der physischen Nähe zum Herrscher vgl. A l t h o f f, Verwandtschaft, S. 185–198; d e r s ., Huld.

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sie in der „Historia“ des Hugo Falcandus wiederholt gemeinsam auftauchen.¹⁹² Zustän­ dig für die Ausstellung und Kontrolle von Privilegien sowie für die Einnahme und Registrierung der königlichen Einkünfte, garantierten die Palastadministratoren den Reichtum des Regnum. Seit den 1120er Jahren hatte sich in Palermo dafür verstärkt eine Funktionselite¹⁹³ herausgebildet, die ab den 1130ern und insbesondere während der 1140er Jahre unter Führung des Georgios von Antiochia arabischsprachige Doku­ mente nach fatimidischem Vorbild ausführte. Die Gruppe der Verwaltungsangestellten, die solche Urkunden auszustellen in der Lage waren, bestand aus arabischen Christen und (Ex-)Muslimen, griechischen Christen sowie lateinischen Christen, die des Arabi­ schen und / oder Griechischen mächtig waren.¹⁹⁴ Der Verwaltungsapparat setzte sich also zu Teilen aus den eunuchi und gayti zusammen. Für die Empfänger waren die aufwendig ausgearbeiteten Schriftstücke mit Perso­ nenlisten der villani oder Grenzbeschreibungen der Ländereien durchaus kostspielig, und das, obwohl es sich oftmals nur um Bestätigungen früherer Privilegien aus der Zeit nach der Eroberung handelte. Bei diesen Bestätigungen wurden die Namenslisten zu­ dem meist nicht aktualisiert. Für den Gebrauch waren die neuen Listen insbesondere im Konfliktfall also wenig brauchbar, denn „[i]nstead of recording the demographic changes of the population listed in 1095, the renewals dwell in the past, amongst phan­ tom communities of ghost­parents and their ghost­children“.¹⁹⁵ Kam es zu Fragen oder Unstimmigkeiten, mussten sich die Empfänger außerdem auf den Weg nach Palermo machen, um den Status ihres Besitzes zu erfragen oder gegebenenfalls Korrekturen zu erwirken. Zwar wurden Mitglieder der Verwaltung auch in anderen Teilen Palermos sowie in weiteren Städten, an Häfen, auf den Straßen oder im Hinterland aktiv, doch lie­ fen die Fäden der Verwaltung letztlich im palermitanischen Palast zusammen: Hier lagerten die sogenannten „defetarii“, die auch „libri consuetudinum“ genannt wur­ den,¹⁹⁶ was die Register der Verwaltung meint.¹⁹⁷ In arabischer Sprache wurden darin Privilegien mit den Grenzen von Ländereien und Namen von villani mitsamt ihren Ab­ gabepflichten festgehalten. Folgt man der Darstellung des Hugo Falcandus, so ging mit dem wachsenden Unmut der nobilitas über die königliche Verwaltungspraxis und über

192 Vgl. z. B. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 6 f., 36, 45, 99 f., 103; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 56 f., 110, 126, 148 f., 178, 212, 220. 193 Zu Begriff und Formen von Funktionseliten in multikulturellen Kontexten vgl. D a r t m a n n / F l ü c h ­ t e r / O e s t e r l e, Eliten, S. 64–99. 194 Für die arabischsprachige Verwaltung grundlegend J o h n s, Arabic Administration; Ta k ay a m a, Ad­ ministration; M e t c a l f e, Arabic Speakers, S. 41‒44. Zu griechischsprachigen Verwaltern vgl. v o n Fa l ­ ke n h a u s e n, Funzionari; d i e s ., Griechische Beamte. 195 J o h n s, Arabic Administration, S. 141. 196 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 69; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 162. 197 Ta k ay a m a, Administration, S. 84‒88, 133‒135; M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 153, 184.

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die Unzugänglichkeit zur Person des Königs einher, dass ein direkter Konnex zwischen diesen Missständen und dem Gebilde des königlichen Palastes hergestellt wurde, der so zum Brennpunkt ihres Zorns wurde. Dieser Zorn entlud sich zunächst am obersten Vorsteher der Verwaltung bzw. der Eunuchen, nämlich am amiratus Maio.

3.3 Raumkonflikte: Machtverschiebung und Restrukturierung 3.3.1 Zur Interdependenz von Palast und Stadt Als Ibn Ǧubayr dabei war, den Palast zu verlassen, traf er auf zwei Christen – womög­ lich Bettler oder Bittsteller –, die an einem Tor des Palastdistrikts saßen. Unklar ist, welches Tor Ibn Ǧubayr dabei im Sinn hatte. Einer der beiden Christen soll gegenüber den Reisenden die Warnung ausgesprochen haben, sie mögen ihre mitgebrachten Güter verbergen, da sie sonst den Steuereintreibern in die Hände fallen würden. Der andere Christ erwiderte dem ersten: „Wie bist du merkwürdig! Sie waren doch im ḥaram des Herrschers und sollten sich noch fürchten? … Geht in Frieden, Ihr sollt keine Sorge haben.“¹⁹⁸ Mit dieser Anekdote streicht der Reisebericht einmal mehr die Bedeutung der Tore für die königliche Verwaltung bzw. die Zollkontrolle heraus. Außerdem lässt sich auf der Grundlage dieser Aussage ableiten, dass der Eintritt zum Palast ein Pri­ vileg darstellte und für den Besucher Schutz oder Huld bedeuten konnte, was auch außerhalb des palatialen Raumes Vorteile brachte. Der Christ in der Erzählung des Ibn Ǧubayr suggeriert, dass dadurch womöglich eine Einreise- oder Transportsteuer erlassen werden konnte. In Krisensituationen lässt sich aber beobachten, wie diese Wirkmacht des Palas­ tes zusammenbrechen und dann Forderungen aus der Stadt gewaltvoll in den Palast transportiert werden konnten. Anschaulich geht dies aus der Erzählung des Hugo Fal­ candus über die Unruhen der Jahre 1160/1061 hervor. Diese begannen im November 1160, als Maio von Bari durch ein Komplott niedergestreckt und ermordet wurde. Der Anführer der Verschwörung war der junge Mattheus Bonellus, dessen Vater als ge­ treuer Kämpfer Rogers I. bei der Eroberung Siziliens gedient hatte. Mattheus gehörte also zu den angesehensten Familien der normannischen Nobilität. Hugo Falcandus gab zunächst an, ein geplatztes Heiratsbündnis mit Maios Tochter sei der Auslöser von Mattheus’ nicht zu bändigendem Ärger gewesen. Im weiteren Verlauf macht der Chronist aber klar, dass die Selbständigkeit, mit der Maio über Regierungsgeschäfte verfügte, der eigentliche Affront war, der auch andere nobiles ebenso wie den Erzbi­ schof Hugo gegen Maio aufgebracht hatte. Interessant ist vor diesem Hintergrund auch die vorgenommene räumliche Verortung, um zu erklären, wo genau Maio ermordet

198 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 331; Roland Broadhurst übersetzte ḥaram hingegen mit „the King’s protection“; I b n J u b ay r, Travels, übers. von B r o a d h u r s t, S. 347.

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wurde. Bezeichnender Weise geschah dies nämlich außerhalb des Palastes, wo Maio keinen Schutz und Einfluss mehr genoss. Genannt wird eine offene Straße im Stadtzen­ trum Palermos, die von der erzbischöflichen Residenz hinauf Richtung Palast führte. Die anderen genannten Raummarker sind das unweit gelegene Haus des Maio und das Haus des Haupträdelsführers, das offenbar an der Hauptstraße im Zentrum lag.¹⁹⁹ Im Moment des Mordes lässt Hugo Falcandus Mattheus in wörtlicher Rede Maio ansprechen: „Schau her, Verräter … ich räche die Nobilität, die Du zerstört hast … Mit einem Schlag werde ich Dich und den Titel des Admirals auslöschen.“²⁰⁰ Die Impli­ kationen dieser effektvoll erzählten Episode sind eindeutig, und das Ereignis wurde offenbar tatsächlich als so einschneidend bewertet, dass nach dem Tod des Maio kein Bediensteter mehr den Titel des amiratus ammiratorum führte.²⁰¹ Stattdessen wurde ein Gremium von familares bestimmt, das über die nächsten Jahrzehnte den König in wechselnden Konstellationen bei seinen Geschäften unterstützen sollte.²⁰² Die ers­ ten Männer, die Maio ersetzten, waren Richard, Bischofelekt von Syrakus, und Graf Silvester von Marsico, ein Cousin des Königs. Hinzu stieß später Heinrich, Erzdiakon von Catania. Der führende amiratus und die damit verbundene übermächtige Stellung eines herausgehobenen Verwalters über die Stadt und den Palast von Palermo war eine erste markante Diskontinuität zur rogerianischen Herrschaftspraxis, die unter Wilhelm I. herbeigeführt wurde. Für mehrere Monate nach dem Tod Maios scheint es unklar gewesen zu sein, welche Konsequenzen die Revolte für den Anführer Bonellus haben sollte. Falcandus zufolge war der König erzürnt über sein Handeln und die Königin habe auf eine harte Bestrafung gedrängt. Derweil plante Mattheus offenbar einen weiteren Angriff, der diesmal zum Ziel haben sollte, den König selbst zu beseitigen. Für diesen Plan fand sich eine Gruppe zusammen, die insbesondere auch die in den Gefängnissen des Palas­ tes eingesperrten Noblen einschloss (Simon von Tarent, ein unehelicher Sohn Rogers II., und Tankred, bekannt als Tankred von Lecce, illegitimer Sohn Herzog Rogers III. von Apulien und späterer König Siziliens).²⁰³ Die Aufrührer wollten den König durch sei­ nen minderjährigen Sohn ersetzen, der sodann von den nobiles hätte kontrolliert und gesteuert werden können.²⁰⁴ Von der Stadt sei eine nur vage umrissene Gruppe von

199 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 39‒42; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 116‒122. 200 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 42; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 122. 201 Ebd. Dazu auch M a t t h e w, Norman Kingdom, S. 226; Ta k ay a m a, Administration, S. 151. 202 Zum sogenannten Familiarenrat vgl. Ta k ay a m a, Familiaris regis. 203 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 44–57; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 126‒146. 204 So ließen diese das Kind, während der Vater in seinem Palast in Gefangenschaft saß, in einer Pro­ zession durch die Stadt reiten, um seine neue Herrschaft zu proklamieren; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 57 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 146 f.

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Verschwörern auf den Palast zu marschiert, habe gewaltsam die Barriere zwischen der palatialen und urbanen Sphäre, nämlich die Galcule- und Palasttore, niedergerissen, die Gefangenen befreit, unter Anleitung Graf Simons König Wilhelm I. aufgespürt, ihn gefangen genommen und den minderjährigen Sohn durch die Stadt prozessiert. Dann habe der Mob jener nobiles gezielt die eunuchi aufgesucht, die meisten von ihnen attackiert und, sofern sie nicht fliehen oder sich in den Verzweigungen des Pa­ lastes verstecken konnten, niedergemetzelt. Überdies seien die materiellen Erzeugnisse der Verwaltung, die gleichsam sinnbildlich für die Ohnmacht der nobiles standen und im Palast gehalten wurden, zerstört worden: die defetarii bzw. Register der Verwaltung mit villani-Listen und Grenzbeschreibungen. Die Angreifer hättens sich schließlich so­ gar angeschickt, die gefüllten Schatzkammern – ebenfalls ein Symbol der empfundenen Ungerechtigkeit – zu plündern und das Geld und Gold im wahrsten Sinne des Wortes aus den Fenstern zu werfen. Auch königliche Gewänder seien entwendet oder zerstört worden. Auf dem Platz vor den Palasttürmen habe sich indes eine jubelnde Menge (hier als plebs bezeichnet) zusammengefunden.²⁰⁵ Die Verluste der Tage währenden Rebellion müssen erheblich gewesen sein: Das Kö­ nigtum war geschwächt, das Bild eines wehrhaften Palastes gebrochen, die königliche Familie einschließlich dem Thronfolger und dem künftigen Wilhelm II. muss traumati­ siert worden sein, Teile des Schatzes waren verschwendet und Verwaltungsdokumente offenbar so schwerwiegend und umfassend zerstört, dass die Notwendigkeit bestand, neue Abschriften und Register zu erstellen.²⁰⁶ Als große Teile des Schatzes verteilt waren, seien die Verschwörer schließlich zur Einsicht gekommen, dass dieser Schatz eigentlich benötigt werde, um die Sicherheit des Reiches zu garantieren. Die Revolte sei in sich zusammengerochen, und das Volk habe begonnen, nach seinem König zu verlangen. Aus der Sorge über die Unversehrtheit des Königs entstand Unruhe. Das Volk sei dann zu den Galcule­Toren gestürmt und habe darauf gedrängt, seinen Herr­ scher zu sehen. Die äußeren Tore seien geöffnet worden und der populus zum Palast geströmt. Überraschend sei der König dann über eine Schwelle mit dem Volk in Kontakt getreten, in diesem Falle ein Fenster, das sich in der Ioharia befand und zur Galcule hin öffnete. Wilhelm I. sei vor der Menschenmenge erschienen, habe die Hand erhoben und zu den wieder zur Ruhe kommenden Palermitanern gesprochen.²⁰⁷

205 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 56; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 144. 206 Dafür wurde ein kundiger Schreiber, Mattheus von Salerno, den der König in das Palastgefängnis ge­ sperrt hatte, freigelassen und wieder in der Verwaltung eingesetzt; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 69; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 164. 207 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 60; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 150. Dass dies am Fenster der turris Pisana geschah, wird berichtet bei R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 247.

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Diese Episode macht zum einen deutlich, dass sich Wilhelm I. dem Volk nur in Aus­ nahmesituationen und dann mit großer Wirkung zeigte. Zum anderen zeichnet sich auch die generelle Relationalität bzw. die Verschränktheit des palatialen und urbanen Raumes ab, indem soziale oder politische Dynamiken, die vom Palast ausgingen, auf die gesamte Stadt wirken konnten und umgekehrt. Weil der Palast als Ort außerdem die Herrschaft selbst verkörperte, wurde er zu einem konkreten Bezugspunkt nicht nur adliger, sondern auch städtischer Stimmungen und hatte so an Konfliktsituationen un­ mittelbar Teil. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Gebilde des Palastes einige Gruppen räumlich bzw. sozial bevorzugte und integrierte, andere hingegen strikt ausschloss.

3.3.2 Zwischen Palast und Kathedrale: Aufstieg der palermitanischen Erzbischöfe Ibn Ǧubayr berichtet, dass er beim Verlassen des königlichen ḥaram eine den Palast mit der Kathedrale verbindende, überdachte Straße bzw. eine langgestreckte Portikus passierte. Üblicherweise sei so der Herrscher selbst zum Gotteshaus gegangen.²⁰⁸ Mit großer Wahrscheinlichkeit kann diese Passage mit der sogenannten via Cooperta oder via coperta identifiziert werden,²⁰⁹ die den Palast von der turris Pisana aus mit der Kathedrale verband und beide Sphären so auch miteinander in Beziehung setzte. Ne­ ben diesem physischen Bindeglied drückte sich die Nähe zwischen dem bedeutendsten Raum von Herrschaft und dem bedeutendsten Raum liturgisch­religiöser Praxis in Pa­ lermo auch auf andere Weise aus: Die Kathedrale diente als Ort, an dem die Übergänge des herrscherlichen Lebens vollzogen und memoriert wurden. Dies gilt einerseits für die erzbischöfliche Kirche als Krönungsort der Könige Siziliens von Roger II. bis zu Friedrich II.²¹⁰ und andererseits für ihre Rolle als Grablege. Die normannischen Könige verstarben innerhalb des Palastes.²¹¹ Für Roger II. war ursprünglich die Kirche von Cefalù als Begräbnisort vorgesehen, die das große Bau­ projekt des Königs darstellte und die er schon früh mit zwei porphyrnen Sarkophagen

208 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 331. 209 Giovanni Bellafiore vermutete, dass es diese Straße in Palermo schon zur Zeit muslimischer Herr­ schaft gegeben haben müsse; B e l l a f i o r e, Architettura, S. 52. Solche überdachten Verbindunsgwege sind aber auch andernorts, beispielsweise in der Pfalz zu Aachen bekannt; H u g o t, Pfalz, S. 534‒572. 210 Die Kathedrale wird als Ort der Krönung durch Roger II. etabliert; vgl. A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 2, cap. 3, S. 62 f., hier S. 63; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 254 für die Krönung Wilhelms II. 211 Zum Tod Wilhelms I. im Palast, dessen Leichnam erst einige Tage nach seinem Tod in die Kathedrale gebracht wurde; vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 88 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 194; vgl. außerdem P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, S. 39 zum Tod Rogers II. und S. 43 zum Tod Wilhelms II., die hier sichtbar jeweils in der Palastkapelle aufgebahrt sind.

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ausstatten ließ.²¹² Weil die Kathedrale von Cefalù noch nicht geweiht worden war und sich das Bauvorhaben verzögert hatte,²¹³ fiel die zweite Wahl auf Palermo. Hier hatte Roger II. seine erste Frau ‒ wegen deren Todes er für mehrere Jahre in Trauer verfallen sein soll²¹⁴ – schon in einer Kapelle der Kathedrale bestatten lassen.²¹⁵ Zum Zeitpunkt von Rogers Tod hatte sich die Stadt außerdem als fester und zentraler Herrschersitz etabliert, der so bedeutend für das Königtum geworden war, dass eine physische Ent­ fernung des königlichen Körpers vielleicht ohnehin als nicht sinnvoll erschien. Auch ist davon auszugehen, dass der Erzbischof von Palermo ein Interesse daran hegte, den König in seiner Kathedrale bestattet zu sehen.²¹⁶ In der Tat bestand nämlich zwischen Palast und Kathedrale nicht nur eine räumli­ che, sondern auch eine enge personelle Beziehung. So kann man beobachten, wie sich die Kontakte zwischen den palermitanischen Erzbischöfen und den normannischen Königen seit der Niederlassung des Hofes in der Stadt intensivierten. Zu Beginn der normannischen Herrschaft über Palermo bis in die Zeit Rogers II. waren die geistli­ chen Führer der Stadt wenig in Erscheinung getreten.²¹⁷ Unter Wilhelm I. aber lässt sich nachvollziehen, wie das Oberhaupt der palermitanischen Kirche verstärkt an Ein­ fluss im Palast gewann und somit an Herrschaftsstrukturen und -abläufen mitwirkte. Dies fällt in die Zeit, als das Erzbistum Palermo über 80 Jahre nach dem ersten Ein­ setzen eines Erzbischofs durch die normannischen Eroberer schließlich von Papst Ha­ drian IV. (1154‒1159) im Jahr 1156 die Hoheit über Suffragane (Agrigent, Mazara, Malta) zugesprochen bekam.²¹⁸ Das Pochen auf politische Einflussnahme seitens des Erzbischofs Hugo (1150– 1160er?)²¹⁹ begann für Hugo Falcandus damit, dass dieser mit Maio von Bari gegen den König kooperierte.²²⁰ Das Bündnis der beiden Verschwörer wurde aber im Streit

212 D e G i o r g i, Sicilia, S. 568‒573; Va r g a, New Aspect; D e é r, Porphyry Tombs. 213 D e é r, Grab, S. 364 f. 214 A l e x a n d e r v o n Te l e s e, Ystoria, hg. von D e N a v a, lib. 3, cap. 1, S. 59. 215 Es handelt sich dabei um die kleine, sich der Kathedrale anschließende Cappella S. Maria Madda­ lena, die im Zuge der Umbauten des Doms unter Erzbischof Walter abgerissen und nahe dem Palast wiedererrichtet wurde; vgl. D i S t e f a n o, Monumenti, S. 86 f. 216 D é e r, Grab, S. 364. 217 Vgl. beispielsweise die Schenkung von 1141, in Diplomi, hg. von C u s a, S. 117; vgl. außerdem G e i s, Hofkapelle, Nr. 27, S. 342–347; Nr. 59, S. 387–390. 218 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, Nr. 27, S. 231. Zum Vertrag von Benevent als Voraus­ setzung für diese Ereignisse vgl. D e é r, Papsttum, S. 247‒253; außerdem Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 12, S. 34 f. 219 Das genaue Sterbejahr ist unbekannt. In einer Urkunde von 1165 gibt es noch einen Erzbischof, aber es ist unklar, ob die Schenkung tatsächlich korrekt dem Erzbistum Palermo zugewiesen ist; vgl. Docu­ menti inediti, hg. von G a r u f i, Nr. 39, S. 91‒93. 220 Das Komplott zwischen Maio von Bari und dem Erzbischof Hugo von Palermo wird ausführlich dargestellt bei H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 18–20; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 76‒80.

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darüber aufgelöst, wer den führenden Einfluss bei der Erziehung der Kinder und bei der Aufsicht über den Schatz erhalten solle. Evelyn Jamison hat vermutet, dass Falcan­ dus die Episode zwischen Hugo und Maio einer antiken Fabel nachempfunden hatte,²²¹ doch geht auch aus der Chronik des Romuald von Salerno hervor, dass der Erzbischof tief in die Geschäfte am Hof verwickelt gewesen sein muss und gegen den Mord an Maio nicht intervenierte, vielleicht sogar Interesse daran hatte. Nach Hugos Tod, der sich nicht lange vor dem Dahinscheiden Wilhelms I. ereignet haben kann, war der Sitz der palermitanischen Kathedrale zunächst vakant, sodass der Thronfolger von Romu­ ald, dem späteren Erzbischof von Salerno, gesalbt wurde.²²² Dieser hegte angeblich selbst, ebenso wie der Elekt von Syrakus und der Bischof von Agrigent, Hoffnungen auf die Kathedra der sizilischen Hauptstadt. Stattdessen aber bat die Mutter Wilhelms ΙΙ., die nun die Regentschaft für den Zwölfjährigen übernahm, dass einer ihrer Verwandten aus der Francia kommen und sie in der Führung der Geschäfte unterstützen solle. Gesandt wurde ihr Stephan von Perche, den Margarethe gleich zum Kanzler bestimmte und anschließend vom paler­ mitanischen Domkapitel zum Erzbischof wählen ließ.²²³ In der Personalunion zweier solch bedeutender Ämter im Reich konnte sich Stephan jedoch nicht lange halten und musste im Folgejahr während einer Belagerung seiner erzbischöflichen Residenz in Palermo kapitulieren, aus Sizilien fliehen und vorher die Kanoniker Palermos von ihrem Treueeid entbinden. An Stephans Stelle trat dann Walter, der als Lehrer den kleinen Wilhelm II. unterrichtet und derweil nicht davor zurückgescheut hatte, an der Verschwörung von 1160/1061 gegen König Wilhelm I. mitzumischen. Walter hatte so­ gar öffentlich dessen Herrschaft als tyrannisch angeprangert. Dennoch war er unter Wilhelm II. im Familiarenrat vertreten. Lioba Geis hat darauf hingewiesen, dass Hugo Falcandus diesen politischen Spie­ lereien gegenüber zunächst recht neutral gestimmt schien. Als Walter sich 1168 – an­ geblich erwirkt durch Gewaltandrohungen gegen das Domkapitel – zum Erzbischof Palermos hatte wählen lassen, wurde er jedoch als Inbegriff der Herrschsucht darge­ stellt.²²⁴ Die Regentin Margarethe habe den Papst gebeten, Walter nicht die Bestätigung zu erteilen; nichtsdestotrotz wurde er im September 1169 gesalbt und geweiht.²²⁵ Bald darauf beschnitt Walter die Kompetenzen und Größe des Familiarenrats und bestimmte die Geschicke am Hofe dann so erheblich, dass Falcandus seine Geschichte mit der Aus­ sage beschloss, dass es nunmehr so schien, als ob Walter nicht nur den Palast, sondern

221 J a m i s o n, Admiral, S. 251‒267. 222 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 253. 223 Ebd., S. 255; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 18–20; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 76‒80. 224 G e i s, Hofkapelle, S. 342‒347; außerdem Italia Pontificia, hg. von Ke h r, Bd. 10, Nr. 33, S. 233. 225 Zum Familiarenrat in der Zeit Wilhelms I. und Wilhelms II. vgl. Ta k ay a m a, Administration, S. 95– 100, 115–124; d e r s ., Familiares regis.

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das ganze Reich kontrollierte.²²⁶ Vermutet wurde, dass sich der König später der Do­ minanz des Erzbischofs zu entziehen suchte, was sich auch darin geäußert habe, dass Wilhelm II. die Umbettung seines Vaters in die neu errichtete Kathedrale von Mon­ reale anordnete.²²⁷ Auch für sich selbst verfügte er, in der erzbischöflichen Kathedrale Monreale und nicht in Palermo seine letzte Ruhe zu finden. In Palermo ließ Walter zur gleichen Zeit, als Wilhelm II. sein großes Bauvorhaben in Monreale verwirklichte, sehr aufwendige Um- und Neubauarbeiten an der Kathe­ drale von Palermo ausführen, was als Selbstbehauptung des palermitanischen Sitzes gegenüber Monreale angesehen wurde.²²⁸ Walter blieb auch politisch aktiv, beispiels­ weise als er sich für die Eheschließung zwischen Konstanze, der Tochter Rogers II., und Kaiser Heinrich VI. einsetzte, obwohl diese Verbindung in Sizilien Kritik auslöste. Auch weigerte sich Walter später zunächst, die Krönung Tankreds von Lecce durchzuführen, musste sich schließlich aber fügen und die erfolgte Wahl zum König anerkennen.²²⁹ Nach seinem Tod wurde Tankred in der palermitanischen Kathedrale bestattet, und auch Konstanze knüpfte wieder an die Tradition der Grablege in Palermo an, als sie anordnete, ihren Mann Heinrich VI. und später sich selbst dort beisetzen zu lassen. Auch Friedrich II. hielt trotz langer Abwesenheit aus seiner sizilischen Hauptstadt an der durch Roger II. begründeten Tradition der Grablege fest²³⁰ und hegte Zeit seines Lebens eine enge Verbindung zu den Erzbischöfen der sizilischen Hauptstadt. Der Erz­ bischof Berard, der ein enger Vertrauter Friedrichs II. war, übernahm ab den 1230er Jahren sogar die Funktion des Regenten in der Abwesenheit des sizilischen Königs.²³¹

3.3.3 Viridaria und Gartenpaläste: Besitz im Hinterland Palermos Auch im Umland der königlichen Hauptstadt zeichneten sich Machtverschiebungen zugunsten kirchlicher Institutionen während der Herrschaft der beiden Wilhelme ab. Roger II. hatte laut Romuald von Salerno in der späteren Phase seines Lebens vor den Mauern der Stadt den Bau eines vivarium veranlasst und ließ es mit verschiedenen Fischarten ausstatten. Das vivarium lag in einem Gebiet namens Fabara, wo auch ein

226 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 165; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 324. 227 Deér sah darin den Versuch des Königs, sich von seinem ehemaligen Erzieher, dem nunmehr mächtigen Erzbischof Walter von Palermo, zu lösen. Zur Grablege vgl. prinzipiell D e é r, Tombs, sowie P o e s c h ke, Regum; zum Grabmal in Monreale vgl. auch D i S t e f a n o, Monumenti, S. 65–69; zum span­ nungsreichen Verhältnis vgl. auch S c h l i c h t e, König Wilhelm II., S. 293‒202, 311‒313, 228 S c h l i c h t e, König Wilhelm II., S. 220 f. 229 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, S. 53; R i c h a r d v o n S a n G e r m a n o, Chronik, hg. von G a r u f i, S. 5 f. 230 Dazu vgl. K a m e n z i n, Tode, S. 416‒419, 443‒448. 231 E n g l, Verdrängte Kultur, S. 96

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schöner Palast („palatium“) errichtet wurde.²³² Außerdem habe der König einen großen Park anlegen lassen, in welchem unterschiedliche Bäume wuchsen und Tiere gehalten wurden und wo ein weiterer Palast erbaut wurde. Die beiden Anlagen eröffneten sich im Süden Palermos einerseits sowie im westlichen Hinterland andererseits. Der bekannteste dieser extraurbanen, rogerianischen Gartenpaläste ist die Fava­ ra, die heute auch Castello di Maredolce genannt wird.²³³ Der Palast Rogers II. lag, so Romuald, an einer Süßwasserquelle, welche das auf Geheiß des Königs angelegte Fischbecken durchströmte.²³⁴ Zurück geht das Toponym Fabara oder Favara auf zwei Wasserquellen, die unter muslimischer Herrschaft bekannt waren als die große und die ihr entspringende kleine fawwāra.²³⁵ Sie machten das Gebiet fruchtbar und waren, wie Ibn Ḥawqal festhielt, von großer Bedeutung für die Wasserversorgung der Stadt.²³⁶ Wie bereits erwähnt, existierten Baustrukturen der Favara­Anlage mit Sicherheit schon in kalbidischer Zeit. Diese Vermutung äußerten bereits Michele Amari und Vin­ cenzo di Giovanni; auch Hans­Rudolf Meier konnte eine zweiphasige Baunaht des Gebäu­ des feststellen, was auf die Integration eines Vorgängerbaus deuten dürfte.²³⁷ Jeremy Johns hingegen hatte eine Kontinuität solcher Architektur aus der Zeit muslimischer Herrschaft in und um Palermo zunächst grundlegend abgelehnt.²³⁸ Neuere archäologi­ sche Untersuchungen konnten aber belegen, dass die Favara­Anlage sogar auf spätanti­ ken Fundamenten ruht und vielleicht den befestigten Sitz eines latifundium darstellte.²³⁹ Offen bleibt, was mit der Anlage nach dem Ende der muslimischen Herrschaft bis zur Zeit Rogers II. geschehen war. Anders gesagt, wie stark die kalbidischen Strukturen verfallen waren, kann derzeit nicht festgestellt werden. Unklar ist außerdem, welche genauen Funktionen die Anlage in den verschiedenen Phasen ihrer Nutzung erfüllte. Wahrschein­ lich war sie mehr als nur ein Ort der Ruhe, Muße und Repräsentation. Zum einen dürfte sie auch für diplomatische Unterredungen genutzt worden sein,²⁴⁰ zum anderen könnte

232 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 232; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 87; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 192. Zum Palast Menani vgl. G o l d ­ s c h m i d t, Königspaläste, hier S. 563–569. Ibn Ǧubayr schreibt, die zahlreichen Paläste des Königs wür­ den die Stadt säumen wie Perlen den Hals einer jungen Frau; I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 332. Zu den Gartenanlagen Palermos vgl. B r e s c, Jardins, S. 52–66. 233 Von diesem berichtete auch der jüdische Reisende Benjamin von Tudela, der ausführlich über die dortigen Gärten und Wasseranlagen spricht; vgl. B e ny a m i n m i - T u d e l a, Sefer ha-massaʿot, hg. von Ad l e r, S. 108 f. (hebr.), 78 f. (engl.). 234 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 235. 235 I b n Ḥ a w q a l, Ṣūrat al-arḍ, hg. von D e G o e j e, überarb. von K ra m e r s, S. 123 f. 236 Ebd. 237 M e i e r, Königspaläste, S. 54–60. 238 J o h n s, Arabic Administration, S. 266, 270, 286 239 Dazu D e S i m o n e, Enigma, S. 74 mit Anm. 1. 240 Laut Romuald von Salerno war der Palast zu einem Zeitpunkt nach der Ermordung Maios Ort der Verhandlungen mit Bonellus; R o m u a l d v o n S a l e r n o Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 248.

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ihr auch handfeste Bedeutung bei der Bestellung des umliegenden Landes zugekommen sein. Letzteres geht aus einem arabischen Dokument von 1180 hervor. In dieser im Ar­ chivio Diocesano di Palermo überlieferten Privaturkunde wird das Territorium um die Favara beschrieben und als reich an Zuckerrohr, Schilf, zu kanalisierendem und sprudelndem Wasser hervorgehoben.²⁴¹ Weiter wird angeführt, dass hier fruchtbare Grundstücke und Gärten lagen. Auch lässt sich aus dem Dokument herauslesen, dass offenbar (noch) einige Mitglieder der muslimischen Elite Besitz im Umland der Quelle hatten. Genauer gesagt tauchen hier ein šayḫ aus dem banū Tamīm, einem alten zen­ tralarabischen Stamm, und ein šayḫ mit den Beinamen al-muqriʾ und al-ḥāǧǧ, was einen Rezitator (des Koran) und einen nach Mekka gepilgerten Muslim bezeichnet, auf. Mit dieser Urkunde gaben sie jedoch ihren Besitz auf, der von keinem Geringeren als dem Erzbischof Walter von Palermo abgekauft wurde.²⁴² Dieser erstand nun aber nicht nur das Land, das sich die beiden muslimischen Verkäufer zuvor offenbar geteilt hatten (ggf. auch mit weiteren Personen), sondern auch die dazugehörigen Wasser­ quellen, nämlich eine Quelle namens ʿayn al-Abrārī, zwei Kanäle und auch al-fawwāra al-kabīra selbst werden nun als sein Besitz gelistet.²⁴³ Wahrscheinlich reihte sich diese Transaktion in eine längere Entwicklung ein, bei der Angehörige der muslimischen Elite ihren Besitz aufgaben oder aufgeben mussten, und dieser dann von hochrangigen Latein­Christen, insbesondere von Vertretern der Kirche, aufgekauft und vor allem gebündelt wurde. Die Rolle des Erzbischofs tritt dabei schon einige Jahre zuvor zum Vorschein, und zwar im Zusammenhang mit dem zweiten von Romuald genannten Palast mit Parkanlage, der von Roger II. errichtet worden sei, und mit dem sogenannten Castello Menani in Verbindung gebracht wird, das wiederum mit dem Castello dell’Uscibene oder Scibene / Xibene übereinzustimmen scheint. In der Nähe der Berge, welche die Hauptstadt begrenzen, habe der König laut Romuald einen Park angelegt, diesen mit einer Mauer versehen und darin einen Palast errichtet.²⁴⁴ Zu verorten ist Uscibene knapp zweieinhalb Kilometer hinter dem königlichen Stadtpalast in Richtung Monreale. Die Bedeutung des Toponyms Menani ist nicht eindeutig, aber bezeichnet offenbar auch die am Ort entspringende Wasserquelle al-Manānī, wie ein arabisch­islamisches Rechtsdokument von 526/1132 nahelegt.²⁴⁵ Urkundlich belegt ist das Gebiet um das Kastell im 12. Jahrhundert auch als casale Bayda. Dieses Toponym wurde schon von Ibn Ḥawqal erwähnt, und zwar als ein Dorf namens Bāyḍāʾ, das in der sogenannten Ebene von ʿAbbās lag. Bauhistorische Studien

241 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 135, S. 39‒43; J o h n s, Arabic Administration, App. 2, Nr. 18, S. 320 f.; Pa­ lermo, Archivio Diocesano, Nr. 20. 242 Vgl. dazu auch D e S i m o n e, Enigma, S. 81 f. 243 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 135, S. 40. 244 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 235. 245 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 43, S. 6–12, mehrfache Nennung der Quelle u. a. S. 7.

