Rationalität in der Islamischen Theologie: Band I: Die klassische Periode 9783110588576, 9783110496710

This anthology deals with aspects of rationality in the modern age, examining current positions in Islamic rationalist t

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German Pages 509 [510] Year 2019

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
I. Die Anfänge der Rationalität in der Islamischen Theologie
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example
II. Muʿtazilitisches Denken
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie
Muʿtaziliten und Hadith. Zur Konzeption einer traditional-rationalen Hadith-Kritik anhand des Werkes „Qabūl al-aḫbār wama ʿrifat ar-riğāl“ von Abū l-Qāsim al-Kaʿbī al-Balḫī
The Human and the Prophet in ʿAbd al- Jabbār’s Theology
Muʿtazilitische Koranexegese
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie: Maǧāz in der muʿtazilitischen Kalām-Lehre
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia
III. Maturiditisches und Ašʿaritisches Denken
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts: Abū Šakūr as-Sālimī und sein Tamhīd fī bayān at-tauḥīd
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works Taʾsīs al-taqdīs, Maʿālim uṣūl al-dīn, and al- Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam
IV. Sufi Traditionen
Rationality of Faith for al-Ghazālī
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik
Namensregister
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Rationalität in der Islamischen Theologie: Band I: Die klassische Periode
 9783110588576, 9783110496710

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Rationalität in der Islamischen Theologie Band I: Die klassische Periode

Rationalität in der Islamischen Theologie

Band I: Die klassische Periode Herausgegeben von Maha El Kaisy-Friemuth, Reza Hajatpour und Mohammed Abdel Rahem

ISBN 978-3-11-049671-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058857-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058659-6 Library of Congress Control Number: 2018958077 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Socrates discussing philosophy with his disciples, Arabic miniature from a manuscript, Turkey 13th Century. DEA / G. DAGLI ORTI / Kontributor / De Agostini / Getty Images Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis  Vorwort  IX Einleitung  XI

I Die Anfänge der Rationalität in der Islamischen Theologie Omar Hamdan Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie  3 Doris Decker Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam  35 Mourad Qortas Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit  67 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen  99 Mohammed Abdel Rahem Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel  119 Ahmad Ighbaria The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example  132

II Muʿtazilitisches Denken Elsayed Elshahed Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten  169 Mahmoud Abushuair Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie  188

VI 

 Inhaltsverzeichnis

Hossam Ouf Muʿtaziliten und Hadith. Zur Konzeption einer traditional-rationalen Hadith-Kritik anhand des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa-maʿrifat ar-riğāl“ von Abū l-Qāsim al-Kaʿbī al-Balḫī  204 Maha El Kaisy-Friemuth The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology  226 Mourad Qortas Muʿtazilitische Koranexegese  242 Muhammed Ragab An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie: Maǧāz in der muʿtazilitischen Kalām-Lehre  265 Reza Hajatpour Muʿtazila und die Zwölfer-Schia  283

III Maturiditisches und Ašʿaritisches Denken Hureyre Kam Die duale Epistemologie al-Māturīdīs  293 Angelika Brodersen Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts: Abū Šakūr as-Sālimī und sein Tamhīd fī bayān at-tauḥīd  324 Thomas Würtz Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor  351 Jon Hoover Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works Taʾsīs al-taqdīs, Maʿālim uṣūl al-dīn, and al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn  373 Mahmoud Abdallah Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam  391

Inhaltsverzeichnis 

IV Sufi Traditionen David Burrell Rationality of Faith for al-Ghazali  445 Daro Alani Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik  463 Namensregister  488

 VII

Vorwort  Glaube und Vernunft sind und waren Schlüsselbegriffe, die unter muslimischen Gelehrten und Theologen kontrovers diskutiert wurden. Zentrum der islamischen Religion ist Gottes Offenbarung an den Propheten Muhammad, die immer wieder Interpretation und Kommentierung bedurfte. Grundfragen waren die nach der Hermeneutik des göttlichen Wortes. Die Geschichte der Islamischen Theologie ist von Spannungen zwischen Vertretern der Tradition und der Vernunft geprägt. Während einerseits den logischen bzw. rationalen Methoden der Behandlung juristischer und theologischer Fragen kaum Raum gegeben wurde, war für andere Theologen die menschliche Vernunft der maßgebliche hermeneutische Schlüssel. Dieser Ansatz rationaler Theologie wurde seit dem Ende der Umayyaden-Zeit verfolgt und erreichte seine Blüte unter den Abbasiden. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien, den Rationalisten und den Traditionalisten, beschränkte sich anfangs auf die Frage nach dem Gottesbild, speziell die Attributenlehre Gottes, bevor sich die Kontroverse auf weitere Themenkreise zu erstrecken begann. Die Idee einer gemeinsamen internationalen Tagung zur Islamischen Theologie kam Ende 2014 auf, als sich die Leiter des DIRS (Department für IslamischReligiöse Studien) in Erlangen und der SISD (Sektion für islamische Studien in Deutsch an der Al-Azhar-Universität) in Kairo trafen. Beide Institutionen äußerten damals ihr Bedürfnis nach vertiefter Zusammenarbeit. Im Vorfeld der Besieglung eines wissenschaftlichen Kooperations-Abkommens samt Studierenden- und Dozentenaustausches, kamen DIRS und SISD auf die Idee, eine gemeinsame Tagung zu organisieren, die den Arbeitstitel „Rationalität im Islam“ trug. Zahlreiche Wissenschaftler, die auf islamisch theologischen Gebieten, vor allem den verschiedenen Kalam-Schulen forschten, wurden zur Teilnahme eingeladen. Die Tagung, eröffnet durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der Erlanger Friedrich-Alexander-Universität, diskutierte nicht nur eine der bedeutendsten Fragen in Geschichte und Gegenwart der Islamischen Theologie, sondern erwies sich mit ihren Ergebnissen auch als Brücke zwischen den neu gegründeten Zentren im Westen und einer klassisch traditionellen Institution im Osten. Die Tagung, deren Beiträge im vorliegenden Band gesammelt wurden, setzte einen erfolgreichen Studierenden- und Dozentenaustausch zwischen dem DIRS und der SISD in Gang, der mittlerweile eine Reihe weiterer wissenschaftlicher Früchte erwachsen sind. Al-Azhar-Universität, Sektion für Islamische Studien in Deutsch (SISD) https://doi.org/10.1515/9783110588576-001

Einleitung  Das Konzept von Rationalität im Islam kann nicht diskutiert werden ohne sich dabei auf die rationalistisch theologischen Schulen der Muʿtaziliten, Aschʿariten und Maturiditen zu beziehen. Diese gehen jeweils davon aus, dass der menschlichen Vernunft eine entscheidende Rolle bei Verständnis und Interpretation von Religion zufällt. Von Anfang an umstritten waren jedoch wesentliche Fragen zur Ausgangsposition menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Kann der Mensch von sich aus Grund und Wesen der Welt erfassen? Verfügt er über die Bereitschaft und den Willen dazu? Die Frage nach dem freien Willen wurde im frühen 8. Jahrhundert im politischen Kontext diskutiert. Umayyadische Kalifen ließen Konzepte zur Prädestination entwickeln um damit ihre Vormachtstellung zu legitimieren und die Autorität ihrer Theologen zu festigen. Die so entstandene Theorie von qadar stützten sie durch eine gezielte Auswahl von Koranversen. Ihre Prädestinationslehre setzen sie gezielt gegen ihre Kritiker ein, die am Ausbau der umayyadischen Vorherrschaft und ihrer Expansionspolitik zweifelten. Al-Ḥasan al-Baṣrī, war die führende Persönlichkeit um die sich die Opposition sammelte. Al-Baṣrī machte sich für das Konzept des freien Willens stark und stellte die menschliche Verantwortung in den Vordergrund. In seinem berühmten Brief an den Kalifen lehnte er dessen prädestinatorische Ideen ab und kritisierte das Vorgehen seiner Gelehrten eine willkürliche Auswahl von Koranversen zu treffen, nur um damit die politische Überlegenheit der Umayyaden-Dynastie zu festigen. So gab es bereits in der Zeit des frühen 8. Jahrhunderts mit al-Baṣrī eine Persönlichkeit, die die einheitliche Botschaft des Korans in den Blick nahm. Durch den Koran will Gott den Menschen zu einem ethisch bewussten Leben führen, das am Ende seine Belohnung empfängt. Ein gottgefälliges Leben kann jedoch nur durch die jedem Menschen innewohnende Fähigkeit zur Entscheidungsfreiheit getroffen werden. Diese Argumentation gilt als früheste Form einer rationalen Islamischen Theologie. Die eigentliche Diskussion über die Willensfreiheit begann erst mit den Muʿtaziliten während der Abbasiden-Zeit als man daran ging den Willen Bestandteil eines theologischen Konzepts werden zu lassen. Die Muʿtazila vertrat die Ansicht, dass Gottes Gebote und Verbote nur unter der Voraussetzung umgesetzt werden können, dass der Mensch selber frei entscheidet was er tun, bzw. lassen möchte. Seine Entscheidungsfreiheit zu guten bzw. schlechten Taten gilt als grundlegendes Kriterium für Richtertätigkeit Gottes. https://doi.org/10.1515/9783110588576-002

XII 

 Einleitung

Mit der Zeit wurde diese Diskussion vertieft und man begann menschliche Erkenntnisfähigkeit auch auf ihre Möglichkeit hin zu befragen Gott, sein Wesen und sein Gesetz zu erkennen. Rationalität ist aus muʿtazilitischer Sicht Grundvoraussetzung des Menschseins überhaupt. Mit seiner Reifung gelangt der Mensch zur Rationalität (kāmel al-‘aql). Ab einem Alter von 12 bis 14  Jahren verfügt er über ein notwendiges Basiswissen und kann sich intuitiv verantwortungsbewusst verhalten, womit er sich zu seiner schöpfungsgemäßen Bestimmung entwickelt. Der Mensch ist von vornherein mit bestimmten rationalen Fähigkeiten erschaffen worden. Es sind dies eine gewisse Selbsterkenntnis sowie die Fähigkeit durch Reflexion zur richtigen Entscheidung zwischen gegensätzlichen Möglichkeiten zu kommen; all dies für die Muʿtaziliten menschliche Eigenschaften in denen sich der Charakter ihres Schöpfers widerspiegelt, dessen höchstes Ziel es ist, dem Menschen Wohltaten zu bescheren und ihn zum Glück zu führen. Nachdem die Muʿtaziliten zu Beginn des 9. Jahrhunderts die Hauptthemen der rationalen Theologie gesetzt hatten, kam es zur Bildung gegnerischer Schulen, die ihre eigenen Ansätze verfolgten, den Rationalismus theologisch differenzierten oder ihn ganz ablehnten. Die wesentlichen oppositionellen Schulen waren die Aschʿariten und die Māturīditen. Beide hinterfragten die Rolle offenbarter Texte innerhalb der rationalen Theologie und kritisierten dass Rationalismus eine bestimmte Rezeption der Texte vorgibt. Wie verhält es sich mit mehrdeutigen Aussagen? Sind sie durch eigene rationale Kriterien zu interpretieren oder mittels anderer Texte? Die systematisch Islamische Theologie begann sich in der Auseinandersetzung zwischen diesen Schulen zu entwickeln. Eine islamische Epistemologie kristallisierte sich aus dem Spannungsfeld von Rationalität und Offenbarung heraus. Während die Muʿtaziliten die Vernunftbegabung des Menschen zu Grunde legten und ihr die Fähigkeit zusprachen, religiöse Wahrheiten rational zu erkennen, gingen besonders die Aschʿariten davon aus, dass es die Heiligen Texte selbst sind, die Erkenntnis und menschliches Wissen erzeugen. Der arabische Begriff ‘aql, gemeinhin als „rational“ übersetzt, ist in Wirklichkeit ziemlich mehrdeutig und wurde von muslimischen Theologen folglich recht unterschiedlich gedeutet. Der muʿtazilitische Theologe ʿAbd al-Ğabbār widmet diesem Begriff in seinem Werk Al-Mughnῑ XI ein eigenes Kapitel. ‘Aql bedeutet für ihn nicht nur Intellekt oder Rationalität, sondern ist ein unmittelbares und notwendiges Wissen, das es dem Menschen ermöglicht zu verstehen und Offenbartes aufzunehmen. Für ʿAbd al-Ğabbār und die Mehrzahl der Muʿtaziliten steht der intuitive Aspekt von ‘aql im Vordergrund. Zu vielen ethischen Verhaltensweisen zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse gelangt der Mensch durchaus spontan, muss dann jedoch

Einleitung 

 XIII

Einzelheiten methodisch reflektieren um zu ethischen Entscheidung zu gelangen. Asch’aritsche Gegnerschaft lehnt universelle Einsichtsmöglichkeiten dagegen ab und beharrt darauf, dass richtiges ethisches Verhalten allein durch Offenbarung vorgegeben wird. Die folgenden Beiträge stehen in der Tradition dieser grundlegenden Diskussion, gelangen aber zu wesentlichen Differenzierungen, besonders dann wenn einzelne Gelehrte und ihre Methoden genauer in den Mittelpunkt gerückt werden. Deren Behandlung spezieller theologischer Fragestellungen macht deutlich, dass es zwischen den Lehrmeinungen der großen Schulen zu überraschenden Überschneidungen und neuen Synthesen kommen kann. Den Anfang macht Omar Hamdan mit seiner Untersuchung bislang wenig erforschter Ursprünge der Muʿtazila. Um ihre theologischen Grundsätze freizulegen lenkt er sein besonderes Augenmerk auf die vorausgehende Epoche der Qadariyya und zeichnet die begrifflich-konzeptionellen Anfänge des qadar nach. Er bezieht sich dazu auf die nicht anerkannten koranischen Lesarten (qirāʾāt), wobei ihm als entscheidende Quelle das Werk Kitāb al-kāmil fī l-qirāʾāt al-ḫamsīn von al-Huḏalī (1073) dient. Verschiedene Beispiele der Behandlung dogmatischer Themen, wie z.  B. die Frage nach der Unfehlbarkeit von Engeln oder nach der Sündenlosigkeit der Propheten zeigen die Notwendigkeit, alternative Lesarten zu berücksichtigen. Ohne Rückgriffe auf die zahlreichen nicht-kanonischen qirāʾāt, d.  h. durch alleinige Bezugnahme auf Teile des Korans wäre es frühislamischen Theoriebildungen nicht möglich gewesen, ihre dogmatischen Grundsätze zu formulieren. Frühe islamisch theologische Diskussionen kreisen bevorzugt um Fragen nach Handlungs- und Willensfreiheit oder beschäftigten sich mit der Vorbildrolle des Propheten. Doris Decker lenkt ihren Blick auf die Beiträge von Frauen aus Muhammads Umfeld und zeigt die spezielle Thematik ihrer theologischen Reflexionen. Von Dreien von ihnen, Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym, ist genügend zuverlässiges Quellenmaterial überliefert anhand dessen Decker darlegt, zu welcher Geschlechterkonzeption sie gelangen. Indem sie sich vom altarabischen Kult abgrenzen und ihr neues Bekenntnis zu Mohammad formulieren entwickeln diese Frauen ein eigenes neues Selbstverständnis; eine allererste Etablierung feministischer islamischer Identität. Mourad Qortas widmet seine Forschungen dem Ambiguitätsdiskurs in der KoranGelehrsamkeit. Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen eindeutigen und mehrdeutigen Versen, welches eine schon im Koran (Sure 3,7) aufgeworfene

XIV 

 Einleitung

offenbarungstheologische Schlüsselfrage ist. Speziell diskutiert er den Fachbegriff Al-muḥkam wa l-mutašābih. Qortas hebt die Eigenständigkeit der Muḥkamāt hervor. Diese beschrieben als umm al-kitāb wird als die Essenz der muslimischen Botschaft herausgearbeitet: „Wenn der Gläubige zu einem muḥkam zurückgeht, um einen unklaren mutašābih zu verstehen, dann findet er auf diesem Weg zum rechten Glauben“. Tarek Elkot beschäftigt sich mit der Problematik der Offenbarungsanlässe in alBuḫārīs Hadīṯ-Sammlung Kitāb at-tafsīr. Er diskutiert sie anhand von drei koranischen Beispielen in denen jeweils der Begriff nuzūl (Herabsendung) auftritt. Für Elkot ist das Wissen um die Offenbarungsanlässe sowohl für das Verständnis des Korantextes bedeutsam als auch für die Kenntnis der aufhebenden und aufgehobenen Verse (an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ), wobei es ihm nicht um die Entscheidung der jeweiligen Authentizität geht, sondern um ihre geschichtliche Rezeption innerhalb der islamischen Gelehrsamkeit. In seiner Untersuchung zur Rechtsfindung zwischen Traditionalisten und Rationalisten befasst sich Abdel Rahem mit der hanfîtischen Rechtsschule. Dabei geht er ausführlich auf Abû Hanîfa selbst ein, der sich nahezu als einziger mit der Frage der rechtlichen Kniffe, al-ḥiyal asch-schar´iya und der Motive ihrer Anwendung beschäftigt hat. Rahem stellt dar, dass sich qiyâs, die Anwendung der Analogie, endgültig als die Rechtsquelle der islamischen Gesetzgebung durchsetzen konnte. In seinem Beitrag „The Use of Logic in Kalam“ behandelt Ahmad Ighbariah den Einfluss der aristotelischen Logik auf die Entwicklung der Kalam Wissenschaft. Schwerpunkt seiner Untersuchung ist das bekannte Werk At-Taqrib von Ibn Hazim. Mittels seiner Ẓāhirī – Interpretation gelangt er zu einer neuen Lesart der „Theorie der Kategorien“ aus Aristoteles‘ Organon. Zwischen theologiegeschichtlichen Höhe- und Tiefpunkten bewegt sich Elsayed Elshaheds detailreicher Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des mu’tazilitischen Dogmas. Als ersten Höhepunkt hebt er die Systematisierung der fünf Grundprinzipien, al-Uṣūl al-Khamsas durch Abū al-Hudhail al-ʿAllāf hervor; das „Glaubensbekenntnis“ der Mu’taziliten. Ein zweiter theologischer Gipfel ist für ihn die Entstehung des asch’aritischen Dogmas. Einen dritten Höhepunkt mu´tazilitischer Dogmenbildung stellt schließlich ʿAbd al-Ğabbārs 20-bändiges Werk „Al-Mughnī fī Abwāb at-Tawhīd wal-ʿAdl“ dar. Hievon ausgehend bearbeitet Elshahed die mu´tazilitische Erkenntnistheorie zwischen menschlicher Vernunft und göttlicher Eingebung.

Einleitung 

 XV

Im Mittelpunkt von Mahmoud Abushairs Beitrag steht der Gelehrte Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī (786–861). Abushair versucht die schillernde und kritische Persönlichkeit Al-Qāsims zwischen Muʿtazilismus und zaiditischer Rechtsschule einzuordnen und bemüht sich den muʿtazilitischen Charakter von al-Qāsims Positionen auch gegen maßgebliche heutige Kritiker herauszustellen. Dabei gelangt Abushair auf die Spur einer muʿtazilitisch-zaiditischen Theologie und erkennt in Al-Qāsim einen relativ undogmatischen Gelehrten, der sich mit dem sufischen Charakter vieler seiner Schriften keiner bestimmten Schule der Muʿtazila zuordnen lässt. Auch Hossam Ouf stellt in seinem Beitrag zur Hadithforschung eine GelehrtenPersönlichkeit in den Vordergrund, Abū l-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 931). In der traditionellen Hadithforschung stehen als Quellen islamischer Gesetzgebung Koran und Sunna an erster Stelle. Im Muʿtazilismus dagegen kommt dem Verstand die höchste Autorität zu. Zwischen Tradition und Rationalismus bewegt sich auch al-Kʿabī in seinem Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrufat ar-riğāl“. Er kommt darin zu Bewertungen von āḥād – Hadithen unabhängig von der Überliefererkette und provoziert damit heftigen Streit zwischen den Hadith-Gelehrten und ­Muʿtaziliten um die normative Autorität der Hadithe. Al-Kʿabīs Schriften belegen einen schon frühen rationalen Umgang mit den asānīd und mutūn der Hadithe, die den isnād und den matn als gleichwertige Komponenten eines Hadith ansehen. Ouf bekräftigt diese Vorgehensweise und betont, dass sie bis heute für eine moderne Hadithforschung unabdingbar ist. In seinem umfangreichen Werk al-Mughnī diskutiert ʿAbd al-Ğabbār das Wesen der menschlichen Natur. Dabei widerspricht er dem griechischen Konzept der Dualität von Seele und Körper und entwickelt stattdessen eine Dualität von Jawhar und ‘arad, Substanz und Akzidenz. Maha El Kaisy-Friemuth legt ihre Argumentation aus Mugni 11 ausführlich dar. Rationales Denken ist ein Prozess, der durch zweierlei in Gang gesetzt wird, durch von göttlicher Seite zur Verfügung gestelltes notwendiges Wissen sowie durch eigene Reflexion. Offenbartes Wissen dagegen ist gottgegeben und durch Prophetie vermittelt. Speziell dazu findet sich eine vertiefte Darstellung zum offenbarten Wissen in ʿAbd al-Ğabbārs Theologie samt seiner Beschreibung des Propheten. Der muʿtazilitische Ansatz, sich von wörtlicher Ausdeutung des Korans zu lösen, machte es erforderlich Maǧāz, als Theorie zur Deutung von übertragenen Ausdrücken zur Interpretation verschiedener Koranstellen heranzuziehen. Muhammed Ragabs Studie zur Schnittstelle von Sprache und Theologie, „Maǧāz in der muʿtazilitischen Kalām-Lehre“ zeigt die Entwicklung und Implikationen dieses

XVI 

 Einleitung

Konzepts auf. Da philologische und theologische Deutung Hand in Hand gingen, war es unabdingbar das Verhältnis von Sprache und Theologie präzise zu klären, wie Ragab es an etlichen Beispielen aufzeigt. Reza Hajatpour geht es in seinem Aufsatz „Muʿtazila und die Zwölfer-Schia“ darum, die theologischen Schulrichtungen von Muʿtazila und Schia miteinander in Verbindung zu bringen. Schon zu Beginn des Aufkommens der Muʿtazila hat es zwischen den Anhängern der Schia und der Muʿtazila Streitgespräche z.  B. um das Imamat gegeben. Durch diese Auseinandersetzungen hat sich der Eigencharakter schiitischer Theologie herausbilden können, wie er sich im Werk des Theologen Scheich Mufid ausdrückt, auf das sich Hajatpour in seinem Beitrag bezieht. Schnittpunkt zwischen Schia und Muʿtazila ist die rationalistische Methode. Hureyre Kam stellt die duale Epistemologie al-Māturīdīs dar. Unter den islamischen Gelehrten war al-Māturīdī der erste, der sich eingehend mit den Grundlagen einer Erkenntnislehre beschäftigte. Kam erkennt bei Māturīdī ein Konzept dualer Epistemologie, gründend auf einer allgemein menschlichen und einer speziellen Religions-Epistemologie. In seinem Beitrag lässt er diese Dualität sichtbar werden, indem er die Erkenntnisquellen, die den jeweiligen Epistemologien zugrunde liegen, unter die Lupe nimmt. Dadurch lässt er Māturīdīs Intention hervortreten, Sinneswahrnehmungen als Erkenntnisquelle der „wahren Religion“, d.  h. des Islam auszuschließen, weil nur so die Lehre von Mohammed als dem letzten wahren Propheten gesichert werden kann. Angelika Brodersen untersucht den Beginn der Auseinandersetzung māturīditischer Theologen mit der konkurrierenden sunnitischen Richtung der Ašcarīya. Dazu stellt sie die bislang nicht wissenschaftlich edierte frühe māturīditische Schrift Tamhīd fī bayān at-tauḥīd des Abū Šakūr as-Sālimī vor und weist grundlegende Differenzen zur Ašcarīya auf, die sich bereits aus den Unterschieden der jeweiligen Erkenntnislehren ergeben. Anhand ausgewählter Themenbeispiele, wie dem Verhältnis von Verstand und Offenbarung, Glaube und Handeln oder der Attributenlehre werden Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten früher konkurrierender sunnitischer Schulrichtungen verdeutlicht. Thomas Würtz führt den Leser in das Werk des Gelehrten Saʿd ad-Dīn atTaftāzānīs (gest. 1390) ein. Dieser wirkte vornehmlich im zentralasiatischen Raum (Samarkand) und ist einer von Wenigen, die nicht eindeutig einer theologischen Schulrichtung zuzuordnen sind. Sein Frühwerk, der „Kommentar zu den Glaubensbekenntnissen des Nasafī“ (Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya), ist ein māturīditischer Text. Sein späteres Hauptwerk, Šarḥ al-Maqāṣid, ašʿaritischer ist

Einleitung 

 XVII

dagegen klar ašʿaritisch geprägt. Würz konzentriert sich darauf, Taftāzānī als Vertreter der māturīditischen theologischen Richtung vorzustellen. Es wird deutlich, wie sehr māturīditisches Gedankengut im 14. Jahrhundert lebendig war, das in Form von Taftāzānīs weit verbreitetem Kommentar noch bis ins 20. Jahrhundert weitergewirkt hat. John Hoover behandelt das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung in al-Rāzīs Werk Ta’sis. Al-Rāzī bekräftigt die Körperlosigkeit und Nicht-Räumlichkeit Gottes. Während die Offenbarungstexte hinsichtlich einer Körperlichkeit Gottes Skepsis hinterlassen, vermittelt Vernunft Gewissheit. Hoover diskutiert sämtliche Aspekte von al Rasis ausführlicher Argumentation. In den historischen Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam begibt sich Mahmoud Abdallah. Im Zentrum seines Beitrags steht die Übersetzung des Kapitels bezüglich der Ḥisba aus al-Māwardīs bekanntestem Werk, „al-Aḥkām as-sulṭāniyya“. Die Ḥisba ist ein Beispiel, wie es islamischen Gelehrten schon früh gelang, Rationalität und Tradition miteinander in Einklang zu bringen. Im Mittelpunkt der Ḥisba steht das rationale Reflektieren der Schrift, weshalb sie von elementarer Relevanz für die Orthopraxie eines Muḥtasibs ist. Bei seiner Beschäftigung mit al Ghazali widmet sich David Burell dem Begriff Tawakkul. Er hebt die rationale Basis von Tawakkul hervor, vergleicht es mit Vorstellungen von Vertrauen in Judentum und Christentum und verdeutlicht schließlich die Rolle von Tawakkul zur Definition von al Ghazalis Glaubensbegriff. Darüber hinaus bietet Burell eine längere Übersetzung aus dem Buch „Tawakkul in Ihya’ ‘Ulum al-Din“ ins Englische. Beschlossen wird der Band mit Daro Alanis Betrachtungen zu Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik. Mystik und Rationalität, häufig als Gegenpole angesehen, können in einer sog. Herzerkenntnis, d.  h. der Betrachtung der innerlichen Seite einer Sache, zueinander finden. Für Alani bedeutet die mystische Herzerkenntnis eine Erweiterung der Erkenntnis durch Vernunft. Er bezieht sich in seinen Ausführungen auf den Mystiker Ibn ͑Arabī und die Lehre von der Einheit des Seins. Auch wenn durch Herzerkenntnis Zugänge zu wahrem Wissen über das Sein gefunden werden können, bleibt sie einmalig und persönlich und kann nicht als allgemeingültige Wahrheit postuliert werden. Maha El Kaisy-Friemuth

I Die Anfänge der Rationalität in der Islamischen Theologie

Omar Hamdan

Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie Die Anfänge der Muʿtazila bedürfen nach wie vor einer näheren Untersuchung. Zwar weiß man, dass diese Strömung auf die sog. Qadariyya zurückgeht, doch über die theologischen Grundsätze letzterer ist nur äußerst wenig bekannt. Das Problem beginnt bereits mit der Definition des Begriffs qadar. Wofür dieser Terminus ursprünglich stand, ist angesichts der spärlichen und inhaltlich oft dünnen Verweise in den frühislamischen Quellen alles andere als gesichert. Dasselbe lässt sich auch hinsichtlich der Personen sagen, die in späteren Quellen als erste Qadariten ausgewiesen werden. Zu diesen gehören u.  a. die beiden aus Baṣra stammenden Gelehrten Maʿbad al-Ǧuhanī (80/699) und Qatāda b. Diʿāma as-Sadūsī (118/736). Ferner lassen sich Wāṣil b. ʿAṭāʾ (131/748) und ʿAmr b. ʿUbayd (144/761) nennen, die in den Quellen nicht nur als erste Qadariten, sondern häufig auch als erste Muʿtaziliten beschrieben werden. Solche Zuordnungen basieren allerdings nicht selten auf dem Interesse späterer Autoren, die ihre eigene Denkschule durch die Berufung auf eine frühislamische Autorität zu legitimieren suchten. Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen theologischen Grundsätzen dieser Autoritäten erfolgte in der Regel jedoch nicht. Stattdessen begnügte man sich mit einer bloßen Etikettierung des Gelehrten. Dieser Umstand erschwert nicht allein die Aufspürung der muʿtazilitischen Anfänge, sondern auch diejenige der frühen islamischen Theologie im Allgemeinen. Dementsprechend lässt sich auch die große Zurückhaltung der Wissenschaft erklären, wenn es um das 1. Jahrhundert der Hidschra geht. Selbst ein Experte wie Josef van Ess klammert diese Epoche in seinem Lebenswerk weitgehend aus und widmet sich verstärkt der islamischen Gelehrsamkeit des 2. und 3. Jahrhunderts. Man könnte nun die Frage stellen, warum die islamischen Quellen über die frühe qadaritische Theologie schweigen. Wussten die Autoren des 2. und 3. Jahrhunderts dazu wirklich nichts Genaueres oder zogen sie es bewusst vor, nicht davon zu berichten, weil etwa die Generation der Prophetengefährten (aṣ-ṣaḥāba) und ihrer Nachfolger (at-tābiʿūn) als unantastbar galt? In der Tat scheint vieles dafür zu sprechen, dass die späteren Gelehrten keine detaillierten Angaben über das Problem des qadar machen wollten. Demnach sind unsere heutigen Informationen dazu auch sehr spärlich. Gibt es dennoch eine Möglichkeit, die begrifflich-konzeptionellen Anfänge des qadar und somit die Ursprünge muʿtazilitischen Denkens im 1. Jahrhundert nachzuzeichnen? Die früheren Gelehrten – wie etwa al-Ḥasan b. Muḥammad b. al-Ḥanafiyya (100/718), ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz (101/720) oder al-Ḥasan al-Baṣrī https://doi.org/10.1515/9783110588576-003

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 Omar Hamdan

(110/728)  – zugeschriebenen Traktate können hierbei nicht als zuverlässige Quellen betrachtet werden. Dasselbe gilt für Texte, die zwar über die ersten Muʿtaziliten und deren Lehren berichten, jedoch aus dem 3.  Jahrhundert und später stammen. Viel aussichtsreicher erscheint demgegenüber eine Untersuchung der nicht anerkannten koranischen Lesarten (qirāʾāt), welche auf frühe Qadariten und Muʿtaziliten, wie beispielsweise den bereits erwähnten ʿAmr b. ʿUbayd, aber auch auf Mūsā b. Sayyār al-Uswārī (circa 150/767) oder ʿAmr b. Fāʾid al-Uswārī (gest. nach 200/815), zurückgehen. Die Entscheidung für die eine oder andere Lesung eines bestimmten Wortes oder Verses im Koran kann nämlich sehr viel über die jeweilige theologische Sichtweise aussagen, mit der man an den Offenbarungstext herangetreten ist. Anhand diverser Beispiele hofft der Verfasser, in diesem Beitrag Genaueres über die Grundlagen der frühen qadaritischen sowie muʿtazilitischen Theologie ans Licht zu bringen. Dabei wird auch untersucht werden, was die beiden Denkschulen verbindet und in welchen Punkten sich ihre Wege trennen. Schließlich soll anhand des Befunds geprüft werden, inwieweit die Quellen, die sich mit der frühen Qadariyya und Muʿtazila befassen, ein plausibles Zeugnis von ihren theologischen Unterschieden geben. Als grundlegende Quelle zu den unterschiedlichen Koranlesungen wird im Folgenden auf das Werk Kitāb al-kāmil fī l-qirāʾāt al-ḫamsīn von al-Huḏalī (465/1073) einzugehen sein. Es ist die einzige umfassende Enzyklopädie zu den koranischen Lesarten, welche uns erhalten ist. Wie der Titel bereits verrät, behandelt sie insgesamt 50 qirāʾāt unter Berücksichtigung von 1459 riwāyāt (sg. riwāya) und ṭuruq (sg. ṭarīq). Bei zehn der enthaltenen qirāʾāt handelt es sich um kanonische Lesarten, während die restlichen 40 außerkanonisch sind. Das Werk liefert uns somit umfangreiches, auf die islamische Frühzeit zurückgehendes Material. Die älteste der 50 überlieferten qirāʾāt geht dabei auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurück, der bei der Entwicklung der theologischen Ansätze in Baṣra im 1. Jahrhundert der Hidschra zweifelsfrei eine zentrale Rolle spielte. Seine Lesetradition stellt eine Art iḫtiyār dar. Sie ist also eine eigene Auswahl, deren besonderes Merkmal darin besteht, dass sie der Koranexegese al-Ḥasan al-Baṣrīs entspricht bzw. an diese angepasst ist. Dessen Vorgehen kommentiert al-Huḏalī demnach wie folgt: wa-ḫtāra ḫtiyāran yuwāfiqu t-tafsīra1. Mit anderen Worten: Der iḫtiyār diente al-Ḥasan al-Baṣrī zur Unterstützung bzw. zur Legimitation seiner Koranauslegung. Dadurch ergibt sich eine enge, jedoch harmonische Kombination zwischen tafsīr und qirāʾa. Da sich diese beiden Teile nicht voneinander trennen lassen, repräsentiert al-Ḥasan al-Baṣrīs Lesart eine gute Referenzquelle im Falle von Widersprüchen oder Abwei-

1 Kitāb al-Kāmil, Bd. 1, 194.

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chungen innerhalb des von ihm überlieferten Korankommentars. Sein iḫtiyār wird im Kitāb al-Kāmil von fünf seiner Schüler sowie von 18 weiteren Gewährsleuten überliefert, die direkte oder indirekte Schüler von ihm waren. Unter den fünf Hauptüberlieferungen ist diejenige von ʿAmr b. ʿUbayd zu finden. Al-Ḥasan al-Baṣrīs Umgang mit dogmatischen und theologischen Ansätzen im Koran wurde von manchen seiner Schüler, insbesondere von ʿAmr b. ʿUbayd übernommen. Er studierte lange Zeit bei seinem Lehrer und überlieferte sowohl dessen tafsīr als auch dessen iḫtiyār. Die frühe von ʿAmr b. ʿUbayd vertretene Qadariyya aus Baṣra adaptierte al-Ḥasan al-Baṣrīs Methoden somit, um ihre qadaritischen Lehrmeinungen koranisch zu untermauern. Um al-Ḥasan al-Baṣrīs Verknüpfung von tafsīr und qirāʾa2 sowie die Interpretationsmethoden anderer Gelehrten seiner Zeit zu demonstrieren, sollen nachfolgend anhand ausgewählter Beispiele einige theologische sowie dogmatische Themen präsentiert und analysiert werden.

1 Die Unfehlbarkeit der Engel Bezüglich der theologischen Debatte, ob die Engel sündenfrei seien oder nicht, herrscht keine Einstimmigkeit unter den Theologen. Die Mehrheit vertritt die Auffassung, dass sie nicht zur Sünde fähig sind, und argumentiert dabei mit dem Koran, d.  h. sie beruft sich auf bestimmte Verse, die dafür sprechen, wie zum Beispiel 66:6, wo es heißt: „Sie sind gegen den Befehl Allāhs nicht ungehorsam. Sie tun, was ihnen aufgetragen ist“. In 21:20 lesen wir ferner: „Sie preisen Allāh bei Nacht und Tag und setzen dabei nicht aus“. Al-Ḥasan al-Baṣrī zählt als einer der frühen Vertreter dieser Lehrmeinung. Er scheint in dieser dogmatischen Frage jedoch einen Schritt weiterzugehen als seine Zeitgenossen, indem er sich bemüht, diejenigen Koranstellen, die gegen die

2 Die Übereinstimmung zwischen al-Ḥasan al-Baṣrīs Tafsīr und seiner Lesart [Beispiele: Q. 9:12 in al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 12 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 15, Q. 75:1–2 in at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 15, T. 30, 190 u. 191] stellt einen von drei Hinweisen dar, die sicher für die Authentizität des von ihm überlieferten Kommentars sprechen. Den zweiten Hinweis liefert die Übereinstimmung des tafsīr von Qatāda b. Diʿāma (118/736) mit demjenigen von al-Ḥasan al-Baṣrī, denn Ersterer vertrat in seinem Kommentar zumeist die Meinung seines Meisters. Die Beispiele hierfür – zum Beispiel Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 12, 744 § 38330 (Q. 112:2) – sind zahlreich. Als dritten Hinweis für die Echtheit lässt sich die Mehrzahl der tafsīr-Überlieferungen von al-Ḥasan al-Baṣrīs Schülern anführen. Letztere tradieren bezüglich einzelner Koranstellen nämlich dieselben – bzw. dem Sinn nach sehr ähnliche – Auslegungen und Inhalte. Dies ist etwa bei Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 12, 748–9 § 38365/69/70 belegt, wo drei Überlieferer erwähnt werden.

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Sündenlosigkeit der Engel zu sprechen scheinen, anders zu lesen, wie zum Beispiel: 2:102 wa-mā unzila ʿalā l-malakayni bi-Bābila Hārūta wa-Mārūta („Und was auf die beiden Engel in Babel, Hārūt und Mārūt, herabgesandt worden war“) > […] ʿalā l-malikayni3 […] („… auf die beiden Könige …“) Wie zu sehen ist, betrachtet al-Ḥasan al-Baṣrī Hārūt und Mārūt nicht als Engel, sondern als zwei chaldäische Könige. Seine Lesart verfolgt somit den Zweck, den aus seiner Sicht anstößigen Gedanken zu beseitigen, dass irgendwelche Sünden auf die Engel zurückgeführt werden könnten. Er erreicht dies, indem er Hārūt und Mārūt zu Menschen erklärt. Ibn Qutayba (276/889) führt eine auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurückgehende Überlieferung an, die besagt, dass er 2:102 so zu lesen pflegte und die malikān bi-Bābil als „zwei ungehobelte Kerle aus Babel“ (kāna yaqraʾuhā ka-ḏālika wa-yaqūlu: ʿilǧāni min ahli Bābila)4 deutete. In diesem Zusammenhang hat al-Ḥasan al-Baṣrī auch Iblīs einbezogen, der Adam bekanntlich die Ehrerbietung verweigerte. Da dieser Ungehorsam die Sündenlosigkeit der Engel grundsätzlich in Frage stellt, erachtet ihn al-Ḥasan al-Baṣrī nicht für einen Engel, sondern für einen Dämon (ǧinnī), wobei er seine Meinung mit einem anderen Koranvers, nämlich 18:50 rechtfertigte: kāna mina l-ǧinni („Er war einer von den Dschinn“).

2 Die Sündenlosigkeit der Propheten 2.1 Muḥammad Der Schutz vor Tötung im Kampf (al-ʿiṣma ʿan al-qatl fī maʿraka) 3:146 wa-ka-ayyin min nabiyyin qutila maʿahū ribbiyyūna [kanon. Lesart] wa-kaayyin min nabiyyin qātala … [kanon. Lesart]5 In der theologischen Frage nach dem göttlichen Schutz für den Propheten vertritt al-Ḥasan al-Baṣrī die dogmatische Lehre, dass Muḥammad im Kampf nicht

3 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 64. 4 Siehe Hamdan, Studien, 292; auch van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 3, 46. 5 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 198; auch Ibn Muǧāhid (324/936), K. as-Sabʿa fī l-qirāʾāt, 217 § 35, Ibn Mihrān 381/991), al-Mabsūṭ fī l-qirāʾāt al-ʿašr, 169 § 35.

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hätte getötet werden können. Dabei stützt er sich auf eine Lesung von 3:146, wo es eigentlich heißt: wa-ka-ayyin min nabiyyin qutila maʿahū ribbiyyūna („Und so manchen Propheten gab es, der (im Kampf) getötet wurde, während viele Scharen ihm zur Seite standen“). Al-Ḥasan al-Baṣrī liest hier statt dem passiven qutila (I.) das aktive qātala (III.) und folgt damit einer anderen kanonischen Lesart (qātala)6, aus welcher die mögliche Tötung des Propheten im Kampf nicht hervorgeht. Im Deutschen lautet der Sinn des Verses nun vielmehr: „Und so manchen Propheten gab es, mit dem viele Scharen gekämpft haben“. Al-Ḥasan al-Baṣrī begründet seine Lesart anhand eines angeblich historischen Tatbestands, denn nie sei ein Prophet im Kampfe getötet worden7. Auch Saʿīd b. Ǧubayr (95/713) teilt diese Auffassung.8 Für die Lesung qutila spricht allerdings der Vers  3:144, wo gefragt wird: a-fa-in māta aw qutila … („Wenn er nun aber [eines friedliches Todes] stirbt oder [im Kampf] getötet wird …?“). Diese Meinung vertritt etwa Ibn ʿAbbās (68/687), welcher es gleichfalls für möglich hält, dass der Prophet grundsätzlich getäuscht oder betrogen werden konnte. Er fragt: an-nabiyy[u] yuqtalu; fa-kayfa lā yuḫānu? („Der Prophet kann getötet werden. Wie soll er dann nicht auch betrogen werden können?“)9. Da diese Koranstelle so deutlich und ihre Lesart unumstritten ist, scheint al-Ḥasan al-Baṣrī offenbar dazu gezwungen zu sein, seine verallgemeinernde Haltung dazu lediglich auf die Gesandten zu beschränken, die Gesetzbücher erhielten10. Der Schutz vor Betrug (al-ʿiṣma ʿan al-ḫiyāna/al-ġulūl) 3:161 wa-mā kāna li-nabiyyin an yaġulla [kanon. Lesart (+3 Leser)] > … yuġalla [kanon. Lesart (sechs Leser)]11 Der von Ibn ʿAbbās (68/687) erwähnte Betrug bezieht sich auf 3:161, wo gesagt wird: „Es steht keinem Propheten zu, dass er veruntreut […] (wa-mā kāna li-na-

6 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 198. So lasen auch Abū Ǧaʿfar und andere [ibid.]. Das ist auch der iḫtiyār von al-Huḏalī, denn nach ihm ist es nie überliefert, dass irgendein Prophet im Kampf getötet wurde (wa-huwa l-iḫtiyāru, li-annahū lam yurwa anna nabiyyan qutila fī l-maʿrakati) [ibid.]. Diese Begründung geht auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurück (siehe dazu nachfolgende Fußnote). 7 Aṭ-Ṭūsī (460/1067), at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 3, 11 (ʿalā maḏhabi l-Ḥasani fī annahū lam yuqtal nabiyyun qaṭṭu fī maʿrakatin) und as-Samīn al-Ḥalabī (756/1355), ad-Durr al-maṣūn, Bd. 3, 428 (li-annahū lam yuqtal nabiyyun fī ḥarbin). 8 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 3, 73. 9 Hamdan, Studien, 288. 10 Yaḥyā b. Sallām (200/815), Tafsīr Yaḥyā b. Sallām, Bd. 2, 848 [Q. 37:173] (tafsīru l-Ḥasani: lam yuqtal mina r-rusuli, aṣḥābi š-šarāʾiʿi, aḥadun). 11 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 206–207; auch Hamdan, Studien, 288.

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biyyin an yaġulla …)“. Es geht in diesem Vers, der offensichtlich im Kontext des Siegs bei Badr steht, um die Verteilung der Beute12. Nach der kanonischen Lesart yaġulla [I., aktiv]13 bezieht sich die Aussage direkt auf den Propheten und erklärt, dass er nicht betrügen dürfe. Gemäß einer anderen kanonischen Lesart, nämlich yuġalla [I., passiv]14, ist keine Rede von Veruntreuung, sondern davon, dass kein Prophet betrogen werden könne). Al-Ḥasan al-Baṣrī wählt folglich letztere qirāʾa und legt den Vers dementsprechend aus15. Damit wird der Eindruck, auf den die Lesart yaġulla schließen lässt, beseitigt. Die Vorstellung, dass der Prophet etwas von der Beute hätte unterschlagen wollen, wies al-Ḥasan al-Baṣrī offenbar als ungerechtfertigte Verdächtigung zurück16. Der Schutz vor Irrtum (al-ʿiṣma ʿan aḍ-ḍalāl) 18:51 wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna ʿaḍudan > … kunta …17 Nachdem Allāh ausdrücklich klargestellt hat, dass er Iblīs und seine Nachkommenschaft weder bei der Schöpfung der Himmel und Erde noch bei ihrer eigenen Schöpfung zu Zeugen genommen hat, fügt er nach der kanonischen Lesart kuntu ferner hinzu: „Ich habe auch die Verführer nicht als Beistand genommen“. Demgegenüber gibt es eine weitere Lesart kunta, die auch kanonisch ist und von mehreren autoritativen Koranmeistern – wie al-Ḥasan al-Baṣrī, ʿĀṣim al-Ǧaḥdarī (beide aus Baṣra), Abū Ǧaʿfar und Šayba b. Niṣāḥ (beide aus Medina) – tradiert wird. Nach dieser spricht Allāh den Propheten Muḥammad folgendermaßen an: „Du nimmst dir keine Verführer als Beistand“. Dazu schreibt der Korankommentator Abū Ḥayyān al-Andalusī (745/1344) folgendes: „Damit Er (d.  h. Allāh) seine Gemeinde wissen lässt, dass er (d.  h. der Prophet) schon von Geburt an geschützt

12 Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 498–500. 13 So lasen Ibn Kaṯīr, Abū ʿAmr, ʿĀṣim und Yaʿqūb nach der Überlieferung von Rawḥ und Zayd. Siehe Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 171 § 42, al-Huḏalī, Kitāb al-kāmil, Bd. 5,206. 14 So lasen Abū Ǧaʿfar, Nāfiʿ, Ibn ʿĀmir, Ḥamzah, al-Kisāʾī (189/805), Ḫalaf und Yaʿqūb nach der Überlieferung von Ruways. Siehe Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 170–171 § 42, al-Huḏalī, Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 207. 15 Saʿīd b. Manṣūr (227/842), Sunan, Bd. 3, 1101–1102 § 563–537 (ḥaddaṯanā Saʿīdun, qāla: nā Hušaymun: anā Muġīratu ʿan Ibrāhīma wa-anā ʿAwfun ʿani l-Ḥasani annahumā kānā yaqraʾāni (wa-mā kāna li-nabiyyin an yuġalla). ḥaddaṯanā Saʿīdun, qāla: nā Hušaymun, qāla: nā ʿAwfun ʿani l-Ḥasani, qāla: an yuḫāna); auch Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 500 § 8150. 16 Hamdan, Studien, 288. 17 Kitāb al-Kāmil, Bd.  5, 483 (nach al-Ḥasan al-Baṣrī u. anderen) und al-Ǧāmiʿ li-aḥkām alQurʾān, Bd. 22, 346.

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war, weil Er […] sich einen Irreführenden weder zum Helfer nahm noch sich ihm zuneigte“18. Damit wird nicht nur die sündenfreie Präexistenz des Propheten Muḥammad im Koran belegt19, sondern Allāh spricht ihm nach dieser Lesart vielmehr eine Art Unfehlbarkeit zu20. 63:4

wa-iḏā raʾaytahum tuʿǧibuka aǧsāmuhum wa-in yaqūlū tasmaʿ li-qawlihim > … yusmaʿ

Dieser Vers erweckt den Eindruck, als lasse sich der Prophet durch die Heuchler täuschen und als höre er dem zu, was sie sagen. Nach der kanonischen Lesart heißt es: „Und wenn du sie siehst, gefällt dir ihr Äußeres, und wenn sie reden, hörst du ihren Worten zu“. Hingegen heißt es aber nach der passiven Lesart wie folgt: „Und wenn sie reden, werden ihre Worte gehört“. Damit wird der Prophet von denjenigen abgesondert, welche den Heuchlern zuhören.21 Da das Pronomen ka (2. Ps. Sing.) in tuʿǧibuka orthographisch nicht weggelassen werden kann, lässt sich die Stelle nur dahingehend auslegen, dass man die direkte und allein an den Propheten gerichtete Ansprache verallgemeinert. Demnach wäre nicht nur der Prophet, sondern vielmehr jeder Einzelne Hörer des Verses angesprochen.22 93:7

wa-waǧadaka ḍāllan fa-hadā > wa-waǧadaka ḍāllun fa-hudiya23

Es handelt sich bei der Sūrat aḍ-Ḍuḥā um eine frühmekkanische Sure, welche laut gängiger Meinung nach der sog. „Offenbarungspause“ (inqiṭāʿ al-waḥy oder fatrat al-waḥy) herabgesandt wurde. Darin wird unter anderem über die Kindheit des Propheten und seine Jugend, also über die Zeit vor der prophetischen Verkündigung, berichtet. Nach der Lesart ḍāllan heißt der Vers wörtlich: „Hat Er (d.  h. Allāh) dich (nicht) irregehend gefunden und dann rechtgeleitet?“ Dementsprechend sind Allāh das Subjekt und der Prophet das Akkusativobjekt. Für die Deutung des

18 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 137. 19 Hamdan, Studien, 287. 20 Vgl. dazu Q. 48:9 und 94:4. 21 Hamdan in ar-Risāla (1997), 348. 22 az-Zamaḫšarī, al-Kaššāf, Bd. 4, 109 (wal-ḫiṭābu fī raʾaytahu tuʿǧibukaī li-rasūli l-Lāhi aw likulli man yuḫāṭabu). 23 Al-Māwardī (450), an-Nukat wal-ʿuyūn, Bd.  6, 294, ʿIyāḍ (544), aš-Šifāʾ bi-taʿrīf ḥuqūq alMuṣṭafā, Bd. 2, 264 und al-Qurṭubī (671/1273), al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 22, 346.

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betreffenden Wortes führt al-Māwardī (450/1058) neun Auslegungen auf.24 Der anstößige Gedanke, dass der Prophet vor der Berufung auf dem Irrweg gewesen sei, wird durch die außerkanonische und vom ʿuṯmānischen Text deutlich abweichende Lesart ḍāllun beseitigt. Al-Māwardī und al-Qurṭubī (671/1273) überliefern diese Lesart von al-Ḥasan al-Baṣrī (110/728), während der andalusische Qāḍī ʿIyāḍ (544/1149) sie auf al-Ḥasan b. ʿAlī (50/670) zurückführt und mit der Erklärung fa-htadā bika versieht. Liest man ḍāllun in Verbindung mit dieser Notiz, so ergibt sich folgender Sinn: „Hat ein Irrender dich (nicht) gefunden und sich (durch dich) rechtleiten lassen?“. Damit ist nunmehr ḍāllun das Subjekt und nicht Allāh. Diese Lesart ließe sich folglich als Beweis für die zukünftige Prophetie Muḥammads betrachten, der sich stets auf dem rechtem Weg befand und die Menschen zu diesem Weg führte25. Der Schutz vor Vergesslichkeit (al-ʿiṣma ʿan an-nisyān) 2:106 mā nansaḫ min āyatin aw nunsihā naʾti bi-ḫayrin minhā aw miṯlihā („Tilgen Wir einen Vers oder lassen ihn in Vergessenheit geraten, so bringen Wir [dafür] einen besseren oder einen gleichen.“) Neben dieser kanonischen Lesart nunsihā gibt es eine weitere kanonische Lesart nansaʾhā.26 Letztere ermöglicht, dass die Herabsendung eines Verses von Allāh zeitlich verschoben werden kann. Demnach heißt es: „Tilgen Wir einen Vers oder verschieben ihn (auf später), so bringen Wir (dafür) einen besseren oder einen gleichen“. In beiden Lesarten ist Allāh jeweils der Urheber. Zudem gibt es eine außerkanonische Lesart, nämlich tansahā27, welche dem Propheten die Möglichkeit des Vergessens zuschreibt. Demnach lautet der Vers: „Tilgen Wir einen Vers oder vergisst du ihn, so bringen Wir (dafür) einen besseren oder einen gleichen“. Auf diese Weise sollen der Prophetengefährte Saʿd b. Abī Waqqāṣ (55/675) aus Medina sowie al-Ḥasan al-Baṣrī und Yaḥyā b. Yaʿmar al-ʿAdwānī (129/746), beide aus Baṣra, gelesen haben.28 Wegen seiner Lesart wurde Saʿd von seinen Landsleuten kritisiert. Man sagte zu ihm: „Saʿīd b. al-Musayyib (94/713) liest (aber) nunsihā“. Darauf reagierte Saʿd: Wahrlich, der Koran wurde weder al-Musayyib

24 An-Nukat wal-ʿuyūn, Bd. 6, 294. 25 Hamdan, Studien, 239–240. 26 Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 134 § 108. 27 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 9 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ] und al-Muḥtasab, Bd. 1, 103 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ, al-Ḥasan al-Baṣrī u. Yaḥyā b. Yaʿmar]. 28 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ 92 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ], al-Muḥtasab 1/103 [al-Ḥasan al-Baṣrī und Yaḥyā b. Yaʿmar]; vgl. Jeffery in RSO 18 (1940) 219.

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noch seinem Sohn (Saʿīd b. al-Musayyib) offenbart“, worauf er folgende Verse rezitierte: sa-nuqriʾuka fa-lā tansā [Q. 87:6] und wa-ḏkur rabbaka iḏā nasīta [Q. 18:24].29 Damit meinte Saʿd offenbar, dass die Vergesslichkeit des Propheten Muḥammad im Koran belegt sei und er demnach nicht davor geschützt war.30

2.2 Noah 11:42

wa-nādā Nūḥun-i bnahū („Noah aber rief seinem Sohn (zu)“) > … bnahā/ bnaha31

Es ist unter den frühen Koranexegeten umstritten, ob mit dem an dieser sowie an weiteren Stellen – vgl. yā bunayya („O, mein Sohn“, 11:42) und inna bnī („siehe, mein Sohn“, 11:45) – erwähnten Sohn ein Sohn Noahs oder aber der Sohn eines Anderen gemeint ist. Die Mehrheit der Gelehrten vertritt die Haltung, dass es sich bei ihm in der Tat um einen Sohn Noahs handle. ʿAlī b. Abī Ṭālib (40/661), Muḥammad b. ʿAlī al-Bāqir (114/732), ʿUrwa b. az-Zubayr (93/712) [tābiʿī aus Medina], Muǧāhid (104/722), al-Ḥasan al-Baṣrī, Muḥammad b. Sīrīn (110/729), ʿUbayd b. ʿUmayr al-Makkī (74/693) und Ibn Ǧurayǧ (150/767) vertraten hingegen die Meinung, dass er kein Sohn Noahs sei. ʿAlī wurde die Lesart ibnahā statt ibnahū zugeschrieben. Demnach würde sich das Possessivpronomen auf Noahs Frau und nicht auf Noah beziehen. Diese Lesart ist etwas ungünstig, da sie vom Konsonantentext (rasm) abweicht. Einen besseren Versuch stellt hingegen die außerkanonische Lesart von al-Bāqir, ʿUrwa und Abū ʿImrān al-Ǧawnī dar, denn sie schlugen ibnaha vor, wodurch keine Abweichung vom rasm entsteht. Die fatḥa reicht in diesem Falle als Hinweis auf das Possessivpronomen -hā aus.32 Somit wird der anstößige Gedanke, dass Noah mitunter von seiner Frau betrogen wurde, beseitigt: Wenn Noah nämlich den Sohn seiner Frau ruft, so suggeriert dies, dass er über sein persönliches Verhältnis zu dem Gerufenen Bescheid weiß. Der Sohn könnte folglich aus der ersten Ehe seiner Frau stammen, aber keinesfalls ein Kind sein, dass Noahs Frau durch Ehebruch empfangen und ihrem nichts ahnenden Mann somit „untergeschoben“ hätte.

29 Hamdan, Studien, 289. 30 Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 1, 522 § 1758–1760. 31 Al-Kaššāf, Bd. 2, 270, at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 9, T. 17, 185, ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 329. 32 Al-Kaššāf, Bd. 2, 270 (fa-ktafayā bil-fatḥati ʿani l-alifi), at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 9, T. 17, 185 (annahumā ktafayā bil-fatḥati ʿani l-alifi) und ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 329 (muǧtaziʾan ʿanhā bilfatḥati).

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In der frühen Koranexegese während der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts wurde diese Frage heiß debattiert. In der mekkanischen tafsīr-Schule muss es eine regelrechte Auseinandersetzung darüber gegeben haben. Ibn ʿAbbās und die Mehrheit seiner Schüler  – wie zum Beispiel aḍ-Ḍaḥḥāk b. Muzāḥim (105/723), ʿIkrima (105/723), Saʿīd b. Ǧubayr und Maymūn b. Mihrān al-Ǧazarī ar-Raqqī (118/736) – vertraten die Auffassung, dass keiner der Propheten eine unzüchtige Frau gehabt habe und dieser Sohn folglich ein leiblicher Sohn Noahs gewesen sei33, während Muǧāhid, ʿUbayd b. ʿUmayr und Ibn Ǧurayǧ meinten, er sei nicht sein leiblicher Sohn gewesen. Die baṣrische tafsīr-Schule, vertreten durch al-Ḥaṣan al-Baṣrī, war ebenfalls der Ansicht, dass der Sohn kein leiblicher Sohn Noahs gewesen sei. Al-Ḥasan al-Baṣrī stützt seine Haltung auf zwei Koranverse, nämlich: innahū ʿamalun ġayru ṣāliḥin („Das ist keine rechtschaffene Tat“, 11:46), und: fa-ḫānatāhumā („so betrogen sie beide ihre beiden [Männer]“, 66:10).34 Unter seinen Schülern wurde die Frage jedoch diskutiert. Auffällig war dabei insbesondere Qatāda, welcher seinem Meister in diesem Punkt widersprach. Dass es sich bei dem Sohn um einen Sohn Noahs handelte, bekräftigte er anhand zweier Koranverse, nämlich: inna bnī min ahlī („wahrlich, mein Sohn gehört zu meinen Leuten“, 11:45), und: wa-nādā Nūḥun-i bnahū (11:42). Ferner argumentierte Qatāda, dass die Besitzer der beiden Schriften (d.  h. Juden und Christen) darüber einig seien, dass besagte Person Noahs Sohn gewesen sei. Al-Ḥasan al-Baṣrī erwiderte in Bezug auf inna bnī min ahlī (11:45), dass Noah nicht „von mir“, sondern „von meiner Ehefrau“ gemeint habe. Über Qatādas Rekurs auf die Meinung der Juden und Christen sagte er abwertend: „Wer nimmt seinen Glauben schon von den Schriftbesitzern? Sie lügen!“ Sodann rezitierte er fa-ḫānatāhumā (66:10)35. Al-Ḥasan al-Baṣrīs Einstellung gegenüber Juden und Christen ist somit eindeutig. Was die Religion – also u.  a. ihre theologischen und dogmatischen Grundsätze – anbelangt, so ist für ihn der Koran entscheidend und nicht das, was die Bibel oder die jüdischen und christlichen Auslegungen dazu berichten. Diese Sichtweise steht im Einklang mit seiner Lehre, dass der Koran das Siegel aller vorherigen heiligen Schriften sei.

33 Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 11, 135. 34 Ibn Kaṯīr (774/1373), Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm, Bd. 2, 464. 35 Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 11, 135.

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2.3 Abraham 21:63 qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā > … fa-ʿallahū36 Parallel zu der Frage, ob die Engel sündenfrei seien oder nicht, stellte man sich auch die Frage, ob der Prophet Muhammad bzw. die Propheten generell unfehlbar seien oder nicht. Die qirāʾāt belegen frühe theologische Diskussionen darüber. Die Methode von al-waqf wal-ibtidāʾ wird u.  a. verwendet, um bestimmte pro­ble­ matische Stellen im Koran zugunsten der Sündenlosigkeit der Propheten aus­ zulegen. Dazu gehört die Koranstelle (qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā) („Er [d.  h. Abraham] sagte: Nein! Vielmehr hat das dieser Große unter ihnen getan“, 21:63). Diese Aussage repräsentiert laut eines kanonischen Hadith einen der drei Fälle, in denen Abraham gelogen haben soll. Solche Äußerungen, die im 3. Jahrhundert im Rahmen der Koranexegese im Sinne von maʿārīḍ interpretiert wurden, versuchte man bereits im 2. Jahrhundert in Anlehnung an die qirāʾāt sowie die Anwendung der Methode al-waqf wal-ibtidāʾ zu glätten. Der kufische Philologe al-Farrāʾ (207/822) führt an, dass man statt faʿalahū vielmehr fa-ʿallahū las.37 Diese Lesart geht auf Ibn as-Samayfaʿ al-Yamānī (113/731), einen Koranleser aus Baṣra, zurück.38 So heißt es: „Er sagte: Vielleicht hat das dieser Große unter ihnen (getan)“. Diese Leseweise entschärft die mögliche Haltung, dass Abraham tatsächlich in diesem Kontext log, wenngleich die offensichtliche Lüge hier lediglich durch eine irreführende Suggestion ersetzt wird und somit eine Notlüge bleibt.

2.4 Jona 21:87 wa-ḏā n-nūni iḏ ḏahaba muġāḍiban fa-ẓanna an lan naqdira ʿalayhi > … muġḍaban / a-fa-ẓanna39 / nuqaddira40 / yuqaddara41

36 Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 206–207, Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 92, al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 325; auch Hamdan. In Risāla (1997), 342–343. 37 Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 206–207. 38 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 92 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 325. 39 Al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 4, 97. 40 An-Nukat wal-ʿuyūn, Bd. 3, 466 [Ibn ʿAbbās], al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 4, 97 [az-Zuhrī], Zād al-masīr, Bd. 5, 264 [Yaḥyā b. Yaʿmar u. Ḥumayd b. Qays al-Makkī] und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 335 [az-Zuhrī]. 41 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 335 [ʿAlī b. Abī Ṭālib und al-Yamānī].

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Manche Exegeten lasen aus diesem Vers einen möglichen Groll Jonas gegen Allāh heraus. Für sie klang der Vers so, als ginge Jona erzürnt von dannen, wobei er eine schlechte Meinung von Allāh hatte und an seiner Macht zweifelte.42 Um einen Ausweg dafür zu finden, legte man die Stelle so aus, dass Jona fortging, um für die Sache Allāhs zu leiden.43 Manche lasen muġḍaban (Partizip Passiv, IV. Stamm) statt muġāḍiban44, d.  h. seine Landsleute haben ihn geärgert. Andere suchten die Lösung beim nachfolgenden Wort fa-ẓanna und lasen stattdessen a-fa-ẓanna, wodurch ein Fragesatz entsteht. Der Vers lautet dann: „Als er erzürnt von dannen ging, da dachte er: Wird Allāh nichts wider mich vermögen?“45 Um Jonas Zweifel an der Macht Allāhs zu beseitigen, lasen andere Gelehrte das Verb passivisch, also yuqdara [I., qdr] statt naqdira [I., qdr]. Wieder andere interpretierten die von naqdira abgeleitete Gottesmacht (qudra) im Sinne der Zuteilung des Lebensunterhalts (taqdīr) um und lasen das Verb sodann alternativ im Aktiv, d.  h. nuqaddira [II., qdr], oder im Passiv, d.  h. yuqaddara [II., qdr]. Dementsprechend wäre der Vers so zu verstehen: „Da meinte er, dass Wir ihm keinen Lebensunterhalt zuteilen würden/dass ihm kein Lebensunterhalt zugeteilt würde.“46

2.5 Josef und sein Bruder 12:81 irǧiʿū ilā abīkum fa-qūlū yā abānā inna -bnaka saraqa > … surriqa47 In diesem Vers geht es um Josephs jüngeren Bruder, in dessen Sack der Pokal des Königs gefunden wurde. Nach der kanonischen Lesart saraqa wäre der Tatbestand des Diebstahls festgeschrieben, nämlich: „Kehrt zu eurem Vater zurück und sagt: Vater! Dein Sohn hat gestohlen“. Gleichzeitig würde Josef, der den

42 Tafsīr Yaḥyā b. Sallām, Bd. 1, 335 (qāla Qatādatu: fa-ẓanna an lan nuʿāqibahū bimā ṣanaʿa). 43 Ebd., 335 (mukābidan li-dīni rabbihī fī tafsīri l-Ḥasani). 44 Zād al-masīr, Bd. 5, 263 [Abū Šaraf, Abū l-Mutawakkil, Abū l-Ǧawzāʾ, ʿĀṣim al-Ǧaḥdarī u. Ibn as-Samayfaʿ]. 45 Diese Lesart lässt sich im Deutschen nicht adäquat übersetzen, ohne dabei den Fragesatz in einen Nebensatz auflösen zu müssen, daher ist sie an dieser Stelle etwas freier übertragen. 46 Hamdan in Risāla (1997) 344–345. 47 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 414 [al-Kisāʾī (nach den Überlieferungen von Ibn Abī Surayǧ (230/845), Sawra b. al-Mubārak, Ṣāliḥ b. ʿĀṣim an-Nāqiṭ) und Abū Ḥaywa]; auch al-Farrāʾ, Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 53 [ohne Namen], Maʿānī l-Qurʾān al-karīm des Naḥḥās 3/451–452 § 100 [Ibn ʿAbbās (68/687) (nach der Überlieferung von Saʿīd b. Ǧubayr) und al-Kisāʾī (nach der Überlieferung von Aḥmad b. Surayǧ al-Baġdādī)], Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 65, al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 270 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 337.

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Pokal heimlich in den Sack seines Bruders legen ließ, mit dieser Aussage lügen. Hingegen präsentiert die außerkanonische Lesart surriqa („er ist des Diebstahls bezichtigt worden“) lediglich einen Vorwurf, der noch nicht erwiesen ist und zu welchem sich Josef folglich neutral äußert. Diese Lesart stellt den iḫtiyār von al-Huḏalī dar.48 Man machte davon Gebrauch im öffentlichen Gebet (offenbar im tarāwīḥ-Gebet) im Ramadan in Gegenwart des abbasidischen Kalifen al-Mustaẓhir (512/1118), der nach dem Ende des Gebets dazu meinte, es sei eine gute Lesart, wobei er seine Äußerung folgendermaßen begründete: „Dadurch werden die Kinder der Propheten vom Lügen ferngehalten.“49 Dieser und ähnliche Fälle (zum Beispiel 21:63; 37:89) gaben Stoff für eine frühe rechtliche sowie teilweise auch dogmatische Debatte, ob das Lügen – unabhängig von der Person und egal ob im Ernst oder im Scherz – grundsätzlich erlaubt bzw. in bestimmten Situationen besser als die Wahrheit sei. Mit dieser Frage befassten sich zwei berühmte Gelehrte aus Syrien: Raǧā b. Ḥaywa (112/730) vertrat die erste Haltung und Maymūn b. Mihrān war der zweiten Auffassung.50

3 Das Gottesbild 3.1 Die Gottesschau 75:22–23 wuǧūhun yawmaʾiḏin nāḍiratun / ilā rabbihā nāẓiratun („An jenem Tag wird es strahlende Gesichter geben, / die auf ihren Herrn schauen“] > … / ilā rabbihā nāẓiratun („… die auf die Gnade ihres Herrn warten“)51. Nach gängigem Verständnis besagt dieser Vers, dass die Gläubigen am Tag der Auferstehung Allāh tatsächlich sehen werden. Das bedeutet also, dass die Gottesschau zur Wirklichkeit des Jenseits gehört. Die Muʿtazila leugnete allerdings sowohl die Möglichkeit als auch die Tatsächlichkeit der Gottesschau. Folglich versuchte sie, die hierfür einschlägigen Koranstellen anders zu lesen. So lasen sie das in 75:23 vorkommende ilā beispielsweise nicht als Präposition im Sinne von „hin“ oder „zu“, sondern als Nomen; als solches meint ilā aber „Wohltat“ bzw. „Gnade“. Ohne Präposition bekommt das Partizip nāẓiratun gleichzeitig die Bedeu-

48 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 414. 49 As-Suyūṭī, Tārīḫ al-ḫulafāʾ, 344–345. 50 Dazu al-Farrāʾ, Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 53 und al-Mizzī, Tahḏīb al-kamāl, Bd. 29, 223. 51 Dazu siehe auch Q. 10:26 (wa-ziyādatun), 83:25/35 (yanẓurūna).

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tung von „erwarten“. Dementsprechend lautet der Vers dann: „(diejenigen,) die auf die Gnade ihres Herrn warten“. Dies ist eines der Beispiele für die Auslegung auf Basis der arabischen Philologie.

3.2 Das Geschaffen-Sein der Taten (ḫalq al-afʿāl) 113:1–2 qul aʿūḏu bi-rabbi l-falaqi / min šarri mā ḫalaqa („Sprich: Ich suche Zuflucht beim Herrn des Frühlichts / vor dem Übel dessen, was Er erschaffen hat“) > … / min šarrin mā ḫalaqa („… / vor einem Übel, das Er [d.  h. Allāh] nicht erschaffen hat“)52. Nach der kanonischen Lesart von šarri mā als Genitivform im status constructus wird alles Erschaffene auf Allāh zurückgeführt. Nuniert man das erste Wort stattdessen zu šarrin, so wird das nachfolgende mā zu einer im Perfekt verwendeten Verneinungspartikel. Die Nunation bewirkt also, dass Allāh nicht als Verursacher des Übels erscheint53. Neben ʿAmr b. ʿUbayd las auch ʿAmr b. Fāʾid al-Uswārī 113:2 so. Ferner gibt es eine andere Lesart, welche einen ähnlichen Zweck verfolgt und dabei in nahezu derselben Weise vorgeht. Da die Aufhebung des genannten status constructus etwas auffällig ist, suchten andere dies zu vermeiden. Stattdessen vokalisierten sie das aktive Verb ḫalaqa zu ḫuliqa um, wodurch es nun im Passiv stand. Der Vers würde demnach lauten: („Sprich: Ich suche Zuflucht beim Herrn des Frühlichts / vor dem Übel dessen, was erschaffen worden ist). Damit können hier andere Urheber von Üblem (zum Beispiel Menschen) in Frage kommen, jedoch nicht unbedingt Allāh. Dies ist eines der Beispiele für leichte Änderungen am Inlaut oder an der Endvokalisation eines Wortes.

52 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 79 u. 182 [nach ʿAmr b. Fāʾid], al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 5, 538 [nach ʿAmr b. ʿUbayd und manchen Muʿtaliziten]. 53 Hamdan, Studien, 63.

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3.3 Das Fernhalten Allāhs von bösen Taten 6:117

inna rabbaka huwa aʿlamu man yaḍillu ʿan sabīlihī (I., ḍll) > … yuḍillu (IV., ḍll)

So lasen al-Ḥasan al-Baṣrī und al-Kisāʾī (189/805) nach den beiden Überlieferungen von Nuṣayr b. Yusūf (um 240/855) und Ibn Abī Surayǧ. Nach der ersten Lesart wird die Irreführung ausdrücklich auf Allāh als Schöpfer zurückgeführt. Hingegen wird sie nach der zweiten Lesart auf den Menschen als Geschöpf zurückgeführt. So trägt der Mensch die ganze Verantwortung. 17:16

wa-iḏā aradnā an nuhlika qaryatan amarnā mutrafīhā fa-fasaqū fīhā faḥaqqa ʿalayhā l-qawlu fa-dammarnāhā tadmīran (I.,) > … ammarnā (II., ʾmr) / amirnā (I., ʾmr) / āmarnā (IV., ʾmr) …54

Wie al-Ḥasan al-Baṣrī diese Stelle gelesen haben soll, dazu sind drei Lesarten zu finden, die offenbar auf ihn zurückgehen. Die erste Lesart ist im Sinne von „herrschen bzw. regieren lassen“ zu verstehen, während die beiden letzten Lesarten angeblich „vermehren“ meinen. Alle drei bezeugen al-Ḥasan al-Baṣrīs Anstrengungen, das betreffende Verb durch eine Vokaländerung umzumünzen. Diese Umdeutungen bezwecken, „den bedenklichen Gedanken zu beseitigen, dass Allāh selbst den im Luxus Lebenden zu freveln befehle, um dann die Stadt zerstören zu können“.55 9:37

zuyyina lahum sūʾu aʿmālihim > zayyana lahum sūʾa aʿmālihim56

Nach der Passiv-Lesart, die Ibn Masʿūd (32/653) und Zayd b. ʿAlī (122/740) zugeschrieben wird, ist das Subjekt unbekannt, also: „Das Böse ihrer Taten wurde ihnen im schönsten Licht dargestellt“. Infolgedessen bleibt es unbestimmt. Es könnte Allāh oder der Satan oder eine dritte Seite sein. Dasselbe bewirkt im Grunde auch die aktive Lesart zayyana.

54 Hamdan, Studien, 294. 55 Ebd., 294–295; auch Bergsträßer. In Islamica 2 (1926), 39 und van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 2, 48. 56 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 52, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 213 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 41.

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20:52 qāla ʿilmuhā ʿinda rabbī fī kitābin lā yaḍillu rabbī wa-lā yansā (I., ḍll) > … yuḍillu (IV., ḍll) … Die Frage des Pharao, wie es mit den früheren Generationen stünde, beantwortet Mose in diesem Vers damit, dass alles über sie bei seinem Herrn in einer Schrift festgelegt sei. Mose erklärt ferner, dass Allāh darüber erhaben sei zu irren oder zu vergessen. Das entspricht dem von al-Ḥasan al-Baṣrī überlieferten tafsīr zu einer Stelle, wo das Irren und Vergessen auf den Jüngsten Tag bezogen sind, d.  h. Allāh wird am Tage der Auferstehung weder irren noch die Schrift (offensichtlich al-lawḥ al-maḥfūẓ) bzw. das, was darin festgelegt ist, vergessen.

3.4 Vorherbestimmung wider die Freiheit des Menschen 76:3

innā hadaynāhū s-sabīla immā šākiran wa-immā kafūran >  … ammā šākiran wa-ammā kafūran57

Da sich der Koran weder einseitig für die Vorherbestimmung noch für die Freiheit des Menschen ausspricht, versuchte man im Frühislam, für die jeweils eigene Lehre bestimmte Koranstellen als Belege anzuführen. Die frühe Qadariyya zählte 76:3 zu den Versen, welche die Freiheit des Menschen bestätigen. Ferner zitierte man etwa 18:29 („Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläubig sein“) und 76:29 („Wer nun will, der nehme [diesen] einen Weg zu seinem Herrn“).58 Nach der mehrheitlichen Lesart kann 76:3 als Beleg für die Willensfreiheit des Menschen gewertet werden. Der Vers besagt: „Wir haben ihn (d.  h. den Menschen) den (rechten) Weg geleitet, ob er nun dankbar oder undankbar sein mag“. Mit einer leichten – Ubayy b. Kaʿb (21/642), Ibn Masʿūd, Abū s-Sammāl und dem raǧaz-Dichter Ruʾba b. al-ʿAǧǧāǧ (145/762) aus Baṣra zugeschriebenen  – Änderung der Vokalisation am Wort ammā könnte die Bedeutung in folgende Richtung weisen: „Wir haben ihn (d.  h. den Menschen) den (rechten) Weg geleitet. Wenn er dafür dankbar wäre, (dann mit Unserer Unterstützung,) wenn er (aber) dafür undankbar wäre, (dann zu Unserer Enttäuschung).59

57 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 166 [Abū s-Sammāl], Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 495 [Ubayy, Ibn Masʿūd, Abū s-Sammāl u. Ruʾba b. al-ʿAǧǧāǧ], al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 8, 394. 58 Dazu ar-Rāzī (606/1210), at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 15, T. 30, 231. 59 Dazu ebd., 211.

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3.5 Die Gerechtigkeit Allāhs 7:156

qāla ʿaḏābī uṣību bihī man ašāʾu … (I., šyʾ) > qāla ʿaḏābī uṣību bihī man asāʾa … (IV., swʾ)60

Nach der üblichen Schreibweise ašāʾu besagt dieser Vers, dass „Er (d.  h. Allāh) sprach: Mit Meiner Strafe treffe Ich, wen Ich will“. Die Lesart asāʾa führt zu einer völlig anderen Bedeutung, nämlich: „Er sprach: Mit Meiner Strafe treffe Ich den, der Übles getan hat“. Diese Lesart geht unter anderem auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurück und wurde von frühen Qadariten, wie zum Beispiel ʿAmr b. ʿUbayd und ʿAmr b. Fāʾid al-Uswārī, zur Stützung ihrer dogmatischen Lehren übernommen. Weitere Beispiele für die Veränderung der diakritischen Punkte: 18:28 wa-lā tuṭiʿ man aġfalnā qalbahū ʿan ḏikrinā („Und gehorche nicht jemandem, dessen Herz Wir Unserem Gedenken gegenüber unachtsam gemacht haben“) >  … aġfalanā qalbuhu ʿan ḏikrinā („dessen Herz Uns Unserem Gedenken gegenüber unachtsam gemacht hat“)61 Nach der ersten Lesart spricht Allāh in Pluralform als Verursacher für die Unachtsamkeit des Herzen, während nach der zweiten Lesart eigentlich der Mensch bzw. dessen Herz dafür verantwortlich ist. Letztere Lesart ist allerdings nicht unproblematisch, denn Allāhs Gedenken an Sich selbst kann durch den Menschen unmöglich beeinträchtigt werden. 50:271 rabbanā mā aṭġaytuhū wa-lākin kāna fī ḍalālin baʿīdin > rabbanā mā aṭġaytahū …62 In diesem Vers spricht der über den Ungläubigen bestellte Satan. Nach der ersten Lesart zieht er sich selbst, nach der zweiten Lesart Allāh aus der Verantwortung für die Irreführung des Menschen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der Mensch für sein Irregehen selbst verantwortlich ist. Inwieweit die zweite Lesart dem Satan nicht dennoch ein Wort des Unglaubens in den Mund legt, bleibt

60 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 469–10 [al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAmr b. ʿUbayd], al-Muḥtasab, Bd. 1, 261 [al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAmr al-Uswārī]; van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 2, 48, Hamdan, Studien, 38 § 2.2.2, 60, 264 u. 285. 61 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 79 [nach ʿAmr b. Fāʾid], al-Muḥtasab, Bd. 2, 28 [nach ʿAmr b. Fāʾid], al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 512–513 [ʿAmr b. Fāʾid, Mūsā al-Uswārī und ʿAmr b. ʿUbayd]. 62 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 144 [nach ʿAmr b. ʿUbayd].

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indessen kritisch zu betrachten, da andere Koranverse sehr wohl betonen, dass Allāh die Macht dazu hat, Menschen in die Irre zu führen oder auch die Krankheit in ihren Herzen zu mehren (zum Beispiel 2:10.26).

3.6 Anthropomorphismus (tašbīh) und istiwāʾ-Problematik Sowohl der Koran als auch der Hadith enthalten zahlreiche Äußerungen über Allāh, welche sich wörtlich genommen nicht mit dem körperlos gedachten göttlichen Wesen Allāhs in Einklang bringen lassen. Die Rede ist vom Angesicht Allāhs, von seinen beiden Augen, von seiner Hand bzw. seinen beiden Händen, von seiner Rechten (Hand), von seinen beiden Füßen sowie davon, dass er sich auf seinem Thron niederlässt.63 Bei den verschiedenen – aus der Zeit vor der Kanonisierung des Korantexts stammenden  – Lesungen lassen sich weitere Methoden aufzeigen, von denen nicht selten Gebrauch gemacht wurde. Zu diesen gehört, dass man den Korantext bzw. die betreffende Koranstelle anders einteilte als üblich. Zur dogmatischen Frage, wie der Vers ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši stawā („der Allerbarmer bestieg den Thron“, 20:5) verstanden bzw. ausgelegt werden kann, gab es grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen den Muʿtaziliten und Sunniten. Die Anhänger der Muʿtazila interpretierten diesen Vers bzw. den Akt des istiwāʾ („das Besteigen des Throns“) als Metapher für die alles überragende Herrschaft des Allmächtigen über Seine Schöpfung. Die Sunniten (ahl as-sunna) lehnten eine solche Deutung hingegen ab und vertraten eine völlig andere Auffassung, nämlich den Standpunkt des bilā kayfa („ohne nach dem Warum fragen“), welcher von Mālik b. Anas (179/795), dem Begründer der malikitischen Rechtsschule, stammte. Mālik soll sich zur istiwāʾ-Frage wie folgt geäußert haben: „Das Besteigen zum Thron ist nichts, das der Vernunft widerspräche. Was es aber ist, wissen wir nicht. Die Frage danach ist (somit) Ketzerei, und der Glaube daran ist Pflicht.“ Dieser Lehrsatz ist bei den Sunniten zu einem Dogma geworden, insbesondere nachdem die muʿtazilitische Lehre während des abbasidischen Kalifats von der sunnitischen als Staatstheologie abgelöst wurde. Vor Mālik b. Anas gab es in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts seitens der Sunniten zwei Versuche, dieses Problem zu lösen. Bei beiden handelt es sich um außerkanonische Lesarten, die auf der Methode basieren, den Korantext bzw. die betroffene Koranstelle anders als üblich einzuteilen, indem man die Satzpausen verschiebt.

63 Stieglecker, Die Glaubenslehren des Islam, 89.

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Der erste Versuch fußt auf einer erfundenen Lesart, welche dem berühmten mekkanischen Koranexegeten und Prophetengefährten Ibn ʿAbbās zugeschrieben wird. Er soll an der Stelle (ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši) pausiert und dann begonnen haben zu lesen (istawā lahū mā fī s-samāwāti …).64 Somit wird das Verb istawā von Vers 5 abgetrennt und unmittelbar an den darauffolgenden Vers angeschlossen. Statt der Reihenfolge Verbalsatz-Nominalsatz – d.  h. das Subjekt ar-Raḥmānu und sein Prädikat istawā ʿalā l-ʿarši in Vers 5, sowie das vorangestellte Prädikat lahū und das nachgestellte Subjekt mā („Ihm [d.  h. Allāh] gehört [alles], was in den Himmeln und was auf der Erde und was dazwischen und was unter dem Erdreich ist“) in Vers 6, wird durch die veränderte Pausalform nun Vers 5 zum Nominalsatz, d.  h. ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši („der Allerbarmer (ist) auf dem Thron“), mit ar-Raḥmānu als Subjekt und ʿalā l-ʿarši als Prädikat, während aus Vers 6 mit einem Mal ein Verbalsatz wird, also: istawā lahū mā … („Alles [d.  h. alle Geschöpfe] wendeten sich an Ihn“, oder: „Alles ergab sich Ihm.“). Unabhängig davon, wie man die Aussage dieser Lesart nun deuten mag; sie bewirkt vor allem, dass das Verb istawā von ar-Raḥmānu getrennt wird. Die beiden Versteile stehen folglich nicht länger in einem Zusammenhang, wie dies in der Standardausgabe des Korans der Fall ist, sondern in zwei separaten Zusammenhängen. Es ist hierzu anzumerken, dass die neue Deutung des umstrukturierten 6. Verses theologisch passend bleibt, jedoch vom Reim her mit al-ʿarš nicht mehr zusammengeht (muḫālafat ruʾūs al-āy). Dadurch wird der Reim der Endverse (20:2–84), also langes ā versehen mit yāʾ, wie zum Beispiel li-tašqā (Vers 2), yaḫšā (Vers 3), (al-ʿulā) (5) durchbrochen, während er mit istawā hingegen fortgesetzt würde. Der zweite Versuch gründet ebenfalls auf einer ausgedachten Lesart, die mutmaßlich auf den berühmten Prophetengefährten Ibn Masʿūd zurückgehen soll. Er soll die Stelle statt al-ʿarši -stawā nicht im Dativ, sondern im Nominativ, d.  h. al-ʿaršu -stawā65, gelesen haben. Nach dieser erfundenen Lesart wird ʿalā nicht als Präposition betrachtet, sondern als Verb im 1. Stamm, also ʿalā/yaʿlū.66 Hiernach soll er pausiert haben.67 Folglich wird der 5. Vers, der aus vier Wörtern besteht, in zwei Hälften eingeteilt, nämlich ar-Raḥmānu ʿalā („der Allerbarmer stieg empor“) und al-ʿaršu stawā („der Thron stand aufrecht“). Diese Lesart bezweckt dasselbe

64 Al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305. 65 Ebd. 66 Das Verb ʿalā wird normalerweise mit alif geschrieben, wird aber in der koranischen Orthographie (rasm) mit yāʾ geschrieben. Damit entsteht kein Problem, denn die Gleichstellung vom finalen alif und yāʾ ist im rasm an nicht wenigen Stellen zu finden und bildet damit ein orthographisches Phänomen. Dazu siehe Omar Hamdan, Aḍwāʾ ǧadīda ʿalā r-rasm al-ʿuṯmānī, Amman/ Beirut, 2009, 267–304; auch al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305. 67 Al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305 (wa-yaqafu ʿalayhi).

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wie die vorherige, d.  h. sie trennt ar-Raḥmānu von istawā. Auch sie bietet mit dem aufrecht stehenden Thron eine plausible Deutung. Zudem hat sie den Vorteil, dass sie mit ʿalā und istawā das Reimschema der benachbarten Endverse nicht unterbricht, sondern bewahrt (mušākalat ruʾūs al-āy).

3.7 Allāhs Eigenschaften/Attribute 4:164 wa-kallama l-Lāhu Mūsā taklīman > wa-kallama l-Lāha Mūsā taklīman68 Im Zusammenhang mit diesem Vers geht es um Allāhs Eigenschaft als Sprecher (mutakallim), der über eine Rede (kalām) verfügt und dessen offenbartes Wort der Koran ist. Für die islamische Dogmatik steht das Sprechen Allāhs im Einklang mit seinen übrigen Wesenszügen, wie etwa seiner Macht, seines Wissens oder auch seines Wollens. Abgesehen davon, dass sein Wort von den genannten Eigenschaften zeugt, umfasst es verschiedene Gattungen der Rede und enthält ferner Befehle und Verbote. Im Frühislam wurde bereits die Frage diskutiert, ob Allāhs Wort ewig sei oder nicht. Die frühe Muʿtazila leugnete die Ewigkeit des Korans mit der Begründung, dass das Gotteswort aus Lauten und Wörtern bestehe, die nicht Teil des göttlichen Wesens seien und die Allāh daher außerhalb desselben erschaffe. Während die spätere Muʿtazila den oben genannten Vers allerdings so auslegte, dass Allāh seine Worte in Mose erschuf und diese demnach nicht zu seiner ewigen Existenz zählen, löste die frühe Muʿtazila diesen Fall mithilfe einer leichten Vokaländerung am Wort (al-Lāha) im Akkusativ. Nach dieser ausgedachten Lesart ist Allāh nicht länger das Subjekt, wie es nach der kanonischen Lesart (al-Lāhu) der Fall ist, sondern Mose. Demnach heißt der Teilvers so: „An Allāh richtete Mose seine Rede“.

3.8 Allāh im Mittelpunkt Die auf verschiedene koranische Lesetraditionen zurückgehenden Beispiele veranschaulichen sehr deutlich, dass es zwischen den theologischen Strömungen im 1. Jahrhundert zahlreiche dogmatische Unterschiede gegeben haben muss. Was nahezu alle frühislamischen Denkschulen gerade auch im Lichte der qirāʾāt ver-

68 Efendizade, Risāla, 72; auch Ibn Ǧinnī (392/1002), al-Muḥtasab, Bd.  1, 204 [Ibrāhīm anNaḫaʿī] und Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 148 [Yaḥyā b. Waṯṯāb und Ibrāhīm an-Naḫaʿī].

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bindet, ist die Darstellung Allāhs als Mittelpunkt aller Ereignisse, Handlungen und Aktionen, nämlich als direkt in diese Welt Eingreifender, als Verursacher aller Taten sowie als Verantwortlicher aller Geschehnisse. Dieser Aspekt kommt an sehr vielen Stellen im Koran zum Ausdruck. So heißt es in 49:7 etwa: „Allāh hat euch den Glauben lieb gemacht und in euren Herzen ausgeschmückt, und Er hat euch den Unglauben, den Frevel und den Ungehorsam verabscheuen lassen“. In 58:22 lesen wir ferner: „In ihre Herzen hat Er den Glauben geschrieben und sie mit einem Geist von Sich gestärkt“. Diese sehr koranisch geprägte Darstellung göttlicher Intervention wird bei nicht wenigen Gruppen im Frühislam an fast allen Stellen, die im Passiv gelesen werden können, durch Aktivformen bekräftigt und verstärkt. Die folgenden Beispiele (v.  a. 4.1 und 4.2) zeigen eindeutig, wie alternative Lesarten dazu dienen können, Allāhs absolutes Eingreifen in der Welt zu belegen, d.  h. alles auf ihn zurückzuführen. Auf Arabisch heißt dieser Grundsatz isnād al-afʿāl ilā l-Lāh.

3.8.1 Allāh als Gesetzgeber Allāh legt Vorschriften fest und dekretiert Gebote und Verbote. 2:178 kutiba ʿalaykumu l-qiṣāṣu fī l-qatlā > kataba ʿalaykumu l-qiṣāṣa fī l-qatlā69 passiv „Euch ist für die Getöteten Wiedervergeltung vorgeschrieben worden“ > aktiv „Er (d.  h. Allāh) hat euch für die Getöteten Wiedervergeltung vorgeschrieben“ 2:180 kutiba ʿalaykum … al-waṣiyyatu > kataba ʿalaykum … al-waṣiyyata70 passiv „Vorgeschrieben ist euch … ein Vermächtnis“ > aktiv „Vorgeschrieben hat Er euch … ein Vermächtnis“ 2:183 kutiba ʿalaykumu ṣ-ṣiyāmu > kataba ʿalaykumu ṣ-ṣiyāma71 passiv „Das Fasten ist euch vorgeschrieben worden“ > aktiv „Er hat euch das Fasten vorgeschrieben“ 2:183 kamā kutiba ʿalā l-laḏīna min qablikum > kamā kataba …72 passiv „so wie es denjenigen vor euch vorgeschrieben wurde“ > aktiv „so wie Er es denjenigen vor euch vorschrieb“

69 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 101. 70 Ebd. 71 Ebd. 72 Ebd., 102.

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2:246 passiv aktiv 3:50 passiv aktiv 24:3 passiv aktiv

fa-lammā kutiba ʿalayhimu l-qitālu > fa-lammā kataba ʿalayhimu l-qitāla73 „Doch als ihnen vorgeschrieben wurde zu kämpfen“ > „Doch als Er ihnen vorschrieb zu kämpfen“ baʿḍa l-laḏī ḥurrima ʿalaykum > … ḥarrama …74 „was euch verboten war“ > „was Er (d.  h. Allāh) euch verboten hat“ wa-ḥurrima ḏālika > wa-ḥarrama ḏālika75 „Den Gläubigen ist dies verboten“ > „Den Gläubigen hat Er (d.  h. Allāh) dies verboten“

3.8.2 Allāhs Zuständigkeit für alles 55:22 yaḫruǧu/yuḫraǧu minhumā l-luʾluʾu wal-marǧānu > yuḫriǧu/nuḫriǧu minhumā l-luʾluʾa wal-marǧāna76 aktiv „Aus ihnen beiden kommen Perlen und Korallen hervor“ / „Aus ihnen beiden werden Perlen und Korallen hervorgekommen“ > passiv „Aus ihnen beiden lässt Er/lassen Wir Perlen und Korallen hervorkommen“ 75:9 wa-ǧumiʿa š-šamsu wal-qamaru > wa-ǧamaʿa š-šamsa wal-qamara77 Aktiv „und [wenn] Sonne und Mond zusammengebracht werden“ > Passiv „und [wenn] Er Sonne und Mond zusammenbringen wird“ 81:1–13 kuwwirat, inkadarat, suyyirat, ʿuṭṭilat, ḥuširat, suǧǧirat, zuwwiǧat, suʾilat, nuširat, kušiṭat, suʿʿirat, uzlifat > kawwartu, kadartu, sayyartu, ʿaṭṭaltu, ḥašartu, saǧǧartu, zawwaǧtu, saʾaltu, našartu, kašaṭtu, saʿʿartu, azlaftu78 passiv „Wenn die Sonne umschlungen wird / und die Sterne verstreut / und die Berge versetzt werden, / und wenn die trächtigen Kamelstuten vernachlässigt / und die wilden Tiere versammelt werden, / und wenn die Meere zum Überfließen gebracht / und die Seelen gepaart werden, / und wenn das lebendig begrabene Mädchen gefragt wird, / … / und wenn die Blätter aufgeschlagen werden / und der Himmel abgezogen wird, / und wenn die Hölle angefacht / und der (Paradies-)Garten nahe herangebracht wird“ >

73 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 102. 74 Ebd., 184. 75 Ebd., Bd. 6, 18. 76 Ebd., 270–271. 77 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 208a [Ruways nach Kirdāb]. 78 Ebd., Bl. 211b.

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aktiv „wenn Ich die Sonne umschlingen / und die Sterne verstreuen / und die Berge versetzen werde, / und wenn Ich die trächtigen Kamelstuten vernachlässigen / und die wilden Tiere versammeln werde, / und wenn Ich die Meere zum Überfließen bringen / und die Seelen paaren werde, / und wenn Ich das lebendig begrabene Mädchen fragen werde, / … / und wenn Ich die Blätter aufschlagen / und den Himmel abziehen werde, / und wenn Ich die Hölle anfachen / und den (Paradies-)Garten nahe heranbringen werde“ 82:3 wa-iḏā l-biḥāru fuǧǧirat > wa-iḏā l-biḥāra faǧartu79 Aktiv „und wenn die Meere gesprengt werden“ > Passiv „und wenn Ich (d.  h. Allāh) die Meere sprengen lasse“ 88:17–20 ḫuliqat, rufiʿat, nuṣibat, suṭihat > ḫalaqtu, rafaʿtu, naṣabtu, saṭahtu80 passiv „Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie sie erschaffen wurden, / und zum Himmel, wie er emporgehoben wurde, / und zu den Bergen, wie sie aufgerichtet wurden, / und zur Erde, wie sie flach gemacht wurde?“ > aktiv „Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie Ich sie erschaffen habe, / und zum Himmel, wie Ich ihn emporgehoben habe, / und zu den Bergen, wie Ich sie aufgerichtet habe, / und zur Erde, wie Ich sie flach gemacht habe) 89:8 lam yuḫlaq miṯluhā > lam yaḫluq miṯlahā81 passiv „dergleichen nicht erschaffen wurde (in den Ländern)?“ > aktiv „dergleichen Er (d.  h. Allāh) nicht erschaffen hat (in den Ländern)?“ 100:9–10 iḏā buʿṯira mā fī l-qubūri / wa-ḥuṣṣila mā fī ṣ-ṣudūri > iḏā baʿṯara mā fī l-qubūri / wa-ḥaṣṣala mā fī ṣ-ṣudūri82 passiv „Wenn durchwühlt wird, was in den Gräbern ist, / und herausgeholt wird, was in den Brüsten ist“ > aktiv „Wenn Er (d.  h. Allāh) durchwühlt, was in den Gräbern ist, / und herausholt, was in den Brüsten ist“

3.8.3 Die Zuständigkeit Allāhs für die Annahme oder Ablehnung der Fürsprache 2:48 wa-lā yuqbalu minhā šafāʿatun > wa-lā yaqbalu minhā šafāʿatan83 passiv „und von niemanden Fürsprache angenommen wird“ > aktiv „und Er (d.  h. Allāh) von niemandem Fürsprache annimmt“

79 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 212a; vgl. Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 170. 80 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 386. 81 Ebd., 390. 82 Ad-Durr al-maṣūn, Bd. 11, 91. 83 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 35 [nach Qatāda].

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Gottesgabe der Weisheit 2:269 wa-man yuʾta l-ḥikmata > wa-man yuʾti l-ḥikmata84 passiv „und wem Weisheit gegeben wird“ > aktiv „und wem Er (d.  h. Allāh) Weisheit gibt“ 3.8.4 Allāh als Herabsender der Tora und des Evangeliums wa-mā unzilati t-Tawrātu wal-Inǧīlu illā min baʿdihī > wa-mā anzaltu t-Tawrāta wal-Inǧīla …85 passiv „wo die Tora und das Evangelium doch erst nach ihm herabgesandt wurden“ > aktiv „wo Ich (d.  h. Allāh) die Tora und das Evangelium doch erst nach ihm herabgesandt habe“ 3:65

3.8.5 Allāh lässt die Gläubigen ins Paradies eintreten 14:23 udḫila l-laḏīna āmanū wa-ʿamilū ṣ-ṣāliḥāti ǧannātin > udḫilu l-laḏīna āmanū …86 passiv „Aber diejenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun, werden in Gärten eingelassen“ > aktiv „Aber Ich (d.  h. Allāh) lasse diejenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun, in Gärten ein“ 3.8.6 Die Zuständigkeit Allāhs für die Herabsendung der Engel 25:25 passiv aktiv 26:193 passiv aktiv

wa-nuzzila l-malāʾikatu > wa-nunazzilu l-malāʾikata87 „und die Engel herabgesandt werden“ > „und Wir die Engel herabsenden lassen“ nazala bihī r-rūḥu l-amīnu > nazzala bihī r-rūḥa l-amīna88 „mit dem der vertrauenswürdige Geist herabgekommen ist“ > „mit dem Er (d.  h. Allāh) den vertrauenswürdigen Geist herabkommen ließ“

84 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 156. 85 Ebd., 185. 86 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 420; ad-Durr al-maṣūn, Bd. 7. 98. 87 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 35. 88 Ebd., 46.

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47:2 bimā nuzzila ʿalā Muḥammadin > bimā nazzala ʿalā Muḥammadin89 passiv „was Muḥammad offenbart worden ist“ > aktiv „was Er (d.  h. Allāh) Muḥammad offenbaren ließ“ Dazu gibt es mehrere Koranstellen, wo Allāh als Sender der Propheten und Gesandten bezeichnet wird, wie zum Beispiel 2:151, 4:64, 5:70, 12:38, 14:4 und 73:15 („Wir haben zu euch ja einen Gesandten als Zeugen über euch gesandt, so wie Wir zu Pharao einen Gesandten schickten“).

3.8.7 Allāhs Irreführung 11:28 fa-ʿummiyat ʿalaykum > fa-ʿammahā ʿalaykum90 „die (Barmherzigkeit) aber wurde eurem Blick entzogen“ > „die (Barmherzigkeit) aber hat Er (d.  h. Allāh) eurem Blick entzogen“ 39:65 la-yaḥbaṭanna ʿamaluka > la-yuḥbiṭanna ʿamalaka91 „Wenn du (Allāh andere) beigesellst, wird dein Werk ganz gewiss hinfällig“ > „…, wird Er (d.  h. Allāh) dein Werk ganz gewiss hinfällig werden lassen“ Die oben angeführten alternativen qirāʾāt präsentieren ein zentrales theologisches Anliegen, denn sie schreiben alle Taten und Handlungen Allāh als dem unmittelbaren Verursacher und Schöpfer zu. An Stellen, wo Allāh allerdings nicht als direkter Urheber der Ereignisse dargestellt werden kann, greift man zu einer weiteren Methode. Mithilfe der Lesarten wird versucht, Taten und Geschehnisse indirekt auf Allāh zurückzuführen und dabei gleichzeitig den Menschen aus der Verantwortung zu nehmen. Die Vorgehensweise, die hierbei zum Tragen kommt, heißt auf Arabisch qurb al-afʿāl min al-Lāh oder taqrīb al-afʿāl ilā l-Lāh. Diese „Annäherung“ wird in der Regel dadurch bewerkstelligt, dass man die Aktivformen ins Passiv setzt. Die folgenden Beispiele illustrieren dies: 37:8 wa-yaqḏifūna min kulli ǧānibin > wa-yuqḏafūna …92 aktiv „und sie werden von allen Seiten werfen“ >

89 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6. 233. 90 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 216; ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 313; auch Hamdan, Studien, 239. 91 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 177. 92 Ebd., 151.

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passiv 37:47 aktiv passiv 54:7 aktiv

„und sie werden von allen Seiten beworfen“ wa-lā hum ʿanhā yunzifūna > … yunzafūna93 „und damit werden sie sich nicht berauschen“ > „und dadurch werden sie nicht berauscht werden“ yaḫruǧūna mina l-aǧdāṯi > yuḫraǧūna mina l-aǧdāṯi94 „Sie werden aus den Gräbern herauskommen (wie ausschwärmende Heuschrecken)“ > passiv „Sie werden aus den Gräbern herausgeholt (wie ausschwärmende Heuschrecken)“ 55:22 yaḫruǧu minhumā l-luʾluʾu wal-marǧānu > yuḫriǧu/nuḫriǧu minhumā l-luʾluʾa wal-marǧāna95 aktiv „Aus ihnen beiden kommen Perlen und Korallen hervor“ > passiv „Aus ihnen beiden lässt Er/lassen Wir Perlen und Korallen hervorkommen“ 55:24 lahū l-ǧawāri l-munšiʾātu > lahū l-ǧawāri l-munšaʾātu96 aktiv „Und Sein sind (auch) die auf dem Meer fahrenden (Schiffe), die sich wie Berge in die Höhe recken > passiv „Und Sein sind (auch) die auf dem Meer gefahrenen (Schiffe), die wie Berge in die Höhe gereckt worden sind“ 70:38 an yadḫula ǧannat naʿīmin > an yudḫala ǧannat naʿīmin97 aktiv „(Begehrt etwa jeder von ihnen,) in einen Garten der Wonne einzutreten?“ > passiv „(…,) in einen Garten der Wonne eingelassen zu werden?“ 73:14 yawma tarǧufu l-arḍu wal-ǧibālu > yawma turǧafu l-arḍu wal-ǧibālu98 aktiv „am Tag, da die Erde und die Berge erzittern“ passiv „am Tag, da die Erde und die Berge zum Erzittern gebracht werden“ 73:17 yawman yaǧʿalu l-wildāna šīban > yawman naǧʿalu l-wildāna šīban99 aktiv „vor einem Tag, der die Kinder weißhaarig macht“ passiv „vor einem Tag, (an dem) Wir die Kinder weißhaarig machen“

93 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 148. 94 Ebd., 262. 95 Ebd., 270–271. 96 Ebd., 272. 97 Ebd., 325. 98 Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 491 [Zayd b. ʿAlī]; auch Jeffery. In RSO 18 (1936), 282. 99 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 207a.

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75:7–8 fa-iḏā bariqa l-baṣaru / wa-ḫasafa l-qamaru > fa-iḏā buriqa l-baṣaru / wa-ḫusifa l-qamaru100 aktiv „Wenn dann der Blick verwirrt ist / und der Mond sich verfinstert“ passiv „Wenn dann der Blick verwirrt / und der Mond verfinstert wird“ Die Passivform an diesen beiden Stellen entspricht dem nachstehenden Vers, also 75:9 („und Sonne und Mond zusammengebracht werden“). 83:24 taʿrifu fī wuǧūhihim naḍrata n-naʿīmi > tuʿrafu fī wuǧūhihim naḍratu n-naʿīmi101 aktiv „du erkennst in ihren Gesichtern das Strahlen der Wonne“ > passiv „das Strahlen der Wonne wird in ihren Gesichtern erkannt“ 84:12 wa-yaṣlā saʿīran > wa-yuṣlā/wa-yuṣallā saʿīran102 aktiv „und er wird sich der Feuerglut aussetzen“ > passiv „und er wird der Feuerglut ausgesetzt werden“ 86:6–7 ḫuliqa min māʾinin dāfiqinin / yaḫruǧu min bayni ṣ-ṣulbi wa-t-tarāʾibi > ḫuliqa min māʾin dāfiqin / yuḫraǧu …103 aktiv „Er wurde erschaffen aus einer herausschießenden Flüssigkeit, / die zwischen der Lende und der (weiblichen) Brust hervorkommt > passiv „… hervorgebracht wird“ 88:4 taṣlā nāran ḥāmiyatan > tuṣlā nāran ḥāmiyatan104 aktiv „Sie (d.  h. die Gesichter) werden sich einem sehr heißen Feuer aussetzen“ > passiv „Sie werden einem sehr heißen Feuer ausgesetzt werden“ 110:2 wa-raʾayta n-nāsa yadḫulūna fī dīni l-Lāhi afwāǧan > … yudḫalūna …105 aktiv „und du siehst, dass die Menschen in Scharen der Religion Allāhs beitreten“ > passiv „und du siehst, dass die Menschen in Scharen der Religion Allāhs zugeführt werden“ Wie zu sehen ist, beschreiben die oben genannten Beispiele zwei dogmatischtheologische Phänomene, nämlich einerseits den isnād al-afʿāl ilā l-Lāh und andererseits den qurb al-afʿāl mina l-Lāh bzw. taqrīb al-afʿāl ilā l-Lāh. Diese beiden Prinzipien suchte man angesichts der noch nicht kanonisierten qirāʾāt systema-

100 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 341 [Abū Ḥaywa und Ibn Abī ʿAbla (wa-ḫusifa)] und Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 494 [Ibn Abī ʿAbla (buriqa) u. (wa-ḫusifa)]. 101 Ebd., 375. 102 Ebd., 377. 103 Ebd., 381. 104 Ebd., 384. 105 Ad-Durr al-maṣūn, Bd. 11, 140.

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tisch zu etablieren, um dadurch ein absolutes Bild von Allāh zu entwerfen. Die Allmacht Allāhs wird hier mit Nachdruck betont.

4 Zur Frage von Kalifat und Imamat Abschließend soll noch veranschaulicht werden, inwieweit sich der frühislamische Streit um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten auch auf den Bereich der Koranlesungen auswirkte und wie er somit auf eine theologische Ebene transportiert wurde. In der Tat reflektieren die qirāʾāt eine bereits sehr frühe Auseinandersetzung mit dieser Frage, wobei u.  a. folgende Koranstellen behandelt wurden: 2:30

innī ǧāʿilun fī l-arḍi ḫalīfatan > … ḫalīqatan

Manche lehnten die in diesem Vers formulierte Idee einer Stellvertretung Allāhs auf Erden grundsätzlich ab. In 2:30 teilt Allāh Seine Absicht den Engeln wie folgt mit: „Ich bin im Begriff, einen Statthalter auf Erden einzusetzen“. Damit diese koranische Aussage widerlegt werden konnte, las man ḫalīqatan („ein Geschöpf“) statt ḫalīfatan („einen Statthalter“). Die außerkanonische Lesart soll von Ubayy b. Kaʿb, Abū Razīn, Zayd b. ʿAlī, Abū l-Barahsam, Yazīd b. Quṭayb und Kirdāb vetreten worden sein.106 94:7

fa-iḏā faraġta fa-nṣab > fa-iḏā faraġta fa-nṣib107

Die frühe Schia behauptete bekanntlich, dass bereits der Prophet Muḥammad selbst ausdrücklich einen bestimmten Nachfolger, nämlich ʿAlī b. Abī Ṭālib, ernannt hätte. Diese Meinung versuchte sie koranisch zu belegen. Also suchte sie im Koran nach einem Wort, welches durch eine leichte Vokaländerung im Sinne von „ernennen“ verstanden werden konnte. Ein solches findet sich in 94:7. Im Gegensatz zur kanonischen Lesart fa-nṣab, wonach der Vers heißt: „Wenn du nun fertig bist, dann strenge dich an“, soll Allāh nach der außerkanonischen Lesart

106 Al-Kaššāf, Bd. 1, 271; al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 1, 117; K. Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 45b; Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 56; al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-qurʾān, Bd. 1, 394 und al-Baḥr al-muḥiṭ, Bd. 1, 140. 107 Al-Kaššāf, Bd. 4, 267; Aḥkām al-Qurʾān des Ibn ʿArabī (543), Bd. 4, 1949 (mina l-mubtadiʿati); al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 5, 498 (āḫarūn mina l-imāmiyyati); Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 517; al-Ǧāmiʿ liaḥkām al-Qurʾān, Bd. 22, 371 (mina l-mubtadiʿati) und al-Baḥr al-muḥiṭ, Bd. 8, 489 (āḫarūn mina l-imāmiyyati).

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fa-nṣib gesagt und den Propheten folglich beauftragt haben, einen Nachfolger zu ernennen. Der Korankommentator az-Zamaḫšarī (538/1143) führt diese Lesart an und bewertet sie wie folgt: „Zu den von einigen Leuten der Rāfiḍa überlieferten Erfindungen gehört, dass sie fa-nṣib, also: „dann ernenne ʿAlī zum imām!“, lasen. Sollte diese Lesart (tatsächlich) für den rāfiḍī gelten, so sollte es auch dem nāṣibī zu Gebote stehen, dass er – aus Hass und Feindseligkeit gegenüber ʿAlī – fa-nṣab im Imperativ lese.“108 1:6

ihdinā ṣ-ṣirāṭa l-mustaqīma („führe uns den geraden Weg“) > ihdinā ṣirāṭa l-mustaqīmi109 („führe uns auf dem Weg des Rechtschaffenen“) / ihdinā ṣirāṭan mustaqīman110(„führe uns auf einem geraden Weg“)

Gemäß einer Lesevariante, die dem fünften Imam Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq (148/765) zugeschrieben wird, besitzt das Wort ṣirāṭ („Weg“) in 1:6 keinen Artikel, al-mustaqīm allerdings schon. Dadurch kommt eine Genitivverbindung zustande und der Vers lautet: „Führe uns auf den Weg des Rechtschaffenen“ (ihdinā ṣirāṭa l-mustaqīmi). Solche Lesarten illustrieren das Bemühen, dem Koran Inhalte zuzuschreiben, welche das schiitische Imamatsprinzip stützen. Bei dem Rechtschaffenen, der hier angeblich erwähnt werden soll, handelt es sich selbstverständlich um ʿAlī b. Abī Ṭālib111. Angesichts der Tatsache, dass weitere koranische Hinweise für solch eine Deutung fehlen, mag der schiitische Versuch, die angebliche Sonderstellung ʿAlīs koranisch zu untermauern, allerdings wenig glaubhaft erscheinen. Im Koran wird ʿAlī weder namentlich noch durch eine indirekte Anspielung erwähnt. Die al-Ḥasan al-Baṣrī zugeschriebene außerkanonische Lesart ihdinā ṣirāṭan mustaqīman („führe uns auf einen geraden Weg“) bietet demgegenüber mehrere Wege der göttlichen Rechtleitung an.

108 Al-Kaššāf, Bd. 4, 267–268. 109 As-Sayyārī (im 3./9. Jahrhundert), Kitāb al-qirāʼāt, 15 § 37 und aṭ-Ṭabrasī, Maǧmaʿ al-bayān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 1, 42.; auch Jeffery: Materials for the History of the Text of the Qurʾan, 117 [Ubayy, Ibn ʿUmar und Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq]. 110 Al-Ahwāzī (446/1055), Mufradat al-Ḥasan al-Baṣrī, 208. Diese Lesevariante wird auch von aḍ-Ḍaḥḥāk b. Muzāḥim (105/723) und Zayd b. ʿAlī (122/740) überliefert; auch Jeffery. In RSO 18 (1936) 252. 111 Aṭ-Ṭabrasī (548/1153), Maǧmaʿ al-bayān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 1, 42 (fī riwāyatin uḫrā yaʿnī amīra l-muʾminīna).

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18:51 wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna ʿaḍudan > wa-mā kunta muttaḫiḏa l-muḍillayni ʿaḍudan112 Die frühe schiitische Gruppe der Rāfiḍa lehnt das Kalifat von Abū Bakr (13/634) und ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb (23/644) als Usurpation ab. Um diese Ablehnung koranisch zu belegen, lasen sie die betreffende Stelle im Dual. Demnach wäre dieser Teilvers folgendermaßen zu verstehen: „Und nimm dir (o Gesandter) die beiden Verführer nicht zu Helfern“. Mit den beiden Verführen wären demnach die ersten beiden Kalifen gemeint,113 da die Unrechtmäßigkeit des dritten Kalifats von ʿUṯmān b. ʿAffān (35/656) aus schiitischer Sicht ohnehin zweifelsfrei feststand und somit wohl auch ohne einen koranischen Beleg auskam. Die Schia erkennt unter den ersten vier Kalifen bekanntermaßen nur ʿAlī b. Abī Ṭālib als legitimen „Führer der Gläubigen“ (amīr al-muʾminīn) an.

Fazit Die präsentierten Beispiele zeigen, wie die verschiedenen frühislamischen Strömungen versuchten, dogmatische Prinzipien zu diversen Themen zu formulieren, welche im Koran teilweise deutungsoffen bleiben. Die Ambiguität der koranischen Offenbarung mochte die eigenen theologischen Positionen einerseits zwar stützen, andererseits lieferte sie aber auch den Vertretern der konkurrierenden Meinungen oft die notwendigen Belege zur Untermauerung ihrer jeweiligen Lehren. Wer im Kontext dieser frühen Grundsatzdebatte theologisch überzeugen wollte, konnte sich demnach nicht mit einer selektiven Berufung auf einen Teil des Korans begnügen, sondern sah sich gezwungen, auf alternative Lesarten zurückzugreifen. Mithilfe dieser konnten nicht nur weitere koranische Belege generiert werden, die den eigenen Standpunkt förderten, sondern auch diejenigen Verse entkräftet werden, die für die gegnerische Seite sprachen. Wie bereits erwähnt, ging man dabei schrittweise vor. So stellte der sog. taʾwīl („Auslegung“) das primäre hermeneutische Werkzeug zur Erschließung des Korantextes dar. Half der taʾwīl jedoch nicht weiter, so wurden leichte Änderungen am Inlaut oder bei der Endvokalisation vorgenommen. Genügte auch dies nicht, änderte man bisweilen gar die diakritischen Punkte eines Wortes. Zudem können die Veränderung von Pausalformen sowie die Neueinteilung von Versen

112 Efendizade (1167/1754), Risāla fī ḥukm al-qirāʾa bil-qirāʾāt aš-šawāḏḏ, 72. 113 Ebd., 72.

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als weitere Behelfsmittel genannt werden, um bestimmte theologische Ideen in den Korantext hineinzulesen bzw. um Lösungen für gewisse – als problematisch wahrgenommene – Verse anzubieten. In den meisten Fällen fand man dafür passende – und bisweilen erstaunlich angebracht wirkende – Lesevarianten. Doch da unter diesen auch viele frei erfunden waren, erstaunt es nicht, dass sie im Zuge des Kanonisierungsprozesses für außerkanonisch (šawāḏḏ, wörtlich „ausweichend“) befunden wurden und folglich bei der Koranrezitation keinen Gebrauch mehr fanden. Für die gegenwärtige Forschung sind die zahlreichen außerkanonischen qirāʾāt allerdings von großer Bedeutung, da sie über die theologischen und dogmatischen Debatten frühislamischer Gruppierungen Aufschluss geben können.

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 Omar Hamdan

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Doris Decker

Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam Umgang mit religiöser Vielfalt und Differenz in arabisch-islamischer Literatur bis zum 9. Jahrhundert. „Theologie ist der Versuch, die Lehren einer Religion von Gott und seiner Beziehung zu den Menschen systematisch darzustellen und sie gegen abweichende Auffassungen abzugrenzen und zu verteidigen.“1

Mit diesen Worten, mit denen Lutz Berger sein Buch „Islamische Theologie“ eröffnet, bringt er das seiner Einführung zugrunde liegende Verständnis von Theologie auf den Punkt. Es geht um das Nachdenken über und die Lehre von einer als wahr vorausgesetzten Religion, ihrer Offenbarung, Überlieferung und Geschichte. Der Begriff „Theologie“ geht zurück auf das spätlateinische theologia, das wie­derum auf das griechische θεολογία, was wortwörtlich „die Lehre von den Göttern“ bedeutet. Die Anfänge der Islamischen Theologie gehen über die Umayyadenzeit (661–750) zurück bis in die Zeit der Rašidūn2 (632–661), als sich die ersten religiös-politischen Bewegungen formierten. Gruppierungen wie die Ḫāriǧiten, Qadariten, Muʿtaziliten und Murǧiʾiten entwickelten in religiösen Auseinandersetzungen theologische Konzepte und mischten sich unterschiedlich stark in politische Belange ein.3 In ihren Überlegungen ging es vorrangig um die Vorherbestimmung der menschlichen Taten (Handlungs- und Willensfreiheit), den Zusammenhang von Glauben und Handeln sowie um die Rolle des Propheten Muḥammad als Vorbild (Prophetentradition).4 Die theologischen Reflexionen waren dabei eng verknüpft mit der Frage nach der „richtigen“ Führung für die Muslime und den politischen Geschehnissen nach dem Tod des Propheten. Zu ersten islamisch-theologischen Reflexionen und Positionen soll es allerdings nicht erst nach dem Tod des Propheten, sondern bereits während seines

1 Lutz Berger, Islamische Theologie. Wien: facultas, 2010, 9. 2 So werden die ersten vier Kalifen nach dem Tod des Propheten Muḥammad bezeichnet. 3 Siehe generell zu diesen Gruppierungen sowie ihren Bezeichnungen Josef van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3.  Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, Bd. 4. Berlin, New York: De Gruyter, 1991–1997. 4 Berger, Islamische Theologie, 59  ff. https://doi.org/10.1515/9783110588576-004

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Lebens von ca. 570 bis 632 gekommen sein.5 In Textsammlungen zum Frühislam wird beispielsweise geschildert, wie Anhängerinnen Muḥammads über den von ihm verkündeten Gott und die altarabischen Gottheiten bzw. Kultbilder diskutieren und Kritik an jenen üben. Um diese frühen theologischen Reflexionen und Positionierungen soll es im vorliegenden Aufsatz gehen, wobei im engeren Fokus ausgewählte Berichte über drei Frauen aus frühislamischer Zeit stehen: Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym. Neben ihrem Bekenntnis zum Propheten Muḥammad verbinden diese drei Frauen ihre theologischen Reflexionen und Positionen hinsichtlich des altarabischen Kults und dessen Gottheiten, und dies laut den Quellen zu einer Zeit, als der Prophet Muḥammad noch lebte. Die betreffenden Überlieferungen sind in den ältesten arabischen Textsammlungen enthalten, die über den Beginn des Islam im frühen 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel in den Regionen Mekka und Medina berichten. Da diese Textkorpora selbst aber im 8. und 9. Jahrhundert kompiliert wurden, klafft zwischen ihren Aufzeichnungen und dem Tod des Propheten eine Zeitspanne von ca. 150 bis 200 Jahren, was eine historische Rekonstruktion der Ereignisse zu Beginn des 7. Jahrhunderts erschwert. Mit den Überlieferungen über Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym könnten Belege über die ersten Versuche einer spezifisch islamischen Theologie im frühen 7.  Jahrhundert vorliegen. Bezogen auf ihre Erstellungszeit im 8. und 9. Jahrhundert könnten die Texte aber auch Phasen der islamischen Theologie späterer Jahrhunderte widerspiegeln. Forschungsarbeiten konnten nämlich zeigen, dass die Kompilationen, die vorgeben, Ereignisse aus dem frühen 7. Jahrhundert zu dokumentieren, oft Denkkonzepte des 8. und 9. Jahrhunderts, Rückprojizierungen späterer Erlebnissituationen oder idealisierte Verzerrungen der vergangenen Epochen und ihrer Persönlichkeiten beinhalten So muss damit gerechnet werden, dass die Texte aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen kontextuell verschiedene Normen und Werte reflektieren und diese in die Zeit des Propheten zurückprojizieren.6

5 Ab ca. 613 trat Muḥammad öffentlich in Mekka als Verkünder göttlicher Offenbarungen auf. Da die Mehrheit der mekkanischen Bevölkerung seine prophetische Botschaft ablehnte und ihn anfeindete, war Muḥammad zwar in Mekka erfolglos, konnte jedoch nach seiner Flucht nach Medina im Jahr 622 eine größere Anhängerschaft gewinnen und die Entstehung einer neuen religiösen Bewegung initiieren. 6 Siehe Albrecht Noth, „Der Charakter der ersten großen Sammlungen von Nachrichten zur frühen Kalifenzeit,“ Der Islam 47 (1971): 168–199; Albrecht Noth, Quellenkritische Studien zu Themen, Formen und Tendenzen frühislamischer Geschichtsüberlieferungen. Teil I: Themen und Formen. Bonn: Selbstverlag des Orientalischen Seminars der Universität Bonn, 1973; Eckart Stetter, Topoi und Schemata im Ḥadīth, Dissertation. Görlitz: Tübinger Druckbüro, 1965; Tilman

Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 

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Die Darstellungen der besagten Frauen werden vorrangig unter zwei Gesichtspunkten untersucht: Zum einen interessieren die theologischen Reflexionen und Positionierungen sowie deren religionsgeschichtliche Verortung (Untersuchungsperspektive 1). Zum anderen interessieren die Geschlechterkonzeptionen und -beziehungen (besonders im Verhältnis zu den Anfängen einer spezifisch islamischen Theologie), weil speziell Frauen ihre theologischen Reflexionen und Positionen mit Männern diskutieren (Untersuchungsperspektive 2). Das zu untersuchende Quellenmaterial ist enthalten im Kitāb al-Maġāzī7 von al-Wāqidī (747–823), in der Sīra8 vorliegend in der Redaktion von Ibn Hišām (gest. 834), in den Ṭabaqāt9 von Ibn Saʿd (784–845) und in der Maġāzī-Fassung der Sīra10 vorliegend in der Redaktion von al-ʿUṭāridī (gest. 886).11 Bei der Untersuchung der Texte geht es nicht um eine historische Rekonstruktion frühislamischer Zeit oder die Frage nach der Textauthentizität, sondern um die Rekonstruktion der Darstellungen weiblicher theologischer Reflexionen und Positionen und folglich um die Aussagen12 der Texte: Es wird gefragt, was die Texte über die theologischen Reflexionen und Positionen der Frauen berichten und wie die Frauen dabei, auch bezüglich ihrer Geschlechterbeziehungen, dargestellt werden. Damit wird eine Rekonstruktion des geschichtlichen Rückblicks der Texte selbst

Nagel, „Ḥadīth – oder: Die Vernichtung der Geschichte,“ ZDMG Supplementa 10 (XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge) (1994): 118–128; Barbara Freyer Stowasser, Women in the Qur’an, Traditions, and Interpretations. Oxford, New York: Oxford University Press, 1994; Nadia Maria El Cheikh, Women, Islam, and Abbasid Identity. London: Harvard University Press, 2015. 7 Al-Wāqidī, Kitāb al-Maghāzī: The Kitāb al-Maghāzī of al-Wāqidī, Hg. Marsden Jones, Bd.  3. London: Oxford University Press, 1966. 8 Ibn Hišām, Sīra: Kitāb Sīra Rasūl Allāh. Das Leben Muhammad’s nach Muhammad Ibn Ishāk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischām, hg. von Ferdinand Wüstenfeld, Bd. 2. Göttingen: Dieterichsche Universalitäts-Buchhandlung, 1858–1860. 9 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt: Ibn Saʿd, Biographien Muhammeds, seiner Gefährten und der späteren Träger des Islams bis zum Jahre 230 der Flucht, Bd. 8. Biographien der Frauen, Hg. Carl Brockelmann. Leiden: E.J. Brill, 1904. 10 Al-ʿUṭāridī, Sīra: Kitāb as-Siyar wa l-Maġāzī nach Muḥammad Ibn-Isḥāq al-Muṭṭalibi [Sīrat an-Nabīj, Ausz.] Überliefert von Jūnus Ibn-Bukair, Hg. Suhail Zakkār. Damaskus: Dār al-Fikr, 1978. 11 Die beiden Sīra-Fassungen gehen auf Ibn Isḥāq (704–768) zurück. Ibn Hišām und al-ʿUṭāridī sind beides Redaktoren der Sīra von Ibn Isḥāq, der seine Überlieferungen an seine Schüler alBakkāʾī (gest. 799) und Yūnus ibn Bukayr (gest. 815) weitergegeben hat. Diese wiederum haben das Erlernte ihren Schülern al-Bakkāʾī an Ibn Hišām und Yūnus ibn Bukayr an al-ʿUṭāridī vermittelt. 12 Das hier zugrundeliegende theoretisch-methodische Konzept ist das der intentio operis von Umberto Eco, Die Grenzen der Interpretation. München: dtv, ³2004. Zur methodischen Vorgehensweise siehe auch Marco Schöller, Methode und Wahrheit in der Islamwissenschaft. Wiesbaden: Harrassowitz, 2000.

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angestrebt, um ihren Darstellungsmodalitäten der Geschehnisse im frühen 7. Jahrhundert in den Regionen Mekka und Medina Raum zu gegeben und anhand dessen zu erfahren, wie sie die Vergangenheit verstanden und gesehen haben, insbesondere was Frauen und Theologie im Frühislam betrifft. Im Folgenden wird einführend ein Blick auf die religiöse Landschaft auf der Arabischen Halbinsel um 600 geworfen, um den Inhalt der Quellen vor dem kulturgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen, auf den er sich bezieht. Es folgen die Übersetzungen der zu untersuchenden Überlieferungspassagen sowie einige grundlegende Informationen über die jeweiligen Berichte und deren zeitgeschichtliche Einordnung. Anschließend werden die Textpassagen in der Reihenfolge der aufgeworfenen Untersuchungsperspektiven analysiert (da sich die Antworten auf die einzelnen Perspektiven teilweise überlappen und Wiederholungen vermieden werden sollen, fällt der Umfang des Kapitels zur zweiten Untersuchungsperspektive kürzer aus als der der ersten). Den Abschluss bildet ein Fazit.

1 Religiöse Vielfalt auf der Arabischen Halbinsel um 600 Das Quellenmaterial13, das über die vorislamische Zeit berichtet, wie die bereits erwähnten Kompilationen, aber auch andere wie das Kitāb al-Aṣnām von Ibn alKalbī14 (ca.737–820), beschreibt die Bevölkerung auf der Arabischen Halbinsel um 600 als religiös vielfältig: Neben den arabischen Stämmen, die der altarabischen Religion angehörten, fanden sich christliche und jüdische Gemeinden, vereinzelt Zoroastrier, Manichäer und Mandäer.15 Zudem konzipieren die Quellen von der altarabischen Religion selbst kein einheitliches Bild „einer“ Religion.16

13 Was unsere Kenntnisse über die religiöse Landschaft auf der Arabischen Halbinsel vor dem Aufkommen des Islam betrifft, sind wir mit den gleichen, bereits im vorherigen Kapitel formulierten Schwierigkeiten bezüglich der Rekonstruktion frühislamischer Zeit konfrontiert: Auch hierfür greifen wir auf Kompilationen zurück, die erst ab dem 8. Jahrhundert zusammengestellt wurden, weshalb deren authentischer und historischer Wert umstritten ist. 14 Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch Kitāb al-Aṣnām des Ibn al-Kalbī, Übers. Rosa Klinke-Rosenberger. Leipzig: Harrassowitz, 1941. 15 Karl Ahrens, Muhammed als Religionsstifter. Nendeln: Kraus, 1966, 8–9. 16 Dem Singular wird nur aus sprachpragmatischen Gründen der Vorrang gewährt. Auch der Religionsbegriff an sich bezogen auf den altarabischen Kult oder die frühislamische Zeit kann hier nicht differenzierter betrachtet werden, da das Verständnis von Religion im Rahmen des Auf-

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Es finden sich Züge von Polytheismus, aber auch Henotheismus. Die Menschen glaubten an Geister, übten einen Ahnenkult aus, opferten Gottheiten, deuteten Zeichen als Omen und veranstalteten Wallfahrten und Feste. Zahlreiche Stämme verehrten Steine, Bäume, Quellen und andere natürliche Gegenstände. Der jeweilige Gegenstand konnte die Verkörperung der Gottheit sein, deren Lebensort darstellen oder zumindest als machtgeladen gelten. Die Gottheiten waren im Wesentlichen lokale Gottheiten, die bestimmten Stämmen zugeordnet waren und für die oft eine Kultstätte oder ein heiliger Bezirk mit einem „Hüter“ oder einer „Hüterin“ vorgesehen war. Über die Bewohner von Mekka heißt es, sie hätten Kultbilder in ihren Häusern gehabt, die sie beim Verlassen und Betreten des Hauses streichelten, um Schutz und Hilfe zu erlangen.17 Es soll der Glaube an einen höchsten Schöpfergott (Allāh) existiert haben, dem andere Gottheiten, Engel und Geister untergeordnet waren. Diese Götterkonstellation mit einem höchsten Gott soll für die Lebenspraxis der Araber ein unsichtbares System gebildet haben, welches der Stammesstruktur ähnelte. Wendete sich der Araber für die Erfüllung seiner großen Ziele, wie Schutz vor Not, Dürre oder Unglück, dem Schöpfergott zu, brauchte er ihn nicht für alltägliche Dinge, wie Heilung von Krankheit, Erfüllung materieller Bedürfnisse u.  a.18 Die Forschung ist sich jedoch nicht einig darüber, ob um 600 Allāh „Hochgott“ oder Gott im monotheistischen Sinn war oder ob der Hauptgott der Qurayš in Mekka, Hubal19, eine wichtigere Rolle als Allāh spielte.20 Bei der Eroberung Mekkas soll

satzes kein vordergründiges Thema ist. Zum Religionsbegriff bezogen auf den Frühislam siehe Doris Decker, Frauen als Trägerinnen religiösen Wissens. Konzeptionen von Frauenbildern in frühislamischen Überlieferungen bis zum 9. Jahrhundert. Stuttgart: Kohlhammer, 2013a, 42–76; HansMichael Haußig, Der Religionsbegriff in den Religionen. Berlin: Philo, 1999. 17 Vgl. W. Montgomery Watt und Alford T. Welch, Der Islam I. Mohammed und die Frühzeit – Islamisches Recht – Religiöses Leben. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1980; Ibn alKalbī, Das Götzenbuch; Maria Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens,“ in Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer, Hg. Hartmut Gese u.  a. Stuttgart: Kohlhammer, 1970; Julius Wellhausen, Reste arabischen Heidentums. Berlin: De Gruyter, ³1961; Ahrens, Muhammed als Religionsstifter. 18 Abdoljavad Falaturi „Der Koran: Zeugnis der Geschichte seiner Zeit,“ in Der islamische Orient – Grundzüge seiner Geschichte, Hg. Albrecht Noth u.  a. Würzburg: Ergon, 1998, 62. 19 Sein Standbild in Menschengestalt im Innern der Kaʿba soll aus rotem Karneol gefertigt gewesen sein. Als Orakel berühmt wurde er bei wichtigen Anlässen um Rat gefragt (Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch). 20 Für Allāh als „Hochgott“ sprechen Stellen im Koran, die ihn als den „Schöpfer der Welt“ oder „Spender des Regens“ bezeichnen und ihn als einen Gott darstellen, bei dem geringere Gottheiten Fürsprache erbitten konnten. Vgl. Watt/Welch, Der Islam I, 44. Zum Beispiel Sure 26:61–65 und Sure 39:3; 10:18; der Koran erklärt die Wirksamkeit solcher Fürbitten aber für unwirksam 6:94; 30:12; 36:23; 43:86.

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Hubals Bildnis von den Muslimen zerstört worden sein. Insgesamt sollen über 360 Kultbilder sowie Bilder von Abraham, Jesus und Maria in der Kaʿba gewesen sein, was eine Beziehung von Christen und Juden zur Kaʿba vermuten lässt.21 Berichtet wird ebenfalls über die Verehrung von drei Göttinnen im vorislamischen Arabien, die größeres Ansehen als andere lokale Gottheiten genossen haben sollen. Unter ihnen waren al-Lāt und al-ʿUzzā, die im zu untersuchenden Quellenmaterial genannt werden. Al-Lāt, die in ganz Zentral- und Nordarabien verehrt wurde, hieß ursprünglich al-ilāhat, was zu al-ilāt und dann zu al-Lāt umgedeutet wurde. Al-Lāt bedeutet „die Göttin“, womit ihr Name das Feminin zu Allāh ist. Höfner vertritt die These, dass al-Lāt ursprünglich eine ähnlich überragende Gottheit gewesen war wie Allāh. Dafür spreche auch, dass sie „Mutter der Götter“ genannt wurde, ein Ausdruck für einen besonders hohen Rang (jedoch nicht wörtlich zu verstehen). Sie wurde als Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin verehrt und diente auch in der Funktion einer Kriegs- und Schutzgöttin. Ihre zentrale Kultstätte war in Ṭāʾif östlich von Mekka und ihr Kultbild ein weißer Granitblock. Die Hüter ihrer Kultstätte waren die Banū ʿAttāb vom Stamm Ṯaqīf, die sie ar-rabba („die Herrin“) nannten.22 Al-ʿUzzā, was „die Gewaltigste, die Mächtigste“ bedeutet, wurde vor allem von den Qurayš verehrt, war aber auch bei anderen Stämmen angesehen. Die Qurayš pilgerten zu ihr, brachten ihr Geschenke und opferten ihr. Auch Muḥammad soll ihr in seiner Jugend geopfert haben.23 Sie hatte ihren Sitz in drei Bäumen und ihr heiliges Gebiet war in einem Tal in Naḫla, östlich von Mekka. Im Jahr 630 wurden die Kultstätten der beiden Göttinnen von den Muslimen zerstört.24 Juden und Christen waren Jahrhunderte vor dem Islam von Norden und Süden aus auf die Arabische Halbinsel vorgedrungen. Die beiden Religionen sorgten neben einer Verbreitung monotheistischen Gedankengutes, für eine Verbreitung der aramäischen und hellenistischen Kultur.25

21 Vgl. Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Watt/ Welch, Der Islam I; Falaturi, „Der Koran“; al-Wāqidī, Kitāb al-Maġāzī. 22 Vgl. Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Wellhausen, Reste. 23 Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch, 39. Solch eine Eingebundenheit Muḥammads in sein religiöses Umfeld ist vorstellbar und wird gestützt durch andere Überlieferung, in denen berichtet wird, dass sein Großvater und dessen Söhne die Aufsicht über die mekkanischen Heiligtümer hatten. Vgl. Falaturi, „Der Koran“; Walter Dostal, „Die Araber in der vorislamischen Zeit,“ in Der islamische Orient – Grundzüge seiner Geschichte, Hg. Albrecht Noth u.  a. Würzburg: Ergon, 1998. 24 Vgl. Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Wellhausen, Reste. 25 Vgl. Bernard Lewis, Die Araber. München: dtv, 2002.

Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 

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Die Juden hatten sich bis zur Zeit Muḥammads mit der arabischen Bevölkerung vermischt und es kam zu Bekehrungen arabischer Stämme.26 An ihrem Glauben festhaltend übernahmen sie die Kultur und Sprache der Araber.27 Der Koran weist viele Lehnwörter aus dem Hebräischen und Aramäischen auf, die den Hörern der koranischen Botschaft vertraut gewesen sein dürften. Vor dem Hintergrund der jüdischen Tradition sind auch Züge der koranischen Legenden zu sehen. Ihre Erwartung des Messias könnte die Araber auf das Erscheinen eines Propheten vorbereitet haben. Im Nordwesten Arabiens bwohnten sie Oasen wie Yaṯrib, das spätere Medina. Zur Zeit Muḥammads waren drei der fünf in Medina lebenden Stämme jüdischen Glaubens, weshalb Medina als ein Zentrum des jüdischen Monotheismus betrachtet werden kann.28 Das Christentum breitete sich hauptsächlich im Süden und im Norden der Arabischen Halbinsel aus. Im Umkreis von Mekka und Medina waren die Christen eine Minderheit. Dennoch ist anzunehmen, dass Muḥammad vor seinem öffentlichen Auftreten mit Christen in Kontakt gekommen ist, was die Koranstelle 29:46  f. belegt. Sie spricht von Juden und Christen als Gesprächspartnern Muḥammads und berichtet von Handelsbeziehungen syrischer Christen nach Mekka. Eigenständige christliche Gemeinden wird es in Mekka jedoch nicht gegeben haben.29

2 Die ausgewählten Überlieferungen Die Sklavin Zinnīra wird als erstes Beispiel für eine Frau vorgestellt, die theologische Reflexionen und Positionierungen anstellt. Die Erzählung, um die es geht, findet sich in den Textsammlungen von Ibn Hišām, al-ʿUṭāridī und Ibn Saʿd. Der Kontext der Erzählung ist in allen drei Überlieferungsvarianten der Freikauf

26 Vgl. Ahrens, Muhammed als Religionsstifter. 27 Bernhard Maier, Koran – Lexikon. Stuttgart: Kröner, 2001, 96; Watt/Welch, Der Islam I; Heinz Halm, Die Araber. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 2004. 28 Vgl. Maier, Koran – Lexikon, 96; Wellhausen, Reste; Watt/Welch, Der Islam I; Halm, Die Araber. 29 Vgl. Halm, Die Araber; Watt/Welch, Der Islam I; Falaturi, „Der Koran“; Maier, Koran – Lexikon; Ahrens, Muhammed als Religionsstifter; Tor Andrae, Der Ursprung des Islams und das Christentum. Uppsala: Almqvist & Wiksells, 1926. In Quellen wird jedoch davon berichtet, dass es in der Umgebung Mekkas vor dem Islam eine christliche Begräbnisstätte gegeben haben soll. Vgl. Dostal, „Die Araber in der vorislamischen Zeit,“ 30.

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einiger Sklaven und Sklavinnen durch Abū Bakr30 in Mekka, noch vor der Flucht der Muslime und Musliminnen nach Medina. Unter diesen Sklaven befand sich Zinnīra31. Folgendes trug sich nach oder im Zuge ihrer Befreiung aus dem Sklavenstatus zu: A) […] und Zinnīra, deren Sehkraft beschädigt wurde, nachdem er sie freigekauft hatte. Dann sagten die Qurayš: „Nur al-Lāt und al-ʿUzzā können ihre Sehkraft genommen haben!“ Da sagte sie: „Beim Hause Gottes [32], sie lügen. Al-Lāt und al-ʿUzzā können weder schaden noch nützen.“ Daraufhin gab ihr Gott ihre Sehkraft zurück.33 B) Zinnīras Sehkraft war verschwunden. Sie war von denjenigen, die gefoltert wurden wegen Gott und des Islam. Aber sie wies alles zurück außer den Islam. Da sagten die Beigeseller [mušrikūn34]: „Nur al-Lāt und al-ʿUzzā können ihre Sehkraft genommen haben.“ Daraufhin sagte sie: „So?! Bei Gott, so ist das nicht.“ Da gab ihr Gott ihre Sehkraft zurück.35 C) Zinnīra wurde in ihrer Sehkraft geschädigt, woraufhin sie erblindete. Da wurde zu ihr gesagt: „Al-Lāt und al-ʿUzzā haben dich geschädigt!“ Da sagte sie: „Bei Gott, nein, sie haben mich nicht geschädigt, das ist von Gott.“ Diese Erkenntnis über ihre Sehkraft war von Gott. Und er [Gott] gab sie [die Sehkraft] ihr zurück. Da sagten die Qurayš: „Dies ist etwas von Muḥammads Zauberei.“36

30 Abū Bakr, nach Muḥammads Tod von 632–634 der erste Kalif der islamischen Gemeinschaft, war ein wohlhabender mekkanischer Kaufmann und der Vater von Muḥammads Frau ʿĀʾiša. Als einer der ersten Muslime war er der sunnitischen Tradition zufolge einer der engsten Vertrauten Muḥammads. 31 Ihr Name wird nicht einheitlich vokalisiert, bei Ibn Saʿd wird er auch mit Zunnīra wiedergegeben. 32 Mit diesem Schwur meint sie die Kaʿba. 33 Ibn Hišām, Sīra, Bd. 1, 206. 34 Arab. mušrik, Pl. mask. mušrikūn, „der Einen zum Teilhaber macht, ihn als Associé annimmt; der Gott Genossen gibt, Polytheist“ (Adolf Wahrmund, Handwörterbuch der neu-arabischen und deutschen Sprache, Bd. 2. Beirut: Librairie du Liban, ³1985); „Polytheist“ (Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz, 1952). Von arab. širk „Genossenschaft, Kompagnie; Assoziation, Teilhaberschaft“ (Wahrmund); „Polytheismus, Götzendienerei“ (Wehr). In Anlehnung an Müller und Hawting wird im Folgenden mušrik mit „Beigeseller“ und širk mit „Beigesellung“ übersetzt. Vgl. J.H. Mordtmann und D.H. Müller, „Eine monotheistische sabäische Inschrift,“ Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 10 (1896): 290; G.R. Hawting, The Idea of Idolatry and the Emergence of Islam. From Polemic to History. New York, Cambridge: Cambridge University Press, 1999, 69.) Hawting übersetzt bzw. umschreibt die Bedeutung von mušrik mit „someone who associates something or someone with God as an object of worship“ (Hawting, The Idea of Idolatry, 48). Unter einem mušrik wird also eine Person verstanden, die Gott etwas oder jemanden beigesellt und dieses etwas oder jemanden verehrt bzw. die die Idee der Teilhaberschaft (širk) vertritt. Von daher ist eine Übersetzung mit „Polytheist“ nicht genau. 35 Al-ʿUṭāridī, Sīra, 191. 36 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 187.

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Das zweite Beispiel ist Umm Ḥabība, die Tochter Abū Sufyāns37 und Ehefrau des Propheten. Hintergrund der Überlieferung ist die Bekräftigung des Vertrages von Ḥudaybīya38 (628), wegen der Abū Sufyān auf dem Weg zu Muḥammad nach Medina war (noch vor der Einnahme Mekkas im Jahr 630) und bei seiner Ankunft in der Stadt seine Tochter konsultierte. Folgendes trug sich nach al-Wāqidī zwischen den beiden zu: Als er sich auf das Lager [Bett, Kissen] des Gesandten Gottes setzen wollte, zog sie es unter ihm weg. Er sagte: „Willst du dieses Lager nicht für mich oder mich nicht für dieses Lager?“ Sie sagte: „[Weder so noch so], vielmehr ist es das Bett des Gesandten Gottes und du bist ein unreiner Beigeseller!“ Er sagte: „Oh Töchterchen, Unheil ist über Dich und Dein Wissen gekommen!“[39] Sie sagte: „Gott hat mich auf den rechten Weg zum Islam geleitet. Und du, o mein Vater, Anführer der Qurayš und ihr Ältester, was hält dich vom Islam ab, wo du doch nur einen Stein anbetest, der weder hören noch sehen kann?“ Er sagte: „Oh das verwundert mich, [nun] das auch von dir? Soll ich ablassen von dem, was meine Vorfahren angebetet haben, und der Religion Muḥammads folgen?“40

Das dritte Beispiel für eine theologisch reflektierende und argumentierende Frau ist Umm Sulaym bint Milḥān41. In fünf Überlieferungsvarianten in den Ṭabaqāt von Ibn Saʿd wird ein Gespräch zwischen ihr und Abū Ṭalḥa Zayd ibn Sahl42 beschrieben, in dem er ihr einen Heiratsantrag unterbreitete. In einigen dieser

37 Abū Sufyān ibn Ḥarb ibn Umayya von der Sippe ʿAbd Šams der Qurayš war ein reicher und angesehener Kaufmann und Anführer der dem Propheten feindlich gesinnten Mekkaner, der erst 630 den Islam annahm. Möglicherweise förderte die Heirat seiner Tochter Umm Ḥabība mit Muḥammad im Jahr 628 eine Annäherung zwischen ihm und dem Propheten. Vgl. Ibn Hišām, Sīra [dt.], Ibn Isḥāq, Das Leben des Propheten, Übers. Gernot Rotter. Kandern: Spohr, 1999, 270. 38 Im Jahr 628 begab sich Muḥammad auf den Ḥaǧǧ nach Mekka, dessen Durchführung ihm allerdings von den Mekkanern verweigert wurde. Er handelte mit ihnen einen Vertrag (Vertrag von Ḥudaybīya) aus, in dem es hieß, dass die Musliminnen und Muslime noch ein Jahr warten müssten, um Mekka betreten zu dürfen. Vgl. Ibn Hišām, Sīra, Bd. I, 746  f. 39 Arab. yā bunayya laqad aṣābaki bi-ʿilmiki šarr. In den Überlieferungen von Ibn Hišām und Ibn Saʿd findet sich die Erzählung ebenfalls, aber nur bis zu diesem zitierten Satz und dieser in einer anderen Variante; die folgende Auseinandersetzung zwischen Umm Ḥabība und ihrem Vater findet sich ausschließlich bei al-Wāqidī. 40 Al-Wāqidī, Kitāb al-Maġāzī, 792  f. 41 Umm Sulaym gehörte zum Stamm der Ḫazraǧ und lebte in Medina. Vgl. Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311. 42 Abū Ṭalḥa war ein Anṣār und enger Gefährte des Propheten. Vgl. Ṭabarī, Taʾrīḫ [engl.], Bd. 39, The History of al-Ṭabarī. Vol. XXIX. Biographies of the Prophet’s Companions and Their Successors, Transl. Ella Landau-Tasseron. New York, Albany: State University of New York Press, 1998, 12, Fußnote 45. Als Anṣār wurden die in Medina ansässigen Personen bezeichnet, die Muḥammad bei sich aufgenommen und unterstützt hatten.

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Überlieferungsvarianten äußert sich Umm Sulaym im Zuge ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Heirat mit Abū Ṭalḥa über die Gottheiten und Kultbilder der altarabischen Religion. Zeitlich dürfte das Ereignis des Heiratsantrages in die medinensische Zeit Muḥammads fallen. A) Abū Ṭalḥa hielt um Umm Sulayms Hand an. Da sagte sie: „Wahrlich, ich glaube bereits an diesen Mann [Muḥammad] und ich bezeuge, dass er der Gesandte Gotte ist. Wenn Du mir [darin] folgst, dann heirate ich dich.“ Er sagte: „Ich folge dem Gleichen wie du.“[43] Daraufhin heiratete ihn Umm Sulaym und die Brautgabe für sie war der Islam [von Abū Ṭalḥa].44 B) Abū Ṭalḥa hielt [mehrmals] um Umm Sulaym bint Milḥāns Hand an, worauf Umm Sulaym zu sagen pflegte: „Ich heirate nicht, bis Anas[45] die männliche Reife erlangt hat, am Rat der Ältesten[46] teilnimmt und sagt, möge es Gott meiner Mutter mit Gutem belohnen, denn ihr ist meine Vormundschaft[47] gelungen.“ Da sagte Abū Ṭalḥa zu ihr: „Anas sitzt und spricht bereits im Rat der Ältesten.“ Da sagte Umm Sulaym: „Was von beidem erfüllst du mir, damit ich dich heirate? Entweder folgst du mir auf meinem Weg oder du hältst das von mir [was du von mir weißt] geheim, denn wahrlich, ich glaube bereits an diesen Mann [Muḥammad], den Gesandten Gottes.“ Da sagte Abū Ṭalḥa: „Wahrlich, ich werde dem Gleichen wie du folgen.“ Und die Brautgabe zwischen den beiden war der Islam [von Abū Ṭalḥa].48 C) Abū Ṭalḥa hielt um ihre Hand an, als er ein Beigeseller war. Sie lehnte ab. Eines Tages sagte sie zu ihm, wie es erzählt wird: „Siehst du den Stein, den du verehrst? Er kann dir weder schaden noch nützen. Oder das Stück Holz, das du zum Zimmermann bringst, damit er es für dich bearbeitet. Schadet es dir? Nützt es dir?“ [möglicher zeitlicher Abstand] Aber es hatte bereits einen Platz in seinem Herzen eingenommen, was sie zu ihm gesagt hatte. Dann [nach einer geraumen Zeit] ging er zu ihr und sagte: „Es hat bereits einen Platz in meinem Herzen eingenommen, was du gesagt hast.“ Und er glaubte [daran]. Sie sagte: „Wahrlich, dann heirate ich dich und ich nehme nichts anderes [als den Glauben] von dir als Brautgabe.“49

43 Arab. fa-anā ʿalā miṯli mā anti ʿalayhi; vgl. Wolfdietrich Fischer, Grammatik des klassischen Arabisch. Wiesbaden: Harrassowitz, ²1987, § 302. d); arab. maṯal „Ähnliches, Gleiches, Ähnlichkeit“ (Wahrmund). 44 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311. 45 Anas ibn Mālik war Umm Sulayms Sohn. Von ihm wird berichtet, dass er in den Diensten Muḥammads stand. Nach dessen Tod pflegte er engen Kontakt zu den vier ersten Kalifen und überlieferte als einer der ersten wichtigen Gelehrten im Islam zahlreiche Ḥadīṯe. Angeblich soll er im Jahr 712 (im Alter von 103 Mondjahren) in Basra gestorben und der letzte der Prophetengefährten gewesen sein. Vgl. G.H.A. Juynboll, Encyclopedia of Canonical Ḥadīth. Leiden, Boston: Brill, 2007, 131. 46 Die „Ältesten” sind im Sinne von die „Erwachsenen” zu verstehen. 47 Vormundschaft kann hier im Sinne von Erziehung verstanden werden. 48 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311  f. 49 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311. Der dritten Variante geht eine Erzählung voraus, in der von ihrem Glauben an den Gesandten Gottes berichtet wird und davon, wie sie ihren Sohn lehrte, an nur einen Gott zu glauben, und dass sie nach dem Tod von Anas‘ Vater nicht vor der Entwöhnung ihres Kindes heiraten wollte.

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D) Abu Ṭalḥa kam zu Umm Sulaym, um um ihre Hand anzuhalten. Da sagte sie: „Wahrlich, ich sollte keinen Beigeseller heiraten. Weißt du denn nicht, Abū Ṭalḥa, dass eure Götter, die ihr anbetet, geschnitzt wurden von einem Menschen irgendeiner Familie, der ein Zim­ mermann ist, und dass sie verbrennen würden, wenn ihr sie mit Feuer anzündet?“ Daraufhin entfernte er sich von ihr, aber es hatte bereits etwas davon in seinem Herzen einen Platz eingenommen. Und jedes Mal, wenn er zu ihr kam, sagte sie ihm dies. Eines Tages aber ging er zu ihr und sagte: „Was du mir dargelegt hast, dem stimme ich bereits zu.“ Es gab für sie nichts anderes als Brautgabe als den Islam von Abū Ṭalḥa.50 E) Umm Sulaym sagte: „O Abū Ṭalḥa, weißt du denn nicht, dass dein Gott, den du anbetest, nur ein aus der Erde gewachsener Baum ist, der von einem Menschen irgendeines Stammes bearbeitet wurde?“ Er sagte: „Doch.“ Sie sagte: „Schämst du dich nicht, dich niederzuwerfen vor einem Stück Holz, das aus der Erde gewachsen war und von einem Menschen irgendeines Stammes bearbeitet wurde?“ Dann sagte sie: „Willst du bezeugen, dass es keinen Gott außer Gott gibt und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist, so lass ich mich von dir heiraten und ich will keine Brautgabe von dir außer dies.“ Er sagte zu ihr: „Lass mich [darüber] nachdenken.“ Dann ging er weg und überdachte alles. Dann kam er wieder und sagte: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott gibt und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist.“ Sie sagte: „O Anas, steh auf und verheirate Abū Ṭalḥa.“51

3 Die theologischen Reflexionen und Positionen Die Überlieferungen geben vor, über Konflikte zwischen unterschiedlich religiösorientierten Parteien im frühen 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel in den Regionen Mekka und Medina zu berichten. Die dabei geschilderten theologischen Reflexionen und Positionen der Frauen kreisen primär um die Fähigkeiten und den Wirkungsbereich altarabischer Gottheiten bzw. deren Kultbilder, also ihr Material und ihre Form und deren Bearbeitung bzw. Herstellung durch Menschenhand.52 Daneben geht es auch um die religiöse Überzeugung der Frauen selbst, die sie scharf vom altarabischen Kult und seinen Gottheiten abgrenzen. Die dominierenden Aussagen  – im Folgenden als „geprägte Wendungen“ bezeichnet – über die altarabischen Gottheiten und Kultbilder sind, dass diese „weder schaden noch nützen“, dass sie „von Menschenhand geschaffen und zerstörbar“ sind und dass sie „weder hören noch sehen“ können. Die erste Wendung

50 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 312. 51 Ebd. 52 Der Unterschied zwischen Gottheiten und Kultbildern ist in den Überlieferungen oft nicht eindeutig, weshalb nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden kann, dass „Gottheit“ lediglich das abstrakte Phänomen und „Kultbild“ die materielle Form einer Gottheit meint. Dieser Komplexität kann jedoch im Rahmen des Aufsatzes nicht gesondert nachgegangen werden; siehe hierzu Hawting, The Idea of Idolatry.

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wird im Zusammenhang mit den Göttinnen al-Lāt und al-ʿUzzā (Zinnīra) sowie Gottheiten allgemein in Form von Kultbildern aus Holz und Stein (Umm Sulaym) genannt, die zweite nur mit den Gottheiten als Kultbildform aus Holz (Umm Sulaym) und die dritte nur mit der materiellen Gestalt der Kultbilder aus Stein (Umm Ḥabība). Die geprägten Wendungen beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf die Gottheiten und ihre Beziehung zu den Menschen. Jene Beziehung wurde recht pragmatisch begriffen, denn die Menschen konnten von den Gottheiten gewisse irdische „Dienstleistungen“ erwarten, wenn sie dafür im Gegenzug zu ihrer Verehrung Kulthandlungen durchführten. Ein Zusammenhang zwischen den geprägten Wendungen kann darin gesehen werden, dass Hören und Sehen die Voraussetzung für Schaden und Nutzen ist. Da die Verehrung eines Steins, der weder hört noch sieht, keine Wirkung erzielt, kann er auch weder schaden noch nutzen. Die Erschaffung durch Menschenhand geht beidem voraus und wird gleichsam als der eigentliche Grund für die Machtlosigkeit der Gottheiten identifiziert. Die ablehnende Haltung der Frauen gegenüber den altarabischen Gottheiten und Kultbildern und damit ihre Abgrenzung von der altarabischen Religion generell, ähneln sich: Hauptsächlich sprechen die Frauen es den Gottheiten ab, in positiver oder negativer Art und Weise auf die Lebenssituationen der Menschen Einfluss nehmen und so Macht ausüben zu können oder in der Form von Kultbildern perzeptive Fähigkeiten zu haben. Sind die Gesprächspartner der Frauen (Abū Sufyān und Abū Ṭalḥa) jedoch anderer Meinung, halten sich die Frauen mit Kritik diesbezüglich nicht zurück. Besonders das Material aus dem die ­Gottheiten in ihrer manifesten Form bestehen, Holz und Stein, steht im Fokus der Aufmerksamkeit und der Diskussionen. Dabei argumentieren die Frauen, dass die Gottheiten in Form von Kultbildern gerade aufgrund ihrer Anfertigung aus irdischer Materie und der Modellierung durch Menschenhand machtlos sind und das Leben der Menschen nicht determinieren können. Sie können sich nicht einmal selbst helfen oder schützen, denn sie würden – insofern sie aus Holz gefertigt sind – im Feuer verbrennen. Interessant ist, dass die Frauen nicht einfach die Existenz der altarabischen Gottheiten in Abrede stellen. Ihnen geht es vorrangig um die Klarstellung, dass die angebeteten Gottheiten aus organischem Material bestehen, das geformt und bearbeitet wurde und deshalb etwas Geschaffenes war, was über keinerlei Macht und Einfluss weder auf das Leben der Menschen noch auf sich selbst verfügt. Damit steht nicht die Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz der Gottheiten im Mittelpunkt, sondern die Frage nach den Fähigkeiten und der Macht von Gottheiten bzw. Kultbildern sowie deren Geschaffenheit und Nicht-Geschaffenheit. Nach den Aussagen der Frauen kann etwas aus Materie Geschaffenes keine höhere Macht besitzen, womit sich dessen Anbetung für den Menschen erübrigt.