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haben die Möglichkeit erwogen, dass auch der Kern des Palastes von Uscibene noch Substanz aus der Zeit muslimischer Herrschaft aufweist. Vermutet wurde weiter, dass der Ort damals im Besitz von muslimischen Militäreliten war.²⁴⁶ Was mit diesen Struk­ turen nach dem Ende der muslimischen Herrschaft geschah, liegt wieder im Dunkeln. Erst unter der königlichen Herrschaft Rogers II. wurde hier der kleine Gartenpalast errichtet, der, wie auch die Favara, Bauweisen aufzeigt, die ihn mit architektonischen Stilen und Charakteristika des muslimisch beherrschten Mittelmeerraumes in Verbin­ dung setzt.²⁴⁷ 1177 wurde Bayda durch Wilhelm II. allerdings an Erzbischof Walter von Palermo vermacht, weil dem palermitanischen Stuhl durch die Errichtung und Ausstat­ tung Monreales Besitzungen bei Corleone und anderswo abhandengekommen waren. Um ihn für diese Verluste zu entschädigen, vermachte ihm Wilhelm II. u.a. Bayda. Dies könnte für die Könige Siziliens allerdings nicht nur den Wegfall einer ihrer reprä­ sentativsten Paläste bedeutet haben. Vielmehr waren damit auch nicht unbedeutende Besitzrechte verbunden, und zwar ebenfalls in einem Bereich, der durch die dortigen Wasserquellen besonders fruchtbar und somit wertvoll war. Anzunehmen ist, dass sich Walter des Nutzens und der Bedeutung dieses Landes wohl im Klaren war, denn die Urkunde besagt, dass er gezielt dieses Land erbeten hatte („ad petitionem et electionem“).²⁴⁸ Spätestens im Laufe des späteren 12. Jahrhunderts wurden hier dann Systeme von Wasserkanälen eingerichtet bzw. wieder in Betrieb genommen oder weiter ausgebaut, sogenannte qanāt (die frühesten qanāt in diesem Bereich sollen auf die Phase muslimischer Herrschaft datieren) mit denen Wasser von Bayda aus weiter zur Stadt transportiert wurde und gegen Abgaben genutzt werden konnte.²⁴⁹ Dennoch wurde das Abtreten des Gebiets in Bayda bis dato als wenig rele­ vant erachtet ebenso wie das Aufkaufen von Territorien im Bereich der Favara. Dies könnte daran liegen, dass sich im Hinterland des Palastes der königliche Park, später als viridarium Geonard (von arab. ǧannat al-arḍ) bekannt, erstreckte und dort unter Herrschaft der beiden Wilhelme weitere Paläste und Pavillons entstanden: die Zisa, Cuba und Cubana (siehe Karte 6 im Anhang), für die jedoch keine älteren Strukturen nachgewiesen werden können. Diese Gartenpaläste waren ihrer Architektur nach eng an Baustile angelehnt, die in Nordafrika zu finden sind.²⁵⁰ Dies trifft zumal auf die Zisa (arab. al-ʿAzīz) zu, die den bekanntesten und am besten erhaltenen Gartenpalast darstellt und unter Wil­ helm I. begonnen und unter seinem Sohn vollendet wurde.²⁵¹ Von der Forschung wur­

246 K a t z, Changing Mosaic, S. 169 f., 173 f. 247 Ebd., S. 186. 248 Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 92, hier S. 3. 249 To d a r o, Qanāt; To d a r o / M a ff e t t o n e, Water Collection, S. 1666 f. 250 Vgl. grundlegend, insbes. zur Zisa, S t a a c ke, La Zisa; d i e s ., Die Zisa. 251 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 87; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 192; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 252 f.

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den diese Anlagen v. a. im Hinblick auf architektonische Vorbilder untersucht oder hinsichtlich ihrer repräsentativen Bedeutung ausgewertet.²⁵² Jeremy Johns hat beson­ ders die Importe aus der islamischen Sphäre mit ihrer Palastarchitektur hervorgeho­ ben und die arabischsprachigen Inschriften an den Gebäuden mit ihren herrscher­ lichen Titulaturen untersucht, wobei er Parallelen zu den fatimidischen Kalifen in Kairo gezogen hat.²⁵³ Dana Katz hingegen schlug vor, die Paläste im Hinterland Pa­ lermos als mediterrane Elitenarchitektur zu identifizieren, die eine lange Tradition hatten und nicht explizit bzw. exklusiv muslimischen Herrschaftseliten zugeschrieben werden können.²⁵⁴ Bedeutend scheint darüber hinaus, den Fokus weg von den rein repräsentativen Aspekten der Gartenpaläste zu lenken. Das ermöglicht es, weniger nach Import zeit­ genössischer Stile als nach lokalen Traditionen und Praktiken der Raumnutzung zu fragen und damit danach, welche Rolle die Gartenanlagen und insbesondere die sie durchziehenden Wasserquellen für die Versorgung und den Reichtum der Hauptstadt spielten.²⁵⁵ Unter diesem Aspekt gesehen zeichnen sich im Hinterland der sizilischen Hauptstadt in der zweiten Häfte des 12. Jahrhunderts nämlich ganz bedeutende Ver­ schiebungen ab, die den Austausch palermitanischer Eliten greifbar machen. Dieser wiederum zeigte sich in einer stark geförderten Einflussnahme kirchlicher und mo­ nastischer Einrichtungen. Gerade die bereits erwähnte Abtei von SS. Trinità sowie die von Erzbischof Walter bedachte Zisterziensterabtei S. Spirito treten so am Übergang zum 13. Jahrhundert als die größten Besitzer der Gärten, Quellen und Ländereien im Umland Palermos auf.²⁵⁶

3.4 Stadt von innen: Sozialtopographie und Gentrifizierung 3.4.1 Die Viertel vor den alten Mauern: zwischen Vielfalt und Segregation Das Kemonia­Viertel Die Gebiete der Stadt, die außerhalb der alten Mauern Palermos lagen, tauchen nur wenig in den erzählenden Quellen auf und werden dabei kaum mit spezifischen Er­

252 Vgl. U n g r u h, Gartenpaläste; außerdem G o l d s c h m i d t, Königspaläste, S. 578; G o l v i n, Palais, S. 58 f., 63. 253 Vgl. J o h n s, Norman Kings. 254 K a t z, Changing Mosaic, S. 186. 255 Keith Buhagiar hat die Notwendigkeit der viridaria für die landwirtschaftliche Versorgung für den Fall von Malta aufgearbeitet; vgl. B u h a g i a r, Malta. Ähnliches müsste auch für die Gärten Palermos ge­ leistet werden, als Grundlage können dienen To d a r o, Utilizzazioni; B i a n c o n e / T u s a, Qanāt; B a r b e ra, Rivoluzione; T ra m o n t a n a, Mulini; B r e s c / D i S a l v o (Hg.), Mulini; T ra m o n t a n a, Regno. 256 Zu den Gärten Palermos vom 13.‒15. Jahrhundert vgl. B r e s c, Jardins.

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eignissen oder Personen(gruppen) in Verbindung gebracht. Al-Idrīsī fasst in seiner Beschreibung der sizilischen Hauptstadt, die überwiegend schematisch und formel­ haft bleibt, alle Viertel, die um den alten Stadtkern (al-qaṣr) gruppiert waren, als ribāṭ bzw. als Vorstadt zusammen, die von Mauern umschlossen war.²⁵⁷ Ribāṭ würde dem­ nach die ehemaligen Viertel ḥārat al-masǧid Ibn Saqlab, ḥārat al-Yahūd und ḥārat al-Ǧadīda im Süden sowie ḥārat al-Ṣaqāliba im Norden einschließen. Im Gegensatz zu den Toponymen des muslimisch beherrschten Palermos ist die Bezeichnung ribāt unspezifisch und beinhaltet keine Aussagekraft für sozialtopographische Fragen. Das obere südliche Viertel, das sich außerhalb der inneren Mauern und noch ganz in der Nähe des Palastes befand, war das Quartier, das nach dem Fluss Kemonia be­ nannt war und heute Teil von Albergheria ist. Auf der Höhe des Palastes gelegen findet sich dort eine bedeutende lateinische Stiftung Rogers II., die eines der wohlhabendsten Klöster Siziliens wurde.²⁵⁸ Besiedelt von Benediktinern aus Vercelli, war es dem Evange­ listen Johannes zugedacht, ist aber unter dem Namen S. Giovanni degli Eremiti bekannt geworden. In einem Diplom von 1148, das frühere Privilegien für das genannte Kloster erweitern soll, mittlerweile aber als Fälschung gilt,²⁵⁹ wurden dem Kloster Freiheiten im Hafen und einige Ländereien zugesprochen. Der Abt wurde darin außerdem als Be­ rater und Vertrauter des Königs bezeichnet und zum königlichen Kaplan („precipuus capellanus noster“) sowie zum Vorsteher aller anderen Prälaten des Reiches gemacht. An hohen Feiertagen sollte er die Lesung in der Palastkapelle übernehmen,²⁶⁰ womit eine enge Nähebeziehung zwischen der Abtei und dem Hof unterstrichen worden wäre. Lange wurde angenommen, dass das Kloster an der Stelle einer ehemaligen Mo­ schee errichtet wurde und Teile dieses Vorgängerbaus einschloss.²⁶¹ Mittlerweile aber konnte gezeigt werden, dass es sich bei der sogenannten „Sala araba“ nicht etwa um Strukturen aus der Zeit muslimischer Herrschaft handelt, sondern um eine Bauphase der Grafenzeit.²⁶² Dieser Befund dürfte den Willen anzeigen, früh in der Nähe des herrscherlichen Hauptortes der überwiegend muslimisch und griechisch­christlich ge­ prägten Stadt eine lateinische Institution zu errichten. Die Wahl des Ortes nahe dem Palast könnte, so Elena Pezzini, daher rühren, dass das Kloster bei Bedarf von dort aus militärisch geschützt werden könnte. Eine weitere Rolle könnte dabei gespielt haben, dass auf dieser Stadtseite auch schon ein Cluster griechischer Institutionen bestand und es sinnvoll erschien, diesen zu stärken bzw. neue Stiftungen in diesem bereits stärker christianisierten Bereich vorzunehmen.²⁶³ Auch wird angenommen, dass die aus der

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A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 591 f. Zur Gründung vgl. To r r e g r o s s a, Il complesso monastico; d i e s ., Il chiostro, bes. S. 25‒38. Rogerii II. diplomata, hg. von B r ü h l , Nr. †76, S. 171‒177; d e r s ., Gründungsprivileg. Vgl. G e i s, Hofkapelle, S. 72; B r ü h l, Gründungsprivileg, S. 271 f. Diese Annahme geht zurück auf P a t r i c o l o, Il monumento. D a i d o n e, Sala araba. P e z z i n i, Palermo, S. 216 f.

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Zeit Gregors des Großen belegte Kirche von S. Ermete in unmittelbarer Umgebung von S. Giovanni lokalisiert war.²⁶⁴ Gewissermaßen gerahmt wurde das lateinische Kloster während der normannisch­königlichen Herrschaft zudem von zwei neueren griechi­ schen Einrichtungen, nämlich den Kirchen S. Giorgio zur Außenmauer und S. Andrea (di Bebbene) zum Palast hin gelegen. Über S. Andrea ist aus einer lateinisch­arabischen Privaturkunde des Jahres 1187 bekannt, dass die Kirche über einen Friedhof verfügte, auf dem hochrangige Personen des Hofes bestattet werden konnten; außerdem war sie im Besitz eines viridarium, der am Kemonia gelegen zu haben scheint.²⁶⁵ Aus demselben Dokument geht außerdem hervor, dass ein königlicher Verwalter, genauer gesagt ein qāʾid und Kämmerer des Königs namens Johannes, zwei zu S. Andrea gehörige Grundstücke seines Bruders Nife (von griech. Νέφος/Nefos) mietete, um dort einen Stall und eine Heuscheuer zu errich­ ten. Das Land erhielt Johannes auf Lebenszeit. Das Kapitel der Palastkapelle stimmte der Transaktion zu, da diese nämlich die Jurisdiktion über S. Andrea ausübte.²⁶⁶ Außer­ dem taucht hier auch der gaytus Richard als dominus des Johannes auf, der als solcher ebenfalls sein Placet gab. Interessant ist dieses Dokument nicht nur, weil es Auskunft über die Besitzungen der Kirchen sowie über ihre Abhängigkeitsverhältnisse gibt, son­ dern auch, weil es einer von mehreren Belegen ist, die anzeigen, dass hochrangige Palastadministratoren aus der Gruppe der gayti Besitz im Kemonia hatten. So ist auch für den gaytus Martin bekannt, dass er hier ein Haus mit Garten besessen hatte, das 1176 – wohl nach seinem Tod – dem Kloster S. Maria Nuova in Monreale vermacht wurde.²⁶⁷ Dies lässt vermuten, dass das Land der königlichen Kurie gehört hatte oder auf andere Weise nach Ableben des Martin an die Kurie gekommen war. Auch der gaytus Peter hatte sich, wie Hugo Falcandus berichtet, einen „neuen Palast im Kemonia errichtet“,²⁶⁸ aber es ist unklar, was mit diesem geschah, nachdem sich Peter zu den Almohaden abgesetzt hatte.²⁶⁹ Anzunehmen wäre, dass auch hier die Kurie entweder ohnehin im Besitz des Landes gewesen war und Peter es nur auf Zeit erhalten hatte oder dass die Kurie sich den Besitz nun (wieder) aneignete. Auch vom gaytus Richard weiß man, dass er im Kemonia­Viertel Land im Jahr 1187 erwarb, und zwar vom Erzbischof und dem Kapitel der Kathedrale. Das Land wird als verlassen und verwahrlost beschrieben.²⁷⁰ Interessant ist für das palastnahe Kemonia­

264 Italia Pontificia, hg. von G i r g e n s o h n, Bd. 10, S. 236‒238; W h i t e, Latin Monasticism, S. 123‒130; B o ­ n a c a s a C a r ra, Palermo palaeocristiana, S. 39‒41. 265 Palermo, Cap. Pal. Nr. 19; Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 155, S. 83‒85; J o h n s, Arabic Administration, App. 2, Nr. 23, S. 322. 266 Palermo, Cap. Pal. Nr. 2; Tabularium, hg. von G a r o f a l o, Nr. 2, S. 7 (1132). 267 Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Nr. 89, S. 7; Catalogo, hg. von G a r u f i, Nr. 15, S. 11 f. 268 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 99; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 212. 269 Zu den Hintergründen vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 222‒228. 270 Documenti inediti, hg. von G a r u f i, Nr. 88, S. 214‒216.

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Quartier insgesamt, dass sich die Grundstücke in diesem Bereich durch Fruchtbarkeit (Gärten und Zugang zu Wasser) auszeichneten. Anzunehmen ist außerdem, dass sich mehrere Ländereien hier in herrscherlichem Besitz befanden, die wohl zumindest zeitweise Günstlingen des Hofes gehörten oder in Form von Schenkungen dauerhaft an kirchliche Institutionen übertragen wurden. Rund 800 Meter in Richtung Hafen gelegen findet sich dann ein Cluster an überwie­ gend griechischen Kirchen, die zum Teil ein Weiterbestehen oder Wiederaufnehmen von Kirchen aus der Zeit vor der muslimischen Herrschaft dokumentieren, nämlich S. Michele, S. Maria della Grotta, SS. Quaranta Martiri, außerdem die Grotten von S. Pa­ rasceve, S. Pancrazio sowie S. Lorenzo de Indulcis und S. Nicola.²⁷¹ Auf der Grundlage der relativ mageren Urkundenüberlieferung für diese Kirchen lässt sich die Beobach­ tung machen, dass offenbar griechische und arabische Christen mit diesen Einrichtun­ gen in Verbindung zu bringen sind,²⁷² was zu der Annahme beiträgt, dass Muslime, die zum Christentum konvertierten, tendenziell eher dazu neigten dieses nach dem grie­ chischen Ritus anzunehmen.²⁷³ Wieder rund 800 Meter weiter wurde die lateinische Kirche SS.Trinità nahe der porta Thermarum gegründet. Belegt ist die Kirche aktuel­ len Erkenntnissen zufolge schon 1174,²⁷⁴ in den 1190er Jahren wurde sie vom Kanzler Mattheus von Salerno zu einer Zisterzienserabtei gemacht.²⁷⁵ Wie bereits gezeigt wurde, dehnte die SS. Trinità ihre Besitzungen besonders an die fruchtbaren Ufer des Oreto aus, doch wurden ihr hier und da auch bedeutende Grundstücke in anderen Teilen der Stadt vermacht.²⁷⁶ Im „Tabularium“ der SS. Trinità lassen sich außerdem mehrere Urkunden finden, die ebenfalls arabische und griechi­ sche Christen mit ihren Besitzungen dokumentieren.²⁷⁷ Giuseppe Mandalà konnte hier beispielsweise eine arabisch­christliche Familie ausmachen, die spätestens seit dem mittleren 12. Jahrhundert auf Marmorarbeit spezialisiert²⁷⁸ und vielleicht an der Aus­ stattung der pre­Cosmaten­Böden in Palermos Kirchen beteiligt war.²⁷⁹ Im Andenken an seine Eltern und seinen Bruder vermachte ein Constantinus im Jahr 1202 sein ganzes Hab und Gut an die Abtei der Trinità, darunter eine „domus magna“ aus dem Famili­

271 D e n a r o / V i t a l e, Restauro, S. 366‒371; P e z z i n i, Palermo, S. 217 f. 272 Vgl. beispielsweise Diplomi, hg. von C u s a, S. 672 f. im Jahr 1192; außerdem v o n Fa l ke n h a u s e n, Griechische Gemeinden, S. 43 f. 273 Dazu v. a. J o h n s, Greek Church. 274 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, S. 5‒11, hier bes. S. 5‒7; M a n d a l à, Una famiglia, S. 204‒211. 275 Unter Heinrich VI. kommt es 1197 an den Deutschen Orden; W h i t e, Latin Monasticism, S. 276–278. Guillelmi II. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, S. 24. 276 Vgl. D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 2, S. 4‒6. 277 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 7, S. 24, TM 2; Nr. 8, S. 25, TM 3. 278 M a n d a l à, Una famiglia, S. 200‒203. 279 D i L i b e r t o, Architecture, S. 173.

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enbesitz der „marmorari“ in der südlichen Vorstadt Palermos, genauer gesagt, in der contrata St. Agathe sowie ein weiteres Haus an der Stadtgrenze.²⁸⁰

Das Ideisini-Viertel Im Bereich zwischen dem Cluster griechischer Kirchen und der SS. Trinità hin zu den inneren Stadtmauern gelegen dehnte sich ein Viertel aus, das lange einen Schwer­ punkt jüdischen Lebens gebildet hatte. Hier verortete Ibn Ḥawqal das Judenviertel (arab. ḥarā al-Yahūd). Man vermutet, dass innerhalb dieses Bereiches, der sich von bāb al-Ḥadīd an der inneren Stadtmauer gen porta Thermarum erstreckte, mindestens eine Synagoge lag. Da es Juden und Christen nach islamischen Recht nicht gestattet war, neue Synagogen oder Kirchen zu errichten,²⁸¹ wäre davon auszugehen, dass die Synagoge(n), die unter muslimischer Herrschaft in Palermo existierte(n), schon vor der Eroberung durch die Muslime bestanden hatte(n). Das Judenviertel vor den südlichen Mauern mit Synagoge und weiteren Einrichtungen, die für das Leben in der jüdischen Gemeinschaft notwendig sind (rituelles Bad, Schlachthaus), blieben in Palermo erhal­ ten, bis die Juden zwischen 1492 und 1493 gezwungen wurden, Sizilien zu verlassen und ihre Besitztümer aufzugeben.²⁸² Unter dem Toponym Aljama seu muschita wurde die Synagoge dann aufgekauft. Später wurde sie abgerissen. Im modernen Stadtbild verortet man sie zwischen der Kirche S. Nicolò da Tolentino und dem Archivio Storico Comunale di Palermo.²⁸³ Ohne eine Verbindung zu den Juden Palermos herzustellen, beschreibt Tommaso Fazello das Viertel ein paar Jahrzehnte nach ihrer Vertreibung, indem er erklärt, dass dieser Bezirk der Stadt bei den „Sarazenen“ „Deisin“ geheißen habe und heute „Divisi“ genannt werde.²⁸⁴ Mandalà hat Caracausi folgend vorgeschlagen, dass sich das Wort vom Arabischen al-dayyās ableite, was eine Person bezeichnet, die mit dīs bzw. Diss, einer Art der Ampelodesmos oder Süßgräser, arbeitet bzw. diese verarbeitet.²⁸⁵ Das Toponym taucht erstmals in einer Urkunde von 1184 auf, die fälschlicherweise meist als Dokument von 1094 angesehen wurde.²⁸⁶ Darin vermacht ein gewisser Eugenius Cali (von griech. Ευγένιος του καλού / Eugenios tou Kalou), der auch mit dem arabischen Namen Abū l-Ṭayyib belegt ist,²⁸⁷ ein Grundstück zur landwirtschaftlichen Nutzung an das Kloster S. Maria della Grotta. Lokalisiert wird dieses zunächst „in loco appellato

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Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 21, S. 31 f., TM 13. Vgl. dazu Wa r d, Construction, insbes. S. 286‒317. Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n, Kap. 20 „The Expulsion“, S. 504‒558. L a g u m i n a, Giudaiche, S. 16 f.; B a s i l e, Moschita, S. 185‒193; Ve r g a ra, Contrada, S. 45‒57. Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 183. Ebd. sowie M a n d a l à, Jews, S. 477. Documenti inediti, hg. von G a r u f i, Nr. 79, S. 195 f.; C a ra c a u s i, Arabismi, Nr. 103, S. 209 f. J o h n s, Arabic Administration, S. 170 f.

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Phachaer iuxta Judeorum Sinagogam“, wobei sich Phachaer auf eine Töpferwerkstätte (von arab. faḫār, Töpferer) bezieht.²⁸⁸ Genannt wird außerdem ein fondacus für Öl. Zudem ist festgehalten, dass die Synagoge unmittelbar am Fluss (Kemonia) gelegen gewesen sei. Als Ausstellungsort wird das Viertel benannt als „regio Deesin Degesim hodie divisi“.²⁸⁹ Di Giovanni geht davon aus, dass Deesim / Deesin und Degesim austauschbar ver­ wendet wurden²⁹⁰ und vermutlich von dayyāsīn abgeleitet waren.²⁹¹ Nicht zu verwech­ seln ist dieses Toponym mit dem Flüsschen al-dayyāsīn al-kibār, das sich jenseits des Papireto auf der anderen Stadtseite befand und an dessen Ufern womöglich Süßgräser wuchsen.²⁹² Ein Deesin sehr ähnlicher Begriff taucht auch in der Miniatur des Petrus von Eboli auf, welche die um den Tod König Wilhelms II. trauernde Stadt Palermo dar­ stellt (siehe Schluss Kap. 1, Abb. 17). Hier wird ein Viertel auf der linken Stadtseite, die den Süden Palermos meinen würde, als Ideisini bezeichnet. Die dort verortete Bevöl­ kerung trägt spezifische Kopfbedeckungen, mit welchen die Personen von Lateinern und Muslimen in anderen Viertel abgehoben werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass damit Juden gemeint sein sollen. Die Bezeichnung Divisi, die bis heute auch den Namen einer langen, gebogenen Straße in dieser Gegend bildet, könnte sich entwe­ der als phonetisches Missverständnis erklären oder aber damit, dass so die Trennung zwischen den Juden und anderen Quartieren beschrieben wurde, wobei eine strikte Separation zwischen den Bewohnern nicht zu belegen ist.²⁹³ Die Größe der jüdischen Gemeinde Palermos wurde unter der Herrschaft Wil­ helms II. von Benjamin von Tudela auf 1500 geschätzt,²⁹⁴ eine Zahl, die um das dreibis vierfache multipliziert werden müsste, weil sie Familien und nicht Individuen be­ ziffern dürfte.²⁹⁵ Dabei ist davon auszugehen, dass Juden keineswegs nur im IdeisiniViertel lebten, sondern auch an verschiedenen anderen Stellen in der Stadt aktiv wa­ ren. Mehrere Urkunden seit der späten Normannenzeit lassen dabei vermuten, dass Juden gerade auch innerhalb der Mauern und, so Mandalà, in relativer Nähe zum Galka­Distrikt lebten.²⁹⁶ Anzunehmen ist weiter, dass einige der schon in den Geniza­

288 Documenti inediti, hg. von G a r u f i, Nr. 79, hier S. 195; vgl. dazu auch D e S i m o n e, Palermo nei geo­ grafi, S. 174 mit Anm. 198. 289 Ebd., S. 196. 290 D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 2, S. 108 mit Anm. 4. 291 C a ra c a u s i, Arabismi, Nr. 103, S. 209 f. 292 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 99. 293 C o l u m b a, Palermo, S. 400; D ’A n g e l o, La città di Palermo, S. 14; D e S i m o n e, Palermo nei geografi, S. 138‒145. 294 B e ny a m i n m i - T u d e l a, Sefer ha-massaʿot, hg. von Ad l e r, S. 108 f. (hebr.), 78 f. (engl.). 295 M a n d a l à, Jews, S. 447 mit Anm. 48. 296 Ders., S. 477. 1312 wurden die Juden von Friedrich III. aus der Innenstadt verbannt: Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n (Hg.), Bd. 2, Nr. 341, S. 617‒619 (1312). Gleichwohl sind Juden wenige Jahre später wieder vielfach dort nachweisbar; vgl. ebd.

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Dokumenten belegten, wirtschaftlich relevanten Einrichtungen wie Warenhäuser und Herbergen weiterexistierten.²⁹⁷ Insgesamt ist aber festzustellen, dass die Juden des normannischen Palermos als Gruppe einer nicht geringen Bevölkerungszahl und von wichtiger Bedeutung für die wirtschaftliche Prosperität der Stadt in den Quellen auf­ fällig absent sind. In den überlieferten, mit der Herrschaft in Zusammenhang stehenden Dokumenten tauchen Juden im Wesentlichen nur dann auf, wenn ihre Abgabenpflicht festgehalten wird oder Autoritäten auf Anfragen jüdischer Stadtgemeinden reagierten.²⁹⁸ So wurden die Juden auf dem Land zusammen mit den Muslimen als abgabenpflichtige servi bald nach der Eroberung an kirchliche Institutionen übertragen.²⁹⁹ In Palermo vermachte Sikelgaita 1089 ein Sechstel der Judensteuer an den Erzbischof Alcherius, während sie sich selbst den Rest bis zu ihrem Lebensende vorbehielt.³⁰⁰ Unter der Herrschaft Friedrichs II. wurde 1211 dem Elekten von Palermo, Parisius, die ganze Judenschaft der Stadt überschrieben,³⁰¹ bevor die Juden nach 1236 zu „servi camere regie“ und mit all ihren Abgaben direkt dem König unterstellt wurden.³⁰² Nicht nur der rechtliche Status der Juden war unter christlicher Herrschaft er­ heblichem Wandel ausgesetzt. Auch die Aktivität der jüdischen Händler, die unter den Muslimen auf den Fernverkehr zwischen Sizilien, Ifrīqiya und Ägypten spezialisiert waren, hatte infolge der normannischen Eroberung Einbrüche zu verzeichnen, zumal sie im Laufe des 12. Jahrhunderts vermehrt mit den verschiedenen Gruppierungen lateinischer Handels­nationes konkurrierten.³⁰³ Nach der Vertreibung und Flucht der Muslime Palermos kam es erst unter Friedrich II. 1239 wieder zur Verstärkung der jü­ dischen Präsenz durch die Ansiedlung einer größeren Gruppe von Juden aus Garbum bzw. Djerba, in der Hoffnung, dass diese die Landwirtschaft im Hinterland aufrecht­ erhalten und die in Teilen verlassene Stadt besiedeln würden.³⁰⁴ Die Juden aus Garbum

297 G i l, Sicily, S. 146. 298 Eine Ausnahme ist ein Grundstückskauf durch den Juden Yaʿqūb b. Faḍlūn b. Ṣālih im Jahr 1161: Palermo, AdS, Santa Maria della Grotta, Nr. 2; Documenti, hg. von C u s a, Nr. 101, S. 622‒626; J o h n s, Ara­ bic Administration, App. 2, Nr. 35, S. 310 f.; Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n (Hg.), Bd. 1, Nr. 185, S. 418‒421. 299 Catania, Arch. Dioc., arabo­greco, Nr. 6; Documenti, hg. von C u s a, Nr. 77, S. 563‒585; J o h n s, Arabic Adminstration, App. 1, Nr. 21, S. 306; J o h n s, Arabic Administration, S. 51‒58. 300 Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n (Hg.), Bd. 1, Nr. 166, S. 387; Codice diplomatico, hg. von L a g u ­ m i n a, Bd. 1, Nr. 12, S. 9 f. 301 Urkunden Friedrichs II., Bd. 1: 1198‒1212, hg. von Ko c h, Nr. 140, S. 269‒272; außerdem Jews, hg. und übers. von S i m o n s o h n (Hg.), Bd. 1, Nr. 206, S. 444 f., Nr. 207, S. 446; Nr. 209, S. 447 f. 302 A b u l a f i a, Servitude. 303 N e f, Genizah cairote, bes. S. 279, 287. 304 P e r i, Uomini, S. 137; C o l a f e m m i n a, Federico II, S. 71; zu Palermos Bevölkerungsschwund, P e r i, Porti, S. 422‒469; T ra s e l l i, Populazione; Fo d a l e, Palermo; D i S t e f a n o, Palermo.

Stadt von innen: Sozialtopographie und Gentrifizierung



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bildeten von Beginn an eine eigene Gemeinschaft, die von den Juden Palermos unter­ schieden und mindestens über Jahrzehnte hinweg als distinkt angesehen wurde.³⁰⁵

Das (trans-)Papireto-Viertel Die nördliche Vorstadt Palermos wurde vom Fluss Papireto durchzogen. Zu diesem Viertel liegen besonders wenige Informationen vor, was unter anderem darauf zu­ rückzuführen sein dürfte, dass hier kaum religiöse Einrichtungen zu finden sind und es daher wenige urkundliche Belege für das Gebiet gibt. Unklar ist vor allem, wie der Bereich auf der Höhe des Palastes bzw. der Galka genutzt wurde und inwieweit dieser noch zum Palastdistrikt gehörte. Weiter unten gelegen, gerade außerhalb der alten Porta Sant’Agata und jenseits des Papireto, fand sich ab Mitte des 12. Jahrhunderts eine kleine Kirche, die dem heiligen Markus geweiht war. Sie wurde 1144 mit Erlaubnis Rogers II. von den Venezianern gegründet. Die entsprechende Urkunde erinnert dabei, dass es sich hier um eine alte griechische Kirche gehandelt haben soll, die von den „Sarazenen“ aufgelöst worden war³⁰⁶ und nun durch die Venezianer wieder in Besitz genommen werden dürfe.³⁰⁷ Die Kirche von S. Marco und die mit ihr in Zusammen­ hang stehenden Urkunden bilden die einzige Quellengrundlage über die Präsenz der Venezianer in Palermo und ihre von dort ausgeübten Aktivitäten in Djerba, Dalmatien und Ifrīqiya.³⁰⁸ Topographisch mutet ihr Platz an dieser Stelle in der Stadt seltsam isoliert an, da die anderen Handelsniederlassungen allesamt in Hafennähe zu finden waren. Ob dies auf die schwierigen Verhältnisse zwischen Venedig und den normannischen Königen zurückzuführen ist, kann nicht beantwortet werden. Unweit von S. Marco wurde näher an den inneren Stadtmauern gelegen später durch den Kanzler Mattheus von Salerno das Hospital Allerheiligen (Ognissanti) gegründet. Der Meister und die Brüder des Hospitals wurden, wie aus einer Bulle Papst Lucius’ III. (1181‒1185) hervorgeht, von Alexander III. (1159‒1181) unter päpstlichen Schutz gestellt. Diesen Status bestätigte Lucius III. zweifach.³⁰⁹ In den erzählenden Quellen tritt dieser Bereich Palermos nur im Kontext der be­ reits mehrfach erwähnten Unruhen von 1161 hervor. Während die Verschwörer hinter der Revolte damals zunächst die sogenannten Eunuchen im Palast und in der Stadt niedermetzelten, fand sich Hugo Falcandus zufolge derweil eine Menschenmenge von „homines etate, moribus genereque diversi“ zusammen, die sodann begann, die mus­

305 M a n d a l à, Jews, S. 448‒452. 306 S l e s s a r e v, Ecclesia, S. 177‒197. 307 A b u l a f i a, Two Italies, S. 433. 308 Ebd., S. 135 mit Anm. 21. 309 W h i t e, Latin Monasticism, S. 239; To o m a s p o e g, Templari, S. 129; vgl. außerdem RI IV,4,4,1, Nr. 228 (Mai 1182) und Nr. 478 (Februar 1183).

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limische Stadtbevölkerung im Cassaro­Viertel anzugreifen.³¹⁰ Romuald von Salerno spricht in diesem Kontext davon, dass ein Krieg (bellum) zwischen den Christen und den Muslimen der Stadt ausgebrochen sei, wobei letztere in großer Zahl getötet und vertrieben worden seien.³¹¹ Was genau das Interesse des Mobs war und was die schnelle Eskalation triggerte, wird nicht erklärt. Die Forschung hat diesen gewaltsamen Aus­ bruch anti­muslimischer Ressentiments häufig mit den normannischen Besitzungen in Ifrīqiya in Verbindung gebracht, die zu jener Zeit durch die Expansion der Almohaden verloren gingen.³¹² Für diese Niederlage, so die These, wurden die Muslime innerhalb Siziliens als mitverantwortlich angesehen bzw. unter Generalverdacht der möglichen Kollaboration mit den almohadischen Gegnern gestellt.³¹³ Hugo Falcandus erwähnt hingegen nicht die politischen Außenbeziehungen, son­ dern das Hab und Gut sowie die Tätigkeitsbereiche der Muslime des palermitanischen Stadtkerns: Attackiert wurden die Muslime demnach in ihren Läden und Häusern, während sie Ware verkauften oder anderen Arbeiten, wie dem explizit genannten Ein­ sammeln von Steuern, nachgingen.³¹⁴ Diese Beschreibung lässt zunächst einmal auf eine gehobenere Stellung jener Muslime schließen, die zumindest teilweise Funktionen für den Palast ausgeführt, aber auch im Zusammenhang mit Handel gestanden haben dürften. Sollte die räumliche Aufteilung der städtischen Märkte aus der Zeit muslimi­ scher Herrschaft noch eine Wirkung bis in normannisch­königliche Zeit gehabt haben, so wären im Cassaro­Viertel innerhalb der alten Stadtmauern insbesondere die Märkte und Geschäfte für die hochwertigeren Waren angesiedelt gewesen. Dass sich die Muslime dem Angriff nicht zur Wehr setzen konnten, wird damit be­ gründet, dass sie im Jahr zuvor ihre Waffen an die curia hatten aushändigen müssen.³¹⁵ Ob dies eine spezifisch die Muslime betreffende Maßnahme war, kann vermutet, aber nicht mit Sicherheit gesagt werden.³¹⁶ Jedenfalls wären sie in besonderer Weise damit vom Schutz der Herrschaft abhängig gewesen, die in diesem Moment fragil bzw. zusam­ mengebrochen war und keine Verteidigung leisten konnte. Unter diesen Umständen sei den Muslimen nur die Flucht geblieben. Sie hätten sich in das Gebiet trans Papireto

310 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 57; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 144. 311 R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 246 f. 312 Zu einem Abriss der Ereignisse vgl. M e t c a l f e, Muslims of Italy, Kap. 8. 313 Dazu bes. B i r k, Norman Kings, S. 210‒217. 314 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 57; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 146. 315 Ebd. 316 Erst die Konstitutionen Friedrichs II. verordnen ein allgemeines Waffenverbot und führen auch die verbotenen Waffen, die Strafen bei Nichteinhaltung sowie die vom Verbot ausgenommenen Personen­ gruppen auf. Zu letzteren gehören jegliche Bedienstete des Hofes, Ritter, deren Söhne und auch Bürger (lat. burgenses). Konstitutionen, hg. von S t ü r n e r, Const. 1, 10–15, S. 160–165.