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Die Zughörigkeit der Frauen zur Religion Muḥammads wird auf unterschiedliche Art und Weise beschrieben bzw. drücken die Frauen different aus: Zinnīra wird als äußerst standhaft beschrieben, da sie nur den Islam für sich akzeptierte und davon nicht abwich, obwohl sie deshalb gepeinigt wurde. Ihre Zugehörigkeit zur Religion Muḥammads äußert sie, in direkter Rede überliefert, in ihren Schwüren („beim Hause Gottes“, „bei Gott“). Ebenso lässt sich in Zinnīras Überzeugung erkennen, dass nur Gott ihr die Sehkraft genommen haben kann – wobei, laut Überlieferung, ihr diese Erkenntnis durch Gott selbst zuteil wurde  – und über solch eine Macht verfügt und nicht die Göttinnen al-Lāt und al-ʿUzzā, wie es die Qurayš glaubten. Ihr unerschütterlicher Glaube wird von Gott damit belohnt, dass er ihr die Sehkraft zurückgibt. Umm Ḥabība drückt ihr Zugehörigkeitsempfinden und ihre Loyalität gegenüber dem Propheten, ebenfalls in direkter Rede tradiert, durch ihre Erklärung, rechtgeleitet zu sein, aus. In den Berichten über Umm Sulaym verdeutlichen ihre Erklärungen, an den Gesandten Gottes zu glauben, und ihre Aufforderung an Abū Ṭalḥa, das Glaubensbekenntnis53 zu sprechen, ihre religiöse Überzeugung. Gerade durch das Glaubensbekenntnis, wie es nur in einer der Überlieferungsvarianten über Umm Sulaym vorkommt, wird ein bestimmtes Gottesbild bzw. Verständnis von Gott transportiert, das in scharfer Abgrenzung zur altarabischen Religion steht und zentrale Botschaft des Korans ist: Der Glaube, dass es nur einen Gott gibt („ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott gibt“). Nur diesem einen Gott wird in den Texten die Macht über das Leben der Menschen zugesprochen. Nur er ist fähig, beispielweise über das visuelle Wahrnehmungsvermögen eines Menschen zu bestimmen und Zinnīra die Sehkraft zu nehmen sowie zurückzugeben. Und nur er entscheidet, wem er welche Erkenntnisse über sich, seine Fähigkeiten und Taten zukommen lässt. Im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses wird die Rolle von Muḥammad als Gesandter Gottes genannt („und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist“).54

53 Das islamische Glaubensbekenntnis (arab. šahāda) baut sich aus zwei Teilen auf und lautet (heute): „Es gibt keinen Gott außer Gott und Muḥammad ist der Gesandte Gottes“ (arab. lā ilāha illā llāh wa-Muḥammadun rasūlu llāh). 54 Für das frühe 7. Jahrhundert ist es unwahrscheinlich, dass das islamische Glaubensbekenntnis in einer Form vermittelt wurde, wie es heute noch gebräuchlich ist. Dafür sprechen, dass der erste Teil des Bekenntnisses („es gibt keinen Gott außer Gott“) nur einmal in seiner heutigen Form (Koranvers 37:35) und einige wenige Male in Varianten (z.  B. 6:19) im Koran vorkommt. Die alternative Formel zu lā ilāha illā llā ist lā ilāha illā huw („es gibt keinen Gott außer ihn“), die ungefähr dreißigmal im Koran vorkommt. Vgl. Watt/Welch, Der Islam I, 92. Der zweite Teil („Muḥammad ist der Gesandte Gottes“) hingegen kommt gar nicht im Koran vor. Ein formelhaftes Bekenntnis zu Muhammad in so früher Zeit ist unwahrscheinlich, da sein besonderer Stellenwert als Gottgesandter erst in späterer Zeit an Bedeutung gewann. Frühester schriftlicher Beleg für

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Gerade die Erklärungen von Zugehörigkeit (zur eigenen Religion) sowie Abgrenzung (zur anderen Religion) sind herausragende Aspekte in den Beispielen zu den theologischen Reflexionen und Positionierungen der Frauen. Diese kommen insbesondere in der Überlieferung über Umm Ḥabība zutragen, da hier bereits die Begriffe „Religion“ und „Islam“ einerseits die religiöse Kluft zwischen den beiden Protagonisten repräsentieren, andererseits auch ihre religiöse Zuge­ hörigkeit. Während al-Wāqidī Umm Ḥabība ihre Zugehörigkeit zu Muḥammads Religion mit der Selbstbezeichnung der Muslime, Islam (arab. islām55), unterstreichen lässt, lässt er Abū Sufyān den Begriff Religion (arab. dīn56) verwenden, um über die Religion seiner Vorfahren im Kontrast zu der von Muḥammad zu sprechen. Damit werden beide bezogen auf ihre religiöse Überzeugung strikt voneinander abgegrenzt. Umm Ḥabība befindet sich durch Gott geleitet auf dem rechten Weg zum Islam, ihr Vater Abū Sufyān lässt nicht von der Tradition seiner Vorfahren ab und wertet die Entscheidung seiner Tochter als Unheil. Das ablehnende Verhalten von Umm Ḥabība gegenüber ihrem Vater sowie ihre Bezeichnung „unreiner Beigeseller“ verschärft die religiöse Kluft zwischen beiden. Auch in Umm Sulayms Ablehnung des Heiratsantrages von Abū Ṭalḥa, wofür (auch) seine religiöse Überzeugung ausschlaggebend war, wird das Moment der Abgrenzung deutlich. Nur in einer der Überlieferungen schließt Abū Ṭalḥas religiöse Haltung der Beigesellung eine Heirat mit Umm Sulaym nicht aus (Variante B). Damit veranschaulichen die Überlieferungen, wie die Frauen die eigene religiöse Überzeugung wahrgenommen und dargestellt haben und die des/der anderen. Ein interessanter Aspekt ist hier, dass die religiöse Überzeugung für die Frauen einen solch hohen Stellenwert in ihrem Leben einnahm, dass verwandtschaftliche Beziehungen eine nachrangige oder sogar hinfällige Rolle spielten – Umm Ḥabība hört nicht auf ihren Vater und wendet sich völlig von ihm ab – und Heiratsanträge

den zweiten Teil ist eine Bauinschrift der Umayyadenmoschee von Damaskus aus dem Jahr 706, weshalb angenommen werden kann, dass er erst um 700 gebraucht wurde. 55 Konkret als Eigenbezeichnung für Muḥammads Religion lässt sich der Begriff islām erst für die medinensischen Suren belegen, wo er in Verbindung mit dīn auftritt. Der Infinitiv islām leitet sich von dem Verb aslama ab, dessen Bedeutung oft mit „vollständig hingeben“ wiedergegeben wird. Das Verbum wurde schon früh im absoluten Sinn gebraucht, wobei ein rückbezügliches Fürwort zum besseren Verständnis der Übersetzung einzufügen ist: „sich [Gott] völlig ergeben“ (Rudi Paret, Mohammed und der Koran. Stuttgart: Kohlhammer, 92005, 80). Dies ist in den Fällen nicht mehr nötig, in denen das Verbum zum terminus technicus für die von Muḥammad verkündete Botschaft geworden ist. Als wörtliche Grundbedeutung des Begriffs islām werden allgemein die Begriffe „Rücktritt“ oder „Unterwerfung“, z.  B. unter den Willen Gottes, genannt, doch finden sich in der islamischen Geschichte verschiedene Definitionsversuche. Vgl. Helmer Ringgren, Islam, ’aslama and muslim. Uppsala: C.W.K. Gleerup, 1949; Haußig, Der Religionsbegriff. 56 Arab. dīn „religiöser Kult, Religion, Glaube; Sitte, Gewohnheit; Gericht, Urteil“ (Wahrmund).

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durch Andersgläubige abgelehnt wurden – Umm Sulaym will keinen Beigeseller heiraten. Im Rahmen der theologischen Diskussionen werden auch Momente von Überzeugungsarbeit sichtbar: Noch zaghaft äußert sich das im Disput zwischen Umm Ḥabība und ihrem Vater, als diese ihn fragt, was ihn davon abhalten würde, dem Islam beizutreten. Sie versuchte ihn davon zu überzeugen, dass er nur einen gewöhnlichen Stein anbetet, der über keine perzeptiven Fähigkeiten verfügt. Während Umm Ḥabības Bekehrungsversuch erfolglos blieb, leistete Umm Sulaym ganze Arbeit und konnte Abū Ṭalḥa davon überzeugen, dass die von ihm ange­ beteten Gottheiten keinerlei Wirkmacht haben. In den Überlieferungen über Umm Sulaym und Abū Ṭalḥa deutet vor allem der dialogische Aufbau der Textpassagen darauf hin, dass es um Überzeugungsarbeit und Belehrung geht. Umm Sulaym führt ihre Belehrung in geschickter Art und Weise durch, nämlich in der Form von Fragen. Diese haben den pädagogischen Effekt, dass der Angesprochene zur selbständigen theologischen Reflexionen angeleitet wird. Abū Ṭalḥa zieht sich laut einigen Überlieferungen tatsächlich zurück und überdenkt seine religiösen Ansichten. Umm Sulaym kann mit beständigen, belehrenden und zum Nachdenken anregenden Bemühungen den Erfolg verbuchen, Abū Ṭalḥa von der Machtlosigkeit seiner Gottheiten zu überzeugen. Hinsichtlich der religiösen Überzeugung der Frauen selbst ist allerdings kein Reflexionsbewusstsein zu erkennen. Sie verweisen zwar auf ihre religiösen Positionen, führen aber beispielsweise keine apologetische Rede. Hinsichtlich der Genese der islamischen Theologie erscheint das stringent, da eine spezifische, sich auf den Islam beziehende Apologetik im frühen 7. Jahrhundert noch nicht entwickelt war. Kritik an den altarabischen Gottheiten jedoch scheint konventionell für diese Zeiten gewesen zu sein.

4 Die religionsgeschichtliche Verortung Es kann davon ausgegangen werden, dass Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym  – insofern sie als historische Gestalten angenommen werden, die im frühen 7. Jahrhundert in Mekka und Medina gelebt haben – ursprünglich Anhängerinnen der altarabischen Religion waren. In diesem Kontext dürften sie dieselben Gottheiten angebetet haben, deren Verehrung sie in den betrachteten Textpassagen kritisieren und für nutzlos erachten. Durch die von Muḥammad verkündeten Offenbarungen und seine Predigten scheinen die Frauen ihre religiösen Einstellungen überdacht und geändert zu haben. Sie erklären ihren Gesprächspartnern, Muḥammad in seiner Religion zu folgen, und sprechen den altarabi-

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schen Gottheiten, insbesondere ihrer materiellen Form als Kultbilder, jegliche Macht ab. Die geschilderten Ereignisse in den untersuchten Textpassagen stehen exemplarisch für das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen religiösen Parteien in Mekka und Medina, von dem die arabisch-islamische Literatur in ihrem spezifischen historischen Rückblick umfangreich berichtet. Bereits während Muḥammads öffentlichem Auftreten in Mekka und seiner Verkündigung der göttlichen Botschaft soll es zu religiösen Disputen und auch brachialen Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Mekkanern gekommen sein, weil diese seine Forderung, nur einen Gott zu verehren, nicht akzeptierten. Da die Muslime in mekkanischer Zeit in der Minderheit waren, wurden sie in den Kontroversen zu Gedemütigten und Verspotteten. Einige Anhängerinnen und Anhänger Muḥammads mussten für ihre Entscheidung, Muḥammad zu folgen, sogar mit ihrem Leben bezahlen.57 Auch über Zinnīra heißt es, dass sie von den Mekkanern wegen ihrer religiösen Überzeugung gepeinigt wurde. Damit spannen die Beispiele verschiedene Dimensionen eines Mit- und Gegeneinanders religiöser Traditionen in unterschiedlichen Phasen der frühen islamischen Gemeinschaft auf. Zinnīra musste sich in ihrem konfliktträchtigen Umfeld in der mekkanischen Zeit zur Wehr setzen gegenüber den ihr feindlich gesinnten Mekkanern und Demütigungen und Repressalien ertragen. Dennoch blieb sie standhaft in ihrem Glauben an die durch Muḥammad vermittelte göttliche Botschaft und riskierte damit ihr Leben. Die beiden anderen Frauen werden im Gegensatz dazu in konträren Situationen geschildert. Umm Sulaym lebte in Medina, wo die Muslime von Beginn ihrer Ankunft an im Jahr 622 einen besseren, da sichereren Stand hatten. Umm Ḥabība hatte ihren Vater nicht zu fürchten, weil Muḥammad mit seiner Botschaft Erfolg hatte und kurz davor stand, Mekka einzunehmen. Beide unterscheiden sich aber in ihren Reaktionen auf die religiöse Differenz zwischen sich und dem Andersgläubigen, was sich in ihrem Umgang mit ihm manifestiert: Während Umm Sulaym gewillt ist, auf freundlich belehrende Art und Weise religiöse Überzeugungsarbeit zu leisten und sich mehrmals und geduldig mit dem Beigeseller Abū Ṭalḥa auseinanderzusetzen, bringt Umm Ḥabība ihrem Vater Feindseligkeit und Verachtung entgegen. Es wird ersichtlich, dass sich die unterschiedlichen Modalitäten eines Mit-, Neben- und Gegeneinanders differenter religiöser Traditionen, wie in den Texten beschrieben, u.  a. auf die konträren Situationen der Muslime und Musliminnen in Mekka und Medina zurückführen lassen.

57 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 193.

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Vor allem in der mekkanischen Zeit Muḥammads war laut den Quellen eine Entscheidung für den Propheten mit großen Risiken für das eigene Überleben verbunden, denn sie bedeutete eine Abkehr von den ursprünglich ererbten Traditionen und von der eigenen Familie, wenn diese nicht ebenfalls auf der Seite Muḥammads stand. Glaubensentscheidungen waren keine von der Gemeinschaft unabhängigen Entscheidungen, sondern tangierten die Interessenslagen des Stammes. Muḥammads Forderung, nur einen Gott zu verehren und den altarabischen Gottheiten abzuschwören, muss einem Angriff auf das Stammeswesen an sich gleichgekommen sein, denn der altarabische religiöse Kult war nach Noth zugleich integrierendes wie identitätsstiftendes Element eines Stammes.58 Somit war Muḥammads Botschaft zugleich ein Angriff auf die von den Vorfahren geerbten Traditionen, was einer Verunglimpfung der Vorfahren selbst gleichkam. Möglicherweise erfuhren die Qurayš Muḥammads Botschaft als fundamentale Bedrohung der eigenen Identität, ihrer Stammesidentität und ihres Ansehens, was zur Folge hatte, dass sie den von Muḥammad gepredigten Monotheismus boykottierten und mit Polemik, Unterdrückung und gewaltsamer Bekämpfung reagierten. Der älteste Text, der über die Auseinandersetzungen zwischen Muḥammad und den Mekkanern über die von ihnen verehrten Kultbilder Zeugnis ablegt, ist der Koran. Die darin geschilderten Dispute lassen vermuten, dass die Mekkaner das Insistieren auf ihrer althergebrachten Religion damit verteidigten, der Tradition und dem Glauben ihrer Väter verpflichtet zu sein und diesen treu bleiben zu wollen59 – eine Argumentation wie in der Textpassage über Abū Sufyān und seiner Tochter Umm Ḥabība. Die an Muḥammad durch Gott verkündeten Offenbarungen richteten sich gegen die herkömmliche Tradition der Vorfahren, obwohl gerade das „‚Väter‘-Verhalten als normsetzende und verbindliche Lebens- und Rechtsordnung“60 Gültigkeit besaß. Der Koran selbst geht auf das Argument der Qurayš, die Traditionen der Väter zu wahren, ein: „Diejenigen, die Polytheisten[61] sind, sagen: ‚Wenn Gott gewollt hätte, hätten wir nichts an seiner Stelle verehrt, weder wir noch unsere Väter, und wir hätten nichts an seiner Stelle verboten.‘ So handelten auch diejenigen, die vor ihnen lebten.“62

58 Albrecht Noth, „Früher Islam,“ in Geschichte der Arabischen Welt. Begründet v. Ulrich Haarmann und Heinz Halm, (Hg.). München: C.H. Beck, 42001, 21  f. 59 Vgl. Paret, Mohammed und der Koran. 60 Noth, „Früher Islam,“ 23. 61 Die Autorin würde mit „Beigeseller“ bzw. mit „diejenigen, die beigesellen“ übersetzen. 62 Koran 16:35 [dt./arab.]: Der Koran, Arabisch-Deutsch, Übers. Adel Theodor Khoury. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2004; vgl. auch den Koranvers 6:148. Auch: „Er sagte: ‚Was denn, auch wenn ich euch bringe, was eine bessere Rechtleitung beinhaltet als das, was ihr bei euren Vätern

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Neben den Passagen über die religiöse Tradition der Vorfahren lassen sich auch die auf die altarabischen Gottheiten bezogenen geprägten Wendungen der untersuchten Textpassagen im Koran nachweisen. Die Aussagen, in denen den Gottheiten der altarabischen Religion das Vermögen abgesprochen wird, zu sehen oder zu hören sowie zu schaden oder zu nützen, finden sich z.  B. in den Koranversen 5:76 und 7:197  f.: „Sprich: Wie könnt ihr anstelle Gottes dem dienen, was euch weder Schaden noch Nutzen bringen kann? Und Gott ist der, der alles hört und weiß.“63 Und: „Diejenigen, die ihr anstelle Gottes anruft, können euch keine Unterstützung gewähren, noch können sie sich selbst helfen. Und wenn ihr sie zur Rechtleitung ruft, hören sie nicht. Du siehst, wie sie dich anschauen, aber sie sehen nicht.“64 Die Frauen könnten also in den Diskussionen über die Gottheiten die koranischen Argumentationen aufgegriffen haben, um ihre Gesprächspartner darauf hinzuweisen, dass die von ihnen verehrten Kultbilder „weder hören noch sehen“ oder „weder schaden noch nützen“ können; Letzteres ist im Koran die dominanteste der konstatierten Wendungen. Auch der Ausdruck „von Menschenhand geschaffen und zerstörbar“ findet sich im Koran wie z.  B. in den Koranversen 25:3 und 37:95  f.: „Und sie haben sich an seiner Stelle Götter genommen, die nichts erschaffen, aber selbst erschaffen werden, und die sich selbst weder Schaden noch Nutzen bringen können, und die weder über Tod noch über Leben, noch über Auferweckung verfügen.“65 Und: „Er sagte: ‚Wie könnt ihr denn das vereh-

vorgefunden habt?‘ Sie sagten: ‚Wir verleugnen das, womit ihr gesandt worden seid.‘“ (Koran 43:24 [dt./arab.], Übers. Khoury.) 63 Koran 5:76 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Sprich: Sollen wir statt zu Gott zu etwas rufen, was uns weder nützt noch schadet, und, nachdem Gott uns rechtgeleitet hat, auf unseren Fersen kehrtmachen, gleich jenem, den die Satane im Land weggelockt haben?“ (Koran 6:71 [dt./arab.], Übers. Khoury); „Sie verehren anstelle Gottes, was ihnen weder schadet noch nützt, und sagen: ‚Das sind unsere Fürsprecher bei Gott.‘“ (Koran 10:18 [dt./arab.], Übers. Khoury); „Sprich: Ruft die, die ihr anstelle Gottes angebt, an. Sie vermögen doch von euch den Schaden weder zu beheben noch abzuwenden.“ (Koran 17:56 [dt./arab.], Übers. Khoury). 64 Koran 7:197  f. [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Haben sie denn (überhaupt) Füße, mit denen sie gehen, oder haben sie Hände, mit denen sie gewaltig zugreifen, oder haben sie Augen, mit denen sie sehen, oder haben sie Ohren, mit denen sie hören? Sprich: Ruft eure Teilhaber an, und dann geht gegen mich mit eurer List vor und gewährt mir keinen Aufschub.“ (Koran 7:195 [dt./ arab.], Übers. Khoury) 65 Koran 25:3 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Wollen sie (Ihm) denn solche beigesellen, die nichts erschaffen, aber selbst erschaffen sind.“ (Koran 7:191 [dt./arab.], Übers. Khoury); „Und diejenigen, die sie anstelle Gottes anrufen, erschaffen nichts; sie werden aber selbst erschaffen.“ (Koran 16:20 [dt./arab.], Übers. Khoury).

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ren, was ihr selbst meißelt, wo doch Gott euch und das, war ihr tut, erschaffen hat?‘“66 Während die altarabischen Gottheiten im Koran als machtlos dargestellt werden, da ihnen von dem einen Gott keinerlei Ermächtigung übergeben wurde,67 wird dem einen Gott, dessen Wort Muḥammad predigte, dahingegen zugestanden, alles zu hören und zu sehen (z.  B. im Koranvers 5:76).68 In den untersuchten Textpassagen finden sich weitere Anlehnungen an den Koran, wie z.  B. die Beschuldigung der Qurayš, dass Muḥammad Zauber angewendet hat (siehe u.  a. die Koranverse 37:14  f. und 38:4), im Beispiel um Zinnīra wieder sehend zu machen, oder der Begriff der Rechtleitung (arab. hudā, siehe z.  B. die Koranverse 6:88, 9:33, 48:28) wie von Umm Ḥabība genannt und ihre Bezeichnung ihres Vaters als „unreiner Beigeseller“ (arab. anta imruʾun naǧasun mušrikun; siehe den Koranvers 9:28 mit al-mušrikūna naǧasun). Eine weitere Parallele zwischen den ausgewählten Berichten und dem koranischen Text besteht in der Nicht-Leugnung der Existenz der Gottheiten. Hinsichtlich des Korans vertreten die Islamwissenschaftler W. Montgomery Watt und Alford T. Welch die These, dass den vorislamischen Gottheiten zu Beginn der Sendung Muḥammads ihre bloße Existenz nicht abgesprochen wurde. Eine Zeitlang schien es sogar so, als hätte Muḥammad den Glauben an die Gottheiten als Fürsprecher akzeptiert, denn im Koran werden sie an bestimmten Stellen als Engel betrachtet, denen solch ein Amt hätte zukommen können.69 Die drei altarabischen Göttinnen, al-Lāt, al-ʿUzzā und al-Manāt, wurden wohl eine Zeitlang von Muḥammad als Töchter Gottes begriffen, die für die Menschen Fürbitte an Gott richten konnten. Die islamische Überlieferung nennt die Koranverse, die damit in Zusammenhang gebracht werden, heute aber nicht mehr Bestandteil des Korans sind, Satanische Verse, weil sie nach der islamischen Tradition als Einflüsterung Satans betrachtet werden.70 Für das Ende der mekkanischen Periode vertreten Watt/Welch die Ansicht, dass ab dieser Zeit die Existenz der Gottheiten jedoch geleugnet wurde; sie stützen sich dafür auf den Koranvers 53:23.71 Laut dem Islamwissenschaftler Tilman Nagel entwickelte sich im Gegensatz dazu der von Muḥammad verkündete Gott zu einer alles bestimmenden Macht, „der der ganze

66 Koran 37:95  f. [dt./arab.], Übers. Khoury. 67 „Das sind nur Namen, die ihr genannt habt, ihr und eure Väter, für die Gott aber keine Ermächtigung herabgesandt hat.“ (Koran 53:23 [dt./arab.], Übers. Khoury.) 68 Siehe auch Koran 4:58, 58:1. 69 Watt/Welch, Der Islam I, 88–92. 70 Maier, Koran – Lexikon, 149  f. 71 Watt/Welch, Der Islam I, 92.

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Kosmos, das Diesseits, als eine seinsmäßig durch und durch von ihm abhängige Gegebenheit gegenübergestellt“72 wird. Nach dem Islamwissenschaftler Rudi Paret ging es in den frühesten Suren auch nicht darum, dass es nur einen Gott gibt. Paret betrachtet die mono­ theistische Gottesvorstellung als das Ergebnis einer religionsgeschichtlichen Entwicklung, die erst im Verlauf der mekkanischen Periode eintrat und für die früheste Zeit der Offenbarungen erst im Ansatz vorlag. Erst in den polemischen Auseinandersetzungen mit den Mekkanern wäre sich Muḥammad darüber klar geworden, dass es neben dem einen Gott, der die Erde erschaffen hat und die Menschen am Tag des Gerichts richten wird, keine weiteren Götter gibt.73 Die Suren, in denen die Polemik gegen viele Götter eine bedeutende Rolle spielt, stammen nach Paret aus der zweiten mekkanischen Periode. Im Koran wird den Beigesellern (mušrikūn) immer wieder ihre Behauptung, Gott stehe nicht für sich allein, sondern habe Teilhaber neben sich, vorgeworfen. Die betrachteten Textpassagen spiegeln zwar aufgrund der von ihnen aufgegriffenen Wendungen den Prozess dieser Auseinandersetzungen wider, greifen aber nicht alle im Koran genannten Argumente auf, die bzgl. der Konflikte mit den Beigesellern aufgeführt werden. So wird Abū Sufyān und Abū Ṭalḥa zwar ihre Idee der Teilhaberschaft vorgeworfen, aber es geht z.  B. nicht um Gottes Macht über Leben und Tod. Denn neben der Erklärung, dass die Gottheiten nichts erschaffen haben, sondern selbst erschaffen sind, geht es im Koran auch darum, dass sie weder Macht über das Leben, noch über den Tod, und schon gar nicht über eine Auferstehung besitzen. Sie haben nicht einmal einen Rang inne, durch den sie Fürsprache bei Gott für die Gläubigen einlegen könnten (u.  a. die Koranverse 19:87; 21:28; 30:13 und 43:86). Der Koran verweist in diesem Zusammenhang auf Abraham, der ebenfalls in Frage gestellt haben soll, ob die Kultbilder die Anbetung ihrer Stammesgenossen hören können oder ihnen Nutzen oder Schaden bringen:74 „Als er zu seinem Vater sagte: ‚O mein Vater, warum verehrst du das, was nicht hört und nicht sieht und dir nichts nützt? […]“75 Und: „Er sagte:

72 Tilman Nagel, „Schöpfer und Kosmos im Koran,“ in Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder, Bd. 2., Griechenland und Rom, Judentum, Christentum und Islam, Hg. Reinhard Gregor Kratz u.  a. Tübingen: Mohr Siebeck, 2006, 203. 73 Paret, Mohammed und der Koran, 103. 74 Paret, Mohammed und der Koran, 103  ff.; vgl. Koran 29:16–17 [dt./arab.], Übers. Khoury. 75 Koran 19:42 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch „Als er zu seinem Vater und seinem Volk sagte: ‚Was sind das für Bildwerke, die ihr verehrt?‘ Sie sagten: ‚Wir fanden, daß bereits unsere Väter ihnen dienten.‘“ (Koran 21:52  f. [dt./arab.], Übers. Khoury); „Und verlies ihnen den Bericht über Abraham. Als er zu seinem Vater und seinem Volk sagte: ‚Was betet ihr denn an?‘ Sie sagten: ‚Wir beten Götzen an, und wir verehren sie beharrlich.‘ Er sagte: ‚Hören sie denn auch, wenn ihr ruft?

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‚Wie könnt ihr anstelle Gottes das verehren, was euch nichts nützen und nichts schaden kann?“76 Insbesondere der Blick auf die Figur des Abraham im Koran eignet sich in bester Weise, um aufzuzeigen, dass die aus den Überlieferungs- und Koranpas­ sagen extrahierten geprägten Wendungen eine lange Rezeptionsgeschichte aufweisen und gängige Topoi in der Reaktion auf und im Umgang mit religiöse(r) Vielfalt und Differenz (z.  B. hinsichtlich der Gottheiten Andersgläubiger) in der Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam sind.77 Bereits ein Blick in den Tanach lässt ebenfalls Diskussionen um die Fähigkeiten und Mächte von Gottheiten erkennen und bezeugt, dass Gottheiten und Kultbilder bereits lange vor dem Islam ein umstrittenes und viel diskutiertes Thema innerhalb der jüdischen Gemeinschaft waren. In Jer 2,26–28 (datiert um 587/6 v. Chr.78) werden als Materialien der Gottheiten Holz und Stein angegeben, wie sie auch von den Frauen im Frühislam genannt werden: Wie ein ertappter Dieb sich schämt, so müssen sich die Leute vom Haus Israel schämen, sie selbst, ihre Könige und Beamten, ihre Priester und Propheten. Sie sagen ja zum Holz: „Du bist mein Vater“, und zum Stein: „Du hast mich geboren“. Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Gesicht; sind sie aber in Not, dann rufen sie: Erheb dich, und hilf uns! Wo sind nun deine Götter, die du dir gemacht hast? Sie mögen sich erheben, falls sie dir helfen können, wenn du in Not bist. Denn so zahlreich wie deine Städte, Juda, sind auch deine Götter.79

In Jes 40,18–20 (datiert vor 539 v. Chr.80) z.  B. geht es um die Herstellung solcher Gottheiten, die ein deutliches Zeugnis von ihrer Machtlosigkeit abgäbe: Mit wem wollt ihr Gott vergleichen / und welches Bild an seine Stelle setzen? Der Handwerker gießt ein Götterbild, / der Goldschmied überzieht es mit Gold / und fertigt silberne Ketten dazu. Wer arm ist, wählt für ein Weihegeschenk / ein Holz, das nicht fault; er sucht einen fähigen Meister, / der ihm das Götterbild aufstellt, / so dass es nicht wackelt.81

Oder können sie euch nützen oder schaden?‘ Sie sagten: ‚Aber wir fanden, daß bereits unsere Väter so handelten.‘“ (Koran 26:69–74 [dt./arab.], Übers. Khoury). 76 Koran 21:66 [dt./arab.], Übers. Khoury. 77 Siehe hierzu Hawting, The Idea of Idolatry, 99  ff. sowie die darin enthaltenen Verweise auf weitere Literatur zur Thematik. 78 Jan Christian Gertz, Hg., Grundinformation Altes Testament., Stuttgart: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, 351. 79 Jer  2,26–28, Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Hg. Alfons Deissler u.a, Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2000. 80 Die „Götzenpolemik“ könnte allerdings eine redaktionelle Erweiterung späterer Zeit sein. Vgl. Gertz, Grundinformation Altes Testament, 342. 81 Jes 40, 18–20, Neue Jerusalemer Bibel.

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Die zitierten Passagen weisen vor allem Ähnlichkeiten mit Umm Sulayms Bemerkungen über Material und Fähigkeiten der Gottheiten in Form von Kultbildern auf. Auch der Begriff „schämen“ ist eine Parallele. Weitere zu vergleichende biblische Passagen sind z.  B. Psalm 115,4–8 und Jer 10,3–5. Bezogen auf die koranische Abrahams-Erzählung nimmt der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloss an, dass haggadisches Traditionsgut aus dem Judentum der Ausgangspunkt der koranischen Entlehnung ist, das sich ursprünglich im Midrasch Genesis Rabba (datiert 5. Jahrhundert, 38,19) findet.82 Weitere mögliche Vorlagen sieht er im Jubiläenbuch (Jub 12,1–5; datiert zwischen 167 und 140 v. Chr.83), das ebenso Parallelen zu den hier betrachteten Textpassagen des islamischen Überlieferungsgutes aufweist: Und […] da redete Abram zu seinem Vater, indem er sagte: „Vater!“ Und er sagte: „Siehe, ich, mein Sohn.“ Und der sagte: „Welche Hilfe und Vorteil sind uns von diesen Götzen, die du verehrst und vor denen du niederfällst? Denn in ihnen ist kein Geist. Denn sie sind stumm, und ein Irrtum des Herzens sind sie. Verehrt sie nicht! Verehrt den Gott des Himmels, der Regen und Tau herabsteigen läßt auf die Erde und der alles auf der Erde macht und alles geschaffen hat durch sein Wort! Und alles Leben ist von seinem Antlitz. Weshalb verehrt ihr die, in denen kein Geist ist? Denn Werke von Händen sind sie, und auf euren Schultern tragt ihr sie. Und euch wird keine Hilfe von ihnen sein, sondern große Schande denen, die sie gemacht haben, und Irrtum des Herzens denen, die sie verehren. Und nun, Vater, verehrt sie nicht!“84

Auch in anderen außerbiblischen Erzählungen finden sich Parallelen wie im Midrasch Tanna de-be Elijahu Kapitel 2585 (datiert in das 8. bis 9. Jahrhundert,

82 Andreas Grünschloss, Der eigene und der fremde Glaube: Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, 101  f. 83 Klaus Berger, „Das Buch der Jubiläen,“ in Unterweisung in erzählender Form. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 2. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999, 300. 84 Jub 12,1–5, zit. nach Berger, „Das Buch der Jubiläen,“ 391  f. Ähnlichkeiten auch in der Passage 22,16–18 im Jubiläenbuch: „Und auch du, mein Sohn Jakob, erinnere dich an mein Wort und bewahre die Gebote Abrahams, deines Vaters! Trenne dich von den Völkern und iß nicht mit ihnen und handle nicht nach ihrem Werk und sei nicht ihr Gefährte! Denn ihr Werk ist Unreinheit, und alle ihre Wege sind befleckt und Nichtigkeit und Abscheulichkeit. Und ihre Opfer pflegen sie den Toten zu schlachten, und die Dämonen beten sie an. Und auf ihren Gräbern essen sie. Und all ihr Werk ist nichtig. Und sie haben kein Herz zu denken. Und ihre Augen sehen nicht, was ihr Werk ist. Und wie irren sie, wenn sie zum Holz sagen: ‚Du bist mein Gott‘ und zum Stein: ‚Du bist mein Herr, und du bist mein Befreier‘. Und sie haben kein Herz.“ (Jub 22,16–18, zit. nach Berger, „Das Buch der Jubiläen,“ 437.) 85 Zu Kapitel 25 im Tanna de-be Elijahu siehe Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran. Hildesheim: Georg Olms, 1961, 137  f.

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also zeitgleich mit den betrachteten islamischen Überlieferungen) oder in der Apokalypse Abrahams in der Vorgeschichte und in 1,1–2,9, 3,1–4 und 6,1  f. (datiert auf nur wenige Jahre nach 70 n. Chr.)86; exemplarisch einige Verse aus der Apoka­ lypse Abrahams 3,5–4,5 zu Veranschaulichung: Und ich sprach zu meinem Herzen: „Wenn es also ist, wie könnte denn Marumath, der Gott meines Vaters, dessen Kopf aus einem Stein geschaffen ist, und er selbst aus einem anderen, einen Menschen retten oder das Gebet eines Menschen hören und ihm etwas gewähren?“ – Und da ich so nachsann, kam ich zu dem Hause meines Vaters, […]. Und ich antwortete (und) sprach zu ihm: „Höre, Vater Thare, gesegnet (seien) die Götter von (dir, denn du bist ihr Gott, da) du sie geschaffen hast. Denn ihr Segen ist Verderben, und ihre Macht ist eitel; und sie konnten sich selbst nicht helfen. Wie können sie dir helfen oder mich segnen? […]“87

Abschließend sei eine auf Ibn Isḥāq zurückgehende Überlieferung hervorgehoben, die sich in der Maġāzī-Fassung der Sīra in der Redaktion von al-ʿUṭāridī befindet.88 Dort wird berichtet, dass Muḥammad bereits vor den Offenbarungen durch Gott von seinem Onkel Zayd ibn ʿAmr ibn Nufayl darüber belehrt wurde, dass die Kultbilder wertlos sind und weder schaden noch nützen. Zayd ibn ʿAmr wird im Text als einer der Anhänger der Religion Abrahams (arab. dīn ibrāhīm89) bezeichnet, was bedeutet, dass er nur einen Gott verehrt hat. Als Muḥammad ihm einmal Essen anbot, das als Opfergabe für die Gottheiten gedacht war, soll Zayd seinem Neffen erklärt haben, Opferspeisen nicht zu essen. Laut Muḥammad sei sein Onkel der erste gewesen, der ihn wegen der Gottheiten tadelte – sowie jene die ihnen dienten und opferten – und ihn aufforderte, damit aufzuhören.90 Gerade solche Überlieferungen sowie andere Berichte über die religiösen Auseinandersetzungen zwischen den Mekkanern und Muḥammad suggerieren, dass

86 Belkis Philonenko-Sayar und Marc Philonenko, „Die Apokalypse Abrahams,“ in Apokalypsen. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 5. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2003, 419. 87 ApkAbr 3,5–4,5, zit. nach Philonenko-Sayar/Philonenko, „Die Apokalypse Abrahams,“ 423  f. Oder 5,14–6,2: „Und er sprach: ‚Groß ist Barisats Kraft! Ich will heute noch einen andern machen, und morgen soll er mir meine Nahrung bereiten.‘  – Ich aber, Abraham, als ich solche Worte meines Vaters hörte, lachte in meinem Geiste auf, und stöhnte in Bitternis im Zorn meiner Seele. Und ich sprach: ‚Wie kann denn irgendetwas, das er selbst geschaffen hat, Götzenbilder, meinem Vater eine Hilfe sein? […]“ (ApkAbr 5,14–6,2, zit. nach Philonenko-Sayar/Philonenko, „Die Apokalypse Abrahams,“ 425  f.) 88 Ibn Hišām überlieferte diesen Bericht in seiner Sīra-Fassung nicht. Vgl. Alfred Guillaume, “New Light on the Life of Muhammad,” Journal of Semitic Studies 1 (1960): 27. 89 Auch arab. al-ḥanīyfiyya dīn ibrāhīm genannt. 90 al-ʿUṭāridī, Sīra, 118.

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die in den analysierten Textpassagen geschilderten Themen zwischen den Frauen und Männern konventionelle Konfliktthemen des frühen 7. Jahrhunderts waren. Gleichsam vermitteln die zitierten Beispiele eine gute Vorstellung davon, dass die Textpassagen der arabisch-islamischen Literatur mit den von den Frauen aufgegriffenen geprägten Wendungen und Topoi Glieder in einer langen Kette einer Rezeptionsgeschichte zu Reaktion auf und Umgang mit religiöse(r) Vielfalt und Differenz in der Form von Gottheiten und Kultbildern Andersgläubiger in der Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam sind. Aufgrund der Verbreitung von Judentum und Christentum auf der Arabischen Halbinsel kann von der Entlehnung der Wendungen aus dem jüdischen und christlichen Traditionsgut ausgegangen werden. Biblische Erzählungen im Koran wie die über Abraham wurden vermittelt durch die unter Juden und Christen und sicher auch einem Teil der Anhänger der altarabischen Religion der Arabischen Halbinsel verbreiteten mündlichen Überlieferungen und Schriften, d.  h. biblische und außerbiblische Schriften, die nicht Teil der kanonischen jüdischen und christlichen Texte waren.91 Darüber hinaus reihen sich jene Kettenglieder der jüdischen und islamischen Textkorpora in eine noch breitere religionsgeschichtliche Tradition ein. Die Geringschätzung der Verehrung von Kultbildern findet sich z.  B. auch im Buddhismus und wird dort auf Siddhartha Gautama (ca. 5.–4.  Jahrhundert v. Chr.), den Buddha, oder auf den wegleitenden Denker des Mahayana-Buddhismus, Nagarjuna (ca. 2. Jahrhundert), zurückgeführt.92 Die Verachtung der Darstellungen von Gottheiten in der Form von Kultbildern hat eine lange Geschichte und ist eng verknüpft mit der Vorstellung, dass Welthaftes nicht mit Weltlosem und Vergängliches nicht mit dem Ewigen identifiziert werden darf  – diesem lehnen sich die islamischen Überlieferungen mit dem Thema der „Erschaffenheit der Gottheiten“ an.

5 Die Geschlechterkonzeptionen Die ausgewählten Überlieferungen transportieren Geschlechterkonzeptionen, die einige herausragende Merkmale aufweisen: Festzuhalten ist zuvörderst, dass die Frauen als fromme Gläubige beschrieben werden, die auch dann nicht vom Islam ablassen, wenn ihr Leben gefährdet ist. Gefasst und ohne Klage treten sie

91 Berger, Islamische Theologie, 50  f. 92 Georg Schmid, „Götze,“ in Taschenlexikon Religion und Theologie, CD-ROM. Berlin: Directmedia Publ., 1999, Bd. 2, 216.

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ihren persönlichen Schicksalen entgegen, nehmen familiäre Brüche und Trennungen, lebensbedrohliche Situationen und Folter sowie ein partnerschaftsloses Leben in Kauf. Durch solche Darstellungen werden die Frauen als selbstbewusst und autonom in ihrem Denken und in ihren Handlungen beschrieben. Sie entscheiden eigenständig über ihre Glaubenszugehörigkeit und ihren Lebensweg, stehen unbeirrbar hinter ihren Entscheidungen und lassen sich weder durch ein Kollektiv noch durch Einzelne dominieren bzw. davon abbringen. In keinem Moment äußern sie Zweifel an ihrer Entscheidung, Muḥammad zu folgen und an seine göttliche Botschaft zu glauben, selbst dann nicht, wenn sie den Verlust ihrer Sehkraft zu verschmerzen haben. Die altruistische Haltung Umm Sulayms, den Islam Abū Ṭalḥas als Brautgabe zu akzeptieren, Zinnīras Glaubensstärke trotz Folter sowie Umm Ḥabības Zurückweisung des Vaters verleihen dem Islam die absolute Priorität im Leben der Frauen. Die Positionen der Frauen hinsichtlich der altarabischen Religion und des Islam unterscheiden sich nicht, ob sie nun aus einer Minderheits- (Mekka) oder Mehrheitssituation (Medina) erfolgen. Mit diesen Darstellungsmodi wird den Frauen eine Vorbildfunktion für Musliminnen und Muslime zugewiesen – sie werden zu idealen Vorbildern93 für die islamische Gemeinschaft und zu „Repräsentantinnen einer [neuen] sinnstiftenden Struktur“94, des Islam. Bei einem Vergleich der Geschlechterdarstellungen und -beziehungen fallen weitere Aspekt der Konzeptionen auf: Männer und Frauen setzen sich vorbehaltlos miteinander auseinander und führen theologische Diskussionen. Dabei wird die Geschlechterdifferenz nicht thematisiert. Frauen nehmen einen belehrenden Part ein und kritisieren ihre männlichen Gesprächspartner hinsichtlich deren theologischer Ansichten. Im Gegensatz zu den Männern sind die Frauen in den Darstellungen auf dem richtigen Weg. Sie sind diejenigen, die geistig aktiv sind und das „richtige“ Wissen besitzen, denn sie wissen von der Machtlosigkeit der Gottheiten und welche die „richtige“, da nutzenbringende und helfende Religion ist. Die Männer hingegen werden unvernünftig und einfältig dargestellt, da sie vom falschen Glauben überzeugt sind, von etwas, das weder ihnen noch sich selbst helfen kann. Auch diese Darstellungen weisen gängige Stereotypen der

93 Arabisch-islamische Texte bis zum 9. Jahrhundert weisen eine Idealisierung weiblicher muslimischer Figuren auf: Stowasser hat das insbesondere für die Frauen des Propheten gezeigt, die im Zuge der Idealisierung der Frühzeit des Islam literarisch zu Vorbildern stilisiert wurden, siehe Stowasser, Women in the Qur’an, 106–118. 94 Doris Decker „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Wandel weiblicher Geschlechterkonstruktionen in religiösen Veränderungsprozessen am Beispiel frühislamischer Überlieferungen,“ in Doing Gender – Doing Religion. Fallstudien zur Intersektionalität im frühen Judentum, Christentum und Islam, Hg. Ute E. Eisen u.  a. Tübingen: Mohr Siebeck, 2013b, 220.

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Religionsgeschichte auf: Idolatrie wird von deren monotheistischen Gegnern in Polemiken oft als menschliche Dummheit und Leichtgläubigkeit stigmatisiert.95 Insofern versuchen die Frauen die Männer vor einem falschen, da unnützen Glauben bzw. vor dem falschen Weg zu bewahren – die Texte präsentieren die Frauen als religiöse Mentorinnen der Männer. Auffällig sind auch die dialogischen Gestaltungen der Unterhaltungen zwischen den Diskutanten, da jene ein Ungleichgewicht zwischen ihnen hinsichtlich ihres Redeanteils am Gespräch sowie der Modalität des Dialoges aufweisen. Differente Positionen werden nur von einer Seite (Umm Ḥabība, Umm Sulaym) zur Aussprache gebracht und es fehlen mögliche Gegenargumente von Abū Ṭalḥa, um seine religiöse Überzeugung, seine Gottheiten und deren Wirkmacht zu verteidigen oder dafür zu argumentieren; Abū Sufyāns Gegenargument ist durch die interrogative Form abgemildert. Differenzen werden damit einseitig dargestellt und bestimmte Positionen präsenter. Das macht die vermeintlichen Dialoge der Texte vielmehr zu Monologen von Frauen, da Differenzen nicht zu gleichen Anteilen und bestimmte Positionen präferiert dargestellt werden. Abū Ṭalḥas Agieren wird im Gegensatz zu dem von Umm Sulaym eine passive Note verliehen und er bekommt weniger Redezeit zugesprochen. Auch dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Anhängerinnen Muḥammads durch redaktionelle Eingriffe in späteren Zeiten in eine vorteilhaftere Situation gebracht und als Vorbilder stilisiert wurden. In der historischen Realität hingegen dürften derartige Gespräche zwischen den Geschlechtern lebendiger und kontroverser abgelaufen sein. Ausschlaggebend für diese besondere literarische Gestaltung der Unterhaltungen dürfte aber weniger das Geschlecht, als vielmehr die religiöse Überzeugung der Frauen gewesen sein, die im eigentlichen Interesse der muslimischen Tradenten stand.

6 Geschlecht und Theologie Bezogen auf den theologischen Gehalt der Textpassagen kann festgehalten werden, dass die Tradenten Frauen theologische Reflexionen, Positionen und Wissen über Gott und die altarabischen Gottheiten bzw. ihre Kultbilder und damit generell das Vermögen zum theologischen Nachdenken attestieren. Es werden Frauengestalten konzipiert, die theologisches Gedankengut rezipieren, reflektieren und diskutieren, problematisieren und applizieren, um z.  B. für ihre eigene religiöse Überzeugung und Position zu werben. Die Überlieferungen

95 Hawting, The Idea of Idolatry, 98.

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suggerieren, dass die Frauen hinsichtlich der von ihnen aufgegriffenen geprägten Wendungen auf die von Muḥammad verkündete Botschaft oder bereits kursierendes theologisches Gedankengut rekurriert haben. Indem die Frauen über das Material und die Fähigkeiten altarabischer Gottheiten reflektieren und diskutierten, wird ihnen das Vermögen abstrakten Denkens zugesprochen. Dies erklärt sie zu Kennerinnen theologischer Grundnormen. Beispielsweise ist der Glaube, dass es außer Gott keinen Gott gibt – wie in den Textpassagen über Umm Sulaym ausgedrückt –, gleich zu Beginn der islamischen Theologie ein wichtiger Bestandteil der Gotteslehre. Darüber hinaus werden die Frauen durch ihre pädagogisch versierte religiöse Überzeugungsarbeit als theologische Lehrpersonen konzipiert. Aus der Perspektive der Geschlechterforschung kann festgehalten werden, dass es für die Tradenten und Kompilatoren des 8. und 9. Jahrhunderts – unabhängig davon, ob die Berichte nun historische Tatsachen reflektieren oder nicht – eine Selbstverständlichkeit war, dass Frauen theologische Reflexionen anstellen, über theologische Fragen diskutieren sowie ihre männlichen Gesprächspartner kritisieren, belehren und von den eigenen Ansichten zu überzeugen versuchen. Da die Interaktionen zwischen den Geschlechtern vorbehaltlos dargestellt werden, war die Geschlechterdifferenz für die Tradenten der Überlieferungen nicht von Belang. Die von den Frauen für sich beanspruchten Rollen wie beispielsweise die einer belehrenden Person sowie ihre selbstbewussten und autonomen Denk- und Handlungsweisen werden von den Tradenten und Kompilatoren weder missbilligt noch literarisch ausgemerzt. Daraus, dass redaktionelle Veränderungen höchstens für die Formulierungen der Frauen hinsichtlich ihrer religiösen Überzeugungen (Glaubensbekenntnis) oder die Kommunikationsstrukturen der skizzierten Gespräche (Redeanteil beim Dialog) angenommen werden können, kann gefolgert werden, dass die konkrete Gestaltung der Geschlechterkonzeptionen nicht durch das Geschlecht der jeweiligen Personen bedingt wurde, sondern durch ein neues dem Denken und Handeln zugrunde liegendes Normen- und Wertesystem, an dem sich die religiöse Überzeugung der Frauen orientierte. In einem früheren Aufsatz habe ich bereits in einem anderen Zusammenhang aber auch bezogen auf das Zusammenspiel von Geschlechterkonzeptionen und religiösen Überzeugungen nachgewiesen, dass die Überlieferungen eine Konfrontation und Ablösung konkurrierender Normen- und Wertesysteme bezeugen, die sich auf die Darstellung der Geschlechter ausgewirkt hat:96

96 Vgl. Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“.

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„Was in den Überlieferungen viel konkreter die Gestaltung und den Wandel der Geschlechterkonstruktionen dominiert, ist das […] Normen- und Wertesystem, an dem sich die religiöse Überzeugung der Frauen orientiert. Anstößig waren weniger selbstbestimmtes Denken und Verhalten, als vielmehr das vorislamische Normen- und Wertesystem sowie in besonderer Weise die altarabische Religion. Der Kampf dagegen beeinflusste die Gestaltung der Geschlechterkonzepte.“97

Auch im Kontext früher islamischer Theologie lässt sich zeigen, dass der Fokus der Tradenten hinsichtlich der Gestaltung der Überlieferung nicht auf den Geschlechterkonzeptionen, sondern auf den religiösen Positionen der Akteure und Akteurinnen lag.98

Fazit Mit den in den Textauszügen geschildeten Interaktionen liegen aus der Perspektive der arabisch-islamischen Literatur Beispiele für den Umgang mit und die Reaktion auf religiöse(r) Vielfalt und Differenz im Frühislam vor. Die Protagonisten beziehen sich in ihren Disputen auf die eigene Religion und die des/ der anderen, womit verschiedene Dimensionen eines Mit- und Gegeneinanders religiöser Traditionen aufgespannt werden. Dabei kommt es zu beiderseitiger Kritik, wobei die Kritik an der altarabischen Religion und ihren Gottheiten bzw. Kultbildern von Seiten der Anhängerinnen des Propheten Muḥammad in auffälliger Weise überwiegt, was das Resultat redaktioneller Eingriffe durch Tradenten späterer Zeiten gewesen sein könnte, die Kritik am Propheten und seiner Botschaft inakzeptabel fanden. Die Frauen erfahren die andere religiöse Tradition als mit der eigenen Überzeugung unvereinbar. Ihr Umgang mit und ihre Reaktionen auf andere(n) religiöse(n) Überzeugungen setzen sich zusammen aus Formen von Kritik, Koexistenz und Abgrenzung. Die Texte vermitteln den Eindruck, dass es sich hier um erste Versuche einer spezifisch islamischen Theologie bzw. um eine frühe Etappe im langwierigen Prozess der Herausbildung einer islamischen Theologie bzw. Auffassung über Gott handelt. Es kann dabei vor allem an den zweiten Part des den Aufsatz einleitenden Zitates von Berger angeknüpft werden. Denn es geht in den Berichten

97 Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung,“ 219. 98 Weiteres zur These, dass der Normen- und Wertewandel in frühislamischer Zeit – von der altarabischen Religion zum Islam – die Gestaltung der Geschlechterkonzeptionen in den Überlieferungen bedingte, siehe Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“.

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vorrangig um Abgrenzung zu und Verteidigung gegen abweichende(n) Auffassungen von der eigenen Auffassung, weshalb die Überlieferungen eine frühe Phase eines Abgrenzungsprozesses und somit auch Identitätsfindungsprozesses widerspiegelt, für die – mit Laclau gesprochen – Zuordnungen (nach innen, Stichwort „Logik der Äquivalenz“) und Abgrenzungen (nach außen, Stichwort „Logik der Differenz“) charakteristisch sind, da sich Identitäten erst über Differenzen bzw. Differenzbildungen konstituieren.99 Bezogen auf eine sehr frühe Phase spezifisch islamisch-theologischer Reflexionen tragen die antagonistischen Positionierungen und Abgrenzungen der Frauen gegenüber anderen Identitäten, der altarabischen Religion und ihren Anhängern, zur Konstituierung des Eigenen, des Islam, bei. Die Vermittlung der Überlieferungen und ihre Verschriftlichung spätestens in den Textsammlungen des 8. und 9. Jahrhunderts unterstützten die Bildung, Festigung und Normsetzung einer islamischen Identität.100 Mit dem Blick auf die Zeit der Quellenkompilation, also das 8. und 9. Jahrhundert weisen die Texte nur geringe Anknüpfungspunkte an die islamische Theologie dieser Jahrhunderte auf. Das dürfte zu einem großen Teil daran liegen, dass es sich bei den betrachteten Kompilationen um biographische Geschichtsschreibung handelt, die weniger theologischen Zwecken diente.101 Dennoch lehnen sich die Texte aufgrund der formulierten theologischen Gedanken zu den durch Menschenhand gefertigten Kultbildern durchaus an spätere theologische Debatten an. Die eigentliche Intention der Tradenten dürfte darin bestanden haben, die Materialität und Kompetenz altarabischer Gottheiten abzuwerten und ihre Verehrung dadurch als unnütz und unvernünftig abzuqualifizieren, um damit indirekt ein mächtigeres Gottesbild, das jeglicher Materie enthoben ist, zu propagieren. Diese Vorstellungen können durchaus im Kontext der islamischen Theologie des 8. und 9. Jahrhunderts gesehen werden, als kontroverse Debatten über anthropomorphe Vorstellungen über Gott geführt wurden. Insofern sind die Überlieferungen bezogen auf die Kritik am altarabischen Kult einerseits Teil einer langen Rezeptionsgeschichte zu Reaktion auf und Umgang mit religiöse(r) Differenz und Vielfalt innerhalb der Religionsgeschichte (bzw. Teil der Diskurse von Theologien in der Geschichte unterschiedlicher Religionen) – wie anhand biblischer und außerbiblischer Texte belegt –, andererseits Teil der Herausbildung

99 Andreas Reckwitz, „Ernesto Laclau: Diskurse, Hegemonien, Antagonismen,“ in Kultur: Theorien der Gegenwart, Hg. Stephan Moebius u.  a. Wiesbaden: Springer, 2016, 334. 100 Inwiefern literarisch konstruierte Geschlechterkonzeptionen im Dienst der Herausbildung und Festigung einer islamischen Identität stehen, zeige ich in meinem Aufsatz „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“, siehe Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“. 101 Zu spezifisch theologischer Literatur im Frühislam siehe Berger, Islamische Theologie, 25–32.

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einer spezifisch islamischen Theologie. Bereits seit deren Anfängen wurden z.  B. anthropomorphe Gottesvorstellungen, in deren Bereich die Kritik an den Gottheiten und Kultbilder fällt, kontrovers diskutiert und im 9. und 10 Jahrhundert von islamischen Gelehrten zurückgewiesen.102 Anhand der untersuchten Überlieferungen und wie im vorherigen Kapitel dargelegt, wird die Verflechtung von Geschlechterkonzeptionen mit – aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung – theologischen Entwicklungsprozessen deutlich. Die Geschlechterkonzeptionen sind bedingt durch ein sich noch in den Anfängen befindendes islamisches Normen- und Wertesystem und stehen mit ihren Zugehörigkeitsbekundungen zur Botschaft des Propheten Muḥammad, die nach innen Zusammenhalt bekunden, sowie ihren Abgrenzung nach außen gegenüber dem altarabischen Kult im Dienst der Entwicklung, Etablierung und Festigung einer islamischen Identität. Solche Interdependenzen werden besonders dann ersichtlich, wenn Überlieferungen kontextualisiert und als Teil einer Rezeptionsgeschichte religiöser Traditionen betrachtet werden.

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102 van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 1, 358–364, 394.

Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 

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Mourad Qortas

Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit Ein Phänomen islamischer Rationalität Al-muḥkam wa l-mutašābih ist ein prominenter und viel diskutierter Fachbegriff in den klassischen Koranwissenschaften (ʿulūm al-Qurʾān)1. Als eine koranische Unterdisziplin geht es dabei um die im Vers (3:7)2 vom Koran selbst aufgeworfene Frage nach dem Wesen und der Funktion seiner mehrdeutigen Verse. Dabei spielt die Frage nach der Interpretierbarkeit der koranischen Mehrdeutigkeit eine zentrale Rolle. Die Diskussion in der Koranexegese zeigte, dass es den muslimischen Exegeten nicht nur um bestimmte Verse ging, sondern vielmehr um die Natur und das muslimische Selbstverständnis von Offenbarung. Angesichts dieser Frage sahen sie sich veranlasst, Lösungskonzepte zu entwerfen, zumal die dort formulierte Mehrdeutigkeit bei manchen zum Einfallstor für heterodoxe Aussagen wurde und Mehrdeutigkeit aus Sicht der Orthodoxie eine potentielle Gefährdung der dogmatischen Einheit darstellt. Der Vers stellte den Exegeten vor zwei Fragen: Die erste war die nach der Bedeutung der Begriffe muḥkamāt (übersetzt als eindeutige Verse) und mutašābihāt (übersetzt als mehrdeutige Verse) die andere die nach der Legitimität der Koraninterpretation.3 Diese Herausforderungen lassen sich durch den Umstand erklären, dass der Koran sich an einigen Stellen selbst als klar und eindeutig und an anderen als unklar und mehrdeutig beschreibt, was den Eindruck vermitteln kann, der Koran sei voller Widersprüche.4 Die islamische Koranexegese sah sich infolgedessen vor der Aufgabe gestellt, im Zusammenhang mit dem in allen Richtungen des Islam theologisch einflussreichen Dogma von der Unnachahmbarkeit des Korans (iʿğāz al-Qurʾān) jeden Verdacht einer Inkohärenz

1 as-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān. al-Itqān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Mustapha Šaiyḫ, Mustapha, Beirut, 2007, 425  ff. 2 Koran (3:7): ‫هو الذي أنزل عليك الكتاب منه آيات محكمات هن أم الكتاب وأخر متشابهات فأما الذين في قلوبهم زيغ‬

‫فيتبعون ما تشابه منه ابتغاء الفتنة وابتغاء تأويله وما يعلم تأويله إال الله والراسخون في العلم يقولون آمنا به كل من عند ربنا‬ ‫وما يذكر إال أولو األلباب‬

3 Kinberg, Leah. Muḥkamāt and Mutašābihāt (Koran 3:7). “Implication of a Koranic Pair of Terms in Medieval Exegesis.” In Arabica, T. 35, Fasc., 143–172, 143. 4 zu Beginn der Hūd-Sure stellt Gott den Koran als ein Buch vor: „dessen Verse eindeutig bestimmt, dann ausführlich dargelegt wurden“, dennoch beschreibt der Koran in Vers (3:7) einen Teil seiner Verse als unklar und mehrdeutig. https://doi.org/10.1515/9783110588576-005

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des Korans zu widerlegen. Diese Aufgabe bestand darin, gerade in diesem scheinbaren Widerspruch sein Wunder zu beweisen. Dies erklärt, warum die Frage von muḥkam und mutašābih in der klassischen Exegese Kern der Debatte um die Unnachahmbarkeit des Korans war.5 Die muḥkamāt und mutašābihāt werden im Vers als zwei verschiedene Komponenten des koranischen Textes erklärt. Dieser Kontrast zwischen den klaren muḥkamāt und den unklaren mutašābihāt ist die herrschende Annäherung bei der Erklärung dieser beiden Termini. Mit den mutašābihāt, als ähnliche Verse beschrieben, wird hauptsächlich einen Bezug zum sprachlichen Wunder des Korans hergestellt. Die gleichen Verse, aber diesmal als unklare Verse beschrieben, werden herangezogen, um für die Frage der Interpretierbarkeit des Koran im Zusammenhang mit der Frage des nāsiḫ wa l-mansūḫ (der Abrogierende und das Abrogierte) zu argumentieren. Muslimische Exegeten waren sich einig, dass der Mehrdeutigkeitsvers wesentlich zur frühen Formung koranischer Auslegung beitrug, wenn nicht gar ihren Ausgangspunkt verkörpert, da dessen Kommentierungen wie bei keiner anderen Passage im Koran die Reflexionen über das historische und typologische Spektrum interpretativer Methoden am besten veranschaulichen.6 Ich werde in dieser Arbeit die verschiedenen exegetischen Ansätze zur Erschließung der Mehrdeutigkeitsfrage im Koran vorstellen. In diesem Rahmen werden die verschiedenen Definitionen sowie die Vorstellungen über die Wechselwirkungen beider Begriffe, die hinter der jeweiligen Definition stehen und deren Bedeutung für die Koranexegese vorgestellt und diskutiert. Der Fokus der Arbeit ist hierbei stärker auf den mutašābih gesetzt, da die Korrelation zwischen dem muḥkam und dem mutašābih durch die Bedeutung, die dem mutašābih zugeschrieben wird, bestimmt ist. Daher besteht das Hauptinteresse dieser Arbeit darin, zu untersuchen, auf welche Art und Weise, das mutašābih sich auf den muḥkam bezieht.

5 „Or, le problème du muḥkam/mutašābih se situe au cœur même de ce débat (iʿğāz)“ vgl. Lagarde, Michel. „De l’Ambiguïté (Mutašābih) dans le Coran: Tentatives d’Explication des Exégètes Musulmanes.“ In Quaderni di Studi Arabi, Bd. 3 (1985): 45–62, 46. 6 „A passage, unanimously agreed to represent the point of departure for all scriptural exegesis”. Wansbrough. Quranic Studies, Sources and Methods of Scriptural Interpretation. New York, 2004, 149.

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1 Philologische Aspekte koranischer Ambiguität Die lexikalische und syntaktische Ambiguität des Verses (3:7) und seine Tragweite hinsichtlich der Natur des koranischen Textes und der Frage seiner Interpretation, die für alle Bereiche der Religion von zentraler Bedeutung sind, hat diesen Vers zum Ziel intensiver Exegese gemacht. Der vage syntaktische Aufbau des letzten Teils des Verses ermöglicht zwei Lesarten. Die erste besagt, dass allein Gott über das Wissen vom Mehrdeutigen des Korans (‫ ;ما تشابه منه‬mā tašābaha minhu) verfügt und die zweite, dass die mehrdeutigen Verse auch von den Gelehrten verstanden und ausgelegt werden können. Die muḥkamāt werden im Vers als „umm al-kitāb“ beschrieben, wortwörtlich übersetzt: „die Mutter des Buches“. Demnach bilden sie den Hauptteil des Korans. Die mutašābihāt werden als „uḫar“, als die anderen oder die restlichen beschrieben womit ihre semantische Unterordnung im Text suggeriert wird. Auch wenn beide Kategorien zum Gotteswort gehören, scheint der Text sie unterschiedlich zu gewichten. Diejenigen, die im Herzen abwegige Absichten (zaiġ; Deviation) hegen, befolgen vorrangig die mehrdeutigen Verse mit der Absicht, Zwietracht (fitna) zu stiften und sie gemäß ihrer eigenen Deutung zu interpretieren. Die mutašābihat werden im Vers in Verbindung mit böswilligen und abwegigen Absichten derjenigen zusammengebracht, die das Mehrdeutige für Zwietracht und für interpretative Zwecke nutzen wollen. Durch die Konjunktion von Interpretation und Zwietracht lässt der Vers das Interpretieren des Korans mit einer negativen Konnotation erscheinen. In frühen Kommentaren, die eher etwas von einem lexikalischen Glossar hatten oder Formen von Paraphrasierungen sind, war das Augenmerk der Exegeten nicht so sehr auf die muḥkamāt und mutašābihāt gelegt, sondern mehr auf die beiden Begriffe des zaiġ und fitna.7 Für zaiġ gebrauchten Muğāhid, Zayd ibn ʿAlī und Abū ʿUbayda entweder šakk, den Zweifel oder ğawr, die Unterdrückung als Synonyme. Für fitna schlugen sie entweder Chaos oder kufr; Unglaube vor.8 ʿAbd ar-Razzāq bezieht sich bezüglich des Ausdrucks zaiġ auf Qatāda, der den Begriff mit Bezug auf frühe muslimische Häresiographie erklärt und sagt: „wenn damit nicht die Ḥarrūriyya (al-Ḫāriğiten),

7 McAuliffe, Dammen Jane. Text and Textuality: Q. 3:7 as a Point of Intersection. In Literary Structures of Religious Meaning in the Qurʾān, hg. v. Issa Boullata. Richmond, Surrey, 2000, 56–76. 58. 8 Muğāhid b. Ğabr. Tafsīr Muğāhid, hg. v.ʿAbd ar-Raḥmān aṭ-Ṭāhir as-Sūrtī. Islamabad, Bd.  1 (1976): 122. Siehe auch: Zayd, b. ʿAlī, Tafsīr Zaid b. ʿAlī. al-musammā tafsīr ġarīb al-Qurʾān, hg. v. Muḥammad Taqī al-Ḥakīm. Kairo, 1992, 107. Abū ʿUbayda Maʿmār b. al-Muṯannā. Mağāz alQurʾān, hg. v. Sezgin, Fuʾād. Beirut, 1981.

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oder die Sabaʾiyya (die Anhänger von Ibn Sabaʾ) gemeint sind, dann wüsste ich auch nicht wer sie sind“9. Fitna im Arabischen bedeutet Prüfung oder harte Bewährungsprobe (miḥna); so sprach Gott zu Seinem Propheten Moses „wa-fatannāka futūnan“10. Das Wort legt aber auch die Bedeutung der Verführung nahe, etwa die Verführung der Frauen für den Mann (fitnat an-nisāʾ) oder die Verführung des Geldes (fitnat al-māl). Lisān al-ʿarab11 erwähnt auch die Verführung des Meinungsstreits (fitnat iḫtilāf an-nās fī ar-rāʾy) und sogar die Verführung der Interpretation (fitnat attaʾwīl). Dies steht im Einklang mit unserem untersuchten koranischen Vers, der die Verführung der Interpretation koranischer Mehrdeutigkeit thematisiert, es ist nämlich dieses „Verführerische, das verwechselnd auftritt und ernüchternd sich zurückzieht“12 und die Urteilskraft des Einzelnen sowie die der Gemeinschaft beeinträchtigt und zu Zerwürfnis und Zwietracht führt. In dieser Form erscheint Mehrdeutigkeit und der durch sie verursachte Meinungsstreit als eine Form von Verführung und Zwietracht und damit wird Mehrdeutigkeit zu einer Prüfung (fitna) und Bewährungsprobe für die muslimische Gemeinde. An dieser Stelle könnte man die Befürchtungen orthodoxer Kreise nachvollziehen, die aus Angst vor einem drohenden Schisma und der Spaltung der Umma das Problem der Ambiguität im Koran mit einem Interpretationsverbot lösen wollten. Die Hauptbedeutung des Verbstammes š.b.h. ist ähnlich sein, aussehen wie etwas, bzw. sich ähneln. Damit drückt man Ähnlichkeiten aus; z.  B.: Der Sohn ist seinem Vater ähnlich (yušbihu). Im Falle von (ištabaha) und (tašābaha) haben wir die Bedeutung von ambig, dubios, unklar erscheinen oder etwas verwechseln, oder angesichts eines Gegenstand wegen starker Ähnlichkeit nicht sicher bis verwirrt sein13, also die Verwechselung, bzw. die Ambiguität. Der vom Verbstamm abgeleitete Begriff „tašābuh“ dient daher nicht nur dazu eine Ähnlichkeit objektiv zu beschreiben, sondern er beschreibt auch einen subjektiv emp-

9 al-Ṣanʿānī, ʿAbd ar-Razzāq b. Hammām. Tafsīr al-Qurʾan, hg. v. Muḥammad ʿAbduh, Bd.  1 (1999): 381. 10 „und wir setzten dich einer schweren Prüfung aus“. Rudi Paret, Der Koran. Kommentar und Konkordanz (Stuttgart: Kohlhammer, 1980). Koran (20:40). 11 Lisān al-ʿarab: wortwörtlich „Zunge der Araber“ ist die umfangreichste und bekannteste Enzyklopädie für die arabische Sprache. Sie wurde von Muḥammad ibn ʿAlī ibn Aḥmad ibn Mukarram ibn Manẓūr (gest. Dez. 1311/ Jan. 1312) in 20 Bänden verfasst. Bis heute gilt dieses Werk als einflussreiche Autorität in der arabischen Philologie und wird sowohl von muslimischen Theologen als auch von Philologen benutzt. 12 ‫ تشبه مقبلة و تبين مدبرة‬Berque, Jacques. „L’expression de l’Ambiguïté en Arabe.“ In L’Ambivalence dans la culture Arabe, hg. v. Jacques, Charnay Berques, Jean Paul. Paris, 1967, 347–355. 13 Siehe das Wort ‫ شبه‬in Lisān al-ʿArab von Muḥammad ibn Manẓūr, 2003.

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fundenen Zustand der Ungewissheit bezüglich einer vorliegenden Ähnlichkeit oder eines Gegenstandes beim Betrachter,14 wie z.  B. im Vers (2:70): ‫ان البقر تشابه‬ ‫علينا‬. In der Bobzin-Übersetzung zu diesem Vers lesen wir: „die Kühe sehen –für uns – alle gleich aus“15. Ähnlich, allerdings mit einer wesentlichen Ergänzung übersetzt Paret: „Die Kühe kommen uns (zum Verwechseln) ähnlich vor“16. Parets Übersetzung fängt die Bedeutung von tašābuh besser ein, weil sie das Verwechseln erwähnt. Al-Baġwī (gest. 516 AH) erklärt den Vers und sagt, dass das Verb „tašābaha“ sich nicht auf die Kühe, sondern auf diejenigen, die nach der Kuh gesucht haben bezieht, ansonsten würde es „tašābahat“ heißen.17 Er selbst erklärt es mit „iltabasa“, das im Arabischen für Verwirrtheit steht. Aus dem Tašābuh wird „al-muštabah“ (‫ المشتبه‬,‫ )المشتبهات‬und „al-mutašābih“ (‫ المتشابه‬,‫ )المتشابهات‬abgeleitet. Etwas ist „muštabah“, d.  h.; verdächtig und suspekt. „Mutašābih“ bedeutet dagegen unklar, ambig; etwas ist mutašābih könnte auch schwierig, problematisch, bzw. kompliziert bedeuten, wie z.  B. bei nicht eindeutigen Rechtsfragen (‫)أمور متشابهات‬18. Als Gegensatz zu den ambigen Versen findet man die muḥkamāt, die als klare Verse erklärt werden. Die Definitionen für den Begriff muḥkamāt als klare Verse basieren auf der Bedeutung, die von „ḥ.k.m“ in der vierten Form „aḥkama“ abgeleitet worden ist; nämlich etwas fest und solide machen, wie z.  B. ein solider Bau oder ein festgemachter Knoten. Nach Lisān al-ʿarab wurden die Verse muḥkamāt genannt, weil sie in einer so präzisen Form formuliert wurden, dass ihre Botschaft nicht missverstanden werden kann.19 Al-Baġwī beschreibt es so: sie wurden muḥkamāt genannt aufgrund der Ableitung aus dem iḥkām, Präzision. Er hat sie so präzise und genau formuliert und dadurch die Schöpfung vom ihrem Missbrauch abgewendet und dies wegen ihrer Offenkundigkeit und der Klarheit ihrer Bedeutung.20

Philologisch gesehen, handelt es sich bei den beiden Kategorien also um zwei Gegenbegriffe, die ein Ganzes bilden, den gesamten Koran. Diese Dichotomie des Eindeutigen und Mehrdeutigen im Koran ist als eine Bedeutungsdichotomie des

14 „Troubler aux yeux de quelqu’un une chose, au point qu’ il la confonde avec une autre“. Berque, L’expression de L’Ambiguïté en Arabe. 352. 15 Bobzin, Hartmut. Der Koran, 2:70. 16 Paret, Rudi. Der Koran, 2:70. 17 ‫ أي التبس و اشتبه أمره علينا‬,‫… أي جنس البقر تشابه‬ ‫ و لم يقل تشابهت‬al-Baġwī, Abū Muḥammad al-Ḥusain ibn Masʿūd. Tafsīr al-Baġwī. Maʿālim at-Tanzīl, Bd. 1, 108. 18 In Bezug auf das bekannte Ḥadīṯ: ‫ و بينهما أمور متشابهات‬,‫الحالل بين و الحرام بين‬. Lisān al-ʿarab: ‫شبه‬ 19 Lisān al-ʿarab: ‫حكم‬. 20 ‫ سميت محكمات من االحكام كأنه أحكمها فمنع الخلق من التصرف فيها لظهورها و وضوح معناها‬Tafsīr al-Baġwī, Bd. 2, 8.

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Korantextes zu verstehen, die sowohl bei der Bestimmung der Natur des Textes, wie auch beim Verstehen und Auslegen dieses Textes essenziell ist. Die westliche Koranforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend für die Identifizierung und Erforschung der Prinzipien methodologischer Textinterpretation interessiert. Vers (3:7) bezeichnet McAuliffe als ein Schlüsselelement für das gesamte Phänomen koranischer Selbstreferenzialität, das den Exegeten in einer der Initial-Suren des Korans Gelegenheit gab, auf grundlegende Fragstellungen der Exegese-Methodik Stellung zu beziehen. Diese Selbstreferenzialität kann durch die Tatsache beleuchtet werden, dass der Korantext Aussagen über seine eigene Natur und Funktion macht. Solche Aussagen wurden von den Exegeten zu Maßstäben und Forschungsfeldern exegetischer Arbeit deklariert.21 Stefan Wild stellt diese für den Koran charakteristische Selbstreferenzialität am markanten Beispiel vom Vers (3:7) fest. Der Koran nimmt Bezug auf sich selbst und thematisiert seinen textuellen Grundcharakter, was stark dem Prozess des Denkens über sich selbst ähnelt.22 Solch Selbstbezug betrifft auch die verstehende Aktivität des Lesers, denn der Koran mahnt durch seine selbst-referentielle Kategorisierung in muḥkam und mutašābih, dass man ihn nur in seiner Gesamtheit verstehen kann. Der Akt des Verstehens kann sich nur auf seine Gesamtbedeutung mittels eines korrelativen Zusammenhangs und seiner verschiedenen Aussagen erschließen.23 So bietet die Dichotomie von Ein- und Mehrdeutigkeit ein in der Koranexegese etabliertes Instrumentarium an, um die verschiedenen Formen von Aussagen aufeinander zu beziehen. Koranische Selbstreferenzialität wird auch bei Wansbrough in seiner einflussreichen Arbeit Quranic Studies: Sources and Methods of Scriptural Interpretation thematisiert. Für ihn stand der Umgang mit dem Vers (3:7) symbolisch für die Allianz zwischen den beiden Disziplinen der Schriftexegese und arabischer Rhe-

21 „The Qurʾān makes specific and repeated statements of genre self-perception. It sees itself as a revealed book and thereby situates itself as part of an identifiable literary genre“, McAuliffe. Text and Textuality, 57. 22 “The self-refentiality of the Qurʾān is increasingly viewed as one of its central features”. Wild, Stefan. „The Self-Referentiality of the Qurʼān. Sūra 3:7 as an Exegetical Challenge.“ In With Reverence for the Word. Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islām, hg. v. McAuliffe, Walfish, Goering. Oxford 2010, 422–436. 23 Die eindeutigen Verse sind im Vers als die Mutter des Buches bezeichnet, das heißt sein Fundament, das Wort Mutter, das hier metaphorisch eingesetzt wird, ist im Singular. Dieses grammatikalische Detail impliziert, dass die eindeutigen Verse in ihrer Gesamtheit und nicht im Einzelnen als das Fundament der Schrift zu verstehen sind, siehe dazu; aṭ-Ṭabarī, hg. v. Turkī, Bd. 5 (2001): 189 ‫)ألنه أراد جميع اآليات المحكمات أم الكتاب‬. Auch Ibn ʿAṭiya äußerte sich dazu ‫بل جميع المحكم هو‬ ‫أم الكتاب‬. Tafsīr Ibn ʿAṭiya, S. 275. Dieser Grundsatz betrifft allerdings nicht nur die Eindeutigkeit, denn auch die Mehrdeutigkeit gilt im Sinne des Verses als Teil des Buches.

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torik.24 Er geht, wie oben schon vermerkt, davon aus, dass der Kommentar zu dieser koranischen Passage einen „point of departure“ aller Schriftexegese im Islam verkörpert. Die operativen Termini waren hier muḥkam, mutašābih und umm al-kitāb. Wansbrough zufolge „war die Beschäftigung mit hermeneutischem Wert und der grammatischen Form der Offenbarung durch den Rückgriff auf die Schrift selbst begründet, deren Deutungsbedürftigkeit in mehreren Passagen ausdrücklich festgelegt ist“.25 Heilige Schriften gehen von ihrer Interpretierbarkeit aus, bzw. legen dafür selbst grundlegende Prämissen. Sie setzen den Kommentar voraus und so wird das Kommentar zu einer Erweiterung der Offenbarung. Nach Wansbrough ist es unmöglich die Entwicklung der Wissenschaft der Rhetorik zum Ende des 3./9. Jh. die nach manchen Philologen hellenistisch beeinflusst war26 und im Dienste profaner Literatur stand, von der Entwicklung der Schriftexegese zu trennen. Die Beziehung zwischen der Untersuchung arabischer Eloquenz und

24 Mit Bezug auf Wansbrough will ich nicht die bekannten Ergebnisse seiner Koranforschung diskutieren, dafür hätte sich diese Arbeit einen anderen Schwerpunkt setzen müssen. Von großem wissenschaftlichem Wert sind allerdings seine Untersuchungen und Überlegungen zur Deutungsbedürftigkeit der Schrift und ihr Potenzial für die Entstehung der Schriftexegese im frühen Islam. 25 Wansbrough, Quranic Studies, 148. Wansbrough verwendet den Begriff Deutungsbedürftigkeit unter Bezugnahme auf Auerbachs Untersuchung des scriptural style als ein Genre erzählender Prosa. Dort stellte Auerbach die Deutungsbedürftigkeit als ein von neun Charakteristika des Alten Testaments fest. Damit sollte gemeint sein, dass der Inhalt der Bibel nicht durch den Kommentar erweitert wird oder ihre inneren Widersprüche aufgehoben werden, sondern, dass der biblische Stil an sich ohne Kommentar unvollständig ist. Die Gründe dafür sind rein syntaktischer Natur; angegeben werden die Abgerissenheit und die Stilmischung. Andere Gründe sind zum Teil rhetorisch wie Vielschichtigkeit oder Hintergründigkeit. Diese könnten um die symbolische Qualität der biblischen Sprache ergänzt werden. Ebd., 100 und, Auerbach, Erich. Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Francke, Bern 91994, 5–27. 26 Wansbrough bezieht sich hier der Fußnote zufolge vermutlich auf eine Meinung von Ṭāhā Ḥussein, obwohl er selbst, vom Kontext her, die Theorie eines hellenistischen Einflusses auf die Entwicklung arabischer Rhetorik eher bezweifelt. Diese vermeintliche Ansicht von Ṭāhā Ḥussein sollte aber aufgrund der Forschungen der letzten Jahre des Arabisten Prof. Thomas Bauer zur Ambiguität in der arabischen Rhetorik revidiert werden. Nach Bauer befand sich die arabische Rhetorik im 3. Jh. bereits in einem sehr entwickelten Stadium. Als die ersten griechischen Rhetorik-Texte ins Arabische übersetzt wurden, hatte die arabische Rhetorik- und Metapher-Theorie bereits ein höheres Reflexionsstadium erreicht und die griechischen Texte wurden daher nicht als eine bedeutende Ergänzung empfunden. Vgl. Bauer, Thomas. Ambiguität in der klassischen arabischen Rhetoriktheorie. In Ambiguität im Mittelalter: Formen zeitgenössischer Reflexion und interdisziplinärer Rezeption, hg. v. Oliver Auge, Christiane Witthöft. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2016, 21–45.

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Koranexegese war zwar theoretisch, die Tendenz ging aber dahin, in der Heiligen Schrift eine Autorität über die Grundsätze der Rhetorik zu suchen.27 Dem Muʿtaziliten Ibrāhīm an-Naẓẓām (gest. 835 zwischen 845 n. Chr.) wurde einmal die Frage nach dem Sinn mehrdeutiger Verse im Koran und ihrer Rolle im Gesamtgefüge der Religion gestellt, die die Rechtleitung (al-hudā) und Vergewisserung statt zweifelsbringender Mehrdeutigkeit für die Menschen bringen soll. Diese Frage zielt nach etwas Grundsätzlichem und zwar nach dem Ambiguitätsgehalt im muslimischen Konzept vom Selbstbild und Selbstverortung in der Welt. Auch wenn an-Naẓẓāms Antwort kurz ausfiel, war sie in der Hinsicht richtungsweisend. Er sagte: „das islamische Gesetz28 hat folgendes zweideutiges Prinzip zur Grundlage: die Vereinigung der Gegensätze und die Differenzierung der Ähnlichkeiten“29. An-Naẓẓām versteht die Zweideutigkeit als ein tragendes Prinzip muslimischen Geistes, das auf Ähnlichkeiten und Gegensätzen beruht, die es zu differenzieren und zu vereinigen gilt. Dieser Vorstellung von der Ambiguität als Mechanismus zur Differenzierung und Einigung in der muslimischen Vernunft gilt es für Islamforschende weiterhin auf den Grund zu gehen. Thomas Bauer hat mit seiner renommierten islamwissenschaftlichen Monographie „Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams“ einen Grundstein dafür gelegt und das Prinzip der Zweideutigkeit in der muslimischen Mentalitäts- und Kulturgeschichte akribisch untersucht und seine Spuren verfolgt.30 In diesem Zusammenhang, gelangt der tunesische Philosoph Maḥğūb Ben Mīlād (1916–2000) durch die Herstellung eines Bezugs zu den sprachtheoretischen Überlegungen Hegels zum spekulativen Geist der Sprache zu der Feststellung, dass eine Art voretablierte Harmonie zwischen diesem Geist und der Offenbarung vorhanden ist. Nur im spekulativen Geist der arabischen Sprache sind die Wurzeln für jene „polarité vigoureuse“31 zu finden, die den Rhythmus des islamischen Lebensatems bestimmen.32 Diese Polarität oder Gegensätzlichkeit ist dynamisch, denn sie macht es gerade möglich, dass etwas erst durch seinen Gegensatz an Klarheit gewinnt, durch sein Gegenteil zum Ausdruck gebracht wird. Im Grunde kann eine Sache nur mithilfe ihres Gegensatzes vollendet werden, sie

27 Wansbrough, Quranic Studies, 149. 28 Gesetz hier scheinbar nicht im Sinne von Recht, sondern im Sinne von Ordnung oder allgemeiner im Sinne von Geist oder Vernunft. 29 ‫الجمع بين األضداد و التفريق بين المتماثالت‬. Ben Milād, 376. Leider wurde hier keine Quelle genannt. 30 Thomas Bauer. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Berlin, 2011. 31 Im Deutschen kraftvolle Polarität, Ben Mīlād übernimmt den Ausdruck von Jacques Berque. 32 Ben Mīlād, Maḥjūb. „Ambiguïté et Maṯānī coraniques. Pour une théorie générale de la polarité dans la culture arabe.“ In L’Ambivalence dans la culture Arabe, hg.v. Jacques Berques, Jean Paul Charnay u.  a. Paris, 196, 366–381.

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bildet mit ihrem Gegensatz eine Einheit.33 Dieser eben benannte spekulative Geist der arabischen Sprache bedient sich des Instrumentariums der „ʾaḍdād“34 und eines Arsenals stilistischer Mittel, die dem gleichen Wort einmal einen positiven, ein anderes Mal einen negativen Sinn verleihen können. In der koranischen Offenbarung erfuhr dieser Geist beachtliche Geltung, indem der Ambiguität im koranischen Text durch die Anerkennung der mehrdeutigen Verse Rechnung getragen wird.35 Ein Fakt von überragender Bedeutung für die Untersuchung koranischer Ambiguität aus muʿtazilitischem Blickwinkel besteht darin, dass die Entdeckung der ʾaḍdād und ihre semantische Ambivalenz in engem Zusammenhang mit der muʿtazilitischen Spekulation bezüglich der Natur mehrdeutiger Verse im Koran zustande gekommen ist. Diese Spekulation war die Antwort auf eine koranische Herausforderung für die Vernunft und im Ergebnis erwuchs neben einer Disziplin der ʾaḍdād36 ein ganzes Genre an mutašābihāt-Literatur.37 Dieses lebhafte Interesse an Gegensatzformen im Arabischen, das durch die Sammlung von Antonymen in Erscheinung getreten ist, zeugt von parallelen Anstrengungen muslimischer Philologen und Theologen zur Begründung arabischer Linguistik und koranischer Exegese und davon, dass diese gemeinsamen Anstrengungen in einem engen Verhältnis zu der frühen Entwicklung der Koranexegese standen.38

2 Ambiguität als Aspekt koranischer Unnachahmbarkeit Nach Jacques Berque, dem Orientalisten und Maghreb-Forscher, benutzt der Koran dreizehn Mal Wörter, die aus dem Stamm š. b. h. abgeleitet sind, in drei Hauptbedeutungen: a) vorteilhaft; b) abwertend und c) mehrdeutig.39

33 Ebd., 370. Ben Mīlād verweist hier auf Jean Wahl. Novalis et le principe de la contradiction. In Le romantisme allemande – Cahiers du Sud. Paris, 1949,165. 34 Der linguistische Fachbegriff: die Antonyme 35 Ben Mīlād, Maḥjūb. Ambiguïté et Maṯānī coraniques, 371. 36 Als Beispiel für diese philologische Gattung siehe die bei Fūʾāt Sezgin in seiner Edition von Mağāz al-Qurʾān von Abū ʿUbaida aufgelisteten Werke. Al-Aḍdād von Abū Ḥātim as-Siğistānī, hg. v. August Henfer 1912, al-Aḍdād von Ibn as-Sākit, Abū Yūsuf ibn Isḥāq, al-Aḍdād von al-Anbārī, Abū Bakr Muḥammad al-Qāsim, hg. v. Houtsma 1881 u.  a. Vgl. Abū ʿUbaida. Mağāz al-Qur’an, hg. v. Sezgin 1981, 30. 37 Ben Mīlād, Ambiguïté et Maṯānī coraniques, 375. 38 Ebd. 39 Berque. L’expression de l’Ambiguïté en Arabe, 352.

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a) Im Sinne von vorteilhaft wird die Vielfalt der Natur und ihr unermesslicher Reichtum im Vers (6:141) zur Schau gestellt. Exegeten haben in diesem Vers die Diversität in der Schöpfung und das Wechselspiel zwischen Form und Inhalt hinsichtlich der Ähnlichkeit bzw. der diversen vorliegenden Ähnlichkeiten zwischen Form und Inhalt der Früchte und ihrer zahlreichen verschiedenen Geschmäcker wiedergefunden.40 Die Exegeten haben aus diesem Wechselspiel zwischen Ähnlichkeit und Diversität eine für ihre exegetischen Zwecke nützliche Interpretation der Mehrdeutigkeit entwickelt. Die Mehrdeutigkeit entsteht danach aus dem Wechselspiel zwischen der Analogie von Ausdrücken (alfāẓ) und der Divergenz von Bedeutungen (maʿānī) im Koran. Federführend hier ist aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923), der die mutašabihāt als „ähnlich in der Rezitation, verschieden in der Bedeutung“ erklärt und sich dabei auf Vers (2:25) ‫ و أتوا به متشابها‬beruft, in dem die Früchte durch ihre Ähnlichkeit im Anblick bzw. ihrer äußeren Form bei ihrer Verschiedenheit im Geschmack beschrieben werden.41 Auch der Vers (39:23), in dem der Koran als mutašābih beschrieben wird, zielt nicht primär auf seine Mehrdeutigkeit ab, vielmehr aber auf seine (ähnliche) prägnant schöne Rhetorik (aḥsan al-ḥadīṯ), die durch die Konvergenz seiner Einzelteile aufrechterhalten wird.42 b) Im Sinne der Illusion wird im Vers (4:157)43 die Verwechselung Jesu und die Kreuzigung seines Doppelgängers beschrieben.44 c) Und schließlich im Vers (3:7) wird tašābuh im Sinne der Mehrdeutigkeit interpretiert. „Eine paradoxe auffällige Ambiguität“ als Ergebnis eines durch den Koran selbst hergestellten Gegensatzes zwischen eindeutigen und mehrdeutigen Koran-Versen. Zum Fitna-Begriff zurückkehrend will Jacque Berque hier bestimmte Aspekte einer dialektischen Antinomie wiedererkennen. Eine Dialektik, die in dem am Versende formulierten Fideismus, einen starken Gegen-

40 Auch Jacque Berque ist die Verwechselbarkeit zwischen (6:99) und (6:141) aus der gleichen Sure aufgrund ihrer starken Ähnlichkeit zum Verhängnis geworden. Statt die von Ihm zitierten koranischen Stellen richtigerweise dem Vers (6:141) zuzuordnen, vermerkt er sie mit (6:99). Im Vers 99 steht: „und die Oliven und den Granatapfel –einander ähnlich und unähnlich (‫متشابها و‬ ‫“)غير متشابه‬, im Vers 141 steht dagegen: „und die Olive und dem Granatapfel, zum Verwechseln ähnlich und unähnlich (‫“)مشتبهاوغيرمتشابه‬. Viele Koranübersetzungen nehmen nicht genügend Rücksicht auf diese Differenzierung. Vgl. Berque, 353. 41 aṭ-Ṭabarī, Abū Ğaʿfar Muḥammad ibn Ğarīr. Tafsīr aṭ-Ṭabarī min kitābih Ğāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān, hg. und kommentiert v. Maʿrūf ʿAwwād Baššār und al-Ḥaristānī, ʿIṣām Fāris, Bd. 2 (1994): 213. 42 Ebd. 43 ‫و ما قتلوه و ما صلبوه و لكن شبه لهم‬ 44 Berque. L’expression de l’Ambiguïté en Arabe, 353.

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pol findet, der den Anspruch des freien Geistes scholastischen Rationalismus hemmend entgegentritt.45 Nach dieser kurzen philologischen Einführung bleiben wir zuerst für unser Anliegen bei Tašābuh im Sinne von Ähnlichkeit. Diese Bedeutung manifestiert sich in verschiedenen Versen entweder auf der Ebene des Wortlauts (lafẓ) oder auf der Ebene der Bedeutung (maʿnā).46 In seinem Taʾwīl muškil al-Qurʾān definiert Ibn Qutaiba (gest. 267/889), die mutašābihāt auf Grundlage der Diskrepanz zwischen Ausdruck und Bedeutung. Diese ist ihm zufolge gegeben, wenn ein Ausdruck dem anderen im Wortlaut ähnlich ist, ihre Bedeutungen aber verschieden sind.47 Bei aṭ-Ṭabarī finden wir eine ähnliche Definition, die sich jedoch auf die Ähnlichkeit in den Bedeutungen bezieht. Das ist nämlich der Fall, wenn die Bedeutungen ähnlich, die Ausdrücke aber verschieden sind, bzw. eine wenn eine gleiche Bedeutung in unterschiedlichen Ausdrucksformen wiedergegeben wird.48 An einer späteren Stelle fasst aṭ-Ṭabarī die vorherigen Definitionen zusammen; danach wird Ähnlichkeit festgestellt, wenn Übereinstimmung in den Ausdrücken bei Verschiedenheit der Bedeutungen oder Verschiedenheit der Ausdrücke bei Übereinstimmung der Bedeutungen vorliegt.49 Wiederum bei aṭ-Ṭabarī finden wir eine Definition, die muḥkamāt und mutašābihāt hinsichtlich ihrer Wiederholung (tikrār) im Koran als Gegensätze bezeichnet. Demnach sind mutašābihāt Verse, die im Koran wiederholt vorkommen, muḥkamāt dagegen solche, die nicht wiederholt werden.50 Al-Alūsī bringt die Ähnlichkeit im Koran in Verbindung mit sprachlicher Eloquenz zusammen und stellt fest, dass die Ähnlichkeit sich auf die koranische Rhetorik bezieht.51 Andere Exegeten verstehen die mutašābihāt als Verse, die hinsichtlich der Heilsbotschaft des Korans und seiner Widerspruchsfreiheit und Kohärenz

45 Ebd. 46 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 145. 47 ‫ أن يشبه لفظ لفظا في الظاهر و المعنيان مختلفان‬Ibn Qutaiba, abū Muḥammad. Taʾwīl muškil al-Qurʾān., hg. v. as-Sayyed Aḥmad Ṣaqr, Kairo 1973, 101. 48 ‫ ما أشبه بعضه بعضا في المعاني و ان اختلفت ألفاظه‬aṭ-Ṭabarī, Abū Ğaʿfar. al-Ğāmiʿ fī al-bayān wa taʾwīl al-Qurʾān, Bd. 6 (1954): 176  ff. 49 ‫ اتفاق األلفاظ و اختالف المعاني أو اختالف األلفاظ و اتفاق المعاني‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 178. 50 ‫ ما تكرر وما لم تتكرر ألفاظه‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 15. 51 ‫ ما يشبه بعضه بعضا في البالغة‬al-Alūsī. Rūḥ al-maʾānī fī tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm wa-s-sabʿ almaṯānī, Bd. 1, (1884), 522. Būlāq.

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ähnlich sind und sich gegenseitig bekräftigen.52 Im Tafsīr al-Ğalālayn bedeutet al-mutašābih, dass die darunter fallende Verse sich hinsichtlich ihrer Ästhetik und Wahrhaftigkeit angleichen.53 Ferner hat die Betonung der Ähnlichkeit in den erwähnten Definitionen einen apologetischen Aspekt.54 Beide Dimensionen der Ähnlichkeit im Text, sowohl die inhaltliche als auch die stilistische, sind ein Beleg für die Unnachahmbarkeit des Koran (iʿğāz al-Qurʾān). Die Beziehung zwischen dem Wunder des Korans und der mutašābihāt wird auch in Anlehnung an die gleiche Dichotomie von Wortlaut und Bedeutung erklärt. Um dies zu verdeutlichen, wird das Argument von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1210) diskutiert. In seinem Mafātīḥ al-Ġaib kommentiert ar-Rāzī den Vers (3:7) unter Bezugnahme auf die Verse (11:1) und (39:23). Für ihn bedeutet der erste (‫)كتاب أحكمت آياته‬,55 dass der Koran ein eindeutiges Buch (muḥkam) ist, weil sein Klang und seine Worte in einer derartigen Eloquenz geschrieben sind, die jede andere menschliche Ausdrucksform übertreffen.56 Der Vers (39:23) (‫)كتابا متشابها مثاني‬57 beschreibt den Koran in seiner Gesamtheit (bi-kulliyyatihi) wiederum als mutašābih. Damit soll laut ar-Rāzī gesagt werden, dass sich die Ästhetik seiner Verse ähnelt und dass die Aussagen im Koran sich gegenseitig in ihrer Wahrhaftigkeit bestätigen. Ar-Rāzī verbindet den letzten Vers mit Vers (4:82), der sagt: „Machen sie sich denn keine Gedanken über den Koran? Wäre er von einem anderen als Gott, so fänden sie gewiss viel Widersprüchliches in ihm.“58 Ar-Rāzī zufolge besteht das Wunder des Korans in seiner Widerspruchsfreiheit; trotz ihrer Wiederholung bestätigen sich seine Verse und bekräftigen sich gegenseitig. Ferner beruht die Definition des Korans als muḥkam auf der unnachahmbaren Art, in der er geschrieben wurde. Diese beiden Merkmale, nämlich die Widerspruchsfreiheit des Inhalts, dazu seine von Menschen unnachahmbare Sprache gelten für ar-Rāzī als Indiz für einen göttlichen Ursprung des Korans.59 Ein anderes Argument für das Wunder des Korans zielt auf den Aspekt seines Stils. Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit stellen in Form von Prägnantem

52 ‫ يشبه بعضه بعضا في الهداية والسالمة من التناقض والتفاوت واالختالف‬al-Marāġī, Aḥmad Musṭafā. Tafsīr al-Marāġī, hg. v. al-Ḥalabī, Bd. 3 (1946): 95. 53 ‫ يشبه بعضه بعضا في الحسن و الصدق‬al-Maḥallī, Ğalāl ad-Dīn und as-Ṣuyūṭī Ğalāl ad-Dīn. Tafsīr al-Ğalālayn al-Muyassar, hg. v. Faḫr ad-Dīn Qabāwa. Kairo, 2003, 50. 54 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 146. 55 „Das ist ein Buch, dessen Verse eindeutig bestimmt wurden (…)“ Koran (11:1). 56 Ar-Rāzī, Muḥammad Faḫr ad-Dīn. at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 7 (1981): 180. 57 „ein Buch mit gleichartigen Worten und wiederholten Wendungen“ Koran (39:23). 58 ‫ أفال يتدبرون القرآن و لو كان من عند غير الله لوجدوا فيه اختالفا كثيرا‬Koran (4:82). 59 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 147.

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und Metaphorischem die Hauptausdrucksformen in der arabischen Sprache dar. Gott hat beide Stile in den Koran integriert und die Menschen damit herausgefordert, etwas Ähnliches hinsichtlich des metaphorischen Stils wie auch der Klarheit und Prägnanz wie der Koran hervorzubringen.60 Auch as-Suyūṭī bekräftigt dieses Argument in seinem „iʿğāz al-Qurʾān“ dadurch, wenn er al-muḥkam und al-mutašābih zu einem Zeichen des koranischen Wunders erklärt.

3 Ambiguität als Frage normativer Koranexegese Durch die Gegenüberstellung von muḥkamāt und mutašābihāt tritt eine Analogie als exegetisches Prinzip, sowohl im Sinne textueller Methodologie, als auch in einem doktrinären Zusammenhang, ein. Der erste Impuls bei der Anwendung analogischer Deduktion in der Exegese wurde bekräftigt durch die Zuschreibung der frühest genannten Aḥkām al-Qurʾān-Arbeit an aš-Šāfiʿī (gest. 204/820).61 Die Analyse des frühen exegetischen Materials zeigt, was, und vor allem, was bisher nicht zu Vers (7:3) gesagt wurde. Als die Reflexionen über die Termini muḥkamāt und mutašābihāt noch an ihren Anfängen standen, hatten die Erklärungen meist einen juristischen Fokus gehabt. ʿAbd ar-Razzāq erklärte die muḥkamāt als die Verse, auf deren Grundlage Handlungen ausgeführt werden sollen.62 Für Muğāhid sind es die Verse von ḥalāl und ḥarām.63 Sufyān aṯ-Ṯawrī identifiziert die muḥkamāt mit den abrogierenden Versen (nāsiḫ).64 Dieser Trend der juristischen Auslegung wird fortgesetzt, wenn man die muḥkamāt als umm al-kitāb und die mutašābihāt als die restlichen Verse erklären will. Kommentatoren erklären umm al-kitāb als die eindeutigen Verse, die als Fundament des Buches die Glaubenspfeiler (ʿimād ad-dīn) darstellen und die islamischen Pflichten (al-farāʾiḍ) Strafen (ḥudūd) enthalten und alles, wessen die Gläubigen in ihrem Dies- und Jenseits bedürfen und wozu sie verpflichtet sind.65 Während für die muḥkamāt Äquivalente unter semantischen Bezeichnungen gefunden wurden, wurden die mutašābihāt in der frühen Exegese nicht regelmä-

60 Ebd. Siehe auch Ibn ʿAṭiya, 177 und Ibn al-Ğawzī Abū al-Farağ. Zād al-masīr fī ʿilm at-tafsīr. Bd. 1 (1964): 351. 61 Wansbrough. Quranic Studies, 151. 62 Ebd. 63 Tafsīr Muğāhid, Bd. 1, 121. 64 Sufyān aṯ-Ṯāwrī, Tafsīr, hg. v. Imtyāz ʿAlī Arši. Beirut, 1983, 75. 65 aṭ-Ṭabarī, hg. v. Maʿrūf und al-Ḥaristānī, Bd. 2 (1994): 212.

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ßig in einem gekoppelten Verhältnis mit den muḥkamāt definiert.66 Als aṭ-Ṭabarī seine restriktive Interpretation der mutašābihāt einbrachte, wonach diese in den getrennten Anfangsbuchstaben (al-fawātiḥ al-muqaṭṭaʿa) den sogenannten „mysteriösen Buchstaben“ zu sehen sind, und den Rest des Korans muḥkam beschrieben hat, markierte er damit eine Zäsur in der Auslegungsgeschichte dieses Verses. Die Zäsur wurde damit erreicht, dass man die muḥkam- und mutašābih-Begriffe als entgegengesetzte taxonomische Kategorien zur Beschreibung des Korantextes benutzt hat.67 Die Diskussionen unter den Exegeten richteten sich dann darauf, wie man am besten durch Unterscheidungen und Kennzeichnungen des koranischen Inhalts dieser koranischen selbstgegebenen Kategorisierung Rechnung trägt. Nach diesem bedeutenden exegetischen Einschnitt erfolgte eine Verschiebung der Perspektive. Das Anliegen der Exegese wendete sich von der Taxonomie zur Hermeneutik. Genre-Klassifikation machte den Raum für Kategorisierung nach exegetischem Potenzial frei.68 Diese Verschiebung im Post-Ṭabarī-Kommentar ist überzeugend aufgrund der Tatsache, dass die meisten Exegeten eine Interpretation des muḥkam/mutašābih als einen hermeneutischen Begriff unterstützten.

4 Ein- und Mehrdeutigkeit bei Muqātil und ar-Rāzī Der Vers (3:7) wurde wesentlich als eine taxonomische Direktive behandelt. Die Tafsīr-Literatur zu dieser Stelle konzentriert sich auf das große Potenzial ihrer Intertextualität, da sie zu literarischer Annäherung anregt. Einige muslimische Exegeten haben in diesem Vers eine starke interreligiöse Intertextualität festgestellt, wodurch eine Verbindung zwischen dem Koran und früheren religiösen Schriften hergestellt werden kann. Eine Verbindung, die über die kanonisch vorgeschriebenen Grenzen des Buches hinausgeht und als solche eine Brücke zu anderen heiligen Schriften baut. Muqātil ibn Sulaimān war einer der frühesten Exegeten, der den koranischen Text innerhalb der weitgefassten Literatur der „interreligiösen“ Schrift-Offenba-

66 McAuliffe. Text and Textuality, 58. 67 Ebd. 59. Vgl. auch McAuliffe, Dammen Jane. „Qur’anic Hermeneutics. The Views of al-Tabari and Ibn Kathir.“ In Approaches to the History of the Interpretation of the Qur’an, hg. v.  a. Rippin. Oxford: Clarendon Press, 1988, 46–62. 68 McAuliffe, Text and Textuality, 59.

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rung einordnete. Diese intertextuelle Verbindung zu frühen Offenbarungstexten eröffnet nach Muqātil andere semantische Horizonte, welche eine gewisse Offenbarungskontinuität vorweisen. Um diese exegetischen Überlegungen zu verstehen, ist es nötig kurz seine Ansicht zu Vers (3:7) vorzustellen. Muqātil öffnete seine Kommentierung mit der Erwähnung des Offenbarungsanlasses (sabab an-nuzūl) bezüglich der Christen von Nağrān und richtete damit den Fokus der Interpretation auf die durch die islamische Offenbarung ausgelösten christlich-jüdischen Kontroversen. Als er auf die muḥkamāt als umm al-kitāb zum Sprechen kam, stellte er eine direkte Verbindung zur wohlbewahrten Tafel (al-lawḥ al-maḥfūẓ) her69. Die muḥkamāt als Bestandteil der ewig bewahrten Tafel werden im Koran hauptsächlich in den in Versen (6:151–153) identifiziert, die religiös-ethische Normen und allgemeine rechtliche Bestimmungen formulieren. Diese Normen gelten als ein fester Bestandteil sämtlicher religiöser Offenbarungen an die Menschen,70 da Gott den Menschen aller Religionen und Völker die gleichen Gebote vorgeschrieben hat.71 Nach Muqātil wurden diese Normen in keinem der heiligen Bücher abrogiert, da sie ein Offenbarungsfundament sind (aṣl al-kitāb). Diese Meinung finden wir auch bei al-Kalbī.72 Die Referenz von Kalbī zum muḥkam als Abrogationsprinzip impliziert den mutašābih als abrogiert und er schreibt diese Meinung Ibn ʿAbbās zu, womit schließlich der Anwendungsbereich des mutašābih beträchtlich ausgeweitet wird. Abu ʿUbayd (gest. 224/838) war in seiner Abhandlung zur Abrogation73 ausführlicher bei der Besprechung von Ibn ʿAbbās obiger Ansicht. Demnach definiert Ibn ʿAbbās die muḥkamāt als die abrogierenden Verse und solche, die Vorschriften zum Erlaubtem und Verbotenem (al-ḥalāl wa al-ḥarām) enthalten, sowie als Verse, an die geglaubt werden muss und die als Handlungsorientierung gelten.74

69 Aṣl al-kitāb ist als Synonym für umm al-kitāb zu verstehen, was wiederum auf die Niederschrift in der ewigen wohlbewahrten Tafel hinweist. Diese Vorstellung von der wohlbewahrten Tafel als die Urschrift und die Quelle aller Schriften wird auch bei dem muʿtaziliten Abū al-Huḏail und in einer geänderten Form bei Ibn Kullāb im Zusammenhang mit der theologischen Kontroverse über das Wesen der Gottesrede als Attribut diskutiert. 70 Wansbrough, Quranic Studies, 149. 71 Muqātil, b. Sulaimān Ibn-Bišr al-Balẖī, Abū al-Ḥasan. Tafsīr al-ḫams miʾat āya mina l-Qurʾān. Bd. 1 (1980), hg. v. Isaiah Goldfeld, 264. Dār al-Mašriq. 72 Wansbrough, Quranic Studies, 149 (siehe dort auch die Fußnote 5: Tafsīr, MS Ayasofya 118, 29). 73 Abū ʿUbaid, al-Qāsim b. Sallām. Kitāb an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ. (MS. Istanbul, Topkapi, Ahmet III A 143, hg. v. John Burton. Cambridge: E. J. W. Gibb Memorial Trust, 1987. 74 ‫قال (ابن عباس) المحكمات ناسخه و حالله و حرامه و فرائضه و ما يؤمن به و يعمل به و المتشابهات منسوخه و‬ ‫ مقدمه و مؤخره و أمثاله و أقسامه و ما يؤمن به و ال يعمل به‬Abū ʿUbayd, Kitāb an-Nāsiḫ wa al-Manṣūḫ, 4.

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Muqātil setzte mit dieser Interpretation einen Offenbarungskern ein, der für alle vorislamischen abrahamitischen Buchreligionen relevant ist. Apologetische und polemisch exklusive Erklärungsmuster, vor allem solche, die den Abrogationsansatz (nasḫ) im Sinne einer radikalen Aufhebung der dem Islam vorangegangenen religiösen Traditionen verstehen und bedienen, scheinen bei Muqātil in den Hintergrund zu geraten. Anders als Abū ʿUbayda und Muğāhid schränkt Muqātil die Bedeutung von mutašābihāt auf die vier Buchstabenkombinationen, die am Anfang von dreizehn koranischen Suren stehen, ein.75 Der Bezug wird nicht auf alle Eröffnungsbuchstaben genommen sondern nur auf einige davon. As-Suyūṭī, wie wir später sehen werden, thematisiert in diesem Kontext die Geschichte des Propheten mit den Juden, die in diesen mysteriösen Buchstaben eine geheime Botschaft über die Fortdauer der muslimischen Gemeinschaft sehen wollten und ihn dazu befragt haben. Das Verständnis Ibn Muqātils von taʾwīl geht mit diesem Kontext einher. Muqātil legt taʾwīl nicht im Sinne hermeneutischer Deutung aus, sondern einfach als den Ausgang oder das Endstadium der Welt (al-muʾawwal). Konsequenterweise vertritt er den Standpunkt, dass niemand außer Gott den so definierten taʾwīl in Erfahrung bringen kann.76 Dieser weitgefassten „interreligiösen“ Schrift-Hermeneutik bleibt Muqātil treu, wenn er die ar-rāsiḫūna fī l-ʿilmi nicht als die muslimischen Gelehrten, wohin sich der spätere exegetische Konsens entwickelte, sondern als den jüdischen Thorah-Gelehrten ʿAbdallāh b. Salām identifiziert haben will. Unter seinesgleichen aus der frühen Exegeten-Generation war er der Einzige mit dieser Meinung.77 Auch ar-Rāzīs Kommentierung zum mutašābih-Vers steht in der Tradition von Ibn Muqātils Verständnis von Offenbarung als eines überreligiösen Kontinuums. Interessant bei ar-Rāzī ist vor allem der Punkt, dass er sich von der herrschenden Annäherung zu den muḥkamāt und mutašābihāt als radikal entgegengesetzte Kategorien distanzierte. Seiner Lesart folgend können die beiden Begriffe durchaus als einander ergänzend betrachtet werden und nicht nur als entgegengesetzte Kategorien. Nachdem er einige überlieferte Traditionen zum muḥkam und mutašābih erwähnt, stellt er fest, dass sowohl die muḥkamāt wie auch die mutašābihāt göttliche Gebote darstellen (at-takālīf al-wārida mina Allāh). Er teilt diese Gebote an die Menschheit in zwei Teile auf. Die ersten sind die muḥkamāt, sie enthalten grundlegende Gebote, wie die in den Versen (6:151–153) und (17:23– 25) formuliert sind. Als solche lassen sie sich in jeder Buch-Religion wiederfinden,

75 Gemeint sind: „alif lām mīm“, „alif lām mīm ṣād“, „alif lām mīm rāʾ“, „alif lām rāʾ“. 76 Tafsīr Muqātil, Bd. 1, 264. 77 McAuliffe. Text and Textuality, 61.

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sie sind daher absolut und unveränderlich, wie etwa das Gehorsamsgebot gegenüber Gott und die Pflicht, sich vor Unrecht, Betrug und Mord zu hüten. Der andere Teil, die mutašābihāt differenzierte sich dagegen von Religion zu Religion, und ist aufgrund dessen relativ und veränderlich. Die mutašābihāt beschäftigen sich mit praktischen Aspekten des Glaubens, wie der Anzahl und Art der Gebete und des Fastens, der Regelung der Ehe, der Höhe der zu vergebenden Almosen oder partikularen Regelungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Die Erklärung von ar-Rāzī geht so weit und impliziert, dass die mutašābihāt in ihren Einzelheiten ein Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Islam und anderen Buch-Religionen bilden. Muḥkamāt formulieren dagegen Glaubensgrundsätze, die auch für andere Religionen gelten, demzufolge können diese im Allgemeinen als frömmigkeitsrelevant definiert werden, während die mutašābihāt überwiegend das spezifische muslimische Ritual betreffen. Wenn wir ar-Rāzī folgen, können wir nicht mehr von zwei entgegengesetzten Gruppen von Versen sprechen, bei denen die eine höher als die andere zu bewerten ist, noch können wir sie in juristische oder andere Kategorien aufteilen. Nach dieser Logik macht eine Unterscheidung zwischen Versen zur Lebensführung des Gläubigen und Versen, die solche Gebote nicht haben, keinen Sinn. Auch ist die Identifizierung des nāsiḫ mit dem muḥkam und des mansūḫ mit dem mutašābih wenig hilfreich. Die Unterscheidung erfolgt bei ar-Rāzī allein aufgrund von zwei verschiedenen Arten von religiösen Pflichten, die sich gegenseitig ergänzen. In diesem Sinne sind sich beide Koranexegeten darin einig, dass es Offenbarungsinhalte gibt, die für alle Religionen gültig sind. Diese werden als die muḥkamāt identifiziert. Dagegen wird der Teil der Offenbarung, der nur für eine spezifische Religion gilt, durch die mutašābihāt zum Ausdruck gebracht.78

5 Ambiguität im Koran und die Frage der Abrogation Eine andere Auslegung der Gegenüberstellung von muḥkamāt und mutašābihāt ist die Ausweitung der Bereiche, wofür die beiden Begrifflichkeiten stehen. Eine geläufige vergleichende Definition der muḥkamāt ist: „sie sind abrogierende Verse (nāsiḫāt) des Korans, die Vorschriften zum Erlaubten und Verbotenen, zu den Strafverordnungen (ḥudūd) und Ritualpflichten enthalten und die Verse, an

78 ar-Rāzī, Bd. 7, 183.

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die geglaubt werden sollte“79. Mutašābihāt dagegen, sind „die abrogierten Verse (al-mansūḫāt), die nicht verstanden werden können, ohne ihre Wort-Ordnung zu ändern (muqaddam wa muʾaḫḫar), Verse, die Gleichnisse (amṯāl) und Schwüre (aqsām) beinhalten, Verse an die man glauben sollte aber nicht danach handeln bräuchte (‫“)يؤمن به وال يعمل به‬, also Verse, die keinen normativen Charakter aufweisen.80 Diese Gegenüberstellung zeigt, dass die muḥkamāt oft im handlungspraktischen juristischen Feld verortet werden.81 Obwohl Vers (3:7) nicht als Kriterium zur Unterscheidung zwischen dem nāsiḫ und mansūḫ benutzt wird, werden diese beiden Termini zur Differenzierung zwischen muḥkam und mutašābih herangezogen. Diese Differenzierung sollte daher als eine Option wahrgenommen werden, um das Problem der Mehrdeutigkeit im Zusammenhang mit der Abrogation in der normativen Koran-Hermeneutik näher zu analysieren. Auch wenn der Grund für diese Differenzierung in den vielen Definitionen nicht explizit angegeben wurde,82 haben einige Exegeten sich um eine Erklärung der Verbindung zwischen dem muḥkam und mutašābih und dem nāsiḫ und mansūḫ bemüht. Nach al-Farrāʾ (gest. 207/822) sind die muḥkamāt diejenigen Verse, die das Erlaubte und Verbotene erklären und die nicht abrogiert worden sind.83 Dies bedeutet, dass die muḥkamāt aufgrund ihrer Klarheit im rechtlichen Bereich von entscheidender Bedeutung sind und nicht aufgehoben oder ersetzt werden können. Die abrogierten Verse werden dagegen mutašābih genannt, weil sie in der Art wie sie gelesen werden, dem muḥkam zwar ähnlich sind, sich aber hinsichtlich ihres normativen Bestimmungscharakters unterscheiden. As-Suyūṭī bezeichnet den mansūḫ auch als mehrdeutigen Vers. Ihm zufolge, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, einen Zusammenhang zwischen einem klaren und abrogierenden Vers (nāsiḫ) und einem unklaren und abrogierten Vers zu finden.

79 al-Baġwī, Bd. 1, 320 80 al-Itqān, Bd. 1, 13–16. 81 ‫ المنسوخات‬,‫ المتروك العمل بهن‬,‫ و المتشابهات من آيه‬,‫ و هن الناسخات أو المثبتات األحكام‬,‫ المعمول بهن‬,‫المحكمات‬ aṭ-Ṭabarī, hg. v. Maʿrūf und al-Ḥaristānī. Bd. 2 (1994): 213. 82 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, S. 149. Diese Frage, wie sie auch Naṣr Ḥamīd Abū Zaid gestellt hat, warum bei den Korankommentatoren die Tendenz herrschte jede Vielfalt (iḫtilāf) im Korantext in Verbindung mit der Abrogation erklären zu wollen, scheint in diesem Kontext berechtigt zu sein. Für Abū Zaid führte dies zu einer Vermischung in den Instrumentarien sprachlicher Differenzierung (at-Taḫṣīṣ al-luġawī). Diese Verlegenheit der Exegeten führte Abū Zaid auf den Umstand zurück, dass die Bestimmung der Kategorien nāsiḫ und mansūḫ in der Korangelehrsamkeit eine komplizierte Thematik war. Seiner Ansicht nach sollte die Frage der Abrogation nicht zu sehr auf den Text bezogen werden, also weniger im Sinne der Aufhebung von Textstellen betrachtet werden und stärker auf die hermeneutische Normsetzung fokussiert werden. Vgl. Abū Zaid, Naṣr Ḥāmed: Mafhūm an-Nas. Dirāsa fī ʿUlūm al-Qurʾān, 121  ff. 83 ‫ مبينات للحالل و الحرام و لم ينسخن‬al-Farrāʾ, Abū Zakariyya. Maʿānī al-Qurʾān. Bd. 1 (³1983): 190.

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Maḥmūd al-Alūsī (1802/1854) der irakische hanafitische Gelehrte, beschränkt sich auf die Anmerkung, dass der muḥkam ein klarer Vers ist, bei ihm eine Abrogation unwahrscheinlich ist ‫ال يحتمل النسخ‬. Diese Annahme wurde vor ihm schon von al-Farrāʾ, al-Ğaṣṣāṣ und as-Suyūṭī vertreten. Al-Māturīdī (gest. 333/944), der Begründer der maturidischen Theologie, erklärt in seinem theologisch reflektierenden Taʾwilāt-Kommentar die muḥkamāt ebenfalls als die abrogierenden Verse, wonach sich das Handeln richten soll. Die mutašābihāt dagegen sind die abrogierten Verse (mansūḫāt), die nicht als Grundlage für das Handeln dienen sollen, was seiner Meinung nach die Auffassung von Ibn ʿAbbās ist.84 Nach al-Ğaṣṣāṣ (gest. 370/981) z.  B. stellen überlieferte Salaf-Meinungen, wie die von Ibn ʿAbbās vom muḥkam und mutašābih im Sinne der Abrogation nur ein Aspekt des muḥkam und mutašābih dar, da diese Meinung andere Aspekte dieser Dichotomie nicht ausschließt. Es ist anzunehmen, dass die abrogierenden Verse aufgrund ihrer Bestimmtheit, Festigkeit und Verlässlichkeit muḥkamāt genannt werden, so wie bei den Arabern ein solider Bau oder ein festgemachter (waṯīq) Knoten muḥkam genannt werden. Al-mutašābih wird dagegen mansūḫ genannt, weil er dem muḥkam in der Rezitation ähnlich klingt, sich aber von ihm hinsichtlich seiner Bestimmung (ḥukm) unterscheidet.85 Die Abrogation ist bei al-Ğaṣṣāṣ ein historisch bedingtes Prinzip, da der Abrogierende chronologisch später erfolgt und dem Abrogierten in der Zeit ein Ende setzt. Eine Verwechselbarkeit zwischen den beiden sollte bei einem Sachkundigen, der von dem rechtsmethodischen Status beider Normen Kenntnis hat, in der Regel nicht vorkommen. Der Koran- oder der Uṣūl-Gelehrte verfügt über das Wissen von abrogierenden und abrogierten Versen und würde hinsichtlich ihrer Form oder ihrer Rechtskraft nicht in einen Zustand der Verwechselung kommen. Wenn der Leser kein Wissen vom Wesen der Abrogation hat, dann kann er folglich auch nicht bestimmen, welche Verse abrogiert worden sind und welche an ihre Stelle eingetreten sind. Konsequenterweise kann er auch nicht behaupten, dass die ersten eindeutig sind und die anderen als mehrdeutig zu bestimmen sind.86

84 Al-Māturīdī, Abī Mansūr Muḥammad b. Muḥammad. Taʾwīlāt ahl as-sunna, Bd. 2 (2005): 303, hg. v. Maǧdī Bāslūm. 85 ‫و جائز أن يسمى الناسخ محكما ألنه ثابت الحكم(…) و يسمى المنسوخ متشابها من حيث أشبه في التالوة المحكم و خالفه‬ ‫ في ثبوت الحكم‬al-Ğaṣṣāṣ, Abū Bakr Aḥmad ibn ʿAlī ar-Rāzī. Aḥkām al-Qurʾān, hg. v. Muḥammad aṣ-Ṣādiq Qamḥāwī, Bd. 2 (1996): 281. 86 Ebd., Bd. 2, 282.

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6 Ambiguität und intertextuelle Referentialität nach al-Ğaṣṣāṣ Die Überlegungen von al-Māturīdī zum Verhältnis zwischen mutašābihāt und muḥkamāt weisen große Gemeinsamkeiten mit denen des Muʿtazilten al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār auf. Denn auch al-Māturīdī geht von der letztendlichen Erklärbarkeit mehrdeutiger Verse mittels ihrer Referentialität zu den eindeutigen aus.87 In diesem referentiellen Verhältnis zwischen muḥkam und mutašābih sehen viele Exegeten einen zentralen hermeneutischen Stützpunkt. Auch al-Ğaṣṣāṣ betrachtet diese Beziehung als zentral für jede koranische Exegese, stellt allerdings fest, dass dadurch nicht jede mögliche Bedeutung oder alle Aspekte koranischer Mehrdeutigkeit entlarvt werden können. Das Verfahren der Referentialität umfasst sowohl rationale Begründung (ʿaql) als auch den Verweis auf die Text-Autorität (samʿ). Das rationale Argument bedeutet nach al-Ğaṣṣāṣ aber nicht eine ungezügelte Anwendung freier Vernunft, sondern die rationale Anwendung der Gelehrtentradition.88 Der Inhalt des Verses gibt nach al-Ğaṣṣāṣ einen klaren Hinweis zur Pflicht der Bezugnahme von den mehrdeutigen auf die eindeutigen Verse. Er konkretisiert, dass die Bezugnahme auf die Bedeutung der letzten und nicht auf eine ihr widersprechende Bedeutung zielen darf, da nur die eindeutigen Verse das Fundament des Buches sind.89 Wenn man auf seine Definition des Eindeutigen und Mehrdeutigen zurückgeht, dann finden wir, dass sie in einem adäquaten Verhältnis zu diesem Konzept der Referentialität steht. Nach al-Ğaṣṣāṣ verträgt das Eindeutige als Ausdruck (lafẓ) keine Assoziation (ištirāk) mit anderen und er vermittelt dem Rezipienten eine einzige Bedeutung. In dieser semantischen Erklärung liegt schließlich der Grund für die Autorität des muḥkam gegenüber dem mutašābih. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kommt al-Ğaṣṣāṣ zum Ergebnis, dass die Interpretation des mutašābih im Vers im Sinne der sprachlichen Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks zu verstehen ist, der für verschiedene Bedeutungen offen ist und der auf eine einzige, eindeutige Bedeutung zurückzuführen ist.90 Die Beschreibung des Korans als mutašābih deutet aber nicht auf die Mehrdeutigkeit des ganzen Korans, sondern auf die Ähnlichkeit und die Widerspruchsfreiheit, die ihm zugrunde liegt.91 Mit Bezug auf Ğābir ibn ʿAbd Allāh

87 Ebd., Bd. 2, 305. 88 Wansbrough, Quranic Studies, 151. 89 ‫مضمون هذه اآلية و فحواها من وجوب رد المتشابه الى المحكم و حمله على معناه دون حمله على ما يخالفه‬ al-Ğaṣṣāṣ, Aḥkām al-Qurʾān, Bd. 2, 282. 90 al-Ğaṣṣāṣ. Aḥkām al-Qurʾān, Bd. 2, 282. 91 Ebd. Bd. 2, 281

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erklärt al-Ğaṣṣāṣ, dass bei dem muḥkam Erkenntnis über seine Auslegung vorhanden ist, während diese bei dem mutašābih fehlt. Diejenigen, in dessen Herzen Abweichung (zayġ) enthalten ist, missachten das Gebot, nicht bloß weil sie nach der Deutung der Mehrdeutigkeit trachten, sondern weil sie es tun, ohne dabei das Mehrdeutige auf die eindeutige Bedeutung (das Fundament des Buches) zurückführen.92 Nach al-Ğaṣṣāṣ kann aus dem Vers auf keinen Fall eine Verwerflichkeit der Interpretation abgeleitet werden. Ganz im Gegenteil, eine Aussetzung der Interpretation im Sinne intertextueller Referentialität und Rückführung des Mehrdeutigen auf die Eindeutigkeit, stellt eine klare Missachtung des Gebots der Selbstreferentialität der Offenbarungschrift dar.

7 Ambiguität und der Selbstwert erkenntnis­ theoretischer Durchdringung des Korans Ein weiteres Feld hermeneutischer Auseinandersetzung mit den mutašābihāt in Verbindung mit (3:7) bildet die Frage nach den erkenntnistheoretischen Zugänglichkeitsformen zum koranischen Text und ihrer Grenzen. Hier ringen die Erklärungskonzepte hauptsächlich mit der Frage nach den verschiedenen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten, derjenigen, die den Koran rezipieren. Anders formuliert, geht es um die erkenntnistheoretische Durchdringung der Heiligen Schrift und den Selbstwert einer solchen Arbeit seitens des Exegeten.93 Die Vorstellung von Schriftexegese als einer im Offenbarungstext göttlich formulierten Aufgabe erfuhr einen beachtlichen Vorschub durch die wissenschaftliche Ausarbeitung von interpretativen Fragen und Methoden. Die Kontroverse um den Buchstaben wāw im besagten Vers ob er die Funktion einer satzbeginnenden Präposition (wāw al-ibtidāʾ) oder einer konjunktiven Satz-verbindenden Präposition (wāw al-ʿatf) ausführt, zielt letztendlich auf die erkenntnistheoretische Frage: haben neben Gott auch die im Wissen fest Verankerten die Kenntnis der Bedeutung und Interpretation der mutašābihāt-Verse? Für Wansbrough steht diese Frage als Symbol für das Problem der Grenzen exegetischer Arbeit.94 Abū ʿUbaida bringt in seiner Erklärung der „ar-rāsiḫūna fī l-ʿilmi“ Spiritualität und Gelehrsamkeit zusammen. Für ihn sind diese nämlich diejenigen, die nicht

92 ‫ فوصف متبع المتشابه من غير حمله له على معنى المحكم بالزيغ في قلبه‬ebd. Bd. 2, 281 93 McAuliffe. Text and Textuality, 61. 94 Wansbrough. Quranic Studies, 152.

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nur im Wissen, sondern die auch in der Frömmigkeit verankert sind.95 Schriftexegese hat damit nicht nur einen Erkenntniswert, sie bringt vielmehr einen spirituellen Mehrwert für die Schriftgelehrten mit sich. Die Pflicht zum Studium und Eintauchen in die religiösen Wissenschaften wurde aus der Vorbildfunktion der im Wissen fest Verankerten „ar-rāsiḫūna fī l-ʿilmi“ in (3:7) abgeleitet; von der Streitfrage ob die im Wissen Verankerten die Mehrdeutigkeit im Gotteswort auszulegen wissen oder nicht, ganz abzusehen. Das Beharren auf eine syntaktische Disjunktion für den wāw bei as-Suyūṭī war ein Zugeständnis dafür, dass letztendlich nicht jeder Aspekt der vielfältigen Bedeutungen der mutašābihāt aufgedeckt werden kann.96 Der Autor (Gott) behält sich auf diesem Weg Raum für das Mysterium der Offenbarung. Ibn Qutaiba war laut McAuliffe, einer der ersten, der den epistemologischen Sinn hinter der koranischen Ambiguität im Vers (3:7) offen thematisierte, als er sich zu Anfang des mutašābih-Kapitels in seinem „taʾwīl muškil al-Qurʾān“ (die Deutung des schwerverständlichen Qurʾāns) die Frage stellte: „was könnte durch die Herabsendung von Mehrdeutigem im Koran für eine Absicht verfolgt worden sein, wo doch Allah [durch sein Buch] für seine Untertanen die Rechtleitung und Offenbarung anstrebte?“97 Seine Antwort darauf lautete: „der Koran ist im Wortlaut und in den Bedeutungen der Araber herab gesandt worden, und pflegte ihre gleiche Art in der Verkürzung, Zusammenfassung und Ausführlichkeit (…)“, aufgrund dessen war er in einigen Stellen deutlich und prägnant und in anderen Stellen vage und unklar. So die Antwort von Ibn Qutaiba. Wäre der Koran darüber hinaus in seiner Gesamtheit klar und seine Gedanken und Botschaften für jeden offenkundig, sodass darin der Wissende und Unwissende gleich wären, so gäbe es keinen Unterschied und kein Überlegenheitsstreben (tafādul) zwischen den Menschen.98 Die Schlussfolgerung von McAuliffe, wir hätten es hier mit einem antiegalitaristischem Argument zu tun99, muss an dieser Stelle zurückgewiesen werden. Die Gleichheit bzw. Ungleichheit oder die Unterscheidbarkeit der Menschen hinsichtlich ihrer intellektuellen Fähigkeiten spielt hier nur am Rande eine Rolle. Ferner zielt Ibn Qutaibas Argument nicht darauf ab, in den Koran eine Legitimierung von Überlegenheitsansprüchen gelehrter und auserwählter Gruppen hineinzulesen, sondern einfach auf die intellektuelle Beschäftigung mit

95 Abū ʿUbayda, Mağāz al-Qurʾān, Bd. 1, 86. 96 as-Suyūṭī, Itqān. 97 Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad. Taʾwīl muškil al-Qurʾān, hg. v. as-Saiyid Aḥmed Ṣaqr, Kairo 1973, 86. 98 Ebd. 99 „He then makes an argument that strikes at the heart of contemporary egalitarianism“, McAuliffe. Text and Textuality, 61.

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der Schrift und den Vorzug des Wissens gegenüber dem Unwissen als Wert an sich hinzuweisen. Ein Wert und ein Vorzug, wozu im Allgemeinen alle Menschen gleichermaßen imstande sind. Ibn Qutaiba untermauert seine Überlegungen mit einem wissenstheoretischen Argument, wonach: jeder Wissenszweig sich in einen einfachen allgemeinen und einen schweren spezifischen Teil gliedert, damit jeder Studierende in den verschiedenen Schwierigkeitsstadien allmählich voranschreitet, bis er sein höchstes Stadium erreicht. Da hebt sich dann der Gelehrte durch seine Reflexion ab und zeichnet sich durch seine Innovation aus. Gott belohnt ihn dann auch zu seiner gut ausgeführten Perfektion. Andererseits, wenn jede Wissenschaft sich auf eine einzige Sache reduzieren ließe, dann würde es keinen Gelehrten und keinen Studierenden und nichts Verborgenes und nichts Offenkundiges geben, denn die Vorzüge einer Sache lassen sich durch ihren Gegensatz erfahren. So wird das Gute durch das Böse erkannt und das Gesunde durch das Schädliche, und das Süße durch das Bittere (…).100

Der Erklärungsbedarf seitens der Exegeten für das Vorliegen der Mehrdeutigkeit im Koran betraf nicht nur die sunnitische Koranexegese. Man kann sogar von einer šiʿitisch-sunnitischen Differenzierung hinsichtlich der Ambiguitätsfrage reden, denn Šīʿa-Exegeten tendierten im Allgemeinen dazu, die Verständlichkeit von muḥkamāt-Versen in Kontrast zu den erklärungsbedürftigen und letztendlich erklärbaren Mutašābihāt zu setzen.101 ʿAlī b. Ibrāhīm al-Qummī (4./10. Jh.) zum Beispiel macht in seiner muḥkam-Definition eine Unterscheidung zwischen Offenbarungsherabsendung (tanzīl) und Offenbarungsauslegung (taʾwīl). Muḥkam danach ist das, was „dessen taʾwīl mit seinem tanzīl identisch ist“ und impliziert dadurch, dass es bei den mehrdeutigen Versen zu einer Abweichung vom wortwörtlichen Text der Herabsendung auf der Ebene seiner Auslegung kommen könnte. Auch die Nachfolger von al-Qummī wie aṭ-Ṭūsī (460/1067) und al-Faḍl aṭ-Ṭabarsī (548/1153) betrachten diese letztgenannten im Endeffekt als erklärbar. Sie benötigen zwar eine stützende Argumentation aufgrund ihrer vielfältigen Bedeutung, sind aber letztendlich nicht unerklärbar. Auch der Zwölfer-Šiʿīt aṭ-Ṭūṣī stellte einige exegetische Standard-Rechtfertigungen für das Vorliegen der Mehrdeutigkeit im Koran vor. Einer der wichtigen Gründe sieht er in der Notwendigkeit, die für den Wissenserwerb nötige Forschung anzuregen, ohne die wir vor ungeprüften Behauptungen stehen würden.

100 Ibn Qutaiba, ebd. 101 Ebd. Siehe auch. ʿAlī b. Ibrāhīm al-Qummī. Tafsīr, hg. v. Ṭayyib al-Mūsawī al-Ğazāʾirī, Bd. 1 (1824): 96. Im Original heißt es: ‫ المحكم من القرآن هو ما تأويله في تنزيله‬al-Qummī gibt damit eine juridische Erklärung. Die Beispiele die er dafür zitiert, sind Aḥkām-Verse wie der Vers der rituellen Waschung Vers (5, 6) und das Inzest-Verbot in Vers (4, 23).

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Ohne kritische Reflexion können wir nicht wissen, ob alles, was über den Propheten überliefert wurde, wahr ist. Es würde dann die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass es sich dabei um eine unechte Überlieferung, eine Lüge handelt.102 An diesem Punkt werden die erkenntnistheoretischen Gemeinsamkeiten zwischen der schiʿitischen und der muʿtazilitischen Koranhermeneutik deutlich. Auch für den muʿtaziliten al-Qādī ʿAbd al-Ğabbār müssen religiöse Texte rational-kritische Verifizierung durchlaufen, um als wahr zu gelten.103 Nicht nur in diesem Punkt, sondern durch die ganze Lektüre von Tūṣīs Exegese zum mutašābih-Vers ist die frappierend ähnliche Argumentationslinie zu Qādī ʿAbd al-Ğabbār nicht zu übersehen. Ein zweiter Grund, den aṭ-Ṭūsī mit Ibn Qutaiba teilt, liegt in der Wichtigkeit einer Gelehrtenexpertise, denn ohne die Mehrdeutigkeit würde es keine Abstufungen bei der hermeneutischen Bewältigung des Korans geben und jeder Arabisch-Sprechende wäre, so gesehen, ein Korangelehrter.104 Im Gegensatz hierzu, ist die sunntische Exegese-Tradition bei der Beurteilung der letztendlichen Erklärbarkeit der mutašābihāt unentschlossen. Ibn Kaṯīr beschränkt sich auf die Bemerkung, dass die mutašābihāt solche Verse sind, hinsichtlich ihrer Bedeutung viele Menschen Zweifel empfinden.105 Az-Zamaḫšarī erklärt die mutašābihāt als verwechselbare (mutašābihāt) und Wahrscheinlichkeit-behaftet (muḥtamilāt), im Gegensatz zu den muḥkamāt die er von Verwechselbarkeit und Wahrscheinlichkeit freispricht.106 Er stellt dann die Frage, wieso der Koran nicht einfach in seiner Gesamtheit eindeutig ist? Und formuliert darauf eine Antwort, die der vor ihm unter den Exegeten einheitlich vertretenen Meinung entspricht, so schreibt er: Wenn der ganze Koran eindeutig wäre, dann würden die Menschen aufgrund seiner Einfachheit umso leichter in seine Abhängigkeit fallen und sie würden dann alles meiden, dort wo sie genötigt sind, sich durch eigene Forschung und Reflexion anstrengen zu müssen. So würden sie sich den einzigen Weg zu Gotteserkenntnis und der Erkenntnis seiner Einheit versperren. Dazu stellt das Mehrdeutige eine Prüfung (ibtilāʾ) zur Unterscheidung dar, zwischen demjenigen, der auf das Wahre beharrt und dem, der sich leicht davon abbringen lässt. Es hat einen besonderen Wert, wenn die Gelehrten sich mühen, seine Bedeutungen herauszuarbeiten und auf das Eindeutige zurückzuweisen. Diese edlen Vorzüge und wert-

102 At-Tūsī, Abū Ğaʿfar Muḥammad ibn al-Ḥasan. at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, hg. v. Al-ʿĀmilī, Aḥmad Ḥabīb, o.  J. Dār Iḥiyāʾ aṯ-ṯurāt al-ʿArabī, Beirut. Bd. 2, 396. 103 Siehe dazu vom gleichen Verfasser. Muʿtazilitische Koranexegese. Unter besonderer Berücksichtigung der Diskussion um den Mutašābih-Begriff. 104 Aṭ-Ṭūṣi. at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 2, 396. 105 Ismāʿīl b. Kaṯīr. Tafsīr al-Qurʾān al-ʿāẓīm, Bd. 2 (1970): 5. 106 Az-Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar. al-Kaššāf ʿan ḥaqāʾiq at-tanzīl wa- ʿuyūn al-aqāwīl fi wuğūh at-taʾwīl, hg. v. Ḫalīl Maʾmūn šiha, Beirut, 2009, 161.

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vollen Erkenntnisse bringen hohe Belohnung bei Gott. Der im Glauben Gefestigte hat Gewissheit darüber, dass die Rede Gottes nicht widersprüchlich (munāqaḍa) und abweichend (iḫtilāf) ist, wenn sie in ihrem Wortlaut (zāhir) widersprüchlich klingt. Er eignete sich das nötige Wissen an, womit er die Kohärenz wiederherstellt und sie auf eine Linie bringt, er überlegte und recherchierte bei sich und den anderen bis sich Gottesgnaden ihm offenbarte und zur Erklärung der Übereinstimmung zwischen der Mehr- und Eindeutigkeit gelangte. Dies gibt ihm mehr Ruhe über seinen Glauben und stärkt darüber seine Überzeugung.107

Hier wird die Mehrdeutigkeit als eine Erkenntnisform erklärt, die im Kontrast zu der Eindeutigkeit einen besonderen Nutzen für den Gläubigen hat, nämlich den Nutzen der Gotteserkenntnis und die Erkenntnis seiner Einheit, die im muʿtazilitischen Kontext ohne rationale Reflexion unmöglich ist. Hier wäre es erwähnenswert anzumerken, dass az-Zamaḫšarī seinen Muʿtazilismus durch diesen Standpunkt, kritische Reflexion als den einzigen Weg zur Gotteserkenntnis, unmissverständlich demonstriert. Nach diesen Ausführungen az-Zamaḫšarīs stellt die exegetische Erforschung koranischer Mehrdeutigkeit eine edle und fromme Aufgabe dar, die darauf abzielt, den Text interpretativ vom scheinbaren Widerspruch zu befreien. Nach al-Māturīdī werden die muḥkamāt als solche definiert, die jeder erkennt, wenn er darüber reflektiert. Der mutašābih dagegen ist das Ambige (mubham), das erst nach dem Suchen und Nachforschen gewusst wird.108 Muḥkam ist also das, was unmittelbar verstanden wird. Auch wenn mutašābih hinsichtlich seiner Erkennbarkeit und aufgrund seiner unklaren Form zweitrangig erscheint, stellt er eine Prüfung (miḥna) von Gott an die Gläubigen dar, insofern sie daran glauben müssen, da das Leben vor allen ein Prüfungsdasein (dār miḥna) ist. Ferner spricht al-Māturīdī von der Wahrscheinlichkeit, dass die muḥkamāt den Konsens der Muslime darstellen. Das mutašābih ist wiederum das, worüber sich die Menschen streiten, weil sie darin viel Verwechslung finden, und diese äußert sich entweder in der Verschiedenheit der Sprachen oder in der Ambivalenz zwischen dem Offenkundigen und dem Verborgenen. So bleiben die einen an dem Offenkundigen hängen und die anderen folgen dem Verborgenen und halten an ihm fest. Interessant und etwas abseits vom Konsens der Exegeten steht al-Māturīdī mit seinem kritischen Standpunkt hinsichtlich der Eindeutigkeit der muḥkamat. Ihm zufolge liegt eine unmittelbare offensichtliche Eindeutigkeit nicht vor.109 Er argumentiert:

107 Az-Zamaḫšarī. al-Kaššāf, 161. 108 al-Māturīdī. Taʾwīlāt ahl as-Sunna, Bd. 2, 303. 109 „Even a theoretical postulate that the muḥkamāt were immediately clear (wādiḥ mubīn) was rejected by Māturīdī“ Wansbrough, Quranic Studies, 150.

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Wenn die Sache so wäre wie sie sagen, dann würde es keinen Streit zwischen den Menschen geben, und es würde nicht jeder behaupten, die Eindeutigkeit liege auf seiner Seite, denn wäre das Eindeutige so offensichtlich, wäre es zu keinem Meinungsstreit gekommen110. Diese kritische Skepsis formuliert al-Māturīdī vor allem in Richtung der Muʿtazila, da sie die Lehre von der Offenbarung als Optimum für die Menschen (al-aṣlaḥ) vertreten, wonach Gott mit der Offenbarung das Beste für seine Schöpfung veranlasst hat. Die Idee vom aṣlaḥ wird bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār in Verbindung mit al-Qaṣd-Theorie111 zu einem exegetischen Leitprinzip ausgearbeitet, wonach in der Koranexegese vom guten Willen Gottes bei der Erklärung des Korans ausgegangen werden muss.112 Al-Māturīdī steht diesem Standpunkt kritisch gegenüber, denn für ihn ist dieses vermeintliche Optimum in der Offenbarung nicht evident genug, wenn Gott nicht für eine klare Unterscheidung zwischen dem Eindeutigen und dem Mehrdeutigen gesorgt hat. Eine solche klare Differenzierung würde nämlich ein Optimum für die Menschen in ihrem Glauben darstellen. Dies ist für al-Māturīdī ein Beweis dafür, dass Gott im Sinne der Prüfung Seiner Untertanen, etwas mit den Menschen tun kann, das nicht zu ihrem Besten im Glauben ist.113 Abū Bakr Muḥammad ibn al-ʿArabī (gest. 543/1148) der andalusische Koranexeget spricht den Nutzen der koranischen Mehrdeutigkeit nicht in seinem Exegese-Werk Aḥkām al-Qurʾān sondern in seinem Kommentar zu Ṣaḥīḥ at-Tirmiḏī an.114 Wie die anderen, thematisiert er die mutašābihāt als Zeichen für eine Offenbarung, die durch ihre Offenheit für erkenntnistheoretische Durchdringung charakterisiert ist und die auf die abweichenden und unterschiedlichen Zugänge und Abstufungen dieser Durchdringung Wert legt. Seine Erklärung für „die im Wissen fest Verankerten“ fällt er nicht im Rahmen der Unterscheidung zwischen Gelehrten und Ungelehrten, sondern im Sinne eines wissenshistorischen Konflikts zwischen Altem und Neuem. Jener Konflikt, der sich anzubahnen scheint, wenn auf dem Fundament von bisher erlangten alten Erkenntnissen sich neues Wissen entfaltet und die neue Wissenselite sich trotz der heftigen reaktionären Widerstände (riyāḥ al-iʿtirādāt) nicht erschüttern lässt.115

110 Al-Māturīdī. Taʾwīlāt ahl as-Sunna, Bd. 2, 305. 111 Damit ist die Lehre von der Intention bzw. von der guten Absicht Gottes gemeint, die als Ausdruck Seines ewig guten Willens hinter Seiner Offenbarung an die Menschen steht. 112 ‫ ألنه يدل بأن يصدر من حكيم ال يجوز أن يختار الكذب و األمر بالقبيح‬al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Mutašābih al-Qurʾān, Bd. 1 (1966): 2, hg. v. Muḥammad Zarzūr, Dār at-Turāṯ ʿAdnān. 113 Ebd., 306. 114 McAuliffe. Text and Textuality, 62. 115 Muḥammad b. ʿAbdallāh b. al-ʿArabī. ʿĀridat al-Aḥwaḏī bī bī-šarḥ ṣaḥīḥ at-Tarmiḏī, Bd. 11 (1972): 115  ff.

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Auch ar-Rāzī hat im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem mutašābihProblem nicht versäumt den erkenntnistheoretischen Aspekt zu beleuchten. In seinem Mafātīḥ al-ġaib diskutierte er diesen Aspekt als einer der Vorzüge koranischer Mehrdeutigkeit. Am Anfang stellt er die Begrifflichkeiten klar und erklärt die inhärente Mehrdeutigkeit in den mutašābihāt durch die Unfähigkeit des Menschen, zwischen zwei ähnlichen Objekten zu unterscheiden. So wird alles, wozu der Mensch nicht mit Gewissheit gelangt, mutašābih genannt. Hier wird die Bezeichnung der Ursache (sabab) für die Wirkung (al-musabbab) gebraucht.116 Laut ar-Rāzī gilt, dass je grösser die Anstrengung beim Verstehen der Mehrdeutigkeit ist, desto mehr Lohn erwartet den Gelehrten. Mehrdeutige Verse liefern dazu eine Gelegenheit, verschiedene theologischen Ansichten darzustellen und sie rechtfertigen den Gebrauch der Vernunft jenseits aller finsteren dogmatischen Taqlīd-Zwänge. Die mehrdeutigen Verse nötigen dem Korankommentator dazu, sich exegetischen Fertigkeiten wie Sprachwissen, Grammatik und Fiqh-Theorie (uṣūl al-fiqh) anzueignen. Die mutašābihāt passen ferner in dem koranischen Konzept hinein, das von unterschiedlicher menschlicher Rezeptionsfähigkeit ausgeht und die Offenbarung in ihrer Mannigfaltigkeit so gestaltet, dass sie den Wissenden und den Unwissenden auf verschiedenen Ebenen erreicht.117

8 Ambiguität und Koraninterpretation Im Zusammenhang mit der Frage der Interpretierbarkeit von muḥkam und mutašābih, die der Vers aufwirft, gibt es einige Definitionen, die als Antwort auf diese Frage dienen können. Die Diskussionen bezüglich dieser Frage werfen auch ein Licht auf die theologischen und rechtlichen Konsequenzen, die mit der Interpretation der koranischen Ambiguität zusammenhängen. Wir können richtige Interpretationen finden, aber wir können auch falsche Interpretationen formulieren, die irreführend sind. Wie bereits ausgeführt, geht die Beschreibung der muḥkamāt als umm alkitāb davon aus, dass sie die Essenz der koranischen Botschaft sind. Durch sie werden die Fundamente des muslimischen Glaubens und Verhaltens formuliert. Der wichtigste Aspekt in der Beschreibung des Wechselverhältnisses zwischen dem muḥkam und dem mutašābih ist die Betonung der Eigenständigkeit der

116 ‫ اطالقا السم‬,‫لما كان من شأن المتشابهين عجز االنسان عن التمييز بينهما سمي كل ما ال يهتدي األنسان اليه بالمتشابه‬ ‫ السبب على المسبب‬Tafsīr ar-Rāzī, Bd. 7, 181. 117 Ebd.

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muḥkamāt und die Abhängigkeit der mutašābihāt. Die ersten werden nämlich als selbstgenügend und nicht deutungsbedürftig beschrieben, da sie keine Erklärung brauchen und nur eine mögliche Auslegung haben können.118 Daher müssen sie nicht auf andere Verse zurückgeführt werden. Umgekehrt, können die mutašābihāt, die mehrere Auslegungen haben können119, nur durch ihre Rückführung auf andere Verse verstanden werden.120 Dieses Abhängigkeitsverhältnis dient als Mittel um den göttlichen Willen zu entschlüsseln.121 Der muḥkam ist das Fundament des Buches und alles andere, was nicht muḥkam ist, muss sich auf ihn beziehen. Wenn der Gläubige zu einem muḥkam zurückgeht, um einen unklaren mutašābih zu verstehen, dann findet er auf diesem Weg zum rechten Glauben.122 Eine Auslegung des mutašābih, die nicht in Übereinstimmung mit dem muḥkam steht, führt zum Irrweg. Auch al-Ğaṣṣāṣ, wie bereits oben gezeigt, teilt diese verbreitete Auffassung von dem Abhängigkeitsverhältnis des mutašābih zum muḥkam als Grundlage für eine richtige Interpretation.123 Die präzise und bestimmte Form der muḥkamāt wurde von den Exegeten als Indiz dafür genommen, dass sie in der Offenbarung die Funktion haben, die Menschen vom Irrweg zu bewahren. Ibn al-ʿArabī sagt dazu: „sie wurden davor bewahrt, dass die Wahrscheinlichkeit und Unklarheit in sie einschleicht, sie lässt nur eine einzige Bedeutung wahrscheinlich werden“124. Diese Schutz- und Bewahrungsfunktion in der Bedeutung des Wortes „iḥkām“ im Sinne von etwas abwenden oder etwas verhüten, wird von den meisten Exegeten geteilt.125 Sie ermöglicht es den Gläubigen ihre Pflichten auszuführen gemäß dem Text, ohne dass sie auf zusätzliche Interpretationen angewiesen sind. Auf die Frage der Interpretierbarkeit wurden in der Koranexegese allgemein zwei Antworten gegeben: eine erste, die besagt, dass die mutašābihāt unklare Verse sind, die nicht interpretierbar sind und nicht interpretiert werden dürfen, da ein solcher Versuch nur zum Irrweg führen kann. Die zweite Antwort besagt,

118 ‫ ما استقل بنفسه و لم يحتاج الى بيان‬al-Baġwī, Bd. 1, 320; „‫المحكم ال تتوقف معرفته على البيان‬, al-Itqān, Bd. 2, 2; oder ‫ ما ال يحتمل من التأويل اال وجها واحدا‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 177, ähnliche Definitionen auch bei al-Ğaṣṣāṣ, Bd. 2, 3; Siehe auch: aṭ-Ṭabarsī. al-Faḍl b. al-Ḥasan. Mağmaʿ al-Bayān fī tafsīr alQurʾān, Bd. 3 (1959): 15; Ibn al-Ğawzī, Bd. 1, 351. 119 ‫ ما احتمل من التأويل وجوها‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 177; az-Zamaḫšarī, Bd. 1, 337  ff. 120 ‫ مااليستقل بنفسه االبرده الى غيره‬ebd. ‫ ما ال يدرك اال بالتأويل‬al-Itqān, ebd. 121 Itqān, Bd. 2, 5. 122 Ibn Kaṯīr, Bd. 1, 344 123 al-Ğaṣṣāṣ, Bd. 2, 4; Wansbrough. Quranic Studies, 151. 124 Ibn ʿArabī, Muḥyī, ad-Dīn. Tafsīr al-Qurʾān al-Karīm, Bd. 1 (1978): 167. 125 Nach Kinberg vertreten auch folgende Exegeten diesen Standpunkt. al-Baġwī, al-Ḫāzin, alZamaḫšarī, al-Bayḍāwī, an-Nawawī, al-Alūsī, ar-Rāzī.

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dass die mutašābihāt interpretiert werden sollten, da ihre Bedeutung nicht nur Gott, sondern auch die Gelehrten wissen können. Zwar ist der Unterschied zwischen diesen beiden Antworten fundamental. Beiden ist aber die Vorstellung gemein, dass die Ambiguität des mutašābih für den Glauben gefährlich ist, weil sie den Gläubigen in die Irre leiten könnte, weswegen sie beseitigt werden sollte. Während die erste Annäherung die Lösung in der Überzeugung sieht, dass allein Gott die Bedeutung des mutašābih kennt und damit ein kategorisches Interpretationsverbot ausspricht, kommt die zweite Annäherung zu einem entgegengesetzten Ergebnis und schlägt einen Lösungsansatz vor, der auf Interpretation basiert. Danach können mutašābihāt interpretiert werden, allerdings nur im Lichte des muḥkam. Eines der Argumente für diese erste Meinung ist, dass das Wissen über die Bedeutung der ambigen Verse zum exklusiven Bereich göttlichen Wissens gehört.126 Dem wird der muḥkam als Kontrast gegenübergestellt mit der Definition, dass es für ihn einen Erkenntnisweg gibt.127 Andere Definitionen werden bestimmter und betonen, dass die mutašābihāt weder auf rationaler Basis noch mit Bezug auf die Tradition verstanden werden können.128 Diese und andere Definitionen von der gleichen Art sind der Überzeugung geschuldet, dass die mutašābihāt Bedeutungen zum Inhalt haben, die Menschen nicht zugänglich sein dürfen wie z.  B.: der Tag der Abrechnung (Auferstehung), die Umstände im Jenseits, Belohnung und Bestrafung im Jenseits, die Zahl der Engel in der Hölle usw. Dazu kommen auch die Eröffnungsbuchstaben (fawātiḥ), und die göttlichen Attribute.129 Gemäß Vers (3:7) bezieht sich der Begriff „al-llaḏīna fī qulūbihim zaiġun“ auf diejenigen, die den mehrdeutigen Versen folgen, um Dissens (fitna) zu stiften. Diese Identifikation ist sehr weit verbreitet und wird oft auch mit einem Ḥadīṯ untermauert, der besagt: „fā-iḏā raʿytum l-llaḏīna yattabiʿūna mā tašābaha minhu fa-ʾūlāʾika l-llaḏīna sammā Llāh fa-ḥḏarūhum“130. Bei manchen Stellen, mit oder ohne Verweis auf dieses Ḥadīṯ, bemühen sich die Kommentare um die Identifizierung dieser Menschen, die im Vers und im Ḥadīṯ gemeint sein könnten. Hierunter fallen fast alle religiösen Gemeinschaften und muslimische Sekten: Christen, Juden, Ungläubige, Heuchler (munāfiqūn), jene, die den Tag der Abrechnung ver-

126 ‫ ما ال سبيل الى معرفته‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 179; Ibn al-Ğawzī, Bd. 1, 351; ar-Rāzī, Bd. 2, 403. 127 ‫ ما كان الى معرفته سبيل‬aṭ-Ṭabarī, ebd. 128 ‫ ال يدرك معناه عقال و ال نقال‬al-Alūsī, Bd. 1, 521; 129 Ibn Taymiyya. al-Iklīl fī l-mutašābih wa t-taʾwīl, Kairo 1974, 32  ff; as-Suyūṭī.al-Itqān, Bd. 2, 2; ebd., Muʾtarak al-aqrān fī iʿğāz al-Qurʿān, Kairo 1970, 146. 130 Ibn Kaṯīr, Bd. 1, 345  ff.

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leugnet haben, die Neuerer im Glauben (mubtadiʿa), die Ḫawāriğ, und andere Sekten wie Sabaʾiyya und die Ğabriyya.131. Als Beispiel für den Interpretationsstreit über den normativen Charakter bestimmter Verse erwähnt as-Suyūṭī in ad-Durr al-manṯūr, dass die Ḫawāriğ den Vers (5:47)132 als einen eindeutigen Beleg (muḥkam) betrachteten, der als Grundlage dafür gilt, den Machthaber als Apostat erklären zu können, als einen der ihrer Ansicht nach nicht nach Gottesgebot richtet. Dies zeigt deutlich, welche rechtlichen und politischen Konsequenzen daraus entstehen können, wenn ein Vers zu einer eindeutigen koranischen Aussage erklärt wird. Ein anderes Beispiel, das oft in der Koranexegese im Zusammenhang mit dem muḥkam und mutašābih erwähnt wird, ist die Geschichte von der christlichen Delegation von Nağrān, die sich mit dem Propheten Muḥammad über das koranische Bild von Jesus im Koran unterhielten. Die Christen fühlten sich durch Vers (4:170)133 in dem Jesus als Gesandter und Gotteswort bezeichnet wird, in ihrem Glauben an die Göttlichkeit Jesu bestätigt. Aus islamischer Sicht basiert ein solcher Anspruch aber lediglich auf einen mutašābih-Vers und nicht auf einem muḥkam. Ar-Rāzī z.  B. argumentiert, dass die maßgebliche Antwort auf die Trinitätsfrage im Koran in dem muḥkam-Vers (23:92) zu sehen ist, der sagt: „Gott hat sich keinen Nachwuchs/Sohn genommen“134. Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die innermuslimische theologische Frage vom freien Willen vs. Prädestination. Die Rivalen hier sind die Muʿtazila und die Ašʿariyya. Ihre Diskussion dreht sich um die Auslegung des Verses (18:29)135. Die Muʿtazila beschreibt diesen Vers als muḥkam, da sie darin einen Beleg für ihr Anliegen des freien Willens finden, die Ašʿariyya betrachtet ihn dagegen als mehrdeutig und interpretationsbedürftig. Andererseits argumentiert die Ašʿariyya mit dem Vers (76:30)136 im Sinne eines eindeutigen Belegs für die Prädestinationslehre, während die Muʿtazila dem Vers lediglich einen mehrdeutigen Charakter zuweist.

131 aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 186. 132 ‫و من لم يحكم بما أنزل الله فأولئك هم الكافرون‬ 133 ‫انما المسيح عيسى بن مريم رسول الله و كلمته ألقاها الى مريم و روح منه‬ 134 ar-Rāzī, Bd. 2, 404. Dort bezieht er sich auf diesen Vers: ‫ما اتخذ الله من ولد‬. 135 ‫فمن شاء فليؤمن و من شاء فليكفر‬ 136 ‫و ما تشاؤون اال أن يشاء الله‬

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Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen Eine Untersuchung anhand ausgewählter Beispiele aus al-Buḫārīs Sammlung Asbāb an-nuzūl (Offenbarungsanlässe) bilden ein Wissensgebiet der Koranwissenschaften. Es zielt auf die Kenntnis der historischen Umstände, die die Herabsendung besonderer Teile der koranischen Offenbarungen begleiteten, ab.1 Die Offenbarungsanlässe beziehen sich auf einzelne Koranstellen, deren Herabsendung mit konkreten Ereignissen zur Zeit des Propheten Muḥammad verbunden waren. In Bezug auf die Lehre der Offenbarungsanlässe wird der Koran in zwei Teile gegliedert; ein Teil des Koran wurde ohne Anlässe offenbart, ein anderer Teil wurde als Reaktion auf konkrete Ereignisse oder Antwort auf aktuelle Fragen herabgesandt. Bevor die mit dem Thema Asbāb an-nuzūl zusammenhängenden Werke erschienen, zeigten sich die Offenbarungsanlässe einzelner Verse in der exegetischen Literatur. Der Grund dafür besteht darin, dass die Auslegung eines Verses nur dann möglich sei, wenn man sich in der Geschichte und der Erklärung der Gründe für die Herabsendung auskennt.2 Das Wissen um die Offenbarungsanlässe ist nicht nur für das Verständnis des Korantextes vom großen Nutzen, sondern auch für die Kenntnis der aufhebenden und aufgehobenen Verse (an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ) sowie der Bedeutung des Verses hinsichtlich der spezifischen oder allgemeinen Anwendbarkeit. Deshalb finden sich in den Werken der Koranauslegung viele Überlieferungen über die Auslöser der Offenbarung einzelner Koranstellen. Der Koranexeget muss mit den Offenbarungsanlässen der Verse und deren unmittelbaren historischen Umständen vertraut sein, um in der Lage zu sein, die historischen, sozialen und kulturellen Kontexte zu erkennen, die die Herabsendung der Koranverse erforderten.3

1 Denffer, Ahmad von: ʿUlūm al-Qurʾān. Einführung in die Koranwissenschaften. Aus dem Englischen übertragen von Mohamed Abdallah Weth. Karlsruhe 2005, 109. 2 Al-Wāḥidī, Abū l-Ḥassan ʿAlī b. Aḥmad: Asbāb an-nuzūl, hg. v. Kamāl Basyūnī Zaġlūl. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1991, 10. 3 Al-Ǧamal, Bassām: Asbāb an-nuzūl ʿilman min ʿulūm al-Qurʾān. Beirut: al-Muʾassasa alʿarabiyya li-taḥdīṯ al-fikrī, al-markaz aṯ-ṯaqāfī, 2005, 12. https://doi.org/10.1515/9783110588576-006

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Die Koranexegeten beschäftigten sich mit den Offenbarungsanlässen und erwähnten dabei viele von der Herabsendung einzelner Koranverse berichtende Überlieferungen. Sie unterließen es jedoch die Überlieferungen bezüglich ihrer Fehlerhaftigkeit und Genauigkeit zu überprüfen, weshalb in der exegetischen Literatur zweifelhafte Überlieferungen über die Offenbarung einzelner Koranverse auftauchen. In seinem Werk At-taḥrīr wat-tanwīr kritisiert Muḥammad aṭ-Ṭāhir b. ʿAšūr (gest. 1393 H./1973 n. Chr.) dieses Vorgehen der Korankommentatoren, indem er Folgendes sagt: „Den großen Koranexegeten, die die schwachen Überlieferungen übernahmen, sie in ihren Werken niederschrieben und nicht auf ihren Rang bezüglich der Stärke und Schwäche hinwiesen, verzeihe ich nicht. Sie machen die Leute glauben, dass die Koranverse nur als Reaktion auf zu ihrer Herabsendung veranlasste Ereignisse offenbart worden seien. Das ist eine böse Illusion. Die Herabsendung des Koran ist nicht vom Auftreten der Ereignisse abhängig gewesen, die die Entstehung der Vorschriften gefordert hätten.“4 In seinem berühmten Werk Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān führt Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (gest. 911 H./ 1505 n. Chr.) an, dass das älteste Werk auf dem Gebiet der Offenbarungsanlässe ʿAlī b. al-Madīnī, dem Lehrer von al-Buḫārī, zugeschrieben wird. Das Werk ist aber nicht erhalten.5 Bevor al-Wāḥidī (gest. 468 H./1076 n. Chr.) sein Werk mit dem Titel Asbāb an-nuzūl verfasste, gab es das Material der Offenbarungsanlässe einzeln verstreut, unter anderem in der Prophetenbiographie, den Korankommentaren und den ḥadīṯ-Sammlungen. Al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl ist eines der wichtigsten Werke auf diesem Gebiet. Es erschien im fünften Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung und enthält Überlieferungen aus verschiedenen Quellen wie der Prophetenbiographie von Ibn Isḥāq (gest. 151 H./768 n. Chr.) und der Koranexegese des Muqātil b. Sulaimān (gest. 150 H./767 n. Chr.).6 Die methodische Grundlage der Aufnahme der Überlieferungen, in denen Offenbarungsanlässe einzelner Koranverse auftauchen, erklärt al-Wāḥidī im so:

4 Ibn ʿAšūr, Muḥammad aṭ-Ṭahir. At-taḥrīr wat-tanwīr, ad-Dār at-tūnsīya li-n-našr. Tunis, Bd. 1 (1984): 46. 5 As-Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān. Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Markaz ad-dirāsāt al-Qurʾāniyya. Medina, Bd. 1 (2005): 189. 6 Tillschneider, Hans-Thomas: Typen historisch-exegetischer Überlieferung: Formen, Funktionen und Genese des asbāb an-nuzūl-Materials. Würzburg: Ergon Verlag, 2011, 14.

Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 

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„Man darf nur dann etwas über die Offenbarungsanlässe des Buches sagen, wenn es durch schriftliche und mündliche Überlieferung von denjenigen abgesichert ist, die Augenzeugen der Offenbarung wurden (oder) die sich nach den Anlässen erkundigten, die das Wissen um die Anlässe studierten und die dabei den rechten Ernst zeigten.“7

Die Worte al-Wāḥidīs weisen darauf hin, dass die Überlieferungen über die Offenbarungsanlässe einzelner Koranstellen nur von den Augenzeugen, d.  h. den Prophetengefährten, aufgenommen wurden. Allein die Prophetengefährten erlebten die Ereignisse und die historischen Umstände, die die Offenbarung des Koran begleiteten. In diesem Zusammenhang gibt es dann keinen Platz für Erfindung des Offenbarungsanlasses oder für die bloße Meinung eines Gelehrten. Die Offenbarungsanlässe sind von den Prophetengefährten als Antwort auf von der Nachfolgegeneration der Prophetengefährten gestellte Fragen überliefert worden. Die von den Offenbarungsgründen einzelner Koranstellen berichtenden Überlieferungen, die von den Prophetengefährten stammen, sind zuverlässiger als diejenigen, die auf die Nachfolger der Prophetengefährten zurückgehen. Denn die berichtenden Prophetengefährten sollten die Gründe der Offenbarung von einzelnen Koranstellen erlebt haben. Da es sich bei den Offenbarungsanlässen um Überlieferungen handelt, die davon berichten, dass einzelne Koranstellen in konkreten Situationen herab gesandt wurden, ist eigentlich die Anwesenheit des Propheten Muḥammad zu erwarten. In al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl gibt es jedoch Überlieferungen, die sich auf Ereignisse beziehen, die zu Lebzeiten des Propheten Muḥammad nicht vorkamen. Andere in al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl vorhandene Überlieferungen handeln nicht von der Herabsendung einzelner Verse. Solche Überlieferungen weichen vom Konzept des Offenbarungsanlasses ab. Deshalb sagt Hans-Thomas Tillschneider Folgendes: „Al-Wāḥidīs Werk Kitāb Asbāb an-nuzūl versammelt 998 Überlieferungen, von denen eine Mehrheit nicht dem asbāb an-nuzūl-Konzept entspricht.“8 Die von al-Wāḥidī für die Aufnahme der Überlieferungen erstellte Methode ist folglich nur bedingt gültig. Da eine große Anzahl von den in der exegetischen Literatur und al-Wāḥidīs Kitāb Asbāb an-nuzūl vorhandenen Offenbarungsanlässen als zweifelhaft angesehen wird, ist die Studie der Offenbarungsanlässe in den wichtigen Werken der prophetischen Tradition von großer Bedeutung. Man geht davon aus, dass die in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen erwähnten Offenbarungsanlässe der Überprüfung hinsichtlich des Textes sowie der Überliefererkette unterworfen worden seien.

7 Al-Wāḥidī 1991, 10. Die Übersetzung des Zitates wird entnommen aus Tillschneider 2011, 384. 8 Ebd., 383.

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Eine der wichtigsten Quellen für die Kenntnis der Offenbarungsanlässe einzelner Koranverse ist al-Buḫārīs Sammlung. Sie gehört zu denjenigen ḥadīṯSammlungen, deren Überlieferungen von muslimischen Gelehrten als authentisch betrachtet werden. Bei Buḫārī gibt es das Kitāb at-tafsīr, das der Auslegung einiger Koranverse dienen soll. Das Kitāb at-tafsīr enthält eine große Anzahl von Überlieferungen, die von der Herabsendung einzelner Koranverse in bestimmten Situationen berichten. Der vorliegende Artikel setzt sich mit den Offenbarungsanlässen in dieser ḥadīṯ-Sammlung auseinander. Im Kapitel zum Korankommentar Kitāb at-tafsīr, in dem man die Erklärung zu einzelnen Koranstellen erwartet, gibt es eine Anzahl von Überlieferungen, die mit dem Korankommentar nichts zu tun haben oder keine exegetischen Absichten haben. Als eine Art der Auslegung führt al-Buḫārī in diesem Kapitel u.  a. eine Reihe von Überlieferungen an, die auf die Auslöser der Offenbarung einiger Koranverse hinweisen. Al-Buḫārīs Sammlung gehört zu den frühsten Quellen der islamischen Tradition, in denen die Offenbarungsanlässe auftreten. In der Zeit von al-Buḫārī werden die nuzūl-Überlieferungen unter anderem als ein Teil des ḥadīṯ angesehen. Deshalb verdient diese Sammlung als eine der wichtigsten Quellen der Prophetentradition, aus denen Offenbarungsanlässe einzelner Koranverse entnommen wurden, eine genauere Betrachtung.

1 Zur Behandlung ausgewählter Offenbarungs­ anlässe aus Kitāb at-tafsīr der al-BuḫārīSammlung Dieser Artikel untersucht anhand ausgewählter Beispiele aus Kitāb at-tafsīr vorrangig Überlieferungen, in denen der Begriff nuzūl (Herabsendung) oder Ähnliches auftritt. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Artikel nicht damit, ob die Überlieferung authentisch oder nicht authentisch ist. Durch die Untersuchung einiger auf Offenbarungsanlässe bezogener Überlieferungen in genannter Sammlung soll gezeigt werden, ob die Überlieferungen die willkommene Aufnahme bei allen muslimischen Gelehrten erfahren haben. Auch soll diskutiert werden warum manche Überlieferungen von einigen Korankommentatoren nicht aufgenommen wurden. Des Weiteren will diese Studie aufzeigen, welche Funktion die von den Anlässen der Offenbarung einzelner Koranverse berichtenden Überlieferungen in der al-Buḫārī Sammlung hat und ob die Offenbarungsberichte auf den Prophe-

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ten oder die Prophetengefährten zurückgehen. Inwieweit diese Überlieferungsberichte mit den einzelnen Koranversen verbunden sind, wird ebenfalls verdeutlicht. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand gibt es keine Studie im Deutschen, die sich mit der Untersuchung ausgewählter Beispiele der Offenbarungsanlässe in al-Buḫārīs Sammlung auseinandersetzt. Zwar beschäftigt sich Tillschneider mit dem Kitāb at-tafsīr als einer der früheren Quellen der Offenbarungsanlässe, behandelt aber den Gegenstand der vorhandenen Offenbarungsanlässe anhand ausgewählter Beispiele wenig ausführlich. Seiner Meinung nach enthält das Kitāb at-tafsīr eine große Anzahl von Überlieferungen, die mit der Auslegung des Koran nichts zu tun haben. Darüber hinaus spricht Tillschneider über die Offenbarungsberichte und ihre Funktion. Seines Erachtens haben sie zwei Funktionen; die Auslegung des Koran und die Anwendung desselben. Offenbarungsberichte zielten nicht nur auf die Auslegung der Koranverse, sondern auch auf den Nachweis, dass die Koranverse im Leben des Propheten angewendet wurden. Die von al-Buḫārī angeführte Überlieferung über den Offenbarungsanlass des Verses 11 der Sure 4 wird von Tillschneider lediglich erwähnt nicht jedoch kritisch analysiert. Die Einstellung der muslimischen Gelehrten zum Anlass der Herabsendung des Verses stellt Tillschneider nicht dar. Ob der Vers wirklich als Reaktion auf eine Frage von dem Prophetengefährten Ǧābir b. ʿAbdallāh herabgesandt worden sei, bleibt bei Tillschneider ebenso offen.9

1.1 Zum Offenbarungsanlass des Verses 11 der Sure 4 Als erstes Beispiel für die Problematik der Offenbarungsanlässe in al-Buḫārīs Sammlung wird die folgende Überlieferung angeführt: Nach Muḥammad b. al-Munkadir habe Ǧābir b. ʿAbdallāh gesagt: „Der Prophet und Abū Bakr ­besuchten mich, (als ich krank war). Der Prophet fand mich bewusstlos. Er wusch sich rituell und ließ das Wasser auf mich fließen. Da kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich sagte: „O Gesandte Gottes! Was mache ich mit meinem Vermögen?“ Daraufhin wurde offenbart: „Gott verordnet euch hinsichtlich eurer Kinder“ (Sure 4:11).10 Der Vers 11 der Sure 4 ist nach der genannten Überlieferung als eine Antwort auf eine von Ǧābir b. ʿAbdallāh gestellte Frage offenbart worden.

9 Tillschneider 2011, 215–222. 10 Al-Buḫārī, Muḥammad b. Ismāʿīl: Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Dār Ibn Kaṯīr li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr wa-ttauzīʿ. Beirut 2002, 1125.

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In seiner Erklärung zu diesem ḥadīṯ sagt Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852 H./1449 n. Chr.): „So steht in der Überlieferung nach Ibn Ǧuraiǧ. Man habe gesagt, er (Ibn Ǧuraiǧ) hätte sich (in der Überlieferung) geirrt, und das richtige sei, dass der Vers, der wegen Ǧābir b. ʿAbdallāh offenbart worden sei, der letzte Vers der Sure 4 sei, in dem es heißt: ‚Man fragt dich um Auskunft. Sag: Gott gibt euch (hiermit) über die seitliche Verwandtschaft (und deren Anteil am Erbe) Auskunft‘. Der Grund dafür liege darin, dass Ǧābir damals weder Kinder noch Eltern gehabt habe. Es handele sich bei der seitlichen Verwandtschaft um die Person, die weder Kinder noch Eltern hat.“11 Mit Mühe versucht Ibn Ḥaǧar zu betonen, dass Ibn Ǧuraiǧ, einer der Überlieferer, sich nicht irrte und Vers 11 der Sure 4 als Reaktion auf die Frage von Ǧābir offenbart wurde. Er antwortet deswegen auf diejenigen, die meinen nicht Vers 11 wurde wegen Ǧābir offenbart, sondern Vers 176 aus Sure 4, da Ǧābir in jener Zeit weder Kinder noch Eltern gehabt hatte und deshalb Vers 11 nicht zu seiner Situation passte. Ibn Ḥaǧar vertritt die Ansicht, dass solche Interpretation nicht ausschlaggebend ist, da es Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Wortes (kalāla) gibt. Nach einer Meinung handele es sich bei (kalāla) um das geerbete Vermögen. Ein anderer Ansatz besagt, dass (kalāla) die tote Person bezeichnete. Einer dritten Meinung zufolge sei (kalāla) die Hinterlassenschaft. Eine vierte Ansicht lautet, (kalāla) sei derjenige, der weder Eltern noch Kinder habe. Da die Bedeutung des Wortes (kalāla) sich nicht nur auf die Person beziehe, die weder Eltern noch Kinder habe, sei der Nachweis nicht richtig, da Vers 176 später, aber der Vers 11 über die Erbschaft zuvor herab gesandt worden sei.12 Ibn Ḥaǧar erwähnt auch noch eine andere Überlieferung, die vom Offenbarungsanlass des Verses 11 berichtet. Sie steht bei Aḥmad b. Ḥanbal und in einigen Sunan-Werken. Im Ǧāmiʿ des at-Tirmiḏī (gest. 279 H./892 n. Chr.) wurde über Ǧābir b. ʿAbdallāh überliefert, die Frau Saʿd b. ar-Rabīʿ sei zusammen mit ihren beiden Töchtern von Saʿd zum Gesandten Gottes gekommen und habe zu ihm gesagt: „Diese sind die zwei Töchter von Saʿd, deren Vater in der Schlacht von Uḥud getötet wurde. Ihr Onkel nahm ihre Erbschaft und übergab ihnen nichts. Sie werden ohne Besitz nicht zu Ehefrauen genommen.“ Der Prophet habe gesagt: „Gott gibt uns die Entscheidung darüber.“ Dann sei der Vers der Erbschaft offenbart worden. Der Prophet habe den Onkel der beiden Töchtern kommen lassen und ihm gesagt: „Gib den beiden Töchtern Saʿds zwei Drittel, der Frau ein Achtel und nimm du

11 Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī: Fatḥ al-bārī bi-šarḥ Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Dār iḥyāʾ at-turāṯ al-ʿarabī. Beirut, Bd. 8 (²1981): 196. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 4, Vers 176), wird entnommen aus: Paret, Rudi. Der Koran. Stuttgart, ³1983, 78. 12 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 196.

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den Rest.“13 Offensichtlich ist dieser Vers zuerst offenbart worden. Damit argumentierten diejenigen, die meinten, dass dieser Vers nicht wegen Ǧābir, sondern wegen der beiden Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ herabgesandt worden sei. Bei Ibn Ḥaǧar ist diese Interpretation nicht ausschlaggebend, da es seines Erachtens kein Problem damit gibt, dass der Vers wegen der beiden Fragen herabgesandt worden sei. Möglicherweise ist der Anfang des Verses wegen der beiden Töchter und das Ende (der letzte Teil des Verses 12) wegen Ǧābir offenbart worden. Daraufhin meine Ǧābir die im Vers genannten seitlichen Verwandten (kalāla).14 Aus den Worten Ibn Ḥaǧars lässt sich Folgendes entnehmen: 1. Einige Gelehrte meinen, dass Vers 11 der Sure 4 nicht von Ǧābir handelt. Wegen der Geschichte von Ǧābir ist der letzte Vers der Sure 4 herabgeandt worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass einige Gelehrte den in der al-Buḫārīs Überlieferung angeführten Offenbarungsanlass des Verses nicht akzeptierten. Daher vertritt Ibn Ḥaǧar in seinem Kommentar zur oben erwähnten Überlieferung die Ansicht, dass der Überlieferer Ibn Ǧuraiǧ sich in der Überlieferung irrte. Sein Irrtum bestehe in der Verbindung zwischen der Geschichte Ǧābirs und der Herabsendung des Verses 11 der Sure 4. 2. Ibn Ḥaǧar hält jedoch dafür, dass Ibn Ǧuraiǧ sich nicht in der Überlieferung irrte. Vielleicht geht sein Ansatz darauf zurück, dass die Überlieferung in al-Buḫārī steht. Es war ihm möglicherweise schwierig, eine in al-Buḫārī genannte Überlieferung zu widerlegen. 3. Während seiner Erklärung zur al-Buḫārī Überlieferung über den Vers 11 der Sure 4 gibt Ibn Ḥaǧar eine andere Überliefeung an, mit der einige Gelehrte ihre Auffassung begründen, dass der Vers wegen der beiden Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ herabgesandt worden sei. In al-Buḫārīs Überlieferung gilt Ǧābir als Überliefer und Auslöser der Herabsendung. In der anderen Überlieferung erscheint Ǧābir nur als Überlieferer. 4. Die bei Aḥmad b. Ḥanbal und in anderen Sunan-Werken angeführte Überlieferung, derzufolge die Geschichte von den beiden Töchtern Saʿd b. ar-Rabīʿ ein Auslöser für die Herabsendung des Verses 11 der Sure 4 ist, weist Ibn Ḥaǧar nicht zurück. Für ihn besteht kein Problem darin, dass der Vers wegen Ǧābir und Saʿd b. Ar-Rabīʿs Töchtern herab gesandt wurde. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Ansicht von Ibn Ḥaǧar richtig ist, stehen wir vor einem Problem, nämlich der wiederholten Herabsendung des Verses in verschiedenen Situationen. Einmal ist der Vers als Reaktion auf eine Frage von Ǧābir

13 At-Tirmiḏī, Muḥammad b. ʿĪsā b. Saura b. Mūsā b. aḍ-Ḍaḥḥāk. Al-Ğāmiʿ al-kabīr (Sunan atTirmiḏī), hg. v. Baššār ʿĀwād Maʿrūf. Beirut: Dār al-ġarb al-islāmī., Bd. 3 (1998): 485. 14 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 196.

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offenbart worden. Ein weiteres Mal hängt seine Herabsendung mit den beiden Töchtern von Saʿd b. ar-Rabīʿ zusammen. Meines Erachtens gibt es keinen Grund, der dafür spricht, dass ein Vers zweimal offenbart wurde. Wäre der Vers wegen der Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ offenbart worden, hätte es meiner Meinung nach keinen Anlass für die zweite Herabsendung gegeben. Das aus dem Vers entnomme Urteil oder die Bedeutung des Verses sollte sich auf die Geschichte von Ǧābir bezogen haben. 5. Ibn Ḥaǧar stellt eine andere These auf. Es könnte gewesen sein, dass der Anfang des Verses wegen der beiden Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ offenbart worden sei. Der letzte Teil des Verses, der von der Erbberechtigung seitlicher Verwandter berichtet, sei als Reaktion auf die Frage von Ǧābir herab gesandt worden. Es wurde aber berichtet, dass der letzte Teil des Verses 12 der Sure 4 von der Erbschaft der Halbbrüder und Halbschwestern mütterlicherseits spricht. Vom ersten Kalifen Abū Bakr wird überliefert, dass er bei einer seiner Ansprachen sagte: „Die Verse, die Gott am Beginn der Sure 4 herabgesandt hat, hängen mit den festgesetzten Anteilen (al-farāʾiḍ) zusammen. Der erste hat mit der Erbschaft der Kinder und der Eltern zu tun. Der zweite redet von der Erbschaft des Ehemannes, der Ehefrau und Halbbrüder und Halbschwestern mütterlicherseits. Der letzte Vers der Sure 4 wurde wegen der Geschwister (väterlicher- und mütterlicherseits) offenbart. Der letzte Vers der Sure 8 widmet sich der Erbschaft der Blutsverwandten.“15 Neben den beiden oben dargestellten Überlieferungen findet sich unter anderem im Ǧāmiʿ at-Tirmiḏīs eine ähnliche Überlieferung. Sie bringt den Anlass der Offenbarung des Verses 176 der Sure 4 zur Darstellung. Von Muḥammad b. al-Munkadir wird überliefert, dass er Ǧābir b. ʿAbdallāh sagen hörte: „Ich war krank. Darum besuchte mich der Gesandte Gottes. Er fand mich bewusstlos. Er wusch sich rituell und ließ das Wasser auf mich fließen. Da kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich sagte: „O Gesandte Gottes! Was mache ich mit meinem Vermögen?“ Der Prophet gab mir keine Antwort. Ich habe neun Schwestern, sagte ich dem Propheten. Daraufhin wurde wegen mir der Vers 176 herabgesandt.“16 Dieser Überlieferung zufolge sei Vers 176 wegen einer von Ǧābir b. ʿAbdallāh gestellten Frage herabgesandt worden. Beide obigen Überlieferungen erklären den zu untersuchenden Gegenstand. Die eine in al-Buḫārīs Sammlung erwähnte Überlieferung verbindet den Offen-

15 Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, Muḥammad b. ʿUmar. At-tafsīr al-kabīr. Beirut: Dār iḥjāʾ at-turāṯ alʿarabī, Bd. 11 (³1999): 275. 16 At-Tirmiḏī, Bd. 3 (1998): 488.

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barungsanlass mit Vers 11 der Sure 4. Nach der anderen Überlieferung im Ǧāmiʿ von at-Tirmiḏī ist der Offenbarungsanlass mit Vers 176 der Sure 4 verbunden. Hier ist zu bemerken, dass die beiden Verse 11 und 176 wegen Ǧābir b. ʿAbdallāh herab gesandt worden seien. Die meisten Koranexegeten neigen zur Annahme, dass Vers 176 wegen einer Frage von Ǧābir offenbart worden ist.17 Über den Offenbarungsanlass des Verses 11 liegen viele Überlieferungen vor. Neben den oben genannten Überlieferungen gibt es eine bei as-Suddī, die die Herabsendung des Verses mit dem Tode ʿAbd ar-Raḥmān b. Ṯābit verbindet.18 Bei al-Wāḥidī wird eine verwirrte Überlieferung über den Offenbarungsanlass des Verses 11 angeführt. In dieser scheint al-Wāḥidī unsicher zu sein, ob die Frau dem Propheten gesagt habe: Diese beiden Mädchen sind die Töchter des Ṯābit b. Qais oder Saʿd b. ar-Rabīʿ.19 In seinem Kommentar zum Vers 11 der Sure 4 erwähnt ar-Rāzī (gest. 606 H./1210 n. Chr.) die Überlieferung, die die Herabsendung des Verses mit der Geschichte der beiden Töchter des Saʿd b. ar-Rabīʿ verknüpft.20 Bei az-Zamaḫšarī (gest. 538 H./1143 n. Chr.) ist der Vers 11 Reaktion auf ein Vorgehen in vorislamischen Zeit, in der die Frauen keinen Anspruch auf die Erbschaft hatten, offenbart worden.21 Weder ar-Rāzī noch az-Zamaḫšarī legen auf die in der Sammlung al-Buḫārīs erwähnte Überlieferung wert. Nachdem Ibn Kaṯīr (gest. 774 H./1373 n. Chr.) eine Reihe von Überlieferungen erwähnt, die mit dem Offenbarungsanlass von Vers 11 zusammenhängen, nach denen der Vers entweder auf die Geschichte der beiden Töchter des Saʿd b. ar-Rabīʿ oder Ǧābir b. ʿAbdallāh Bezug nimmt, sagt er Folgendes: „Offensichtlich wurde der letzte Vers dieser Sure wegen der Erzählung von Ǧābir offenbart, da Ǧābir in jener Zeit Schwestern hatte. Er hatte keine Töchter. Er wurde als seitlicher Verwandter beerbt. Wir führten den ḥadīṯ hier an, weil al-Buḫārī ihn in

17 Aṭ-Ṭabarī, Muḥammad b. Ǧarīr. Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān, hg. v. Maḥmūd Muḥammad Šākir. Beirut: Muʾassasat ar-risāla, Bd.  9 (2000): 431–432; Ibn Kaṯīr, Abū l-Fidāʾ Ismāʿīl b. ʿUmar. Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm, hg. v. Sāmī Ibn Muḥammad Salāmah. Riad: Dār ṭība lin-našr wa-t-tauzīʿ, Bd. 2 (²1999): 482; Az-Zamaḫšarī, Abū l-Qāsim Maḥmūd b. ʿAmr b. Aḥmad. Alkaššāf ʿan ḥaqāʾiq ġawāmiḍ at-tanzīl. Beirut: Dār al-kitāb al-ʿarabī, Bd. 1 (³1986): 598; Al-Qurṭubī, Abū ʿAbdallāh b. Muḥammd b. Aḥmad al-Anṣārī. Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, hg. v. Aḥmad alBardūnī und Ibrāhīm Aṭfīš. Kairo: Dār al-kutub al-miṣrīya, Bd. 6 (²1964): 28. 18 Aṭ-Ṭabarī, Bd.  7 (2000): 31; Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī. Al-iṣāba fī tamyīz aṣṣaḥāba, hg. v. ʿĀdel Aḥmad ʿAbd al-Mauǧūd und ʿAlī Muḥammad Muʿauḍ. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, Bd. 4 (1994): 248. 19 Al-Wāḥidī 1991, 150. 20 Ar-Rāzī, Bd. 9 (1999): 509. 21 Az-Zamaḫšarī, Bd. 1 (1986): 480.

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diesem Zusammenhang erwähnte. Der zweite von Ǧābir überlieferte ḥadīṯ hat mit der Herabsendung dieses Verses zu tun.“22 Obwohl Ǧābirs ḥadīṯ von al-Buḫārī in seinem Kommentar zu Vers 11 genannt wurde, findet er keine Aufnahme in Ibn Kaṯīrs Darstellung. Es scheint klar zu sein, dass Ibn Kaṯīr vom in al-Buḫārīs Sammlung genannten ḥadīṯ Ǧābirs nicht überzeugt ist. Ibn Kaṯīr begründet seine Meinung damit, dass Ǧābir in jenen Tagen keine Töchter hatte, wobei es möglich wäre, dass Vers 11 seinetwegen herab gesandt wurde. Zur Erzählung von Ǧābir passt die Herabsendung des letzten Verses der Sure 4. Ibn Kaṯīr macht uns darauf aufmerksam, dass er den ḥadīṯ in seiner Erklärung zu Vers 11 deshalb erwähnt, weil al-Buḫārī ihn anführt. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der ḥadīṯ, der bei al-Buḫārī als ein Offenbarungsanlass für den Vers 11 zu betrachten ist, für die Geschichte von Ǧābir nicht geeignet ist. Der Grund dafür geht darauf zurück, dass Ǧābir zur Offenbarungszeit weder Eltern noch Kinder hatte. Er wurde als seitlicher Verwandter beerbt. Aus dem Grund passt die Herabsendung des letzten Verses der Sure 4 zu ihm. Überdies ist zu bemerken, dass einige Gelehrte wie Ibn Kaṯīr die Verbindung der Herabsendung des Verses 11 mit der Erzählung von Ǧābir zurückwiesen. Die mit den beiden Versen 11 und 176 zusammenhängenden Offenbarungsanlässe, die sich auf die Geschichte von Ǧābir beziehen, werden von Bassām al-Ǧamal bezweifelt. Seiner Auffassung nach ist die von Ǧābir gestellte Frage als eine schwache Ausrede für die Herabsendung der beiden Verse anzusehen. Zwischen dem Angesprochenen in Vers 176 und dem im Offenbarungsanlass findet sich ein Unterschied. Der Vers weise darauf hin, dass die Frage von einer Vielzahl von Personen aufgeworfen worden sei. In der vom Offenbarungsanlass des Verses berichtenden Überlieferung erscheine jedoch eine Einzelperson, nämlich Ǧābir, als derjenige, der die Frage stelle.23

1.2 Zum Offenbarungsanlass der Verse 32 und 33 der Sure 8 sowie des Verses 113 der Sure 9 Als ein zweites Beispiel werden an dieser Stelle einige Verse behandelt, deren Offenbarungsanlässe einen mekkanischen Ursprung nachweisen sollen, obwohl sie von einigen Koranexegeten und Koranwissenschaftlern als medinesisch betrachtet wurden. Im Gegensatz dazu werden auch einige Verse diskutiert,

22 Ibn Kaṯīr, Bd. 2 (1999): 225. 23 Al-Ǧamal 2005, 179–180.

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deren Offenbarungsanlässe auf medinensische Herkunft hinweisen, die wiederum andere Koranexegeten und Koranwissenschaftlern für mekkanisch halten. Was den Vers anbelangt „Und (damals) als sie (d.  h. die Ungläubigen) sagten: „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt), dann laß (doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring (irgendeine andere) schmerzhafte Strafe über uns!“ erwähnt al-Buḫārī den folgenden ḥadīṯ: Es wurde nach Anas b. Mālik überliefert, dass Abū Ǧahl sagte: „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt), dann laß (doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring (irgendeine andere) schmerzhafte Strafe über uns!.“ Daraufhin wurde herab gesandt: „Und Gott konnte sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest. Er hätte sie auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und) um Vergebung gebeten hätten (während sie um Vergebung baten). Aber warum sollte Allah sie (nunmehr) nicht bestrafen, wo sie (euch) doch von der heiligen Kultstätte abhalten?“24 Anschließend führt al-Buḫārī bezüglich der Aussage: „Und Gott konnte sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest. Er hätte sie auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und) um Vergebung gebeten hätten“ den folgenden ḥadīṯ an: Abū Ǧahl sagte: „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt), dann laß (doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring (irgendeine andere) schmerzhafte Strafe über uns!.“ Daraufhin wurde offenbart: „Und Gott konnte sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest. Er hätte sie auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und) um Vergebung gebeten hätten. Aber warum sollte Gott sie (nunmehr) nicht bestrafen, wo sie (euch) doch von der heiligen Kultstätte abhalten?“25 Die beiden obigen Überlieferungen verweisen darauf, dass derjenige, der „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt)“ sagte, Abū Ǧahl war. Dementsprechend sind die beiden Verse 32 und 33 der Sure 8 mekkanischen Ursprungs. Bei einigen Korankommentatoren wie az-Zamaḫšarī26 und ar-Rāzī27 wird Sure 8 als medinensisch mit Ausnahme der Verse 30 bis 36 angesehen. In seiner Erklärung zu Vers 32 der Sure 8 erwähnt

24 Al-Buḫārī 2002, 1145. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 8, Verse 32–34) wird entnommen aus: Paret. Koran. 1983, 128. 25 Al-Buḫārī 2002, 1146. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 8, Verse 32–34) wird entnommen aus: Paret. Koran. 1983, 128. 26 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 193. 27 Ar-Rāzī, Bd. 15 (1999), 447.

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az-Zamaḫšarī die in al-Buḫārī angeführte Überlieferung nicht. Er vertritt die Ansicht, dass der Vers sich auf an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ bezieht.28 Ar-Rāzī führt keinen Offenbarungsanlass für den Vers an.29 Bei Korankommentatoren wie as-Samarqandī30 (gest. 373 H./983 n. Chr.) und Ibn Kaṯīr31 ist Sure 8 komplett medinensisch. In ihren Kommentaren zu Vers 32 der Sure 8 ist die Offenbarung des Verses mit an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ verknüpft. Aṭ-Ṭabarī (gest. 310 H./923 n. Chr.) erwähnt in seinem Kommentar zum betreffenden Vers einige Überlieferungen, denenzufolge er wegen an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ offenbart wurde.32 Nach al-Qurṭubī (gest. 671 H./ 1273 n. Chr.) gibt es keine Übereinstimmung unter den Gelehrten über denjenigen, der „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt)“ sagte. Muğāhid und Saʿīd b. Ğubair zufolge sei an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ derjenige, auf den der Vers 32 zurückzuführen sei. Laut Anas b. Mālik gilt dagegen Abū Ǧahl als derjenige, der „O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt)“ sagte.33 Aus dem Dargestellten geht hervor, dass einige Koranexegeten den beiden in al-Buḫārīs Sammlung genannten Überlieferungen keinerlei Aufmerksamkeit schenkten. An dieser Stelle wird ebenfalls der Offenbarungsgrund des Verses 113 der Sure 9 dargestellt, der vom Verbot der Vergebung für die Götzendiener handelt. Im Koran heißt es: „Der Prophet und diejenigen, die glauben, dürfen (Gott) nicht für die Heiden um Vergebung bitten – auch (nicht) wenn es Verwandte (von ihnen) sein sollten –, nachdem ihnen (endgültig) klar geworden ist, daß sie (wegen ihres hartnäckigen Unglaubens) Insassen des Höllenbrandes sein werden.“34 Nach einem ḥadīṯ in al-Buḫārī wird vom Offenbarungsanlass des Verses 113 berichtet. Nach Saʿīd b. al-Musayyab wurde seinem Vater überliefert, dass der Prophet seinen Onkel Abū Ṭālib zum Islam aufrief, als dieser im Sterben lag. Die beiden Polytheisten Abū Ǧahl und ʿAbdallāh b. Abī Umayya waren bei Abū Ṭālib und empfahlen ihm, die heidnische Religion nicht zu verleugnen. Da sagte der Prophet: Ich werde für dich um Vergebung bitten, solange es mir nicht ver­ boten ist. Daraufhin wurde der Vers 113 offenbart, in dem sowohl dem Propheten

28 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 216. 29 Ar-Rāzī, Bd. 15 (1999): 479. 30 As-Samarqandī, Abū l-Laiṯ Naṣr b. Muḥammd b. Aḥmad b. Ibrāhīm. Tafsīr as-Samarqandī almusammā Baḥr al-ʿulūm, hg. v. ʿAlī Muḥammd Muʿauḍ, ʿĀdel Aḥmad ʿAbd al-Mauǧūd, Zakarīyā ʿAbd al-Mağīd an-Nawtī. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, Bd. 2 (1993), 3 und 18. 31 Ibn Kaṯīr, Bd. 4 (1999): 5, 46. 32 Aṭ-Ṭabarī, Bd. 13 (2000): 505–506. 33 Al-Qurṭubī, Bd. 7 (1964): 398. 34 Paret. Koran. (Sure 9, Vers 113), 1983, 134–144.

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als auch den Gläubigen verboten wurde, für die Polytheisten um Vergebung zu bitten.35 Der ḥadīṯ weist auf den mekkanischen Ursprung des Verses 113 der Sure 9 hin. Klare Indizien im ḥadīṯ zeigen auf, dass der Prophet für seinen Onkel um Vergebung bat, als er in Mekka war. Obwohl al-Buḫārī den ḥadīṯ in seinem Kommentar zu Vers 113 der Sure 9 erwähnt und der ḥadīṯ die Hinweise auf die mekkanische Periode in sich trägt, gehört der Vers nach Badr ad-Dīn az-Zarkašī (gest. 794 H./1392 n. Chr.) nicht zu den mekkanischen Versen, die in medinensischen Suren stehen. Mit Ausnahme der beiden letzten Verse ist Sure 9 nach az-Zarkašī komplett medinensich.36 Diese Problematik behandelt al-Qurṭubī in seiner Erklärung zu Vers 113 der Sure 9. Er führt den in al-Buḫārī erwähnten ḥadīṯ an und stellt die Ansicht von al-Ḥusain b. al-Faḍl (gest. 282 H.) vor. Dieser lehnt den in al-Buḫārī erwähnten ḥadīṯ ab und begründet seine Meinung damit, dass Sure 9 zu den letzten Offenbarungen des Koran zählt und dass Abū Ṭālib starb, als der Prophet noch in Mekka war.37 Al-Ḥusain b. al-Faḍl schließt die Vorstellung aus, der zufolge der Vers dem ḥadīṯ entsprechend mekkanisch ist. Da er Sure 9 als eine der letzten offenbarten Suren einstuft, erscheint es ihm nicht möglich, dass Vers 113 mit Abū Ṭālib zu tun hat. Es ist darüber hinaus auszuschließen, dass ein Vers in einer Zeit und der übrige Teil der Sure in einer späteren Zeit nach der Herabsendung des Verses offenbart wurden. Beim Vers 113 der Sure 9 handelt es sich wohl um mehrere Auslöser der Offenbarung als nur um einen einzigen. Auf jeden Fall sind sich die muslimischen Gelehrten über den Grund der Herabsendung des Verses nicht einig. In diesem Zusammenhang wird wiedergegeben, was beispielsweise aṭ-Ṭabarī schreibt: Der Vers sei nach der Meinung einiger Gelehrter wegen Abū Ṭālib offenbart worden, als der Prophet für ihn um Vergebung bitten wollte. Aṭ-Ṭabarī bringt die Überlieferungen zur Darstellung, mit denen diese Gruppe von Gelehrten ihre Meinung untermauert. Dazu gehört die in al-Buḫārī erwähnte Überlieferung. Andere Gelehrte vertreten die Auffassung, dass der Vers wegen der Mutter des Propheten offenbart worden sei. Der Prophet habe für seine Mutter um Vergebung bitten wollen. Ihm sei aber diese Absicht verboten worden. Beruhend auf einer von Ibn ʿAbbās stammenden Überlieferung meint eine dritte Gruppe von Gelehrten, dass der Vers als Reaktion auf Leute, die für ihre toten verwandten Polytheisten um

35 Al-Buḫārī 2002, 1153. 36 Az-Zarkašī, Badr ad-Dīn. Al-burhān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Muḥammad Abū l-Faḍl Ibrāhīm. Kairo: Dār at-turāṯ, Bd. 1 (1957): 202. 37 Al-Qurṭubī, Bd. 8 (1964): 273.

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Vergebung gebeten hätten, herab gesandt worden sei. Der Vers habe ihnen verboten, für die Polytheisten um Vergebung zu bitten.38 Bei den beiden Offenbarungsgründen, dem Onkel des Propheten Abū Ṭālib und der Mutter des Propheten, handelt es sich für Ibn Ḥaǧar um ein Problem, da Abū Ṭālib in Mekka vor der Auswanderung des Propheten nach Medina gestorben sei. Der Prophet habe das Grab seiner Mutter während der kleinen Wallfahrt besucht. Grundsätzlich sei der Vers nur einmal offenbart worden. Ibn Ḥaǧar schlägt hierfür gleich eine ganze Reihe von Lösungen vor. Bei der ersten Lösung geht es darum, dass der Vers in einer späteren Zeit nach dem zur Offenbarung veranlassten Grund offenbart worden sei. Dieser Vorstellung zufolge habe der Vers zwei Gründe der Herabsendung. Der ältere Grund der Offenbarung hänge mit Abū Ṭālib zusammen. Der neuere Grund habe mit der Mutter des Propheten zu tun. Ibn Ḥaǧar vertritt die Ansicht, dass der Auslöser der Offenbarung alt ist, die Herabsendung selbst neu ist. Der Vers sei später offenbart worden, als der Prophet für seine Mutter um Vergebung habe bitten wollen. Ibn Ḥaǧar begründet seine Meinung damit, dass der Prophet in Sure 9 für die Heuchler um Vergebung bat, bis ihm dies verboten wurde. Der Offenbarungsanlass sei alt und die Offenbarung selbst sei neu. Überdies argumentiert Ibn Ḥaǧar damit, dass Vers 113 wegen Abū Ṭālib und anderer offenbart worden sei. Der Vers 58 der Sure 28 sei dem Propheten nur wegen Abū Ṭālib eingegeben worden.39 Es ist zu bemerken, dass Ibn Ḥaǧar die beiden Überlieferungen über den Offenbarungsanlass des Verses 113 in Beziehung setzt. Auf der einen Seite weist Ibn Ḥaǧar die Überlieferung, die von der Vergebung des Propheten für seine Mutter als Offenbarungsgrund des Verses berichtet, nicht zurück. Auf der anderen Seite versucht er eine Lösung für den in al-Buḫārī erwähnten ḥadīṯ, demzufolge der Vers mekkanischen Ursprungs ist, zu finden. In seinem Versuch geht er auf einen Vorschlag ein, der vernünftigerweise nicht übernommen werden kann. Meines Erachtens führt sein Vorschlag zur Aufhebung des Prinzips des Offenbarungsanlasses, da ein ungewöhnlich langer zeitlicher Abstand zwischen dem Ereignis und der Offenbarung des Verses liegt. Ibn Ḥaǧar stellt eine Hypothese auf, nach der die Vergebung Muḥammads für seinen Onkel als einer der Gründe für die Herabsendung des Verses 113 der Sure 8 gilt. Die Herabsendung selbst geschah in einer späteren Zeit. In Mekka soll der Prophet für seinen Onkel um Vergebung gebeten haben, der Vers 113 sei aber zu dieser Zeit nicht offenbart worden. Er sei später eingegeben worden, als der Prophet für seine Mutter um Vergebung gebeten haben soll.

38 Aṭ-Ṭabarī, Bd. 14 (2000): 509–513. 39 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 412.

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Neben der in al-Buḫārī angeführten Überlieferung, in der vom Offenbarungsanlass des Verses 113 der Sure 9 die Rede ist, erwähnt as-Suyūṭī zwei weitere Überlieferungen. Keine der drei lehnt er ab. Darüber hinaus betrachtet er keine von den dreien als richtig und alle anderen als zweifelhaft. Er vertritt die Ansicht, dass der Vers mehrmals als Reaktion auf verschiedene Gründe offenbart wurde. Ohne die verschiedenen Überlieferungen zu überprüfen, akzeptiert as-Suyūṭī sie alle und geht davon aus, dass der Vers nicht nur einmal sondern mehrmals als Reaktion auf verschiedene Ereignisse herab gesandt wurde.40 Die Hypothese, nach der der Vers mehrmals offenbart worden sei, weist Naṣr Ḥāmid Abū Zaid (gest. 2010 n. Chr.) zurück. Seiner Auffassung zufolge führt solch eine Hypothese zur Annahme, dass die koranischen Texte vom ersten Empfänger, dem Propheten Muḥammad, vergessen worden seien.41An einer anderen Stelle seines Buches betrachtet Abū Zaid die Behauptung, nach der ein Vers oder eine Sure zweimal offenbart worden sei, als eine Art Unfähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den Meinungen der alten muslimischen Gelehrten. Diese Unfähigkeit resultiere aus dem Glauben an die Heiligkeit der Personen und deren Ansichten.42 Meiner Ansicht nach existiert ebenfalls kein Grund zur Annahme, dass ein Vers bzw. eine Sure wiederholt herab gesandt wurde. Wurde ein Vers oder eine Sure einmal als Reaktion auf ein Ereignis offenbart, gibt es keinen Anlass für eine wiederholte Herabsendung desselben Verses oder derselben Sure, wegen eines ähnliches Ereignisses. Die Anwendung des aus der Sure bzw. dem Vers entnommenen Urteils reicht in diesem Fall aus. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass verschiedene Überlieferungen über den Offenbarungsanlass des Verses 113 der Sure 9 vorliegen. Die Koranexegeten und Koranwissenschaftler einigten sich nicht auf einen Offenbarungsanlass. Die in al-Buḫārī über den Auslöser der Herabsendung des Verses 113 genannte Überlieferung wird nicht einmütig akzeptiert. Einige Gelehrte lehnen die Überlieferung ab. Sie argumentieren damit, dass Abū Ṭālib in Mekka starb und Sure 9 zu den letzten offenbarten Suren zählt. Meiner Meinung nach ist es wegen des langen zeitlichen Abstandes zwischen dem Tode Abū Ṭālibs und der Herabsendung der Sure 9 nicht haltbar, die Herabsendung des Verses 113 mit Abū Ṭālib in Zusammenhang zu bringen. Überdies lehne ich die Annahme von Ibn Ḥaǧar ab,

40 As-Suyūṭī, Bd. 1 (2005): 220–221. 41 Abū Zaid, Naṣr Ḥamid. Mafhūm an-naṣṣ, dirāsa fī ʿulūm al-Qurʾān. Kairo: al-haiʾa al-Miṣrīya al-ʿĀmma lil-Kitāb, 1990: 128. 42 Ebd., 92.

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derzufolge der Vers mit Abū Ṭālib zu tun hatte, die Offenbarung aber später in Medina geschah.

1.3 Zum Offenbarungsanlass des Verses 85 der Sure 17 Als ein Beispiel für die Annäherung widersprüchlicher Berichte, die mit dem Thema der mekkanischen und medinensischen Offenbarung zusammenhängen, wird hier der Vers 85 der Sure 17 behandelt. Über den Offenbarungsanlass dieses Verses findet sich die folgende Überlieferung in al-Buḫārī. In diesem Zusammenhang muss zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Vers in der mekkanischen Sure „Die Nachtreise“ steht. Nach al-Buḫārī wird von Ibn Masʿūd berichtet, dass er gesagt habe: „Während ich mit dem Propheten auf einem Bauernhof war und er sich gegen einen Palmenstamm lehnte, kamen einige Juden vorbei. Einige sagten zu den anderen: Fragt ihn nach dem Geist. Einige von ihnen sagten aber: Was motiviert euch, ihn danach zu fragen. Andere sagten: (Tut es nicht), er könnte euch eine Antwort geben, die euch nicht gefällt. Sie sagten aber, fragt ihn. So fragten sie ihn nach dem Geist. Der Prophet blieb schweigsam und gab ihnen keine Antwort. Ich wusste, dass ihm eine Offenbarung eingegeben wurde. Ich blieb an meinem Platz. Als die Offenbarung herab gesandt worden ist, sagte der Prophet: „Man fragt dich nach dem Geist. Sag: Der Geist ist Logos von meinem Herrn. Aber ihr habt nur wenig Wissen erhalten.“43 (Sure 17:85). Nach dieser genannten Überlieferung ist der Vers medinensisch. Eine andere Überlieferung über den Anlass der Herabsendung des Verses 85 steht bei at-Tirmiḏī. Nach dieser Überlieferung erscheint der Vers als mekkanisch. At-Tirmiḏī berichtet, dass nach Ibn ʿAbbās die Quraiš die Juden gebeten hätten, ihnen eine Frage zu stellen, über die sie dann selbst den Propheten befragen konnten. Sie sagten ihnen: Fragt ihn nach dem Geist. Daraufhin wurde Vers 85 der Sure 17 offenbart.44 In der exegetischen- und der Sīra-Literatur taucht eine dritte Überlieferung über den Auslöser der Offenbarung des Verses 85 auf. „Es wurde nach Ibn ʿAbbās überliefert, dass die Quraiš die zwei Männer an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ und ʿUqba b. Abī Muʿaiṭ zu den medinensischen Juden schickten, um sich bei ihnen über Muḥammad zu informieren und ihnen von den Aussagen Muḥammads zu erzählen. Denn die Juden besitzen eine Heilige Schrift und wissen deshalb

43 Al-Buḫārī 2002, 1172. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 17, Vers 85) wird entnommen aus: Paret. Koran. 1983, 202 44 At-Tirmiḏī, Bd. 5 (1998): 155.

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mehr über den Propheten als die Mekkaner. Als die beiden Männer nach Medina kamen und den Juden von Muḥammad erzählten, sagten die Juden ihnen: ‚Fragt Muḥammad nach drei Dingen! Fragt ihn zuerst nach den Jungen, die in der alten Zeit ein besonderes Schicksal erlitten hätten. Dann fragt ihn nach einem Mann, der die östlichen und westlichen Gebiete der Erde erreichte. Schließlich fragt ihn nach dem Geist! Wenn er euch die Antwort auf die Fragen geben kann, ist er ein richtiger Prophet. Wenn nicht, ist er ein Lügner‘. Als die beiden Männer nach Mekka zurückkehrten und die Quraiš darüber berichteten, begaben sie sich zum Gesandten Gottes Muḥammad und stellten ihm die Fragen. Er versprach ihnen, die Antwort auf die Fragen am nächsten Tag zu geben, ohne auszusprechen: In šaʿa Allāh (Wenn Gott will). Da zwei Wochen vergingen, ohne dass Muḥammad die Antwort auf die Fragen eingegeben wurde, streuten die Quraiš Verleumdungen aus. Der Prophet war traurig darüber, dass Gabriel mit der Offenbarung nicht zu ihm kam und auch die Reden der Mekkaner ihn betrübten. Daraufhin kam Gabriel zu ihm und übermittelte ihm die Sure 18 (Die Höhle).“45 Nach dem von Ibn Masʿūd über den Offenbarungsanlass des Verses 85 überlieferten Bericht ist der Vers medinensisch. Die beiden auf Ibn ʿAbbās zurückgehenden Überlieferungen tragen die Hinweise auf die mekkanische Herkunft des Verses in sich. As-Suyūṭī führt die Überlieferung von Ibn Masʿūd und die andere von Ibn ʿAbbās in seinem Werk Al-itqān an und hält die Überlieferung von Ibn Masʿūd für stärker als die andere von Ibn ʿAbbās. Er argumentiert damit, dass einerseits Ibn Masʿūd das Ereignis miterlebt hatte und andererseits die Überlieferung in al-Buḫārīs Sammlung steht.46 Az-Zarkašī hält die beiden Überlieferungen für richtig. Keine von den beiden sei richtiger als die andere. Der Vers sei zweimal, einmal in Mekka und ein weiteres Mal in Medina, herab gesandt worden.47 In seinem Kommentar zu dem in al-Buḫārī genannten ḥadīṯ erwähnt Ibn Ḥaǧar den anderen bei at-Tirmiḏī vorhandenen ḥadīṯ und vertritt die Ansicht, dass der Vers möglicherweise wiederholt offenbart worden sei oder al-Buḫārīs Bericht richtiger sei.48 In seiner Erklärung zum Vers 85 der Sure 17 nennt Ibn Kaṯīr den von Ibn Masʿūd überlieferten ḥadīṯ und meint, dass der Kontext auf den medinensischen Ursprung des Verses hinweist. Der Vers sei in Medina als Reaktion auf eine von

45 Ar-Rāzī, Bd. 21 (1999): 428. Aṭ-Ṭabarī, Bd. 17 (2000), 592–593. 46 As-Suyūṭī, Bd. 1 (2005): 218. 47 Az-Zarkašī, Bd. 1 (1957): 30. 48 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 323.

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den Juden gestellte Frage offenbart worden, obwohl die ganze Sure mekkanisch sei. Möglicherweise sei der Vers ein weiteres Mal in Medina herab gesandt worden, wie er erstmals in Mekka offenbart worden sei. Oder er sei dem Propheten eingegeben worden, um den Juden mit dem vorher herab gesandten Vers zu antworten.49 Es scheint klar zu sein, dass Ibn Ḥaǧar den von Ibn ʿAbbās stammenden Bericht, demzufolge der Vers mekkanisch ist, nicht ausschließt. Er geht davon aus, dass der Vers wiederholt offenbart wurde. Der Vers sei einmal in Mekka als Antwort auf eine von den Mekkanern gestellte Frage offenbart worden. Ein weiteres Mal sei er in Medina als Reaktion auf eine von den Juden gestellte Frage herab gesandt worden. Ibn Kaṯīr vertritt die Auffassung, dass Sure 17 mekkanisch ist. Beruhend auf der in al-Buḫārī erwähnten Überlieferung bestätigt er den medinensischen Ursprung des Verses 85 aus Sure 17 nicht. Er redet von zwei Möglichkeiten: Entweder sei der Vers zweimal offenbart worden, oder der Prophet hätte den Juden mit dem zuvor in Mekka offenbarten Vers geantwortet. Die meisten Koranexegeten stützen sich nicht auf den in al-Buḫārī genannten ḥadīṯ und betrachten den Vers dementsprechend als medinensisch. Aus der Sicht einiger von ihnen ist Sure 17 gänzlich mekkanisch. Nach der Auffassung anderer ist sie mekkanisch mit Ausnahme einiger medinensischer Verse, zu denen Vers 85 jedoch nicht gehört.50 Nach der Meinung von ʿAbd al-Qādir Al-ʿĀnī (gest. 1398 H./ 1978 n. Chr.) kann der in al-Buḫārī genannte ḥadīṯ nicht als ein Offenbarungsgrund für Vers 85 gelten, da die Sure mekkanisch ist. Möglicherweise hätte der Prophet den Juden mit dem in Mekka offenbarten Vers geantwortet. Der Offenbarungsgrund für den Vers sei aber derjenige, der auf Ibn ʿAbbās zurückgehe. Die Ansicht einiger Koranexegeten, derzufolge der Vers wiederholt offenbart worden sei, erweise sich als nicht zutreffend. Es gebe keinen Beweis dafür, dass etwas aus dem Koran zweimal offenbart worden sei.51 Diese Behauptung, gemäß der ein Vers bzw. eine Sure zweimal offenbart worden sei, führt nach Abū Zaids Auffassung zu einer anderen Behauptung, nach der die Korantexte der Vergessenheit von Seiten des ersten Adressaten Muḥammad ausgesetzt gewesen seien. Der Prophet soll Korantexte vergessen haben und der Engel Gabriel soll ihm die gleichen Korantexte erneut übermittelt

49 Ibn Kaṯīr, Bd. 5 (1999): 114. 50 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 646; Ar-Rāzī, Bd. 20 (1999): 291; Ibn Kaṯīr, Bd. 5 (1999): 5; AsSamarqandī, Bd. 2 (1993): 299. 51 Al-ʿĀnī, ʿAbd al-Qādir Ibn Mullā Ḥuwaiš as-Sayyid Maḥmūd. Bayān al-maʿānī (muratb ḥasab tartīb an-nuzūl). Damaskus, Bd. 2 (1965): 560.

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haben, wenn ähnliche Situationen aufgetreten seien. Diese Behauptung stehe aber mit der Tatsache im Widerspruch, da sowohl der Prophet Muḥammad als auch seine Gefährten sich um das Auswendiglernen des Koran bemüht hätten.52 Auch wenn die Überlieferung von Ibn Masʿūd auf den medinensischen Ursprung des Verses hinweise und Ibn Masʿūd am Ort der Herabsendung zugegen war, zeigt die Auseinandersetzung des Textes mit der damaligen Situation den Ursprung des Textes auf. Der Kontext bestätige die mekkanische Herkunft des Verses. Des Weiteren verweise eine andere in den Werken der Koranexegese und Prophetenbiographie angeführte Überlieferung auf den mekkanischen Ursprung des Verses. Die Prophetenbiographie verbinde zwischen dem Korantext und der damaligen Situation.53 Daraus ist zu entnehmen, dass eine Entwicklung in der Behandlung der muslimischen Koranwissenschaften erfolgte. Während traditionelle muslimische Koranwissenschaftler z.  B. von der zweimaligen Herabsendung der Sure oder des Verses als einer Lösung für die unterschiedlichen Berichte, in denen die Sure bzw. der Vers gleichzeitig mekkanisch und medinensisch erscheint, reden, lehnt Abū Zaid das ab. Dass eine Sure oder ein Vers zweimal offenbart wird, betrachtet Abū Zaid als absurd.

Literatur Abū Zaid, Naṣr Ḥāmid. Mafhūm an-naṣṣ, dirāsa fī ʿulūm al-Qurʾān. Kairo: al-haiʾa al-Miṣrīya al-ʿĀmma lil-Kitāb, 1990. Al-ʿĀnī, ʿAbd al-Qādir Ibn Mullā Ḥuwaiš as-Sayyid Maḥmūd. Bayān al-maʿānī (muratb ḥasab tartīb an-nuzūl). Damaskus, 1965. Al-Buḫārī, Muḥammad b. Ismāʿīl. Ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Beirut: Dār Ibn Kaṯīr li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr wa-t-tauzīʿ, 2002. Al-Ǧamal, Bassām. Asbāb an-nuzūl ʿilman min ʿUlūm al-Qurʾān. Beirut: al-muʾassasa al-ʿarabīya lil-taḥdīṯ al-fikrī, al-markaz aṯ-ṯaqāfī, 2005. Al-Qurṭubī, Abū ʿAbdallāh b. Muḥammd b. Aḥmad al-Anṣārī. Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, hg.v. Aḥmad al-Bardūnī und Ibrāhīm Aṭfīš, Kairo: Dār al-kutub al-miṣrīya, ²1964. Al-Wāḥidī, Abū l-Ḥassan ʿAlī b. Aḥmad. Asbāb an-nuzūl, hg.v. Kamāl Basjūnī Zaġlūl. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, 1991. As-Samarqandī, Abū l-Laiṯ Naṣr b. Muḥammd b. Aḥmad b. Ibrāhīm. Tafsīr as-Samarqandī al-musammā Baḥr al-ʿulūm, hg.v.ʿAlī Muḥammd Muʿauḍ, ʿĀdel Aḥmad ʿAbd al-Mauǧūd, Zakarīyā ʿAbd al-Mağīd an-Nawtī. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, 1993.

52 Abū Zaid 1990, 95. 53 Ebd., 93–95.

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Mohammed Abdel Rahem

Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 1 Rechtsfindung zwischen Traditionalisten und Rationalisten Das islamische Recht entstand in einem langwierigen Prozess des Transports von Wörtern und Sätzen des Koran und der Tradition des Propheten Muhammad aus dem Reich ihrer sprachlichen Bedeutung in das Reich der Rechtswirklichkeit. Dieser Transport benötigte Wegweiser, die sich – hier muss ich eine Brücke über viele Geschichtsstationen schlagen – in zwei Arten bzw. Gruppen mit verschiedenen Richtungen klassifizieren lassen, und die aus dem offenbarten Text (dem Koran) sowie der Tradition des Propheten und seiner Gefährten, Rechtsurteile zum Organisieren der verschiedenen Lebensaspekten ableiteten. Eine Gruppe der Wegweiser schlug den kürzesten Weg zwischen dem göttlichen Wort und seiner rechtlichen Bedeutung ein und bot den Muslimen aus dem, was der Prophet gesagt und getan hat, ein Vorbild an, das im Laufe der Zeit als lückenhaft erschien. Es handelt sich hier um „ahlu d-dalīl“ Traditionalisten, die in Bezug auf die Rechtsfindung an der buchstäblichen Bedeutung des Textes festhielten. Die andere Gruppe von Wegweisern, als Faqīhen (Sing. Faqīh, abgeleitet von Faqiha, d.  h. verstehen, begreifen bezeichnet, bediente sich einer anderen Herangehensweise, indem sie sich im Prinzip nicht mit der Bedeutung, sondern mit dem Sinn des Textes beschäftigte und ihn hinterfragte. Sehr viele Kenntnisse wurden über Umwege wie Taxierung, Überlegung und Vergleich erschlossen, wobei auf den Schildern technische Begriffe wie iǧtihād (individuelle Bemühung um Rechtsfindung), ra’y (persönliche Rechtsmeinung) oder qiyās (Analogierschluss) stehen. Eine selbständige Wissenschaftsdisziplin, nämlich Uṣūl al-Fiqh (Methodologie oder Philosophie des islamischen Rechts) entstand als Folge dieser Herangehensweise der Rationalisten und ließ sich im Laufe der Zeit als eine Verstehenstheorie konstruieren. Während die Traditionalisten z.  B. das, was der Prophet Muhammad nicht getan hat, als nicht erlaubt erklären wollten, gilt bei den Rationalisten diesbezüglich das Prinzip bzw. die usūlitische Grundlage „al-aṣlu fi-l-ašiyāʾi l-ibāḥa“ (Erlaubtheit ist das ursprüngliche Urteil). Bis in heutige Zeit geraten die Muslime am Ende des Monates Ramadan ins Dilemma in Bezug auf die Abgabe des Fastenbrechens; Während die Muslime den Traditionalisten zufolge die Abgabe ausgehend von der Praxis des Propheten Muhammad nur in Form von Weizen oder Gerste entrichten sollen, betonen die Rationalisten die Tatsache, dass vom https://doi.org/10.1515/9783110588576-007

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Propheten Muhammad keine Aussage überliefert wurde, die für diesen Fall eine Geldabgabe ausdrücklich verbietet. Das bedeutet keinesfalls, dass die Traditionalisten die Ratio überhaupt nicht verwandten. Nicht im Bereich der Rechtsfindung, sondern vor allem beim Definieren der spezifischen Hadith-Begriffe mussten sie auf ihren spekulativen Scharfsinn setzen. Werfen wir z.  B. einen Blick auf den Anfang des Werks „Tadrīb ar-rāwī“ von as-Suyūṭī (gest. 911), dann stößt man auf eine große Meinungsverschiedenheit und tiefe Diskussion, in der die Gelehrten durch die Ratio zu einer einheitlichen Begriffsbestimmung des authentischen Hadith zu gelangen versuchten. Da aber scheiden sich die Geister. Für šuḏūḏ (Mangelhaftigkeit) und ʿilla (Fehler), von denen ein authentischer Hadith frei sein soll, gibt es keine einheitliche Definition. Die Definition, die as-Suyūṭī von an-Nawāwī (gest. 676) zitiert und auf ungefähr zehn Seiten kommentiert, wird vom Imām Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852) aufs schärfste kritisiert.1 Bei der Frage nach den Überschneidungspunkten zwischen den Traditionalisten und den Rationalisten kann ich mit dem Satz in „Tadrîb ar-râwî“ anfangen, der den ersten aber auch historisch gesehen den ältesten Überschneidungspunkt entlarvt: .‫ إن أصحاب الحديث زادوا ذلك في حد الصحيح‬:“‫ فقال ابن دقيق العيد في „االقتراح‬،‫وأما السالمة من الشذوذ والعلة‬ 2.‫ فإن كثيرًا من العلل التي يعلل به المحدثون ال تجري على أصول الفقهاء‬،‫ وفيه نظر على مقتضى نظر الفقهاء‬:‫قال‬

Was das Freisein von šuḏūḏ (Mangel) und ʿilla (Fehler) betrifft, sagt ibn Daqīq al-ʿĪd in seinem Werk „al-Iqtirāḥ“: Die Hadith-Gelehrten erwähnten dies in ihrer Definition des authentischen Hadith. Er kommentiert: Das ist aber aus der Sicht der Fiqh-Gelehrten kritisch, denn viele Fehler, die von den Hadith-Gelehrten als solche bezeichnet werden, gelten bei den Faqîhen nicht als Fehler.

Ibn Daqīq al-ʿĪd (gest. 702) verweist hier darauf, dass die Faqîhen ihre eigene Grundlagen und Voraussetzungen für die Überprüfung der Tradition des Propheten Muhammad besitzen, die sie ausschließlich für die Hadithe mit Rechtsurteilen verwendeten. Ibn Daqīq al-ʿĪd war selbst mit seinem Werk „al-Ilmāmu l-ǧāmi li-aḥadīṯi l-aḥkām“ ‫ اإللمام الجامع ألحاديث األحكام‬einer der bekanntesten Autoren auf diesem Wissenschaftsgebiet, auf dem Ibn al-Ḫarrāṭ (gest. 581) mit seinen drei Werken „al-Aḥkāmu l-kubrā“,‫„ األحكام الكبرى‬al-Aḥkāmu l-wusṭā“ ‫ الوسطى‬und „al-Aḥkāmu ṣ-ṣuġrā“ ‫ الصغرى‬zum ersten Mal systematisch arbeitete. Hier muss

1 As-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīin. Tadrīb ar-rāwī fī šarḥ Taqrīb an-Nawāwī, hg. v. Abū Yaʿqūb Našʾat b. Kamāl al-Maṣrī. Kairo 2008, 26–37. 2 Ebd., 28

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die Tatsache hervorgehoben werden, dass die Rationalisten die eigenen Grundlagen, Voraussetzungen und Prinzipien nicht zu seiner Systematik bzw. zu einer Wissenschaftstheorie im Bereich der Hadith-Wissenschaft entwickelten. Die Hadith-Wissenschaftler trugen ebenso zum Bereich der „Hadithe mit Rechtsurteilen“ bei, indem sie berühmte Fiqh-Werke kommentierten und das Authentischsein der Überlieferungen und Berichte auf einer eigenen Überprüfungs-Skala ablasen. Az-Zailaʿī (gest. 762) und sein Zeitgenosse (nach einigen Quellen sein Schüler) al-Ḥāfiẓ al-ʿIrāqī (gest. 806) kamen überein zwei Fiqh-Werken aus hadith-wissenschaftlicher Perspektive zu kommentieren. Der Erstere entschied sich für das Buch „ad-Dirāya“ vom ḥanafītischen Gelehrten al-Marġīnānī (gest. 593) und nannte seinen Kommentar „naṣbu r-rāya li-aḥādīṯi l-hidāya“, wobei sich al-ʿIrāqī für das Werk „Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn“ von al-Ġazālī (gest. 505) entschied und seinem Kommentar dazu den Namen „Iḫbāru l-aḥyāʾ’i bi-aḫbāri l-Iḥyāʾ“ gab. Die Traditionalisten, die, wie am Anfang erwähnt, den kürzesten Weg zur Rechtsfindung schlugen, spielten manchmal die Rolle des Faqīhen, indem sie (vor allem in den Hadith-Sammlungen) Rechtsurteile von der überlieferten Tradition ableiteten. Al-Buḫārī (gest. 256) und Muslim (gest. 261) verleihen den Titeln einiger Kapitel in ihren Sahîh-Werken Formulierungen mit Rechtsurteilen: ْ ‫وس ُك ْم‬ ِ ‫س ُكلِّ ِه لِقَوْ ِل اللَّ ِه تَ َعالَى „ َوا ْم َسحُوا بِ ُر ُء‬ ِ ‫ْح الرَّأ‬ ِ ‫بَاب َمس‬

• Kapitel darüber, den ganzen Kopf zu streichen. Allah, der Erhabene, sagt: und streicht euch die Köpfe mit Wasser.

‫ باب في ترك الحيل وأن لكل امرئ ما نوى‬،‫ • كتاب الحيل‬ Kapitel über Rechtskniffe, Abschnitt: Rechtskniffe muss man lassen, denn jedem Menschen gebührt, was er beabsichtigt hat. ‫ب ُغس ِْل ْال ُج ُم َع ِة َعلَى ُك ِّل بَالِ ٍغ ِمنَ الرِّ َجال‬ ِ ‫ باب ُوجُو‬:‫ • كتاب الجمعة‬ Kapitel über das Freitagsgebet, Abschnitt: Eine rituelle Waschung vor dem Freitagsgebet ist für alle erwachsene Männer Pflicht.

Bemerkenswert ist hier ebenso, dass die Traditionalisten aus ihren eigenen Grundlagen und Prinzipien für die Rechtsfindung keine Systematik bzw. Wissenschaftstheorie im Bereich des Fiqh herauskristallisieren. Kommen wir den Rationalisten näher, bemerken wir, dass die hanfîtische Rechtsschule diejenige war, die von der Ratio am meisten Gebrauch machte. Bevor die Abhandlung ins Detail geht, muss im Folgenden zunächst gewisse historische Fakten über die Schule der Hanafîten erwähnt werden:

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2 Die Ḥanafīten Der Imam Abū Ḥanīfa gestorben 150 n.H./767, Gründer der ḥanafītischen Rechtsschule, kam aus dem persischen Gebiet, und bemühte sich, die Überlieferungen, die auf den Propheten Muhammad zurückgeführt wurden, sorgfältig zu untersuchen, um aus ihrem gesicherten Inhalt eine zuverlässige Grundlage für sein Rechtssystem zu gewinnen. Abū Ḥanīfa trug seinen Schülern die Lehre vor, die sie später in mehreren Werken zusammenstellten, und aus denen sich die hanfitische Rechtsschule konstituierte. Die wichtigsten Schüler waren Abū Yūsuf (gest. 182) und Muḥammad aš-Šaibānī (gest. 187). Diese Rechtsschule ist bis heute in Ägypten, Syrien, dem Irak, der Türkei und auf dem Balkan sowohl in der Gelehrsamkeit als auch in der Praxis stark vertreten. Sie weist auch hervorragende Repräsentation in Indien, Pakistan und Mittelasien auf. Nach Küng dürften etwa ein Drittel der Muslime dieser in der Auslegung des islamischen Gesetzes großzügigsten und tolerantesten Richtung angehören.3 Für Abū Ḥanīfa spielten in der Argumentation und in der Bemühung um die Rechtsfindung das persönliche Urteil (ra’y) und der Analogieschluss (qiyās) eine große Rolle. Damit wird neben dem Glauben und den Quellen der Tradition dem gesunden Menschenverstand eine entscheidende Bedeutung zuerkannt. Dies begünstigt die Einführung der Billigung als Grundsatz der Rechtsfindung. Daher wurden die Ḥanafīiten in den meisten alten traditionellen Werken des islamischen Rechts bzw. des vergleichenden islamischen Rechts nicht als solche, sondern als Denkschule der freien Meinung (ahlu r-ra’y oder aṣḥābu r-raʾī) bezeichnet. Die Ḥanafīiten hatten weniger direkten Zugang zu den Prophetentraditionen und lebten in einem Kontext, der sich von dem in Medina und Mekka stark unterschied. Daher waren sie „gezwungen, sich den Erfordernissen des Kontextes, seiner Komplexität und neuen Fragen zu stellen“.4 Die Gegner der Ḥanafīiten wandten dagegen ein, dass diese Methode das Tor für jede Willkür öffnen würde.5 Abū Yūsuf, der älteste Schüler Abū Ḥanīfas, wurde unter dem abbasidden-Kalifen ar-Rašīd (gest. 809) zum Obersten Richter des islamischen Reiches ernannt, was es ihm erleichterte, die Lehre seines Meisters Abû Hanîfa zu verbreiten und sie zur Grundlage der praktischen Rechtssprechung zu machen. Sein Werk al-Ḫarāǧ gilt bis heute als wichtige Literatur zur islamischen Wirtschaft.

3 Küng, Hans. Der Islam – Geschichte, Gegenwart, Zukunft. München 2006, 337. 4 Ramadan, Tariq. Radikale Reform  – Die Botschaft des Islam für die modern Gesellschaft. Aus dem Englischen übertragen von Kathrin Möller und Anne Vonderstein. München 2009, 73. 5 Küng, 337.

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Muḥammad aš-Šaibānī war derjenige, der am meisten zur Gründung der ḥanafīitischen Rechtsschule beigetragen hat. In sechs unterschiedlich langen Werken hat er die Grundlagen der Schule festgelegt. Seine Lehre wurden später von as-Sarḫasī (gest. 482 n.H.) in einem 30bändigen Werk zusammengefasst. Was die hanafitische Rechtschule im Vergleich mit anderen Rechtschulen bis heute besonders auszeichnet ist, dass sie sich bei der Rechtsfindung von Anfang an von der Ratio leiten ließ. Diese Auszeichnung soll durch zwei Aspekte dargelegt werden, einen methodischen und einen praktischen.

3 Rationale Aspekte in der Methode der ­hanafitischen Rechtsschule 3.1 Aḥād-Hadith Neben dem Koran pflegten die Ḥanafīten, wie die anderen Rechtsschulen, der Sunna des Propheten Muhammad als Quelle der Rechtsfindung zu bedienen. In der Wissenschaft der Uṣūl al-Fiqh (Methodologie des islamischen Rechts), die erst durch aš-Šāfiʿī (gest. 204) in seinem Werk Ar-Risāla systematisiert wurde, werden die Überlieferungen des Propheten Muhammad in drei Stufen eingeteilt:6 Die vertrauenswürdigste Überlieferung ist die sunna mutawārtira, die von einer Vielzahl von Gewährsmännern ununterbrochen über zahlreiche Überliefererketten tradiert wurde. Eine schwächere Stufe ist die sunna mašhūra, welche nur von einen wenigen Prophetengefährten überliefert wurde, dann aber über eine Vielzahl von Überlieferer-Wegen weitergegeben wurde. Schwächste Stufe ist der ḫabar al-wāḥid (oder ḥadīṯ al-aḥad), der weder auf eine Vielzahl von Überlieferern zurückgeht, noch sich auf eine Vielzahl von Überlieferungsketten stützt.7 In Bezug auf die Verwendung der letzten Stufe war Abū Ḥanīfa – wie später auch seine Schüler  – im Vergleich zu den Gelehrten der anderen Schulen am strengsten: Nur die Überlieferungen (Hadithe), die zweifelfrei authentisch sind, wurden als beweiskräftig akzeptiert.8 Einzelner Traditionen und auch Äußerun-

6 Ḫallāf, ʿAbd al-Wahhāb. ʿIlm Uṣūl al-Fiqh, Dār al-Qalam. Kairo, o.  J., 41–42. 7 Nach den Gelehrten der Hadith-Wissenschaft wird der aḥād-Hadith als Bericht definiert, der von einem bis zu drei Überlieferern irgendeiner Generation (ṭabaqa) berichtet. 8 Historisch gesehen war die freie Rechtsmeinung (ra’y) bis in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts der Hidschra das meist verbreitetste Mittel zur Rechtsfindung, obwohl Überlieferungen vom Propheten und Berichte von seinen Zeitgenossen herangezogen wurden. In der zweiten

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gen des Propheten Muhammad, die von einzelnen Gewährsmännern überliefert waren (also aḥād-Hadithe), bedienten sich die Hanafîten nur unter bestimmten Bedingungen um sie als Grundlage der Rechtsfindung zu akzeptieren. Der Inhalt des aḥād-Hadith muss nämlich9 ‫ فإن خالفه فالعمل بما رأى ال بما روى‬،‫أال يخالف راويه‬



‫أال يُخالِف القياس‬



‫راويه فقيهًا‬ ِ َ‫وأن يكون‬



1)

dem Handeln seines Überlieferers übereinstimmen. Widerspricht er dem Handeln des Überlieferers, dann wird die Praxis und nicht die überlieferte Aussage anerkannt.

2)

den Analogien nicht widersprechen.

3)

von einem Faqīh-Überlieferer berichtet werden.

Vor allem durch die erste Voraussetzung zeichnete sich Abū Ḥanīfa im Vergleich zu den Gründern der anderen Schulen aus, denn gerade hier kristallisiert sich der Unterschied zwischen dem mašhūr- und dem aḥād-Hadith bei den Hanafîten heraus. Wenn beim Letzteren der Wortlaut des Berichtes zur entsprechenden Anwendungspraxis des Überlieferers in Widerspruch steht, wird seine Authentizität bei den Ḥanafīten infrage gestellt und demzufolge von gewissen Funktionen auf dem Gebiet der Rechtsfindung ausgeschlossen. In diesem Fall kann der aḥād-Hadith zum Beispiel die allgemein mehrdeutig ausgedrückten Koranstellen nicht spezifizieren. Während aš-Šāfiʿī und Aḥmad ibn Ḥanbal (gest. 241) zwischen dem aḥād-Hadith und dem mašhūr-Hadith im Hinblick auf diese Funktion keinen Unterschied machen, verwendet Mālik ibn Anas (gest. 179) die medinensische Praxis (ʿamal ahl al-madīna) als Maßstab, durch den die Authentizität des aḥādHadith festgestellt werden kann.10 Nicht nur von der Anwendungspraxis des Überlieferers gehen die Hanafîten bei der Festlegung der Authentizität des betroffenen Hadith aus, sondern auch von seinem tiefen Verständnis (fiqh) des Berichtes. Sowohl die Gelehrten des islamischen Rechts als auch der Hadith-Wissenschaft stimmen darin überein, dass für

Hälfte des 2. Jahrhunderts tendierten die Gelehrten zunehmend dahin, sich auf religiös sichererer Grundlage zu entscheiden. Nach Rohe spielte hierbei möglicherweise ein Rolle, dass viele vorbildliche Prophetenzeitgenossen und diejenigen, die von diesen unmittelbar berichteten, mittlerweile verstorben waren. Vgl. Rohe, Mathias. Das islamischen Recht. Geschichte und Gegenwart, München ²2009, 53. 9 Az-Zuḥaily, Wahba. Uṣūl al-Fiqh al-Islāmī, Teil 1. Damaskus 1986, 470. 10 Al-ʿAlwānī, Ṭāha Ğābir. Iškālīyat at-taʿamul maʿ as-sunna an-nabawiyya, Al-Maʿhad al-ʿālamī li-l-fikr al-Islāmī. Herndon 2014, 287.

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die Authentizität jedes Hadith zwei Bedingungen in der Person des Überlieferers erfüllt werden müssen, nämlich al-ʿadāla (Aufrichtigkeit) und aḍ-ḍabṭ (Genauigkeit). Nur die Ḥanafīten gaben der Ratio diesbezüglich mehr Raum, indem sie den aḥād-Hadith in Hinblick auf die Bedingungen für die Beweiskraft nicht auf die gleiche Stufe mit anderen Arten der Hadithe stellten. Für sie reicht es nicht aus, dass der in einer bestimmten Generation (ṭabaqa) sich allein befindende Überlieferer ʿadāla und ḍabṭ erfüllt, vielmehr muss sich dieser der Bedeutung und dem Sinn der von ihm berichteten Aussage voll bewusst (faqīh) sein. Hier betont der ḥanafītische Gelehrte al-Bazdawī (gest. 482) in seinem Uṣūl-Werk, dass der aḥādHadith von einem faqīh-Überlieferer berichtet werden muss, der nicht nur den Text genau und ohne Fehler vermittelt, sondern auch seinen Sinn und Kontext versteht.11.

3.2 Qiyās (Analogieschluss) als Rechtsquelle Al-qiyās bildet nach dem Koran, der Sunna und dem Konsensus die vierte Quelle der islamischen Gesetzgebung und wird von den uṣūl-Gelehrten in der Regel, wie folgt, definiert: „Das Übertragen vom Rechtsurteil eines alten Falls (aṣl) auf einen neuen zu klärenden Vorfall (farʿ), da beide Fälle die gleiche Ursache (ʿilla) enthalten.12 Nach dieser klassischen Bedeutung stützt sich der qiyās auf eine Basis bzw. ein sich im Koran oder der Sunna befindendes Rechtsurteil, zwischen dem und der zu entscheidenden Rechtsfrage es eine gemeinsame Ursache bzw. Ratio (ʿilla) gibt. Ist diese auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar, so unterliegt er derselben Beurteilung der Ausgangsnorm (aṣl).13 Ein Beispiel für einen Analogieschluss ist die Entscheidung, nach welcher das Trinken von Bier als verboten zu erklären ist. Die Analogie stützt sich auf Sure 5,90,14 wonach der Genuss des Weins verboten wird. Gemeinsame Ratio ist in diesem Fall die berauschende Wirkung des Biers und des Weins. Ein anderes Beispiel für qiyās ist das Rechtsurteil, nach welchem der Vater des Erblassers dessen Geschwister von der Erbfolge ausschließt. Die

11 Al-Bazdawī, ʿAlī ibn Muḥammad. Uṣūl al-Bazdawī – Kanz al-wuṣūl ilā maʿrifat al-uṣūl. Karatschi, o.  J., 156. 12 Az-Zuḥaily, 602; Zaidan, Amir M. A. Usuulul fiqh wa qawaa’iduh, Einführung in die Belegquellen und ihre Hermeneutik sowie in die Fiqh-Regeln. Wien 2011, 212. 13 Ḫallāf, 52. 14 „Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk. Meidet es!“ Paret, Rudi: Der Koran, Stuttgart 2007, 89.

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Analogie bezieht sich auf Sure 4,176,15 wonach die Söhne des Erblassers dessen Geschwister ausschließt. Gemeinsame Ursache ist hier das gegenüber den Seitenverwandten stärkere agnatische Verwandtschaftsverhältnis in ab- und aufsteigender Linie.16 Die Ḥanafīten waren in der islamischen Geschichte die erste Rechtsschule, die von diesem Instrument zur Ableitung rechtlicher Entscheidungen Gebraucht machten, bevor es von aš-Šāfiʿī in seinem Werk „ar-Risāla“ systematisiert worden ist. In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass aš-Šāfiʿī gesagt hat: „Die Gelehrten sind alle kleine Schüler Abū Ḥanīfas in Bezug auf die Anwendung des qiyās und istiḥsān (Das Für-Besser-Halten)“17 Bis heute genießt der qiyās bei den Mālikiten und den Ḥanbalīten nicht den gleichen Grad der Anwendung wie bei den Šāfiʿīten und Ḥanafīten. Die zwei Letzteren wenden jedoch den qiyās nicht auf der gleichen Stufe an: Während aš-Šāfiʿī ihn gestattet, nur wenn überhaupt keine prophetischen Überlieferungen vorhanden sind, gibt Abū Ḥanīfa der Analogie den Vorzug vor dem die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllenden aḥād-Hadith. In diesem Zusammenhang hebt Krawietz die Tatsache hervor, „die Gelehrten unterschieden sich im Ausmaß ihrer Rekurse auf Analogie-Verfahren, wie sich bereits bei der Polarisierung in eine frühe Schule des qiyās im Irak und eine solche Betonung des Hadith im Ḥiǧāz abzeichnete.“18

4 Praktische Fragen aus den Rechtswerken der Ḥanafīten In Bezug auf die besonderen praktischen Rechtsfragen, mit denen die Hanafîten sich auseinandersetzten, kann man mit der Frage der rechtlichen Kniffe (al-ḥiyal aš-šarʿiyya) anfangen. Dem Imām Abū Ḥanīfa wurde seitens der Traditionalisten vorgeworfen, er habe die Wissenschaft der juristischen Kniffe zur Umgehung der Gesetze entwickelt. Aber genau hier zeigt sich die besondere bzw. die ḥanafīitisch

15 „Wenn ein Mann umkommt, ohne Kinder zu haben, und er hat eine Schwester (von Vateroder Mutterseite her), dann steht ihr die Hälfte zu von dem, was er hinterlässt. Und er beerbt (umgekehrt) sie, falls sie keine Kinder hat.“ (Paret, Koran, 78). 16 Rohe, 63. 17 Abū Zakariyya, Yaḥiyā ibn Ibrāhīm al-Azdī. Manāzil al-aʾimma al-arbaʿa – Abū Ḥanīfa waMālik wa-š-Šāfiʿī wa-Aḥmad. Medina 2002, 170. 18 Krawietz, Birgit. Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Berlin: Dunker & Homblot, 2002, 213.

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eigenartige rationale Herangehensweise beim Umgang mit Beweisen und ihrem Bezug auf die Wirklichkeit. In der islamischen Geschichte gibt es fast keinen Gelehrten anderer sunnitischer Rechtsschulen, der über die al-ḥiyal aš-šarʿiyya (Rechtskniffe) verfasste. Ausgenommen bleibt der šāfiʿītische Abū Ḥātim al-Qazwīnī (gest. 415) mit seinem Werk „kitabu l-ḥiyal fi-l-fiqh“. Von aš-Šaibānī und seinem Schüler al-Ḫaṣāf (gest. 261) stammen die ältesten erhaltenen ḥiyal-Werke: „maḫāriǧ fī al-ḥiyal“ ‫المخارج‬ ‫ في الحيل‬und „al-ḥiyal wa-l-maḫāriǧ“ ‫الحيل والمخارج‬. Joseph Schacht, der Nestor der deutschsprachigen islamischen Rechtskunde, hat sie bereits 1923 editiert.19. Beide Werke sind sich in Stil und Stoff sehr ähnlich. Schacht hat eine inhaltliche Zusammenfassung und Charakterisierung der von ihm bearbeiteten ḥiyalLiteratur versucht und vier Motive unterschieden.20 Rechtskniffe dienten: – der Erleichterung der Befolgung von Vorschriften, – der Einschränkung der Fälle offener Gesetzesüberschreitung, – der Verhinderung der Gefahr sündhaften Vergehens, und – zur Herstellung der Billigkeit der Beziehungen Am meisten verwenden die Ḥanafīten die Rechtskniffe in den Kapiteln der Eide (aymān) und denen der Ehescheidung (aṭ-ṭalāq), um in einem Notfall die Vorschriften rechtlich zu umgehen. Die Fragestellung folgt hypothetischer Weise dem Muster: „Was ist deine Ansicht zu einem Fall, in dem …“. Erwähnenswert ist, dass von den Hanafîten die Rechtskniffe in verbotene, verwerfliche, und erlaubte ḥiyal eingeteilt werden: Der folgende Fall ist für sie ein Beispiel für die verwerfliche ḥiyal: ‫الحيلة لمنع وجوب الزكاة […]قال أرأيت لو كان لرجل مائتا درهم فلما كان قبل الحول بيوم تصدق بدرهم منها حتى‬ 21.‫يتم الحول وليس في ملكه نصاب فال يلزمه الزكاة‬

Rechtskniff für die Umgehung der Pflicht der Zakat-Steuer […] Was meinst du über einen Mann, der 200 Dirham besitzt, und einen Tag vor Ablauf des Steuerjahres einen Dirham spendet. Mit diesem einen Dirham setzt er sein Vermögen unter die Mindestgrenze zur Entrichtung der gesetzlichen Zakat-Steuer?

As-Sarḫasī betrachtet diesen Kniff in seinem al-Mabsūṭ nicht als verboten, sondern nur als verwerflich, und kommentiert die Frage damit, dass diese Form der Steuer­ umgehung selbst innerhalb der ḥanafītischen Schule umstritten ist. Schließlich

19 Schacht, Joseph. “Ḥiyal.” In The Encyclopaedia of Islam, New Edition. Bd. 3 (2008), 510b–513a. 20 Rebstock, Ulrich. „Die Rolle der Kniffe (ḥiyal) in der islamischen Rechtsentwicklung.“ In Die List, hg. v. Harro von Senger. Frankfurt 1999, 251. 21 As-Sarḫasī, Šams ad-Dīn. al-Mabsūṭ, Bd. 30, Kapitel der ḥiyal. Beirut, o.  J., 240.

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betont er, dass der Mann sich weder eines verbotenes Mittels bediente, noch sündhaft handelte. Er wendet mit diesem legalen Kniff, so as-Sarḫasī, Schaden von sich ab und schädigt gleichzeitig keinen Dritten. Für die von den Ḥanafīten als absolut erlaubt angesehenen Rechtskniffe können schließlich zwei Beispiele angeführt werden: ‫امرأة حامل تريد أن تهب مهرها لزوجها على أنها أن ماتت في نفاسها كان الزوج بريأ من المهر وأن سلمت عاد المهر‬ ‫على زوجها فإنه ينبغي لها أن تشتري من الزوج ثوبا لم تره بأن كان في منديل فتشتريه بجميع مهرها أو نصفه فإن‬ 22.‫ماتت في نفاسها برئ الزوج وأن سلمت من علتها ردت الثوب بخيار الرؤية وعاد المهر‬

Eine schwangere Frau, die Angst hat, bei der Geburt zu sterben. Sie möchte ihrem Mann den noch nicht gezahlten Teil ihrer Morgengabe verschenken, sodass sie diesen zurückbekommt, falls sie überlebt. [das Problem besteht darin, dass das Geschenk im islamischen Recht nicht zurückverlangt werden darf. Der Rechtskniff lautet:] Sie kauft von ihrem Mann gegen die Morgengabe ein in einem Tuch verwickeltes Kleid. Stirbt sie bei der Geburt, dann hat ihr Mann das Geld. Stirbt sie nicht, dann schaut sie sich das Kleid an und macht den Kauf rückgängig, und zwar mit der Behauptung, es gefalle ihr nicht.

‫(رجل) قال (لزوجته) إن لم تكلمني الليلة فأنت طالق فسكتت وامتنعت من كالمه فخاف أن يقع الطالق إذا طلع الفجر‬ ‫فطاف على العلماء رحمهم الله في الليل فلم يجد عندهم في ذلك حيلة فجاء إلى أبي حنيفة رحمه الله وذكر له ذلك فقال‬ ‫ارجع إلى بيتك حتى آتيك […] وجاء أبو حنيفة رحمه الله في أثره فصعد مأذنته وأذن فظنت المرأة أن الفجر قد طلع‬ ‫فقالت الحمد لله الذي نجاني منك فجاء أبو حنيفة رحمه الله إلى الباب وقال قد برت يمينك وأنا الذي أذنت أذان بالل‬ ‫رضي الله عنه في نصف الليل‬

Ein Mann sagte seiner Frau: „Wenn du mich die ganze Nach durch nicht ansprichst, dann bist du geschieden“. Sie schwieg und sprach ihn nicht an. Dann fürchtete sich der Mann, sich von ihr zu trennen. Er kam zum Imām Abū Ḥanīfa und erzählte ihm den Fall. Abū Ḥanīfa verlangte von ihm, nach Hause zurückzukehren, und dort zu bleiben, bis er ihn besucht. [Rechtskniff:] Abū Ḥanīfa kam zum Moscheeminarett und rief vorzeitig zum Faǧr-Gebet auf. Die Frau des Mannes sagte: Gott sei Dank, dass Er mich gerettet hat.“ Abû Hanîfa – möge Allah seiner erbarmen – kam zu ihnen und sagte ihnen: [Das war nicht das Morgengebet.] Ich habe nur zu dem freiwilligen Gebet in der Mitternacht aufgerufen, wie der Prophetengefährte Bilâl zu machen pflegte.

Die Ḥanafīten waren, wie erwähnt, die erste und – mit Ausnahme des šāfiʿītischen al-Qazwīnī – die einzige Rechtsschule, die für die ḥiyal-Kasuistik Rechtskapitel entwickelten, um den Muslimen vorschriftsmäßige Lösungen in bestimmten Notfällen anzubieten, was für viele Traditionelle nach listiger Umgehung oder tückischer Verführung der Muslime klang. Rebstock zufolge ist die ḥiyal-Literatur „aber bemerkenswert und von nachhaltiger Bedeutung. Bemerkenswert deshalb, weil in ihnen, wie nirgendwo anders in der islamischen Rechtsliteratur, aus der

22 Ebd., Bd. 30, 227.

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Sicht des rechtssuchenden Einzelnen und zu seinem Wohle das offenbarte göttliche Recht interpretiert wird.“23 Im Bereich des Handelsrechts konzipierten die Ḥanafīten ebenso ihre eigenen Rechtsgrundlagen (qawāʿid fiqhiyya), welche sie vor anderen Rechtsschulen auszeichneten. Es gilt für sie beispielsweise die Grundlage, dass alles, was entschädigt werden kann, islamisch rechtlich verkauft werden darf, auch wenn dies unrein wäre‫جواز بيع النجاسات يتبع الضمان‬. Während die Šāfiʿīten, Mālikīten und Ḥanbalīten bezüglich des Kaufs und Verkaufs aus der islamischen Sicht von der Reinheit der Ware ausgehen, handelt es sich bei den Ḥanafīten nur um die Frage, ob der zu verkaufenden Gegenstand für den Käufer und Verkäufer nützlich wäre, und ob dafür ein Geldwert bestimmt werden kann. Für die Ḥanafīten gilt die nach der islamischen Auffassung geltende Reinheit der Dinge im Bereich des Handels nicht als Voraussetzung.24 Demzufolge ist der Verkauf des als Dünger verwendeten Mistes der Haustiere nach allen Rechtsschulen, außer den Hanafîten, verboten, weil es sich um etwas Unreines handelt. Die Ḥanafīten erklären hingegen den Verkauf als erlaubt, da die Menschen so etwas für die Landwirtschaft brauchen. Das gleiche Urteil gilt entsprechend für das unreine Fett, falls es zum Gerben oder zum Beleuchten verwendet wird.25

Fazit Die ḥanafītische Rechtsschule, die als die Älteste von Abū Ḥanīfa (gest. 150) auf irakischem Boden gegründet wurde, stellt sich im Vergleich zu den anderen drei sunnîtischen Schulen als diejenige dar, die sowohl in der Methode als auch in den praktischen Fragen von der Ratio Gebrauch macht. Die strengen Voraussetzungen zum Anwenden der aḥād-Überlieferungen gelten als das bekannteste Charakteristikum ihrer Herangehensweise mit der Tradition, so dass dieses fast in allen Werken der Methodenlehre des islamischen Rechts im Kapitel der Sunna als Quelle der Rechtsfindung diskutiert wird. Vor allem die Voraussetzung bezüglich des tiefen Verständnisses (fiqh) über den tradierten Bericht seitens des Überlie-

23 Rebstock, 259. 24 Anonym. maʿalamt Zāyid li-lqawāʿid al-fiqhiyya wa-l-uṣūliyya, Bd. 2, muʾassasat Zāyid bin Sulṭān Āl Nahyān. Abu Dhabi, 2013, 66–67. 25 Al-Ğazīrī, ʿAbd al-Raḥmān ibn Muḥammad. Al-Fiqh ʿalā al-maḏāhib al-arbaʿa. Bd. 2 (22003): 209.

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ferers zählt zu den besonderen Merkmalen der ḥanafītischen rationalen Methode, die ihren Höhepunkt im qiyās-Prinzip findet. Die Anwendung der Analogie in der islamischen Rechtsgeschichte verdanken alle Gelehrten dem Imām Abû Hanifa. Als Schüler der ḥanafītischen Gelehrten aš-Šaibānī vermag aš-Šāfiʿī das qiyās-Instrument zu systematisieren, was dazu führte, dass qiyās sich fast bei allen Rechtsschulen endgültig als die vierte Rechtsquelle der islamischen Gesetzgebung durchsetzen konnte. Die Hanafîten bedienten sich in einem Maße der rationalen Rechtsmethoden, dass sie keine Rechtsauskunft scheuten und ihre Grundlagen auch hypothetisch erweiterten. Diese Hypothese lässt sich insbesondere im Kapitel über Rechtskniffe deutlich erkennen, wo die Ḥanafīten rationale Alternativen für bestimmte Normen suchen, die in bestimmten Situationen in Bedrängnis geführt hätten. Die ḥiyal-Kapitel gelten nicht nur als Zeichen für die Rationalität der Ḥanafīten, sondern bieten auch eine Fülle der Rechtsliteratur im Islam an.

Literatur Abū Zakariyya, Yaḥiyā ibn Ibrāhīm al-Azdî. Manāzil al-aʾimma al-arbaʿa – Abū Ḥanīfa wa-Mālik wa-š-Šāfiʿī wa-Aḥmad. Medina: aǧ-Ğāmiʿa al-Islāmiya Verlag, 2002. Al-Bazwdawī, ʿAlī ibn Muḥammad. Uṣūl al-Bazdawī – Kanz al-wuṣūl ilā maʿrifat al-uṣūl. Karatschi: Ğāwīš Press Verlag, o.  J. Al-Ğazīrī, ʿAbd al-Raḥmān ibn Muḥammad. Al-Fiqh ʿalā al-maḏāhib al-arbaʿa. Beirut: Dār al-Kutub al-ʿIlmiyya, ²2003. Anonym. maʿalamt Zāyid li-lqawāʿid al-fiqhiyya wa-l-uṣūliyya, Bd. 2, muʾassasat Zāyid bin Sulṭān Āl Nahyān. Abu Dhabi, 2013. As-Sarḫasī, Šams ad-Dīn. al-Mabsūṭ, Bd. 30, Kapitel der ḥiyal. Beirut: Dār al-Maʿrifa Verlag, o.  J. As-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīn. Tadrīb ar-rāwī fî šarḥ taqrīb an-Nawāwī, hg. v. Abū Yaʿqūb Našʾat b. Kamāl al-Maṣrī. Kairo: Dār al-ʿAqīda Verlag, 2008. Az-Zuḥaily, Wahba. Uṣūl al-Fiqh al-Islāmī, Teil 1. Damaskus: Dār Al-Fikr Verlag, 1986. Al-ʿAlwānī, Ṭāha Ğābir. Iškālīyat at-taʿamul maʿ as-sunna an-nabawiyya, Al-Maʿhad al-ʿālamī li-l-fikr al-Islāmī. Herndon, 2014. Ḫallāf, ʿAbd al-Wahhāb. ʿIlm uṣūl al-fiqh, Dār al-Qalam. Kairo, o.  J. Krawietz, Birgit. Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Berlin: Dunker & Homblot, 2002. Küng, Hans. Der Islam – Geschichte, Gegenwart, Zukunft. München: Piper Verlag, 2006. Paret, Rudi: Der Koran. Stuttgart: Kohlhammer, 102007. Ramadan, Tariq. Radikale Reform – Die Botschaft des Islam für die modern Gesellschaft. Aus dem Englischen übertragen von Kathrin Möller und Anne Vonderstein. München: Diederichs Verlag, 2009. Rebstock, Ulrich. „Die Rolle der Kniffe (ḥiyal) in der islamischen Rechtsentwicklung.“ In Die List, hg. v. Harro von Senger. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1999.

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Rohe, Mathias. Das islamischen Recht. Geschichte und Gegenwart. München: C.H. Beck, ²2009. Schacht, Joseph. “Ḥiyal.” In The Encyclopaedia of Islam, New Edition. Bd. 3 (2008), 510b–513a. Leiden: Brill. Zaidan, Amir M. A. Usuulul fiqh wa qawaa’iduh, Einführung in die Belegquellen und ihre Hermeneutik sowie in die Fiqh-Regeln. Wien: Islamologisches Institut, 2011.

Ahmad Ighbaria

The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example Introduction Aristotelian logic had a special status within Islamic culture, since works from the Aristotelian Organon were among the first to be translated into Arabic in the eighth century.1 In the 9th and 10th centuries, the translation movement from Greek into Arabic expanded and reached its peak, both in quality and quantity of works with remarkable professionalism that distinguished the translators. Shortly after the translation of the Organon was completed in the 10th century, the science of logic began to penetrate into Islamic sciences, such as grammar, principles of jurisprudence (uṣūl l-fiqh), and Kalām; and consequently, influence them profoundly.2 Yet, such interaction between Aristotelian and Stoic logic, on one hand, and Islamic sciences, on the other, was controversial among the Muslims. The opponents of logic expressed reservations about the effectiveness of this foreign science since it was not invented by Muslims, but rather by a pagan philosopher (Aristotle). The proponents of logic, or of parts of its discussions, however, felt a strong need to make use of it since it provided them with techniques that added a rational dimension to their theological inquires and arguments. As to the science of Kalām, logic has provided this science with another element, which is to defend faith from the attacks of the opponents, whether they were theologians of other religions or Muslims belonging to different Kalām sects.3 Gutas states that the Topics (al-Jadal), which is one of the books that constitutes the Aristotelian Organon, was first translated into Arabic at the request of the caliph al-Mahdī (d. 785) because of its connection to the content of the art of dialectic, and this was at a time when Muslims were in need of such a science, especially in

1 See Ahmad Ighbariah, “Grammatical Features in Ibn al-Muqaffaʿ Categories,” JSAI 43 (2016), 251. 2 See about the interaction between logic and Islamic sciences: Tony Street, “Arabic Logic,” in Handbook of the History of Logic, Vol. I: Greek, Indian and Arabic, ed. by Dov M. Gabbay & John Woods (Amsterdam: Elsevier, 2004), 554–9. 3 It is appropriate to distinguish between logic in the Aristotelian or Stoic sense, and the logical structure of arguments presented by Kalām thinkers, for among those thinkers there were those who opposed Aristotelian logic, yet, on the other hand, they presented arguments that had a logical structure. See Josef Van Ess, “The Logical Structure of Islamic Theology,” in Logic in Classical Islamic Culture, ed. by G.E. von Grunebaum (Wiesbaden: Harrassowitz, 1970), 22. https://doi.org/10.1515/9783110588576-008

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their debates with non-Muslim theologians, or even in internal disputes between Muslims themselves.4 The interest of the caliphs in Greek philosophy and logic reached its peak during the reign of al-Maʾmūn (813–833), who firmly supported the translation movement and even directed the House of Wisdom (bayt al-ḥikma) to serve this purpose. Al-Maʾmūn himself was a Muʿtazilī scholar who believed in the ability of reason more than traditional texts. This same caliph was interested in Aristotelian logic and thought, like many other Muʿtazilī thinkers, to strengthen and defend faith by making use of it. In this context, Madkour writes that the first generation of Muʿtazilī thinkers proved an extraordinary ability in debates against their opponents, even though, at this point, the science of dialectic was not mature enough, taking into account its dependence on rhetoric and literature.5 Madkour adds that the appearance of the opponents of the Muʿtazila, namely the Ashʿariyya, was a turning point in the relationship between logic and Kalām, since Al-Ashʿarī (d. 936) himself was exposed to Aristotelian Organon and made use of the science of dialectics in a systematic manner.6 This tendency was developed in the writings of the later Ashʿarī scholar, al-Ghazālī (d. 1111), who was the most prominent among the Ashʿariyya.7 Al-Ghazālī who was known for his famous attack against philosophy and for accusation philosophers of heresy, disconnected logic from philosophy and referred to logic with sympathy, especially the formal parts of it.8 Al-Ghazālī chose to open his book on the principles of jurisprudence, Al-Mustaṣfā, with an introduction about logic that he referred to as a tool that should be a preface to all sciences. Later, this process became a tradition in the writings of many other Ashʿarī scholars who adopted and developed it. Fakhr ad-Dīn ar-Rāzī (d. 1210) was a good example of this approach since in his writings logic was treated as an integral part of theological discussions.9 From ar-Rāzī on, Aristotelian logic, with a certain modifi-

4 Dimitri Gutas, Greek Thought, Arabic Culture (New York: Routledge, 1998), 61–9. See more about debate techniques used by Kalām’s thinkers: Van Ess, “Logical Structure,” 23. 5 Ibrahim Madkour, L’Organon d’Aristote dans le Monde Arabe (Paris: Vrin, 1969), 251–2. Van Ess points out that at this stage of Muʿtazila’s Kalām, the logical arguments were based on stoic logic: Van Ess, “Logical Structure,” 32. 6 Madkour, L’Organon, 252–3. 7 See about al-Ghazālī’s attitude to logic: Khaled El-Rouayheb, “Theology and Logic,” in Oxford Handbook of Islamic Theology, ed. by Sabine Schmidtke (Oxford: Oxford University Press, 2016), 411–4. 8 See about the detachment of logic from philosophy and its implications on Islamic sciences: Nicholas Rescher, The Development of Arabic Logic (London: University of Pittsburgh Press, 1964), 59–63. 9 Madkour, L’Organon, 254.

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cations and adaptations; became an essential formative element that preceded many of the theological works. Yet, this does not mean that the process of internalizing the Aristotelian logic within Islamic Kalām did not involve a strong opposition that accompanied this process in certain stages. Scholars of the Sunni Orthodox stream were those who strongly opposed logic more than any other stream. Ibn aṣ-Ṣalāḥ (d. 1245), for instance, was one of the scholars of this stream who published a famous fatwā forbidding the use of logic.10 However, the harshest attack on Aristotelian logic was launched by Ibn Taymiyya (d. 1328) that, unlike al-Ghazālī who limited his attack on philosophy, rejected both philosophy and logic and devoted some of his works to dispute the later, which he claims has no real benefit, but rather contradicts Islamic faith since the inventor of this science was Aristotle who came from a pagan background.11 Despite Ibn Taymiyya’s severe attack, the teaching of logic continued up to the present day in Sunni religious institutions such as Al-Azhar in Egypt and in Shīʿī institutions such as Qom in Iran. In this article, I intend to discuss the works of Ibn Ḥazm who preceded al-Ghazālī and was a pioneer in combining logic with Kalām. Although Ibn Ḥazm was not affiliated with the well-known theological groups, Muʿtazila, Ashʿariyya and Māturīdiyya; he attempted to adapt logic in a way that can fit with his theological discussions. I argue that Ibn Ḥazm’s deviations from the Aristotelian tradition did not result from a misunderstanding, but rather comprise a conscious move that reflects his theological motivation. For Ibn Ḥazm, logic should be simplified and accommodated to the needs of the believers; it should also be employed as a tool that can amend the conceptual shortcomings that deny believers the ability to correctly understand several fundamental issues of belief. Furthermore, since faith in the Qurʾān is necessary to accommodate logic, and since the Qurʾān itself has passed to believers through Arabic language, the latter is also necessary to understand the Holy Writ correctly and to accommodate logic accordingly.

10 Van Ess, “Logical Structure,” 49; El-Rouayheb, “Theology and Logic,” 423. 11 See for example: Ibn Taymiyya, Ar-Radd ʿalā l-Manṭiqiyyīn, ed. by Rafīq l-ʿUjm, Vol. II (Beirut: Dār l-fikr l-lubnānī, 1993), 37, 38–9. See also El-Rouayheb, “Theology and Logic,” 416–20.

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Ibn Ḥazm and the Organon Ibn Ḥazm (d. 456/1064) was an Andalusian author, jurist, theologian, historian, and logician who occupied a distinguished place in Islamic history and culture.12 One of his works as a logician,13 his version of the Organon, was not designed according to the Baghdad School approach,14 but rather according to a special interpretation by which Ibn Ḥazm tried to meet the needs of the society he lived in, from his own perspective. Ibn Ḥazm’s version of the Organon, entitled At-Taqrīb, is one of his earliest writings, and greatly influenced his later writings, which deal with other fields of human science.15 The full title of this work is At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq wa-l-madḫal ilayhī bi-l-alfāẓ l-ʿāmmiyya wa-l-amṯila l-fiqhiyya (The approach to the logical definition and the introduction to it through the common utterances and the jurists’ examples). This title reveals Ibn Ḥazm’s intention to simplify logic, liberating it from its reputation as a difficult science reserved for the select few who are competent to make use of it. He intended to achieve this objective by simplifying logical terminology and offering examples from jurisprudence and grammar.16 At-Taqrīb contains the following works, some of which have different titles from their parallels in the Aristotelian Organon, as is demonstrated in the following table:

12 See Roger Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” EI2. 13 For further information about Ibn Ḥazm’s contribution to Arabic logic, see Rescher, Development, 158–9; Anwar G. Chejne, “Ibn Ḥazm of Cordova on Logic,” Journal of the American Oriental Society 14 (1984): 57, 64. For more details about his teachers see Joep Lameer, “Ibn Ḥazm’s Logical Pedigree,” in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by Camilla Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 417–28. 14 Some scholars claim that Ibn Ḥazm became acquainted with Aristotelian logic through this school. See Rafael Ramón Guerrero, “Aristotle and Ibn Ḥazm: On the Logic of the Taqrīb,” in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by Camilla Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 413–4; Lameer, “Ibn Ḥazm,” 421, 425–7. 15 Samuel M. Behloul, “The Testimony of Reason and Historical Reality: Ibn Ḥazm’s Refutation of Christianity,” in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by Camilla Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 465. For an approximate dating of the composition of this work, see Chejne, “Ibn Ḥazm,” 57, 64. 16 In this sense, it is plausible that Ibn Ḥazm’s approach had influenced Al-Ġazālī (d. 1111), who was interested in logic as a tool that helps attain a better understanding of the principles of law (uṣūl l-fiqh). See, for example, Abū Ḥāmid l-Ġazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm l-uṣūl, ed. by Muḥammad Sulaymān Aškar, Vol. I (Beirut: Muʾassasat ar-risāla, 1997), 45. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 61.

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Ibn Ḥazm (At-Taqrīb)

Aristotle (Organon)

Al-Madḫal ilā l-manṭiq aw īsāġūjī (Introduction to logic or Eisagoge)

Eisagoge (Porphyry)

K. l-Asmāʾ l-mufrada (Book of simple nouns)

Categories

On interpretation K. l-Iḫbār wa-huwa l-asmāʾ l-majmūʿa ilā ġayrihā wa-tusammā l-murakkaba wa-huwa l-musamma fī-l-luġa l-yūnāniyya barī armīnyās (The informative book about nouns that are combined with others and called ‘composite’; in Greek they are called “barī armīnyās”) 17

K. l-Burhān (Book of demonstration)18

Prior analytics Posterior analytics Topica Sophistical refutations

K. l-Balāġa (Book of eloquence)19

Rhetoric

K. aš-Šiʿr (Book of poetry)

Poetics

20

The special plan of Ibn Ḥazm’s At-Taqrīb evoked scolding responses from some of the Moslem biographers, who rejected what they took to be a deviation and misunderstanding of the Aristotelian Organon.21 Ṣāʿid, his contemporary fellow Andalusian, exhibited this common view:

17 In ʿAbbās’ edition, this is mis-titled as Aḫbār (Traditions); yet this issue lies beyond the scope of the present discussion. 18 In this book, Ibn Ḥazm combines different sections taken from the Prior Analytics, Topica, and Sophistical Refutations, in addition to the Posterior Analytics itself. 19 Ibn Ḥazm did not use the celebrated title Al-Ḫiṭāba, which the Muslim logicians who preceded him had adopted; instead, he adopted the title Al-Balāġa, which refers to literary criticism within the Islamic context. 20 Notably, the last two compositions (Rhetoric and Poetics) were not included in the Aristotelian Organon; rather, the Moslem philosophers had added them to it. See a systematic survey of the logical books that comprise at-Taqrīb in: Chejne, “Ibn Ḥazm,” 64–9. 21 See, for example, Ṣāʿid l-Andalusī, K. Ṭabaqāt l-umam, ed. by Louis Cheikho (Beirut: alMaṭbaʿa l-Kāṯūlīkiyya li-l-ābāʾ l-yasūʿiyyīn, 1912), 76; Jamāl ad-Dīn Yūsuf l-Qifṭī, K. Iḫbār l-ʿulamāʾ bi-aḫbār l-ḥukamaʾ (Beirut: Dār l-āṯār li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našir wa-t-tawzīʿ, n.d.), 156; Yāqūt Ibn ʿAbd Allāh ar-Rūmī l-Ḥamawī, Muʿjam l-udabāʾ aw iršād l-arīb ilā maʿrifat l-adīb, Vol. III (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, 1991), 547. Ibn Ḥazm’s disciple, al-Ḥamīdī (d. 1095), is an exception, as he describes his teacher as a unique intellectual in his At-Taqrīb: Muḥammad Ibn Abī Naṣr Futūḥ Ibn ʿAbd Allāh l-Azdī l-Ḥamīdī, Jaḏwat l-muqtabas fī ḏikr wulāt l-Andalus (Cairo: ad-Dār l-miṣriyya li-t-taʾlīf wa-t-tarjama, 1966), 308. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 64; Street, “Arabic Logic,” 561. Rescher claims that Ibn Ḥazm was one of few philosophers who had the courage to criticize Aristotle (Rescher, Development, 159).

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[Ibn Ḥazm] disagreed with Aristotle, the founder of this science [i.  e., logic], in some of his principles in such a manner that [revealed] misunderstanding of his aim and lack of skill in his writings. As a result, his book [i.  e., At-Taqrīb] was full of mistakes and its errors are obvious.22

It is not difficult to see why At-Taqrīb was met with such an unwelcome response, as the work differs from the traditional Organon in many ways.23 Ibn Ḥazm’s treatment of the Categories—under the title K. l-Asmāʾ l-mufrada (The book of simple nouns)—contains many examples for his deviation from the typical Peripatetic approach.24 The Aristotelian categories of ‘when,’ ‘where,’ ‘state,’ ‘having,’ and ‘quantity’ comprise good illustrations of such deviation. For example, his treatment of the category of “quantity” deviates from the parallel category in Isḥāq’s translation of the Categories. Isḥāq’s translation of the division of quantity is as follows: As to quantity, part of it is discrete and part of it is continuous … an example of the discrete part is number and speech,25and of the continuous [is] line, plane and body, as well as all that is surrounding them, [i.  e.,] time and place.26

Sībawayhi explains grammatically the concept of “quantity” as follows: If someone said to you: ‘How many do you have?’ He asked you about a [certain] number, because ‘How’ (kamm) here is a question about a number. Then the one who answers should say [for example]: ‘twenty,’ or [any other number] he wants.27

22 Ṣāʿid, Ṭabaqāt l-umam, 76. 23 See more about this point in Ramón Guerrero, “Aristotle and Ibn Ḥazm,” 410–11. 24 Unlike Ibn Ḥazm who tried to give an Islamic interpretation to the Organon in general and to the Categories in particular, both Ibn Sīnā (d. 1037) and Ibn aṭ-Ṭayyib (d. 1043), who preceded Ibn Ḥazm and lived simultaneously, tried each in his own way to continue the Aristotelian tradition and follow the interpretations of the Hellenistic commentators. Thus, for example, Ibn Sīnā was influenced by the interpretation of Simplicius (d. ca. 560), while Ibn aṭ-Ṭayyib was influenced by Alexander of Aphrodisias (who was active during the late second and early third century) and Porphyry (d. 309). See: Alexander Kalbarczyk, “The Kitāb al-Maqūlāt of the Muḫtaṣar al-awsaṭ fī l-manṭiq: A Hitherto Unknown Source for Aristotle’s Categories,” Oriens 40 (2012) 312–14; Cleophea Ferrari, Der Kategorienkommentar von Abū l-Farağ ʿAbdallāh Ibn aṭ-Ṭayyib: Text und Untersuchungen (Leiden-Boston: Brill, 2006), 76–7 (the page numbers are of the editor’s introduction). 25 Expression is considered discrete since it is composed of different syllables that are separate from one another. 26 ʿAbd ar-Raḥmān badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I (Kuwait: Wakālat l-maṭbūʿāt, 1980), 43. 27 Abū Bišr ʾAmr Ibn ʿUṯmān Sībawayhi, Al-Kitāb, ed. by ʿA. S. Hārūn, Vol. II (Cairo: Maktabat l-ḫānjī, 1966), 157. See also: Abū bakr Ibn as-Sarrāj, Al-Uṣūl fi-l-naḥw, ed. by ʿAbd l-Ḥusayn l-Fatlī, Vol. I (Beirut: Muʾassasat ar-risāla, 19963), 315.

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In the Arabic language, ‘quantity’ applies to everything that can be enumerated entirely by use of numbers, whereas according to the Aristotelian tradition, ‘quantity’ applies to discrete objects (number and speech) and continuous objects (line, plane, body, time, and place) alike. Thus, since the Arabic grammatical concept differs from the Aristotelian one, how did Ibn Ḥazm combine the two of them? Unlike the Aristotelian conception, according to which the characteristic feature of all quantities is that they can be said to be ‘equal’ or ‘unequal,’ Ibn Ḥazm calls the category of ‘quantity’ al-ʿadad (the number). He considers ‘the number’ to be the real quantity (al-kammiyya ʿalā l-ḥaqīqa), which applies to all kinds of quantities: body, plane, line, place, time, and speech. He explains this notion as follows: Of these seven parts, the number alone is the true quantity; it is applicable to the other mentioned species, it applies to the body through its surface, for each body in the world has its area and dimensions,28whether small or large, and the area is a number taken as an accepted measure.29

Ibn Ḥazm explains that all these species, both discrete and continuous, can be measured using a numerical measurement.30Therefore, from Ibn Ḥazm’s point of view, the traditional Aristotelian division of quantity into discrete and continuous is inaccurate. Moreover, Ibn Ḥazm replaced the Aristotelian characteristic feature of quantity (‘equal’ and ‘unequal’), with a more specific feature; namely, measurement by means of numbers. By applying such a measurement, Ibn Ḥazm adapted the category of ‘quantity’ into the Arabic linguistic framework, whereby quantity is any matter involving a particular number. In dealing with categories such as ‘quantity,’ Ibn Ḥazm had two objectives: to contribute to the debates between the grammarians and the logicians taking into consideration that the category of ‘quantity’ has the two aspects, logical and grammatical;31 and his personal project whose goal was to simplify logic and

28 The origin in singular: ḏarʿ. 29 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1983), 146. Compare with Plotinus, The Enneads, tr. by Stephen Mackenna (London: Faber and Faber Ltd., 1969), Ennead VI, Ch. 1, 4–5. 30 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 146–53. 31 In general, Muslim logicians tended to think that logic is universal and deals with concepts, while grammar is particular and deals with utterances. This topic seems to have occupied the attention of both logicians and grammarians before Ibn Ḥazm, during the 10th century in particular; see the well-known debate that took place between the grammarian Abū Saʿīd as-Sīrāfī (d. 979) and the logician Mattā Ibn Yūnus (d. 940) and was reported by Abū Ḥayyān at-Tawḥīdī (d. 1023): D. S. Margoliouth, “The Discussion between Abu Bishr Matta and Abu Saʿid al-Sirafi on

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bring it closer to the masses through “the common utterances and the jurists’ examples,” in his words. In this sense, Ibn Ḥazm’s project differs from that of al-Fārābī (d. 950), who not only called for separation between logic and grammar, as his teacher, Mattā, had done before him, but also sought a separation of terms belong to both sciences. Al-Fārābī argues that unlike logic, which was designed for those engaged in philosophy, grammar has common terms (mašhūra) accepted by the masses.32 Ibn Ḥazm intended to change the elitist status of logical terms by simplifying them and making them acceptable and suitable to the masses; only in this light can one understand his interpretation of some categories, like that of ‘quantity.’ Unlike Aristotle and his followers, for Ibn Ḥazm, ‘state’ (nuṣba) is no longer a category but rather one of the species of the category ‘quality’ (kayfiyya). Ibn Ḥazm maintains that this term refers to the arrangement of something when it is contained in a certain place (hayʾat l-mutamakkin fī l-makān).33 The same holds for ‘having’ (mulk), which is also no longer considered a category and is relegated to the status of one of the species of the category ‘relation’ (iḍāfa)—characterized by its existence between two substances (murakkab min jawhar maʿa jawhar wa-iḍāfa).34 Ibn Ḥazm was not the first to attempt to reduce the categories to less than ten. After Aristotle, two main approaches emerged to the interpretation of the Categories: (1) the Stoic approach offered an alternative to the ten distinct Aristotelian categories; instead, they posited a scheme of four categories applicable to

the Merits of Logic and Grammar,” The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland 37 (1905): 79–129; see, for instance, the comparison that Mattā made between logic and grammar: “Logic investigates concept[s] while grammar investigates utterance[s]. It is by accident (bi-l-ʿaraḍ) that a logician encounters an utterance, and it is by accident that a grammarian encounters a concept” (Ibid., 97–8). For more about the relationship between logic and grammar, see: Rescher, Development, 40–3; Muhsin Mahdi, “Language and Logic in Classical Islam,” in Logic in Classical Islamic Culture, ed. by G.E. von Grunebaum (Wiesbaden: Harrassowitz, 1970), 55–83; Gerhard Endress, “The Debate between Arabic Grammar and Greek Logic in Classical Islamic Thought,” Journal for the History of Arabic Science 1 (1977): 320–22 (English summary), 339–51 (Arabic); Street, “Arabic Logic,” 555–56. 32 Abū Naṣr l-Fārābī, K. l-Alfāẓ l-mustaʿmala fī l-manṭiq, ed. by Muḥsin Mahdī (Beirut: Dār l-mašriq, 19862), 43. 33 For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 170. Compare with Abū Naṣr l-Fārābī, “K. l-Maqūlāt,” in Al-Manṭiq ʿind l-Fārābī, ed. by Rafīq l-ʿUjm, Vol. I (Beirut: Dār l-mašriq, 1985), 111–12; Aristotle, “Categories,” in The Works of Aristotle, ed. by William Ross, Vol. I (Oxford: Clarendon Press, 1966), 2a1–5. 34 For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 171. Compare with al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 113; Aristotle, “Categories,” 2a1–5.

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the corporeal part of the world. These categories are subject to a super category, the ‘thing,’ which applies to the corporeal as well as to the incorporeal realms;35 and (2) the Neo-Platonic approach criticized the other two approaches and offered two distinct five-category sets—a material set and an intelligible set—based on the Platonic ontology that divides the world into material and intelligible.36 In Islamic culture, Ibn l-Muqaffaʿ (d. 756) made the first attempt to reduce the number of categories to four.37 In contrast to the Peripatetic view, which was adopted by the school of Baghdad and stressed the categories’ independence from one another, Ibn l-Muqaffa‘ divides them into primary (‘substance,’ ‘quantity,’ ‘quality,’ and ‘relation’) and secondary (‘state,’ ‘action,’ ‘affection,’ ‘position,’ ‘where,’ and ‘when’). He considers the categories to be hierarchical and even asserted that the secondary categories are derived from the primary ones; ‘when’ and ‘where’ belong to ‘quantity’; ‘action’ and ‘affection’ to ‘relation’; and ‘having’ and ‘state’ to ‘quality.’38Ibn Ḥazm, on the other hand, makes a different reduction; he attributes the category of ‘state’ to ‘quality’ but ‘having’ to ‘relation.’ In any case, Ibn Ḥazm, who viewed the categories with a critical approach to their number, may have been exposed to the reductionist tradition of the categories through Ibn l-Muqaffa‘, or through other thinkers who appeared after him, like al-Fārābī and Ibn Sīnā (d. 1037), and attempted to prove that the number of categories should be ten.39

35 See about the theory of categories in Stoic philosophy: F. H. Sandbach, Aristotle and the Stoics (Cambridge: The Cambridge Philological Society, 1985), 40–2. 36 Plotinus wrote a comprehensive and systematic critique of the Aristotelian theory of categories. He discussed it in the first three chapters of the sixth Ennead. The first chapter deals with criticism of the categories of Aristotle and Stoics. In the second chapter, Plotinus surveyed the categories of the intelligible world, and in the third he dealt with the categories of the material world: Plotinus, The Enneads, VI, Ch. 1–3. 37 For more about Ibn l-Muqaffaʿ’s treatment of the Aristotelian categories, see Ighbariah, “Grammatical Features”, 251–71. 38 Ibn l-Muqaffaʿ, Al-Manṭiq li-Ibn l-Muqaffaʿ wa-ḥudūd l-manṭiq li-Ibn Bihrīz, ed. by Muḥammad Taqī Dānišpaẓūh (Tehran, 1978), 20. Compare with The Brethren of Purity: Iḫwān aṣ-Ṣafā, Rasāʾil iḫwān aṣ-ṣafā, Vol. I (Qom: Maktab l-iʿlām l-islāmī, 1405 hijra), 410. 39 Al-Fārābī is methodical in his opposition to the rejecters of the Aristotelian theory of the categories – notably to the skeptics, who try to reduce the number of categories to less than ten. As he demonstrates, the objectors to the Peripatetics present categories in themselves (bi-ḏātihā) as if they were categories in relation (bi-l-iḍāfa) to something, and thus apparently show that they are unnecessary or can be subjected to other categories. See, e.  g., Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf, ed. by Muḥsin Mahdī (Beirut: Dār l-mashriq, 20043), 92–5. Yaḥyā Ibn ‘Adī (d. 974) provides two demonstrations to prove that the number of categories is ten. He rejects the view that existence is a category—a view that originates from the attempt to use the ontological concept ‘existence’ (wujūd) instead of the logical concept ‘genus’ (jins). Ibn ‘Adī dedicates two treatises to discuss the number of the categories; Fī anna l-ʿaraḍ laysa huwa jinsan lit-tisʿ l-maqūlāt l-ʿaraḍiyya and As-sabab fī

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The categories of ‘quantity,’ ‘when,’ ‘where,’ ‘state,’ and ‘having’ comprise just a few examples that explain the Moslem biographers’ reproach of what they perceived as Ibn Ḥazm’s crude misunderstanding of Aristotelian logic.40 If indeed his deviations were errors, the critique is well justified. However, in this study I to suggest that Ibn Ḥazm is quite aware of what he is doing, and that his deviations from the common Aristotelian approach are deliberate. They are to be understood as creative revisions in tune with Ibn Ḥazm’s unique approach to language and his theological agenda in general.

The Nominalistic Method The 11th century Andalusian society, Ibn Ḥazm writes, witnessed a deep intellectual crisis stemming from a sharp divide between two dominant intellectual movements. One movement was attached to ‘the sciences of the Ancients’

wujūd l-maqūlāt ʿašran. See more about these two works in Saḥbān Ḫlīfāt (ed.), Maqālāt Yaḥyā Ibn ‘Adī l-falsafiyya (Amman: Manšūrāt l-jāmiʿa l-ʾurduniyya, 1988), 144–47; 180–81. Ibn Sīnā rules out the possibility that existence is a category, while also rejecting the possibility that accident (ʿaraḍ) and movement (ḥaraka) are categories. Furthermore, he provides a demonstration for the number of categories being ten. See about the three above-mentioned concepts (existence, accident, and movement) in Ibn Sīnā with relation to the number of the categories: Ibn Sīnā, “AlMaqūlāt,” in Aš-Šifāʾ, ed. by Ibrāhīm Madkūr and others, Vol. X (Cairo: Al-Hayʾa l-ʿāmma, 1959), 60–2, 65–6, 271–73; Jon McGinnis (tr.), The Physics of the Healing, Books I (Provo, Utah: Brigham Young University Press, 2009), 128–35. 40 The Aristotelian category ‘when’ (matā) is traditionally understood as referring to that which comprises specific moment in time, like ‘yesterday’ or ‘next year’ (See Aristotle, “Categories,” 2a1. Compare with al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 108–10; and with Ibn Sīnā in his Muḫtaṣar (Kalbarczyk, “Muḫtaṣar,” 342), where he writes: “‘when’ is neither the time nor a temporal [object]; rather, [it is] its relation with its time” (inna matā lā az-zaman wa-lā az-zamanī bal nisbatuhu ilā zamānihi). Under Ibn Ḥazm’s approach, it becomes ‘time’ (az-zamān) in its physical sense, as the measure of motion that is divided into past, present, and future. For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 165–7. The Aristotelian category ‘where’ (ayna) is transformed in an analogical fashion. Whereas the traditional understanding of this category is ‘being in a certain place,’ Ibn Ḥazm renders it ‘the place’ (al-makān), namely ‘place’ as a general physical concept, not its categorical one. He does not discuss this category according to its Aristotelian sense of ‘being in a place,’ but rather as a mere general place. For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 167–70. Compare with Aristotle, “Categories,” 2a1; Al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 110–11. Compare also with Ibn Sīnā who states explicitly: “‘where’ is neither the place nor an object that occupies a place; rather, the relation of a certain thing to its place” (al-ayn laysa huwa l-makān wa-lā l-mutamakkin, bal nisbatu l-šayʾ ilā makānihi): Kalbarczyk, “Muḫtaṣar,” 341.

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(ʿulūm l-awāʾil)—namely, the Greek sciences—while the other was attached to ‘the science that was brought by the prophet’ (ʿilm mā jāʿat bihi an-nubuwwa)— namely, the Islamic sciences.41 Ibn Ḥazm’s endeavor can be seen as an attempt to bridge between the two groups. He was interested in Greek sciences (e.  g., logic, mathematics, and physics) as well as in Islamic sciences (e.  g., literature, linguistics, history, theology, and jurisprudence), and expressed the need to reconcile them. This approach takes a theological-linguistic justification, based on the verse, “and He taught Adam the names of all things” (Qurʾān, sūra 2, 31). God Himself created the first language,42 and the first human being to learn it was Adam. Through Adam, language was passed onto the next generations, and it developed in various ways in different nations.43 For Ibn Ḥazm, language is a

41 Ibn Ḥazm, “Risālat at-tawqīf ʿalā šāriʿ an-najāḥ bi-ḫtiṣār aṭ-ṭarīq,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, Vol. III, ed. by Iḥsān ʿAbbās (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1981), 131; id., “Risālat marātib l-ʿulūm”, in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1983), 61–90. For detailed account of the history of science in Andalusia, see Ṣāʿid, Ṭabaqāt l-umam, 64–87. 42 In his Al-Iḥkām, which is about the principles of Islamic law (uṣūl l-fiqh), Ibn Ḥazm devoted an entire chapter to discussing the problem of the creation of language: whether language was created by God (waqf) or by mutual agreement between people who live in the same society (iṣṭilāḥ). Ibn Ḥazm adopted the former position, which is based on a transmitted proof (samʿ), namely, the above-quoted verse (“and He taught Adam the names of all things”); as well as on a necessary demonstration (burhān ḍarūrī), which is based on human society’s need for language. Ibn Ḥazm claims that as long as man exists, there is a need for language. For him, this contradicts the doctrine about the formation of language as a result of agreement, since this approach assumes the historical existence of a period in which man had no language. See Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām fī uṣūl l-aḥkām, Vol. I (Beirut: Dār l-ḥadīṯ, n.d), 32–3. See more about theories of creation of language in Abū l-Fatḥ ʿUṯmān Ibn Jinnī, Al-Ḫaṣāʾiṣ, ed. by Muḥammad ʿAlī an-Najjār, Vol. I (Beirut: Dār l-hudā li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našir, 19522), 40–7; Abū l-Ḥasan Aḥmad Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī fī fiqh l-luġa wa sunan l-ʿArab fī kalāmihā, ed. by Muṣṭafā aš-Šwīmī (Beirut: Muʾassasat badrān li-ṭ-ṭibāʿa wan-našir, 1964), 31–4. Mahdi indicated that the question of the formation of language in Islamic culture was usually taken up in the works of theologians, with the exception being the linguist Ibn Jinnī (Mahdi, “Language and Logic,” 53, n. 6). See also Haim Blanc, “Linguistics among the Arabs,” in Current Trends in Linguistics, Vol. XIII: Historiography of Linguistics, ed. by Thomas A. Sebeok, (The Hague-Paris: Mouton, 1975), 1275. 43 Ibn Ḥazm stated (Al-Iḥkām, Vol. II, 560) that the first person to speak Arabic was Ishmael, son of Abraham. See also Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 34. In his al-Milal, Ibn Ḥazm added that perhaps Arabic was the language that Adam learned from God (Ibn Ḥazm, Al-Faṣl fī-l-milal wa-l-ahwāʾ wa-n-niḥal, ed. by Muḥammad Ibrāhīm Naṣr and ʿAbd ar-Raḥmān ʿUmayra, Vol. V [Jadda and ar-Riyāḍ: Šarikat maktabāt ʿuqāẓ, 1982], 138).

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collection of nouns (asmāʾ) that indicate named objects (musammayāt) or certain meanings that we intend to communicate.44 As a result of God’s grace, people are able to discern different things in the world, assigning a specific name to each of them (maʿrifat wuqūʿ l-musammayāt taḥta l-asmāʾ). According to this understanding, the nominal difference between existents is a function of their logical-ontological difference, since only language is capable of expressing the differences between different existents or between different modes of the same existent. In other words, he who knows how to distinguish between attributes and essences of things knows how to distinguish between the nouns that denote them.45 Ibn Ḥazm fashions the connection between nouns and their objects in very strong terms, indeed even claiming that the corruption of certain things leads to the corruption of their corresponding nouns.46 When referring to the nations who preceded the Moslems, and the works they composed in different languages, he states that they employed different nouns to indicate the same objects.47 Thus, the meaning is one for every nation, and the difference between them is purely linguistic. In a sense, faith is a matter of understanding the language, because language is the guarantee for understanding the intentions of God; whoever misunderstands language will misunderstand God’s intentions. For Ibn Ḥazm, it was God who gave names to existents that he created; and when He gives the name of a certain existent, it becomes its real name (ism ḏālikš-šayʾ ʿalā-l-ḥaqīqa).48 All existents that God created are divided into substances and accidents, but in terms of their modes of manifestations they can be classified into four levels (marātibuhā fī wujūh l-bayān ʾarbaʿa):49 1. The external existence of objects, which should be a real existence to enable their exploration. 2. The mental existence of things that allows the mind to characterize and order them and provide information about them.

44 Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 46; id., “Tafsīr alfāẓ tajrī bayna l-mutakallimīn fī-l-uṣūl,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wan-našir, 1983), 411. 45 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 94. See also id., Al-Milal, Vol. V, 194. 46 For example, he defined ‘nature’ (ṭabīʿa) as “[a set of] attributes that exist in a thing by which it exists as such, they perish just when it is corrupted and its name is cancelled” (Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 416). 47 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 107, 112. Assumedly, Ibn Ḥazm had some knowledge of Latin, which was common in his contemporary whereabouts. He even made some comparisons between Latin and Arabic. See for example Ibid., 110, 153, 156. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 70, note 162. 48 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 410. 49 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 95.

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3. The phonetic linguistic existence of things, whose function is to deliver information through speech. 4. The written existence of things, which delivers information to those who cannot be spoken to directly.50 Any move that is made from the first to the second level is involves the use of logic, which transfers the existents into concepts; it arranges them and refers to the logical relationships existing between them. The transition from the second level to the third and fourth levels is accomplished through the use of language, which embraces the concepts and transfers them to others—be it orally or in a written mode. Under Ibn Ḥazm’s model, logic is transferred to others through language. Moreover, in the transitions between the different levels, errors in logic or language can be made; such errors can lead to a false explanation of the existents of the world. However, since the Ibn Ḥazm’s worldview was subjected to his faith, he attempted to adapt the Organon according to the demands of religion. From this particular outlook, Ibn Ḥazm overlooked the Aristotelian logic, but since the Organon was passed to him through the Arabic language, where necessary he sought to correct it and to make it accurate. Ibn Ḥazm claimed that Aristotle’s Organon has its benefits, but not all people could access or understand it.51 Some Moslem scholars, he wrote, had a defective understanding of the Organon, and their shortcomings yielded a negative effect both on Islamic sciences—e.  g., on the interpretation of the Qurʾān, the prophetic traditions (ḥadīṯ), and jurisprudence—and on other language-oriented sciences such as grammar and literature.52 Ibn Ḥazm stressed that the science of logic is beneficial for understanding all the other sciences, since each of these sciences has a linguistic basis.53 In his opinion, the correspondence between the nouns (asmāʾ) and the things they denote (musammayāt)54 in each of these sciences guarantees a certain truth; this kind of correspondence, he wrote, comprises the subject matter of the science of

50 Ibid., 95–7. 51 Ibid., 95, 98, 101. See also Ibn Ḥazm, “Šāriʿ,” 131 and Chejne, “Ibn Ḥazm,” 59, 63, 64. 52 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 102–3. 53 He therefore argued (Ibn Ḥazm, “Risālat at-talḫīṣ li-wujūh at-taḫlīṣ,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. III [Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1981], 161–2) that acquiring of the language sciences is obligatory for every Moslem, and one who does not acquire it does not know one’s religion. Compare with Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 64–6. See also Behloul, “Testimony,” 469–70. 54 For these two linguistic terms and their theological implications, see Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 135–45.

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logic.55 Logic prepares the scholar and provides tools that ensure he achieves true correspondence between nouns and the things they denote to the point of certainty; namely, the correct understanding of language. In Ibn Ḥazm’s understanding, this kind of truth has an objective existence external to man, since it was predetermined by God, but many thinkers deviated from its path when they interpreted it subjectively.56 This subjectivity has led Moslem scholars astray, causing misunderstandings and disagreements; the objective way leads to a single, certain truth. Accordingly, the interpretation that Ibn Ḥazm suggested, labeled ẓāhirī interpretation, demands adherence to the literal meaning (maʿnā ẓāhir) of the Qurʾān and the inherited traditions, as well as avoidance of any hidden meaning (maʿnā bāṭin).57 Thus, the ẓāhirī interpretation of texts leads to a correct understanding of the language and ensures the correspondence between nouns and the things they denote. Moreover, the interpreter must deny any interpretation that deviates from the original literal meaning.58 This does not mean that Ibn Ḥazm opposed the use of metaphor (majāz); as long as such use is undertaken according to the principles of faith, it is a legitimate.59 Through this perspective, Ibn Ḥazm maintained that one must read and revise Aristotle’s Organon through the lens of the Arabic language.60 His examination and revision of the Arabic terminology of the Organon reflect this approach. Ibn Ḥazm complained that the Organon was translated into an elitist Arabic, which is not clear enough and reveals the weakness of the translators.61

55 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 102. 56 Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” 792, 793. 57 Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 301–6. For the ẓāhirī school in Islamic law see: Abdel-Magid Turki, “Aẓ-Ẓāhiriyya,” EI2. 58 For Ibn Ḥazm’s opposition to metaphor, see Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 437–45. 59 Ibn Ḥazm defined “majāz” (metaphor) in Tafsīr as follows: A metaphor “[i]n religion is all [expressions] of language that were transferred by God or the Prophet from their subjects… never accept from someone that a text is metaphorical unless he proves it by means of another text that he brings or by undoubted consensus or necessary perception; just then will it be considered real” (Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 410). 60 For example, in his book Al-Iḫbār, which parallels Aristotle’s On Interpretation, Ibn Ḥazm did not accept the tripartite division of speech into ism, fiʿl and ḥarf. Rather, he adopted a division that is more suitable to the structure of Arabic sentences (ism and kalima), in which the meaning of kalima is naʿt (adjective): Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 187, 189. Compare with the view of Al-Fārābī, who demanded that Arabic grammar be contemplated through the approach of Greek grammar (Al-Fārābī, Alfāẓ, 42). 61 Compare the position of the grammarian As-Sīrāfī, who also referred to the weakness of the translators: Margoliouth, 104.

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Furthermore, he argued for a need to simplify the language of logic in order to enable the masses to understand the Organon—and hence, to understand works from other sciences.62 Contrary to others, who had rejected logic altogether, Ibn Ḥazm maintained that a need exists to integrate the science of logic with the Islamic sciences, rather than separating between them.63 This perspective is expressed in the full title of his version of the Organon: The approach to the logical definition and the introduction to it through the common utterances and the jurists’ examples.64 As the title suggests, Ibn Ḥazm intended to discuss the definition, which comprises the core of the Organon, through a set of expressions and jurists’ examples that can be understood by the ordinary scholar.65 Indeed, various Quranic verses are mentioned repeatedly throughout At-Taqrīb, and this strengthens the impression that Ibn Ḥazm’s goal is to accommodate Aristotelian logic to the demands of his own faith.

The Affinity between the Eisagoge, Categories, and On Interpretation Ibn Ḥazm’s title for the Categories is elaborate: Al-Asmāʾ l-mufrada wa-huwa awwal mā badaʾa bihi Arisṭuṭālis min kutubihi, wa-huwa l-musammā fī-l-luġa l-yūnāniyya qāṭāġūriyās, maʿnāhu l-ʿašr l-maqūlāt (The simple nouns, which was the first book with which Aristotle began, and its title in Greek is qāṭāġūriyās, which means: the ten categories).66 From this title we learn that Ibn Ḥazm considered the categories to be utterances that denote existents or concepts. In this sense, the categories

62 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 100, 103–4. In some of his works, Ibn Ḥazm surveyed common terms from different sciences and explained them according to common sense. See, for example, Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 409–16; Al-Iḥkām, Vol. I, 38–51. For his views about science, education, and the hierarchy between sciences, see id., “Marātib.” Compare with Ibn Rušd, who adopted a different outlook, advocating an educational separation between different classes within the same society (Ibn Rušd, Faṣl l-maqāl fīmā bayna l-ḥikma wa-š-šarīʿa min ittiṣāl, ed. by Muḥammad ʿAmāra [Cairo: Dār l-maʿārif, 19832], 58–62). 63 Chejne, “Ibn Ḥazm,” 57–8, 62. Compare with al-Ġazālī in his al-Mustaṣfā, in which he claims that the knowledge of one who is not well versed in the science of logic cannot be trusted. See Al-Ġazālī, Al-Mustaṣfā, 45. 64 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 93. 65 Chejne, “Ibn Ḥazm,” 62, 63; Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” 794. 66 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 134.

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are linguistic forms that may change when moving from one language to another, since every language has its own distinctive characteristics. Ibn Ḥazm attempted to exhibit a linguistic connection between the Categories, the Eisagoge, and On Interpretation. Only through language can these three books be accessed; the Eisagoge deals with words as universals, the Categories deals with words as supreme genera, while On Interpretation deals with words as they comprise different kinds of propositions. The latter also received an elaborate title: The informative book about nouns that are combined with others and called ‘composite’; in Greek they are called “barī armīnyās.”67 A linguistic connection exists between the Categories and On Interpretation, as the one deals with simple expressions while the other deals with composite ones. In both books, Ibn Ḥazm insisted on mentioning the Greek title alongside the parallel Arabic one. Comparing the original title to Ibn Ḥazm’s reveals that the Arabic ones tend toward a linguistic interpretation. Probably, Ibn Ḥazm’s intention may have been to highlight the differences between his approach and the traditional one; Simple nouns is not a translation of the Categories and The informative is not a translation of barī armīnyās. As mentioned above, correspondence between the noun and the object it denotes comprised one of Ibn Ḥazm’s goals in his At-Taqrīb, and this goal is also expressed in the titles he gave to the parts of the Organon that constitute it. In his grammarian language, Ibn Ḥazm described the difference between the simple nouns and the composite ones in a manner reminiscent of the grammarians’ definitions of the declarative sentence (jumla ḫabariyya): We have already shown that speech is divided into two: simple and composite. The simple has no use beyond itself, such as your saying: Adam, Zayd, and the likes; [while] the composite provides you with additional information, such as your saying: “Zayd [is] a prince”, “man [is] an animal,” and the likes.68

The informative sentence is the one that may be judged to be right or wrong and from which we compose all kinds of syllogisms.69

67 Ibid., 187. 68 Ibid., 136. Compare with the linguist Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 179. 69 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 137.

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Substance and Accident The section about definitions in At-Taqrīb is so central to the logic of Ibn Ḥazm; hence, no wonder that he entitled this book At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq (The approach to the logical definition). The chapter that discusses definitions is described as a key to what comes after it (ka-l-miftāḥ limā yaʾtī baʿda hāḏā).70 But before delving into his discussion about definitions, Ibn Ḥazm drew the reader’s attention to his theological background, as such a background distinguished him from logicians who preceded him and tended to follow the Aristotelian tradition with regard to the theory of substance. Aristotle presented two different meanings of substance in his Categories and Metaphysics. In the first, he claimed that individual object is the primary substance, whereas universals are secondary. In his later work, Metaphysics, Aristotle abandoned this division and gave form (eidos) the privilege to be the primary substance after the disqualification of matter and of physical body for this stature.71 As shown below, Ibn Ḥazm’s interpretation is based on Aristotle’s Categories rather than on Metaphysics—which he rejected altogether. According to Ibn Ḥazm, existents are divided into two: God and all His creatures (al-ḫāliq wa-ḫalqihi). God is one, while the creations are characterized by multiplicity and can be divided into two large groups: substance (jawhar) and accident (ʿaraḍ). The former is the one that exists in itself and carries the others (yaqūmu bi-nafsihi wa-yaḥmilu ġayrahu); the latter does not exist in itself, and should be carried by others (lā yaqūmu bi-nafsihi wa-lā budda min an yaḥmilahu

70 Ibid., 110. 71 The main difference between the two works involves the way the individual object is perceived; while in Categories it is the subject of accidents and secondary substances, in Metaphysics it is considered a compound of matter and form—which means that it is not primary since it has two principles prior to it. After rejecting the compound of matter and form as primary substances and considering them to be substances of a low rank, Aristotle determines that form is the only primary substance. However, a problem arises as to the status of this form: is it universal or particular? On one hand it must be universal to reflect all individuals of the species, and on the other hand it must be particularized because in his Metaphysics Aristotle does not accept the existence of universals. See a discussion about the change in Aristotle’s position along with the ontological status of the form, in: Chung-Hwan Chen, “Aristotle’s Concept of Primary Substance in Books Z and H of the ‘Metaphysics’”, Phronesis Vol. 2, No. 1 (1957): 46–59; Michael Frede, Essays in Ancient Philosophy (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1987), Ch. 4, 5. See about Aristotle’s position in the Categories: Aristotle, “Categories,” 2a1–4a22. See also Ackrill’s valuable comments on this chapter of the Categories: J. L. Ackrill (tr.), Aristotle’s Categories and De Interpretatione (Oxford: Clarendon Press, 1963 [Reprinted 2002]), 81–91. For Aristotle’s position in his Metaphysics, see in particular: Aristotle, “Metaphysics,” in The Works of Aristotle, ed. by William Ross, Vol. VIII (Oxford: Clarendon Press, 19282), Z3.

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ġayruhu).72These two existents ultimately comprise the ten Aristotelian categories, yet unlike the Aristotelian tradition that gave them a logical and a universal status, Ibn Ḥazm treated them as being created by God and endowed upon them a clear ontological status. As to the substance, for instance, Ibn Ḥazm noted that it can be apprehended only through the mediation of the qualities that accompany it; since substance as such cannot be seen, tasted, felt, and smelled, and the only way to notice a substance is through its colors, tastes, feel, and smells, if these qualities disappear nothing can be noticed.73 We learn about a substance through the qualities that accompany it; if we see a certain color move from one place to other, we recognize that the substance that carries it has moved from one place to other as well; likewise, when we see the color resting somewhere, we recognize that the substance lies in the same place.74We perceive color through the sense of sight, and we perceive the other features of the substance through the other senses. For Ibn Ḥazm, these senses are connected with the soul, and they pass to it the sensory data.75Yet, Ibn Ḥazm noted that these qualities do not exist in all substances with the same intensity; in some they are strong and in others they are weak or even non-existent. For example, we cannot taste the stone as we taste different kinds of food.76 These are the two types of existents in our world: the substance that exists in its own right and the accidents that accompany it. Each of these existents is characterized by features that distinguish it from the rest. These features are ontological and not essentialists, as is the case in the Aristotelian tradition.77 Ibn Ḥazm replaced the Aristotelian concept of ‘differentia’ (faṣl) and called the feature that characterizes a certain existent ‘nature’ (ṭabīʿa). Each existent has its own nature that characterizes and distinguishes it from the rest of existents; therefore, a donkey’s nature, for instance, does not change and does not become that of a human (lā sabīl ilā iḥālat ṭabʿ l-ḥimār ilā ṭabʿ l-insān al-batta).78In his Tafsīr alfāẓ, Ibn Ḥazm defines ‘nature’ as follows: “existing features in a certain object through

72 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 111. See also 121. Compare with Aristotle’s position in his Categories: Aristotle, “Categories,” 2a13–2a19. See also: Frede, Ancient Philosophy, 73. 73 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 121. 74 Ibid., 158. 75 Ibid., 157. 76 Ibid., 121. See also a detailed account about quality: 156–61. 77 The Aristotelian tradition distinguished between the essence and the existence of a specific object, with each one of these two modes taking on a different significance. For example: “the meaning of what is a man and the meaning of his existence are different” (Badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. II, 443). The definition seeks to know the essence of the object (mā huwa aš-šayʾ): Ibid., 434. 78 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 128.

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which it exists according to its mode, only after its corruption do they vanish from it.”79 Here lies a big gap between Ibn Ḥazm’s concept of ‘nature’ and the Aristotelian concept of ‘essence.’ The latter involves a concept being shaped by the mind as a result of a mental apprehension of the essential features of the object, and since these features are universal, so is their very essence. As for Ibn Ḥazm’s concept of ‘nature,’ it is clearly a physical one, since it has a real existence in the object, it can be vanished when the object is vanished, and it has no universal status. This difference between Ibn Ḥazm’s ‘nature’ and the Aristotelian ‘essence’ is important also in understanding the concept of ‘definition’ in both views, since the role of the definition is to indicate the characteristic feature of the defined object.80 Ibn Ḥazm claimed that this feature should be the nature of what is being defined: It is necessary to define anything underneath the Exalted Creator by descriptive or logical definition (marsūman maḥdūdan), because there must be some meaning that distinguishes its nature from others.81

The difference between a descriptive and logical definition is that the former is able to indicate what distinguishes the defined object from others, while the latter is able to indicate its physical nature.82The nature of the object is created, as is the object itself, and all what was created by God will be vanished one day.83

79 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 416. 80 See, e.  g.,: Aristotle, “Metaphysics,” Z4. 81 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 112. 82 For the two definitions and the differences between them, see: Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 413. The issue of definition preoccupied the logicians before Ibn Ḥazm. Al-Fārābī (d. 950), for instance, regards the logical definition (ḥadd) as the most perfect type of definition, in that it ensures access to the essence (māhiyya) of the definiendum, whereas the nominal definition (lafẓ) is the lowest definition because it distinguishes the definiendum by stating its name only (Al-Fārābī, Kitāb l-Burhān, ed. by Majīd Faḫrī [Beirut: Dār l-mashriq, 1987], 45. See also: Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf, 100–101). Between the logical and the nominal definitions, there is a third type called the descriptive definition (rasm), whose function is to distinguish the definiendum by stating its accidents (Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf, 169. See more about definitions in al-Fārābī: Ilai Alon and Shukri Abed, Al-Fārābī’s Philosophical Lexicon, Vol. I [Cambridge: Cambridge University Press, 2007], 66–71). After Ibn Ḥazm—more specifically, during the ‘post-classical period’—some scholars began to criticize the concept of “logical definition” (ḥadd) along with the claim that this type of definition has the ability to perceive the essence of the definiendum. Ibn Taymiyya (d. 1328) exemplified this approach; although he rejected the logical definition (ḥadd), he was willing to endorse the nominal (ism) and the descriptive (rasm) ones, noting their role as distinguishing between things (see: Ibn Taymiyya, Ar-Radd, 42, 63, 92). 83 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 113.

The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 

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Ibn Ḥazm presented an example for the difference between logical and descriptive definitions. He defined man as “a body that can be colored and has a rational soul that lives and dies” (al-jasad l-qābil lil-lawn ḏū an-nafs an-nāṭiqa l-ḥayya l-mayyita).84 Notably, this definition differs from the well-known Aristotelian definition (man is a rational animal). In Ibn Ḥazm’s definition, the colored body emphasizes the physical nature of man, while the rational soul has a physical status (as explained below). The role of this dualism is to point out that man consists of two entities—a physical body and a rational soul—and according to the Islamic theological view, man’s existential status in this world is temporal. This, then, is the nature of man; he is a mortal who has a colored body and a rational soul that belongs to it and would die in the sense that it leaves the body after death, but it will continue to exist afterwards.85 Moreover, Ibn Ḥazm added that one cannot omit the attribute ‘mortal’ from the definition of man, since such an omission may make the definition more general and allow it to include creatures that are “rational animals” (ḥayya nāṭiqa) like angels and jinn.86 For this reason, Ibn Ḥazm stated that “when rationality and mortality are removed from man, he will not be man at all.”87 Notably, this was Ibn Ḥazm’s view about the logical definition (al-ḥadd) of man. This leads to the question, what is the difference between this definition and the descriptive one (ar-rasm)? Ibn Ḥazm answered that the descriptive definition cannot indicate the nature of man, i.  e., his mortality (qābiliyyat l-mawt) and his rational soul, but rather is limited to indicating what distinguishes man from other creatures, like defining him as laughing or crying (aḍ-ḍaḥḥāk wa-l-bākī). A definition of this type may distinguish man from the rest of creatures, but it is unable to indicate his true nature.88

Ibn Ḥazm’s Theory of Substance Ibn Ḥazm examined the concept of ‘substance’ and attempted to interpret it in accordance to his theological system. In many cases, the Aristotelian and the

84 Ibid. 85 Ibid., 124. 86 Ibid., 114. 87 Ibid., 129. 88 Ibid., 113.

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Neo-Platonism traditions dealt with God as a substance or as a pure intellect that lacks any sort of materiality and is not present in any subject.89In Ibn Ḥazm’s opinion, the name of God (‘substance’) was adopted later by different philosophies and religions.90Is the definition of substance that appears in Aristotle’s Categories applied to the concept of “God” as perceived in the Islamic tradition that Ibn Ḥazm aimed to represent?91 Ibn Ḥazm defined substance as follows: “It is what exists in itself and is capable of admitting contraries (al-qāʾim bi-nafsihi l-qābil lil-mutaḍāddāt).”92 At first glance, this definition looks identical to the definition of the primary substances presented by Aristotle.93 And it is intended to emphasize a clear goal; namely, that Ibn Ḥazm accepts primary substances, but rejects secondary ones (genus and species)—as is discussed later in this paper. The traditional definition provided in Isḥāq’s translation, which is identical to Aristotle’s definition, is the following: “It is not said about a certain subject, and it is not present in any subject” (lā yuqāl ʿalā mawḍūʿ mā wa-lā huwa fī mawḍūʿ mā).94Moreover, The difference between the two definitions created a difference in philosophical positions, as is discussed below; hence, it was important to Ibn Ḥazm first to clarify the definition of substance, or in other words, to adapt the name to that which is named, in order to ensure the attainment of truth. It seems that his definition is included in the Aristotle’s definition, but Aristotle’s definition is not included in his. In other words, Ibn Ḥazm’s definition narrows that of Aristotle semantically. Ibn Ḥazm ascribes to ancient philosophers (al-awāʾil) the claim that there are five substances that exist in their own right and listed below the genus ‘substance’: God, matter, form, soul, and intellect.95 Ibn Ḥazm’s definition, in con-

89 Compare with Aristotle, “Metaphysics,” Λ 1. See also: Abū Naṣr l-Fārābī, K. Àrāʾ ʾahl l-madīna l-fāḍila, ed. by Albīr Naṣrī Nādir (Beirut: Dār l-mašriq, 19862), 46; Ferrari, Ibn aṭ-Ṭayyib, 133 (the page number is of the Arabic text): “How does Aristotle claim that this individual and sensible substance is older, better and worthy of substantiality, while he knows that the divine substance (al-jawhar l-ilāhī), the intellect, and the forms that Plato claims to be, if they exist, they should be worthy and better in their substantiality than it [i.  e., the individual substance]? 90 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 197, 201. 91 Frede raises the possibility that in Aristotle’s Metaphysics, of all the objects that exist in the world, the concept of ‘substance’ applies to God first and foremost, since He is a pure form. See: Frede, Ancient Philosophy, 70–1. 92 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145. 93 Badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I, 41: “The most appropriate feature of substance is, in being numerically one and the same, it is able to receive contraries” (awlā l-khawāṣṣ bi-l-jawhar anna l-wāḥid minhu bi-l-ʿadad huwa bi-ʿaynihi qābil lil-mutaḍaddāt). 94 Badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I, 36. 95 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 196.

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trast, accepts only the soul as a substance, identifying it with the physical body. For Ibn Ḥazm, only these two substances (the soul and the physical body) exist in themselves, and only these two are capable of admitting contraries. The soul, for example, admits the two opposing qualities of ‘knowledge’ and ‘ignorance’ (al-ʿilm wa-l-jahl); so does the body accept, for example, the two opposing qualities of “blackness’ and ‘whiteness’ (al-bayāḍ wa-s-sawād).96In his work Al-Milal wa-n-niḥal (Religions and Sects), Ibn Ḥazm devoted an entire chapter to deal with this issue.97He identified the substance with the physical body in the sense that both are synonymous: “Any substance is a body and any body is a substance (fa-kull jawhar jism wa-kull jism jawhar), and both are names that have the same meaning.98 He also added that the definition of the object (it is what exists in itself) applies only to the body: “We agreed to call body that which exists in itself and occupies a space.”99 If so, what is the fate of the rest of the concepts (form, matter, soul, and intellect)? Ibn Ḥazm answered by dividing the world into two types of objects: In this world we find [an object that] exists in itself (qāʾiman bi-nafsihi) and [is employed] as a subject to others, or [an object] that exists in others (qāʾiman bi-ġayrihi) and not in its own, [namely] … we have agreed to call what exists in itself and occupies space a “body”; and agreed to call what does not exist by itself an “accident.”100

Following Aristotle’s Categories, for Ibn Ḥazm, objects are divided into two fundamental kinds, substance and accident. The substance is what exists by itself, and the accident is what exists in others. In accordance with this division, Ibn Ḥazm examines the four mentioned concepts. From his point of view, only the soul is a substance; it is a subject not a predicate (ḥāmila li-ṣifātihā lā maḥmūla), and if it is a substance, then it must be a body.101By saying that the soul is composite (murakkaba)102and identifying it with the physical body, since both are substances,103 Ibn Ḥazm ascribes to the soul material features. He added that the soul (an-nafs)

96 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145. 97 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 193–221. 98 Ibid., 196. 99 Ibid., 194. 100 Ibid., 193. See also 194. 101 Ibid., 218. 102 Ibn Ḥazm, Al-Muḥallā, Vol. I (Beirut: Manšūrāt l-maktab at-tijārī, 1933), 5. 103 Ibn Ḥazm devotes a broader discussion to the soul than he does to the other concepts: Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201–21.