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begeben, wo der Kampf zunächst weiter andauerte, bis es ihnen möglich war, sich dort zu verschanzen.³¹⁷ Das Gebiet jenseits des Flusses Papireto vor der alten Stadtmauer wurde anschlie­ ßend dauerhaft zu einem Schwerpunkt muslimischen Lebens in Palermo. Zum Ende der normannischen Zeit taucht das Viertel trans Papireto unter der Bezeichnung Sce­ rarchadium in der Miniatur Palermos bei Petrus von Eboli auf.³¹⁸ Scerarchadium leitet sich vom Arabischen šāriʿ l-qāḍī (Straße des Richters des islamischen Rechts) ab und legt nahe, dass die dortige Präsenz der entsprechenden islamischen Autorität namen­ gebend für das Quartier gewirkt hatte.³¹⁹

Das Hafenviertel und Seekastell Die Gegend rund um die Hafenbucht bis hin zur porta maris diente insbesondere dem Handel. Hier fanden sich Märkte, Warenhäuser und Handelsniederlassungen, die auch der Unterbringung von Reisenden dienten. In der „Epistola“ des Hugo Falcan­ dus wurde der Bereich vicus Amalfitanorum genannt und damit mit der am längsten in Palermo angesiedelten Gruppe lateinischer Händler in Verbindung gebracht.³²⁰ Ob­ wohl die Amalfitaner im Laufe des 12. Jahrhunderts an Einfluss im transmediterranen Mittelmeerhandel und nach ihrer Eingliederung in das Regnum Siciliae auch ihre Ei­ genständigkeit eingebüßt hatten,³²¹ lassen sich in der hafennahen Gegend Palermos mehrere Indizien für ihre anhaltende Aktivität ausmachen. Sie unterhielten dort eine eigene Kirche, die dem heiligen Andreas, dem Patron der amalfitanischen Kathedrale, geweiht war.³²² In zwei Dokumenten von 1172 und 1183 werden die Amalfitaner außer­ dem als organisierte Gruppe mit einem magister als Vorsteher fassbar.³²³ Wie bereits erwähnt, hatten auch die Pisaner und Genuesen in Palermo ihre Niederlassungen, und während angenommen wird, dass die einzelnen Handels­nationes zunächst relativ se­ pariert in spezifischen Straßen bzw. Gebäudekomplexen angesiedelt waren, wurde das Hafenviertel seit dem 13. Jahrhundert verstärkt zu einem ‚melting pot‘-Bezirk, in dem Identitäten und Zugehörigkeiten weniger klar voneinander abzugrenzen waren.³²⁴

317 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 57; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 146. 318 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, fol. 98r, S. 46 f. 319 Ebd., S. 44‒47. 320 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 183; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 321 C u o z z o, Fine. 322 C i t a r e l l a Commercio, S. 70; Handelskolonien in Kairouan, Mahdīya, Palermo, Messina, Syrakus, Durazzo, Konstantinopel, Alexandria, Fustat, Kairo et al. 323 S k i n n e r, Medieval Amalfi, S. 203. 324 To o m a s p o e g, Palermo, S. 107; B r e s c, Palermo, S. 258 f.

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Neben jüdischen und christlichen Händlern gab es weiterhin auch Muslime, die Han­ del in Palermo betrieben. Einige von ihnen hatten mindestens bis 1161 ihre Geschäfte noch in der palermitanischen Innenstadt. Andere vertrieben ihre Waren auf den Märk­ ten vor den inneren Stadttoren, wo die innerinsularen Handelswege zusammenliefen; einige dürften die Küsten Siziliens von Ifrīqiya aus angesteuert haben,³²⁵ was von isla­ mischen Rechtsautoritäten sehr kritisch bewertet und insbesondere beim Export von Weizen nach einigen Auffassungen untersagt war.³²⁶ Eine wichtige Infrastruktur für Händler, die noch aus der Zeit muslimischer Herrschaft in Palermo existierte, war der funduq (von griech. πανδοχεῖον / pandocheion), was eine Unterkunft für Reisende dar­ stellte, aber auch der Unterbringung von Waren diente.³²⁷ Auch Ibn Ǧubayr berichtet, dass er bei seinem Aufenthalt in Palermo in einer Herberge untergekommen war, die allein von muslimischen Reisenden, Händlern bzw. Fremden genutzt worden sei.³²⁸ Ein wichtiger Bereich der Stadt war außerdem die Gegend um das castellum maris. Das Kastell war ein alter Ort der Machtsicherung in Palermo, von wo aus schon in der Zeit muslimischer Herrschaft ein Teil des Hafens kontrolliert wurde.³²⁹ Dem Anonymus Vaticanus zufolge wurde es gleich nach der normannischen Eroberung befestigt und dabei womöglich mit Truppen ausgestattet.³³⁰ Die komplexe Mehrteiligkeit der Anlage mit einem residentialen Turm (ähnlich einem Keep oder Donjon) und militärisch­strate­ gischen Elementen lässt vermuten, dass sie unterschiedliche Zwecke erfüllen konnte.³³¹ Unter Wilhelm I. diente das castellum maris u. a. als Ort, an dem Strafgerichtsbarkeit vollzogen und somit königliche Autorität ausgeübt wurde. So berichtet Hugo Falcandus, dass die Gefängnisse des Königspalastes, nachdem es dort zu Ausbrüchen von Gefan­ genen und infolgedessen zu Gewalt innerhalb des Palastes gekommen war, um 1161 in einen Trakt des Meereskastells verlegt worden waren. Ob oder inwiefern der Kö­ nig selbst Kontrolle über das castrum hatte oder über Vorgänge darin informiert war, ist ungewiss. Deutlich zeigt sich jedenfalls, dass das Kastell mehrfach in Situationen auftaucht, in denen Gewalt in der Stadt ausbrach. Aufschlussreich ist in diesem Kontext ein Toponym im Umkreis des Kastells, das einer griechischen Urkunde von 1172 zu entnehmen ist. Damals verkaufte eine gewisse Christodoules einem kaitos (von arab. al-qāʾid) namens Chamse (Ḥamza) ihr Grund­ stück, welches unterhalb von rabʿ al-Malf (wörtl. Zone der Amalfitaner, die mit vicus Amalfitanorum übereinstimmt) in einem Gebiet lag, das als „εἰς τὴν συρτίεν (in der

325 326 327 328 329 330 331

A b u l a f i a, Local Trade. D a v i s ­ S e c o r d, Muslims, bes. S. 59‒66; J o h n s, Arabic Administration, App. 3, S. 326‒328. C o n s t a b l e, Housing the Stranger, hier S. 202‒211. I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 331. M e i e r, Königspaläste, S. 33–37. A n o ny m u s Va t i c a n u s, Historia Sicula, hg. von C a r u s o, Sp. 765; BAV, Vat. lat. 6206, fol. 295v. M e i e r, Königspaläste, S. 33‒37.

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Surtia)“ beschrieben wird.³³² Dieses dürfte zwischen der Kirche von S. Andrea degli Amalfitani und dem Bereich des Meereskastells gelegen haben. Das Wort συρτία / surtia wird sich vom Arabischen šurṭa oder šurtīya ableiten, was auf eine militärisch­admi­ nistrative Aufsichtsinstanz bzw. auf Menschen mit Zugehörigkeit zu dieser Instanz, hinweist. Beide Begriffe beschreiben herkömmlicherweise eine Elitetruppe, die durch militärische Gewalt Macht ausüben konnte und zumal in Städten dazu diente, für Ord­ nung zu sorgen und herrscherliche Verfügungen durchzusetzen. Dabei konnten die Vorsteher der šurṭa auch Recht vollziehen.³³³ Alex Metcalfe vermutete, dass es sich bei der surtia in Palermo nahe des Seekastells um ein Toponym aus der Zeit muslimischer Herrschaft handeln dürfte. Über die Funk­ tionen der šurṭa schrieb er, dass ihre Leute insbesondere dazu herangezogen wurden, städtische Konflikte bzw. das Aufflammen von Gewalt unter Kontrolle zu bringen, dass sie ein solches Aufflammen aber auch gezielt initiieren konnten.³³⁴ Ob mit dem Ort auch noch eine ähnliche Funktion unter normannischer Herrschaft verbunden war, lässt Metcalfe offen. Tatsächlich aber sind Variationen wie sciurta oder xurta noch im 14. Jahrhundert belegt und bezeichnen eine städtische Wache.³³⁵ Vielleicht ist es also in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend, dass einer der Männer, der mit der Urkunde von 1171 das genannte Grundstück „in der šurṭa“ kaufte, den militärisch konnotierten Titel al-qāʾid trug, dass außerdem einer der Zeugen ein Johannes, „Herr über die charbatoi“, war. Charbatoi könnte laut Jeremy Johns vom Arabischen ḥarba kommen, was Speerkämpfer meint. Bei einer genauen Lektüre des Hugo Falcandus lassen sich außerdem weitere Indizien für das Anstacheln oder Initiieren von Gewalt finden. Als es im Zuge der Pa­ lastrevolte zu den Morden an den Eunuchen kam, seien einige von ihnen dem Palast entflohen und „wollten in den Häusern ihrer Freunde Schutz suchen“³³⁶. Es seien dann die milites des Seekastells gewesen, die aus dem castrum herausgekommen waren und damit begonnen hatten, die umherirrenden Eunuchen zu attackieren und zu töten. Welches Interesse die milites mit ihrer Attacke auf die eunuchi in der Stadt verfolgten, ist weniger klar aufzuschlüsseln als im Falle der Morde, die innerhalb des Palastes geschahen und unmittelbar mit der Unzufriedenheit der nobiles und ihrer Vernich­ tung der Verwaltungsdokumente verknüpft wurden. Anzunehmen ist aber, dass beim Angriff, den die milites des Seekastells auf die Eunuchen verübten, ebenfalls bereits

332 Palermo, AdS, Santa Maria della Grotta, Nr. 2; Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 117, S. 663 f.; J o h n s, Arabic Administration, Appendix 2, Nr. 14, S. 319 f. 333 N i e l s e n / M a r í n, Shurṭa. 334 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 186 f. 335 C a ra c a u s i, Arabismi, Nr. 250a, S. 353 f.; Nr. 250b, S. 354; Nr. 251, S. 254 f. 336 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 56; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 146.

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im Keim bestehende Konflikte aufflammten, die als elitäre Machtkämpfe um Einfluss in der königlichen Hauptstadt gedeutet werden können. Wenn man eine relative Nähe zwischen dem Seekastell und jenen Häusern der nicht näher benannten Eunuchenfreunde ernst nimmt, dann hätten diese im Bereich der Surtia liegen können. Wenn man weiter die Frage stellt, warum nun Häuser bzw. Personengruppen in dieser Gegend den Verfolgten Schutz hätten bieten können, eröffnet sich die Möglichkeit zu spekulieren, ob zwischen Seekastell und Stadtmauern vielleicht auch weitere (muslimische?) Gruppen oder Garden ansässig waren, die den Eunuchen nahestanden und sie hätten verteidigen können, wie beispielsweise solche mit dem Hof verbundenen Personen, die im Dokument von 1172 erwähnt sind. Im Nachgang zur Revolte von 1161 waren, wie erwähnt, die Gefängnisse in das Seekastell verlegt worden. Namentlich tritt dort bald vor dem Tod Wilhelms I. in der Geschichte des Falcandus Robert von Calatabiano als magister castellum maris³³⁷ auf. Dieser Robert soll die Aufsicht über das Kastell mitsamt den Gefängnissen übernommen und dabei in tyrannischer Manier eine eigene Schreckensherrschaft geführt haben, die seiner Selbstbereicherung und sexuellen Befriedigung diente.³³⁸ Diese Vorwürfe wer­ den weiter dadurch verstärkt, dass Robert den Eunuchen des Palastes nahegestanden habe („amicissimus eunuchorum“). In diesem Kontext schreibt Falcandus dem kon­ kreten Ort des Kastells eine muslimische Vorgeschichte zu, indem er behauptet, dass Robert von Calatabiano dort einen alten islamischen Schrein wiederhergestellt habe. Während diese Vorwürfe zum einen wieder auf antimuslimische Propaganda zurück­ zuführen sein dürften, die gleichermaßen Muslime wie vom Islam Konvertierte und deren Freunde oder Parteigänger traf, könnte aber auch vermutet werden, dass es durchaus zu Fällen kam, in denen solche Personen ihre Stellung nutzten, um sich an den christlichen Rädelsführern der Massaker von 1161 zu rächen.³³⁹ Auch ist es nicht undenkbar, dass muslimisch­religiöse Praktiken dort ausgeführt wurden, wenn mus­ limische Garden stationiert waren. Aufgrund seiner Grausamkeiten soll Robert von Calatabiano unter der Kanzlerschaft des Stephan von Perche (1166‒1168) der Prozess gemacht worden sein, woraufhin Robert geblendet und anschließend selbst ins Kastell des Meeres gesperrt wurde.³⁴⁰ War das Seekastell nach der Palastrevolte zumindest vorübergehend ein Ort ge­ worden, an dem Parteigänger der Eunuchen mit militärischen Kompetenzen wirkten und vielleicht die vormals mehrfach mit dem Kastell in Zusammenhang gebrachten mi­

337 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 85; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 190. 338 Ebd. 339 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 79 f., 85, 109; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 178, 180, 190, 228. 340 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 115–118; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 238‒242. Dazu auch J ä c k h, Verbrechen, S. 48 f.

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lites in Schach hielten? Waren das Seekastell und die Surtia Orte, an denen Konkurrenz und Animosität zwischen verschiedenen, genauer gesagt christlichen und muslimischen oder ex-muslimischen, Militärgruppen zu Tage traten, wie sie zu jener Zeit auch im Heer zu belegen sind?³⁴¹ Erwähnenswert ist, dass auch die stauferzeitliche Bilderchronik des Petrus von Eboli einen Konnex zwischen dem Seekastell als militärisch relevanter Basis und der muslimisch dargestellten Stadtbevölkerung herstellt: In der Miniatur Palermos ist eine Gruppe von Muslimen, nämlich jene, die dem muslimischen Viertel trans Papi­ reto bzw. Scerarchadium zugeordnet sind, so dargestellt, als seien sie physisch mit dem Kastell verbunden: Sie deuten darauf und sind gleichsam dabei, an den von den Mau­ ern herabhängenden Seilen der Befestigungskatapulte zu ziehen.³⁴² Intendierte diese Darstellung, dass die Muslime an der Unruhe und Gewalt in der Stadt beteiligt waren oder diese sogar provozierten? Oder wird hier unter Bezugnahme auf eine Landmarke an die Ereignisse von 1161 erinnert, und das zu einer Zeit, als erneut Konflikte zwischen verschiedenen, auf Einfluss pochenden und religiös markierten Gruppen schwelten?

3.4.2 Die Innenstadt als Elitenviertel Die Alt- bzw. Innenstadt Palermos lag umschlossen von den alten Stadtmauern unter­ halb des königlichen Palastes. Al-Idrīsī nannte diesen Teil in seiner Beschreibung der sizilischen Hauptstadt al-qaṣr und griff damit die arabische Bezeichnung aus der Zeit muslimischer Herrschaft al-qaṣr al-qadīm auf. Von al-qaṣr leitet sich auch das lateini­ sche Toponym Cassarum ab, das bis heute als Cassaro in Verwendung ist und den Corso Vittorio Emanuele bezeichnet. Dieses taucht als cassarii locus schon in einer Urkunde Wilhelms II. für Monreale auf, die aus dem Arabischen ins Lateinische („de saracenico in latinum“) übertragen wurde³⁴³ und gerade hinsichtlich der Toponymie voller Arabis­ men ist.³⁴⁴ Mit Cassarum/Cassaro ist dabei meist das gesamte innere Stadtviertel gemeint, manchmal aber auch die lange, gerade Straße, die unter muslimischer Herrschaft als ṣimāt und unter den normannischen Königen als vicus Marmoreus bekannt war. Al-Idrīsī zufolge glich al-qaṣr aufgrund der hohen Ummauerung einer Festung, die der gesamten Welt ob ihrer Schönheit bekannt sei. In seinem formelhaften Ruhm Palermos schreibt er weiter, dass al-qaṣr geprägt gewesen sei von Palästen, Moscheen, fanādiq (Pl. von funduq), Bädern sowie großen Handelsgeschäften.³⁴⁵ Geteilt werde das Gebiet von drei Straßen.

341 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 73; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 170; B i r k, Norman Kings, S. 219 f. 342 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von Kö l z e r / S t ä h l i, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, fol. 98r, S. 46 f. 343 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 4, S. 202. 344 Ebd., Nr. 4, S. 200. Vgl. außerdem ebd., Nr. 14, S. 44; Nr. 4, S. 62; Nr. 1, S. 102; Nr. 4, S. 206. 345 A l - I d r ī s ī, Nuzhat al-muštāq, hg. von C e r u l l i / B o m b a c i, S. 592. Zum Verlauf der Mauern vgl. schon D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 49‒51.

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Hugo Falcandus berichtet in seiner „Epistola“ ebenfalls, dass der innere Kern Pa­ lermos von hohen Mauern gegen die Süd- und Nordstadt abgegrenzt und von drei Hauptstraßen durchzogen wurde.³⁴⁶ Die mittlere Straße des Viertels, genannt vicus Marmoreus, führte demnach vom Palastdistrikt, genauer gesagt von oberhalb der via Cooperta aus, geradewegs zur sogenannten porta inferiora bzw. porta maris, die das hafennahe Eingangstor zur Stadt darstellte. Die via Marmorea war Falcandus zufolge Umschlagplatz für nicht näher bestimmte Waren von nicht näher benannten Händ­ lern,³⁴⁷ was zu den von al-Idrīsī erwähnten fanādiq passen würde. Die Straße führe von der oberen via coperta (in etwa dort, wo sich heute die Porta Nuova an die Torre Pisana anschließt) geradewegs zum palatium Arabum und von dort zum forum Sarra­ cenorum, das sich wiederum vor dem Meerestor befinde.³⁴⁸ Was es mit dem palatium Arabum auf sich hat und wo genau dieser Gebäude zu lokalisieren war, lässt er offen.³⁴⁹ Elena Pezzini geht davon aus, dass das palatium arabum und forum Saracenorum nahe dem Tor bāb ʿayn al-šifāʾ und damit – geht man vom Palast zum Meer hinunter – lin­ ker Hand der Hauptstraße gelegen haben.³⁵⁰ Ein anderer Vorschlag wäre, dass man den Hinweis auf die andere Seite der via Marmorea bezieht, denn dort lag ein Gebäudekom­ plex von überragender Gestalt, der ebenfalls mit arabischer Sprache oder islamischen Baustilen in Verbindung gebracht werden könnte: Hier stand zur Hauptstraße gewandt der Palast des Georgios von Antiochia, der seiner Kirche S. Maria dell’Ammiraglio vor­ gelagert war und in der Forschungsliteratur unter dem Namen Casa Martorana auf­ taucht.³⁵¹ Die Beschreibung normannischer Gebäude Palermos in den „De rebus Siculis“ des Fazello erinnert auch an die einstige Bedeutung dieses Palastes, der im 14. Jahr­ hundert als Teil des Klosterkomplexes von S. Caterina überformt worden war.³⁵² Heute sind dort nur noch wenige Teile des ursprünglichen Palastes sichtbar. Diese Überreste gehörten einst zu einer von zwei Portikus, die den Innenhof des Palastes rahmten. Der Abstand zwischen den Säulen und die Gestaltung ihrer Kapi­ telle weisen große Ähnlichkeiten mit der Kirche Georgios’ auf und setzen die Gebäude

346 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 180; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 347 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 181; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 348 Ebd. 349 Auffällig ist der Gebrauch des Adjektivs arabum, weil es von Hugo Falcandus allein an dieser Stelle verwendet wird, um eine offenbar bedeutende Landmarke der Stadt zu beschreiben. Davon abgesehen schreibt der Autor konsequent von Saracenus oder Saraceni, um die muslimische Bevölkerung Siziliens oder die Eunuchen am Hof zu beschreiben. Des Weiteren spricht er von „Masmudi“ (nur im Plural) und verwendet diesen Begriff im Zusammenhang mit Nordafrika, was vermuten lässt, dass es sich dabei um eine Bezeichnung für die Almohaden handelt; vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 25 f.; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 90 (hier „Masmunduri“). 350 P e z z i n i, Palermo, S. 214 mit Anm. 86. 351 Fa z e l l o, De rebus Siculis, S. 181; D i S t e f a n o, Monumenti, S. 115 f. 352 Ebd., S. 181.

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so in eine enge Beziehung zueinander.³⁵³ Adolf Goldschmidt besuchte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Anraten Vincenzo di Giovannis den Palast, der damals Teil der Architektur- und Ingenieursfakultät der Universität Palermo war, und schrieb, dass dieser gleich mehrere Elemente aufweisen würde, die ihn an fatimidische Stadtpaläste in Kairo erinnerten.³⁵⁴ Dazu gehöre nicht nur die Gestaltung des Innenhofes, sondern auch die aus Holz geschnitzten und mit filigranen Verzierungen versehenen Türrah­ men. In den späten 1970er Jahren konnten Forscher zeigen, dass die Handwerker, die diese Holzarbeiten angefertigt hatten, tatsächlich in fatimidischen Werkstätten gelernt haben müssen.³⁵⁵ Um seine nah bei dem Palast errichtete Kirche von außen zu ver­ zieren,³⁵⁶ hatte sich Georgios außerdem der arabischen Sprache bedient, und es ist nicht undenkbar, dass Inschriften auch an seinem Palast angebracht waren. Es liegt also nahe, diesen Palast mit dem palatium arabum zu identifizieren. Ob es sich bei dem von Hugo Falcandus erwähnten forum Sarracenorum um einen Versammlungsplatz oder einen wirtschaftlichen Umschlagplatz handelte, der somit in Verbindung mit den nicht spezifizierten Verkaufswaren auf der via Marmorea stünde, ist unklar. Adalgisa de Simone stellte die Vermutung auf, es könne sich beim forum Sarracenorum einst um einen Platz mit religiöser Funktion, vielleicht einen muṣallā (Gebetsplatz) des muslimischen Palermos, gehandelt haben.³⁵⁷ Der „Kitāb al-ġarāʾib“ verortet an jener Stelle einen offenen Platz (arab. ḫalā/ḫulāʾ), dessen Funktionen aber nicht bekannt sind.³⁵⁸ Auffällig ist sicherlich die Ähnlichkeit zwischen dem forum Sa­ racenorum bei Falcandus und dem „Versammlungsplatz der Sarazenen (place de lo encontre de li sarrasin)“, den Amatus von Montecassino beim ersten Einzug der nor­ mannischen Eroberer in die Altstadt von Palermo nennt.³⁵⁹ Konstatieren lässt sich ins­ gesamt jedenfalls, dass dieser nahe am Meerestor gelegene Teil der Innenstadt Palermos zumindest in der Wahrnehmung des Hugo Falcandus mit arabischen oder islamischen Elementen und womöglich auch mit arabischsprachigen oder muslimischen Personen in Verbindung gebracht wurde. Diese Wahrnehmung scheint im Falle des palatium arabum womöglich eher durch die Gestaltung und im Falle des forum Saracenorum vielleicht von (einstigen) Praktiken der Raumnutzung beeinflusst gewesen zu sein. Den Verlauf der anderen beiden Straßen, welche die Innenstadt Palermos teilten, beschreibt Falcandus weiter wie folgt: Die nördliche Stadtstraße begann an der turris Pisana und führte von dort zunächst über die via Cooperta zum Haus des Erzbischofs

353 K i t z i n g e r/Ć u r č i ć, Mosaics, S. 50 f. 354 G o l d s c h m i d t, Königspaläste, S. 585 f. 355 Vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 267 mit Anm. 49. 356 Vgl. dazu D o l e z a l e k, Arabic Script, S. 130‒138, 180‒184. 357 D e S i m o n e, Palermo araba, S. 88. Andere Vorschläge: S c a r l a t a, Configurazione, S. 170; D ’A n g e l o, Il Cassaro. 358 Book of Curiosities, hg. von R a p o p o r t, Nr. 116, S. 136 (arab.), 445 (engl.) mit Anm. 91. Andere Vor­ schläge bei S c a r l a t a, Configurazione, S. 170. 359 A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o, Ystoire, hg. von G u é r e t ­ L a f e r t é, lib. 6, cap. 19, S. 431.

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und der ecclesia maiora.³⁶⁰ Von der Kathedrale aus lief sie dann weiter zur (alten) porta Sancte Agathe über die Häuser des Maio („per domos Maionis admirati“) zum forum Sarracenorum, wo sie auf die via Marmorea traf.³⁶¹ Demnach hätte das forum also – geht man vom Palast zum Meer hinunter – linker Hand der Hauptstraße gelegen. Die südliche Stadt­Straße Palermos zog sich von der aula regia des Palastes über das Haus eines gewissen Sedictus Saracenus („per domum Sedicti Saraceni“)³⁶² weiter „ad edes“ (entweder bis zur Kirche oder dem Wohngebäude) des Grafen Silvester und dann zur Kapelle des „Georgii admirati“, um schließlich wieder an der porta inferior in die via Marmorea zu münden.³⁶³ Es fällt auf, dass Hugo Falcandus sich in seiner „Epistola“ auf Orte bzw. Gebäude bezieht, die wahrscheinlich nicht nur ihrer Gestalt nach aus dem Stadtbild herausstachen und somit für den Betrachter bedeutsam erschienen, sondern dass gerade diejenigen Gebäude hervorgehoben wurden, die er ganz konkret mit spezifischen Personen in Verbindung bringen konnte. Zunächst ist hinsichtlich der Admiräle interessant, dass Hugo Falcandus zwar die Kirche des Georgios von Antiochia nennt, nicht aber seinen Palast. Während er auf die Häuser des Maio an der nördlichen Straße hinweist, nennt er aber nicht die von Maio direkt neben der Kirche des Georgios begründete Kirche, die S. Cataldo geweiht war. Im Falle des Maio mag dies damit zusammenhängen, dass S. Cataldo mitsamt dem um­ liegenden Besitz bald nach Maios Tod an den Grafen Silvester überschrieben wurde,³⁶⁴ weshalb sie vom Chronisten nicht mehr mit Maio, sondern mit Silvester assoziiert wurde. Was zu dieser Zeit aus dem Palast des Georgios von Antiochia geworden war, ist nicht sicher zu sagen. Vielleicht wurde er von seinen Söhnen bewohnt, die ebenfalls am königlichen Hof wirkten und so für ein paar Generationen als Administratorendy­ nastie gelten können.³⁶⁵ Gegen Ende der normannischen Herrschaft ging das Gebäude jedenfalls an die Familie Martorana (woher sich der Name Casa Martorana ableitet) und ist bis um 1300 in der Hand nobler Familien geblieben. 1312 vermachte Benvenuta Mastrangelo den Pa­ last dann den Dominikanern, die dort ein Frauenkloster etablierten, das dem Komplex

360 Ibn Ǧubayr berichtet von einer gedeckten Straße, die immer der König zur Kirche verwendet habe; I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 331. 361 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 182; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 362 Ebd. 363 H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 183; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 344. 364 Vgl. die Anmerkungen Siragusas in: H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 182, Anm. 2, und S. 183, Anm. 1, 2; H u g o Fa l c a n d u s, Epis­ tola, hg. von D ’A n g e l o, S. 244, 344 und die Anm. auf S. 381. Außerdem: Guillelmi I. diplomata, hg. von E n z e n s b e r g e r, Dep. 29, S. 116. 365 Vo n Fa l ke n h a u s e n, Gruppi etnici, S. 150 f.

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der S. Caterina einverleibt wurde.³⁶⁶ Anders als Georgios’ Palast wurde seine Kirche auch in anderen Quellen mit dem ersten königlichen amīr in Verbindung gebracht, was auch daran liegen mag, dass er in einem prächtigen Dedikationsmosaik, das sich ursprünglich wohl im Narthex der Kirche befand, erinnert wird.³⁶⁷ Die mental map des Hugo Falcandus zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass die von ihm genannten Orte oder vielmehr die von ihm im Stadtraum verorteten Personen eindeutig als Vertreter der obersten Elite Palermos ausgemacht werden können und eine enge Verbindung mit dem königlichen Hof aufwiesen. Als solche spielen sie – ab­ gesehen von Georgios von Antiochia ‒ auch als Akteure in der „Historia“ des Falcandus eine Rolle. So handelt es sich bei dem erwähnten Sedictus der „Historia“ zufolge um den wohlhabendsten Muslim (lat. „ditissimus Saracenus“) der Stadt.³⁶⁸ Jeremy Johns geht davon aus, dass Sedictus mit al-Sadīd Abū al-Makārim Hibat Allāh b. al-Ḥuṣrī zu identifizieren ist.³⁶⁹ Dieser al-Sadīd ist dokumentiert, weil der aus Ägypten stammende Dichter Ibn Qalāqis (gest. 567/1172) einen Brief an ihn adressierte.³⁷⁰ Nach Palermo kam Ibn Qalāqis im Mai 1168, wo Abū l-Qāsim, der Vorsteher der bedeutendsten mus­ limischen Familie Siziliens, sein Mäzen war.³⁷¹ Bei Hugo Falcandus taucht Sedictus um 1168 aufgrund einer Auseinandersetzung auf, die er mit eben diesem Abū l-Qāsim (lat. Bulcassem) aus dem Haus der Ibn Ḥammūd gehabt haben soll,³⁷² das über mehrere Generationen den Vorsteher der muslimischen Gemeinde Siziliens gestellt hat.³⁷³ Die Fehde zwischen den beiden wird in der „Historia“ im Zusammenhang mit dem Kanzler und palermitanischen Erzbischof­Elekten Stephan von Perche erwähnt. Genauer gesagt steht diese Episode am Beginn jenes Erzählstranges, um die Vertrei­ bung des Stephan, in dessen Gefolge ja auch Hugo Falcandus nach Palermo gekommen war, zu erklären. Weil damit Auswirkungen auf Ereignisse und Personen im inneren Stadtviertel Palermos verbunden waren, soll an dieser Stelle näher darauf eingegan­

366 G a s p a r e, Palermo, S. 257 f., erwähnt, dass es sich um das ehemalige Haus des Georgios von An­ tiochia gehandelt habe. So auch D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 297. Benvenuta war die Tochter des Ruggero Mastrangelo, der sich in Palermo an der sogenannten Sizilianischen Vesper gegen die Franzosen beteiligt hatte; vgl. S c i a s c i a, Una storia. 367 Dazu K i t z i n g e r, Mosaics, bes. S. 197‒206; zur ursprünglichen Position vgl. ebd., S. 189. 368 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 244. 369 Vgl. dazu J o h n s, Arabic Administration, S. 239 f.; A m a r i, Storia, Bd. 3, S. 510 mit Anm. 2. 370 I b n Q a l ā q i s, Dīwān, hg. von F u ray ḥ, Nr. 266, S. 383‒385; auch I b n Q a l ā q i s, Splendori, hg. und übers. von D e S i m o n e, S. 19; der Brief bei I b n Q a l ā q i s, Al-Zahr al-bāsim, hg. von I b n N ā ṣ i r a l - M ā n i ʿ, S. 77; D e S i m o n e, Ibn Qalāqis, S. 341. 371 Über die Reise des Ibn Qalāqis berichtet a l - I ṣ f a h ā n ī, Ḫarīdat, hg. von A m ī n/ʿ A b b ā s, Bd. 1, S. 146– 165. 372 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 244. 373 Zu Abū l-Qāsim vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 234–242, mit einer genealogischen Tafel der Familie auf S. 237.

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gen werden. Dem Chronisten zufolge nach hatte der Kanzler dem Sedictus in den Augen Bulcassems auf zu freundliche Weise eine Audienz erteilt. Weil Animositäten zwischen den beiden Vertretern der muslimischen Stadtelite schon bestanden hatten, soll Bulcassem dies als Zeichen dafür gedeutet haben, dass er selbst aus der Gunst des Kanzlers gefallen war. In seiner Kränkung habe er dann eine muslimische Opposition gegen Stephan gebildet, obwohl Palermos Muslime Stephan zunächst sehr wohlgeson­ nen gewesen seien. Auch der gaytus Richard soll die Gelegenheit genutzt haben, sich mit Bulcassem gegen den Kanzler zu stellen, da er über diesen seit der Verurteilung des Robert von Calatabiano erzürnt war.³⁷⁴ In dieser Passage kommt zum Ausdruck, dass die muslimische Stadtelite sowie der mit den Muslimen assoziierte gaytus Richard einerseits einen großen Einfluss in der Stadt und im Palast von Palermo hatte. Andererseits lassen sich aber darin Züge einer Verschwörungserzählung erkennen, die das eitle, fast dämonische und herrschaftssüch­ tige Agieren einer nicht- oder nicht vollwertig christlichen und damit unrechtmäßigen Gruppierung anprangert, und zwar zu einer Zeit reginaler Regentschaft bzw. eines schwachen Königtums. Im Verlauf der „Historia“ gewinnt Richard im Kampf gegen Ste­ phan die Überhand, weil er sich unter dem persönlichen Schutz der Königin stehend mehr und mehr Macht habe zueignen können und so Stimmung gegen den Kanzler machte.³⁷⁵ Blickt man auf die Räume, in denen sich die Ereignisse laut der „Historia“ abge­ spielt haben sollen, lassen sich – ähnlich wie schon bei der Verschwörung gegen Maio von Bari – folgende Konfliktfelder erkennen: Zum einen gibt es den Palast bzw. den Hof, wo die Fehden ihren Anfang zu nehmen scheinen; zum anderen ist es die Stadt, wo solche Konflikte gewaltvoll ausgetragen werden. So habe sich Richard beispielsweise die Bogenschützen des Hofes und andere Truppen durch Geschenke gefügig gemacht, weshalb Stephan aus Furcht vor einem Überfall stets 50 Wachen vor seinem Wohnsitz bei der Kathedrale stationierte – darunter auch Männer, die auf ihrem Weg von der Francia ins Heilige Land in Sizilien geblieben waren.³⁷⁶ Dabei sei es gängige Praxis, dass man zur Einschüchterung vor den Stadthäusern (der Gegner) sowie auf den Straßen Palermos langsam die eigene, militärisch gerüstete Gefolgschaft patroullieren ließ.³⁷⁷ Daraus ergibt sich der Eindruck, dass gerade das nahe dem Palast gelegene CassarumViertel eine Spielwiese der Machtdemonstration für mit dem Hof verbundene Eliten

374 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 244. 375 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 119; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 244; zu Stephan von Perche vgl. auch T ra m o n t a n a, Stefano; D ’A l e s s a n d r o, Corona. 376 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 129; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 258. 377 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 49; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 132 f.