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and the spirit (ar-rūḥ) are synonymous.104Moreover, he stated that the soul exists in the body, takes place inside it, and has dimensions: “The soul is a body with a length, width, and depth that occupies a place [in space], it apprehends [things] and distinguishes [between them], and it rules the body.”105

The soul can be measured like any physical body,106and what applies to the body also applies to it. According to Ibn Ḥazm, the origin of this position can be found in the Qurʾān and the prophet’s tradition.107In his book Al-Milal, Ibn Ḥazm quoted a few verses from the Qurʾān and sayings from the traditions of the prophet that indicate that after death, the soul passes from our world and lives in happiness or torture in the other world. He concluded that the soul is made of matter because it occupies a space, and that accidents such as happiness and torture exist in it108. This conception of the soul diverges substantially from the two traditional concepts of Plato and Aristotle. In the former, the soul is a spiritual entity and the opposite of matter, and it has an eternal nature; and in the latter, the soul is the form of the body that is corrupted along with the corruption of its body.109 Muslims from the ninth century knew the views of Plato, Aristotle and others on the soul—as is evident from the Epistle of Isḥāq entitled al-Farq bayna l-nafs war-rūḥ (On the difference between the soul and the spirit).110Plato and Aristotle also rejected the materialistic understanding of the soul, but in the same Epistle, Isḥāq compared between soul and body, claiming that the soul differs from the

104 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 221; Al-Muḥallā, Vol. I, 5–6. 105 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 202. 106 Ibid., 217–21. 107 Ibid., 219–21. See, for example, the verse “There will every soul see [the fruits of] the deeds it sent before”: Qurʾān, sūra 10, 30. 108 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 220. 109 Despite the difference between Aristotle and Ibn Ḥazm with regard to the nature of the soul, in his De Anima, Aristotle identifies the soul with substance—and so does Ibn Ḥazm. See: Aristotle, “De Anima,” in The Works of Aristotle. ed. by William Ross. Vol. III (Oxford: Clarendon Press, 1930),” 412a 19–12. 110 See more about the definitions of soul in Plato and Aristotle: Ḥunayn Ibn Isḥāq, “Al-Farq bayn an-nafs wa-r-rūḥ,” in: Maqālāt falsafiyya, ed. by Lwīs Maʿlūf, Ḫalīl ʾidda and Lwīs Shīḫū (Beirut: Al-Maṭbaʿa l-kāthūlīkiyya, 19112), 127. Compare with parallel definitions in the works of Plato and Aristotle: Plato, “Phaedo,” in Plato Complete Works, ed. by John M. Cooper (Cambridge: Hackett Publishing Company, 1997), 79–81; Aristotle, “De Anima,” 412a. Notably, the same Ḥunayn (d. 877) translated Aristotle’s De Anima into Syrian, and his son Isḥāq (d. 910) translated it from Syrian into Arabic. See Ibn An-Nadīm, Al-Fihrist (Beirut: Dār l-maʿrifa li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr, 1978), 351; F. E. Peters, Aristotle Arabus (Leiden: Brill, 1968), 40–1.

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body (ar-rūḥ jism wa-n-nafs ġayr l-jism).111Within the theological literature, I encountered a similar opinion in Al-Juwaynī (d. 1085).112But regarding Ibn Ḥazm’s comparison between spirit, soul, and matter (presented above), it seems that this position appeared long before his time, in the doctrines of the Muʿtazilī theo­ logian An-Naẓẓām (d. 845).113 Indeed, this position is very similar to the Stoic one, which treated the soul as being made from matter.114 Seemingly, in his search for an alternative to the Aristotelian concept of substance, Ibn Ḥazm was influenced by the anti-Aristotelian tradition of the stoics, which he incorporated into his material conception of the soul.115 As for the other concepts (form, matter, and intellect), Ibn Ḥazm held that matter is identical with body, with the difference between them being that matter is a body that has no form and accidents, and therefore it does not constitute a different species from body.116 Form and intellect are two accidents, or rather two qualities: form is a quality since it is the special structure of the substance, and is by no means a substance.117The intellect is a quality of the soul, because one

111 Ḥunayn Ibn Isḥāq, An-Nafs, 132. Compare with Ibn Qayyim l-Jawziyya, Ar-Rūḥ (Cairo: Dār nahr an-nīl, 1980), 288–91. 112 Abū l-Maʿālī l-Juwaynī, Kitāb l-Iršād (Beirut: Muʾassasat l-kutub aṯ-ṯaqāfiyya, 19963), 318. 113 Abū l-Ḥasan l-Ašʿarī, Maqālāt l-islāmiyyīn, ed. by Muḥammad ʿAbd l-Ḥamīd. Vol. II (Beirut: Al-Maktaba l-ʿaṣriyya, 1995), 28; ʿAbd l-Karīm aš-Šahrastānī, Al-Milal wa-n-niḥal, Vol. I (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, 19983), 48–9. 114 See about this position A. A. Long, “Soul and Body in Stoicism,” in Stoic Studies (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), 224–49. 115 Opinions similar to those on the nature of the human soul were quite common among Muʿtazilite scholars long before Ibn Ḥazm, who indeed was aware of them. Al-Ašʿarī (d. 936) cites one of the most prominent Muʿtazila scholars, an-Naẓẓām (d. 835) saying: “The spirit is a body and it is the soul” /ar-rūḥ hiya jism wa-hiya l-nafs: Al-Ašʿarī, Maqālāt l-islāmiyyīn, Vol. II, 28. See also: Al-Baġdādī, ʿAbd l-Qāhir, Al-Farq bayn l-firaq, ed. Ibrāhīm Ramaḍān (Beirut: Dār l-maʿrifa, 1994), 129–31; Aš-Šahrastānī, Al-Milal wa-n-niḥal, Vol. I, 49. As Horovitz showed long ago, an-Naẓẓām was one of those who were influenced by the opinions of the Stoics about the materialistic nature of the soul (Saul Horovitz, “Ueber den Einfluss der Griechischen Philosophie auf die Entwicklung des Kalam,” in Jahres-Bericht [Breslau: Druck von Th. Sehatzky, 1909] 11–4). An-Naẓẓām’s views were known to Ibn Ḥazm, who frequently quotes him in his al-Milal on various issues, including the nature of the human soul—as is obvious in the chapter “On man” (al-kalām fī l-insān). In this chapter, Ibn Ḥazm divides the scholars into two groups: one maintains that the expression ‘man’ applies to the body (and this is the view of al-ʿAllāf); whereas another group claims that it applies to the soul (and this is an-Naẓẓām’s opinion). In his conclusion, Ibn Ḥazm writes that both opinions are acceptable to him (Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 191). 116 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200. 117 Ibid., 198. The term ‘substance’ here replaces the term ‘physical body.’ Elsewhere, Ibn Ḥazm expressed reservations about the use of the term ‘substance’ due to the unwanted metaphysical connotations it carries. See, for example, Ibid., 196–7.

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of the characteristics of substance is “admitting intensity and weakness” (yaqbal l-ašadd wa-l-aḍʿaf), in the sense that the intellect of a certain man is more powerful than the intellect of another. For Ibn Ḥazm, intellect cannot be more or less ‘powerful’; rather, it is a quality attached to the substance.118 In his epistle Tafsīr alfāẓ (Interpretation of expressions), Ibn Ḥazm defines the intellect as follows: “intellect is the employment of obedience and the superior virtues (al-ʿaql huwa istiʿmāl aṭ-ṭāʿāt wa-l-faḍāʾil).”119He added that according to the Qurʾān, a man who is not intelligent is a man who does not obey God and His commandments.120 This definition does not present the intellect of a man as if it has its own existence; rather, the intellect is nothing more than a faculty or even a lifestyle limited to the moral and practical realm. In another work, Ibn Ḥazm adds that “intellect is the belief [and the fulfillment] of all the commandments” (al-ʿaql huwa l-īmān wa-jamīʿ aṭ-ṭāʿāt).121 This concept of the intellect corresponds with the traditional Islamic conception according to which the intellect serves as the guide for good behavior in everyday life, and it differs from the Aristotelian conception according to which the intellect is something that exists in itself. To summarize this point, Ibn Ḥazm holds that the objects are divided into substance and accidents: the only real substance is the physical body, while soul and matter are identical with the physical body, and form and intellect are two accidents. This raises the question: What is the fate of genera and species, which Aristotle considers in the Categories to be secondary substances? In the Aristotelian tradition that followed the Categories, substance and accident are perceived in the intellect merely as universals (kulliyyāt), i.  e., as genera or species; therefore, genera and species are considered substances and called ‘secondary substances’ (jawāhir ṯawānin).122 According to Ibn Ḥazm, however, “a universal man (al-insān l-kullī) and all genera and species are nothing but individuals, i.  e., individual bodies (al-ajsām bi-aʿyānihā).”123Genera and species are not substances, since they are not bodies and do not exist in the world in actuality; rather, these are only names of groups of individuals that share some common features.124 In reality

118 Ibid., 198–9; see also 200; Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 144–5, 154. 119 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 412. See also Al-Milal, Vol. V, 199. 120 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 412. See also Qurʾān, sūra 10, 100; Ibn Manẓūr, Lisān l-ʿarab. Vol. XI (Beirut: Dār l-fikr, 19943), 458–9 (ʿaql). 121 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200. 122 See for example Al-Fārābi, “Al-Maqūlāt,” 92. 123 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200. 124 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 131.

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only individuals exist, and these are considered bodies. Ibn Ḥazm adds that universals can be the essential features of a substance, but they are by no means the substances themselves (jawhariyyāt lā jawāhir).125 So, having clarified the position of Ibn Ḥazm regarding the concept of ‘substance,’ I now return to the question with which I opened this section about Ibn Ḥazm’s theory of substance: Is God a substance? Ibn Ḥazm’s above-mentioned definition of substance stated that substance involves ‘admitting contraries.’ He then illustrated this notion as follows: The soul exists on its own and admits knowledge and ignorance, courage and cowardice … for everything that exists on its own and accepts contradictions is a substance, [and the opposite is also true:] any object that exists on its own admits contraries and carries them in its essence. Thus, the creator, the almighty and the exalted, is not considered to be substance or to be called ‘substance’ because He, the exalted, is not subject to any quality, and therefore He is not a substance.126

A substance can carry contradictory qualities, but God cannot by any means, as His essence supposedly is the most perfect of all. An essential difference exists between the concept of ‘substance’ and the concept of ‘God’ in Ibn Ḥazm; therefore, it is important to clarify this difference and to define the substance in a manner that will not include the concept of ‘God.’ On this basis, Ibn Ḥazm attacked the materialists and in particular the Christians (al-mujassima wa-nnaṣārā), for their attempt to sabotage the Arabic language when they call God ‘substance.’ In his opinion, if ‘substance’ were one of the names of God, then it would be mentioned in the Qurʾān that God gave this name to Himself and not to others; but because God has not called Himself by that name (lam yusammi nafsahu bi-hi) in the Qurʾān, we must not accept it as one of His names.127 To sum up this point, reducing the semantic meaning of the substance, or to put it in Ibn Ḥazm’s terminology, the correspondence between the name and the named (al-ism wa-l-musammā), is essential in dealing with the theological issue about the identification or non-identification of God with substance. In this sense, language is also essential to philosophical discussions, because in many cases the accuracy of language leads to the accuracy of the philosophical concept in question, and thus many metaphysical problems are solved by means of language.

125 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201. Notably, unlike his position in the Categories, where he treats universals as secondary substances, in his Metaphysics, Aristotle denies them of this status. See: Aristotle, “Metaphysics,” Z13; Frede, Ancient Philosophy, 78. 126 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145. See also Al-Milal, Vol. V, 211; 215. 127 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201.

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Ultimately, Ibn Ḥazm refused to accept the Aristotelian concept of ‘substance’ that includes God and the cosmic entities, but rather reduced it to a size that religion can contain.

God’s Attributes and the Derivative Names The theological views of Ibn Ḥazm about God and his attributes are evident in his logical work, At-Taqrīb along with his theological work, al-Milal. Notably, most discussions about God take place alongside a discussion about the world we live in, highlighting the difference between the human world and the unique nature of God: As for the creator, the almighty and exalted, He is different from all His creatures and from all aspects; there is no similarity between Him, the exalted, and all His creatures, nor between Him, the exalted, and any of His creatures at all.128

Ibn Ḥazm even contradicted theologians who preceded him and used to call God ‘eternal’ (qadīm). For him, this expression was said about other existents with different meanings, so he preferred to avoid it and to call Him ‘the first’ (al-awwal), since this attribute characterizes and distinguishes Him from other existents.129Both God and substance have no contradictions, but that does not mean that God is a substance. God is neither inconsistent with his creations nor is substance inconsistent with other existents; yet the difference between them is that substance can contain a certain quality that does involve inconsistency, whereas by no means does this apply to God, He is neither a subject nor a predicate (laysa ḥāmilan wa-lā maḥmūlan),130 and because of this, He has neither any quality nor any contradiction (laysa ḍiddan).131 ** In this section I discuss a logical-theological problem presented by Ibn Ḥazm that can be resolved only through linguistic means. The problem involves God’s attrib-

128 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 177. 129 Ibid., 182. Compare with al-Fārābī, who used al-awwal as one of God’s names: Al-Fārābī, Al-Madīna l-fāḍila, 37. 130 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 111. 131 Ibid., 144. See also 145.

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utes and their linguistic level: are they considered derivative names like any other derivative name? In every sentence composed from a subject and an essential predicate, as in the case of ‘man is a rational animal,’ the subject (man) and the predicate (rational animal) are identical. This kind of identity is absent from sentences whose predicate is accidental, since the latter is no more than an adjective derived from a certain noun. For example, we do not say ‘the table is whiteness’ but rather ‘the table is white.’ The difference is not only morphological, but semantic as well: ‘white’ is a quality, whereas ‘whiteness is a substance one of whose predicates is ‘white.’ Turning to God’s attributes, is the adjective ‘alive’ (ḥayy), for example, derived from the noun ‘life’ (ḥayāt)? What is the theological implication of such a derivation? Ibn Ḥazm’s answer is as follows: We did not call the almighty creator “alive” as a result of the existence of his own “life” which [eventually] compels us to ascribe life to him. The same applies to His [other] attributes, almighty: that he is “listening” (samīʿ) and “seeing” (baṣīr); rather, we called him “living, listening, and seeing” following what was written [in the Qurʾān] and not because of a [certain] meaning that forces [us to do] so. None of these attributes was derived from an accident that exists in Him; God is loftier than what the fools and the atheists are saying and [too lofty] to be classified under genera and species or accidental predication (ḥaml l-aʿrāḍ). All these are [sorts] of compositions that occur only in created [objects],132 whereas [God’s attributes] are only proper names (asmāʾ aʿlām) that [signify] the creator.133

Regarding anything but God, the adjective ‘alive’ (ḥayy) derives from the noun ‘life’ (ḥayāt);134 there is no life but in a living creature and there is no living creature without life. But with respect to God, the attribute ‘alive’ does not derive from ‘life’ as some of the Muslim mutakallimūn claimed.135 Ibn Ḥazm defines life as “a power by which voluntary movement and sense operate.”136 However, a definition like this cannot be applied to God. This status is not limited to the adjective ‘alive,’ none of God’s other attributes are derived from accidents or qualities, and

132 The Arabic phrase is formulated in the singular. 133 Ibid., 164. See also 135–6; 139–40; Behloul, “Testimony,” 466–7. 134 For linguistic derivation (ištiqāq) in Ibn Ḥazm’s thought, see Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. II, 558–60. 135 There are various traditions discussing this attribute. See Abū Bakr Aḥmad Ibn l-Ḥusayn l-Bayhaqī, K. al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, n.d.), 139–42. For the mutakallimīn’s opinion see Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 329–40. 136 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 139. See also id., Al-Milal, Vol. II, 337.

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neither the listener (samīʿ) nor the viewer (baṣīr) are derived from the listening and vision.137 Furthermore, God is not contained within any genus or species, since he shares no other object and has attributes that distinguish him alone.138 Moreover, there is no accidental predication in the sentence “God is alive” in the sense that the predicate is derived from a noun; rather, each of His attributes is a proper name specific to Him alone,139 and He called Himself with each of these 99 proper names.140 These names belong to a special group of names that is unique to God alone.141 Accordingly, naming God by these names is fixed and cannot be changed; nor can it be increased or decreased, since He cannot be named by names other than what He had mention in the Qurʾān.142 Ibn Ḥazm criticizes the mutakallimūn, who invented names and attributed them to God through what he calls ‘inference’ (istidlāl). For him, inference is the transition from a word mentioned in the Qurʾān to another not mentioned there. It is a derivation of a new name for God taken from an action he has undertaken or by likening Him to other creatures.143In any case, Ibn Ḥazm cannot take this approach because it is not permissible to call God a name he did not call himself. Furthermore, he doubts if such attributes have a real existence, as many mutakallimūn claim. Therefore, every inference based on the existence of ​​such attributes is rejected. For Ibn Ḥazm, the 99 names mentioned in the Qurʾān are proper names that were not derived from God’s essence. Hence, nothing can be understood from them other than God Himself. But this understanding does not preclude talking about acts of God that indicate that He, for instance, has knowledge or ability: When we intend to indicate God, we do not understand from our saying ‘able’ (qādir) and ‘omniscient’ (ʿālim) other than what we understand when saying ‘God’ alone, because all these are proper names that were not derived from an attribute at all. Yet, if we say that God

137 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 164. For these two attributes and the disagreements among theologians regarding them see id., Al-Milal, Vol. II, 307–24. 138 For a more elaborate discussion about this philosophical issue see Al-Ghazālī, The Incoherence of the Philosophers, tr. by Michael E. Marmura (Provo, Utah: Brigham Young University Press, 2000), Issue 7. 139 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 326, 337. 140 Ibid., 324. 141 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 139. 142 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 281, 289, 296, 307, 325, 367. See also the chapter that Ibn Ḥazm dedicated to this issue in his al-Milal, under the title “Response to those who named God without text” (ar-radd ʿalā man sammā Allāh bi-ġayr naṣṣ): Ibid., 341–46. 143 See more about Ibn Ḥazm’s critique of Kalām’s ‘istidlāl’: Ibid., 306, 317, 320, 325, 329–31.

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knows everything (bi-kulli šayʾin ʿalīm), and knows the unseen (yaʿlam l-ġayb), what can be understood from all that is that God possess knowledge, and that nothing is hidden from him, and it cannot be understood at all that He has knowledge that differs from Him, and so we say about ‘able’ and the like…144

Clearly, Ibn Ḥazm is reducing God’s attributes to the extent that they all become identical with God Himself, since they are not something different from Him.145In this regard alone, we see a similarity with the view of the Muʿtazilites, who claimed identification between the essence of God and His attributes.146However, they did so through inference (istidlāl)—a technique that Ibn Ḥazm rejected, as he insists on naming God by what He has chosen for Himself, since the names of God are not attributes and do not have any ontological status.147 For the mutakallimūn, the attributes have an ontological status that may considered to be identical with the essence, like the Muʿtazilites approach, or separate them from it, as the Ašʿarites consider it.148 Yet notably, in both cases, the attributes are derived from God’s essence. Ibn Ḥazm, on the other hand, separates the names of God from his actions, arguing that the names are the 99 names mentioned in the Qurʾān, while the acts are God’s actions that have nothing to do with His names and are certainly not derived from them.149In the above quotation, two expressions must be distinguished; ‘omniscient’ (ʿālim) and ‘knows the unseen’ (yaʿlam l-ġayb). The first is one of God’s names, while the second is an act of God. It may happen that God calls himself ‘omniscient’ and performs an act related to knowledge, or calls himself ‘able’ and performs an act that relates to his ability; but that does not mean that the first is derived from the second.150Names such as ‘wise’ (ḥakīm), ‘omniscient’ (ʿālim),

144 Ibid., 296. 145 Ibid., 296, 298, 307, 314, 315, 321. 146 See, e.  g., his writing in al-Milal: “In his self, He is exalted and merciful, pardoner, all-forgiving, king.” (Ibid., 315). 147 Ibn Ḥazm dedicates an entire chapter in his al-Milal to this issue, under the title “A Discussion about the name and the named (al-kalām fi l-ism wa-l-musammā)”: Ibid., Vol. V, 135–45. Compare with al-Bāqillānī (d. 1013): Al-Bāqillānī, Tamhīd l-awāʾil wa-talḫīṣ ad-dalāʾil, ed. ʿIm. Ḥaydar (Beirut: Muʾassasat l-kutub l-ṯaqāfiyya, 19933), 255–68. 148 See about the two sects respectively with regard to the issue of attributes and their relations with God’s essence: Al-Baġdādī, Al-Farq bayn l-firaq, 112–3; 293. 149 Ibn Ḥazm claims that if God’s names were derivatives, it must be God or the prophet Muḥammad who did that; however, God did not tell about himself that he did such a thing, whereas regarding the prophet, it is not likely that he did it because God called Himself by His known names before Muḥammad was born (Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 324). 150 Ibid., 318.

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‘merciful’ (raḥīm) and ‘able’ (qādir) may be used as names for God and as attributes in ordinary language. Ibn Ḥazm states: As for wise, omniscient, merciful, able, and any other that is so; they are called in the language qualifications and attributes (nuʿūtan wa-awṣāfan), and not at all names.151

Likewise for the name ‘alive’ (ḥayy), which may be used as a name for God, on the one hand, or in ordinary language as an attribute, on the other hand, with a clear difference between the two uses—as Ibn Ḥazm indicates: “In language, the word ‘alive’ (ḥayy) is designated for the scholar who can distinguish between realities” (al-ʿālim l-mumayyiz bi-l-ḥaqāʾiq).152 Yet, with regard to God, Ibn Ḥazm states: “He, the exalted, was called ‘alive’ (ḥayy) because He is Omniscient and Able, and we found [others who are] alive but not omniscient nor able, as children when they are born.”153 The word ‘living,’ if used to refer to God, becomes a proper name for Him, but if used to refer to a particular creature, then it is a qualification of this creature.154 To sum up this point, some names may be used in two different ways: as proper names or as a qualification. The first type is limited to God alone, but the second can be applied to creatures other than God. The attribute-as-proper-name solution Ibn Ḥazm offers appears clever, since it eliminates the linguistic dependency of God’s attributes upon certain nouns; it also prevents the ontological dependency of the same attributes upon the accidents that exist within God’s essence. There is no predication (in the usual sense) in the sentence “God is alive”—in fact this is an identity sentence, like “this man is Zayd.” Hence, no ontological, logical, or even linguistic correspondence exists between the subject and the predicate, save the fact that Zayd is the proper name of ‘this man.’ But is the problem of God’s attributes really solved? A critical approach can maintain that Ibn Ḥazm’s solution amounts to nothing other than that God’s

151 Ibid., 323. 152 Ibid., 335. 153 Ibid., 336. 154  Al-Baqillānī distinguishes between two types of names for God: one kind may be common to Him and His creatures, such as ‘alive’ (ḥayy), ‘able’ (qādir), ‘speaker’ (mutakallim) and ‘just’ (ʿādil). The other kind of names are posited for God alone, such as: God (Allāh), the Merciful (ar-raḥmān), and the Divinity (Al-Ilāh): Al-Baqillānī, At-Tamhīd, 264–5. Compare with Ibn Taymiyya, who claims that God and his creatures have common names, yet the names of God refer to His eternal attributes, whereas the names of His creatures refer to their created qualities. In his opinion, although God and His creatures share the same names, these names have different meanings: Ibn Taymiyya, Majmūʿat ar-rasāʾil wa-l-masāʾil, Vol. I (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, 19922), 389–90.

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attributes cease to indicate any meaning besides God; since all of them are proper names, there is no real difference exists between them, and their status is reduced to something like ‘nicknames’ for God. In this sense, God is described by these nicknames, and not by certain meanings that underlie them. Thus, instead of an ontological being with a set of attributes, God becomes a linguistic entity and a subject for nicknames only.

To summarize This article comprises an exploration of the relationship between logic, language and Kalām in Ibn Ḥazm’s thought. Ibn Ḥazm attempted to deal with the traditional Aristotelian approach, while considering any deviation from religion and the Arabic language as inacceptable. I showed that the ‘deviations’ Ibn Ḥazm committed from the Aristotelian tradition were deliberate. In Ibn Ḥazm’s opinion, language was created in advance by God and revealed in Arabic, through the Qurʾān and the prophetic tradition. This deterministic vision led Ibn Ḥazm to deal with the Organon through the prism of his Islamic faith as a conceptual framework that he applied to check the suitability and the validity of many logical concepts. Through this approach, Ibn Ḥazm modified many concepts and adapted them to suit his theological system.

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II Muʿtazilitisches Denken

Elsayed Elshahed

Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten Es erübrigt sich, über die Entstehungsgeschichte der Muʿtazila Mitte des 2./8. Jahrhunderts durch Waṣil Ibn ʿAtāʿ (131/748) und ʿAmr Ibn ʿUbaid (145/761) in Basra im Beisein von al-Ḥasan al-Baṣrī (110/728) bzw. wie sie zu dieser Benennung gekommen sind, in diesem Beitrag zu sprechen. Viele ältere Sekundärquellen, die sich mit dem Iʿtizāl beschäftigt haben, u.  a. Albert Nasri Nader, „Falsafat al-Muʿtazila“1; G. F. Hourani, Islamic Rationalism2, und ʿAbd ar-Raḥmān Badawī „Maḏāhib al-Islāmīyīn“3, machen eine solche Wiederholung überflüssig. Zwischen den zwei Hauptströmungen innerhalb der Muʿtazila, nämlich der basrischen und der bagdadischen, entbrannte im 3./9 Jahrhundert eine heftige Auseinandersetzung. Im Fokus dieses Streits stand u.  a. die Problematik des Nichtseins (al-ʾAdam bzw. al-Fanāʾ)4. Ende des 4./10. Anfang des 5./11. Jahrhunderts zeichnet sich eine Art Annäherungsversuch zwischen den beiden Strömungen insbesondere bei ʿAbd al-Ğabbār (415/1025) ab. Muʿammar Ibn ʾAbbād as-Sulamī (215/830); Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf (227/840); Ibrāhīm Ibn Sayyār an-Naẓẓām (235/848); Abū ʿAlī Al-Uswārī (240/854) und ʾAmr Ibn Baḥr al-Ğāḥiẓ (255/868) sind die bekanntesten muʿtazilitischen Theologen der basrischen Schule im 3./9. Jahrhundert. Bišr Ibn Al-Muʾtamir (210/825); Ṯumāma Ibn al-Ašras (213/826); Abū Mūsā ʿIsā Ibn Ṣubaiḥ Al-Mirdār (226/839); Ğaʿfar Ibn Mubaššar (234/848); Ğaʿfar Ibn Ḥarb (236/850) und Abū Ğaʿfar Muḥammad Ibn ʿAdallāh Al-Iskāfī (240/854) waren die bekanntesten Vertreter der bagdadischen Schule. Im 4./10.  Jahrhundert treten mindestens zwei große Namen der bagdadischen Schule, nämlich Abū al-Ḥusain al-Ḫaiyāṭ5, Verfasser der bekannten Schrift „al-Intiṣār“ (311/923) und Abū al-Qāsim al-Balḫī al-Kaʿbī (319/931), der Verfasser der zwei bekannten Schriften, „al-Maqalāt“ und „ʿUyūn al-Masāʿil“, hervor6.

1 Bagdad/Alexandria, 1951. 2 Oxford, 1971. 3 Beirut, 1971. 4 Mehr darüber: „al-Munya wa-l-amal“ von Aḥmad Ibn Yaḥyā Ibn al-Murtaḍā, Susanne Filzer (Hg.), Beirut 1961. 5 H. N. Nyberg, Kairo, 1925. 6 Rāǧiḥ Kurdī u.  a. (Hg), Dar al-Ḥamd Verlag, o.  O., o.  J. https://doi.org/10.1515/9783110588576-009

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Für heftige Auseinandersetzungen sowohl innerhalb der muʿtazilitischen Schulen aber auch mit der später entstandenen ašʿaritischen Schule im 4./10. Jahrhundert sorgten einige Problemen für heftige Diskussionen u.  a.: – Die fünf Prinzipien (al-Uṣūl al-ḫamsa) – Gotteseigenschaften bzw. die Attribute lehre (Muškilat aḏ-Ḏāt wa-ṣ-Ṣifāt) – Der menschliche Verstand als Weg der Erkenntnis und Maßstab des ethischen Werturteils Gut bzw. Böse (At-Taḥsīn wa-t-Taqbīḥ al-ʿAqliyain) – Die sogenannte Atomlehre (al-Ğawhar al-Fard) – Die Substanzen und die Akzidenzien (al-Ğawāhir wa-l-Aʿrād) – Die Erzeugung bzw. das Kausalitätsprinzip (at-Tawlīd bzw. as-Sababiyya) – Und das Sein und das Nichtsein (al-Wuǧūd wa-l-ʿAdam).

Blütezeiten und Rückschläge Drei Höhepunkte und drei Tiefpunkte erlebte das muʿtazilitische Dogma im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte: Der erste Höhepunkt zeichnete sich am Ende des 2./8. Jahrhunderts ab. Da gelangt es Abū al-Ḥuḏail al-ʾAllāf (227/840), das muʿtazilitische Dogma u.  a. durch die originelle Formulierung der bekannten fünf Grundprinzipien (al-Uṣūl al-Ḫamsa) zu systematisieren. Diese al-Uṣūl al-Ḫamsa galten als eine Art Glaubensbekenntnis für alle Muʿtaziliten. Die Reihenfolge dieser Prinzipien drückt die Wertstellung des jeweiligen Prinzips aus. An der ersten Stelle kommt at-Tauḥīd (der absolute Monotheismus) dann folgen al-ʾAdl (Die Gerechtigkeit); al-Manzila baina al-Manzilatain (Der Zwischenzustand); al-Waʾd wa-l-Waʿīd (Die Verheißung und die Drohung) und schließlich al-Amr bi-l-Maʾruf wa-n-Nahy ʾan al-Munkar (Das Gute zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten). Historisch gesehen war das Prinzip al-Manzila baina al-Manzilatain der eigentliche historische Grund für die Entstehung des Iʿtizāls. Dogmatisch nimmt dieses Prinzip jedoch die dritte Stelle innerhalb ihrer fünf Prinzipien ein. Abū al-Ḥuḏail soll ein Werk mit dem Titel (al-Uṣūl al-Ḫamsa) verfasst haben. Aber erst durch die Herausgabe von ʿAbd al-Ğabbārs Buch „Šarḥ al-Uṣūl al-Ḫamsa“7 erfahren wir, dass diese al-Uṣūl al-Ḫamsa von Abū al-Ḥuḏail stammen. Abū al-Ḥuḏails Schüler und Neffe Ibrāhīm Ibn Sayyār an-Naẓẓām (235/848) und

7 ’Abd al-Karīm ʿUṯmān, Kairo, 1965.

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ʿAmr Ibn Baḥr al-Ğāḥiẓ verleihen dem Iʿtizāl eine philosophische und naturphilosophische Gestalt. Der Einfluss der Übersetzungsflut aus dem griechischen Gedankengut in Bait al-Ḥikma unter der Obhut des Kalifen al-Maʿmūn (218/831) und seines Nachfolgers al-Muʿtaṣim (227/840) war insbesondere in theosophischen Fragen, beispielsweise beim Streit über das Kausalitätsproblem unübersehbar. Die Muʿtaziliten und später auch die Ašʿariten bedienten sich der griechischen Logik bei ihrer Argumentation und so entstand eine Art spekulative Theologie. Der erste Rückschlag erfolgte durch die sogenannte „Ibn Ḥanbals Krise“ (Miḥnat Ibn Ḥanbal), mit der These von der Erschaffenheit des Qurʿān (Muškilat Ḫalq al-Qurʿān)8. Diesen Glauben wollte die Muʿtazila allen anderen muslimischen Theologen kompromisslos aufzwingen. Eine heftige Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der abbasidische Kalif al-Mutawakkil (248/861) nutzte diese Krise aus, um seine mittlerweile fast verschwundene politische Macht zu retten. Der Kalif solidarisierte sich nicht nur mit den Gegnern der Muʿtazila, sondern er verfolgte die Muʿtazilila und entfernte sie aus allen einflussreichen Ämtern. Gegen Ende des 3. Anfang des 4./im 9.–10. Jahrhunderts erlebte das Iʿtizāl einen zweiten Höhepunkt. Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (303/915), sein Sohn Abū Hāšim ʿAbd as-Salām al-Ğubbāʾī (321/933) in Basra9 sowie Abū al-Qāsim al-Balḫī al-Kaʿbī (319/931) in Bagdad gaben dem muʿtazilitischen Dogma eine neue Lebenskraft. Mitten in der sogenannten al-Ğubbāʾiyān-Schule wuchs ein starker Gegner des muʿtazilitschen Dogmas heran, der traditionsbewusste ehemalige Muʿtazilit und Schüler des Abū ʿAlī al-Ğubbaʾīs, Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī (324/935)10. Die bis heute in vielen islamischen Ländern stark verbreitete aschʿaritische Theologie wurde geboren und dadurch das Ende der zweiten Höhepunkt des muʿtazilitischen Dogmas besiegelt. Mit der Entstehung des traditionstreuen ašʾaritischen Dogmas im 4./10. Jahrhundert zeichnete sich eine Wende in der gesamten islamischen spekulativen Theologie ab. Der Einfluss dieses neuen traditionellen Dogmas erstreckte sich auch auf das nachkommende muʿtazilitische Kalam und beeinflusste es nachhaltig. Gegen Ende des 4./5. bzw. 10./11.  Jahrhunderts erlebte das muʿtazilitische Dogma einen dritten Höhepunkt durch den bekanntesten Mu’tazila al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār al-Hamadānī (415/1025) durch dessen umfangreiches Werk „Al-Muġnī

8 Al-Muġnī, Bd. 7 (1961). 9 ʿAlī Fahmī Ḫušaim, „al-Ğubāʾiyān“. Tripoli, 1965. 10 ʿAbd al-Raḥmān Badawī, „Maḏāhib al-Islāmīyīn“. Beirut, 1971.

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fī Abwāb at-Tawḥīd wa-l-ʿAdl“, in 20 Bänden, von dem nur 13 Bände im Jemen in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden und in Kairo von 1960 – 65 herausgegeben wurde11. Erst dadurch standen die ersten authentischen Kenntnisse über die muʿtazilitische Theologie der Forschung zur Verfügung. Nach der Ära des al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār erfährt das Iʿtizāl einen dritten Tiefpunkt durch starke ašʿaritischen Großgelehrten wie Abū al-Maʿālī al-Ǧuwainī (478/1185) und seinen großen Schüler Abū Ḥamid al-Ġazālī (505/1111). Was vom Iʿtizāl danach geblieben ist, war in der Hauptsache Rezeptionen und Streitschriften von u.  a. Abū Rašīd Saʾīd an-Nīsābūrī (440/1048) und Taqī ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd al-ʿUǧālī al-Muʿtazilī an-Naǧrānī (658/1266 danach).

Die erste muʿtazilitische Summa Theologica Vor der Entdeckung des Muġnīʿs von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār waren die ašʿaritischen Firaq-Werke, wie Maqalāt al-Islāmīyīn von al-Ašʿarī; al-Farq baina al-Firaq von al-Baġdādī; al-Milal wan-Nihal von aš-Šahrastānī sowie wenige altmuʿtazilitische Werke wie al-Ḥayawān vom Ğāḥiẓ und al-Intiṣār von al-Ḫaiyāṭ die Hauptquellen der Forschung über die Muʿtazila. Eine umfangreiche und authentische Information über das muʿtazilitische Gedankengut ist erst nach der Entdeckung des Muġnīʿ möglich. Der Werdegang ʿAbd al-Ğabbārs ist mit dem des al-Ašʿarīs in entgegengesetzte Richtung vergleichbar, in dem Sinne, dass ʿAbd al-Ğabbār dem ašʿaritischen Dogma lange Jahre angehörte bevor er im Jahr 346/958) durch Abū ʿAbdallāh al-Baṣrī (369/980) und dessen Zeitgenossen Isḥāq Ibn ʿAyyāš (o. D.) zum Iʿtizāl überwechselte. Dennoch blieb der Einfluss des ašʿaritischen Dogmas in seiner Theologie bestehen, was ich als eine schüchterne Wende in dem muʿtazilitischen Kalam bezeichnen kann. Mit Wende meine ich eine Art Annäherungsversuche an die ašʿaritsche Theologie konstatieren zu können. ʿAbd al-Ğabbār bezieht insbesondere beim Kausalitätsprinzip einen sozusagen Zwischenzustand zwischen dem muʿtazilitischen Kausalitätsprinzip einerseits und dem ašʿaritischen Gewohnheitsprinzip andererseits. Dies wird durch ein Beispiel deutlich, in dem er das Sättigungsgefühl nicht als eine Wirkung des Essens, sondern eher als ein Produkt der Gewohnheit des Menschen betrachtet.

11 Die Bände 1, 2, 3, 5, 10, 18 u. 19 fehlen bis heute.

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Wenn dieser eine bestimmte Menge Nahrungsmittel verspeist hat, fühlt er sich statt12 (Muġnī, XI, 79). ʿAbd al-Ğabbār und mit ihm die Muʿtaziliten genossen im 4.–5./10.–11. Jahrhundert die Förderung des buyidischen Wezirs aṣ-Ṣāḥib Ibn ʿAbbād (385/998)13. Doch die Förderung war nicht von langer Dauer, denn der Untergang der buyidischen Macht bedeutete den Verlust auch des politischen Einflusses der Muʿtazilien. Durch namhafte Schüler ʿAbd al-Ğabbār wie Abū al-Ḥussaīn Al-Baṣrī (436/1044), Verfasser des Buches „Al-Muʿtamad fi Uṣūl al-Fiqh“; Abū Rašīd Saʿīd Ibn Muḥammad an-Nīsābūrī (440/1048), Verfasser der „at-Tawḥīd bzw. Dīwān al-Uṣūl und al-Masāʾil fī 'l-ḫilāf baina al-Baṣrīyīn wa-l-Baġdādīyīn“14; Al-Ḥassan Ibn Aḥmad Ibn Mattawaih (469/1076)15, Verfasser der Werke „at-Taḏkira fi Aḥkām al-Ğawāhir wa-l-Aʿrād“16 und Verfasser oder Herausgeber von „al-Maǧmūʿ fi-lMuḥīṭ bi-t-Taklīf bzw. Mutašābih al-Qurʾān“ und al-Ḥākim al-Ğušamī (494/1101), Verfasser der Werke „ʿUyūn al-masāʾil und Ṭabaqāt al-Muʿtazila sowie seine Qurʿanauslegung bekannt als at-Tahḏīb“ konnte sich das Iʿtizāl gegen das immer stärker werdende ašʿaritische Dogma wehren. Auch im 6./12. Jahrhundert fand das Iʿtizāl starke Vertreter. Es lebte weiter durch Denker /oder Lehrer wie Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī (536/1141), Verfasser der bekannten Werke „al-Muʿtamad fī Uṣūl ad-Dān und al-Fāʾiq fī Uṣūl ad-Dīn“, und Maḥmūd Ibn ʿUmar az-Zamaḫšarī (538/1144), Verfasser des bekannten Tafsir-Werks „Al-Kaššāf“, sowie durch den bagdadischen Spätmuʿtazilit Ibn Abū Al-Ḥadīd, Verfasser von „Šarḥ Nahǧ al-Balāġa“.

Die jüngste muʿtazilitische Summa Theologica Die Entdeckung des „al-Kāmil fī al-Istiqṣāʾ fī mā balaġna min Kalām al-Qudamāʾ“ von Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī (675/1277) belegt u.  a., dass das Iʿtizāl ebenso stark im 7./13. Jahrhundert nicht nur weiterlebte, sondern die traditionelle spekulative Theologie methodisch und teilweise inhaltlich beeinflusste. Hans Daiber hat mir dankenswerterweise aus Leiden einen Mikrofilm von dem einzigen Exemplar dieser Handschrift im Jahre 1980 mit der Empfehlung

12 Al-Muġnī, Bd. 11, 79. 13 Ṭabāna, Badawī Aḥmad, Aṣ-Ṣāḥib IbnʿAbbād: al-wazīr, al-adīb, al-ʿālim, Kairo, o.  J. 14 Maʿn Ziyāda u. Riḍwān as-Sayyid, Hg., Beirut 1979. 15 ʿUmar ʿAzmī al-Ahwānī, Kairo, 1965. 16 Sāmī Naṣr Luṭf und Fayṣal Budayr ʿAwn, Hg., Kairo, 1975.

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gegeben, von dieser Handschrift, wenn möglich eine vollständige Edition anzufertigen. Für meine Dissertation habe ich zwei Abschnitte als Grundlage ediert, übersetzt, analysiert und systematisiert. Eine vollständige Edition dieser Handschrift, die ursprünglich als Habilitationsschrift vorgesehen war, habe ich 1999 bei dem Obersten Rat für Islamische Angelegenheiten in Kairo herausgegeben. Als das letztbekannt gewordene muʿtazilitische Werk werde ich auf dieses Werk ausführlicher als sonst eingehen. Die Identifizierung des Verfassers Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī bzw. wie sein voller Name sein könnte, war sehr problematisch. Die vorhandenen Nachschlagwerke geben keine ausreichenden Informationen über den Autor Taqī ad-Dīn her. C. Brockelmann sagt in seinem Nachschlagwerk „Die Geschichte der Arabischen Litteratur“17, dass „Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī das Buch ‚al-Kāmil fī al-Istiqṣāʾ‘ zwischen 505 und 675 H. geschrieben hat“. Wie Brockelmann aber zu dieser Datierung gelangte, erklärt er nicht. Hans Daiber stellte die Vermutung auf, dass dieser Text aus der Zeit der zweiten Schülergeneration des ʿAbd al-Ğabbārs Ende des 11. Anfang des 12. Jahrhunderts stamme. Beide Vermutungen von Brockelmann und Daiber beruhen auf keinen zuverlässigen Quellen. Ob der Autor Taqiyuddin als Schüler ʿAbd al-Ğabbārs der zweiten Generation zugeordnet werden könnte, wie Daiber in einem persönlichen Brief vermutete, halte ich für sehr unwahrscheinlich, da Taqī ad-Dīn ʿAbd al-Ğabbārs in seiner Schrift kaum erwähnte. Häufig aber kritisierte Taqī ad-Dīn Abū Hāšim, ʿAbd al-Ğabbārs größte Autorität. In der Einleitung schreibt Taqī ad-Dīn, dass sein Werk lediglich als eine weitere Verarbeitung, Verfeinerung und Systematisierung dessen, was die alten Meister bereits schrieben, betrachtet werden soll. Der Inhalt dieses Werkes wurde, so Taqī ad-Dīn, durch Abū al-Ḥusaīn Al-Baṣrī (436/1044) zusammengefasst und dann durch Rukn ad-Dīn Ḫuwārizmī (gemeint Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī al-Ḫuwārizmī (536/1141) weiter erläutert. Dieses Werk stellt, meines Erachtens, einen Bruch mit der Tradition ʿAbd al-Ğabbārs, ja eine Wende im Denken der basrischen Schule der Muʿtazila dar, die das Iʿtizāl näher an das traditionelle Dogma rückt. Fuat Sezgin hält es für möglich, dass Taqī ad-Dīn mit ʿAtiyya an-Naǧrānī (603–665/1207–1267) identisch sei, den ʿUmar Kaḥḥāla in seinem „Muʿǧam al-Muʾallifīn18, erwähnt. ʿAṭiyya an-Naǧrānī wird bei Kaḥḥāla als Faqih, Mufassir und Zaydit bezeichnet. Für die Annahme Sezgins spricht der bei Kaḥḥāla ange-

17 GAL, Bd. 1(1898): 606. 18 Bd. 4, 187.

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gebene Zeitraum, der mit der Zeitangabe auf dem letzten Blatt der Handschrift übereinstimmt. Auch wenn die Bezeichnungen Fiqih und Mufassir für Taqī ad-Dīn nicht total ausgeschlossen sind, sprechen vier Fakten dagegen: Erstens: Gegen seine Bezeichnung als Zaydit spricht die Tatsache, dass Taqī ad-Dīn fast ausschließlich Muʿtaziliten zitiert, sich nur muʿtazilitischer Quellen bedient. Die Tatsache, dass der zweite Khalif ʿUmar Ibn al-Ḫaṭṭāb im al-Kāmil mit Ehrentiteln belegt wird, während der der vierte Khalif ʿAlī Ibn Abū Ṭālib ohne jegliches Lob erwähnt wird19, lässt großen Zweifel an der Annahme zu, dass Taqī ad-Dīn ein Zaydit war. In seinem gesamten Werk bezeichnet Taqī ad-Dīn ausschließlich muʿtazilitische Theologen wie Abul-Huḏail, A-Naẓẓām, Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī, Abū Hašim, Al-Kaʿbī, Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī und Rukn ad-Dīn al-Malāḥmī als seine Meister („Šuyūḫunā bzw. Aṣḥābunā“). Zweitens: Bezüglich der Bezeichnungen Mufassir und Faqih fand ich in dem bis heute einzigen veröffentlichten Werk Taqī ad-Dīns keinen einzigen Hinweis, der diese Bezeichnungen bestätigt, auch wenn sich diese Feststellung durch mögliche neue Entdeckungen später als falsch erweisen sollte Die Erwähnung einiger Qurʾanverse und ihre Interpretation im Rahmen der Besprechung von theologischen Problemen, wie al-Fanāʾ und al-Iʿāda (Die Vernichtung und die Wiederherstellung) beweisen nicht, dass der Autor ein professioneller Qurʿanexeget war. Drittens: Normalerweise erwähnt Kaḥḥāla in seinem Muʿǧam alle vorliegenden Beinamen seiner Autoren. Für ʿAṭiyya an-Naǧrānī jedoch führt er keine Beinamen bzw. Ehrentitel auf, die wir bei unserem Autor, nämlich Taqī ad-Dīn, auf dem Titelblatt dieser Handschrift sehen und die von Brockelmann übernommen wurden. Viertens: Die Datierungen dieser Handschrift bei Brockelmann (505–675AH) sowie im Codicus Manuscripti der Universitätsbibliothek Leiden20 weisen eine Differenz zur Datierung bei Kaḥḥāla um etwa 100 Jahre aus. Dies lässt eine vermeintliche Identifizierung der beiden Autoren nur schwer vorstellbar erscheinen. 1985 rezensierte Manfred Madelung meine Dissertationsschrift (Das Problem der transzendenten sinnlichen Wahrnehmung in der spätmuʿtazilitischen Erkenntnistheorie)21. In seiner Rezension lieferte Madelung sehr hilfreiche Informationen über Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī. Madelung identifiziert den Lehrer von Taqī ad-Dīn, nämlich Rukn ad-Dīn al-Ḫuwārizmī mit Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn ʿAbdallāh al-Malāḥmī (536/1141).

19 Hs, 287, Z. 19–21. 20 VII, 150, Z. 13; 425, Z. 9. 21 Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1983.

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Ein Nachruf für Ibn Al-Malāḥmī befindet sich in al-Kaššāf von Maḥmūd Ibn ʿUmar az-Zamaḫšarī (538/1143), der einige Werke von Ibn al-Malāḥmī u.  a. „al-Muʿtamad und al-Fāʿiq fī Uṣūl ad-Dīn“ in seinem Kaššāf erwähnte. Madelung gab 1991 in London den ersten Band von Ibn al-Malāḥmīs Werk „Al-Muʿtamad“ heraus22. Rukn ad-Dīn al-Ḫuwārizmī war also ebenso wenig ein Schüler ʿAbd al-Ğabbārs, wie Max Horten in seinem Buch behauptet.23 Verwirrend war jedoch, dass Madelung Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī mit einem bekannten ḥanafitischen Faqih, nämlich Naǧm ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd az-Zahidī al-Ġazmīnī (658/1260) identifizierte. Drei verblüffende Fakten führten Madelung zu einer falschen Identifizierung der beiden Autoren: Zum einen die Übereinstimmung der Vornamen, nämlich „Muḫtār Ibn Maḥmūd“, zum anderen die genaue Übereinstimmung des Titels eines Werkes, nämlich „al-Muǧtabā“ und schließlich die zeitpassende Datierung des Taqī ad-Dīns Manuskript (675–679 H.) mit dem Todesdatum Al-Ġazmīnīs (656 H.), auch wenn dies kein ausschlaggebendes Indiz darstellt. Die unterschiedlichen Beinamen und die Nisba der beiden Autoren waren für mich der Anlass, die These Madelungs anzuzweifeln. Aufschlussreich für eine genauere Identifizierung Taqī ad-Dīns war der Hinweis auf das Kalāmwerk „al-Muǧtabā“, durch Muḥammad Ibn Ibrāhīm Ibn al-Wazīr in seinem Buch „Īṯār al-Ḥaqq ʿalā al-Ḫalq“24. In seinem Buch „Īṯār al-Ḥaqq“ erwähnte Ibn Al-Wazīr den Autor des Kalīmwerks Al-Muǧtabā mit folgenden Ehrentiteln und Nisba: „Taqī al-Umma Ḫatimat Ahl al-Uṣūl Al-ʿIǧālī Al-Muʿtazilī“. In einem anderen Zitat des Ibn Al-Wazīrs aus dem Buch Al-Muǧtabā lesen wir folgendes: „Akṯarm ma aḏkuruhu fī Masāʾil aṯ-ṯuluṯ al-awwal min masāʾil al-ʿadl min multaqaṭāt taṣnifihi al-Kāmil fī l-istiqṣāʾ“. Dieses Zitat beweist, dass der Autor des Kalāmwerk-Muǧtabā mit dem Autor des „al-Kamil fī al-istiqṣāʾ“ identisch ist. Hätte Madelung das Buch „al-Muǧtabā“ von al-Ġazmīnī genauer angesehen, von dem je zwei vollständige Exemplare in der Alexandria Bibliothek25 und in der Al-Azhar Bibliothek26 vorhanden sind, wäre ihm diese Verwechselung nicht unterlaufen. Denn das „al-Muǧtabā“ von al-Ġazmīnī ist nichts anders als ein ḥanafitisches Rechtswerk, das den Titel trägt „Šarḥ Muḫtaṣar Al-Qudūrī fī al-Fiqh

22 BSOAS, VOL. XLVIII, 1, 1985. 23 Die Philosophie von Ibn Ruschd, Bonn, 1912, 4 24 Kairo, 1318/1888, 111–112. 25 ‫ن‬1197‫ب‬. 26 ‫ه‬1127‫ت‬.

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al-Ḥanafi“ (Kommentar über die Zusammenfassung des Qudūrīs im Rahmen des hanafitischen Rechts). Bei vollständigen Studien dieses Buches (al-Muǧtabā von al-Ġazminī) konnte ich keinen einzgen Hinweis auf Kalām oder Uṣūl ad-Dīn darin finden. Kitab „al-Muǧtabā“, das Ibn al-Wazīr in seinen zwei bekannten Büchern „Īṯār al-Ḥaqq ʿalā al-Ḫalq“ und noch mehr in Tarǧīḥ Asālīb al-Qurʾān ʿalā Asālīb al-Yūnān“ sowie „al-ʿAwāṣim wa-l-Qawāsim“ erwähnte und zitierte, ist aller Wahrscheinlichkeiten nach ein Kalām-Werk, das Taqī ad-Dīn später als „al-Kāmil“ verfasste. Diese Annahme ergibt sich aus dem oben erwähnten Zitat von Ibn al-Wazīr. Dieser sagt eindeutig, dass der Autor des „al-Muǧtabā“, den er in seinen oben erwähnten drei Büchern zitiert, Aš-Šaiḫ Muḫtār Ibn Maḥmūd Al-ʿIǧālī al-Muʿtazilī heißt. Und dieser ist zweifelsohne der Autor des Al-Kāmil, aus dem Ibn al-Wazīr zitierte27. Die Thematik des „Al-Kāmil“ ist weitgehend mit dem des „al-Masāʾil fī al-Ḫilāf“ des Abū Rāšid vergleichbar. Gegenstand der beiden Werke ist der interne spekulative Streit zwischen den Vertretern der beiden muʿtazilitischen Schulen in Basra und in Bagdad. Wenn man beide Werke nebeneinanderlegt, würde man meinen, dass sich Taqī ad-Dīn die Themen des Abū Rāšid und sogar ihre Reihenfolge aneignete und lediglich seine eigenen Stellungnamen dazu schrieb. Bemerkenswert ist außerdem, dass Taqī ad-Dīn Abū Hāšim in seinem Werk „Al-Kāmil“ fast so oft erwähnte, wie Abū Rāšid den Gegner von Abū Ḥāšim, den bagdadischen Muʿtazilit al-Kaʿbʿ, erwähnte. Durch „al-Kāmil“ wollte Taqī ad-Dīn, wie er selbst in dem Vorwort der Handschrift sagt, hauptsächlich die Thesen des Abū Ḥāšim widerlegen. Dabei folgt er der Linie seiner Meister, Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī und Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī al-Ḫuwārizmī, die vor ihm Abū Ḥāšim kritisierten. Taqī ad-Dīn versteht sein Werk „al-Kāmil“ als Vollendung der vorangegangenen Schriften seiner Meister. Dabei bediente er sich der Argumentationen des Kaʿbī gegen Abū Ḥāšim. Bemerkenswert ist auch, dass so oft Abū Rāšid al-Kaʿbī kritisierte, fast genauso oft Taqī ad-Dīn Abū Ḥāšim kritisiert. Genau das schreibt Taqī ad-Dīn in der Einleitung seines Werkes al-Kāmil. Inhaltlich setzt sich Taqī ad-Dīn mit 16 Thesen des Abū Ḥāšim auseinander, die er in seiner Einleitung des al-Kāmil ausführt. Diese in der Einleitung erwähnten 16 Thesen werden jedoch in der Schrift selbst in 13 Thesen zusammengefasst. Die unterschiedliche Zahl lässt sich dadurch erklären, dass Taqī ad-Dīn einige

27 S.  o. Anm. 25.

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Gotteseigenschaften in der Schrift zusammenführte, die er in der Einleitung einzeln erwähnte. Einige weitere übereinstimmende Überschriften kommen in der Schrift ebenfalls vor. „al-Kāmil“ ist zweifelsohne den Uṣūl ad-Dīn- bzw. Tawḥīd-Werken zuzuordnen. Es finden sich fast ausschließlich metaphysische Überlegungen, wobei rein philosophische Gedanken und theologische Glaubenssätze ineinanderfließen und sich gegenseitig bestätigen. Damit steht Taqī ad-Dīn erkenntnistheoretisch mitten in der muʿtazilitische Tradition. Um die Existenz des Schöpfers (Wuǧūd aṣ-Ṣāniʿ) zu beweisen, musste der Autor die Erschaffenheit der Körper bzw. der Substanzen (Ḫuduṯ al-Aǧsām) beweisen. Aus diesem Komplex entstehen weitere Fragen, wie u.  a. nach der Ewigkeit der Welt (Qidam al-ʿAlam) und dem totalen Zerfall der Dinge (al-Fanāʾ), die klar beantwortet werden müssen. Dasselbe gilt für weitere relevante Fragen zum Beispiel nach der Entstehung der Materie (Ḫalq al-Aǧsām), ihrem totalen Zerfall (Fanāʾuhā) und ihrer Wiederentstehung (Iʿādatuhā). Philosophische Fragen nach dem Sein und Nichtsein (al-Wuǧūd wa-l-ʿAdm) im Hinblick auf den Akt der Schöpfung bzw. die Entstehung und die Fortdauer der Dinge nehmen eine zentrale Position in der ersten Hälfte des al-Kāmil ein. Die Akzidenzen eines Gegenstandes (al-Aʿrāḍ) in Bezug auf die Frage des Nichtseins (al-ʿAdam) und des Seins (al-Wuǧūd) sind ein Bestandteil der muʿtazilitischen Schöpfungstheorie weshalb ihnen eine große Bedeutung in al-Kāmil beigemessen wird. Die Begriffe „Wissen“ und „Wahrnehmung“ (ʿIlm u.ʿIdrāk) stellen den Kern der muʿtazilitischen Erkenntnistheorie dar und werden in fast allen Abschnitten dieses Werkes maber insbesondere in den 9. und 13.  Abschnitten systematisch behandelt.

Die muʿtazilitische Erkenntnistheorie Nach einer im philosophischen Sinne systematisierten Erkenntnistheorie bei den Muʿtaziliten zu suchen, ist ein schwieriges Unterfangen. Deshalb weil die vorhandenen Quellen nicht alle mu tazilitischen Überlegungen auf diesem Gebiet enthalten, und weil die Hauptquelle eines der größten und letzten Muʿtaziliten, nämlich „al-Muġnī fī abwāb at-tauḥīd wa-l-ʿadl“ von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, nur Aussagen beinhaltet, deren Ursprung schwer festzustellen sind. Außerdem folgt ʿAbd al-Ğabbār in seinen Büchern, insbesondere im „Muġnī“ keinem bestimm-

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ten in sich konsequenten System28. Will man trotzdem versuchen, eine Übersicht über ihre Erkenntnistheorie zu gewinnen, so muss man alle Werke ʿAbd al-Ğabbār und die der anderen Muʿtaziliten auf diesen Gegenstand hin erforschen. Es stellt sich heraus, dass dieses Problem auf zwei verschiedene Arten behandelt worden ist. Einmal wird erklärt, wie man die Erkenntnisse im Allgemeinen erwerben kann, und zum anderen, wie man eine menschliche Handlung bewerten soll. Dem ersten Teil dieser Erkenntnistheorie gilt hauptsächlich der 12.  Band seines Buches „al-Muġnī“, der den Titel „an-Naẓar wa-l-Maʿārif“ (Das Denken und die Erkenntnisse) trägt29. Auch in anderen Büchern, z.  B. im Buch „al-Maǧmūʿ fī al-Muḥīṭ bi-t-Taklīf“, das al-Ḥasan Ibn Mattawaih zusammengetragen oder sogar verfasst haben könnte30, findet sich einschlägiges Material. Der zweite Teil nimmt einen festen Platz im VI, i. des al-Muġnī31 ein, ebenso in „Šarḥ al-Uṣūl al-Ḫamsa“ bringt er wichtige Beiträge dazu32. Das bedeutet allerdings nicht, dass er nicht auch in anderen Büchern diesen oder jenen Teil behandelt33. Also muss man alle seine Schriften, sowie alle anderen muʿtazilitischen Werke heranziehen, um ein umfassendes Bild von den erkenntnistheoretischen Überlegungen im muʿtazilitischen Gedankengut zu gewinnen. Alle theologischen bzw. philosophischen Überlegungen auf diesem Gebiet des Islam, sei es aus muʿtazilitischer Sicht, sei es nach orthodoxem Glauben, oder nach den Philosophen und den Mystikern, basieren auf den entsprechenden Koranauslegungen34. Die Muʿtaziliten und orthodoxen Theologen glaubten in ihrer teilweise vom Fiqh getrennt behandelten Sittenlehre ausschließlich dem Propheten zu folgen. Die von den Griechen, insbesondere den Peripatetikern beeinflussten muslimischen Philosophen übernahmen dagegen als praktische Philosophie eine Ethik, die auf dem Grundsatz von Gut und Böse und der Unterscheidung von Tugend und Laster aufbaut und der Glückseligkeit (as-Saʿāda) dienen sollte.

28 J. R. Peters. God’s created speach, 27  ff. 29 hg. v. I. Madkūr u. Ṭāha Ḥusain, Kairo, 1962. 30 ʿU. ʿAzmī, Einleitung des o.  g. Buches. 31 VI. I, „At-Taʿdīl wa-t-Taǧwīr“, hg. v.  a. F. Al-Ahwānī u. I. Madkūr, Kairo, 1962. 32 Hg. v. ʿA. ʿUṯmān, Kairo, 1965. 33 Al-Maǧmūʿ fī al-Muḥīṭ…“, Hg. ʿU. ʿAzmī u.  a. F. Al-Ahwānī, Kairo, 1965. 34 Wulf, Maurice de. Histoire de la philosophie médiévale, Paris, 1924, 208  ff.

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Diese Ethik weist auch pythagoreische, platonische und stoische Einflüsse auf, wobei normative Elemente im Vordergrund stehen, die durch Offenbarung, Dichtung und Weisheitssprüche belegt wurden35. Die islamische Mystik versuchte in ihrer Ethik pythagoreisches, gnostisches, neuplatonisches und indisches Gedankengut mit der islamischen Offenbarung in Einklang zu bringen. Die mystische Ethik unterscheidet sich von der Ethik der Philosophen dadurch, dass sie aus verschiedenen Stufen (Maqāmāt) besteht, die nur durch eine asketische Lebensführung erreicht werden können36. Die Muʿtaziliten unterscheiden sich einerseits von den übrigen Traditionsanhängern dadurch, dass sie das Primat der Vernunft vertraten, und andererseits von den Philosophen, denen sie am meisten ähnelten, insofern, als sie sich stärker als diese an den Wortlaut des Koran hielten und ihm eine erhebliche Beweiskraft zuschrieben. Sie unterscheiden sich schließlich von den Mystikern, indem sie die asketische Lebensführung sowie das mystische Glaubensverständnis und vor allem die These der Vereinigung mit Gott ablehnten37. Der Schwerpunkt der muʿtazilitischen Erkenntnistheorie und Wertlehre liegt darin, dass sie nicht nur die Frage untersuchten, wie man die Eigenschaft eines bestimmten Objektes erkennen kann, sondern auch, ob etwas anderes als das Objekt selbst die Eigenschaft beeinflusst. Geht es um die Bewertung einer Handlung, dann ist danach zu fragen, ob sie nur gemäß dem göttlichen Gebot und Verbot gut bzw. böse ist, wie die Ašʿariten behaupten, wonach der ganze Bewertungsprozess völlig von dem Willen Gottes abhängt38. Oder ob die Ursache in einem anderen Bereich liegt, wie z.  B. in dem sogenannten waǧh (Aspekt), der von dem Willen des Täters abhängt, wie es die Ansicht der Muʿtaziliten ist39. Es ist sicherlich übertrieben zu behaupten, dass die Muʿtaziliten durch ihre Neigung zum rationalen Denken der Offenbarung jede Bedeutung aberkannten. In der Tat schrieben sie der göttlichen Eingebung sogar eine der Vernunft überlegene Funktion in ihrer Erkenntnistheorie zu. So wichtig und wesentlich der menschliche Verstand ist, so wird er  – wie es der Auffassung ʿAbd al-Ğabbār zu entnehmen ist – der göttlichen Eingebung untergeordnet. Denn man kann nur durch die göttliche Eingebung die Einzelhei-

35 ’A. Falaturi. Lexikon der Islamischen Welt, I, 167, u. G. F. Hourani. Essays on Islamic Phi­lo­so­phy and Science. Albany, 1975, 128  ff. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Watt,M. Free Will and Predestination, London, 1948, 1. 39 Aš-Šaharastānī, ʿA. Nihāyat al-Iqdām fī ʿIlm al-Kalām, 370 u. 379–80; Gardet, L. L’Islam. Religion et communauté, Paris 1967, 176.

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ten des Erkenntnisgegenstandes erfassen40. Diese Einstellung ʿAbd al-Ğabbārs zur Relation zwischen dem menschlichen Verstand einerseits und der göttlichen Eingebung andererseits ist m.  E. originell und zwar auch innerhalb der muʿtaziliten Kalām. Durch diese Einstellung lässt sich das Iʿtizāl im 5./11. Jahrhundert neue definieren und von seinen Vorgängern, seien es die Griechen oder andere, unterscheiden. Durch diese Entwicklung rückt sich das Iʿizāl folgerichtig der Orthodoxie näher. Der Erkenntnisprozess erfordert, nach muʿtazilitischer Auffassung, die Erfüllung zweier Voraussetzungen: 1. Eine gesunde menschliche Vernunft, die zum Erwerb allgemeiner Kenntnisse über ein erkennbares Objekt fähig ist. 2. Eine göttliche Eingebung, die präzise Erkenntnisse über das zu erkennende Objekt vermittelt. Die Vernunft und die göttliche Eingebung widersprechen sich nach ʿAbd al-Ğabbār nie, vielmehr ergänzen und bestätigen sie sich gegenseitig41. Die Eigenart der muʿtazlitischen Erkenntnistheorie zeigt sich noch deutlicher und wesentlicher in ihrer Auffassung von den Begriffen „Subjektivismus“ und „Objektivismus“, für die eine philosophisch fundierte Definition in ihren Quellen allerdings kaum zu finden ist. Was man bei den Muʿtaziliten als Subjektivismus bezeichnen kann, könnte man eher als Nicht-Objektivismus bezeichnen. Denn diejenigen Muʿtaziliten, welche z.  B. einer Handlung an sich keine Eigenschaft zuschrieben, führen diese auch nicht auf die bewertende Person zurück, sondern auf einen dritten Grund, nämlich den Aspekt, unter dem die Handlung ausgeführt worden ist. Dies ist die Auffassung u.  a. des Ğubbāʾī und später des ʿAbd al-Ğabbār. Was auch den anderen Teil ihrer Wertlehre in dieser Beziehung angeht, nämlich das ästhetische Urteil, so führen al-Ğubbāʾī und ʿAbd al-Ğabbār die Ursache des Urteils auf den sogenannten „Zustand“ (Ḥāl) des Betrachters zurück42. Der Begriff „Zustand“ bezeichnet hier die natürliche Empfindung des Betrachters zu dem zu bewertenden Objekt. Diese Empfindung erzeugt bei dem Betrachter entweder Begierde (Šahwa) oder Widerwillen (Nafra) und dementsprechend wird das Objekt bewertet43. In der Bedeutung des Begriffs „Objektivismus“ besteht kein nennenswerter Unterschied zur heute herrschenden Auffassung. 40 Al-Muġnī, VI, I, 77, u. Al-Majmu’ fil-Muhit…, 236. 41 Al-Muġnī, VI, I, 63–64. 42 Al-Maǧmūʿ fī al-Muḥīṭ…, 234; u. M. Horten, „Die Philosophischen Probleme“, Bonn, 1910, 127, Fußnote 2 43 Al-Muġnī…, XII, 50; u. G. F. Hourani, „Islamic Rationalism“, Oxford, 1971, 53.

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Wenn man vorsichtig von Subjektivismus und Objektivismus bei den Muʿtaziliten sprechen darf, so muss man noch vorsichtiger sein, wenn man einzelne Personen in diese oder jene Kategorie einfügen will. Denn diejenigen, die angeblich eine subjektivistische Haltung, z.  B. in einer ästhetischen Frage haben, müssen sich nicht unbedingt in einer z.  B. ethischen Frage entsprechend verhalten. Anhand eines von ʿAbd al-Ğabbār im Muġnī dargestellten Problems, in dem es um die Beurteilung einer äußerlichen Gestalt (aṣ-Ṣūra bzw. al-Ḫilqa) als schön oder hässlich (Ḥasan oder Qabīḥ) geht, kann man klar die Einstellung jedes einzelnen der sogenannten Muʿtaziliten erkennen44. Eine entsprechende Unterscheidung zwischen dem ethischen Werturteil des Guten und Bösen einerseits und den ästhetischen Werten des Schönen und Hässlichen andererseits, wie man sie im Deutschen findet, gibt es im Sprachgebrauch der islamischen Theologie nicht. Zwar gibt es im Arabischen entsprechende Ausdrücke für die ästhetischen Werte des Schönen und Hässlichen, nämlich „Ğamīl und Ḏamīm“, doch wurden diese nicht in den theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen verwendet. Der Grund dafür ist nirgendwo erwähnt. Man hat einfach die Ausdrücke „Gut“ und „Böse“, die normalerweise ethische Werte beinhalten, auch für die ästhetischen Urteile verwendet. Während die Muʿtaziliten die Begriffe „al-Ḥassan“ und „al-Qabīḥ“ sowohl für ethische als auch ästhetische Werte bevorzugen, wählten die Philosophen die Begriffe „al-Ḫayr und al-Šar“. Die Konservativen bevorzugen hingegen die Begriffe „Ḥassana und Sayī´a“ sowohl für die ethischen als auch für ästhetischen und religiösen Werte. (S. 11) Um die nennenswerten Haltungen einiger bedeutender Muʿtaziliten zu diesem Problem des Subjektivismus und des Objektivismus darzustellen, wären die unterschiedlichen Haltungen von Abū Ḥāšim (321/932) und ʿAbd al-Ğabbār (415/1025) diesbezüglich als Beispiel zu nennen. Eine klare objektivistische Haltung kann man ohne weiteres Abū Ḥāšim zuschreiben. Denn er vertritt die Meinung, dass sich die äußere Gestalt (Ṣūra und Ḫilqa) in einem Zustand (Ḥāl) befindet, auf Grund dessen sie immer als gut oder böse bewertet werden muss, und zwar völlig unabhängig davon, welche Person sie bewertet und in welchem Zustand sich diese Person befindet. Abū Ḥāšim soll – nach der Darstellung von ʿAbd al-Ğabbār in „Al-Muġnī die Meinung vertreten haben, dass sich eine hässliche äußere Gestalt (al-Ḫilqa al-qabīḥa) nur davon durch ein ihr innewohnendes Etwas (li-amrin taḫtaṣṣu bihi) von einer schönen

44 Ebd.

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unterscheiden kann. Dieses innewohnende Etwas führt notwendigerweise dazu, dass die Natur der betrachtenden Person sie abstoßend empfindet (li-ḏalika yanfuru aṭ-ṭabʿu minhu)45. Diese objektivistische Haltung gilt nach Abū Ḥāšim ebenso bei einer ethischen Bewertung; daher kann er, so Hourani zu den Objektivsten im modernen Sinn gerechnet werden. Im Gegensatz zu Abū Ḥāšim vertritt ʿAbd al-Ğabbār die Meinung, dass die Empfindung eines bestimmten Objektes als hässlich oder schön seitens des Betrachters ihre Ursache nicht in dem zu bewertenden Objekt selbst hat, sondern durch den jeweiligen inneren Zustand des Betrachters verursacht wird. Dieser Zustand erzeugt bei ihm eine natürliche Zu- oder Abneigung gegenüber dem betrachteten Objekt. Demzufolge kann ein einziges Objekt von ein und demselben Betrachter einmal als schön und ein anderes Mal als hässlich empfunden werden, je nachdem, welche Empfindung durch den Zustand des Betrachters für dieses Objekt erzeugt wird. So kann etwa eine Begierde (Šahwa) durch einen Widerwillen (Nafra) abgelöst werden (yarǧiʿu ilā ḥāl al-Mustaqbīḥ). Demnach ist das Objekt selbst für ʿAbd al-Ğabbār eigenschaftslos, allerdings nur, wenn es sich um ein ästhetisches Urteil handelt. ʿAbd al-Ğabbār lasst sich damit in dieser Hinsicht zu den Subjektivisten rechnen. Will man das muʿtazilitische Dogma mit dem ašʿaritischen im Hinblick auf die Urteilsfindung vergleichen, so erweisen sich die Muʿtaziliten im Allgemeinen als Nicht-Subjektivisten, weil die Art und der Zustand der bewertenden Person bei der Bewertung einer Handlung gar keine Rolle spielen. Die Ašʿariten, die Widersacher der Muʿtalziliten, können dagegen als Subjektivisten betrachtet werden. Denn sie sprechen dem Menschen jedes Recht, sogar jede Fähigkeit zur Bewertung seiner eigenen Handlungen und vor allem der Handlungen Gottes ab. Hier steht man vor einem eigenartigen Subjektivismus, den man als einen transzendentalen Subjektivismus bezeichnen kann, in dem nur Gott allein das Recht hat, seine eigenen Handlungen und die der Menschen zu bewerten. Ist die Handlung von Gott ausgeführt worden, so ist sie immer gut, ist aber ein Mensch ihr scheinbarer Urheber, so ist sie gemäß dem göttlichen Gebot und Verbot zu bewerten. Das schreibt z.  B. aš-Šaharastānī in „Nihāyat al-Iqdām fī ʿIlm al-Kalām“, 379 – 380. Gott handelt nach der ašʿaritischen Auffassung sozusagen in seinem eigenen Besitztum (Mulkihi) als ein absoluter Herrscher (Mālik), so dass er immer im Recht ist. Ein Mensch ist nach dieser Auffassung nicht fähig, freiwillig zu handeln und schon gar nicht die Handlung Gottes zu beurteilen.

45 Ebd.; Hourani. Islamic Rationalism, 64

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Mit einer komplizierten These, die sie „Kasb“ (Aneignung) nannten, machten die Ašʿariten den Menschen für seine Taten verantwortlich, um dessen Belohnung und Bestrafung im Jenseits zu rechtfertigen. Die Belohnung bzw. Bestrafung verdient ein Mensch aber nicht, weil er etwas Gutes oder Böses getan hat, wie die muʿtazilitische Auffassung lautet, sondern weil er mit seiner Handlung dem göttlichen Gebot entsprach oder zuwidergehandelt hat46. Bei den Ašʿariten hat man es also mit einer übermenschlichen (transzendentalen) Erkenntnistheorie zu tun, in der die menschliche Beteiligung am Bewertungsprozess zugunsten der absoluten göttlichen Souveränität entfällt. Die muʿtazilitische Gegenthese besagt, dass der Mensch, so wie er von Gott geschaffen wurde, in der Lage ist, u.  a. die Erkenntnisse über die ethischen Wahrheiten (Maʿrifat al-Ḥaqāʿiq al-Aḫlāqiyya) zu erwerben, solange er einen gesunden Verstand besitzt und entsprechende Erfahrungen hat47. ʿAbd al-Ğabbār argumentiert so: Wären die Handlungen ohne die Bestimmung der göttlichen Offenbarung wertlos, so erhebt sich die Frage, aus welchem Grunde Gott diese oder jene Handlung gebietet. Es bleibt demnach nur die eine logische Erklärung dafür, dass Gott diese oder jene geboten oder verboten hat, weil sie gut oder böse sind, also auf Grund bereits vorhandener Werte48. Mit der Frage, wie man die Erkenntnis erwerben kann, kommt man zum zweiten Teil der Erkenntnistheorie ʿAbd al-Ğabbārs. Er sieht drei Arten von Erkenntnissen, die durch drei verschiedene Mittel erworben werden können49: 1) Erkenntnisse, die als Folge des rationalen Denkens (bi-ḍ-ḍarūra al-ʿaqliyya) für jeden denkfähigen Menschen erreichbar sind; vielleicht darf man dabei an apriorische Erkenntnissen denken. 2) Erkenntnisse, die außer der Denkfähigkeit zusätzliche Überlegungen (Taʾammul zāʾid) erfordern. 3) Erkenntnisse, die durch die Beweisführung (ʿan ṭarīq al-Istidlāl) gewonnen werden können. Die von ʿAbd al-Ğabbār angezeigten drei Arten können auf zwei reduziert werden, ohne den Inhalt zu beeinträchtigen. Die eine kann man als ein natürliches Wissen bezeichnen, das jedem denkfähigen Menschen zugänglich ist, die andere umfasst

46 Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī.. Al-Lumaʿ; Mc Carthy, Hg., Beirut, 1953, 52; Abū Bakr al-Bāqillānī. Al-Inṣāf, hg. v. M. Z. al-Kauṯarī. Kairo, 1953, 407; Abū Manṣūr al-Māturīdī. Taʾwīlāt Ahl as-Sunna, I. U. S. ʿAwaḍain, Kairo, 1971. 47 siehe Anm. 39 u. Al-Muġnī, VI, 10. 48 Al-Muġnī, VI, I, 63–64; XIII, 351; Ğārallāh, Z. Al-Muʿtazila, Kairo, 1947, 167. 49 Al-Muġnī, VI, I, 122.

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die weiteren zwei Arten (2 und 3), für deren Erwerb eine besondere Denkfähigkeit und eine bestimmte Erfahrung vorausgesetzt werden. Die nennenswerten Versuche, die Muʿtaziliten in Subjektivisten und Objektivsten einzuteilen wurden u.  a. vom Imam Muḥammad ʿAbduh (1385/1905), dem größten neuzeitlichen muslimischen Theologen, und ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān in einer biographischen Schrift über ʿAbd al-Ğabbār unternommen. Imam Muḥammad ʿAbduh vertritt die Ansicht, dass die Frühmuʿtaziliten (2.–3./8.–9. Jh. n. Chr.) Objektivsten waren. Die späteren wären, seiner Meinung nach, dagegen Subjektivisten, da diese von zusätzlichen Eigenschaften sprachen, die durch verschiedene Aspekte gewonnen werden50. Diese Aussage übersieht, dass das sogenannte „Maʿnā, von dem Muʿammar Ibn ʿAbbād As-Sulamī (210/834) sprach, bei ihm etwas anderes als das Objekt selbst darstellt. Dieser „Maʿnā“ soll nach Muʿmmar die Eigenschaft des Objektes beeinflussen51. ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān bezeichnet dagegen die Muʿtaziliten von Basra als Nicht-Objektivsten, da diese keine wesentliche Eigenschaft für die Tat anerkannten. Sie sind aber auch, so ʿUṯmān, insofern keine Subjektivisten, als sie die Eigenschaften völlig unabhängig von der betrachtenden Person sahen, gleich, ob es sich dabei um Gott oder einen Mensch handelt. Die Muʿtazliten von Bagdad bezeichnet er als Objektivsten, weil sie den Taten als solche die Eigenschaft gut oder böse zuschreiben52. Nimmt man die Einstellung des Abū Ḥāšim, der ein Basrier und in dieser Hinsicht ein ausgesprochener Objektivist war, stellt sich die Aussage des ʿUthman als zweifelhaft dar. Zusammengefasst hat die muʿtazlitische Erkenntnistheorie zwei Teile, einen theoretischen und einen praktischen. Der theoretische befasst sich mit der Frage, wie man die Erkenntnisse erwerben kann. Für die Erwerbung der theoretischen Erkenntnis werden zwei Wege gezeigt: Der erste Weg ist die Denknotwendigkeit (aḍ-ḍarūra al-ʿaqliyya bzw. al-ʿIlm aḍ-Ḍarūrī) durch den man nur die allgemeinen Kenntnisse über das Objekt erfassen kann.

50 Dunyā, Sulaimān. aš-Šaiḫ Muḥammad ’Abduh, Kairo, 1960, 567. 51 Ebd. 52 Die hier erwähnte Aussage von Muḥammad ʿAbduh passt eher zu al-Kaʿbī. Vgl. dazu J. R. Peters. God’s created speech, 207.

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Der zweite Weg ermöglicht eine präzisere Kenntnis, setzt allerdings außer der Denkfähigkeit beim ersten Weg und zusätzlicher Überlegungen die Beweisführung (al-Istidlāl) voraus53. Die letzten beiden Wege sind besonders für Bereiche des Fiqh unentbehrlich. Der praktische, dritte Teil ihrer Erkenntnislehre befasst sich, nach ʿAbd al-Ğabbār, vornehmlich mit speziellen Fragen, durch die man gewisse Urteile über bestimmte Gegenstände des alltäglichen Lebens erwerben kann. Dieser Teil umfasst wiederum zwei Themenbereiche. In dem einen geht es um ästhetische und im anderen um ethische Urteile. Mit ʿAbd al-Ğabbārs muʿtazilitischer spekulativer Theologie haben wir, soweit die vorhandenen muʿtazlitischen Quellen uns berichten, eine spezielle Art der Erkenntnistheorie vor uns, die zwar der menschlichen Vernunft eine zentrale Funktion zuschreibt, sie allein jedoch als nicht ausreichend für den Erwerb der präziseren Kenntnisse betrachtet. Damit nimmt ʿAbd al-Ğabbār zur Relation zwischen dem Menschenverstand und der göttlichen Eingebung, einen Zwischenstand zwischen der reinen Rationalität und der Orthodoxie ein bzw. er rückt sie zusammen. Diese Tendenz setzte sich durch ʿAbd al-Ğabbārs Schüler und die Nachfolgergenerationen bis Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī im 7./13. Jahrhundert fort und ebnete damit den Weg für „Darʿ at-Taʿaruḍ baina al-ʿAql wa-n-Naql“ von Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm Ibn Taymiyya (728/1328).

Literatur Brockelmann, Carl. Geschichte der arabischen Litteratur. Bde. 1–6 (1898–1909). Leipzig: Amelang. Al-Muḥīṯ bit-taklīf, ʿUmar as-Sayyid ʿAzmī, Hg. Šarḥ al-uṣūl al-Ḫamsa, ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān. Kairo, 1965. Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār al-Hamaḏānī. Al-Muġnī fī abwāb at-tauḥīd wa-l-ʿadl, Bde. 1–14, hg. v. Maḥmūd al-Ḫudarī u.  a. Kairo, 1958–65. Daiber, Hans. Muʿammar Ibn ʿAbbād as-Sulamī. Beirut: Orient-Inst. der Dt. Morgenländischen Gesellschaft, Wiesbaden: Steiner, 1975. Dunyā, Sulaimān. aš-Šaiḫ Muḥammad ʿAbduh. Kairo, 1960.

53 Vgl. die unterschiedlichen Definitionen dieses Begriffs bei ’ʿAbd al-Ğabbār in seiner Auseinandersetzung mit den sogenannten „Aṣḥāb al-Maʿārif“ in „Šarḥ Al-Uṣūl al-Ḫamsa“, 50 und dazu die Erläuterung von G. F. Hourani in „Islamic Rationalism“, 20–21 über den Unterschied zwischen dem arabischen Begriff „Ḍarūrī“ und dem englischen „necessary“.

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Eberhardt, Dorothee: Der sensualistische Ansatz und das Problem der Veränderung in der Philosophie Muámmars und An-Nazzams, (Diss.). Tübingen, 1979. Ess, Josef van. „Ǧāḥiẓ und die aṣḥāb al-ma‛ārif“ In Der Islam, Bd. 42 (1966): 169–178. Berlin/ New York: Walter de Gruyter. Ess, Josef van. „Ḍirar b.ʿAmr und die Cahmīya. Biographie einer vergessenen Schule.“ In Der Islam, Bd. 44 (1968): 1–70. Berlin/New York: Walter de Gruyter. Ess, Josef van. „Ḍirārs politische Theologie.“ In Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra: eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, Bd. 3 (1992): 55–59. Berlin: Walter de Gruyter. Frank, Richard M. The metaphysics of created being according to Abu al-Hudhayl al-Allaf: A philosophical study of the earliest Kalam. Istanbul, 1966. Gätje, Helmut. „Zur Farbenlehre in der islamischen Philosophie.“ In Der Islam, Bd. 43 (1967): 280–301. Berlin/New York: Walter de Gruyter. Goldziher, Ignaz. Vorlesungen über den Islam. Heidelberg: Winter, 1910. Horten, Max. Die philosophischen Probleme der spekulativen Theologie im Islam. Bonn: Verlag Peter Hanstein, 1910. Hourani, George Fadlo. Islamic Rationalism: The Ethics of ’Abd al-Jabbar. Oxford: Clarendon Press, 1971. Ibn Mattawaih, al-Ḥasan. At-Taḏkira fī aḥkām al-Ğawāhir wa-l-aʿrāḍ, Sāmī Naṣr Luṭf und Fayṣal Budayr ʿAwn. Kairo, 1975. Peters, J. R. T. M. God’s created speech: a study in the speculative theology of the Mu’tazilî Qâdî l-Qûḍât Abû l-Ḥasan ’Abd al-Jabbâr bn Aḥmad al-Hamaḏanî. Leiden: Brill, 1976. Steiner, Heinrich. Die Muʿtazila oder die Freidenker im Islam. Leipzig: S. Hirzel, 1865.

Mahmoud Abushuair

Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie Es ist in der islamischen Theologie bekannt, dass die Zaidīten das Erbe muʿtazilitischer Theologie nicht nur übernommen sondern auch lange Zeit bewahrt haben. Umstritten ist jedoch, ob diese Übernahme erst ab der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts der Hidschra in Dailamān und Ṭabaristān oder noch früher stattfand. In diesem Zusammenhang ist al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī (gest. 246/860) als bekanntes Beispiel einer möglichen muʿtazilitisch-zaiditischen Theologie zu erwähnen. Er wirkte zu einer Zeit als man Anfang des 3./9. Jahrhunderts die Blütezeit der islamischen Theologie erlebte. Im arabischsprachigen Forschungsfeld wird er als muʿtazilitischer Theologe kategorisiert und seine Schriften werden in diesem Zusammenhang als Zeugnisse der früh-muʿtazilitischen Theologie zitiert. In der westlichen Islamwissenschaft ist es jedoch umstritten, unter welcher theologischen Kategorie al-Qāsim klassifiziert werden kann. Rudolf Strothmann betrachtete in seinen Werken über die Zaiditen al-Qāsim Ibn Ibrahim als Vertreter der muʿtazilitischen Theologie (Strothmann 1912)1, wobei Wilferd Madelung ihn nur als zaiditischen Imam sieht, der die Tür zum Muʿtazilismus geöffnet hat. Binyamin Abrahamov sieht ihn hingegen als Theologen, der stark von den Muʿtaziliten geprägt und beeinflusst war. Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, den muʿtazilitischen Charakter alQāsims anhand der bislang vorliegenden arabischsprachigen und westlich-islamwissenschaftlichen Studien über ihn noch einmal zu untersuchen. Dabei sollen unterschiedliche Positionen behandelt werden, die al-Qāsims muʿtazilitischtheologischen Charakter in Frage stellen, wie z.  B. die Authentizität von einigen seiner Werke, seine Argumentationsweise und seine Haltung zur Erschaffenheit des Koran.

1 Zur Person Al-Qāsim b. Ibrahīm b. Ismāʿīl b. Ibrahīm b. al-Ḥasan b. al-Ḥasan b. ʿAlī b. Abī Ṭālib (ar-Rassī) ist ein medinensisch zaiditischer Imam. Er ist in Medina aufge-

1 Strothmann erforschte das theologische und rechtliche Gedankengut der Zaiditen in zwei anderen Beiträgen, nämlich: Staatsrecht der Zaiditen und Literatur der Zaiditen. https://doi.org/10.1515/9783110588576-010

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wachsen, wo er Hadithe von Abū Bakr Ibn Abī Uwais (gest. 202/817), dem Neffen des Gelehrten Mālik b. Anas (gest. 179 /795), gelernt und gehört hat. Von anderen Lehrern weiß man nichts, da es kaum Informationen über seine Jugendzeit gibt. In seiner Edition zu „Mağmūʿ kutub wa rasāʾil al-Imām al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rassī“ fügt ʿAbd al-Karīm Ğadbān noch Ismāʿil b. Abī Uwais (gest. 226 /840) und Abū Sahl Saʿd b. Saʿīd al.Muqbirī2 zu den Lehrern al-Qāsims hinzu (Ar-Rassī 2001, 1: 31). Sufiān b. ʿUyiaina (gest. 198/814) überliefert, dass al-Muqbirī als Qadarīt3 betrachtet wurde (Al-Mizzī 1987, 10: 261). Wahrscheinlich hat al-Qāsim von ihm theologisches Wissen erworben. Diese Liste der Lehrer weist darauf hin, dass al-Qāsim in Medina aufgewachsen war. Während seines Aufenthalts in Ägypten erfuhr er vom Tod seines Bruders und begann dann das Recht auf das Imamat in Anspruch zu nehmen. In Ägypten nahm er an Debatten und Wissenskreisen teil und erwähnt, dass in seinen dortigen Sitzungen mutakallimūn waren. Als Beispiel nennt er Ḥafṣ al-Fard (gest. 210/826). Jedoch weiß man nicht, wer in Ägypten tatsächlich die muʿtazilitische Theologie vertrat4. Bekannt ist, dass Wāṣil seine Anhänger und Schüler nach Ḥiğāz, Jemen und Ägypten schickte, um die Lehren seiner theologischen Schule zu verbreiten. Höchstwahrscheinlich traf sich al-Qāsim mit diesen sowohl in Medina als auch in Ägypten, wo er auch philosophisches Wissen erwarb. Dass er zu seinen philosophischen Erkenntnissen unter der Beeinflussung der christlichen Theologie gelangte, ist jedoch nicht ganz klar. Muḥammad b. Manṣūr al-Murādī, ein Anhänger al-Qāsims überliefert, dass al-Qāsim selber erklärte in Marokko gewesen zu sein, als er vom Tod seines Bruders erfuhr und zu diesem Anlass ein Trauergedicht verfasste. Anhand dieser Überlieferung kann angenommen werden, dass er in dieser Zeit wegen politischer Verfolgung unterwegs war5.

2 Sein Vater Saʿīd b. Abī Saʿīd (gest. 120 n. H) ist bei fast allen Hadith-Gelehrten als zuverlässiger Überlieferer eingestuft. Er überliefert jedoch nicht nach seinem Vater, sondern nach seinem Bruder. Wahrscheinlich starb sein Vater, bevor er ein reifes Alter erreichte. Er zählt zusammen mit seinem Bruder zu den schwachen Überlieferern. Sein Todesdatum konnte ich in den riğālBüchern nicht finden. 3 Qadarī war auch eine Bezeichnung der Muʿtazila von Seiten der damaligen Hadith-Gelehrten. Eine ähnliche Bezeichnung der Muʿtazila seitens der Hadith-Gelehrten war auch „ğahmī“, als Anhänger der Ğahmiten und dessen Gründer Ğahm b. Abī Ṣafwān. 4 Albert Nasri Nader, 33 erwähnt den Namen Ibn ʿUlaiyā als denjenigen, der iʿtizal nach Ägypten brachte. 5 In seiner Einleitung der Edition der Rassīs Sammelwerke erwähnt Ğadbān, Ar-Rassī. Bd.  1 (2001): 32 die von al-Murādī angeführten Überlieferung und kommentiert, dass al-Qāsim mit al-Maġrib, Ägypten meint.

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Dass im Biographienwerk „al-Wāfī bil-wafiyyāt“ erwähnt wurde, er sei damals auch nach as-Sind (heutiges Pakistan bzw. Nordindien) gereist, ist jedoch sehr unwahrscheinlich (Aṣ-Ṣafadī, 2000, 24: 83). Dies wurde in den anderen zaiditischen und nicht-zaiditischen Literaturquellen nirgends erwähnt und steht auch im Widerspruch zu dem, was al-Qāsim über sich selber erzählte. Dass er in diesen zehn Jahren zwischen Ägypten und Marokko hin und her pendelte ist gut möglich, ein Abstecher nach as-Sind dagegen kaum. Nach zehn Jahren kehrte er nach Medina zurück, wo er sich in einem Tal namens ar-Rass in der Nähe von Medina niederließ und von dort aus sein Wissen weiter vermittelte, bis er im Jahr 246/860 starb.

2 Al-Qāsims Schriften und deren Authentizität Verfolgt man die verschiedenen Versionen und Fassungen der Manuskripte, die eine variierende Anzahl von Al-Qāsim zugeschriebenen Schriften enthalten, dann stößt man auf unterschiedliche Schriften al-Qāsims. Einige von ihnen sind bekannt, andere sind noch nicht aufgefunden, wobei einige Schriften, die von manchen Forschern als echt angesehen werden, von anderen als unecht betrachtet werden. Der jemenitische Forscher ʿAbd al-Karīm Aḥmad Ğadbān edierte die Sammlung der Werke al-Qāsims. In der Einleitung seiner Edition erwähnt er sowohl gefundene als auch nichtgefundene Schriften al-Qāsims. Die gefundenen Schriften sind nach Ğadbān: Ad-Dalīl al-Kabīr und ad-Dalīl al-Ṣaġīr in der Widerlegung der Philosophen, munāẓara maʿa mulḥid, ar-Radd ʿala Ibn al-Muqaffaʿ in der Widerlegung der Dualisten, ar-Radd ʿala al-Naṣārā in der Widerlegung der Christen, al-Mustaršid in der Widerlegung derjenigen, die behaupten, Gott sei nur im Himmel, ar-Radd ʿala al-Muğabbira in der Widerlegung der Fatalisten, ar-Radd ʿala al-Rāfiḍa und ar-Radd ʿala ġulāt al-Rawāfiḍ in der Widerlegung der Imāmīten und al-ʿadl wa al-tauḥīd, uṣūl al-ʿadl wa al-tauḥīd, masʾalat al-Ṭabriyyān, fuṣūl fī al-tauḥīd, tafsīr al-ʿarš wa al-kursī, madīḥ al-qurʾān al-kabīr, madīḥ al-qurʾān al-Ṣaġīr, tafsīr swar al- qurʾān, al-nāsiḫ wa al-mansūḫ, taṯbīt al-imāma, al-imāma, al-qatl wa al-qitāl, al-hiğra lil-Ẓālimīn, al-maknūn, siyāsat al-nafs, al-ʿālim wa al-wāfid, mawāʿiẓ, mafāhīm islāmiyya, al-Ṭahāra, ṣalāt al-yaum wa al-laila und al-masāʾil al-manṯūra. Als nicht aufgefundene Schriften erwähnt er: Al-farāʾiḍ wa al-sunan, masāʾil Ibn Ğuhšiār, masāʾil al-Nairūsī, manāsik al-ḥağğ, masāʾil ʿAbdullāh b. al-Ḥasan alKalārī, masāʾil Yaḥiā b. al-Ḥusain al-ʿAfīfī und masāʾil al-Qūmasī. Als einzige al-Qāsim fälschlich zugeschriebene Schrift führt Ğadbān „al-kāmil al-munīr fī al-radd ʿala al-ḫawāriğ“ an, die er einem gewissen Ibrāhīm b.

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Ḫairān6 zuschreibt. Nach Ğadbān stand der Name von Ibrāhīm b. Ḫairān als Verfasser auf zwei von drei Manuskripten dieser Schrift, die ihm zugänglich waren. Ğadban betont auch den wesentlichen methodischen Unterschied dieser zu anderen Schriften al-Qāsims. In seinen Debatten und Beweisführungen verwendet al-Qāsim immer Beweise aus der Vernunft und führt dann Belege aus dem Koran an. „al-kāmil al-munīr fī al-radd ʿala al-ḫawāriğ“ ist dagegen ist voll von Hadithen, zwischen denen man die Überlieferungsketten vergleicht, was zur Methode al-Qāsims definitiv nicht passt. In seinem Werk „Der Imam al-Qāsim b. Ibrāhīm und die Glaubenslehre der Zaiditen“ untersucht Wilferd Madelung die Frage der Echtheit der Werke al-Qāsims. Madelung geht in seiner Behandlung dieser Frage von der Berliner Handschrift, der ältesten in Europa zugänglichen Sammlung der Werke al-Qāsims aus. Sie enthält nur 19 Schriften. Diese Handschrift sollte am Ende des Monats šaʿbān des Jahres 544 n. H. vervollständigt werden. Danach sollten die beiden folgenden Schriften das kitāb ad-dalīl aṣ-Ṣaġīr und das kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy al-ğabr wat-tašbīh ʿan Allah al-wāḥid al-ḥamīd als überzählig und al-Qāsim untergeschoben betrachtet werden. Sie sind laut Madelung also nachträglich hinzugefügt worden. Er begründet seine Auffassung damit, dass der muʿtazilitische Gelehrte und zaiditische Imam Abū Ṭālib an-Nāṭiq (gest. 424/1033) sie nicht unter den Werken al-Qāsims aufführt. Jedoch weist Madelung darauf hin, dass Abū Ṭālibs Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und erwähnt, dass an-Nāṭiq von einem kitāb ad-dalīl wusste. Madelung erklärt hingegen, dass der zaiditsche Gelehrte al-Muḥallī (gest. 652 /1254) in seiner Biographie al-Qāsims diese beiden, nach Madelung überzähligen Schriften aufführte. Außerdem sollten sie keine der stilistischen Eigenheiten und keine der typischen Gedankengänge al-Qāsims aufweisen. Demnach standen sie vielmehr unter dem unmittelbaren Einfluss der muʿtazilitischen Schuldogmatik, wie er bei al-Qāsim nicht zu spüren ist. In seinem Buch „Der Imam al-Qasim Ibn Ibrahim und die Glaubenslehre der Zaiditen“ erwähnt Madelung7, dass der ägyptische Forscher Fuʾād Sayyed der Auffassung sei, die Handschrift der Mutawakkilīya Bibliothek in Ṣanʿāʾ sei älter als die ihm, d.  h. Madelung, zugängliche Handschrift, in der diese zwei von Madelung als überzählig angesehenen Schriften angeführt wurden. Die Handschrift sollte aus dem vierten Jahrhundert der Hiğra stammen und 23 Schriften enthalten. Madelung bezweifelt, dass die Handschrift so alt ist, wie Fuʾād Sayyed anführt (Madelung 1965, 96). Er legt dazu jedoch keine Beweise vor. Dass die Berliner

6 Zu dieser Person stehen keine Informationen zur Verfügung. 7 Dies zitiert er in einer Fußnote zur Seite 96 (Madelung 1965, 96).

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Handschrift mit nur 19 Schriften abgeschlossen wurde, kann nicht als Beweis der Unechtheit anderer Schriften angesehen werden. Vielmehr sollte man sie mit den anderen Handschriften und Manuskripten vergleichen. Abū Ṭālib an-Nāṭiq erwähnt diese zwei obengenannten Schriften in seinem Werk „al-ʾifāda“ nicht, listet auch dort die Schriften al-Qāsims nicht auf, sondern verweist bei jedem Wissensbereich nur auf eine Auswahl von Schriften, die er als wichtigste seiner Werke betrachtet, was aber bei der Auflistung im Buch von al-Muḥallī nicht der Fall ist. Da die zwei oben erwähnten Schriften keine der stilistischen Eigenheiten und keine der typischen Gedankengänge al-Qāsims aufweisen, kann man dies wie folgt interpretieren: Die Schrift „kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy al-ğabr wat-tašbīh ʿan Allah al-wāḥid al-ḥamīd“ bzw. das Kitāb al-ʿadl wat-tauḥid al-kabīr ist tatsächlich nicht von al-Qāsim verfasst worden, sondern von seinem Sohn Muḥammad (gest. 284/897). Trotzdem bleibt diese Schrift als inhaltliche Darstellung der theologischen Auffassungen al-Qāsims relevant, wie der Titel und die Einleitung derselben Schrift in der Sammlung der Werke vom Sohn Al-Qāsims „Muḥammad“ zeigt. Hier trägt sie die Überschrift „aš-Šarḥ wat-tabyīn fī uṣūl ad-dīn“. In der Einleitung erklärt Muḥammad b. al-Qāsim, dass er in diesem Werk die Grundlagen der Religion bei seinem Vater al-Qāsim darstellt, weil seine Söhne und einige Anhänger seines Vaters ihn danach fragten (Ar-Rassi Muḥammad, 2002, 3). Die beiden Schriften „Kitāb ad-dalīl al-kabīr“ und „Kitāb ad-dalīl aṣ-ṣaġīr“ sind nicht von al-Qāsim selber geschrieben, sondern von ihm diktiert. Es handelt sich also nicht um zwei Schriften, sondern vielmehr um zwei Überlieferungen derselben Schrift. Das ist besonders in den Anfängen beider Werke zu bemerken. Madelung selber berichtet von einer authentischen Schrift mit dem Titel „Kitāb at-tauḥīd lillāh al-Wāḥid al-Ḥamīd“ deren Inhalt eigentlich nichts anders als das „Kitāb ad-Dalīl aṣ-Ṣaġīr“ ist. Unabhängig davon, ob die Schrift „ad-Dalīl aṣ-Ṣaġīr“ oder „kitāb at-tauḥīd“ heißt, sollten der Inhalt und die Gedanken von al-Qāsim selber stammen und stellen somit die Echtheit der Inhalte beider Überschriften nicht in Frage. Ferner bezweifelt Madelung die Echtheit von drei weiteren Werken al-Qāsims, obwohl diese in der ihm zugänglichen Berliner Handschrift enthalten sind. Die Schrift „Kitāb ar-radd ʿalār-rawāfiḍ min aṣḥāb al-ġulūw“ dürfte nach Meinung von Madelung nicht von al-Qāsim verfasst worden sein. Der Name al-Qāsims wurde womöglich im Blick auf die frömmsten Angehörigen der Prophetenfamilie, die das Erb-Imamat nicht anerkannten nachträglich hinzugefügt. Deshalb könnte man an eine anonyme Streitschrift denken, die al-Qāsim für sich selbst propagierte. Madelung bezweifelt darüber hinaus den Stil der Schrift und geht davon aus, dass der Verfasser ein Anhänger al-Qāsims sei, wahrscheinlich aber einer seiner Söhne.

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Allerdings bemerkt man auch bei genauer Betrachtung keinen stilistischen Unterschied zu anderen thematisch verwandten Schriften al-Qāsims. Die Schrift sollte ja auch mit der anderen – nach Madelung authentischen – Schrift „ar-radd ʿalā ar-rāfiḍa“ inhaltlich nicht verglichen werden, weil die beiden Schriften zwei ganz unterschiedliche Thematiken behandeln. In „ar-radd ʿalā ar-rāfiḍa“ geht es um die Widerlegung derjenigen, die behaupten, es habe nie eine Zeitepoche gegeben noch werde es je eine Zeit geben, in der es keinen Waṣiyy geben würde, der ein Wissen wie das der Propheten besitze. Hingegen handelt es sich bei „Kitāb ar-radd ʿalār-rawāfiḍ min aṣḥāb al-ġulūw“ um die Widerlegung derjenigen, die den Anspruch auf das Imamat bzw. Erb-Imamat auf die Nachkommen al-Ḥusain b. ʿAlīs beschränken und somit die Nachkommen seines Bruders al-Ḥasan ausschließen. Das Werk dem Titel „al-imāma“ sieht Madelung als unecht bzw. als nicht von al-Qāsim verfasst an. Nach Madelung gibt es thematische und inhaltliche Unterschiede zu anderen authentischen Schriften desselben Themas, wie das Kitāb taṯbīt al-imāma. Es ist jedoch zu erwähnen, dass die Sammlung der Werke al-Qāsims nicht nur eine, sondern zwei Schriften mit der Überschrift „Kitāb al-imāma“ enthält. Eine der beiden hat Madelung entweder übersehen oder sie war ihm möglicherweise unzugänglich. Dass das kitāb munāẓara maʿa mulḥid von al-Qāsim nicht selber aufgeschrieben bzw. von ihm überliefert wurde, bedeutet nicht zwangsläufig dass es nicht dennoch von ihm verfasst worden ist. In ihren Grundthesen und inhaltlichen Gedanken stimmt kitāb munāẓara maʿa mulḥid mit den übrigen Werken al-Qāsims überein. Auch gibt es andere echte Schriften von al-Qāsim nur in überlieferter Form, d.  h. er hat sie selber nicht aufgeschrieben. Einige Ausdrücke können von seiner bekannten Begrifflichkeit abweichen, dennoch reflektieren sie seine theologischen Auffassungen und widersprechen den Formulierungen anderer authentischen Werke von ihm nicht. Das kitāb tafsīr al-ʿarš wal-kursī ist beispielsweise von ʿAlī b. Muḥammad b. ʿAbdullāh überliefert und dieser hat es von al-Ḥasan b. al-Qāsim übernommen. Al-Ḥasan übernahm diese Schrift nicht von seinem Vater direkt, sondern von seinem Bruder al-Ḥusain b. al-Qāsim. Eine schriftliche Fassung basiert auf der Überlieferung von ʿAlī b. Muḥammad b. ʿAbdullāh, geht jedoch nicht auf ein direktes Diktat von al-Qāsim zurück. Trotzdem hegen die Forscher zurecht keinen Zweifel an der Echtheit dieser Schrift. Das Kitāb ar-radd ʿalā al-muğabbira hält Madelung für unecht, anders als Abū Ṭālib an-Nāṭiq, der es für ein originales Werk al-Qāsims hielt. Madelung begründet seine Ansicht damit, dass diese Schrift im Stil nicht al-Qāsims anderen Schriften entspricht und dass die Stellungnahme des Verfassers in einigen Fragen mit der sonst bezeugten Haltung al-Qāsims nicht zu vereinbaren sei. Madelung gibt dann eine Zusammenfassung der Schrift, führt aber keine der angeblichen stilistischen und inhaltlichen Widersprüchlichkeiten auf.

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Nach Meinung des Verfassers widersprechen die in Kitāb ar-radd ʿalā almuğabbira angeführten Auffassungen keiner der Ansichten al-Qāsims. Tatsächlich gibt es keine typisch stilistischen Eigenheiten der Schriften al-Qāsims; manchmal schreibt er in einem gereimten poetischen Stil wie in ar-radd ʿalā Ibn al-Muqaffaʿ, manchmal in einem polemischen Stil wie in Kitāb al-mustaršid und manchmal werden seine Aussagen in gereimter Form überliefert wie in Kitāb addalīl al-kabīr, manchmal ungereimt, wie in tafsīr al-ʿarš wal-kursī. Schließlich kann man zum Ergebnis kommen, dass alle in den Handschriften erwähnten Werke und Schriften al-Qāsims inhaltlich und/oder formulierungsgemäß wirklich von al-Qāsim stammen, mit Ausnahme der ihm fälschlich zugeschriebenen Schrift „al-kāmil al-munīr fī ar-radd ʿalā al-ḫawāriğ“, die von den zaiditischen Gelehrten selber als al-Qāsim fälschlich zugeschrieben angesehen und Ibrāhīm b. Ḫairān zugeschrieben wurde.

3 Al-Qāsim b. Ibrahīm als Muʿtazilit In den klassischen Quellen der islamischen theologischen Denkschulen wird der Name von al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rassī weder als Vertreter einer reinen zaiditischen noch der muʿtazilitischen Theologie erwähnt. Abū al-Ḥasan al-ʾAšʿarī nennt sechs zaiditische Gruppen sowie ihre wichtigsten Vertreter. Dazu gehören jedoch nicht al-Qāsim oder sein Enkel al-Hādī. Bei der Ernennung dieser sechs zaiditischen Gruppen wurde Sulaimān b. Ğarīr zum Haupt-Theologen der Zaiditen. Die Zaiditen – Imame der Nachkommenschaft Alis gehörten nicht zu diesen aufgelisteten Gruppen. Auch in den muʿtazilischen Klassenbüchern wird al-Qāsim nicht erwähnt; jedoch ist darauf hinzuweisen, dass in all diesen Klassenbüchern die Nachkommenschaft des Propheten als Leute der Einheit und Gerechtigkeit Gottes bezeichnet wurden. Al-Ḥākim al-Ğušamī nennt auch den Namen al-Qāsim und meint damit, dass viele seiner Anhänger Muʿtaziliten waren (Madelung 1965, 72). Die meisten historischen Überlieferungen dieser Art waren aber mehr oder weniger mit Versuchen der Legitimierung der muʿtazilitischen Auffassungen und/ oder der Wissensautoritäten alidischer Prätendenten verbunden. Würdigt man die Schriften und die Auffassungen al-Qasims selber, kann man ein schlüssiges Bild von ihm und seinem theologischen Anliegen gewinnen. Schaut man auf die gesamten Schriften von al-Qāsim, dann findet man zwei Werke, die mit den Bezeichnungen „al-ʾuṣūl al-ḫamsa“ „uṣūl al-ʿadl wa-l-tauḥīd“ und „kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy al-ğabr wat-tašbīh ʿan Allah al-wāḥid al-ḥamīd“ betitelt sind. Die letzterwähnte Schrift al-Qāsims ist nach Madelungs Auffassung ihm fälschlich zugeschrieben und nachträglich zu seinen Werken

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hinzugefügt worden. Die Gründe, warum Madelung al-Qāsims Verfasserschaft in Frage stellt, sind meines Erachtens nicht ausreichend. Madelung begründet seine Auffassung lediglich damit, dass an-Nāṭiq bil-ḥaq Abū Ṭālib al-Hārūnī (gest. 424/1033) sie nicht unter seinen Werken aufführt und dass sie keine der stilistischen Eigenheiten und keine der typischen Gedankengänge al-Qāsims aufweisen. Al-Hārūnī erwähnt in seinem Buch „al-ʾifāda“ keine sogenannte Liste der Werke al-Qāsims, vielmehr nennt er nur die seiner Auffassung nach wichtigsten Schriften al-Qāsims sowohl in der Kalām-Lehre als auch im islamischen Recht. In seinem Biographienwerk al-Ifāda erwähnt Abū Ṭālib al-Hārūnī, dass die Leute der Gerechtigkeit in Basra und in al-Ahwāz ihn angeschrieben haben, um seinen Widerstand gegen den Kaliphen zu unterstützen. Mit Leuten der Gerechtigkeit ist hier höchstwahrscheinlich die Muʿtazila gemeint (Strothmann 1912, 50).8 In seinen Schriften bemerkt man, dass al-Qāsim die Gelegenheit gehabt hatte, mit anderen Mutakallimīn über unterschiedliche Themen zu diskutieren und er sich mit ihren Themen auseinanderzusetzen pflegte. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Woher hatte al-Qasim sein Wissen der Kalām-Lehre bekommen? Sowohl aus der Biographie al-Qāsims als auch aus seinen Werken erfährt man nur wenig über Gelehrte, mit denen er zusammentraf oder von denen er gelernt hat bzw. beeinflusst wurde. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, weshalb Wilferd Madelung den muʿtazilitischen Charakter al-Qāsims bezweifelt. Von den wenigen Namen, die in Verbindung mit al-Qāsims Leben bzw. Werken standen, ist Ğaʿfar b. Ḥarb9 (gest. 236/850) und Ḥafṣ al-fard10 zu nennen. Ḥafṣ wurde von al-Qāsim in seiner Schrift „Die Antwort auf die Frage des Mannes von Tabaristan“ erwähnt. Auch gibt es dort einen Hinweis, dass Ḥafṣ bei der Diskussion mit den Atheisten anwesend war. Madelung erwähnt Ḥafṣ als den einzigen bekannten Mutakallim, von dem man mit Gewissheit weiß, dass er mit al-Qāsim in Kontakt kam. Nach anderen Quellen sollte Ḥafṣ damals die offizielle Richtung der Muʿtazila vertreten, obwohl al-Ḫayyāṭ ihn nicht als Muʿtazilīt betrachtet. Nach Ägypten kam Ḥafṣ dagegen mit einem anderen muʿtazilitischen Theologen, namens Ibn ʿUlayya, der der Schüler des bekannten muʿtazilitischen Theologen Abū Bakr al-Aṣamm war.

8 Nach Strothmann steht die Bezeichnung „Leute der Gerechtigkeit“, d.  h. Bekenner der Gerechtigkeit Gottes im Gegensatz zu den Prädestinatianern. 9 Einer der größten Muʿtaziliten der Bagdad-Schule. Zusammen mit seinem Zeitgenossen Ğaʿfar b. Mubaššir (gest. 234/848) prägte er die muʿtazilitische Schule mit asketischer Tendenz. 10 Es ist unbekannt, wann genau er starb. Jedoch wird erwähnt, dass er sich mit al-šāfiʿi über die Frage der Erschaffung des Korans auseinandergesetzt hat. Laut al-Qāsim fand zur Zeit als er in Ägypten war in Anwesenheit von Ḥafṣ eine Diskussion mit einem Atheisten statt. Dies geschah wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt nachdem er in Bagdad und Basra war. Ein Hinweis darauf, dass er höchstwahrscheinlich etwa zwischen 210 und 220 n.H. starb.

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Ğaʿfar wurde jedoch von Madelung nicht erwähnt, obwohl er mit Vorliebe die Biographie al-Qāsims derselben Quelle zitiert, die den Namen Ğaʿfars in Verbindung mit al-Qāsim brachte. Im Buch „kitāb al-ʾifāda“ von an-Nātiq bil-Ḥaq Yaḥia al-Hārūni wird überliefert, dass Ğaʿfar b. Ḥarb ihn einmal besuchte und mit ihm über Feinheiten und detaillierte Fragen der Kalām-Lehre diskutierte. Als Ğaʿfar fortging, sagte er zu seinen Gefährten, wo waren wir vor diesem Mann. Bei Allah habe ich keinen wie ihn (in seinem umfangreichen Wissen) gesehen (Ar-Rassī 2001, 1:95). Dass al-Qāsim trotz seiner von muʿtazilitischer Theologie beeinflussten Werke nicht in die Kategorie der Muʿtaziliten eingestuft bzw. in den muʿtazilitischen Büchern nicht erwähnt wurde, lässt vermuten, dass er sich in seinem Leben mehr auf die asketischen Aspekte konzentrieren wollte. Seine Schriften hat er höchstwahrscheinlich seinen Söhnen diktiert. Die meisten damals bekannten muʿtazilitischen Theologen lebten entweder in Basra oder in Bagdad, was auf al-Qāsim nicht zutrifft, da er sich wegen politischer Verfolgung häufig an unbekannten Orten verstecken musste. Zur Zeit al-Qāsims war noch nicht eindeutig, wer als echter Muʿtazilit galt und wer nicht. Zu Abgrenzungen kam es erst später. So sind beispielsweise Gelehrte wie al-Ḥasan al-Baṣrī oder al-Ğaʿd b. Dirham in den muʿtazilitischen Büchern aufgezählt, obwohl sie mit etlichen ihrer Ansichten von den muʿtazilitischen Grundsätzen abweichen. Šahrastāni berichtet, dass Muḥammad b. Šabīb, Mwais b.ʿImran und Abū Šimr, Schüler an-Naẓẓāms sind, die mit ihm bezüglich des Prinzips der Zwischenstufe „al-manzila bain al-manzilatain“ nicht übereinstimmten (Šahrastānī 1993, 42). Auch in den bekannten Werken wie Šahrastānīs al-milal wan-niḥal, Baġdādīs al-farq baina al-firaq oder al-Ašʿarīs maqālāt wird al-Qāsim nicht als zaiditischer Theologe bezeichnet. Bei anderen theologischen Schulen war er damals nicht bekannt, wie man es auch der Überlieferung von Ğaʿfar b. Ḥarb entnehmen kann. Seine theologischen Werke und die der kaspischen Zaiditen wurden erst später nach der Entstehung des zaiditischen Imamats im Jemen bekannt und begannen seitdem ihre Wirkung zu entfalten. Erwähnenswert ist, dass al-Qāsim gegen fast alle theologischen Gruppen seiner Zeit schrieb und diese manchmal auch sehr scharf kritisierte, ausgenommen die Muʿtazila. Theologen anderer Schulen in Basra waren ihm namentlich bekannt, so kritisiert er die theologischen Ansichten von Hišām b. Sālim al-Ğawālīqī und Hišām b. al-Ḥakam bezüglich der Verkörperung Gottes. Da diese in Basra lebten, ist es unwahrscheinlich, dass er von denen gehört hat, nicht aber von den Muʿtaziliten. Die Tatsache, dass er keine Namen von muʿtazilitischen Theologen seiner Zeit anführt, ist kein ausreichender Beweis dafür, ihn nicht als Muʿtazilit zu betrachten.

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In der arabischsprachigen Forschung wird al-Qāsim als ein zaiditischer Immam vorgestellt, der in theologischen Fragen der muʿtazilitischen Richtung folgt. Faiṣal ʿAun erwähnt ihn in seiner Edition des Buches „al-uṣūl al-ḫamsa“ von al-Qāḍī ʿAbdul-Ğabbār als einen der wichtigsten frühen zaiditisch-muʿtazilitischen Gelehrten, die über al-uṣūl al-ḫamsa geschrieben haben (ʿAbdul-Ğabbār 1998, 19). Ähnlich auch ʿAlī Sāmī an-Naššār, der den Namen al-Qāsims neben dem des bekannten muʿtazilitischen Theolgen Ğaʿfar b. Ḥarb anführt. Sowohl al-Qāsim als auch Ğaʿfar gehören zu den ersten, die über al-uṣūl al-ḫamsa geschrieben haben. In der Einleitung der Edition des Buches „šarḥ al-uṣūl al-ḫamsa“ erwähnt ʿAbdulKarīm ʿUṯmān, dass einige der Meinung sind, das Buch sei der Kommentar zu der von al-Qāsim aufgeschriebenen Schrift „al-uṣūl al-ḫamsa“ (ʿAbdul-Ğabbār 1965, 27), was aber sehr unwahrscheinlich ist. Der Kommentar passt definitiv nicht zur genannten Schrift al-Qāsims. In seinem Buch „muʿtazilat al-Yaman“ bezeichnet ihn ʿAlī Muḥammad Zaid als ersten, dem es gelang die Beziehung der Zaiditen zur Muʿtazila geschickt zu initiieren (Zaid 1981, 31). Andere zaiditische Forscher heben seinen eigenen zaiditischen Charakter hervor und führen einige muʿtazilitische Theologen als seine Anhänger und Schüler auf. Nasr Abu Zaid stellt ihn als Vertreter der muʿtazilitischen Theologie in Bezug auf die Frage der muḥkamāt- und mutašābihāt-Verse als Basis für den taʾwīlProzess bei den Muʿtaziliten dar. (Abu Zaid 1983, 164) Dadurch wurde der erste Versuch von einem muʿtazilitischen Theologen, gemeint hier al-Qāsim, unternommen, eine Verbindung zwischen den rationalen Grundprinzipen und der Frage von muḥkam und mutašābih herzustellen. Aḥmad Ṣubḥi geht einen Schritt weiter und meint, es gebe unter den Muʿtaziliten keinen, der so offen und deutlich der Vernunft den Text vorgezogen hat, wie al-Qāsim. Nach Ṣubḥi näherten sich al-Qāsims theologische Auffassungen aus der Fiqh-Lehre, im Unterschied zur Muʿtazila, deren theologische Ansichten sich an die Philosophie anlehnen. Deshalb findet man in den Schriften al-Qāsims keine griechischen und andere Einflüsse und seine Ansichten sind als rein islamisch anzusehen. (Ṣubḥi 1991, 111) Muḥammad ʿImāra edierte einige Schriften al-Qāsims neben Schriften von al-Ḥasan al-Baṣrī, al-Qāḍī ʿAbdul-Ğabbār und anderen, deren Werke als Zeugnisse für das früh-rationale Denken in der islamischen Ideengeschichte gelten. (ʿImāra 1988) Das Werk heißt „rasāʾil al-ʿadl wat-tauḥīd – Schriften der Gerechtigkeit und der Einheit“ und reflektiert, welcher theologischen Richtung al-Qāsim zugehörig ist, bzw. wie er einzustufen wäre. In der westlichen islamwissenschaftlichen Forschung ist die Frage des muʿtazilitischen Charakters al-Qāsims bis dato umstritten. Rudolf Strothmann beschäftigte sich in mehreren wissenschaftlichen Werken mit den theologischen,

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politischen und rechtlichen Anliegen der Zaiditen. Er veröffentliche die Biographie al-Qāsims anhand des Werkes „al-ifāda“ von Abū Ṭalib al-Hārūnī in seinem Aufsatz „Literatur der Zaiditen“, analysierte in seiner Schrift „Kultus der Zaiditen“ al-Qāsims theologischen Standpunkt im Allgemeinen und legte schließlich dessen Imamatstheorie ausführlich in seinem Buch „Staatsrecht der Zaidten“ dar. Strothmann sah al-Qāsim als Inaugurator des bewusst zaiditischen Schrifttums an, der von der muʿtazilitischen Theologie stark beeinflusst war und bekräftigt damit den muʿtazilitischen Charakter al-Qāsims. (Strothmann 1910, 354  – 355, 1911 49 – 50, 1912). Wilferd Madelung dagegen sieht al-Qāsim keineswegs als Vertreter der muʿtazilitischen Theologie an. Nach Madelung hat al-Qāsim die muʿtazilitische Schultheologie unter den Zaiditen nicht eingeführt, sondern ihr lediglich die Tür geöffnet (Madelung 1965, 153). Madelung (1965, 153) betrachtet al-Qāsim eher als Prediger, jedoch nicht als Dogmatiker. Er verweist dabei auf die in seinen dogmatischen Schriften verwendeten Begrifflichkeiten, die seiner Meinung nach nicht zu den typischen Begrifflichkeiten seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologen gehören. Er hat auch seine Schriften und seine Erkenntnisse in kein festgefügtes System wie das der Muʿtazila gebracht. Das ließe sich so erklären, dass zu jener Zeit bei einigen Bagdader Muʿtaziliten das Interesse an theologischer Fachsimpelei zurückging und es eine Tendenz gab, bezüglich der Kalām-Fragen allgemeinverständliche Traktate zu verfassen(van Ess 1991, 4:70). Binyamin Abrahamov hingegen schätzt die unterschiedlichen Begrifflichkeiten al-Qāsims anders ein. Als Zaiditen-Imam sollte er auch seine emanzipierte theologische Haltung zeigen (Abrahamov 1991, 13), weswegen man hier die Begründung Abrahamovs des bewussten Wechsels der Begrifflichkeiten al-Qāsims logisch, sinnvoll und akzeptabel findet. Madelung führt auch einige Fragen an, mit denen al-Qāsim zur typischen Ansicht bzw. Haltung seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologie im Widerspruch stand, wie der aus der Ordnung der Welt abgeleitete Gottesbeweis. In Bezug auf den Gottesbeweis aus der Ordnung der Welt hat Binyamin Abrahamov in seiner Edition zum Buch al-Qāsims „ad-dalīl al-kabīr“ gezeigt, dass eine solche Beweisführung bei den damaligen muʿtazilitischen Theologen nicht unüblich war. Al-Ğāḥiẓ, Hišām al-Fwaṭī und an-Naẓẓām verwendeten diesen Beweis in ihren Ausführungen. (Abrahamov 1991, 13) Es mag sein, dass viele muʿtazilitische Theologen diesen Beweis damals wegen den Debatten mit Atheisten, Dualisten u.  a. nicht bevorzugten, jedoch kann man genau deshalb nicht davon ausgehen, dass nur der eine Beweis der typische Gottesbeweis bei der Muʿtazila, der andere aber nicht. Al-Qāsim hat im kitāb ad-Dalīl al-Kabīr nicht nur den Gottesbeweis aus Ordnung der Welt angeführt, sondern auch andere Beweisführung, die als muʿtazilitischzu betrachten ist.

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4 Die muʿtazilitischen fünf Grundprinzipien in den Schriften al-Qāsims Die muʿtazilitischen fünf Grundsätze „al-ʾuṣūl al-ḫamsa“ sind in al-Qāsims Schriften dargestellt. Zusätzlich verfasste er eine kleine Schrift mit dem Titel „al-ʾuṣūl al-ḫamsa“. (Ar-Rassī 2001, 1: 362) In dieser Schrift sind diese Grundsätze wie folgt angeordnet: 1. Gott ist ein einziger Gott. Kein Ding ist ihm gleich. Er ist der Schöpfer aller Dinge. Er erfasst die Blicke, doch die Blicke erfassen ihn nicht, er ist der Gütige, der Kundige. 2. Gott ist gerecht, nicht tyrannisch. Er erlegt keiner Seele mehr auf als sie vermag. Er straft sie nur für ihre eigene Schuld. Er hält niemanden davon ab, ihm zu gehorchen, sondern gebietet es ihm und führt niemand in die Auflehnung gegen ihn, sondern verbietet sie ihm. 3. Gott ist wahrhaftig in seiner Verheißung und seiner Drohung. Er wiegt das Gewicht eines Staubkörnchens an Gutem auf und er wiegt das Gewicht eines Staubkörnchens an Bösem auf. Wem er die Belohnung anbefiehlt, der ist darin immer, endlos und ewig, so ewig wie der, dem er der Strafe anbefiehlt, die nicht schwindet. 4. Der Koran ist verständlich und eindeutig, ein gerader Weg. Er enthält weder Widerspruch noch Verschiedenheit. Die Sunna des Gesandten Allahs ist, was im Koran erwähnt ist und demgemäß Sinn macht. 5. Die Verfügung über Besitz, Handel und Gewinn ist in einer Zeit, da die Gebote nicht beachtet werden, da geplündert wird, was Gott für die Witwen und Waisen, die Blinden, Kranken und die anderen Schwachen festgesetzt hat, nicht in der Weise erlaubt und statthaft, wie zur Zeit der gerechten und guten Herrscher und derer, die die Gebote des Barmherzigen durchführen lassen.11 Die ersten drei Grundprinzipien stimmen mit den muʿtazilitischen im Ganzen überein. In einer anderen Schrift12 erwähnt al-Qāsim achtzehn Grundprinzipien der Religion, in denen auch die genannten fünf Grundlehren der Muʿtazila aufgezählt wurden. In Bezug auf die Frage, ob Gott im Jenseits mit Augen gesehen werden könne, geht al-Qāsim davon aus, dass es nur möglich wäre, Allahs Sicht als Erkenntnis

11 Die deutsche Übersetzung dieser fünf Grundlagen ist aus Madelung zitiert. (Madelung 1965, 104). 12 Uṣūl ad-Dīn, Dt. Grundlagen der Religion. Dies ist eine sehr kurze Schrift.

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oder das Warten auf weitere Gnadenerweisungen Gottes anzusehen. Somit vertritt er die Ansicht seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologen. Der Bagdader muʿtazilitische Theologe Ğaʿfar b. Ḥarb geht davon aus, dass man am Tag der Auferstehung Gott mit dem Herzen wahrnehmen im Sinne von „mit dem Herzen erkennen“ kann. Diese Auffassung ist auch die von Abū al-Huḏail al-ʿAllāf und den meisten muʿtazilitischen Theologen aus Baṣra. Al-Qāsim kritisiert nicht nur diejenigen, die die Ansicht vertreten, Allah könne mit den Augen gesehen werden, sondern auch jene, die meinen, dass es möglich sei, Allah würde den Gläubigen seine Sicht ermöglichen, indem er eine sechste Sinnkraft in ihnen erschaffe. (Ar-Rassī 2001, 1: 488) Als Kritikpunkt stellt er die Frage, ob Gott auch in ihnen eine siebte Sinnkraft schaffen würde, um ihnen noch etwas Besonderes zu ermöglichen. Damit kritisiert er die Auffassung von Ḍirār b. ʿAmr (gest. circa 198/ 815) und Ḥafṣ al-Fard (gest. nach 210 n. H). Auch die Frage der Rede Gottes und ob Gott wirklich mit Stimmen und Buchstaben spricht, wird in den Schriften al-Qāsims gestellt, jedoch nicht so klar und deutlich wie andere Fragen der göttlichen Attributenlehre. In der ihm zugeschriebenen Schrift „al-ʿAdl wat-Tauḥīd wa nafiy at-Tašbīh ʿan al-Ġani al-Ḥamīd“ ebenso wie in seiner Schrift „ar-Radd ʿala Ibn al-Muqaffāʿ“ schrieb er: „Es ist nicht wie man sich einbildet, dass Gott – Erhaben ist Er – Wörter ausgesprochen hat. Es ist vielmehr ein Zeichen für Seine Allmacht. Er macht das aber nicht in direkter Form, sondern Sein Tun und alles, was Er macht, ist durch Seine Macht“. Madelung hat die letzterwähnte Stelle sowohl in seinem Buch als auch in seinem Aufsatz „al-Qāsim b. Ibrāhīm and the Muʿtazilism“ wahrscheinlich übersehen. In seinem kitāb al-Mustaršid lehnt al-Qāsim es grundsätzlich ab, Gott als Stimme wahrzunehmen; und zwar in seiner Interpretation zur Koranstelle über die Rede Gottes mit Moses. (Ar-Rassī 2001, 1: 483) Laut Madelung hat al-Qāsim sich nirgends über die Frage der Erschaffenheit oder Unerschaffenheit des Koran ausgesprochen, obwohl er in einer Zeit lebte, in der der Streit darüber seinen Höhepunkt erreichte und sich zu einem politischen Problem auswuchs. Dem kann man jedoch nicht völlig zustimmen. Zum einen spricht al-Qāsim nicht über die damals vorhandene politisch-ideologisierte Krise der Erschaffenheit des Koran. Andererseits findet man seine Auffassung über diese Frage indirekt und/oder direkt in seinen Schriften beantwortet: In seiner unvollendeten Koraninterpretation einiger kurzen Suren behandelt er indirekt die Frage der Erschaffenheit des Korans. Als Auslegung des ersten Verses der Sure al-Qadr „die Bestimmung“ interpretiert er das arabische Verb „anzalnāhu“ mit „ğaʿlahu“ und „aḥdaṯahu“. Das arabische Verb „aḥdaṯahu“ bedeutet hier nichts anders als „Er hat ihn erschaffen“. In seinem Aufsatz „al-Qāsim b. Ibrāhim and the muʿtazilism“ stellt Madelung einige Thesen al-Qāsims dar, die seiner Auffassung nach ein Beweis dafür sind,

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dass al-Qāsim keinesfalls Muʿtazilit war. Zu diesen Thesen gehört die Frage der Erschaffenheit des Koran. Er vertritt den Standpunkt, dass al-Qāsim wahrscheinlich den Koran als erschaffen ansah, jedoch entweder nicht dazu neigte, sich an der Prüfung der Muʿtazila zu beteiligen oder seinen Ruf unter seinen zaiditischen Anhänger nicht beeinträchtigen wollte. So schreibt Madelung(2012, 46): „He did not wish to associate himself in the question with the Muʿtazila and other upholders of the creation of the Qurʾan and certainly had no sympathy for the miḥna against other opponents instituted by al-Maʾmūn and his successors “

Das trifft jedoch nicht zu, weil es nicht nur al-Qāsim war, der die Auffassung der Erschaffenheit des Korans vertrat und gleichzeitig die von al-Maʾmūn geleitete Krise und Prüfung aufs schärfste kritisierte. Das zeigt sich auch eindeutig in derselben Quelle, aus der Madelung zitiert, in der führende Persönlichkeiten der Muʿtazila die Spaltung der Muslime total ablehnten und sich an al-qaul bil-ğumla hielten. Zu diesen zählen Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b. Mubaššir und Muḥammad b. ʿAbdullah al-Iskāfī. Muḥammad b. Manṣūr al-Murādī erwähnt, dass al-Iskāfī ihm mitteilte: „Wir würden auf die Flaggen lieber die Passage: ‚Es gibt keine Gottheit außer Allah und Muḥammad ist sein Gesandter und der Koran ist die Rede Gottes‘“ schreiben. Er will damit das freundliche Zusammenleben unter den Menschen, die Einigung der Muslime auf eine gemeinsame Haltung und die Beseitigung der Unterschiedlichkeit und Spaltung aufzeigen“ (Al-ʿAlawī o.J) In diesem Zusammenhang kommt auch der folgenden Überlieferung von al-Murādī eine wichtige Bedeutung zu: „Ich habe Vieles mit den Führern der Muʿtazila erlebt, wobei sie sich allesamt an al-qaul bil-ğumla halten, von denen ich Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b. Mubaššir und al-Iskāfī nenne. Niemand von ihnen fragte mich nach etwas, was die Leute zur Unterschiedlichkeit oder Spaltung, wie der Erschaffenheit des Koran usw. führt“ (Al-ʿAlawī o.J). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass al-Qāsim bezüglich der Erschaffenheit des Korans die muʿtazilitische Auffassungen vertritt, genau wie wie im Fall seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologen Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b. Mubaššir und al-Iskāfī war. Madelungs Auffassung, dass al-Qāsim nur in seinem kitāb al-ʿadl wat-tauḥīd seine Ansicht diesbezüglich schrieb, ist widerzulegen, da es zu seiner Interpretation der Sure al-Qadr im Widerspruch steht. Außerdem hat Madelung über die Rede Gottes in seinem kitāb ar-radd ʿala az-zindīq Ibn al-Muqaffaʿ gesprochen, in dem er es total ablehnt, dass Gott mit Stimmen sprechen würde.

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Fazit Wie nachzuweisen versucht wurde, sind muʿtazilitische Lehren und Gedankengänge in al-Qāsims Schriften spürbar, unabhängig davon, ob er diese theologischen Lehren mit seinen eigenen Begrifflichkeiten bewusst oder unbewusst formuliert hat. In diesem Zusammenhang bleibt dennoch das muʿtazilitische Kriterium, das von al-Ḫayyāt festgelegt wurde. In den detaillierten Fragen dieser Grundprinzipien waren die muʿtazilitischen Theologen fast nie einhellig einer Meinung. Al-Qāsim b. Ibrāhīm (gest. 246/860) ist meines Erachtens nicht mit Abū al-Huḏail al-ʿAllāf (gest. 227 oder 235 n. H) und an-Naẓẓām zu vergleichen, vielmehr sollte man seine Schriften im Lichte der Tendenz von Ğaʿfar b. Ḥarb in der Bagdader muʿtazilitischen Theologie untersuchen und in diesem Sinne betrachten. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass es sehr wahrscheinlich war, dass al-Qāsim nicht an eine bestimmte Schule der Muʿtazila gebunden war. Seine allgemeinverständliche Methode in seinen Kalām-Schriften und der sufische Charakter weiterer Schriften lassen ihn jedoch als einen kategorisieren, der sich der herrschenden Tendenz seiner zeitgenössischen Bagdader Muʿtaziliten anschließt. Eine gründliche Studie könnte neue Dimensionen der muʿzalitischen fünf Grundprinzipien in al-Qāsims Schriften verdeutlichen, da diese auch die ältesten bis heute noch erhaltenen Schriften sind, von denen man einen Überblick über eine mögliche Form dieser Grundprinzipien in der frühen muʿtazilitischen Theologie gewinnt. Al-Qāsim geht von einer rationalistischen Theologie aus, behandelt jedoch diese Rationalität nicht in einem philosophischen Zusammenhang, sondern versucht sowohl bei seiner Begrifflichkeit als auch bei seiner Beweisführung den koranischen Stil aufrecht zu erhalten. Dies bedeutet aber nicht, er habe kein philosophisches Wissen erworben, wie manche arabische Forscher behauptet haben. Vielmehr hat er dieses philosophische Wissen in seinen Debatten mit nichtmuslimischen Andersdenkenden durchaus benutzt, um seine Auffassungen zu untermauern. Im Lehrgespräch mit seinen Schülern und Söhnen vermied er solchen philosophischen Stil wahrscheinlich ganz bewusst.

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Hossam Ouf

Muʿtaziliten und Hadith. Zur Konzeption einer traditional-rationalen Hadith-Kritik anhand des Werkes „Qabūl al-aḫbār wamaʿrifat ar-riğāl“1 von Abū l-Qāsim al-Kaʿbī al-Balḫī Die Mehrheit der sunnitischen Hadith-, Fiqh- und Uṣūl-Gelehrten sind der Ansicht, dass die praktische Sunna und die authentischen mutawātir- und aḥādHadithe2 des Propheten die zweite Quelle der islamischen Gesetzgebung nach dem Koran bilden. Da für die Muʿtaziliten der Verstand die höchste Autorität hat, gehen sie von einer anderen Reihenfolge aus. Auf den Verstand folgen der Koran, die Sunna und der Konsens. Zur Anordnung der im Islam gesetzgebenden Quellen bei den Muʿtaziliten sagt al-Qāḍī ʿAbdulğabbār (gest. 415/ 1024): Die erste (Quelle) unter ihnen ist der Verstand, weil durch ihn zwischen dem Guten und dem Bösen unterschieden wird, und durch ihn wird die normative Autorität des Buches (des Koran), der Sunna und des Konsenses festgestellt. Vielleicht wundern sich einige über diese Anordnung und glauben, dass die argumentativen Quellen nur der Koran, die Sunna und der Konsens sind, oder glauben, dass wenn der Verstand als Argument in bestimmten Angelegenheiten angewandt wird, er dann nach diesen drei Quellen (Koran, Sunna und Konsens) an der letzten Stelle steht. Die Sache ist jedoch anders, weil Allah nur die Leute des Verstandes ansprach und weil durch den Verstand erkannt wird, dass das Buch Allahs, die Sunna und der Konsens die (religiösen) Argumente sind. Und das ist die Grundlage in dieser Angelegenheit (ʿAbdulğabbār al-Qāḍī, o.  J., 139).

Diese Ansicht von al-Qāḍī ʿAbdulğabbār stimmt mit der Ansicht von Abū al-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 319/931) überein, die er in der Einleitung des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa maʿrufat ar-riğāl“, das das Thema dieser Arbeit darstellt, ausführt. Al-Kaʿbī führt u.  a. folgende Bedingung für die Akzeptanz des āḥād-Hadith an: „Ein āḥād-Hadith darf nicht dem Verstand zuwiderlaufen (al-Kaʿbī, 2000, 1:17)“.

1 Das Werk wurde 2000 von Abū ʿAmr al-Ḥusainī b. ʿUmar b. ʿAbdurraḥīm ediert und ist in zwei Bänden in Beirut erschienen. * Hossam Ouf ist Doktorand am Lehrstuhl für Hadithwissenschaften am Zentrum für islamische Theologie an der Universität Tübingen. 2 ḫabar al-wāḥid od. hadith al-aḥād ist ein Hadith, der nur von einem bzw. zwei oder mehr Tradenten überliefert wird, ohne die Bedingungen des mutwātir zu erfüllen. Dieser Begriff wird in der Arbeit entweder mit āḥād-Hadith, Einzel-Hadith oder Einzel-Tradition wiedergegeben. https://doi.org/10.1515/9783110588576-011

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Hier betont al-Kaʿbī, dass der Verstand eine höhere normative Autorität als der Text hat, auch wenn er hier mit dem Text den āḥād-Hadith meint. Aus diesem Grund datieren die Gelehrten die Anfänge des Streits zwischen den Hadith-Gelehrten und Muʿtaziliten um die normative Autorität der Hadithe auf das zweite Jahrhundert mit der Entstehung der Muʿtaziliten als Gruppe. Dazu meint Ibn Ḥazm (gest. 456/ 1064) in seinem Werk „al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām“, dass die erste Gruppe, die von dem Konsens der muslimischen Gelehrten abwich, indem sie den von einem glaubwürdigen Überlieferer tradierten āḥād-Hadith ablehnte, die Muʿtaziliten waren. Dazu sagt er: „Alle muslimischen Gelehrten stimmten in der Akzeptanz der vom Gesandten Allahs durch einen glaubwürdigen Überlieferer tradierten āḥād-Hadith miteinander überein. Die Gelehrten aller Gruppen, wie die ahlu-s-sunna, die Ḫariğiten, die Schiiten und die Qadarīten, verfuhren nach dieser Regel, bis die Muʿtaziliten nach dem ersten Jahrhundert nach Hidschra kamen und von diesem Konsens abwichen (Ibn Ḥazm, 1979, 1:114)“. In diesem Zusammenhang apostrophiert Ibn ʿAbdulbarr die Ansicht der Hadith-Gelehrten in seinem Werk „at-Tamhīd“ wie folgt: „Meines Wissens sind sich die Leute des Wissens unter den Leuten des Rechts und der Tradition darüber einig, dass die āḥād-Tradition des integren Überlieferers akzeptiert und in die Praxis umgesetzt werden muss, wenn sie als authentisch eingestuft und nicht durch eine andere Tradition oder den Konsens abrogiert wurde. Die fuqahāʾ (Rechtsgelehrten) sind sich in allen Zeiten seit der Zeit der Prophetengefährten bis heute darüber einig, außer die Ḫariğīten und einige Gruppen der Ketzerei (Ibn ʿAbdulbarr, 1967, 1:2; vgl. al-Ğudayʿ, 2003 1/52)“. Hier schließt Ibn ʿAbdulabarr von dem Konsens der muslimischen Gelehrten nur die Ḫariğīten und einige Gruppen der Ketzerei aus. Es ist hier klar, dass er mit den Leuten der Ketzerei die Muʿtaziliten und andere meint, die den Hadithgelehrten in Bezug auf Authentizität die normative Autorität der āḥād-Hadithe absprachen. Die Hadith-Gelehrten beschäftigten sich mit der Überprüfung der Authentizität der Traditionen und der Qualität des isnād sowie der sicheren Zuschreibung der Traditionen an den Gesandten Allāhs, wobei die Muʿtaziliten sich mit der Bedeutung des Hadith befassten, ohne dem isnād große Aufmerksamkeit zu schenken. Al-Kaʿbī verfasste sein Werk „Qabūl al-aḫbār“, um die präsumtiv-normative Autorität der āḥād-Hadithe unter den von ihm bestimmten Voraussetzungen zu etablieren, aber die Hadith-Gelehrten hielten dieses Werk für ein Werk zu ihrer Verleumdung und Verunglimpfung und sahen ihre Integrität und Glaubwürdigkeit beanstandet. Wegen dieses Werkes wurde al-Kaʿbī von den Hadith- und riğāl-Gelehrten wie ar-Ramahurmuzī (gest. 360/970) in seinem Buch „al-Muḥaddiṯ al-fāṣil bayna ar-rāwī wa-l-wāʿī“ (vgl. ar-Ramahurmuzī, 1771, 309–310) und später Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī (gest. 852/1348) in seinem „Lisān al-mizān“ scharf kritisiert und angegriffen. Zwar haben sie ihn gelobt und zugegeben, dass er umfangrei-

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che Kenntnisse in der Hadithwissenschaft habe, aber gleichzeitig ihm vorgeworfen, dass er fanatische Ansichten gegen die Hadith-Gelehrten vertrete und das Richtige mit dem Falschen vermische (vgl. ar-Ramahurmuzī, 1771, 309–310; Ibn Ḥağar, 2002, 4:429). Ibn Ḥağar berichtet in seinem „Lisān al-mizān“, dass Ğaʿfar al-Mustġfirī an-Nasafī (gest. 432/ 1040) sagte: „Ich lasse keine Überlieferung von al-Kaʿbī zu“, und dass ʿAbdul-Muʾmin b. Ḫalaf an-Nasafī (gest. 346/ 957) ihn für einen kāfir (Ungläubigen) hielte und nicht begrüßte, als er in Nasaf angekommen war (vgl. Ibn Ḥağar, 2002, 4:429). Wegen dieser scharfen Kritik fand „Qabūl al-aḫbār“ keine Verbreitung und keine Akzeptanz unter den ahl al-ḥadīṯ nicht einmal bis heute. Aus diesen Gründen zielt diese Arbeit darauf ab, das Augenmerk auf Al-Kaʿbīs umstrittene Schrift zu richten und einen kurzen Überblick über ihre Bedeutung für die Hadithwissenschaften sowie ihren Autor zu geben. „Qabūl al-aḫbār“ gilt m.  E. als eine wichtige Entwicklung der Hadith- und Überlieferer-Kritik und kann eine große Lücke in der modernen Hadithforschung füllen.

1 Zur Person al-Kaʿbīs und seinem Werk „Qabūl al-aḫbār“ Abū al-Qāsim ʿAbdullāh b. Aḥmad b. Maḥmūd al-Kaʿbī al-Balḫī wurde (273/886) in Blaḫ geboren und ist trotz seines langen Aufenthaltes in Baghdad auch in Balḫ (319/ 931) gestorben. Er war ein ḥanafitischer Rechtsgelehrter, ein muʿtazilitischer Kalām-Gelehrter, Korankommentator, Literat, sowie ein Zeitgenosse von Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (gest. 303/ 915) und gilt als der letzte große Vertreter des „silbernen Zeitalters (vgl. Watt, 1973, 300–302)“ der Muʿtaziliten in Baghdad.3 In seiner Jugend war er der Sekretär (kātib) von Muḥammad b. Zayd ad-Dāʿī (gest. 286/900), dem Herrscher von Ṭabaristān. Zwei Jahrzehnte später machte ihn Aḥmad b. Sahl b. Hašim (gest. 307/ 919), ein Statthalter von Naṣr b Aḥmad, zu seinem Sekre-

3 Van Ess meinte, dass al-Kaʿbī Zaidit war (vgl. Ess, 2011, 1:328). Van Ess bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Studie von Racha El-Omari, die meint, dass al-Kaʿbī in Bezug auf das Imamat die Auffassungen der muʿtazilitischen Schule von Bagdad teilte, die weitgehend mit der zaiditischen Lehre übereinstimmte. So hielt er an der zaiditischen Lehre des „Imamats des Übertroffenen“ (imāmat al-mafḍūl) fest, die besagt, dass man einer bestimmten Person auch dann den Treueid leisten durfte, wenn es eine Person gab, die besser war als diese (vgl. El-Omari, 2007, 55–57). Ob al-Kaʿbī nur deswegen als Zaidit wie Van Ess offensichtlich meinte, bezeichnet wird, kann nicht bestätigt werden.

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tär (kātib).4 Er war neben seiner Auseinandersetzung mit der Kalām- auch mit der Hadith-Gelehrsamkeit beschäftigt, die in der Zeit nach der Prüfung (miḥna) von Aḥmad b. Ḥanbal (gest. 241/855) durch die abbasidischen Kalifen gefördert wurde. Zu al-Kaʿbīs Zeit hatten die Hadith-Gelehrten einen großen Einfluss im wissenschaftlichen Umfeld (vgl. Amīn, 2013, 299–301). Sein Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ gilt als eines der wichtigsten Werke der muʿtazilitischen Literatur in der Hadithwissenschaft. Es ist das zweite muʿtaziltische Hadithwerk nach dem „Kitāb at-Taḥrīš“5 (die Provokation) von Ḍirār b. ʿAmr al-Ġaṭafānī6 (gest. 200/815), das uns erhalten blieb.7„Qabūl al-aḫbār“ von al-Kaʿbī unterscheidet sich jedoch von „Kitāb at-Taḥrīš“ darin, dass al-Kaʿbī es in einer rein hadithwissenschaftlichen Sprache formuliert und sich mit der Überliefererkritik ausgehend von der matn-Kritik beschäftigt, während sich Ḍirār b. ʿAmr hauptsächlich mit matn-Kritik an sich befasste. „Qabūl al-ḫbār“ wurde von Van Ess als eine gründliche und manchmal sarkastische Kritik vieler frühen Autoritäten des Hadith bezeichnet (vgl. Ess 2017). Al-Kaʿbīs Lehrer Abū l-Ḥusain al-Ḫayyāṭ (gest. 311 / 923) lehnte in seinem Buch „ar-Rad ʿalā man aṯbata ḫabar al-wāḥid“ (vgl. Ibn an-Nadīm, 2009, 2:610) den Einzel-Hadith (ḥadīṯ al-āḥād) völlig ab. Al-Kaʿbī widersprach jedoch seinem Lehrer und vertrat die Ansicht, dass der Einzel-Hadith unter bestimmten Voraussetzungen angenommen wird. Aus diesem Grund verfasste er sein Buch „Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ (ʿAbdulğabbār al-Qāḍī, o.  J., 52). In der Einleitung zu „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ führt al-Kaʿbī folgendes aus, indem er seine Schüler anspricht:

4 Zur Biografie von al-Kaʿbī (vgl. Ibn an-Nadīm, 2009, 2:613–615; vgl. ʿAbdulğabbār al-Qaḍī, o.  J., 43–56; vgl. as-Subḥānī, 1427 n.H., 3: 389–393; vgl. Ess 2017). 5 Al-Ġaṭafānī, Ḍirār b. ʿAmr. 1435/ 2014. Kitāb at-Taḥrīš, hg. v. Hüseyin Ḫanṣu u. Mehmet Keskin. Beirut: Dār Ibn Ḥazm. 6 Ḍirār b.ʿAmr al-Ġaṭhfānī (gest. 200/ 815) gehörte, laut Ibn an-Nadīm, zu den Neuerern unter den Muʿtaziliten (min bidʿiyyat al-muʿtazila) (vgl. Ibn an-Nadīm, 2009, 2: 596–597). Al-Kaʿbī betonte, dass er zu den Muʿtaziliten nicht gehörte, auch wenn er an die „manzila bayna al-manzilatayn“ glaubt, weil er eine andere Meinung in Bezug auf die Fragen der al-ʿadl wa-t-tawḥīd (Die Gerechtigkeit und die Einheit Gottes) vertritt (vgl. ʿAbdulğabbār al-Qaḍī, o.  J., 75). Er war Ğahmit (vgl. Ess, 1992, 3:35). 7 In „Kitāb at-Taḥrīš“ befasst sich Ḍirār b. ʿAmr al-Ġaṭafānī (gest. 200/815) mit der Spaltung der islamischen Gemeinde. Der Titel des Buches„at-Taḥrīš“ heißt: Die Provokation und weist nach, inwieweit die prophetischen Überlieferungen zur Provozierung zwischen den Muslimen angewandt wurden. Dirār meint in diesem Buch, dass jede Gruppe nur Hadithe überliefert, die ihre Meinungen untermauern, sodass widersprüchliche Hadithe entstanden sind. Dabei wirft er besonders den Rechts- und Hadith-Gelehrten vor, dass sie erfundene und widersprüchliche Hadithe überlieferten, die zur Spaltung und Feindlichkeit unter der islamischen Gemeinde geführt haben (vgl. al-Ġaṭafānī, 2014, 25–26).

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Als ich unserem Lehrer [Abū al-Ḥasan]8 in seinem Buch, in dem er den aḥād-Hadith zurückwies, widersprach, die Authentizität des aḥād-Hadith und seine Akzeptanz in den Stellen bestätigte, die ich erwähnte, und unter den Voraussetzungen, die ich darstellte und die du gesehen hast, befürchtete ich, dass du die Grenzen überschreitest, indem du eine gute Meinung haben kannst, über die Nachrichten vieler, die für sich den Hadith beanspruchen. Ich befürchtete auch, dass du dich durch die Verbreitung ihres Ruhms und ihrer weitreichenden Autorität unter ihren Anhängern täuschen lässt. Aus diesem Grund schrieb ich dies mein Buch, in dem ich die Zustände dieser Leute (die für sich den Hadith beanspruchen), und das, was sie über einander gesagt haben, dargestellt habe. Ich habe das ausgeschlossen, was ihre Gegner über sie hinsichtlich ihres Widerspruchs, ihrer Unwissenheit und ihrer Fehler berichteten (al-Kaʿbī, 2000, 1: 17).

Al-Kaʿbī verfasste sein Werk „Qabūl al-aḫbār“ als Erweiterung für seine These über die Autorität der Einzel-Hadithe, deren Grundlagen er in seinem ersten Buch „Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ gelegt hat. Durch die beiden Werke zusammen versuchte er, ein traditional-rationales Konzept für den Umgang mit den Einzel-Hadithen zu entwickeln. Aus seinen Worten lässt sich erschließen, dass seine Schüler das Ziel seines ersten Buches „Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ in einer Weise missverstehen könnten, als würde er alle Einzel-Hadithe annehmen. Mit „Qabūl al-aḫbār“ habe er dann seine allgemeinen Thesen präzisiert, um solche Missverständnisse zu vermeiden und den Missbrauch seines ersten Buches zu verhindern.

2 Die Autorität des āḥād-Hadith zwischen den aṣḥāb al-ḥadīṯ und den Muʿtaziliten Der Streit um die Autorität der Einzel-Hadithe als eine Quelle des religiösen Wissens entstand seit dem zweiten Jahrhundert nicht nur zwischen den Muʿtaziliten und den Hadith-Gelehrten, sondern auch unter den muʿtazilitischen Gelehrten. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ meinten, der Einzel-Hadith sei authentisch und könne, solange er mit einer authentischen ununterbrochenen Überliefererkette auf den Propheten zurückgehe, als Quelle des religiösen Wissens genutzt werden. Der Begründer der Autorität einer Einzel-Tradition als religiöse Wissensquelle ist aš-Šāfiʿī (gest. 204/ 820) mit seinen zwei Werken „ar-Risāla“ und „Ğimāʿ al-ʿilm“. In „ar-Risāla“ widmet er dem Einzel-Hadith ein ganzes Kapitel, um „die episte-

8 In der einzigen Edition des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ steht der Name Abū al-Ḥasan, wobei der Lehrer von al-Kaʿbī, wie in allen historischen Quellen angegeben wurde, Abū al-Ḥusain heißt.

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mologische Autorität“9 der Einzel-Tradition zu konsolidieren. Dabei legt aš-Šāfiʿī für die Akzeptanz der Einzel-Tradition als Argument und Quelle für das religiöse Wissen bestimmte Voraussetzungen fest, die die Überlieferer und z.  T. auch das Überlieferte betreffen. Diese Voraussetzungen, die jeder Überlieferer in der Überlieferungskette erfüllen muss, sind folgende:10 – Er muss in seiner Religiösität integer sein. – Er muss glaubwürdig und vernünftig sein. – Er muss genügendes Wissen haben, um die Ausdrücke und Wörter, die den Sinn des Hadith entstellen könnten, zu erkennen. – Er muss den Hadith wortwörtlich weitergeben, genau wie er ihn hörte, ohne ihn sinngemäß zu tradieren. – Er muss beim Überliefern genau sein, unabhängig davon, ob er aus seinem Gedächtnis oder aus seiner Schrift überliefert. Dabei soll sein Hadith mit dem Hadith der anderen Überlieferer identisch sein. – Er darf kein „mudallis“11 (Betrüger) sein. – Die Überliefererkette muss ununterbrochen bis auf den Gesandten zurückgehen (vgl. aš-Šāfiʿī, 2001, 170–171). Aš-Šāfiʿī beschränkt hier diese Bedingungen auf die Überlieferer und legt großen Wert darauf, dass sie soweit wie möglich keine Mangelhaftigkeit der genauen Überlieferungsfähigkeit aufweisen. Somit bestätigt er, dass Hadithe, auch wenn sie Einzel-Traditionen sind, als eine religiöse Wissensquelle betrachtet werden müssen. Er widmet jedoch dem matn implizit ein großes Interesse, indem er vor-

9 Diesen Begriff „die epistemologische Autorität“ hat George Tarabishi in seinem Buch „Min islām al-qurʾān ilā islām al-ḥādīṯ“ angewandt, weil er meint, dass aš-Šāfiʿī nicht nur der Begründer der uṣūl al-fiqh, sondern auch der Erkenntnislehre im Islam sei. Er meint auch, dass aš-Šāfiʿī den zweiten Teil seines Werkes „ar-Risāla“ der Etablierung der epistemologischen Autorität der Einzel-Tradition widmete (vgl. Tarabishi, 2015, 195–196). 10 Diese Bedingungen führt aš-Šāfiʿī in seinem Buch „ar-Risala“ in einem ganzen Kapitel aus und versucht darin alle Argumente, die den autoritativen Charakter der Einzel-Tradition abschaffen, zu widerlegen (vgl. aš-Šāfiʿī, 2001, 170–219). Aš-Šāfiʿī wurde als Verfechter der Sunna „nāṣir as-sunna“ genannt, weil er der erste ist, der ein komplettes System für die Autorität der Hadithe entwickelte. 11 mudallis ist eine Person, die die Überlieferungskette zu Ende führt, indem sie einen Überlieferer in der Kette überspringt, diese aber als vollständig präsentiert, und dadurch den Anschein erweckt, es fehle niemand im isnād. Der Hadith wird dann in diesem Fall als mudallas bezeichnet und somit als schwach kategorisiert. Es gibt zwei Typen von tadlīs (Vertuschung von Mangel durch einen Überlieferer) nämlich: tadlīs al-isnād (Tarnung der Überliefererkette) und tadlīs aššuyūḫ (Tarnung der Überlieferer) (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ aš-Šaharzūrī,2002, 156–162; vgl. Zaidan, 2010, 246–253).

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aussetzt, dass der Überlieferer drei Bedingungen, die den Text betreffen, erfüllen muss. Diese Bedingungen umfassen das Wissen um Begriffstreue, die wörtliche Weitergabe sowie die Genauigkeit und die Übereinstimmung der Hadithe des Überlieferers mit den Hadithen von anderen Überlieferern. Diese drei Bedingungen beziehen sich sowohl auf den Überlieferer hinsichtlich seiner Genauigkeit bzw. der genauen Weitergabe, seiner Verständnisfähigkeit als auch auf das Überlieferte in Bezug auf die wortwörtliche Tradierung eines Hadith ohne irgendeine Änderung oder Entstellung. Daneben wird die Genauigkeit eines Überlieferers durch den Vergleich seiner Hadithe mit den Hadithen anderer glaubwürdigen Überlieferer überprüft (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ, 2002, 217; vgl. Motzki, 2014, 9). Aš-Šāfiʿī geht von dem isnād aus, weil es damals keine festen Regeln für die Authentifizierung und Überprüfung der mutūn gab. Die Überprüfung des matn erfolgte damals prinzipiell durch die Überprüfung der Überlieferer, weil der isnād das erstrangige Überprüfungsmittel war, auch wenn sich die Gelehrten manchmal mit matn-Kritik beschäftigten. Nachdem al-Kaʿbī das Buch „al-Ḥuğğa fī aḫbār al-āḥād“ verfasst hatte, befürchtete er, dass seine Schüler den Inhalt dieses Buches missverstehen bzw. missbrauchen könnten, indem sie die Einzel-Hadithe akzeptieren und als Argumente anwenden, ohne sie tiefgehend zu überprüfen. Al-Kaʿbīs Hauptthese ist, „man solle zuerst gegenüber allen Einzel-Hadithen skeptisch sein und sie überprüfen“ (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17), und daraufhin soll man feststellen, ob der Hadith die von ihm angeführten Voraussetzungen erfüllt, um als authentisch eingestuft zu werden. Diese Bedingungen sind: 1. Ein Hadith darf dem Buch Gottes, an das das Falsche weder von vorne noch von hinten heran kommt, nicht widersprechen, (ġaira muḫālif li-kitābi llāhi, allaḏī lā yaʾtīhi al-bāṭil min bayni yadayhi walā min ḫalfihi) 2. Ein Hadith darf der prophetischen Sunna (der Praxis des Propheten), die zwischen den Muslimen übereinstimmend ist, nicht widersprechen, (wa lā li sunnati rasūli llāhi al-muğmaʿī ʿalayhā) 3. Ein Hadith darf nicht mit dem Konsens der islamischen Gemeinde (wa lā liiğmāʿ al-umma) kollidieren, 4. Ein Hadith darf nicht mit der Praxis der ersten Generation der rechtschaffenen Vorfahren (ʿamal aṣ-ṣadr al-awwal min as-salaf aṣ-ṣāliḥ), die den Propheten selber sahen, in Widerspruch stehen. Denn sie kannten sowohl die Absicht des Propheten, das Abrogierende und Abrogierte, als auch die letzten herab gesandten Verse, ihre Geschichten und die Offenbarungsanlässe. 5. Ein Hadith darf nicht dem Verstand zuwiderlaufen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). All diese Bedingungen, die al-Kaʿbī für die Akzeptanz des āḥād-Hadith anführte, hängen vom Hadithtext (matn) und dessen Verstehen ab, wobei die von aš-Šāfʿī

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als Vertreter der ahl al-ḥadīṯ und Begründer der uṣūl al-ḥadīṯ für die Authentifizierung des āḥād-Hadith genannten Bedingungen meistens den isnād und nur z.  T. den matn betreffen. „Qabūl al-aḫbar“ ist jedoch in der Hadithliteratur als ein riğāl-Werk zu klassifizieren, obwohl alle Bedingungen, die al-Kaʿbī in der Einleitung seines „Qabūl al-aḫbar“ für die Akzeptanz des Einzel-Hadith stellte, sich auf den Text (matn) konzentrieren. Somit wollte al-Kaʿbī die asānīd durch die mutūn überprüfen, im Gegensatz zu den ahl al-hadīṯ, die meistens die mutūn durch die Untersuchung der asānīd zu authentifizieren pflegten. Um den Autoritätsumfang der Hadithe einzugrenzen, auch wenn sie alle von al-Kaʿbī erwähnten Bedingungen erfüllen, betont al-Kaʿbī, dass der authentische Einzel-Hadith bei ihm als Argument nur in den Rechtsfragen und nicht in den theologischen Grundlagen (uṣūl al-kalām) oder der allgemeinen Angelegenheit (al-amr al-ʿām) der Umma betrachtet wird. In den übereinstimmenden Grundlagen der Glaubenslehre werden bei ihm nur die mutwātir-Hadithe, die keines isnād bedürfen, akzeptiert (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Bei den allgemeinen Angelegenheiten wird die Praxis der islamischen Gemeinde als Maßstab anerkannt, weil der Prophet in diesen allgemeinen Fragen und Angelegenheiten nur bedarfsgemäß habe sprechen müssen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Des Weiteren hebt er hervor, dass die Hadithe, die in jeder Generation im isnād von zwei oder drei integren Überlieferern tradiert wurden und die von ihm angeführten Bedingungen erfüllen,12 ausschließlich als Argument in den Rechtsfragen (furūʿ) angewandt werden können. Dabei dienen diese Hadithe nicht als Mittel zur Gewissheit, sondern lediglich als Hilfe um eine überwiegende Meinung zu bilden (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Al-Kaʿbī erwähnt hier, dass die Mindestanzahl der Überlieferer zwei in einer Generation oder in mehreren ist. Den āḥād-Hadith, der in einer Generation nur von einem Überlieferer tradiert wurde, hat er nicht erwähnt. Das spiegelt die These der Muʿtaziliten bei der Akzeptanz der Hadithe wider, dass ein Hadith als Zeugenaussage gilt, die von mindestens zwei integreren Personen überliefert werden muss, um akzeptiert zu werden (vgl. al-Ḥāzimī, 2005, 47). Wenn ein Hadith in einer der Generationen oder mehreren Generationen nur von einem Überlieferer überliefert wird, wird er „ġarīb“ genannt. So lässt es sich verstehen, dass ein „ġarīb-Hadith“ wahrscheinlich von al-Kaʿbī nicht zu akzeptieren ist. Also hier vertritt al-Kaʿbī die

12 Diese Art von Hadithen, die in einer Überlieferer-Generation oder mehreren ÜberliefererGenerationen (ṭabaqāt) von zwei oder drei Überlieferern tradiert werden, nennen die Hadith-Gelehrtenʿazīz. ʿazīz ist ein Hadith, der in einer Generation oder mehreren Generationen (ṭabaqāt) von zwei Überlieferern überliefert wurde. mašhūr ist ein Hadith, der in einer oder mehreren Generationen (ṭabaqāt) von drei Überlieferern oder mehreren überliefert wurde und die Zahl der mutwātir-Überlieferer nicht erreicht (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ, 2002, 370–378).

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Ansicht der Muʿtaziliten, dass ein Hadith wie eine Zeugenaussage (šahāda), die mindestens von zwei Zeugen abgelegt werden muss (vgl. Der Koran, 2, 282), gelte. Den Einzel-Hadith nimmt al-Kaʿbī jedoch unter bestimmten Voraussetzungen, die er in seinem „Qabūl al-ḫbār“ aufstellte. Es geht hier bei Al-Kaʿbī um die Gewissheit bzw. das sichere Wissen (yaqīn) und die Präsumtion (ẓann). Da die mutwātir-Hadithe sicheres Wissen vermitteln, dienen sie bei ihm als religiöse Quellen in den Grundlagen der Glaubenslehre (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Wenn es aber um Präsumtion geht, wie in diesem Fall bei den Einzel-Hadithen, da kann man seinen Glauben nicht auf eine Vermutung aufbauen und aufgrund dessen werden diese Einzel-Traditionen in diesem Zusammenhang als schlaggebende Argumente nicht akzeptiert. Um die Autorität der Einzel-Tradition und deren Anwendung als religiöses Argument gab es und gibt es immer noch einen Streit zwischen den ahl al-ḥadīṯ und den Muʿtaziliten. Während die ahl al-ḥadīṯ die Anwendung des Einzel-Hadith als eine Quelle für das sichere Wissen und die Gewissheit bestätigen, lehnen die Muʿtaziliten die Autorität der Einzel-Hadithe ab. Die Ablehnung der Einzel-Ha­ dithe als religiöses Argumentationsmittel führt Ibn Ḥazm (gest. 456/ 1064) wie in der Einleitung dieser Arbeit erwähnt auf die Muʿtaziliten zurück. Al-Kaʿbī als eine führende Persönlichkeit der Muʿtaziliten bestreitet die Autorität der Einzel-Tradition sowohl in Bezug auf die Fragen der Theologie als auch auf die praktischen Rechtsfragen. Auf der anderen Seite ist aš-Šāfʿī der erste unter den Hadith-Gelehrten, der die Überlieferungen in „aḥād“ und „mutawātur“ in seinem Buch „Ğimāʿ al-ʿilm“ klassifizierte (vgl. aš-Šāfiʿī, 1986, 76–77). Diese Klassifizierung in „aḥād“ und „mutawātur“ wurde dann von al-Ḫaṭīb al-Baġdādī (gest. 463/ 1071) in sein in „muṣṭalah al-ḥadīṯ“ grundlegendes Werk „al-Kifāya fī maʿrifat uṣūl ʿilm ar-riwāya“ aufgenommen (vgl. al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, 2003, 1:88–89). Die Hadith-Gelehrten haben die Hadithe hauptsächlich in akzeptable (maqbūl) und nicht-akzeptable (mardūd) Hadithe, dann in authentische (ṣaḥīḥ), gute (ḥasan) und schwache (ḍaīf) und dann die schwache in andere viele Subkategorien klassifiziert, um die Richtigkeit der Zuschreibung von den Hadithen an den Propheten zu überprüfen (vgl. al-Ḫaṭīb, 2011, 60). Die mutawātir-Hadithe sind alle bei den Hadith-Gelehrten als authentisch (ṣaḥīḥ) eingestuft, wobei die aḥād-Hadithe in authentische (saḥīḥ), gute (ḥasan) und schwache (ḍaīf) klassifiziert sind. Die authentischen und guten aḥād-Hadithe gelten bei den meisten Hadith-Gelehrten als Argument in den Fragen der Religion, egal ob in Bezug auf Glaubenslehre oder Recht. Das Kriterium bei ihnen ist die Authentizität des Hadith, wobei das Kriterium bei den Muʿtazilīten die Gewissheit und die Präsumtion ist. Nachdem al-Kaʿbī diese Bedingungen für die Authentizität und Autorität der Einzel-Tradition anführte, betonte er die Stellung des Verstandes und dessen Relevanz bei den Muʿtaziliten, indem er sagte:

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Nicht wie die Einheit Gottes (at-tawḥīd) und die Gerechtigkeit (al-ʿadl), deren Urteile keinesfalls geändert werden können, unabhängig davon, ob das durch einen Propheten, eine Aussage eines der rechtschaffenen Vorfahren oder einen kausalen Grund ist. Und wenn es so wäre, dann sei das Berichten über sie nicht mehr als eine Art Beglaubigung dessen, was durch den Verstand bewiesen und festgestellt wurde (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17).

Al-Kaʿbi weist hier auf den Vorrang des Verstandes gegenüber dem Einzel-Hadith hin und erklärt den Verstand für Schiedsrichter in allen religiösen Fragen, ob in Bezug auf die Glaubenslehre oder die Rechtsfragen. Hier hat der Verstand einen autoritativeren Charakter als der Einzel-Hadith, was der herrschenden Meinung bei ahl al-ḥadīṯ total widerspricht, die dem Text die höhere normative Autorität geben.

3 Al-Kaʿbīs polemisches Ziel beim Verfassen von „Qabūl al-aḫbār“ In der Einleitung des Werkes richtet al-Kaʿbī seinem anonymen Schüler seine Rede wie folgt: Wenn du einen Hadith findest, seine Quelle und seinen Ursprung zu wissen brauchst, weil ein Gegner ihn als Argument gegen dich anführt, dann kannst du die Namen der Überlieferer und ihre Geschichten, die ich hier erwähnte, in diesem Werk nachschlagen, um die Authentizität oder Schwäche seines isnād festzustellen. Dann wird es dir einfacher sein, gegen deinen Gegner zu argumentieren. Ich wollte darüber hinaus, dass die Jugend unserer Gefährten sich damit befassen, was ich hier geklärt habe, um es zu wissen, weil sie sich kaum dafür interessieren, wobei ihre Gegner ihnen unterstellen und ihnen immer das mangelhafte Wissen an Hadith vorwerfen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:18).

Al-Kaʿbī hat sein Werk als ein Nachschlagwerk für seine Gefährten und Schüler verfasst, um ihnen den richtigen Weg in Bezug auf den Umgang mit den Hadithen zu zeigen, wenn sie Disputationen mit den Hadith-Gelehrten führen. Dieses polemische Ziel von al-Kaʿbī spiegelt ebenso die damalige Wichtigkeit der Etablierung eines epistemologischen Systems in der Hadithwissenschaft innerhalb des muʿtazilitischen Lehrbetriebs als eine Reaktion auf die starke Autorität von ahl al-ḥadīṯ wider. Obwohl sich die muʿtazilitischen Gelehrten in ihren Werken mit der Hadith-Kritik beschäftigten, gilt al-Kaʿbī als der erste unter ihnen, der mit seinem Werk „Qabul al-aḫbār“ die Gründung einer Hadith-Schule innerhalb der Muʿtazila-Schule beabsichtigte. Dieses Werk gilt –meines Erachtens – nicht nur als ein Nachschlagwerk für die muʿtazilitischen Schüler, sondern auch für die ahl al-ḥadīṯ, wenn dieses Werk unvoreingenommen untersucht wird. Diesen Weg,

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den al-Kaʿbī im vierten Jahrhundert einschlug, wurde jedoch danach wegen der zunehmenden Macht und Autorität der ahl al-ḥadīṯ nicht fortgeführt.

4 Inhalte des Werkes „Qabūl al-aḫbār“ Das Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ gliedert al-Kaʿbī in zehn Kapitel ein, in denen er nur Traditionen von Hadith-Überlieferern anführte, um die Schwächen der Hadith-Überlieferer und der Überliefererkritik zu demonstrieren. Durch einen allgemeinen Überblick über die Kapitelüberschriften kann man die These al-Kaʿbīs in diesem Werk erkennen. Anders gesagt sind die Meinungen al-Kaʿbīs erst in den Kapitelüberschriften enthalten. Diese Kapitelüberschriften, wie er sie in der Einleitung formuliert (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:18), sind: – Ein Kapitel über das, was sie (die Hadith-Überlieferer) überlieferten, dass einige von ihnen das Lügen beabsichtigt haben. – Ein Kapitel über das, was sie von ihren Lehrern berichteten, dass sie vor der Übertreibung beim Hadithtradieren und der Zunahme der Hadithe Angst hatten. – Ein Kapitel über die von dem Propheten und den rechtschaffenen Vorfahren überlieferten Traditionen in Bezug auf die Zurückweisung der Aussagen, die mit dem Verstand, dem Koran und der Sunna kollidieren. – Ein Kapitel über die Traditionen, die sie von den bei ihnen glaubwürdigen Überlieferern berichtet haben, obwohl sie der übereinstimmenden Praxis der Umma widersprechen. – Ein Kapitel über die Traditionen, die sie überlieferten, wobei sie gravierende klare Fehler enthalten, und weder weisen sie sie zurück, noch bezweifeln sie sie. – Ein Kapitel über die Traditionen, die sie von vielen unter ihnen überliefert haben, obwohl sie blass an Stil und absurd zu sein scheinen. – Ein Kapitel über die von ihnen aus Unwissenheit überlieferten Traditionen, in denen sie die Prophetengefährten, die Nachfolgegeneration und die bekannten früheren Autoritäten des Hadith verleumdeten. Von den meisten dieser Überlieferungen sagen wir uns aber los. – Ein Kapitel über die Namen der Überlieferer, die sie als nicht-glaubwürdig bezeichneten, aber trotzdem überlieferten sie viele Hadithe von ihnen. Weder lehnen sie ihre Hadithe völlig ab, noch halten sie diese Überlieferer für glaubwürdig. – Ein Kapitel über die Überlieferer, die sie als Häretiker betrachteten, obwohl sie sie vorher als glaubwürdig kategorisierten, ihre Bücher anwendeten und ihre Hadithe in den Lehrkreisen überlieferten.

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– Ein Kapitel über die Auflistung der Namen von mudallisīn und über das, was in Bezug auf tadlīs berichtet wurde. Al-Kaʿbī wollte feststellen, dass die Hadith-Überlieferer in seiner Zeit sich widersprachen und Traditionen überlieferten, ohne sie zu verstehen, und somit bezichtigten sie sich selbst, den Prophetengefährten und den bekannten früheren Autoritäten des Hadith der Nichtglaubwürdigkeit. Er macht aufmerksam auf den Widerspruch bei den Hadith-Überlieferern, und weist darauf hin, dass viele Hadith-Überlieferer die von den anderen Hadith-Überlieferern als Häretiker oder als nicht glaubwürdig kategorisiert wurden, bei ihm als treu und integer angesehen werden. Er führe jedoch die Kritik der Hadith-Überlieferer an diese Leute an, um die Uneinheitlichkeit und den Widerspruch bei diesen Hadith-Überlieferern darzulegen. Die Hadith-Überlieferer tradieren Hadithe von diesen Leuten, die sie vorher als Häretiker bezeichneten, wenn sie diese Hadithe als Argument anwenden wollen. Wenn ihre Gegner die Hadithe dieser Überlieferer anwenden, dann sagen sie, dieser sei Häretiker und jener sei schwach (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:19). Er unterstich hier die falsche Methode des Hadith-Tradierens und isnād-Kritik von seinen zeitgenössischen Hadith-Überlieferern und warf ihnen vor, dass sie subjektive bzw. persönliche und keine objektiven einheitlichen Kriterien angewandt haben, um einen Anspruch auf eine religiöse Autorität und Legitimation zu erheben.

5 Die Haltung al-Kaʿbīs gegenüber den großen Hadith-Gelehrten und den HadithÜberlieferern Damit sich al-Kaʿbī von den Missverständnissen, die vielleicht durch diese in seinem „Qabūl al-aḫbār“ an die Hadith-Überlieferer gerichtete Kritik verursacht werden könnten, distanziert, beschrieb er am Ende seiner Einleitung ganz deutlich seine Beziehung zu den früheren großen Hadith-Gelehrten, indem er sagt: Wenn wir sagen, diese, die für sich den Hadith beanspruchen, und dann sie kritisieren und mit Worten verletzen, dann meinen wir weder die großen Gelehrten noch die Sunan- und Hadith-Gelehrten. Diese sind unsere Vorfahren, die wir verehren und gegenüber denen wir loyal sind. Wir richten jedoch unsere Kritik an jene, die in unserer Zeit und kurz vorher Hadithe überliefern und ihre Religion fanatisch darstellten, die sich damit befassen, wozu sie nicht qualifiziert sind und somit den salaf (den Vorfahren) widersprechen. Sie sprachen

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und forderten die Herrschaft zu einer öffentlichen Anerkennung des Anthropomorphismus und anderer Angelegenheiten des Unglaubens und des Irrtums auf (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:19–20).

Hier richtet al-Kaʿbī seine Kritik speziell an die Überlieferer der ḥanbalitischen Schule seiner Zeit und nicht an die alle Hadith-Gelehrten bzw. HadithÜberlieferer. Das zeigt sich dadurch, dass er diese Überlieferer so beschrieben hat, dass sie, ihm zufolge, die Herrschaft zu einer öffentlichen Anerkennung des Anthropomorphismus (at-tašbīh) und anderer Angelegenheiten des Unglaubens und des Irrtums forderten. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ wurden von einigen Muʿtaziliten Anthropomorphisten (mušabbiha) (vgl. al-Ḫayyāṭ,1993, 68; vgl. Bā ʿAbdullāh, 1995, 128) oder nābita (vgl. al-Ḫayyāṭ,1993, 75; vgl. Bā ʿAbdullāh, 1995, 151) genannt. In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Begriffe voneinander zu unterscheiden, und zwar: al-mutaqaddimūn (die Früheren) und al-mutaʾaḫḫirūn (die Späteren). Die Abgrenzung dieser zwei Begriffe, deren Erwähnung in den theologisch-islamischen Wissenschaften immer auf die Verschiedenheit der wissenschaftlichen Methoden und Herangehensweisen hinweist, ist zwischen den modernen Hadithwissenschaftlern umstritten.13 Über die zeitliche Trennungslinie (al-hadd al-fāṣil)14 zwischen den Früheren und den Späteren gibt es verschiedene Meinungen. Einige Gelehrten wie aḏ-Ḏahabī15 (gest. 748/

13 Auf diese Meinungsverschiedenheit bezüglich der Eingrenzung und Bestimmung dieser zwei Begriffe wird hier nicht eingegangen. Für die ausführliche Diskussion dieser zwei Begriffe (vgl. Eido, 2016, 81–129). 14 Diese Trennungslinie versteht sich hier als eine Trennung zwischen zwei Hauptgenrationen der ahl al-ḥadīṯ. Die Unterscheidung zwischen diesen zwei Generationen sollte nicht nur zeitlich, sondern auch methodisch sein, denn die erste ist jene, die sich mit der gründlichen Überprüfung der Hadithe und der Bewertung der Überlieferer sowie der Sammlung der Hadithe befasste, und die zweite ist jene, die sich mit der Etablierung der theoretischen Regeln sowie der Systematisierung der Hadithwissenschaften beschäftigte. Diese Systematisierung fing im vierten Jahrhundert mit ar-Ramahurmuzī (gest. 360/970), al-Ḫaṭīb al-Baġdādī (gest. 463/ 1071) und alḤākim an-Naisābūrī (gest. 405/ 1014) an. Daraus kann erschlossen werden, dass der Unterschied zwischen den Früheren und Späteren darin liegt, dass die Früheren sich mit der angewandten Hadithkritik beschäftigten, wobei die Späteren auf die theoretische Hadithkritik eingingen. Diese Unterscheidung bezieht sich hier jedoch auf die Ebene der Gelehrten in der Hadithwissenschaft und nicht auf die Ebene der Überlieferer. 15 Aḏ-Ḏahabī (gest. 748/1348) führt in der Einleitung seines Werkes „Mizān al-iʿtidāl fī naqd ar-riğal“ an, dass die Trennungslinie zwischen den Früheren und den Späteren im ersten Jahr des vierten Jahrhunderts nach der islamischen Zeitrechnung, also im Jahr 301 n. H. verläuft (vgl. aḏ-Ḏahabī, 1995, 1:115).

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1347) ist auch der Ansicht al-Kaʿbīs (gest. 319/931), dass ungefähr der Anfang des Vierten Jahrhunderts die Trennungslinie zwischen den Früheren und den Späteren sei. Al-Kaʿbī betonte in dem oben angeführten Zitat, dass er die früheren Autoritäten und die Sunan- und Hadith-Gelehrten verehrt und respektiert. Mit den Sunan- und Hadith-Gelehrten seien die Sammler der sechs kanonisierten sunnitischen Hadith-Kompilationen gemeint, unter denen der letzte an-Nasāʾī, der Sammler des Sunnan-Werkes war, der (303/ 915) gestorben ist. Die Haltung einiger Hadith-Gelehrter gegenüber al-Kaʿbīs Kritik spiegelt den theologischen Streit zwischen ahl al-ḥadīṯ und den Anhängern anderer islamischen Gruppen wider, vor allem den Muʿtaziliten, sodass das Werk „Qabūl al-aḫbār“ bei den Hadith-Gelehrten nur im Zusammenhang mit der scharfen Kritik an al-Kaʿbī erwähnt wurde.

6 al-Kaʿbīs Beschäftigung mit dem Verständnis der mutūn Al-Kaʿbī fordert seine Schüler auf, tief über den Inhalt dieses folgenden Hadith des Gesandten nachzudenken, in dem der Prophet sagte: „Dieses Wissen nehmen von jeder Nachkommenschaft „ḫalaf“ nur ihre Unbescholtenen (Integreren) auf. Sie weisen davon die Verfälschung der Übertreibenden, die Erfindung der Lügner und die Ausdeutung der Unwissenden zurück (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:19).16 Somit richtet al-Kaʿbī die Aufmerksamkeit wiederum auf die matn-Kritik und setzt fort, dass der Gesandte Gottes mit diesem oben erwähnten Hadith sprach, der uns von ihm überliefert wurde, als ob er unsere Zustände und unsere Bedürfnisse sähe. Durch die Anführung dieses Hadith wollte al-Kaʿbī feststellen, dass diese Aussage des Propheten der Ansicht der aṣḥāb al-ḥadīṯ völlig widerspricht, die meinten, „die Hadithe sollen nur weitergegeben werden, wie sie überliefert wurden, ohne sie zu interpretieren“ (amirrūhā kama ğāʾat), und dabei vernachlässigt man viele Verfälschungen und Erfindungen in den Hadithen. Al-Kaʿbī fügt hinzu, wenn es so gewesen wäre, wie die aṣḥāb al-ḥadīṯ es meinten, dann hätte diese Aussage des Propheten keinen Wert und keinen Sinn gehabt. Der Prophet spornt uns, al-Kaʿbī zufolge, zu einer rationalen Überprüfung des Hadith und Zurückweisung der Verfälschung, der Erfindung und der falschen Ausdeutung an. Hier verallgemeinert al-Kaʿbī diese Aussage von aṣḥāb al-ḥadīṯ und hält sie für

16 Die Authentizität dieses Hadith ist unter den Hadith-Gelehrten umstritten (vgl. Ibn ʿAdiyy, o.  J., 1:247–249).

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gültig für alle Hadithe, wobei es nicht so ist, weil die aṣḥāb al-ḥadīṯ diese Regel nur auf jene Hadithe beschränkt haben, die von den Eigenschaften und Attributen Gottes abhängen. Das kann durch die folgende Geschichte bewiesen werden. Abū Dāwūd (gest. 275/888) berichtete in seinem „Kitāb al-marāsīl“ von Aḥmad b. Ibrāhim von Aḥmad b. Naṣr al-Ḫuzāʿī (gest. 229/843), dass dieser sagte: „Ich habe einmal Sufyān b. ʿUyayna (gest. 198/ 813) gesagt: O Abū Muḥammad, ich will dich etwas fragen, da erwiderte er: „Frag nicht“. Dann habe ich gesagt: „Wenn ich dich nicht fragen darf, wen soll ich denn fragen?“. Da sagte er: „Frage!“. Ich sagte: Was meinst du bezüglich dieser Hadithe, die uns überliefert wurden, wie „Die Herzen (der Menschen) sind zwischen zwei Fingern Gottes“ und „Gott lacht und wundert sich“? Da antwortet Sufyān: Gebt diese Hadithe weiter, wie sie uns überliefert wurden, ohne sie zu interpretieren! (as-Siğistānī, o.  J., 182–183). Al-Lālikāʾī berichtet auch von al-Walīd b. Muslim, dass dieser sagte: „Ich fragte al-Awzāʿī (gest. 157/ 774), Sufyān b. ʿUyayna (gest. 198/ 813) und Mālik b. Anas (gest. 179/ 795) nach diesen Hadithen, in denen die Rede vom Schau Gottes „ruʾyatu Allāh“ steht, da erwiderten sie: „Gebt sie weiter ohne sie zu interpretieren!“ (al-Lālikāʾī, 1995, 2:582).

7 Die matn-Kritik zwischen al-Kaʿbī und ahl al-ḥadīṯ Al-Kaʿbī beginnt sein Werk mit einem Kapitel unter dem Titel: „Ein Kapitel über das, was sie bezüglich der Mangelhaftigkeit vieler ihrer Überlieferungen und bezüglich dessen überlieferten, dass eine Gruppe von ihnen das Lügen beabsichtigte“ (bāb mā rawawhu fi fasād kaṯir min ḥadīṯihim wa taʿammudi ğamāʿatin minhum al-kaḏib). Dieses Kapitel hat er mit einer Aussage, die auf Šuʿba b. al-Ḥağğāg (gest. 160/ 777) zurückzuführen ist, eingeleitet, dass Šuʿba sagte: „Du findest kaum keinen, der die Hadithe wie ich überprüft oder sie erworben hat. Ich habe sie überprüft und habe gefunden, dass nur ein Drittel davon authentisch ist (al-Kaʿbī, 2000, 1:21)“. Al-Kaʿbī macht den Rezipienten von Anfang an auf das Ziel dieses Werkes und auf seine These aufmerksam, dass die Hadithe mit Skepsis wahrgenommen werden sollen, weil die erfundenen Hadithe, laut den Aussagen der Hadith-Überlieferer selbst, im Vergleich zu den authentischen sehr viel sind. Charakteristisch für dieses Werk ist, dass die Quellen von al-Kaʿbī meistens Aussagen und Überlieferungen von aṣḥāb al-ḥadīṯ sind. Seine eigene Meinung ist kaum in diesem Werk zu finden, außer in seltenen Stellen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:21). Er zitiert immer in seinem Werk Aussagen von Ibn Abī Ḫayṯamah (gest. 279/

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892)17 und von al-Karābīsī (gest. 248/862)18 und anderen bekannten Hadithauthoritäten. Um die Methode al-Kaʿbīs bei der Hadithkritik zu veranschaulichen, werden hier Beispiele dargestellt. Das erste Beispiel wurde in einem Kapitel mit dem Titel „Ein Kapitel über das, was sie überlieferten, wobei es von der Praxis (der islamischen Gemeinde) abweicht“ („bāb mimmā rawawhu mimmā al-ʿamal ʿalā ḫilāfihi“) angeführt, das die Überlieferer von ʿAbdullāh b. Masʿūd und Abū Huraira vom Propheten tradierten, dass er gesagt habe: „Einen Gläubigen zu beleidigen ist ein Frevel und ihn zu bekämpfen ist kufr (Unglauben)“ Al-Kaʿbī sagt dazu: „ʿAlī b. Abī Ṭālib, Ṭalḥa und az-Zubayr haben gegen einander gekämpft, trotzdem haben die Muslime sie nicht für ungläubig gehalten“. Somit hält al-Kaʿbī diesen Hadith, der in einigen kanonisierten Hadithsammlungen19 überliefert wurde (vgl. z.  B. al-Buḫārī, 2012, 1:223, Hadith Nr. 48; vgl. an-Naisābūrī: 2006, 1:48, Hadith Nr. 116), für nicht authentischen, weil er von der Praxis der islamischen Gemeinde abweicht. Sein Ziel ist dabei, wie oben erwähnt, nur zu bestätigen, dass keine Einzel-Hadithe so blind angenommen werden dürfen, auch wenn sie durch eine korrekte Überliefererkette dem Propheten zugeschrieben werden. Der Inhalt muss auch überprüft werden, weil der isnād alleine nicht ausreicht, um die Authentizität eines Hadith hundertprozentig zu überprüfen. Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī in seinem „Fatḥ al-bārī“, dem bekanntesten Kommentar zu Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, geht davon aus, dass mit dem Begriff „kufr“ in diesem Hadith nicht „der Unglaube“ gemeint sei, sondern das sei nur eine Art der Absicherung der Warnung vor dem Kämpfen gegen einen Muslim, weil dieser Hadith nach seinem äußeren Sinn scheinbar dem Koran widerspreche. Allah sagt im Koran: „Allah vergibt es gewiss nicht, dass man Ihm (etwas) beigesellt. Doch was außer diesem ist, vergibt Er, wem Er will (Der Koran 4:48) (vgl. al-ʿAsqalānī Ibn Ḥağar, 2005, 1:205). Somit gelte das Kämpfen gegen einen Muslim

17 Al-Kaʿbī zitiert Ibn Abī Ḫayṯamah häufig in seinem „Qabūl al-aḫbār“. Dabei stützt er sich auf „at-Tārīḫ al-kabīr“, das auch unter „Tarīḫ ibn Abī Ḫayṯamah“ bekannt ist. Der Geschichtsschreiber Abū Bakr Aḥmad b. Abī Ḫayṯamah Zuhayr b. Ḥarb ist (279/ 892) in Nasā bei Ḫurāsān kurz vor der Geburt al-Kaʿbīs im Jahre (273/886) gestorben. 18 Al-Ḥusain b. ʿAlī al-Karābīsī (gest. 248/ 862) ist ein baghdadischer šāfiʿitischer Rechtsgelehrter. Nach Ḥāğğī Ḫalīfa in seinem „Kašf aẓ-ẓunūn“ ist sein Buch „Asmāʾ al-mudallisīn“ das erste, das sich der Auflistung der Namen von mudallisīn widmete. Al-Kaʿbi hat dieses Buch ausgiebig in seinem „Qabūl al-aḫbār“ benutzt (vgl. Ḥāğğī Ḫalīfa, o.  J., 1:89; vgl. Ess, 1993, 4:212). 19 Bis zur Zeit al-Kaʿbīs waren die heute sechs kanonischen Hadithsammlungen der Sunniten weder so berühmt noch kanonisiert. Die Anfänge der Berühmtheit dieser Hadithsammlungen gehen auf das zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts zurück. Die ersten zwei Kommentare für zwei Hadithsammlungen von diesen sechs, nämlich das Buch „Maʿālim as-sunan“ für die Sunnan von Abū Dawūd (gest. 275/888) und „Aʿlām al-ḥadīṯ“ für den Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī (gest. 256/ 870) sind dem Gelehrten Abū Sulaiman al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/ 998) zugeschrieben.

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nicht als eine Handlung, derentwegen ein Muslim als ungläubig bezeichnet wird. Ibn Ḥağar versucht hier den Hadith nach dem inneren Sinn auszudeuten und den Begriff „kufr“ im übertragenen Sinne zu verstehen, um den Widerspruch zwischen dem Koran und dem Hadith zu beheben. Darüber hinaus weist Ibn Ḥağar darauf hin, dass dieses äußere Verständnis des Hadith, dass der Muslim wegen des Kampfes gegen einen anderen Muslim als ungläubig bezeichnet wird, mit der Meinung der Ḫariğīten übereinstimmt, die von den aṣḥāb al-ḥadīṯ als Häretiker angesehen werden. Diese, die Ḫāriğīten meinten, dass der Großsünder als kāfir bezeichnet werden muss. Weil das Töten eines Muslims als eine große Sünde gilt, so wird der Täter in diesem Fall nach deren Meinung als Großsünder und somit als kāfir betrachtet (vgl. al-ʿAsqalānī Ibn Ḥağar, 2005, 1:205). So lehnt al-Kaʿbī diesen Hadith ab, weil er ihn nach dem äußeren Sinn verstanden und interpretiert hat. Da Ibn Ḥağar davon ausging, dass der Hadith authentisch ist, deutet er ihn aus, um ihn mit dem Koran in Einklang zu bringen. Im selben Kapitel weist al-Kaʿbī den Hadith über das Stillen des Erwachsenen (irḍāʿ al-kabīr) zurück. Er führt folgendes an: „Mālik und Maʿmar überlieferten von az-Zuhrī von ʿUrwa, dass Sahla bint Suhayl dem Propheten sagte: O, Gesandter Gottes, Sālim war für uns wie unser Sohn (Adoptivsohn), als der Vers ‚nennt sie nach ihren Vätern‘ (Der Koran, 3:55)20 herab gesandt wurde. Sālim wurde damals Sālim b. Ḥuzayfa genannt. Suhaila sagte: ‚Er pflegte, in die Wohnung hereinzukommen, wobei ich kein Kopftuch trage‘. Der Gesandte Gottes sagte ihr: ‚Stille ihn fünf Mal, dann kann er hereinkommen, auch wenn deine Haare unbedeckt sind!‘ Dann machte sie das, was der Prophet ihr gesagt hat, und dann ist es Sālim erlaubt worden, zu ihr hereinzukommen“. Zu diesem Thema erwähnt al-Kaʿbī noch eine andere Überlieferung von ʿĀʾiša, dass sie das als eine Rechtsbestimmung anerkannt und angewandt hat. Er lehnt jedoch alle diese Überlieferung ab und sagt: „Alle diese Überlieferung wurden von allen führenden Gelehrten (ğamīʿ al-aʾimma) als abscheulich bzw. zurückgewiesen (munkar)21 betrachtet (al-Kaʿbī, 2000, 1:121)“. Diesen Hadith hat jedoch al-Buḫārī in seinem Ṣaḥīḥ in einer Erzählung von ʿĀʾiša und Muslim in fünf verschiedenen Versionen im Unterkapitel: „bāb irḍāʿ al-kabīr“ (über das Stillen des Erwachsenen) überliefert (vgl. al-Buḫārī, 2012,

20 „udʿūhum li-ābāʾihim“. Der Editor des Werkes „Qabūl al-aḫbār“ gibt die Stelle des Verses falsch an. In seiner Edition steht, dass der Vers Nummer 33 sei, obwohl er Nummer 5 ist. 21 Dieser Begriff „munkar“ wurde von den früheren Hadith-Gelehrten mit verschiedener Bedeutung verwendet. Damals waren die hadithwissenschaftlichen Begriffe nicht bestimmt und genau definiert. Munkar wurde damals mit der Bedeutung „zurückgewiesen oder inakzeptabel“ verwendet.

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6: 263, Hadith Nr.  3991; 7:19, Hadith Nr.  5087). Al-Kaʿbī meint trotzdem, dass dieser Hadith bei allen führenden Autoritäten als abscheulich angesehen wird (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:121), obwohl nicht nur al-Buḫārī und Muslim diesen Hadith in ihren beiden Ṣaḥīḥ-Werken, sondern auch Abū Dāwūd eine Version dieses Hadith von ʿUrwa b. az-Zubair von ʿĀʾiša und Umm Salama in seinem SunanWerk und auch an-Nasāʾī (gest. 300/ 921) fünf Versionen für diesen Hadith überliefert haben (vgl. as-Siğistānī, Abū Dawūd, 2009, 3:403–404, Hadith Nr. 2061; vgl. an-Nasāʾī, 1999, 350–351, Hadithe Nr. 3319–3323). Es lässt sich jedoch fragen, wer diese Autoritäten sind, die diesen Hadith laut al-Kaʿbī abgelehnt haben. Ob er die muʿtazilitischen Gelehrten oder die früheren asḥāb al-ḥadīṯ meint, erwähnt er nicht, weil er in der Einleitung die Hadith-Gelehrten als die Träger der Sunan und der prophetischen Traditionen (ḥamalat as-sunan wa-l-āṯār) genannt und betont hat, dass er sie verehrt. Dieser Hadith ist jedoch von den aṣḥāb al-ḥadīṯ als authentisch angesehen und wurde sogar nicht nur im Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, dem authentischsten Hadith-Werk und im Ṣaḥīḥ-Muslim, der zweitrangigen Hadithsammlung nach dem Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī, sondern auch im Sunan-Werk von Abū Dāwūd, dem authentischsten Sunan-Werk unter den Sunan-Sammlungen und auch in dem Sunan-Werk von an-Nasāʾī überliefert. Verbindet man diesen Hadith mit der Überschrift des Kapitels, in dem dieser Hadith von al-Kaʿbī angeführt wurde, also, „Ein Kapitel über das, was sie überlieferten, wobei er von der Praxis (der islamischen Gemeinde) abweicht“, so lässt sich erschließen, dass dieser Hadith so abgelehnt wurde, weil er nach al-Kaʿbīs Meinung mit der Praxis der islamischen Gemeinde in Widerspruch steht. Das ist ebenso die Meinung von den meisten Rechtsgelehrten in Bezug auf diesen Hadith, dass man diesen Hadith nach seinem Wortlaut nicht in die Praxis umsetzen darf. Die Gelehrten sind sich darüber einig, auch die aṣḥāb al-ḥadīṯ, die diesen Hadith als authentisch eingestuft haben. Sie meinten, dass dieser Hadith eine Ausnahme für den Sonderfall von Sālim ist. Man darf ihn aber nicht in die Praxis umsetzen (vgl. Ibn ʿAšūr, 1984, 4: 296–297). Hier merkt man, dass al-Kaʿbī als Vertreter einer Richtung den Hadith abgelehnt hat, weil er den Hadith als eine allgemeingültige Regel betrachtet hat, die der Praxis der islamischen Gemeinde widerspricht. Die Verallgemeinerung des äußeren Hadithsinnes als eine rechtliche Regel in Bezug auf das Heiratsverbot wegen der Milchverwandschaft ist ebenso vernunftwidrig und widerspricht der Natur der Beziehung zwischen Mann und Frau im islamischen Kontext. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ als Vertreter der anderen sozusagen Gegenrichtung beschränkten diesen Hadith trotz dessen Authentizität auf den Sonderfall von Sālim und hielten ihn nicht für allgemeingültig. Somit betrachteten sie diesen Hadith als kontext- bzw. personenbezogen. Der Endeffekt für beide Einstellungen ist die Gültigkeitsabschaffung für diesen Hadith, aber unter Anwendung verschiedener Herangehensweisen beim Umgang mit dem Hadith,

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der scheinbar dem Verstand und dem islamischen Recht in Bezug auf die Natur der Beziehung zwischen Mann und Frau zuwiderläuft. In einem anderen Kapitel mit dem Titel: „Ein Kapitel über das, was sie überlieferten, wobei es gravierende Fehler enthält, und weder weisen sie es zurück, noch bezweifeln sie es“ (bāb mimmā rawawhu mimmā al-ġalaṭ fihi ẓāhir ğiddan lā yadfaʿūnahu wa lā yašukkuna fīhi) führt al-Kaʿbī folgendes an: „Zu den Fehlern der Medinenser gehört das, was Muḥammad b. ʿAbdullāh von az-Zuhrī von Saʿīd b. al-Musayyib überlieferte, dass der Gesandte Gottes Ubayy b. Ḫalaf am Tag von Uḥud-Feldzug mit einem Speer tötete, daraufhin wurde der Vers ‚Und nicht du hast geworfen, als du geworfen hast, sondern Allah hat geworfen (Der Koran, 8:17)‘ herabgesandt“. Al-Kaʿbī sagte: „Es gibt einen Konsens, dass dieser Vers am Tag von Badr-Feldzug herabgesandt wurde (vgl. Al-Kaʿbī, 2000, 1:138)“.22 Hier lehnt al-Kaʿbī diesen Hadith ab, der die Herabsendung eines Verses in einer bestimmten Zeit vermittelt, weil die historischen Informationen über den Offenbarungsanlass des Verses diesem Hadith widersprechen. Somit gilt dieser Hadith als eine anachronistische Überlieferung.

Fazit In seinem Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ bewertet al-Kaʿbī die Überlieferungen unabhängig von der Überliefererkette, egal ob die Überlieferer Prophetengefährten, die Nachfolgegeneration (tābiʿūn) oder glaubwürdige bzw. nichtglaubwürdige Überlieferer sind, bezogen auf eine traditional-rationale Überprüfung, die auf einer prinzipiellen Skepsis aufgebaut ist. Dabei etabliert er Grundlagen einer traditional-rationalen Hadith-Bewertung durch eine kritische isnād-matn-Untersuchung, indem er bestimmte Kriterien für die Akzeptanz eines Einzel-Hadith (ḥadīṯ āḥād), die über den isnād zum Text hinausgehen, voraussetzt. Seine scharfe Kritik an den Hadith-Gelehrten erregte einen Anstoß gegen seine Ideen. Aus diesem Grund stößt sein Werk auf heftigen Protest sowohl von den klassischen als auch von den modernen Hadith-Gelehrten. Die Inhalte des Werkes zeigen uns einen sehr frühen kritischen und rationalen Umgang mit den asānīd und mutūn der Hadithe, der den isnād und den matn als gleichwertige hinterfragbare Komponente des Hadith ansieht, was auch heutzutage von großer Bedeutung für die moderne islamwissenschaftliche und islamisch-theologische Hadithforschung ist. Dieser traditional-rationale Ansatz der Hadith-Kritik setzt

22 Zum Offenbarungsanlass dieses Verses vgl. aṭ-Ṭabarī, 2001, 11/ 82–87; Ibn ʿAšūr, 1984, 9:294).

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jedoch eine andere Vorgehensweise voraus, die vorurteilsfrei sein soll, seitens der Hadithforscher mit der muʿtazlitischen Literatur, die sich mit Hadith beschäftigten. Heute ist es eine Notwendigkeit geworden, eine Hadith-Forschung zu etablieren, die sowohl dem Text als auch dem isnād Aufmerksamkeit schenkt. Da die Authentifizierung der Hadithe alleine durch die asānīd nicht entscheidend bzw. mangelhaft zu sein scheint, soll versucht werden, den Hadith aus drei Perspektiven zu erforschen, wie al-Kaʿbī es machte, nämlich: Erstens: die Hadithe sollen nicht nur durch die Überprüfung des isnād akzeptiert werden, sie bedürfen auch noch einer tiefgehenden Überprüfung der asānīd und der mutūn zusammen, die von der Skepsis ausgeht. Zweitens: die Hadithe durch das matn-Verstehen zu überprüfen und zu analysieren. Drittens: die Überlieferer ausgehend von der matn-Bewertung parallel zur Anwendung der riğāl-Wissenschaften und der Überlieferer-Kritik neu zu evaluieren.

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 Hossam Ouf

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The Human and the Prophet in ʿAbd alJabbār’s Theology Trustworthy biographical details of the life of ʿAbd al-Jabbār are difficult to ascertain; his name probably was Abu al-Ḥasan ʿAbd al-Jabbār Ibn Aḥmad al-Hamadhānī.1 He was born in the region of Hamadhān probably about 932 AD. He started his theological studies in Iṣfahān under the Ashʿarite school, but in Ba·ra he was soon impressed by the Muʿtazilite teaching, the most important Islamic rational school of the time, and studied their sciences under the famous theologian Ab­ Isḥāq Ibn ʿAyyāsh (d. 970 AD). He also studied in Baghdad under the Muʿtazilite theologian Abu ʿAbdullah al-Ba·rī (d.977 AD). The famous wazir al-Ṣāḥib Ibn ʿAbbād appointed ʿAbd al-Jabbār as the chief judge of Rayy at about 972 AD. He remained in this office until the death of al-Ṣāḥib in 997 AD, afterwards devoting himself to teaching and writing until his death at Rayy in 1024, or 1025 AD.2 ʿAbd al-Jabbār had a long productive life, Ibn al-Murtaḍā mentions in Ṭabaqāt al-Muʿtazila3 about 27 different titles of his4, but ʿAbd al-Karim ʿUthman’s research produced 69 titles all attributed to ʿAbd al-Jabbār.5 However, Brockelman, ʿUthman points out, has identified the existence of only 9 works and mentions the whereabouts of their manuscripts.6 ʿAbd al-Jabbār followed the theology of the Baṣrian school which was distinct from that of the Baghdadi school.7 The most important work of ʿAbd al-Jabbār is Article Note: Parts of this article is from my book, God and Humans in Islamic Thought, London: Routledge, 2006. 1 J. R. T. M. Peters, God’s Created Speech, Brill, 1976, p. 8. 2 Ibid; see also A. ‘Uthman, Sharḥ al-U·­l al Khamsa, Cairo, 1996, pp. 13–16. 3 Ibn al-Murtaḍā, Aḥmed Ibn Yaḥyā, Ṭabaqāt al-Mu’tazila, edited by Susanna Diwald-Wilzer, Beirut, 1961. 4 Peters, Created Speech, p. 10. 5 ‘Uthman, Sharḥ, pp. 20–23. 6 Ibid, p. 20. 7 A. Dhanani, The Physical Theory of Kalām, Brill, 1994, p. 9. Dhanani explains that the first one who directed attention to humans’ responsibility for their acts was Al-Ḥasan al-Ba·rī (d. 728 AD), however, Wāṣil Ibn ʿAtāʾ (d. 748 AD) and ‘Amr Ibn ‘Ubayd (d. 761 AD), who were students of al-Ba·rī, are considered the real founder of the Muʿtazilite school. Nevertheless, only from the time of Caliph Hārūn al-Rashīd (r. 786–809 AD), Dhanani explains, did they become a wellnown school. They formed in fact two distinct schools: the Ba·rian school under the leadership of Abū al-Hudhayl al-‘allāf, (d. 841 AD) and the Baghdadi school under the leadership of Bishr Ibn alMu’tamir (d. 825/840 AD). Al-Naẓẓām, who lived in the same period, seems to have belonged to https://doi.org/10.1515/9783110588576-012

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al-Mughnī. This consists of twenty volumes, sixteen of which were found in Yemen in 1951. Peters explains that ʿAbd al-Jabbār dictated this work over a period of twenty years between 972 and 992 AD.8 Al-Mughnī is the earliest detailed document which we possess about theology of Basrian Muʿtazilite theology. Although ʿAbd al-Jabbār in Al-Mughnī does not introduce a theology of his own but rather compiles a theology of the Basrian school9, he presents excellent arguments which prove different issues and express his own interpretation and conviction. In Al-Mughnī XI ʿAbd al-Jabbār discusses the problem of the human nature. He presents here the different theories which analyse the essence of human nature which the the Basrian Muʿtazilites and their opponents held. This paper will present and evaluate ʿAbd al-Jabbār’s discussion around the nature of the human then moves to discuss the feature of revealed knowledge and the prophet as the higher form of humanity.

The human nature according to ʿAbd al-Jabbār Bodies according to ʿAbd al-Jabbār consist of parts, the smallest of which is the atom which cannot be further divided.10 These parts come together through certain qualities, which come successively to inhere in the atom, and are called accidents. Both atoms and accidents need a creator because atoms come together to constitute a body and separate to denote its perishing through different accidents which ʿAbd al-Jabbār calls akwān:11 convergence, ijtimāʿ, separation,

neither of them. His opinions are closer to the philosopher than to the theologian, as we will attempt to show in this chapter. See, A. Badawi, Madhāhib al-Islāmiyyīn, Beirut, 1983, p. 201 8 Ibid. 9 Peters, Created Speech, p. 15. Peters refer here to ‘Abd al-Jabbār’s own statement against one of his opponents, “Maybe some will say: what this book contains is only a compilation of what was known from the other books. (In answer): The question is not as he assumes; if you study it, there is no doubt that in every chapter of it nothing is left out: [there is] a wide-spread collection and a miscellaneous compilation, the explanation of the correct issue and the warning against sophism, (the argument of the opponents), the study of the condition of the indication and the definition of those things upon which the point and the correct issues are built”. See also AlMughnī, XX part two, p. 225. 10 However, al-Naẓẓām (d. 836/845 AD) and other theologians from the Baghdadi school consider that the atom can be infinitely divided, giving rise to the concept of the eternity of the world. See, Al-Ash’arī, Maqālāt al-Islāmiyyīn, ed. H. Ritter, Wiesbaden, 1980, p. 304. 11 ‘Abd al-Jabbār, al-Majmū’ fī al-Muḥīṭ bi-al-Taklīf, ed. J. J. Houben, Beirut, 1965, pp. 34–45. In this section ‘Abd al-Jabbār explains thoroughly the meaning of akwān, and proves its existence as a determinant ma’nā which indicates movement and immobility in the bodies. After this he uses

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iftirāq, movement, ḥaraka, and immobility, suk­n. Convergence makes the atoms come together through movements and separation explains the body’s perishing through immobility. These four accidents demonstrate that the body cannot be eternally existent, for if it were so, it would not be possible to perish which is the consequence of separation, and all its parts would always remain together, because an eternal being has that eternity within itself which can never perish.12 Thus ʿAbd al-Jabbār believe that the existent beings come under three concepts: atoms (bodies); accidents which explain all activities of the body and God whose existence contains neither atoms nor accidents. However before engaging ourselves in the discussion around the nature of the human, it is appropriate here to examine the sources of the above theory. The argument around the human as a composite of soul and body or atoms and accidents started already in the Greek tradition. The atomist Greek scientist, Dimokritus, believed that the world consists of atoms, which were existed eternally. Russell explains that although the atomists believed that each event must have a cause and all things are bound to the natural laws, they failed to explain the reason for the coming together of the atoms in order to start forming the world. It seems, Russell points out, that they asserted the purposeless starting point of the world through mere chance, however once the atoms come together to form bodies and things, natural laws govern the chain of causes. Aristotle criticised this theory by showing its lack in explaining the source of movement, time, space or the human soul.13 Epicures, who was contemporary to Aristotle and defender of the atomist theory, explained that everything consist of atoms also movement, time and the human soul showing that it is possible to relate all movements of the world to a mechanical origin.14 Badawi considers that the early Muʿtazilite Abū al-Hudhayl was one of the earliest to adopt the theory of atoms and accidents and was influenced probably by the ancient Greek atomists. However, Badawi mentions here also the possibility that Abū al-Hudhayl could have got his information about the theory of

movement and immobility, which denote convergence and separation, to prove that the atoms come together to constitute a body because of the existence of these aspects ma’āni which come to inhere in them and cause the existence of a body. He explains this proof in a simpler manner in ‘Uthman, Sharḥ, pp. 96–104. 12 ‘Abd al-Jabbār, al-Muḥīṭ, pp. 50–67. In a long chapter ‘Abd al-Jabbār describes these four accidents akwān and explains how we are able to observe their function. Then he considers the meaning of created and eternal in order to prove that the accidents and the body must be created. 13 Russel, B., Tārikh al-Falsafa al-Gharbiyya, al-Haiy’a al-Maṣriyya al-‘Āmma lilkitāb, 2010, vol. 1 pp. 125–139. 14 Ibid.

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atoms from the Indians who were living in Basra which was an international port at the time, because the Indian school Vishka also adopted this theory. However he inclines more to the view that Abū al-Hudhayl probably knew the theory of atoms from the translations of Greek books which was taking place at this time.15 However, Abū al-Hudhayl did not consider that the world consists only of atoms but also of accidents and divine power. Atoms for him have the only two qualities of existence and occupying space. Therefore it is impossible, for Abū al-Hudhayl, that atoms alone could explain the origin of the world. All qualities such as movements, immobility, heat, cold etc cannot be atoms but another constituent. He called these qualities accidents and gave them the quality of being inhering in the atoms. Thus accidents do not occupy space and therefore can only exist in an atom. Both atoms and accidents are created through divine power, accidents are created either in each minutes like the accident of speech or for a longer duration as the accidents of ability, life, knowledge or will. According to ʿAbd al-Jabbār, humans, like all created things, consist of parts or atoms and accidents. Many theologians, of this period, have referred to the atom as a substance jawhar, but ʿAbd al-Jabbār uses also the word substance to refer to the body.16 Peters explains that atom and substance in ʿAbd al-Jabbār’s cosmology have many similarities; they both are seen as existent and occupying space, and both are bearers of accidents.17 Substance, however, can consist of more than one atom; it also explains the element of permanence, Peters points out, which relates things to their species and genus.18 Accidents, in contrast, exist only in a substance or atom and express the elements of change which occur to the substance. This means that the changes which happen remain within the permanent feature of the substance; though some accidents do not remain long, the basic features of the body always stay the same. Accidents are of two kinds perceptible and imperceptible. The first kind consists of colours, taste, odours,

15 A. Badawi, Madhāhib, pp. 183–184. 16 Al-Asha‘rī says that Abū al-Hudhayl and Mu’ammer seem to regard the substance jawhar as the atom because they consider it to be not further divisible and therefore a single substance and cannot be a body but it forms one atom of the body. Ab­‘Alī al-Jubbā’ī also follows this theory (Ashh’arī, Maqālāt, p. 307). But since ‘Abd al-Jabbār refers to the body as a jawhar then we can conclude that he considers the jawhar to consist of more than one atom. See Peters, Created Speech, p. 121, 122. See also Dhanani, Physical Theory, pp. 55–57. 17 Badawi, Madhdāhib, pp. 183–184. 18 Peters, Created Speech, pp. 119–121. Peters considers that the use of substance has a metaphysical rather than a physical meaning. It explains the independent existence which denotes permanence and shows the ability to exhibit other qualities. It denotes the atom in its productive form.

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warmth, coldness, pains and sound. The second is divided into accidents, which are created in the body, and others, which people acquire. Life, perception, ability and perishing are imperceptible accidents and come only from God, while knowledge, ignorance, doubt, conviction and the like, are acquired by each person.19 Some accidents are acquired through another agent; knowledge, for example, can be learned from others or pain can be caused by another. Thus all activities of humans are explained through the inherence of the different accidents at different times.20 To ʿAbd al-Jabbār, therefore, humans are composite beings who are observed as acting units. They are living through the accident of life, which is classed as an accident inherent in the whole body, like ability and knowledge. Life entails the accident of perception and denotes the living as those who can perceive warmth, coldness and pain. Sight, taste and hearing are accidents, ʿAbd al-Jabbār explains, which inhere only in certain parts of the body and a defect in an organ can occur without stopping the accident of living. The soul for ʿAbd al-Jabbār, in contrast, is not inherent in the body but it is rather the breath which we inhale. Soul, “Rū­ḥ” in Arabic comes, according to this author, from riyāḥ wind and the term nafs, which also designates the soul, comes from nafas, the air we breathe. This, therefore, refers to the air which we inhale and causes life to continue.21 After explaining the nature of the human according to ʿAbd al-Jabbār we turn here to explore the theory of his opponents who believe in the duality of the soul and body.

The human soul according to the philosophers and the Baghdadi Muʿtazilites The second theory of explaining the essential nature of the human is that of the philosophers and some of the Baghdadi Muʿtazilites. They relate the movement of the world to a divine intellect and to a divine soul. This theory has its origin in the thought of Aristotle and his commentators. The world moves and becomes active due to a divine intellect, which Aristotle calls the Prime Immovable Mover. This intellect, however, explains only the

19 Ibid, pp. 123–125. 20 Ibid, p. 125. 21 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, pp. 304–305.

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first movement of the world and its present form. All things for him, on the other hand, consist of matter and form, the matter explains not only the material existence of things but also their potentiality and possibility of existence. The form, on the other hand, explains their activities and shape; it actualises the potentiality of existence and forms together with the matter the thing in the form it exists. The form however in the Aristotelian thinking is the power, which explains the existence and the activities of things. Aristotle considered the human soul to be a high type of the form, which exists only in connection with matter (body). For him, as Rahman explains, the soul is “an immanent principle which organises the body and gives its specific character and makes it what it is”.22 He attributed also rational knowledge to the soul and held, like Plato, that the body is a mere instrument employed by the soul. At the same time he limited the existence of the soul to the existence of the body. This forces the conclusion, Rahman points out, that he had an inconsistent view of the relationship of soul to the body because if the soul is a substance, which is superior to the body, then its existence should not be restricted to the body.23 The principle of the soul as immaterial and separable from the body was mainly the centre of Plotinus’ psychological teaching. But for him, as Rahman noticed, the crucial point was mainly to define the soul-body relationship in order to fight against other groups who considered the soul as the inseparable form of the body.24 Goodman explains that Plotinus argued that the body cannot think and therefore its relationship to the soul is merely instrumental. Al-Fārābī (d. 950 AD.) considered, following Aristotle, that the activities of all living being are related to the powers of the soul, al-Nafs. There are three kinds of souls in the psychology of al-Fārābī: the eternal soul of God which has no beginning and no relation to matter, the eternal souls of the angels which has a beginning but also separated from matter ʿql mufāriq, and finally the earthly soul which exists in matter and can only be eternal through possession of knowledge. The earthly souls are also of three kinds: the vegetable soul which explains the nourishing of the thing and its growth, the animal soul which is responsible for all emotions and desires, and finally the rational soul which can be only attributed to humans. The function of the human soul, however, includes the activities of both the vegetable and the animal soul, but it presents the possibility for humans to reach the level angelic souls. The human soul controls all the functions of the body and uses it as its own instrument, which relates the soul to the other beings

22 Rahman, Psychology, p. 4. 23 Ibid, p. 5. 24 Ibid, p. 6.

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in the earthly world. The soul for al-Fārābī has only one hope is to control the desires of the body and to lead the rational part of the soul to contemplate the divine world. Thus the soul for al-Fārābī, and also for Ibn Sina after him has a mystical function which hopes only for its eternal life in the divine immaterial world.25 The Baghdadi Muʿtazilites seems to be very much influenced also by the argument which explains that the human soul is a substance of its own. They seem to have been influenced by the platonic concept of the soul. This concept was first discussed among the Sufis of the Orfism (Orfius) tradition before Plato, however, Plato was the one who clearly related the origin of the world and of the soul to a divine power, though he believed in the existence of a pre-existent matter which God used in forming the world. In both plays Titatius and Vidon, Plato concentrated on the concept of the human soul. In the former he explains that the human soul originated in the divine world and its role is to acquire knowledge in this world through its memory of its pre-existence time. The latter play discussed the return of the soul to the divine world after its separation from the body.26 Al-Naẓẓām, an early theologian from the Baghdadi Muʿtazilites, regards the human soul as light which is spread in the body and causes all its activities. The soul has ability, will, life, and knowledge in its own merit. This means that the human soul for him does not depend on knowledge or ability from outside but, similar to Plato’s concept of the soul, it has knowledge, ability, and the other qualities within itself. This argument, however, did not convince the Muslim theologians, al-mutakallimūn, who did not see a logical ground for this claim.27 For them the body has a great importance for it will have eternal life in the paradise, as the Qur’ān declares. After giving a summary of the holder of the substantiality of the human soul we move now to examine ʿAbd al-Jabbār’s argument against this theory.

ʿAbd al-Jabbār’s Criticism of the Duality of the Soul and Body ʿAbd al-Jabbār argues in Al-Mughnī  XI against the theologians of the Baghdad such as Hishām Ibn al-Ḥakam, Bishr Ibn al-Muʿtamir and Naẓẓām who consider

25 Fakhry, M., al-Farabi: the founder of Islamic Neoplatonism, Oxford: One Wold, 2002, pp. 86–89. 26 Russel, B., Tārikh al-Falsafa al-Gharbiyya, pp. 239–246. 27 Goodman, Avicenna, p. 154.

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that behind each visible person exists an invisible soul which is the power initiating all activities. The soul is the eternal element, they believe, which remains after the death of the body; it is the determinant, maʿnā, which causes the actuality of the body.28 The arguments of ʿAbd al-Jabbār against the Baghdadi theologians run as follows: First of all ʿAbd al-Jabbār explains that whatever is neither proved by necessary knowledge nor by the methods of acquisition cannot be known. He presents Abu Hāshim al-Jubbḍ’ī’s argument that if the soul were to inhere in all parts of the body, then it would be like a dress we wear, which we experience immediately. This, however, is not the case with the soul. ʿAbd al-Jabbār also asks how, if the invisible being is other than the visible one, can we prove this invisible exists when all its activities are identical with the activity of the visible person?29 In this part of the argument ʿAbd al-Jabbār attempts to demonstrate the difficulty of acquiring knowledge of the soul as a determinant, maʿānī, of the body. He also argues against Naẓẓām who considers that the soul is a substance which has knowledge, life and ability in itself, li-dhātihā. Naẓẓām also maintains that the soul is the life which flows in the body and causes its activity. ʿAbd al-Jabbār’s argument here construct his main concept, for him God and humans function in basically different way, God is able, knowing, perceiving, existent within Himself nothing comes from outside Himself; this is the explanation of what the Muʿtazilite calls linafsihi within Himself. Humans in contrast function only through determinant maʿnā which come from outside the human either from God or from the outside environment, as explained above. Thus humans according to the Mutakallimūn theologians cannot have any activities from within itself they are always in need of knowledge ability, life, perception and so on which they receive from outside and influence their different states. ʿAbd al-Jabbār argues that if the soul were a substance in which knowledge and ability are inherent, then it would be not possible for these to be inherent in the body because a substance (the soul) cannot be inherent in other substances; however, if it were an accident then it would not accept other accidents such as knowledge and ability because accidents are not inherent in each other. Also the possibility that the soul

28 Ibid, pp. 310–311. 29 His opponents explain that the reason for the identification between the activity of the soul and of the body is that the soul is inherent in all parts of the body and initiates its activities. But ‘Abd al-Jabbār explains that if living is a substance in a person which is able to know and perceive then it should be more likely to be able to know the reality of the bodily structure and organs of the person himself, which is the nearest to the internal living soul; yet we know that no-one has the ability to see or describe his own bodily organs.

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could initiate activity per se is impossible, in ʿAbd al-Jabbār’s opinion, for the only being who acts through Himself is God. Activities which are initiated through the essence ṣifāt nafsiyya, however, would not be restricted by any limitations which means that the person should have all knowledge and become omnipotent, which is not observable of humans.30 ʿAbd al-Jabbār argues also against the concept of the human intellect as a substance jawhar which initiate the human intellectual activities. He devotes a long chapter in Al-Mughnī XI to discussing the meaning of the word ʿaql. ʿAql for him does not simply means intellect or rationality; it is rather a certain knowledge which is known necessarily and immediately and it qualifies the person as someone rationally responsible31 who is able to reflect and acquire knowledge.32 ʿAql here is not also used to mean a certain place or organ or substance in the body, as it is among the Arab philosophers. ʿAbd al-Jabbār argues here that if ʿaql were a substance, it would accept all kinds of accidents which means that the substance ʿaql can accept knowledge and ignorance. In this case we cannot attribute maturity to everyone who possesses ʿaql, for it can mean both knowledge and ignorance.33 ʿAbd al-Jabbār also argues against the concept of ʿaql as a power existing in the body. He explains that if by power is meant the ability to achieve certain knowledge, then there must be people who are attributed with rational maturity, ʿāqil, only because they possess this ability, but who lack knowledge, because ability must precede the act of knowing.34 As a conclusion ʿaql for ʿAbd al-Jabbār is the accident of certain knowledge which exists in most people and enables them to reflect and acquire science. His reference to it as ʿaql should be c­ onsidered

30 Another proof ‘Abd al-Jabbār presents here that if the soul is a separate substance which has its own knowledge, power and perception then it can see and hear things in the case of the defection of its organs, but we know that the blind cannot see and the deaf cannot hear. It is also clear that each sense-organ is responsible for one kind of perception but if the soul in the body had perception not through an accident but within itself then it would be possible to use one organ for several kind of perception, which to ‘Abd al-Jabbār is absurd. See Al-Mughnī XI, pp. 339–341. 31 Here ‘Abd al-Jabbār explains the idea of kamāl al-‘aql which is one of the qualification of being mukallaf. He says that al-‘aql is certain reliable knowledge which happens in a person without use of the senses or acquired knowledge. The word ‘aql comes from ye‘qil al-nāqa, which means to hinder the camel from moving. It is used here metaphorically, ‘Abd al-Jabbār explains, and refers to knowledge which is basic and does not change, like the basic knowledge of ethical rules or the knowledge of basic general rules which are always true. Al-Mughnī, XI, pp. 379–80 and p. 386. see also peters, God’s created speech, p. 83. 32 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 375. 33 Ibid, p. 376–377. 34 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 379.

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here as conventional usage, which, as he explains, calls all mature persons ʿuqalā’.35 Thus the living person has “life through which the person become living, ḥayy, he is not living by means of the soul nor is he living by means of blood or bodily structure, though he needs all of them.”36 ʿAbd al-Jabbār regards humans as a composite unity of parts which bear different accidents, some of which are permanent, such as life and basic perception, others changeable and denoting the particular state of each moment. But although the composite being is always in a passive position of accepting the different accidents, they are considered to have the will and ability to act in accordance with their desires. It seems here, however, that this unity is not justified since ʿAbd al-Jabbār does not tell us how composite beings can decide about the different accidents which they might receive, since there is no rational being inside them to make such decisions. In addition if the person is mainly a composite of atoms and different accidents, why do people differ in their decisions, since changes happen through the same kind of accidents of knowledge or conviction? It seems to us here that the absence of a rational soul inside the human body contradicts ʿAbd al-Jabbār’s concept of humans as free agents who are responsible for knowing God and performing good acts, since it lacks a rational soul able to govern the whole body and make such decisions. He, while rejecting the duality of body and soul, adopts another duality: atoms and accidents. Accidents in his theology replace the soul in tracing the capacities of humans but they do not present the rational unity which the soul presents. It seems to us that the Muʿtazilites and many other Muslim theologians realised the danger of supposing that human activities are related to a rational spiritual being, as this would have influenced their whole theological system. For the rational soul, as explained by the philosophers, must have qualities which are similar to God’s, such as being immaterial, indivisible and one. With these qualities the soul cannot be satisfied by the promised rewards which concentrate on the pleasures of the body. The hope of the soul, as we have seen in Ibn Sīnā and al-Ghazālī, is meeting God and having eternal life in observing Him. In a sense the human soul may become like an angel, whose existence and hope differ totally from those of humans. Thus belief in the substantiality of the rational soul raises humanity to a divine condition which has mystical implications and hints at the unimportance of the body in the life to come.

35 Ibid, pp. 379–387. 36 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 338.

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Revealed Knowledge and the feature of the Prophet Abd al-Jabbār’s concept of prophecy is connected with his rational theology. In the first place it demonstrates that rational discourse, though states in the center of the Muʿtazilite thought is, however, perfected through the work of prophecy. In this sense he asserts that rational and revealed knowledge are complementing each other and providing the human with all means of perfect perception of the world. Through rational knowledge we can testify that the world has a creator and that this creator has several attributes. Only through this way we can understand that the creator cares for his creatures and has a plan to benefit them in this world and in the world to come. In order to gain these benefits the creator has placed two impositions, which Abd al-Jabbār calls taklīf ʿqlī and taklīf sharʿī Taklīf ʿqlī is the rational obligations which we can reach through our rational capacity, while taklīf sharʿī is revealed through the different prophets. In order that the human understands and realizes his/her role in the world, God provides them with all possible assistances: 1. all bodily instruments which lead to rational reflection, naẓar. 2. providing luṭf as a special assistance and an additional guidance. Under the first point locate Abd al-Jabbār the rational obligation taklīf ʿaqlī, while the second assistance is the ground for revealed obligations, taklīf shar’ī. The rational obligation is based on the concept of naẓar. Since God provides the human with all bodily instruments which give him/her the capacity to reflect and reach results about the world and its creator, He demands from them to think and act according to rational order. This obligation is compulsory for all humans and is called taklīf ʿaqlī. The revealed law on the other hand is a particular assistance which provides the human with specific knowledge on rituals and an additional divine knowledge which is not accessible through rational reflection. Abd al-Jabbār discusses the importance of revealed knowledge under his main discussion of prophecy in Al-Mughnī XV. Here he compiles evidence to support the view that sending prophets is acceptable to reason and that their messages benefit them and those to whom they are sent. His argument is directed against the Barāhima, an Indian group who did not believe that God sent prophets. Their view was that if God sent prophets with messages which were not rationally acceptable, they would be useless because our minds could not accept them, and

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if the messages were attainable by rational knowledge there would be no need to send them. ʿAbd al-Jabbār’s task here is to prove that the revealed message, though it is accepted rationally, contains things which our rational knowledge cannot reach.37 He argues that the importance of revealed knowledge lies in the detailed information which it gives about some acts; it is concerned with the details of performing certain acts and refraining from others al-fiʿl wa al-tark. These details may not be known through necessary knowledge because necessary knowledge provides general and total information mujmal, whereas detailed knowledge is needed about the performing of certain acts and refraining from others.38 The content of revealed knowledge, as of all kinds of knowledge, must have a rational ground which proves its claims because a commandment to ʿAbd al-Jabbār is obligatory not only because it is from God but because of its content. Thus revealed knowledge must follow the same fundamental basis of rational knowledge. However, ʿAbd al-Jabbār believes that revealed messages do present new information which cannot be acquired only as parts of rational knowledge. This section, therefore, will examine the importance and the content of revealed knowledge as ʿAbd al-Jabbār sees them. After showing that these revealed truths cannot be known through necessary knowledge, he turns to examine whether it is possible to obtain them through acquired knowledge. He starts his discussion by explaining that acquired knowledge can only extend to things which can be known rationally, but other kinds of information must be gained through other methods, including details of future events ʿilm al-ghayb or certain acts which the creator demands from His creatures such as worship, or allowing the slaughter of animal for the benefit of human needs.39 Thus, ʿAbd al-Jabbār confirms that there are kinds of truth which may not be known either by necessary immediate nor acquired knowledge. Our minds, for example, can only insist that we should thank and worship God but cannot provide the detail of this worship.40 Revealed knowledge discloses also the characteristics of some specific acts, including motivating, afʿāl dāʿiya, which stimulates performance of the rational obligations, such as prayers which motivate good actions.41 The importance of revealed knowledge, therefore, lies in three points: 1. it is the only way to know God’s revealed law, sharīʿa, which disclose details of some acts and the reason for

37 ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, p. 24. 38 ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, pp. 23–26. 39 Ibid, p. 26. 40 Ibid. 41 Ibid, pp. 26–28.

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their being obligatory and 2. it imposes some important acts whose function is to motivate. 3. It functions in confirmation of the rational taklīf. However, revealed knowledge is important also because it reveals the kind of acts which motivate performing the rational taklīf. Prayers and the prohibition against alcohol, for example, are revealed in the Qur’ān as helping avoid evil deeds; consequently they help the fulfilment of the rational taklīf.42 Hourani explains that the motivating acts uncover the depth of revealed knowledge as demonstrating the characteristics of many acts which, though they can be known rationally, can mainly be known, in their full implications, only to the creator.43 Thus revelation has the role of confirming what is rationally known; of disclosing the character of some acts which motivate us to perform our obligations; and finally of introducing some acts which can only be known through revelation, such as the details of worship or slaughtering animals which cannot be approved rationally as good but are revealed as permissible.44 ʿAbd al-Jabbār declares at the beginning of Al-Mughnī XV that revealed knowledge is an extension of rational taklīf and cannot have an independent role for we must prove that it comes from God.45 However, ʿAbd al-Jabbār does not show here the importance of revealed knowledge in unveiling characteristics of God which cannot be known through rational means. He ignores the details of certain divine characteristics which are mentioned in the Qur’ān such as the extent of God’s forgiveness or His being closer to humans than their jugular vein. Thus he limits the importance of this knowledge to the commandments, the prohibitions and their characteristics and the details of reward and punishment which cannot be known rationally. Abd al-Jabbār in Al-Mughnī 15 uncover some features of the prophet as follow: 1. the prophet is someone who did not do major sins neither after no before the mission. However all the Muʿtazila accept that he might have minor sins before his mission. This in fact means that they do not accept concept of the infallibility of prophets which is accepted by all other groups. 2. The prophet, according to Abd al-Jabbār, is an ordinary person who is not necessarily higher in knowledge than others

42 Ibid, pp. 30–36. 43 Hourani, Rationalism, p. 132. An objection is raised here by ‘Abd al-Jabbār’s opponents: why should these motivating revealed laws be obligatory? ‘Abd al Jabbār replies that, when a certain act is assisting the performance of another in a such way that the second can only be carried out when the first is performed, then both must be regarded as duty because performing the obligation depends on both of them. See, ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, pp. 36–39. 44 ’Abd al-Jabḍr, Al-Mughnī, XI, pp. 30–31. 45 ’Abd al-Jabḍr, Al-Mughnī, XV, p. 41.

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However, Abd al-Jabbār is in agreement with many other groups that the prophet Muhammed was illiterate and did not perform poetry. This is a part of his argument for the inimitability of the Qur’ān in Al-Mughnī 16.46 In fact Abd al-Jabbār does not only omit the participation of the prophet in the formation of the Qur’ān, he also does not consider him better than the mufesser­n: ‫و يوجب ان سائر العلماء يعرفون من تفسيره ما يعرفه الرسول و االمام و ما ابطلنا به القول بان التفسير ال يختص‬ ‫ يبطل هذا القول ما بينا به انه ال معصوم يرجع اليه في الزمان و سائر االزمنه و ان الحجه‬.‫به السلف دون الخلف‬ 47‫قائمه بالقرآن‬

3. the prophet also must be accompanied with a miracle or several miracles. These miracles could be performed by the prophet through God’s power to break the norm but also could be God’s immediate performance to demonstrate the prophecy of His prophet.48 However, elsewhere he insists that the miraculous act comes only through Divine power and therefore the performer does not play an important role. Whether the Qur’ān from the prophet or from Jebrīl or from God directly, does not make great difference, for Abd al-Jabbār. Important is that the Qur’ān is inimitable, reveals divine power and indicates the prophecy of Muhammed ibn Abd Allah. Although the Muʿtazila dealt with miracles in a very cautions way, Abd al-Jabbār seems to follow his own conviction in this subject. In his both books I’jāz al-Qur’an and Tathbīt Dalā’il al-Nebwwa he mentions many miracles of the prophet and accept them all on the basis of consensus and continuous transmission tawātur. His interest here seems to be a protest against some of the Baghdadi Muʿtazila who reject the miracles of the prophet altogether. Thus revelation has the role of confirming what is rationally known; of disclosing the character of some acts which motivate us to perform our obligations; and finally of introducing some acts which can only be known through revelation, such as the details of worship. Revealed knowledge, for Abd al-Jabbār, is an extension of rational taklīf and cannot have an independent role for we must prove first that it comes from God. As a result, ‘Abd al-Jabbār claims that both rational and revealed knowledge are obligatory. Both rational and revealed knowledge function very closely together in such a way that the absence of one of them causes us either to misunderstand and misinterpret revelation or to go without the divine assistance which makes it possible (easier) to perform our rational obligations.

46 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV, pp. 9–14. 47 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV,I p. 369. 48 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV, pp. 14–18.

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Hourani points out here that, for the Mu‘tazilites, God’s ethical prescriptions for humanity do not go beyond what they can rationally apprehend, thus disclosing the harmony between reason and revelation. The theology of ‘Abd al-Jabbār and the Mu‘tazilites, then, is based on the reliability of both sources of knowledge, the revealed and the rational, which are both guaranteed by God.

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Mourad Qortas

Muʿtazilitische Koranexegese unter besonderer Berücksichtigung der Diskussion um den Mutašābih-Begriff Exegese im allgemeinen Sinne bedeutet Auslegung und Erläuterung. Diese Definition gilt auch für die islamische Tafsīr-Tradition. Jedoch gestaltet sich der Begriff im islamischen Kontext besonders: Die Auslegung bzw. die Interpretation, im arabischen taʾwīl bezeichnet, war eine spätere Entwicklung der Tafsīr-Wissenschaft. Tafsīr bemühte sich anfangs um eine im Einklang mit den Sprachgepflogenheiten der Araber und im Sinne der prophetischen Sunna traditionsbewussten Erläuterung des Korans. Taʾwīl al-Qurʾān dagegen wurde in gewissen orthodoxen Kreisen als häretisch angesehen, da der Begriff eng mit der rationalistischen Auffassung verbunden war; die Offenbarung bedürfe einer menschlichen Auslegung. Der Streit um die exegetische Interpretationsfähigkeit des Korans war eng mit der Entstehung und Ausbreitung der „häretischen“ Strömungen der Muʿtazila, Bāṭiniyya und Schīʿa verbunden. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der muʿtazilitischen Koranexegese und zeigt anhand einiger führender Exegeten der Muʿtazila die Besonderheiten und die Entwicklung hermeneutischer Überlegungen dieser theologischen Bewegung. Dabei wird der Fokus darauf gerichtet, welche Vorstellungen im Hinblick auf die berühmte Frage des al-muḥkam und al-mutašābih im Koran sie von taʾwīl hatten. Da die Muʿtazila Vorreiter einer rationalistischen Auslegung der Offenbarung waren, sollte der Koran, ihrer Auffassung nach, einer rational-kritischen Prüfung standhalten können. Offenbarung und Vernunft, so die muʿtazilitische Maxime, stimmen notwendig überein. Somit standen die Muʿtazila im Mittelpunkt traditionalistischer Kritik. Im theologischen Disput zwischen der Muʿtazila und anderen Glaubensrichtungen wurden bestimmte kritische Passagen des Korans mit Bezug zu den Eigenschaften Gottes, aufgrund ihrer Unklarheit und Ambiguität oft thematisiert. Jede theologische Schule griff dabei auf eine eigene Interpretation dieser koranischen Verse zurück, die im Einklang mit ihrer Dogmatik steht. Diese unklaren und mehrdeutigen Verse, koranisch „mutašābihāt“1 bezeichnet, waren der Stoff für eine

1 Koran (3,7): “Er ist es, Der dir das Buch herab gesandt hat. Es enthält (muḥkamāt) eindeutige, grundlegende Verse, die den Kern des Buches bilden und (mutašābihāt) Verse, die verschieden gedeutet werden können. Diejenigen aber, die im Herzen abwegige Absichten hegen, befassen https://doi.org/10.1515/9783110588576-013

Muʿtazilitische Koranexegese 

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energisch geführte Debatte über die Definition und die Funktion der mutašābihāt innerhalb der Koranexegese. In diesem Artikel wird der Versuch unternommen, einen Grundriss zur muʿtazilitischen Exegese zu geben. Dabei gehe ich auf die Überlegungen von führenden Muʿtaziliten zum Problem des „Mutašābih al-Qurʿān“ ein und am Schluss steht eine detaillierte Behandlung der Lösung von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Die muʿtazilitische Theologie ist durch ihre kategorische Ablehnung des Anthropomorphismus (tašbīh und tağsīm) und der Prädestinationslehre gekennzeichnet. Diese Haltung leitet sich aus den zwei dogmatischen Hauptprinzipien der Muʿtazila von der Gerechtigkeit und der Einheit Gottes ab (al-ʿadl wa-t-tauḥīd). Deswegen nannten sie sich selbst „Ahl al-ʿadl wa-t-tauḥīd“ (die Anhänger der Gottesgerechtigkeit und des Monotheismus). Für die muʿtazilitische Koranexegese bedeutet diese Dogmatik eine starke Fokussierung auf die Mehrdeutigkeit koranischer Aussagen. Die Muʿtazila fanden im Koran viele sich widersprechende Stellen bezüglich ihrer Lehre der göttlichen Transzendenz (tanzīh) und der menschlichen Willensfreiheit. Sie konnten aber beim Koran, anders als beim Ḥadīṯ, eine Methode der Traditionskritik, die sich mit der Überlieferungsauthentizität beschäftigt, nicht anwenden.2 Der göttliche Ursprung des Korans wurde von der Muʿtazila nicht in Frage gestellt. Sie sahen sich aber veranlasst, angesichts des unklaren Charakters bestimmter Aussagen im Koran, ihn im Sinne muʿtaziltischer Dogmatik zu interpretieren (taʾwīl). Dabei waren die Muʿtaziliten nicht die ersten. Goldziher schreibt in diesem Kontext: „Der

sich vorrangig mit den nicht eindeutigen, mit der Absicht, Verwirrung zu stiften und eigene Deutungen zu entwickeln. Die einzig richtige Deutung weiß nur Gott allein. Diejenigen aber, die über tiefgreifendes, fundiertes Wissen verfügen, bekennen: „Wir glauben (uneingeschränkt) daran. Alles, (was der Koran enthält,) ist von Gott, unserem Herrn.“ So denken nur die, die sich ihres gesunden Verstandes bedienen.“ 2 Treu ihrem Prinzip vom Primat der Vernunft folgend, haben die Muʿtaziliten vor allem jene Ḥadithe abgelehnt, die sich zu den göttlichen Eigenschaften, der Prädestinationslehre und Gottesschau geäußert haben. „An-Naẓẓām (gest. zwischen 835 und 845 n. Chr.), ein führender Muʿtazilit, war der Meinung, dass das rationale Argument die Traditionen abrogiert (yansuḫ), deswegen wies er prophetische Traditionen (aḥādiṯ) ab, die er aus einer rationalen Perspektive nicht nachvollziehen konnte. Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī und sein Sohn Abū Hāšim traten für eine rational hergeleitete Šariʿa ein, und schränkten die prophetische Šarīʿa auf Fragen ein, die durch die Vernunft nicht gelöst und nur durch as-Samʿ (die Offenbarung) geklärt werden können. (…). Aber den edlen Koran wagten die Muʿtazila nicht anzugreifen, aber sie haben ihn interpretiert.“ Ğār Allāh, Zuhdī. al-Muʿtazila. Kairo, 1947, 247–48. Vgl.: Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad. Taʾwīl muḫtalaf al-ḥadīṯ wa r-Rad ʿalā man yurīb fī al-Aḫbār al-muddaʿā ʿalayhā at-Tanāquḍ. Riad 2009: Dār ibn al-Qayyīm, 96–119. Dort zählt Ibn Qutaiba die Einwände von an-Naẓẓām gegen ḤadīṯÜberlieferer, u.  a. Ibn Masʿūd und Abū Huraira auf und widerlegt sie.

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Widerspruch gegen die grobe anthropomorphistische Gottesauffassung nimmt nicht erst mit dem schulmäßigen Auftreten der Muʿtaziliten seinen Anfang; seine Keime reichen (…) in einen Kreis hinein, in dem sonst die traditionelle Koranexegese vorherrschend war“3. Die Muʿtaziliten waren also keine Vorreiter in der metaphorischen Auslegung anthropomorphistischer Aussagen im Koran. Ihr Verdienst war lediglich, diese Auslegung im Sinne einer hermeneutischen Methode zu verstehen und systematisch auf die Gesamtheit anthropomorphistischer Koranverse auszuweiten.4 Diese exegetische Annäherung, die auf die Auslegung von dogmatisch relevanten, insbesondere anthropmorphistisch klingenden Versen beruht, begründet ihren Ansatz auf die im Koran selbst getroffene Aufteilung seiner Aussagen in (muḥkamāt) und (mutašābihāt).5 Viele muslimische Exegeten identifizieren die muḥkamāt mit klaren und eindeutigen Versen, die keiner Erläuterung bedürfen. Die mutašābihāt dagegen gelten als Verse, die unklar und ausgelegt werden müssen. Die Muʿtazila, und vor allem al-Qāḍī ʿabd Al-Ğabbār, übernahmen diese koranische Terminologie und erweiterten sie zu einem hermeneutischen Konzept.6 Dies erklärt, warum eine Vielzahl von früheren Tafsir-Werken zu den unklaren koranischen Versen unter dem Titel Mutašābih al-Qurʾān oder mit ähnlichen Bezeichnungen erschienen ist. Ein beachtlicher Anteil unter den Verfassern dieser Werke waren Muʿtaziliten, wie Ğaʿfar ibn Ḥarb (gest. 236/850), Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (gest. 303/915), Bišr b. al-Muʿtamir (gest. 210/825), al-Ḥasan al-Warrāq (gest. 230/845) und Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf.7 In späterer Periode erschien Mutašābih al-Qurʾān von Qāḍī ʿAbd Al-Ğabbār (gest. 415/1025), das Tafsīr-Werk, dem der letzte Teil dieses Artikels gewidmet sein wird. Bei dem Mutašābih-Genre im Bereich der Koranexegese geht es um die Hervorhebung der aus muʿtazilitischer Perspektive theologisch-problematischen Verse und die Behandlung von spezifischen philologischen und semantischen Besonderheiten, die damit einhergehen.8

3 Goldziher, Ignaz. Die Richtungen der islamischen Koranauslegung. Leiden, 1920, 102. 4 Ebd., 110. 5 Koran (3,7). 6 Abū Zaid, Naṣr Ḥāmīd. Al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr. (Dirāsah fī qaḍiyyat al-mağāz fī al-Qurʾān ʿinda al-muʿtazila). Casablanca 41998, 64. Fudge, Bruce. Quranic Hermeneutics and the Muʿtazila. In Qurʾānic Hermeneutics: Al-Ṭabrisī and the Craft of Commentary. Routledge, 2011, 114–142. 7 Ebd., 116; Ibn an-Nadīm. al-Fihrist, Bd.  1 (2009): 94, hg. v. Ayman Sayyed Fuʾād. London: Mūʾssasat al-Furqān li-t-Turāṯ al-Islāmī. 8 Fudge, 116.

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Dank der zayditischen Schīʿa im Jemen haben sich viele muʿtazilitische Schriften erhalten. Dies hat damit zu tun, dass mehrere Zaydiyya-Imāme Muʿtaziliten waren und theologische Schriften verfassten, einschließlich der wichtigen Persönlichkeit des al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rass (gest. 246/860). Für die Untersuchung muʿtazilitischer Koran-Exegese sind die Ansichten auch von denjenigen muʿtazilitischen Theologen zu berücksichtigen, deren Schriften uns nicht erhalten sind, deren Meinungen und Interpretationen jedoch als Schul-Autorität in späteren Tafsīr-Werken eingearbeitet wurden. Bekannte Tafāsīr mit eindeutigen muʿtazilitischen Spuren, wären aṭ-Ṭūsī’s Tibyān, al-Ḥākim al-Ğišumī’s Tahḏīb und aṭ-Ṭabrīsī’s Mağmaʿ al-Bayān in schiʿitisch-muʿtazilitischen Kreisen und das umfangreiche Mafātīḥ al-Ġayb (at-Tafsīr al-Kabīr) vom Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1210).9 Eine ähnliche Begründung liefert auch Ḫidr Muḥammad Nabhā zu seiner sechsbändigen Reihe „Mawsūʿat Tafāsīr al-Muʿtazila“.10 Diese Reihe unternimmt den Versuch, die in verschiedenen Kommentaren erwähnten Meinungen von muʿtazilitischen Exegeten zu sammeln und aus diesen Fragmenten für jeden dieser Exegeten ein eigenständiges Tafsīr-Werk zu rekonstruieren. Die Rekonstruktion beruht auf die zahlreich gefundenen Auszügen in den drei Tafsīr-Hauptwerken: at-Tibyān von aṭ-Ṭūsī (gest. 460/1066), Mağmaʿ al-Bayān von aṭ-Ṭabrīsī (gest. 548/1154) und Mafātīḥ al-Ġayb von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī.11 Die schīʿitischen Exegeten aṭ-Ṭūsī und aṭ-Ṭabrīsī und der sunnitische ar-Rāzī haben diese Arbeit erst möglich gemacht, da sie bei der Erklärung eines koranischen Verses in aller Regel auf die muʿtazilitische Zugehörigkeit des zitierten Verfassers hingewiesen haben. Az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144) beschränkte sich in seinem Korankommentar al-Kaššāf lediglich darauf, die für seine Argumentation nützliche Meinung zu schreiben ohne seine Quelle dafür zu erwähnen. Damit war al-Kaššāf wenig hilfreich für die Untersuchung muʿtazilitischen Einflusses im Bereich der Koranexegese. Ferner spielt al-Kaššāf, laut Fudge, aufgrund relativer „Armut“ an muʿtazilitischen Aussagen nur eine marginale Rolle im Zusammenhang mit muʿtazilitischer Exegese12. Auch Gimaret konstatiert, dass az-Zamaḫšarī für ar-Rāzī nur aufgrund seiner linguistischen Expertise, nicht aber für seinen Muʿtazilismus interessant war.13 Im Folgenden werden einige wichtige Exegeten

9 Ebd. 10 Nabhā, Muḥammad Ḫidr. Tafsīr Abū Bakr al-Aṣamm, (Reihe Mawsūʿat Tafāsīr al-Muʿtazila), Beirut 2006. 11 Nabhā, Tafsīr Abū Bakr al-Aṣamm, 9–10. 12 „(…) that famous work (Kaššāf) stands at the end, if not on the margins, of the muʿtazili exegetical tradition“. Fudge, 115. 13 Gimaret, Daniel. Une lecture muʿtazilite du Coran: Le Tafsīr d’Abū ʿAlī al-Djubbāʾī (m. 303/915) partiellement reconstitué à partir de ses citateurs. Paris 1994, 11.

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aus der muʿtazilitischen Tradition kurz vorgestellt und ihre exegetischen Überlegungen zum Mutašābih-Problem dargestellt.

Abū Bakr ʿabd ar-Raḥmān b. Kaysān al-Aṣamm (gest. 211/817) Abū Bakr ʿAbd ar-Raḥmān b. Kaysān al-Aṣamm war ein wichtiger Theologe und Exeget aus Baṣra14, er gilt allgemein als Muʿtazilīt. In seiner Jugend, diente er als Assistent von Maʿmar Abū l-Ašʿaṯ15. Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār zählte ihn zur sechsten Generation der Muʿtazila, an deren Spitze Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf steht.16 Obwohl uns keine Werke von al-Aṣamm erhalten sind, war er trotzdem eine einflussreiche und kontroverse Persönlichkeit. Al-Ḥākim al-Ğišumī zitierte ihn ausführlich, zudem taucht sein Name häufig in Mağmaʿ al-Bayān auf.17 Interessanterweise wird er in at-Tibyān von aṭ-Ṭūsī und in ʿAbd al-Ğabbār’s Mutašābih al-Qurʾān nicht erwähnt.18 Der muʿtazilitische Denker Abū Isḥāq an-Naẓẓām (gest. zwischen 835 und 845) zählte ihn gar zu den traditionalistischen bzw. überlieferungsbasierten Exegeten. Er kritisierte die Methoden einiger früherer Koran-Exegeten, darunter ad-Daḥḥāk, Muqātil ibn Sulaimān und Abū Bakr al-Aṣamm. Er warnte davor, ihre Meinungen ernst zu nehmen, weil sie seiner Meinung nach auf Fragen der Menschen Antworten gaben, die sie nicht durch Überlieferungen oder eine feste Begründung belegen konnten. Ihnen sei es demnach primär darum gegangen, ihrem Publikum zu gefallen, gemäß dem Motto: „der kurioseste Kommentator wird zum beliebtesten Kommentator“19. Man könnte sich fragen, warum einer

14 „(…) der älteste Vertreter der muʿtazilitischen Tafsirliteratur (…).“ Goldziher, Richtungen der islamischen Koranauslegung, 113; Schwarb, Gregor M., “al-Aṣamm.” In Encyclopaedia of Islam, Link besucht online am 19 August 2016. 15 Ein Physiker aus Baṣra, al-Ğāḥiẓ (d. 255/868–869) nannte ihn “der Philosoph unter den mutakallimūn”, Vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 2, 37–9. 16 Nabhā. Tafsīr al-Aṣamm, 13;, Zarzūr, ʿAdnān. Al-Ḥākim al-Ğišumī wa Manhağuhu fī -Tafsīr alQurʾān, Muʾassasat ar-Risāla, Damaskus, 1971, 131. 17 Fudge, 116. 18 Ebd. Vgl. hierzu auch: Ess, Josef van. Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra: Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. Bd. 2. Berlin 1992, 404. 19 ‫ و كلما كان المفسر أغرب عندهم كان أحب اليهم‬Al-Ğāḥiz, Kitāb al-Ḥayawān, I., 343. Das Kapitel wird unter der Überschrift: Die Meinung von an-Naẓẓām über eine Gruppe von Exegeten und Beispiele von ihren künstlich angestrengten Interpretationen (takallufuhum fī t-Taʾwīl) Gemeint ist hier eine negative Interpretation, die fremd und zu irrational scheint, um authentisch zu sein.

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der brillantesten Köpfe der Muʿtazila, an-Naẓẓām, einen seiner Partei-Anhänger in diesem scharfen Ton angreift und ihn zum traditionalistischen Lager zählt, was in muʿtazilitischen Kreisen als Abwertung zu verstehen ist. Ein Grund hierfür scheint zu sein, dass al-Aṣamm trotz seiner muʿtazilitischen Zugehörigkeit der Überzeugung war, die Exegese des Korans müsse an die Tradition gebunden sein.20 Der Tadel von an-Naẓẓām wird jedoch dadurch abgemildert, dass es sich dabei bloß um willkürliche Worterklärungen und nicht um systematische dogmatische Meinungen handelt. Nach Ibn al-Murtaḍā hatte Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī in seinem Tafsīr niemanden außer al-Aṣamm zitiert, er erwähnte ihn einmal aber mit der Bemerkung: „hätte er sich auf sein Fiqh und seine Philologie beschränkt, wäre das besser für ihn gewesen.“21 Die Deutung dieses Satzes erweist sich aufgrund eines fehlenden Zusammenhangs als schwer, jedoch greift die Interpretation des Satzes als abwertendes Urteil zu kurz, weil al-Ğubbāʾī ausschließlich al-Aṣamm zitierte.22 Die Meinungen von al-Aṣamm wurden ferner in al-Māturīdī’s „Taʾwilāt ahl as-Sunna“ und ar-Rāzī’s Kommentar zitiert.23 Noch interessanter in diesem Zusammenhang ist ein Bericht von al-Ašʿarī (gest. 324/935–6) in seinem „Maqālāt al-Islāmīyīn“ über den Standpunkt von al-Aṣamm zur Frage des muḥkam und mutašābih im Vers (Koran 3/7): Und Abū Bakr al-Aṣamm sagte: muḥkamāt; damit sind die eindeutigen Beweise gemeint, bei denen sich niemand die Mühe machen sollte, ihre Bedeutung zu erklären, wie solche, bei denen Gott uns über die vergangenen Völker berichtet, (…), und ähnliche Verse, solche sind alle muḥkam, und er [al-Aṣamm] sagte: Gott der Erhabene sagte: muḥkamāt-Verse sind der Kern des Buches (Koran 3/7) das heißt die Grundlage, wenn ihr über sie nachdenkt, dann wisst ihr, dass alles was Muḥammed (S) gebracht hat die Wahrheit von Gott dem Erhabenen ist. Und andere, sie sind mutašābihāt; das sind zum Beispiel, was Gott offenbart, dass Er die Toten auferweckt und den Jüngsten Tag ausruft,(…), das, was sie nicht begreifen, es sei denn mittels ihrer rationellen Prüfung (an-naẓar). (…). Bei all dem besteht bei ihnen Ungewissheit bis sie darüber nachdenken und zur Kenntnis kommen, dass Gott sie bestrafen könnte wenn Er will oder sie dahin bringen könnte wo Er will.24

Nach Fudge lässt uns diese Passage die rationalistische Ausrichtung der MuʿtazilaExegese erkennen; nämlich die in diesem Bericht beschriebene Überzeugung von al-Aṣamm, dass es nichts im Koran gibt, was durch den menschlichen Verstand

20 Goldziher, 112. 21 ‫ لو أخذ في فقهه و لغته لكان خيرا له‬Ibn al-Murtaḍā. Ṭabaqāt al-Muʿtazila, 57. 22 Ebd. 23 Fudge, 117. 24 Al-Ašʿarī. Abū al-Ḥasan. Maqālāt al-Islāmīyīn, hg. v. Helmut Ritter. Wiesbaden ³1980, 223.

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nicht begriffen werden kann oder keine Bedeutung hat. Die rationalistische Tendenz wird hier besonders deutlich, wenn es um die koranischen mutašābihāt geht.25 In al-Aṣamms Aussage „mutašābihāt, das sind (…) was sie nicht begreifen, es sei denn mittels ihrer rationalen Prüfung (an-naẓar)“ wird deutlich, dass er den Standpunkt vertritt, die mutašābihāt seien nicht eine Wissenskategorie, die dem menschlichen Verstand gegenüber verschlossen ist, sondern sie sind ihm zugänglich, wenn er rationale Prüfung (an-naẓar) und das Nachdenken nicht scheut.

Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (gest. 303/915) Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī, der Vater von Abū Ḥāšim al-Ğubbāʾī (gest. 321/923), war einer der bedeutenden Denker, die die Muʿtazila nachhaltig geprägt haben. Er war der Schüler von Abū Yaʿqūb aš-Šaḥḥām (gest. 267) und der Lehrer vom späteren Begründer der ašʿaritischen Theologie Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī (gest. 324/935– 6). Er lebte in politisch und gesellschaftlich turbulenten Zeiten. Kurz vor seiner Geburt schaffte der damalige abbasidische Kalif die muʿtazilitische Lehre der Erschaffung des Korans als Staatsdogma ab und setzte damit, angestachelt von den fundamentalistischen Ḥanbaliten und Ahl al-Ḥadīṯ, eine Verfolgungsära der Muʿtaziliten in Gang.26 Al-Ğubbāʾīs Tafsīr ist verschollen. Durch die mühevolle Rekonstruktion Daniel Gimarets in seinem Werk: „Une lecture muʻtazilite du Coran. Le Tafsīr dʼAbū ʻAlī al-Djubbā’ī (d. 303/915) partiellement reconstituté à partir de ses citateurs“ können wir uns einen guten Überblick von seinem Korankommentar verschaffen. Die Arbeit von Gimaret stellt auch eine Rekonstruktion durch die Sammlung von Auszügen aus den späteren Korankommentaren von aṭ-Ṭūsī, aṭ-Ṭabrīsī und al-Ḥākim al-Ğišumī und anderen Kommentaren dar.27 In diesem Zusammenhang sollte zudem auf die 2007 erschienene Arbeit von Ḫidr Moḥammad Nabhā verwiesen werden.28 Der Nachteil von Gimarets Arbeit laut Fudge ist eine hohe Redundanz von al-Ğubbāʾīs Meinungen in späteren Tafsīr-Werken, die in ihrer Länge oder wortwörtlich nur geringfügig variieren. Gimaret konnte hier nur eine sinngemäße Umschreibung wiedergeben. Dennoch, da es sich um den Versuch einer Rekonstruktion handelt, gelingt es Gimaret viele Belegstellen aufzuführen, in denen eine

25 Fudge, 118. 26 Nabhā, Muḥammad Ḫidr. Tafsīr Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī, 5. 27 Fudge, 118. 28 Nabhā, Tafsīr Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī.

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Aussage nach einer oder mehreren Quellen al-Ğubbāʾīs zugeschrieben wird und an anderer Stelle anonym erscheint. Dies und andere Probleme zeigen, welche Schwierigkeiten mit einer Kommentar-Rekonstruktionsarbeit verbunden sind.29 Über al-Ğubbāʾīs Methode der Koran-Exegese lässt sich feststellen, dass er sich darum bemühte, frühere Autoritäten wie as-Suddī (gest. 139/745), al-Kūfī30 (gest. 115/721) und ar-Rabīʿ ibn Anas (Todesdatum mir unbekannt) und Ibn ʿAbbās (gest. 82/688) zu zitieren. Er fühlte sich jedoch nicht immer daran gebunden, durchgehend ihre Ansichten wiederzugeben.31 Als muʿtazilitischer Exeget verpflichtete er sich weniger der Traditionsexegese (tafsīr bi-n-naql), sondern mehr der rationalistischen Exegese (tafsīr bi-l-ʿaql). Diese Methode zeigte sich in seinem dialektischen Stil. Seine Auseinandersetzung mit der Frage der Besessenheit des Menschen durch den Teufel, die im Vers (2/275)32 zum Zweck eines metaphorischen Vergleichs benutzt wurde, kann hierfür als Beispiel dienen. Al-Ğubbāʾī lehnt vehement die traditionell verbreitete Idee ab, dass Opfer von epileptischen Anfällen vom Teufel heimgesucht seien, da der Teufel, als ein nichtkörperliches Wesen, nicht in der Lage sei, von einem Menschen Besitz zu ergreifen.33 In seiner Interpretation des Verses (3/7) stellt al-Ğubbāʾī fest, dass die ahl at-ta ʾwīl (die Exegeten) bezüglich der Definition von muḥkam und mutašābih verschiedener Meinung waren und liefert daraufhin eine eigene Definition: „al-muḥkam ist was nur eine einzige Interpretation vertragen kann, und al-mutašābih ist was mindestens zwei Interpretationen hat.“34 Bezüglich der Streitfrage, ob die im Wissen fest Verankerten (ar-rāsiḫūn fī al-ʿilm), die mutašābihāt auslegen können oder nicht übernahmen die meisten Muʿtaziliten die Lesart von al-Aṣamm. Nach der Einschätzung von ar-Rāzī, gehen sogar die meisten Theologen von der Fähigkeit des Menschen aus, Gottes Wort zu verstehen.35 Al-Ğubbāʾī lehnt diese Auffassung ab und teilt mit der Mehrzahl der Exegeten, (darunter al-Ḥasan, al-Farrāʾ (gest. 458/1064) und aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923) die Ansicht, dass

29 Fudge, 118. 30 Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um Ḥakam ibn ʿUtaiba al-Kūfī, der ein bekannter, vermutlich schiitischer, Überlieferer [rāwī] war. Sowohl Buḫārī als auch Muslim machten von seinen Überlieferungen Gebrauch. 31 Fudge, ebd. 32 „Diejenigen, die Zins verschlingen, werden nicht anders aufstehen als jemand, den der Satan durch Wahnsinn hin und her schlägt. Dies (wird sein), weil sie sagten: „Verkaufen ist das gleiche wie Zinsnehmen. (…)”. Koran (2/275). 33 Tafsīr al-Ğubbāʾī, 118–119. 34 ‫ و المتشابه ما يحتمل وجهين فصاعدا‬,‫ان المحكم ما ال يحتمل اال وجها واحدا‬, Übersetzung d. Verf. Vgl. Tafsīr al-Ğubbāʾī, 122. Diese Definition wurde von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār übernommen, vgl. Zarzūr, ʿAdnān. al-Ḥākim al-Ğišumī wa Manhağuhu fī Tafsīr al-Qurʾān, 237. 35 Gimare. Une Lecture muʿtazilite du Coran, 167.

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die Auslegung (taʾwīl) von den mutašābihāt-Versen nur Gott bekannt ist und nicht von den im Wissen fest Verankerten geteilt werden kann.36 Der Grund für diese Auslegung bei al-Ğubbāʾī besteht nach al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār darin, dass er den Begriff taʾwīl hier nicht gemäß der gängigen Bedeutung „Deutung“ oder „Auslegung“ benutzt. Vielmehr legt er es im Sinne des Koranverses (7/53)37 aus, wonach ta ʾwīl im Sinne von al-muta ʾawwal (‫ )المتأول‬verstanden wird, womit das Eintreffen des Jüngsten Gerichts, einschließlich die Stufen der Belohnung und der Strafen für die Sündigen im Jenseits gemeint sind. Al-Qāḍī sagt dazu: „mit Deutung meint er al-muta ʾawwal und nur Er (der Erhabene) allein verfügt über das Wissen jenen Tages und seine Zeiten und Zustände“38. Davor macht al-Qāḍī eine wichtige Bemerkung, die im Zusammenhang zu al-Ğubbāʾīs Position steht. Er erklärt darin, dass al-Ğubbāʾīs Meinung nicht ausschließen würde, dass die Gelehrten (die im Wissen verankert sind) die Bedeutung von den mutašābihāt-Versen wissen.39 Denn nach al-Qāḍī, zog sein Lehrer al-Ğubbāʾī zur Auslegung dieses Verses, wie oben erwähnt, den Vers (7/53) heran, in dem die Deutung (taʾwīl) im Sinne von al-muta ʾawwal verwendet wird. Dies schließt aber nicht andere Stellen im Koran ein, die sich nicht auf das Jenseits beziehen aber dennoch nicht klar und eindeutig sind und deswegen von den Gelehrten interpretiert werden können. Al-Qāḍī räumt unmittelbar danach ein „wir sagen nicht, dass die Interpretation der mutašābihāt-Versen von den Gelehrten gewusst werden muss, in jeglicher Hinsicht dieses Wissens, sondern es ist lediglich gemeint, dass das mutašābih nur in der gewünschten Hinsicht (fī al-wağh al-maqṣūd) gewusst werden kann. In übrigen Fällen muss geprüft werden, ob es dafür einen Beweis vorliegt, erst dann wird es als Erkenntnis angenommen“40

ʿAlī ibn ʿIsā ar-Rummānī (gest. 384/994) Andere führende Exegeten der Muʿtazila waren Abū al-Qāsim al-Balḫī (gest. 319/931), Abū Muslim Muḥammad al-Iṣfahānī (gest. 322/934) und ʿAlī ibn ʿIsā

36 Ebd. Siehe auch, Tafsīr al-Ğubbāʾī, 122  ff. 37 Koran (7/53): „Erwarten sie (etwas anderes) als seine Deutung? An dem Tag, da seine Deutung eintrifft, werden diejenigen, die es zuvor vergessen haben, sagen: „Die Gesandten unseres Herrn sind wirklich mit der Wahrheit gekommen! (…).“ 38 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Al-Muġnī, Bd. 16, (Iʿğāz al-Qurʾān), 379. 39 Ebd. 40 ‫ وأنما يجب أن يكون في‬.‫ من كل وجه يصح أن يعلم عليه‬,‫و لسنا نقول ان تأويل المتشابه يجب أن يكون معلوما للعلماء‬ ‫ فما دل عليه الدليل يعلم‬,‫ فأما ما عدا ذلك فالواجب أن ينظر فيه‬,‫ الوجه المقصود معلوما فقط‬ebd. (Übersetzung d. Verf.)

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ar-Rummānī (gest. 384/994). Letztgenannter ist bekannt für sein wichtiges Werk zur Unnachahmbarkeit des Korans „An-Nukat fī iʿğāz al-Qurʾān“, in dem er sein Metapher-Konzept vorstellt, das auf der in der arabischen Literaturtheorie schon damals weitestgehend akzeptierten semantischen Übertragung beruht. Rummānīs Interesse galt nicht primär der Koraninterpretation an sich, vielmehr war sie eher ein Randaspekt seiner Arbeit, die sich stärker der Analyse der koranischen Sprache und Rhetorik widmete.41 Rhetorik ist nach Rummānī’s Definition: „ʾīsālu al-maʿnā ilā l-qalb fī aḥsan ṣūratin mina l-lafẓ“ „die Vermittlung des Sinnes an das Herz mittels der bestmöglichen Ausdrucksform“42. Daran lässt sich der hermeneutische Ansatz von Rummānī erkennen, der auf die Erforschung emotionaler Effekte der koranischen Rhetorik zielt und wie sie den Rezipienten in seinem tiefsten Inneren erreicht. Das Konzept hinter dieser Untersuchung der Unnachahmbarkeit des Korans bei diesem Exegeten besteht in dem Versuch der Analyse göttlicher Rede in totaler Abgrenzung zu menschlicher poetischer Sprache. Daher ist es verständlich, dass Rummānī in seinem genannten Werk für die Erklärung seiner Metapher-Theorie fast nur koranische Beispiele zitierte, in wenigen Ausnahmen Beispiele aus der arabischen Poesie zur Hilfe heranzog.43 Nach seiner Aufteilung der arabischen Rhetorik in drei Stufen stellt der Koran für ihn die höchste Stufe rhetorischer Ästhetik dar, was er auf seine Unnachahmbarkeit zurückführt.44 Er behandelt mehrere stilistische Mittel, darunter al-ʾīğāz; (Syllepse) entweder durch Verkürzung oder Auslassung eines Wortes, at-tašbīh; die „Verähnlichung“ oder den Vergleich, al-istiʿāra (‫)االستعارة‬: die Allegorie und al-mubālaġa; Hyperbel; die starke Übertreibung. Da nicht alle Kategorien hier behandelt werden können, beschränke ich mich auf ein Beispiel im Bereich der Allegorie. Rummānī bestimmt den Unterschied zwischen der Allegorie und dem Vergleich als Tropen dadurch, dass die Allegorie eine Übertragung von einem ursprünglichen zu einem metaphorischen Sinn darstellt, im Gegensatz zum Vergleich, der von der Übertragung des ursprünglichen Wortsinns zu einem anderen Sinn führt, da er sich zu diesem Zweck sprachlicher Mittel (z.  B. durch Präpositionen: wie ka, ‫ ك‬oder miṯl, ‫ )مثل‬bedient, die die Übertragung vollziehen.45 Ein Beispiel für einen rhetorischen Vergleich im Koran gibt Rummānī mit dem Vers,

41 Abū Zaid, Naṣr Ḥāmid. Al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 118. 42 Ar-Rummānī, ʿAlī ibn ʿIsā. „An-Nukat fī iʿğāz al-Qorʾān.“ In Ṯalāṯ Rasāʾil fī iʿğāz al-Qurʾān, li-r-Rummānī wa-l-Ḫaṭṭābī wa ʿAbd al-Qāhir al-Ğurğānī fī ad-dirāsāt al-Qurʾāniya wa-n-naqd alAdabī hg. v. Aḥmad Ḫalaf Allāh und Muḥammad Zaġlūl Sallām. Kairo, ³1956, 75. 43 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 118. 44 Ar-Rummānī. An-Nukat fī iʿğāz al-Qurʾān, 76. 45 Ar-Rummānī, 85–86.

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Koran (24/39): „Die Werke derjenigen aber, die ungläubig sind, sind wie eine Luftspiegelung in einer Ebene, die der Durstige für Wasser hält. Wenn er dann dorthin kommt, findet er, dass es nichts ist; aber er findet Allah da, Der ihm dann seine Abrechnung in vollem Maß zukommen lässt.“46 Die Allegorie ist demnach also „die Zusammensetzung von zwei Sachverhalten durch einen gemeinsamen Sinn, wodurch der eine durch den anderen mehr an Klarheit gewinnt“47. Als Beispiel dafür nennt Rummānī den Vers (25, 23): „Und Wir werden Uns den Werken zuwenden, die sie gewirkt haben, und werden sie wie verwehte Stäubchen zunichte machen.“ Im arabischen Original steht nicht das Verb zuwenden sondern kommen,48 also wortwörtlich im Sinne von „wir kamen uns ihre Werke zu begutachten und wir machten sie zu verwehtem Staub“. Die deutsche Koranübersetzung hat hier ebenfalls die allegorische Bedeutung übersetzt und sich nicht an den Wortlaut gebunden.49 Dazu sagt Rummānī: „die tatsächliche Bedeutung von qadimnā hier ist ʿamidnā, aber qadimnā ist rhetorisch besser, weil er dadurch zeigt, dass er sie so behandelt, als käme er von einer Reise und hätte ihnen so aufgrund seiner Abwesenheit die Zeit gegeben, aber er traf ein und fand sie im Ungehorsam vor. Darin ist eine Warnung für diejenigen zu lesen, die sich Zeit lassen. Die gemeinsame Bedeutung, ist hier nach Rummānī die Gerechtigkeit, „weil die Zuwendung, um das Schlechte zu unterbrechen, gerecht ist“50. Einmal abgesehen von dieser sprachlichen Erklärung hat dieser Vers auch eine theologische Komponente, die Rummānī als bekennender Muʿtazilit in diesem Zusammenhang nicht anspricht. Das Kommen (qudūm) von Gott wird einzig durch das Zuwenden gedeutet. Er sagt, dass dies für die rhetorische Klarheit besser und hinsichtlich ihres Effektes bei dem Zuhörer stärker ist, deswegen spielt das Kommen, im Sinne einer Bewegung von einem Ort und dem Eintreffen zu einem anderen gar keine Rolle bei der Deutung dieses Verses, was auf seine muʿtazilitische Schulzugehörigkeit hindeutet.51 Die Muʿtazila lehnen nämlich die körperliche Bewegung als eine Eigenschaft Gottes, ab.

46 Ebd., 81. ‫والذين كفروا أعمالهم كسراب بقيعة يحسبه الظمآن ماء حتى إذا جاءه لم يجده شيئا ووجد الله عنده فوفاه‬ ‫ حسابه والله سريع الحساب‬Koran (24/39) Nach Bubenheim und Nadeem-Übersetzung. 47 ‫ …و كل استعارة بليغة فهي جمع بين شيئين بمعنى مشترك بينهما يكسب بيان أحدهما باآلخر‬Rummānī, 86. 48 ‫ وقدمنا إلى ما عملوا من عمل فجعلناه هباء منثورا‬Koran (25/23). Das Verb ‫ قدمنا‬wird bei den Kommentatoren u.  a. al-Baġawī und aṭ-Ṭabarī, sowie hier auch bei ar-Rummānī mit zuwenden erklärt. 49 Paret-Koranübersetzung (25, 23). 50 Rummānī, 86. 51 Abū Zaid, 121.

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Muʿtazilitische Koranexegese der Zayidiyya-Šīʿa-Imame Zu einer umfassenden historischen Betrachtung der Entwicklung muʿtazilitischer Exegese sollte man den šiʿitischen-imāmitischen und zaiditischen Beitrag nicht außer Acht lassen. Die Prominentesten Exegeten hierbei sind aš-Šarīf ar-Raḍī (406/1016), der auch ein mutašābih-Werk mit dem Titel: „Haqāʾiq at-Taʾwīl fī mutašābih at-Tanzīl“ und eine Zusammenfassung desselben unter dem Namen: „Talḫīṣ al-bayān fī mağāzāt al-Qurʾān“ verfasste. Von größerer Bedeutung ist sein Bruder aš-Šarīf al-Murtaḍā; dessen Werk Amālī zahlreiche frühere muʿtazilitische Interpretationen und Lehrmeinungen dokumentiert und verwendet.52 Viel enger am muʿtazilitischen von Mehrdeutigkeit ausgehendes TaʾwīlKonzept steht der šīʿitische Zweig der Zaydiya. Dem Imām al-Qāsim b. Ibrāhim ar-Rass und seinem Enkel Yaḥyā b. al-Ḥusain werden Abhandlungen zu muta­ šābih-Genre zugeschrieben. In einer interessanten Passage aus der Abhandlung von al-Qāsim ar-Rass „Kitāb uṣūl al-ʿadl wa- t-Tawḥīd“ wird muḥkam und mutašābih im Zusammenhang mit dem Gottesdienst (ʿibāda) behandelt.53 Danach teilt sich ein richtiger Gottesdienst in drei Teile auf: 1. das Wissen von Gott; 2. das Wissen davon, was Gott erfreut und was Ihm missfällt; 3. das Befolgen dessen, was Ihn erfreut und das Vermeiden dessen, was Ihm missfällt.54 Diese drei Prinzipien stellen die Vervollkommnung des Gottesdienstes und Gottesverehrung dar und alle Formen des Gottesdienstes finden innerhalb dieser drei Prinzipien statt. Diese Gottesdienstformen haben ihren Ursprung in drei Beweisen, die Gott gegenüber seinen Untertanen geltend gemacht hat, nämlich: die Vernunft, das Buch und der Prophet. Jeder dieser drei Beweise hat einen Grundsatz (aṣl) und einen Zweig (farʿ) und der Zweig wird auf seinen Grundsatz zurückgeführt.55 Der Grundsatz für die Vernunft ist das, was den Konsens der Vernünftigen (Iğmāʿ al-ʿuqalāʾ) bildet und worüber sie sich nicht im Dissens befinden. Der Zweig dagegen ist das, worüber ihre Meinungen auseinander gehen. Der Mangel an Konsens tritt ein „aufgrund der Verschiedenheit in der rationalen Untersuchung und Differenzierung bei dem, was rationale Untersuchung und Argumentation (istidlāl)

52 Fudge, 123. 53 Naṣr Ḥāmid Abū Zaid zählt diese Abhandlung von ar-Rass zu den ersten Versuchen, durch den muḥkam und mutašābih eine Verbindung zwischen rationalen Grundsätzen der Muʿtazila und der koranischen Offenbarung herzustellen. Vgl. Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 164. 54 ar-Rass, al-Qāsim b. Ibrāhim. „Kitāb uṣūl al-ʿadl wa- t-Tawḥīd.“ In Rasāʾil al-ʿadl wa-t-Tawḥīd, Bd. 1, hg. v. Muḥammad ʿImāra, 124. Kairo ²1988. 55 ‫ و الفرع مردود الى أصله‬,‫ لكل حجة من هذه الحجج أصال و فرعا‬ebd., 125.

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erfordert. Diese rationale Argumentation beruht auf die Erschließung der unbekannten abwesenden Bedeutung durch den bekannten gegenwärtigen Beweis.“56 Es hängt also von der Untersuchungsfähigkeit des Prüfers und seiner Argumentation ab, wie seine Wahrnehmung der Wahrheit der zu prüfenden Fragen ist. Der Grundsatz des koranischen Buches ist der Muḥkam, worüber es keine Meinungsverschiedenheit gibt und dessen Deutung nicht außerhalb des offenbarten Textes geschieht.57 Sein Zweig ist der mutašābih, der auf seinen Grundsatz; al-muḥkam, zurückgeführt wird, worüber unter den Interpreten kein Dissens herrscht. Nach der Klarstellung dieser Prinzipien geht ar-Rass zum Angriff auf die Anhänger traditionalistischer Methoden über, die er hier polemisch „al-Ḥašwiyya“ nennt. Die Muʿtazila benutzten diesen Kampfbegriff gegen ihre Gegner, die der rationalen Deutung der Offenbarung kritisch gegenüber standen. Im Arabischen bedeutet das Verb ḥašā füllen oder ausstopfen, mit al-ḥašw meint man den Akt des Füllens, wenn man zum Beispiel ein Kissen mit Federn ausstopft. Im Übertragenen wird damit das Überflüssige, das nicht gebraucht wird, bezeichnet58 und daher wird in der arabischen Rhetorik eine Rede als ḥašw getadelt, wenn der Redner bei der Vermittlung eines bestimmten Inhalts dazu neigt, sich sinnlos zu wiederholen. Die Bezeichnung ḥašwiyya ist ferner im Sinne der muʿtazilitischen Traditionskritik zu verstehen. Die Muʿtaziliten gehörten zu den ersten, die die Methoden der Hadithsammlung kritisierten, insbesondere hinsichtlich der Authentizität der Berichte aber auch hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit der Vernunft. Für sie waren viele dem Propheten zugeschriebene Geschichten nichts anders als „ḥašw“, also sinnlose erfundene Geschichten oder unkritisch aufgenommene Traditionen. Ferner weist der Begriff auf eine anti-rationale Grundeinstellung der Traditionalisten hin, die sich an den äußeren Sinn richtet und möglichst eine interpretationsfreie Textexegese betreibt. Ar-Rass sagt in diesem Zusammenhang: Die Ḥašwiyya unter den Muslimen lehnten es ab, die mehrdeutigen Verse auf die klaren und eindeutigen Verse zurückzuführen, und sie behaupteten, dass das Buch sich nicht selbst erklärt, (lā yaḥkumu baʿḍuhu ʿalā baʿḍ), und dass jeder Vers in ihm dadurch beständig und in seiner Bestimmung aufgrund seiner Herabsendung und seiner Deutung verpflichtend ist. Aus diesem Grund sind sie dem Anthropomorphismus (tašbīh) verfallen und verteidigten ihn auf Grundlage dessen, was sie in mehrdeutigen Stellen des Korans hörten, die sie nicht gegen die Verse überprüften, die den tašbīh leugnen.59

56 ‫ الختالف النظر و التمييز فيما يوجب النظر و االستدالل بالدليل الحاضر المعلوم على المدلول عليه الغائب المجهول‬ebd. 57 ‫( الذي ال يخرج تأويله مخالفا لتنزيله‬Übersetzung des Verf.) ebd. 58 Al-Ğurğānī. Muʿğam at-Taʿrifāt, hg. v. Muḥammad Ṣiddīq al-Minšāwī, 77. 59 Ar-Rass. Kitāb Uṣūl al-ʿadl wa- t-Tauḥīd, 125–26.

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In dieser Passage erklärt al-Rass die Dichotomie von Eindeutigem (muḥkam) und Mehrdeutigem (mutašābih) zu einem Prinzip der koranischen SelbstExegese. Der Irrtum der Traditionalisten bestehe ihm zufolge darin, dass sie das Mehrdeutige nicht durch seine Rückführung auf das Eindeutige erklärten, wodurch sie dem Koran seine Fähigkeit zur Selbsterklärung abgesprochen hätten, die durch diesen Dichotomie-Diskurs im Koran selbst strukturiert worden sei. Aus seiner Widerlegungsschrift gegen die Mušabbiha (die Anhänger des Anthropomorphismus): „Kitāb al-ʿadl wa-t-tawḥīd wa-nafiy at-tašbīh ʿan Allāh al-Wāḥid al-Ḥamīd“ gibt uns ar-Rass ein Beispiel für dieses Dichotomie-System der koranischen Selbst-Erklärung.60 Nach ihm haben die Anthropomorphisten den Vers „wūğūhun yawma ʾiḏin nāẓira“61 falsch verstanden, insofern sie ihn als Beweis für die physische Sichtbarkeit Gottes im Jenseits erklären. Dieser Vers ist jedoch nach ar-Rass nicht allein maßgebend in dieser Frage. Eindeutiger zum Problem der Gottesschau ist nämlich „lā tudrikuhu al-abṣār wa hūwa yudriku al-abṣār“62, der die Sicht Gottes kategorisch ausschließt. Dies stimme auch mit der Deutung der Gelehrten überein, stellt al-Rass fest. Sie erklärten nāḍira mit schönen strahlenden Gesichtern und ilā rabbiha nāẓira mit auf Seine Belohnung und Seine Gnade und Barmherzigkeit wartend. Dies würde auch den Gewohnheiten der Araber in ihrer Sprache entsprechen, in der der Koran herabgesandt wurde.63

Koranexegese bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār ʿAbd al-Ğabbār ist eine überragende Figur muʿtazilitischer Theologie. Zu seinen vielen Schriften gehört der Korankommentar al-Muḥīṭ, der leider verschollen ist. Seine koranhermeneutischen Ansichten lassen sich aber auch in zahlreichen Stellen in seiner umfangreichen Summa Theologica „al-Muġnī fi Abwāb at-Tauḥīd wa-l-ʿadl“ und in seiner Schrift „Šarḥ al-uṣūl al-ḫamsa“ finden. Sein Koranexegetisches Werk, das sich explizit der Frage der Interpretation des Koran und vor allem in Zusammenhang mit dem Problem der Mehrdeutigkeit seiner Aussagen

60 Vgl. hierzu auch Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 166. 61 „Am Jüngsten Tag wird es strahlende Gesichter geben“ Koran (75/22). 62 „Die Blicke erfassen Ihn nicht, Er aber erfasst die Blicke“ Koran (6/103). 63 al-Qāsim ar-Rass. „Kitāb al-ʿadl wa-t-tawḥīd wa-nafiy at-Tašbīh ʿan Allāh al-Wāḥid al-Ḥamīd.“ In Rasāʾil al-ʿadl wa-t-Tawḥīd, Bd. 1, hg. v. Muḥammad ʿImāra, 133. Kairo ²1988.

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widmet, ist das in zwei Bänden verfasste „Mutašābih al-Qurʾān“, das vom syrischen Gelehrten ʿAdnān Zarzūr ediert und herausgegeben wurde.64 Wie oben schon erwähnt, bildet der Mutašābih-Kommentar ein spezielles Genre, es ist sozusagen eine Unterkategorie des Korankommentars, die weitestgehend, aber nicht ausschließlich mit der Muʿtazila assoziiert wird.65 Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār beginnt sein Buch mit einer Einführung über die Grundlagen muʿtazilitischer Exegese. Der entscheidende Punkt in diesen Ausführungen ist die Hervorhebung der Bedeutung der Vernunft in dem Sinne, dass er die Interpretation als Gegenstand der Schlussfolgerung aus den Schriftquellen ansieht und der Sprache in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zukommt. Es geht zuerst um die Frage, wie man aus dem Koran eine Schlussfolgerung richtig ableitet und inwiefern er, epistemologisch gesehen, eine Quelle für einen Beweis darstellt. Als Muʿtazilit ist al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār der Überzeugung, dass Gottes Rede im Koran nicht als eines seiner Wesensattribute, sondern als eines seiner Tatattribute (ṣifāt fiʿl) verstanden werden sollte, da diese Rede auf einer besonderen Weise erschaffen worden sei (muḥdaṯ ʿalā wağh maḫṣūṣ)66. Sie sei zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit der Intention gekommen, dem Menschen zu seinem Besten zu verhelfen. Daher habe sie auch einen bestimmten Sinn (dalāla). Für das Vorliegen eines bestimmten Sinnes durch eine Rede gibt es für die Muʿtazila zwei wichtige Voraussetzungen: Die erste ist das Vorliegen einer vorausgehenden Vereinbarung (mūwāḍaʿa sābiqa)67 und die zweite ist das Wissen von der Absicht

64 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Mutašābih al-Qurʾān (2 Bde.), hg. von ʿAdnān Muḥammad Zarzūr. Kairo: Dār at-Turāṯ,1969. 65 Fudge, 121. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die aktuelle Herausgabe eines gleichnamigen Werks „Mutašābih al-Qurʾān“ von einem bisher wenig bekannten Gelehrten Rukn ad-Dīn Abū Ṭāhir aṭ-Ṭariṯiṯī. Dieser muʿtazilitische Theologe lebte, Schätzungen zufolge, im 4/5. Jahrhundert der Hedschra. Edition und Herausgabe wurde von Dr. ʿAbd ar-Raḥmān Sulaimān as-Sālimī durchgeführt. Vgl. Aš-Šarq al-Awsaṭ (Online Version), Nr. 13538, Dienstag, 03. Nov. 2015. (Browser-Link leider defekt). 66 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 10. 67 Darunter versteht ʿAbd al-Ğabbār die Vereinbarung von Sprechenden Akteuren, die auf das bloße Hinweisen auf einen Gegenstand beruht, mit dem Ziel, ihm einen Namen zu geben. Diese Vereinbarung setzt voraus, dass keine Beziehung zwischen dem Namen und dem Genannten besteht. Der Sprechende weist mit einem von ihm erfundenen Namen auf den genannten Gegenstand hin, um über ihn eine mitteilende Aussage zu machen. Die zentrale Aufgabe der Sprache nach al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār ist das Mitteilen, dazu stellt der sprechende Akteur Verbindungen zwischen sprachlichen Indizien (išārāt) her, um darüber eine mitteilende Aussage zu machen. z.  B. die Aussage „der Himmel ist schön“ sei ein Hinweis auf zwei verschiedene Gegenstände, das heißt; der Himmel und die Schönheit und die Verbindung zwischen den beiden geschieht durch den sprechenden Akteur. Vgl. Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-tafsīr, 122.

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des Redners, da man nach ʿAbd al-Ğabbār über die Wahrheit einer Aussage nicht endgültig urteilen kann ohne Erkenntnis über den Zustand und die Absicht des Redners erlangt zu haben.68 Wir können sonst nur über den Inhalt und die Form der Aussage urteilen, aber nicht über den Grund für diese Aussage.69 Für den Koran bedeuten diese Überlegungen, dass seine Interpretation erst richtig unternommen werden kann, wenn man von Gott und den Eigenschaften seines Wesens des Taūḥīd und der Gerechtigkeit Erkenntnis hat. Diese Erkenntnis hat für den Interpreten den Nutzen, dass er weiß, ein gerechter Gott würde nicht lügen und nichts Böses tun, denn eine unwahre Aussage von Ihm wäre eine Lüge. Ein gerechter Gott nach muʿtazilitischer Dogmatik würde nicht etwas Böses tun.70 Die Kenntnis von der Einheit Gottes und seiner Gerechtigkeit gehört bei der Muʿtazila zur rationalen Erkenntnis (an-naẓar al-ʿaqlī) und beruht nicht auf einer aus dem Text abgeleiteten Argumentation (samʿī). Der Koran selbst muss also, wenn er als Argument dienen soll, einer rationalen Überprüfung standhalten. Für die Anhänger muʿtazilitischen Koran-Exegese besteht niemals die Möglichkeit eines ernsthaften Widerspruchs zwischen göttlicher Offenbarung und der Vernunft, da beide von Gott stammen und beide notwendig übereinstimmen. Die Berufung der Muʿtazila auf die Vernunft als letzte Instanz hat ihre Wurzel in ihrer Apologetik insbesondere gegenüber nichtmuslimischen Theologien. Die Muʿtazila wollten sich auf die Vernunft als Prinzip berufen, das bei richtiger Anwendung, Fehlerfreiheit und allgemeine Geltung beanspruchen würde.71 Wenn die Sinnhaftigkeit des Korans (dalāla) erst nach der rationalen Erkenntnis über Gottes Einheit und Gerechtigkeit erfolgen kann, dann wird der Text (der Koran) von der Vernunft abhängig. Die Muʿtazila räumten daher der Vernunft einen Vorrang gegenüber dem religiösen Text ein.72 Zudem, war für die Muʿtazila die Vernunft die Grundlage für die Verpflichtung des Menschen (taklīf). Der Irrtum desjenigen, der koranisch falsch interpretiert, beruht daher auf einer fehlerhaften rationalen Argumentation. Für die Muʿtazila besteht einer der Unterschiede zwischen dem rationalen Beweis und dem Beweis aus dem heiligen Text darin, dass der Vernunftsbeweis keine Verwechselung bzw. Unklarheit aufgrund sprachlicher Metaphern duldet, während dies beim Koran theoretisch

68 ‫ ألنه ال يمكن أن يعلم صحة‬,‫ ال يصح أن يستدل بكالمه‬,‫ و ال يعلم أنه ممن ال يتكلم اال بحق‬,‫أن من ال يعرف المتكلم‬ ‫ كالمه اال بما قدمناه‬al-Muġnī, Bd. 16, 395. 69 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 1. 70 Ebd. 71 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 181. 72 Ebd., 182.

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möglich ist, da seine Rhetorik häufig sich eines metaphorischen Sprachgebrauchs bedient.73 Der zweite Unterschied besteht darin, dass die Sprache erst dann sinnvolle Aussagen produzieren kann, wenn man die Intention des Redners kennt.74 Dies zeigt nach Naṣr Ḥāmid abū Zaid, dass al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār die Sprache zu einer weiteren Art rationaler Argumentation zählt.

Al-Muḥkam und al-Mutašābih bei al-Qāḍī ʿabd al-Ğabbār Wenn die Sprache eine Art der Erweiterung der rationalen Beweisführung ist, die zum Wissen führt, dann ist es logisch, dass sie –wie die anderen Arten– auch in ihrer Erkennbarkeit einmal klar und einmal unklar ist. Auf der Ebene des Korans bedeutet dies, dass die klaren Aussagen (al-muḥkam) den klaren Beweis und die unklaren Aussagen (al-mutašābih) die unklaren Beweise darstellen, die einer weiteren Prüfung bedürfen.75 Auf der Ebene der normalen menschlichen Sprache stellt jede Rede, die mit ihrem klaren Wortlaut einen Sinn ergibt, einen Beweis dar. Bei einer unklaren Rede dagegen, ergibt sich einen Sinn nur mittels eines weiteren Indiz (qarīna).76 Am Ende steht das gleiche Ergebnis, denn die Bedeutung des al-muḥkam und des al-mutašābih werden im Begriff der „echten“ (ḥaqīqiyya) und der metaphorischen Sprache gleich sein. In diesem Moment wird die Interpretation (taʾwīl) bei den mehrdeutigen Aussagen das Mittel sein, um ihre Undeutlichkeit durch ihre Rück-

73 Mit den Worten von Josef van Ess: „Die Vernunft arbeitet mit der Offenbarung zusammen, hat aber insofern den Primat, als die Offenbarung nicht selber ihre Richtigkeit beweisen kann.“ Ess, Josef van. „Sprache und religiöse Erkenntnis.“ In Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Akten des VI. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der société internationale pour l’étude de la philosophie médiévale 29. August – 3. September 1977, Bonn, Bd. 1/1, hg. v. W. Kluxen, 226–236. Berlin, 1981. 74 ‫ « وال يمكن أن يستدل به على إثبات فاعله‬، ‫اعلم أن كل فعل ال تعلم صحته وال وجه داللته إال بعد أن يعرف حال فاعله‬

‫ وال يعلم صحته‬، ‫ ألنه إن دل على حال فاعله‬، ‫ وإنما يمكن أن يستدل به على ما سوى ذلك من األحكام‬، ‫وال على صفاته‬ ‫ ومتى علم الشيء استغنى عن الداللة عليه‬، ‫ إال وقد علم فاعله ؛ أدى ذلك إلى أنه ال يدل عليه إال بعد المعرفة به‬Vgl. al-

Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 1. Vgl. auch Abū Zaid. al-Itiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 182. 75 Ebd., 183. 76 „If a speaker uses the equivocal utterance with an indicator, then this speech is no longer equivocal Belhaj, Abdessamad. “Interpretation and Reasoning in al-Qāḍī ʿAbd al-Jabbār’s Qurʾānic Hermeneutics.” In Tafsīr and Islamic Intellectual History. Exploring the Boundaries of a Genre, hg. v. Andreas Görke, Johanna Pink. Oxford: Oxford University Press, 2013, 273–288, 278.

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führung auf die eindeutigen Aussagen aufzulösen.77 Dabei wird die Metapher zum Hauptmittel der Interpretationsarbeit.78 Dieser Unterschied in der Klarheit und Unklarheit von Beweisen wird auf das eigene Wohl des Verpflichteten (maṣlaḥat al-mukallaf) zurückgeführt. Dieses Wohl wird in der Anregung der Vernunft gesehen, es ist nämlich möglich, dass das Wohl bei einigen Beweisen darin besteht, dass man sie allein und ohne weiteres erkennt und bei anderen Beweisen erst durch etwas anderes ihren Zweck erkennt. Siehst du nicht, dass die Gewohnheit so läuft, dass wir das deutlich Wahrnehmbare durch unsere Wahrnehmung zur Kenntnis nehmen? Wir wissen durch die Traditionen (al-aḫbār) aber erst durch ihre Wiederholungen. So sind auch die wahrnehmbaren Sachen, wenn sie sich der Wahrnehmung verschließen. Wenn es also möglich ist, dass das Wohl in diesen Wissenschaften, die Gott vollbringt, sich unterscheidet, so gibt es darunter Wissenschaften, die Gott von Anfang an (ibtidāʾan) vollbringt und andere, die er aus einem einzigen Grund und andere, die er aus vielerlei Gründen vollbringt, je nach seinem Wissen über deren Wohl/ Güte.79

Bei der Idee der Güte/ des Wohls (aṣ-ṣalāḥ) findet al-Qāḍī die Gelegenheit um auf die Frage nach der Bedeutung des Korans einzugehen: wenn die Vernunft allein den Menschen zur Gotteserkenntnis samt seinen Eigenschaften der Einheit und der Gerechtigkeit befähigt, wozu braucht man dann der Text? An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass ʿAbd al-Ğabbār keinen fundamentalen Unterschied zwischen dem rationalen und dem sprachlichen Indiz (qarīna) macht, er betrachtet lediglich das rationale Indiz als überzeugender und vor allem evidenter.80 Er verbindet das Vorkommen von muḥkam-Aussagen im Text mit der rationalen Verpflichtung (taklīf ʿaqlī) und der Notwendigkeit zur rationalen Prüfung. Dadurch erfüllt al-muḥkam die Funktion, den Verstand anzuregen und ihn zum Fragen, Suchen und Argumentieren (rationalen Einsicht; an-naẓar) zu bewegen, welches nach al-Qāḍī eine göttliche Mildtätigkeit (luṭf) ist. Er sagt hierzu: Gott der Erhabene sprach so, um den Fragenden zum Suchen und Argumentieren zu bringen, nach der Art wie der Verstand die Beweise gebraucht. Oder weil Er wusste, dass,

77 “The indicator binds the equivocal by subordinating it to the univocal” Belhaj, 278. 78 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 183. Nach Belhaj ʿabd al-Ğabbār vertitt die Ansicht, taʾwīl stelle eine Rückkehr zum tafsīr dar: „ʿAbd al-Jabbār understands taʾwīl as a return to the fundamental sense of an utterance; he infers that taʾwīl could only be a return to tafsīr, which is the foundation of qurʾanic hermeneutics.” Belhaj, 276. 79 Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 18. (Übersetzung des Verf.) 80 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 185.

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wenn der Verpflichtete davon gehört und darüber nachgedacht hat, er so näher an das richtige Argumentieren herankäme, als wenn er davon nie gehört hätte, dieser Vorteil macht die so entstandene Rede frei von Sinnlosigkeit.81

Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār besteht auf der Verbindung zwischen den koranischen Versen und den rationalen Beweisen und der Notwendigkeit der Rückführung der ersten Verse auf die letzteren, vor allem bei denen, die durch ihren offensichtlichen Ausdruck kein Indiz darstellen. Deswegen musste er viele der gängigen Definitionen des muḥkam und mutašābih, die vor ihm und in seiner Zeit bekannt waren und die al-Ašʿarī in seiner Maqalāt-Häresiographie aufzählt82, zurückweisen. Er lehnt zum Beispiel die Meinung ab, die besagt, dass al-muḥkam und al-mutašābih mit al-nāsiḫ und al-mansūḫ gleichzusetzen seien. Die Sprache würde diese Erklärung nicht unterstützen. Al-mansūḫ kann vielleicht schon durch sein Äußeres (ẓāhir) ein klares Indiz sein und somit zur Kategorie des muḥkam gehören, auch wenn es aufgehoben worden sei. Dasselbe gilt für die koranischen Erzählungen (al-qaṣaṣ). Wenn damit ein bestimmter offensichtlicher Sinn gewollt ist, dann würden sie auch zur muḥkam-Kategorie gehören.83 Al-Qāḍī lehnt es ferner ab, die Einzelbuchstaben am Anfang mancher Suren als mutašābih zu bezeichnen. Er vertritt in dieser Frage die Meinung von al-Ḥasan al-Baṣrī wonach die Anfangsbuchstaben nichts anders als die Namen dieser Suren seien.84 Im Zusammenhang mit seinem Standpunkt bezüglich der Auslegung des umstrittenen Verses (3,7) „wa mā yaʿlamu taʾwīlahu illā Allāh wa-r-rāsiḫūn fī al-ʿilm“, bringt er hier eine grammatikalische Untermauerung für sein Argument. Eine nach seiner Auffassung richtige Lesart des Verses wäre, dass „die im Wissen Verankerten“ neben Gott zu denjenigen zählen, die in der Lage sind, die unklaren Aussagen des Buches zu deuten. Der Satz muss als eine Einheit gelesen und nicht nach dem Wort Allah abgetrennt und neu angefangen werden. In dieser Folge liest man dann, dass die im Wissen Verankerten die Interpretation des Mehrdeutigen kennen und „sie sagen als Lob, sie glauben daran, [„Wir glauben daran. Alles (, was der Koran enthält,) ist von Gott, unserem Herrn.“] weil derjenige, der von

81 Mutašābih al-Qurʾān, (Übersetzung des Verf.) 4. Vgl. al-Muġnī, Bd. 16, 373–376, sowie: Šarḥ al-uṣūl al-ḫamsa, 599–600. 82 Maqālāt al-Islāmiyyīn, 293, 295. 83 Mutašābih al-Qurʾān, 20. 84 Mutašābih al-Qurʾān, 16–17.

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einer Sache Wissen hat und dies mit seiner Bestätigung kundtut, dann mehr tat als er müsste, und wenn er es weiß und es leugnet, dann ist es tadelnswert“85 Al-Qāḍī vergisst nicht in seiner Einleitung zum mutašābih al-Qurʾān die Behauptung, der Koran beinhalte einen Widerspruch in sich, indem er sich einerseits als muḥkam und andererseits als mutašābih beschreibt86, zu widerlegen. Für ihn bedeuten al-iḥkām im ersten Vers und at-tašābuh im zweiten nicht unbedingt einen Widerspruch. Er führt „al-iḥkām“ im ersten Vers hier auf die Unnachahmbarkeit des Korans (iʿğāz al-Qurʾān) und die Mehrdeutigkeit „at-tašābuh“ auf die Gleichheit (at-tasāwī) seines Nutzens und seiner Sinnhaftigkeit zurück und sagt: ihn (Koran) in seiner Gesamtheit mit muḥkam zu beschreiben (…) ist darauf zurückzuführen, dass Gott der Erhabene ihn in seiner Unnachahmbarkeit und Sinnhaftigkeit so klar und eindeutig geschrieben hat, dass sein Sinn und Bedeutung sich durch nichts stören lässt. Und er hat die Gesamtheit des Korans mit mutašābih beschrieben, weil damit gemeint war, dass die Gesamtheit des Korans im Sinne der maṣlaḥa und als ein Beweis für die Prophetie herab gesandt wurde. In ihrer Eigenschaft vergleichbare Dinge werden in der Regel als ähnlich (mutašābiha) beschrieben.87

Al-Qāḍī macht die Bedeutung des Korans von der Vernunft abhängig auf der Grundlage der Maxime, dass die Sprache erst dann sinnvolle Aussagen machen kann, wenn man den Inhaber der Aussage kennt. Auf gleicher Linie bleiben bei ihm auch al-muḥkam und al-mutašābih von dieser rationalen Erkenntnis aufgrund ihrer Sinnhaftigkeit abhängig.88 Al-Qāḍī ist der Meinung: dass al-muḥkam auf der einen Seite dem mutašābih gleicht und auf einer anderen sich von ihm unterscheidet. (…) Sie gleichen sich in der Hinsicht, dass man sie beide erst als Argument anwenden kann, wenn man Kenntnis von der Weisheit des Tätigen (al-fāʿil) erlangt und dass Er [Gott] sich unmöglich für das Böse entscheiden kann (…) Was den Gesichtspunkt angeht, worin sie sich unterscheiden, ist es nämlich der, dass al-muḥkam, sei es im Kontext der Sprache oder aufgrund dem Vorhandensein eines Indizes, nur auf einer einzigen möglichen Variante aufgefasst werden kann. Ein Empfänger, der von der Sprache und wie sie zum Ausdruck kommt und der dazu von den Argumentationsmethoden Wissen hat, kann deswegen auf der Stelle seine Bedeutung ermitteln. Al-mutašābih verhält sich dagegen anders, denn selbst wenn die Empfänger Wissende über die Sprache, ihre Aus-

85 Mutašābih al-Qurʾān, 15. Siehe auch al-Muġnī, Bd. 12, 173–177 und Bd. 16, 378–380. 86 Koran (11/1): „ʾalif lām rāʾ kitābun uḥkimat āyātuhu ṯumma fuṣṣilat“; Koran (39/23): „Allāhu anzala aḥsana l-ḥadīṯ kitābān mutašābihān maṯānī“ 87 Mutašābih al-Qurʾān, 20–21. (Übersetzung des Verf.) 88 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 188.

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drucksmöglichkeiten und Argumentationslogik sind, brauchen sie dennoch ein „anfängliches“ Denken und ein erneuerbares Reflektieren, um es auf eine mit dem muḥkam und dem rationalen Argument verträgliche Interpretation zu bringen. Dies ist dadurch klar geworden, dass der Erhabene den muḥkam als die Grundlage für den mutašābih bestimmt hat. Es muss deswegen zuerst das Wissen über den muḥkam den Vorrang erhalten, damit es gelingen kann den muḥkam zur Grundlage für den mutašābih zu machen.89

Nach Abū Zaid verharrt al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār auf der Idee der Reflexion, die mit der Argumentation (al-istidlāl) gleichzusetzen ist, weil sie seiner grundlegenden Vorstellung von der Sprache als einer Art rationaler Argumentation entspricht. Nach seiner Vorstellung unterscheidet sich die Rede von anderen Argumentationsmodellen dadurch, dass sie die Metapher ermöglicht welches der Grund ist, warum al-Qāḍī die Metapher-fähige Rede vom Vorwurf des Lügens freispricht.90 Die Metapher wird in traditionalistischen Kreisen im Zusammenhang mit der Deutung göttlicher Rede mit dem Argument abgelehnt, dass Gott auf eine metaphorische Ausdrucksart nicht angewiesen sein würde. Wortführer dieses Lagers erkennen die Metapher nicht als ein Merkmal menschlicher Sprache an und lehnen sie ab, weil sie in ihren Augen eine „versteckte“ Form von unwahrheitsmäßiger Rede (Lüge) ist, die dem erhabenen und gerechten Wesen Gottes, der das Böse nicht tut, nicht würdig ist. Das Bestreiten der Lüge beim mutašābih stellt eine Verteidigung der Metapher in der Sprache im Allgemeinen dar was wiederum die Verbindung zwischen beiden Sachverhalten bei al-Qāḍī zeigt, er sagt hierzu: Wisse, dass es möglich ist, dass ein Redner durch eine mehrdeutige Rede (al-kalām al-muḥtamal) die Wahrheit treffen kann, wenn er es auf die richtige Art und Weise verwendet, (…). Wahrheitsgemäße Aussagen (aṣ-Ṣidq) sind nicht auf die normale Sprache (alḥaqīqa) ohne die metaphorische Sprache beschränkt (…)91.

Wenn al-muḥkam durch sein Äußeres auf das hinweisen kann, worauf auch die Vernunft hinweist, so wird seine Heranziehung wichtig und notwendig im Streit mit denjenigen Gruppen, die an dem äußeren Sinn des Mehrdeutigen (mutašābih) festhielten. Die Wichtigkeit al-muḥkams beruht außerdem darauf, dass er eine Anregung für das Meditieren und eine Einladung zum Reflektieren und Argumentieren ist. ʿAbd al-Ğabbār sagt hierzu:

89 Mutašābih al-Qurʾān, 6–7. (Übersetzung des Verf.) 90 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 188. 91 Al-Muġnī, Bd. 16, 372. (Übersetzung des Verf.).

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Vor denjenigen, die sich von uns in der Lehre der Einheit und der Gerechtigkeit Gottes unterscheiden, können wir den muḥkam heranführen und denen zeigen, wie sie sich bei dem geirrt haben, woran sie im Allgemeinen glaubten. Dies ist mit dem mutašābih allerdings nicht möglich. Aus diesem Grund findest du in den Büchern unserer Gelehrtenväter – möge Gott Sich ihrer erbarmen – zahlreiche Abschnitte zu dieser Frage, in denen sie zeigen, dass je mehr sie sich vom Pfad des Verstandes entfernten, desto mehr entfernten sie sich vom Koran.92

Indem sich der Koran verschiedener Aussagearten, wie muḥkam und den mutašābih, sowie der metaphorischen Sprache (al-mağāz) bedient, vereinigt er dadurch die Sprache mit rationalen Argumenten und Indizien, die sich auch in ihrer Evidenz hinsichtlich klarer oder unklarer Erkennbarkeit unterscheiden. Hier wird eine Verbindung zwischen dem Koran und muʿtazilitischer Erkenntnistheorie hergestellt. Die Dichotomie von muḥkam und mutašābih auf der einen Seite entspricht den beiden Erkenntnisarten von notwendiger (ʿilm ḍarūrī) und erworbener Erkenntnis (ʿilm naẓarī muktasab) auf der anderen Seite. Al-muḥkam ist der notwendigen Erkenntnis in ihrer Evidenz und Offenkundigkeit, ohne auf die Argumentation angewiesen zu sein, ähnlich. Im Gegensatz dazu, ist der mutašābih unmöglich ohne die Reflexion (an-naẓar) und die Interpretation erkennbar. Ebenso verhält es sich mit dem theoretischen Wissen (ʿilm naẓarī) in seiner Abhängigkeit vom Denken und der Argumentation. Auf einer ähnlichen Ebene so, wie das notwendige Wissen die Grundlage für das theoretische Wissen bildet, stellt auch al-muḥkam die Grundlage für das Verständnis des mutašābih dar.93 Als Konsequenz wird die Interpretation die gleiche Funktion bekommen wie die Argumentation im Bereich theoretischer Erkenntnis. Zu einer dritten Kategorie rationaler Sinnhaftigkeit (dalāla ʿaqliya) wird die Sprache, die über eigene Voraussetzungen verfügt, um Sinn zu erzeugen. Dem Koran ist daher die rationale Beweisfähigkeit zu eigen, die in der Sprache vorhanden ist. Die Koranexegese bei ʿAbd al-Ğabbār stellt in diesem Zusammenhang nichts anders als eine rationale Beweisführung aus dem Text heraus (istidlāl) dar.

Literatur Abū Zaid, Naṣr Ḥāmid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr. (Dirāsah fī qaḍiyyat al-mağāz fī al-Qurʾān ʿinda al-Muʿtazila). Casablanca, 41998. Al-Ašʿarī, Abū al-Ḥasan. Maqālāt al-Islāmīyīn. Hg. v. Hellmut Ritter. Wiesbaden: Steiner, ³1980.

92 Mutašābih al-Qurʾān, 7. 93 Abū Zaid, 189.

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 Mourad Qortas

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Muhammed Ragab

An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie: Maǧāz in der muʿtazilitischen Kalām-Lehre In der Entstehungsphase der islamischen Wissensbereiche diente die arabische Sprache als Mittel zum Verstehen der Texte aus dem Koran und der Tradition, um daraus die praktischen Normen (aḥkām ʿamaliyya) in Fiqh und Glaubensansätze (aḥkām iʿtiqāḍiyya) in der Kalām-Lehre abzuleiten. Eine Aufgabe, die später von uṣūl al-fiqh (Methodenlehre des islamischen Rechts) übernommen wurde, jedoch ohne die Sprache auszuschließen. Zum Gegenstand dieses Wissensgebiets gehören mabāḥiṯ al-alfāẓ (Untersuchungen der Ausdrücke). Hier werden Themen wie ḥaqīqa / mağāz (veritativer und übertragener Sinn) und ištirāk al-alfāẓ (Ambiguität) untersucht. Hinsichtlich der Kalām-Lehre kannte ihre Geschichte mehrere Phasen und Herangehensweisen der Rationalität. Schon früh betrachteten Muʿtaziliten die Vernunft als das vorrangigste Argument und meinten, dass es innerhalb der KalāmLehre Fragen gebe, die nur durch rationale Argumente untersucht bzw. bewiesen werden können. In Bezug auf mehrere dieser Fragen vertraten die Muʿtaziliten Meinungen, die nicht unbedingt mit der wortwörtlichen Bedeutung einiger Koranstellen übereinstimmen. Deshalb zeigten sie Interesse an der sprachlichen Ausdeutung solcher Koranstellen, und legten einen großen Wert auf das Verhältnis von Sprache und Theologie. Viele der prominentesten Philologen gehörten zu den Muʿtaziliten, z.  B. al-Ğāḥiẓ (gest. 255/868) und Ibn Ğinnī (gest. 392/1002). Dank dieser u.  a. Gelehrter wurde eine philologisch-rationale Herangehensweise entwickelt, die diese Gelehrten beim Umgang mit Koranstellen, die sich mit theologischen Fragen befassen, angewandt haben. Diese Herangehensweise unterschied sich von der traditionalistischen Herangehensweise, die sich entweder auf Überlieferungen stützte, oder diese Koranstellen gemäß der wortwörtlichen Bedeutung auslegte. Dabei stützten sich diese Gelehrten immer wieder auf eine Kombination von philologischen Deutung und rationalen Argumenten, um Koranstellen, die sich z.  B. mit den theologischen Fragen der göttlichen Attribute oder Erschaffung des Übels befassen, abweichend von der wortwörtlichen Bedeutung auszulegen und damit für ihre theologischen Auffassungen den Beleg zu erbringen. Maǧāz (Trope, übertragener Sinn) als rhetorische Figur lag bei mehreren dieser Gelehrten im Fokus als Deutungsmittel. Die Präsenz des Maǧāz-Konzepts beschränkte sich demnach nicht auf die philologischen Studien, sondern erstreckte sich auf weitere islamisch-theolohttps://doi.org/10.1515/9783110588576-014

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gische Wissensgebiete. Ziel dieser Studie ist, das Verhältnis von Sprache und Theologie anhand des maǧāz zu untersuchen. Deshalb unternimmt der Verfasser den Versuch, die wichtigsten Entwicklungsphasen dieses Begriffs bzw. Konzepts im Laufe der Geschichte der islamischen Gelehrsamkeit  – besonders bei muʿtazilitischen Gelehrten – bis Maḥmūd b. ʿUmar az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144) im 6.  Jahrhundert zu untersuchen. Darüber hinaus wird die genannte philologisch-rationale Herangehensweise anhand eines ausgewählten Beispiels aus den Werken az-Zamaḫšarīs analysiert. Az-Zamaḫšarī, Philologe, Koranexeget und muʿtazilitischer Theologe, lebte in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. H. und verfasste Werke in verschiedenen Wissensbereichen der Philologie und Theologie. Darunter ist seine Koranexegese al-Kaššāf ʿan ḥaqāʿiq ġawāmiḍ at-tanzīl wa-ʿuyūn al-aqāwīl fī wuǧūh at-taʿwīl zu erwähnen, die er aufgrund einer Aufforderung einiger zeitgenössischen muʿtazilitischen Gelehrter, die sich sowohl auf theologische als auch philologische Wissensbereiche spezialisiert hatten, verfasste.(Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:97) Im Vorwort dieser Exegese zählte er zwei der drei Hauptbereiche der arabischen Stilistik, nämlich al-maʿānī und al-bayān zu den notwendigen Wissensgebieten, mit denen der Koranexeget vertraut sein muss.(Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:96)

1 Die Entwicklung von maǧāz als Konzept und Fachterminus Dass maǧāz von verschiedenen theologischen Schulen genutzt wird, um Koranstellen abweichend von der wortwörtlichen Bedeutung auszulegen, belastete die Untersuchung der historischen Entwickelung des maǧāz als Konzept oder als Terminus mit großen theologischen Meinungsverschiedenheiten. In einigen Fällen war dies der Grund dafür, die Existenz eines übertragenen Sprachgebrauches (mindestens im Koran) abzuerkennen.1 (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 2:453–54) Meistens wird eine Passage aus Kitāb al-Imān von Aḥmad b.ʿAbd al-Ḥalīm b. Taimiyya (gest. 728 /1328), dem muslimischen ḥanbalitischen Rechtsgelehrten und Theologen, zitiert, wenn man die historische Entwicklung von maǧāz untersucht. Bemerkenswert ist, dass diese Passage in einem Kontext vorkommt, in dem er das Verhältnis

1 Al-Maṭʿanī führt z.  B. die Einstellung von Ibn Taimiyya gegenüber maǧāz auf die übermäßige Deutung der Koran- und Ḥadīṯ-Texte durch maǧāz in Fragen der Kalām-Lehre zurück. (Vgl. AlMaṭʿanī 2007, 2:453–54)

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der Taten zum Glauben behandelt. Die Murǧiʾa war der Meinung, dass die Taten nur im übertragenen Sinne als (Teil des) Glaube(ns) zu betrachten sind. Um diese Meinung zu widerlegen, spricht er allgemein über die Dichotomie ḥaqīqa/maǧāz. Unter allen Umständen gilt diese Einteilung als eine Art Übereinkunft, die erst nach Ablauf der ersten drei Jahrhunderten stattfand. Davon sprachen weder die Prophetengefährten, noch die nachfolgende Generation noch die renommierten Gelehrten wie Mālik, aṯ-Ṯaūrī, al-Awzāʿī, Abū Ḥanīfa und aš-Šāfiʿī. Vielmehr sprach davon keiner der Sprach- und Syntaxgelehrten, wie al-Ḫalīl, Sībawaih, Abū ʿAmr b. al-ʿAlāʾ u.  ä. Bekannt als der Erste, der von dem Ausdruck [maǧāz] sprach, ist Abū ʿUbaida Maʿmar b. al-Muṯanna in seinem Buch. Er meint aber mit dem maǧāz nicht das Gegenteil des veritativen Sinnes. (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 73–74; Übers.  d. Verf.)

In der weiteren Behandlung dieser Frage schrieb er diese Einteilung den Muʿtaziliten und wie er weiter sagte, den ihnen ähnelnden Kalām-Gelehrten zu. (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 74) Die Einteilung der Sprachausdrücke in ḥaqīqa und maǧāz sei nach b. Taimiyya im 4.  Jahrhundert n. H. berühmt geworden, habe erst im 3. Jahrhundert n. H. angefangen und im zweiten Jahrhundert noch nicht existiert, es sei denn gegen dessen Ende. (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 75) Später erwähnte er den Namen des muʿtazilitischen Theologen Abū Hāšim al-Ğubbāʾī (gest. 321/933) im Zusammenhang eines Streits mit Abū al-Ḥassan al-Ašʿarī (gest. 324/936), Gründer der ašʿaritischen theologischen Schule. Gegenstand der Auseinandersetzung war der Ursprung der Sprachen, wobei al-Ğubbāʾī die Sprachen als „iṣṭilāḥiyya“ bezeichnete, d.  h. als Entwicklung durch menschliche Übereinkunft.2 (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 76.) Bei seiner o.  g. Darlegung sprach Ibn Taimiyya immer wieder von der Entstehung der ḥaqīqa und maǧāz als Fachtermini. Deshalb vertrat er die Auffassung, dass die Entstehung der beiden Begriffe bzw. die Unterscheidung zwischen ihnen erst auf das dritte Jahrhundert zurückgeht. Andere Forscher nennen aber einige Namen, die Ibn Taimiyya schon in seinem vorstehenden Zitat erwähnte, im Zusammenhang mit der Entstehung des maǧāz –als Konzept und nicht unbedingt als Fachterminus – und schreiben diesen Gelehrten zu, dass ihnen die Existenz übertragener Ausdrücke, übertragenen Sprachgebrauches und vielleicht auch der Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz auf die eine oder die andere Weise bewusst war.