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bildete – namentlich tauchen hierbei lateinisch­christliche Ritter oder Noble auf.³⁷⁸ Auch wird an anderer Stelle erwähnt, dass insbesondere der obere Teil der via Mar­ morea und die via coperta von Menschen bewohnt wurden, die Falcandus zufolge „an Räubereien gewöhnt waren“³⁷⁹. Als Stephan mit dem jungen König und der Regentin Margarethe nach einem Auf­ enthalt in Messina im März 1168 nach Palermo zurückgekehrt war, hatte sich dort der Widerstand gegen den Kanzler am Hof und in der Bevölkerung weiter ausgebreitet. Dabei erwähnt Falcandus, dass einheimische Sizilier sich Stephan von Perche und dem wachsenden Einfluss von Personen aus der Francia entgegenstellten. Anlass war, dass Stephan von Perche einem seiner Wächter namens Johannes von Lavardin die Län­ dereien des Mattheus Bonellus überschrieben hatte und dieser nun nach „gallischer“ Praktik begann, alle Bewohner seiner Ländereien und auch die der Städte (oppidae) zu besteuern. Dies sei in den Augen der Sizilier ein großes Unrecht gewesen, würden sonst doch nur „diejenigen Muslime und Griechen [derart besteuert], die villani genannt wer­ den“.³⁸⁰ Weil die villani stets in den Verwaltungsregistern des Palastes geführt wurden, tauchen diese Register hier implizit und aus der Sicht der sizilischen Bevölkerung nun als etwas Positives auf, was das Festhalten am status quo und damit den Schutz vor den consuetudines neuer, eingewanderter Eliten garantierte. Die Differenzen zwischen Einheimischen und Nicht­Einheimischen werden in der Erzählung anschließend auch dazu herangezogen, das Ende des Kanzlers und Erzbi­ schofelekten Stephan zu erklären: Erkennend, dass ein Angriff auf ihn unvermeidlich geworden war, habe Stephan Rat bei einem vertrauten Palastbediensteten gesucht, der ihm die sofortige Flucht aus Palermo anriet, da ihm in der Stadt kein Schutz mehr geboten werden könne. Die Berater Stephans aus der Francia aber glaubten, dass der Palast der sicherste Ort für den Kanzler sei, da dort das Waffentragen verboten war. Kurz bevor sich Stephan das nächste Mal von seiner Residenz aus in den Palast bege­ ben wollte, wurde er vor seinem Haus angegriffen. Von dort flüchtete er sich über die Kathedrale in den Glockentum, wo er einen Tag lang von seinen Feinden und später auch von der Bevölkerung der Stadt – Christen und Muslimen – belagert wurde. Am Folgetag wurde ein Kompromiss herbeigeführt, wobei Stephan versprechen musste, Sizilien zu verlassen und das Domkapitel vom Eid an ihn als Erzbischof­Elekten zu befreien.³⁸¹ Kurz darauf wurde Walter, der ehemalige Lehrer Wilhelms II., zum Erzbi­

378 Z. B. Atenulf, ein Lombarde, der als Hofangestellter seit 1155 belegt ist und dessen Haus bei der via coperta verortet wird, sowie das Haus des Bonellus auf der via Marmorea; vgl. ebd. 379 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 156; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 306. 380 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 129, 145; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 258, 286 f. 381 Zu den Ereignissen vgl. H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 156‒161; H u g o Fa l c a n ­ d u s, Historia, hg. von D ’A n g e l o, S. 306‒316.

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schof Palermos erwählt, was Romuald von Salerno zufolge einstimmig geschah, laut Hugo Falcandus aber mit Gewalt und Drohungen seitens Walters erzwungen wurde.³⁸² Diese Darstellung der späten 1160er Jahre bei Hugo Falcandus zeigt, dass einige Individuen oder Gruppierungen, die durch ein städtisch gebundenes Netzwerk fest in Palermo verankert waren, mehr Einfluss auf die politischen Geschicke der Hauptstadt nehmen konnten als von außen kommende Würdenträger oder gar der König selbst, der bei diesen Ereignissen handlungsunfähig in seinem Palast saß. Auch steht zu vermuten, dass sich mindestens ein Teil der muslimischen oder der mit den Muslimen assoziierten Elite Palermos nach den Schreckensereignissen des Jahres 1161 erholt hatte, da einige ihrer Vertreter als Akteure in Hugo Falcandus „Historia“ und im Falle des Sedictus auch in seiner durch die „Epistola“ dargelegten mental map erscheinen. Ganz anders bei Ibn Ǧubayr. Als dieser rund 15 Jahre später eine Woche in Palermo verweilte, scheint er keine Orte in der Innenstadt gesehen zu haben, die er explizit mit Muslimen in Verbindung bringen konnte. Neben dem Palast schreibt er bloß von der nicht näher zu lokalisierenden Herberge für Muslime, in der er nächtigte und von der nicht klar ist, ob sie innerhalb oder außerhalb der Mauern lag. Ausführlich spricht der Reisende nur über die Kirche des Georgios von Antiochia. Damit scheint es fast so, als sei dies die einzige Landmarke der Altstadt Palermos, die er selbst besucht hatte oder für erwähnenswert hielt. Unklar ist dabei, ob Ibn Ǧubayr die Stadt allein, mit seinen Gefährten oder womöglich mit einem (offiziellen?) Führer erkundet hatte. Die Kirche jedenfalls nennt er „die Kirche des Antiocheners“ und weiß, dass ihr Gründer „der Wesir des Großvaters dieses polytheistischen Königs“ gewesen war.³⁸³ Von der Mariamitischen Kirche in Damaskus abgesehen,³⁸⁴ ist dies das einzige christliche Got­ teshaus, mit dem sich Ibn Ǧubayr näher auseinandersetzte, wobei die Admiralskirche besonders detailliert beschrieben wird und ihm sogar als eines der wunderbarsten Gebäude der Welt galt: „Die inneren Mauern sind mit Gold ausgekleidet, mit Platten von farbigem Marmor, so wie wir sie noch nie gesehen haben; sie sind gemustert mit Goldmosaik und farbigen (grünen) Mosaiken. Die oberen Fenster sind versehen mit güldenem Glas, was aufgrund des Strahlens alle Blicke auf sich zieht und die Seele verwirrt. Möge Gott uns vor ihrer Versuchung bewahren (fitna naʿūḏu bi-llāh minhā)!“³⁸⁵

Deutlich gibt sich Ibn Ǧubayr, ähnlich wie zuvor im Palast, fasziniert von der Erschei­ nung und Schönheit, dem Prunk und Reichtum des Gebäudes. Seine Beschreibungen sind aber nicht uneingeschränkt als Ruhm zu deuten, beschließt er sie doch mit der

382 H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von S i ra g u s a, S. 163; H u g o Fa l c a n d u s, Historia, hg. von D ’A n ­ g e l o, S. 318; R o m u a l d v o n S a l e r n o, Chronicon, hg. von G a r u f i, S. 258. 383 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 331 f. 384 E b d ., S. 295 f. 385 E b d ., S. 332 f.

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Verlautbarung: „Gott möge uns vor ihrer fitna bewahren!“³⁸⁶ Fitna meint im Koran eine schwere Prüfung bzw. eine Verführung oder Versuchung (Q 2:102; 20:90; 57:14), die eine Gefahr für die Gemeinschaft und Rechtgläubigkeit der Muslime darstellt. Der Begriff wird oft auch auf Phasen oder Entwicklungen in der islamischen Geschichte angewen­ det, in denen es zu religiösen oder zu politischen Abspaltungen kam. Giovanna Calasso hat darauf hingewiesen, dass Ibn Ǧubayr diesen Ausruf keineswegs bloß formelhaft verwendet, sondern dass er fitna in Sizilien als sehr ernstzunehmende religiöse Be­ drohung einstufte.³⁸⁷ Interessant ist dann, dass er diese Sorge hier konkret mit einem christlichen Gebäude und der prächtigen Ausstattung verknüpft, womit der räumli­ chen Repräsentation eine erhebliche Wirkmacht oder Anziehungskraft zugeschrieben wird. In Damaskus hingegen zeigte sich Ibn Ǧubayr von der Ausstattung der Kirche nicht beunruhigt, und der fromme Muslim erwähnt sogar ihre Bildmotive. Seine Beschrei­ bung der Kirche schließt er damit ab, dass die Christen dort stets in Sicherheit seien, da sie, so wird impliziert, von der muslimischen Mehrheitsgesellschaft geschützt wurden. Die Grenzen zwischen den religiösen Gruppen waren in Damaskus für Ibn Ǧubayr also eindeutig erkennbar und wurden – kontrolliert von Muslimen ‒ gewissermaßen zu beiden Seiten hin abgesichert. In Palermo hingegen sah Ibn Ǧubayr am Weihnachts­ tag zahlreiche Männer und Frauen zur „Kirche des Antiocheners“ strömen. In diesem Zusammenhang hielt er fest, dass die Christinnen der Stadt Musliminnen ähnelten, weil sie Henna und Parfum benutzten, sich in prächtige Gewänder hüllten, Schleier trugen und sprachgewandt (wohl in der arabischen Sprache?) gewesen seien.³⁸⁸ Es kann nicht angenommen werden, dass diese Beschreibung auf alle Christinnen der Stadt zutreffen sollte, sondern vielmehr jene meinte, die Ibn Ǧubayr selbst an diesem Festtag zur griechischen Kirche gehen sah. So handelte es sich bei den Frauen wohl um griechische und arabische Christinnen, vielleicht teilweise auch um solche, die einst vom Islam zum Christentum konvertiert waren und in der Urkundenüberlieferung zu jenem Teil der Stadt nachgewiesen sind. Das Gesehene bewertet Ibn Ǧubayr als absurd, und damit scheint es so, als ob die nach außen sichtbaren Formen von Transkulturation einer städtischen Elite von ihm keineswegs positiv bewertet wurden und sogar Unbehagen auslösten, insbesondere, weil – und das unterscheidet arabische oder arabisierte Christen in Palermo von denen, die er in Damaskus oder in seiner Heimat hätte treffen können – die Umwelt eine christlich dominierte war und somit die Gefahr von fitna erhöhte. Es stellt sich damit der Eindruck ein, dass das Innere der sizilischen Hauptstadt Ibn Ǧubayr, obwohl er eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Palermo und Córdoba hinsichtlich der räumlichen

386 Ebd. 387 C a l a s s o, Wondrous Past, S. 142. 388 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 332 f.

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Aufteilung der Stadt, ihrer Architektur und Baumaterialien herstellt, kaum mehr als islamisch geprägt erschien.

3.4.3 Verkauf, Verfall, Enteignung: vom Ende der Muslime in Palermo Über die Muslime Palermos verliert Ibn Ǧubayr nur wenige Sätze. Er leitet sie mit der Aussage ein, die Muslime würden an den verbleibenden Zeichen des Glaubens festhalten. Dies legt nahe, dass sie in seinen Augen kein erfülltes oder im religiös­ rechtlichen Sinne vollwertiges islamisches Leben führten. Er erläutert diese „Zeichen des Glaubens“ damit, dass die Muslime die meisten ihrer Moscheen instand hielten und dem Ruf des Muezzins zum Gebet folgten. Weiter schreibt er, dass sie „in ihren eigenen Vororten getrennt von den Christen“³⁸⁹ lebten. Uneindeutig ist an dieser Stelle zunächst, ob Ibn Ǧubayr damit einen Unterschied zwischen den Muslimen der Innen­ stadt und denen außerhalb des Stadtzentrums, nämlich den Vororten, herausstreichen will oder ob er suggeriert, dass Muslime generell im Wesentlichen außerhalb der In­ nenstadt anzutreffen waren. Zwar hätten sie (d. h. offenbar die Muslime der Vororte) eine Versammlungsmoschee, doch sei ihnen die Versammlung und insbesondere die Predigt (arab. ḫuṭba) außer an Feiertagen verboten gewesen. Immerhin aber verfüg­ ten sie über einen eigenen qāḍī (Richter), der ihre Rechtsfälle verhandeln konnte. Nochmal erwähnt Ibn Ǧubayr die Existenz vieler Moscheen, die auch als Koranschulen dienten, was vielleicht anzeigen soll, dass die Moscheen der Vororte einen Zweck, näm­ lich die Weitergabe islamischer Tradition, erfüllten, wohingegen die zuerst erwähnten Moscheen des Zentrums bloß als Gebäude erhalten, aber nicht mehr religiös benutzt wurden. Der Reisende gibt außerdem an, „diese Muslime [d. h. offenbar die der Vororte] mischten sich nicht mit ihren Glaubensbrüdern, die unter ungläubiger Herrschaft leb­ ten, und hätten keinen Schutz für ihren Besitz, ihre Frauen oder Kinder“.³⁹⁰ Auf dieser Grundlage hat Alex Metcalfe vermutet, dass hier eine muslimische Gruppierung be­ schrieben wird, die sich weigerte, die ḏimma zu zahlen, und deshalb tatsächlich ohne den Schutz der Obrigkeit gewesen sein könnte.³⁹¹ Auch dass der Imām (Vorsteher / Vorbeter) jener Muslime nicht die ḫuṭba halten durfte, sieht Metcalfe als Indiz dafür an, dass dieser nicht wie sonst im normannischen Sizilien vorgesehen vom Herrscher ernannt oder bestätigt, sondern unabhängig durch die muslimische Gemeinde und so­

389 Ebd., S. 332. 390 Ebd. 391 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 182. Bei seiner Beschreibung Messinas weist Ibn Ǧubayr explizit da­ rauf hin, dass die sizilischen Muslime zweimal jährlich die ǧizya leisten müssten; I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 324.

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mit ohne herrschaftliche Autorisierung aufgestellt worden war.³⁹² Demnach hätte es innerhalb der Muslime Palermos verschiedene Gruppierungen gegeben, wobei die der Vororte womöglich ein Eingreifen in innerislamische Angelegenheiten ablehnten und sich der christlichen Herrschaftsdurchdringung entzogen hatten. Die Abspaltung einiger palermitanischer Muslime, die räumlich­topographisch in Form eines eigenen Viertels greifbar wird, könnte auf die Unruhen von 1161 zurück­ gehen. Denkbar wäre auch, dass eine Siedlung von abtrünnigen, muslimischen Un­ tertanen im Gebiet trans Papireto im Laufe der späteren 1170er und 1180er einen neuen Zustrom erlebt hatte und Ibn Ǧubayr hier das Ergebnis dieser Entwicklung be­ schrieb. Die aus lateinisch­christlicher und v. a. kirchenpolitischer Perspektive oft als friedlich und prosperierend geltende Herrschaft „des guten“ Wilhelms II.³⁹³ brachte für Teile der sizilischen Muslime grundlegende Veränderungen mit sich. Diese lassen sich skizzieren, wenn man Abū l-Qāsim, dem am besten dokumentierten Muslim des normannischen Königreiches, nachgeht. Sein Schicksal dürfte in vieler Hinsicht stell­ vertretend für das der verbliebenen muslimischen Elite stehen, sodass auch generelle Grundzüge der Geschicke der muslimischen Gemeinden sichtbar werden. Die gewaltsam herbeigeführte Umsiedlung der Muslime ins trans-Papireto-Viertel betraf, wie bereits erwähnt, wohl nicht alle Muslime Palermos gleichermaßen. Auch nach diesen Angriffen lebten einige von ihnen wieder oder weiterhin im Cassaro. Wo­ möglich handelt es sich dabei um diejenigen Muslime, die bereit waren, sich wieder ganz der königlichen Herrschaft unterzuordnen und ihr zu dienen. Die Beständig­ keit muslimischer, dem Palast nahestehender Eliten im Stadtzentrum weisen auch die qaṣāʾid (Sg. qaṣīda, Ode / Gedicht) des Ibn Qalāqis nach. Während seines etwa einjähri­ gen Aufenthalts in Sizilien bereiste er mehrere Orte und gab in seinen Gedichten einen besonderen Eindruck vom palermitanischen Hauptstadtleben.³⁹⁴ Für Jeremy Johns bil­ den die Gesänge über idyllische Picknicks und rauschende Gelage, über Besuche in den Gärten und Parks des Königs³⁹⁵ aber einen krassen Kontrast zu den ‚Gewitterwolken‘, die für die Muslime und gerade auch für Abū l-Qāsim am Horizont standen.³⁹⁶ Diese überschatteten aber bereits den Aufenthalt des Ibn Qalāqis, wie aus einer Episode vom Winter 1168/1169 hervorgeht. Damals bereiste der Dichter Syrakus, und zwar nachdem er sich aus unbekannten Gründen mit seinem Mäzen Abū l-Qāsim über­ worfen hatte.³⁹⁷ In Syrakus sei Ibn Qalāqis von der lokalen muslimischen Gemeinde angesprochen und darum gebeten worden, Abū l-Qāsim in ihrem Namen um Hilfe

392 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 224. Der einzige, anderweitig erwähnte Imām in Ibn Ǧubayrs Bericht taucht im qaṣr Saʿad auf. 393 Dazu E n z e n s b e r g e r, Wilhelm. 394 Dazu generell D e S i m o n e, Ricostruzione. 395 Vgl. I b n Q a l ā q i s, Splendori, hg. und übers. von D e S i m o n e, S. 9‒29. 396 J o h n s, Arabic Administration, S. 240 f. 397 I b n Q a l ā q i s, Splendori, hg. und übers. von D e S i m o n e, S. 25 f.

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anzurufen, auf dass er Fürsprache bei Hofe für eine Verminderung ihrer Steuerlast einlegen möge. Abū l-Qāsim antwortete und ließ ausrichten, dass er sich bemühen wolle, doch unter Druck stünde, der ihm eine unmittelbare Reaktion unmöglich ma­ che.³⁹⁸ Es ist unklar, wie viel Hoffnung die syrakusanischen Muslime auf einen Erfolg ihrer Petition hegten, denn eine Änderung ihres Status und der damit verbundenen Steuerpflichten dürfte höchst unwahrscheinlich gewesen sein.³⁹⁹ Interessant ist die Anfrage aber vor dem Hintergrund, dass sie die Stellung des Abū l-Qāsim hervorhebt, und zwar nicht nur als eine unter den Muslimen Siziliens ange­ sehene Autorität, sondern vielmehr als eine Person, die einen schwierigen Balanceakt zu vollführen hatte. Seine hochrangige Stellung in einer von Christen dominierten Hauptstadt und die Kontakte zum Hof bedurften dann und wann offenbar einer Recht­ fertigung vor muslimischen Gemeinden der Insel, aber auch vor Muslimen, die von außen, insbesondere aus Gebieten des dār al-Islām, nach Sizilien kamen. Dies gilt umso mehr, als Abū l-Qāsim offenbar selbst u. a. mit dem Einsammeln der ǧizya betraut war und sich damit gewissermaßen an der Ausbeutung seiner unterdrückten Glaubens­ brüder beteiligte.⁴⁰⁰ Die durch Ibn Qalāqis übermittelte Anfrage erforderte daher eine Positionierung des mit den christlichen Herrschern kollaborierenden Abū l-Qāsim. Ein weiteres Mal wird die heikle Stellung des Abū l-Qāsim deutlich, als er 1175 auf den syrischen Reisenden al-Ḥarawī traf, der nach Sizilien gekommen war, um Stoff für seinen Reiseführer zu islamischen Pilgerstätten zu sammeln. In Palermo suchte al-Ḥarawī wegen einer Erkrankung ein Hospital auf, das an der Quelle ʿayn šifāʾ (wörtl. Quelle der Heilung) lag – offenbar vor den Mauern gelegen. Die Quelle ist unter mus­ limischer Herrschaft durch das Toponym des Tores bāb ʿayn šifāʾ belegt, das zwischen dem Meerestor und der alten Porta Sant’Agata lag.⁴⁰¹ In den 1170er Jahren wurde das Krankenhaus, dem auch eine Moschee angeschlossen war, von Abū l-Qāsim unterhal­ ten, den al-Ḥarawī dort persönlich traf. Vor seiner Abreise nach Syrien soll al-Ḥarawī, der Kontakte zu den ayyūbidischen Herrschern hatte, von Abū l-Qāsim einen Brief an Ṣalāḥ al-Dīn erhalten haben. Darin habe er den Sultan um Unterstützung angefleht, auf dass er Sizilien erobern und die Muslime befreien möge.⁴⁰² Kollaborationsversuche oder Befreiungsgesuche sind sowohl aus lateinischen als auch aus arabischen Narrativen zu unterschiedlichen Zeiten der normannischen Herr­ schaft überliefert. Zwar erfüllten diese je eigene Funktionen in den jeweiligen Erzählun­ gen, in die sie eingebettet sind, doch lässt sich meist auch ein Zusammenhang zwischen solchen Kontaktaufnahmen und konkreten Ereignissen oder Entwicklungen herstellen, die tatsächlich Veränderungen, Bedrohung oder erschwerte Bedingungen für die mus­

398 399 400 401 402

Ebd., S. 87‒89. J o h n s, Arabic Administration, S. 292. M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 216 mit Anm. 17. A l - Ḥ a ra w ī, Kitāb al-Ishārāt, hg. und übers. von M e r i, S. 126. Dazu auch P e z z i n i, Palermo, S. 214. A l - Ḥ a ra w ī, Kitāb al-Ishārāt, hg. und übers. von M e r i, S. 126.

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limische Minderheit hätten bedeuten können.⁴⁰³ Konkret in den Sinn kommt hier das angestrebte Ausgreifen Wilhelms II. in den östlichen Mittelmeerraum, wo ihm und den Kreuzfahrerherrschern die erfolgreiche Expansion des Ṣalāḥ al-Dīn in die Gebiete des zusammengebrochenen Fatimidenreiches ein Dorn im Auge war.⁴⁰⁴ Im Sommer 1174 hatte der König daher eine Flotte nach Ägypten gesandt, die aber kläglich scheiterte.⁴⁰⁵ Fürchtete Abū l-Qāsim, dass solche Misserfolge in Sizilien (erneut) zu wachsenden Res­ sentiments oder zu Gewalt gegen die Muslime führen könnten? Hoffte er tatsächlich, der erstarkende Sultan könne die Insel ‚zurück‘erobern? Oder wollte er, der tief in die Politik zu Hofe verstrickt war, sich in den Augen eines Glaubensbruders von außerhalb des normannischen Königreiches habituell in gutem Licht positionieren? Auf viel direktere Weise als durch die Außenbeziehungen wurde die Situation der muslimischen Bevölkerung Palermos und des städtischen Umlandes in der zweiten Hälfte der 1170er Jahre durch die Kirchenpolitik Wilhelms II. beeinflusst. Nachdem der König 1174 die Abtei von Monreale gegründet hatte, war er ab 1176 dabei, tausende Muslime in Westsizilien an diese zu überschreiben. Von den mittleren 1170er Jahren bis hin zur Erhebung der Abtei zum Erzbistum 1183 veränderte sich die Lage der Muslime u. a. dadurch erheblich, dass sie nun unter die Gerichtsbarkeit des Erzbischofs gestellt wurden.⁴⁰⁶ Zwar wurde dabei ihr status quo formal bestätigt, doch ist beispielsweise unklar, inwieweit sie dann ihre eigenen Rechtsforen und -praktiken beibehalten konn­ ten. Auch die Steuerlast konnte durch solche Überschreibungen von den neuen Herren geändert oder, genauer gesagt, erschwert werden. Darüber hinaus markierten diese Schenkungen, die Monreale schließlich zum größten Landbesitzer Siziliens machten, symbolisch einen klaren Bruch, da sie eine Auflösung der königlichen Schutzverspre­ chen und damit eine Entflechtung herbeiführten, die seit den Vertragsschlüssen in den 1070er bzw. 1090er Jahren zwischen Eroberern und Eroberten bestanden hatten.⁴⁰⁷ Diese Entwicklungen könnten sogar Anlass dafür gewesen sein, dass sich musli­ mische Bewohner Palermos, des Umlands oder der von den Schenkungen betroffenen Ländereien radikalisierten und dies u. a. durch den Wegzug bzw. die Abspaltung in ei­ gene Viertel und Siedlungen zum Ausdruck brachten. Im Hinterland führte dies dazu, dass offene Siedlungen vermehrt verlassen wurden, was während des 13. Jahrhunderts

403 Dies trifft für den gaytus Peter zu, der sich in einem Moment der persönlichen Bedrohung zu den Almohaden abgesetzt hatte; auch gilt es für Berichte eines Pilgerreisenden im syrischen Ḥarrān, der über den Beginn der Deportationen in Sizilien berichtet; vgl. dazu J ä c k h, Verbrechen, S. 32, 35, 47 mit Anm. zu den Quellenhinweisen. 404 B ö h m e, Außenbeziehungen, S. 129 f. 405 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 214 f. und 218‒221. 406 Die grundlegenden Arbeiten zum Thema sind weiterhin B e r c h e r / C o u r t e a u x / M o u t o n, Abbaye latine; M e t c a l f e, Arabic Speakers, Kap. 6; d e r s ., Muslims of Italy, Kap. 11. 407 Zur Bewertung der Frage, wie entscheidend diese Überschreibung unmittelbar war, vgl. E n g l, Ver­ drängte Kultur, S. 58‒61, der die verschiedenen Forschungsmeinungen einander gegenüberstellt, den Ein­ schnitt tendenziell aber eher gering einschätzt.

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Aufspaltung und Überformung

zur Befestigung von Hügelanlagen führte.⁴⁰⁸ Doch auch die von Ibn Ǧubayr erwähnten Vororte vor den Stadtmauern Palermos könnten so einen Zustrom an Menschen erlebt haben. Ibn Ǧubayr erfuhr von solchen Spannungen erst, als er Palermo schon verlassen hatte, denn in der Hauptstadt selbst scheint er bezeichnenderweise auf keine Person getroffen zu sein, die ihn entsprechend informiert hätte. Von Palermo aus waren er und seine Gefährten über Alcamo nach Trapani gezogen, um dort auf eine Überfahrt nach al-Andalus zu warten. Weil Wilhelm II. 1185 zu Jahresbeginn seine Flotten für einen Angriff auf Konstantinopel rüstete und daher Schiffe in den sizilischen Häfen mit einem Embargo belegt hatte, musste Ibn Ǧubayr einen Monat in Trapani auf seine Abreise warten. Derweil hatte er offenbar genügend Zeit, um sich mit lokalen Muslimen auszutauschen, wobei er über Vorgänge in der Hauptstadt unterrichtet wurde.⁴⁰⁹ So erzählte man ihm von einem islamischen Rechtsgelehrten (arab. faqīh) namens Ibn Zurʿa, der zum Christentum konvertiert sein soll, um den König in seiner Rechtspre­ chung zu unterstützen. Genauer gesagt habe Ibn Zurʿa das „christliche Recht“ studiert und dann Rechtsfälle nach beiden Rechtstraditionen entschieden. Es ist unklar, was die Hintergründe für eine Konversion des anderweitig nicht belegten Ibn Zurʿa gewesen sein könnten, ob er auf Druck hin, aus Eigennutz oder aus Überzeugung übergetre­ ten war. Auch die Praxis, dass eine Person nach mehreren Rechten Urteile fällte, ist anderweitig nicht belegt – wohl aber, dass gerade auch im Umfeld des Hofes manche Transaktionen nach islamischem Recht gehandhabt werden konnten oder zumindest in Kooperation mit Richtern des islamischen Rechts abliefen.⁴¹⁰ Ibn Ǧubayrs vormals ge­ äußerte Sorge vor einer fitna jedenfalls erhält hiermit nun scheinbar eine Bestätigung, und sie nimmt auch eine räumlich­architektonische Dimension an, wenn er festhält, Ibn Zurʿa habe eine Moschee, die er in der Innenstadt Palermos besessen hatte, zu einer Kirche umgewandelt.⁴¹¹ In den letzten Tagen vor seiner Abreise traf Ibn Ǧubayr in Trapani schließlich auf keinen geringeren als Abū l-Qāsim.⁴¹² Dieser berichtete dem Reisenden, dass er vor nicht allzu langer Zeit „aus der Gunst des Tyrannen (d. h. Wilhelms II.)“ gefallen sei, weil man ihm u. a. vorgeworfen habe, mit den Almohaden konspiriert zu haben. Metcalfe vermutete, dass Abū l-Qāsim womöglich den 1180 geschlossenen Pakt zwi­ schen Wilhelm II. und dem Almohadenkalifen Abū Yaʿqūb Yūsuf (558‒580/1163‒1184)

408 M o l i n a r i, Sicily, S. 344. 409 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 341. 410 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 222 f. mit Erklärungsversuchen zu dieser Rolle des Ibn Zurʿa in der Rechtssprechung. Unter der Kaiserin Konstanze wird ein „Richter der Sarrazenen“ bzw. archadius Sar­ racenorum belegt, dieser allerdings war ein Lateiner namens Wilhelm de Partinico, was zeigt, dass spä­ testens zu jenem Zeitpunkt die Rechtssprechung über Muslime einer lateinisch­christlichen Oberaufsicht zugefallen zu sein muss; vgl. Urkunden Kaiserin Konstanze, hg. von Kö l z e r, Dep. 66, S. 274. 411 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 341 f. 412 Ebd.

Stadt von innen: Sozialtopographie und Gentrifizierung



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zu unterwandern suchte.⁴¹³ Kürzlich sei Abū l-Qāsim jedoch zurück in den Dienst ge­ rufen worden, weil er einen wichtigen Auftrag mit finanziellen Belangen für den König ausführen musste. Alex Metcalfe zufolge dürfte Abū l-Qāsim mit der Aufgabe betraut worden sein, die Namensregister der Muslime zu erstellen, die als servi auf den Lände­ reien des Erzbischofs von Monreale in aufwendig gestalteten Dokumenten fixiert und schließlich feierlich übergeben wurden.⁴¹⁴ Seine alten Privilegien hat Abū l-Qāsim trotz dieser vorübergehenden Wiederauf­ nahme in den Dienst nie wieder zurückerlangt, seitdem er als Strafe für die vorgewor­ fene Kollaboration enteignet worden war.⁴¹⁵ Auch hier wird das Schwinden muslimi­ schen Einflusses von Ibn Ǧubayr wieder räumlich festgemacht, denn bei den Besitzun­ gen, die Abū l-Qāsim genommen worden seien, habe es sich um prächtige Gebäude und eine Moschee in Palermo gehandelt. Ibn Ǧubayr behauptet nun, diese bei seinem Besuch in der Hauptstadt selbst bestaunt zu haben. Da er dies aber nur aus der Re­ trospektive, d. h. nach seinem Aufenthalt in Palermo, erwähnt und die Gebäude oder die Moschee weder zu verorten noch zu beschreiben versucht, scheint es so, als ob ihm das Wissen oder die Erinnerung daran, dass es sich bei jenen Gebäuden einst um Besitztümer des einflussreichen und anerkannten Abū l-Qāsim gehandelt hatte, nicht zugänglich war. Die Darstellung Ibn Ǧubayrs ergänzt jedenfalls den dokumentarischen Befund, demzufolge mehrere Gebäude oder Grundstücke, die einst (hochrangigen) Mus­ limen gehört hatten, im Besitz der Kurie auftauchen und / oder an Kirchen vermacht wurden. Nicht alle dieser Besitzungen gelangten durch Enteignung an die lateinisch­christli­ chen Eliten, wie die Existenz von privaten Verkaufsurkunden nahelegt.⁴¹⁶ In den Fällen aber, in denen die herrscherliche Kurie in Verbindung mit ehemals muslimischem Ei­ gentum auftaucht, sind die Umstände der Transaktion oft nicht eindeutig benannt. Manche Orte könnten schlicht verlassen worden und verfallen gewesen sein, bevor sie später aufgekauft oder angeeignet wurden, wie beispielsweise ein 1196 erwähntes Haus, das in Ruinen lag und einst einem Muslim gehört hatte.⁴¹⁷ An einen ehemali­ gen muslimischen Vorbesitzer erinnert auch ein Zeugnis von 1209. Hier wird an eine Schenkung von 1198 erinnert, mit der ein Garten infra muros an die Kathedrale über­ schrieben worden war, und die Urkunde erwähnt, dass dieser Garten einst einem ge­ wissen Scedid (vielleicht Sedictus?) gehört hatte.⁴¹⁸ Solche Erwähnungen sind mitunter

413 M e t c a l f e, Muslims of Italy, S. 220. 414 Ebd., S. 220 f. 415 I b n Ǧ u b ay r, Riḥla, hg. von W r i g h t, überab. von d e G o e j e, S. 341 f. 416 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 135, S. 39‒43; J o h n s, Arabic Administration, App. 2, Nr. 18, S. 320 f. 417 Diplomi, hg. von C u s a, Nr. 12, S. 499‒501. 418 A m a t o, De principe templo, S. 127; außerdem A m a r i, Storia, Bd. 3, S. 572 mit Anm. 491. Vermuten lässt dies auch eine verlorene Urkunde, mit der Kaiserin Konstanze dem Walter von Pagliara einen Gar­ ten bei der Porta Termini vermacht, der vormals einem Scedid (für Sedictus?) gehört hatte; vgl. Urkunden Kaiserin Konstanze, hg. von Kö l z e r, Deperd. 60, S. 268.

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Aufspaltung und Überformung

die letzten konkreten Hinweise auf muslimische Bewohner bzw. muslimische Indivi­ duen mit Besitz in Palermo. Das heißt nicht, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass das muslimische Leben in Sizilien zu jener Zeit schon dem gewalt­ samen Ende geweiht war. Wohl aber war die Stellung und Sichtbarkeit der Muslime zunehmend marginalisiert. Allein auf nachbarschaftsrechtlicher Ebene wäre es den Muslimen durch den Ausschluss vom ius protimiseos nicht möglich gewesen, diesen Prozess anzuhalten oder gar umzukehren.