2 Die Frage nach dem Ursprung der Sprache spielte eine wichtige Rolle in der späteren MaǧāzForschung wie z.  B. bei ʿAb al-Qāhir al-Ğurǧānī (gest. 471/1078)

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1.1 Maǧāz-Konzept im 2. Jahrhundert n. H. Naṣr Ḥāmid Abū Zaid forschte der die historische Entwicklung von maǧāz in seinem Werk „al-Itiǧāh al-ʻaqlī fī at-tafsīr“. Er beginnt damit, die Präsenz einiger mit maǧāz verbundenen Termini, wie maṯal (Gleichnis), istiʿāra (Metapher), „kināya“ (Metonomie) und der Verbstamm ǧawaza (überqueren) im Koran und in der frühen Literatur der Koranexegese darzustellen. (Vgl. Abū Zaid 1996, 93–110) Darüber hinaus führt al-Maṭʿanī in seinem Werk al-Maǧāz fī l-uġa wa-l-Qurʾān al-karīm bayna al-iǧāza wa-l-mānʿ das Maǧāz-Konzept auf die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts zurück und nennt den Grammatiker ʿAmr b. ʿUṯmān b. Qanbar, bekannt als Sībawaih (gest. 180/796) als den Ersten, der über die Dichotomie ḥaqīqa/maǧāz schrieb, auch wenn er diese Begriffe nicht benutzte. Einen Namen machte sich Sībawaih mit seinen Leistungen im Bereich der arabischen Grammatik. In den Werken früherer arabischer Grammatiker überlappten sich die semantischen mit den grammatischen Untersuchungen, sodass Sībawaih von einigen Forschern als Gründer der Lehre der Darstellung (ʿilm al-bayān) und der Bedeutungen (ʿilm al-maʿānī) angesehen wird. (Vgl. Abū Zaid 1996, 100) Nach al-Maṭʿanī sollte Sībawaih der Einstellung sein, dass es in der arabischen Sprache eine Art übertragene Ausdrucksmittel bzw. übertragenen Sprachgebrauch gibt. (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:17–18) In seinem al-Kitāb im Zusammenhang mit übertragenen Ausdrücken, benutzte Sībawaih einen anderen Terminus, nämlich ittisāʿ oder siʿat al-kalām (Bedeutungserweiterung). Zu den Beispielen, die er für diese Kategorie anführte, gehört: Frag die Stadt, in der wir waren! (Sure 12: Vers 82).

Sībawaih zufolge ist damit gemeint, dass die Stadtbewohner gefragt werden sollen. (Vgl. Sībawaih 1988, 1:212) Dies auch kann als maǧāz verstanden werden, da der Vers nicht über die Stadtbewohner redet, sondern über die Stadt selbst. Hier gibt es zwischen Bildspender und Bildempfänger ein örtliches Verhältnis. Außerdem hebt Benedikt Reinert in seinem Beitrag über maǧāz in der Encyclopaedia of Islam hervor, dass die Theorie von maǧāz die ersten Impulse aus der Untersuchung der Koranhermeneutik bekommen habe. Am Anfang habe man seiner Meinung nach unter maǧāz nicht die Trope im konkreten Sinne verstanden, sondern irgendeine Art Wendung, die aus semantischer, lexikographischer oder syntaktischer Sicht nicht selbstverständlich gewesen sei, sondern erklärungsbedürftig. (Vgl. B. Reinert 1986, 1026) Als Beispiel aus dieser Epoche führt er das Werk „Maǧāz al-Qurʾān“ des Philologen Abū ʿUbaida Maʿmar b. Al-Muṯanna (gest. 210/825) an (Vgl. B. Reinert 1986, 1026), der darin die Meinung vertritt, dass die

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Araber einige Elemente ihrer Sprache als Subjekt zu verwenden pflegen, während sie von der Bedeutung her Objekt sind, weil sie Adverbien sind, wo oder wann man Dinge macht.(Vgl. Abū ʿUbaida Maʿmar Ibn-al-Muṯannā at-Taimī 1988, 1:279) Solche Erklärung steht im Einklang mit den Erklärungen der späteren Philologen für maǧāz und weist darauf hin, dass auch Abū ʿUbaida vom übertragenen Sinn sprach, ohne es unbedingt als maǧāz zu bezeichnen. Dementsprechend kann man in dieser Phase, also bis Ende des zweiten Jahrhunderts nicht von maǧāz als Terminus sprechen, da es zu dieser Zeit mehrere Äquivalente dafür gab. Maǧāz als Terminus technicus hatte also, wie Heinrichs meinte, seine eigene Geschichte, bevor es sich mit dem Terminus ḥaqīqa verbindet. (Vgl. Heinrichs 1984, 111) In dieser Phase kann man von einem MaǧāzKonzept sprechen. Erst im dritten Jahrhundert wurde für dieses Konzept ein Fachterminus geprägt.

1.2 Maǧāz als Fachterminus im 3./4. Jahrhundert Im dritten und vierten Jahrhundert lebten und wirkten mehrere muʿtazilitische Philologen, die aber in dieser Epoche von maǧāz im Sinne von der Trope sprachen und den Begriff präziser gestalteten als Abū ʿUbaida. Dazu gehören auch al-Ğāḥiẓ und Ibn Ğinnī. Letztgenannter war der Erste in der Geschichte der arabischen Philologie, der eine (negative)3 Definition von maǧāz gab,(Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:87) nämlich: Ḥaqīqa ist der im Sprachgebrauch gemäß dessen ursprünglichen sprachlichen Prägung anerkannte Sinn, maǧāz ist aber der Gegensatz dazu. Bei drei Bedeutungsaspekten wird maǧāz zur Hilfe genommen und von ḥaqīqa abgewichen, nämlich bei Bedeutungserweiterung, einem Energikus und einem Vergleich. Wenn diese Kriterien fehlen, dann gilt ḥaqīqa. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1955, 2:442; Übers.  d. Verf.)

Er vertrat die Meinung, dass die übertragenen Ausdrücke die Mehrheit der sprachlichen Ausdrücke bilden. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:449) Als Philologe, der zu den Muʿtaziliten gehörte (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:97), schrieb Ibn Ǧinnī in seinem K. al-Ḫaṣāʾiṣ ein Kapitel mit dem Titel fī mā yuʾamminuhu ʿilm al-ʿarabiyya min al-ʿaqāʾid ad-dīniyya (Zu den Glaubenslehren, die durch Vertrautheit mit der arabischen Sprache bewahrt werden). Als Beispiel für solche Glaubenslehren erwähnt er koranische Stellen, aus denen eine anthropomorphistische Gottesvorstellung abgeleitet werden kann. Dass man aus diesen Stellen Allah anthropo-

3 D.h. er definierte ḥaqīqa und meinte, dass maǧāz das Gegenteil davon darstellt.

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morphe Eigenschaften zuschreibt, kritisierte er scharf. Seine Kritik begründete er damit, dass die Vertreter dieser Meinung mit der arabischen Sprache nicht vertraut sind. Diese Verse sollen seiner Meinung nach als mağāz gedeutet werden. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:245–55) Aus der Koranstelle „Am Tag, da ein Schenkel entblößt wird“ (Sure 68: Vers 42) abzuleiten, dass Allah ein Bein hat, ist seiner Meinung nach falsch. Vielmehr deutet er diese Stelle so, dass man an diesem Tag in Bedrängnis ist. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:251–53)

1.3 Etablierung von maǧāz im 4./5. Jahrhundert n. H. 1.3.1 Balāġa Das Konzept des übertragenen Sinnes bildete auch einen unabdingbaren Teil von ʿilm al-bayan, einer der Hauptbereiche der arabischen Stilistik. Gemäß ʿAbd al-Qāhir al-Ğurğānī (gest. 471/1078), einer der bedeutendsten Gelehrten in diesem Bereich, wird maǧāz als Folgendes definiert: Maǧāz ist aber jedes Wort, mit dem eine Bedeutung anderes gemeint wird, als die Bedeutung, was mit diesem Wort bei der entsprechenden Prägung durch seinen Präger belegt wurde, und zwar aufgrund einer Beziehung zwischen der zweiten (Bedeutung) und der ersten (Bedeutung). (Vgl. Al-Ǧurǧānī 1991, 351; Übers.  d. Verf.)

Al-Ğurğānī teilt maǧāz in zwei Arten ein, nämlich „maǧāz luġawī“ (lexikalische Trope), und „maǧāz ʿaqlī“ (verstandsmäßige Trope). Maǧāz luġawī unterteilt sich wiederum in zwei Arten, nämlich in istiʿāra (Metapher) und in maǧāz mursal (Synekdoche). Istiʿāra bedeutet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen aufgrund der Ähnlichkeit. Maǧāz mursal bedeutet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen aufgrund anderer Beziehungen als Ähnlichkeit (z.  B. örtliche, zeitige, kausale Beziehungen). Maǧāz ʿaqlī bedeutet Änderung logischer Zusammenhänge innerhalb des Satzes, z.  B. wenn einer Handlung eine Zeit- oder Ortsangabe anstelle des Subjekts zugeschrieben wird. In beiden Arten des maǧāz muss es ein qarīna (Indiz) geben, das darauf hinweist, dass es sich dabei um einen übertragenen, nicht veritativen Sinn handelt. Dieses Indiz ist entweder lafẓīa (verbal) oder ḥaliya (nicht verbal oder kontextbezogen).

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1.3.2 Uṣūl al-Fiqh Die Dichotomie ḥaqīqa/mağāz stellt daneben einen Teil der sprachlichen Untersuchungen in uṣūl al-fiqh dar. In diesem Bereich werden beide Begriffe unterschieden und für jeden Begriff die untergeordneten Kategorien untersucht. Die Muʿtaziliten hinterließen ihre Spuren auch hier. Im Vorwort des Werkes al-Muʿtamad fī uṣūl al-fiqh spricht der Verfasser Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī (gest. 436/1044) von al-ḥaqīqa wa-l-mağāz als eines der Hauptkapitel von uṣūl al-fiqh. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:8) Die beiden Begriffe versteht er wie folgt: Ḥaqīqa ist der Ausdruck, der auf etwas hinweist, das in der ursprünglichen entsprechenden Konvention, durch die der Sprechverkehr erfolgte, belegt wurde. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:11; Übers.  d. Verf.) Maǧāz ist der Ausdruck, der auf eine andere konventionelle Bedeutung hinweist als die kon­ ventionelle Bedeutung, die in der ursprünglichen entsprechenden Konvention, durch die der Sprechverkehr erfolgte, belegt wurde. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:11; Übers.  d. Verf.)

1.3.3 Kalām Im Bereich der Kalām-Lehre stimmt al-Qaḍī ʿAbd al-Ğabbār (gest. 415/1025) mit Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī in dieser Definition überein. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:13–14) Das Prinzip der entsprechenden Prägung (im Arabischen mwuāḍaʿa) findet sich auch in der Theologie bei den Muʿtaziliten. Als Definition für mağāz führt al-Qaḍī ʿAbd al-Ğabbār Folgendes an: Ein Wort wird aber als maǧāz bezeichnet, wenn dafür in einer Stelle ein veritativer Sinn belegt wird, wobei es in einem anderen Sinn mehrfache Anwendungen hat. (Vgl. ʻAbd al-Ǧabbār Ibn Aḥmad 1965, 11:359)

Dieses Interesse an maǧāz in der muʿtazilitischen Theologie und der Bedarf danach, die muʿtazilitischen rationalen Ansätze und den diesbezüglichen koranischen Stellen in Einklang zu bringen, spiegelte sich in dem Umgang mit dem koranischen Text wider. Dadurch entwickelte sich eine exegetische Herangehensweise, die bestimmte Koranstellen, die sich auf einige Kalām-Fragen beziehen, als maǧāz auszulegen versuchte. Zu den Hauptfiguren dieser Herangehensweise, gehört Maḥmūd b. ʿUmar az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144).

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2 Az-Zamaḫšarī, Leben und Werke 2.1 Frühes Leben und Reisen Az-Zamaḫšarī wurde im Jahre 467/1074 in Zamaḫšar (heute Izmukshir in Turkmenistan), woher sein Beiname stammt, in der Provinz Choresmien geboren. (Al-Ḥūfī 1966, 35) Sein Vater war Imām in dieser Stadt und lehrte ihn den Koran auswendig.(Vgl. Al-Andarasbānī 1982, 368) Im Laufe seines Lebens unternahm az-Zamaḫšarī viele Reisen. Er besuchte Buḫara, Chorasan, Isfahan, Baghdad, die Levante und Hamadan. Er hielt sich zwei Mal in Mekka auf, das erste Mal für zwei Jahre (ab 512/1118) und das zweite Mal für drei Jahre (ab 526/1131). Daraus leiten sich seine Bezeichnung und sein Beiname Ğāru-llāh ab. (Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 35) Im Jahre 538/1144 starb az-Zamaḫšarī in Ğurǧanīya, einem Ort in Choresmien. (Vgl. Ibn Ḫallikān 1977, 5:173)

2.2 Die Zugehörigkeit zu den Muʿtaziliten Auf seine muʿtazilitische Zugehörigkeit war az-Zamaḫšarī derart stolz, dass er sich, wenn er jemanden besuchte, als „Abū al-Qāsim al-muʿtazilī“ vorzustellen pflegte. (Vgl. Ibn Ḫallikān 1977, 5:173) In Bezug auf Fiqh gehörte er höchstwahrscheinlich der ḥanafītischen Rechtsschule zu. (Vgl. Ibn al-ʿImād 1986, 6:198) Die Präsenz der Muʿtaziliten war in Choresmien so stark, dass die Bezeichnung „ḫuwārizmī“ mit „muʿtazilī“ fast identisch war. Von einem gewissen al-Qāsim b. al-Ḥusain al-Ḫuwārizmī (gest. 617 n. H.) überliefert Yāqūt, dass er auf die Frage nach der Rechtsschule, der er folgt, antwortete: „Ich bin Ḥanafit, aber kein Ḫuwārizmī, kein Ḫuwārizmī.“ (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 5:2192; Übers.  d. Verf.) Damit wollte er nach Yāqūt betonen, dass er kein Muʿtazilit war. (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 5:2192)

2.3 Die Lehrer und Schüler az-Zamaḫšarīs Diese starke Präsenz der Muʿtazila verdankt Choresmien dem Philologen und Literaten Abū Muḍar Maḥmūd b. Ğarīr al-Ḍabbī al-Iṣfahānī (gest. 507/1114), der für die dortige Einführung der muʿtazilītischen Theologie verantwortlich war.4 4 Madelung bestreitet dies und vertritt die Meinung, dass Muʿtazilismus schon vor Abū Muḍar in Choresmien etabliert war. Weder erwähnt er aber Beweise noch stützt sich auf andere Quellen (Vgl. Madelung 2013, 468).

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(Vgl. Versteegh 1986, 433; Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2685–86, 2688). Bei Abū Muḍar lernte az-Zamaḫšarī Literatur (adab) und Grammatik. Er hatte einen tiefen Einfluss auf az-Zamaḫšarī. Als er starb, schrieb az-Zamaḫšarī für ihn ein Trauergedicht, in dem er das Wissen, das er von Abū Muḍar erwarb, als Perlen bezeichnete, die er in Form von Tränen von seinen Augen vergoss. (Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 48–49) Yāqūt rechnete auch einen anderen Gelehrten zu seinen Lehrern, Abū al-Ḥasan ʿAlī b. al-Muẓafar an-Naysābūrī, ohne ein Sterbedatum zu nennen.5 (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688; Vgl. Versteegh 1986, 433) Madelung erwähnt ihn als Abū ʿAlī al-Ḥasan b. al-Muẓafar an-Naysābūrī. (Vgl. Madelung 1986, 840) Er beruft sich dabei wahrscheinlich auf eine Biografie bei Yāqūt wo 442 n. H. als Jahr seines Todes genannt wird. (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 3:1016) Madelung bestreitet, dass er in diesem Jahr starb, denn nach ihm sei sein Sohn ʿUmar im Jahr 536 n. H. gestorben, ohne einen bestimmten Todeszeitpunkt für den Vater anzugeben. (Vgl. Madelung 1986, 840) Hadithwissenschaft lernte az-Zamaḫšarī bei Abū Manṣūr Naṣr al-Ḥārṯī und Abū Saʿd aš-Šaqqānī. Für beide Gelehrten gab Yāqūt kein Sterbedatum an. Al-Ḥūfī erwähnte auch nicht, wann al-Ḥārṯī starb. Für aš-Šaqqānī erwähnt er aber 506 n. H. als Todesjahr für einen aš-Šaqqānī mit einem anderen Beinamen, nämlich Abū al-Faḍl. Dieser stammte aus Naysābūr und befasste sich mit Ḥadīṯ und Fiqh. (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688; Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 49; as-Samʻānī 1962, 8:123–25) Kalām-Lehre soll az-Zamaḫšarī bei Rukn ad-Dīn Maḥmūd b. al-Malāḥmī (gest. 536/1141), der zur Schule von Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī (gest.436/1044) gehört, gelernt haben. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 2007, 5) Es ist umstritten, ob az-Zamaḫšarī ein direkter Schüler von dem Muʿtaziliten und zaidītischen Koranexegeten al-Ḥākim al-Ğušamī (gest. 494/1101) war (Vgl. Aš-Šuhārī 2001, 2:892) oder Schüler eines Aḥmad b. Muḥammad b. Isḥāq al-Ḫuwārizmī, der wiederum Schüler al-Ğušamīs war. (Vgl. Madelung 1986, 841) In Baghdad traf az-Zamaḫšarī den ḥanafitītischen Rechtsgelehrten Abū al-Ḥasan ad-Dāmiġānī (gest. 513/1119) (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688) und sollte dort auch beim Sprachgelehrten Abū Manṣūr b. al-Ğawālīqī (gest. 540/1145) gelernt haben. (Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 50) Zu den Schülern und Schülerinnen az-Zamaḫšarīs zählen Abū a1-Futūh al-Rāzī (gest. nach 552/1157), Abū al-Fadl Muḥammad b. Abū al-Qasim b. Babīǧūk al-Baqqālī al-Ḫuwārizmī (gest. 562/1167) und Diyāʾ ad-Dīn al-Makkī (gest. 550/1155). Darüber hinaus hatte er eine Schülerin, Zaynab bt. aš-Šaʿrī (gest. 615/1219), (Versteegh 1986, 433) die selber Lehrerin für Ibn Ḫallikān war.

5 Versteegh erwähnt auch diesen Namen, ohne ein Sterbedatum anzugeben. (Vgl. Madelung 2013, 468).

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2.4 Die Werke az-Zamaḫšarīs Die Vielfalt der Lehrer az-Zamaḫšarīs sowie die Wissensbereiche, mit denen sie sich befassten, spiegeln sich in seinen Werken wider. Ibn Ḫallikān beschrieb az-Zamaḫšarī als den „Großgelehrte[n] in den Wissensgebieten von Koranexegese, Hadithwissenschaft, Grammatik, Philologie und Lehre der Bildersprache.“ (Vgl. Ibn Ḫallikān 1977, 5:168; Übers.  d. Verf.) Entsprechend schrieb er in mehreren Bereichen der Philologie und der islamischen Theologie. Dazu gehören u.  a. das HadithWerk al-Fāʾiq fī ġarīb al-ḥadīṯ, das Kalām-Lehre-Traktat al-Minhāǧ fī uṣūl ad-dīn, das Grammatikwerk al-mufaṣṣal fī ṣanʿat al-iʿrāb und das Lexikon asās al-balāġa, ein Lexikon des veritativen und übertragenen Gebrauchs der Wörter. Amīn listete etwa 55 Werke von Az-Zamaḫšarī aus den verschiedensten Wissensbereichen der Philologie und Theologie auf. (Vgl. Amīn 2012, 24–38) Sein berühmtestes Werk ist aber die Koranexegese al-Kaššāf ʿan ḥaqāʿiq ġawāmiḍ at-tanzīl wa-ʿuyūn al-aqāwīl fī wuǧūh at-taʿwīl. Az-Zamaḫšarī wurde wegen seiner Bemühungen, die grammatikalischen, lexikographischen, stilistischen Eigenschaften und die Unnachahmlichkeit der koranischen Sprache durch diese Exegese zu zeigen, universell verehrt. (Vgl. Madelung 1986, 840) Wegen der Bedeutsamkeit dieser Koranexegese wurden mehrere Kommentare (ar. ḥawāšī) dafür verfasst. Einer der bekanntesten Kommentare, der sich sowohl mit den sprachlichen als auch den theologischen Aspekten von al-kaššāf beschäftigt, ist der Kommentar von Aḥmad b. Muḥammad b. Manṣūr, bekannt als Ibn al-Munīr as-Sakandarī (gest. 683/1284) unter dem Titel al-intṣāf fī mā taḍmanahu al-kaššāf min al-itizāl. As-Sakandarī ist ein Ašʿarit und setzte sich mit den sprachlichen und theologischen Auffassungen in der Exegese von az-Zamaḫšarī auseinander. (Vgl. Amīn 2012, 44–46)

2.5 Verhältnis von Sprache und Religion in az-Zamaḫšarīs Werken Die obigen erwähnten Titel der Werke az-Zamaḫšarīs zeigen die Überschneidung der philologischen und theologischen Untersuchungen bei ihm. Über das Verhältnis von Sprache und Religion in der islamischen Theologie spricht az-Zamaḫšarī im Vorwort seines ‘al-Mufaṣṣal fī ṣanʿat al-iʿrāb, als er diejenigen kritisierte, die damals für šuʿūbīya6, plädierten, sah er eine enge Verbindung zwischen der arabischen Sprache und mehreren islamischen Wissensgebieten. Er meinte, dass

6 Diejenige Strömung in der islamischen Geschichte, die für den Vorrang der Nicht-Araber (insbesondere die Perser) plädierte (der Verfasser)

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die Šuʿūbīten kein islamisches Wissensgebiet finden können, sei es Fiqh, KalāmLehre, Koranexegese oder Überlieferung, das die Vertrautheit mit der arabischen Sprache nicht voraussetzt. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1993, 18) Dadurch betonte er die immense Relevanz der arabischen Sprache für die Wissensgebiete der islamischen Theologie. Es geht hier –seiner Meinung nach – um einen Bedarf seitens dieser Wissensgebiete nach der arabischen Sprache bzw. Philologie. Diese Wissensgebiete befassen sich mit den islamischen normativen Texten, entweder Koran oder Ḥadīṯ, und darum dienen die Bereiche der Philologie als ʿulūm āaliyya, d.  h. als Mittel zum Forschen in der islamischen Theologie. (Vgl. Aš-Šafi‘i 2001, 200) Obwohl er kein Araber war, verteidigte az-Zamaḫšarī die Wichtigkeit der arabischen Sprache. Versteegh führt das auf die Auffassung az-Zamaḫšarīs bezüglich der arabischen Sprache zurück, die die Sprache ist, die Gott für die Offenbarung auserwählte. (Vgl. Versteegh 1986, 433) Für az-Zamaḫšarī ist Arabisch die perfekte Sprache.(Vgl. Madelung 1986, 840) Zu diesen Wissensgebieten gehört die KalāmLehre, wo die Frage der Taten der Menschen und der Erschaffung des Übels eine zentrale Rolle spielte.

3 Erschaffung des Übels 3.1 Theologischer Zugang: Al-Minhāǧ fī uṣūl ad-dīn Obwohl az-Zamaḫšarī sich nicht als ein fachmännischer Kalām-Gelehrter betrachtet, schrieb er einen kleinen Traktat über die Kalām-Lehre, al-minhāǧ fī uṣūl ad-dīn. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 2007, 7) Darin behandelte er u.  a. die oben erwähnte Frage. Dazu äußerte er sich wie folgt: Würdest du sagen: Warum hast du gewusst, dass andere als Allah als Auslöser für einige Taten betrachtet werden können? Da antworte ich: Dies habe ich zwangsläufig gewusst, weil die vernünftigen Menschen zwangsläufigäerweise wissen, dass es vorzüglicher ist, den Wohltäter zu loben und den Beleidigenden zu tadeln […], und weil der Täter derjenige ist, der eine Tat wegen eines Anlasses tut und eine Tat wegen eines Hindernisses unterlässt, diese Eigenschaft findet jeder in sich, und weil zu den Taten der Geschöpfe Schandtaten wie Unglaube, Ungerechtigkeit und Lügen gehören, […] der Allweise und der Unbedürftige, der sich seiner Unbedürftigkeit bewusst ist, ist erhaben, diese Taten zu tun, zu wollen, zu billigen oder damit zu befehlen, weil Allah das Gute gebot und dafür großartigen Lohn versprach, und das Übel verbot und davor mit schmerzhafter Strafe warnte. Deshalb sandte Gott die Gesandten, offenbarte die Bücher und führte die Beweise. Würden diese zu seinen Taten (d.  h. Allah) gehören, so wäre das umsonst und Abweichung von der Weisheit. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 2007, 13–14; Übers.  d. Verf.)

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In diesem Zitat setzte sich az-Zamaḫšarī mittels rein rationaler Argumente und durch den „Schluss vom Sichtbaren auf das Unsichtbare“ (qiyās al-ġāʾib ʿalā aš-šāhid) mit der Frage der Erschaffung des Übel auseinander. Es ist für az-Zamaḫšarī selbstverständlich, dass Allah nicht als Auslöser aller Handlungen zu betrachten ist, sondern es für Handlungen wie Unglaube, Ungerechtigkeit usw. andere Täter geben muss. Er führt dabei keine Belege aus den normativen Texten an, wie es andere Theologen zu tun pflegten, indem sie die rationalen Argumentationen am Anfang führen und dann die relevanten Stellen aus den normativen Texten erwähnen.

3.2 Theologischer-sprachlicher Zugang: Al-Kaššāf Zu den normativen Texten, die sowohl die Muʿtaziliten als auch ihre Gegner als Argumente für die Auffassung, dass Gott die Übeltaten erschafft oder nicht, ansahen, gehört der Sure 2: Vers 7. Er lautet: ‫َظي ٌم‬ ‫َختَ َم اللَّهُ عَلى قُلُوبِ ِه ْم َوعَلى َس ْم ِع ِه ْم َوعَلى أَب‬ ِ ‫ْصار ِه ْم ِغشا َوةٌ َولَهُ ْم عَذابٌ ع‬ ِ Allah hat ihre Herzen und ihr Gehör versiegelt, über ihrem Augenlicht befindet sich eine Hülle. Für sie wird es gewaltige Strafe geben.

Az-Zamaḫšarīs Auslegung dieses Verses ist ziemlich lang. In der Ausgabe des al-ʿUbaikān Verlags erstreckt sie sich über fünf Seiten. Dabei benutzte az-Zamaḫšarī philologische und logische Argumente neben einigen Koranstellen, um seine Auffassung bezüglich der Erschaffung der Übeltaten zu untermauern. Zuerst fing er mit den philologischen Argumenten an. Seiner Meinung nach ist die „Versiegelung“ als maǧāz zu verstehen. Diesbezüglich sagt er: Würdest du sagen: Was bedeutet die Versiegelung der Herzen und Gehöre und die Hülle über die Augen? Da antworte ich: Veritativ gesehen gibt es weder Versiegelung noch Hülle. Vielmehr sind diese Ausdrücke als eine Art mağāz zu verstehen. Dies könnte seinen beiden Arten zugeordnet werden, nämlich als Metapher (istiʿāra) und Gleichnis. In Bezug auf die Metapher werden ihre Herzen und ihr Gehör so gemacht, als ob sie versiegelt wären. In Bezug auf das Herz liegt die Metapher darin, dass die Wahrheit weder ihre Herzen durchdringt noch zu ihren Gewissen gelangt, und zwar deswegen, weil sie sich ihr abwenden und weil sie zu hochmütig sind, sie anzunehmen und anzuerkennen. In Bezug auf das Gehör liegt die Metapher darin, dass ihr Gehör sie auswirft, und es abstoßend empfindet, ihnen zu zuhören. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:164–65; Übers.  d. Verf.)

Istiʿāra (Metapher) ist eine Art des maǧāz. Sie ähnelt dem tašbīh (Vergleich), wobei eine der Vergleichsparteien fehlt. Ist es der mušabbah bih (Bildspender),

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dann gilt sie als istiʿāra makniyya (implizierte Metapher), oder es ist der mušabbah (Bildempfänger), dann gilt sie als istiʿāra taṣrīhiyya (explizite Metapher). Nach az-Zamaḫšarī wird hier die Abwendung von Wahrheit und Hochmut (Bildempfänger) mit der Versiegelung (Bildspender) verglichen, wobei der Bildempfänger fehlt (istiʿāra taṣrīhiyya). Die Beziehung zwischen Bildempfänger und Bildspender sah er darin, dass die Abwendung des Ungläubigen von der Wahrheit so stark ist, dass sie der Versiegelung ähnelt. Mit diesem Schritt aber gelingt es az-Zamaḫšarī festzulegen, dass Allah die Herzen der Ungläubigen nicht versiegelt oder vom Glauben abwendet. Seiner Meinung nach schildert der Vers, wie groß der Hochmut und die Abwendung der Ungläubigen ist. In einem weiteren Zitat vermischt az-Zamaḫšarī theologisch-rationale Argumente mit philologischen Argumenten und erwähnt nebenbei koranische Texte. Er sagt: Warum die Versiegelung Allah zugeschrieben würde, obwohl diese Zuschreibung die Annahme der Wahrheit und deren Erreichen mit den dafür bestimmten Mitteln verhindert, wobei das zu den Übeltaten gehört. Allah ist darüber erhaben, die Übeltaten zu begehen, denn er weiß, dass sie Übeltaten sind, und dass er dieser Übeltaten nicht bedürftig ist. Dass er darüber erhaben ist, steht im Koran: „und Ich bin keiner, der den Dienern Unrecht zufügt.“ (Sure 50: Vers 29), „Nicht Wir haben ihnen Unrecht getan, sondern sie sind es, die Unrecht getan haben.“ (Sure 43: Vers 76) und „Allah gebietet nicht Schändliches.“ (Sure 7: Vers 28) und die ähnlichen Verse? Da antworte ich, hier ist die Beschreibung der Herzen als versiegelt gemeint. Diese Versiegelung Allah zuzuschreiben, weist darauf hin, dass diese Eigenschaften so festgewurzelt und festgelegt sind, dass sie den angeborenen, nicht den akzidentiellen Sachen ähneln. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:165–67; Übers.  d. Verf.)

Die ersten Argumente in diesem Zitat ähneln denjenigen, die az-Zamaḫšarī in seinem al-Minhāǧ benutzte. Er betonte, dass Allah darüber erhaben ist, die Übeltaten zu begehen. Im obigen Zitat erwähnt er nun aber Koranstellen, um diese Meinung zu bekräftigen. Aus der ersten Koranstelle kann abgeleitet werden, dass Gott keine Übeltaten begeht. Die zweite besagt, dass die Menschen und nicht Allah, diejenigen sind, die Unrecht begehen. In der letzten Koranstelle wird betont, dass Allah die schändlichen Taten auf keinen Fall gebietet bzw. billigt. Danach kommt az-Zamaḫšarī zu den philologischen Argumenten zurück, indem er von isnād (Prädikation, Zuschreibung) spricht. Isnād bedeutet die Zuschreibung einer Handlung an ihren Täter. Er meint, dass die (isnād) dieser Tat an Allah darauf hinweist, dass Hochmut und Abwendung von der Wahrheit bei den Ungläubigen quasi als angeboren anzusehen sind und nicht als etwas, das man im Laufe seines Lebens erwerben würde. In einem letzten Zitat spricht az-Zamaḫšarī wieder über isnād. Hier spielt er die Rolle eines Balāġa-Gelehrten und erklärt, was er unter istiʿāra versteht:

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Es kann sein, dass Handlungen, die ursprünglich auf andere als Allah zurückgehen, auf Allah übertragen und ihm dann zugeschrieben werden. Darum wird die Versiegelung Gott im übertragenen Sinne zugeschrieben, wobei sie veritativ einem anderen zuzuschreiben ist. Das liegt daran, dass das Verb mehrere Beziehungen zu den Satzgliedern, wie Subjekt, Objekt, Infinitiv, Orts-, Zeitangabe und dem Verursacher hat. Die Prädiktion an das Subjekt wird als veritativ betrachtet. Als istiʿāra, eine Art von maǧāz, kann das Verb anderen Satzgliedern zugeordnet werden, denn diese Satzglieder ähneln dem Subjekt hinsichtlich der Beziehung zum Verb. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:167; Übers.  d. Verf.)

Bemerkenswert an diesem Zitat ist die Verwechslung zwischen istiʿāra und maǧāz ʿaqlī. Die Definition, die az-Zamaḫšarī hier bietet, gilt bei anderen zeitgenössischen und späteren Balāġa-Gelehrten als maǧāz ʿaqlī. Das kann man darauf zurückführen, dass die Einteilung und Eingrenzung dieser Termini in der Zeit von az-Zamaḫšarī nicht so klar und eindeutig war. Nennenswert ist hier, dass ʿAbd al-Qāhir al-Ğurğānī (gest. 471 n.H.) als der Erste gilt, der die Unterscheidung zwischen maǧāz luġawī und maǧāz ʿaqlī einführte. (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:315–16) Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass az-Zamaḫšarī diese Art Überschreitung bzw. Änderung in der Zuschreibung (isnād) bewusst war. In einem weiteren Abschnitt schrieb er diese Versiegelung entweder Satan oder dem Ungläubigen zu. Er sagt: Veritativ gesehen ist Satan oder der Ungläubige der Versiegelnde. Da Allah ihn jedoch dazu ermächtigte, wird die Versiegelung Allah zugeschrieben, so wie das Verb dem Verursacher zugeschrieben wird. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:168)

Hier erwähnt az-Zamaḫšarī alle Elemente eines typischen Falls von maǧāz ʿaqlī, nämlich Bildspender (Ungläubiger oder Satan), Bildempfänger (Allah) und die Beziehung zwischen beiden, nämlich die Kausalität. Allah ermächtigt den Ungläubigen oder Satan, solche Übeltaten zu begehen.

Fazit Diese Studie setzte sich zum Ziel, das Verhältnis von Sprache und Theologie anhand des Begriffs maǧāz zu untersuchen. Der Befund dieser Studie zeigt, dass schon früh im 2. Jahrhundert maǧāz an der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie stand, auch wenn im frühen Gebrauch unter maǧāz nichts anderes als tafsīr verstanden wurde. Daher muss Ibn Taimiyya Recht gegeben werden, dass man so früh maǧāz nicht unbedingt im Sinne von übertragenem Sinn benutzte. Jedoch stehen Erklärungen, die Gelehrten wie Sībawaih und Abū ʿUbaida für einige Koranstellen von maǧāz bringen konnten, in Einklang mit den später

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entwickelten Definitionen und Kriterien. Deshalb ging die Existenz dieses Konzepts der Gestaltung und Benutzung dieses Terminus voran. Die muʿtazilitischen Gelehrten trugen in den folgenden Jahrhunderten dazu bei, maǧāz zu definieren und als Mittel bei der Deutung verschiedener Koranstellen zu benutzen. Ibn Ğinnī im 4. Jahrhundert war der Erste, der eine Definition von maǧāz gab und die Meinung vertrat, dass übertragene Ausdrücke die Mehrheit der sprachlichen Ausdrücke bilden. Damit öffnete er die Tür für nahezu unbegrenzte Deutungsmöglichkeiten. Mağāz erschien an weiteren Schnittstellen auch im 4. Jahrhundert (und teilweise im 5. Jahrhundert) bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār und Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī, die maǧāz als Bestandteil der Wissensgebiete der Kalām-Lehre und Uṣūl al-fiqh betrachteten. Im 5. und 6.  Jahrhundert verfasste az-Zamḫšarī mehrere Werke in den Bereichen von Balāġa, Grammatik, Ḥadīṯ und Kalām-Lehre und nicht zuletzt Koranexegese und war damit eine der wichtigsten Figuren in Bezug auf das Verhältnis von Sprache und Theologie. Maǧāz benutzte az-Zamḫšarī in seiner Exegese, wenn die wortwörtliche Bedeutung der auszulegenden Koranstelle nicht in Einklang mit seiner theologischen Auffassung steht, um diese Bedeutung anders zu deuten. Das brachte uns zu der exegetischen Herangehensweise az-Zamḫšarīs, wenn die betreffenden Koranstellen sich mit Fragen der Kalām-Lehre befassen. Hinsichtlich der Frage nach der Erschaffung des Übels vertrat er die Meinung, dass Allah das Übel nicht erschuf, sondern der Mensch oder Satan dafür verantwortlich sind. Die Koranstellen, wie Sure 2: Vers 7, schreiben aber Allah die Irreführung der Menschen zu. In diesem Fall war maǧāz ʿaqlī das optimale Deutungsmittel, damit diese Übeltaten den Menschen und nicht Allah zugeschrieben werden. In seiner Exegese dieses Verses benutzte az-Zamḫšarī Begriffe aus dem Balāġa-Bereich wie istiʿāra und maǧāz, um diese Stelle abweichend von der wortwörtlichen Bedeutung zu deuten.7 (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186) Er sprach ausdrücklich von einer Änderung in der Beziehung der Satzglieder zu einander. Aus den Elementen des maǧāz hob az-Zamaḫšarī den Bildspender und den Bildempfänger hervor, nannte jedoch bei all diesen Maǧāz-Bildern kein qarīna lafẓiya. Das einzige Indiz, das er uns zur Verfügung stellte, war, dass Allah darüber erhaben ist, Übeltaten zu begehen oder zu billigen. Diese rationalen Argumente entsprachen zum großen Teil den Argumenten, die er in seinem al-Minhāǧ hinsichtlich der Frage der Erschaffung des Übels vorbrachte. Er begründete dieses Indiz sowohl durch rationale Argumente als auch

7 Bemerkenswerterweise betrachtete er diese Deutung nicht als Abweichung, sondern als die richtige geprägte sprachliche Bedeutung, wie er bei der Auslegung Sure 2: Vers 15 erklärt. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186)

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durch Belege aus den normativen Texten anhand Sure 50: Vers 29 als eine Art intra-koranische Exegese (Ar. tafsīr al-Qurʾān bi-l-Qurʾān), in dem steht, dass Allah den Menschen kein Unrecht zufügt. Mehrere andere Verse, in denen Allah solche Übeltaten zugeschrieben werden, vernachlässigte er in diesem Zusammenhang, vermutlich weil er diese auch so deutet, dass der Mensch oder Satan das Agens in diesem Fall sind.8 (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87) Charakteristisch für az-Zamaḫšarīs Herangehensweise ist es, dass er sich nicht damit begnügt, für den in dem Vers enthaltene maǧāz nur eine ḥaqīqa zu erwähnen, sondern mehrere mögliche ḥaqāʾiq. Für Sure 2: Vers 15 erwähnte er drei mögliche ḥaqāʾiq. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87) In Bezug auf Sure 2: Vers 7 erwähnte er z.  B. vier Deutungsmöglichkeiten für den in diesem Vers enthaltenen maǧāz. Man kann davon ausgehen, dass er damit versucht, alle möglichen Bedeutungsvarianten, die seine Auffassung in Bezug auf die Erschaffung des Übels unterstützen, hervorzuheben, während andere Bedeutungsvarianten, die mit seiner Auffassung diesbezüglich nicht in Einklang stehen, als mangelhaft oder nicht erwähnenswert zu erklären. Manchmal kritisiert er auch diejenigen, die sich für von ihm infrage gestellte Bedeutungsvarianten entschieden. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186) An einer anderen Stelle erwähnt er, dass Allah die Menschen mit dem Koran herausforderte. Der Koranexeget ist berechtigt bzw. verpflichtet, den Koran davor zu schützen, dass man ihn herabwürdigt. Wenn der Koranexeget sich für eine Auslegungsmöglichkeit entscheidet, muss er sowohl waḍʿ (ursprüngliche sprachliche Prägung) als auch balāġa (Beredsamkeit) berücksichtigen. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186) D. h. er versteht seine exegetischen Versuche nicht nur als Erklärung oder Deutung, sondern als Beitrag dazu, den herausfordernden und unnachahmlichen Aspekt des Koran zu erhalten. Als Mittel dazu sah az-Zamaḫšarī verschiedene Ebenen der philologischen Kenntnisse vor, die er im Vorwort von al-Kaššāf als Voraussetzungen, die der Koranexeget zu erfüllen hat, ansah. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:96) Während waḍʿ sich als Bedeutung einzelner Wörter erweist, beschäftigt sich balāġa mit der Bedeutung größerer Sprachstrukturen. Az-Zamaḫšarī war auch der Meinung, dass, wenn man mit waḍʿ nicht vertraut ist, ist es dann fast ausgeschlossen, balāġa in Betracht zu ziehen. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186) Das gewährt uns einen Einblick in die Mentalität von az-Zamaḫšarī als Philologe, Theologe und nicht zuletzt als Koranexeget, der alles tun würde, um den sprachlich herausfordernden und unnachahmlichen Aspekt des Koran zu schützen. Das kann nur erfüllt werden, wenn man die Verse und Koranstellen, die sich auf Kalām-Fragen beziehen, nach seinen theologischen Auffassun-

8 Ähnlich ging er beispielsweise mit Sure 2: Vers 15 vor. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87)

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gen deutet, unabhängig davon, ob er sich dabei auf rationale, sprachliche oder intra-textuelle Argumente stützt, die die grundsätzlichen Charakteristika seiner philologisch-theologischen exegetischen Herangehensweise darstellen.

Literatur Abū Zaid, Naṣr Ḥāmid. Al-Ittiǧāh al-ʿqlī fī at-tafsīr: dirāsāt fī qaḍīyat al-maǧāz fī al-Qurʼān ʿinda al-muʿtazila. Beirut: Al-Markaz aṯ-ṯaqāfī al-ʿarabī, ³1996. Abū ʿUbaida Maʿmar Ibn-al-Muṯannā at-Taimī. Maǧāz al-Qurʾān, Bd. 1, hg.v. Fuʾād Sazgīn, Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, ³1998. Al-Andarasbānī, ‘Abd al-Salām b. Muḥammad. „Fī sīrat az-Zamaḥšarī ǧāru -llāh.“ In Maǧlat maǧmaʿ al-luġa al-ʿarabiyya bi-Dimšaq, Bd. 57/3, hg. v. ʿAbdul Karīm Al-Yāfī, 365–82. Al-Baṣrī, Muḥammad ibn ʻAlī. Al-Muʿtamad fī uṣūl al-fiqh, hg. v. Muḥammad Ḥamidullāh, Muḥammad Bakr, Ḥassan Ḥanafī. Damaskus/Beirut: al-Maʿhad al-ʿIlmī al-Faransī li-d-Dirāsāt al-ʿArabīya, 1964. Al-Ǧurǧānī, Abū Bakr ʻAbd al-Qāhir b. ʻAbd al-Raḥmān. Kitāb Asrār al-balāġa, hg. v. Maḥmūd Muḥammad Šākir. Kairo/Jeddah: Dār al-Madanī, 1991. Al-Ḥūfī, Aḥmad Muḥammad. Az-Zamaḫšarī. Kairo: Dār al-Fikr al-ʿArabī, 1966. Al-Maṭʿanī, ʿAbd al-ʿAẓīm Ibrāhīm. Al-maǧāz fil-luġah wa-l-Qurʾān al-karīm bayna al-iǧāza wa-l-mānʿ. Kairo: Maktabat Wahbah, ²2007. Amīn, Ğamāl Ḥussain. Ad-Dalīl al-luġawī baina al-muʿtazila wa-l-ašāʿira. Kairo: Ein for Human and Social Studies, 2012. Aš-Šafi‘i, Ḥasan Maḥmūd. Al-Madḫal ilā dirāsat ʿilm al-kalām. Kairo: Maktabat Wahba, ²2001. Aš-Šuhārī, Ibrāhīm Ibn-al-Qāsim. Ṭabaqāt az-zaidīya al-kubrā ; al-Qism at-t̲ ālit ̲ .̲ wa-yusammā Bulūġ al-murād ilā maʿrifat al-isnād, hg. v. ʿAbd-as-Salām ʿAbbās al- Waǧīh. Amman: Muʾassasat al-Imām Zaid Ibn-ʻAlī aṯ-Ṯaqāfiyya, 2001. Az-Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar. Al-Mufaṣṣal fī ṣanʻat al-iʻrāb hg.v. ʿAlī Bū Milḥim. Beirut: Maktabat al-Hilāl, 1993. Az-Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar. Al-Kaššāf ʿan ḥaqāʾiq ġawāmiḍ at-tanzīl wa-ʿuyūn al-aqāwīl fī wuǧūh at-taʾwīl, hg. v. ʿĀdil Aḥmad ʿAbd-al-Mauǧūd und Muʻauwaḍ ʿAlī Muḥammad. Riad: Maktabat al-ʿUbaikān, 1998. Az-Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar. Al-Minhāǧ fī uṣūl al-dīn, hg. v. Sabine Schmidtke. Beirut: Al-Dār al-ʻArabiyya li-l-ʻUlūm-Nāširūn, 2007. Reinert, B. „Madjaz.“ In The Encyclopaedia of Islam, hg. v. Clifford Edmund Bosworth, Emeri Johannes van Donzel, Bernard Lewis und Charles Pellat. Leiden: Brill, 1986. Heinrichs, Wolfhart. „On the Genesis of the ḥaqîqa-majâz Dichotomy.“ In Studia Islamica, Bd. 59, 111–140. Leiden: Brill, 1984. ʻAbd-al-Ǧabbār Ibn-Aḥmad. Al-Muġnī fī abwāb at-tauḥīd wa-l-ʿadl, hg. v. Muḥammad ʿAlī an-Nağār, ʿAbd al-Ḥalīm an-Nağār, Ibrāhīm Madkūr und Ṭaha Ḥussaīn. Kairo: al-Muʾassasa al-Miṣriyya al-ʻĀmma, 1965. Ibn al-ʿImād, ʿAbd al-Ḥayy ibn Aḥmad. Šaḏarāt aḏ-ḏahab fī aḫbār man ḏahab, hg. v. ʿAbd al-Qādir al-Arnuʾūṭ. Damaskus/Beirut: Dār Ibn Kaṯīr, 1986. Ibn Ḫallikān, Abū al-ʿAbbās. Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān, hg. v. Iḥsān ʿAbbās. Beirut: Dār Ṣādir, 1977.

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 Muhammed Ragab

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Reza Hajatpour

Muʿtazila und die Zwölfer-Schia Es gibt keinen Zweifel, dass eine Vielzahl theologischer Gemeinsamkeiten zwischen der Muʿtazila und der Schia bestehen.1 Die rationale Methode der Muʿtaziliten übte besonders auf die Zaiditen einen beachtlichen Einfluss aus. Wie eng das historische Verhältnis zwischen Muʿtazila und Schia tatsächlich ist, demonstrieren vor allem die Arbeiten von Wilfred Madelung. Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass, wenn wir hier über das Verhältnis zwischen Muʿtazila und Schia sprechen wollen, es uns eher darum geht, zwei theologische Schulrichtungen miteinander in Verbindung zu bringen, und weniger um den Vergleich zwischen einer religiösen Schule und einer religiösen Sekte. Denn im letzteren Fall gibt es eher Uneinigkeiten. Die Schia ist vielmehr eine imāmitische Religion des Islam, wohingegen die Muʿtazila eine sunnitisch-theologische Schule darstellt. Wir können gleichermaßen Gemeinsamkeiten zwischen schiitischer und aschʿaritischer Theologie feststellen. Die Gründe, die die Schia in die Nähe der Muʿtazila führten, waren an erster Stelle weniger theologischer Natur als politischer. Beide Gruppen waren gegen die Umayyaden und ihre religiösen Ideologien. Ferner herrschte bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts keine ausgereifte schiitische Theologie. Aus den Anfangszeiten ist uns bekannt, dass nur wenige schiitische Theologen sowie einige asch‘aritische religiöse Akteure sich aus der muʿtazilitischen Denkschule bzw. auch aus anderen theologischen Denkrichtungen heraus entwickelten. Hierzu können z.  B. einige der bekanntesten früheren schiitischen Theologen wie Abū Ǧʿafar Muḥammad, bin ʿAlī bin Nuʿmān Kūfī, Hishām bin Ḥakam, Maitham Tammār, Abū ʿIsā Warrāq und Ibn Rāwandī genannt werden, die zuerst entweder Muʿtaziliten oder Anhänger anderer theologischen Richtungen waren und später zur Schia wechselten. Nuʿmān Kūfī war z.  B. Zeitgenosse von Abū Ḥanīfa und Anhänger Ǧʿafar aṣ-Ṣādiqs, des sechsten Imams der Schia. Hishām bin Ḥakam war ebenso Zeitgenosse der sechsten und siebten Imame der Schia und gehörte zunächst der Murǧiʾa an.

1 Madelung, Wilferd; Schmidtke, Sabine. „Rational Theology in Interfaith Communication. Abū l-Husayn al-Basri’s Mu’tazili Theology among the Karaites in the Fatimid Age.“ In Jerusalem Studies in Religion and Culture 5. Leiden: Brill, 2006. https://doi.org/10.1515/9783110588576-015

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 Reza Hajatpour

Daher ist die Annahme, dass die schiitische Theologie muʿtazilitisch wäre, recht fragwürdig. Die Schiiten haben gewiss von der muʿtazilitischen Theologie profitiert, mehr als von jeder anderen Schule. Sie gingen jedoch ihren eigenen Weg. Hāshim Maʿrūf al-Ḥasanī betont diesen Eigencharakter in seinem Werk „ašŠīʿa bain al-ašāira wa al-muʿtazila“. Wie er in der Einleitung seines Buches hervorhebt, lehnt er die Behauptung, die Schia wäre ein Nachahmer der Muʿtazila, grundsätzlich ab.2 Der Eigencharakter der schiitischen Theologie ist in Auseinandersetzung mit der Muʿtazila und den Aschʿariten sowie anderen theologischen Schulen entstanden. In Bezug auf die Muʿtazila können wir darauf hinweisen, dass bereits zu Beginn des Aufstieges der Muʿtazila zwischen den Anhängern der Schia und denen der Muʿtazila durchaus Streitgespräche stattfanden. Ein zentrales und beliebtes Thema der Streitgespräche war das „Imamāt“. Darauf wird im weiteren Verlauf eingegangen. Dennoch können wir die Tatsache nicht ignorieren, dass die schiitische Theologie, obwohl sie im Laufe der Zeit einen eigenen Charakter entwickelte, ihrem methodischen und inhaltlichen Ansatz nach näher zur Muʿtazila steht. In diesem Beitrag sollen daher einige wenige, jedoch besondere Aspekte hervorgehoben werden, die das theologische Verhältnis – gemeint sind hier Nähe und Distanz – zwischen der Schia und Muʿtazila verdeutlichen. Gleichermaßen sollen auch die jeweils einhergehenden thematischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Blick genommen werden. Zu diesem Zweck wird nun auf die Gedanken eines der bedeutendsten schiitischen Theologen eingegangen, der bei der Entwicklung einer systematischen Theologie in der Schia besondere Impulse gab und als Vorbild für die späteren schiitischen Theologen diente. Gemeint ist hier Scheich Mufīd. Dabei werden an geeigneter Stelle auch einige Gedanken seines Schülers Sayyid Murtaḍā Alamulhudā thematisiert, da beide Gelehrte als Verbreiter muʿtazilitischer Glaubensvorstellungen innerhalb der Imāmiya angesehen werden.3 Ein allgemeiner Aspekt, wodurch die Nähe zwischen der Schia und Muʿtazila in Verbindung gebracht wird, ist die rationalistische Methode. Der Schlüssel dazu ist die Ratio (ʿaql) als methodische Zugangsweise zur Erläuterung und Entschlüsselung der religiösen Grundlagen.

2 al-Ḥasanī, Hāshim Maʿrūf. Šīʿa dar barābari Muʿtazila wa Ašāira. Übertragen ins Arabische von Sayyid Muḥammad Ṣādiq ʿĀrif. Mashhad, 2009 3 Sander, Paul. Zwischen Charisma und Ratio. Entwicklungen in der früheren imamitischen Theologie. Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1994, 81.

Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 

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Scheich Mufīd bestreitet, dass die Ratio dafür ausreichen würde. Er zieht die Offenbarung bzw. Überlieferung der Ratio vor, denn für die Enthüllung religiöser Botschaften sei die Ratio abhängig von der Offenbarung bzw. der Überlieferung. Ohne sie sei die Vernunft nicht in der Lage, religiöse Erkenntnisse zu gewinnen. Als Beispiel nennt er den „Willen“ (irād), der im Koran als ein Attribut Gottes gesehen wird. Seiner Meinung nach gibt es kein logisches bzw. rationales Argument für dieses Attribut. Der Glaube an den göttlichen Willen kann Mufīd zufolge daher nur der Offenbarung entnommen werden.4 Wie er dies genau begründet, kann an dieser Stelle zwar nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden, es ist aber eine Tatsache, dass der Wille im Koran als eine Eigenschaft Gottes betrachtet wird. Für Mufīd und einige seiner Anhänger gibt es keinen rationalen Grund, dass der Wille erschaffen wurde (hādith) bzw. allegorisch (maǧāzī) sei oder zur Essenz Gottes (zāt) gehöre, d.  h. ewig währt. Es stellt sich als besonders Schwierig heraus, das Konzept des göttlichen Willens bezüglich der Erschaffung und der menschlichen Handlungen logisch zu beantworten. Für Mufīd ist der Wille wie das Sehen und Reden, keine ewige Eigenschaft Gottes. Mufīds Schüler Sayyid Murtaḍā Alamulhudā ist gleichwohl der Meinung, dass der Wille kein Attribut der Essenz sei, sondern akzidentiell und somit ohne Platz sei. Jedoch wird bei Murtaḍā Alamulhudā nicht klar, ob er dies aus einem rationalen Argument beurteilt oder einfach seinem Lehrer Mufīd folgt. Andere Ausführungen zeigen jedoch, dass Sayyid Murtaḍā Alamulhudā mit seinen Ansichten näher zur Muʿtazila stand als sein Lehrer. Murtaḍā Alamulhudā meint, dass die Offenbarung bzw. die Überlieferungen eine an die Vernunft gerichtete Gnade Gottes sind. Gott habe die Propheten geschickt, um die Urteile der Vernunft zu bestätigen.5 Die widersprüchliche Folge der Meinungen dieser beiden Gelehrten spiegelt sich in ihrer Sicht über die menschliche Verpflichtung wieder. Mufīd hält die Verpflichtung der Menschen (taklīf) nicht für rational. Sie geht mit der Sendung der Propheten einher. Ohne einen Propheten gäbe es keine Verpflichtung: Aus diesem Grund geht er von der Annahme aus, dass die Vernunft ohne Offenbarung nicht vollkommen sein kann, weil die Vernunft sich selbst nicht genügt.6 Somit ist der Mensch nur vor Gott verantwortlich und ist verpflichtet, Gottes Gesetz zu folgen.

4 Ibrāhīmī Dīnānī, Gholam Husein. Māǧarā-i fikrī falsafī dar ǧahān-i Islām. Teheran, 2000, 24, 38. 5 ebd., 67. 6 ebd., 38.

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 Reza Hajatpour

Damit wird auch das Prinzip der Unabhängigkeit der Vernunft von der Offenbarung, die unter vielen Mu’taziliten verbreitet ist, angezweifelt. Anders als Scheich Mufīd favorisiert sein Schüler Sayyid Murtaḍā Alamulhudā, gleichermaßen wie Qāḍī Abdulǧabbār, die Vernunft in Fragen der Erkenntnis Gottes oder der Verpflichtung für den Menschen. Es ist die Vernunft, die den Menschen auf seine Pflicht aufmerksam macht und dazu veranlasst, Gott als Gesetzgeber anzuerkennen. Diese Notwendigkeit erkennt die Vernunft ohne Anweisungen der Offenbarung. Murtaḍā Alamulhudā führt dies auf die Angst vor den Konsequenzen zurück, denn die Vernunft warnt die Menschen vor eventuellen Folgen bei der Pflichtverweigerung. Die Vernunft will folglich das Übel und das Böse vermeiden.7 Jedoch ist sein Vernunftbegriff von göttlicher Inspiration abhängig. Die menschliche Seele (nafs nāṭiq) ist sich ihrer Pflicht bewusst. Dadurch definiert sich auch der Mensch über sein Menschsein. Auf diesen Faktor geht auch, wie Ibrāhīmī Dīnānī meint, seine Vorstellung von der Seele ein, die für Murtaḍā Alamulhudā die Summe der Glieder der Menschen sei. Denn eben jene Pflichterfüllung erfolge durch die Glieder.8 Ein weiterer Aspekt, der die Nähe und Distanz der Schia zu Muʿtazila demonstriert, ist die Frage der Attribute Gottes. Mufīd ist wie die Mu’taziliten der Meinung, dass die Handlungseigenschaften nicht ewig währen. Damit stellt sich die Frage nach der Rede Gottes, nämlich dem Koran. Mufīd erachtet den Koran als nicht für die Ewigkeit bestimmte Rede Gottes sondern als zeitlich begrenzt erschaffen. Denn das Wort und die Schrift sind nicht ewig. Dennoch ist Mufīd sich darüber bewusst, dass die -Position der Imāmiya einer Erschaffung des Korans nicht zustimmen würde.9 Ähnlich wie die Muʿtaziliten bezeichnet er die körperlichen Bezeichnungen für Gott wie Hand oder Thron Gottes als allegorisch, wobei Mufīd davon ausgeht, dass es dennoch einen Thron gäbe, den Gott als Zeichen seiner Herrschaft erschaffen habe Hinsichtlich der Vollständigkeit und Mangelhaftigkeit ist Mufīd der Meinung, dass der aktuelle Koran mit dem wirklichen Koran nicht identisch bzw. sogar verfälscht sei. Das heißt aber nicht, dass der Koran nicht Gottes Wort sei. Das, was im Koran steht, auch wenn er nicht vollständig aufzeigt, was Gott an den Propheten offenbart wurde, ist Gottes Wort.10

7 ebd., 45  ff. 8 ebd., 52. 9 Sander, 91–92. 10 ebd., 92–93.

Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 

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Als ein weiterer Aspekt sei nun die Taqiyya zu nennen. Mufīd ist wie alle imāmitische Gelehrten der Meinung, dass Taqiyya eine religiöse Pflicht sei. Denn manchmal seien das Verschweigen der Wahrheit und das Verbergen der Glaubensüberzeugung notwendig. Jedoch dürfe dies nicht zur Tötung eines Gläubigen führen.11 Der Mu’tazilit Qāḍī Abdulǧabbār lehnt dagegen das Konzept Taqiyya ab, da der Gläubige die Pflicht habe, anderen den rechten Weg zu zeigen und sie von verwerflichen Taten abzuhalten. Er nimmt jedoch die Frauen, Kinder und Geisteskranken von dieser Pflicht aus.12 Ein letzter Aspekt, der hier noch erwähnt werden sollte, ist die Idee des Imams. Mufīd zufolge sind die zwölf Imame heilig und der letzte ist entrückt. Sie sind sündenlos, zumindest zu Beginn ihres Amtes, und gefeit vor der großen Sünde. Sie sind vollkommen, aber nicht in allen Bereichen, sondern nur dort, wo sie als Imame fungieren.13 Die Mu’taziliten, vor allem ist hier Qāḍī Abdulǧabbār zu nennen, erachten die Imame als nicht frei von Sünde, auch wenn der Imam als der beste Mann seiner Zeit angesehen würde. Dennoch sei er keine heilige, charismatische Person, sondern der politische und juristische Statthalter der Gemeinde.14 Die Lehre vom heilswichtigen Imam bleibt ein unüberwindbarer Gegensatz zwischen Muʿtazila und Schia, wie Tilman Nagel feststellt. Darüber hinaus seien generell Chiliasmus des Schiitentums der Muʿtazila weitgehend fremd.15 Es herrscht kein Zweifel, dass Mufīd sich in seiner Theologie rationalistischer Methoden bedient. Man stellt jedoch auch Widersprüche und Aporien in seinen Positionen fest. Die Biographie Scheich Mufīds zeigt, dass er unter dem Einfluss verschiedener Gedankenrichtungen stand. Zum einen war er der Schüler von Ibn Bābūya, dem berühmten imāmitischen Traditionsgelehrten. Dessen Werk „Iʿtiqādāt Ṣadūq“ zur schiitischen Glaubenslehren ist das erste Werk, in dem Ibn Bābūya den Versuch unternahm, seiner traditionellen Methode auch rationale Argumente beizumischen. Zum anderen lebte er in der Blütezeit der muʿtazilitischen Theologie in Bagdad und pflegte Kontakte zu den dortigen Mu’taziliten

11 ebd., 88–90. 12 ebd., 59. 13 ebd. 85  ff. 14 ebd., 58. 15 Nagel, Thomas. Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 1994., 121–122.

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 Reza Hajatpour

Es wird berichtet, dass er in vielen seiner Positionen den Meinungen Abūlqāim Balkhīs, dem geistigen Führer der muʿtazilitischen Theologie in Bagdad, folgte.16 Madelung stellt in seinen Untersuchungen fest, dass Mufīd sich in einigen theologischen Fragen von den herrschenden Positionen der Muʿtaziliten in Bagdad distanzierte und stattdessen eine eigene Glaubenslehre der Imāmiya verbreitete.17 Diese Glaubenslehre betrifft vor allem die kontroversen Fragen danach, welche Folge Sünde durch Muslime hat, sowie Fragen nach der Rückkehr der Toten auf die Erde, der Idee der Willensfreit des Menschen, der Schaffung des Korans und der Taqiya sowie vor allem der Imāmatslehre. Der theologische Zwiespalt, der sich bei Mufīd herauskristallisiert, speist sich aus der Notwendigkeit des Heils durch die Offenbarung und die damit verbundene Enthüllungslehre durch einen charismatischen Imam. Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die frühere Phase der systematischen Lehre des imāmitische Glaubensdogmas, die mit Mufīd begonnen hat, keineswegs frei von theologischen Widersprüche sein konnte, denn es herrschte bis zu Zeiten Mufīds vorwiegend eine traditionelle Imāmiya-Lehre, die von Kulainy und Ibn Bābūya (bekannt als Scheich Ṣadūq) geprägt war. Zudem waren die Muʿtaziliten in Barsa und die Bagdader Schulen ebenfalls gespalten. Somit konnte Mufīd angesichts der politischen und religiösen Lage keine eigene imāmitische Position riskieren. Dieser Zwiespalt geht bereits aus einigen Werken Mufīd s hervor, wie Paul Sander in seiner eingehenden Untersuchung aufzeigt. In seinem Werk „Awāʾil al-maqālāt“ (Grundlegende Lehrsätze) beabsichtigt Mufīd u.  a., die imāmitische Lehre von den Mu’taziliten und von anderen Schulmeinungen abzugrenzen, während er in seinem Werk „Taṣḥīḥ al-iʿtiqād“ die Verbesserung der Lehren seines Meister Ibn Bābūya anstrebt, der eine in der Tradition verhaftete Theologie betrieb.18

Literatur al-Ḥasanī, Hāshim Maʿrūf. Šīʿa dar barābari Muʿtazila wa Ašāira. Übertragen ins Arabische von Sayyid Muḥammad Ṣādiq ʿĀrif. Mashhad, 2009. Ḥalabī, ʿAlī Aṣghar. Tāriḫ-i Kalām dar Irān wa ǧahān-i Islām. Teheran 1994.

16 Ḥalabī, ʿAlī Aṣghar. Tāriḫ-i Kalām dar Irān wa ǧahān-i Islām. Teheran 1994, 252. 17 Madelung, Wilfred. „Imamism and Mutazilite Theology.“ In Le Shi`isme Imamite, Colloque de Strasbourg. Paris, 1970, 22  ff. 18 Sander, 83.

Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 

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Ibrāhīmī Dīnānī, Gholam Husein. Māǧarā-i fikrī falsafī dar ǧahān-i Islām. Teheran, 2000. Madelung, Wilfred. „Imamism and Mutazilite Theology.“ In Le Shi`isme Imamite, Colloque de Strasbourg. Paris, 1970. Madelung, Wilferd; Schmidtke, Sabine. „Rational Theology in Interfaith Communication. Abū l-Husayn al-Basri’s Mu’tazili Theology among the Karaites in the Fatimid Age.“ In Jerusalem Studies in Religion and Culture 5. Leiden: Brill, 2006. Nagel, Thomas. Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 1994. Sander, Paul. Zwischen Charisma und Ratio. Entwicklungen in der früheren imamitischen Theologie. Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1994.

III Maturiditisches und Ašʿaritisches Denken

Hureyre Kam

Die duale Epistemologie al-Māturīdīs Thema der Erkenntnistheorie ist Wahrheit. Die grundsätzlichen Fragen lauten: Welches sind die Quellen, über die ich Wissen erlangen kann und welches sind die Kriterien, wodurch ich wahres Wissen von bloßen Meinungen unterscheiden kann? Sprich: Wie ist Gewissheit möglich? Gibt es eine Wahrheit außerhalb des Menschen, oder braucht es immer das Urteil der menschlichen Vernunft, bzw. des Verstandes, um etwas als „wahr“ oder „unwahr“ zu bestimmen? Die Erkenntnisfrage ist ein grundlegendes Problem der Philosophie, die bereits von Platon aufgeworfen wurde und das bis zur heutigen Zeit immer wieder zur Diskussion steht.1 Es möge an dieser Stelle genügen auf die Namen Descartes2, Hume3, Kant4 und Wittgenstein5 hinzuweisen, die mit ihrem Denken die Eckpunkte markierten, die für die modernen epistemologischen Entwürfe maßgeblich sind. Die Bedeutung der Erkenntnislehre al-Māturīdīs für die moderne islamische Theologie ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass al-Māturīdī in der islamischen Gelehrsamkeit der Erste war, der der Erkenntnislehre ein eigenständiges Kapitel widmete und es als Einleitung seinen theologischen Abhandlungen vorausschickte.6 So bemerkt Özcan, dass es zwar auch schon vor al-Māturīdī Theorien über das Wissen und die Erkenntnismöglichkeiten in der islamischen Welt gegeben hätte. Die Methode aber, der Erkenntnislehre ein eigenständiges Kapitel zu widmen und dieses als Einleitungskapitel zu bestimmen, wodurch gewissermaßen das theologische Programm vorgezeichnet wird, sei eine Methode, die zuerst al-Māturīdī angewandt habe, welche sich aber schon sehr bald als Standard etabliert habe.7

Anmerkung: Dieser Artikel geht auf meine bisher unveröffentlichte Doktorarbeit zu al-Māturīdīs Theodizee zurück und stellt eine Zusammenfassung des ersten Kapitels zur Epistemologie al-Māturīdīs dar. 1 Für eine Übersicht über die historische Entwicklung der Erkenntnislehre siehe: Gottfried Gabriel, Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Paderborn 2008. 2 René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Essen, 2003 3 David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Hamburg, 121993. 4 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg, 2014. 5 Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt am Main, 1984. 6 Sönmez Kutlu. „Bilinen ve Bilinmeyen Yönleriyle Imam Mâturîdî.“ In Imam Mâturîdî ve Maturidilik, 22  ff, Ankara, 2003, 22  ff. 7 Özcan, Hanifi. Bilgi Problemi, 29  ff. Özcan stützt sich dabei hauptsächlich auf J. Schacht, The History of Muhammadan Theology, in: Studia Islamica, I (1953), 41. https://doi.org/10.1515/9783110588576-016

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 Hureyre Kam

Abū Manṣur Muḥammad b. Muḥammad al-Māturīdī (333/944) rückte wieder ins Blickfeld der islamisch-theologischen und historischen Forschung, nachdem sein maßgebliches theologisches Werk, das Kitāb at-Tawḥīd, von Fethollah Kholeif im Jahre 1970 ediert wurde. Obschon insbesondere die ḥanafitischen Sunniten sich als Māturīditen verstehen, galten seine Werke lange Zeit als verschollen und die Kenntnis über seine Lehren blieb bruchstückhaft.8 Seit der Edition von Kholeif ist das Interesse am Denken al-Māturīdis wieder erwacht und es folgten zahlreiche Bücher und Artikel, die sich mit ihm beschäftigen. Im deutschen Sprachraum sind bis dato insbesondere die Monographien von Ulrich Rudolph9 und Angelika Brodersen10 hervorzuheben. Wir sind heute zudem in der glücklichen Lage bereits eine zweite Edition des K. at-Tawḥīd einsehen und somit zwei Lesarten miteinander vergleichen zu können. Es handelt sich dabei um die Edition von Bekir Topaloğlu und Muhammed Aruçı.11 Die Beschäftigung mit den Lehren von al-Māturīdī ist aber nicht nur deswegen lohnend, weil es hier noch einiges zu entdecken gibt. Insbesondere sein rationalistischer Ansatz, womit er eine Mittelposition zwischen der Muʿtazila und Asʿarīya einnimmt12, verspricht in unseren Kontexten neue Diskurse zu eröffnen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem „wie“ dieser Beobachtung. Nicht so sehr mit der Frage inwiefern al-Māturīdis Theologie heute fruchtbar weitergedacht werden könnte. Bevor die Untersuchungen angegangen werden können, muss zunächst die Frage erörtert werden, wie die Mittelposition al-Māturīdīs systematisch begründet ist. Dies jedoch erfordert ein genaues Verständnis seiner Epistemologie. Was bedeutet es zu sagen, dass al-Māturīdī einen „rationalistischen Ansatz“ vertritt? Ist er ein Rationalist im Sinne eines Descartes? Oder ist er gar ein Positivist? Diese Frage wird von Özcan Hanifi, der bis dato als einziger eine Monographie zur Erkenntnislehre al-Māturīdīs verfasst hat13, dahingehend beantwortet, dass er ihn als einen „gemäßigten Realisten“ bezeichnet und Parallelen zu Thomas von Aquin und Kant aufzeigt.14 Obschon der Brückenschlag zu Thomas und Kant

8 Näheres dazu: W. Montgomery Watt, The Problem of al-Māturīdī, in: Mélanges d’Islamologie, Leiden (1974), 264–269. 9 Ulrich Rudolph, al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden, 1997. 10 Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdīya am Beispiel der Attributenlehre, Berlin, 2014. 11 al-Māturīdī, Kitāb at-Tawḥīd, hg. v. Bekir Topaloğlu u. Muhammed Aruçı, Istanbul/Beirut, 2007. 12 Özcan, Mâtüridî’de Bilgi Problemi, 31  ff. 13 Ebd. 14 Özcan, Bilgi Problemi, 68  ff.

Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 

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einer genaueren Prüfung bedarf, was ich hier nicht leisten kann, scheint mir die Bezeichnung „gemäßigter Realist“ gut getroffen. Jedoch bin ich mit seiner Aufschlüsselung des erkenntnistheoretischen Systems des al-Māturīdī nicht ganz einverstanden. Özcan folgt im Großen und Ganzen der Lesart des Kholeif, die später besprochen werden wird. In dieser Arbeit wird daher eine neue Lesart der māturīdischen Erkenntnislehre angeboten werden, wonach al-Māturīdī eine duale Epistemologie entwirft. Das bedeutet, dass die Erkenntnislehre in zwei große Bereiche aufgeteilt wird: Die Religionsepistemologie und die allgemeine Epistemologie. Der Unterschied zwischen beiden Bereichen liegt in den Erkenntnisquellen, die den jeweiligen Epistemologien zugeschrieben werden, was ich in diesem Artikel darstellen möchte. Zu diesem Zweck werde ich die erkenntnistheoretischen Abschnitte des K. at-Tawḥīd noch einmal mit Fokus auf systematische Stringenz lesen. Dazu wird zunächst eine allgemeine Übersicht angeboten. Anschließend werden die beiden uns vorliegenden Editionen vergleichend gelesen und analysiert werden. Ein weiterer zentraler Text, den wir in diesem Zusammenhang besprechen werden ist ein Artikel Ulrich Rudolphs, bezüglich der Erkenntnislehre al-Māturīdis, in welchem er ebenfalls eine Alternativlesart anbietet.15 Meine Lesart, die ich zum Schluss präsentieren werde, verstehe ich nicht als eine Überwindung der anderen Lesarten, sondern als eine Weiterentwicklung. Meine Absicht ist weniger ein gänzlich neues System zu entwerfen, als vielmehr Nuancen heraus zu arbeiten, die eine neue Perspektive auf die Theologie und das Denken al-Māturīdis eröffnen können.

Der Theologe al-Māturīdī Zunächst sei erwähnt, dass al-Māturīdī in erster Linie ein Apologet ist. Das bedeutet: Er entwirft nicht eine Erkenntnistheorie aus genuin philosophischem Interesse heraus, sondern zum Zwecke der Theologie als einer Wissenschaft. Seine – mit acht Seiten noch sehr knappe – Erkenntnislehre ist daher im Grunde Theologie. Oder vielleicht besser: Sie ist eine Grundlegung zu seiner Theologie, da er seine theologischen Kernpositionen bereits hier vorwegnimmt. Die erkenntnistheoretischen Überlegungen orientieren sich dabei an theologischen Positionen, werden durch die Theologie legitimiert und liegen dem ganzen Entwurf zugrunde. Kurz:

15 Rudolph, Ulrich. „Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al-Aš’arī’s und alMāturīdī’s.“ In ZDMG 142 (1992), 72–79.

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 Hureyre Kam

Die Erkenntnislehre, die uns hier vorliegt, ist ein Theologoumenon. Das Besondere und auch Schwierige bei al-Māturīdī ist dabei der Umstand, dass er den Bereich der Religion von seiner restlichen Erkenntnislehre sichtlich abtrennt und der Religionserkenntnis somit scheinbar eine eigene Methodologie zuschreibt. Es ist mir ein Anliegen diesen Umstand besonders zu unterstreichen, da dies in der bisherigen Forschung keine gesonderte Beachtung fand und eventuell Konsequenzen für seine gesamte Theologie hat. Meine Erörterungen in diesem Artikel geben mir Anlass, drei zusammenhängende Beobachtungen herauszustreichen. Zum einen möchte ich auf Differenzen in den beiden uns vorliegenden Editionen des Kitāb at-Tawḥīd hinweisen, die bei genauer Betrachtung zwei verschiedene Lesarten eröffnen. Die zweite Beobachtung leitet sich aus der ersten ab. An dieser Stelle möchte ich dann ein Spezifikum in der Erkenntnislehre al-Māturīdīs herausarbeiten, die in der Forschung bisher keine gesonderte Beachtung fand. Ich meine, dass al-Māturīdī uns keine universale Erkenntnislehre bietet, die für alle epistemischen Phänomene gleichermaßen gelten soll. Vielmehr kann man bei näherer Betrachtung beobachten, dass er den Bereich der Religion vom Bereich der reinen wissenschaftlichen bzw. theologischen Beschäftigung trennt und ihnen jeweils eine eigene Epistemologie zuschreibt. Was diese Zweiteilung der Epistemologie praktisch zu bedeuten hat und warum sie für al-Māturīdī überhaupt notwendig wurde, wird dann im Zuge der Erörterungen ersichtlich werden. Die dritte Beobachtung erschließt sich ebenfalls aus dem Kontext der Erörterungen über das Charakteristikum der Erkenntnislehre und betrifft die Klassifizierung des Wissens. Bislang herrscht die Position vor, man könne nicht mit Sicherheit sagen, dass al-Māturīdī eine eindeutige Klassifizierung des Wissens einführe. Meine Beobachtungen zeigen hingegen, dass die Klassifizierung des Wissens in „notwendiges“ und „bezweifelbares“ programmatisch seiner Erkenntnislehre zugrunde liegt. Ich will nun eine Tabelle wiedergeben, in welcher Özcan das epistemologische Grundgerüst al-Māturīdīs verarbeitet.16 Nach Özcan sieht al-Māturīdīs erkenntnistheoretisches Gesamtkonzept folgendermaßen aus:

16 Özcan, Bilgi Problemi, 102.

Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 

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Wissen (ʿilm)

Ewiges Wissen (al-ʿilm al-qadīm)

Bedingtes Wissen (al-ʿilm al-ḥādiṯ)

Wissen der Lebewesen (al-ʿilm al-ḥayawānī)

Notwendiges Wissen (al-ʿilm aḍ-ḍarūrī)

Menschliches Wissen (al-ʿilm al-insānī)

Instinktives Wissen (al-ʿilm al-fiṭrī)

Erworbenes Wissen (al-ʿilm al-muktasab)

Historisches Wissen (al-ʿilm at-tārīḫī)

Notwendiges Wissen (al-ʿilm aḍ-ḍarūrī)

Spekulatives Wissen (al- ʿilm al-istidlālī)

Dieser Tabelle17 ist zu entnehmen, dass das Wissen grundlegend in zwei Bereiche geteilt wird, in Gottes ewiges Wissen und das Wissen der Geschöpfe. Nach Özcan liegt der Unterschied darin, dass Gottes Wissen keinen Ursprung habe. Er wisse durch sich selbst, wohingegen die Geschöpfe immer durch Etwas und anlehnend an Etwas Wissen erlangen könnten. Deswegen sei Gottes Wissen absolut (türk. mutlak), während das Wissen der Geschöpfe immer relativ (türk. izâfî) sein müsse.18 Bezogen auf die Zeit bedeute das, Gott wisse alles im Vorhinein, während den Geschöpfen das Zukünftige verborgen sei. Die Menschen haben nach dieser Tabelle mit den anderen Lebewesen gemein, dass die Sinneswahrnehmung für beide „notwendiges Wissen“ generiert. „Notwendiges Wissen“ ist jenes, über das es keinen Zweifel geben kann. Was damit genau gemeint ist, wird später erörtert werden. Außerdem würde al-Māturīdī auch bei den Tieren „notwendiges Wissen“ beobachten, welches das „instinktive Wissen“ (türk. Fitrî Bilgi) sei. Özcan gibt an, dass al-Māturīdīs Ausführungen zu diesem Punkt unzufrieden stellend sind, da er das Instinktive bei den Tieren ebenfalls undifferenziert als eine Form des Wissens auffasse und nicht als eine Form des Empfindens.19 Er erwähnt, dass al-Māturīdī in diesen Fällen von ʿiyān spricht. Die Kritik wird wohl dahingehend zu verstehen sein, dass er nicht explizit

17 Ebd. 18 Özcan, Bilgi Problemi, 103. 19 Özcan, Bilgi Problemi, 108–109.

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zwischen ḥawāss und ʿiyān bei den Tieren unterscheidet. An einer anderen Stelle weist Özcan nämlich darauf hin, dass der Begriff ḥawāss in seinem Bedeutungsumfang enger sei und lediglich auf die fünf äußeren Sinne deute, während der Begriff ʿiyān ein viel weiteres Spektrum habe. Er umfasse sowohl die fünf Sinne, als auch die Instinkte und die „innere Schau“. Auch das Gewissen z.  B., welches zu dem sog. „sechsten Sinn“ gezählt werde, könne ebenfalls durch ʿiyān wiedergegeben werden.20 Die Unterscheidung des menschlichen Wissens in „erworbenes“ und „notwendiges“ Wissen wird entsprechend der Tabelle von Özcan in Bezug auf al-Māturīdī festgesetzt. „Notwendig“ sei jenes Wissen, worin der Irrtum ausgeschlossen sei und es auch keine Veränderung geben könne. Das Umgekehrte gelte für das „erworbene Wissen“, das entweder durch die Überlieferung oder durch rationale Spekulation (istidlāl) erworben werde. Dieses Wissen müsse stets der kritischen Prüfung unterzogen werden.21 Obwohl ich Özcan nachvollziehbar finde, gibt es Stimmen, die hier Vorsicht anmahnen, da al-Māturīdī die Unterscheidung nicht selber explizit einführt. Dies mag im Sinne einer allgemeinen Übersicht ausreichen. Im Folgenden werde ich mich lediglich dem „menschlichen Wissen“ zuwenden. Die anderen Bereiche des Wissens müssen ausgeblendet bleiben, da sie für die Sache dieses Vorhabens nicht relevant sind. Im Folgenden will ich nun die beiden Editionen von Kholeif und Topaloğlu vergleichend vorstellen.

Die Erkenntnis der wahren Religion Dieser Abschnitt ist in sich zweigeteilt. Zunächst versucht al-Māturīdī die Legitimität der Vernunftanwendung in Fragen der Religion zu legitimieren und schickt deshalb eine „Zurückweisung des Autoritätsglaubens22“ (ibṭāl at-taqlīd23) voraus.

20 Özcan, Bilgi Problemi, 76. 21 Özcan, Bilgi Problemi, 111. 22 D.  i. die blinde Befolgung eines Glaubenssatzes, welches von einer religiösen Autorität ausgesprochen wurde. Man könnte den Begriff auch als „Autoritätshörigkeit“ oder „Nachahmung“ übersetzen. Vincent Wroblewsky und Sarah Dornhof bevorzugen z.  B. die etwas komplizierte Übersetzung als „nachahmender Konformismus“ al-Jabri, Kritik der arabischen Vernunft, Berlin 2013, 95. Im Folgenden wird die Übersetzung Rudolphs bzw. van Ess‘ als „Autoritätsglaube“ übernommen. 23 Das Problem des taqlīd ist ein Thema, das in den Kalām-Werken stets kontrovers blieb. AlMāturīdī selbst kommt immer wieder auf das Problem zu sprechen und weist den taqlīd auf das schärfste zurück, während „spätere Māturīditen (…) gegenüber dem Autoritätsglauben konzilian-

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Wie unschwer zu erraten, gibt al-Māturīdī in diesem Abschnitt zu wissen, dass die blinde Autoritätshörigkeit unzulässig sei. Denn, woher wolle man wissen, welches die wahre Religion sei, wenn lediglich die Aussagen einer Autorität gegenüber der anderen stünden? Jede Gruppe beanspruche selber im Recht zu sein und verurteile die anderen mit der Befolgung einer Irrlehre. Aber genau dieser Umstand – dass nämlich eine Gruppe das volle Recht beansprucht gegenüber einer anderen Gruppe, die etwas Konträres behauptet und ebenfalls Recht zu haben beansprucht – zeige, dass es ein unverzeihlicher Fehler sei, einer nachahmerischen Gesinnung nachzugeben. Es müsse ein Kriterium geben, wonach man die Wahrheit der Aussagen der Religionsstifter (salaf)24 ermitteln könne. Wodurch erkennen wir sie? Die Religionsstifter kommen uns mit Argumenten, deren Beweiskraft und Stichhaltigkeit die Vernunft (ʿaql) überzeugen müssen. Man müsse demnach die Botschaften, die sie übermitteln, gegeneinander abwägen und kritisch prüfen. Derjenige, der sich dann an jene Autorität mit den besten Argumenten halte, werde auch das Rechte getroffen haben.25 Das bedeutet, dass al-Māturīdī nicht grundsätzlich gegen den Autoritätsglauben ist, sondern nur insofern er nicht kritisch reflektiert wird bzw. blind ist. Die zwei Kriterien der Wahrheitsfindung – im Sinne der wahren Religion – sind somit bereits ausgesprochen. Diese sind samʿ (Überlieferung) und ʿaql (Vernunft).26 al-Māturīdī hatte bis hierhin zwar das grundlegende Prinzip der Wahrhaftigkeit festgesetzt und ʿaql als die Prüfinstanz der Wahrheit etabliert, blieb

ter (waren)“ Rudolph, Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al-Ašʿarī’s und al-Māturīdī’s. in: ZDMG, Bd. 142 (1992): 73–89. Hier: 79, FN 23. Für eine detaillierte Erörterung der taqlīd-Debatte siehe al-Jabri, Kritik der arabischen Vernunft, Berlin, 2013, 95. Van Ess, Erkenntnislehre, 44  ff. Diese Haltung, die auch von den frühen Muʿtaziliten vertreten wurde, erscheint auf den ersten Blick sehr sympathisch, wurde aber von den Muʿtaziliten selber nicht eingehalten und ihre Anerkennung wurde durch die miḥna aufoktroyiert. Für die miḥna siehe: Van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra, Berlin/New York (1997), IV: 672  ff. Siehe auch: Van Ess. „Ibn Kullāb und die Miḥna.“ In Oriens, Bd. 18/19 (1965/1966): 92–142. 24 Al-Māturīdī spricht genau genommen von den Altvorderen, was die wortgetreue Übersetzung von salaf ist. Gemeint sind jedoch die Religionsstifter, also die Propheten, worauf auch Topaloğlu hinweist, vgl. Tawḥīd, 65, Anm. 9. 25 Tawḥīd (K), 3. 26 Ich werde ʿaql vorwiegend mit Vernunft übersetzen, da dies dem m­āturīditischen Denken eher zu entsprechen scheint, als „Verstand“. Während Verstand eine technische Funktion des Denkens betont, steht „das Vernünftige“ stets für mehr als dem bloß „Verständigen“ und betont die geistige, oder ethische Dimension des Denkens, was besser in die Gedankenwelt unseres Gelehrten passt. Ferner ist das „vernünftige Handeln“ der „weisen Handlung“ näher in seinem Sinngehalt, als das „verständige Handeln“. Letzteres beschreibt das technische Verständnis des Handelnden, mithin seine Professionalität, aber nicht seine Weisheit, welches zusätzlich eine tiefe Einsicht in die menschlichen Zusammenhänge seiner Handlungen erfordern würde.

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aber in seinen Ausführungen noch wage. Dies bringt er dann im zweiten Abschnitt explizit zum Ausdruck. Die religiösen Autoritäten überliefern uns Glaubenssätze (durch samʿ) und es ist dann an den Menschen die Wahrheit dieser Glaubenssätze kritisch zu überprüfen (durch ʿaql), so dass am Ende die wahre Religion obsiegen muss. An dieser Stelle sei festgehalten, dass jeglicher Wahrheitsrelativismus für al-Māturīdī fremd ist. Es könne nur eine Wahrheit und deshalb nur eine Religion geben, die auch alle Menschen annehmen müssen, sofern sie nicht stur seien und das stärkere Argument auch gelten ließen. Ja, viel mehr noch: Jeder Mensch sei dazu verpflichtet, seine Religion kritisch zu erforschen und am Ende diesen einen Propheten anzuerkennen, dessen Wahrhaftigkeit aufgrund seiner apodiktischen Beweise (burhān) nicht zu leugnen sei. Weil die Wahrheit für ihn spreche (wörtl. šahādat al-ḥaqq lahū), sei seine Religion auch umfassend und jeder Mensch sei aufgefordert, ihm zu folgen.27 Wenn man nun den Ausführungen al-Māturīdīs über den Kosmos und den Sinn des Lebens eine größere Beachtung schenkt, so kann man sehen, dass die zentralen Punkte in seiner Gottesvorstellung bereits ausgesprochen sind. Das Konzept der Weisheit steht dabei im Vordergrund und muss den konzentrischen Kern von al-Māturīdīs Gottesvorstellung ausmachen, wie aus seinen Bemerkungen zum Urprinzip ersichtlich ist. Daraus folgt, dass Lebendigkeit und Macht für ihn noch keinen Gott ergeben können, wodurch er sich stark von al-Ašʿarī unterscheidet.28 Die Gerechtigkeit hingegen wird auch für al-Māturīdī wichtig sein, muss aber aus dem Prinzip der Weisheit heraus erklärt werden können. Hierdurch unterscheidet er sich auch von der Muʿtazila, für die das Konzept der Gerechtigkeit im Zentrum ihrer Gottesvorstellung stand.29

Die Erkenntnis der Wirklichkeit der Dinge Bis zu diesem Punkt gab es keinen Unterschied in den Editionen, wie wohl auch der Text leicht nachzuvollziehen war. Es folgt nun jene Stelle, wo die beiden Editionen differieren. Der Text nimmt jetzt eine Wende, was den Leser zunächst verwundert und ihm das Verständnis der māturīdischen Erkenntnislehre erschwert. So ist jetzt plötzlich nicht mehr von zwei, sondern von drei Quellen des Wissens die Rede, ohne dass ein merklicher Zusammenhang von al-Māturīdī aufgezeigt

27 Tawḥīd (K), 3. 28 al-Aš᾽arī, al-Lumaʿ, o.O.,1955, 17  ff.; al-Aš᾽arī, al-Ibāna, Kairo, 1977, 144  ff.; M. Ghaly, Islam and Disability, London/New York 2010, 24  ff. 29 ʿAbd al-Ǧabbār, al-Uṣūl al-ḫamsa, Kuwait, 1998, 69–70.

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worden wäre. Der Gedanke ist naheliegend, dass die einleitende Passage der Legitimierung diente, religiöse Fragen durch die Mittel der Reflexion zu erörtern. Denn die Zweiteilung der Erkenntnisquellen wird nur auf die Religion bezogen, wohingegen die Quellen des Wissens drei sind. Das ist aber auf den ersten Blick nicht ersichtlich, sondern wird erst im Rückblick nach und nach deutlich, da der Unterschied an dieser Stelle von al-Māturīdī nicht explizit angesprochen wird. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nur verständlich, dass wir zwei divergierende Lesungen der Editoren vorliegen haben. Während Kholeif nahtlos den nächsten Absatz anhängt, führt Topaloğlu eine Zäsur im Text ein. Nach Topaloğlu liest sich die bisherige Erörterung als ein Prolog. Denn jetzt kommt nach seiner Lesung die eigentliche Einleitung (muqaddima), welche er auch rigoros als solche angibt. Im Folgenden werde ich zuerst die beiden Gliederungen nacheinander wiedergeben.

Die Kholeif-Edition Die Gliederung des Textteils, der sich mit Erkenntnislehre befasst, einschließlich der bisher besprochenen Abschnitte, sieht in der Kholeif-Edition folgendermaßen aus: [i]30 [ii] [iii] [iv]

Basmala-Formel, 3. Die Zurückweisung des blinden Autoritätsglaubens und die Notwendigkeit die Religion anhand von Beweisen zu erkennen, 3–4. Die Überlieferung und die Vernunft sind die zwei Quellen, die zur Erkenntnis der Religion führen, 4–7. Die Wege, die zum Wissen führen, sind [drei:] Die Sinne, die Überlieferung und die Spekulation,31 7–11.

Die nach Punkt [iv] folgende Überschrift, die Kholeif einführt, gehört nicht mehr in den Zusammenhang der Erkenntnislehre. Sie gehört eindeutig in den Bereich der Theologie, was auch aus dem Titel ersichtlich ist: „Der Beweis, dass die Dinge erschaffen sind.“32 Kholeif will dem Text anscheinend nicht allzu viel Eigenes beimengen, weshalb er den einleitenden erkenntnistheoretischen Teil nicht beson-

30 Die Nummerierung in Klammern wurde der Übersicht halber vom Verfasser eingefügt. 31 „as-subul al-muwaṣṣala ilā l-ʿilm hiya l-ʿiyān wa-l-aḫbār wa-n-naẓar“ 32 “ad-dalīl ʿalā ḥadaṯ al-aʿyān”, Tawḥīd, 11.

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ders kennzeichnet, um ihn somit vom theologischen Teil des Textes merklich zu sondieren. Kholeif sieht in der Erkenntnislehre des al-Māturīdī keine Zweiteilung. Er ist der Ansicht, dass al-Māturīdī alle drei Erkenntnisquellen für alle epistemischen Probleme anwendet. Er beobachtet dabei jedoch eine wichtige Nuance. Im Vorwort zu seiner Edition behauptet er, dass für al-Māturīdī jedes Erkenntnismittel seinen eigenen Erkenntnisbereich hat und dass jede Erkenntnis einem dieser Mittel spezifisch zuzuschreiben sind. D.h., dass keines der Erkenntnismittel an die Stelle des anderen treten und seine Aufgabe übernehmen kann.33 Diese Feststellung Kholeifs kann jedoch nicht bedeuten, dass die Erkenntnismittel auf ihre eigenen spezifischen Erkenntnisbereiche beschränkt sind. Sondern vielmehr, dass sie sich gegenseitig Informationen zuspielen, die dem anderen nicht zugänglich waren. Nur müsse man stets darauf achten, dass man das richtige Erkenntnismittel wählt, da man ansonsten zu falschen Ergebnissen kommen könne.34 Rudolph  – der in seiner Monographie über al-Māturīdīs Theologie viele Unzulänglichkeiten in der Kholeif-Edition kritisiert35– wird die von Kholeif vorgegebene Gliederung des Buches ebenfalls zu vage und unübersichtlich erschienen sein, weshalb er eine eigene umfassende und detaillierte Gliederung des K. at-Tawḥīd anbietet.36 Er orientiere sich dabei „ausschließlich am inneren Fortgang des Textes“.37 Seine Gliederung sieht folgendermaßen aus: Prolegomena: Erkenntnislehre 1. Die Religion darf nicht auf Autoritätsglauben (taqlīd), sondern muß auf Beweise gegründet sein. 4,5–6 ult. 2. Erkenntnis in der Religion gewinnt man durch die Überlieferung (samʿ) und den Verstand (ʿaql). 7,1–11,4 3. Grundsätzlich verfügt der Mensch über drei Erkenntnismittel: a) Sinne b) Überlieferung c) Verstand“38 „(3–11) 3,6–4,4

Rudolph versteht den erkenntnistheoretischen Teil des Buches als ein Prolegomenon. Dies ist damit begründet, dass er sehr knapp gehalten ist und viele Lücken aufweist. Z.  B. fehlt die ausführliche Kategorisierung des Wissens. Zu jener Zeit wurde jedoch bereits zwischen „notwendigem“ (al-ʿilm aḍ-ḍarūrī) und „erworbe-

33 Tawḥīd (K), 29. 34 Siehe auch Özcan, Bilgi Problemi, 59  ff. 35 Rudolph, al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden, 1997, 214  ff. 36 Rudolph, al-Māturīdī, 223–235. 37 Rudolph, al-Māturīdī, 223, Anm. 5. 38 An dieser Stelle steht im Original das Wort naẓar.

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nem Wissen“ (al-ʿilm al-muktasab) unterschieden.39 Ich möchte an dieser Stelle die Beobachtungen Rudolphs zur māturīdischen Erkenntnislehre kurz wiedergeben, um sie dann anhand der Topaloğlu-Edition weiterzudenken. Dieser Ansatz bietet sich an, da Rudolph die Kholeif-Lesung weiterentwickelt und ein attraktives System herausarbeitet.

Das System der konzentrischen Kreise nach Ulrich Rudolph Nachdem Rudolph hervorgehoben hat, dass wir im Vergleich zu al-Ašʿarī besser über den methodologischen Ansatz al-Māturīdīs unterrichtet sind, da wir ihn den einleitenden Bemerkungen des K. at-Tawḥīd entnehmen können, lässt er uns wissen, dass al-Māturīdī das Problem der Erkenntnis als „heikel“ und „vielschichtig“ ansehe. „Dreimal“, so Rudolph weiter, „hat er sich ihm von neuem genähert und dabei drei Überlegungen aufeinander folgen lassen, die sich wie konzentrische Kreise um die ursprüngliche Frage legen.“40 Mit diesen drei konzentrischen Kreisen sind die drei Unterkapitel des Prolegomenons gemeint. Es scheint, dass Rudolph hier einen pädagogischen Ansatz erkennt, wonach al-Māturīdī seinen Leser Stück für Stück an die Komplexität des Erkenntnisproblems heranführt. Das erste Unterkapitel, in welchem al-Māturīdī den Autoritätsglauben zurückweist, sei das kürzeste und erinnere an manchen Stellen an die Risāla des al-Ašʿarī. Das zweite baue direkt auf „den gerade erarbeiteten Prämissen“41 auf und lege die Überlieferung und den Verstand als die Prinzipien fest, durch die die Erkenntnis der wahren Religion möglich wird. „Denn diese Prinzipien seien im menschlichen Leben vielfach bewährt und hätten ihre Verlässlichkeit und Gültigkeit auf eine jedem einsichtige Weise bewiesen.“42 Während al-Māturīdī die Bedeutung der Überlieferung lediglich an Beispielen aus dem „profanen Alltag“ belege, werde er sehr ausführlich, sobald es um den Verstand geht. Auch Rudolph verzeichnet, dass man an Māturīdīs Argumenten zum Verstand (bzw. im zweiten Unterkapitel) die „Grundpositionen seiner eigenen Theologie“ herauslesen könne und konstatiert überleitend zum dritten Punkt, dass für al-Māturīdī nur beide

39 Rudolph, al-Māturīdī, 256. 40 Rudolph, Erkenntnislehre, 79. 41 Rudolph, Erkenntnislehre, 80. 42 Ebd.

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Erkenntnisquellen zusammen (Ratio und Überlieferung) das ganze Bild erhellen und deshalb beide unabdingbar für die Gotteserkenntnis sind. In Bezug auf den dritten „konzentrischen Kreis“, spricht Rudolph davon, dass es nun um die Frage gehe, wie Ratio und Überlieferung gegeneinander zu gewichten seien. Hier führt er die Dreiteilung der Erkenntnisquellen ein: Ratio, Sinne und Überlieferung, wobei der Ratio nur anscheinend der Vorzug gebührt, insofern es ihre Aufgabe ist, die überlieferten Berichte auf ihre Wahrheitsfähigkeit hin zu überprüfen. Später unterstreicht Rudolph, dass Ratio und Überlieferung eher als gleichwertig angesehen und behandelt werden. Man müsse auf die methodischen Erfordernisse eines jeden Problems achten, um entscheiden zu können, welchem Vermögen im gegebenen Falle der Vorzug zu geben sei.43 Die Zeitlichkeit der Körper etwa kann man laut Māturīdī nur durch den Verstand und nicht durch die Überlieferung erkennen. Dagegen sind uns die Einzelheiten der göttlichen Gebote, bzw. die Richtlinien, nach denen Gott belohnt oder straft, ausschließlich durch die Überlieferung bekannt. Wichtig ist bei alledem, dass man – je nach dem besonderen Problem – das richtige Erkenntnismittel wählt. Tut man dies nicht und vertauscht etwa den Verstand gegen die Sinneswahrnehmung, so kommt man zu falschen Ergebnissen.44

Im diesem Zitat erfahren wir Näheres zum Status der Überlieferung bei al-Māturīdī. Er beschränkt sie nicht auf die prophetische Botschaft, sondern versteht sie als Mittel zur „Weitergabe bekannten Wissens in allen Bereichen des Lebens“45. Diese Ausweitung des Begriffsumfanges dient ihm dazu, das Argument der prophetischen Überlieferung zu stärken. Denn lässt man dieses Argument für den alltäglichen Bereich gelten, „so muß es umso mehr auf die Religion zutreffen, weil hier ja die Meinungen auf den glaubwürdigsten Menschen überhaupt, den Propheten, zurückgehen“46. Auch diese Überlieferungen müssten der Prüfung unterzogen werden. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass mit „Überlieferung“ an dieser Stelle die Hadīṯe gemeint sind. Denn zum Zweck der Prüfung bedient er sich jener Methoden, die in der Hadīṯwissenschaft geläufig sind. Vertrauenswürdig sind dabei nur solche Überlieferungen, die lückenlos (mutawātir)47 bezeugt sind. Einer Prüfung unterzogen werden müssen jene Hadīṯe, die eine lückenhafte

43 Rudolph, Erkenntnislehre, 84–85. 44 Rudolph, Erkenntnislehre, 85, Anm. 52. 45 Rudolph, Erkenntnislehre, 83. 46 Ebd. 47 Tawātur ist die lückenlose Tradierung einer Überlieferung von einer Generation zum Nächsten, und zwar in solch einem Umfang, dass die Tradenten sich nicht auf einer Lüge, d.  h. auf einer falschen Überlieferung einigen können. Vgl.: Abū Ḥāmid al-Ġazālī, al-Mustaṣfā, hg. v. Ibrāhīm Muḥammad Ramaḍān, Beirut, o.  J., 384–393.

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Tradierung aufweisen, oder nur von einzelnen Überlieferern vermittelt wurden, also āḥad sind.48 Bei dieser Prüfung aber tritt erneut der Verstand auf den Plan. Seine Funktionen werden nun ebenfalls zusammengefasst, wobei die Reihe der Aufgaben, die Māturīdī ihm überträgt, durchaus eindrucksvoll ist: Der Verstand nämlich ist es, der im Falle zweifelhafter Überlieferungen und trügerischer Sinneswahrnehmungen das Wahre vom Falschen scheidet; er trennt Propheten von anmaßenden Zauberern, und er nimmt die Weisheit Gottes in der Schöpfung wahr; er setzt uns in den Stand, andere Kreaturen zu führen, und hilft uns auch weiter, wenn Zweifel oder Unglück in unser Leben eingetreten sind; und schließlich steht es ihm anheim, unsere eigene, voller Spannung befindliche Natur zu lenken und uns sogar mitzuteilen, welche Handlungen gut und welche Handlungen häßlich sind.49

Rudolph spricht in diesem Auszug von „trügerische(n) Sinneswahrnehmungen“. Vor dem Hintergrund, dass er in einer Anmerkung kurz zuvor konstatierte, dass es Anzeichen dafür gäbe, dass al-Māturīdī die Sinneserkenntnis als „notwendig“ ansehe, ist diese Bezeichnung verwirrend. Rudolph sprach dort davon, dass man die Unterteilung in notwendig und erworben zwar nicht explizit ausgesprochen findet, dennoch durchaus Analogien ausmachen könne. Interessant diesbezüglich sei eine Stelle, „wo es heißt, die Sinneserkenntnis könne nicht durch Einflüsterungen getrübt werden [d.  h. sie ist notwendig], während die Verstandeserkenntnisse solchen Einflüssen unterliegen könnten [d.  h. sie sind erworben].“50 Diese Stelle wird dahingehend zu deuten sein, dass Rudolph auf den Unterschied zwischen „Erkenntnis“ und „Wahrnehmung“ aufmerksam macht. Wie wir gesehen haben, liest Rudolph die erkenntnistheoretischen Ausführungen al-Māturīdīs als ein einheitliches Gesamtkonzept, in dem Sinne, dass al-Māturīdī nur einen methodischen Ansatz liefert, mit dem er alle Probleme bespricht. Als eine Besonderheit wurde dabei lediglich herausgestellt, dass al-Māturīdī die Gewichtung der drei Erkenntnisquellen von Fall zu Fall bestimmt. Dies ermögliche ihm zwar Flexibilität in der Argumentation, gehe aber auf Kosten der systematischen Stringenz, weshalb al-Ašʿarīs Ansatz „subtiler“ sei. Auf jene Besonderheit des Textes, auf die ich hier die Aufmerksamkeit lenken will, geht er nicht gesondert ein. Den plötzlichen Übergang von zwei auf drei Erkenntnisquellen versteht er im Rahmen seines Konzeptes von den „drei konzentrischen Kreisen“. Diese Formulierung will besagen, dass al-Māturīdī methodisch derart an das Problem herangeht, dass er einen Schritt auf den anderen folgen lässt und

48 Rudolph, Erkenntnislehre, 83. 49 Rudolph, Erkenntnislehre, 84. 50 Rudolph, Erkenntnislehre, 83, Anm. 37.

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jeweils auf die vorher erarbeiteten Prämissen eine noch komplexere Argumentation folgen lässt. Was demnach den dritten „Kreis“ ausmacht, ist, dass al-Māturīdī diesmal „umfassend Rechenschaft über die Erkenntnismöglichkeiten“51 gibt, wo er nun auch die Sinne zu den Erkenntnisquellen zählt und somit an eine bereits etablierte Ansicht anschließt, welche auch von seinen Schülern ebenso weiter tradiert wurden.

Die Topaloğlu-Edition Im Folgenden möchte ich die Edition Topaloğlus besprechen, da sie eine alternative Lesart eröffnet, die leider – wie zu sehen sein wird – auch Topaloğlu selbst nicht konsequent verfolgt wird. Die Gliederung sieht folgendermaßen aus: [1]52 [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]

Basmala-Formel. Einleitende Eulogie, 65. Die Notwendigkeit der Erkenntnis der Religion anhand von Beweisen, 65–66. Die Überlieferung und die Vernunft (ʿaql) sind die zwei Prinzipien, mit denen man die Religion erkennt, 66–68. EINLEITUNG (muqaddima) Die Erkenntnisquellen (asbāb al-maʿrifa), 69. a) Die Sinne (al-ʿiyān), 70. b) Die Überlieferungen (al-aḫbār), 70–72. c) Die rationale Spekulation (an-naẓar), 72–74. Weitere [Argumente für] die Widerlegung derjenigen, die die Erkenntnisquellen leugnen, 74–76.

An dieser Gliederung fällt auf, dass wir hier unter Punkt [8] einen Abschnitt antreffen, den es bei Kholeif nicht gab. Diese Stelle fehlt bei ihm jedoch nicht gänzlich, sondern findet sich an einer anderen Stelle im Text, im Rahmen des Kapitels muḥdiṯu l-ʿālami wāḥidun (Der Erschaffer der Welt ist ein einziger), worauf auch Topaloğlu hinweist.53 Abgesehen von diesem Unterschied, sehen wir, dass er die

51 Siehe: Rudolph, Erkenntnislehre, 81. 52 Nummerierung in Klammern ebenfalls vom Verfasser. Die abweichende Aufzählungsart wurde für eine bessere Übersichtlichkeit der verschiedenen Gliederungen gewählt. 53 Topaloğlu gibt dort an, dass der besagte Abschnitt eindeutig in den Kontext der Erkenntnislehre gehöre. Dies ergebe sich aus dem Textfluss. Die falsche Positionierung der Stelle sei vermutlich auf einen Fehler der Kopisten zurückzuführen, vgl. Tawḥīd, 74, Anm. 4.

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Erkenntnislehre in zwei Abschnitte teilt. Der erste Teil vor der muqaddima, ist jener Abschnitt, in welcher al-Māturīdī von zwei Erkenntnisquellen spricht. Nach der muqaddima folgt dann die Dreiteilung. Topaloğlu hat dem ersten Abschnitt keine gesonderte Überschrift beigefügt. So liest sich dieser erste Teil wie ein Prolog, der zwar im Sinne einer Einführung einen unmittelbaren Zusammenhang zu der muqaddima aufweist, dennoch eigenständig gelesen werden kann. Die muqaddima ist dann auch länger und ausführlicher als der Prolog, aber immerhin so kurz gehalten, dass die Bezeichnung „Einleitung“ für diesen Abschnitt des Textes angemessen erscheint. Es steht nun die Frage im Raum, warum die erkenntnistheoretischen Ausführungen einschließlich des Prologs nicht insgesamt zur muqaddima gerechnet wurden. Anstatt dem Textfluss eine so große Zäsur beizufügen, könnte man in diesem Fall den gesamten Abschnitt als „Erkenntnislehre“, oder wie gehabt als „Einleitung“ betiteln, und lediglich ihre zwei unterschiedlichen Teile gesondert mit Untertiteln markieren. Womöglich hätte sich in diesem Fall aber die Benennung der zwei Teile als problematisch dargestellt. Denn nach dem Inhalt des Textes müsste man den ersten Teil, in dem die Sinneswahrnehmung nicht zu den Quellen gezählt wird, als „Religionsepistemologie“, oder „Quellen der Erkenntnis der wahren Religion“ bezeichnen, während man den zweiten Teil einfach als „Erkenntnislehre“, oder „Die drei Quellen des Wissenserwerbs“ betiteln müsste. Erfolgt dies, so gibt man jedoch bereits eine bestimmte Deutung des Textes vor. Die Entscheidung Topaloğlus dem ersten Teil keine gesonderte Überschrift zu geben, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Allerdings kann die angesprochene Deutung auch aus der gegebenen Gliederung implizit herausgelesen werden, ansonsten gäbe die Zäsur innerhalb der erkenntnistheoretischen Ausführungen keinen Sinn. Wie genau Topaloğlu diese Stelle liest, wird vielleicht auf der Grundlage seines Vorwortes besser zu entscheiden sein, die er seiner Edition vorschickt. Er gibt dort u.  a. einen zusammenfassenden Überblick über die Erkenntnislehre al-Māturīdis. Topaloğlu ist in seinen Ausführungen bemüht das charakteristische der māturīdischen Epistemologie herauszuarbeiten.54 So heißt es dort zunächst, al-Māturīdī weise darauf hin, dass der Mensch über zwei Erkenntnisquellen verfüge, die zur Erkenntnis der Religion führen. Auffällig ist jedoch, dass Topaloğlu am Ende des Absatzes plötzlich davon spricht, dass al-Māturīdī die zwei Quellen (al-ʿaql wa-n-naql)55 als „zwei der Erkenntnisquellen des Wissens“56 überhaupt einführe. Vom expliziten Bezug auf die Religion hören wir hier nichts 54 Für die folgende Zusammenfassung vgl. Tawḥīd, 31–35. 55 Tawḥīd, 31, Z. 24–25. Topaloğlu verwendet hier „naql“ anstatt „samʿ“, das al-Māturīdī benutzt. 56 Tawḥīd, 31, Z. 24–25.

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mehr. Demnach bietet al-Māturīdī für Topaloğlu keine zwei unterschiedlichen Epistemologien an. Im Folgenden ist daher zu erwarten, dass auch Topaloğlu die zwei Abschnitte als einen Gesamtentwurf versteht, ohne dass die Zweiteilung der Erkenntnisquellen als ein bewusst eingeführtes Konzept von al-Māturīdī berücksichtigt wird. Als weitere Erkenntnisquelle erfolgt jetzt die Einführung der Sinneswahrnehmung. Ihre negative Konnotation ist zunächst äußerst überraschend. Die Sinneswahrnehmung findet nämlich Erwähnung im Rahmen der illegitimen Erkenntnisquellen wie der Inspiration (al-ilhām al-mawhūba), der Losziehung (ʿamaliyyat al-qurʿa) und dem Befolgen der Tradition der Ahnen (āṯār al-aqdām), sowie der Wahrsagerei etc. Es muss aber hervorgehoben werden, dass in diesem Zusammenhang von den „subjektiven Sinneswahrnehmungen“ (al-aḥāsīs aš-šaḫṣiyya) die Rede ist. Insofern ist dieser Satz im Rahmen der Ablehnung al-Māturīdis gegenüber dem Autoritätsglauben zu verstehen. Wir halten fest: al-Māturīdī unterscheidet, nach Topaloğlu, zwischen der subjektiven sinnlichen Wahrnehmung und einer „objektivierbaren“, d.  h. rational überprüfbaren Sinneswahrnehmung. Letzteres ist eine legitime Erkenntnisquelle und wird in die Reihe der anderen beiden Quellen eingeführt. Vor diesem Hintergrund findet auch Rudolphs Wortwahl Legitimierung, wenn er von „trügerischen Sinneswahrnehmungen“ spricht. Topaloğlu führt weiter aus: Demnach bedeute das in al-Māturīdis System, dass der Weg, mit dem wir zu den Wirklichkeiten der Dinge (ḥaqāʾiq al-āšyāʾ) gelangen, auf die Dreiteilung der Erkenntnisquellen hindeutet. Das Sehen (al-ʿiyān), d.  i. die Sinneswahrnehmung (al-ḥawāss), das im Sinne der (Er)Kenntnis (maʿrifa) als eine grundlegende Quelle (maṣdar asāsī) gelte, sei jene Quelle (al-aṣl), mit der wir zum notwendigen Wissen (al-ʿilm bi-ḍ-ḍarūra) gelangen, was bedeute, dass hier kein Unwissen (al-ǧahl) möglich sei. Die Wahrnehmung der Sinne könne aber immerhin durch Krankheiten etc. getrübt werden. Dies sei immer zu berücksichtigen und zu prüfen. In seinen folgenden Erörterungen gibt Topaloğlu den Status der Überlieferungen und der Vernunft als Erkenntnisquellen an, wobei er den Akzent auf die Bedeutung der Vernunft legt, insofern sie die Prüfinstanz für alles Wissen ist, welches durch die anderen beiden Sinne generiert wird. Auf die Zweiteilung der Epistemologie, auf die ich hier den Fokus legen will, geht er nicht mehr ein. Insgesamt entsteht dadurch der Eindruck, dass er Rudolphs Ansichten teilt. Vor dem Hintergrund, dass Topaloğlu den Text immerhin gemäß der Zweiteilung des epistemologischen Ansatzes gegliedert hat, ist dies etwas enttäuschend. Meine eigene Spekulation in dieser Hinsicht bleibt also noch zu prüfen. Zu diesem Zweck werde ich den zweiten Teil der Erkenntnislehre al-Māturīdīs eingehender untersuchen. Ich werde mich dabei auf die umfassende Erörterung der Sinneswahrnehmung und der Vernunft, bzw. der rationalen Spekulation beschränken. Die Überlieferung wird nicht gesondert diskutiert werden, zumal

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das Wichtigste dazu im Zuge der bisherigen Erörterungen bereits gesagt worden ist und ihre ausführliche Darlegung keinen Mehrwert für diese Arbeit ergeben würde.57 Im Hintergrund steht die Frage: Ist dem Umstand des Ausbleibens der Sinneswahrnehmung im Rahmen der „Erkenntnis der Religion“ tatsächlich keine gesonderte Beachtung zu schenken, oder verfolgt al-Māturīdī hier vielmehr ein epistemologisches Programm?

„Religionsepistemologie“ als epistemologisches Programm? Ich will zunächst eine eigene Gliederung entsprechend einer dualen Epistemologie, die ich im Folgenden darzulegen versuchen werde, vorschlagen. Einleitung [1.] Religionsepistemologie [1.1] Die Notwendigkeit der Erkenntnis der Religion anhand von Beweisen, 65–66. [1.2] Die Überlieferung und die Vernunft (ʿaql) sind die zwei Prinzipien, mit denen man die Religion erkennt, 66–68. [2.] Allgemeine Epistemologie [2.1] Die Erkenntnisquellen (asbāb al-maʿrifa), 69. [2.2] a) Die Sinne (al-ʿiyān), 70. [2.3] b) Die Überlieferungen (al-aḫbār), 70–72. [2.4] c) Die rationale Spekulation (an-naẓar), 72–74. [3.] Weitere [Argumente für] die Widerlegung derjenigen, die die Erkenntnisquellen leugnen, 74–76. Wir haben gesehen, dass die beiden uns vorliegenden Editionen des K. at-Tawḥīd den Text unterschiedlich gliedern und dadurch implizit zwei verschiedene Lesarten eröffnen. Die besagte „zweite Lesart“ wird dabei von keinem der beiden Editoren nachweisbar angeboten, weshalb diese Vermutung zu prüfen ist.58 Die

57 Für eine ausführliche Besprechung der Überlieferung im erkenntnistheoretischen System alMāturīdīs. Vgl.: Dale J. Correa, The Vehicle of Tawātur in al-al-Māturīdī’s Epistemology, in: IFAV, Nr. 261 (2012), 375–389. 58 Hier ist aber zu sagen, dass dem Topaloğlu die Kholeif-Edition vorlag und er trotzdem von ihrer Gliederung abwich, weshalb ihm schon eine alternative Lesart zugeschrieben werden kann.

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unterschiedliche Gliederung der Editionen kann immerhin mit der komplexen inhaltlichen Struktur des Textes begründet sein. Die Grenzen zwischen den einzelnen Themenabschnitten und Übergängen sind bei al-Māturīdī nicht leicht zu ziehen. So lässt Kholeif jenen Teil in der Erkenntnislehre, in der al-Māturīdī von den Erkenntnisquellen der Religion zu den Quellen des Wissens überleitet, zwei Absätze später beginnen als Topaloğlu. Meine eigene Spekulation kann ich aus besagten Gründen nicht anhand der editorischen Eingriffe in den Text stützen. Deshalb wird mein Ansatz allein auf der textuellen Grundlage beruhen müssen, dass al-Māturīdī die Sinneswahrnehmung nicht berücksichtigt, wenn er von den Quellen spricht, die zur Erkenntnis der wahren Religion führen. Die Sinne werden als Erkenntnisquelle eingeführt, wenn vordergründig nicht mehr das Problem der wahren Religion angegangen wird. Es steht nun die Frage nach dem rechten Wissen überhaupt im Raum. Dass das religiöse Wissen von al-Māturīdī hintergründig noch immer als das höchste Wissen erachtet wird, scheint bereits aus dem ersten Satz hervor, mit dem al-Māturīdī zu seiner erweiterten Epistemologie einleitet. Die besagte Stelle findet sich am Ende des Abschnittes [iii] bei Kholeif, ist der erste Satz der muqaddima bei Topaloğlu und [2.1] in meiner Gliederung: Abū Manṣūr – Gott sei ihm gnädig – sagte: Ferner gibt es verschiedene Meinungen bezüglich der Wege, mit denen man das Nützliche, das Rechte, sowie das Gute ermitteln (wörtl. yuʿlamu) kann, [in der Weise, dass man sie von] ihren Gegensätzen [unterscheidet]. Es gibt manche, die sagen: Gut ist, was einem im Herzen als solches erscheint, und es notwendig sei, dass man sich daran hält. Und wieder andere sagen: Dem Menschen ist es nicht möglich die Gründe59 zu umfassen. Er muss sich daher an dasjenige halten, was ihm eingegeben wird. Denn es kommt von jenem, der die Welt leitet.60

al-Māturīdī entgegnet nun, dass beide Meinungen weit entfernt seien, das Richtige zu treffen. Denn weder Gefühl noch Inspiration können verbindliche Instanzen für die Wahrheit sein. Denn in diesem Fall würde jeder der Parteien die Wahrheit für sich beanspruchen und sein subjektives Empfinden oder seine Inspiration als Argument ins Feld führen. Jetzt stünde Inspiration gegen Inspiration, ohne dass es ein Kriterium gäbe, wodurch der Außenstehende befähigt wäre ein Urteil zu fällen. Das könne zu nichts Anderem führen, als zu Streit und Entfremdung.

Seine Gliederung brachte mich schließlich auf die Fährte der dualen Epistemologie. Er selbst hat es jedoch nicht explizit ausgeführt. 59 Gemeint sind hier die Erkenntnisquellen. So auch die Übersetzung von Topaloğlu ins Türkische, siehe: Kitâbü-t Tevhîd Tercümesi, Ankara, 2005, 9. 60 Tawḥīd (K), 6; Tawḥīd, 69.

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Ferner seien auch Losungen und Sprüche der Wahrsager keine zulässigen Methoden, um Wissen und Erkenntnis (maʿrifa) zu erlangen.61 Wir sehen aus diesen Ausführungen, dass es al-Māturīdī um eine Methode geht, Wissen zu erlangen und Wahrheit zu erkennen. Dieses Wissen, das hier gesucht wird, ist jedoch kein technisches Wissen, sondern ein Wissen, das Menschen zu Gesellschaften zusammenführen kann.62 Dieses Wissen ist ein praktisches, ein ethisches. Es ist das Wissen um das Nützliche, Rechte und Gute. Woher weiß ich, was ich zu tun und zu lassen habe und was ist die Wahrheit, woran ich mich halten kann? Mithin ist es das religiöse Wissen, das hier gesucht wird. Aber es ist nicht nur das. Das Gute, das hier gemeint ist, ist nicht nur die beste Handlungsweise, sondern auch das Gute überhaupt. Woran erkenne ich, dass etwas gut ist? Hiernach folgt die Dreiteilung des Wissens: Abū Manṣūr – Gott sei ihm gnädig – sagte: Die Wege, wodurch man Wissen über die Wirklichkeiten der Dinge (ḥaqāʾiq al-ašyāʾ)63 erlangen kann, sind die Sinne (al-ʿiyān)64, die Überlieferungen (al-aḫbār) und die rationale Spekulation (an-naẓar).65

Es findet hier eine Perspektivenänderung statt, wo nicht mehr die Erkenntnis der Religion und die Beurteilung der religiösen Inhalte im Fokus stehen, sondern die Erkenntnis als solche zur Frage erhoben wird. Was das genau zu bedeuten hat und wie diese Teilung zu verstehen ist, wird uns im Folgenden beschäftigen.

61 Tawḥīd (K), 6; Tawḥīd, 69. 62 Über den Stellenwert der Vernunft unter den frühislamischen Gelehrten als einer konsensschaffenden Instanz sagt Van Ess: “Die Vernunft wurde somit nicht abstrakt und normativ eingesetzt, sondern wirkte zusammen mit dem gesellschaftlichen Konsens.” Siehe: Van Ess, Theologie, IV: 646 und 654  ff. 63 Özcan gibt uns eine Aufzählung von den Dingen, die al-Māturīdī zu den ḥaqāʾiq al-ašyāʾ zählt und zu „den Objekten der Sinneswahrnehmung gehören“. Unter anderem finden sich darunter: „Die Welt als ein Ganzes und alle Kreaturen in ihr, wie die Erde und der Himmel, die Berge, die Sterne, der Mond und die Sonne, die Laute und die Farbe, (…) Leid und Freude (…), Bewegung und Ruhe, sowie die Größe eines Körpers (…) etc.“, s. Özcan, Bilgi Problemi, 62. 64 Sowohl Kholeif als auch Topaloğlu merken an dieser Stelle an, dass hier zwar eigentlich vom “Sehen” (=ʿiyān) die Rede ist, gemeint sei aber die Sinneswahrnehmung, zumal “sehen” die Grundbedeutung aller Sinne unter sich zusammenfasse. Dies gehe aus einer Randbemerkung im Manuskript hervor. Siehe: Tawḥīd (K), 7, Anm.1; Tawḥīd, 69, Anm. 8. 65 Tawḥīd (K), 7. Tawḥīd, 69.

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Die primäre Quelle: Die Sinne (al-ʿiyān) Mit der Sinneswahrnehmung (al-ʿiyān) ist gemeint, was durch die fünf äußeren Sinne (al-ḥawāss) wahrgenommen wird. Sie ist die primäre Quelle (al-aṣl), die jenes Wissen enthält, zu dem es kein Gegenteil gibt, außer dem Unwissen.66

Es gäbe kein Gegenteil zu den Sinnen, außer, dass es gleich Unwissen sei. Für einen epistemischen Realisten ist diese Aussage nicht weiter problematisch. Dem cartesianisch geprägten Leser aber wird sie zunächst befremdlich erscheinen, da sie genau konträr zu dem steht, was Descartes über die Sinne lehrte. Nach Descartes täuschen uns unsere Sinne. Auf sie könne kein Verlass sein auf der Suche nach verlässlichem Wissen, da die Gegenstände ihrer Wahrnehmung ständig in Veränderung begriffen seien und dass man deshalb aus ihnen keinen Satz gewinnen könne, der ewig wahr bleibt.67 al-Māturīdī geht auf diese Skepsis ein. In seinen folgenden Ausführungen greift er eine imaginäre Gruppe an – die nicht weiter benannt ist68 –, die die Sinne nicht als eine Wissensquelle anerkennt. Da er bereits festgelegt hatte, dass die Privation von Sinneswahrnehmung gleichbedeutend mit Unwissen sei, führt er jetzt weiter aus, dass es keinen Sinn macht mit solchen Leuten zu disputieren. Denn Disput setze Wissen voraus, die diese Menschen schließlich nicht haben können, zumal sie die primäre Wissensquelle leugnen. Sie dürften nicht einmal ihre eigene Existenz anerkennen. Denn woher wüssten sie darüber Bescheid, wenn nicht über die eigenen Sinne? Um diese Menschen von der Wahrheit seiner Position zu überzeugen, schlägt er drastische Maßnahmen vor, wie z.  B., dass man ihnen einen Körperteil abschneide. In dem Moment, indem er aufschreit, hätte er dann auch notgedrungen seine Lüge zugeben müssen, und seine Maske (sitr) wäre gefallen. Denn seine Position sei lediglich eine des Starrsinns.69 Nun wird man entgegenhalten können, dass die Position al-Māturīdīs nicht mit der Descartes zu vergleichen ist, da letzterer die Sinneswahrnehmung nicht als solche disqualifiziert, eine Quelle des Wissens zu sein. Sinneswahrnehmungen sind nur disqualifiziert, insofern sie kein sicheres, also unzweifelhaftes Wissen liefern können. Al-Māturīdī meint aber eben genau dies, dass nämlich nur die Sinne sicheres und unzweifelhaftes, mithin „notwendiges Wissen“

66 Original: “fa l-ʿiyān mā yaqaʿu ʿalayhī al-ḥawāss, wa huwa al-aṣl allaḏī ladayhi al-ʿilm allaḏī lā ḍidda lahū min al-ǧahl.”. Siehe: Tawḥīd (K), 7; Tawḥīd, 70. 67 Descartes, Meditationen. Essen, 2003, 20  ff. 68 Özcan nimmt an, dass damit die Sophisten und die Sumanīya – eine buddhistische Strömung in Indien – gemeint sind. 69 Tawḥīd, 75.

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(al-ʿilm aḍ-ḍarūrī) liefern können. Das zweifelhafte Wissen hingegen wird im Kalām als das „erworbene Wissen“ (al-ʿilm al-mukatasab) bezeichnet.70 Wir stehen hier demnach vor zwei konträren epistemologischen Ansätzen. Alnoor Dhanani hebt hervor, dass die Mutakallimūn im Allgemeinen epistemologische Realisten seien. Für sie seien alle konstituierenden Elemente der Welt reale Dinge und könnten daher erkannt werden, als solche, was sie sind (sog. ḥaqāʾiq al-ašyāʾ). Deshalb sei für die Mutakallimūn auch das notwendige Wissen jenes, was durch die Sinne erfahren wird, während die Erkenntnis Gottes nur durch die rationale Spekulation (an-naẓar) erschlossen werden könne. So würden auch die inneren Zustände des Menschen unter die Kategorie des notwendigen Wissens fallen. Dhanani zitiert ʿAbd al-Ğabbār (gest. 415/1025), der zwar eingeräumt hätte, dass die Sinne sich täuschen können, dies aber nicht der Fall sei, wenn keine Behinderung – extern oder intern – die Perzeption verhindere.71 Wie wir gesehen haben, hebt Rudolph zwar hervor, dass dies nicht ohne Weiteres auch für al-Māturīdī gelte, da er die klassische Unterscheidung in der Erkenntnislehre im Kalām zwischen ʿilm aḍ-ḍarūri und ʿilm al-muktasab nicht explizit erwähne, wohingegen sie von al-Ašʿarī verfolgt würde. Rudolph, der nicht ausschloss, dass al-Māturīdī diese Unterscheidung implizit verfolgt gab vielmehr an, dass aus einer Stelle im K. at-Tawḥīd allem Anschein nach hervorgehe, dass „die Verstandeserkenntnisse“ muktasab seien. Gemäß dieser Passage konstatiere al-Māturīdī, dass die Sinneserkenntnis nicht „durch Einflüsterungen getrübt“ werde, während dies beim Verstand der Fall sein könne.72 Tatsächlich findet man bei al-Māturīdī diese Unterscheidung nicht explizit im Rahmen seiner erkenntnistheoretischen Erörterungen erwähnt, aber unser

70 Obschon hier die bekannte Unterscheidung zwischen Wissen “a priori” und “a posteriori” bei der Bezeichnung “notwendiges Wissen” und “erworbenes Wissen” mit anklingt, (vgl.: Kant, Immanuel; KrV, Hamburg 2014, 83.) ist diese Parallele nicht ohne Weiteres zu ziehen. Denn die Gleichsetzung des “ʿilm aḍ-ḍarūrī” mit dem Wissen “a priori” trifft nicht zu. Für Māturīdī ist das Wissen anhand der Sinneswahrnehmung ein “notwendiges Wissen”. Da dieses Wissen jedoch durch die Perzeption der Sinne generiert wird, kann es per definitionem nicht mehr a priori sein. Es befindet sich bei Māturīdī dennoch im Status des Unzweifelhaften, sprich: „notwendigen Wissens“. 71 Dhanani, The physical Theory of Kalām, Leiden (1994), 23–25. Diese Ansicht wird von Māturīdī ebenfalls geteilt. Er geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass dies ebenso für den ʿaql gelte. Denn auch ʿaql gehöre zu den menschlichen Sinnen. Die Urteilskraft könne deshalb ebenfalls durch verschiedene Behinderungen getrübt werden, oder sie könne durch die Komplexität des untersuchten Gegenstandes verwirrt werden. Die vertrauenswürdigsten Menschen seien in dieser Hinsicht die Philosophen (al-ḥukamāʾ), wenn sie ihre Ansichten auch evident belegen können. Vgl. Tawḥīd, 253–254. 72 Rudolph, Erkenntnislehre, 83, Anm. 37.

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Gelehrter setzt vieles einfach voraus, ohne es explizit auszuführen.73 Nimmt man einmal an, dass er die Kenntnis von der Unterscheidung zwischen dem notwendigen und dem erworbenen Wissen voraussetzt, so würde die Bestimmung der Sinneswahrnehmung als primäre Wissensquelle suggerieren, dass das Wissen, welches über diesen Weg gewonnen wird, zugleich das ʿilm aḍ-ḍarūrī ist. Wir sind an diesem Punkt immerhin in der glücklichen Lage, dass al-Māturīdī uns von der Suggestion befreit und es selber ausdrücklich ausspricht. Er sei sich nämlich eindeutig bewusst, dass das Wissen, welches von den Sinnen generiert wird, ein Wissen im Status des „notwendigen Wissens“ sei.74 So informiert er uns an einer Stelle, wo er das Problem der Freiheit des Menschen diskutiert, darüber, dass die Erkenntnis der Einheit Gottes (maʿrifa waḥdānīyat Allāh) nur durch die Mittel der rationalen Erschließung möglich ist (ṭarīq al-iğtihād wa l-istidlāl). Dies aber sei eine Art der Erkenntnis, die nicht unbezweifelbar, also nicht „notwendig“ im Sinne eines ʿilm ḍarūrī ist (wa-ḏālika nawʿ mā lā yaḥtamil al-iḍtirār). Wenn man die Vernunfterkenntnis in den Status der unbezweifelbaren Erkenntnis erheben würde, so wäre auch die Erkenntnis des einen Gottes eine notwendig zu erkennende Tatsache, worüber es keine zwei Meinungen hätte geben können. Dies sei aber nicht der Fall. Ferner – und das ist für unser aktuelles Problem wichtig – dürfe man eine Sache, die innerhalb der Schöpfung als solche nicht erfahren werden kann (laysa fī-l-ḫilqa iḥtimālihī), nicht als notwendige Erkenntnis präsentieren, denn ansonsten könne man überhaupt nicht mehr von notwendiger Erkenntnis sprechen, da man den Sinnen nicht zugängliche Dinge mit notwendigem Wissen in Verbindung bringt und die Sinneswahrnehmung dadurch obsolet wird (fa-yabṭulu ʿilm al-ʿiyān).75 Im Klartext heißt das, dass zwar nur die Vernunft im Stande ist zur Gotteserkenntnis zu gelangen, diese Erkenntnis aber immer zur Diskussion offenstehen muss. Legitimation erhält die Vernunfterkenntnis jedenfalls nur durch den Umstand, dass sie sich an der Sinneswahrnehmung orientiert. Denn dieses Wissen ist unbezweifelbar und evident.

73 Dies mag damit zusammenhängen, dass das Kitāb at-Tawḥīd anscheinend nicht als ein Lehrbuch, sondern als eine summa theologica konzipiert war, die von seinen Schülern aufgeschrieben wurde. Für die Diskussion zum Charakter und die Authentizität des Kitāb at-Tawḥīd, vgl.: Özervarli, M. Sait. „The Authenticity of the Manuscript of al-Māturīdī’s Kitāb al-Tawḥīd: a Re-Exemination.“ In Islam Araştırmaları Dergisi, Bd. 1 (1997): 19–29; vgl. auch: Rudolph, al-Māturīdī, 213  ff. Die uns hier beschäftigende Frage, was Māturīdī alles voraussetzt und wie die bloßen Andeutungen zu lesen sind, kann nur entschieden werden, wenn uns seine anderen Werke, die als verschollen gelten, ebenfalls zugänglich sind. Für die Liste seiner Gesamtwerke siehe: Rudolph, al-Māturīdī, 198–201. 74 Tawḥīd (K), 8; Tawḥīd, 70. 75 Tawḥīd, 377.

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Die Zweiteilung der Epistemologie Al-Māturīdī beschränkt den Bereich des ḫabar zwar nicht auf die prophetische Überlieferung, doch wenn es sich um „profane“ Überlieferung, wie z.  B. in Form von wissenschaftlichen Büchern handelt, so gilt für ihn primär das Prinzip der epistemischen Nachweisbarkeit. Kommt das Wissen daher nachweisbar nicht aus einer göttlichen Quelle – die heiligen Schriften schweigen zu den Atomen allesamt –, so fällt die Überlieferung als eine gesicherte Erkenntnisquelle aus, und es bleiben nur noch die Sinne und die Vernunft. Von diesen beiden Quellen generiert aber nur eine ʿilm ḍarūrī: Die Sinne. Wenn wir aber nach etwas fragen, das nicht sinnlich wahrnehmbar ist, wie Gott, so bleibt uns nur noch die Vernunft. Diese ist aber für ihn, ohne die Unterstützung der anderen Quellen, keine legitime Quelle der Wahrheitsfindung, da sie eigenständig kein ʿilm ḍarūrī generieren kann. Das bedeutet im Klartext, dass das Wissen, welches wir durch Überlieferungen und die rationale Spekulation gewinnen, den Status des „erworbenen Wissens“ haben muss. Diese Schlussfolgerung lässt sich anhand einer anderen Stelle relativ zum Ende des K. at-Tawḥīd bekräftigen. Im Zuge seines Versuches den Glauben an die Prophetie zu plausibilisieren, kommt er nämlich noch einmal auf die Erkenntnisquellen zu sprechen. Diese Stelle ist besonders aufschlussreich, da sie uns nicht nur in der Frage der Kategorisierung des Wissens weiterhilft, sondern auch in Bezug auf die Zweiteilung der Erkenntnislehre al-Māturīdīs. Er beginnt die Diskussion der Prophetie, indem er zuerst die Gegenpositionen aufzählt. Das sind a)76 jene, die die Existenz Gottes überhaupt leugnen, b) jene, die zwar Gott anerkennen, aber nicht glauben, dass er Gebote und Verbote ausspricht und c) jene, die behaupten der Mensch brauche keine Prophetie, da er Gott auch mit der eigenen Vernunft erkennen kann. Es mag für unsere Belange hinreichen, dass der Rahmen der Erörterungen angegeben ist, ohne dass sie hier in Gänze wiedergegeben werden müssen.77 Der Punkt, den ich hier hervorheben will, ist, dass al-Māturīdī sich in der Verteidigung der Prophetie lediglich zweier Methoden, d.  h. zweier Wissensquellen bedient: Der Vernunft und der Überlieferung. Das ist jetzt besonders interessant. Rudolph hatte bereits darauf hingewiesen, dass al-Māturīdī die Erkenntnismittel, die er als Argument in eine Diskussion anführt, je nach dem spezifischen Problem gewichtet und wählt, weshalb al-Māturīdī es für notwendig ansehe, auf die Methode besonders acht zu geben, da man ansonsten zu falschen Ergebnis-

76 Bei der Aufzählungsangabe der Gruppen folge ich der Topaloğlu-Edition. 77 Tawḥīd, 247.

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sen kommen könne.78 Deshalb ist es bemerkenswert, dass al-Māturīdī in dem hier besprochenen Kontext aus der Sinneswahrnehmung keine Argumente entnimmt. Warum er das nicht tut, liegt dabei auf der Hand, wenn man davon ausgeht, dass al-Māturīdī ein bestimmtes Programm verfolgt. Denn wie wollte er anhand der Sinneswahrnehmung die Prophetie verteidigen, wo er doch schon gleich im Eingang des Buches behauptet hatte, dass man die wahre Religion, und mithin den wahren Propheten nur durch die Mittel der Überlieferung und der Vernunft erkennen könne. In dem Rahmen seiner Religionsepistemologie spielte die Sinneswahrnehmung keine Rolle. Man sieht hier also, dass die Unterteilung in der Erkenntnislehre keine Willkür, oder eine Unstimmigkeit im Text war und auch nicht als ein pädagogisches Mittel abgetan werden kann. Vielmehr legt al-Māturīdī in seiner Erkenntnislehre ein Programm auf, welches er auch strikt verfolgt. So ist es auch leicht nachzuvollziehen, warum er dem Thema „Wunder der Propheten“ relativ viel Raum einräumt.79 Es ist bemerkenswert, dass er es – trotz der Anerkennung der prophetischen Wunder – nicht für nötig erachtet, die Sinne als Erkenntnisquelle der Religion zu etablieren. Bemerkenswert ist es vor allem deswegen, da im Koran die Wunder ein gewichtiges Argument der Prophetie sind. Sie sind ein Zeichen ihrer Gottesgesandtschaft, die sich mit Einsicht allein sinnlich wahrnehmen lassen. Es ist koranisch ein Unterscheidungsmerkmal der Propheten und somit eine Erkenntnisquelle der Religion.80 Al-Māturīdī argumentiert in diesem Zusammenhang dahingehend, dass er ein Kriterium sucht, wahrhaftige Wunder von Illusionen und Zaubereien zu unterscheiden. Dieses Kriterium sei wiederum die Vernunft. Und zwar insofern, dass es ihr unerklärlich bleiben, d.  h. sie übersteigen müsse.81 Ferner: Entweder sie – die Gruppe „c“ – leugnen Wundererscheinungen gänzlich, in diesem Falle müsse man sie von der Legitimität der Überlieferung als einer Wissensquelle überzeugen. Denn in einer Zeit, wo es keine Wundererscheinungen mehr gibt, ist dies der einzige Boden, auf dem diese Diskussion geführt werden kann. Oder aber sie erkennen Wundererscheinungen, wie z.  B. Zaubereien und Illusionen an, so erkennen sie bereits die Sinne als eine Wissensquelle an und ihrer Leugnung der prophetischen Wunder wäre der Boden entzogen.82 Wir erinnern uns: al-Māturīdī ist in erster Linie ein Mutakallim, d.  i. ein Apologet. Es geht ihm nicht darum, die Phänomenologie des Wunders zu erörtern,

78 Rudolph, Erkenntnislehre, 85, Anm. 52. 79 Tawḥīd, 247  ff. 80 Q: 17/59; 7/106–120; 17/101; 40/78; 3/46 u.  a. 81 Tawḥīd, 261. Für die Diskussion, vgl. Tawḥīd, 257  ff. 82 Tawḥīd, 261.

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sondern den Islam zu verteidigen. Nach der islamischen Lehre ist Muhammad „das Siegel der Prophetie“.83 Das wird klassisch so verstanden, dass es keine anderen Propheten nach Muhammad geben kann. Aus diesem Grund wird es nicht nur eine Erwägung al-Māturīdīs gewesen sein, die Sinne aus der Religionsepistemologie auszuschließen, sondern es wird ihm als eine Notwendigkeit erschienen sein, dies so zu bestimmen. Denn ansonsten müsste man die Wahrheit einer neuen prophetischen Erscheinung zumindest in Erwägung ziehen, oder eine Phänomenologie des Wunders abfassen. Letzteres ist jedoch aus orthodox muslimischer Sicht obsolet, da die neuerliche Erfahrung von Wundern von vornherein nicht angenommen wird. Wenn es aber keine Wunder mehr geben kann, so ist es auch ausgeschlossen, dass man die Sinne als Erkenntnisquelle der Religion anerkennt. Deswegen ist es in diesem Kontext primäres Anliegen al-Māturīdīs die Überlieferung als eine legitime Quelle des Wissenserwerbs und der Erkenntnis der Prophetie darzulegen. Es folgt nun eine Stelle im Text, die eine Schlüsselfunktion zur Lösung unserer zwei Probleme innehat. Wie ist die Zweiteilung der Epistemologie zu verstehen und wie kategorisiert al-Māturīdī das Wissen? Die Passage versteht sich als Widerlegung der Gruppe „c“, also jener, die behaupten, der Mensch brauche keine Prophetie, da er Gott auch mit der eigenen Vernunft erkennen kann. Und ein anderer Aspekt ist dieser: Gott der Erhabene hat für alles, was außerhalb der Sinneswahrnehmung liegt, zwei Möglichkeiten der Erkenntnis geschaffen. Die erste ist die rationale Ableitung [oder Abstraktion] (istidlāl) anhand der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, wenn das Verborgene84 (al-ġāʾib) mit dem sinnlich Wahrnehmbaren in Verbindung steht. So wie der Rauch mit dem Feuer, wie das Licht mit der Sonne und wie die Tat mit dem Täter in Verbindung steht (…) Die zweite [Möglichkeit der Erkenntnis] ist die Überlieferung, die über einen Zustand berichtet (al-ḫabar yunbiʾu ʿan ḥālin [d.  h. die mit dem unbekannten Überlieferten in Verbindung steht.] Wie z.  B. [die Berichte] über die fernen Länder, die sich ändernden Zustände und die sich zutragenden Ereignisse. [Dieses Wissen] ist bei allen Vernunftbegabten [d.  h. Menschen] vorhanden. Auf diesem Wege erlangt der Mensch Kenntnis über die Gattungen, Arten und Differenzen, über Medizin, Sprachen, Künste, das Kriegswesen und andere ähnliche Dinge. So erlangen wir auch Kenntnis über das Gebot und Verbot, die Verheißung und Drohung, die nicht mit den Sinnen wahrzunehmen sind und für deren Erkenntnis es nur den Weg der Überlieferung gibt. Und [diese Dinge] fallen immer unter Kategorien (wörtl. Zustände = al-aḥwāl) wie das Zulässige (al-mubāḥ) oder das Untersagte (al-maḥẓūr) und dergleichen. Für solche Fälle bedarf es der Mitteilung anhand der Überlieferung und darin ist die Notwendigkeit der Mitteilung durch die Prophetie begründet.85

83 Q: 33/40. 84 Also das Unbekannte, welches durch die Abstraktion entdeckt werden soll. 85 Tawḥīd, 254.

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Es gibt zusammengefasst zwei Möglichkeiten, Dinge zu erkennen, die außerhalb unserer Sinneswahrnehmung liegen, aber die Sinne als Quelle haben. Das erste ist die rationale Ableitung, Abstrahierung aus dem sinnlich Wahrnehmbaren. Das zweite ist die Berichterstattung, sprich Überlieferung, jener Dinge, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, wie ferne Orte etc. Diese sind die Wissensquellen, auf denen die Menschheit Wissenschaften gründet. Dinge hingegen, die der Sinneswahrnehmung gar nicht zugänglich sind, wie Gebote und Verbote, beruhen auf Überlieferung.86 Das ist Sache der Propheten. Der letzte Satz ist entscheidend bezüglich unserer Frage, wie die Zweiteilung der Epistemologie zu verstehen ist. Denn in diesem Satz – und auch aus dem erläuterten Kontext des Satzes – ist mittelbar der Ausschluss der Sinneswahrnehmung für die Erkenntnis der Religion begründet. Denn das Wissen über Gebote und Verbote, die vornehmlich bezeichnend für eine Religion sind und deshalb auch ausschließlich als Sache der Propheten angesehen werden, sind nicht durch die Sinne zu erlangen. Die Antwort auf die Frage: „Was soll ich tun?“, erhält der Mensch nach al-Māturīdī nur dank überlieferter Texte und/oder des rationalen Abstraktionsvermögens. Berücksichtigt man diesen Satz beim Studium des Kapitels über die Prophetie und verfolgt man die Argumentationsstrategien  – wie oben geschehen –, ist der duale epistemologische Ansatz al-Māturīdis deutlich zu erkennen. Denn die Sinneswahrnehmung wird nicht als Argument eingeführt, um die Prophetie zu belegen, was für al-Māturīdī gleichbedeutend ist mit: die Religion zu erkennen.

86 In Bezug auf die rechtlich relevanten Handlungen der Menschen denken die Hanafiten dieses System von al-Māturīdī dahingehend weiter, dass sie die Handlungen in zwei Kategorien teilen. Zum einen sind solche Handlungen vorhanden, die als gut und böse erkannt werden können, ohne dass die Offenbarung sie als solche qualifiziert. Solche Handlungen werden afʿāl ḥissiyya genannt. Daneben gibt es aber auch solche Handlungen, deren Bewertung nur anhand der Offenbarung erfolgen kann. Diese werden taṣarrufāt šarʿiyya genannt, ad-Dabūsī, Taqwīm al-adilla, Beirut, 2007, 54; as-Saraḫsī, al-Uṣūl, Beirut, 1993, 81–82. Serdar Kurnaz schreibt hierzu im Detail: „(…) Afʿāl ḥissiyya: Das sind laut den Ḥanafiten Handlungen, deren Beurteilung auf Basis der Sinne wahrnehmbar ist und die somit auch ohne das Recht zustande kommen können. So ist auch ohne das Recht zu erkennen, dass die Unzucht, der Alkoholkonsum und der Totschlag schlecht und somit verboten (ḥarām) sind. Die afʿāl ḥissiyya gleichen somit den Dingen, die vom Wesen her schlecht (li-ʿaynihī qabīḥ) sind. (…) Taṣarrufāt šarʿiyya: Dabei handelt es sich um rechtliche Handlungen, die nur dadurch zustande kommen können, dass das Recht sie bestimmt. Ihre Existenz ist also mit dem Recht verbunden wie das Pflichtgebet, das Fasten und der Abschluss von Verträgen. Die rechtlichen Handlungen gleichen den Dingen, die aufgrund äußerer Faktoren schlecht (li-ġayrihī qabīḥ) sind.“ Kurnaz, Methoden zur Normgewinnung, 85–86. (unveröffentlichte Dissertation).

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Aus dem bisher Gesagten wird die bewusste Zweiteilung der Epistemologie ersichtlich. Diese Unterteilung bedeutet aber nicht unbedingt, dass al-Māturīdī zwischen Theologie und Wissenschaft unterscheidet. Denn, wie wir gesehen haben, ist die gesamte erkenntnistheoretische Konzeption als ein Theologoumenon zu verstehen. Die Zweiteilung wird, meine ich, aus seinem apologetischen Anspruch heraus zu deuten sein, den Islam als die einzig wahre Religion zu etablieren. Denn der Ausschluss der Sinne aus der Religionserkenntnis ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die neuerliche Erscheinung von Propheten und somit von prophetischen Wundern, ausgeschlossen wird. Gleichzeitig wird durch die abgesonderte Dreiteilung der Wissensquellen ein Raum für freie wissenschaftliche, bzw. theologische Spekulation eröffnet, wobei hier das Prinzip der empirischen Überprüfbarkeit fundamental wird.

Fazit Wir unterscheiden zwischen zwei Erkenntnisbereichen in der Epistemologie al-Māturīdīs. Die erste betrifft die Religion, die zweite betrifft die menschliche Erkenntnis im umfassenden Sinn. Der erste Bereich benennt zwar die Erkenntnismöglichkeiten, die „zur Religion führen“, gemeint ist hier aber der Islam. Denn nur durch diese Spezifikation ist der Ausschluss der Sinneswahrnehmung aus den Erkenntnisquellen der Religion zu erklären. Sie ist allein dem Umstand verschuldet, den Islam als die einzig wahre Religion zu etablieren und das Argument zu verhindern, dass eine neuerliche Erfahrung göttlicher Wunder möglich ist. Denn die Sinneswahrnehmung ist für al-Māturīdī die einzige Quelle, die notwendiges Wissen generieren kann. Würde er sie in diesem Kontext nicht disqualifizieren, so könnte man mit einer neuerlichen Wundererfahrung argumentieren, wodurch die islamische Lehre vom letzten wahren Propheten in Gefahr geraten könnte. Es gibt jedoch einige Punkte in der dualen Epistemologie al-Māturīdīs, die bedenklich sind. Dies betrifft vor allem den Ausschluss der Sinneswahrnehmung aus der Religionsepistemologie. Denn es muss bedeuten, dass in Bezug auf die Religion keine unumstößliche Erkenntnis mehr möglich ist. Immerhin kann man sagen, dass dies nur bedingt und nur für die „gewöhnlichen Menschen“ gilt. Es kann nicht für die Propheten gelten. Denn für die Propheten können die Sinne aus der Religionserkenntnis nicht ausgeschlossen sein, da sie empfänglich für Offenbarungen sind. Offenbarungen sind im islamischen Kontext ein sinnlich wahrnehmbares Erlebnis, insofern sie vom Propheten „gehört“ oder mittelbar durch die Träume z.  B. „gesehen“ werden. Daraus folgt, dass die Religion für die

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Propheten auf einer Erkenntnis beruht, die, nach dem System al-Māturīdīs, notwendig ist. Er kann dieses Wissen nun an die Menschen weitergeben. Aber nicht mehr im Modus der Notwendigkeit, sondern im Modus der Bedingtheit (iktisāb). Wenn dieses Wissen nicht direkt vom Propheten gehört wurde – so kann man al-Māturīdī in Folge verstehen – muss die Überlieferung (ḫabar) einer Prüfung unterzogen werden, da sie im Status des „erworbenen“ Wissens ist. Im Klartext bedeutet das, dass niemand notwendiges Wissen über die Religion besitzen kann, sondern nur ein relativ sicheres, insoweit wir uns von der Wahrheit einer Religion gemäß den Kapazitäten unserer Vernunft vergewissern können. Das bedeutet aber eine weitere „Schwächung“ des menschlichen Zugangs zur Religion. Denn die Vernunft selber kann kein ʿilm ḍarūrī generieren. Betrachten wir das bisher Gesagte nun in einer Gesamtschau, so wird es sehr fraglich, ob wir überhaupt ein yaqīn, d.  i. Gewissheit in Bezug auf die Religion erlangen können. Denn Gewissheit kann – so muss nach der Lehre al-Māturīdīs gefolgert werden – nur in der Erkenntnis des sinnlich Wahrnehmbaren erlangt werden. Eine Religionserkenntnis, die so abgeschwächt ist, konnte natürlich nicht im Sinne unseres Theologen sein. Er muss demnach einen Weg finden seine Religionsepistemologie zu stärken und abzusichern. Dies erfolgt, indem er die Vernunft zur obwaltenden Prüfinstanz erhebt. Anzumerken ist, dass diese übergeordnete Rolle der Vernunft erst in einem zweiten Schritt eingeführt wird, nachdem zuvor die Bedeutung der Überlieferung hervorgehoben wurde. Die Religionsepistemologie al-Māturīdīs steht und fällt mit der Etablierung der Überlieferung als einer vertrauenswürdigen Erkenntnisquelle. Damit das Wissen durch die Überlieferung zur Gewissheit führen kann, muss sie auf eine besondere Art und Weise tradiert werden. Hier schließt al-Māturīdī an das Konzept der lückenlosen Überlieferung (tawātur) an. Topaloğlu hatte darauf hingewiesen, dass al-Māturīdī im K. at-Tawḥīd hauptsächlich mit Koranversen argumentiert. Vor dem hier erläuterten Hintergrund, wird auch nachvollziehbar, warum al-Māturīdī so verfährt. Denn über die Sicherheit, also über die Eignung als einer tawātur-Überlieferung, kann im Falle des Korans kein Zweifel bestehen. Er ist im muslimischen Verständnis ein sicher überlieferter Text, der über jeden Zweifel erhaben ist, wohingegen die Mehrheit der Hadīṯe aḥād (Einzeltradition) sind. Al-Māturīdī versucht durch diese Wendung die Überlieferung – welche ja in seinem Konzept notwendig erworben sein muss – als eine sichere Quelle darzustellen, in dem Maße, dass wir auch anhand der Überlieferungen ein sicheres Wissen in Bezug auf die Religion erlangen können. Zuzüglich wird auch die Position der Vernunft gestärkt. Ihr wird die Fähigkeit zugeschrieben, dass sie das Gute und Böse (ḥusn wa qubḥ) eigenständig, d.  h. auch ohne die Vermittlung von überliefertem Wissen erkennen kann. Jedoch wird ihr hier nicht gänzlich die Autonomie gewährt, da immer die Gefahr besteht, dass sie auch falsch liegen kann und

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deshalb der Unterstützung durch die Überlieferung bedarf. Deswegen kommt die Vernunft in der māturīdischen Hierarchie des Wissens immer an letzter Stelle. Sie wird im Rahmen der Religionsepistemologie nach der Überlieferung und in der allgemeinen Erkenntnislehre nach den Sinnen und der Überlieferung an dritter Stelle genannt. Es ist auch keine ungenaue Begriffsverwendung von al-Māturīdī, dass er in der allgemeinen Erkenntnislehre nicht mehr vom ʿaql, sondern vom naẓar redet. D.h. hier steht nicht mehr die Vernunft als ein dem Menschen verfügbares Instrument der Erkenntnis im Vordergrund, sondern ihre Funktion: Die rationale Spekulation. Der Unterschied ist, dass der Vernunft innerhalb der Religionsepistemologie keine perzeptive Funktion zugeschrieben wird, sondern eine abstrahierende. Hingegen kommt ihr im Rahmen der allgemeinen Erkenntnislehre sowohl eine perzeptive als auch eine abstrahierende, bzw. ableitende Funktion (istidlāl) zu. Sie leitet aus den gegebenen Daten der Sinne und der Überlieferung neues Wissen und neue Erkenntnisse ab. Die anderen beiden Quellen haben hier die Zuliefererfunktion, wobei nur eine von ihnen notwendiges Wissen liefern kann. Wenn wir nun noch einmal unseren Blick auf die Religionsepistemologie richten und den Fokus auf die Beziehung des ḫabar und des ʿaql legen, so fällt uns dort eine Kluft auf. Die Überlieferungen liefern uns ja Wissen, das als Gewissheit gelten kann, sofern uns die Überlieferung im Wege der lückenlosen Überlieferung zugänglich wird. Wenn nun die Vernunft die Information, die in den Überlieferungen vorliegt, bewertet und aus ihnen Wissen generiert, entsteht das Problem, dass aus der fehlbaren Vernunft (weil erworben) die Überlieferung anerkannt und bewertet wird. Wie aus diesem Prozess dennoch Gewissheit erlangt werden kann, ist zum einen fraglich und wird zum anderen von al-Māturīdī nicht zur Diskussion gestellt. Es erfolgt hier lediglich die Überleitung in die allgemeine Erkenntnislehre und der daraus möglichen Erkenntnis der Existenz Gottes. Wie al-Māturīdī bereits selber sagte, kann aus der Schau der Welt auch das Gegenteil, nämlich die Nicht-Existenz Gottes, geschlossen werden. Berücksichtigt man diesen besonderen Umstand, so ist zu sagen, dass man den Glauben an Gott, den man von den Überlieferungen ableitet, nur als repräsentativ betrachten kann. Denn al-Māturīdī deutet die anthropomorphistischen Verse des Korans dahingehend, dass sie metaphorisch zu lesen sind.87 Dies wird damit begründet, dass man diese Welt nur in Bezug auf die Differenz, auf die metaphysische Welt (ġā’ib), sprich Gott deuten kann. Gott ist nämlich nichts ähnlich. Deshalb muss dem Menschen die Quiddität (māʾīya) Gottes stets verborgen bleiben. Die anthropomorphen Verse des Korans sind folglich sinnbildlich und nicht repräsentativ. Wenn wir das alles

87 Siehe z.  B. Kommentar zu Sure 2:255, Taʾwilāt, II: 157.

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nehmen und es einen Schritt weiterdenken, stehen wir vor einem hermeneutischen Problem. Wertet die Vernunft aus, was die Überlieferung an Information weitergeben möchte, so steht zunächst im Vordergrund, was die Vernunft von der Überlieferung überhaupt als Information gewinnt. Daher ist es fragwürdig, wie die Überlieferung Gewissheit vermitteln kann, wenn durch die fehlbare Vernunft zugänglich wird, was sie mitteilt und ferner die Vernunft über die Wahrheit der Information entscheidet. Dies mag ein Problem bleiben, welches weiterer Forschung und auch weiterer Quellen bedarf. Der primäre Zweck der Erörterungen in diesem Artikel war der Wunsch, die duale Epistemologie und die daraus resultierende Methodologie alMāturīdīs herauszuarbeiten.

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Özervarli, M. Sait. „The Authenticity of the Manuscript of al-Māturīdī’s Kitāb al-Tawḥīd: a Re-Exemination.“ In Islam Araştırmaları Dergisi, Bd. 1 (1997): 19–29. Rudolph, Ulrich. al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden: Brill, 1997. Rudolph, Ulrich. „Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al-Aš’arī’s und al-Māturīdī’s.“ In ZDMG 142 (1992), 72–79. Saraḫsī, Šams al-Aʾimma Abū Bakr Muḥammad as-. Uṣūl al-fiqh. Beirut, 1993. Wittgenstein, Ludwig, Über Gewißheit, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006.