Schluss 1 Ausblick: Übernahme und Abkehr Das Dahinscheiden des noch jungen Wilhelms II. im November 1189 kam unerwartet, und weil aus seiner Ehe mit Johanna von England (gest. 1199) keine Nachfolger her­ vorgegangen waren, erhoben nun zwei Parteien Anspruch auf die Herrschaft über das Regnum Siciliae. Dies waren Konstanze, die Tochter Rogers II. und seiner dritten Frau Beatrix, und ihr Mann, der römisch­deutsche König Heinrich VI. aus dem Geschlecht der Staufer (1169‒1197 als römisch­deutscher König, 1191‒1197 als Kaiser, 1194‒1197 als König Siziliens). Bei ihrer Eheschließung einige Jahre zuvor hatte man dem Paar das Königreich in Aussicht gestellt, sollte Wilhelm II. ohne eigene Kinder bleiben.¹ Als der Fall einer weiblichen Herrschaftsnachfolge aber eintraf,² war Heinrich VI. fern, und entgegen dem Abkommen wählten nun einige Große des Reiches Tankred von Lecce, einen illegitimen Sohn Rogers III. von Apulien, zum König. Erzbischof Walter von Pa­ lermo krönte Tankred im Januar 1190 in der Kathedrale der sizilischen Hauptstadt.³ Als Tankred seine Herrschaft antrat, knüpfte er unmittelbar an etablierte, mit spe­ zifischen Orten verknüpfte Traditionen an, ließ sich in der Kathedrale krönen und nahm seinen Sitz im königlichen Palast. Damit wurden Kontinuität und Stabilität zum Ausdruck gebracht, während sich im Königreich Unruhen und Spaltungen manifes­ tierten. In der Hauptstadt kam es in diesem Zuge erneut zu blutigen Ausschreitungen gegen Muslime, woraufhin ein muslimischer Auszug aus Palermo stattfand.⁴ Richard Engl deutete diesen Auszug als Auflehnung gegen den neuen König und somit als Zeichen dafür, dass die Muslime – entgegen der überwiegenden Forschungsmeinung ‒ hier nicht weiter marginalisiert wurden, sondern nun vielmehr als politisch aktive und einflussreiche Akteure hervortraten.⁵ Die eigentliche Rebellion ereignete sich aber in Zusammenschluss mit Muslimen im westlichen Hinterland, die wohl hofften, sich ihren Grundbesitzern, d. h. vor allem dem Erzbischof von Monreale, entziehen zu können. Da die Chroniken dabei an fünf namenlose Muslime der Hauptstadt erinnern, die sich als Führer (lat. „reguli Saracenorum“) der aufbegehrenden Muslime aufschwangen,⁶

1 Dazu Kö l z e r, Sizilien, S. 7‒14; R e i s i n g e r, Tankred von Lecce, S. 41‒65; S c h l i c h t e, König Wilhelm II., S. 265‒273; zu den staufischen Ambitionen, Fo e r s t e r, Anspruch. 2 Kö l z e r, Urkunden, S. 25 f.; R e i s i n g e r, Tankred von Lecce, S. 92‒99; S c h l i c h t e, König Wilhelm II., S. 312 f. 3 Zum Aufstieg Tankreds vgl. C l e m e n t i, Circumstances, hier bes. S. 58‒61. 4 Annales Casinenses, hg. von P e r t z, S. 314; außerdem H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von S i ra g u s a, S. 173; H u g o Fa l c a n d u s, Epistola, hg. von D ’A n g e l o, S. 334 f.; E n g l, Verdrängte Kultur, S. 65‒76. 5 E n g l, Verdrängte Kultur, S. 67 (mit Verweis auf die entsprechenden Forschungsdebatten in Anm. 246), S. 71. 6 R o g e r v o n H o w d e n, Gesta regis Ricardi, hg. von S t u b b s, S. 141; R o g e r v o n H o w d e n, Chronica, hg. von S t u b b s, Bd. 3, S. 69; R i c h a r d v o n S a n G e r m a n o, Chronica, hg. von G a r u f i, S. 8 f. https://doi.org/10.1515/9783110773262-009

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Schluss

könnte vermutet werden, dass die Aufständler der Stadt gegenüber den ländlichen Mus­ limen eine einflussreichere Position einnehmen konnten – vielleicht, weil sie freier als die servi auf den Ländereien waren oder weil sie höheres Ansehen aufgrund ihrer familiären Abstammung, ihrer Berufe oder Funktionen genossen. Unklar ist, ob es sich um eine Mehrheit oder Minderheit der palermitanischen Mus­ lime handelte, die die Stadt verließen. Auch bleibt offen, ob jene reguli die Gesamtheit der Muslime oder nur die ausgezogenen und aufständischen Muslime repräsentierten. An der Reaktion Tankreds zeigt sich jedenfalls, dass er offenbar ein Interesse daran hatte, diese muslimischen Palermitaner zurück in die Hauptstadt zu holen. Nicht nur konnten die Rebellen Überfälle auf Orte entlang der Küste sowie in den Bergregionen für sich verbuchen.⁷ Auch die Absenz der Muslime Palermos – je nachdem, um wie viele Menschen und um welche Gruppen oder Individuen es sich handelte – könnte sich sichtbar und spürbar auf die Stadt ausgewirkt haben: Häuser oder ganze Teile von Stadtvierteln waren womöglich verlassen, Geschäfte und Märkte verwaist. Tank­ red trat mit ihnen in Verhandlungen, und noch 1190 kehrten sie zurück nach Palermo, wobei ihr Rechtsstatus anerkannt wurde und damit wohl unverändert blieb.⁸ Abgesehen von diesem Einschnitt zum Herrschaftsantritt lassen sowohl materielle als auch dokumentarische Quellen darauf schließen, dass der König darauf bedacht war, Praktiken seiner Vorgänger fortzuführen. Obwohl kaum Überschneidungen zwi­ schen Tankreds Bediensteten und denen Wilhelms II. nachzuweisen sind,⁹ bestehen in der Verwaltung und Münzprägung Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Vorbildern, wobei auch arabischsprachige Elemente weiter verwendet wurden.¹⁰ Ein königlicher Bediensteter mit arabischem bzw. arabisierten Namen ist ebenso nachzuweisen wie die anhaltende Kooperation im Bereich der islamischen Rechtssprechung.¹¹ Nur wenige Hinweise lassen konkrete Rückschlüsse auf die damalige urbane Sphäre zu. Vermutet wurde aber, dass sich keine wesentlichen Neuerungen ergaben, vielleicht aber Teile der palermitanischen Außenmauern verstärkt oder erweitert wurden.¹² Bekannt wird

7 Annales Casinenses, hg. von P e r t z, S. 314; R i c h a r d v o n S a n G e r m a n o, Chronica, hg. von G a r u f i, S. 8 f. 8 R o g e r v o n H o w d e n, Gesta regis Ricardi, hg. von S t u b b s, S. 141; R o g e r v o n H o w d e n, Chronica, hg. von S t u b b s, Bd. 3, S. 69, die Muslime seien in ihre Häuser („domos“) und in die „servitudo“ zu Tankred zurückgekehrt („redierunt in servitutem Tancredi“); R i c h a r d v o n S a n G e r m a n o, Chronica, hg. von G a r u f i, S. 8 f. 9 Kö l z e r, Urkunden, S. 52‒73; E r t l, Studien, S. 94 f. 10 Ein Verwalter namens Abdeserdus (von arab. ʿAbd al-Sayyid?) ist belegt in: Tancredi et Willelmi III. di­ plomata, hg. von Z i e l i n s k i, Nr. 17, S. 40 (Juli 1191); außerdem J o h n s, Arabic Administration, S. 243; J a m i s o n, Admiral, S. 98; zum Titel auf den Münzen vgl. J o h n s, Titoli, Nr. 55‒62, S. 48 f. 11 Niqūla Ašqar kaufte im September 1190 ein Haus, und bei dieser Transaktion kooperierten die könig­ liche Verwaltung und ein muslimischer Richter; vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 204 sowie App. 2, Nr. 26, S. 204‒206. 12 So D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 1, S. 239 f.

Ausblick: Übernahme und Abkehr



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beispielsweise nur kurze Zeit nach seinem Tod ein Stadttor mit Georgspatrozinium, das von oberhalb des Meereskastells Eintritt zum muslimischen Papireto- bzw. Seracaldi­ Viertel gewährt hätte.¹³ Ob dies aber unter Tankred errichtet oder erneuert wurde, bleibt offen. Obwohl die Muslime laut Richard von S. Germano nur „unwillig“ nach Palermo zurückgekehrt seien, ereigneten sich in der Folge keine weiteren Unruhen oder Auffäl­ ligkeiten unter Tankreds Herrschaft. Die Muslime standen auch seiner Witwe Sybille und ihrem minderjährigen Sohn Wilhelm III. bei, als die staufische Partei die Gele­ genheit nutzte, Sizilien während der reginalen Regentschaft anzugreifen, um sich die Krone einzuverleiben. Wichtige Informationen über diese Zeit stammen aus dem „Li­ ber ad honorem Augusti“ des Petrus von Eboli.¹⁴ Aus der Rückschau der Jahre 1196/1197 zeichnet der Autor als Unterstützer der staufischen Partei nach, wie Heinrich VI. König des Regnum Siciliae wurde. Das Erlangen der – aus staufischer Perspektive – recht­ mäßigen Herrschaft wird dabei mehrfach auf das Engste mit der Haupstadt Palermo verknüpft und deren symbolische Bedeutung sowohl in den Versen des Petrus als auch in den Miniaturen, die den Text an einigen Stellen begleiten, hervorgehoben. Die erste Abbildung (fol. 96r) zeigt eine Genealogie der normannischen Könige Si­ ziliens,¹⁵ die eingefügt ist in eine schemenhafte, durch Zinnen und Türme markierte Darstellung des Königspalastes mit der herrscherlichen Grablege, die durch einen Glo­ ckenturm angedeutet ist. Einblick in den Palast gibt die nächste Darstellung (fol. 97r), die Krankheit und Tod Wilhelms II. zeigt. Hier sind in den ersten Segmenten zwei Mus­ lime, ein Arzt und ein Astrologe, am Bett des Königs dargestellt. Ein wahrscheinlich ebenfalls muslimischer Bediensteter wedelt dem Kranken Luft zu. Ihren Bemühungen zum Trotz liegt in der nächsten Bildsequenz der König tot in seinen Gemächern hernie­ der.¹⁶ Unterhalb dieses Registers sieht man das Volk Palermos, die Grafen und Barone sowie die Männer der Kurie. Getrennt werden die Gruppen jeweils von Rundbögen tragenden Säulen, die mit dem Palast verbunden sind. So scheint es, als befänden sich diese Menschen in der unmittelbaren Nähe des Palastes, womöglich auf dem Vor­ platz bzw. innerhalb der Galka. Die Personen sind überwiegend in Ruhe und wartend dargestellt, einige stützen die Köpfe in die Hände, andere befinden sich im Gespräch miteinander. Die Kunde des Todes scheint noch nicht aus den Mauern des Palastes an sie gedrungen.

13 Tabulario, hg. von L o C a s c i o, Nr. 17, S. 29, TM 10. 14 Zum Herrschaftswechsel aus der Sicht des „Liber“ vgl. B r y n e, Civic Order. 15 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, S. 38 (Text), 39 (Abb.) mit Erläuterungen auf S. 38; im Text wird Roger II. dabei fälschlicherweise als „Sproß des Guiscard“ be­ zeichnet wird; vgl. ebd., S. 37. 16 Ebd., S. 41 (Text), 43 (Abb.) mit Erläuterungen auf S. 42.

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Schluss

Abb. 17: Darstellung der Stadt Palermo im „Liber ad honorem Augusti“.

Ausblick: Übernahme und Abkehr



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Anders ist die Lage in der folgenden Miniatur (fol. 98r), die vielleicht die berühmteste Darstellung des königlichen Palermos ist. Gezeigt wird hier die klagende und in Trauer verfallene Stadt (Abb. 17).¹⁷ Übermächtig und in festungsartiger Bauweise erscheinen der Palast mit der capella regia sowie das am Hafen gelegene castrum maris, die über­ einander türmend das ganze rechte Register der Seite einnehmen und gemeinsam den Nukleus der Herrschaft in Palermo repräsentieren. Links daneben steht eine Gruppe junger Lateiner in knielangen Tuniken, die ihre Köpfe neigen. Neben ihnen öffnen sich die königlichen Gärten, bezeichnet als viridarium geonard, wobei sich geonard vom Ara­ bischen ǧannat al-arḍ, irdisches Paradies, ableitet. Tiere, Pflanzen und fruchttragende Bäume sind dort zu sehen. Die Stadt liegt separiert von der herrscherlichen Sphäre und wird begrenzt durch Mauern, die zum Meer hin aufbrechen. Hier ist der Hafen mit seiner natürlichen Bucht, betitelt als Kala (wohl von Arab. qalaʿa, Festung) dargestellt und mit einer Kette verschlossen. Innerhalb der Stadtmauen werden vier Stadtviertel abgebildet, die voneinander durch Straßen getrennt und namentlich kenntlich gemacht sind: Cassarum (arab. al-qaṣr, das Kastell) als das an den Palast grenzende Quartier; daneben Ideisini (herrührend von al-dayyāsīn, den Dreschern), was den sich zur porta Thermarum erstreckenden Bereich meinen dürfte; darunter Alza, was von al-Ḫāliṣa kommt, und daneben, Scerarchadium, ein Viertel nahe dem castrum maris, dessen Name von šāriʿ l-qāḍī herrührt und damit unter dem Namen „Straße des islamischen Richters“ das Papireto­Viertel zeigt. Den jeweiligen Quartieren wurden in der Abbildung auch Bevölkerungsgruppen zugeschrieben, die in Kap. II.3.4.1. zwar schon ausführlich besprochen wurden, hier aber kurz entsprechend der Miniatur im „Liber ad honorem Augusti“ wiederzugeben seien: Im Cassarum sind neun Personen im Hintergrund ohne markante Auszeichnun­ gen dargestellt, während in der ersten Reihe drei Frauen mit bedecktem Haar stehen. Zwei von ihnen haben ihre Hände verhüllt, eine streckt die Hände nach oben, was eine Anspielung auf griechisch­christliche oder arabisch­christliche Riten sein könnte. Im Ideisini sind sieben Menschen, jung und alt sowie allesamt mit Kopfbedeckungen zu se­ hen, wobei einige von ihnen Kappen, andere Turbane oder Tücher tragen. Sie werden überwiegend im Profil oder Halbprofil gezeigt und könnten als Teile der jüdischen (und der muslimischen?) Bevölkerung gedeutet werden. Ihre Körperhaltungen suggerieren Kommunikation und Bewegung. Im Alza­Viertel unter ihnen sieht man im hinteren Teil drei Männer mit Tonsur. Vor ihnen stehen vier Frauen, eine Person mit Kopfbedeckung und außerdem ein Mann, der aufgrund seines langen Spitzbartes als Grieche gedeutet wurde und eindringlich in Richtung des Betrachers bzw. der Betrachterin blickt. Ganz vorne im Alza­Viertel zwischen Außenmauer und Hafen erhebt eine Frau die Hände zum Kopf, ihr gelöstes Haar fällt auf ihre Brust herab, was im mediterranen Raum seit antiker Zeit als Trauerritus gilt. Vier turbantragende und bärtige Muslime verortet

17 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, S. 45 (Text), 47 (Abb.) mit Erläuterungen auf S. 46.

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Schluss

die Miniatur im Scerarchadium und zeigt sie allesamt in der Seitenansicht sowie dabei dem castrum maris zugewandt. Aufgrund der Toponyme, die allesamt auf eine arabische Wurzel zurückzufüh­ ren sind, ergibt sich insbesondere aus einer lateinisch­christlichen Außenperspektive vielleicht der Eindruck einer kulturell und religiös vielfältigen Stadtbevölkerung. Im Vergleich mit Städten auf dem süditalienischen Festland und erst recht im Vergleich mit Städten im Reich nördlich der Alpen konnte man in Palermo zwar durchaus eine Stadt vorfinden, die von religiöser, sprachlicher, ethnischer und kultureller Vielfalt ge­ prägt war. Nicht auszublenden ist dabei aber zum einen, wie sehr die Stadt zu diesem Zeitpunkt schon von Segregationsprozessen und Latinisierung gezeichnet war. Zum anderen wäre es trügerisch anzunehmen, dass Petrus von Eboli die verbliebene kul­ turelle Vielfalt Palermos in seiner Beschreibung rühmen wollte. Vielmehr zeichnet er in seinem „Liber ad honorem Augusti“ letztlich nach, wie mit dem Herrschaftsantritt Heinrichs VI. die multikulturellen Ausdrucksformen bzw. Akteure aus ihren bisherigen Stellungen in Palermo entfernt wurden. In einem Aufsatz über Disparitäten im „Liber ad honorem Augusti“ hat Barbara Schlieben beobachtet, dass Petrus von Eboli Uneindeutigkeit in Form von kulturel­ ler Hybridität oder transkulturellen Verflechtungen insgesamt negativ bewertet.¹⁸ So zielt auch die Abbildung Palermos auf Distinktion, vielleicht auch auf Segregation, indem muslimische und wohl auch jüdische Teile der Bevölkerung in eigene Viertel eingeschrieben, durch ihre Kleidung markiert sowie durch ihre Darstellung im Seiten­ profil ausgezeichnet sind, wobei ihnen sogar ein manieristisch und verschwörerisch wirkendes Gehabe zugeschrieben scheint. Auffällig ist, dass auch in den folgenden Dar­ stellungen die multikulturellen Elemente oder Bewohner Palermos bis zu Heinrichs VI. Inthronisierung immer dort auftauchen, wo die Gegner des Staufers erscheinen: Der verhasste Mattheus von Salerno, der Tankreds Partei unterstützte, wird in seiner Kanz­ lei mit Lateinern, Muslimen und Griechen gezeigt (fol. 101r). Bei Tankreds feierlichem Einzug nach Palermo sind viele, teilweise fratzenhaft dargestellte Muslime als Kämpfer und Musikanten Teil seines Gefolges (siehe Abb. 18). Vergleicht man diese Abbildung mit dem Einzug Heinrichs VI. nach Palermo (siehe Abb. 19), wird deutlich, welche Veränderungen der Herrschaftswechsel gebracht haben soll bzw. für welche Veränderungen Heinrich VI. von Petrus gelobt wird: Nachdem der Stauferkaiser im Favara­Palast vor den Mauern Palermos die Gesandten der Stadt erwartet und derweil sein Heer die palermitanischen Gärten (hier „pomaria“ genannt) geplündert hatte,¹⁹ zog er siegreich in die sizilische Hauptstadt ein.²⁰ Dabei folgten ihm berittene Noble, und nur drei trompetende Muslime werden in seinem Zug dargestellt.

18 S c h l i e b e n, Disparate Präsenz, S. 187. 19 Laut O t t o v o n S t . B l a s i e n, Chronica, hg. von H o f m e i s t e r, cap. 40, S. 61 f., hätten sie sogar die (exotischen?) Tiere der Gärten verspeist. 20 Dazu E r t l, Regierungsantritt.

Ausblick: Übernahme und Abkehr



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Abb. 18: Darstellung von Muslimen im Gefolge König Tankreds im „Liber ad honorem Augusti“.

Abb. 19: Darstellung von Muslimen im Gefolge Kaiser Heinrichs VI. im „Liber ad honorem Augusti“.

Diese weisen zwar große Ähnlichkeit mit denen im Gefolge Tankreds auf, doch ge­ hen sie hier – und dies dürfte kein Zufall sein – in Reih und Glied vor dem Herrscher her. Dies ist bezeichnenderweise die letzte Darstellung von Muslimen im „Liber ad honorem Augusti“. Als Heinrich VI. anschließend den Palast übernahm, sollen ihm die Bediensteten, die in Petrus’ Versen als Eunuchen bezeichnet werden, die Steuerregister übergeben und den Zugang zum Schatz gewährt haben.²¹ Petrus von Eboli hält außer­

21 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, S. 197; außerdem O t t o v o n S t . B l a s i e n, Chronica, hg. von H o f m e i s t e r, cap. 40, S. 63.

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Schluss

dem fest, dass der Palast habe gereinigt werden müssen von seinen Lastern und dass der Kaiser dann seine Getreuen mit den Reichtümern des Palastes belohnte.²² Relevanz gewinnen solche Aussagen vor dem Hintergrund, dass Heinrich VI. zwar die etablierten, königlich besetzten Orte von Herrschaft in Palermo für sich einnahm, ihre baulichen Strukturen in der Folge aber losgelöst wurden von den vormals dort agierenden Personengruppen und den von ihnen aufrecht erhaltenen Raumprakti­ ken. Veranschaulichen lässt sich dies vielleicht besonders an einer weiteren Miniatur im „Liber ad honorem Augusti“ (fol. 142r): In eine Säulenhalle bzw. einem Säulenhof werden Tribute von einem sich verbeugenden „Arabus“ und einem „Indus“ in Form von Goldmünzen dargebracht. Zwar wurde bisweilen angenommen, bei der Säulen­ halle handele es sich um die von Hugo Falcandus erwähnte aula regia, doch scheint hier eher ein idealisierter Palast dargestellt, der staufische Herrschaftsräume abstrakt verkörpert. In diesem Sinne stellen auch die Abgaben Leistenden nicht etwa sizilische Untertanen, sondern vielmehr die Einflusszonen dar, in die sich das Stauferreich durch die Übernahme Siziliens nun ausdehnen konnte. Verzeichnet werden die Gaben von Kanzler Konrad, der thronend dargestellt ist und in seinem Tun durch das erhobene Schwert des Markward von Anweiler geschützt scheint. Beide Männer hatte der Kaiser als Vertraute mit sich nach Sizilien gebracht. Sie stehen hier für eine Ablösung der einstigen Verwaltungselite und damit für die Reorientierung von Machtstrukturen in Palermo. Der größte Kontinuitätsbruch bestand aus palermitanischer Perspektive dabei darin, dass die Stadt durch ihre Integration in ein transregionales Großreich dezentrali­ siert wurde. Anders gesagt, Palermo verlor den Status als Hauptstadt eines Reiches und war nunmehr zu einer Provinzhauptstadt degradiert. Nach der kurzen Regierungszeit Heinrichs VI. bemühte sich seine Frau Konstanze offenbar darum, Traditionen ihrer Vorfahren noch einmal aufzunehmen bzw. aufrechtzuerhalten.²³ Auch versuchte sie, die unter ihrem Mann abgeschaffte arabischsprachige Verwaltung wiederzubeleben.²⁴ Nach dem Ableben der Mutter wuchs der junge Friedrich bis zu seiner Volljährigkeit im herrscherlichen Palast- bzw. innerhalb der Befestigungsanlagen Palermos auf.²⁵ Wäh­ rend dieser Jahre liegen kaum Informationen über Palermo vor, aber mehrere Indizien weisen darauf hin, dass bis zur Volljährigkeit Friedrichs II. bereits Entwicklungen in

22 P e t r u s d e E b u l o, Liber, hg. von S t ä h l i / Kö l z e r, übers. von B e c h t ­ J ö r d e n s, S. 197, V. 1309. 23 Auf Kontinuität verweisen folgende Verfügungen der Kaiserin: Urkunden der Kaiserin Konstanze, hg. von Kölzer, Dep. Nr. 47, S. 259 (eine Schenkung von villani im Casale Gallo an die Kirche von Palermo); ihr Testament hält eine Bestattung in Palermo fest und beschenkt die Kathedrale außerdem mit einem Ölgarten bei der Favara; Dep. 71, S. 279‒281. Vgl. zu ihrer Politik außerdem Fo e r s t e r, Witwe, S. 187‒189. 24 J o h n s / J a m i l, New Latin­Arabic Document, hier, S. 136‒138. 25 Nachdem Markward von Anweiler im Herbst 1200 durch eine Allianz mit sizilischen Muslimen, Pi­ sanern und Genuesen den Kampf gegen die päpstliche Partei um Palermo gewonnen hatte, soll er sich Friedrichs II. im Meereskastell bemächtigt haben; dazu H a m p e, Kindheit, bes. S. 593; zum historischen Hintergrund E n g l, Verdrängte Kultur, S. 82 f.; grundlegend S t ü r n e r, Friedrich II., S. 105‒113.

Ausblick: Übernahme und Abkehr



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der Stadt einsetzten, die mit der veränderten Zusammensetzung des königlichen Hofes einhergingen. Es waren insbesondere die nicht­lateinischen Bevölkerungsgruppen, die weiter an Bedeutung verloren. Gruppen oder Familien, die vormals noch Einfluss in Verwaltungs­ positionen gehabt hatten, sind kaum mehr greifbar,²⁶ was nahelegen könnte, dass sie die Stadt verließen oder nach einigen Generationen schlicht unbedeutend geworden waren. Damit einher ging ein erneuter Schwund arabisch- und griechischsprachiger Zeugnisse, der sich nicht nur in der herrscherlichen Administration sowie der lite­ rarischen Produktion insgesamt bemerkbar machte, sondern nunmehr auch in der Überlieferung des städtischen Notariatswesen greifbar wird: Ab etwa 1200 tauchen hier lateinische Dokumente auf, die lediglich Unterschriften in Arabisch oder Grie­ chisch aufweisen, bevor auch diese bald ganz dem Lateinischen weichen.²⁷ Auf dieser Grundlage haben Forscher wie Benoît Grévin der Vorstellung einer Friedrizianischen Palastkultur in Palermo sowie einer Blütephase städtisch­kultureller Vielfalt entschie­ den widersprochen.²⁸ Derweil kam es außerdem erneut zu verschiedenen Migrationsbewegungen in und um Palermo. Auf dem Hinterland sagten sich Muslime verstärkt von den ihnen zugewiesenen Ländereien los und zogen sich zurück in Hügelfestungen, wo sie eine Selbständigkeit aufzubauen suchten.²⁹ In diesem Zuge hatten sich einige Muslime wahr­ scheinlich auch nach Palermo abgesetzt, wie eine Urkunde Friedrichs II. an den Erzbi­ schof von Monreale im Jahr 1211 nahelegt.³⁰ Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass die Pullfaktoren auch in die andere Richtung wirkten, also dass städtische Muslime von Palermo aus in die Rebellenorte im Westen zogen oder ganz aus Sizilien emigrierten. Wie ernsthaft das Aufbegehren dieser Gruppen war, zeigt sich daran, dass sie selb­ ständige Kommunikation mit dem Papsttum führten und Kontakte zu den Almohaden aufnahmen, um ihre Protektion zu ersuchen.³¹ Darüber hinaus wurden sie militärisch aktiv und griffen sogar Vororte im Süden Palermos an, wo sie 1219 S. Giovanni dei

26 S c a r l a t a, Spazio, mit Ausführungen zu Veränderungen im „Viertel der Admiräle“ v. a. ab S. 319 und 329. 27 M a n d a l à/M o s c o n e, Tra latini. Zum Verlust des Griechischen vgl. v o n Fa l ke n h a u s e n, Una Babele, S. 26 f. 28 G r é v i n, Linguistic Cultures, S. 414, spricht von einer „confusion between symbolic importance and real influence“; zu dieser Phase auch A n d a l o r o, Federico. Zu bedenken ist, dass sich der rechtliche Status der Minderheiten ab 1331 und dann ab 1236 massiv verschlechterte; dazu M a n d a l à, Jews, bes. S. 446; A b u l a f i a, Servitude. 29 Zu den Fluchtbewegungen E n g l, Verdrängte Kultur, S. 86 f.; d e r s ., Dynamiken, bes. S. 179‒188. 30 Die Urkunde bestätigt dem Erzbischof das Recht, dass er davongelaufene Muslime aufsuchen und auf seine Ländereien zurückbringen dürfte, wo auch immer sie sich aufhielten, „in Palermo oder anderswo“; vgl. Urkunden Friedrichs II., Bd. 1: 1198‒1212, hg. von Ko c h, Nr. 141, S. 273 f. 31 Vgl. dazu E n g l, Dynamiken, S. 200‒202.

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Schluss

Lebbrosi überfielen.³² Während der langen Abwesenheit Friedrichs II., der zwischen 1220 und 1233 lediglich sechs Mal und insgesamt für nicht mehr als fünf Monate in der sizilischen Hauptstadt weilte,³³ verschärften sich diese Abspaltungsbewegungen. Sie eskalierten, nachdem Friedrich II. Palermo dauerhaft den Rücken gekehrt hatte. Durch die ausbleibende Präsenz des Kaisers wurde die unter den kalbidischen und normannisch­königlichen Herrschern enge Beziehung zwischen administrativ­politi­ schem Zentrum bzw. Herrschersitz mit Hof und der Stadt Palermo endgültig aufgelöst. Zu einem bedeutenden Residenzort Friedrichs II. wurde Foggia im süditalienischen Apulien, wo ab 1223 ein neuer Palast errichtet worden war.³⁴ Eine mit Palermo ver­ gleichbare Hauptort- oder Hauptstadtfunktion übernahm Foggia aber nie. Nach Fried­ richs II. letztem Besuch in Palermo 1233 lässt sich keine besondere Beziehung und kein anhaltend enger Kontakt zur Hauptstadt seiner normannischen Vorfahren nachwei­ sen.³⁵ Nur wenige Palermitaner spielten in seiner Umgebung eine Rolle, und auch in der kaiserlichen Korrespondenz besaß die sizilische Stadt offenbar keine Zentralität mehr.³⁶ Von Interesse ist allerdings der Austausch des Kaisers mit einem gewissen Obertus Fallamonacha, der einer arabisch­christlichen Familie Palermos angehörte.³⁷ Obertus ist nach derzeitigem Kenntnisstand der letzte Verwalter in Palermo, der 1242 noch ein arabischsprachiges Dokument ausfertigte. Dabei steht Obertus allerdings keineswegs für Kontinuität: Jeremy Johns und Nadia Jamil vermuten vielmehr, dass er seine Jugend in Genua verbracht hatte und demnach für die Abwanderungsbewegung städtischer, nicht­lateinischer Eliten im Zuge der staufischen Herrschaftsübernahme steht. Nach Palermo kehrte Obertus wohl erst nach 1221 mit Friedrich II. zurück und begann dort offenbar eine Karriere in der Verwaltung, sodass er 1239 das Amt des Sekreten zugestan­ den bekam. Er war damit der Vorsteher der Finanzverwaltung.³⁸ In dieser Position tritt Oberto in der Überlieferung bezeichnender Weise Ende der 1230er und während der 1240er Jahre hervor, als Friedrich II. mit ihm über den Leerstand in der palermitani­ schen Altstadt korrespondierte. Dieser Leerstand, der aus dem Abzug städtischer Eliten, muslimischer Bewohner und wohl auch fernbleibender Händler resultieren dürfte,³⁹ war offenbar so pressierend geworden, dass er die kaiserliche Aufmerksamkeit auf sich zog.

32 To o m a s p o e g, Teutoniques, S. 148‒150. 33 B r ü h l, L’itinerario, S. 34‒47. 34 Zur Residenz in Foggia vgl. u. a. L e i s t i ko w, Residenz; G a n g e m i, Palazzo. 35 Sein auf Dezember 1250 datiertes Testament wünscht explizit eine Bestattung in der erzbischöflichen Kathedrale der Stadt; Konstitutionen, hg. von S t ü r n e r, Const. 2, Nr. 274, S. 382‒389, hier S. 387. 36 S c h a l l e r, Kanzlei, S. 207‒286. 37 Zu ihm vgl. J o h n s, Arabic Administration, S. 245 f.; F r i e d l, Studien zur Beamtenschaft, S. 498‒500. 38 J o h n s / J a m i l, Swan Song, S. 149 f. 39 Die verlassenen Viertel thematisiert P e r i, Porto, S. 431 f.

Ausblick: Übernahme und Abkehr



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Aus einem mandatum mit responsalis vom November und respektive Dezember 1239 geht hervor, dass Juden aus Garbum in Palermo ansässig wurden. Ihnen wies man insbesondere Gebiete außerhalb der Mauern und nahe den fruchtbaren Wasserläufen zur Besiedlung bzw. zur Kultivierung zu.⁴⁰ Das Cassarum-Viertel sollten sie ausdrück­ lich nicht beziehen. Gleichzeitig bemühte sich der Kaiser um eine Wiederansiedlung von Muslimen, und zwar „im Seralcadi und andernorts [in Palermo]“.⁴¹ Die Häuser, die von den Muslimen bezogen wurden, sollen stark verfallen gewesen sein, was dafür spricht, dass die Probleme des Leerstandes bereits eine Weile bestanden hatten. Der Wille des Kaisers, die Muslime von den Festungen der Berge zurück nach Palermo zu holen, stand bereits im Zusammenhang mit den Deportationen der aufständischen Muslime. Das hafennahe Viertel Seralcadi, wo insbesondere der muslimische Bevölke­ rungsteil angesiedelt (und besser kontrolliert) werden sollte, hätte als Zwischenstation vor der Verschiffung genutzt werden können. Als es 1243 zu erneuten Rebellionen der Muslime kam, wurden diese großflächig und endgültig aus Sizilien deportiert oder in die Sklaverei verkauft.⁴² 1245 verlor auch Obertus seine Stellung als Sekret, nachdem er der Veruntreuung beschuldigt worden war. Sein Experimentieren mit lateinisch­arabischer Urkundenpra­ xis im Jahr 1242 blieb offenbar ohne Wirkung und zeigt, dass es zwar noch Personen in Palermo gab, die fähig gewesen wären, solche Dokumente auf der Grundlage älterer Exemplare auszustellen, dass aber von einzelnen Individuen (nachweislich eigentlich nur Obertus) abgesehen, offenbar keinerlei Interesse und wohl auch keine Notwen­ digkeit mehr an diesen bestand. Die Familie Fallomonacho bleibt dem unrühmlichen Abgang von Obertus zum Trotz über weitere Generationen noch in der Stadt über To­ ponyme greifbar, da die Familie Besitz im Umland⁴³ und in der Altstadt hatte, offenbar im unteren Cassarum nahe dem Seralcadi-Viertel.⁴⁴ Auch die muslimische Vergangenheit Palermos blieb eingeschrieben im städtischen Raum, wenn auch die Erinnerung an die einstigen Bewohner oder Besitzer verloren ging. So lassen sich in lateinischen Dokumenten Orte bzw. Gebäude zwar noch als ehe­ malige islamische Einrichtungen identifizieren, aber eine Verbindung mit Personenna­ men ist nicht länger zu belegen. Dies zeigt das Beispiel eines Hauses (lat. hospicium), das einem Notar namens Bartolomeo Nini gehörte, und an einer misida lag, für die er 1312 eine Gebühr an den Hof zahlte.⁴⁵ Misida leitet sich wahrscheinlich vom Arabischen für Moschee, masǧid, ab. In einem anderen Dokument von 1309 liest man außerdem, dass Bartolomeos Vater Simone ein Haus nahe dieser misida besessen hatte, genauer gesagt

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Registro, hg. von C a r b o n e t t i Ve n d i t t e l l i, Bd. 1, Nr. 228, S. 219 f.; Nr. 261, S. 263‒267. E n g l, Verdrängte Kultur, S. 188 mit Anm. 884‒886. E b d ., S. 107‒121, 188‒193, sowie als kürzerer Überblick d e r s ., Dynamiken, bes. S. 188‒198. Zur Contrada Fallamonica J o h n s / J a m i l, Swan Song, S. 151. Das Haus in der Innenstadt erwähnt S c i a c i a, Palermo, S. 308 f. D i G i o v a n n i, Topografia, Bd. 2, S. 95.