Angelika Brodersen

Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts: Abū Šakūr as-Sālimī und sein Tamhīd fī bayān at-tauḥīd In einem frühen Text aus der theologischen Schule, die heute als „Māturīdīya“ bezeichnet wird,1 wird folgende Episode überliefert: Ich disputierte einmal mit einem Ašʿariten. Er sagte zu mir: „Die rituelle Waschung und das Ritualgebet laufen bei euch doch so ab: Jemand setzt sich unter den Wasserabfluss (mīzāb), bis sein Gesicht, seine Unterarme, sein Kopf und seine Füße benetzt sind. Dann breitet er Taubenkot aus, stellt sich darauf und sagt auf Persisch: ‚Ay khoda-ye bozorg‘, was heißen soll: ‚Allāhu akbar‘. Anschließend liest er auf Persisch einige Koranverse und sagt dabei: ‚do barg-e sabz‘. Damit meint er seine (Gottes) Rede: ‚mudhāmmatān‘. Danach verneigt er sich, legt sich schweigend nieder, setzt sich auf, während er das Glaubensbekenntnis aufsagt, und lässt einen fahren. So verrichtet ihr also eure kultische Pflicht (ʿibāda)!“2

So unwahrscheinlich das auch erscheinen mag: Bei dieser Anekdote handelt es sich um das früheste uns bekannte schriftliche Zeugnis einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen einem Ašʿariten und einem Vertreter der zweiten sunnitischen Schulrichtung, nämlich der Māturīdīya, die sich aus den Grundlagen ḥanafitischer Theologie entwickelt hatte. Die Passage befindet sich im Tamhīd fī bayān at-tauḥīd („Einleitung in die Erklärung des Ein-Gott-Glaubens“) des Theologen Abū Šakūr as-Sālimī, der demzufolge nach derzeitigem Forschungsstand

1 Diese Bezeichnung begegnet zuerst in at-Taftazānī’s (gest. 792/1390) Kommentar zum bekannten Glaubensbekenntnis des Abū Ḥafṣ ʿUmar an-Nasafī (gest. 537/1142): Šarḥ al-ʿaqā’id annasafīya, hg. v. C. Salamé, Damaskus 1974. Die frühen Nachfolger al-Māturīdī’s nannten sich dagegen meistens „Ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa“, vermutlich in Abgrenzung zu den Muʿtaziliten, deren Lehren zu widerlegen ihr vorrangiges Ziel war. Zur Frage der Benennung vgl. W. Madelung. „Māturīdiyya.“ In EI2; D. Gimaret. Théories de l’acte humain en théolgie musulmane, Paris 1980, 171–172; A. Brodersen. Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdiya am Beispiel der Attributenlehre, Berlin 2014, 19. 2  ‫ «إن الوضوء والصلوة عندكم إن يجلس (أحدكم) تحت‬:)‫ ناظرت أشعريا فقال (لي‬:– ‫– وفقه الله‬ ‫قال المهتدي أبو شكور السالمي‬  

»‫ ويقول بالفارسية «اي خداي بزرگ‬،‫ ثم يسقط خرء الحمام ويقوم عليه‬،‫الميزاب حتى يبت ّل وجهه وذراعاه ورأسه وقدماه‬ ‫» ثم يركع ويسجد ساكتا ويقعد‬.‫َان‬ ِ ‫يعني «الله أكبر» ويقرئ بالفارسية مقدار آية ويقول «دو برگ سبز» يعني قوله « ُم ْدهَا َّمت‬ ‫ ثم يضرط فهذه عبادتكم؟‬،‫وقت القعود‬ https://doi.org/10.1515/9783110588576-017

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der erste māturīditische Autor überhaupt ist, der al-Ašʿarī und seine Nachfolger explizit beim Namen nennt.3 Die sunnitische Schule, die auf den transoxanischen Gelehrten Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/944) zurückgeführt wird, ist von der islamwissenschaftlichen Forschung lange wenig beachtet worden. Diese konzentrierte sich weitgehend auf den „Schulgründer“, dessen kalām-Werk Kitāb at-Tauḥīd im Jahr 1970 erstmals und dann 2003 erneut ediert wurde. Hier können besonders die Arbeiten von W. Madelung, U. Rudolph und M. Cerić hervorgehoben werden.4 Seit den 1960er Jahren sind jedoch auch einige Schriften von Anhängern al-Māturīdī’s in Editionen verfügbar.5 Trotzdem bestehen für eine weitere Aufarbeitung der mātūrīditischen Theologie noch Desiderate. So sind trotz der beobachteten Editionstätigkeit noch längst nicht alle wichtigen Texte aus dieser Tradition wissenschaftlich ediert und der Forschung somit zugänglich gemacht worden. Der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd, der in diesem Beitrag als Grundlage dienen soll, stellt hier nur ein Beispiel dar.6 Und gerade dieser Beginn der expliziten Auseinandersetzung māturīditischer Theologen mit den ašʿaritischen „Konkurrenten“, wie er im Tamhīd greifbar wird, ist insofern eine wichtige Phase, als nun ein radikaler Perspektivenwechsel stattfand: Al-Māturīdī selbst argumentierte in seinen Schriften in erster Linie gegen die Muʿtazila und gegen dualistische Strömungen im östlichen Iran. Seine Nachfolger setzten sich daneben auch mit al-Ašʿarī und dessen Anhängern auseinander, eben um zu demonstrieren, dass diese Richtung des kalām zur Überwindung muʿtazilitischer Lehren ungeeignet war.

3 Grundlegend für diesen Beitrag ist die Edition in Angelika Brodersen: Zwischen Māturīdīya und Ašʿarīya. Abū Šakūr aṣ-Ṣālimī und sein Tamhīd fī bayān at-Tauḥīd, Piscataway, NJ: Gorgias Press, im Druck. Der zitierte Text befindet sich in Kapitel 4/3. Ein Kopist aus dem 19. Jh. hatte offensichtlich Probleme mit dem Wort „yaḍritu“ (er lässt einen fahren), und änderte es kurzerhand in „yafriṭu“ (er übertreibt) (MS Rampur 1535). 4 Siehe Literaturverzeichnis. 5 Bisher stehen (in der Reihenfolge der Erstedition) folgende Ausgaben zur Verfügung: Abū l-Barakāt an-Nasafī. ʿUmdat al-aqīda, gedruckt 1843; Abū l-Yusr Muḥammad al-Bazdawī. Kitāb Uṣūl ad-dīn, hg. 1963, kommentierte Neuausgabe1991; Nūr ad-Dīn aṣ-Ṣābūnī. Kitāb al-Bidāya min al-kifāya fī l-hidāya; hg. 1969, Neuausgaben 2005, 2011; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. At-Tamhīd li-qawāʿid at-tauḥīd, hg.1986, Neuausgabe 2007; Abū Salama as-Samarqandī. Ǧumal uṣūl ad-dīn, hg.1989; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. Kitāb Tabṣirat al-adilla, hg. 1990–1993; Abū t-Tanā’ al-Lāmišī. At-Tamhīd li-qawāʿid at-tauḥīd, hg. 1995, Neuausgabe 2007; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. Kitāb Baḥr alkalām, hg. 1997, Neuausgabe 2005; Abū l-Barakāt an-Nasafī. Kitāb al-Iʿtimād fī l-iʿtiqād, hg. 2003; Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār al-Buḫārī. Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tauḥīd, hg.2011. 6 Auch das Kitāb al-Kifāya fī l-hidāya des späteren Nūr ad-Dīn aṣ-Ṣābūnī (MS Yale Univ. Library 849) liegt bisher nicht als wirklich kritische Edition vor.

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Dass der Text as-Sālimī‘s von der Forschung bisher kaum berücksichtigt wurde, steht darüber hinaus in krassem Gegensatz zu der offenkundigen Wertschätzung, die er in der islamischen Theologiegeschichte erfahren hat. So stellte er – neben dem Šarḥ aṣ-Ṣaḥā’if eines unbekannten Autors – eine der zwei Quellen dar, auf deren Grundlage im Sultanat von Delhi der kalām unterrichtet wurde.7 Und der berühmte indische Ṣūfī Ganj-i Shakar (Farīduddīn Ganjshakar, 12.–13. Jh.) bezeichnete in seinem an Niẓāmuddīn Auliyā (1238–1325) gerichteten Ḫilāfāt nāma den Tamhīd als „die beste Schrift in diesem Wissenszweig (d.  h. Wissen und Grundlagen der religiösen Tradition)“ und erteilte Niẓāmuddīn eine diesbezügliche Lehrbefugnis.8 Ein Faktor, der zu dieser Beliebtheit des Tamhīd beigetragen hat, ist sicherlich sein klarer Aufbau. Anders als etwa die Schriften Abū l-Muʿīn al-Nasafī’s ist der Tamhīd in den Manuskripten in zwölf Kapitel (abwāb) gegliedert, in denen jeweils ein übergreifendes Thema in kleineren Abschnitten (aqwāl) abgehandelt wird. Manchmal wird die Anzahl dieser Abschnitte sogar zu Beginn des Kapitels angegeben. Diese detaillierte Gliederung lässt den Tamhīd in der Tat als brauchbares Kompendium ḥanafitisch-māturīditischer Theologie erscheinen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Schrift as-Sālimī’s keinesfalls als genaue Wiedergabe der Lehre betrachtet werden darf, wie sie am deutlichsten bei Abū l-Muʿīn al-Nasafī greifbar ist, von anderen Autoren übernommen wurde und sich später als die māturīditische Theologie schlechthin durchsetzen sollte. Vielmehr enthält der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd Besonderheiten, die in ihm eine frühere Entwicklungsstufe dieser Theologie erkennen lassen. So ist der Autor Atomist und steht daher in seiner Ontologie al-Ašʿarī näher als al-Māturīdī

7 Dazu Anilla Mobasher. “System of Higher Education under the Delhi Sultans.” In Pakistan Journal of Social Sciences (PJJS)Bd. 34/1 (2014): 121–129, hier 124. 8 Englisch unter www.hazratmehbob-elahi.org/chapter-II-3a.htm#a: (letzter Aufruf 23.  03. 2017) „In the name of God, the Compassionate and the Merciful … He is the First and the Last, the Appearance and the Reality. Whomsover God elevates, none can degrade and whomsoever God degrades no one can elevate. None can hide what he wants to reveal and nobody can conceal whatever he wants to reveal … May God bless Muhammad (S.  A.W) and his followers, his Companions and other saintly persons … After His praise I declare that the study of the knowledge and principles of the Traditions  … gives light to him who pours water on burnt places through its knowledge. This path is, in fact, perilous and full of hazards and difficult in view of results. In this branch of knowledge the best book is the Tamhid-u-‘l-Muhtadi of Abu Shakoor Salimi … (Hervorhebung von Vf). This book has been studied under me, lesson after lesson, from the beginning to the end, minutely, attentively, carefully and thoroughly, by the dutiful son, pious, the Imam of the Age and blessed, Nizam-ul-Millat wa’d Din Muhammad son of Ahmad, who is an adornment of imams and scholars and the pride of the holy and the virtuous…”

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(Kap. 2/7); bei seinem Verständnis der Naturen als Akzidentien sowie der Ablehnung der philosophischen Lehren stimmt er dagegen mit al-Māturīdī überein (Kap. 2/2). Ein weiterer grundlegender Unterschied besteht im Verständnis des (insbesondere göttlichen) Namens (ism) als mit dem Benannten (musammā) weder identisch noch nicht identisch (Kap. 5)9. Eine solche Definition wird in der māturīditischen Theologie zwar für die Relation der vielen Attribute Gottes zum einen göttlichen Wesen verwendet. Name und Benanntes sind dagegen sowohl für al-Māturīdī als auch für seine übrigen Nachfolger stets unbedingt identisch.10 Die anderslautende Auffassung as-Sālimī’s spiegelt dagegen einen früheren Stand der sunnitischen Theologie, wie er etwa von Ibn Kullāb und Abū l-ʿAbbās al-Qalānisī11 vertreten wurde, wider (dazu auch al-Bazdawī, Uṣūl 88/16–18). In seiner detaillierten Besprechung der anthropomorphistischen Ausdrücke im Koran, also etwa der Erwähnung von Gottes Hand, Wade oder Angesicht (Kap. 4/10), unterscheidet as-Sālimī sogar innerhalb der transoxanischen Gelehrtentradition: Während die frühen Vertreter sunnitischer Theologie in Buḫārā wie auch die Ašʿariten diese mutašābihāt, eigentlich „unklare Ausdrücke“, als Gott zugehörige, nicht weiter zu hinterfragende Attribute verstanden, erlaubten die Māturīditen hier eine allegorische Auslegung (ta’wīl). Als letztes Beispiel kann die Handlungstheorie genannt werden, in der as-Sālimī drei Arten von Handlungsvermögen unterscheidet, während die allgemeine māturīditische Lehre von zwei derartigen Befähigungen ausgeht (Kap. 9/3). Neben diesen Einzelheiten, durch die sich die Darstellung as-Sālimī’s von den Auffassungen der anderen Māturīditen abhebt und somit ein früheres Stadium der Konsolidierung ḥanafitisch-māturīditischer Theologie widerspiegeln dürfte, sind besonders die Stellen in seinem Tamhīd beachtenswert, in denen er sich – wie bereits angemerkt, als erster māturīditischer Theologe überhaupt – mit alAšʿarī und dessen Anhängern auseinandersetzt. Dabei lassen sich verschiedene Themenkomplexe konkretisieren, die bei dieser Auseinandersetzung im Vordergrund standen: An erster Stelle ist hier die Rolle des Verstandes als Mittel zum Erkenntnisgewinn zu nennen. As-Sālimī kritisiert hier die Auffassung al-Ašʿarī’s unter verschiedenen Aspekten. So wirft er ihm beispielsweise vor, den Verstand nur

9 Die Behandlung dieses Themas bei as-Sālimī wird in meinem Aufsatz „Das Kapitel über die „schönen Namen Gottes „im Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tauḥīd des Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār alBuḫārī (gest. 534/1139)“. In ZDMG 164 (2014): 375–406, kurz angesprochen. 10 Dazu ausführlich A. Brodersen. Der unbekannte kalām, 583–592. 11 Zu ihm immer noch maßgeblich: D. Gimaret „Cet autre théologien sunnite: Abū l-ʿAbbās alQalānisī.“ In JA 277 (1989): 227–262. Interessanterweise verwendet Gimaret zur Rekonstruktion der Lehren al-Qalānisī’s in erster Linie māturīditische Quellen.

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auf seine Rolle im alltäglichen Leben und bei der Übernahme der religiösen Gesetze zu beschränken (Kap.  1/1), ihn nicht jedoch als Mittel für das Erlangen von Wissen anzuerkennen (Kap.  1/4). Meinungsverschiedenheiten bestehen auch bei der Frage, ob der Verstand ohne die Offenbarung zum richtigen Glauben verpflichtet (Kap. 1/5–6). Interessant ist hier besonders as-Sālimī’s Auffassung vom „Unglauben“ als „Ablassen vom Glauben“, der somit auch zeitlich vorgeordnet ist. Ein weiterer Komplex betrifft die Bewertung der Handlungsattribute, die von der Māturīdīya im Gegensatz zur Ašʿarīya als ausnahmslos ewig im göttlichen Wesen bestehend betrachtet werden. In diesen Zusammenhang gehört auch im weiteren Verlauf das eingangs wiedergegebene Streitgespräch des Autors mit einem unbenannten Ašʿariten (Kap.  4/3). Ausschlaggebend ist hier die unterschiedliche Behandlung des göttlichen Handelns, das nach māturīditischer Auffassung ein einziges, ewiges Attribut ist, während al-Ašʿarī die einzelnen Handlungsakte im Auge hat (Kap. 2/6). Und auch die Handlungen des Menschen werden von as-Sālimī anders bewertet als von al-Ašʿarī. As-Sālimī nennt letzteren allerdings nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Gott dem Menschen etwas auferlegen kann, wozu dieser nicht in der Lage ist (taklīf-Problematik, Kap. 10/1). Diese Spezifika weisen den Tamhīd als überaus wichtige Quelle für die Erforschung sowohl der frühesten Entwicklungen in der ḥanafitisch-māturīditischen Schule als auch der beginnenden Auseinandersetzung mit der Ašʿarīya aus.12 Da sich die Funktion des menschlichen Verstandes in der Erkenntnistheorie der Māturīdīya erheblich von dem unterscheidet, was al-Ašʿarī zu diesem Punkt vertrat, soll zunächst dieser grundlegende Themenkomplex in der Darstellung as-Sālimī’s näher beleuchtet werden.

1 Die Rationalität des Menschen13 Hier geht es zunächst darum, wie der Verstand (ʿaql) überhaupt definiert werden kann. Abū Šakūr as-Sālimī beginnt seine Darstellung mit einer persönlichen Einschätzung. Er bietet folgende Erklärung an: Der Verstand ist eine Feinsubstanz,

12 Eine erste Annäherung an diesen Themenkomplex findet sich in W. Madelungs Aufsatz „Abu l-Muʿīn al-Nasafī and Ashʿarī Theology“, in dem sich der Autor auf Abū l-Muʿīn an-Nasafī’s Tabṣirat al-adilla stützt. 13 Die folgende Darstellung orientiert sich an Abū Šakūr as-Sālimī: At-Tamhīd fī bayān at-tauḥīd, Kap. 1/1–6.

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deren Beschaffenheit wir mit unserer Vorstellungskraft (fī auhāminā) nicht erfassen können. Damit grenzt er sich deutlich von der Lehre der Philosophen ab. Denn diese meinten, der Verstand sei eine vergängliche, sinnlich wahrnehmbare und lehrende Substanz (ǧauhar), die dem Geist (rūḥ) innewohnt und durch die das Leben besteht, wie der Geist dem Körper inhäriert. Folglich besitzt der Geist Leben, Handlungen und Zustände durch seine Verbindung mit dem Verstand, wie es auch der Fall ist bei der Verbindung des Körpers mit dem Geist. Aber, so fügt as-Sālimī an, für diese Aussage gibt es keinen Hinweis in der Heiligen Schrift, oder durch Analogieschluss.14 Auch unter den Rechtsgelehrten sieht as-Sālimī keine Übereinstimmung darüber, was man sich unter „Verstand“ konkret vorzustellen habe. Einige von ihnen sagen nicht mehr als: Der Verstand ist eine Substanz. Dabei berufen sie sich auf eine Erzählung über den Gesandten im ḥadīt. Andere möchten sich dagegen nicht festlegen und lassen offen, ob der Verstand eine Substanz oder ein Akzidens (ʿaraḍ) ist. Vielmehr verstehen sie ihn als Ursache und Werkzeug, um Erkenntnis zu erlangen und die Dinge zu erfassen. Eine klare Vorstellung von der Aufgabe des Verstandes hatte die Muʿtazila, der sich as-Sālimī nun zuwendet. Seiner Darstellung nach verstand diese theologische Richtung den Verstand als eine Feinsubstanz, durch die die Erkenntnis im Herzen aufscheint und sich darin niederlässt, und durch die die Dinge gesehen und ihre Substanzen erfasst werden.15 Nach dieser Auffassung ist das Gute dadurch gut, dass es der Verstand als gut betrachtet, und das Schlechte ist schlecht, weil er es als schlecht bewertet. Hier hat der Verstand ganz klar eine moralische Funktion: Er ist die Instanz, durch die Gut und Böse nicht nur erkannt, sondern sogar festgelegt werden. Es erstaunt daher wenig, dass Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī widersprechen musste.16 Dessen

14 Dagegen sieht U. Rudolph, Al-Māturīdī, 282. 335 bei al-Māturīdī eine deutliche Anlehnung an das philosophische Menschenbild, wenn der den Menschen als aus Verstand und Naturen zusammengesetztes Wesen begreift. 15 Es ist bemerkenswert, dass al-Māturīdī bei seiner Auffassung vom Verstand ein älteres muʿtazilitisches Modell aufzugreifen scheint, wenn er den Verstand neben der Überlieferung und den Sinnen als Erkenntnismittel vorstellt; hierzu U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256. Für eine genauere Analyse des ʿaql-Begriffs bei al-Māturīdī vgl. den Beitrag von H. Kam in diesem Band. 16 Nach Ibn Fūrak. Muǧarrad maqālāt al-Ašʿarī, hg. v. D. Gimaret, Beirut 1987 kann der Mensch nach al-Ašʿarī’s Lehre keine moralischen Bewertungen vornehmen, da die Handlungen an sich weder gut noch böse sind. Sie werden nur durch Gottes Anordnungen bzw. Verbote gut oder schlecht. Vgl. U. Rudolph. „Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al- Ašʿarī’s und alMāturīdī’s.“ In ZDMG 142 (1992): 72–89, hier: 76. Zur Frage des Ursprungs von Gut und Böse in der islamischen Theologie siehe auch A. Brodersen. „Gottes umfassender Wille. Erklärungsmuster

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Lehre referiert as-Sālimī folgendermaßen: Der Verstand dient der Unterscheidungsfähigkeit und Klugheit sowie der Verbesserung der Lebensweise und des Scharfsinns, und durch ihn wird die Ansprache wahrgenommen, die das Religionsgesetz (šarʿ) an den Menschen richtet. Auch über Auffassungen des Verstandes als ein Körper, der dem Blick verborgen ist, oder als die Ursache, durch die ein Mensch verständig, vernünftig und erkennend wird, weiß as-Sālimī zu unterrichten. Es kommt jedoch, wie er seine Gegenüberstellung der verschiedenen Lehrmeinungen abschließt, der Wahrheit am nächsten, zu sagen: Der Verstand ist ein Akzidens, das einem Substrat (maḥall) innewohnt. Durch das Wirken des Verstandes ziehen wir Folgerungen für die Erkenntnis der Dinge und schließen vom Offenbaren auf das Verborgene auf dem Weg der notwendigen Dinge. Auch dieses Substrat, dem der Verstand innewohnt, hat offensichtlich zu Diskussionen herausgefordert. Man war sich nicht einig, ob der Verstand dem Hirn (dimāġ) oder dem Herzen innewohne. As-Sālimī spricht sich – unter Berufung auf ʿAlī (b. Abī Ṭālib) – für das Herz als Substrat aus. Denn Erwägung und Beweisführung als Aktivitäten des Verstandes geschehen durch Nachdenken, und das findet im Herzen statt. Eine weitere Frage, der as-Sālimī in seinen Ausführungen nachgeht, betrifft die Nutzen des Verstandes. Diese sind für ihn sind größer, als dass sie im Einzelnen aufgezählt werden könnten. Der beste und größte Nutzen ist, dass der Mensch durch den Verstand in die Lage versetzt wird, die Anrede durch das göttliche Gesetz wahrzunehmen.17 Durch den Verstand wird er auch befähigt, den Glauben und den Islam als richtig zu erkennen, bevor diese Anrede an ihn erging. As-Sālimī sieht in diesem Punkt eine Besonderheit der Lehre Abū Ḥanīfa‘s.18 Der Verstand ist somit ein Werkzeug für die Erwägung (naẓar) und Beweisführung (istidlāl) durch die Zeichen (in der Schöpfung), beispielsweise durch die Erde, den Himmel, den Baum, das Wasser, die Luft, den Wind, und durch alle Dinge, die gewollt und hergestellt werden. Dies betrifft auch die Erkenntnis des Schöpfers: Durch Nachdenken über die Hinweise in der Schöpfung mit dem Ver-

islamischer Theologen zur Existenz des Bösen.“ In „Horizonte der Islamischen Theologie“ 01. – 05. 09. 2014, Kongress an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (im Druck). 17 Zu den vielfältigen Aufgaben des Verstandes bei al-Māturīdī vgl. U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 84–85. 18 Zu dieser Möglichkeit des Verstandes, die Existenz Gottes aus der Schöpfung zu beweisen und zu erkennen, was gute und schlechte Handlungen sind, in der ḥanafitischen Tradition vgl. U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256 Anm. 9.

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stand gelangt man zur Gotteserkenntnis. Dadurch ist erneut bewiesen, dass der Verstand Ursache und Werkzeug zum Erkenntnisgewinn ist.19 Dies ist nun ein grundlegender Unterschied zur Lehre Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī’s, wie as-Sālimī fortfährt. Denn der leugnet diese Funktion des Verstandes und lehrt: Der Verstand ist kein Werkzeug zum Erlangen von Erkenntnis. Die Erkenntnis tritt vielmehr allein durch die (göttliche) Offenbarung ein, ohne Überlegung und Erwägung.20 Aber das kann in as-Sālimī’s Augen nicht richtig sein. Denn die Körperteile, an denen die Sinneswahrnehmung stattfindet, d.  h. die Sinnesorgane, sind Werkzeuge, um das Wahrgenommene zu erfassen, und das Wissen um das sinnlich Wahrgenommene, also dessen Auswertung, geschieht durch den Verstand, nicht durch das Sinnesorgan.21 Hier beruft sich as-Sālimī auf al-Ḥasan al-Baṣrī, der gesagt haben soll: Gott hat uns so viel Verstand gegeben, dass wir dadurch zwar das Knechtsein (ʿubudīya) erkennen, nicht aber die Göttlichkeit (rubūbīya), d.  h. das, was das Wissen und die Weisheit der Göttlichkeit erfordert, wie beispielsweise das Erschaffen. Damit diese Überlieferung auch als Argument

19 Für al-Māturīdī selbst hält U. Rudolph fest, dass dieser das Nachdenken des Menschen immer auf die göttliche Weisheit bezogen sieht. Diese Weisheit scheint durch Gottes Hinweise und Bestimmungen in der Welt auf. Durch seine rationale Erkenntnis ist der Mensch in der Lage, die ethischen Normen zu erfassen sowie den Schöpfer zu erkennen (U. Rudolph. Al-Māturīdī, 334–335). 20 Wie U. Rudolph gezeigt hat, vollzog sich nach al-Ašʿarī’s Darstellung in der Risāla ilā ahl at-taġr die Verkündigung der göttlichen Offenbarung durch Muḥammad in vier Schritten: 1. Die Menschen erkennen, dass die Welt und ihre Bewohner in der Zeit geschaffen sind. 2. Das kann nur durch einen einzigen Schöpfer geschehen sein. 3. Muḥammad ist der Gesandte dieses einzigen Schöpfers. 4. Alles, was dieser Gesandte den Menschen über den Glauben und die religiösen Pflichten mitteilte, ist zu akzeptieren und zu befolgen. Die beiden ersten Schritte soll Muḥammad einzig durch rationale Argumente begründet haben, während die beiden letzten keine rationale Begründung mehr erforderten, sondern nur auf der Autorität des Gesandten beruhten. Eine rationale Erwägung ethischer und religiöser Fragen war daher nicht mehr erforderlich. Aber auch in den beiden ersten Schritten wird die Rolle des Verstandes erheblich eingeschränkt, da die Nachrichten über die Geschöpflichkeit der Welt und die Existenz des einen Schöpfers ebenfalls über Muḥammad vermittelt wurden. Siehe U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 74–75. 21 Anders als bei al-Māturīdī lässt sich al-Ašʿarī’s Auffassung vom Wissenserwerb am ehesten mit der späteren muʿtazilitischen Position vergleichen. Demnach lässt sich notwendig erlangtes (ḍarūrī) von erworbenem Wissen (muktasab) unterscheiden. Notwendiges Wissen ist das, was unmittelbar, ohne Tätigkeit des Verstandes, eintritt, wie z.  B. das Wissen des Menschen um sich selbst, oder alles, was durch Sinneseindrücke wahrgenommen werden kann (vgl. D. Gimaret. La doctrine d’al-Ashʿarī, 160–161. Als „erworben“ wird hingegen ein Wissen bezeichnet, das auf Verstandestätigkeit beruht. Im Gegensatz zur Muʿtazila betrachtet al-Ašʿarī auch dieses Wissen als von Gott geschaffen, da es auf dem notwendig erworbenen Wissen beruht (D. Gimaret. La doctrine d’al-Ashʿarī, 163–164. Insofern handelt der Verstand nicht autonom, da er an die Vorgabe der Überlieferung gebunden ist, U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256).

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für die māturīditische Position tauglich ist, ergänzt der Autor noch: Aber Überlegung und Erwägung der Zeichen, die auf die Bestätigung und Erkenntnis des Schöpfers hinweisen, gehören zu den Attributen des Knechtseins. Hier geht es darum, wie jemand zu beurteilen ist, der auf einem hohen Berg oder auf einer Insel geboren wurde und keinen Verständigen traf, dann erwachsen wird und keine Religion kennt, keinen Hinweis auf die Erkenntnis des Schöpfers erhält, nur verständig handelt im Hinblick auf seinen eigenen Vorteil, aber auch nicht verrückt. Die Muʿtaziliten sagen: Er ist ungläubig, weil er nicht glaubt. Denn der Glaube ist durch den Verstand für ihn verpflichtend. Wie as-Sālimī fortfährt, handelt es sich hier keinesfalls um rein theoretische Lehrsätze. Der Hintergrund ist nämlich ein ganz praktischer, nämlich: Verpflichtet der Verstand ohne die Offenbarung (zu etwas) oder nicht? Die Gelehrten seiner eigenen Tradition vertraten die Auffassung: Wenn jemand auf einem hohen Berg geboren wurde und keinen unterscheidenden Verstand hat, muss man differenzieren. Wenn er innerhalb der Grenzen des Dār al-Islām lebt, wird er auch nach seinem Islam beurteilt, solange er keine Anzeichen von Unglauben erkennen lässt. Lebt er aber im Dār al-Kufr, wird er dementsprechend nach seinem Unglauben beurteilt, wenn er keine Zeichen des Islams zeigt. Und lebt er im freien Raum (fī mauḍiʿ al-ḫalā‘), urteilen wir nicht über ihn. Den praktischen Aspekt dieser Differenzierung sieht as-Sālimī im juristischen Kontext. So wird über Muḥammad b. al-Ḥasan (aš-Šaibānī) berichtet, er habe die Meinung vertreten, Gott bestrafe niemanden ohne Sünde. Und Abū Ḥanīfa soll gesagt haben: Wenn nämlich diese Person in diesem Zustand getötet wird, unterliegt derjenige, der ihn getötet hat, weder der Vergeltung, noch ist er zu Blutgeld verpflichtet. War der Totschläger aber nicht ungläubig, besteht eine solche Verpflichtung. Aber, wie as-Sālimī anfügt, kann aus der Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen nicht auf Glauben oder Unglauben geschlossen werden. Auch hier vertrat Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī eine andere Ansicht. Wie er lehrte, ist jemand der keinen Zugang zur Offenbarung hatte, in jeden Fall entschuldigt. Der Verstand allein verpflichtet damit nicht zum richtigen Glauben. – Hier können also zwei Lehrmeinungen festgehalten werden, in denen sich die Anhänger al-Māturīdī’s erheblich von der ašʿaritischen Lehre unterschieden: Der Verstand ermöglicht es dem Menschen, auch ohne Offenbarung Gott zu erkennen.22 Eine solche Rolle billigte al-Ašʿarī dem Verstand nicht zu. Aber diese Erkenntnis wird dem Menschen nicht nur

22 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass bei al-Māturīdī der Verstand trotz seiner Möglichkeiten nie als der Offenbarung überlegen dargestellt wird. Vielmehr stehen beide Wege des Erkenntnisgewinns immer gleichrangig nebeneinander, dazu U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 84.

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ermöglicht. Der Verstand verpflichtet ihn sogar dazu, so dass juristische Verantwortlichkeit auch ohne Kenntnis der Offenbarung gegeben ist. Al-Ašʿarī spricht dagegen einen Menschen, der keinen Zugang zur Offenbarung hatte, von jeder Verantwortung für sein Handeln frei.23 Diese Gegenüberstellung māturīditischer und ašʿaritischer Gedanken wirft die Frage auf, woher die Informationen as-Sālimī’s über die gegnerischen Lehren stammen könnten. Daher soll im Laufe des Beitrags der Autor des Tamhīd fi bayān at-tauḥīd soweit vorgestellt werden, wie es die Quellenlage zulässt. Abū Šakūr Muḥammad b. ʿAbd as-Sayyid b. Šuʿayb al-Kaššī as-Sālimī war ein Gelehrter ḥanafitischer Prägung, der in der zweiten Hälfte des 5./11. Jh. in Transoxanien wirkte. Über sein Leben ist wenig bekannt. Denn, wie auch U. Rudolph in seinem Artikel in EI3 bemerkt, die ḥanafitischen biographischen Werke erwähnen ihn nicht.24 Allerdings nennt as-Sālimī selbst einige – wenige – Details aus seinem Leben, die eine ungefähre lokale und temporäre Einordnung seines Wirkens erlauben: So will er sich beispielsweise in den 460er/1070er Jahren in Samarqand mit seinem Scheich Abū Bakr Muḥammad b. Hamza al-Ḫaṭīb getroffen haben (Kap. 12/6). Diese Stadt befand sich seit dem ausgehenden 4./10. Jahrhundert unter der Herrschaft der turkstämmigen Karachaniden. Im späten 5./11. Jahrhundert, also zur Wirkungszeit as-Sālimī’s, wurde sie ein bekanntes Zentrum vielseitiger Kultur, in dem auch konkurrierende theologische Positionen nebeneinander existieren konnten.25 Es ist also absolut denkbar, dass dort persönliche Kontakte zwischen Angehörigen verschiedener kalām-Schulen bestanden haben. Insofern ist es auch nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass sich as-Sālimī – oder auch andere, uns nicht namentlich bekannte Vertreter seiner theologischen Richtung – Auseinandersetzungen mit anderen Theologen auf verschiedenen Ebenen geliefert haben. Denn as-Sālimī ergänzt seine Ausführungen gern mit Berichten über derartige Streitgespräche. In den folgenden Abschnitten soll anhand einiger Beispiele demonstriert werden, in welcher Weise die Begründung einer eigenen sunnitischen Identität nicht nur vermittels der Auseinandersetzung mit Schriften der Gegner, sondern durch direkte Konfrontation mit Vertretern anderer Schulrichtungen erfolgt sein könnte.

23 Wobei der Mensch, sofern es sich um einen vernunftbegabten Erwachsenen handelt, aber eben auch dazu verpflichtet ist, die Offenbarung mit dem Verstand zu durchdringen. 24 U. Rudolph.„Abū Shakūr as-Sālimī“, in EI³. 25 Dazu T. Bauer. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Frankfurt 2011, 44.

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2 Auseinandersetzungen auf der Ebene der ­religiösen Praxis Das eingangs geschilderte Gespräch beginnt mit heftigen Anschuldigungen von Seiten eines nicht näher benannten Ašʿariten. Was also wirft dieser as-Sālimī und damit der gesamten östlichen Ḥanafīya im Einzelnen vor? Zunächst einmal geht es um die Pervertierung des islamischen Reinheitsgebots, konkret um die Waschung vor dem rituellen Gebet. Diese sollte unbedingt mit frischem, nach Möglichkeit fließendem Wasser durchgeführt werden. Aber die Ḥanafiten, so stellt es der ašʿaritische Gegner dar, setzen sich unter ein Abflussrohr – wobei es wohl der Fantasie überlassen bleibt, um was für eine Art von Abwasser es sich handelt –, bis sie einigermaßen angefeuchtet sind. Aber damit nicht genug. Zum Gebet breiten sie nicht etwa einen nur für diesen Zweck benutzten Teppich aus. Sie benutzen Taubenkot. Die Manuskripte variieren an dieser Stelle; entweder fällt der Taubenkot herunter, und der Betende stellt sich darauf, oder er breitet ihn sogar selbst aus. In beiden Fällen werden die Vorschriften zur Verrichtung des Gebets in ihr Gegenteil verkehrt. Und als Krönung des Ganzen lässt der Betende dann noch einen fahren. Aber auch die Art, wie das Gebet gesprochen wird, erregt das Missfallen des Ašʿariten. Der Betende spricht nämlich persisch und übersetzt dabei die arabischen Ausdrücke höchst unspezifisch. Mal davon abgesehen, dass „Ay khoda-ye bozorg“ nicht genau dem „Allāhu akbar“ entspricht, sondern eher eine Anrede darstellt, rezitiert er auch die Koranverse auf Persisch und sagt dabei z.  B. „do barg-e sabz“, was wörtlich einfach „zwei grüne Blätter“ bedeutet, aber dem koranischen „mudhāmmatān“ entsprechen soll. Im Koran sind damit die beiden Paradiesgärten gemeint, die für die Gläubigen bestimmt sind.26 Diese Bedeutung geht bei der platten persischen Übersetzung aber vollkommen verloren. – Es geht dem Ašʿariten wohl nicht darum, dass eine Übersetzung des Korans an sich verboten gewesen wäre. Aber das von ihm genannte Beispiel belegt eben, dass eine Übersetzung in der Rezitation nie den umfassenden und oft durchaus mehrdeutigen Sinn der arabischen Ausdrücke erfassen kann. Hierzu sei angemerkt, dass die persische Sprache in der Umgebung, in der as-Sālimī wirkte, durchaus geläufig war. An einer anderen Stelle seiner Schrift behandelt er nämlich die aristotelischen Kategorien und stellt diese

26 Kor. 55/64 (ar-Raḥmān); Kontext ab Vers 62.

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erst arabisch, dann noch einmal persisch vor.27 Insofern ist nicht von der Hand zu weisen, dass Zeitgenossen as-Sālimī’s auch auf Persisch ihr Gebet verrich­ teten. Trotzdem ist wohl mehr als unwahrscheinlich, dass der Ašʿarit, den as-Sālimī zitiert, den von ihm geschilderten Vorgang tatsächlich so beobachtet hat. Er behauptet dies auch gar nicht. Es scheint sich hier vielmehr um eine Art „running gag“ unter Ašʿariten gehandelt zu haben. Eine ganz ähnliche Anekdote findet sich nämlich bei Ibn Ḫallikān.28 Der wirkte zwar erst im 7./13. Jahrhundert, somit beträchtliche Zeit nach der Abfassung des Tamhīd. Aber er benutzte eine Schrift des Ašʿariten al-Ǧuwainī, in der die „Bekehrung“ des Maḥmūd von Ġaznī (reg 998–1030) vom Ḥanafiten zum Šāfiʿiten geschildet wird. Demnach wollte Maḥmūd wissen, worin denn genau die Unterschiede zwischen der ḥanafītischen und der šāfiʿitischen Gebetspraxis bestehen. Zu diesem Zweck führte ihm der Šāfiʿit al-Qaffāl al-Marwazī (gest. 1026) zunächst das Gebet in vorschriftsmäßiger Reinheit und unter Berücksichtigung aller übrigen Voraussetzungen vor. Anschließend vollführte er es nach angeblich ḥanafitischer Praxis, indem er die Reinheitsvorschriften auf verschiedene Art pervertiert, die Absichtserklärung (nīya) unterlässt, sowohl das „Allāhu akbar“ als auch das koranische „mudhāmmatān“ auf Persisch wiedergibt und die vorgeschriebenen Körperbewegungen nicht korrekt ausführt. Und auch der abschließende Furz anstelle des Friedensgrußes fehlt hier nicht. Selbstverständlich bestritten anwesende Ḥanafiten, das Gebet so auszuführen, woraufhin al-Qaffāl Schriften Abū Ḥanīfa’s bringen und beide Schulmeinungen von einem christlichen, also „neutralen“ Schreiber verlesen ließ. Dabei ergab sich, dass al-Qaffāl Recht hatte, und der vermutlich entsetzte Maḥmūd zum Šāfiʿitentum wechselte29  – Es ist also anzunehmen, dass sich as-Sālimī’s ašʿaritischer Gesprächspartner eher auf einen geläufigen Vorwurf šāfiʿitischer Glaubensanhänger an ihre ḥanafitischen Gegner als auf eine reale Beobachtung bezieht. Für unwahrscheinlich halte ich die Annahme, es ginge diesem Diskussionspartner nur um unsachliche Pöbelei, hinter der nichts inhaltlich Fundiertes auszumachen wäre.30 Der Ašʿarit könnte nämlich durchaus auf einen Punkt anspie-

27 Kap: 2/3: mā‘īya, kamīya, kaifīya, muḍāf, makān, zamān, fāʿil, mafʿūl, taġyīr; mā’īyat, kamīyat, kaifīyat, makān, muzāf, zamān, mafʿūl, fāʿil, taġyīr. 28 Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān, Beirut o.  J., Bd. 5, 180–181. 29 Siehe T. Nagel. Die Festung des Glaubens. Triumph und Scheitern des islamischen Rationalismus im 11. Jahrhundert, München 1988, 179–180. Für diesen wichtigen Hinweis bedanke ich mich bei Lutz Berger. 30 Wie etwa Nagel a.a.O., 180, die Überlieferung um Maḥmūd von Ġaznī als „drastische Verunglimpfung“ versteht.

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len, der zwischen Šāfiʿīya-Ašʿarīya und Ḥanafīya-Māturīdīya umstritten war, nämlich auf das Verständnis von „Glaube“, genauer gesagt die Beziehung des Glaubens zu den Handlungen. Nun bilden die guten Taten nach ašʿaritischer Auffassung, anders als in den Lehren der Muʿtazila und der Ḫāriğīya, zwar nicht im eigentlichen Sinne einen Bestandteil des Glaubens. Aber sie folgen sozusagen notwendigerweise aus dem richtigen Glauben. Dabei ist das Glaubenskonzept bei al-Ašʿarī auf den ersten Blick nicht unbedingt eindeutig.31 In seinen Schriften, die noch ḥanbalitische Tendenzen erkennen lassen, etwa in der Ibāna32, bezeichnet er den Glauben als aus Rede und Handlung bestehend, wobei er auch zu- und abnehmen kann. Dagegen ist die eigentliche Haltung al-Ašʿarī’s für Gimaret aber wohl eher den Lumaʿ33 zu entnehmen. Und dort stimmt er mit der murǧi’itischen Lehre überein, nach der der Glaube mit dem Bekenntnis (taṣdīq) des Herzens identisch ist. Unter Berufung auf Kor. 12/17 argumentiert al-Ašʿarī hier etymologisch: āmana entspricht ṣaddaqa. Was nun in der Sprachwissenschaft gilt, sieht er auch für die religiöse Sprache als zutreffend an. Wenn nämlich Gott zur profanen arabischen Sprache, die er selbst in Kor. 26/195 erwähnt, bislang unbekannte Wörter hinzugefügt oder den Sinn bereits existierender Wörter verändert hätte, dann hätte er dies den Menschen mitgeteilt. – Hier richtet sich die Argumentation al-Ašʿarī’s gegen die Muʿtazila. Al-Ǧubbā’ī ging beispielsweise von einem Unterschied zwischen profaner und religiöser Sprache aus, und bezog das Verständnis von „Glaube“ ausdrücklich mit ein. Daher konnte er, obwohl āmana etymologisch nichts mit „gehorchen“ zu tun hat, den Glauben als „Gesamtheit der Gehorsamstaten“ (ǧamīʿ aṭ-ṭāʿāt) definieren, während „Glaube“ für al-Ašʿarī das „Für-wahr-Halten Gottes“ (taṣdīq li-llāh) bedeutet. Und dieses innere Bekenntnis unterscheidet er auch vom äußeren Ausdruck, also der verbalen Zustimmung (iqrār al-lisān), der für die Ḥanbaliten, wie auch die menschlichen Handlungen, Bestandteil des Glaubens ist. Auf diesem Hintergrund sind auch as-Sālimī’s Ausführungen über das Wesen des Glaubens zu verstehen.34 Wie er darlegt, werden verschiedene Ansichten über Grundlage, Bedingungen, Eigenschaft und Beurteilung des Glaubens vertreten. Ǧahm b. Ṣafwān sagt beispielsweise: Grundlage des Glaubens ist nur die Erkenntnis im Herzen. Das ist in den Augen as-Sālimī’s jedoch kein Glaube (Kor. 5/85; 2/146).

31 Die folgende Darstellung orientiert sich in erster Linie an D. Gimaret. La doctrine d’al-Ashʿarī, Paris 1990, 472–478. 32 Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī. Al-Ibāna, Damaskus 1981, 24. 33 Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī. Al-Lumaʿ, Beirut 1953, § 180. 34 Die folgenden Ausführungen beruhen auf as-Sālimī, Tamhīd, Kap. 7/3–5.

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Die Ḥašwīya35 und die Mutaqaššifa von der Karrāmīya vertraten die entgegengesetzte Ansicht. Sie meinten, die Grundlage des Glaubens sei einzig die verbale Anerkennung (iqrār) ohne inneres Bekenntnis (iʿtiqād). Auch dem kann as-Sālimī nicht zustimmen. Denn hier werden Unglaube und Heuchelei Tür und Tor geöffnet (Kor. 63/1; 98/5; 12/40). Auch die Lehre aš-Šāfiʿī’s weist as-Sālimī zurück. Wenn nämlich als Grundlage des Glaubens die Anerkennung durch die Zunge, das Bekenntnis des Herzens und die Ausführung der islamischen Grundpflichten (arkān) verstanden werden, bedeutet dies, dass die Werke dem Glauben zugerechnet werden. Und das ist falsch (Kor. 14/31; 5/6). Die Muʿtaziliten36 gehen sogar noch über aš-Šāfiʿī hinaus, indem sie sagen: Grundlage des Glaubens sind die Anerkennung durch die Zunge, das Bekenntnis des Herzens, die Ausführung der Grundpflichten sowie das Fernhalten von großen Sünden (Kor. 6/121; 24/3). Diese Koranverse müssen, wie as-Sālimī schreibt, jedoch anders ausgelegt werden, und große Sünden bedeuten nicht automatisch Unglauben (Kor. 27/40; 7/12; 38/67; 2/256; 24/31; 66/8).37 Und schließlich werden noch Ḫāriǧīya und Ḥurūfīya, angeführt, die meinen, Grundlage des Glaubens sei die Anerkennung durch die Zunge, das Bekenntnis des Herzens, die Ausführung der Grundpflichten (arkān) und das Fernhalten von großen und kleinen Sünden. Für seine eigene Lehre beruft sich as-Sālimī anschließend auf Abū Ḥanīfa, der lehrte, Grundlage des Glaubens sei die Anerkennung durch die Zunge und die Zustimmung (taṣdīq) des Herzens.38 Und auch für die Inhalte des Glaubens verweist as-Sālimī auf die sunnitische Tradition, wenn er darlegt, was zu glauben verpflichtend ist: Voraussetzung des Glaubens ist alles, woran zu glauben verpflichtend ist, ohne das der Glaube nicht richtig ist, und dessen Ablehnung Unglaube ist. Diese Voraussetzungen werden in der Heiligen Schrift und der ununterbrochenen Überlieferung (der Prophetentradition) sowie durch die Übereinstimmung der Gemeinde festgesetzt. Was dagegen durch eine Einzelüberlieferung nachgewiesen ist, ist keine Voraussetzung für die Richtigkeit des Glaubens, wenn keine Übereinstimmung der Gemeinde vorliegt. Wenn die Gelehrten darüber überein-

35 Zu dieser Bezeichnung siehe U. Rudolph, Al-Māturīdī, 170. 36 Hier muss darauf verwiesen werden, dass as-Sālimī, anders als die nachfolgenden Māturīditen, stets von der Muʿtazila als Ganzer spricht, ohne einzelne Namen zu nennen oder zwischen unterschiedlichen muʿtazilitischen Richtungen zu differenzieren. 37 Zum Komplex „Glaube und Sünde“ in der ḥanafitisch-māturīditischen Tradition vgl. U. Rudolph, Al-Māturīdī, 343–348. 38 Für Abū Ḥanīfa wird hier gern auf seine Wāsīya bzw. den Fiqh akbar II (beide herausgegeben von A. J. Wensinck. The Muslim Creed. Its Genesis and Historical Development, Cambridge 1932) verwiesen.

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stimmen, gehört es jedoch zum richtigen Glauben, wie Elemente der Eschatologie oder Muḥammads nächtliche Reise. Trotzdem wird derjenige, der diese Punkte ablehnt, nach einigen Ansichten nicht ungläubig, sondern begeht lediglich einen Frevel (fisq). Dagegen ist, so fährt as-Sālimī fort, der Glaube an die „Wege“39 nicht verpflichtend. Für die Sunniten geht es dabei um die Ausführung der Grundpflichten, die Muʿtaziliten, Rawāfiḍ und Ḫāriǧiten, aber auch aš-Šāfiʿī als Teile des Glaubens verstehen. Der Unterschied zwischen „Voraussetzungen“ (šarā’iṭ) und „Wegen“ (šarā’iʿ) besteht somit darin, dass die Voraussetzungen „Religion“ (milla) und die Wege „Rezitation/Dienst“ (ḫitma/ḫidma) genannt werden.40 Die Religion beruht auf Dauer und ist ohne Rezitation/Dienst gültig, aber nicht umgekehrt (Kor. 2/177; 4/146). Die Handlungen folgen für as-Sālimī aber nicht in dem Sinne aus dem Glauben, dass ein Ungläubiger, der die kultischen Pflichten ausführt, als gläubig beurteilt wird. Ebenso wird ein Muslim, der Götzenbilder verehrt oder äußere Kennzeichen der Ungläubigen annimmt, als ungläubig betrachtet. Denn zur Glaubwürdigkeit gehört immer das innere Bekenntnis (Muḥammad b. al-Ḥasan zu Kor. 2/256). Ein letzter strittiger Punkt, der in diesem Zusammenhang angesprochen werden soll, betrifft die Frage, ob der Glaube zu- und abnehmen kann. Für Abū Ḥanīfa und seine Gefährten, die as-Sālimī hier an erster Stelle zitiert gilt: Der Glaube nimmt weder zu noch ab. Dagegen sagt aš-Šāfiʿī: Der Glaube nimmt durch Gehorsamsleistungen zu und durch Widersetzlichkeiten ab. Einige Spätere  – und hier gibt as-Sālimī offenkundig die Lehre al-Ašʿarī’s41 wieder, ohne ihn beim Namen zu nennen – sagen: Zunahme im Glauben ist möglich, Abnahme dagegen nicht (Kor. 48/40; Ḥadīt). Das erscheint as-Sālimī aber als nicht logisch (Kor. 75/81). Wie diese kurze Gegenüberstellung deutlich machen sollte, unterscheidet sich das Verständnis der Handlungen in ihrer Relation zum Glauben zwischen Ašʿariten und Māturīditen bei näherer Betrachtung in erheblichem Maße. Für

39 Wie D. Gimaret, La doctrine d’al-Ashʿarī, 477 anmerkt, ist die Übersetzung von šarāʿī‘ in diesem Zusammenhang problematisch. Für al-Ašʿarī führt Gimaret den Terminus auf Abū Muʿād atTūmanī zurück, der alle Gehorsamshandlungen, deren Nichtbeachtung nach Übereinstimmung der Gemeinde nicht Unglaube bedeutet, so bezeichnete. Schon Ibn Ḥanbal soll den Ausdruck in diesem Sinn gekannt haben. 40 Hier weichen die Manuskripte des Tamhīd voneinander ab; die Lesung ḫidma scheint wahrscheinlicher. 41 Der diese offenkundig von an-Naǧǧār übernahm, vgl. D. Gimaret, La doctrine d’al-Ashʿarī, 478.

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al-Ašʿarī sind die Werke des Menschen immerhin Zeichen des Glaubens. An ihnen kann man ablesen, ob jemand nach außen hin als Gläubiger erscheint, wenn auch nicht, was er in sich selbst wirklich denkt. Gebet, Fasten, rituelle Reinheit etc. sind also zwar keine Bestandteile, aber immerhin äußere Zeichen des Glaubens, wie auch schlechte Handlungen Zeichen des Unglaubens, nicht aber mit diesem identisch sind. Den menschlichen Handlungen, auch dem Befolgen der sog. Säulen des Islams, kommt somit in der ašʿaritischen Lehre keine konstitutive Rolle in Bezug auf den Glauben zu. Dagegen betonten die Theologen in ḥanafitischer Tradition zwar übereinstimmend mit der ašʿaritischen Lehre auch den „inneren“ Aspekt des Glaubens, das Bekenntnis des Herzens. Die menschlichen Handlungen stehen jedoch in keiner Relation zum Glauben, auch nicht als Folge des Glaubens, oder als äußeres Zeichen, an dem sich die innere Einstellung ablesen lässt. Zurück zu der Auseinandersetzung as-Sālimī’s mit dem unbenannten Ašʿari­ ten. Dessen Anschuldigungen in Bezug auf die religiöse Praxis der Māturīditen kann nämlich auf diesem Hintergrund so interpretiert werden, dass offenkundig despektierliche Handlungen für einen Ašʿariten auf einen Mangel an Glauben schließen lassen. Wenn also ein gelehrter Ašʿarit – wobei ich davon ausgehe, dass das geschilderte Streitgespräch auf einem gewissen akademischen Level stattfand –, wenn dieser also der anderen Partei vorwirft, die äußeren Charakteristika von rituellen Handlungen zu pervertieren, kritisiert er damit eigentlich deren Auffassung vom Glauben, wobei er zugegebenermaßen recht drastische Mittel wählt. Die Ebene der religiösen Praxis stellt damit eigentlich nur die Folie dar, auf die grundsätzliche dogmatische Fragen projiziert werden.

3 Auseinandersetzungen auf dogmatischer Ebene Diese Überlegungen werden durch die Erwiderung as-Sālimī’s unterstützt. Der antwortet nämlich weder mit ähnlichen Anschuldigungen, noch weist er die Vorwürfe seines Gesprächspartners im Einzelnen zurück. Er begibt sich vielmehr auf eine dogmatische Ebene, indem er im Gegenzug die Glaubensinhalte der Ašʿariten kritisiert. Er erwidert – und das ist nun der zweite Teil des Gesprächs, mit dem dieser Beitrag eingeleitet wurde: Ich antwortete ihm und sagte: „Und ihr glaubt, dass Gott nicht Schöpfer und Ernährer und auch nicht anbetungswürdig war, bevor er die Schöpfung erschuf, und dass er jetzt (al‘ān)

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nicht verzeiht (ġāfir), die Reue akzeptiert oder bestraft (muʿāqib). Ihr glaubt auch, dass der Gesandte weder heute Gesandter ist noch vor der Offenbarung Gesandter war,42 und dass der Glauben eines Gläubigen durch eine Widersetzlichkeit abnimmt. Das heißt doch, dass ihr an einen Anbetungswürdigen glaubt, der nicht anbetungswürdig war und es dann wurde, und an einen Gesandten, der erst kein Gesandter war, es dann wurde und dessen Gesandtentum mit seinem Tod wieder endete. Das heißt auch, dass der Gläubige, der in seinem Glauben abnimmt durch Lachen oder ähnliches, sich mit diesem Maß an Anbetung begnügt. Davor bewahre uns Gott.“43

Der Bericht über die Auseinandersetzung der beiden Theologen findet sich jedoch nicht im Tamhīd-Kapitel über den Glauben. Den Kontext stellt die Frage dar, ob Gott ewig als Schöpfer zu bezeichnen sei, bzw. ob ein ewiges göttliches Attribut „Erschaffen“ (takwīn) existiere. Diese Problematik wird allgemein als Ausgangspunkt der Debatte zwischen Ašʿariten und Māturīditen betrachtet.44 Für die Ḥanafīya und Māturīdīya, für as-Sālimī sind dies die Ahl al-ḥaqq, war Gott schon immer Schöpfer, da er alle seine Attribute schon ewig besitzt. Denn eine Veränderung ist bei den göttlichen Attributen nicht denkbar. Das gilt ausdrücklich auch für die Attribute, die ein göttliches Handeln zum Ausdruck bringen. Die Besonderheit des Attributs „Erschaffen“ besteht jedoch darin, dass die Geschöpfe, anders als bei Gottes Hören und Sehen, nicht Objekte, sondern Ergebnisse dieses Handelns sind. Um die Ewigkeit auch dieses Attributs zu beweisen, greifen die māturīditischen Theologen seit Abū l-Muʿīn an-Nasafī zunächst auf den Nachweis der Ewigkeit des Schöpfers als handelndem Subjekt zurück. Dazu berufen sie sich einerseits auf den Koran in dem Gott sich selbst als Schöpfer bezeichnet.45 Und weil sie auch die Rede Gottes als ewig verstehen, muss dies eben für Gottes Schöpfertätigkeit gelten. Andererseits bezieht sich diese Art von Beweisführung eigentlich nur auf die Bezeichnung Gottes als ewigen Schöpfer. Eine Übertragung auf die Ewigkeit des Attributs takwīn kann dagegen nur auf dem Weg einer logischen Schlussfolgerung erfolgen. Denn das Schöpfer-Sein Gottes kann nur durch ein entsprechen-

42 Eine detaillierte Behandlung des Gesandtentums Muḥammads findet sich im Tamhīd, Kap. 8/3. 43  ‫ إنكم تعتقدون بأن الله تعالى ما كان خالقا وال رازقا وال معبودا قبل أن يخلق الخلق واآلن ليس بغافر وال‬:‫فأجبته وقلت‬

‫ فكذلك المعبود‬.‫ والرسول اليوم ليس برسول وقبل الوحي ما كان رسوال والمؤمن بالمعصية ينقص إيمانه‬،‫مثيب وال معاقب‬ ‫ وإن هذا الرسول الذي ما كان رسوال ثم صار رسوال ثم عزل وإن‬،‫الذي اعتقدت بأنه ما كان ربا معبودا ثم صار ربا معبودا‬ .‫ ونعوذ بالله من هذا القول‬،‫ ويكتفي هذا القدر من العبادة‬.‫المؤمن الذي ينقص إيمانه بالضحك ونحوه‬

44 Ulrich Rudolph, Al-Māturīdī, 358. Die folgenden Ausführungen beruhen auf as-Sālimī, Tamhīd Kap. 4/3, 4/8; siehe Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām, 278–280; 552–559. 45 Z.  B. Kor. 59/24: „Er ist Gott, der Schöpfer, Erschaffer und Gestalter“ (Übertragung nach R. Paret).

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des substantivisches Attribut realisiert werden. Anderenfalls hätte die Welt nicht erschaffen werden können. Dies widerspricht nicht nur den durch Sinneseindrücke gewonnenen Erkenntnissen. Schließlich wissen wir durch unmittelbare Anschauung, dass die Welt existiert. Darüber hinaus erforderte ein Erschaffen, das nicht als ewig gedacht wäre, seinerseits einen Schöpfer. Sonst ließe sich nicht erklären, aus welchem Grund die Welt zu ihrer Existentialisierung einen Schöpfer benötigte. Der Schöpferbegriff wäre damit „entleert“. Ašʿarīya und Karrāmīya dagegen behaupteten, wie es as-Sālimī darstellt, als Schöpfer könne nur derjenige bezeichnet werden, der aktuell die Schöpfung erschafft. So bezeichnete al-Ašʿarī zwar das göttliche Schöpfungswort kun („sei“) als ewig und sprach Gott nominell und potentiell das Attribut des Schöpfers zu. In Realität wollte er aber Gott erst durch den zeitlichen Schöpfungsakt als Schöpfer verstehen. Dies bezeichnet as-Sālimī als Unglaube. Denn der Schöpfer (ṣāniʿ) muss als Handelnder (fāʿil) allmächtig und allwissend sein. Deshalb wird Gott, der das zu erschaffene Objekt (ṣanʿ) kennt und die Allmacht besitzt, es zu erschaffen, auch dann als „Schöpfer“ bezeichnet werden, wenn er es aktuell nicht erschafft. Hier schließt sich as-Sālimī der Auffassung al-Māturīdī’s an. Denn der lehrte bereits, das ewige Schöpferwort sei nicht vom Schöpfungsvorgang zu trennen. Und das bedeutet, dass Gott nicht nur die Fähigkeit zum Erschaffen besitzt, sondern auch das ewige Attribut „Erschaffen“. Damit ist Gott ewig mukawwin, auch wenn das mukawwan als Resultat des Schöpfungsvorgangs in der Zeit entstanden ist. Außerdem betrachtet as-Sālimī Gott über Begriffe wie „tun“ oder „unterlassen“ sowieso erhaben, und die Existenz seiner Attribute hängt nicht davon ab, ob er sie – in unserer Wahrnehmung – aktuell ausübt oder nicht. Und wäre Gott nicht Schöpfer in Ewigkeit, wäre er ein Gottesanbeter (ʿābid) gewesen, was wiederum die Existenz eines von ihm Verehrten (maʿbūd) erfordert hätte. Gott wäre also gar nicht Gott gewesen, und das anzunehmen ist Unglaube. Ist damit erwiesen, dass die Existenz der Welt auf ein ewiges Attribut takwīn zurückgeführt werden muss, stellt sich jedoch die Frage nach der Relation dieses Attributs zu seinem Ergebnis, d.  h. zu den erschaffenen Dingen. Auch as-Sālimī behandelt diese Ebene, die die Relation von Erschaffen und Erschaffenem (attakwīn wa-l-mukawwan) betrifft.46 Und auch hier referiert er zunächst die

46 Dieses Begriffspaar ist nach J. van Ess. Theologie und Gesellschaft III, 187 ein Charakteristikum der ḥanafitischen Theologie. Die Idee einer Unterscheidung von „Erschaffen“ und „Erschaffenem“ geht jedoch vielleicht bereits auf den Muʿtaziliten Abū al-Hudail (al-ʿAllāf) zurück, der unter Berufung auf Kor. 36/82; 16/40 zwischen ḫalq und maḫlūq unterscheiden wollte. Dazu D. Gimaret. Les noms divins, 310–311, zum Gottesnamen al-mukawwin. As-Sālimī und die übrigen Māturīditen vertraten in diesem Punkt, wie bereits al-Māturīdī, die Haltung, die unter den

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Lehre von Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī und der Karrāmīya, die meinten, Erschaffen und Erschaffenes seien identisch. Als Begründung dafür wird angegeben, dass das Erschaffen des Erschaffers (mukawwin) in dem Moment beendet ist, in dem das Erschaffene (mukawwan) existiert. Der Akt des Erschaffens sei also nur im erschaffenen Objekt greifbar. Gegen diese Argumentation stellt as-Sālimī die Lehre der Ahl as-sunna wa-lğamāʿa, also seiner eigenen Denkrichtung. Demnach müsste Gottes Handeln, also auch seine Schöpfertätigkeit, sollte sie nicht ewig sein, als geschaffen bezeichnet werden. Und das ist natürlich wieder Unglaube. Denn ein Handeln, das nur in den geschaffenen Dingen greifbar wäre, müsste seinerseits entweder in der Zeit geschaffen oder ewig sein. Im ersten Fall wäre Gott Substrat für zeitlich geschaffene Dinge und somit veränderlich. Die zweite Option ist ebenfalls unhaltbar. Wenn nämlich ein Handeln, das nicht außerhalb der geschaffenen Dinge existiert, ewig wäre, bedeutete dies das Einwohnen (ḥulūl) des Ewigen im zeitlich Geschaffenen, das heißt Urewigkeit und Dauerhaftigkeit der Zeit (dahr), weil diese Substrat des Ewigen wäre. Das Substrat des Ewigen wäre folglich ebenfalls ewig. Auch das ist Unglaube. Die Problematik der Ewigkeit der geschaffenen Dinge als Folge der Ewigkeit des Erschaffens gehörte offenbar zu den beliebtesten Einwänden gegen ein ewiges Attribut takwīn. Auch al-Ašʿarī verstand das Erschaffene aus diesem Grund als nicht außerhalb des Erschaffenen existent. Für al-Māturīdī, der hier auf kein Vorbild unter den frühen ḥanafitischen Theologen zurückgreifen konnte, war eine solche Konsequenz jedoch nicht zwingend. Denn wenn Gott die Welt in Freiheit erschaffen hat, geschah dies durch sein Handeln, nicht durch eine Eigenschaft seines Wesens. Denn „Gott hat geschaffen, damit die Dinge so entstehen, wie sie sind. Schließlich sind auch sein Wissen und sein Wille ewig, obwohl die Objekte zeitlich sind. Das Nichtsein der Welt am Anfang bedeutet also nicht Gottes Unfähigkeit zur Schöpfung. As-Sālimī führt hier als Vertreter der gegnerischen Lehre nicht nur die Ašʿarīya an. Er nennt auch die Karrāmīya. Und auch bei seiner Auseinandersetzung mit Lehren dieser theologischen Richtung greift er offensichtlich nicht, oder nicht nur, auf schriftliche Zeugnisse zurück. Im Kontext der übergeordneten Frage, ob alle göttlichen Attribute, egal ob sie sich auf das göttliche Wesen oder dessen Handlungen beziehen, als ewig zu denken sind, berichtet as-Sālimī nämlich wieder von einem Streitgespräch, diesmal mit einem Vertreter der Karrāmīya. Hier lautet der Text:

Muʿtaziliten vorherrschend war; zur abweichenden Lehre des Ibrāhīm an-Naẓẓām vgl. J. van Ess, Theologie und Gesellschaft VI, 153.

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Ich disputierte einmal mit einem Ḥašwiten47 von der Karrāmīya in Būzjān. Dabei fragte ich ihn: „Was sagt ihr über den Schöpfer und seine Handlungsattribute?“ Er antwortete: „Sie sind zeitlich und geschaffen (ḥādit wa-muḥdat).“ Er meinte also, dem Schöpfer fehlte das jeweilige Attribut vor dessen Existentialisierung. Das ist doch unmöglich. Also fragte ich weiter: „Was sagt ihr denn über den Propheten vor der Eingebung?“ Er erwiderte: „Da war er noch kein Prophet und nicht gegen die Sünden gefeit, die das Übertreten der Redlichkeit mit sich bringen kann.“ Somit wäre er ein Frevler (fāsiq), und wenn Gott ihm in dieser Zeit etwas eingeben würde, wäre das Eingebung (waḥy) an einen Frevler. Dann wäre also der Gesandte ein Frevler! Ich hatte noch eine Frage: „Was sagt ihr über jemanden, der zwar sagt: ‚Es gibt keine Gottheit außer Gott‘, aber etwas anderes glaubt?“ Darauf meinte er: „Der ist als gläubig zu bezeichnen.“ Da sagte ich zu ihm: „Was ist denn eure Religion, wenn ihr sagt, der Herr (ar-rabb) sei mangelhaft, der Gesandte ein Frevler, der Gläubige ein Heuchler? Gott und der Gesandte sind erhaben über das, was ihr sagt.“ Da war er verwirrt und ließ von seiner Rede ab.“48

Der von as-Sālimī genannte Ort dieser Begegnung, Būzjān, befindet sich in Nordwest-Iran, in der heutigen Provinz Torbat-e Jam. Die Entfernung von Samarqand beträgt ungefähr 743 km. As-Sālimī scheint – ein weiteres Detail seiner Biographie  – also ausgedehnte Reisen unternommen zu haben. Auf dem Weg nach Būzjān hat er offenbar auch in Merw, rund 500 km von Samarqand entfernt, einen Halt eingelegt; er berichtet nämlich über eine Diskussion mit einem Maǧūsī in dieser Stadt.49 Die einzelnen Themen, die in diesem Gespräch behandelt werden, ähneln sehr auffällig denen, um die das Gespräch mit dem Ašʿariten kreiste. Es werden die beiden Teile des sogenannten islamischen Glaubensbekenntnisses angesprochen – das Gottesbild und die Gesandtenfunktion Muḥammads –, aber auch der Glaube als solcher thematisiert. Dies sind in der Tat wichtige Fragen, in denen die Māturīdīya Positionen vertrat, die denen der Ašʿariten, aber eben auch anderer Richtungen, widersprachen. Und es lässt sich ein weiteres Mal erkennen, dass diese Auseinandersetzungen nicht nur theoretisch, sozusagen „im stillen Kämmerlein“ geführt wurden, indem Schriften der theologischen Gegner in eigenen

47 Wie U. Rudolph. Al-Māturīdī, 170 gezeigt hat, dürften mit diesem Begriff traditionalistische Kreise gemeint sein. 48  ‫ إنها حادثة‬:‫ ماذا تقولون في الصانع وصفاته من صفات الفعل؟ قال‬:‫– فقلت له‬ ‫– ببوزجان‬ ‫ناظرت َحشَويًّا من الكرامية‬

‫– عليهم‬ ‫ وماذا تقولون في األنبياء‬:‫ قلت‬.‫ إن الصانع قبل حدوث هذه الصفة يكون ناقص الصفة؟ وهذا محال‬:‫ فقلت‬.‫محدثة‬ ‫ فلو أن‬.‫– قبل الوحي؟ قال بأن النبي قبل الوحي ما كان نبيا وما كان معصوما عما يوجب سقوط العدالة فيصيب فاسقا‬ ‫السالم‬ ‫ وماذا تقولون فيمن‬/‫ب‬٤١/ :‫ قلت‬.‫الله تعالى أوحى إليه في تلك الساعة يكون وحيا إلى شخص فاسق فيكون الرسول فاسقا‬ ‫– دينكم إن تقولون بأن الرب ناقص والرسول فاسق‬ ‫– نفي‬ ‫ فما‬:‫ قلت‬.‫قال „ال إله إال الله“ واعتقد غير ذلك؟ قال بأنه مؤمن‬ .)Kap. 4/4( .‫ فتحير وانقطع عن كلمه‬.‫والمؤمن منافق؟ والله ورسوله متنزه عما قلتم‬ 49 Tamhīd, Kap. 4/4.

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Abhandlungen diskutiert und widerlegt wurden, sondern in nicht geringem Maße in der lebendigen Diskussion mit diesen Gegnern.

4 Auseinandersetzungen auf politischer Ebene Meinungsverschiedenheiten zwischen Sunniten māturīditischer Prägung und Anhängern anderer Glaubensrichtungen bezogen sich jedoch nicht nur auf religiöse oder dogmatische Einzelheiten. Das letzte Beispiel einer persönlichen Auseinandersetzung as-Sālimī’s, das ich hier vorstellen möchte, weist vielmehr auch eine politische Dimension auf. Er berichtet folgendermaßen: Ich wurde einmal von einigen Schiiten50 auf die Probe gestellt. Einer von ihnen fragte mich, wer denn der Vorzüglichste nach dem Gesandten Gottes sei. Ich hatte große Angst, Schläge zu bekommen. Deshalb erwiderte ich: ‚Der vorzüglichste der Prophetengefährten war Abū Bakr, und der vorzüglichste der Ahl al-bait (aus der Familie des Propheten) war ʿAlī.‘ Da freuten sie sich, denn sie gehen ja davon aus, dass ʿAlī kein Prophetengefährte war, wohingegen ich meine, dass er zu diesen gehörte und Abū Bakr vorzüglicher war als er. Denn die Kalifen sind den Ahl al-bait überlegen.51

Hier liegt wohl ein schönes Beispiel für das Phänomen vor, das Thomas Bauer unter Berufung auf Donald Levine als „protektive Funktion“ sprachlicher Mehrdeutigkeit beschreibt, „wonach nichteindeutige Ausdrucksweisen dem Selbstschutz dienen können.“52 Denn al-Sālimī verleugnet ja keinesfalls seine persönliche, sunnitische Überzeugung, dass den Ahl al-bait eben kein Vorrang gegenüber den „gewöhnlichen“ Prophetengefährten gebührt. Aber er formuliert seine Antwort eben so, dass sie ein Schiit auf seinem eigenen gedanklichen Hintergrund auch in seinem eigenen Sinn interpretieren kann. Problematisch wäre die Situation für as-Sālimī allerdings geworden, wenn er weiter nach seiner Einschätzung der Rangfolge von Ahl al-bait und den Ṣaḥāba befragt worden wäre.

50 As-Sālimī benutzt normalerweise den Begriff Rawāfiḍ, ohne dass hier und an anderen Textstellen eine Differenzierung der gemeinten Personengruppen erkennbar wäre. ُ :‫ قال المهتدي أبو شكور السالمي‬ 51  ‫ وكنت‬.‫ فسألني واحد عن أفصل الناس بعد رسول الله‬،‫كنت ابتليت بين قوم من الشيعة‬

‫ ففرحوا ألن من زعمهم أن‬.‫ أفضل الناس من الصحابة أبو بكر ومن أهل البيت علي‬:‫بالضرب فقلت‬/‫ارتعد منهم بالضرر‬ ‫ ومن زعمي أن عليا كان من الصحابة وكان من‬،‫عليا ما كان من الصحابة وإنما كان من أهل البيت وهم أفضل من الصحابة‬ )Kap. 11/6( .‫أهل البيت وأبو بكر أفضل منه والخلفاء أفضل من أهل البيت‬ 52 T. Bauer. Die Kultur der Ambiguität, 41.

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Denn dann hätte er das zugeben müssen, was er in seinem Tamhīd zu diesem Thema schreibt:53 Die Sunniten54 sagen nach seiner Darstellung nämlich, dass das Imamat nach dem Tod des Propheten für niemanden konkret bestimmt war, auch wenn es einige Leute dem ʿAbbās zusprechen wollten, da er der Onkel väterlicherseits des Propheten und damit des Amtes würdiger war als andere. Dadurch unterscheiden sich die Sunniten von den Rawāfiḍ, die behaupten: Das Imamat war für ʿAlī b. Abī Ṭālib bestimmt, und zwar vom Propheten persönlich. Die Sunniten begründen, wie as-Sālimī fortfährt, ihre Ansicht damit, dass die Prophetengefährten am Todestag des Propheten darin übereinstimmten, dass die Muhāǧirūn und die Anṣār den Propheten gleichermaßen unterstützt hatten. Deshalb beanspruchten beide Gruppen zunächst die Führung (der Gemeinde). Wenn das Imamat für eine bestimmte Person bestimmt gewesen wäre, hätte diese Auseinandersetzung jedoch nicht stattgefunden. Darüber hinaus wird berichtet, dass ʿAlī den Abū Bakr schließlich anerkannte und ihm gehorchte. Deshalb widersprechen alle Aussagen der Gegner dieser Anerkennung. Und selbst wenn der Prophet ʿAlī ein Amt in Aussicht gestellt hätte, wäre damit gemeint: zu seiner Zeit, also nach dem Kalifat55 des ʿUtmān. Insofern bestand für ʿAlī, entgegen der Behauptung der Gegner, kein Anspruch auf die Führung der Gemeinde unmittelbar nach dem Tod des Propheten. Auch hinsichtlich der Rangfolge unter den Zeitgenossen und Nachfolgern der Propheten vertraten die Sunniten eine andere Lehre als die Schiiten. So meint auch as-Sālimī: Die vorzüglichsten Menschen nach den Propheten und Gesandten sowie den Engeln waren Abū Bakr, dann ʿUmar, danach ʿUtmān und schließlich ʿAlī. Zur Begründung dieser Ansicht beruft sich as-Sālimī auf Abū Ḥanīfa, nach dem die Sunna darin bestehen soll, dass man die Autoritäten respektiert. Er soll auch gesagt haben: Ihr müsst Abū Bakr und ʿUmar respektieren, und ʿUtmān und ʿAlī lieben. Die grundsätzliche Anerkennung auch ʿAlī’s als Kalifen ist also auch von sunnitischer Seite aus gegeben. Die Rangfolge der Prophetengefährten entspricht nach Ansicht der Māturīditen zunächst der zeitlichen Aufeinanderfolge der Kalifen. Nach ihnen sind die Ahl al-bait, also die Mitglieder der Familie des Propheten, anzusetzen, danach

53 Dazu as-Sālimī, Tamhīd, Kap. 11/1–6. 54 Hier benutzt as-Sālimī die Bezeichnung Ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa also nicht zur Abgrenzung von der Muʿtazila. Eine genaue Untersuchung der Entstehung dieses Begriffs zur Selbstbezeichnung der östlichen Ḥanafīya als Distanzierung von Gegnern jeder Couleur steht im Übrigen noch aus. 55 As-Sālimī benutzt die Begriffe imāma und ḫilāfa eindeutig gleichbedeutend.

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diejenigen, denen das Paradies versprochen wurde. Es folgen die Teilnehmer an den Kämpfen von al-Badr und Ḥudaibīya. Ferner sind die Prophetengefährten vorzüglicher als die (normalen) Gemeindemitglieder, dann die Nachfolger der Prophetengefährten, schließlich deren Nachfolger. Die Frauen aus der Familie des Propheten sind as-Sālimī noch einer besonderen Erwähnung wert. ʿĀ’iša stellt er als vorzüglicher als alle Frauen der Welt dar, von Anfang bis Ende der Zeiten, wie auch Abū Bakr dem ʿĀlī überlegen war. Dagegen sagen die Schiiten und die Rawāfiḍ:56 Fāṭima, die Prophetentochter, war ʿĀ’iša überlegen. Diese Einschätzung ergibt sich aus ihrer Auffassung, die Mitglieder der Prophetenfamilie, nämlich ʿAlī, seine Frau Fāṭima sowie die gemeinsamen Söhne al-Ḥasan und al-Ḥusain seinen vorzüglicher als die Prophetengefährten gewesen, zu denen ʿAlī nicht zählte. Sowieso sei ʿAlī der vorzüglichste Mensch nach dem Gesandten Gottes gewesen. Hier kann as-Sālimī mit der Überlieferung argumentieren: Durch eine Prophetentradition ist bewiesen, dass auch ʿAlī zu den Prophetengefährten gehörte. Auf diesem Hintergrund ist die Herausforderung as-Sālimī’s durch eine Gruppe von Schiiten zu verstehen. Aber aus seinem Bericht lässt sich wohl noch etwas anderes herauslesen als as-Sālimī’s offenkundige Fähigkeit, diplomatische Antworten zu geben. Denn er schreibt, dass er Angst hatte, von der Gruppe Schiiten verprügelt zu werden, sollte er nicht in ihrem Sinne antworten. Woher aber kommt diese Angst? Doch wohl am ehesten aus Erfahrung. Hier muss wieder die historische Situation berücksichtigt werden, in der sich Samarqand in der zweiten Hälfte des 5./11. Jh. befand. Die Herrschaft der schiitischen Buyiden war zwar seit 1062 offiziell beendet, und Transoxanien befand sich unter der Herrschaft der sunnitischen turkstämmigen Karachaniden. Wie aus dieser Textpassage ersichtlich ist, waren deshalb aber noch lange nicht alle Einwohner Samarqands auch automatisch Sunniten. Darüber hinaus scheinen die schiitischen Gruppierungen noch über eine gewisse Macht verfügt zu haben, einschließlich jener, Angehörige anderer Glaubensrichtungen zu befragen und zu bestrafen. Jedenfalls zeigt as-Sālimī’s Angst, dass dies nicht unüblich war. Die Handschriften des Textes sind im Übrigen auch hier nicht einheitlich. An Stelle von „Schlagen“ (ḍarb) findet sich in einigen „Nachteil“ oder „Schaden“ (ḍarar). Dies ist aber für die grundsätzliche Information, die hier übermittelt wird, nicht so erheblich, wie es zunächst erscheinen mag. Denn wenn die Schiiten in der Lage waren, jemandem einen Schaden zuzufügen, wie auch immer dieser im konkreten Einzelfall ausgesehen haben mag, weist das auch darauf hin, dass sie eine gewissen Machtposition innehatten, sei sie legitim oder nicht.

56 Auch hier ist keine Unterscheidung der Gruppen erkennbar.

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Eine andere Möglichkeit wäre, die Entstehung des Textes so weit zurück zu datieren, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls der politische Machtwechsel noch nicht stattgefunden hat. Aber hierfür liegen, soweit ich sehe, keine weiteren Anhaltspunkte vor, so dass entsprechende Aussagen reine Spekulation wären. Immerhin lässt sich aber aus dieser kurzen Erzählung schließen, dass sunnitische Identitätssuche eben nicht nur auf innersunnitischer Ebene stattfand, sondern auch im umfassenderen Rahmen, nämlich in Abgrenzung zu Nicht-Sunniten.57

Fazit Mit dem vorliegenden Beitrag sollte die Zielsetzung verfolgt werden, den Beginn der Auseinandersetzung māturīditischer Theologen mit der konkurrierenden sunnitischen Richtung der Ašʿarīya anhand konkreter Themenbeispiele nachzuzeichnen. Dazu wurde die früheste māturīditische Schrift vorgestellt, in der al-Ašʿarī und seine Nachfolger namentlich angeführt werden.58 Es stellte sich heraus, dass bereits die erkenntnistheoretischen Grundlagen beider sunnitischen Schulrichtungen erheblich voneinander abweichen. Zwar teilen Māturīdīya und Ašʿarīya die Anerkennung der prophetischen Tradition als Erkenntnisgrundlage neben dem Koran, also als Schriftbeweis. Und beide Richtungen verteidigen ihre Glaubenslehre durch rationale Argumentation.59 Das Verhältnis der Überlieferung zur rationalen Spekulation wird jedoch völlig anders bewertet. So unterscheidet al-Ašʿarī zwar durchaus notwendiges Wissen, das unmittelbar, ohne Tätigkeit des Verstandes eintritt, von Erkenntnissen, die durch rationale Spekulation zu erlangen sind. Aber auch diese Wissensinhalte beruhen auf der göttlichen Offenbarung. Insofern besteht für den Menschen sehr wohl eine Verpflichtung, sich seines Verstandes zu bedienen, um die Zeichen und Hinweise in der Schöpfung zu erfassen. Diese Verpflichtung existiert jedoch erst, nachdem die Menschen die Offenbarung empfangen haben. Demgegenüber steht

57 In Kap. 10/7 des Tamhīd schreibt as-Sālimī sogar über die „Sunniten unter den Anhängern Abū Ḥanīfa’s“. Er scheint sich also der Tatsache bewusst gewesen zu sein, dass die meisten dieser Anhänger im Westen Muʿtaziliten waren. 58 Die Lehren der Ašʿariten und Muʿtaziliten konnten hier nur stark verkürzt dargestellt werden, um die Lektüre des Beitrags unabhängig von den entsprechenden Ausführungen zur Rationalität in der ašʿaritischen bzw. muʿtazilitischen Tradition zu ermöglichen. Für weitere Einzelheiten der ašʿaritischen und muʿtazilitischen Lehren sei auf die entsprechenden Beiträge in diesem Band verwiesen. 59 Quellen hierzu bei U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 72.

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für al-Māturīdī und seine Nachfolger der Verstand von Anfang an als gleichwertiges Erkenntnismittel neben der Offenbarung, freilich mit der Konsequenz der Verantwortlichkeit des Menschen für sein Denken und Handeln unabhängig vom Empfang der Offenbarung. Ein weiterer grundlegender Unterschied, der sich bereits aus der hier untersuchten Schrift herauslesen lässt, betrifft das Verständnis vom Glauben. Übereinstimmung zwischen beiden theologischen Schulen besteht darin, dass  – in Abgrenzung zu muʿtazilitischen, karrāmitischen und ḫāriǧitischen Lehren – der Fokus eher auf den inneren Aspekt des Glaubens gerichtet ist. Trotzdem sind auch hier Unterschiede festzustellen. As-Sālimī kritisiert nämlich auch die ašʿaritische Auffassung, nach der die menschlichen Handlungen als notwendige Folgen aus dem rechten Glauben resultieren, der Glaube konsequenterweise zunehmen kann. Dies ist nach māturīditischer Auffassung falsch. Die überragende Autorität stellt hier Abū Ḥanīfa dar, nach dem der Glaube als „Anerkennung durch die Zunge und Zustimmung des Herzen“ definiert ist. Jemand, der große Sünden begeht, bleibt folglich gläubig. Die Handlungen des Menschen werden dagegen im Kontext der göttlichen Prädestination aller weltlichen Abläufe interessant. Auch im Bereich der Attributenlehre setzt sich as-Sālimī mit der ašʿaritischen Konkurrenz auseinander. Er wählt das Beispiel des göttlichen Attributs „Erschaffen“, um zu zeigen, dass nach māturīditischer Lehre sämtliche Attribute Gottes, auch wenn sie sich auf eine Handlung beziehen, als ewig gedacht werden müssen. Takwīn ist somit ein ewiges göttliches Attribut, auch wenn dessen Ergebnisse, nämlich die geschaffenen Dinge, erst in der Zeit entstehen. Dem stellt as-Sālimī die Lehre al-Ašʿarī’s gegenüber, für den zwar das göttliche Schöpfungswort „kun“ ewig ist; schließlich ist es Bestandteil der ewigen Rede Gottes. In Wirklichkeit wird Gott aber erst durch den tatsächlichen Schöpfungsvorgang zum Schöpfer, da sein Erschaffen nicht außerhalb der erschaffenen Objekte existieren kann. Interessant ist in diesem Punkt die Übereinstimmung der māturīditischen mit der muʿtazilitischen Lehrmeinung. Schließlich wurde gezeigt, dass Auseinandersetzungen zwischen Māturīditen und anderen Denkern auch auf politischer Ebene stattfanden, wenn Details der Vorstellungen vom Imamat mit Schiiten diskutiert wurden. Die Ahl as-sunna wa-lǧamāʿa hoben sich in diesem Fall also nicht von den Muʿtaziliten ab, sondern verstanden sich als Gegenpol zu schiitischen Gruppierungen. Als „Aufhänger“ dieser Diskussionen wurden Textstellen aus dem Tamhīd fī bayān at-Tauḥīd gewählt, in denen as-Sālimī von persönlichen Begegnungen mit Andersdenkenden berichtet. Wie aus diesen Beispielen deutlich wurde, kann man für das Transoxanien des ausgehendes 5. bzw.11. Jahrhunderts von einem recht breitgefächerten sozialen und theologischen Milieu ausgehen. Vertreter verschiedener sunnitischer Richtungen nahmen einander wahr und traten in Diskurse

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ein, die durchaus auch interpretationsbedürftig sein konnten, wie das zuerst genannte Beispiel zeigte. Hier erwies sich eine auf den ersten Blick unsachliche Anschuldigung ja nur als Oberfläche, unter der dogmatische Fragen verborgen sein könnten. Die Charakteristika māturīditischer Lehren haben sich also auch in mündlichen Diskussionen mit theologischen Gegnern herausgebildet. Anhänger der Muʿtazila, der vor der Ausbreitung dieser Lehren nach Westen immerhin ein Großteil der westlichen Ḥanafīya angehörte, scheinen dabei weniger im Blickpunkt zu stehen als die Ašʿariten, die offenbar von Anfang an als „Konkurrenten“ um die Definition der „wahren“ Glaubenslehre empfunden wurden.60 Entgegen der allgemeinen Tendenz in osmanischer Zeit, zwischen den Lehren beider sunnitischer Schulrichtungen eine weitgehende Harmonie herzustellen,61 waren die frühen Māturīditen ganz offensichtlich bestrebt, die Eigenheiten ihrer Lehre gegenüber der gegnerischen Doktrin zu unterstreichen. Insofern stellt as-Sālimī’s Tamhīd fī bayān at-tauḥīd ein wichtiges Textzeugnis dar, ohne dessen umfassende Analyse die eingehende Erforschung der Konsolidierung māturīditischer Theologie innerhalb ihres geistesgeschichtlichen Umfelds kaum möglich sein dürfte.

Literatur Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī. Al-Ibāna ʿan uṣūl ad-diyāna, hg. v. B. ʿUyūn, Damaskus, 1981. Abū l-Ḥasan al-Ašʿar. Al-Lumaʿ fī r-radd ʿalā Ahl al-Zayġ wa-l-Bida’, hg. v. R. J. McCarthy, Beirut, 1953. Abū Manṣūr al-Māturīdī. Kitāb at-Tauḥīd, hg. v. B. Topaoğlu/. M. Aruci, Ankara, 2003.

60 Als weiterer Hinweis auf Details der historischen und geistesgeschichtlichen Situation im Samarqand des ausgehenden 5./11. Jahrhunderts dürfte die Beobachtung zu werten sein, dass die Informationen, die as-Sālimī zu verschiedenen Gruppierungen liefert, in ihrer Genauigkeit stark voneinander abweichen. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass er die Muʿtazila durchweg als homogene Personengruppe vorstellt, während andere Māturīditen einzelne Vertreter beim Namen nennen und deren Lehren in differenzierter Weise wiedergeben. As-Sālimī nennt dagegen eigentlich nur Abū Ḥanīfa und aš-Šāfiʿī, deren Lehren er häufig kontrastiert, und einzelne ḥanafitische Überlieferer. Auch seine Kenntnisse über nicht-muslimische Gruppen variieren stark. Informiert er beispielsweise sehr detailliert über verschiedene Strömungen der Māǧūs und Anhänger der Lehre von der Seelenwanderung, kennt er von den Christen offensichtlich nur Legenden zur Entstehung ihrer Glaubensrichtung, streut aber Einzelheiten ihrer Lehre nur sporadisch in den Textverlauf ein. 61 Siehe hierzu die Texte in E. Badeen. Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit. Würzburg 2008.

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Abū Šakūr as-Sālimī. At-Tamhīd fī bayān at-tauḥīd. In: Angelika Brodersen: Zwischen Māturīdīya und Ašʿarīya. Abū Šakūr aṣ-Ṣālimī und sein Tamhīd fī bayān at-Tauḥīd, Piscataway, NJ: Gorgias Press, im Druck. Aḥmad b. Muḥammad b. Ḫallikān. Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān, hg. v. I. ʿAbbās, Beirut, o.  J. Badeen, E. Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit. Würzburg: Ergon Verlag, 2008. Bauer, T. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Frankfurt: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2011. Brodersen, A. Das Kapitel über die ‚schönen Namen Gottes‘ im Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tauḥīd des Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār al-Buḫārī (gest. 534/1139). In ZDMG 164 (2014), 375–406. Brodersen, A. Der unbekannte kalam: Theologische Positionen der frühen Maturidiya am Beispiel der Attributenlehre. Berlin: LIT Verlag, 2014. Brodersen, A. Gottes umfassender Wille. Erklärungsmuster islamischer Theologen zur Existenz des Bösen. In Kongress „Horizonte der Islamischen Theologie“ 01. – 05. 09. 2014. Goethe-Universität Frankfurt am Main (im Druck). Cerić, M. Root of Synthetic Theology in Islām. A study of the theology of Abū Manṣūr al-Māturīdī (d. 333/944). Kuala Lumpur: International Institute of Islamic Thoughts and Civilization, 1995. Ess, J. van. Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Bd. 1–6. Berlin/New York: De Gruyter, 1991–1997. Gimaret, D. Cet autre théologien sunnite: Abū l-ʿAbbās al-Qalānisī. In JA 277 (1989) 227–262. Gimaret, D. Les noms divins en Islam. Exégèse lexicographique et théologique, Paris 1990. Gimaret, D. Théories de l’acte humain en théologie musulmane, Paris 1982. Madelung, W. Māturīdiyya. In Encyclopaedia of Islam, Second Edition. Brill Online. Madelung, W. Abu l-Muʿīn al-Nasafī and Ashʿarī Theology. In Studies in Honour of Clifford Edmund Bosworth, Bd. 2, hg. v. C. Hillenbrand, 318–330. Leiden: Brill, 1999. Mobasher, A. System of Higher Education under the Delhi Sultans. In Pakistan Journal of Social Sciences (PJSS), Bd. 34/1 (2014): 121–129. Muḥammad ibn al-Ḥasan b. Fūrak. Mujarrad maqālāt al-Shayk ̲h̲ Abī l-Ḥasan al-Ashʻarī, hg. v. D. Gimaret, Beirut, 1987. Nagel, T. Die Festung des Glaubens. Triumph und Scheitern des islamischen Rationalismus im 11. Jahrhundert. München: C. H. Beck, 1988. Rudolph, U. Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al- Ašcarī’s und al-Māturīdī’s. In ZDMG 142 (1992), 72–89. Rudolph, U. Al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand. Leiden/New York/Köln: Brill, 1996. Rudolph, U. Abū Shakūr al-Sālimī. In Encyclopaedia of Islam, Third Edition. Brill Online. Saʿd ad-Dīn at-Taftazānī. Šarḥ al-ʿaqā’id an-nasafīya, hg. v. C. Salamé, Damaskus, 1974. Wensinck, A. J. (Hg.). The Muslim Creed. Its Genesis and Historical Development. Cambridge: Cambridge University Press, 1932.

Thomas Würtz

Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī1 (gest. 1390) ist einer von wenigen Gelehrten, der nicht klar einer theologischen Schulrichtung  – zumindest, was die gesamte Spanne seines Lebens angeht  – zuzuordnen ist. Sein Frühwerk auf dem Gebiet des kalāms ist der „Kommentar zu den Glaubensbekenntnissen des Nasafī“ (Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya), ein durchweg māturīditischer Text, während sein späteres Hauptwerk, Šarḥ al-Maqāṣid2, eine theologische Summe klar ašʿaritischer Prägung darstellt. Ganz in der ašʿaritischen Tradition steht ebenso die kleine, summarische Schrift seiner Lehre, der Tahḏīb al-kalām, auf Deutsch die Verfeinerung des kalāms, in welchem er auf die Breite der Diskussionen verzichtet und eher die zentralen Argumente zur Bestätigung des jeweiligen Glaubensartikels auflistet. Am Endpunkt seiner intellektuellen Biographie ist Taftāzānī also ein wahrhaft ašʿaritischer Denker.3 Insofern es im Folgenden aber um seine Lehre als Māturīdīt bzw. seinen Umgang mit den Vorbildern dieser Lehre gehen soll, wird sich dieser Beitrag weitgehend auf den Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya beschränken und sichtbar werden lassen, dass māturīditisches Gedankengut auch im 14. Jahrhundert in den östlichen Gebieten der islamischen Welt weitergedacht wurde. Die Rezeption von Taftāzānīs Frühwerk reicht sogar weit über den Horizont des 14.  Jahrhunderts und den zentralasiatischen Raum hinaus. Aus dem Gesagten ist schon deutlich geworden, dass Taftāzānīs Werk komplexer Natur ist und Entwicklungen unterworfen ist. Daher lohnt ein Blick auf seine Biographie, bevor auf die für ihn relevanten Werke der māturīditischen Tradition und seinen Kommentar einzugehen ist. Als Beispiele für seine Lehre werden sodann Aspekte der Naturphilosophie, der göttlichen Attributenlehre und der Handlungstheorie vorgestellt.

1 Im Folgenden wird der Name einfach mit Taftāzānī wiedergegeben. Ähnlich wird bei anderen arabischen Namen verfahren: Auf die erste Nennung mit Titel (laqab) und Herkunftsnamen (nisba) folgt die einfache Nennung der nisba ohne Artikel. 2 Ibn al-ʿImād. Šaḏrāt aḏ-ḏahab VI, 320; Ṭāšköprü-Zāda. Miftāḥ as-saʿāda I, 207; Brockelmann. GAL II, 280; van Ess. Schulweisheit, 36. 3 Siehe hierzu mit weiteren Beispielen: Würtz. Islamische Theologie im 14.  Jahrhundert. Auferstehungslehre, Handlungstheorie und Schöpfungsvorstellungen im Werk von Saʿd ad-Dīn at  – Taftāzānī. Berlin, 2016, 279–280. https://doi.org/10.1515/9783110588576-018

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 Thomas Würtz

1 Biographie Taftāzānī ist wie viele Gelehrte der islamischen Geschichte unter seinem „Herkunftsnamen“, der nisba, bekannt geworden. Dieser Name bezieht sich bei ihm auf den Ort Taftāzān in der Region Chorasan, eine mittelgroße Stadt (šahr-e wasaṭ), die bis heute besiedelt ist. Als Geburtsjahr Taftāzānīs wird das Jahr 1312 oder anderen Quellen zufolge 1322 angegeben. Insgesamt scheint aber das Geburtsjahr 1322 (722 n.H.) wahrscheinlicher.4 Über Taftāzānīs Aufenthaltsorte während seiner Lehrjahre ist kaum etwas bekannt, doch spielten in seiner Madrasa-Ausbildung sicher die Fächer Grammatik, Rhetorik, Koranexegese und Recht eine Rolle, wozu sich Logik und kalām, also spekulative Theologie gesellten. Letzteres Gebiet wird im Folgenden im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, geht es doch um die Frage seiner Zugehörigkeit zu einer theologischen Lehrtradition. Taftāzānīs Lebensweg führte ihn nach Ǧurǧānīya in Chorasan und nach Herat an den Hof des Regionalherrschers Muʿizz ad-Dīn Kart (gest. 1370). Um 1351 hielt er sich zunächst in Ǧām und daraufhin bei Ǧānī Beg in der Nähe der Stadt Buchara auf. Hier verfasste er vor 1355 ein kürzeres rhetorisches Werk, den Muḫtaṣar, und trat dann 1367 mit seinem ersten theologischen Werk, dem Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya,5 hervor, welches im Folgenden im Mittelpunkt des Interesses stehen wird. In seiner letzten Lebensdekade wurde Taftāzānī 1382 vom Eroberer Timur Lenk nach Samarkand befohlen. Anfang Jahres 1383 schloss er hier sein theologisches Hauptwerk, den Kommentar zu den Maqāṣid6 ab. Nach der Eroberung von Schiras zwang Timur dann auch den Gelehrten ʿAlī b. Muḥammad al-Ǧurǧānī (gest. 1413) an seinen Hof in Samarkand zu kommen. Für Timurs Versuch den eigenen Hof mit Gelehrten und Experten der verschiedensten Wissensgebiete zu schmücken, könnte Dschingis Khan Vorbild gewesen sein. Die Versammlung von drei führenden Religionsgelehrten der Zeit in Samarkand unter Timur führte zu dem bekanntesten Ereignis aus Taftāzānīs Biographie. Denn Taftāzānī sollte sich als einer der führenden Gelehrten in Samarkand einige Jahre später mit dem etwas jüngeren Ǧurǧānī öffentlich auseinandersetzen müssen.7 Nach einem Bericht von Šawkānī gab es z.  B. eine Debatte darüber, ob der

4 Eine ausführlichere Biographie und eine Diskussion zahlreicher Hinweise auf seine Lebensdaten findet sich in: Würtz, Islamische Theologie, 21–22. 5 Ḫwāfī, Muǧmal-i faṣīhī III, 124; Šawkānī, al-Badr aṭ-ṭāliʿ, 303; Ṭāshköprü-Zāda, Miftāḥ assaʿāda I, 207. 6 Ibn al-ʿImād, Šaḏrāt aḏ-ḏahab VI, 320; Ṭāšköprü-Zāda, Miftāḥ as-saʿāda I, 207; van Ess, Schulweisheit, 36. 7 Siehe: Würtz, Islamische Theologie, 28–29 und neuerdings auch: Spannaus, Nathan. Theology in Central Asia. In The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford, 2016, 587–605, 591–592.

Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 

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Wunsch, Rache (irādat al-intiqām) zu üben, Grund des Zorns (ġaḍab) sei, oder der Zorn Grund für den Wunsch nach Rache. Taftāzānī habe die erste These vertreten, nach der ein Rachewunsch am Anfang stehe, während Ǧurǧānī zur Priorität des Zorns tendiert habe, der dann in den Rachewunsch münde. Mit dieser Meinung habe Ǧurǧānī Recht behalten.8 Timur hat allerdings einmal eine definitive Entscheidung einer solchen Disputation gefordert. Als die Entscheidung dann gegen Taftāzānī ausging, obwohl er sich als älterer und weiserer Gelehrter fühlte, war er sehr betrübt. Für sein genaues Todesdatum finden sich unterschiedliche Belege, doch favorisiert Sellheim das Zitat von Taftāzānīs Schüler Fatḥallāh aš-Širwānī, nachdem er am 10. Januar 1390 (22. Muḥarram 792). verstorben sei. Dieses Datum erscheint als das wahrscheinlichste. Nach seinem Tod wurde Taftāzānī an seinen früheren Wohnort Saraḫs überführt und dort begraben.9

2 Traditionslinien Schon eingangs ist zur Sprache gekommen, dass Taftāzānī hier als Vertreter der māturīditischen theologischen Richtung vorgestellt werden soll.10 Auf den Begründer dieser Richtung soll dabei nicht näher eigegangen werden, da sich Taftāzānī vermittelt über zwei andere Autoren in der māturīditischen Tradition verortet hat.11 Die Einschätzung von Taftāzānīs schon erwähntem Kommentar als einem māturīditischen Werk beruht in aller erster Linie natürlich auf dem namens gebenden Glaubensbekenntnis al-ʿAqāʾid an-Nasafīya des Naǧm ad-Dīn an-Nasafī. Darüber hinaus ist besonders Abū l-Muʿīn an-Nasafī und vor allem seine „Sichtung der Beweise hinsichtlich der Grundlagen der Religion gemäß der Lehrmeinung des Abū Manṣūr al-Māturīdī“ (Tabṣirat al-adilla fī uṣūl ad-dīn ʿalā ṭarīqat al-imām Abī Manṣūr al-Māturīdī) zu nennen. Diese beiden Werke sind so bedeutungsvoll,12 dass ihnen einige Abschnitte gewidmet werden, bevor Taftāzānīs Kommentar selbst vorgestellt wird.

8 Šawkānī. al-Badr aṭ-ṭāliʿ, 305. 9 Ṭāšköprü-Zāda. Miftāḥ as-saʿāda I: „nuqila ilā Saraḫsi wa-dufina bihā“, 206. 10 Es gibt Hinweise in Taftāzānī sogar denjenigen zu sehen, der den Begriff der Māturīdiyya eingeführt hat. 11 Zudem geht der Beitrag von Ulrich Rudolph in diesem Band auf Māturīdī ein. 12 Spannaus. Theology, 587–588.

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Die Tabṣirat al-adilla des Abū l-Muʿīn an-Nasafī Abū l-Muʿīn an-Nasafī (gest. 1114) trug den Herkunftsnamen, also die schon einmal erwähnte nisba, des Ortes Nasaf in der Nähe von Buchara im heutigen Usbekistan. Ihm kam eine zentrale Rolle bei der Rekonstruktion einer kalāmTradition mit dem Bezugspunkt Māturīdī zu.13 Dabei sichtete der Verfasser aber nicht nur Beweise, wie es der Titel seines Werkes Tabṣira ohnehin schon nahelegt, sondern führte einzelne Themen auch selbständig weiter aus und behandelte offen gebliebene Fragestellungen. Ergänzungen, die Abū l-Muʿīn zum Teil auch rechtfertigte, indem er die Religiosität Māturīdīs erwähnt, die jenen manchmal vom Nachdenken über die Welt und ihre ontologische Struktur abgehalten hätten. Doch hier soll im Vordergrund stehen, auf welche Weise die Tabṣira im Blick auf den Kommentator Taftāzānī relevant wird. Dies geschieht in zwei Formen. Zum einen übernimmt schon Naǧm ad-Dīn an-Nasafī, der Verfasser des für Taftāzānī maßgeblichen Glaubensbekenntnisses, teilweise Formulierungen Wort für Wort aus der Tabṣira in seine Glaubensartikel (ʿAqāʾid). Doch damit endet der Einfluss der Tabṣira auf die spätere Tradition noch nicht. Denn zum anderen war die Tabṣira auch direkt für Taftāzānī bei seiner Kommentierung der ʿAqāʾid von Relevanz, da sie auf sehr abstraktem Niveau die Argumente hinter den Glaubensgrundsätzen reflektiert und dem Kommentator Taftāzānī daher immer wieder Stichworte sowie Definitionshilfen und Erklärungshinweise lieferte. An manchen Stellen, aber keinesfalls bei jeder Übernahme eines Arguments nennt Taftāzānī dabei seine Quelle. Er spricht von Abū l-Muʿīn an-Nasafī im Fall einer solchen Bezugnahme als dem „Verfasser der Tabṣira“ (Ṣāḥib at-Tabṣira). Damit kommen wir zu dem bereits erwähnten zweiten māturīditischen Theologen: Naǧm ad-Dīn Abū Ḥafṣ ʿUmar b. Muḥammad an-Nasafī (gest. 1142) Naǧm ad-Dīn ist vor allem wegen seines nun schon mehrfach erwähnten „Glaubensbekenntnisses“ (al-ʿAqāʾid an-Nasafīya) berühmt geworden. Um Naǧm ad-Dīn an-Nasafī, der einer Gelehrtenfamilie, die sich über viele Generationen zurückverfolgen lässt, entstammte, und sein Werk (al-ʿAqāʾid) besser einordnen zu können, ist es erforderlich, das Genre eines „Glaubensbekenntnisses“ in der islamisch-theologischen Literatur kurz etwas allgemeiner zu betrachten. ʿAqāʾid bedeutet übersetzt zunächst einfach „Glaubensartikel“, in denen versucht wird, theologischen Lehren in knappen Worten präzisen Ausdruck zu verleihen. Das Medium des Glaubensbekenntnisses diente daher zunächst eher orthodox-konservativen bzw. traditionarischen Kreisen zur Untermauerung ihrer

13 Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition and Māturīdism. In The Oxford Handbook to Islamic Theology, Oxford, 2016, 280–296, 291.

Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 

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theologischen Opposition gegen den abstrakten Rationalismus im kalām. Sie formulierten ihre Bekenntnisse vornehmlich auf der Grundlage des Korans und der Sunna des Propheten. Trotzdem nutzen rational vorgehende Theologen (mutakallimūn) das Format der knappen Sammlungen von Glaubensinhalten später selbst, um zentrale Inhalte ihrer abstrakteren Überlegungen in eben dieser handlicheren und leichter lesbaren Form zum Ausdruck zu bringen.14 Diese wurden dann aber nicht nach den prophetischen Überlieferungen, sondern ihrem inneren logischen Zusammenhang angeordnet. In der māturīditischen Lehrtradition trugen Glaubensbekenntnisse stärker als bei den Ašʿariten zur Ausarbeitung des eigenen Dogmas bei, zumal auch weniger gelehrte Muslime diese zum Teil auswendig lernten.15 Unter den verschiedenen māturīditischen Bekenntnissen kommt den ʿAqāʾid des Naǧm ad-Dīn an-Nasafī eine Scharnierfunktion zu, da er die Standpunkte der māturīditischen Theologie zusammenfügt und zugleich knapp umreißt und sie damit deutlich greifbarer macht, als sie es in den Schriften früherer Vertreter der theologischen Richtung waren. Sein Glaubensbekenntnis wurde im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte sogar häufiger kommentiert als die Bekenntnisse von so bekannten Autoren wie Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 1210) oder Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 1111).16 Die Inhalte der ʿAqāʾid umfassen eine kurze Erkenntnislehre, eine Aufzählung der göttlichen Attribute, einige Paragraphen über die Struktur der Welt mit Substanzen und Akzidenzien sowie Aussagen zum Handlungsvermögen des Menschen, zum Jenseits, den Engeln und den göttlichen Namen. Hierauf baut Taftāzānīs erstes theologisches Werk, der eingangs schon genannte Kommentar Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya auf. Insofern mit ihm nach dem Schulgründer und den beiden Nasafīs erneut ein Gelehrter im zentralasiatischen Raum die Lehrtradition fortführt, wird der regionale Schwerpunkt der Māturīdīya deutlich.17 Taftāzānīs „Kommentar zu den Glaubensartikeln des Nasafī“ (Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya), charakterisiert Elder wie folgt: „Rather than go back to original sources and reconstruct their theology, it was preferable to reinterpret the articles of belief of someone in the past.“18

14 Wensinck A.J. The Muslim Creed. London, 1965, 1–2. 15 Van Ess, Josef. Die Erkenntnislehre des ʿAḍudaddīn al-Īcī. Übersetzung und Kommentar des Ersten Buches seiner Mawāqif. Wiesbaden, 1966, 27. 16 Elder, Edgar, A Commentary on the Creed of Islam. Saʿd al-Dīn al-Taftāzānī on the Creed of Najm al Dīn al-Nasafī, Bd. 20. New York, 1950. 17 Madelung, Wilferd. The Spread of Māturīdism and the Turks. In Religious Schools and Sects in Medieval Islam. London, 1985, 111. 18 Elder, Commentary, xvi-xvii.

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Die Kommentierung von Glaubensbekenntnissen war einflussreich in Bezug auf die spätere sunnitische Lehrtradition. Šarḥ al-ʿAqāʾid galt lange als alleiniger Maßstab für die Theologie in Zentralasien sogar bis ins 20. Jahrhundert. Doch in letzter Zeit rückt auch der Einfluss der Mystik auf die Theologie in den Jahrhunderten zwischen Taftāzānīs Tod 1390 und dem Auftreten der russischen Djadidisten um 1900 ins Blickfeld der Forschung.19 Das Werk Taftāzānīs blieb in seiner Wirkungsgeschichte aber nicht auf Zentralasien beschränkt: Šarḥ al-ʿAqāʾid gewinnt seine Relevanz außerhalb Zentralasiens vor allem daher, dass dieser Kommentar an al-Azhar in Kairo bis 1961 Standardeinführungswerk für kalām war. Exemplarisch kann auf die Auflistung des Glaubensbekenntnisses im Curriculum für den kalām-Unterricht im 18. Jahrhundert verwiesen werden,20 wo die ʿAqāʾid als Abschluss der Beschäftigung mit den eher kürzeren Texten und im Übergang zu den weitaus ausführlicheren theologischen Summen genannt werden. Neben der Verwendung von Taftāzānīs Kommentar steht hierfür auch der explizite Versuch, māturīditische und ašʿaritische Theologie im mamlukischen Ägypten zu verschmelzen, wie es in dem als Nūnīya21 bekannt gewordenen Gedicht des Gelehrten Tāǧ ad-Dīn as-Subkī (gest. 1370) geschieht. Diese Tendenz fand ihre Fortsetzung auch in osmanischer Zeit und besteht in gewisser Hinsicht bis heute bei türkischen Muslimen.22 Das ašʿaritische Hauptwerk Taftāzānīs und insbesondere der Teil zur Auferstehungslehre ist an al-Azhar bis heute Teil der zentralen Primärtexte für fortgeschrittene Studierende. Der hier vorgestellte Kommentar gehört aber zweifellos in die māturīditische Tradition, obschon auch er bereits einige ašʿaritische Einflüsse enthält,23 wie auch gleich das erste der hier erörterten Beispiele zeigen wird. Diese sind die Naturphilosophie, die göttliche Attributenlehre und die Handlungstheorie. Taftāzānīs Kommentar zur Naturphilosophie oder zum ontologischen Modell der Welt, das sich der skizzierten māturīditischen Tradition einschreibt, macht den Anfang.

19 Spannaus. Theology, 589–590. 20 Heyworth-Dunne, James. An Introduction to the History of Education in Modern Egypt, London, 1938, 55. 21 Alle Endreime lauten auf den arabischen Buchstaben Nūn. 22 Berger, Lutz. Interpretations of Ashʿarism and Māturīdism in Mamluk and Ottoman Times. In The Oxford Handbook of Islamic Theology. Oxford, 2016, 693–703, 697–698. 23 Spannaus. Theology, 591.

Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 

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3 Das ontologische Modell und der Atomismus Die Welt, heute oft die Natur genannt, prägte und prägt die Daseinswahrnehmung fast aller Menschen entscheidend. Selbst wenn die säkulare Weltsicht sie meist nicht mehr als Schöpfung begreift, sondern als materielle Gegebenheit, so ist das Bild, das wir uns von der Natur machen, nicht unwesentlich für unser Selbstverständnis und jene, denen wir hier Expertise zubilligen, um uns die Welt zu erklären. Vor allem die extreme räumliche und zeitliche Ausweitung des Universums einerseits und der Einblick in Zusammenstellungen von Elementarteilchen weit unterhalb der Ebene des lange für unteilbar gehaltenen Atoms andererseits haben die Aufgabe der Erklärung dessen, was uns umgibt, längst von den Theologen und Philosophen in die Hände der Naturwissenschaftler gelegt. Dieses Gefühl eines Erkenntnisfortschritts gegenüber den mutakallimūn werden wir auch sicher behalten können. Doch gibt es auch immer neue Hinweise auf Zusammenhänge und Dimensionen des Universums, die es als möglich erscheinen lassen, dass auch unsere Sicht auf die Welt oder das heutige ontologische Modell einmal als sehr beschränkt gelten werden. Kurz hingewiesen sei nur auf die „dunkle Materie“, die 85 % aller Materie im Universum ausmacht,24 aber nicht mit Licht interagiert und deswegen nicht beobachtet, aber über den Umweg der Gravitation nachgewiesen werden kann. Himmelskörper würden ohne sie ihre Umlaufbahn nicht halten können, da die bekannte (leuchtende) Materie nicht ausreicht, um die nötige Gravitationskraft auf sie auszuüben.25 Ein Weltbild, das diese Materie erschließen, sichtbar, erfahrbar machen würde, wäre anders als unser jetziges, zumal „dunkle Materie“ auch menschliche Körper in jeder Sekunde durchdringt.26 Uns selbst in einem Prozess und nicht in einem finalen Erkenntniszustand zu wähnen, erleichtert den Blick zurück in die Geschichte. Damit also zum Stand der Dinge zwischen dem 10. Jahrhundert, in welchem Māturīdī (gest. 944) über die Welt nachdachte und dem 14.  Jahrhundert, in welchem Taftāzānī seinen Kommentar schrieb und damit an Māturīdī und die nach ihm weiterentwickelte theologische Tradition anknüpfte. Im Fall des Gelehrten Māturīdī überrascht etwas seine Zurückhaltung mit systematischen Ausführungen zur Naturphilosophie, insofern es zu seiner Zeit bereits Tradition unter islamischen Theologen war, sich Gedanken zum Aufbau der Welt zu machen.27

24 Randall, Lisa. Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums. Frankfurt a. M., 2016, 21. 25 Randall. Dunkle Materie, 31–32. 26 Ebd., 31. 27 Rudolph. Māturīdī, 268.

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Als Begründer naturphilosophischen Denkens innerhalb des kalāms gelten dabei die muʿtazilitischen Theologen Abū l-Huḏyal und an-Naẓẓām.28 Diese beiden und andere frühe Theologen entwarfen verschiedene Modelle der Welt, wobei sich letztlich der Atomismus in der Gestalt der Lehre von Abū l-Huḏayl weitgehend durchsetzen konnte,29 dessen Terminologie auch einflussreich blieb. Er führte die Rede von einem Teil, der nicht weiter geteilt werden kann, ein, womit unser Atom gemeint ist.30 Māturīdī allerdings hatte in seinem Kitāb at-tawḥīd (Buch des Eingottglaubens) den Atomismus und seine Begrifflichkeit ignoriert,31und sprach zum Einen von Naturen, womit er wahrscheinlich die Qualitäten heiß, kalt, nass und trocken meinte. Hinzu kamen bei ihm Akzidenzien (aʿrāḍ), also veränderliche Attribute wie Bewegung und Ruhe und die Farben,32sowie Aussagen, die zeigen, dass er die Frage, ob Körper zwei- oder dreidimensional seien, mit dreidimensional beantwortet hat, insofern er ihnen sechs Seiten zuspricht.33 Das ontologische Modell der Welt, das Abū l-Muʿīn an-Nasafī eher in Form einer Anlehnung an Māturīdī in seiner Tabṣira konstruiert, nimmt neben Akziden­ zien aber auch Atome an. Abū l-Muʿīn hat diese Neuerungen im māturīditischen Denken dabei allerdings mit den Aussagen des Schulgründers verwoben.34 An einer Stelle gibt Abū l-Muʿīn die Ergänzungen auch zu und legitimiert sie dabei indirekt, insofern er sie als zweitrangig darstellt, da sie ja nicht in den engeren Bereich der Prinzipien der Religion fielen.35 Abū l-Muʿīn war mit seiner Transformation der Lehre erfolgreich, vor allem da sie Eingang in die ʿAqāʾid des Naǧm ad-Dīn an-Nasafī fand. Die entsprechende Stelle lautet:36 „Die Welt ist in allen ihren Teilen in der Zeit geschaffen (muḥdaṯ), da sie aus körperlichen Substanzen (aʿyān) und Akzidenzien besteht. Die Substanzen sind das, was durch sich selbst besteht, und das ist entweder zusammengesetzt und dann ein Körper (ǧism) oder nicht zusammengesetzt, und dann das unteilbare Teilchen, d.  h. das Atom (ǧawhar). Das Akzidenz ist das, was nicht durch sich

28 Rashed, Marwan. Natural philosophy. In The Cambridge Companion to Islamic Philosophy. Cambridge, 2005, 287–307, 288. 29 Rashed. Natural, 290; Rudolph. Māturīdī, 271. 30 Rashed. Natural, 288. 31 Rudolph. Māturīdī, 271. 32 Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition, 288–289. 33 Ebd., 273. 34 Ebd., 277. 35 Rudolph. Māturīdī, 279. 36 Wensinck. Creed, 249; Rudolph. Māturīdī, 279–280; Abū l-Muʿīn Maymūn b. Muḥammad anNasafī. Tabṣirat al-adilla I-II. Salamé, Claude (Hg.). Damaskus, 1993, hier I: „wa-iḏā ʿurifa anna l-ʿālama bi-asrihī mā ḏakarnā min aʿrāḍin wa-l-aʿyānin.“, 55.

Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 

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selbst besteht, sondern an den Körpern auftritt wie die Farben, die Seinsarten (akwān), Geschmacksarten und Gerüche.“37 Taftāzānī kommentiert hierzu, die Welt umfasse alles außer Gott selbst, also Körper, die Akzidenzien, Pflanzen, Tiere usw. aber nicht die Eigenschaften Gottes, womit er eine schöpfungstheologische Grundaussagen trifft. Beim Stichwort „in der Zeit entstanden (muḥdaṯ) grenzt er die Lehre zudem von den Philosophen ab, welche die Lehre von der Ewigkeit der Welt vertreten hätten.38 Nach dieser Definition der Welt, als der Gesamtheit des zeitlich Geschaffenen, geht er auf die Aussagen zum Aufbau der Welt ein, wobei er zunächst knapp und konventionell die Aufteilung der Welt in aus sich selbst heraus beständige Substanzen und Attribute kommentiert. Substanzen sind, wie auch Nasafī im Glaubensbekenntnis schreibt, zusammengesetzt, also Körper, oder nicht zusammengesetzt. Beim Begriff des Körpers erläutert er die Ansichten der früheren Theologen zur Natur der Körper und die Frage, wie viele Komponenten ein Körper braucht, nimmt aber den von Māturīdī implizit vertretenen dreidimensionalen Charakter der Körper (s.  o.) als gegeben hin.39 Im Fall der nicht zusammengesetzten Substanz greift er ohne Umschweife auf den Atomismus und die klassische Formulierung „des Teil, der nicht geteilt werden kann“ (wa-huwa al-ǧuzʾ al-laḏī lā yataǧazzaʾ) zurück, den Māturīdī nicht erwähnt und Abū l-Muʿīn unterschwellig in die māturīditische Tradition eingebaut hatte.40 Er benutzt nun auch den klassischen Begriff für das Atom, nämlich ǧawhar, was Māturīdī eher als Wesenheit verstanden hatte. Er kommentiert weiter, dass die Lehre vom Atom gegen jede Einschränkung gefeit sein müsse und bringt den Atomismus als Gegenmodell zum philosophischen Hylemorphismus in Position.41 Zum Beweis des Atomismus greift er neben anderen Argumenten auch auf die Idee eines Punktes, der über eine längere Strecke auf einer Fläche entlang gezogen wird, und dort eine Linie hinterlässt, zurück. Zusammen mit der Überlegung, dass eine Tangente einen Kreis in genau einem Punkt berührt, gelten diese geometrischen Beobachtungen traditionell als Beweis für unteilbare Punkte  – und somit für den Atomismus.42 Die Verwendung des Arguments zeigt in unserem

37 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 24–25; Übersetzung nach Rudolph. Māturīdī 279, Fußnote 88. 38 Taftāzānī, Šarḥ al-ʿAqāʾid, 24–25. Die Schöpfungsfrage vertieft Taftāzānī im 7.  Kapitel und auch im Folgenden wird der Aspekt des göttlichen Aspekts des Erschaffens noch eine Rolle spielen (s.  u.). 39 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26; Elder, Commentary, 30. 40 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26. 41 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26–27; Elder. Commentary, 31–32. 42 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 27; Elder. Commentary, 31; Rashed. Natural, 303.

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Zusammenhang, dass Taftāzānī sich in seinem Kommentar durchaus auch bei anderen, nicht-māturīditischen Lehren bedient hat. Am Schluss verlagert er die Diskussion jedoch auf eine ganz andere, nicht mehr naturphilosophische Ebene, wenn er nach dem Ertrag (ṯamara) der Diskussion fragt. Hier argumentiert er, der Atomismus, jetzt begrifflich als (al-ǧawhar al-fard) gefasst, helfe manche unliebsame Folge der philosophischen Position zu vermeiden. So richte sich der Atomismus gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt, oder die Ablehnung der körperlichen Auferstehung der Toten und gegen die Lehre, dass die Himmelssphären nicht durchbrochen werden könnten.43 Die Verbindung dieser philosophischen Ansichten mit dem Atomismus wirkt etwas obskur, doch war zum Beispiel die Möglichkeit der Durchbrechung der Himmelsphären für die Lokalisierung eines nach ašʿaritischer und māturīditischer Lehre bereits im Kosmos erschaffenen Jenseits (Paradies und Hölle) und dessen Verbindung mit dem Diesseits wichtig, weshalb Taftāzānī dann auch auf diese naturphilosophischen Aussagen im eschatologischen Teil des Kommentars nochmals Bezug nimmt.44 Die von Taftāzānī selbst gestellte Frage nach dem Sinn der Diskussion der Beweise und die recht plötzliche Aufzählung zentraler theologischer Inhalte bietet den Atomismus eher als die bessere theologische Option an, als dass er ihn naturphilosophisch zu beweisen versucht. Insofern Taftāzānī somit anders als Māturīdī einen Atomismus vertritt, steht er in gewisser Hinsicht am Endpunkt der Entwicklung in einer Schultradition, die dieses Modell Stück für Stück inkorporiert hat. Er scheint im Fall der Naturphilosophie als Kommentator des māturīditischen Glaubensbekenntnisses inhaltlich damit aber nicht mehr sehr nah bei Māturīdī selbst zu stehen. Doch was die beiden Gelehrten verbindet, ist, dass bei beiden religiös-theologische Fragen wichtiger als die naturphilosophische Theorie zu sein scheinen. Mit dem göttlichen Attribut des „ewigen Erschaffens“ kommen wir aber zu einem Aspekt der māturīditischen Lehre, den Taftāzānī in seinem Kommentar vertritt und argumentativ untermauert.

43 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 28; Elder. Commentary, 32. 44 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 112; Würtz. Islamische Theologie, 98–99.

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4 Schöpfungslehre und das Attribut des ewigen Erschaffens (takwīn) Angelpunkt der Diskussion um das göttliche Attribut des Erschaffens war der Begriff der Ewigkeit bzw. die Frage, was von Ewigkeit her existiert und was erst später hinzukommt. Existiert allein Gott von Ewigkeit her, die Schöpfung aber erst von einem bestimmten Zeitpunkt an oder sind beide ewig? Mit den Kategorien „urewig“ und „zeitlich entstanden“ war ein wichtiges Unterscheidungskriterium gewonnen, um den Schöpfer von seiner Schöpfung abzugrenzen. Die Theologen vertraten in Abgrenzung von der philosophischen Lehre, die sagte, die Welt existiere von Ewigkeit her, den Standpunkt eines zeitlichen Entstanden-Seins der Schöpfung.45 In dieser Frage bildet die māturīditische Schule keine Ausnahme. Auch sie betonte die Lehre von der zeitlichen Geschaffenheit. Māturīdī berief sich dazu auf sechs zentrale Argumente: Er begründete die Lehre vom Koran her, ergänzte sie durch das Wissen des Menschen um seine eigene Zeitlichkeit und die Endlichkeit aller Dinge um ihn herum. Er kombinierte dies mit der Beobachtung, dass Körper Unterschiedliches in sich vereinen, weshalb sie nicht autonom seien.46 Die Einflussnahme Gottes auf seine Schöpfung wird bei Māturīditen und Ašʿariten etwas anders definiert. Während die Aussagen zur Schöpfungslehre in den Glaubensartikeln des Nasafī ihren Ausgang bei einem ewigen göttlichen Attribut des Erschaffens (takwīn) nehmen, thematisiert die ašʿaritische Lehre dies eher unter dem bekannten Begriff des Handlungsvermögens (qudra). Doch nun ein Blick in den Text Nasafīs: „Erschaffen ist ein göttliches Attribut von aller Ewigkeit her,“ leitet Nasafī seinen Glaubensartikel ein. „Dabei schafft er die Welt und alle Teile in ihr, dies aber zum Zeitpunkt ihrer Existenz,“ also nicht von Ewigkeit her, und zwar „wenn es seinem Willen und Wissen entspricht.“47 Nasafī kombiniert also die Ewigkeit des spezifischen göttlichen Attributs über einen ewig von Gott schon gewussten Zeitpunkt mit der Zeitlichkeit der Welt. Taftāzānī führt eine Reihe von Argumenten an, von denen hier drei präsentiert werden sollen: So kommt er zunächst beim Stichwort „urewig“ (azalīya) auf die genaue Definition des fraglichen Attributs als eines ewigen Attributs zu sprechen und hebt hervor, dass alles, was in Gott existiert von Ewigkeit in ihm existiert haben müsse. Zudem habe Gott, so ein zweites

45 Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren auf Untersuchungen im Rahmen meiner Studie: s. Würtz. Islamische Theologie, 255–257. 46 Rudolph. Māturīdī, 263–264. 47 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 62.

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Argument, ja in seiner Rede, also dem unerschaffenen Koran, bereits von sich als Schöpfer gesprochen. Wäre die Fähigkeit Gottes zu schaffen erst zeitlich entstanden, würde sie ihrerseits einen Moment des Erschaffens benötigen, der zeitlich unmittelbar davor angesiedelt ist. Verhielte es sich aber so, würde sich ein infiniter Regress zu einem immer weiter zurückliegenden Moment des Erschaffens ergeben, denn auch für diesen zeitlich unmittelbar der ersten Schöpfung vorhergehenden Moment, in dem also Gottes Fähigkeit erst entsteht, wäre neuerlich ein Moment vonnöten, in welchem dieser Moment selbst erschaffen würde. Da sich diese Kette der Erschaffung von Momenten aber theoretisch unbegrenzt fortsetzen würde, gäbe es letztlich keinen Ausgangspunkt und die Erschaffung der Welt wäre unmöglich gewesen. Dies aber zeigt, dass es sich anders verhalten muss, Gott also das fragliche Attribut von Ewigkeit her besitzen muss, da ja die Welt augenscheinlich erschaffen ist.48 Bei dieser Argumentation dafür, dass es ein ewiges Attribut des Erschaffens geben müsse, zeigt sich eine große Nähe zum philosophischen Plädoyer für die Weltewigkeit. Schließlich, drittens, greift Taftāzānī in seinem Kommentar den Einwand auf, das Erschaffen komme erst in dem Moment zu Gottes Macht hinzu, in dem auch etwas Geschaffenes entstehe, so wie ein Schlag nicht existiere, ohne dass es auch einen Geschlagenen gebe. Doch während es sich beim Schlagenden und Geschlagenen um eine relative Eigenschaft handelt, die durch diese beiden Personen und durch den Vorgang des Schlagens hergestellt wird, so sind Wissen und Macht als wahre Eigenschaft ewig und überhaupt erst Ausgangspunkt für die Möglichkeit der Relation, die als Objekte erst zeitlich entstehen.49 Mit seiner Verbindung von Macht, Willen und Schöpfertätigkeit bleibt Taftāzānī ganz eindeutig im Fahrwasser der māturīditischen Attributenlehre und festigt Positionen, die auch Māturīdī schon vertreten hatte. Er schätzt das Attribut des ewigen Erschaffens, um Gottes Ewigkeit und die zeitliche Schöpfung gedanklich zu verbinden. Das zweite Beispiel für eine māturīditische Position in Taftāzānīs Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya ist die Handlungstheorie, ein klassisches Feld der theologischen Spekulation im kalām ganz gleich welcher Schulrichtung.

48 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 64–65. 49 Ebd., 65–66.

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5 Handlungstheorie Noch aus der ḥanafitischen Tradition, aus der sich die māturīditische theologische Richtung ja entwickelt hat,50 stammt der Grundsatz, in Fragen der Handlungstheorie eine mittlere Position zwischen Determinismus und freiem menschlichen Willen einzunehmen.51 Die Extreme, also die weitgehende Willensfreiheit der Qadariten, und die Theorie des göttlichen Zwangs bei den Ǧabriten konnten so vermieden werden. Daraus entstand ein kombiniertes Modell, das darauf hinauslief, zwischen Willen, Bestimmung, Beschluss und Erschaffung auf Seiten Gottes und der ausführenden Umsetzung (fiʿl) durch den Menschen zu unterscheiden.52 Māturīdī benutzte daher in seiner Handlungstheorie konsequent den Begriff der freien Wahl (iḫtiyār). Bezüglich des umstrittenen Handlungsvermögens führte er noch eine weitere Differenzierung ein: Während die ḥanafitischen Lehre das Handlungsvermögen mit der Handlung auftreten ließ, und die Karrāmiten wie auch die Muʿtazila lehrten, es sei schon vor der Tat vorhanden, gelang Māturīdī eine Synthese. Er postulierte, ein Handlungsvermögen besitze der Mensch von Natur aus (istiṭāʿa), es sei Teil seiner persönlichen Unversehrtheit (salāma) und damit „die Voraussetzung für jedes planmäßige Handeln.“ Ein zweites Handlungsvermögen, das von Gott gegeben werde, setze mit der Tat (maʿa l-fiʿl) ein und befähige ihn zur Ausführung der Tat. Aus der Kombination der beiden Handlungsvermögen ergebe sich dann ein Moment der Wahlfreiheit (iḫtiyār). Māturīdī verstand die freie Wahl (iḫtiyār) zugleich als das erste göttliche Attribut. Er übernahm diesen Ausdruck ebenfalls für die hier relevanten Formen menschlicher Handlungen. In der Handlungstheorie ist die māturīditische Position somit durch eine Synthese aus der Realität der menschlichen Handlung und ihrer Schaffung durch Gott gekennzeichnet. Die entsprechenden Glaubensartikel liefern zudem einige einführende Überlegungen zum Handlungsbegriff. Gott, der Erhabene, ist Schöpfer aller Handlungen der Menschen (ʿibād), gleich ob sie aus Unglauben oder Glauben, aus Gehorsam oder Ungehorsam bestehen.53

Taftāzānī erläutert in seinem Kommentar hier den Unterschied zur Muʿtazila, die gesagt habe, der Mensch sei Schöpfer seiner Handlungen (al-ʿabd ḫāliq li-afʿālihī),

50 Rudolph, Ḥanafī Theological Tradition, 280–281. 51 ebda., 283. 52 Rudolph, Māturīdī, 337. Wie im vorherigen Kapitel basieren die folgenden Ausführungen auf Untersuchungen im Rahmen meiner Studie zu Taftāzānī: s. Würtz, Islamische Theologie, 171–193. 53 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 77.

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wobei er diesen Sprachgebrauch noch nicht mit den frühen Muʿtaziliten in Verbindung bringt. Taftāzānī wendet dagegen ein, dass man in diesem Fall auch alle Details seiner Handlung kennen müsse. Allerdings kennt der Mensch viele Abläufe in seinem Körper gar nicht. Wenn er geht, weiß er zum Beispiel nicht, welche Bewegung des Ausdehnens und Zusammenziehens sich in seinen Muskeln vollzieht. Der Grund dafür ist nicht etwa Ablenkung, sondern schlichte Unkenntnis. Taftāzānī erwähnt an dieser Stelle auch einen Aspekt der Geschichte des kalāms. So sei die Muʿtazila wegen ihrer Lehre von einer Schöpferrolle des Menschen sogar der Beigesellung (širk) anderer Götter zu dem einen und einzigen Gott gemäß des islamischen Monotheismus bezichtigt worden. Auch Abū l-Muʿīn an-Nasafī erhebt in der Tabṣira diesen Vorwurf an die Adresse der Muʿtazila. Taftāzānī differenziert širk zu zwei Formen aus, wie es auch in der Tabṣira der Fall ist: Im ersten Fall haben die Wesen, die Gott beigesellt werden, Anteil an der Göttlichkeit wie in den Lehren der Magier. Im zweiten Fall aber sind die Beigesellten nur Gegenstand der menschlichen Verehrung, wie es bei der Anbetung von Götzen üblich ist. Abū l-Muʿīn nennt das andere göttliche Wesen „Teilhaber an der Schöpfung“ (šarīk fī taḫlīq al-ʿālam)54 während Taftāzānī von „einem Teilhaber an der Göttlichkeit im Sinne einer Notwendigkeit der Existenz“ (šarīk fī ulūhīya bi-maʿnā wuǧūb al-wuǧūd)55 spricht. Seine Terminologie ist damit abstrakter und stärker philosophisch geprägt. Bei der zweiten Art einer solchen Beigesellung wählt er dieselben Worte wie der Verfasser der Tabṣira, wenn er von einem „Recht auf Anbetung“ spricht (istiḥqāq al-ʿibāda). Taftāzānī weist diesen Vorwurf aber ab, da širk auch bedeute, Gott als Schöpfer etwas beizugesellen, während die Muʿtaziliten immer beachtet hätten, dass der Mensch beim Handeln auch auf Dinge zurückgreife, die Gott ihm gegeben habe. Somit ist also für Taftāzānī anders als für Abū l-Muʿīn die göttlich-menschliche Gemeinsamkeit bei den Handlungen auch im muʿtazilitischen Konzept gegeben. Er schließt die Bemerkung an, dass Theologen in Transoxanien (mašāyiḫ mā warāʾ n-nahr) in der Anklage gegen die Muʿtazila übertrieben hätten,56 indem sie ihnen die Aussage unterstellten, Gott habe noch mehr als nur einen Teilhaber. Genau diesen Vorwurf erhebt Abū l-Muʿīn, der ihn sogar ausweitet, indem er argumentiert, die Magier hätten Gott immerhin einen bösen Gegengott beigesellt, während die Mitgötter

54 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 674. 55 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 79. 56 Die Auseinandersetzung der transoxanischen Theologen mit der Muʿtazila wurde vor allem durch das Auftreten des Muʿtazliten al-Kaʿbi (gest. 931) befördert. Auch Māturīdī hat sich später deutlich von ihm distanziert. s. Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition, 286–287.

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der Muʿtaziliten besser als Gott handelten. Die strikt anti-muʿtazilitische Position aus māturīditischer Perspektive verändert Taftāzānī hier in eine gemäßigtere, die aber weiterhin im Kern māturīditisch bleibt insofern, die Geschaffenheit der Handlung durch Gott hervorgehoben wird. Der übernächste Glaubensartikel von Nasafī handelt von der Wahl (iḫtiyār) des Menschen: Den Menschen kommen Handlungen mit Wahlmöglichkeit zu, für die sie belohnt oder bestraft werden. […] Das Gute an ihnen führt zur Zufriedenheit Gottes und das Böse an ihnen zu Seiner Unzufriedenheit.57

Nasafī fährt hier also ganz māturīditisch fort, dass die Geschöpfe Wahlmöglichkeiten haben. Taftāzānī kontrastiert dazu Meinungen mit Gegenmeinungen. In diesem Fall setzt er der Betonung der Wahlmöglichkeit zunächst die Position der Ǧabriten (die den Zwang vertreten, s.  o.) entgegen, die dem Menschen überhaupt keinen Einfluss, also weder Handlungsvermögen, noch Absicht, noch Wahlfreiheit bei seinen Handlungen zubilligten. Gegen diese Position führt er die Unterscheidung zwischen der Bewegung des Greifens und des Zitterns an. Im ersten Fall gebe es eine Wahlmöglichkeit, im zweiten Fall nicht. Wer die ǧabritische Position teile, könne daher auch nicht von einer rechtmäßigen Verpflichtung des Menschen auf das göttliche Gesetz sprechen. Für das Problem einer Beteiligung von Gott und Mensch an der Handlung ergeben sich zwei Seiten (ǧihatayn): Die von Gott her zu denkende ist die Hervorbringung. Vom Menschen her ist sie als Aneignung zu denken. Eine Schöpfung der Handlung durch Gott verhindert nicht, dass der Mensch dabei Handlungsvermögen und Wahlfreiheit hat. Auch hier tritt die auf Māturīdī zurückgehende Haltung Taftāzānīs wieder klar zum Vorschein. Doch sein Kommentar der ʿAqāʾid des Nasafī ist zugleich auch wieder der Ausgestaltung der Lehre durch Abū l-Muʿīn verpflichtet und in seinen Begründungen lassen sich Spuren der Tabṣira ausmachen, wenn wir weitere klärende Unterscheidungen zwischen göttlicher Schöpfung und der menschlichen Aneignung in den Blick nehmen. Taftāzānī nennt deren drei: 1. Zur Aneignung gehört auch der Gebrauch von Instrumenten, welche nicht zur Schöpfung gehören. 2. Aneignung ist räumlich an den Ort des Handlungsvermögens gebunden, was bei der Schöpfung ebenfalls nicht der Fall ist.

57 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 89–90.

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3. Zudem kann Aneignung nicht von der Person, die sie vollführt, getrennt werden, was beim Schöpfer möglich ist.58 Für diese drei Differenzierungen im Aneignungsbegriff findet sich unter Absehung einer leicht veränderten Reihenfolge eine direkte Vorlage bei Abū l-Muʿīn.59 Wie auch Gimaret beobachtet hat, gehen bei Taftāzānī die māturīditische Position und die ašʿarītische Theorie einer Aneignung der Taten durch den Menschen (kasb) ineinander über, um die Beziehung (rapport) zwischen Gott und Mensch erklären zu können.60 Hiermit liegt er auf einer Linie mit dem oben schon einmal erwähnten ägyptischen Gelehrten Subkī, der in seiner Nūnīya befindet, kasb (Aneignung) und iḫtiyār (Wahl) seien zwei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache.61 Nasafīs nächster Glaubensgrundsatz nimmt nun eine in der Tradition des kalām schon oft diskutierte handlungstheoretische Begrifflichkeit in den Blick. Er kommt zum Handlungsvermögen: Das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) existiert zugleich mit der Handlung und es ist das wirkliche Vorliegen des Handlungsvermögens (qudra), durch das sich die Handlung vollzieht.62

Insofern hier vom Handlungsvermögen die Rede ist, verbleibt die Diskussion bei der Verhältnisbestimmung des göttlichen und menschlichen Beitrags zur Handlung. Abū l-Muʿīn – erneut zentraler Vermittler der Gedanken – sagt hierzu, dass das Handlungsvermögen in zwei Teile zerfalle. Taftāzānī folgt ihm hierin zunächst, als dass das Handlungsvermögen (istiṭāʿa), das zusammen mit der Tat auftritt – die zweite Form nach Māturīdī – ein von Gott für die Handlung geschaffenes Akzidens sei. Gott erschafft es in einem Lebewesen, so dass es Wahlhandlungen vollziehen kann und als Ursache (ʿilla) der Handlung bezeichnet werden kann.63 Es führt damit zum „wirklichen Vorliegen des Handlungsvermögens“ (ḥaqīqat al-qudra). Taftāzānī schließt sich dieser Lehre aber nicht umfassend an. Er beruft sich auf eine nicht näher spezifizierte Mehrheit, die meint, das Handlungsvermögen sei eine Bedingung zum Vollzug (adāʾ) der Handlung und keine Ursache wie bei Abū l-Muʿīn. Er fasst dies direkt im Anschluss so zusammen, dass das Handlungs-

58 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 87. 59 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 654. 60 Gimaret. Théories, 165. 61 Badeen, Edward. Sunnitische Theologie in Osmanischer Zeit. Würzburg, 2008, 18. 62 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 90. 63 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 541.

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vermögen von Gott bei der „Absicht zur Aneignung der Handlung“ (qaṣd iktisāb al-fiʿl) geschaffen sei, nachdem die physikalischen Gründe und Instrumente vollumfänglich bereit seien, was dem ersten Handlungsvermögen entspräche. Wenn die Absicht zu einer guten Tat vorliege, schaffe Gott das zweite Handlungsvermögen zum Guten und umgekehrt. Als Beispiel führt Taftāzānī wieder auf die Tabṣira zurückgreifend – in diesem Fall aber ohne es explizit anzugeben – einen Koranvers an. In diesem Vers und seinem Kontext (11, 18–20) heißt es von vorher bereits erwähnten Frevlern, die sogar andere Menschen von Gottes Weg abbringen wollen: „Sie vermochten das Hören nicht.“64 Zunächst klingt dies nach reiner Vorherbestimmung ohne menschliche Wahlfreiheit. Im Kontext der Diskussion von istiṭāʿa (Handlungsvermögen) scheint es aber plausibel, dass Taftāzānī vorschlägt, den Vers als Absage an das gute Handlungsvermögen zu lesen: „sie haben das Handlungsvermögen des Hörens [und damit des Glaubens] nicht realisiert.“ Sein Handlungsvermögen zur guten Tat ist also ausgelaufen, der Handelnde „vermag“ sie nicht mehr. Taftāzānī hat also, wie gesehen, in Anknüpfung an die Tradition von Abū l-Muʿīn eine māturīditische Lesart des Verses fortgeführt. In den Worten aus Nasafīs ʿAqāʾid steckt darüber hinaus ein Verweis auf eine andere Diskussion, die auf die Anfänge der muʿtazilitischen Handlungstheorie zurückgeht. Die seit Abū Huḏayl bestehende Überlegung, die Handlung in zwei Momente aufzuspalten  – einen, in welchem das Handlungsvermögen besteht, und einen zweiten, in welchem die Handlung ausgeführt wird (s.  o.)  – weist Taftāzānī dabei entschieden zurück. Er fährt fort, dass das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) ein Akzidens sei, das in zeitlichem Zusammenhang „mit der Handlung“ stehen muss und „nicht vor ihr“ gegeben sein könne. Denn wäre es vorher gegeben, würde die Handlung ohne das Vermögen zustande kommen, da Akzidenzien – wie eben auch das Handlungsvermögen – nicht beständig sind, womit er auf eine naturphilosophische Grundannahme des kalām in seiner atomistischen Ausprägung zurückgreift, der er sich ja angeschlossen hatte (s.  o.). Taftāzānī wechselt sodann von der kausallogischen Ebene auf die Ebene einer wirksamen ethischen Verpflichtung, wenn er sich fragt, worauf diejenigen denn eigentlich hinaus wollen, die von einem Handlungsvermögen „vor der Handlung“ sprechen, was kausallogisch ad absurdum geführt werden kann. Ihr Anliegen besteht wohl darin, dass die Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln (taklīf) „vor der Handlung“ ja bereits gegeben sein müsse. Dies gilt für den Ungläubigen, der zu einem früheren Zeitpunkt auf den Glauben verpflichtet worden sein muss, oder

64 Koran 11, 20: „mā kānū yastaṭīʿūna s-samʿ.“ (Übersetzung T.W.).

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den Muslim im Falle des Gebets. Eine Antwort gibt der nächste Satz der ʿAqāʾid des Nasafī, in welchem auch das erste, natürliche Handlungsvermögen aus der māturīditischen Tradition vorkommt: Dabei hängt das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) von einem einwandfreien Zustand der grundlegenden Mittel, instrumentellen Hilfsmittel und Körperglieder ab und die Gültigkeit der rechtlichen Verpflichtung beruht auf diesem Handlungsvermögen.65

Hier bringt Taftāzānī, wiederum der Tabṣira folgend, das Beispiel der Verpflichtung zur Pilgerfahrt nach Mekka aus Sure 3, 97 ins Spiel: „Es ist von Gott den Menschen aufgetragen, zum Haus die Pilgerfahrt zu vollziehen – wer einen Weg dorthin zu finden vermag.“66 Es gibt also etwas, was der Mensch „vor der Handlung“, in diesem Fall vor seinem Aufbruch zur Wallfahrt „vermögen“ muss. In der Tabṣira findet sich, wie auch im Kaššāf des Zamaḫšarī, eine auf den Propheten zurückgehende Spezifizierung des Ausdrucks „wer einen Weg dorthin zu finden vermag“. Demnach besteht die Grundlage für das „Vermögen“, die Wallfahrt antreten zu können im Besitz eines ausreichenden Nahrungsmittelvorrats (zād) und einer Reitkamelin (rāḥila).67 Dies bedeutet einen einwandfreien Zustand der „grundlegenden Mittel“ (s. Nasafī) und hat nichts mit einer Verwirklichung des (zweiten) Handlungsvermögens zu tun, wie Abū l-Muʿīn auch unmittelbar anfügt. Somit verweist der Vers auf die erste Art des Handlungsvermögens, dessen spezifische Charakteristika für eine Wallfahrt in Form von Nahrungsmittelvorrat und Reittier hier sehr anschaulich werden. Taftāzānī lehnt, wie gesehen, das muʿtazilitische Handlungsvermögen unmittelbar vor der Tat, das kausal aber zur Tat gehört, ab. Allerdings bezieht er die Frage danach, in welchem Moment die rechtliche Verpflichtung (taklīf) greift, die ja doch vor der Tat bestehen muss, auf denjenigen Satz aus den ʿAqāʾid, der Māturīdīs Lehre vom ersten natürlichen Handlungsvermögen wiedergibt (s.  o.): „die Gültigkeit der rechtlichen Verpflichtung beruht auf diesem Handlungsvermögen,“. Für Taftāzānī beruht die Verpflichtung somit auf dem der Tat voraus liegenden natürlichen Handlungsvermögen, denn dieses basierte auf menschlichen Grundvoraussetzungen für die Handlung wie der Unversehrtheit der Körperglieder. Die rechtliche Verpflichtung hat so auch den notwendigen Abstand zur

65 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 93. 66 Bobzin, 57. Die Wahl des deutschen Wortes „vermag“ weicht vom Wortlaut bei Bobzin ab, da es hier ja gerade um die Verwendung des gleichen Wortstamms im Koran und in der theologischen Debatte geht. 67 Zamaḫšarī, Ǧār Allāh. al-Kaššāf I, 401–402.

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Tat. Damit verbleibt er auch hier in māturīditischer Tradition.68 Die Lehre von den beiden Handlungsvermögen schwingt mit, wird aber nicht ausgesprochen, so dass das erste Handlungsvermögen mit der rechtlichen Verpflichtung parallelisiert werden kann. Abū l-Muʿīn hatte die beiden „Vermögen“ allerdings noch als solche gesehen und mit Vers 4 aus Sure 58 als Offenbarungsbeweis untermauert: „Wer auch das [Fasten] nicht vermag, dem obliegt die Speisung von sechzig Armen.“69 Hier sei sicher das erste „natürliche“ Handlungsvermögen gemeint, da die Tat des Fastens ja noch in der Zukunft liege. Das Handlungsvermögen zur „Tatzeit“ selbst könne somit nicht gemeint sein. Wenn Taftāzānī also die Tabṣira gut gekannt hat, was außer Frage steht, hätte er diesen Vers ebenfalls einbeziehen, und die beiden Handlungsvermögen direkt gegeneinander abgrenzen können. Dieser kurze Verweis hätte auch den Rahmen des Kommentars nicht gesprengt. Es legt sich also die Vermutung nahe, dass wir in der Art und Weise wie das Handlungsvermögen und seine Differenzierungen eingeführt werden, wieder eher ein Beispiel für eine gewisse Distanzierung zu māturīditischem Denken vorfinden, wie es auch bei der Einführung des Atomismus der Fall war (s.  o.). Abschließend wird noch ein Thema betrachtet, dass in allen theologischen Richtungen von Bedeutung war, da hier altarabische Traditionen und ihre Fortexistenz im kalām sehr deutlich werden.

6 Der Lebensunterhalt Nasafī fährt in seinen Glaubensgrundsätzen mit zwei besonderen Aspekten der Handlungstheorie fort, die als „Erbgut“ des vorislamischen Lebensgefühls in fast allen späteren islamisch-theologischen Reflexionen gelten können: Diese sind der Todeszeitpunkt (aǧal) und der Lebensunterhalt (rizq) eines Menschen. Hier soll nur der zweite Teil des altarabischen Erbgutes im kalām – das Konzept des Lebensunterhalts (rizq), den Gott allen Lebewesen direkt zukommen lässt – noch abschließend Thema sein: „Auch das Verbotene ist [von Gott gegebener] Lebensunterhalt und jeder erhält den vollständigen Lebensunterhalt, sei es Erlaubtes oder Verbotenes. Es ist nicht vorstellbar, dass ein Mensch seinen Lebensunterhalt nicht verzehrt, oder dass ein anderer ihn verzehrt.“70

68 Eine Spur dieser Debatte wird sich dann im Šarḥ al-Maqāṣid als fast einziges Erbe dieser Lehre erweisen. 69 Bobzin, 489. (Ergänzung und Hervorhebung, T.W.). 70 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 100–101.

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Laut Taftāzānī könne es sich in einigen Fällen um erlaubte, manchmal aber auch um verbotene Speisen handeln. Verbotenes aber war für die Muʿtaziliten kein Lebensunterhalt, den Gott zugeteilt hatte, da sie Lebensunterhalt immer als rechtmäßig Erworbenes oder als etwas, das in jeder Hinsicht – also auch in heilsbringender – zum Nutzen gereicht, definierten. Taftāzānī verbleibt auch hier in seiner Erwiderung zunächst im Fahrwasser der Tabṣira, wenn er bezüglich der muʿtazilitischen Position kritisch zu Bedenken gibt, dass einige Tierarten und solche Menschen, die sich ihr ganzes Leben nur von Verbotenem ernährten, niemals Lebensunterhalt von Gott erhalten würden, was Gott im Koran aber ausgeschlossen habe.71 Taftāzānī versucht das dennoch verbleibende Problem, dass Gott einziger Ernährer ist und das Verbotene somit auch von Gott stammt und von niemandem anderen hervorgebracht werden konnte, mit Rückgriff auf das bekannte Konzept der Wahl zu lösen. Damit geht er über die Tabṣira hinaus. Taftāzānī ergänzt die Argumentation hier also, wenn er sagt, der Mensch begehe sehr wohl eine Sünde und verdiene daher auch Strafe, da er durch seine Wahl eine direkte Verursachung durch Gott durchkreuze. Das verhindere aber trotzdem nicht, dass die Ernährung insgesamt aus Erlaubtem und Verbotenem bestehe und keiner den Lebensunterhalt eines anderen verzehren könne.72 Mit Blick auf diesen letzten Satz zeigt sich, dass alle Handlungen, die mit Ernährung des Menschen zu tun haben, in vorliegendem Paradigma kaum eine eigenständige Rolle des Handelnden zulassen. Taftāzānīs Einwurf, der Mensch habe auch beim Lebensunterhalt eine Wahl, ist inhaltlich wenig überzeugend und verbleibt eher formelhaft. Die Tatsache, dass er erneut darauf zurückgreift, zeigt aber, dass er der māturīditischen Tradition nicht nur folgt, indem er Nasafīs Text kommentiert und Abū l-Muʿīns Argumente integriert, sondern die māturīditischen Begriffe auch selbst zur Anwendung bringt.

Fazit Taftāzānīs Kommentar folgt insgesamt der māturīditischen Ausrichtung der ʿAqāʾid. Hierfür spricht vor allem, dass er das göttliche Attribut des ewigen Erschaffens (takwin) bekräftigt. Zudem verbleibt er auf dem māturīditischen Mittelweg in der Handlungstheorie, sowohl begrifflich mit der Wortwahl iḫtiyār (Wahl) als in

71 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 688; Koran 11, 6. 72 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 100f–101.

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der Analyse der Lehre von den zwei Handlungsvermögen, was er aber manchmal etwas weniger deutlich hervortreten lässt, als zu erwarten gewesen wäre. Es lassen sich somit zwar eher wenige eigene Ansätze Taftāzānīs konstatieren, allerdings unterscheidet er sich manchmal von Abū l-Muʿīns Darlegungen in der Tabṣira, zu der er einen eigenen unabhängigen Standpunkt einnimmt. Andererseits unterschlägt er explizite Hinweise trotz eindeutiger Bezugnahmen: Wählen wir zur Veranschaulichung das Theater und die Aufführung einer abgewandelten Fassung eines Stücks, so tritt die māturīditische Lehre manchmal auf, ohne im Programmheft zu stehen und manchmal fehlt sie, wo wir sie in Kenntnis des ursprünglichen Stoffs erwartet hätten. So erscheint der Atomismus auf der Bühne, obwohl Māturīdī ein eigenes System von Naturen und Akzidenzien angenommen hatte. Doch vielleicht hat der Schwebezustand in Taftāzānīs Kommentar ihm die Qualität eines Kompromisses zwischen verschiedenen Standpunkten im kalām beschert und so zu seiner langen Verwendung beigetragen. Zudem lässt sich für Zafar Ansari die Bedeutung des Werks darin erblicken, dass Taftāzānī den Konsens der Gelehrten auf eindrückliche Weise intellektuell aufgearbeitet habe.73 Wichtig erscheint zudem der Befund, dass māturīditisches Gedankengut im 14. Jahrhundert durchaus lebendig war und in Form von Taftāzānīs Kommentar auch bis ins 20. Jahrhundert weitergewirkt hat.74 An al-Azhar wurde der Kommentar zu Nasafī 1961 durch Ġazālīs Iqtiṣād fi l- iʿatiqād ersetzt. In der Person Taftāzānīs allerdings verhält es sich wohl so, dass das Ašʿaritentum schneller zum Zuge kam. Denn während der Šarḥ zu Nasafīs ʿAqāʾid 1367 abgeschlossen wurde, entsteht knapp zwanzig Jahre später mit dem Šarḥ al-Maqāṣid ein rein ašʿaritisches Werk. Geht man davon aus, dass Taftāzānī die Beschäftigung mit der Vorlage und sein eigener Kommentar durchaus ein paar Jahre beschäftigt haben können, muss er schon bald nach dem Šarḥ al-ʿAqāʾid eine Wende vollzogen haben. Anzeichen dafür ließen sich ja in seinem insgesamt als māturīditisch zu bezeichnenden Kommentar zu Nasafī durchaus ausmachen.

73 Ansari, Zafar. Taftāzānī’s Views on Taklīf, Ǧabr and Qadar, 66. 74 Spannaus. Theology, 589.

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Jon Hoover

Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works Taʾsīs al-taqdīs, Maʿālim uṣūl al-dīn, and alArbaʿīn fī uṣūl al-dīn Introduction Fakhr al-Dīn al-Rāzī was arguably the most prominent and influential Muslim philosophical theologian of his time. He was born in Rayy in 543/1149 or 540/1150, and he died in Herat in 606/1210. Al-Rāzī enjoyed strong patronage, excelled in theological disputation, and travelled extensively in Persia, central Asia, and northern India.1 His writings were and still are highly influential. His books quickly became points of reference not only in the Persianate world but also in Syria, Egypt, and Yemen.2 Like al-Ghazālī, al-Rāzī did much to bring Avicennan falsafa and Ashʿarī kalām into dialogue, and three of al-Rāzī’s early works engaging the philosophical tradition became highly influential. First, his Sharḥ al-Ishārāt3 established Ibn Sīnā’s al-Ishārāt wa al-tanbīhāt as the central Islamic philosophical text in the seventh/thirteenth and eighth/fourteenth centuries, and it sparked a tradition of further commentary on Ibn Sīnā’s text by prominent figures such as the Ashʿarī theologian Sayf al-Dīn al-Āmidī (d. 631/1233) and the Shīʿī scholars Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī (d. 672/1274) and Ibn Muṭahhar al-Ḥillī (d. 726/1325).4 Second, al-Rāzī’s

1 Frank Griffel, “On Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s Life and the Patronage He Received,” Journal of Islamic Studies 18.3 (2007): 313–344; Ayman Shihadeh, The Teleological Ethics of Fakhr al-Dīn al-Rāzī (Leiden: Brill, 2006), 4–5. 2 Gregor Schwarb, “The 13th Century Copto-Arabic Reception of Fakhr al-Dīn al-Rāzī: Al-Rashīd Abū l-Khayr Ibn al-Ṭayyib’s Risālat al-Bayān al-Aẓhar fī l-Radd ʿalā Man Yaqūlu bi-l-Qaḍāʾ wa-lQadar,” Intellectual History of the Islamicate World 2 (2014): 143–169 (144–145). 3 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar al-Rāzī, Sharḥ al-Ishārāt wa al-tanbīhāt, ed. ʿAlī Riḍā Najafzādah, 2 vols. (Tehran: Amjuman-i ās ̲ār va mafākhir-i farhangī, 1384/2005–2006). 4 Robert Wisnovsky, “Towards a Genealogy of Avicennism,” Oriens 42.3–4 (2014): 323–363; Gerhard Endress, “Reading Avicenna in the Madrasa: Intellectual Genealogies and Chains of Transmission of Philosophy and the Sciences in the Islamic East,” in Arabic Theology, Arabic Philosophy: From the Many to the One. Essays in Celebration of Richard M. Frank, ed. James E. Montgomery (Leuven: Peeters, 2006), 371–422 (410–416). Al-Rāzī also wrote two other works on Ibn Sīnā’s al-Ishārāt: Lubāb al-Ishārāt, which is a precis of his Sharḥ, and an earlier work Jawābāt https://doi.org/10.1515/9783110588576-019

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eclectic kalām manual al-Muḥaṣṣal became one of his most widely read works. It also received a commentary from Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī,5 and it was discussed even among Christian scholars in thirteenth-century Egypt.6 The third highly influential early work was al-Mulakhkhaṣ fī al-ḥikma, which al-Rāzī wrote in Shawwāl 579/January 1184.7 Al-Rāzī’s al-Mulakhkhaṣ reframes the physics and metaphysics of Ibn Sīnā together with Ashʿarī kalām under a new analytical framework called “general things” (al-umūr al-ʿāmma). These general things embrace existence (wujūd), quiddity (māhiyya), unity, necessity, and eternity. Al-Rāzī then goes on in al-Mulakhkhaṣ to treat contingent existents under the two headings of accidents and substances, and he completes the treatise with a three-fold discussion of God’s essence, attributes, and acts. In research unfortunately not published Heidrun Eichner shows that al-Mulakhkhaṣ played a pivotal role in the intellectual world of Maghāgha and Tabrīz from about the late 660s/1260s into the eighth/ fourteenth century.8 A number of Shīʿī, Ashʿarī, and Māturīdī theologians adopted the structure of al-Mulakhkhaṣ as a template for their own theological works. These theologians were the Shīʿī Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī in his Tajrīd al-iʿtiqād, the Ashʿarīs al-Bayḍāwī in Tawāliʿ al-anwār, al-Ījī in Al-mawāqif, and al-Taftazānī in al-Maqāṣid, and the Māturīdī theologian Shams al-Dīn al-Samarqandī in his alṢaḥīfa al-ilāhiyya.9 Additionally, as Eichner explains, al-Rāzī’s al-Mulakhkhaṣ was an important conduit for the spread of the three-fold framework of God’s essence, attributes, and acts for discussing theology proper, a framework that originated with al-Ghazālī and gained wide currency in post-Rāzian theology.10

al-masāʾil al-bukhāriyya which is introduced and the extant parts edited in Ayman Shihadeh, “Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s Response to Sharaf al-Dīn al-Mas῾ūdī’s Critical Commentary on Avicenna’s Ishārāt,” Muslim World 104.1–2 (2014): 1–61. The commentary of al-Masʿūdī (d. before 600/1204) is edited and introduced by Ayman Shihadeh, Doubts on Avicenna: A Study and Edition of Sharaf al-Dīn al-Masʿūdī’s Commentary on the Ishārāt (Leiden: Brill, 2016). 5 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar al-Khaṭīb al-Rāzī, Muḥaṣṣal afkār al-mutaqaddimīn wa al-mutaʾakhkhirīn min al-ʿulamāʾ wa al-ḥukamāʾ wa al-mutakallimīn, and Naṣīr al-Dīn al-Ṭūṣī, Talkhīṣ al-muḥassal, ed. Ṭāhā ʿAbd al-Raʾūf Saʿd (Cairo: Maktabat al-kulliyyāt al-azhariyya, n.d.). 6 Schwarb, “The 13th Century Copto-Arabic Reception,” 146–148. 7 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, “Al-Mulakhkhaṣ fī al-ḥikma wa al-manṭiq,” Ms. Hunt 329, Bodleian Library, Oxford, and Ms. or. oct. 623, Berlin, Staatsbibliotek (http://digital.staatsbibliothek-berlin. de/dms/werkansicht/?PPN=PPN647186667; Griffel, “Patronage,” 323, provides the date. 8 Heidrun Eichner, “The Post-Avicennian Philosophical Tradition and Islamic Orthodoxy. Philosophical and Theological Summae in Context” (Habilitationsschrift, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, 2009), x, 345, 501; on the structure of al-Mulakhkhaṣ, see 36, 46–60. I am grateful to Heidrun Eichner for giving me access to her work. 9 Eichner, “Post-Avicennian Philosophical Tradition,” 34, 363–366, 373–402, 425–471, 499–503. 10 Eichner, “Post-Avicennian Philosophical Tradition,” 16, 60, 197–198.