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Schluss

an der – auch heute noch so bezeichneten – Porta Oscura, was zu jener Zeit der Name für das einstige Tor an der Quelle ʿayn šifāʾ war. Auf dieser Grundlage vermutete Elena Pezzini, dass es sich bei dieser misida um den ehemaligen Moschee­Hospital­Komplex des Abū l-Qāsim handelte. Ebenfalls im 14. Jahrhundert wurde in der unmittelbaren Umgebung der misida bzw. der Porta Oscura ein Benediktinerkloster gegründet, das Kloster S. Maria delle Vergini. Als dieser Konvent im 16. Jahrhundert erweitert wurde, gliederte man Be­ standteile der Kirche S. Andrea (Apostolo), an die es ursprünglich angeschlossen war, in den Bezirk mit ein. Ebenso die alte Kirche S. Teodoro.⁴⁶ Bei diesen Umbaumaßnah­ men wurden auch vier antike Säulen in das Monastero delle Vergini integriert. Zwei davon waren mit arabischen Inschriften in Kūfī versehen. Michele Amari vermutete, dass diese noch aus der Zeit muslimischer Herrschaft datierten.⁴⁷ Ihmzufolge zitier­ ten sie die 256. Āya (Vers) der 2. Sure „al-Baqara“ (wörtl. die Kuh), die festhält: „lā ikrāha fī l-dīn“, d. h. „in der [Wahl der] Religion gibt es keinen Zwang“.⁴⁸ Dass die Inschrift innerhalb des klösterlichen Settings gelesen und verstanden werden konnte, ist unwahrscheinlich. Vielleicht symbolisiert diese Form der Weiterverwendung aber besonders eindrücklich den Umgang mit den arabischen und islamischen Überresten in Palermo zu einer Zeit, da die Phase muslimischer Herrschaft bereits in Vergessenheit geraten und die muslimischen Einwohner der Stadt vertrieben waren. In der ersten Häfte des Jahres 1943 wurde das Kloster bei einem der Bombarde­ ments durch die Alliierten zerstört. Die übriggebliebenen Mauerreste umschließen seit­ her die Piazzetta delle Vergini, die heute als Parkplatz sowie als hipper Treffpunkt des Nachtlebens genutzt wird. Diskutiert wird, ob dieser Bereich im Zuge städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen für die Konstruktion neuer Wohnhäuser freigegeben wer­ den soll. Die Sopraintendenza Palermo, genauer gesagt die Sezione Beni Archeologici, glaubt, dass dies eine Möglichkeit für ausführliche archäologische Grabungen eröffnen würde, die relevante Befunde rund um die Fragen von Raumnutzung und -gestaltung in diesem Bereich der palermitanischen Innenstadt auftun könnten, der besonders lange muslimisch geprägt war.⁴⁹ Gleichzeitig besteht die berechtigte Sorge, dass dieses Vorha­ ben zunächst einen Erinnerungsort der jüngeren Geschichte entfremden und nach den erfolgten Grabungen die zunächst offengelegte Schicht durch Neubauten übermanteln und damit ein Fenster zur muslimischen Vergangenheit Palermos langfristig wieder verschließen und unsichtbar machen würde.

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G a s p a r e, Guida, Bd. 1, S. 143‒146. D i G i o v a n n i, Topgrafia, Bd. 2, S. 95, 366; A m a r i, Iscrizione, S. 76 f. Ebd. D ’A n g e l o, Monastero.

Schlussbetrachtung



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2 Schlussbetrachtung Das vorliegende, in zwei Teile gegliederte Buch zur Stadtgeschichte Palermos befasst sich mit den vielschichtigen und langwierigen Transformationen des urbanen Raumes durch Herrschaftswechsel infolge von Eroberungen. Konkret geht es um die Einnahme des zum oströmischen Reich gehörenden Palermos durch Muslime aus dem aghlabi­ disch dominierten Nordafrika während der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts einerseits und um die von lateinisch­christlichen Normannen angeführte Eroberung des musli­ misch beherrschten Palermos während der zweiten Hälfe des 11. Jahrhunderts anderer­ seits. Beide Herrschaftswechsel wurden meist als Zäsur verstanden, brachten sie doch unmittelbar den Umsturz der politischen Ordnung vor Ort mit sich. Mittelfristig führ­ ten sie zur Entstehung neuer Formen städtischer Herrschaft und städtischen Lebens, die auch (über)regional Auswirkungen entfalteten. Auch verschoben sie langfristig die Zusammensetzung der Stadt hinsichtlich ethnischer, religiöser, sprachlicher, sozialer sowie im weitesten Sinne kultureller Zugehörigkeiten, die mit einer Repositionierung Palermos im Geflecht mediterraner Netzwerke und Reiche korrelierte. Die Analyse basiert auf der Annahme, dass Räume durch Ereignisse und Entwick­ lungen bzw. die an ihnen beteiligten Akteure geformt werden und so Rückschlüsse auf politische, gesellschaftliche oder kulturelle Dynamiken zulassen. Die meisten Quellen schriftlicher wie materieller Art dokumentieren aber keineswegs den gesamten Raum der Stadt, sondern zeigen vielmehr an, wie bestimmte Räume gestaltet, genutzt, reprä­ sentiert und wahrgenommen wurden, was zur Folge hat, dass größere Teile des städ­ tischen Raumes und seiner Geschichte im Dunkeln liegen. Die vorliegende Studie setzt sich entsprechend im Wesentlichen mit Teilräumen oder Orten auseinander, die eine besondere Bedeutungszuschreibung erfahren haben (beispielsweise Herrschaftssitze und religiöse Hauptorte wie die Freitagsmoschee oder Kathedrale) und zu hervorgeho­ benen Zeitpunkten gewissermaßen als Marker stadthistorischer Entwicklungen gelesen werden. Solche Entwicklungen untersuchen die beiden Hauptteile in je drei Schritten bzw. Kapiteln, indem erstens die Einnahme und Erfassung von bestehenden, zwei­ tens die Etablierung und Formierung von neuen sowie drittens das Bestehen oder die Überformung und Auflösung alter Strukturen herausgearbeitet werden. Dadurch kommt insbesondere in den Blick, wie sich der Umgang der herrschenden bzw. Ein­ fluss ausübenden Personen und Gruppen mit bereits Dagewesenem darstellte, ob oder an welchen Stellen und wie eine Abgrenzung von den bisherigen räumlichen Praktiken und Traditionen stattfand und wo, wann sowie auf welche Weise Raum gezielt gestaltet wurde oder sich eher beiläufig, durch andere, weitergreifende gesell­ schaftliche Prozesse beeinflusst (trans)formierte. Ein besonderes Augenmerk gilt also auch der Frage, welche Rolle Kontinuitäten und Diskontinuitäten während der jewei­ ligen Herrschaftsphase spielten und ob sie mit herkömmlichen Zäsuren oder Bruch­ stellen übereinstimmen. Festzuhalten ist als ein Ergebnis, dass verschiedene Räume der Stadt in unterschiedlicher Qualität und zu unterschiedlichen Zeitpunkten sowie

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Schluss

in unterschiedlicher Geschwindigkeit von Veränderung erfasst wurden bzw. Verände­ rungen manifestierten. Solche Ungleichzeitigkeiten im städtischen Raumgefüge erlau­ ben u. a. darüber zu reflektieren, dass gängige Zuschreibungen oder Periodisierungen oft nur für gewisse (Teil-)Räume und Orte bzw. für bestimmte Entwicklungen oder Gruppierungen in der Stadt zutreffend scheinen. Der raumzentrierte Blick kann dazu beitragen, diese zu überdenken. Auf den ersten Blick mag die Gliederung der Studie in zwei Hauptkapitel der religiösen Zugehörigkeit der jeweiligen Vorherrschaft vielleicht zu viel Bedeutung zu­ messen. Auf den Raum wirkten allerdings keineswegs nur Herrschaftsumstürze ein, welche eine religiöse Neuordnung der Oberherrschaft bedeuteten, sondern Einschnitte fanden vielmehr auch entlang anderer Ereignisse oder Entwicklungen statt. Aus pal­ ermitanischer oder sizilischer Perspektive könnten die Perioden muslimischer und lateinisch­christlicher Herrschaft durchaus auch zu einer einzigen zusammengefasst werden, was die Studie in der Gesamtschau auch tut, da sie nämlich diejenige Epoche umspannen, in der Palermo die Hauptstadt Siziliens und zeitweise einer eigenen po­ litischen Entität wurde, was sich entsprechend auf die Nutzung, Repräsentation und Wahrnehmung des Stadtraums sowie auf seine Gesellschaft auswirkte. Ein Vorteil der Zweiteilung der Darstellung ist, dass sie eine Gegenüberstellung der Muster und Träger des Wandels bzw. spezifischer Formen der Raumgestaltung in der Zeit muslimischer sowie lateinisch­christlicher Herrschaft erlaubt. Hier wird nicht pos­ tuliert, dass Unterschiede auf religiöse Differenz zurückzuführen seien. Vielmehr sind als Faktoren die sehr verschiedenen Quellen und ihre Überlieferung anzuführen sowie der Umstand, dass die Eroberer in Palermo zum jeweiligen Zeitpunkt der Einnahme einerseits mit einer kleineren Provinzstadt, andererseits mit einer Handelsmetropole mit Hauptstadtcharakter konfrontiert waren, wobei sich die Voraussetzungen für eine Aneignung des Stadtraums oder Einschreibung in ihn stark unterschieden. Wollte man zum Thema urbaner Transformationen im Kontext von religiösen und politischen Ex­ pansionen auf makrohistorischer Ebene weiterarbeiten, so könnte man differenzieren zwischen einer muslimischen Stadterfassung von ‚ererbten‘ bzw. übernommenen Städ­ ten sowie einer lateinisch­christlichen Stadterfassung von Städten, die als muslimische Herrschaftszentren fungiert hatten. Die Überlieferung wird dabei aber, so wie es auch in dieser Studie der Fall war, weit stärker zu den lateinisch­christlichen Transforma­ tionen gewichtet sein. Greift man einige bis dato weniger herausgearbeitete Aspekte heraus, die das muslimisch dominierte Palermo besonders charakterisierten, so ist für die erste Phase zunächst die Niederlassung des Militärs zu nennen, dessen Anführer später zum loka­ len Herrscher der von den Muslimen eroberten Teilen Siziliens wurde. Diese Präsenz bedingte in der nächsten Phase eine rapide räumliche Ausdehnung der Stadt, wobei die dominanten Gruppierungen offenbar weiterhin stark militärisch geprägt waren, was sich auf die Lokalisierung, Bauweise und Zusammensetzung der neu entstehenden Viertel, aber auch auf die sich entwickelnden Wirtschaftszweige der Stadt auswirkte. Es fehlen konkrete Belege für gezielte Bauprojekte. In Bezug auf herrscherlich­politi­

Schlussbetrachtung



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sche Interventionen und auch hinsichtlich der Bevölkerung und ihrem Tun in der Stadt gibt es nur wenige, vereinzelte Hinweise. Greifbar werden Individuen und Gruppen im Raum aber durch bestimmte Orte, deren Toponyme Informationen über ihre Grün­ der bzw. Stifter (z. B. Stadttore, private Moscheen), ihre Besitzer (z. B. Wasserquellen) oder ihre Bewohner (z. B. Viertel) transportieren. In dieser Studie wird ein erster Ver­ such unternommen, aus solchen Toponymen gezielt Hypothesen für die Stadtentwick­ lung abzuleiten. Für die bereits etablierte muslimische Herrschaft kann festgehalten werden, dass Konflikte vor Ort insbesondere dann immer wieder aufflammten, wenn wechselnde Machtansprüche über Sizilien aus Ifrīqiya formuliert wurden und in der Folge neue Eroberer und militärische Gruppierungen in das schon konfliktträchtige Inselgefüge eindrangen. In dem mittlerweile unumstritten als Hauptstadt fungieren­ den Palermo sorgte dies für weitere Verdichtung und Urbanisierung, indem u. a. neue Nuklei entstanden, die der Unterbringung einer umstrittenen Herrschaftselite dienten. Die Phase der Prosperität brachte auch eine weitere Ausdehnung von Wohn-, Handelsund herrscherlich­repräsentativen Vierteln mit sich. Die empfindliche und nominell stets weiter bestehende Anbindung der Insel an das nordafrikanische Festland bzw. an Ägypten, die Unstimmigkeit zwischen elitären Gruppen innerhalb Westsiziliens sowie der Druck auf den Osten der Insel durch ein einfallendes Heer des Maniakes führten zu einer nachhaltigen Destabilisierung in Palermo, jedoch ohne die etablierte Stellung der Stadt als politisches Zentrum, vor allem aber als Handelsmetropole von überregionaler Bedeutung zu schmälern. So kann auch in der Zeit der sogenannten sizilischen tawāʾif beobachtet werden, dass Palermo symbolisch, strategisch und wirtschaftlich weiterhin Hauptstadt blieb. Die lateinisch­christlich eroberte Stadt wurde dennoch lange nicht zum Sitz der neuen Herrschaft, zeichnete sich aber dadurch aus, dass gleich nach der Übernahme bestimmte Einrichtungen gefördert wurden, die der Christianisierung bzw. der Ver­ ankerung der christlichen Religion im städtischen Raum dienten und den Grundstein für die Etablierung einer von ihren Vertretern mitgeprägten Vorherrschaft legten. Die zweite Phase ist weiterhin charakterisiert durch herrscherliche Abwesenheit, die offen­ bar auch wegen uneindeutiger oder umstrittener rechtlicher Ansprüche auf Palermo zwischen der gräflichen und herzoglichen Führung der Normannen anhielt. Strategien der Landverteilung Rogers I. lassen aber vermuten, dass der sizilischen Hauptstadt eine besondere Rolle zugedacht wurde. Wesentlich beteiligt an der Ausgestaltung Palermos als Herrschaftssitz war schließlich eine griechisch- und arabischsprachige Funktions­ elite, die in der Folgegeneration innerhalb der Altstadt auch raumgestaltend fassbar wird, wohingegen die wichtigsten Vertreter des normannischen Adels ihre Sitze und Ländereien im Hinterland auf Verbindungsachsen zu Palermo hatten. Während in der dritten Phase die herrscherlich­repräsentativen Räume in der Stadt offenbar ge­ zielt ausgebaut und somit komplexer wurden, geriet die erwähnte Funktionselite in der zweiten und dritten Generation normannischer Königsherrschaft vermehrt un­ ter Druck durch Vertreter des Adels, die auf stärkeren Einfluss vor allem am Hof drängten, was an mehreren Stellen durch Raumverschiebungen fassbar wird. Eine

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Schluss

spannungsvolle Entwicklung lässt sich außerdem am wachsenden Einfluss kirchlicher Institutionen im direkten Umkreis des Herrschers sowie in der Stadt und im Umland nachvollziehen, was sich ebenfalls zu Lasten der arabischsprachigen und teilweise der griechischsprachigen, insbesondere aber der muslimischen Bevölkerung auswirkte. Sowohl unter muslimischer als auch unter christlicher Herrschaft kam es nach mehreren Generationen zu heftigen Ausschreitungen gegen die religiösen Minderhei­ ten, die infolgedessen Gewalt und Verdrängung erfahren mussten. In der muslimisch beherrschten Stadt waren solche Ausbrüche gegen die – insbesondere durch ihre Han­ delsaktivität belegten – Juden und vor allem gegen Christen aber vorübergehend und dabei wohl teilweise von außen angeheizt. Dies gilt gerade für die Zeit des Kalifen al-Ḥākim sowie für die Phase der recht erfolgreichen Maniakes­Expedition nach Si­ zilien, welche die Christen womöglich unter den Generalverdacht der Kollaboration stellte oder zumindest anti­christliche Ressentiments beförderte. Wie es um die Rolle der christlichen Gemeinden zum Ende der muslimischen Herrschaft stand, kann kaum festgestellt werden. In der lateinisch­christlich beherrschten Stadt lässt sich gerade bezüglich der Mus­ lime ein voranschreitender Prozess der Marginalisierung, insbesondere ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, feststellen. Während zu jener Zeit zwar auch der griechisch­ sprachige Einfluss in der Stadt deutlich zurückging, kam es gegenüber den Muslimen zu handgreiflichen Übergriffen, die Vertreibung und ihr verstärktes Verschwinden aus dem städtischen Raum zur Folge hatten. Offenbar nicht in gleicher Weise exponiert war die jüdische Minderheit, die insgesamt eine durchweg schwer fassbare Rolle in dieser Phase spielte und deren Präsenz mit Handel und Handwerk in Verbindung gebracht wird. Während die muslimische Bevölkerung im normannisch­königlichen Palermo wachsende Ausgrenzung und Gewalt erfuhr, blieben jedoch muslimische und arabischsprachige Prägungen durch Aneignung von Dagewesenem und Import von Neuem noch lange sichtbar, da diesen insbesondere bei der Gestaltung und Reprä­ sentation herrschaftlicher Räume eine bedeutende Rolle zukam. Das Wissen über die mit jenen Prägungen einst verbundenen Personengruppen konnte dabei aber zum Teil (bewusst) überformt werden oder auch auf andere Weise in Vergessenheit geraten. Die gerade in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl in der Forschung als auch in der (Kultur-)Politik betonte fruchtbare Koexistenz oder Kopräsenz kulturell diverser Grup­ pierungen in Palermo lässt sich demnach keineswegs für alle Bereiche oder Bewohner der Stadt gleichermaßen bzw. gleichzeitig behaupten. Vielmehr lässt sich in der Raum­ geschichte Palermos ein Nebeneinander verschiedener Personen oder Gruppierungen und eine Vielfalt von Begebenheiten, Erfahrungen und Entwicklungen beobachten.

Summary Palermo was witness to the two political and religious expansions that played a forma­ tive role in shaping the history of the central Mediterranean: the city was conquered by Muslims under Aghlabid command during the ninth century, and by Latin­Christians under Norman leadership in the later eleventh century. The present study discusses the multi­layered effects these upheavals had upon Palermo’s urban spaces between ca. 800 and 1200. This period has predominantly been approached as two distinct phases of Palermitan and, indeed, Sicilian history: namely that of Muslim (216/831‒464/1071), and then Latin­Christian / Norman (from 1072) dominion. While this book also consid­ ers Palermo’s urban developments under these respective rulerships in two separate sections, it endeavours to do so with an eye to nuancing understanding of the mul­ tifaceted (dis)continuities between them. Thus, it challenges certain long­held views concerning the emergence and perseverance of the city as the political (military, ad­ ministrative, representative / symbolic), economic, and cultural capital of the island. As such, this study places a keen emphasis on space and place as markers of urban change and political, social, and cultural transformation. Previous research has done much to reconstruct and describe Palermo’s topography during particular stages of its development. As important as these investigations have proven, they have frequently viewed space as a somewhat static product rather than a dynamic process. This approach is different as it will rather seek to examine how, where, and through which actors or practises urban spaces or specific places therein experienced change and what this can say about the city’s conquerors and rulers, its inhabitants, and visitors. The extant sources for this endeavour are diverse and complex in nature and only relate to aspects of the urban space at select moments of its development. While archaeological findings and material culture are taken into account, this study mainly looks to written evidence as it offers a view on contemporary conceptions, repre­ sentations, and perceptions of space. This methodological approach was inspired by scholarship of the so-called spatial turn, and has resulted in both a fresh reading of already­known evidence alongside the promotion of previously neglected material. This has allowed for new insights into otherwise intangible processes of urbanisation, Islamisation / Christianisation, and conflicts involving elites and resources. Overall, the study can be read as a survey of urban history between c. 800 and 1200, and is the first monograph to be dedicated to this precise period. At the same time, it offers comparative perspectives which can serve to identify specific patterns or agents of change. This has been facilitated by a schematic construction of three subchapters which analyse processes of urban transformation under Muslim and Latin­Christian rule: Firstly, they trace formations and alterations in the immediate aftermath of the respective conquests (chapters on „Eroberung und Transformation“). Secondly, they show how individuals, groups, or institutions sought to establish and represent them­ selves within the urban space through the development of new structures of political https://doi.org/10.1515/9783110773262-010

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Summary

and urban / social life (chapters „Etablierung und Strukturen der neuen Herrschaft“). Thirdly, they aim to elicit an understanding of why and through what means cer­ tain spatial structures could be dissolved or almost unrecognisably altered over time and what this can say concerning how the city or, rather, certain areas and groups functioned (chapters on „Aufspaltung und Übernahme / Überformung“). Aside from new findings and hypotheses, the advanced proposition consists of three elements: this book presents a more integrated approach to Palermo’s Muslim and Latin­Christian / Norman history at a time in which many elements of this period are enjoying renewed attention in both scholarship and public discourse. Furthermore, in terms of large­scale conquests and resulting urban interventions, the study shows how certain spaces were more prone to change and explains how they were affected (e. g. through destruction or appropriation), while it also considers the role space and place play for a diverse range of actors across swathes of source material. Finally, and although this book focusses on transformations in Palermo alone, it may also serve as a case study of a capital city and commercial metropolis that documents the broader impacts and influences of shifting political and religious boundaries alongside trans­ regional networks in the medieval Mediterranean.

Anhang: Karten

Karte 1: Palermo vor der muslimischen Eroberung. https://doi.org/10.1515/9783110773262-011

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Anhang: Karten

Karte 2: Palermo unter aghlabidischer Vorherrschaft: I bāb al-baḥr – II bāb šant Aġāt – III bāb Rūṭa – IV bāb Ibn Qurhub – V bāb al-abnāʾ – VI bāb al-Sūdān (?) – VII bāb al-ḥadīd.

Anhang: Karten



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Karte 3: Palermo unter fatimidisch­kalbidischer Vorherrschaft: I bāb al-baḥr – II bāb al-šifāʾ – III bāb šant Aġāt – IV bāb Rūṭa – V bāb al-riyāḍ – VI bāb Ibn Qurhub – VII bāb al-abnāʾ – VIII bāb al-Sūdān – IX bāb al-ḥadīd – X bāb sūq al-daǧāǧ – XI bāb al-Ḥaǧǧārīn – a bāb al-ṣināʿa – b bāb Kutāma – c bāb al-bunūd – d bāb al-futūḥ.

298



Anhang: Karten

Karte 4: Palermo bei der normannischen Eroberung: I bāb al-baḥr – II bāb al-šifāʾ – III bāb šant Aġāt – IV bāb Rūṭa – V bāb al-riyāḍ – VI bāb al-abnāʾ – VII bāb al-Sūdān – VIII bāb al-ḥadīd – IX bāb sūq al-daǧāǧ – X bāb al-Ḥaǧǧārīn – a bāb al-ṣināʿa – b bāb Kutāma – c bāb al-bunūd – d bāb al-futūḥ / porta victoria.

Anhang: Karten



299

Karte 5: Palermo unter normannisch­königlicher Herrschaft: I porta maris / porta Patitellorum – II porta oscu­ ra – III porta Sant’Agata – IV porta Rotae – V Gartentor (?) – VI porta palacii – VII porta Busuemi – VIII porta Iudaica – IX porta Bebilbakal – X porta S. Giorgio – XI porta Carini – XII porta Mazara – XIII porta Sant’Agata – XIV porta Termini – 1 S. Andrea degli Amalfitani – 2 S. Marco dei Veneziani – 3 S. Giorgio dei Genovesi.

300



Anhang: Karten

Karte 6: Palermo mit Oreto unter normannisch­königlicher Vorherrschaft.

Anhang: Karten

Karte 7: Sizilien – wichtige / erwähnte Orte (9.–11. Jahrhundert).



301

302



Anhang: Karten

Karte 8: Sizilien – wichtige / erwähnte Orte (11.–12. Jahrhundert).

Abbildungsnachweise Karten Karten 1–9: © Theresa Jäckh / Jan Sennekamp (Karte 9 im Text als Abb. 9).

Abbildungen Abb. 1:

Madrid, Biblioteca Nacional de España, Codex Vitr. 26–2, fol. 100v. © Biblioteca Nacional de España; URL der gesamten Handschrift: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/bdh0000022766 (14. 8. 2023).

Abb. 2:

Madrid, Biblioteca Nacional de España, Codex Vitr. 26–2, fol. 101r. © Biblioteca Nacional de España; URL der gesamten Handschrift: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/bdh0000022766 (14. 8. 2023).

Abb. 3:

© Theresa Jäckh / Sofie Clossen nach C re s w e l l, Early Muslim Architecture, Abb. 89, S. 172.

Abb. 4:

© Theresa Jäckh / Sofie Clossen nach B e l l af i o re, Cattedrale, Tav. A: Schema planimetrico della chiesa gualteriana [o. S.]; Verortung des südlichen Transepts nach L o n g o, First Norman Cathedral, Abb. 4, S. 31.

Abb. 5a–c:

Oxford, Bodleian Library, MS Arab. C. 90, fol. 32b–33a. © Bodleian Libraries, University of Oxford; URL der gesamten Handschrift: https://digital.bodleian.ox.ac.uk/objects/748a9d50 -5a3a-440e-ab9d-567dd68b6abb/ (14. 8. 2023).

Abb. 6:

Gaetano G i a rd i n a, Le antiche porte di Palermo non più esistenti. Opera postuma, hg. von Lipario Tr i z i a n o, Palermo 1732, fol. 65. © Washington DC, National Gallery of Art.

Abb. 7:

Foto © Theresa Jäckh.

Abb. 8a–b:

London, The British Museum, Inventarnr. 1878,0708.23. © British Museum Images; 8a (Avers), URL: https://www.britishmuseum.org/collection/image/1613056463; 8b (Revers), https://www .britishmuseum.org/collection/image/1613056465 (14. 8. 2023).

Abb. 9:

siehe oben Karte 9.

Abb. 10:

Augsburg, Staats­und Stadtbibliothek, 2 Gs 580, S. 179. © Staats- und Stadtbibliothek Augsburg; URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11197074?page=324,325 (14. 8. 2023).

Abb. 11a–b: Cesare B a r b e ra A z z a re l l o, Raffigurazioni. Vedute e Piante di Palermo dal sec. XI al sec. XIX, Caltanissetta 2008, Abb. 6, S. 50. © Edizioni Lussografica, Caltanissetta. Abb. 12a–b: Paris, Bibliothèque nationale de France, GED-1568. © Gallica BnF; URL: http://catalogue.bnf.fr/ ark:/12148/cb40730106n (14. 8. 2023).

https://doi.org/10.1515/9783110773262-012

304



Abbildungsnachweise

Abb. 13:

Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 2 Gs 549#2. © Staats- und Stadtbibliothek Augsburg; URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11197045?page=182,183 (14. 8. 2023).

Abb. 14:

D i G i ov a n n i, Topografia, Bd. 2, Abb. 7: Pianta della Galga di Palermo nei secoli XI, XII, XIII [o. S.]. © Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.

Abb. 15:

© Theresa Jäckh / Sofie Clossen nach Va l e n t i, Palazzo, Abb. 2, S. 513; L o n g o, „In loco“, Abb. 1, S. 229.

Abb. 16a–b: Georg B ra u n / Frans H o g e n b e r g, Civitates orbis terrarum, Bd. 4, Köln 1594, S. 56°. © Universitätsbibliothek Heidelberg; URL: https://doi.org/10.11588/diglit.16955#0124 (14. 8. 2023). Abb. 17:

Bern, Burgerbibliothek, Cod. 120 II, fol. 98r. © Codices Electronici AG, URL: https://www.e -codices.unifr.ch/de/bbb/0120-2/98r (14. 8. 2023).

Abb. 18:

Bern, Burgerbibliothek, Cod. 120 II, fol. 102r. © Codices Electronici AG, URL: https://www.e -codices.unifr.ch/de/bbb/0120-2/102r (14. 8. 2023).

Abb. 19:

Bern, Burgerbibliothek, Cod. 120 II, fol. 134r. © Codices Electronici AG, URL: https://www.e -codices.unifr.ch/de/bbb/0120-2/134r (14. 8. 2023).

Abkürzungsverzeichnis Allgemeine b. cap. Cod. fol. lib. n. s. r Ser., Sér t. v

ibn / ben capitulum Codex folio liber nuova serie recto Serie(s), Série tomus verso

Institutionen AS BAV BnF CNRS DMG TM

Archivio di Stato Biblioteca Apostolica Vaticana Bibliothèque nationale de France Centre de recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance Deutsche Morgenländische Gesellschaft Tabulario della Magione di Palermo, Archivio di Stato di Palermo

Editionen, Zeitschriften und Reihen ASCL BAS (arab.)

BAS² (arab.)

BAS (ital.)

BAS² (ital.)

DA EI

Archivio Storico per la Calabria e la Lucania Biblioteca Arabo­Sicula. Ossia raccolta di testi Arabici che toccano la geografia, la storia, le biografie e la bibliografia della Sicilia. Testi arabici, hg. von Michele A m a r i, 2 Bde., Leipzig 1857–1887. Biblioteca Arabo­Sicula. Ossia raccolta di testi Arabici che toccano la geografia, la storia, le biografie e la bibliografia della Sicilia, hg. von Michele A m a r i, überarb. von Umberto R i z z i t a n o, 2 Bde., Palermo 21988. Biblioteca Arabo­Sicula. Ossia raccolta di testi Arabici che toccano la geografia, la storia, le biografie e la bibliografia della Sicilia. Traduzione italiana, hg. von Michele A m a r i, 2 Bde., Torino­Roma 1880–1889. Biblioteca Arabo­Sicula. Ossia raccolta di testi Arabici che toccano la geografia, la storia, le biografie e la bibliografia della Sicilia. Raccolti e tradotti in Italiano, hg. von Michele A m a r i, überarb. von Umberto R i z z i t a n o u. a., 3 Bde., Palermo 21997–1998. Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters The Encyclopaedia of Islam, hg. von Martin T. Houtsma u. a., 4 Bde., Leiden­London 1913–1936.

https://doi.org/10.1515/9783110773262-013

306



Abkürzungsverzeichnis

EI² EI³ FMSt FSI HZ MEFRM MGH Const. DD Epp SS SS rer. Germ. MIFAO Migne PL PmbZ QFIAB RIS RIS 2

The Encyclopaedia of Islam, hg. von Peri J. B e a r m a n u. a., 12 Bde. mit Indizes, Leiden­ London 21960–2009. The Encyclopaedia of Islam, hg. von Kate F l e e t u. a., Leiden 32007 ff. Frühmittelalterliche Studien Fonti per la Storia d’Italia Historische Zeitschrift Mélanges de l’École française de Rome. Moyen­Âge Monumenta Germaniae Historica Constitutiones Diplomata Epistolae (in Quart) Scriptores (in Folio) Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi Mémoires de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire Patrologiae cursus completus. Series Latina, hg. von Jacques­Paul M i g n e, 221 Bde., Paris 1844–1855, Ndr. Paris 1878–1890. Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Rerum Italicarum Scriptores, hg. von Ludovicus A. M u ra t o r i, 25 Bde., Milano 1723– 1751. Rerum Italicarum Scriptores. Raccolta degli storici italiani dal cinquecento al millecin­ quecento, hg. von Ludovicus A. M u ra t o r i, überarb. von Giosué C a rd u c c i, 117 Bde., Città di Castello 21900–1975.

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Bern Burgerbibliothek Codex 120 II

Cambridge Univserity Library Mosseri Collection II, 128 (L 130) 2 T-S 8 J 24.21 T-S 10 J 5.10 T-S 12.386 T-S 13 J 19.20 T-S 16.13 T-S 16.179 T-S K 2.32 T-S Misc. 28.235 T-S NS 149.1 T-S NS J 566

Catania Archivio Diocesano Arabo­greco, Nr. 6 Biblioteca Universitaria Cod. 97

Città del Vaticano Biblioteca Apostolica Vaticana Vat.lat. 6206

London Metropolitan Archives Ref. COL / CH/01/001/A

Madrid Biblioteca Nacional de España Codex Vitr. 26‒2

New York Jewish Theological Seminary Adler Coll. 1822

Oxford Bodleian Library MS Arab. C. 90 MS Heb. d. 76.59

https://doi.org/10.1515/9783110773262-014

308



Quellen- und Literaturverzeichnis

Palermo Archivio Diocesano Pergamena, Nr. 20 Archivio di Stato San Martino delle Scale, Nr. 191 Santa Maria della Grotta, Nr. 3 Tabulario della Magione, Nr. 1–3, 8, 13, 19, 63, 131, 166, 596, 604 Tabulario della mensa vescovile di Cefalù, Nr. 1, 18, 22 Biblioteca Centrale della Regione Sicilia Alberto Bombace MS X.A.16 Biblioteca Comunale Ms. Qq C 83, D11, E165 Ms. 2 Qq H1, Nr. 6 Ms. 5 Qq E 141, 5 Qq E 143, 5 Qq E 146, 5 Qq E 180, 5 Qq E 187, 5 Qq E 188 (Fondo Valenti)

Paris Bibliothèque nationale de France GED-1568 Grec 3032

Philadelphia Dropsie College 389

Gedruckte Quellen A b ū l - F i d ā ʾ, Al-mukhtaṣar fī akhbār al-bashar, Bd. 2, hg. von al-Maṭbaʿa al-Ḥusayniyya al-Miṣrīya, Kairo 1907, Neudruck Baghdad 1968. A d a m n a n, De locis sanctis, hg. von Ludwig B i e l e r, Turnhout 1965 (CCL 175). A l b e r t o f A a c h e n’s History of the Journey to Jerusalem, 2 Bde., hg. von Susan E d g i n g t o n, Farnham u. a. 2013. A l ex a n d r i Te l e s i n i abbatis ystoria Rogerii regis Sicilie Calabrie atque Apulie, hg. von Ludovica D e N a v a/ Dione C l e m e n t i, Roma 1991. A d é m a r v o n C h a b a n n e s, Chronicon, hg. von Pascale B o u r g a i n/Georges P o n, Turnhout 1999 (CC Continuatio mediaevalis 129). A i m é d u M o n t ­ C a s s i n, Histoire des Normands. Traduction en français moderne, hg. von Michèle G u é re t ­ L a f e r t é, Paris 2015 (Traductions des Classiques du Moyen Âge 97). A m a t u s o f M o n t e c a s s i n o, The History of the Normans, übers. von Prescott N. D u n b a r, eingel. und komm. von Graham A. L o u d, Woodbridge 2004. [A m a t u s v o n M o n t e c a s s i n o] A i m é D u M o n t ­ C a s s i n, Ystoire de li Normant. Édition du manuscrit BnF fr. 688, hg. von Michèle G u é re t ­ L a f e r t é, Paris 2011 (Les classiques français du Moyen Âge 166). Annales Barenses a. 605–1043, hg. von Georg H. P e r t z, in: MGH SS 5, Hannover 1844, S. 51–56. Annales Barenses and the Annales Lupi Protospatharii. Critical Edition and Commentary, hg. von William J. C h u rc h i l l, Toronto 1979. [Annales Pisani] N ov a t i, Francesco, Un nuovo testo degli „Annales Pisani Antiquissimi“ et le prime lotte di Pisa contro gli arabi, in: Centenario della nascita di Michele Amari, Bd. 2, Palermo 1910, S. 11–20.

Gedruckte Quellen



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Register Arabische Buchstaben, die in der Transkription mit Sonderzeichen wiedergegeben werden (wie ʿayn, ǧīm usw.), sind in das lateinische Alphabet einsortiert worden. Namen, die mit dem arabischen Artikel albeginnen, finden sich unter dem Buchstaben, der dem Artikel folgt. Steht nach einer Seitenzahl eine hochgestellte Zahl, so verweist diese auf die Fußnotenziffer. Kursive Zahlen verweisen auf Nennungen in Karten- oder Bildmaterial, wobei die entsprechende Nummer der Karte oder Abbildung in Klammern steht.

1 Personen Das Personenregister erfasst auch Personengruppen. Namen von neuzeitlichen Autoren und Autorinnen sind nur dann aufgenommen, wenn sie im Text forschungsgeschichtlich eingeordnet werden. Beklei­ deten Personen ein Amt, wird in der Regel ihr höchstes Amt angegeben, auch wenn sie dieses im Untersuchungszeitraum noch nicht innehatten. Die alphabetische Einordnung arabischer und jüdischer Namen erfolgt in der Form, in der sie in den Quellen bzw. der Forschungsliteratur geläufig sind. Dadurch tauchen einige Personen unter ihrem eigentlichen Namen (ism) auf, andere sind unter ihrer kunya (Abū X, Vater des Y), ihrem nasab (Ibn X, Sohn des Y) oder einer nisba (Herkunft, Zugehörigkeit, Beziehung ausdrückend) verzeichnet. In Klammern hinter dem Lemma können hier weitere Namensbestandteile folgen, die zur eindeutigen Identifizierung beitragen. Bei christlichen Namen ist für die alphabetische Einordnung der Taufname, bei Päpsten der Papstname entscheidend. al-ʿAbbās b. al-Faḍl (al-ʿAbbās b. al-Faḍl b. Yaʿqūb b. Fazāra), wālī der Aghlabiden in Palermo 56, 65 Abbasiden, Dynastie von Kalifen in Bagdad 46, 54, 96, 113, 164 ʿAbd Allāh b. Mankūt siehe Ibn Mankūt ʿAbd Allāh b. al-Muʿizz b. Bādīs, ziridischer wālī in Sizilien, Sohn des al-Muʿizz b. Bādīs 105 ʿAbd Allāh Muḥammad siehe Ibn al-Baʿbāʿ ʿAbd al-Malik, ummayadischer Kalif in Damaskus 158 86 ʿAbd al-Raḥmān (I.), ummayadischer amīr in Córdoba 78 ʿAbd al-Raḥmān al-Naṣrānī siehe Christodoulos ʿAbd al-Sayyid (Abdeserdus), Palastbediensteter unter Tankred 278 10 Abraham, Erzvater (Bibel) 211 Abū al-Aġlab Ibrāhīm b. ʿAbd Allāh b. al-Aġlab, wālī der Aghlabiden in Sizilien, Bruder des Abū Fihr 56 Abū ʿAlī (al-Ḥasan b. Nāqid), Anführer einer Revolte in Palermo 52 Abū Fihr (Muḥammad b. ʿAbd Allāh b. al-Aġlab), wālī der Aghlabiden in Sizilien 55 f. Abū Isḥaq (Busach), militärischer Führer bei der musl. Belagerung von Syrakus 68

https://doi.org/10.1515/9783110773262-015

Abū l-Ḥ usayn Aḥmad b. al-Haṣan, zweiter kalbidischer wālī in Sizilien 58, 60, 189 Abū l-Ṭayyib siehe Eugenios (tou Kalou) Abū l-Qāsim (Muḥammad b. Ḥammūd, Bulcassem / Bulcasem), Vorsteher der Muslime in Palermo 265 f., 271–275, 288; siehe auch banū Ḥammūd Abū Maḍar b. al-Biṯṯirrānī, Kläger im Besitzstreit mit Muriella 179 f. Abū Saʿīd Mūsa b. Aḥmad al-Ḍayf, Befehlshaber der Fatimiden in Palermo 52, 95 Abū Yaʿqūb Yūsuf (b. ʿAbd al-Muʾmin), almohadischer Kalif 274 Adelasia del Vasto (Adelasia von Savona), Gräfin und Regentin von Sizilien, dritte Frau Rogers I., Mutter Rogers II. 174, 176–178, 192 113 Adémar von Chabannes, Mönch, Geschichtsschreiber 143 12 al-ʿĀdil, ayyubidischer Sultan in Ägypten 156 f. Adrianos, Flottenführer 65 Agapitus, Heiliger 119 Agatha, Heilige 84, 107, 208, 209 62 Aghlabiden (banū l-Aġlab), Dynastie von Emiren in Ifrīqiya 20, 43, 46, 55, 74, 82 80, 159

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Register

al-Aḫal (Aḥmad b. Yusūf al-Aḫal), kalbidischer amīr in Sizilien, Bruder des Ǧaʿfar, Bruder des al-Ṣamṣām 105 Aḥmad b. Qurhub, wālī in Palermo, Aufständischer gegen die Fatimiden 95; siehe auch banū Qurhub 96 Alcherius, Erzbischof von Palermo 168–170, 170 24, 254 Aleramiden, Adelsgeschlecht, Markgrafen von Montferrat 175 Alexander II., Papst 114, 149, 149 46, 167 Alexander III., Papst 150 49, 243, 255 Alexander von Telese, Abt von S. Salvatore (Telese), Geschichtsschreiber 29, 192–194 ʿAlī b. Tamīm, Sohn des al-Muʿizz b. Bādīs, militärischer Führer in Sizilien 113 f. Almohaden, Dynastie von Kalifen im Maghreb und in al-Andalus 250, 256, 262 349, 273 403, 274, 285 Altavilla siehe Hauteville Amari, Michele, Gelehrter, Autor 13 f., 40, 58 76, 131, 135, 245 Amatus von Montecassino, Mönch, Geschichtsschreiber 27, 107–113, 116 f., 120, 123, 125, 127, 129, 133, 142, 144, 145 25, 148–152, 154, 156–158, 198, 263 Amazigh / Amaziɣ 21, 60, 95, 105 Anaklet II., Papst (Gegenpapst) 192 Andreas II., Herzog von Neapel 87 94 Andreas, Heiliger 257 Anonymus Palermitanus, Geschichtsschreiber 32, 233 f. Anonymus Vaticanus, Geschichtsschreiber 29, 216, 258 Ansgerius, Abt von S. Agata, Bischof von Catania 28 Arculf, Pilgerfahrer im Heiligen Land 77 Arezzo, Claudio Mario, Gelehrter, Autor 12, 38, 183, 233 Aristoteles, Philosoph 76 f. Asad b. al-Furāt, Rechtsgelehrter, militärischer Anführer in Sizilien 47 f. Atenulf, Hofangestellter 267 378 Avenel, Adelsfamilie in Sizilien 172 Avon b. Ṣedaqa, Händler, Verfasser eines Briefes in Jerusalem 120 Ayyūb b. Tamīm, Sohn des al-Muʿizz b. Bādīs, militärischer Führer in Sizilien 113 f., 116, 121 Ayyubiden, Dynastie von Sultanen in Ägypten und Syrien 10 19, 156

al-Balāḏurī, Geschichtsschreiber 43, 54 60, 73 Balduin I., König von Jersualem 176 Ballino, Giulio, Illustrator, Autor 182 f., 184 (Abb. 11a), 185 (Abb. 11b) banū Ḥammūd 23 12; siehe auch Abū l-Qāsim (Muḥammad b. Ḥammūd) banū Kalb siehe Kalbiden banū l-Aġlab siehe Aghlabiden banū Qurhub 96; siehe auch Aḥmad b. Qurhub;ʿUṯmān b. Qurhub banū Tamīm 246 Bartolomeo Nini, Notar in Palermo 287 Bartolomeus, Bischof von Agrigent 243 Belcawed siehe Ibn al-Ḥawwās 109 Belcho siehe Ibn al-Ḥawwās 109 Belisarios, Feldherr 44, 49, 57 Benedikt VIII., Papst 143 12 Benediktiner 150, 249 Benjamin b. Jonah von Tudela / Benjamin von Tudela, Reisender, Autor 23 f., 245 232, 253 Benvenuta Mastrangelo, Bewohnerin in Palermo, Stifterin für S. Caterina 264, 265 366 Berard, Erzbischof von Palermo 244 Betumen siehe Ibn al-Ṯumna Biš r b. Daʿūd, Händler in Tinnīs 122 Bonellus, Adelsfamilie in Sizilien 175 Bonifazio, Natale, Illustrator, Graveur 39, 183, 186 (Abb. 12a), 187 (Abb. 12b), 230 Bourbonen (Bourbon­Sizilien), Dynastie von Königen in Sizilien 131, 181 Braun, Georg, Herausgeber, Autor 39, 230, 231 (Abb. 16a), 232 (Abb. 16b) Bulcassem / Bulcasem siehe Abū l-Qāsim Busach siehe Abū Isḥaq Calixt II., Papst 149 46 Caro, Erzbischof von Monreale 250, 275, 277, 285 Chamse / Ḥamza, kaitos, Verkäufer eines Grundstücks in Palermo 258; siehe auch Christodoules Chiarmonte, Familie in Palermo 155, 214 Christen 6, 21, 25, 30, 61, 75–78, 84, 104, 107, 127, 150, 163, 167, 174, 177, 205, 219, 236–238, 246, 251 f., 256, 267, 269 f., 272, 292 Christina von Schweden (Maria Alexandra), Königin von Schweden, Exilantin 39 Christodoules, Verkäuferin eines Grundstücks in Palermo 258; siehe auch Chamse

Personen

Christodoulos (Christoforus, ʿAbd al-Raḥmān al-Naṣrānī), höchster Würdenträger und Verwalter unter Adelasia und Graf Roger II. 177– 180, 185, 191, 201, 222, 224 f. Coloman I., König von Ungarn 176 Constantinus, Stifter an SS. Trinità (Palermo) 251 Cusa, Salvatore, Gelehrter, Autor 13 Dänen 141 Desiderius, Abt von Montecassino siehe Viktor III. Dominikaner 210, 264 Drogo (Hauteville), Eroberer, Graf von Apulien und Kalabrien 144 f. Dudo von Saint­Quentin, Dekan, Geschichtsschreiber 142 Elvira (von Kastilien), Königin von Sizilien, erste Frau Rogers II. 234, 242 Erzbischof von Malta (Identität unklar) 75, 75 55 Eugenios, Verwalter und Notar unter Roger I. (posthum amiratus genannt) 178 64, 190 Eugenios (tou Kalou) (Eugenius Cali, Abū l-Ṭayyib), hoher Verwalter unter Wilhelm II. 252 Eunuchen 190, 218, 219, 219 113, 235–238, 240, 255, 259, 260, 262 349 Euphemios, Fīmī, tourmarch von Westsizilien 46–48, 48 30, 55, 110 Fallamonacha, Familie in Palermo 287 Faraḥ b. Joseph b. Faraḥ b. al-Qābisī, Händler, Verfasser eines Briefs über Ibn al Bāʿbāʿ 122 f. Fatimiden, Dynastie von Kalifen in Ifrīqiya und Ägypten 10 19, 20, 26, 35, 54, 59, 72, 95–97, 100, 102, 104 f., 113, 123, 160, 213, 273 Fazello, Tommaso, Dominikaner, Autor 12 25, 38, 38 69 f., 40, 126, 130, 149, 155, 183, 185, 209 f., 211, 212 (Abb. 13), 213, 233, 252, 262 Felix Fabri, Reisender, Autor 200 22 Felizia, Tochter Rogers I., Frau Colomans I., Königin von Ungarn, 176 Ferdinand II. (von Aragón), Vicerè in Sizilien 130, 130 125 „Franken“ siehe al-Ifranǧ Friedrich II., König von Sizilien, Kaiser des HRR 6, 26, 134 137, 169, 188, 202 f., 241, 244, 254, 256 316, 284, 284 25, 285–287 Friedrich III. / Friedrich II. (von Aragón), König in Sizilien 205 f., 253 296



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Gaetano, Ottavio, Gelehrter, Autor 33 50, 67, 137 Ǧaʿfar (b. Yusūf, Tāǧ al-Dawla / „Ǧaʿfar II.“), amīr der Kalbiden in Sizilien, Bruder des al-Aḫal, Bruder des al-Ṣamṣām 102–105, 116 Ǧaʿfar b. Muḥammad, wālī der Aghlabiden in Sizilien 68, 74 Garibaldi, Giuseppe, Anführer und Kämpfer im Risorgimento 181 Garufi, Carlo­Alberto, Gelehrter, Autor 14 33 Gaufredus Malaterra, Geschichtsschreiber 28 f., 31 43, 107, 109, 111–114, 117, 119, 121, 123, 127–129, 133, 144, 147–151, 154, 157, 162–164, 168 7, 174, 176 Ğawḏar, Besitzer von Privilegien im palermitanischen Hinterland 73 46, 190 gayti 218, 219 113, 222, 235–237, 250; siehe auch Iohar; Martin; Peter; Richard Georg, Heiliger 208, 209 62 Georgios Maniakes, Feldherr 106–108, 144, 266 Georgios von Antiochia, höchster Verwalter und Würdenträger in Palermo unter Adelasia und Roger II. 180 f., 183, 185, 188, 191, 200 f., 222, 227, 232, 237, 262 f., 265 Giardina, Gaetano, Gelehrter, Autor 39, 39 74, 130, 131 129, 132, 135 Giovanni, Vincenzo di, Gelehrter, Autor 215 (Abb. 14), 245, 253, 263 Gosbert von Lucy (Josbert de Lucy), Adliger, Schwiegersohn Rogers I., Vater der Muriella 172, 180 Goten 193 Gottfried Ridel, Kämpfer in Sizilien unter Robert Guiskard, später Herzog von Gaeta 109 Gregor I. (der Große), Papst 50, 80, 84, 88, 168, 250 Gregor VII., Papst 151 56, 168 Gregorio, Rosario, Gelehrter, Geschichtsschreiber 40, 213 Griechen 46, 69, 75–77, 105, 107, 121, 127, 134, 143 12, 149, 167, 205 f., 267, 281 f. Grimoald, villanus (S. Maria di Bagnara) 179 Guaimar III., Fürst von Salerno 143 f., 160 Guaimar IV., Fürst von Salerno 160 ǧund (Palermo) 54, 59–61, 85, 95 f., 109 f. ǧund Dimašq 77 Guy, Bischof von Amiens, Geschichtsschreiber 133 135 Hadrian IV., Papst 242 al-Ḥ ākim, fatimidischer Kalif in Kairo 104, 292

352



Register

Ḫalīl b. Isḥāq b. Ward, Befehlshaber der Fatimiden in Palermo 96, 213 Ḥamza siehe Chamse al-Ḥ anaš , Schreiber, Verfasser einer Biographie Rogers II. 25 23 al-Ḥarawī, Reisender, Autor 44, 272 Hārūn al-Rašīd, abbasidischer Kalif in Bagdad 46 al-Haṣan b. Abī l-Ḥ usayn al-Kalbī, erster kalbidischer wālī in Sizilien 60, 96 al-Ḥ asan siehe al-Ṣamṣām Ḥ asan b. Muʿāwiya b. Ḥ udayǧ al-Sakūnī, Sohn des Muʿāwiya b. Ḥudayǧ al-Sakūnī 44 Hauteville (Altavilla), Adelsfamilie in Süditalien und Sizilien 141, 144–147 Ḥ ayyim b.ʿAmmār, Händler, Verfasser eines Briefes in Palermo 111 28 Heinrich VI., König von Sizilien, Kaiser des HRR 31, 202, 244, 251 275, 277, 279, 282–284, 283 (Abb. 19) Heinrich, Bischof von Nicastro 176 Heinrich, Erzdiakon von Catania 239 Heinrich del Vasto, Bruder der Adelasia, Onkel Rogers II. 175, 192 f. Heraklios, Kaiser des oströmischen Reiches 200 23 al-Ḥ imyarī, Geograph, Autor 22, 68, 75 55, 134 Hogenberg, Franz, Kupferstecher 39, 230, 231 (Abb. 16a), 232 (Abb. 16b) Hugo, Erzbischof von Palermo 238, 242 f. Hugo Falcandus (Hugo V.), Abt von St. Denis, Geschichtsschreiber 29, 30 f., 155 74, 175, 196, 203 f., 206–210, 216–218, 219 113, 220, 223, 229 f., 232–239, 242 f., 250, 255–260, 262–265, 262 349, 267 f., 284 Humbert von Moyenmoutier, Kardinalbischof von Silva Candida, Titularerzbischof von Sizilien 167 Humfred (Hauteville), Eroberer in Süditalien 144 f. Ḫurǧ al-Ruʿūna (al-Aġlab b. Muḥammad b. al-Aġlab), wālī der Aghlabiden in Sizilien 74 al-Ḥ urr b. ʿAbd al-Raḥmān al-Ṯaqafī, Statthalter in al-Andalus 78 Ḥ usayn b. Rabāḥ, wālī der Aghlabiden in Sizilien 74 Ibn al-Aṯ īr, Geschichtsschreiber 26, 50, 68 20, 81 77, 109 f., 114, 116, 121 f. Ibn al-Baʿbāʿ (ʿAbd Allāh Muḥammad), Händler, Herrscher (?) in Palermo 121 79, 121–123 Ibn al-Ḥ awwās (Belcawed, Belcho), (Teil-)Herrscher in Sizilien 108 f., 111, 114 Ibn al-Maklātī, (Teil-)Herrscher in Sizilien 108

Ibn al-Ṣabbāġ, Schreiber, Dichter 73 46, 190 Ibn al-Ṯumna (Betumen, Vultumine), (Teil-)Herrscher in Sizilien 107–111, 113 Ibn Bat ̣t ̣ūt ̣a, Reisender, Autor 24 Ibn Ǧubayr, Reisender, Autor 23 f., 126, 195–199, 201, 214, 219 113, 220–223, 228, 236, 238, 241, 245 232, 258, 260, 264, 268–271, 270 391, 271 392, 274 f. Ibn Ḥ amdīs al-Ṣiqillī, Dichter 26, 121 78 Ibn Ḥammūd, Familie, Vorsteher der Muslime in Sizilien 265 Ibn Ḥ awqal, Reisender, Autor 20 3, 20–23, 51–53, 56–60, 72 f., 76 f., 80–82, 84–86, 86 89, 90–94, 97, 101, 101 154, 102, 128 115, 189 f., 245 f., 252 Ibn ʿIḏārī (al-Marrākušī), Geschichtsschreiber 55, 96 Ibn Mankūt (ʿAbd Allāh b. Mankūt), (Teil-)Herrscher in Sizilien 108 Ibn Qalāqis, Reisender, Dichter 226, 265, 271 f. Ibn Qurhub Aḥmad b. Qurhub und ʿUṯmān b. Qurhub Ibn Šaddāt, Geschichtsschreiber 25, 106 Ibn Siqlāb / Saqlāb, Besitzer einer Moschee, Namensgeber eines Viertels in Palermo 71, 93 Ibn Yūnus al-Ṣiqillī, Rechtsgelehrter, Autor 85 Ibn Zurʿa, Rechtsgelehrter, Besitzer einer Moschee in Palermo 274, 274 410 al-Idrīsī, Geograph, Autor 22 f., 23 12, 101, 134, 197, 207, 210, 249, 261 f. al-Ifranǧ („Franken“) 26, 160 96 Ingelmarus, Kämpfer Rogers I. in Sizilien 171, 173 Innozenz III., Papst 202 Inquisitoren 4 Inveges, Agostino, Gelehrter, Autor 135, 214 Ioannes Skylitzes, Geschichtsschreiber 48 Iohar (Ǧawhar), gaytus, Kämmerer unter Wilhelm I. 218 107 f., 219 113; siehe auch gayti al-Iṣt ̣aḫrī, Geograph, Autor 59 Jesuiten 4 Johanna (von England), Königin von Sizilien, Frau Wilhelms II. 277 Johannes, Evangelist 249 Johannes, „Herr über die charbatoi“, Zeuge in Palermo 259 Johannes, Heiliger 77 f. Johannes, qāʾid, Kämmerer Wilhelms II. 250 Jordan (von Hauteville), Kämpfer, unehelicher Sohn Rogers I. 171 Johannes von Lavardin, Wächter des Stephan von Perche 267 Josbert de Lucy siehe Gosbert von Lucy

Personen

Juden 35, 61, 71, 76, 88, 90 f., 105 1, 169, 204–206, 212–214, 252–255, 253 296, 287, 292; siehe auch Palermo, ḥārat al-Yahūd Judith (d’Évreux), Gräfin von Sizilien, erste Frau Rogers I. 147 Julian, Statthalter von Ceuta 47 21 Justinian II., Kaiser des oström. Reiches 158 86 Kalbiden (banū Kalb), Dynastie von Emiren in Sizilien 26, 58, 61 87, 73 46, 95, 102 f., 105, 148, 155, 191 Karl I. (der Große), fränk. König, Kaiser des weströmischen Reiches 46, 141 Karl I. / Karl IV., König von Spanien, Kaiser des HRR 38 Karl III. (der Dicke), König des Ostfrankenreiches, Kaiser des weströmischen Reiches 141 Karl III. (der Einfältige), König des Westfrankenreiches 141 Konrad (von Querfurt), Kanzler Kaiser Heinrichs VI., Reichslegat, Bischof von Hildesheim 284 Konstans II., Kaiser des oströmischen Reiches 44 f. Konstanze, Königin und Regentin von Sizilien, Kaiserin des HRR, Tochter Rogers II., Frau Heinrichs VI., Mutter Friedrichs II. 166 115, 202, 244, 274 410, 275 418, 277, 284, 284 23 Kreuzfahrer 97, 157, 273 Kryptomuslime 219, 236 Kutāma, Amazigh Stamm, Garde der Fatimiden 95, 97, 100, 102, 105 Langobarden 143 f., 175 Lateiner 165, 168, 206, 253, 274 410, 281 f. Leo IX., Papst 167 Leon, Archidiakon, Adressat eines Briefes von Theodosius 32, 67 Lombarden 175 Lucia (von Syrakus), Heilige 107, 107 11, 150 Lucius III., Papst 255 al-Mahdī (ʿUbayd Allāh al-Mahdī), fatimidischer Kalif in Ifrīqiya 95, 99 f. Maio von Bari, höchster Würdenträger und Verwalter unter Wilhelm I. 181, 183, 191, 232 f., 238 f., 242 f., 242 220, 245 240, 264, 266 Maiocco, Orazio, Illustrator 39, 183, 186 (Abb. 12a), 187 (Abb. 12b) al-Malik al-ʿĀdil siehe al-ʿĀdil Mālik b. Anas, Rechtsgelehrter, Autor 47 al-Mālikī, Rechtsgelehrter, Autor 47 Mamlūken 156



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al-Manṣūr (al-Manṣūr bi-llāh), fatimidischer Kalif in Ifrīqiya 20, 99 f. Margarethe von Navarra, Königin und Regentin von Sizilien, Frau Wilhelms I. 30, 239, 243, 266 f. Maria, Heilige 130 f., 135, 137, 150 f. Markus, Heiliger 255 Markward von Annweiler, Reichstruchsess Heinrichs VI., Regent von Sizilien 202, 284, 284 25 Martin, gaytus unter Wilhelm I. 218 109, 250; siehe auch gayti Martorana, Familie in Palermo 264 Matheus von Salerno, Notar am königlichen Hof 188, 222, 240 206, 251, 255, 282 Mattheus Bonellus, Adliger in Sizilien, Aufständischer 175, 238 f., 245 240, 267, 267 378 Melus von Bari, Aufständischer in Apulien 143 Michael IV. (Paphlagon), Kaiser des oströmischen Reiches 106 Michael Antiochenus, Verwalter am königlichen Hof, Sohn des Georg von Antiochia 191 Mongitore, Antonio (Lipario Triziano), Gelehrter, Autor 39, 39 74, 130, 135, 153, 193 Muʿāwiya b. Abī Sufyān, Kalif der Umayyaden in Damaskus 43, 77 Muʿāwiya b. Ḥ udayǧ al-Kindī, militärischer Kommandeur, Gefährte des Muḥammad 43–45 Muḥammad, Religionsstifter, Prophet im Islam 43, 178 Muḥammad Abī l-Ǧawārī, Truppenkommandeur 48 al-Muʿizz, Kalif der Fatimiden in Ifrīqiya und Kairo 80, 89, 99 f., 160 al-Muʿizz b. Bādīs, Herrscher der Ziriden in Ifrīqiya 105, 113 Münster, Sebastian, Gelehrter, Kosmograph 39, 181, 182 (Abb. 10) al-Muqaddasī, Reisender, Autor 21, 70, 72 43, 97, 102, 133 Muratori, Ludovico, Gelehrter, Autor 39, 39 74 Muriella, Beklagte in einem Rechtsstreit mit Abū Maḍar, Cousine Rogers II., Tochter des Gosbert von Lucy 179 f. Muslime 5, 11, 13 f., 21, 25 f., 26 25, 30, 32, 43–45, 47 f., 50 f., 53, 56, 59–61, 63–65, 65 10, 66 (Abb. 1), 67 f., 70, 75–77, 84–89, 86 89, 87 94, 92, 106, 113 f., 116 f., 121, 126 f., 135 145, 142 f., 149, 152, 155, 163, 167, 170 f., 174 f., 179 f., 195– 197, 204–206, 209 f., 218, 219 113, 227, 236 f., 246, 251–254, 256, 258, 260 f., 265–279, 270 391,

354



Register

274 410, 278 8, 281–283, 283, 284 25, 285, 287, 289 f., 292 f. Nehorai b. Nissim, Händler in Fusṭāṭ 122 Nife, Bruder von Johannes (qāʾid), Besitzereines Grundstücks in Palermo 250 Nikolaus II., Papst 145 f. Nikodemos, Erzbischof von Palermo 149, 149 46, 167, 169 Niqūla Ašqar, Käufer eines Hauses in Palermo 278 11 nobilitas / Adel 165 f., 171, 175, 180, 232–234, 236 f., 238 f., 291 Normannen 5, 12, 13 32, 14 f., 22, 27 f., 34, 106–109, 109 18, 111, 113 f., 116, 119, 121, 123–130, 123 90, 131 128, 133 f., 142–144, 148–150, 154, 156 f., 167, 191, 215, 289, 291 al-Nuʿaymī (ʿAbd al-Qādir al-Nuʿaymī), Gelehrter, Autor 78 65 al-Nuwayrī, Gelehrter, Geschichtsschreiber 26, 47 f., 55 f., 80 Obertus Fallamonacha, Vorsteher der Finanzverwaltung Friedrichs II. in Palermo 286 f. Orlando, Leoluca, Bürgermeister von Palermo 5 5 Ostgoten 44, 139 Oströmer 32, 43, 46, 48, 69, 76, 87, 105 f., 143 f., 147, 213 Palermitaner 13, 25, 52, 114, 117, 123, 127, 135, 148, 158, 163, 183, 202–204, 203 32, 240, 278, 286 Peter, Bote Guiskards 112 Peter, gaytus unter Wilhelm I. und Margarethe 218 107 f., 236 188, 250, 273 403; siehe auch gayti Peter, Heiliger 153, 225 Peter von Blois, Autor, Archidiakon von Bath und London 30, 30 39 Petrus, Apostel 135 Petrus Bido(n), strategos und amiratus von Palermo unter Roger Borsa 165 f. Petrus de Ebulo, auch von Eboli, Geschichtsschreiber 31, 253, 257, 261, 279, 282 f. Petrus Indulsius, Thesaurar der Cappella Palatina 30 40 Philagathos von Cerami, Prediger, Autor 225 Phillipp von al-Mahdīya, Eunuch am Hof Rogers II. 25 23 Phönizier 9, 49 Pietro Ranzano, Dominikaner, Autor 210–214 Pisaner 116–120, 117 5, 126, 209, 209 66, 257, 284 25

Polybius der Ältere, Geschichtsschreiber 49 Prokop, Geschichtsschreiber 49, 101 156 al-Qāʾim (al-Qāʾim bi-amri llāh), Kalif der Fatimiden in Ifrīqiya 96 Radolf Bonellus, Ritter 172 Radulf Glaber, Geschichtsschreiber 143 12 Rainulf Drengot, Eroberer in Süditalien 143 f. Richard I., Graf von Aversa, Fürst von Capua 27 Richard, Bischofelekt von Syrakus 203, 239, 243 Richard, gaytus unter Wilhelm I. und Margarethe 219 113, 222, 250, 266; siehe auch gayti Richard Bonellus, Adliger 177 Richard von San Germano, Geschichtsschreiber 279 Robert, Richter in Palermo 188 Robert Avenellus, Adliger 177 Robert Borellus, Adliger 177 Robert Crispin, Kämpfer, Söldner 142 Robert Guiskard, Herzog von Apulien, Kalabrien und Sizilien 27 f., 108 f., 112, 112 33, 116 f., 119–121, 125–130, 137, 145–147, 145 25, 149, 151–154, 154 71, 157–160, 161 (Abb. 8a), 161 (Abb. 8b), 162, 164 f., 192, 224 Robert von Calatabiano, Vorsteher des castellum maris 260, 266 Roger I., Graf von Kalabrien und Sizilien 27 f., 108– 110, 112–114, 117, 119, 121, 125 f., 130 f., 135, 137, 147 f., 149 46, 151, 154, 157–160, 162, 165, 168 7, 169, 171–177, 178 64, 180, 192 113, 235, 238, 291 Roger II., König Siziliens 14 36, 22 f., 25 23, 29, 33, 103, 126, 129, 177–179, 183, 188, 191–194, 192 113, 198–200, 201 23, 207, 225–228, 232, 234, 239, 241 f., 241 210 f., 244–247, 249, 255, 277, 279 15 Roger III., Herzog von Apulien, Sohn Rogers II. und Elviras 239, 277 Roger IV., Herzog von Apulien, Sohn Wilhelms I. und Margarethes 203, 242 Roger Borsa, Herzog von Apulien und Sizilien 146– 148, 162, 165 f., 168, 177 Roger von Barneville, Adliger 173 Rollo, Herzog der Normandie 141 f. Romuald von Salerno, Erzbischof von Salerno, Geschichtsschreiber 29, 148 40, 153, 236 188, 243– 246, 245 240, 256, 268 Rosalia, Heilige 137 Saḥnūn b. Qādim, Rechtsgelehrter 47 Ṣalāḥ al-Dīn, ayyubidischer Sultan in Syrien 157, 272 f.

Personen

Salāma b. Mūsā b. Isaak al-Safāquṣī, Händler, Verfasser eines Briefes in Palermo 119 f. Salinas, Antonio, Archäologe 135 al-Ṣamṣām (al-Ḥasan Ṣamṣām al-Dawla, Sausane), kalbidischer amīr in Sizilien, Bruder des al-Aḫal, Bruder des Ǧaʿfar 96, 105, 111 Ṣaqāliba 60 f., 71, 142; siehe auch Palermo, ḥārat al-Ṣaqāliba „Sarazenen“ 117 59, 148, 151 f., 155, 204, 219, 219 113, 235, 252, 255, 262 349, 263 Sausane siehe Ṣamṣām al-Dawla Sclafani, Familie in Palermo 214 Sedictus Saracenus, Scedid, al-Sadīd Abū al-Makārim Hibat Allāh b. al-Ḥuṣrī 264–266, 268, 275, 275 418 Sepha, Nachfahre Abrahams (Erzvater), imaginierter Auftraggeber des Turris Baych 211 Sergius IV., Herzog von Neapel 143 Serlo (Hauteville), Kämpfer in Sizilien, Neffe Robert Guiskards und Rogers I. 173 Sibt ̣ b. al-Ǧawzī, Geschichtsschreiber 123 Sikelgaita, Herzogin von Apulien, Sizilien und Salerno, Regentin, Tochter Guaimars IV., Frau Robert Guiskards, Mutter Roger Borsas 146, 149, 153, 169, 254 Silvester, Graf von Marsico, Cousin von Roger II., Aufständischer. 239, 264 Simon, Graf von Tarent, unehelicher Sohn Rogers II., Aufständischer 221 119, 239 f. Simone (Nini), Vater des Bartolomeo Nini 287 Sizilier 61, 107, 156, 164, 213, 267, 277, 282 Slaven 142 Staufer 13, 31, 284 Stephan von Perche, Erzbischofelekt von Palermo und Kanzler 30, 243 f., 260, 265–267 Sybille, Königin Siziliens, Frau Tankreds von Lecce 279 Syrakusaner 65, 74, 272 Tamīm b. al- Muʿizz, amīr der Ziriden in Ifrīqiya 113, 121 Tankred (Hauteville) 145 Tankred (Hauteville), Graf von Lecce, König Siziliens, illegitimer Sohn Rogers III. 239, 244, 277–279, 282 f., 283 (Abb. 18, 19) Terinus de Pafnihovin, Vertreter des Deutschen Ordens in Palermo 188 Theodoisos Monakos, Mönch aus Syrakus, Autor eines Briefes 32, 65 10, 67–70, 73–76, 73 48



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Theophanes, Geschichtsschreiber 44 Tiroldus, strategos von Milet 165 Triziano, Lipario siehe Antonio Mongitore Tuluniden 54 Türken 142 Umayyaden, Dynastie von Kalifen in Syrien 78 ʿUqba b. Nāfiʿ, ummayadischer Statthalter in Ifrīqiya 45 f. Urban II., Papst 28, 168 7 ʿUṯ mān b. Qurhub, militärischer Anführer, Eroberer von Palermo 53, 55, 96; siehe auch banū Qurhub Vibius Sequester, Gelehrter, Autor 183 Viktor III. (Desiderius von Montecassino), Papst 27 Vincente Ferrer, Prediger 214 Vultumine siehe Ibn al-Ṯumna al-Walīd (I.), Kalif der Umayyaden in Damaskus 77 Walter von Pagliara, Bischof von Troia, Archidiakon von Cefalù, Erzbischof von Palermo, Lehrer der Kinder Wilhelms II. 202, 225, 230, 242 215, 243, 275 418 Wikinger 141 Wilhelm I. (der Eroberer), König von England 142 Wilhelm I., König Siziliens 22 f., 30, 107 11, 126, 191, 195, 198 19, 203, 217 f., 223, 228–230, 232–236, 239–244, 241 210, 243 225, 247, 258, 260 Wilhelm II., König Siziliens 24, 30, 150, 177, 190, 195, 196 4, 204 36, 212, 220, 222, 228, 233, 240, 241 210 f., 243 f., 243 225, 247, 253, 261, 267, 271, 273 f., 277–279 Wilhelm III., König von Sizilien, Sohn Tankreds von Lecce 279 Wilhelm (manchmal Wilhelm II.), Herzog von Apulien, Sohn Roger Borsas 177 Wilhelm de Cratteri, Adliger 177 Wilhelm de Partinico, Richter der „Sarazenen“ unter Konstanze 274 410 Wilhelm Eisenarm (Hauteville), Eroberer und Herrscher in Süditalien 107, 144, 192 Wilhelm Malabret, Adliger 173 Wilhelm von Apulien, Geschichtsschreiber 28, 121, 127–129, 143–146, 143 12, 148 40, 150 53, 154, 156, 163 f. Wilhelm von Blois, Bruder des Peter von Blois 30 Wilhelm von Hauteville (Eisenarm), Eroberer und Graf von Apulien 144, 192

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Register

Yaʿqūb b. Faḍlūn b. Ṣālih, Händler in Palermo 254 298 Yāqūt al-Rūmī / Yāqūt al-Ḥ amawī, Geograph, Autor 22, 134 Ysac de Guillelmo, Händler in Palermo 212 Yūsuf (Abū l-Futūḥ Yūsuf), kalbidischer amīr in Sizilien 190 Yūsuf b. ʿAbd al-Raḥman al-Fihrī, Statthalter der Umayyaden in al-Andalus 78

Zawīla, militärisches Koningent der Fatimiden aus Libyen, Fezzan 99 f. Ziriden, Dynastie 105 f., 113 f., 116, 121, 201 Ziyādat Allāh I., amīr der Aghlabiden in Ifrīqiya 47, 55

Orte



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2 Orte Ortsnamen werden meist in ihrer standardisierten deutschen oder italienischen Form wiedergegeben, bestimmte Teilnamen oder Ortschaften aber gemäß ihrem Quellennamen. Die Lemmata Palermo und Sizilien wurden nicht aufgenommen, verzeichnet sind aber die Karten und Abbildungen, die Palermo und Sizilien zeigen, sowie alle innerhalb Palermos genannten Orte, Gewässer, Viertel, Gebäude und anderen Baustrukturen, wobei nicht nur Oberkategorien (wie Hinterland, Gewässer, Viertel, Kirchen usw.) ergänzt, sondern auch verschiedene Quellenbezeichnungen aufgenommen wurden, weil sie über die Nutzung und Bedeutung zu einer bestimmten Zeit Auskunft geben. Aachen 224 133, 241 209 – Pfalzkirche 224 133 Aci Castello 68 Acqua dei Corsari 198 Adrano – Kastell 152 Afrika 4, 8, 24; siehe auch Ifrīqiya; Maghreb; Nordafrika; Ostafrika Agrigent 38 65, 44, 89, 96, 108 f., 114, 116, 135, 152, 168 f., 169 18, 197, 213, 242 f. – S. Gerlando, Kathedrale 152 – Tempel des Zeus Olympios 38 Ägypten 24, 72, 90, 254, 273, 291 Alba 176 Alcamo 274 Alexandria 26, 89, 122, 200 22, 257 322 Alpen 143, 282 Altavilla 29, 144 Amalfi 160, 210 al-Andalus 35, 58 81, 60, 90, 196, 274; siehe auch Iberische Halbinsel Antiochia 262 Apennin 141, 143 Apulien 106, 108, 112, 116, 119–121, 131 128, 143 f., 143 12, 234 f., 286 Aquitanien 141 Arabia felix 88 Aragón 205 Ärmelkanal 141 Asien 24 al-ʿAskar siehe Kairo Athen 199 f., 200 22, 201 Aversa 143 f. Babylon siehe Kairo Balārm / Balarm 56, 106, 109; siehe auch Palermo Balearen 43 Bagdad 24, 46, 72, 96 Bagnara Calabra 179

– S. Maria di Bagnara, Abtei 179 Bahrain – al-Fātaḥ, Moschee 82 Barbastro 142 Bari 87, 119, 121, 125, 148 40, 235 al-Baṣra 54 Benevent 44, 92 Bilād al-Šām 90; siehe auch Naher Osten; Heiliges Land; Palästina; Syrien Bronte 191 Burgund 141 Butera 175 Caccamo 152, 172 – S. Giorgio, Kirche 152 Cannita, Hügel 198 Canosa di Puglia 131 128 – S. Sabino, Kirche 131 128 Capua 143, 143 12 Carini 172, 175 Casale di Gallo 168, 284 23 Castiglione di Sicilia 152 – Cuba di S. Domenica, Kirche 152 Castrogiovanni 65, 68, 108 f., 111, 123 90; siehe auch Enna Castronovo 108, 173 Catania 28, 108–110, 125, 169, 169 18, 205 44, 239 – Bistum 28 – S. Agata, Abtei, Kathedrale 28 – S. Agata la Vetere, Kirche 84 82 Cava de’ Terrini – SS. Trinità, Abtei 168 Cefalù 51, 68, 197, 241 f. – S. Salvatore, Kathedrale 107 11, 241 f. Cerami 113 f., 117 Ceuta 23 12 Chorasan 43 Ciminna 172 Cinisi 164

358



Register

Conca d’Oro siehe Palermo Córdoba 78 f., 86 91, 108, 269 – Friedhof 78 – Gebetsplatz 78 – Guadalquivir 78 – Moschee 79 10 – römische Brücke 78 – S. Vicente, Basilika 78 – Stadtmauer 78 Corleone 170–172, 247 Cotentin 144 Dalamatien 255 Damaskus 33, 77, 79, 81, 156, 212, 268 f. – Große Moschee / Umayyaden­Moschee / ǧāmiʿ banī Umayya al-kabīr 33, 77, 78, 82 (Abb. 3) – Johannes­Basilika 78 – al-kanīsa al-maryamīya / Mariamitische Kirche 78, 268 Damietta 24 De’ ficarazzi, Fluss 198 Dittaino, Fluss 111 Djerba (Garbum) 200 23, 254 f., 287 Elbe, Fluss 141 England 9, 142, 156, 277 Enna 48 f., 63–65; siehe auch Castrogiovanni Epte, Fluss 141 – Saint­Clair­sur­Epte, Kirche 142 Eraclea Minoa 38 69 Europa Europa 5, 9, 24, 39 74 Focerò 174 Foggia 6, 286, 286 34 Francia 141, 228, 243, 266 f. Frankreich 141 al-Fust ̣āt ̣ siehe Kairo Garbum siehe Djerba Gargano 143 Garonne, Fluss 141 Genua 3, 23, 286 Geraci Siculo 171, 173 Gozo 33, 174, 201 Granada 24 Griechenland 23 f. Guadagna siehe Palermo

Ḥarrān 156, 273 403 Heidelberg 16 Heiliges Land 10, 77, 142, 197, 266; siehe auch Bilād al-Šām; Naher Osten; Palästina; Syrien Heiliges Römisches Reich 6 Iberische Halbinsel 9, 23, 43, 87, 142, 196; siehe auch al-Andalus Ifrīqiya 15, 20, 33, 35, 43, 45–47, 52, 55, 60 f., 63, 71, 82 80, 85, 87, 89 f., 95 f., 105, 113, 119, 121, 127, 160, 201 23, 254–256, 258, 291; siehe auch Afrika; Maghreb; Nordafrika Indien 35, 88, 90 Irak 54 Italien 5 4, 24, 142; siehe auch Süditalien Jato 170 f. Jemen 35 Jerusalem 10 19, 21, 24, 101 156, 120, 176, 200 23 Kairo 10 19, 35, 54, 85 86, 90, 100 148, 102, 105, 226 f., 248, 257 322, 263 – al-ʿAskar 51 45, 54, 56 68 – Babylon 54 – al-Fust ̣āt ̣ 35, 54, 54 59, 71 f., 89 f., 122 –– Ben Ezra Synagoge 35, 89 –– al-ḥamrāʾ 54 – miṣr al-Qāhira 54 – Palast 226 f., 263 – al-Qat ̣āʾi 54 Kairouan 43, 45–47, 54, 60 86, 71, 74, 95, 152, 257 322 – Biʾr Rūt ̣a / Bir Barrouta 60 86 – Große Moschee / Moschee des ʿUqba b. Nāfiʿ / ǧāmiʿ ʿUqba b. Nāfiʿ 74, 82, 152 – simāt ̣ al-ʿaẓima 74 – Stadttor 74 Kalabrien 47, 49, 85, 106, 111 f., 131 128, 145, 147, 162, 163 106, 164 f., 179 – S. Nicola di Droso, Kloster 165 Karthago 45 11 Kastilien 24 Kefalonia 162 Konstantinopel 10 19, 24, 32, 45 f., 106 f., 142 6, 167, 200 23, 221, 224 133, 226, 257 322, 274 – Palast 226 46 – Palastkirche 224 133 – Stadttor 200 23 Kreta 43, 59 83, 60, 196 al-Kūfa 54

Orte

Lecce 239 Lérida 142 Levante 8 12, 90, 156 Libyen 99 – Fezzan / Fizzān 99 Limone 170 Loire 141 Lombardei 175 London 3 1, 10 20, 133 135 – Westminster 133 135 Lukanien 108 al-madīna (al-madīnat al-Ṣiqilliya) 106; siehe auch Balārm / Balarm; Palermo Maghreb 21, 23, 45; siehe auch Afrika; Ifrīqiya; Nordafrika al-Mahdīya 91 117, 95, 99, 120 72, 201 23 – Große Moschee 82 80 Mainz 194, 194 124 Malta 75, 168, 174, 199, 242, 248 255 Maniace 191 al-Manṣurīya 20 3, 72, 72 42, 99 – bāb al-futūḥ 99 – bāb Zawīla 99 – Hauptstraße 99 Manzil Siqlab 71 Marsala 44, 63, 108, 178 – S. Maria, Kirche 178 Marseille 23 Marsico Nuovo 239 Mazara 63, 89, 108, 119, 168, 242 Mazara del Vallo 48, 169, 242 Medina 24, 47, 106, 196 Mediterraneum 89; siehe auch Mittelmeer; Mittelmeerraum Mekka 24, 196, 227, 246 Melfi 27 28, 141, 146 27, 154 71 – Kastell 144–147 Mesopotamien 20 Messina 24, 65, 111, 144, 154 71, 169, 174, 177, 196 f., 196 4, 197 7, 202, 205 f., 257 322, 267, 270 391 – Hafen 196 f., 202 – Meerenge / Straße von Messina 144, 174, 196 – Palast 196 – S. Salvatore, Kloster 32 Mileto 147, 165, 169 – Kastell 147 – SS. Trinità, Abtei 28



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Mirto 172 – casale 172 Misilmeri 121, 168 Mittelmeer 3, 10 21, 86, 124; siehe auch Mediterraneum; Tyrrhenisches Meer Mittelmeerraum 5, 7, 26, 35, 43–45, 88 f., 117, 156, 159, 197, 247, 273, 293 f.; siehe auch Mediterraneum Mittlerer Osten 8 Mondello 168 Monemvasia 65 Monreale 149 f., 150 50, 167, 189, 244, 244 277, 246 f., 250, 261, 273 – contrata 189 – (Erz-)Bistum 247 – S. Ciriaco / S. Ciriaca, S. Kuriaga, Kirche 149, 167 – S. Domenica, Kirche 149 f. – S. Maria Nuova, Abtei 273 – S. Maria Nuova, Kathedrale 150, 244 mons Tarantinus, Berg bei Palermo 119 Montagna Longa 172 Montecassino 27, 143 12 – Abtei 27, 27 28 Al-Muʿizzīya 99 – bāb al-futūḥ 99 – bāb Zawīla 99 – Hauptstraße 99 Naher Osten 8, 35; siehe auch Bilād al-Šām; Heiliges Land; Palästina, Syrien Neapel 3 Nicocastro 28, 176 – S. Eufemia, Abtei 28 Nicosia 175 Nicotera 169 Nil, Fluss 54 Nordafrika 5, 8 f., 26, 46, 54, 64 6, 80, 89, 95 f., 113, 122, 126, 185, 197, 201, 213, 218, 247, 262 349, 289; siehe auch Afrika; Ifrīqiya; Maghreb Nordsee 141 Normandie 107, 142 f. Noto 164, 171 Oreto siehe Palermo Ortygia siehe Syrakus Ostafrika 88 Oströmisches Reich 44 f., 50, 88, 101 56, 289 Otranto 119 Oxford 22

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Register

Palästina 8; siehe auch Bilād al-Šām; Heiliges Land; Naher Osten, Syrien Palermo 132 (Abb. 6), 136 (Abb. 7), 161 (Abb. 8a, 8b), 184 (Abb. 11a), 185 (Abb. 11b), 186 (Abb. 12a), 187 (Abb. 12b), 231 (Abb. 16a), 232 (Abb. 16b), 280 (Abb. 17), 295 (Karte 1), 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4), 299 (Karte 5), 300 (Karte 6); siehe auch al-madīna (al-madīnat al-Ṣiqilliya); Balārm / Balarm; Panormos / Πάνορμος – ʿAbbās, Ebene 246 – Akropolis 49, 49 34, 76, 92, 95, 135, 148, 151 f., 154–158 – Albergheria, Stadtviertel 215, 249, 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, Kemonia, Stadtviertel – Aljama seu muschita, Synagoge 252 – Altstadt 4, 51–53, 72, 128, 133, 148, 206, 208, 214, 239, 249, 258, 261, 263, 268, 270 f., 274, 286 f.; siehe auch Palermo, al-madīnat al-qadīma; al-qaṣr al-qadīm – Alza (Kalsa, Kalza), Stadtviertel 134, 134 137, 281, 299 (Karte 5) – Antikes Forum, Platz 50 – aqua Gribel siehe Palermo, al-ġirbāl – Archivio Diocesano 49, 246 – Archivio Storico Communale 252 – ʿayn Abī ʿAlī, Quelle 51 f., 62, 189 – ʿayn Abī Saʿīd, Quelle 51 – ʿayn al-Abrārī, Quelle 246 – ʿayn šifāʾ, Quelle 61, 272, 288 – ʿayn tisʿ, Quelle 51 – bāb al-abnāʾ, Tor der alten / inneren Stadtmauer 57, 58, 58 76, 96, 216, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-baḥr, Tor der alten / inneren Stadtmauer 73 48 91, 100, 148, 210, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-bunūd, Tor von al-Ḫāliṣa 97, 101, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-futūḥ, Tor von al-Ḫāliṣa 97, 99 f., 133, 135, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-Ḥadīd, Tor der alten / inneren Stadtmauer 252, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-Haǧǧirīn 208 57, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-riyāḍ, Tor der alten / inneren Stadtmauer 58, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb al-ṣināʿa, Tor von al-Ḫāliṣa 97, 101, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4)

– bāb al-Sūdān, Tor der alten / inneren Stadtmauer 61, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb ʿayn šifāʾ, Tor der alten / inneren Stadtmauer 60, 262, 272, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb Ibn Qurhub, Tor der alten / inneren Stadtmauer 53, 58 f., 61 88, 96, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3) – bāb Kutāma, Tor von al-Ḫāliṣa 97, 100, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb Rūṭa, Tor der alten / inneren Stadtmauer 60, 61 88, 103, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb šantaġāt / šant Aġāta, Tor der alten / inneren Stadtmauer 84, 88, 208, 272, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – bāb sūq al-daǧāǧ, Tor der alten / inneren Stadtmauer 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – Ballarò, Viertel 4 3 – Bāyḍāʾ 53, 246 f. – Begräbnisstätte 94 – Cala siehe Palermo, Hafen – Cappella dell’Incoronata 80 – Cappella Palatina siehe Palermo, Palazzo dei Normanni – Casa Martorana, Wohnpalast des Georgios von Antiochia 180, 262, 264 f. – Casa Professa (Chiesa del Gesù), Kirche 50 38 – casale Bayda 246 f. – Caserme dalla Chiesa­Calatafimi 49 – Cassaro (Corso Vittorio Emanuele), Straße 261 – Cassarum, Cassaro, Stadtviertel 256, 261, 266, 271, 281, 287, 299 (Karte 5) – Castello dell’Uscibene siehe Palermo, Menani – Castello di Maredolce siehe Palermo, Favara – castrum maris / castellum maris (Castello a Mare, Meereskastell, Seekastell) 67, 101, 135, 153, 155, 155 74, 203, 206, 208, 257–261, 279, 281 f., 284 25; siehe auch Palermo, Parco archeologico del Castellammare – chastel Jehan 126, 198, 298 (Karte 4); siehe auch Palermo, ribāṭ(?) – Conca d’Oro 88, 170 f. – contrada Sant’Agathe 208, 252 – Corso dei Mille 94 – Cuba 247, 300 (Karte 6) – Cubana 244, 247 f. – Curia del Bajulo e de’ Giudici 180 – Danissini, Fluss 52; siehe auch Palermo, al-dayyāsīn al-kibār

Orte

– dār al-imāra, Gouverneurssitz 56, 56 68 – al-dayyāsīn al-kibār, Fluss 253; siehe auch Palermo, Danissini – Divisi siehe Palermo, Ideisini – Erzbischöfliche Residenz 49, 233, 239, 243, 263 – Fabara, Favara, Bezirk 244 f. – Favara, Fabara (Castello di Maredolce), Palast 14 36, 103, 190 f., 198, 244–248, 245 240, 248 23, 282, 300 (Karte 6); siehe auch Palermo; qaṣr Ǧaʿfar – al-fawwāra al-kabīra, Quelle 246 – flumen Garbelis siehe Palermo, al-ġirbāl – forum Saracenorum, Platz 262–264 – al-Ǧaʿfarīya, Stadtviertel 102, 116, 119, 126 – Galca (Galka, Galea, Galcule) siehe Palermo, Palazzo dei Normanni – Ǧamīm siehe Palermo, ḥārat Abī Ḥamīr – Geonard siehe Palermo, viridarium – al-ġirbāl (aqua Gribel, flumen Garbelis, Sorgenti del Gabriele), Quelle 51 f. – Hafen / Hafenbucht (Cala) / Hafenbecken 3, 11, 16 f., 49, 60, 86 f., 91, 94, 96 f., 101 f., 101 156, 105, 117 f., 120, 127, 155, 201 f., 206, 208–210, 214, 249, 251, 255, 257 f., 281 – Hafenviertel 153, 257–261 – al-Ḫāliṣa 97, 99 (Abb. 5b), 99–102, 105, 116, 119, 126, 128 f., 128 115, 133 f., 154 f., 188, 213, 281 – ḥalqa 156 f.; siehe auch Palermo, Palazzo dei Normanni, Galca – ḥārat Abī Ḥamīr / Ḥimyar / Ǧamīm, Stadtviertel 71 – ḥārat al-ǧadīda, Stadtviertel 71, 93, 119, 249 – ḥārat al-masǧid Ibn Saqlab, Stadtviertel 71, 249 – ḥārat al-Ṣaqāliba, Stadtviertel 60 f., 93, 103, 131, 206, 249; siehe auch Ṣaqāliba – ḥārat al-Tāǧī, Stadtviertel 103, 298 (Karte 4) – ḥārat al-Yahūd, Stadtviertel 71, 90, 119, 249, 252; siehe auch Juden – ḥāra ḥufrat ġullān 104 – ḥāra tuʿrafu bi-kanīsat al-furūḥ, Stadtviertel 104 – Haus des Atenulf 267 378 – Haus des Maio 239, 264 – Haus des Mattheus Bonellus 267 278 – Hinterland 11, 22, 71–73, 88, 93, 96, 103 f., 121, 124, 168, 172, 172 (Abb. 9), 188, 190 f., 197, 208, 237, 244 f., 247 f., 254, 273, 278, 285, 291 – horthus S. Ameragles 182, 185 (Abb. 11b) – Ideisini (Divisi), Stadtviertel 252 f., 281 – jüdisches Viertel 208 57, 252 – Kalsa / Kalza siehe Palermo, Alza



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– kanīsat al-furūḥ, Kirche 104 – Katakomben 50, 50 38 – Kemonia, Fluss / Torrente 16, 50, 90 f., 104, 206, 215, 249 f., 253 – Kemonia (trans Kemonia), Stadtviertel 57, 248, 250 f., 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, Albergheria – al-madīnat al-qadīma 72, 75; siehe auch Palermo, al-qaṣr; Altstadt – Magione siehe Palermo, SS. Trinità – al-Manānī, Quelle 246 – maristān (Hospital) 198; siehe auch Palermo, S. Giovanni dei Lebbrosi – Märkte 74, 79, 89, 92–94, 119, 256–258, 278 –– funduq (Waren-, Lagerhaus) 90, 254, 257 f., 261 –– Geschäfte 33, 90, 92, 166, 210, 212, 256, 258, 261, 278 –– sūq / islamischer Markt 92 – masǧid ǧāmiʿ / Große Moschee 74–77, 79–82, 84, 92, 94, 97, 100, 148–151, 208, 270, 289 – masğid Ibn Siqlāb 71 – Meereskastell siehe Palermo, castrum maris – Menani (Uscibene, Castello dell’Uscibene, Scibene / Xibene) 246 f., 300 (Karte 6) – Mikwe 4, 252 – misida, Moschee­Hospital­Komplex des Abū l-Qāsim 272, 287 f. – Moscheen 4, 79–82, 84, 97, 226, 261, 270, 274 f., 291 – al-muʿaskar, Militärquartier 51, 51 45, 52–54, 53 57, 56 68, 59, 62, 207 – Münzstätte 161 (Abb. 8a), 161 (Abb. 8b) – muṣallā, Gebetsplatz 76 f., 100, 148, 263 – Neapolis 49, 56, 60, 72, 75, 295 (Karte 1) – Ognissanti, Hospital 255 – Oratorio dei Bianchi 135, 136 (Abb. 7); siehe auch Palermo, S. Maria della Vittoria – Oreto, Fluss 94, 181–183, 188–191, 198, 251, 300 (Karte 6); siehe auch Palermo, Ponte dell’Ammiraglio –– flumen Abbes, Hueddabes, Huedhabes, Habes, Luedabes, Havedabes, Miraglia, ammiratii 183, 191 –– Guadagna, wādī al-ʿāmm 73, 181, 190 –– wādī ʿAbbās 71 f., 94, 102 f., 118, 126, 181, 183, 190 f. – palatium Arabum 262 f. – Palazzo Chiaramonte, Lo Steri 101, 155

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Register

– Palazzo dei Normanni, königlicher Palast 3, 24, 29, 39 71, 57 f., 135, 194 f., 196 1, 203, 206, 210, 214 f., 216 (Abb. 15), 216–224, 226–230, 232– 243, 234 179, 241 210, 242 215, 246 f., 249 f., 255 f., 258–268, 271, 277, 279, 281, 284 –– aula regia 203, 216 (Abb. 15), 223, 228, 230, 234 179, 264, 284 –– campanarium, Glockenturm 230 –– Cappella Palatina, capella regia, Palastkapelle 30 40, 180 70, 193, 216 (Abb. 15), 223–228, 228 153, 233–235, 241 211, 249 f., 281 –– Chiesa inferiore 223 –– Chirimbi (Chirimbim, Thyrimbis) 233 –– Cortile Maqueda 223 –– Galca (Galea, Galcule, Galcula, Galka) 155, 157, 214, 215 (Abb. 14), 217 f., 223, 228, 230, 232 (Abb. 16b), 240, 253, 255, 279, 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, ḥalqa; Palastdistrikt –– Gefängnisse 95, 216 (Abb. 15), 217, 232, 239, 240 206, 258, 260 –– Glockenturm 181, 232, 279 –– Grablege 146 f., 241, 244, 279 –– königliche Gemächer 216 (Abb. 15), 235 –– officinae 233 –– Palasttore 216 (Abb. 15), 216 f., 240, 299 (Karte 5) –– – Porta Galke, porta Galcule 216 (Abb. 15), 217 –– – porta palatii, porta aedificorum 57, 215 f., 216 (Abb. 15) –– Palastdistrikt, -bezirk 57, 155, 180, 193, 195, 216, 216 (Abb. 15), 217, 219–222, 226 f., 232 (Abb. 16b), 235, 238, 255, 262; siehe auch Palermo, Palazzo dei Normanni, Galca –– Palasttürme 39 71, 229 f., 240 –– Schatzkammer 146, 240 –– Schulraum 230 –– Segrete 216 (Abb. 15), 223 –– Torre Greca, turris Greca 216 (Abb. 15), 230, 232 f. –– Torre Joharia, turris Ioharia 216 (Abb. 15), 230, 233, 235, 240 –– Torre Pisana, turris Pisana 206, 216 (Abb. 15), 230, 233, 235, 241, 262 f. –– Torre Rossa, turris rossa 216 (Abb. 15), 223, 230 – Palazzo Pretorio, Palazzo Senatorio 180 – Palazzo Steri 101 – Paleopolis 49, 52 f., 56–58, 60 f., 62–68, 72 f., 75, 103, 177, 295 (Karte 1) – Papireto, Fluss / Torrente 16, 50, 60, 91, 206, 209 67, 253, 255, 257

– Papireto (trans Papireto), Stadtviertel 255–257, 271, 279, 281, 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, Seralcadi – Parco archeologico del Castellammare 91; siehe auch Palermo, castrum maris – Piazza della Dogana 209 – Piazza della Vittoria 49 – Piazza Marina 91, 101 – Piazzetta della Vittoria 135 144 – Piazzetta delle Vergini 288 – place de lo encontre de li sarrasin, Platz 148, 263 – platea media 73 – Ponte del Miraglia siehe Palermo, Ponte dell’Ammiraglio – Ponte dell’Ammiraglio 12 27, 181–183, 187 (Abb. 12b), 188 f., 300 (Karte 6); siehe auch Palermo, Oreto – Ponte delle Teste Mozze 183 – porta Aedificorum, Tor der alten / inneren Stadtmauer 57, 215 f. – porta Bebilbakal, Tor der alten / inneren Stadtmauer 299 (Karte 5) – porta Busuemi, Tor der alten / inneren Stadtmauer 299 (Karte 5) – porta Careni, Porta Carini 208, 299 (Karte 5) – Porta Doana, Tor der äußeren / neueren Stadtmauer 209 – porta inferiora siehe Palermo, porta maris – porta Iudaica 299, Tor der alten / inneren Stadtmauer (Karte 5) – porta maris (porta inferiora), Tor der alten / inneren Stadtmauer 210, 257, 262, 272, 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, porta Patitelli – Porta Mazara, Tor der äußeren / neueren Stadtmauer 299 (Karte 5) – Porta Nuova, Tor der äußeren / neueren Stadtmauer 262 – Porta Oscura, Tor der alten / inneren Stadtmauer 288, 299 (Karte 5) – porta Patitelli 73, 91, 100, 148, 210, 212 (Abb. 13), 212, 296 (Karte 2), 297 (Karte 3), 298 (Karte 4), 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, porta maris –– turris Baych 210 f., 214 –– turris Pharat 211, 214 – porta Rotae 299 (Karte 5) – Porta San Giorgio, Tor der äußeren / neueren Stadtmauer 208, 279, 299 (Karte 5)

Orte

– Porta Sant’Agata, porta Sancte Agate / Agathe, Tor der alten / inneren Stadtmauer 208 f., 233, 255, 264, 272, 299 (Karte 5) – Porta Sant’Agata, Tor der äußeren / neueren Stadtmauer 208 f., 299 (Karte 5) – porta Thermarum, porta Termini 181, 188, 197– 199., 201, 207 f., 214, 251 f., 275 418, 281, 299 (Karte 5) – porta victoria, Porta della Vittoria 130, 132 (Abb. 6), 132 f., 135, 137, 298 (Karte 4) – qanāt 53, 247 – al-qaṣr, al-qaṣr al-qadīm 249, 261, 281; siehe auch Palermo, Altstadt; al-madīnat al-qadīma – qaṣr al-silsila 101, 297 (Karte 3), 298 (Karte 4) – qaṣr Ǧaʿfar 102 f., 116, 198; siehe auch Palermo; Favara – Quartiere Militare di San Giacomo degli Spagnoli 49 – rabʿ al-Malf siehe Palermo, vicus Amalfitanorum – ribāṭ(?) 126 f.; siehe auch Palermo, chastel Jehan – S. Agata alla Giulla, Kirche 208 – S. Agata de Cassero oder de de Guidda, Kirche 84 84 – S. Agata la Pedata, Kirche 208 – S. Andrea, Kirche 57, 259 – S. Andrea (Apostolo), Kirche 288 – S. Andrea (de Bebbene), Kirche 209 67, 215, 250 – S. Andrea degli Amalfitani, Kirche 259, 299 (Karte 5) – S. Antonio Abate, Kirche 214 – S. Calogero, Kirche 50 38 – S. Cataldo, Kirche des Maio von Bari 181, 264 – S. Catarina, Kirche, Kloster 180, 262, 265 – S. Ermete, Kirche 250 – S. Giacomo, Kirche 209 67 – S. Giorgio, Kirche 250 – S. Giovanni, Hospital, Leprosorium 126, 183; siehe auch Palermo, maristān – S. Giovanni, Kirche 126, 126 102, 229 155 – S. Giovanni degli Eremiti, Kirche 249 f. – S. Giovanni dei Lebbrosi, Kirche 126 102, 191, 198, 285 f., 300 (Karte 6) – S. Lorenzo de Indulci, Kirche 251 – S. Marco, Kirche 209 67, 255 299 (Karte 5) – S. Maria, Kathedrale 30, 50, 79 f., 82, 83 (Abb. 4), 117, 150–153, 158, 167–170, 192, 194, 202, 208, 233, 241–244, 241 210, 242 215, 250, 264, 266 f., 277, 284 23, 286 35, 289 – S. Maria de Crypta o della Grotta, Kirche 50 38



363

– S. Maria degli Angeli (Chiesa della Gancia), Kirche 132 – S. Maria dell’Ammiraglio, Kirche des Georgios von Antiochia 181, 262–264, 268 – S. Maria dell’Itria / La Pinta, Kirche 57 – S. Maria della Catena, Kirche 155, 209 – S. Maria della Grotta, Kirche 152, 180 70, 205 42, 251 f., 254 298, 259 332 – S. Maria della Pinta 229 155 – S. Maria (della) Vittoria, Kapelle, Kirche 130, 136 (Abb. 7), 153; siehe auch Palermo, Oratorio dei Bianchi – S. Maria delle Vergini, Kloster 288 – S. Maria Maddalena, Kirche 229 155, 242 215 – S. Michele, Kirche 251 – S. Michele Arcangelo, Kirche 50 38, 104 – S. Nicola, Kirche 251 – S. Nicolò a Tolentino, Kirche 252 – S. Nicolò dei Greci, Kirche 104 – S. Pancrazio, Kirche 251 – S. Parasceve, Kirche 251 – S. Spirito, Abtei, Kirche 248 – S. Teodoro, Kirche 288 – S. Teresa, Kirche 132 – SS. Quaranta Martiri, Kirche 251 – SS. Trinità (La Magione), Abtei, Kirche 188, 248, 251 f. – Scerarchadium siehe Palermo, Seralcadi – Scibene / Xibene siehe Palermo, Menani – Seekastell siehe Palermo, castrum maris – Seralcadi (Scerarchadium), Stadtviertel 257, 261, 281 f., 287, 299 (Karte 5); siehe auch Palermo, Papireto, Stadtviertel – ṣimāt, Straße 73, 76, 148, 261 f. – Sopraintendenza Sezione Beni Archeologici 288 – Sorgenti del Gabriele siehe Palermo, al-ġirbāl – Stadtmauern 17 f., 49 f., 70, 90, 93 f., 104, 120, 127–129, 134, 182, 199, 202, 206, 215, 217, 249, 253, 260, 268, 274, 281 –– äußerer Mauerring, neuere Stadtmauern 181, 207–209, 215 –– innerer Mauerring, alte (punische) Stadtmauer 51 f., 90, 206–208, 233, 248 f., 252, 255–257, 261 – Stadttore 39, 39 71, 51, 53, 56, 74, 84, 97, 100, 127, 129 f., 137, 148, 181, 189, 199, 200–203, 200 23, 206 f., 214, 258, 278, 291 – sūq siehe Palermo, Märkte – šurṭa, surtia 259–261

364



Register

– Synagogen 50, 50 39, 89 f., 252 f. – Tempel 50 – trans Kemonia siehe Palermo, Kemonia – trans Papireto siehe Palermo, Papireto, Stadtviertel; Seralcadi – Universität 263 – urbs exterior 128 f., 133, 148, 163 – urbs interior 133 – Uscibene siehe Palermo, Menani – via Cooperta, via coperta, Straße 216 (Abb. 15), 233, 241, 262 f., 267, 267 378 – via Marmorea, Straße 262–264, 267, 267 378 – Via Parlamento 101 – Via Roma 214 – vicus Amalfitanorum (rabʿ al-Malf), Stadtviertel 209, 257 f., 299 (Karte 5) – Villa Bonnano 49 – viridarium, viridarium Geonard 244, 247, 250, 281 – Vororte (Vorstadt) 128, 134, 249, 252, 255, 270 f., 274, 285 – Vorstadt siehe Palermo, Vororte – Zisa 247, 300 (Karte 6) Panormos / Πάνορμος 106; siehe auch Palermo Paris 10 20, 141 Partinico 171 f. Paternò – Kastell 152 Patti 174 – Kastell 174 Persien 24 Petteranum 172, 179 f. Piana degli Albanesi 170 24 Piazza Armerina 175 Pisa 117 f. – S. Maria, Kathedrale 118 Prizzi 175 Pyrenäen 141 al-Qāhira siehe Kairo qalʿat Ayyūb 116 qalʿat Brazzū (Rocca di Prizzi) 44 qaṣr Saʿd, Kastell (ribāṭ?) mit Moschee 198 al-Qat ̣āʾi siehe Kairo al-Qayrawān siehe Kairouan Reggio 108 f., 125, 145 25, 164, 166 Rhodos 43 Rom 7, 39, 44, 89, 167, 169

Rometta 68 Rouen 142 Sahara 60 f. Salerno 29, 142 f., 143 9, 146, 146 32, 152 f., 160, 168, 193, 234 – S. Matteo, Kathedrale 152 f. San Marco Argentano 145 Santa Cristina Gela 170 Saragossa 23 Sciacca 108 Scribla 145 Seine 141 Selinunt – Hafen 48 Sfax, Ṣafāqus 95, 201 23 – Große Moschee 82 80 Simeto, Fluss 191 Sinai 106 Sizilien 98 (Abb. 5a), 115 (Abb. 5c), 184 (Abb. 11a), 185 (Abb. 11b), 301 (Karte 7), 302 (Karte 8); siehe auch Westsizilien Skandinavien 141 Solanto – Kastell 198 Sousse, Sūsā 43, 45, 47, 71, 95, 201 23 – Große Moschee 152 – ribāṭ 152 Spanien siehe al-Andalus; Iberische Halbinsel Sperlinga 175 Stuhlweißenburg siehe Székesfehérvár Sudan, bilād al-Sūdān 60 f. Süditalien 6, 23, 27, 29, 31, 106, 131 128, 143, 145, 145 22, 147, 156 f., 160, 165, 208 59; siehe auch Italien Syrakus 32, 44–46, 48 f., 63, 65, 66 (Abb. 1, 2), 67– 70, 67 14, 74 f., 107, 107 11, 164, 169, 243, 257 322, 271 – Castello Marchetto 67 – Ortygia 67, 70 – S. Lucia al Sepolchro, Kirche 107 – S. Salvatore, Kirche 67 – Tempel des Apollon 67 – Tempel der Athene 67 Syrien 8, 55, 82 80, 272; siehe auch Bilād al-Šām; Heiliges Land; Naher Osten; Palästina Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) 10 20

Orte

Taormina 164 Termini Imerese 172, 176, 197 f., 207 Tinnis, Tinnīs 24, 122 Trapani 24, 108, 164, 274 Tripolis 124 Troia 158, 202 Troina 113, 117, 119, 125, 147, 151 f., 169, 173 f., 178 64 – Bistum 147, 151, 158, 169 – Kastell 158 – S. Maria, Kathedrale 151 f. Tunis 3, 152 – al-Zaytūna, Große Moschee 152 Tyrrhenisches Meer 160; siehe auch Mittelmeer

– S. Geremia, Kirche 107 – S. Lucia, Kirche 107 Venosa 144–147 – SS. Trinità, Kirche, später Abtei 144 Vercelli 249 Via Valeria 181 76 Vicari 171 f. – S. Maria, Kirche 171 Villafranca 174

Val Demone 63, 157, 163, 171 Val di Mazara 63 Val di Noto 55 Valencia 24 Venedig 255

Yarmuk 43



365

Weströmisches Reich 7 Westsizilien 46, 89, 122, 178 f., 189, 273, 291; siehe auch Sizilien

Zawīla 99 f.; siehe auch Libyen; Fezzan Zypern 43, 158 86