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Many of al-Rāzī’s books from his later life are also well known and quoted by friend and foe alike. Among them are his monumental Qurʾān commentary al-Tafsīr al-kabīr,11 the large kalām texts al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn12 and al-Maṭālib al-ʿāliya,13 and a refutation of corporealism Taʾsīs al-taqdīs,14 which I will look at more closely below. Another late work of interest is al-Rāzī’s kalām compendium Maʿālim uṣūl al-dīn. This short book received a commentary from thirteenth-century Egyptian Ashʿarī Sharaf al-Dīn Ibn al-Tilimsānī (d. 658/1259–1260),15 and Ibn al-Tilimsānī’s commentary was then used in the fifteenth-century by Muḥammad ibn Yūsuf al-Sanūsī (d. 895/1490) in commentaries on his long and middle creeds.16 Al-Sanūsī’s works eventually took a central place in theological education in Egypt in the eighteenth and nineteenth centuries; they have dominated African Islam for hundreds of years; and their influence extends to South-East Asia as well.17 The impact of both al-Rāzī’s earlier and later works has been so profound that Ayman Shihadeh has suggested that he established the terms of discourse for subsequent theology in the Islamic tradition much as Ibn Sīnā had done for philosophy earlier. Shihadeh writes, “Al-Rāzī’s place in later Muslim theology is somewhat comparable to that of Ibn Sīnā’s in falsafa. For it appears that almost all later theology, that of proponents and opponents alike, was done visà-vis his philosophical theology.”18 It is apparent from most of al-Rāzī’s writings that he was enthusiastic and optimistic about the power of reason in theological matters. He believed that certain knowledge was the goal of theology and that it could be attained through rational proof.19 However, as the research of Shihadeh and others has shown, al-Rāzī’s

11 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Tafsīr al-kabīr, 3d ed. (Cairo: Muʾassasat al-maṭbūʿāt al-islāmī, n.d.) 12 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn, ed. Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā, 2 vols. in one (Cairo: Maktabat al-kulliyyāt al-azhariyya, 1986). 13 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Maṭālib al-ʿālīya min al-ʿilm al-ilāhī, ed. Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā, 9 vols. (Beirut: Dār al-kitāb al-ʿarabī, 1407/1987). 14 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar ibn al-Ḥusayn al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, ed. Anas Muḥammad ʿAdnān al-Sharafāwī and Aḥmad Muḥammad Khayr al-Khaṭīb (Damascus: Dār nūr al-ṣabāḥ, 2011). 15 Sharaf al-Dīn ʿAbd Allāh ibn Muḥammad al-Fihrī al-Miṣrī ibn al-Tilimsānī, Sharḥ Maʿālim uṣūl li-l-Imām Fakhr al-Dīn al-Rāzī, ed. Nizār ibn ʿAlī Ḥamādī (Amman: Dār al-fatḥ, 1431/2010). 16 Ḥamādī’s introduction to Ibn al-Tilimsānī, Sharḥ, 28. 17 Khaled El-Rouayheb, Islamic Intellectual History in the Seventeenth Century: Scholars Currents in the Ottoman Empire and the Maghreb (Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2015), 180, 188–189, 200. 18 Ayman Shihadeh, “From al-Ghazālī to al-Rāzī: 6th/12th Century Developments in Muslim Philosophical Theology,” Arabic Sciences and Philosophy 15 (2005): 141–179 (179). 19 Shihadeh, Teleological Ethics, 155, 182.

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epistemological optimism eventually gave way to increasing skepticism in the last few years of his life. For example, in his last major kalām work al-Maṭālib al-ʿaliya, al-Rāzī explains that both scripture and reason are inconclusive on the origin of the world. Neither the philosophers’ proofs for the eternity of the world nor the kalām proofs for the world’s origination in time are decisive. The only thing certain is that the world depends on God for its existence. This is a long way from al-Ghazālī’s condemnation of the eternity of the world as unbelief.20 In another example al-Rāzī in his Tafsīr commenting on “God has sealed the hearts [of the unbelievers] and their hearing” (Q. 2:6) concludes that scripture and reason are both contradictory on the human act. There is no way to resolve the contradiction between God’s sole creation of the human act on the one hand and human volition and responsibility before the law on the other. It is in fact tantamount to a contradiction between God who creates and the Prophet who legislates.21 Al-Rāzī expresses the most skepticism in his Risālat dhamm ladhdhāt al-dunyā, which Shihadeh has edited and exposited. Al-Rāzī wrote this short text in 604/1208, about two years before his death. Among other things, the Risāla notes that debates over many theological issues are inconclusive and that attaining certain knowledge is very difficult or impossible. Probable knowledge is the best that one can reach.22 In Shihadeh’s observation, this degree of skepticism is not extraordinary within the history of ideas broadly speaking, but it is radical within the context of kalām theology and Islamic philosophy which normally insist on definitive and certain knowledge (yaqīn, qaṭʿ) in theological matters, not just conjecture (ẓann).23 Shihadeh further links al-Rāzī’s late-life skepticism to his Sufi inclinations. Al-Rāzī’s loss of confidence in rational reflection paved the way for a Sufi epistemology of divine unveiling. This is apparent for example in the early part of al-Maṭālib al-ʿāliya where al-Rāzī notes the limitations of discursive knowledge and points to the way of spiritual discipline and purification of the heart to attain direct knowledge of God.24 Shihadeh connects this as well to al-Rāzī’s late-life

20 Shihadeh, Teleological Ethics, 194–195. See also the major study on this issue by Muammer İskenderoğlu, Fakhr al-Dīn al-Rāzī and Thomas Aquinas on the Question of the Eternity of the World (Leiden: Brill, 2002), 59–124. 21 Al-Rāzī, Tafsīr, 2:52–53. For discussions of this passage, see Jon Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy of Perpetual Optimism (Leiden: Brill, 2007), 143–144; Shihadeh, Teleological Ethics, 38–39; and Daniel Gimaret, Théories de l’acte humain en théologie musulmane (Paris: J. Vrin, 1980), 152–153. 22 Shihadeh, Teleological Ethics, 186–189. 23 Shihadeh, Teleological Ethics, 193–194, 198–199. 24 Shihadeh, Teleological Ethics, 199–200; Ayman Shihadeh, “The Mystic and the Sceptic in Fakhr al-Dīn al-Rāzī,” in Sufism and Theology, ed. Ayman Shihadeh (Edinburgh, UK: Edinburgh

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comments on the transformative purposes of prophecy and the Qurʾān. The way of the Qurʾān is to avoid theological controversy, present the basics of God’s incomparability with the world along with God’s power and wisdom, and prevent the commoners from delving too deeply into complexities beyond that. The Qurʾān more centrally seeks the practical and soteriological aim of perfecting humankind through promoting worship.25 Now if indeed al-Rāzī lost faith in reason to provide certainty, then what about revealed tradition? When reading recent scholarship, one might easily conclude that there is no question of increasing skepticism in later life here because al-Rāzī never had had faith in revelation to provide certain knowledge in the first place. Shihadeh observes the primacy of reason over revelation in al-Rāzī’s works, and he comments that al-Rāzī regards scriptural evidence to be “generally inconclusive (ẓannī)”26 Tariq Jaffer makes the same point in stronger terms. He claims that al-Rāzī “assigns the canonical sources—the Qurʾān and Sunna—an exceptionally low epistemic value.”27 Jaffer explains further that al-Rāzī degrades the epistemic value of recurrence or tawātur in ḥadīth reports and transfers this skepticism over into his interpretation of the Qurʾān. The evidence that Jaffer cites for al-Rāzī’s skepticism toward the proof value of revelation is his claim that verbal evidence, the evidence of texts, yields no more than conjecture, along with his critical attitude toward even the strongest of ḥadīth reports.28 While this evidence is important, it is not decisive. One of Jaffer’s main sources is al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs, and in the rest of this study, I will examine the argument of this work and then extend the discussion by looking at al-Rāzī’s Kitāb al-arbaʿīn, which also comes from about the same time or a few years later,29 and his last short summary of theology Maʿālim uṣūl al-dīn. This will show that al-Rāzī’s skepticism toward revelation and tradition-based proof is not quite as far-reaching as may first appear, at least not in the period just prior to his skeptical turn.

University Press, 2007), 101–122 (106–110, 113–118). For further exposition of the passage in alMaṭālib al-ʿaliya, see Muammer İskenderoğlu, “Fakhr al-Dīn al-Rāzī and Ibn ʿArabī on the Ways to Knowledge of God: Unveiling or Reflection and Reasoning?” in The Character of Christian-Muslim Encounter: Essays in Honour of David Thomas, ed. Douglas Pratt, et al. (Leiden: Brill, 2015), 111–125. 25 Shihadeh, Teleological Ethics, 142–153, 187–188, 200–203. Tariq Jaffer, Razi: Master of Quranic Interpretation and Theological Reasoning (New York: Oxford University Press, 2015), 39–53, presents al-Rāzī’s late-life view of the Qurʾān as less pessimistic toward reason. 26 Shihadeh, “The Mystic and the Sceptic,” 108. 27 Jaffer, Razi, 77. 28 Jaffer, Razi, 80–83. 29 Shihadeh, Teleological Ethics, 9 n. 30, suggests a date between 595/1199 and 600/1204.

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Al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs Al-Rāzī wrote Taʾsīs al-taqdīs in 596/1199–1200, about ten years before he died. The aim of the book is to prove the incorporeality of God and interpret the Qurʾān and the Ḥadīth in that light. His polemical target is the alleged corporealism of the Karrāmīs and Ḥanbalīs, and it appears that he wrote the book in direct response to troubles with Karrāmīs. In the year 595/1198–1199 al-Rāzī arrived at the court of Ghūrid ruler Ghiyāth al-Dīn in the city of Fīrūzkūh, about halfway between Herat and Kabul. There in Fīrūzkūh, al-Rāzī disputed with Ḥanafīs, Shāfiʿīs, and Karrāmīs, and he slandered a leading Karrāmī scholar. This led to an uproar, especially among the Karrāmīs, and Ghiyāth al-Dīn had to expel al-Rāzī from Fīrūzkūh to Herat to restore the peace.30 In the preface to Taʾsīs al-taqdīs, al-Rāzī says that he arrived in Herat in Muḥarram 596/October-November 1199 and that he wrote the book because he found the people of the city mulling over questions about God’s incomparability (tanzīh).31 His difficulties with the Karrāmīs in Fīrūzkūh were still most certainly on his mind. Al-Rāzī divides Taʾsīs al-taqdīs into four parts. The fourth and final part is very short and covers only a few miscellaneous items, one of which is the question whether someone who affirms that God is a spatially extended body is an unbeliever (kāfir). Al-Rāzī responds that the most obvious (aẓhar) position is that such a person is an unbeliever, but he also presents an argument for the opposite view, which is that the Messenger did not interrogate people specifically on this issue to test their belief.32 Part One of Taʾsīṣ al-taqdīs takes up over one-third of the book, and its purpose is to prove that God does not have a body, is not spatially extended, and does not lie in a direction.33 This first part divides into five sections, and the order of the sections is curious. Section One clears away Karrāmī and Ḥanbalī arguments to establish that it is possible—it is not something that reason can refute—for there to be an existent, namely God, that is incorporeal and non-spatial. Section Two then presents revelation-based proofs that God is free of corporeality, spatial extension, and direction. Sections Three and Four provide rational proofs for the same

30 Griffel, “Patronage,” 334–337. 31 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 43. Other editions, such as Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Asās al-taqdīs, ed. Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā (Cairo: Al-Maktaba al-azhariyya, 1406/1986), include a different preface making no mention of al-Rāzī’s arrival in Herat. I will be discussing these discrepancies in a separate study. 32 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 244. 33 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 45–114.

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view, and then Section Five refutes Karrāmī arguments that God must lie outside the world in a particular direction. The curiosity here is that al-Rāzī places proofs from revelation in Section Two before his positive proofs from reason in Sections Three and Four, even though he will later claim that reason is logically prior to revelation and revelation depends on reason for its verification. Al-Rāzī begins Section Two with Sūrat al-Ikhlāṣ, “He is God, One, God, the Sole Recourse. He does not beget, and He is not begotten. No one is a match for Him” (Q. 112:1–4). He asserts without rational grounding that this sūra is among the determinate or muḥkam texts of the Qurʾān rather than the indeterminate or mutashābih, and he explains how the sūra denies God’s corporeality, spatial extension, and direction.34 Al-Rāzī cites eighteen more texts of a similar nature from the Qurʾān and the Ḥadīth to support his argument.35 To a traditionalist giving priority to revelation, this procedure makes good sense, but for al-Rāzī it appears out of place because it posits revelation as an unsubstantiated authority. I will come back to this below. The upshot of Part One of Taʾsīs al-taqdīs is that God is not corporeal and spatial, and this sets the stage for Part Two, which takes up more than half of the book.36 Here al-Rāzī provides reinterpretations (sg. taʾwīl) of the plain meanings (sg. ẓāhir) of scripture that suggest corporeality and spatial extension. For example he reinterprets God’s face in “The face of your Lord full of majesty and honor will remain” (Q. 55:27) as God’s essence, God’s hand in “The hand of God is over their hands” (Q. 48:10) as God’s power, and God’s coming in “Are they waiting until God comes to them in the shadows of the clouds?” (Q. 2:210) as the coming of God’s signs.37 The penultimate section of Part Two takes a swipe at the Ḥashwiyya, a pejorative term for corporealist traditionalists, whom al-Rāzī accuses of invoking solitary (āḥād) reports to substantiate theological doctrine. Solitary reports are those transmitted by an insufficient number of separate sources to attain the level of multiplicity or recurrence (tawātur). Recurrent reports are those transmitted by so many different witnesses and transmitters as to preclude collusion to spread falsehood. Al-Rāzī explains that solitary reports are only conjectural (ẓannī) and may thus not be used to establish knowledge of God’s essence and attributes.38 Al-Rāzī says nothing here about the epistemic value of recurrent reports, and

34 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 59–65. 35 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 65–73. 36 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 115–217. 37 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 158, 168, and 141–142, respectively. 38 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 212–216.

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his silence on the matter suggests that he agrees with the mainstream view that recurrence yields certain knowledge. However, what follows jeopardizes such a conclusion. In the final section of Part Two of Taʾsīs al-taqdīs, al-Rāzī presents a comprehensive rule (al-qānūn al-kullī) of interpretation for dealing with those texts suggesting corporeality and spatial extension in God. The rule reads as follows: Know that if definitive reason-based proofs (al-dalāʾil al-qaṭʿiyya al-ʿaqliyya) establish something and then we find transmission-based proofs (adilla naqliyya)39 whose plain meaning imparts the opposite of that, the solution must be one of four alternatives. [1] We deem true what reason and transmission require. Then deeming two contradictories true follows necessarily. This is absurd (muḥāl). [2] Or we deem both false. Then denying [both of] two contradictories follows necessarily. This is absurd. [3] Or we deem transmission-based plain meanings true, and we deny reason-based plain meanings. This is false because we cannot know the correctness of the transmission-based plain meanings unless we know by reason-based proofs the establishment of the Maker, His attributes, the mode of proof for the miracle for the truthfulness of the Messenger, and the manifestation of miracles at the hand of Muḥammad—Peace be upon him. If we permitted impugning definitive reason-based proofs, the intellect would become suspect and what it says unacceptable. If that were so, what it says would no longer be accepted in these principles (uṣūl). If we do not establish these principles, transmission-based proofs no longer convey [meaning]. Thus, it is established that impugning the intellect to authenticate transmission leads to impugning reason and transmission together, which is indeed false. When the three divisions have been invalidated, nothing remains but [4] to decide definitively in favor of what definitive reason-based proofs require and to decide definitively that these transmission-based proofs are either said to be unsound or that they are sound, but that what is intended by them is not their plain meanings. Then, if we permit reinterpretation, we occupy ourselves willingly to mentioning these reinterpretations in detail. If they do not permit reinterpretation, we delegate knowledge of them to God—Exalted is He. This is the comprehensive rule applying to all indeterminate texts (mutashābihāt). By God is success.40

Al-Rāzī’s rule specifies that there are four options when reason-based proofs contradict the plain senses of tradition-based proofs. First, both could be affirmed as true, but affirming contradictories is absurd. Second, both could be affirmed as false, but that is likewise absurd. Third, the tradition-based proofs could be affirmed as true and the rational proofs rejected as false. Al-Rāzī says this is also

39 Emending the Arabic text from naqīla to naqliyya. 40 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 217; also translated in Nicholas Heer, “The Priority of Reason in the Interpretation of Scripture: Ibn Taymīyah and the mutakallimūn,” in Literary Heritage of Classical Islam: Arabic and Islamic Studies in Honor of James A. Bellamy, ed. Mustansir Mir (Princeton, NJ: Darwin, 1993), 181–195 (184–185). Al-Rāzī presents this rule elsewhere, as in Muḥaṣṣal, 158.

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false because reason must first be used to establish the existence and attributes of God and the truthfulness of the Messenger. To deny reason in favor of revelation would be to deny the rational foundation of religious knowledge, which would render tradition-based proofs entirely worthless as well. This leaves al-Rāzī with only the fourth option, which is to give priority to reason over revelation. Reason-based proofs take priority over the plain sense of tradition-based proofs when the two contradict. With this established, there are two further options. One is to permit and engage in reinterpretation of the plain senses. This is what al-Rāzī himself does in the whole second part of Taʾsīs al-taqdīs. The second option is to delegate the meanings of these texts to God (tafwīḍ). This is the view of those who do not permit reinterpretation. Al-Rāzī identifies this latter position as that of the early Muslims, the salaf, and he dedicates the short Part Three of Taʾsīs al-taqdīs to establishing their doctrine. As it turns out, this third part is no more than an elaboration of his comprehensive rule in different words. Al-Rāzī explains that revealed texts divide into two kinds, the determinate (muḥkam) and the indeterminate (mutashābih). The determinate or muḥkam further divide into the unambiguous (naṣṣ) and the plain (ẓāhir). Unambiguous or naṣṣ texts have only one possible meaning; so, they are muḥkam. If a text could have more than one meaning but the plain or ẓāhir sense is preponderate, that text is also muḥkam. Otherwise, the text is mutashābih or indeterminate. In order to tell whether the plain sense of a text is preponderant, al-Rāzī again gives reason the upper hand. He argues that a proof against a plain sense can never be tradition-based because verbal or tradition-based proofs are never definitive (qaṭʿī). They are only conjectural. Only reason can provide definitive knowledge. Once it has been established that reason opposes the plain sense of the text, the text must either be reinterpreted or its meaning delegated to God.41 Al-Rāzī explains briefly why verbal proofs are not definitive but merely conjectural in the following dense passage: Verbal proofs (al-dalāʾil al-lafẓiyya) are not definitive (qaṭʿiyya) because they depend on the transmission of languages (naql al-lughāt) and the transmission of the precepts of syntax (naḥw) and inflection (taṣrīf); on the absence of equivocity (ishtirāk), nonliteral usage (majāz), particularization (takhṣīṣ), and ellipsis (iḍmār); and on the absence of transmission-based and reason-based contradiction (muʿāriḍ). Each one of these premises is conjectural, and what depends on the conjectural is all the more conjectural. So, it has been established that something [derived] from verbal proofs cannot be definitive.42

41 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 225–228, 232. 42 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 227. See also Jaffer, Rāzī, 81–82, for a somewhat different translation of this passage and a similar listing in al-Rāzī’s Tafsīr. Similar listings are also found in

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In other words, al-Rāzī is arguing, verbal proofs are not definitive because it cannot be guaranteed, beyond the shadow of a doubt, that the linguistic features of a report have been transmitted faithfully and without ambiguity. The accurate transmission of a language itself, with its syntax and inflection, is no more than a matter of conjecture. Furthermore, it can be no more than a matter of conjecture that a report is completely free of elements that might destabilize its meaning, elements such as equivocity, nonliteral usage, ellipsis, a particularization of a more general sense, or a contradictory transmission-based or reason-based proof. Since all of these things are conjectural, the verbal proof itself is necessarily conjectural. By way of contrast, the later kalām theologian al-Taftazānī (d. 791/1389) acknowledges that these same factors may be conjectural and may render verbal proofs conjectural, but he is not as skeptical as al-Rāzī. He explains that some rules of syntax and inflection are known to be certain by recurrence and that a speaker’s intention can sometimes be known with certainty by virtue of contextual factors (qarāʾin). It is thus possible to know that it is obligatory to pray and give alms with certainty, and even matters of theological doctrine such as God’s unity and the resurrection may be known with certainty from reports of revelation such as “Know that there is no god but God” (Q. 47:19) and “Say! He who brought them forth the first time will give life to them [again]” (Q. 36:79). Al-Taftazānī explains further that matters of law like prayer and alms-giving are not subject to the possibility of a contradictory reason-based proof. Additionally, the absence of a reason-based proof contradicting reports on theological matters such as God’s unity and the resurrection becomes clear once one ascertains the language, the intent of the reporters, and their truthfulness.43 Al-Rāzī gives no hint in Taʾsīs al-taqdīs that the conjectural character of the linguistic factors in a report may be overcome to yield certainty, and he seems to be saying that no text is naṣṣ, that is, no text is entirely unambiguous with only one possible meaning. Every tradition-based proof involves a measure of uncertainty

al-Rāzī, Muḥaṣṣal, 51, and Maʿālim uṣūl al-dīn, 24 (discussed below). There are elaborations of these linguistic features in al-Rāzī’s early uṣūl al-fiqh work Al-Maḥṣūl fī uṣūl al-fiqh, ed. Ṭaḥa Jābir Fayyāḍ al-ʿAlwānī, 6 vols. (Beirut: Muʾassasat al-risāla, n.d.), 1:390–407, and his late kalām works Maṭālib, 9:113–118, and Arbaʿīn, 2:251–254 (translated below); I am grateful to Marwan Abu Ghazaleh Mahajneh for drawing these three passages to my attention. Heer, “Priority of Reason,” 181, 192–193 n. 6, mentions these criteria and provides references to them in other works of kalām theology. 43 Saʿd al-Dīn Masʿūd ibn ʿUmar al-Taftazānī, Sharḥ al-maqāṣid, ed. ʿAbd al-Raḥmān al-ʿUmayra, 5 vols. (Beirut: ʿĀlam al-kutub, 1419/1998), 1:282–285; I am grateful to Marwan Abu Ghazaleh Mahajneh for locating this reference; Heer, “Priority of Reason,” 192–193 n. 6, provides further exposition.

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as to its interpretation. Al-Rāzī would thus appear to cast everything reported from the Prophet into the realm of conjecture, and that is what led Tariq Jaffer to claim that, for al-Rāzī, tawātur or recurrence in reports cannot yield knowledge.

Al-Rāzī’s Maʿālim uṣūl al-dīn Al-Rāzī provides discussions of the conjectural character of verbal or tradition-based proofs in other works, and a similar list of factors that render such proofs conjectural is found in his Maʿālim fī uṣūl al-dīn.44 I mentioned above that the Egyptian Ashʿarī scholar Ibn al-Tilimsānī had written a commentary on this little book, and in it Ibn al-Tilimsānī takes al-Rāzī to task for his skepticism toward tradition-based proofs. He agrees that various factors come into play rendering reports conjectural, but he does not allow that they make a report conjectural in an absolute sense. This is because supporting contextual indicants could combine with the report to yield certainty. Otherwise, Ibn al-Tilimsānī explains, maintaining that all tradition-based proofs are conjectural discredits the entirety of the divine revelation (sharʿ).45 Indeed, it does appear that al-Rāzī is caught in something of a dilemma or even contradiction. For later in Maʿālim uṣūl al-dīn he affirms that the principles of the religion (uṣūl al-sharīʿa) have been transmitted from the Prophet by recurrent reports (tawātur) yielding knowledge (ʿilm).46 This includes the definitive report of the prophets that the resurrection will take place.47 So, if all revealed reports are conjectural, how can al-Rāzī claim certain knowledge of the resurrection? Here it appears that he has one standard for tradition-based proofs in God’s attributes—they are no better than conjectural—and another standard for reports on eschatology—they provide certain knowledge.

Al-Rāzī’s al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn Al-Rāzī appears to be vaguely aware of such difficulties in al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn, another late kalām work which, as noted above, probably dates to the time of

44 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 24. 45 Ibn al-Tilimsānī, Sharḥ, 94. 46 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 105. 47 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 118.

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Taʾsīs al-taqdīs or a few years later. Al-Rāzī outlines his basic rule of interpretation early in al-Arbaʿīn in the context of negating place and direction of God, but he does not develop it there beyond what we have already seen.48 Later in the book, he tackles the dilemma observed in Maʿālim uṣūl al-dīn directly. In the context of discussing the bodily nature of human existence beyond the resurrection, al-Rāzī outlines three stark positions on corporeality in God’s attributes and in the hereafter. The first position is that of the Ḥashwiyya. Second are the philosophers, and third are the kalām theologians. Using Avicenna terminology, al-Rāzī refers to God as the Origin (mabdaʾ) and to the hereafter as the Return (maʿād). He writes, The Ḥashwiyya adhere to the plain senses (ẓawāhir), and they claim that the truth is that the Origin is corporeal and the Return corporeal. The philosophers impose reinterpretations (taʾwīlāt) on the plain senses, and they claim that the Origin is free of corporeal states, and likewise the Return. As for the kalām theologians, they impose reinterpretations on the plain senses relating to the corporeality of the Origin, and they only guard against reinterpretations of the plains senses relating to the corporeality of the Return.49

The problem is apparent. The kalām theologians affirm corporeality in the hereafter but not in God. To philosophers like Ibn Sīnā, this is inconsistent and contradictory. Both God and the hereafter must be incorporeal. Traditionalist theologians like Ibn Taymiyya later on note the inconsistency as well, but from the other direction: neither reports about God’s attributes nor accounts of the hereafter may be reinterpreted.50 Al-Rāzī takes the side of the kalām theologians and affirms that the hereafter is corporeal on the authority of recurrent tradition (al-naql al-mutawātir) from the Prophet Muḥammad. He also adds in some rational proofs for the value of corporeal reward and punishment.51 Al-Rāzī’s appeal to recurrent tradition as the foundational proof for a corporeal hereafter appears specious in light of his arguments for the strictly conjectural nature of verbal or tradition-based proofs elsewhere. Or does he perhaps believe that recurrent reports yield only conjecture and that human knowledge of the hereafter is therefore only conjectural?

48 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 1:163–164. 49 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:62. 50 Ibn Sīnā’s and Ibn Taymiyya’s opposing views on the reinterpretation of reports about God’s attributes and the hereafter are on full display in Yahya J. Michot, “A Mamlūk Theologian’s Commentary on Avicenna’s Risāla Aḍḥawiyya: Being a Translation of a Part of the Darʾ al-taʿāruḍ of Ibn Taymiyya, with Introduction, Annotation, and Appendices,” Journal of Islamic Studies 14.2 (2003): 149–203 (Part I), and 14.3 (2003): 309–363 (Part II). 51 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:62–63.

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Later yet in al-Arbaʿīn, al-Rāzī discusses why verbal proofs cannot yield certainty much more extensively than he does in Taʾsīs al-taqdīs and Maʿālim uṣūl al-dīn.52 He first clarifies that a proof cannot be tradition-based in all of its premises because the Qurʾān and the Sunna depend on rational proof for the Messenger’s truthfulness. This qualification has appeared before in the statement of the comprehensive rule of interpretation in al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs. Revelation requires reason for its verification. In al-Arbaʿīn al-Rāzī then provides an analysis of ten factors that render tradition-based proofs conjectural. These are much the same as those mentioned in Taʾsīs al-taqdīs, but more fully discussed. However, al-Rāzī does not speak here in his own voice but rather presents the radically skeptical position as that of one group of “rational people.” The passage is quoted here in full: Rational people have differed over relying on tradition-based proofs. Do they yield certainty or not? One group says that they do not yield certainty at all, and that is because relying on tradition-based proofs depends on ten premises, each of which is conjectural, and whatever depends on the conjectural is all the more so conjectural. First premise. Relying on verbal proofs depends on knowledge of languages, and languages are transmitted by solitary (āḥād) reports, not by recurrence (tawātur). The reporters of languages are a specific group of men of letters like al-Khalīl,53 al-Aṣmaʿī,54 and others. There is no doubt that they were not protected from error, and reporting of this kind yields only conjecture. Second premise. Relying on tradition-based proofs depends on the soundness of the syntax (naḥw) because meanings differ according to the ending inflections (iʿrābāt). Syntax is divided into principles (uṣūl) established by report and derivations (furūʿ) established by analogies. The principles established by reports are transmitted by solitary reports, and solitary reports yield only conjecture. Also, the Baṣran and Kūfan [grammarians] call each other liars and attack each other, and there is no doubt that the derivations established by analogy are extremely weak. So, it is established that the proof value of everything is conjecture, not knowledge. Third premise. Relying on tradition-based proofs depends on the absence of equivocity (ishtirāk) in the verbal expressions (alfāẓ). Because of the equivocity that could obtain in the verbal expressions, God’s intention in this verse or that report may not be what we think or imagine it to be, but another meaning. In that case, designating this meaning depends on denying equivocity. Fourth premise. Relying on tradition-based proofs depends on the necessity of interpreting the verbal expression according to its literal sense (ḥaqīqa) and not its nonliteral sense

52 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:251–254. 53 Al-Khalīl ibn Aḥmad al-Farāhidī (d. after 160/776), teacher of the Arabic grammarian Sībawayh; see R. Sellheim, “Al-Khalīl b. Aḥmad,” Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., 4:962–964. 54 Abū Saʿīd ʿAbd al-Malik ibn Qurayb al-Asmaʿī (d. 213/828), an Arabic philologist; see B. Lewin, “al-Asmaʿī,” Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., 1:717–719.

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(majāz). Nonliteral senses are numerous, and interpreting the verbal expression according to one of them is no better than interpreting it according to the rest. And our statement, “The principle in speech is the literal sense,” is a conjectural premise. Fifth premise. Relying [on tradition-based proofs] depends on negating elision (ḥadhf) and ellipsis (iḍmār) because permitting them leads to changing negation to affirmation and affirmation to negation. God—Exalted is He—said, “I do not swear by the Day of Resurrection” (Q. 75:1); He said, “What prevented you from not prostrating when I commanded you?” (Q. 7:12); and He—Exalted is He—said, “Say, ‘Come! I will recite what your Lord has forbid you: not to associate anything with Me’” (Q. 6:151).55 They say that the negation in all of these verses is affirmation. He—Exalted is He—said, “God makes clear to you so that you [not] go astray” (Q. 4:176).56 They say that the affirmation here is negation. The absence of elision and ellipsis is a conjectural premise. Sixth premise. The negation of bringing forward (taqdīm) [sentence elements from their normal places] and placing [them] later (taʾkhīr) is taken into consideration in the proof value of tradition-based proofs. These occur often in the Qurʾān. This is also a conjectural premise. Seventh premise. Relying on the general senses (ʿumūmāt) [of texts] only yields what is sought if there is no particularizing factor (mukhaṣṣis). However, the absence of a particularizing factor is conjectural because it is remotely possible that we seek it but do not find it, and inferring the absence of [its] existence from not finding [it] is extremely weak. Eighth premise. The condition for relying on tradition-based proofs is the absence of an abrogating factor (nāsikh), and this is also conjectural, just as we made plain with regard to the absence of a particularizing factor. Ninth premise. The condition for relying on tradition-based proofs is the absence of a tradition-based contradictory (al-muʿāriḍ al-samʿī) because, on the supposition that one exists, resort must be made to matters of what is preponderant (tarjīḥāt). This yields only conjecture. However, knowledge of the absence of that tradition-based contradictory is also conjectural, not definitive. Tenth premise. Its condition is also the absence of a definitive, rational contradictory because, on the supposition that one exists, the plain, tradition-based sense must be diverted to a reinterpretation. The absence of this definitive contradictory is conjecture, not knowledge, because it is remotely possible that someone not know that contradictory, and the absence of knowledge does not yield knowledge of absence. Thus, it has been established that tradition-based proofs depend on these ten premises. All of them are conjectural, and that which depends on the conjectural is all the more conjectural. So, tradition-based proofs are conjectural.57

Such, according to al-Rāzī, is the position of one group of “rational people.” The second factor is particularly telling of the skepticism of this group. The meaning

55 The strikethroughs indicate negative particles that appear in the Arabic text of these Qurʾānic passages but are elided in interpretation. 56 The negation ‘not’ in brackets does not appear in the Arabic text of the Qurʾān; it is interpreted to have been omitted as an ellipsis. 57 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:251–253.

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of tradition-based reports is based on knowledge of their syntax. However, the established principles of syntax have only been transmitted at the level of an āḥād or solitary tradition, and āḥād traditions yield only conjecture, not certain knowledge. It is well known that Muslim jurists readily accept āḥād traditions to establish points of jurisprudence (fiqh), and the claim that āḥād reports yield only conjecture (ẓann) is uncontroversial. However, kalām theologians and philosophers typically insist on certain knowledge in theological matters, and al-Rāzī’s own rejection of solitary traditions to establish God’s attributes in Taʾsīs al-taqdīs was noted earlier. The passage from al-Arbaʿīn above comes to the end of its list of ten factors rendering verbal proofs conjectural and then clarifies that whatever is based on conjecture is itself conjecture. Thus, tradition-based proofs are all conjectural. However, this is not al-Rāzī’s own position in this text in al-Arbaʿīn. He immediately follows with clarification that it would be wrong to conclude that nothing certain can be known from tradition. He writes, Know that it is not correct to take this discussion as absolute because things known to exist by recurrent reports may conjoin with tradition-based proofs. Those things negate these [conjectural factors discussed above]. In this case, revelation-based proofs accompanied by contextual factors established by recurrent reports yield certainty.58

Here al-Rāzī says that revelation-based reports can yield certainty after all, so long as they are supported by corroborating evidence. This is precisely the point that Ibn al-Tilimsānī made in response to al-Rāzī’s discussion of traditional-based proofs in Maʿālim uṣūl al-dīn. It is just that al-Rāzī does not usually make the point himself, especially when he believes that rational proofs contradict tradition-based proofs—as in the case of God’s attributes. A contradictory rational proof nullifies any possibility that recurrent reports could conjoin with tradition-based proofs to yield certain knowledge. Reason always trumps revelation in case of conflict, but, apart from conflict, in al-Arbaʿīn at least, revelation can still provide certain knowledge on some matters.

Conclusion This study has examined the proof value of revelation in three works written just prior to al-Rāzī’s late life turn toward skepticism. The upshot is that al-Rāzī does not relegate tradition-based proofs to the domain of conjecture completely, con-

58 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:254.

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trary to what his Taʾsīs al-taqdīs might lead one to believe. In Maʿālim uṣūl al-dīn and al-Arbaʿīn, he does clearly affirm certain knowledge of something, namely, the resurrection and a bodily hereafter, on the authority of recurrent tradition from the Prophet. It remains to investigate how al-Rāzī’s turn toward skepticism then affects his view of the Qurʾān and the Sunna. Does he take the way of the philosophers and view revelation and prophecy as purely functional and pragmatic instruments for rousing the common folk to worship and spiritual perfection? Or does revelation still offer certain knowledge on at least some matters? Returning finally to the puzzle in Part One of Taʾsīs al-taqdīs, which is why al-Rāzī presents traditional proofs for God’s incorporeality in Section Two before discussing rational proofs in Sections Three and Four. It would seem to have made more sense to place the rational proofs before the tradition-based proofs since the latter are ultimately dependent on the former for their veracity. It may be that al-Rāzī considers texts like Sūrat al-Ikhlāṣ (Q. 112:1–4) to be that particular kind of revelation-based proof that combines with sufficient recurrent reports to yield certain knowledge. That would yield certain knowledge that God is free of body, space, and direction, and, according to al-Rāzī, reason does not contradict that conviction, but corroborates it. That aside, it remains the fact that for al-Rāzī revelation requires reason to verify its truthfulness. From this angle, the textual proofs in Section Two of Part One in Taʾsīs al-taqdīs are presented without the rational grounding that they require, at least not within the logical structure of the treatise. Perhaps al-Rāzī thinks that this rational grounding is simply obvious. Or maybe he is just being strategic with his rhetoric and places his textual proofs first to make a stronger impression on his traditionalist-minded Karrāmī and Ḥanbalī opponents.

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Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 

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 Jon Hoover

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Mahmoud Abdallah

Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam Ḥisba bei al-Māwardī zwischen Theologie und Rationalität Die Debatte um Rationalität und Text ist älter als der Islam selbst. Im Islam jedoch bildeten sich im Zuge dieser Debatte zwei Denkschulen heraus: ahl ar-raʾy wa-ahl al-khabar, oder, zu Deutsch: Muʿtazila und Ashʿariyya. Diese beiden Denkschulen standen zunehmend in Konkurrenz zueinander und entwickelten ihre jeweils eigenen, sich teils diametral entgegenstehenden Methoden. Dem Konsens der führenden zeitgenössischen Gelehrten nach, wandelten sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts das islamische Denken und das islamische Schrifttum von einer konzeptuellen, definierenden und belehrenden Denkweise, die mit sich selbst beschäftigt ist, zu einem synthetischen, pluralistischen und zeitgemäßen islamischen Denken, das sich auf eine neue Art und Weise mit geschichtlichen Ereignissen auseinandersetzt. Ein grundlegender Wesenszug soll dabei das Überwinden eines negativ konnotierten Begriffsverständnisses der islamischen Überlieferung sein, was durch eine dynamisch-existentielle Vermittlung in der Sprache erreicht werden soll. Diesen zuletzt genannten Gedanken aufgreifend, empfiehlt es sich nach einem konkreten Beispiel zu suchen, wobei die These aufgestellt werden soll, dass die o.  g. Annahme, erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts habe ein Umdenken in der islamischen Theologie stattgefunden, eine trügerische ist und vielmehr bereits in der Frühzeit ein praxisnaher und offener Zugang zur islamischen Überlieferung verwirklicht wurde. Die ḥisba stellt in diesem Zusammenhang ein Musterbeispiel dafür dar, wie islamische Gelehrte durch eine dynamisch-existentielle Vermittlung in der Sprache der Menschen und durch einen praxisnahen Zugang zum Text Rationalität und Tradition miteinander in Einklang bringen konnten. Anhand von ḥisba beweist al-Māwardī, dass die Vorbildfunktion des Propheten Muḥammad und seiner Gefährten keinen Widerspruch zur Rationalität darstellt, wobei die Orthopraxie der Muslime im Vordergrund stand.1 Ḥisba vereint somit als eine Form der „Überwachung der öffentlichen Ordnung“

1 Aṭ-Ṭabarī berichtet, dass die erste Ernennung eines Beamten zum muḥtasib – allerdings zur Verfolgung von Häretikern  – während der Herrschaft des abbasidischen Kalifen al-Mahdī im Jahre 163 n. H. erfolgte; vgl. aṭ-Ṭabarī. Tārīḫ al-umam wa al-mulūk, Bd. 8 1937: 148. https://doi.org/10.1515/9783110588576-020

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 Mahmoud Abdallah

sowohl die Religion und die örtlichen Moralwerte ʿurf2 als auch die politischen Interessen. Dieser Beitrag setzt sich zum Ziel, die ḥisba bei al-Māwardī zu erörtern, seine Methode zu analysieren und den Bezug zum heutigen Kontext herauszufinden. Um einen Einblick in die „rationale Lesart der Theologie“ von al-Māwardī, in den etwaigen Umfang und die Komplexität der Aufgabe eines muḥtasib zu bekommen, erfolgt im ersten Teil dieser Arbeit die Übersetzung von al-Māwardīs Kapitel bezüglich der ḥisba aus dem Arabischen ins Deutsche. Zudem wird der Aufbau des betreffenden Textes und der darin enthaltenen Themen skizziert sowie ein übersichtlicher Kommentar zur Thematik, Methodik und Begründung gegeben. Das genannte Kapitel ist ein zusammenhängendes Exzerpt aus dem Kitāb al-Aḥkām as-sulṭāniyya. Im zweiten Teil erfolgt eine kurze, aber notwendige Vorstellung/ Beschreibung des fundierten und kritischen Umgangs al-Māwardīs mit dem von ihm behandelten theologischen Material, welcher fortwährend die hohen Anforderungen an die Authentizität der theologischen Texte und ihrer Überlieferer unterstreicht. Nicht weniger wichtig ist die Suche nach einem Ausblick, der einerseits den Ruf nach einer dynamischen Anwendung von Rationalität und Theologie in der Gegenwart und Zukunft würdigt, andererseits einen Vorschlag machen will, wie in der „Moderne“ der Wettstreit um öffentliche Ordnung zwischen Staat, Religion und Gesellschaft in konkrete Praxis umgesetzt werden kann. Dieser Beitrag besteht aus fünf Hauptteilen: Einblick in das Werk al-Aḥkām as-sulṭāniyya (Teil I), Einführung in den Aufbau des Textes und der Übersetzung (Teil II), die Übersetzung des Originals ins Deutsche (Teil III mit mehreren Unterkapiteln), theologische Auseinandersetzung mit der ḥisba (Teil IV) und abschießend die Auseinandersetzung mit dem Konzept al-Māwardīs zwischen Theologie und Rationalität (Teil V).

1 Die Aḥkām as-Sulṭāniyya des al-Māwardī Die Aḥkām as-sulṭāniyya sind das wohl bekannteste Werk des Rechtsgelehrten Abū l-Ḥasan al-Māwardī3, geboren 364/974 in Basra, verstorben 450/1058 in Bagdad.4

2 Siehe ausführlich hierzu Gideon Libson und F.H. Stewart, „ʿUrf“, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, hg. v. Peri Bearman u.  a., URL: http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_ COM_1298 (letzter Zugriff: 22.05.2017). 3 Im Lateinischen auch bekannt als Alboacen. 4 Diese Schrift ist auch bekannt unter dem umfassenden Titel al-Aḥkām as-sulṭāniyya wa alwilāyāt ad-dīniyya. Ich berufe mich in diesem Beitrag auf die relevante neuzeitliche Druckaus-

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Seine Ausbildung und spätere Karriere als Richter und Diplomat verbrachte al-Māwardī unter der turbulenten Herrschaft des Kalifats der Abbasiden.5 So wird angenommen, dass al-Aḥkām as-sulṭāniyya von al-Māwardī verfasst wurde „in an attempt to assert the authority of the Abbasid caliphs against the Buwayhid emirs who were in effective control of their state.”6 Demnach bieten die Aḥkām des al-Māwardī eine theoretische Grundlage für die Abgrenzung der Einflussmöglichkeiten zwischen dem Kalif und dem Emir. Wesentlich ist hierbei die Unterteilung der politischen Autorität in religiöse Angelegenheiten und öffentliche Verwaltung. Erstere obliege dem Kalifen, während letztere unter der praktischen Kontrolle des Emirs stehe.7 Die hervorgerufene Resonanz von al-Aḥkām as-sulṭāniyya lässt den Anspruch erheben, dass dieses Werk “das erste politische Schrifttum eines muslimischen Gelehrten [wäre], in dem mit solch einer Präzision und in solch einem Umfang eine Regierungsform […] verfasst wurde.“8 Beide Anhaltspunkte widersprechen einer bestimmten Konstatierung nicht, nämlich der Einbindung der Religionsgelehrten (ʿulamāʾ) als Stütze des „institutional prestige“9 des Kalifats. Diese Rolle schlägt sich in der wesentlichen Vorstellung vom Kalifen als dem Garanten für ein gottgefälliges Dasein der Gläubigen und die allgemeine und konstante Durchsetzung der sharīʿa nieder.10 So sind die Aḥkām as-sulṭāniyya eine Erscheinung der intellektuellen Auseinandersetzung mit elementarer religiöser Autorität und der (temporalen) legitimen Herrschaft innerhalb der (sunnitischen) muslimischen Gemeinschaft.11 Wesentlich ist hier

gabe, die unter dem genannten Titel 2013 in Beirut erschien. Eine leserfreundliche deutsche Übersetzung des Originaltitels könnte beispielsweise lauten: „Befunde der Herrschaft und Bestimmungen der Religion“. Vgl. dazu die Übersetzung dieses Titels als: „Bestimmungen der Machtausübung und der in der göttlichen Ordnung verankerten Ämter“ bei Tilman Nagel. „Das Kalifat der Abbasiden.“ In Geschichte der arabischen Welt, hg. v. Ulrich Haarmann. München: C.H. Beck, ²1991, 154. 5 Bekir Alboğa. Lehranalytische Betrachtung bei Abū’l-Ḥasan al-Māwardī (974–1058). Oberster Richter des 4./10. Jahrhunderts im islamischen Kalifat der Abbasiden. Sein Leben und seine Gedankenwelt. Köln: Divan Verlag, 2014, 70–71. 6 Erwin I.J. Rosenthal. Political Thought in Medieval Islam. An Introductory Outline. Cambridge: University Press, 1962, 27. 7 Rosenthal, 1962, 28. 8 Alboğa, 2014, 104. 9 Eric J. Hanne. Putting the Caliph in His Place. Power, Authority, and the Late Abbasid Caliphate. Madison (USA): FDU Press, 2007, 22. 10 „Al-ʾimāmatu mauḍūʿa li-khilāfat an-nubuwwa fī ḥirāsat ad-dīn wa-siyāsat ad-dunyā”, lautet der erste Satz in den Ahkām, vgl. al-Māwardī. al-Aḥkām as-sulṭāniyya wa al-wilāyāt ad-dīniyya. Beirut: al-Maktaba al-ʿaṣriyya, 2013, 13. 11 Al-Māwardī 2013, 22–23.

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jedoch, dass al-Māwardīs Aḥkām nicht einzig einen „important link between the caliph and the populace“12 bilden, sondern über das theoretische Gebilde hinausgehen und konkrete Handlungen innerhalb einer Verschiedenes miteinander verbindenden Gesellschaft ansprechen und reglementieren. Das in diesem Beitrag behandelte Unterkapitel der Aḥkām as-sulṭāniyya ist ein gutes Beispiel dafür. Es handelt sich um die Aḥkām al-ḥisba, die als letztes Kapitel in al-Māwardīs Schrift den Grundsatz der Verantwortlichkeit und Rechenschaft behandelt und greifbar die öffentliche Ordnung betrifft.

2 Übersetzung und Aufbau des Textes Die Aḥkām al-ḥisba, wie bereits in der Einleitung erwähnt, bilden das letzte Kapitel von insgesamt zwanzig Absätzen in al-Māwardīs al-Aḥkām al-sulṭāniyya. Im Laufe dieses Kapitels wird u.  a. die Definition von ḥisba zu der festen Regel respektive dem Auftrag, Gutes zu gebieten und Übel zu verbieten. Der Text setzt sich zu Beginn mit dem Aufgabenbereich eines muḥtasibs auseinander. In diesem Zusammenhang unterscheidet der Text ausführlich zwischen dem berufenen muḥtasib und einem Freiwilligen, der sich dieser Aufgabe annimmt. Zudem beschreibt al-Māwardī die Positionierung des Aufgabenbereiches von ḥisba zwischen dem der Rechtsprechung einerseits und dem der qaḍāʾ al-maẓālim andererseits. Des Weiteren befasst sich al-Māwardī in den ersten Abschnitten des Kapitels über ḥisba ausführlich mit einer detaillierten Klassifizierung selbiger in solche Zuständigkeitsbereiche, die die Rechte Gottes betreffen sowie solche, die die Rechte des Individuums und die gemeinsamen Rechte betreffen. Die Erörterungen gehen selbst auf Einzelheiten des zwischenmenschlichen Verhaltens und der Ritualpraxis der Gläubigen und der Gemeinde ein, die mit Traditionen des Propheten, Musterbeispielen der rechtschaffenen Kalifen und Urteilen der Rechtsschulen belegt werden. Diese Form der Beweisführung und Argumentation wird auch in den darauffolgenden Abschnitten fortgeführt. In seiner Darstellung geht al-Māwardī von drei grundlegenden Aspekten des Rechts aus: das Recht Gottes, das Recht des Individuums, das (Gott und den Menschen) gemeinsame Recht. Zu Zwecken der Nachvollziehbarkeit werden die Grenzen der Befugnisse des muḥtasibs anhand konkreter Fälle (wie beispielsweise die Notwendigkeit eines Gebäudeabrisses, der Ausfall der städtischen Wasserversorgung, die Versorgung bedürftiger Reisender, die Verleugnung der

12 Al-Māwardī 2013, 23.

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Vaterschaft oder der Sorgerechtsstreit) klar abgesteckt. Es wird beschrieben, wie der muḥtasib in bestimmten Situationen zu reagieren hat. Dem muḥtasib obliegen unterschiedliche Aufgabenbereiche, die er je nach Berechtigung übernehmen kann. Bei den allgemeinen Rechten wird klar aufgezeigt, wie sich der muḥtasib zu verhalten hat, wenn beispielsweise Geld in der Staatskasse ist bzw. wenn keines vorhanden ist. Geht es um individuelle Rechte, steht hingegen die Aufgabe des muḥtasibs als Ordnender hinsichtlich der Rechte im zwischenmenschlichen Bereich im Vordergrund. Der Text beschreibt im Vergleich zu den anderen Aufgabenbereichen des muhtasibs seine administrativen Aufgaben noch detaillierter. Aufgrund seiner Prägnanz und Tiefe bereitete der Text viele Übersetzungsschwierigkeiten. Neben den üblichen Schwierigkeiten der Übersetzung von religiösen Texten stellte der Text mich vor die Herausforderung, die Distanz zwischen der Zeit des Verfassers und der heutigen zu berücksichtigen. Der Text ist etwa 1000  Jahre alt. Um ihn in die heutige Sprache zu übersetzen, ohne ihn seiner Originalität, seiner Essenz zu berauben, musste ich die Schlüsselwörter im Original neben der Übersetzung in Klammern einfügen. An mehreren Stellen war der Originaltext mehrdeutig bis missverständlich, z.  B. auf den Seiten 271 und 277. An anderen Stellen setzt das Original ein solides Fachwissen voraus, wenn beispielsweise von den Rechten des Findelkindes (S. 267) die Rede ist. Um solche Stellen sinngemäß ins Deutsche übertragen zu können, habe ich vier unterschiedliche Textausgaben miteinander verglichen.13 Eine weitere Schwierigkeit bei der Übersetzung stellte die Ambiguität zahlreicher Stellen und Begriffe, welche nur auf mühsame Art eindeutig zu interpretieren waren, dar. Beispielsweise wären hier die Begriffe addaba und zajara zu nennen. Al-Māwardī beschreibt die Reaktion des muḥtasibs in seinem Text fortlaufend mit den Wörtern “addaba” (wörtl. erziehen) oder „zajara“ (wörtl. zurechtweisen/strafen). Diese Reaktion des muḥtasibs variiert in der Realität jedoch zwischen wörtlicher Zurückweisung, Kritik, öffentlichem Anprangern, Strafandrohung oder Verhängen einer Strafe usw. Die deutsche Entsprechung „erziehen“ ist weder passend noch so aussagekräftig wie ihr Pendant im Original. In diesem Fall musste ich mich bei der Übersetzung nach dem jeweiligen Textabschnitt für eine Variante entscheiden. Orientiert an der Skopostheorie von Reiß und Vermeer, habe ich mich bemüht, den Text mit zeitgenössischen Begriffen zu übersetzen, nicht zuletzt, um dem heutigen Leser das

13 Für die Übersetzung lagen vier Ausgaben des arabischen Originals der Aḥkām zum Vergleich vor: Samir Musṭafa. Beirut: al-Maktaba al-ʿaṣriyya, 2013; Maximilian Engerli. Bonn: apud Adolphum Marcum, 1853; Sayyid Aḥmad al-Fiqī. Aleppo: al-Bāb al-ḥalabī, 1937 und Aḥmad Mubārak al-Baghdādī. Kuwait: Dār Ibn Qutayba, 1989.

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Verständnis zu erleichtern.14 Aus demselben Grund habe ich das Gedicht im Original nicht ins Deutsche übertragen. Das Gedicht trägt nichts Konstruktives zu dem behandelten Thema bei und gibt auch keine Auskunft über den Kontext, sodass dessen Auslassen den Verständnisprozess nicht beeinflusst. Ausgenommen sind die Stellen, an denen das Gedicht für den weiteren Verlauf des Textes wichtig ist, wie z.  B. auf Seite 271. Zugunsten der Lesbarkeit und der Übersichtlichkeit ist die Übersetzung in nummerierte Abschnitte eingeteilt. Die Einteilung in (nummerierte) Abschnitte findet im Original nicht statt. Dabei habe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten versucht, die Sätze kürzer zu halten als im Original, damit der Zieltext verständlicher wird, solange dies den Sinn/die Aussage des Satzes nicht beeinflusst. Dementsprechend steht im Deutschen oft ein Punkt, wo im Original ein Komma gesetzt ist. Dies war aber nicht immer möglich. Mehrmals hätte die Vereinfachung einiger verschachtelter Sätze zu einem Sinnverlust geführt. Dies erklärt, warum einige Textstellen in der Übersetzung lang bzw. komplex sind. Die Anmerkungen des Übersetzers und Verfassers des Artikels stehen in eckigen Klammern. Dies gilt ebenso für die Angaben der zitierten Hadithe. Al-Māwardī zitiert in diesem Kapitel einige Hdithe. Der Editor des arabischen Originals fügte hinzu, in welcher Hadithsammlung der jeweilige Hadith vorkommt, ohne weitere Angaben zur entsprechenden Sammlung. Der Verfasser dieses Beitrags hat die Hadithe, die im Original vorkommen, überprüft und die Angaben dazu ergänzt. In der Fußnote werden die Angaben einer der erwähnten Hadithsammlungen, in der der Hadith vorkommt, in eckigen Klammern angegeben. Der jeweilige Vorsatz ‚Kapitel:‘ wurde aus dem Original übernommen bzw. bei­ behalten.

3 Übertragung des Originals ins Deutsche 3.1 Von der Bestimmungen der ḥisba Ḥisba: Diese ist das Gute zu gebieten, wenn dessen Unterlassen deutlich wird, und das Verwerfliche zu verbieten, wenn dieses offensichtlich begangen wird („Hiya amrun bil maʿrūfi iḏā ẓahara tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira

14 Katharina Reiß und Hans J. Vermeer. Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen: Niemeyer, 1991.

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fiʿluhu“).15 Allah der Erhabene sagt: „Und es soll aus euch eine Gemeinschaft werden, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet“ (3/104). Auch wenn das jedem Muslim möglich wäre, gibt es doch neun Unterschiede zwischen einem Freiwilligen [mutaṭawwuʿ]16 und einem ḥisba-Beauftragten [muḥtasib = „Quästor“/offizieller Amtsträger]17 1. Es ist für den muḥtasib eine persönliche Pflicht hinsichtlich des Auftrages; diese Pflicht gehört bei den anderen zu den kollektiven Pflichten. 2. Die Ausführung von ḥisba gehört zu den Aufgaben des muḥtasibs, welche er nicht zugunsten anderer Aufgaben vernachlässigen darf. Für den Freiwilligen gilt das Ausüben von ḥisba als eine freiwillige Handlung, die er zugunsten anderer Tätigkeiten vernachlässigen darf. 3. Er [der muḥtasib] ist [dazu] berufen, damit man sich bei den verwerflichen Dingen an ihn wenden kann; der Freiwillige ist dafür nicht zuständig. 4. Es obliegt dem muḥtasib, auf das Begehr/die Anzeige zu reagieren; der Freiwillige muss nicht auf diese reagieren. 5. Es obliegt ihm [dem muḥtasib], nach den offensichtlichen Verwerflichkeiten zu suchen, damit er diese verbieten kann, und er soll auch das Unterlassen des offensichtlich Guten überprüfen, damit er dessen Umsetzung gebieten kann. Der Freiwillige [hingegen] ist weder zum Suchen noch zum Überprüfen verpflichtet. 6. Es steht ihm [dem muḥtasib] beim Gebieten der Unterlassung zu, Unterstützer zu haben/sich nehmen, weil er für diese Arbeit berufen und zuständig ist. Somit kann er die Arbeit besser und effektiver durchführen. Dem Freiwilligen steht es nicht zu, an Unterstützer zu delegieren. 7. Es steht ihm zu, bei offensichtlichen Verwerflichkeiten Strafen (taʿzīr) anzuordnen, ohne die Grenzen der vorgeschriebenen Strafen ḥudūd zu überschreiten/zu erreichen. Dem Freiwilligen steht es nicht zu, für das Verwerfliche eine Strafe anzuordnen. 8. Es steht ihm zu, für seine Arbeit Unterhalt aus der Schatzkammer bayt al-māl zu erhalten; dem Freiwilligen steht es nicht zu, für die Denunzierung des Verwerflichen Vergütung zu bekommen.

15 Buchstäblich übersetzt zu verstehen als: „‫ حسبة‬ḥisba Rechnung, Berechnung, Rechenaufgabe“ (in Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, hg. v. Hans Wehr, Leipzig: Otto Harrasowitz, 1952, 254. Ausführlich zur Definition der ḥisba: Muḥammad Kamal ad-Dīn Imām, Uṣūl al-ḥisba fī al-Islām, dirāsa ta ʾṣīliyya muqārana, Alexandria: Dār al-hidāya, 1986, 13–15. 16 „‫ متطوع‬mutaṭawwiʿ pl. –ūn, Freiwilliger, Kriegsfreiwilliger; Volontär“, vgl. Wehr 1952, 791. 17 „‫ محتسب‬muḥtasib „Quästor“, vgl. Wehr 1952, 256; Mit dem lateinischen Begriff Quaestor bezeichnete man im antiken Rom Untersuchungsrichter oder hohe Finanzbeamte.

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9. Es steht ihm zu, ijtihād [eigenständige Bemühung um Normens-/Urteilsfindung18] in Angelegenheiten des ʿurf (lokalen Brauches) zu betreiben. In Angelegenheiten, welche theologische Themen (šarʿ) betreffen, ist dies nicht gestattet. Ersteres wäre das Sitzen auf den Märkten und das Ausstellen der Ware vor dem Laden. Sich auf seinen ijtihād stützend bestätigt er diese Verhaltensweisen oder lehnt sie ab. Einem Freiwilligen steht das nicht zu. So liegt in diesen neun Gesichtspunkten der Unterschied zwischen der zuständigen Person für ḥisba, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten, und dem Freiwilligen, dem es erlaubt ist, dass er das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet. Wenn das der Fall ist, dann gehören zu den Voraussetzungen für die zuständige Person für ḥisba, dass sie frei und gerecht ist, eine eigene Meinung und Durchsetzungskraft besitzt, streng in der Religion ist und über die offensichtlichen Verwerflichkeiten Bescheid weiß. Die Gelehrten der schafiitischen Rechtsschule sind sich uneinig, ob es dem muḥtasib gestattet ist, den Menschen in Angelegenheiten, zu denen die Rechtsgelehrten verschiedene Positionen vertreten, seine eigene Meinung und seinen eigenen ijtihād aufzuzwingen. Dafür gibt es zwei Positionen: 1. Die erste Position geht auf Abū Saʿīd al-Iṣṭakhrī zurück. Ihm zufolge ist es dem muḥtasib gestattet, den Menschen seine eigene Meinung und seinen eigenen ijtihād aufzuzwingen. Dementsprechend soll der muḥtasib einer der Gelehrten sein, die ijihād in den Angelegenheiten der Religion betreiben können, sodass er zu einer Entscheidung/zu einem Urteil bezüglich des Sachverhalts kommen kann, über den gestritten wird. 2. Es steht ihm nicht zu, den Menschen seine eigene Meinung und seinen eigenen ijtihād oder ihnen seine Rechtsschule [maḏhab] aufzuzwingen. Denn jeder kann ijtihād betreiben in Bezug auf Dinge, die umstritten sind. Demzufolge ist es erlaubt, dass der muḥtasib nicht zu den Leuten des ijtihād gehört, solange er [der muḥtasib] sich mit dem Verwerflichen auskennt, worüber eine Übereinstimmung unter den Gelehrten herrscht.

18 Bei ijtihād in religiösen Angelegenheiten ist vorausgesetzt, dass die ausübende Person die Befähigung zum mujtahid (= ein zum iğtihād Bevollmächtigter) besitzt und sich in unklaren Rechtsfällen und in Ermangelung vergleichbarer Fälle mit Hilfe der Methode des Analogieschlusses, qiyās, um ein eigenständiges Urteil bemühen kann; vgl. hierzu Joseph Schacht und Duncan B. MacDonald. „Id̲jtihād“ ̲ In Encyclopaedia of Islam, Second Edition, hg. v. Peri Bearman u.  a., URL: http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_COM_0351 (letzter Zugriff: 22.05.2017).

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3.2 ḥisba und Urteile Wisse, dass ḥisba die Mitte zwischen den Normen des gerichtlichen Urteilens [aḥkām al-qaḍāʾ] und den aḥkām al-maẓālim ist.19 Aber was sie [ḥisba] und alqadāʾ verbindet, ist die Ähnlichkeit mit den aḥkām al-qadāʾ in zwei Aspekten. Aber in zwei weiteren Aspekten hat sie weniger Geltungsanspruch als die aḥkām al-qadāʾ und in zwei weiteren Aspekten ist ihr Geltungsanspruch größer als der der aḥkām al-qadāʾ. Was die beiden Gesichtspunkte in ihrer Ähnlichkeit zu den aḥkām al-qadāʾ betrifft, so besteht die Erlaubnis, sich an ihn [muḥtasib] zu wenden. Dieser ist zum Anhören der die Rechte des Menschen betreffenden Beschwerde verpflichtet, nämlich die Rechte des Klägers gegenüber dem Beklagten. Dies gilt nicht allgemein für jede Klage; es gilt speziell für drei Arten der Klage. i. Die Sachen betreffend, in denen es um Benachteiligung oder Knauserei beim Maß und Gewicht geht. ii. Was Betrug und Täuschung bezüglich des zu verkaufenden Objektes oder des vereinbarten Preises betrifft. iii. Was die Aufschiebung und/oder Verspätung der rechtmäßig fälligen Schulden trotz der Möglichkeit [der Bezahlung] betrifft. Er darf diese drei Arten von Beschwerden anhören – abgesehen von allen anderen Anklagen  – weil es bei ihnen um eine offensichtliche Verwerflichkeit geht, zu deren Beseitigung er berufen ist oder um eindeutig gute Handlungen, für deren Verwirklichung er zuständig ist. Die Aufgabe der ḥisba ist dafür zu sorgen, dass die Rechte eingehalten werden und dass für die Verwirklichung Hilfestellung geleistet wird. Die dafür verantwortliche Person darf diese Befugnis nicht überschreiten und eine endgültige und unwiderrufliche Entscheidung treffen. Und dies ist der erste Aspekt der Übereinstimmung. Der zweite Gesichtspunkt: Es steht ihm [muḥtasib] zu, den Angeklagten zum Ausgleich der Anrechte [anderer] zu zwingen. Dies gilt nicht für alle Anrechte, sondern gilt nur für die Fälle, in denen er die Anklage anhören darf. Wenn die Schulden laut Bekundung und Bestätigung fällig werden, und er [der Angeklagte] diese ausgleichen kann, so bringt er ihn dazu, seine Pflicht gegenüber

19 Aḥkām al-qadāʾ sind solche Prozesse, im Zuge derer Menschen sich gegenseitig anklagen können. Dafür ist der übliche qāḍī (Richter) zuständig. Aḥkām al-maẓālim sind ein spät eingeführtes System. Es ist für Anklagen gegen die Herrschaft, deren Angehörige, Wesire und höhere Beamte zuständig.

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dem Gläubi­ger zu erfüllen, denn die Aufschiebung ist eine verwerfliche Tat, für deren Beseitigung er [muḥtasib] berufen worden ist. Was die beiden Gesichtspunkte ihrer Beschränkung [Beschränkung der Zuständigkeiten des muḥtasib] im Vergleich zu den aḥkām al-qadāʾ betrifft, so sind diese Erstens: Die Anhörung von generellen Anklagen, welche nicht offensichtliche Verwerflichkeiten betreffen wie die Anklage wegen Verträgen, Transaktionen und anderen Anrechten und Forderungen. Ihm ist es weder erlaubt diese Klagen anzuhören, noch ein Urteil über sie zu fällen, unabhängig davon, ob es um große oder kleine Ansprüche geht, auch wenn es sich nur um einen Dirham oder weniger handelt, außer, ihm wurde eine explizite Befugnis für solche Tatbestände erteilt. Wenn ihm diese Befugnis erteilt wurde, so kombiniert er die Rollen eines Juristen und der ḥisba. In diesem Fall muss sichergestellt werden, dass er zu einem der ahl al-ijtihād [Personen, die die Befähigung zum ijtihād besitzen; bezeichnet folglich die Gesamtheit der mujtahidūn] gehört. Wenn seine Berufung nur auf die reine ḥisba beschränkt ist, so sind die Richter und die Herrscher berechtigt, diese Angelegenheiten, seien es große oder kleine, zu prüfen. Und das ist der erste Gesichtspunkt. Zweiter Gesichtspunkt: Sie [ḥisba] ist auf die zugestandenen Anrechte beschränkt. Was verneinte und umstrittene [Verhandlungen] angeht, so ist es ihm [muḥtasib] nicht gestattet diese zu überprüfen, weil der Richter sich die Zeugnisse anhört und die Schwüre einholt, und dem muḥtasib ist es weder erlaubt die Zeugnisse bezüglich der Beweise zu hören, noch die Schwüre bezüglich der Widerlegung des Rechts einzuholen. Die Richter und Herrscher sind bezüglich der Anhörung der Zeugnisse und dem Abverlangen von Schwüren Berechtigte. Hinsichtlich der ḥisba, die im Vergleich zu den aḥkām al-qadāʾ umfangreicher ist, ergeben sich zwei Aspekte: Erstens: Die befugte Person kann das, was sie als Gutes gebietet und als Verwerfliches verbietet, ohne eine Anklage überprüfen. Ein Richter darf dies nur tun, wenn eine Anklage von der berechtigten Person vorliegt. Wenn der Richter ohne Anklage die Angelegenheit überprüft, so verletzt er die Befugnis seines Amtes und überschreitet damit seine Autorität. Zweitens: Es steht dem ḥisba-Beauftragten zu, bezüglich des Verbietens des Verwerflichen scharfzüngig zu sein und sich anmaßend zu benehmen. Für den Richter gilt dies nicht, aber die ḥisba ist für die Einschüchterung vorgesehen, dementsprechend ist die scharfzüngige Haltung und das anmaßende Benehmen keine Verletzung oder Missachtung ihrer Grenzen. Qaḍāʾ ist dazu da, um Gerechtigkeit zu etablieren. Demzufolge sollte mit Gelassenheit und Respekt gebietender Haltung agiert werden. Missachtet die Rechtsprechung [qaḍāʾ] diese Haltung und agiert mit einer Härte wie die ḥisba, so überschreitet sie ihre Grenzen und missachtet ihre Aufgaben, denn jedes der beiden Ämter ist anders. Eine Nicht-

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einhaltung der jeweils eigenen Regeln gilt als Verletzung und Überschreitung der Amtsbefugnis. Was ḥisba und maẓālim betrifft, so gibt es Ähnlichkeiten, die sie verbinden, und Unterschiede, die sie voneinander trennen. Was die verbindenden Ähnlichkeiten betrifft, so gibt es zwei Gesichtspunkte: Erstens: Ihr Ziel [der ḥisba und maẓālim] ist die Einschüchterung basierend auf der anmaßenden, scharfzügigen Haltung und der energetischen Härte. Zweitens: Beide [die ḥisba und maẓālim] befassen sich mit dem Gemeinwohl und bemühen sich, offensichtliche Verwerflichkeiten zu denunzieren. Was die Unterschiede zwischen den beiden betrifft, so sind es zwei Gesichtspunkte: Erstens: Die maẓālim-Beauftragten setzten sich mit Angelegenheiten auseinander, zu deren Beurteilung die Richter nicht imstande sind. Die ḥisbaBeauftragten überprüfen Angelegenheiten, die unter der Würde der Richter liegen. Deshalb ist der Rang der maẓālim höher und der der ḥisba niedriger. Die zu maẓālim befugte Person kann den Richtern und dem muḥtasib Aufgaben auferlegen. Dem Richter ist es verwehrt, dem maẓālim-Beauftragten Aufgaben aufzuerlegen, jedoch steht es ihm [dem Richter] zu, dem muḥtasib einen Befehl zu erteilen. Und dem muḥtasib ist es nicht erlaubt, einen der beiden mit einer Aufgabe zu betrauen. Der zweite Unterschied ist nämlich dieser, dass der maẓālim-Beauftragte ein Urteil fällen kann und der ḥisba-Befugte kein Urteil fällen kann.

3.3 ḥisba: das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten Wenn die bisherige Beschreibung der ḥisba und die Unterscheidung zwischen ihr und qaḍāʾ und maẓālim klargeworden ist, dann umfasst sie zwei Aspekte/ Aufgaben: Erstens, das Gebieten des Guten, und Zweitens, das Verbieten des Verwerflichen. Was das Gebieten des Guten betrifft, so lässt es sich in drei Teile gliedern: Erstens, was die Rechte Gottes betrifft; Zweitens, was die Rechte der Menschen betrifft und Drittens, was den beiden gemeinsam ist. Was die Rechte Gottes angeht, so sind es zwei Arten. Eine dieser beiden [Arten] sind die Pflichten, deren Einhalten [nur] einer Gruppe von Menschen zu gebieten ist, wie die Teilnahme am Freitagsgebet in einem bewohnten Gebiet waṭan maskūn. Wenn diese eine Zahl ausmachen, die einstimmig für die Durchführung des Freitagesgebetes ausreichend ist, z.  B. 40 und mehr, so soll er sie auffordern, das Gebet zu verrichten; er bestraft sie für das Ablassen davon. Und wenn es um eine Anzahl geht, bei der umstritten ist, ob diese für die Durchführung des

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Freitagsgebetes ausreicht [oder nicht], so gibt es für ihn [den muḥtasib] und sie [die Menschen] vier Fälle: Erstens: Sie einigen sich darauf, dass das Freitagsgebet mit dieser Anzahl verrichtet werden sollte. In diesem Fall soll er sie auffordern, es zu verrichten, und sie müssen seiner Aufforderung Folge leisten. Die Bestrafung der Abkehr von ihm [dem Gebet] soll in diesem Fall sanfter ausfallen als die Bestrafung von dessen Ablassen in dem Fall, wo über die Durchführung ein Konsens besteht. Zweitens: Er ist sich mit dem Volk [der betroffenen Gruppe] darüber einig, dass das Freitagsgebet mit ihr [der Anzahl] nicht verrichtet werden kann. Da ist es [ihm] nicht gestattet, ihnen die Verrichtung [des Freitagesgebetes] zu befehlen. Es steht ihm eher zu, es zu verbieten, wenn es praktiziert wurde. Drittens: Das Volk ist der Meinung, dass mit ihr [der Anzahl der anwesenden Menschen] das Freitagsgebet zu verrichten ist, und der muḥtasib sieht es nicht so. [In diesem Fall] ist es ihm weder erlaubt ihnen entgegenzutreten, noch ihnen seine Verrichtung zu befehlen, denn er sieht es nicht ein. Und es ist ihm ebenso nicht gestattet, ihnen es [das Freitagesgebet] zu verbieten und sie darin zu hindern, zu praktizieren, was sie als Pflicht sehen. Viertens: Der muḥtasib hält es für richtig, mit ihr [der Anzahl der anwesenden Menschen] das Freitagsgebet zu verrichten, und das Volk sieht das nicht ein. Dies ist ein Fall, in dem die Abkehr vom Freitagesgebet mit der Zeit zu dessen regelmäßiger Vernachlässigung trotz der zunehmenden Zahl führt. Ist es dem muḥtasib erlaubt, [vorausschauend denkend] ihnen diesbezüglich dessen Verrichtung zu befehlen oder nicht? Die Schafiiten sind zwei Meinungen gefolgt: Erstens, die Meinung von Abū Saʿīd al-Iṣṭakhrī: Es ist ihm gestattet, das gemeinsame Wohl berücksichtigend, ihnen die Verrichtung zu gebieten, damit die Kinder nicht mit dem Ausfallenlassen [des Freitagsgebets] aufwachsen und denken, dass es bei der vermehrten [größeren] Zahl genauso ausfallen kann wie bei der verminderten [kleineren] Anzahl. Er [Saʿīd] berücksichtigt eine ähnliche Situation in Bezug auf das Beten in den beiden Moscheen von Kufa und Basra. Wenn die Menschen im Moscheehof ihr Gebet verrichtet hatten, pflegten sie sich nach dem Erheben vom Niederwerfen [sujūd] den Staub von ihrer Stirn wegzustreichen, so befahl er das Streuen von Kieselsteinen in den Moscheehof und sagte: „Ich befürchtete, dass die Kleinen mit der Zeit [wenn die Zeit vergeht] denken, dass das Streichen an der Stirn nach der Niederwerfung [dem sujūd] eine Sunna im Gebet ist.“ Zweitens: Er darf sich nicht ihrer Entscheidung entgegenstellen, weil es ihm weder zusteht den Menschen seine Überzeugung, noch in religiösen Angelegenheiten seine eigene Meinung aufzuzwingen, wo ijtihād zulässig ist und sie glauben, dass die mangelhafte Anzahl [an Menschen] die Durchführung des Freitagsgebetes verhindert. Bezüglich ihrer Pflicht zum Festgebet, so darf er ihnen

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dahingehend befehlen. [Zu der Frage,] ob das Gebieten des Festgebetes zu den verpflichtenden oder zu den erlaubten Rechten gehört, gibt es zwei Ansichten unter den Schafiiten – abhängig davon, ob es [das Festgebet] eine Sunna ist oder zu den kollektiven Pflichten [furūḍ al-kifāya] gehört. Wenn gesagt wird: Es ist eine Sunna, ist dessen Gebieten [Verrichtung des Gebetes] empfehlenswert. Und wenn gesagt wird: Es gehört zu den kollektiven Pflichten [furūḍ al-kifāya], ist dessen Gebieten verpflichtend. Was das Beten in Gemeinschaft in der Moschee und den Gebetsruf in ihr betrifft, so gehören diese zu den Riten des Islam und sind Zeichen für die Frömmigkeit, mit denen [Gebet in Gemeinschaft und Gebetsruf] der Prophet die Unterscheidung zwischen dem Haus des Islam [dār al-islām] und dem des Polytheismus [dār ash-shirk] klargestellt hat. Wenn die Bewohner einer Stadt oder eines Stadtviertels sich über die Einstellung der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft in der Moschee und die Auslassung des Gebetsrufes zu den Gebetszeiten einigen, so wird dem muḥtasib empfohlen, ihnen den Gebetsruf und die gemeinsame Gebetsverrichtung zu befehlen. Ist dies [die Handlung des muḥtasibs] eine Pflicht, mit deren Auslassung er eine Sünde begeht, oder ist es empfehlenswert, sodass er für sein Handeln belohnt wird? Diesbezüglich gibt es zwei Meinungen unter den Schafiiten, [abhängig davon] ob der Sultan [dazu] verpflichtet ist, die Bewohner einer Stadt zu bekämpfen oder nicht, wenn sie sich auf das Auslassen des Gebetsrufes und der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft einigen. Was das Auslassen des Freitagsgebets20 oder des Gebetsrufes seitens des Einzelnen betrifft, steht es dem muḥtasib nicht zu, dies zu kritisieren [sich ihm entgegenzustellen], solange der Einzelne sich dieses [Verhalten] nicht zu einer Gewohnheit macht, denn solche [ausgelassenen Handlungen] gehören zu den empfehlenswerten Taten, die aus einem triftigen Grund ausgelassen werden können – außer es besteht ein Verdacht [dass diese Person ohne einen triftigen Grund das Gebet ausfallen lässt], oder es wird zu einer Gewohnheit und es wird gefürchtet, dass andere sich ihn [den Einzelnen] zum Vorbild nehmen. Da wird das Gemeinwohl berücksichtigt und dieses Verhalten wird aufgrund der Geringschätzung der Sunna zurechtgewiesen. Die Bestrafung aufgrund des Auslassens/ Vernachlässigung der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft sollte entsprechend den Umständen geschehen, so wie es über den Propheten überliefert wurde. Er sagte: „Ich hätte beinahe meinen Weggefährten [aṣḥāb] befohlen, Holz zu sammeln, und hätte zum Gebet gerufen und es verrichten lassen; dann wäre ich zu den

20 So steht es im Manuskript; richtig ist jedoch: „die Gebetsverrichtung in Gemeinschaft“; und „Gott weiß es am besten“.

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Häusern derjenigen gegangen, die an dem Gebet nicht teilgenommen haben, und hätte sie [die Häuser] über ihnen verbrannt“.21 Und was das Warnen von einzelnen Personen betrifft, so sind diese beispielsweise diejenigen, welche das Gebet verspäten, bis die vorgesehene Zeit abläuft, so sollte er sie daran erinnern und ihnen befehlen, es rechtzeitig zu verrichten. Und er [der muḥtasib] sollte seine [desjenigen, der das Gebet verspätet] Antwort berücksichtigen. Wenn er sagt: „Ich ließ von ihm [Gebet] aufgrund des Vergessens ab“ [d.  h. er hat das Gebet vergessen], so drängt er ihn zu dessen Verrichtung, nachdem er ihn daran erinnert hat, und bestraft ihn nicht. Wenn er sagt: „Ich habe es aus Gespött und Geringschätzung unterlassen“, bestraft er ihn zurückweisend und zwingt ihm auf, es zu tun. Kein Einwand ist gegen jemanden zu erheben, der es [die verspätete Gebetsverrichtung] tut, aber noch in der vorgesehenen Zeit ist, denn die Rechtsgelehrten sind sich über die Vorteile der Verspätung uneinig. Wenn sich aber die Menschen in einer Stadt/einem Land über die Verschiebung der Gebetsverrichtung bis zu ihrem Ende [Ende der Gebetszeit] einigen und der muḥtasib für den Vorzug der früheren Verrichtung ist, so kann er ihnen die Verrichtung des Gebetes am Anfang des vorgesehenen Zeitraums befehlen – dazu gibt es zwei Meinungen.22 Wenn alle Menschen erwägen, die Gebetsverrichtung solle am Ende der Gebetszeit sein, dann wachsen die Kinder damit auf, dass dies [Gebetsverrichtung am Ende der vorgesehenen Zeit] das richtige Zeitfenster dafür ist, und nicht früher. Wenn einige von ihnen es am Anfang seiner Zeit verrichten, so soll er [der muḥtasib] diejenigen, die es später tun, bei ihrer verspäteten Gebetsverrichtung [dabei] gewähren lassen.23 Was den Gebetsruf und den qunūt im Gebet angeht, wenn diese im Widerspruch zu der Meinung des muḥtasibs stehen, darf er [der muḥtasib] sie ihnen weder gebieten noch verbieten, auch wenn er es [d. Gebieten u. Verbieten] für nötig hält, solange diese [Handlungen] durch ijtihād erlaubt sind. So wäre dies [das Erlauben/Verbieten] außerhalb seiner Kompetenz, wie wir zuvor beschrieben haben. Dies ist genauso mit der spirituellen Reinigung [ṭahhāra]. Wenn er [jemand] diese auf eine erlaubte Weise durchführt, widerspricht er [der selbe] dabei aber

21 Abū al-Ḥusayn Muslim b. al-Ḥajjāj an-Naysābūrī, Ṣaḥīḥ Muslim, hg. v. Abū Qutaiba Naẓar Muḥammad al-Faryābī, Riad: Dār ṭībā, Bd. 1, 2006: 651–652; der Hadith ist außerdem überliefert von Abū Dawūd im Kapitel „Das Gebet“ (Unterkapitel 46), von at-Tirmiḏī im Kapitel die Gebetszeiten (Unterkapitel 48), von Ibn Māja im Kapitel „Die Moscheen“ (Unterkapitel 17), von ad-Dārimī im Kapitel „Das Gebet“ (Unterkapitel 54) und von Aḥmad (1/45; 2/314, 376 und 472) mit der Formulierung „Ich hätte beinahe meinen Jungen befohlen, …“. 22 Im Originaltext werden die zwei Meinungen nicht angeführt. 23 Im Original steht: „Die Leute sollen von der späten Gebetsverrichtung ablassen“, was jedoch in diesem Kontext keinen Sinn ergibt. Scheinbar ist die Präposition ʿalā im Original aus gefallen.

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der Meinung des muḥtasibs. Z.  B., wenn er Unreinheit [najāsa] mit Flüssigkeiten [außer Wasser] beseitigt und die Gebetswaschung [wuḍūʾ] mit Wasser unternimmt, welches mit reinem Staub verschmutzt ist, oder das Streichen des Kopfes [mit Wasser] auf das Minimum beschränkt, oder eine Unreinheit in der Größe eines Dirhams ignoriert, so darf sich der muḥtasib bei solchen Fällen weder entgegenstellen noch etwas gebieten oder verbieten. Im Falle der Gebetswaschung mit dem Dattel-Wein, wo kein Wasser ist, so gibt es für seinen Widerspruch [für den Widerspruch des muḥtasibs] zwei Gesichtspunkte, dass aus ihm [erlaubtes wuḍūʾ mit Dattel-Wein] eine allgemeine Erlaubnis resultieren könnte [könnte zur Regel werden] und dass die Leute durch sein Trinken betrunken werden. Analog zu diesem Beispiel soll sein [des muḥtasibs] Gebieten des Guten bezüglich der Rechte Gottes, des Erhabenen, durchgeführt werden.

3.4 Vom Gebieten des Guten Was das Gebieten des Guten in Bezug auf die Rechte des Menschen betrifft, so gibt es diese zwei Arten: allgemeine und individuelle Rechte. Was die allgemeinen Rechte betrifft, so sind diese: Wenn zum Beispiel die Wasserversorgung einer Stadt ausfällt, eine Stadtmauer einzustürzen/zusammenzubrechen droht oder Reisende nächtlicherweile in einem bedürftigen Zustand in sie [die Stadt] kommen und die Bewohner sich enthalten, ihnen zu helfen. Wenn in der Staatskasse [bayt al-māl] Geld zur Verfügung steht und bei dessen Verwendung den Einwohnern kein Schaden enstünde, befiehlt der muḥtasib, die Wasserversorgung zu reparieren, die Stadtmauer aufzubauen und den Reisenden auf ihrem Weg zu helfen, da dies Rechte sind, die der Staatskasse obliegen und nicht dem Individuum. Das Gleiche gilt für die Sanierung von Moscheen und Gebetsstätten, die zu verfallen drohen. Wenn der Staatskasse die Mittel dazu fehlen, so sind der Aufbau der Stadtmauer, die Reparatur der Wasserversorgung, die Wiederinstandsetzung der Moscheen und die Versorgung der Reisenden Aufgaben derjenigen Bewohner, die über die dafür erforderlichen Mittel verfügen, wobei diese Aufgabe keinem einzelnen von ihnen auferlegt werden kann. Wenn diejenigen, die die Möglichkeit haben, zu arbeiten und den Reisenden zu versorgen, beginnen [dies zu tun], steht es dem muḥtasib nicht mehr zu, das zu gebieten. Ihrerseits brauchen sie [die Bewohner] nicht um Erlaubnis zu bitten, den Reisenden versorgen oder, was baufällig ist, wiederaufbauen zu dürfen. Aber falls sie ein Gebäude abzureißen wünschen, um dieses neu zu errichten, so können sie das nicht tun, wenn es für die Leute der Stadt um allgemeinnützige Anlagen wie die Moschee oder die Stadtmauer geht, bis sie sich eine Geneh-

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migung vom Machthaber der Stadt [walī al-amr]– nicht vom muḥtasib – holen. Dieser [der walī al-amr] erlaubt es ihnen, nachdem sie sich dazu verpflichtet haben, das Betroffene wiederaufzubauen. Beim Wiederaufbau der Moscheen, die zu bestimmten Clans und Stämmen gehören, muss nicht nach einer Genehmigung gefragt werden; es obliegt dem muḥtasib, den Wiederaufbau des niedergerissenen Gebäudes zu fördern. Es steht ihm aber nicht zu, sie zu zwingen, einen begonnenen Bau zu beenden. Wenn diejenigen, die die Mittel dazu haben, mit dem Wiederaufbau der Ruinen oder Gebäude, welche im schlechten Zustand sind, aufhören, so hat der muḥtasib die Bewohner bei ihrer Entscheidung bleiben zu lassen, wenn der Aufenthalt darin möglich und das Wasser – trotz Knappheit – ausreichend bleibt. Wenn aber aufgrund des Mangels an Wasser und der Baufälligkeit der Mauer der Aufenthalt in der Stadt unmöglich wird, wird eine Untersuchung der Lage vorgenommen. Wenn die Stadt an der Grenze liegt und dessen Verlassen dem dār al-islām [islamisches Territorium] schaden könnte, so kann der walī al-amr den Menschen nicht erlauben, dieses [Gebiet] zu verlassen. Das Urteil in dieser Situation ist das gleiche wie im Falle von Katastrophen, zu deren Beseitigung alle fähigen Menschen beitragen sollten. Die Leistung/Aufgabe des muḥtasibs in so einem Fall ist es, dies dem Herrscher mitzuteilen und die fähigen Menschen [zum Mitwirken] anzuregen. Wenn es sich aber nicht um eine Stadt an der Grenze [im Grenzgebiet] handelt, sondern um eine bewohnte Ortschaft innerhalb des dār al-islām, so ist die Angelegenheit einfacher und die Situation leichter. Dem muḥtasib steht es [in diesem Fall] nicht zu, die Bewohner dazu zu zwingen, die Stadt wiederaufzubauen, da die Durchführung [dieser Maßnahme] dem Sultan obliegt. Wenn diesem [dem Sultan/dem Staat] die Mittel dazu fehlen, so soll er darum flehentlich bitten. Solange der Sultan dazu nicht in der Lage ist, sagt der muḥtasib zu ihnen [den Bewohnern] Folgendes: „Ihr habt die Wahl, euch zwischen dem Verlassen der Stadt oder der Gewährung der nötigen Kosten für ihren Wiederaufbau, sodass der Aufenthalt darin möglich bleibt, zu entscheiden“. Wenn die Bewohner sich zur Übernahme der nötigen Kosten bereit erklären, so verlangt er von ihnen, gemeinsam beizutragen, was sie können. Er darf keinen Einzelnen dazu zwingen, eine Abgabe zu leisten, welche derjenige nicht freiwillig geben würde – sei es viel oder wenig. Vielmehr sagt er: „Jeder von euch soll das ausgeben, wozu er in der Lage ist und was er gern ausgibt“. Diejenigen, denen das Geld fehlt, sollen physisch [bei der Arbeit] mithelfen. Wenn all das, was benötigt wird, vorhanden oder garantiert ist, weil jeder, der die Mittel dazu besitzt, freiwillig für einen bestimmten Teil bürgt, so beginnt der muḥtasib mit der Arbeit. Jeder in der Gemeinde, der etwas versprochen hat, hält sein Versprechen, auch wenn solch eine Bürgschaft in den privaten Geschäften nicht bindend ist. Da aber dem

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Gemeinwohl Vorrang vor dem des Einzelnen zukommt, kommt dieser Bürgschaft ebenso Vorrang zu. Wenn es sich jedoch um eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses handelt, so kann der muḥtasib nicht ohne die Genehmigung des Herrschers handeln, damit er dessen Autorität nicht untergräbt. Dies gilt, da diese Arbeit von öffentlichem Interesse nicht Teil der ihm zustehenden Verantwortung ist. Wenn jedoch die Angelegenheit von geringerer Bedeutung, die Erlaubnis des Herrschers schwer einzuholen oder eine Zunahme des Schadens zu befürchten sein sollte, so kann er [der muḥtasib] ohne die Erlaubnis mit der Arbeit beginnen. Was die individuellen Rechte betrifft, so sind diese wie das Aufschieben der Ansprüche anderer und die Verzögerung [der Rückzahlung] von Schulden. So steht es dem muḥtasib zu, den Ausgleich [der Schulden] einzufordern, solange der Verschuldete dies kann und der Gläubiger Beschwerde beim muḥtasib einlegt. Er darf aber [jemanden] nicht dafür einsperren, denn die Haft kann nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden. Ihm steht aber zu, auf der Forderung zu beharren, weil der Gläubiger das Recht hat, die Forderung nach seinem Geld aufrechtzuerhalten. Er darf Menschen nicht dazu auffordern, die Lebenserhaltungskosten/Unterhaltskosten für die Bedürftigen innerhalb der [eigenen] Verwandtschaft zu übernehmen, weil dafür ein ijtihād benötigt wird, um festzulegen, wer darauf Anspruch hat und wer diese auszahlen muss. Es sei denn, ein Richter hat einen Betrag festgelegt, der seitens der Verwandten den Armen auszuzahlen ist. In diesem Fall kann er zur Zahlung auffordern. Dies ist ebenso bei der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Minderjährigen der Fall. Er darf sich einmischen, solange diesbezüglich kein rechtlicher Beschluss vorliegt. Liegt ein Beschluss vor, so hat der muḥtasib die [Durchführung der] Zahlung in Übereinstimmung mit den festgelegten Bedingungen anzuordnen. Was die Annahme von Testamenten und Rücklagen betrifft, so kann der muḥtasib keine bestimmten bzw. einzelnen Personen dazu verpflichten, wobei er dasselbe der Allgemeinheit befehlen kann, um die Menschen dazu zu veranlassen, einander zur Güte und Gottesfurcht zu verhelfen. Analog zu diesem Beispiel soll er [der muḥtasib] das Gute bezüglich der individuellen Rechte gebieten.

3.4.1 Vom Gebieten des Guten bezüglich der gemeinsamen Rechte Was das Gebieten des Guten bezüglich der gemeinsamen Rechte Gottes und der Menschen betrifft, so sind diese wie die Verheiratung lediger Frauen [durch den Vormund] mit ebenbürtigen Männern, wenn diese um ihre Hand bitten/werben, und wie die Einhaltung der Wartezeit [der verheirateten Frauen] nach der Scheidung. Er [der muḥtasib] hat die Frauen zu bestrafen, wenn diese die Wartezeit

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nicht einhalten. Er bestraft aber nicht die Erziehungsberechtigten, die die Eheschließung [die Verheiratung der ledigen Frauen] verweigern. Und wer die Elternschaft eines Kindes leugnet, obwohl die Verheiratung mit dessen Mutter und die Abstammung [des Kindes] von ihm [dem Leugnenden] feststehen [obwohl es seines ist], den muss er [der muḥtasib] zwingen, seine Pflichten als Vater zu erfüllen und ihm eine angemessene Strafe für seine Verleugnung auferlegen. Er hat sich auch für die Rechte der Sklaven und Sklavinnen einzusetzen, dass diese von ihren Herren zu respektieren und ihnen keine Aufgaben aufzuerlegen sind, denen sie nicht gewachsen sind. Er hat auch die Pflicht, den Besitzern von Lasttieren zu befehlen, den Tieren ausreichend Futter zu geben, falls diese es nicht tun, und ihnen keine zu schweren Lasten aufzubürden. Und wer ein Kind findet und es nicht ausreichend versorgt, dem muss er [der muḥtasib] befehlen, es entweder angemessen zu versorgen, sodass er die Pflichten gegenüber dem Findelkind erfüllt, oder es in Hände zu überantworten, die diese erfüllen und einhalten. Das Gleiche gilt für streunende Tiere, wenn deren Finder diese vernachlässigt. Auch hier soll diesem geboten werden, seinen Pflichten auf die vorgesehene Weise nachzukommen oder dafür zu sorgen, dass sie in den Besitz von jemandem kommen, der dies tut. Er haftet für den Schaden, den die Tiere wegen seiner Vernachlässigung erleiden, jedoch nicht im Fall des Findelkindes, das er gefunden hat. Darüber hinaus ist er immer noch haftbar, wenn er das streunende Tier einem anderen übergibt. Überantwortet er das Findelkind, ist er nicht mehr haftbar. Dies sind einige Beispiele für Angelegenheiten, in welchen er [der muḥtasib] das Gute zu gebieten hat bezüglich der Rechte, die Gott und dem Menschen gemeinsam sind.

3.5 Vom Verbieten des Verwerflichen Was das Verbieten des Verwerflichen angeht, so lässt es sich in drei Arten unterteilen: 1. Die Rechte Gottes, 2. die Rechte des Menschen und 3. die gemeinsamen Rechte dieser beiden. Was das Verbieten [des Verwerflichen] bezüglich der Rechte Gottes angeht, so sind diese [in] drei Kategorien [einzuteilen]: 1. bezüglich des Gottesdienstes [ʿibādāt], 2. bezüglich der Verbote [maḥẓūrāt] und 3. bezüglich der zwischenmenschlichen Handlungen [muʿāmalāt]. Was den Gottesdienst betrifft, so ist dies, wenn jemand bewusst dessen vorgeschriebener Form zuwiderhandeln will oder dessen als Sunna vorgeschriebene Merkmale ändern will. Z.  B., wenn jemand das leise Gebet laut oder das laute

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Gebet leise rezitiert [oder] Ergänzungen zum Gebet oder zum Gebetsruf macht, die nicht zur Sunna gehören. Dem muḥtasib steht es zu, diese [Vergehen] zu verurteilen und die darin hartnäckige Person zu bestrafen, solange die betroffene Person nicht sagen kann, welchen Imam sie sich in der Sache zum Vorbild nimmt. Dies gilt ebenfalls, wenn eine Person die Reinigung des Körpers, der Kleider und des Gebetsortes unterlässt. Auch diese Handlungen hat der muḥtasib zu verurteilen, wenn sie augenfällig sind. Er kann aber nicht auf der Grundlage eines Vorwurfs oder Verdachts diese [Verurteilung] vollziehen. Über einen Mann, der für ḥisba zuständig war, wird berichtet, dass er einen mit Sandalen in die Moschee eintretenden Mann fragte, ob er mit ihnen [den Sandalen] zuvor die Toilette betreten habe. Als der [betroffene] Mann dies verneinte, forderte er [der muḥtasib] daraufhin einen Schwur. Dies [die Reaktion des muḥtasibs] zeigt seine Unwissenheit, womit er die Grenzen der ḥisba überschreitet und von der [eigenen] Mutmaßung geleitet handelt. Ähnlich gilt das auch, wenn er [der muḥtasib] denkt, dass eine Person die Ganzkörperwaschung, das Fasten oder das Gebet auslässt. Auch hier darf er auf der Grundlage des Vorwurfs nicht handeln oder [die betreffende Person] zurechtweisen. Er kann aber aufgrund eines Verdachts [die Menschen] ermahnen und an die Peinigungen Gottes für die Verletzung Seiner Rechte und an die Nicht-Einhaltung Seiner Pflichten erinnern. Wenn er [der muḥtasib] ihn [einen Menschen] während des Ramadan essen sieht, darf er ihn nicht bestrafen, bevor er ihn nicht nach dem Grund [seines Essens im Ramadan] gefragt hat, wenn die Situation einen Anlass zur Unsicherheit/Unklarheit geben sollte. Es könnte ja sein, dass er krank ist oder sich auf einer Reise befindet. Der muḥtasib soll ihn aber fragen, wenn die Situation einen Verdacht zulässt. Wenn er [die Person] plausible Gründe erwähnt, dann lässt er [der muḥtasib] von der Rüge ab und fordert das dezente Essen, damit er [die Person] sich dem Verdacht nicht aussetzt. Es muss kein Schwur eingeholt werden, wenn an seiner Äußerung [der Äußerung der Person] Zweifel bestehen, weil er [die Person] seiner Ehrlichkeit zu überlassen ist. Führt er [der Ertappte] keine gültige Erklärung an, sollte der muḥtasib ihn zur Warnung laut ermahnen und ihn zum Zwecke der Abschreckung bestrafen. Selbst wenn er die Rechtfertigung [des Ertappten] anerkennen sollte, sollte er ihn dennoch dafür ermahnen, dass er es in der Öffentlichkeit getan und sich [somit] selbst einem Verdacht ausgesetzt hat. Dies ist so, damit nicht derjenige, der nicht in der Lage ist, die abweichende Situation [des Ertappten] zu verstehen, sich dessen Verhalten zum Vorbild nimmt. Was denjenigen betrifft, der sich der Abgabe der zakāt [eine für Muslime obligatorische Abgabe an Arme und Bedürftige] verweigert, so hat eher der zakātBeauftragte die Abgabe gegen seinen Willen [den Willen des Ertappten] ein-

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zutreiben, wenn diese bei offensichtlich/manifest vorhandenem Vermögen nicht entrichtet wurde; Der muḥtasib ist eher zur Bestrafung der Nichtentrichtung berechtigt, wenn keine werthaltige Entschuldigung geliefert werden kann. Wenn es um ein verborgenes [verstecktes] Vermögen geht, so ist der muḥtasib zur Eintreibung eher ermächtigt als der zakāt-Beauftragte, da Letzterer dazu nicht befugt ist. Es könnte aber auch sein, dass der zakāt-Beauftragte eher berechtigt ist, die betroffene Person anzuprangern, die ihm [dem zakāt-Beauftragten] die zakāt schuldig bleibt, denn, sollte sie [die betroffene Person] diese [die zakāt] an ihn [den zakāt-Beauftragten] bezahlen, wäre der Tatvorwurf hinfällig. Die Strafe soll den Umständen der Verweigerung der zakāt-Entrichtung entsprechend sein. Sollte der Betroffene sagen, er habe die zakāt privat bezahlt, sollte seinem Wort Glauben geschenkt werden. Sieht der muḥtasib einen Mann, der andere Menschen um eine Spende anbettelt, wobei er [der muḥtasib] weiß, dass dieser über Eigenmittel durch Vermögen oder Arbeit verfügt, so hat er ihn zurechtzuweisen und zu bestrafen – und hier ist eher der muḥtasib als der zakāt-Beauftragte mit dieser Aufgabe betraut. ʿUmar, möge Allah ihm gnädig sein, verfuhr auf diese Weise mit einer Gruppe derjenigen, die bereits Anspruch auf zakāt erhoben hatten. Wenn er [der muḥtasib] dem Zustand des Ertappten entnehmen kann, dass dieser nicht bedürftig ist und trotzdem andere anbettelt, soll er [der muḥtasib] ihn darüber in Kenntnis setzen, dass die Annahme [der Spende] für Nichtbedürftige verboten sei. Er tadelt ihn aber nicht, weil es ja tatsächlich der Fall sein könnte, dass er ein armer Mensch ist. Wenn eine Person bettelt, obwohl sie körperlich in der Lage wäre, zu arbeiten, so soll er [der muḥtasib] sie zurechtweisen und sie auffordern, eine Arbeit aufzunehmen. Fährt derjenige mit seiner Bettelei fort, wird ihm eine angemessene Strafe auferlegt, bis er damit aufhört. Wenn es eine Situation  – aufgrund des Beharrens einer Person auf dem Betteln trotz eigenem Vermögen und/oder der Fähigkeit zur Arbeit  – verlangt, diese Person zur Deckung ihres Lebensunterhalts durch den Rückgriff auf das eigene Vermögen oder Arbeit zu zwingen, so obliegt dieser Zwang nicht dem muḥtasib, sondern bedarf zuerst eines Gerichtsurteils [juristische Entscheidung], welches eher dem Richter zusteht. Der muḥtasib soll die Angelegenheit diesem vorlegen, damit er den Fall übernimmt oder doch ihm [dem muḥtasib] die Entscheidung überlässt. Und wenn er auf eine Person trifft, die sich mit der [theologischen] Wissenschaft [šarʿī] auseinandersetzt, aber nicht geeignet ist, ein faqīh [ein Rechtsgelehrter] oder ein Prediger zu sein [d.  h. ausreichend dazu qualifiziert ist], und befürchtet, dass Menschen durch diese [Person] zu falschen Interpretationen oder Antworten gebracht werden könnten, dann sollte er ihn öffentlich dafür

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anprangern, dass er sich mit etwas beschäftigt, für das er nicht ausgebildet sei. Und er sollte die Handlung dieser [Person] bekanntmachen, damit keine Menschen dadurch in die Irre geführt werden. Sollte ihm [dem muḥtasib] jedoch die Situation unklar erscheinen, so hat er ihn nicht weiter anzuprangern, ehe er diese Person einem Test unterzogen hat. ʿAlī b. Abī Ṭālib lief eines Tages al-Ḥasan al-Baṣrī über den Weg, während dieser zu Leuten sprach, und er unterzog ihn einem Test. Er sagte zu ihm: „Was ist die Säule der Religion?“, worauf die Antwort kam: „Furchtsamkeit“. Dann fragte er: „Und was ist ihre Gefahr?“, worauf die Antwort kam: „Gier“. ʿAlī antwortete darauf: „Sprich nun [zu den Menschen], wenn du möchtest“. Ebenso ist es für jemanden von den Leuten des Wissens, der etwas Neuartiges sagt, was dem Konsens entgegenläuft und der Schrift widerspricht. Und wenn dessen Meinung gegen die Lehre seiner Zeit geht, sollte er [der muḥtasib] ihn anprangern und zurückweisen. Hört er auf und zeigt Reue, hat es damit sein Bewenden; wenn nicht, obliegt es dem Sultan, über die Religion und ihre korrekte Lehre zu wachen. Sollte einer der Exegeten darin verharren, eine Interpretation des Buches Gottes zu verbreiten, in welcher er die offenkundige Bedeutung der Offenbarung zu Gunsten einer eigenen, selbst erfundenen Bedeutung umwandelt und die offenkundige Bedeutung verdeckt, oder wenn ein Hadithüberlieferer von abgelehnten Hadithen berichtet, deren Bedeutungen abschreckend erscheinen oder eine falsche Interpretation unterstützen, muss der muḥtasib denjenigen anprangern und ihn daran hindern. Es ist aber nur dann rechtmäßig, ihn anzuprangern, wenn er [der muḥtasib] zwischen dem Gültigen und Ungültigen sowie zwischen dem Richtigen und dem Falschen unterscheiden kann. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen: Entweder ist er in seinem Wissen und seinem ijtihād für diese Sachen, die ihm klar sind, genügend fähig, oder die Gelehrten seiner Zeit sind sich einig, dass solche Personen verurteilt werden sollten und dass sie bidʿa [Neuerungen, die in der Religion nicht erlaubt sind] begehen – und dementsprechend legen sie Beschwerde beim muḥtasib ein. In solch einem Fall kann der Letztere sich auf ihre Meinung stützen, um ihn [den Straffälligen] zu verurteilen, und auf ihren Konsens, um ihn davon [von seinen Handlungen] abzuhalten.

3.5.1 Von den verbotenen Handlungen Was die verbotenen Handlungen betrifft, so muss er [der muḥtasib] die Leute vor zweifelhaften Situationen und fragwürdigen/verdächtigen Umständen warnen/ bewahren. Denn der Prophet, Gottes Frieden und Segen seien auf ihm, sagte:

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„Verlasse das, was Zweifel in dir hervorruft, für das, was in dir keine Zweifel hervorruft“.24 Er [der muḥtasib] sollte [die Menschen] zuerst anprangern und nicht direkt eine Strafe verhängen. Ibrāhīm an-Nikhʿī erzählt, dass ʿUmar b. al-Khaṭṭāb, Gottes Wohlgefallen sei auf ihm, den Männern verboten hat, den Umlauf um die Kaaba [ṭawāf] mit Frauen zu vollziehen. Dann sah er einen Mann, der unter den Frauen betete. Da schlug er ihn mit seinem Stock, woraufhin der Mann sagte: „Bei Gott, wenn ich etwas Gutes tat, dann hast du mir Unrecht getan, doch falls ich etwas Schlechtes gemacht habe, so hast du mich nicht belehrt“. ʿUmar sagte: „Warst du nicht Zeuge meiner Anordnung?“ Der Mann darauf: „Ich war nicht Zeuge deiner Anordnung.“ Daraufhin warf er [ʿUmar] ihm den Stock zu und sagte zu ihm: „Übe [Wieder-] Vergeltung.“ Dieser erwiderte: „Ich werde heute keine Vergeltung ausüben.“ Er [ʿUmar] sagte: „Vergib es mir!“ Daraufhin sagte er [der Mann]: „Ich werde nicht verzeihen“. Daraufhin trennten sie sich voneinander. ʿUmar traf ihn am darauffolgenden Tag und seine [ʿUmars][Gesichts-] Farbe hatte sich verändert. Dann sagte der Mann zu ihm: „Oh Emir der Gläubigen! So wie ich sehe, hat das, was ich tat, dich beeinflusst?“ Er [ʿUmar] sagte: „Richtig.“ Darauf sagte er [der Mann] zu ihm: „So bezeuge ich vor Gott, dass ich dir verziehen habe.“ Und wenn er [der muḥtasib] einen Mann sieht, der mit einer Frau auf einem vielbegangenen Weg steht, und wenn zwischen den zweien sich ein verdächtiger Umstand nicht beobachten lässt, dann sollte er sie weder anprangern noch zurechtweisen. Denn die Leute können darauf [Austausch auf der Straße] nicht verzichten. Und wenn sie auf einer leeren Straße stehen, so gibt diese leere Straße [Anlass zu] Verdacht. Er tadelt sie [beide], ohne sich mit der Bestrafung/Belehrung diesbezüglich zu beeilen, denn vielleicht gehört sie [die Frau] zur Familie [des Mannes]. Er [der muḥtasib] soll sagen: Wenn sie zu dir gehört, dann setze sie nicht verdächtigen Umständen aus. Und wenn sie dir fremd ist [nicht zur Familie gehört], so fürchte Allah, den Allmächtigen, auf dass diese Leere [dieser Ort] dich nicht dazu verleitet, ungehorsam gegenüber Allah, dem Allmächtigen, zu sein [eine Sünde zu begehen]. Er weist sie der Verwerflichkeit der Situation entsprechend zurecht. Abū al-Azhar berichtet, dass Ibn ʿĀʾiša einen Mann auf der Straße gesehen hat, während er mit einer Frau sprach. Er sagte zu ihm: „Wenn sie dir nicht erlaubt ist [zur Heirat, d.  h., wenn sie Angehörige der Familie in direkter Linie ist], dann

24 Überliefert von al-Bukharī im Kapitel al-buyūʿ (Unterkapitel 3) und Aḥmad (3/153); der Hadith ist auch überliefert von at-Tirmidhī im Kapitel. al-qiyāma (Unterkapitel 6); vgl. Muḥammad b. ʿĪsā at-Tirmidhī, Sunan at-Tirmidhī, hg. v. Muḥammad Šākir. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, o.  J., Nr. 2518.

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ist es schändlich von dir, sie unter den Menschen anzusprechen; und wenn sie dir erlaubt ist, dann ist das noch schändlicher.“ Danach verließ er ihn, setzte sich zu den Menschen und lehrte sie. Da wurde ein Lederstück/Zettel in seinen Schoß geworfen, worauf ein Gedicht [aus al-kāmil] geschrieben stand.25 Ibn ʿĀʾiša las es und fand an dem Kopf [Kopfzeile des Zettels] Abū Nawwās geschrieben [der Name des Absenders]. Dann sagte Ibn ʿĀʾiša: „Warum habe ich Abū Nawwās geärgert! Dieser [beschriebene] Umfang der Zurechtweisung von Ibn ʿĀʾiša ist für ihn und seinesgleichen ausreichend. Nicht ausreichend ist er aber für diejenigen, die zur ḥisba beauftragt sind.“ In den Worten von Abū Nawwās gibt es keine offensichtlichen Hinweise auf die Unsittlichkeit, denn es könnte sein, dass sie auf jemanden hindeuten, der mit ihm eng verwandt ist, obwohl einerseits die Situation, und andererseits die implizite Bedeutung seiner Worte auf Unsittlichkeit und auf ein fragwürdiges Verhalten hindeuten können. Dementsprechend ist ein solches Verhalten von Leuten wie Abū Nawwās verwerflich, auch wenn es bei anderen Menschen nicht zwangsläufig ebenfalls verwerflich sein muss. Wenn also der muḥtasib in einem ähnlichen Fall etwas sieht, was er verurteilen will, dann sollte er bedächtig sein, den Fall untersuchen, die Umstände berücksichtigen und sich nicht mit dem Verurteilen beeilen, bevor er sich informiert hat. So berichtet Abū az-Zinād über Hishām b. ʿUrwa, dass er sagte: „Während ʿUmar b. al-Khaṭṭāb, möge Allah an ihm Wohlgefallen haben, das Haus [die Kaaba] umrundete, sah er einen Mann, der den Umlauf [um die Kaaba] mit einer Frau auf seinen Schultern machte, die wie eine Gazelle aussah – er meinte dies in Bezug auf ihre Schönheit – und dieser rezitierte“: Ich bin ein Unterwürfiger geworden, ein gehorsames Kamel, welches sie über die Ebenen/ weiten Flächen gehorsam trägt. Ich habe sie vorm Umfallen bewahrt und kümmere mich, damit sie nicht fällt und verendet. Und ich hoffe dadurch, dass ich einen würdigen Lohn erhalte.

Da sagte ʿUmar, möge Allah an ihm Wohlgefallen haben, zu ihm: „Oh Diener Gottes, wer ist diese Frau, der du deine Pilgerfahrt [ḥajj] schenkst?“ Darauf erwiderte er: „Meine Frau, oh Emir der Gläubigen, und sie ist dumm und leichtsinnig, ein Vielfraß, gierig und sie braucht ihre Sachen schnell auf.“ Da fragte ʿUmar ihn: „Warum trennst du dich nicht von ihr?“, worauf er dann antwortete: „Sie ist schön, weswegen sie nicht gehasst werden kann, und sie ist die Mutter meiner

25 Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, das Gedicht zu übersetzen, weil es inhaltlich nicht relevant ist.

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Jugendlichen, weswegen ich sie nicht aufgeben kann.“ Dann sagte Umar: „Wie du möchtest.“ Abū Zayd sagt, dass das Wort murghām bedeutet, dass sie Unsinn redet. ʿUmar war vorerst nicht weiter voller Missbilligung, sondern hat sich informiert. Als kein Verdacht mehr bestand, zeigte er [ʿUmar] Nachsicht. Wenn jemand öffentlich Wein trinkt und derjenige ein Muslim ist, gießt er [der muḥtasib] den Wein über ihm aus und bestraft ihn. Wenn er ein Schutzbefohlener [dhimmī]26 ist, bestraft er ihn für das öffentliche Tun. Die Rechtsgelehrten sind uneins, ob er über ihm ausgeschüttet werden sollte. Abū Ḥanīfa ist der Meinung, dass er nicht ausgegossen werden darf, weil dieser [Wein] für ihn [den Schutzbefohlenen] ein Gut ist, wofür gehaftet wird. Ash-Shāfiʿī zufolge wird der Wein weggeschüttet, weil für ihn keine Haftung besteht, weder bezüglich eines Muslims, noch eines Ungläubigen. Wenn eine Person alkoholische Getränke [nabīḏ] zur Schau stellt, so sind diese bei Abū Ḥanīfa ein Gut, das den Muslimen zugestanden werden soll, und deswegen dürfen diese weder weggeschüttet werden, noch wird die Person, die diese offen zur Schau stellt, bestraft. Für ash-Shāfiʿī sind diese  – ähnlich wie Wein – kein Gut, für dessen Wegschütten eine Haftung besteht. Folglich muss der ḥisba-Beauftragte die Situation berücksichtigen; er verbietet, dass es [ein alkoholisches Getränk] offen zur Schau gestellt wird und nimmt Strafmaßnamen vor, wenn es zum Trinken gedacht war – jedoch darf er es nur dann wegschütten, wenn ein Richter, der zu ijtihād befähigt ist, dies anordnet, damit er [der muḥtasib] sich nicht selbst einer Haftung aussetzt, wenn er angeklagt wird. Wenn eine betrunkene Person ihre Trunkenheit offen zur Schau stellt und Blödsinn/Frechheiten von sich gibt [dumm handelt], wird ihr eine angemessene Strafe für ihre Trunkenheit und für ihre Frechheit/Dummheit auferlegt. Diese Strafe ist keine ḥadd-Strafe27, sondern dient dem Zwecke der Zurechtweisung – wegen der rücksichtlosen Handlung und offenkundigen Frechheit [der Person]. Bezüglich der öffentlichen Zurschaustellung verbotener Instrumente muss der muḥtasib diese auseinandernehmen, sodass sie auf die Größe bloße Holzstücke reduziert werden und nicht mehr als Spielzeuge betrachtet werden können. Die Person wird für das zur Schau stellen dieser bestraft, aber sie [die Spielzeuge] werden nicht zerstört, wenn das Holz für etwas Anderes verwendbar ist. Was Puppen angeht, wenn damit nicht der Ungehorsam [maʿṣiya] beabsichtigt ist, sondern Mädchen daran zu gewöhnen, Kinder zu erziehen, dann beinhal-

26 Schutzbefohlene; vgl. hierzu Wehr 1952, 432: „die nichtmuslimischen Untertanen, die in islamischen Staaten gegen Entrichtung der Kopfsteuer Schutz und Sicherheit genossen“. 27 Hier ist gemeint: „‫ حد‬ḥadd pl. ‫ حدود‬ḥudūd […] festgeschriebene Strafe für die Übertretung eines koranischen Verbots“, vgl. Wehr 1952, 232.

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ten sie somit einen Aspekt der Haushaltsführung, aber gleichzeitig auch einen Aspekt der Sünde durch die Gestaltung von Lebewesen/Figuren und die Ähnlichkeit mit den Götzen. Somit begünstigt ein Aspekt ihre Verwendung, während ein anderer sie verhindert. Dementsprechend wird ihre Verwendung gemäß der Situation entweder abgelehnt/getadelt oder zugelassen. „Als der Prophet, auf ihm sei der Friede und Segen Gottes, zu ʿĀʾiša, Gott möge an ihr Wohlgefallen haben, eintrat, während sie mit Puppen spielte, hat er dies zugelassen und sie dafür nicht getadelt“.28 Es wurde berichtet, dass Abū Saʿīd al-Iṣṭakharī, einer aus der Gefolgschaft/ von den Gefährten ash-Shāfiʿīs, die ḥisba von Bagdad in der Zeit [der Herrschaft] al-Muqtadirs übernahm. Da setzte er dem Markt für ad-dādī29 ein Ende und verbot seine Nutzung – mit der Begründung, dass dieser nur zur Herstellung/Verkauf des verbotenen Alkohols diene. Gleichzeitig ließ er den Markt für die Puppen zu, verbot ihn nicht und sagte: „Die Frau des Propheten, ʿĀʾiša, spielte mit den Puppen in Anwesenheit des Propheten, der diesem zustimmte und sie dafür nicht tadelte.“ Was den Markt von ad-dādī betrifft, so wird Letzterer oft nur zur Herstellung von Alkohol verwendet. Er kann auch zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden, was aber selten ist. Dementsprechend ist dessen Verkauf für diejenigen erlaubt, die Alkohol als erlaubt erachten. Diejenigen, welche Alkohol als verboten erachten, erachten es [das Handeln mit ad-dādī] als erlaubt, weil es [auch] für andere Zwecke [als nur die Verstärkung von Alkohol] verwendet wird, und [gleichzeitig] unerwünscht [makrūh] ist, weil es [ad-dādī] oft zur Herstellung von Alkohol eingesetzt wird. Abū Saʿīds Verbot von ad-dādī ist nicht durch seine Meinung, der Verkauf an sich sei verboten, begründet, sondern dadurch, dass dieses offen zum Verkauf an einem besonderen [separaten] Platz auf dem Markt ausgestellt wurde. [Dadurch] stellt man es den anderen Sachen gleich, über deren Verkauf die Rechtsgelehrten sich hinsichtlich ihres Zwecks einig sind, dass er erlaubt ist. Wenn er [der muḥtasib] es verbietet, dann, damit die Laien den Unterschied zwischen diesem und anderen Dingen, deren Verwendung erlaubt ist, erkennen können. Außerdem ist es möglich, die offene Handhabung von bestimmten erlaubten Handlungen zu verbieten/verhindern, wie z.  B., dass der

28 Überliefert von Sulaymān b. al-Ašʿath Abū Dāwūd as-Sijistānī, Sunan Abī Dāwūd, hg. v. ʿIzzat ʿIbīd ad-Daʿās, Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1969; Kapitel al-adab (Unterkapitel 54). Der Hadith ist auch überliefert von al-Bukhārī, Kapitel al-adab (Unterkapitel 81) und Ibn Māja, Kapitel an-nikāḥ (Unterkapitel 50). 29 Ad-dādī ist ein Getreide, das zur Verstärkung von Alkohol verwendet wird, damit dieser schneller zu Betrunkenheit führt; vgl. Ğamāl ad-Dīn Ibn Manẓūr. Lisān al-ʿArab, Bd. 3 1993: 167.

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öffentliche Geschlechtsverkehr mit der Ehegattin und den Sklaven getadelt und zurechtgewiesen wird. Was die Verbote angeht, gegen die nicht offenkundig verstoßen worden ist, so darf der muḥtasib diesbezüglich nicht spionieren oder die [Privat-]Bereiche betreten, um möglichen Schutz [vor Versündigung] zu gewährleisten/garantieren. Der Prophet, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, sagte: „Wer eine verwerfliche Tat verübt, der soll sich mit dem Schutz Gottes bedecken [es heimlich machen], denn dem, der solch Tun preisgibt, wird die Strafe Gottes auferlegt.“ Wenn jedoch aufgrund belastender/vertrauenswürdiger Hinweise und Zeichen der Verdacht überwiegt, dass bestimmte Menschen solche Taten im Geheimen verüben, dann könnte es um eine der folgenden beiden [Handlungs-] Arten gehen: 1. Es geht um den Verstoß gegen ein Verbot, dessen Nichteinhaltung nicht wiedergutgemacht werden kann. Wenn beispielsweise eine vertrauenswürdige Person dem muḥtasib mitteilt, dass ein Mann mit einer Frau allein ist, um Unzucht zu treiben, oder zu einem Mann geht, um ihn zu töten, dann darf er [der muḥtasib] Nachforschungen anstellen und [den Fall] untersuchen und prüfen, ob eine gewisse untersagte oder verbotene Handlung begangen werden soll, die dadurch [durch die Nachforschung] vermieden werden könnte. Ebenso ist es der Fall, wenn freiwillige Menschen [mutaṭawwi ū ͑ n] von solchen Verdachtsmomenten erfahren. Diese können die Angelegenheit untersuchen und prüfen und sie dann [gegebenenfalls] verurteilen, so wie es bei al-Muġīra b. Šuʿba der Fall war. Es wurde berichtet, dass eine Frau aus [dem Stamme] Banū Hilāl, bekannt als Umm Jamīl bint al-Afqam, verheiratet mit einem Mann aus Ṯaqīf, der bekannt als Ḥǎjjāj b. ʿUbayd war, ihn [al-Muġīra b. Šuʿba] in Basra zu besuchen pflegte. Dies [diese Information] erreichte Abū Bakr b. Masrūḥ, Sahl b. Ma b ͑ ad, NafĪʿ b. al-Ḥārith und Ziyād b. ʿUbayd, die daraufhin ihn beobachteten, bis sie bei ihm eintrat. Dann stürzten sie sich auf die zwei [Ehebrecher]. Sie legten Zeugnis vor ʿUmar ab, möge Allah Wohlgefallen an ihm haben, wie es aus diesem Ereignis bekannt ist. Er tadelte/kritisierte sie ob ihres Ansturmes auf die zwei nicht, jedoch wäre ihnen dabei im Falle eines mangelhaften Zeugnisses die qaḏf-Strafe aufzuerlegen. 2. Die zweite Möglichkeit betrifft die Handlungen, die nicht zu den erwähnten Fällen gehören und nicht deren schweren Grad des Verstoßes erreichen. In solchen Fällen ist es nicht erlaubt, die betroffenen Personen auszuspionieren, noch zu versuchen, die Tat aufzudecken. Es wurde berichtet, dass ʿUmar, möge Allah Wohlgefallen an ihm haben, zu einer Gruppe von Menschen eintrat, die zusammen Wein tranken an einem Ort, der für diesen Zweck besonders beleuchtet war, und sagte: „Ich habe euch verboten, Wein zu trinken, und ihr sitzt und trinkt, und ich habe euch verboten, diese Orte anzuzünden, und ihr habt sie beleuchtet.“ Da sagten sie: „Oh Emir der

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Gläubigen, Gott hat dir verboten zu spionieren, und du hast spioniert, und Er hat dir verboten, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten, ein Haus zu betreten, und du bist (ohne Erlaubnis) eingetreten.“ Dann sagte ʿUmar, möge Allah Wohlgefallen an ihm haben, zu ihnen: „Diese beiden Vorwürfe von euch für diese beiden von mir.“ Und er ging weg, ohne gegen sie etwas zu unternehmen. Wenn [folglich] irgendjemand aus einem Haus verwerfliche Geräusche mitbekommt, welche das verwerfliche Handeln der Bewohner offenkundig machen, dann sollte er sie [die Verursacher der Geräusche], ohne einzutreten tadeln/verurteilen. Er überfällt sie nicht mit seinem Eintreten, da das, was als abscheulich gilt, offenkundig ist. Ihm steht nicht zu, irgendetwas Genaueres aufzudecken, das verborgen ist.

3.5.2 Von den verwerflichen Handlungen [mfuʿāmalāt munkara] Was die muʿāmalāt munkara30 angeht wie Unzucht, ungültige Verkäufe und all das, was die Vertragsparteien trotz dessen Verbot [in der Scharia] abschließen wollen, solange dies einstimmig verboten sind, hat der muḥtasib sie anzuprangern, zu kritisieren und deren Vollzug vorzubeugen. Was die Bestrafung solcher Handlungen angeht, so variiert sie entsprechend den Umständen und der Schwere des Verbotes. Was jene muʿāmalāt angeht, über deren Verbot sich die Rechtsgelehrten uneinig sind, so kann er [der muḥtasib] diese nicht verbieten, außer es geht um eine Angelegenheit, worüber der [Meinungs-] Unterschied geringfügig ist und diese [geringfügige Meinungsverschiedenheit] nur als Vorwand herangezogen wird, um etwas zu tun, was laut den allermeisten [Gelehrten] verboten ist. Beispielhaft ist hier der Wucher [ribā an-naqd]. Die Meinungsverschiedenheit über diesen ist schwach, jedoch bahnt er den Weg für ribā an-nisā ͗, welcher einstimmig verboten ist. Was [die Frage] angeht, ob das Anzeigen solcher muʿāmalāt Teil seiner [des muḥtasibs] Verantwortlichkeit ist [oder nicht], so gibt es dazu zwei Meinungen, die wir oben diskutiert haben. Ähnlich wie die muʿāmalāt, auch wenn sie zu diesen nicht gehören, sind [auch] die unzulässigen Eheschließungen. Diese sollte er [der muḥtasib] anprangern, wenn die Gelehrten sich über deren Verbot einigen. Aber er sollte nicht involviert werden, falls es eine Meinungsverschiedenheit unter den Rechtsgelehrten gibt, außer der [Meinungs-] Unterschied ist geringfügig und [dieser] könnte

30 Diese beziehen sich auf zwischenmenschliches, rechtliches, soziales und wirtschaftliches Handeln, also u.a. auf: Benehmen, Geschäfte, Transaktionen und Vorgänge; vgl. Wehr 1952, 882: „Verhalten der Menschen zueinander, soziales Zusammenleben“.

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dazu verleiten, etwas zu begehen, worüber der Konsens besteht, dass es verboten ist, wie die befristete Heirat, welche häufig als Mittel verwendet wird um Unzucht als erlaubt darzustellen. Was sie [die Frage] angeht, ob das Anzeigen solcher muʿāmalāt Teil seiner Verantwortlichkeit ist [oder nicht], gibt es dazu zwei Meinungen. Anstatt sie zu bestrafen, sollte er eher versuchen, Verträge zu fördern, über die ein Konsens besteht. Was zu den muʿāmalāt noch gehört, wie das Betrügen bezüglich Handelsartikeln oder betrügerische Preismanipulationen, so sollte er [der muḥtasib] sie anprangern/anzeigen, diesen vorbeugen und Bestrafungen verhängen, entsprechend der Situation. Es ist überliefert, dass der Prophet, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, sagte: „Wer betrügt, ist nicht von uns.“31 Falls solche betrügerischen Praktiken das Betrügen des Käufers einschließen und dieser sich dessen nicht bewusst ist, ist dies die gravierendste Art und Weise der Täuschung und die kriminellste. Das Anprangern solchen Handelns ist folglich umso ernster und die Strafe umso strenger. Falls sich jedoch der Käufer dessen bewusst ist, ist das Fehlverhalten nicht so groß und die Art und Weise [der Sanktion] ist weniger streng. In solchen Fällen muss der Käufer geprüft werden: Hat er den Artikel gekauft, um diesen von einem anderen zu verkaufen,32 dann ist der Verkäufer anzuprangern für sein betrügerisches Verhalten wie auch der Käufer für den Ankauf, weil er ihn [den Artikel] an jemanden verkaufen kann, der sich der Täuschung nicht bewusst ist. Wenn er ihn indes kauft, um ihn zu benutzen, dann ist der Käufer ausgenommen von der Rüge und nur der Verkäufer bedarf dieser. Das gleiche gilt [auch] im Falle betrügerischer Preismanipulationen. Und er [der muḥtasib] sollte die Leute [Käufer] davor warnen und sie [die Verkäufer] daran hindern, kurz vor dem Zeitpunkt des Verkaufes [der Tiere] mit dem Melken des Viehs und dem Ansammeln von Milch im Euter aufzuhören, da diese Praktiken als eine Form der Täuschung verboten sind. Eine seiner grundlegenden Aufgaben ist das Verhindern der Ausgabe zu großer oder zu geringer Mengen, Gewichte oder sanajāt [eine Art von Waage]. Dieses ist in der Androhung Allahs, des Erhabenen, begründet, die Er ausspricht um solche Praktiken zu verbieten. Das Anprangern sollte erst recht offenkundig und die Bestrafung erst recht streng sein.

31 Überliefert von Muslim, Ṣaḥīḥ Muslim, 2006, Nr. 6155. Der Hadith ist auch überliefert von Abū Dāwud im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 50), von at-Tirmidhī im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 72), von Ibn Māja im Kapitel at-tijāra (Kapitel 36), von ad-Dārimī im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 10) und von Aḥmad (50/2, 242, 417), (466/3) und (45/4). 32 So steht es im Manuskript; richtig ist jedoch: „an einen Anderen zu verkaufen“; „und Gott weiß es am besten“.

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Er [der muḥtasib] darf die Gewichte und Maße des Marktes prüfen und kontrollieren, wenn er an diesen zweifelt. Falls er Siegel besitzt für diese Instrumente, die unter den Leuten bekannt und die einzigen sind, die verwendet werden, dann ist dies zuverlässiger. Wenn er das macht [Siegel verwendet] und die Leute untereinander Transaktionen durchführen – Instrumente verwenden, die dieses Siegel nicht erhalten haben – dann unterliegen sie der Rüge auf zwei Arten, wenn sie betrügerische Geschäfte machen: Erstens: Wegen ihres Widerstands gegenüber ihm [dem muḥtasib] durch das Nichtverwenden der gesiegelten Instrumente und ihrer Nichtbeachtung/-anerkennung seiner [vom Sultan delegierten] Rechte und Befugnisse. Zweitens: Wegen des Schwindels und des unvollständigen Maßes [gegenüber dem Anderen] und des Verwerfens der Gesetze der Scharia; jedoch, falls sie nicht geeichte Gewichte und Maße verwenden, die frei von Mängeln und Fehlern sind, unterliegen sie nur der Rüge in Bezug auf die [Amts-]Hoheit des Sultans. Jene, die dieses Siegel fälschen, werden auf die gleiche Weise behandelt wie Münzfälscher von Dirhams und Dinaren: Wenn die Fälschung auch noch mit Täuschung einhergeht, dann werden sie der Rüge und der Bestrafung unterliegen auf zwei Arten: 1. Die Fälschung verletzt die [Amts-]Hoheit des Sultans. 2. Die Täuschung verletzt das Gesetz der Scharia und dies ist das Schwerwiegendere von diesen beiden. Wenn keine Täuschung vorliegt, werden sie nur der Rüge unterliegen, die aus der [Verletzung der Amts-] Hoheit des Sultans resultiert – Und diese ist das weniger Schwerwiegende dieser beiden. Wenn die Ortschaft großräumig ist, sodass ihre Bewohner [weitere] Inspektoren der Gewichte, Maße und Währungen brauchen, dann sollte der muḥtasib33 diese auswählen und dafür Sorge tragen, nur jene zu ernennen, mit deren Ehrlichkeit und Verlässlichkeit er zufrieden ist. Ihre Aufwandsentschädigungen sind aus dem bayt al-māl zu entrichten, wenn es ausreichende Mittel dafür gibt; wenn nicht, sollte er diese auf einen Betrag festlegen, der weder ausufernd, noch unzureichend ist, damit es nicht zu Vetternwirtschaft oder Betrug bei der Prüfung der Gewichte und Maße kommt. Ehemals pflegten die Emire34 sie [die Inspektoren] auszuwählen, ihre Pflichten festzulegen und ihre Namen in den Diwanen [dawāwīn]35 zu registrieren, sodass keine unzuverlässigen Personen von draußen eingebunden werden konnten. Falls einer dieser Beauftragten sich als zu unehrlich für die Aufsicht

33 Hier als oberster Aufseher oder Supervisor des Aufsichtsamts. 34 Plural von Emir; Gouverneure; vgl. hierzu Wehr 1952, 42: „Befehlshaber (mil.)“. 35 Staats-/Amtsregister; vgl. hierzu Wehr 1952, 420: „Rechnungsbücher des Staatshaushaltes (in d. älteren islamischen Staatsverwaltung); Kanzlei, Amt, Büro; Verwaltungsstelle, Behörde“.

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von Gewichten und Maßen herausstellt durch [das Tolerieren der] Erhöhung oder Minderung der Beträge, dann ist er zu bestrafen, aus der Gruppe der Inspektoren auszuschließen und an der Ausübung öffentlicher Arbeiten zu hindern. Dies gilt genauso für die Makler – d.  h., denjenigen, denen vertraut wird, ist es erlaubt, dieser Aufgabe nachzugehen und denjenigen, die unehrlich sind, nicht. Und diese sind dann die Aufgaben derjenigen, die zuständig für die ḥisba sind, wenn die Emire diesen [selbst] nicht nachgehen. Was die Ernennungen jener angeht, die für das Aufteilen und die Verwaltung der Nachlässe verantwortlich sind, sind die Richter befugter [als die muḥtasibūn], diese Ernennungen zu machen, weil sie das Vermögen von Waisen und denen, die abwesend sind, in Vertretung [der Richter] schätzen und verwalten. Was die Wahl der Wachmänner in den Sippen [Dörfern] und auf den Märkten betrifft, so wird diese von den Ordnungskräften getroffen. Wenn es zu einem Streit wegen unvollständigen Gewichts oder Maßes kommt, kann der muḥtasib so lange ermitteln, wie die beiden Parteien die Angelegenheit anfechten, in welchem Fall jedoch die Richter die größere Befugnis besitzen, die Angelegenheit zu untersuchen als [der muḥtasib], da sie befugter sind, Urteile auszusprechen, obwohl die Bestrafung vom muḥtasib auferlegt wird. Falls der Herrschende den Fall übernimmt, so ist dies erlaubt, weil seine [Amts-]Gewalt mit der des Richters und des muḥtasibs verbunden sind. Unter den Dingen, die der muḥtasib in allgemeiner Weise verurteilen kann, wenn auch nicht in [im Falle] einer privaten Angelegenheit oder dem Fall eines Individuums, sind Verkäufe, die mit der Benutzung von Gewichten und Maßen durchgeführt worden sind, die den Bewohnern der Ortschaft nicht bekannt sind, auch wenn diese woanders bekannt sein mögen. Falls jedoch zwei Personen sich einigen, diese zu benutzen, dann steht es ihm [dem muḥtasib] nicht zu, sich ihnen entgegenzustellen oder sie daran zu hindern. Er sollte indes ihren allgemeinen Gebrauch verhindern, weil jemand, der sich nicht mit diesen auskennt, sie benutzen und betrogen werden könnte.

3.6 Von den Rechten der Menschen36 Was jenes betrifft, welches er [der muḥtasib] im Bereich der reinen Rechte des Menschen verurteilen kann, so fällt z. B. darunter, z.  B. wenn ein Mann das Recht seines Nachbarn verletzt, ob durch das Nichteinhalten seiner [Haus-]Grenze,

36 Wörtlich: „Anrechten“ der Menschen. (ḥuqūq al-ādamiyyīn)

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durch das Eindringen in den ḥarīm37 seines Hauses oder durch das Setzen von Balken in seine Wand.38 Es steht dem muḥtasib [in solch einem Fall] nicht zu, zu intervenieren, bis der Nachbar seinen Beistand ersucht, weil das Recht dem Letzteren [dem Geschädigten] zusteht und er den Übergriff entweder verzeihen oder dessen Beseitigung verlangen kann. Falls er [der Nachbar] dagegen klagt, kann der muḥtasib nur dann ermitteln, wenn es zwischen ihnen [den Nachbarn] keinen Streit und keine gegenseitigen Ablehnungen/Verweigerungen gibt. In diesem Fall muss er dem Übergriff ein Ende setzen und hat entsprechend den Umständen eine Bestrafung zu verhängen. Wenn sie miteinander streiten, so ist der Richter eher befugt, [den Fall] zu untersuchen. Wenn ein Nachbar den Übergriff des anderen hinnimmt/toleriert und den anderen zunächst nicht dazu anhält, das unrechtmäßig Erbaute abzureißen, aber dann später die Beseitigung des Übergriffes verlangt, kann er dies tun und [der muḥtasib] kann abreißen lassen, was illegal erbaut wurde, obwohl es zunächst geduldet worden ist. Falls er den Bau unter Zustimmung des Nachbarn begonnen hat und die Balken mit dessen Erlaubnis installiert worden sind und Letzterer seine Erlaubnis zurückzieht, ist der andere Nachbar nicht verpflichtet, es [die Balken] abzureißen. Falls das Geäst eines Baumes über das Haus eines Nachbarn hinausreicht, hat besagter Nachbar sich an den muḥtasib zu wenden [die Hilfe des muḥtasibs zu ersuchen], um den Besitzer des Baumes die widrigen Äste abschneiden zu lassen. Aber es gibt keine Bestrafung, weil ihr Hinausreichen in die Domäne des Anderen nicht sein Verschulden ist. Falls die Wurzeln eines Baumes sich im Erdreich ausbreiten, sodass sie in das Grundstück des Nachbarn hineinwachsen, muss der Besitzer des Baumes ihn nicht entwurzeln, aber der Nachbar wird nicht daran gehindert, sein Land zu bestellen, selbst dann nicht, wenn dies bedeuten würde, die Wurzeln zu kappen. Gleichermaßen, wenn der Besitzer des Hauses einen Ofen39 in dieses einbaut und dessen Rauch den Nachbarn belästigt, kann [der muḥtasib] sich ihm darin nicht entgegenstellen und ihm nicht verbieten, ihn [den Ofen] zu verwenden. Ebenso, wenn jemand eine Mühle, eine Schmiede oder eine Walkerei aufstellt. Dann kann er denjenigen nicht aufhalten, weil die Menschen das tun müssen und die Leute mit ihrem Besitz verfahren können, wie sie wollen. Wenn ein Auftraggeber sich inkorrekt verhält, indem er entweder den Lohn kürzt oder [bei gleichbleibender Bezahlung] den Arbeitsumfang erhöht, dann

37 (Unverletzlicher) Bereich der Frauen. 38 Dies meint das Nutzen der Nachbarsmauer als Stütze für den eigenen Dachstuhl. 39 Im Original steht „König“, richtig ist jedoch „Besitzer“; und Gott weiß es am besten.

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sollte er [der muḥtasib] den Missbrauch stoppen und seine Maßregelung sollte in Proportion zu den Umständen stehen. Wenn es die beauftragte Person ist, die sich inkorrekt verhält – durch unzureichendes Arbeiten oder das Verlangen nach höherer Bezahlung [bei gleichem Leistungsumfang] – dann sollte er [der muḥtasib] ihn daran hindern und ihn anprangern, wenn beide vor ihm erscheinen, um den Fall vorzubringen. Wenn sie beide verschiedener Meinung sind und sich voller Ablehnung gegenüberstehen, ist der Richter eher befugt, zwischen den beiden zu urteilen. Die ḥisba-Beauftragten sind auch für das Beaufsichtigen von drei Arten von Fachkräften/Handwerkern auf den Märkten verantwortlich: jene von ihnen, die sie beaufsichtigen, um sicherzustellen, dass deren Arbeit dem Standard entspricht und nicht fehlerhaft ist; jene von ihnen, bei denen sie sicherstellen, dass sie in einer vertrauenswürdigen und nicht in einer unehrlichen Weise handeln; [und] jene von ihnen, deren Arbeit sie inspizieren, um ihre Qualität zu gewährleisten oder [falls vorhanden] Mängel daran festzustellen: – Sein Sicherstellen betreffend, dass die Arbeit [der Norm und] dem Standard entspricht und nicht fehlerhaft ist, so gilt dies beispielsweise im Falle von Ärzten und Lehrern. Bei Ersteren, weil sie Menschen behandeln und jedwede Vernachlässigung ihrerseits zu Krankheit Tod oder führen würde; bei Letzteren wegen der Methoden, die sie anwenden, um Kinder zu erziehen und in ihnen etwas hervorzubringen, das schwer zu ändern wäre, sobald sie erst erwachsen wären. Folglich sollte er [der muḥtasib] zusehen, dass sie ausreichend Wissen [besitzen] und gute Methoden haben, und er sollte jene mit Unzulänglichkeit oder schlechten Eigenschaften die dazu führen würden, dass sie [die Lehrer] in den Leuten Erkrankungen verursachen oder gutes Verhalten verderben, [am Lehren] hindern. – Sein Sicherstellen betreffend, dass Handwerker vertrauenswürdig sind und nicht unehrlich handeln, so gilt dies beispielsweise im Falle von Goldschmieden, Webern, Walkern oder Färbern, weil diese sich mit dem Eigentum der Leute davonmachen könnten. So sollte er [der muḥtasib] zusehen, dass nur solche, die vertrauenswürdig sind, zugelassen werden. Jene, die Zeichen von Unehrlichkeit zeigen, entfernt er [von dem jeweiligen Beruf]. Er macht dies öffentlich, sodass jene, die von deren Unehrlichkeit nichts wussten, nicht betrogen werden. Es wird allerdings auch gesagt, dass die Ordnungskräfte und Regierungsmitarbeiter qualifizierter sind [als der muḥtasib], solche Personen zu prüfen, und das ist eher richtig, da Unehrlichkeit eine Form von Diebstahl ist. – Was das Kontrollieren der Qualität oder des Mangels an selbiger in der Arbeit betrifft, so ist dies die besondere Zuständigkeit [der muḥtasibūn]. Sie müssen im Allgemeinen jegliche schlechte oder mangelhafte Arbeitsaus-

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führung ahnden, sogar, wenn es keine dritte Partei gibt, die sich bei ihnen beschwert hat. Was bestimmte Arbeiten angeht, bei denen ein Handwerker sich schlechte Arbeitsleistungen zur Gewohnheit gemacht hat, oder betrügerischer Handlungen schuldig ist, dann sollte er, falls jemand seine Hilfe [die Hilfe des muḥtasibs] in der Angelegenheit sucht, darauf antworten, indem er dessen [des Handwerkers] Arbeit anzeigt und Strafmaßnahmen verhängt. Wenn eine Entschädigung [Vertragsstrafe] bezahlt werden muss, dann soll er die einschlägige Strafe [dem Umstand nach] berücksichtigen. Wenn eine Wertermittlung gemacht werden muss, sollte der muḥtasib nicht involviert werden, da er nicht über die Kapazität und Kompetenz verfügt, juristischen ijtihād40 auszuüben, und ein qāḍī41 wäre berechtigter, die Angelegenheit zu untersuchen. Falls es keinen Bedarf an einer Wertermittlung gibt und der geforderte Betrag den Verlust deckt, kein ijtihād eingebunden ist und keine entgegengesetzte Forderung vorliegt, dann sollte der muḥtasib handeln. Er erlegt die [Vertrags-]Strafe auf und bestraft die falsche Handlung. Denn es geht hier um das Etablieren von Recht und das Veranlassen von Strafmaßnahmen für Verstöße gegen das Gesetz [wofür er zuständig ist]. Er darf die Preise für Nahrungsmittel oder andere Güter für die Leute nicht vorgeben, sei es in Zeiten geringer oder hoher Preise – obwohl Mālik dies zulässt, wenn die Preise für Nahrungsmittel hoch sind. 3.6.1 Vom Verweigern der gemeinsamen Rechte42 Was jenes betrifft, das er [der muḥtasib] in Bezug auf solche Rechte anzeigen kann, die Allah und den Menschen gemein sind, so schließt dies z.  B. ein, die Leute am Spähen in die Häuser ihrer Nachbarn zu hindern. Es steht ihm nicht zu, jemanden, der ein hohes Gebäude errichtet, dazu zu bringen, das Gebäude zu überdachen, sondern, ihn dazu anzuhalten, dass er nicht in fremde Häuser späht. Die ahl adh-dhimma sind daran zu hindern, Gebäude zu bauen, die höher sind als jene von Muslimen; jene, die bereits hohe Gebäude besitzen, dürfen diese behalten, aber sie sind daran zu hindern, auf Muslime herunter zu spähen. Er [der

40 An dieser Stelle ist der Begriff als Kompetenz bzw. Meisterschaft in der Gesetzeskenntnis zu verstehen. 41 Der Begriff bezeichnet hier einen Amtsträger mit richterlicher Befugnis. Vgl. hierzu Wehr 1952, 1036: „Richter; Untersuchungsrichter“. 42 Wörtlich: „gemeinsamen Anrechte“ (al-ḥuqūq al-muštaraka).

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muḥtasib] stellt ebenfalls sicher, dass die Bedingungen eingehalten werden, dass sie [die ahl adh-dhimma] sich durch das Tragen besonderer Kleidung kenntlich machen, eine verschiedene äußerliche Form annehmen und ihre Meinung über ʿUzayr und den Messias für sich behalten und nicht in der Öffentlichkeit kundtun. Er soll Muslime daran hindern, sie zu beleidigen oder zu verletzen, und verhängt Bestrafungen über jene, die dies tun. Wenn es Imame von gut besuchten Moscheen und Freitagsmoscheen gibt, die das Gebet ausdehnen, sodass schwache Personen nicht mitbeten können und jene, die Sachen zu erledigen haben, das Gebet [hinter diesen] Imamen vermeiden müssen, dann sollte er [der muḥtasib] dies verurteilen, so wie es der Gesandte, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, es gegenüber Muʿādh b. Jabal getan hat, als dieser das Gebet in seiner Sippe auszudehnen pflegte. Während dieser [Muʿādh] seinen Leuten vorstand, sagte er [der Prophet] „Bist du [etwa] ein Geißler, oh Muʿādh?“43 Wenn die Person darauf besteht, das Gebet auszudehnen und sich weigert, damit aufzuhören, kann er sie hierfür nicht bestrafen; eher sollte er sie durch jemanden ersetzen, der die Gebete kürzer verrichten wird. Wenn unter den Richtern einer ist, der sich weigert, eine Prozesspartei zu empfangen, die zu ihm kommt, oder sich weigert, zwischen zerstrittenen Menschen zu urteilen, wenn sie bei ihm Zuflucht suchen, sodass die Urteile [aḥkām] eingestellt werden und die Prozessparteien dadurch Schaden erleiden, dann kann der muḥtasib, wenn keine gültige Rechtfertigung für die Vernachlässigung der Arbeit vorliegt, dafür Sorge tragen, dass dieser [Richter] seinen Aufgaben nachgeht, zwischen den Prozessparteien ermittelt und ein Urteil zwischen den Streitenden spricht. Der höhere Rang des Richters darf kein Hindernis sein, seine Verfehlungen zu verurteilen. Bereits Ibrāhīm b. Baṭḥāʾ, der muḥtasib für beide [Stadt-]Teile Bagdads, ging am Haus von Abū ʿUmar b. Ḥammād vorüber, der zu dieser Zeit der oberste Richter war. Da sah er auf diesen [Richter] wartende Prozessparteien vor dessen Tür sitzen, damit dieser zwischen ihnen ein Urteil fälle. Der Tag war ziemlich vorangeschritten und die Sonne schien stark. So hielt er [Ibrāhīm b. Baṭḥāʾ] an und rief den Türhüter/Gehilfen [des Richters], wobei er sagte: „Sag dem obersten Richter, dass Prozessparteien an seiner Tür warten, dass die Sonne hoch auf ist und dass sie wegen des Wartens leiden. Entweder soll er dem Gericht zwischen ihnen vorsitzen oder er soll seine Rechtfertigung [für sein Fernbleiben] bekannt

43 Überliefert von at-Tirmidhī, Sunan at-Tirmidhī, Nr. 790. Der Hadith ist auch überliefert von alBukhārī im Kapitel al-adab (Kapitel 74), von Muslim im Kapitel aṣ-ṣalāt (Nr. 178), von Abū Dāwūd im Kapitel aṣ-ṣalāt (Kapitel 124), von Nasāʾī im Kapitel al-imāma (Kapitel 39; 41) und im Kapitel al-iftitāḥ (Kapitel 63; 70) und von Aḥmad (124/3, 299, 300, 308, 369).

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machen, sodass sie gehen und zu einem anderen Zeitpunkt wiederkehren können.“ Wenn ein Besitzer von Sklaven diese für eine Aufgabe einsetzt, der sie nicht dauerhaft nachkommen können, dann kann der muḥtasib dieses Vergehen erst ahnden und den Besitzer belehren, wenn die Sklaven ihn um Beistand ersuchen. Falls die Sklaven seinen Beistand ersuchen, so warnt er den Besitzer und unternimmt Strafmaßnahmen. Falls ein Besitzer von Tieren diese für Aufgaben einsetzt, zu denen sie nicht die ganze Zeit in der Lage sind, dann sollte ihn der muḥtasib anprangern und ihn an solchen Praktiken hindern, sogar, wenn sich keiner bei ihm beschwert hat. Wenn der Besitzer behauptet, dass die Tiere [zu der Arbeit] in der Lage sind, für die er sie einsetzt, dann kann der muḥtasib den Fall untersuchen. Denn wenn die Angelegenheit eines bestimmten Grades an ijtihād bedarf, ist es auch eine Frage des Brauches, und somit kann er auf die Bräuche und Gewohnheiten der Menschen [vor Ort] zurückgreifen. An dieser Stelle ist es kein juristischer ijtihād sondern eher ein ijtihād, basierend auf Gebräuchen, von dem der muḥtasib nicht ausgeschlossen werden kann, obwohl er zu einem rein juristischen ijtihād nicht befugt ist. Wenn ein Sklave sich [beim muḥtasib] beschwert, dass sein Herr sich weigert, ihm Kleidung und Unterhalt zu geben, dann kann der muḥtasib anordnen, dass diese ihm gegeben werden und sicherstellen, dass der Herr dies auch tut. Falls er [der Sklave] sich beschwert, dass die Bezahlung seines Herrn für diese nicht ausreicht, ist der muḥtasib nicht einzubinden, da die Höhe der Bezahlung Gegenstand von juristischem ijtihād ist, während die Verpflichtung zu den naturmäßigen Grundbedürfnissen nicht Gegenstand von juristischem ijtihād ist. Denn die Schätzung [des Betrags] ist durch einen Text festgelegt, wohingegen es die Rechtsverbindlichkeit dieser [Schätzung] nicht ist. Der muḥtasib kann Schiffsbesitzer daran hindern, eine Ladung zu befördern, welche die Schiffskapazität überschreitet, damit es nicht zu dessen Sinken kommt. Ebenso sollte er sie vom Segeln abhalten, wenn starke Winde wehen. Wenn Männer und Frauen befördert werden, dann sollte er zusehen, dass sie durch eine Absperrung getrennt sind. Und wenn das Schiff groß genug ist, dann müssen separate Eingänge zu den Toiletten für Frauen installiert werden, damit sie sich nicht exponieren, wenn sie die Notdurft verrichten. Falls es einen Markthändler gibt, der es besonders gewohnt ist, mit Frauen zu handeln, sollte der muḥtasib sein gutes Verhalten und seine Vertrauenswürdigkeit prüfen. Wenn er diese nachweist, verbleibt derjenige beim Handel mit Frauen. Falls aber Zweifel aufkommen und es klare Zeichen unlauteren Verhaltens seinerseits gibt, dann wird er davon abgehalten, mit ihnen zu handeln, und er wird bestraft, falls er dies weiter tut [weiterhin den Kontakt sucht]. Es wird auch gesagt, dass eher die Gesetzeshüter und die Inspektoren der Regierung jene

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sein sollten, die ein solches Verhalten verurteilen und verhindern als sie [die muḥtasibs], da es als ein Aspekt der Unzucht betrachtet wird. Er [der muḥtasib] muss die Gestaltung bzw. den Belegungsplan des Marktes überblicken und das Belegen von Plätzen zulassen, durch deren Belegung Passanten kein Schaden zugefügt wird; aber er sollte die [Belegungen] verhindern, welche Passanten Schaden zufügen. Dies kann er ohne vorherige Beschwerde über diese Angelegenheit tun, obwohl nach Abū Ḥanīfa eine solche Maßnahme davon abhängt, dass eine solche Beschwerde eingereicht wurde. Falls Leute eine Konstruktion auf einer öffentlichen Verkehrsstraße errichten, dann werden sie daran gehindert, auch wenn die Verkehrsstraße breit ist. Sie sollten dazu gebracht werden, abzureißen, was sie aufgebaut haben, sogar, wenn es eine Moschee ist, da der Zweck von Verkehrswegen das Reisen ist und nicht das Errichten von Gebäuden. Wenn Leute ihr Material und ihre Baumaschinen vorübergehend auf Verkehrswegen abstellen, mit der Absicht, diese nach und nach wegzubewegen, dann dürfen sie dies tun, wenn Passanten [gegenüber] kein Schaden verursacht wird; aber sie sind daran zu hindern, falls ihnen [Passanten] Schaden entsteht. Gleichermaßen, wenn dort Bauteile eines Gebäudes, Torbogen, Wasserkanäle oder Abwasserrinnen sind: Diese sind erlaubt, falls kein Schaden verursacht wird, jedoch verboten, wenn Schaden verursacht wird. Dem muḥtasib steht zu, ijtihād darüber zu machen, was Schaden verursacht, und was nicht, da sein Urteil eher auf dem Brauch begründet sein wird als auf rechtlicher Präzedenz. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von ijtihād ist, dass der juristische ijtihād jener ist, in dem den rechtlichen Prinzipien Rechnung getragen wird, auf welchen die Regelung begründet ist, während der ijtihād brauchtümlicher Praktiken jener ist, dessen Regelungen auf dem basieren, was die Leute gewohnheitsmäßig unter bestimmten Umständen tun. Der Unterschied wird klar durch das Unterscheiden der Fälle, in denen der muḥtasib ijtihād machen darf, von jenen, in denen er keinen ijtihād machen darf. Der muḥtasib muss verhindern, dass Leichname aus ihren Gräbern entfernt werden, ob Letztere sich in Privatbesitz befinden oder im gemeinsamen Boden liegen, außer, wenn sie entwendet werden von Grund und Boden, welcher usurpiert wurde, in welchem Falle der rechtmäßige Eigentümer diejenigen, die den Leichnam dort begraben haben, rechtlich zwingen kann, [diesen] irgendwo anders hin zu überführen. Es gibt einen Meinungsunterschied darüber, ob es erlaubt ist, Leichname vom Land zu überführen, das geflutet wurde oder Gegenstand starker Feuchtigkeit ist: Az-Zubayrī erlaubt es, während andere es verbieten. Der muḥtasib muss die Kastration von Männern und Tieren verhindern und die Verantwortlichen bestrafen. Falls jemand berechtigt ist, [das Recht auf] Vergeltung oder Blutgeld zu üben, sollte er sicherstellen, dass diesem Berechtigten

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sein Recht erfüllt wird, solange es keinen Streit oder Gegenanspruch im Namen der beiden Parteien gibt. Er muss ältere Männer davon abhalten, ihr Haar schwarz zu färben, außer, wenn sie sich auf dem Weg Allahs befleißigen, und er sollte jene bestrafen, die ihr Haar wegen der Frauen tönen. Er sollte jedoch nicht den Gebrauch von Henna und katam44 verhindern. Er sollte jedweden Gewinn aus Wahrsagerei und Glücksspiel unterbinden und beide [Prozesspartner] bestrafen, diejenigen, die die Zahlung entgegennehmen und diejenigen, die diese tätigen. Diese Auflistung könnte ausgeweitet werden, da es unzählige Beispiele von Fehlverhalten gibt: Jene, die wir erwähnt haben, werden dazu dienen, jene zu illustrieren, die wir nicht erwähnt haben. Die ḥisba ist eine der grundlegenden Angelegenheiten der Religion. Die Imame der ersten Generationen unternahmen diese selbst wegen des allgemeinen Nutzens darin und der großartigen Belohnung, die zu gewinnen ist. Als jedoch der Sultan sich von solchen Geschäften abwendete und Personen [dafür] ernannte, die über geringe Achtung verfügten und sie [die ḥisba] zu einem Mittel wurde, Geld zu verdienen und Schmiergelder zu erhalten, war sie in den Augen der Leute von geringem Ansehen. Allerdings, nur, weil ein Versäumnis in der Pflege eines fundamentalen Prinzips geschah, bedeutet das nicht, dass die Regelung annulliert wurde. Die Rechtsgelehrten haben es bis zu einem unermesslichen Grad vernachlässigt, die Regeln der ḥisba zu erklären. Tatsächlich behandelt der größere Teil dieses Buches von uns Angelegenheiten, welche die Rechtsgelehrten entweder vernachlässigten, oder unzureichend diskutiert haben. Wir haben [in diesem Buch] erwähnt, was sie vernachlässigt haben, und wir haben in vollem Umfang behandelt, was sie unzureichend diskutiert haben. Ich bitte Allah um Erfolg für unseren Zweck und um Hilfe bei dem, was wir beabsichtigen, durch Seine Gunst und Seinen Willen. Meine Genüge ist Allah, welch vorzüglicher Sachwalter.

4 Ḥisba zwischen Institutionalisierung und Privatisierung „Hiya amrun bil-maʿrūfi iḏā ẓahara tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira fiʿluhu“45 lautet al-Māwardīs prägnante Definition des Begriffes ḥisba. Sie weicht im Wortlaut von der fundamentalen Formel „Gebieten des Guten und Verbieten 44 Mädchen vermischen es zum Auftragen von schwarzen Malen und Lidschatten. 45 Al-Māwardī 2013, 260.

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des Verwerflichen“46 nur insofern ab, als dass bei al-Māwardī von Gutem und Üblem die Rede ist, das vernachlässigt („iḏā ẓahara tarkuhu“) bzw. ‚öffentlich‘ praktiziert („iḏā uẓhira fiʿluhu“) wird. Somit setzt er, wenn auch zunächst nicht weniger ideell, einen Tatbestand voraus, der das (schiere) Prinzip materialisiert und verwertet. Das Bekenntnis unmittelbar einschließend, dass dieses imperative Postulat wirklich jeden Muslim betrifft,47 stellt er mit der Person des muḥtasibs dem mutaṭawwiʿ einen zentralen Akteur gegenüber und relativiert anhand folgender Kriterien die zuvor ausgesprochene, an die Allgemeinheit der Muslime gerichtete Forderung: 1. Die Pflicht des muḥtasibs rühre von seiner Berufung als Amtsperson („bi-ḥukmi al-wilāyati“, S. 260) her, während die Plicht anderer eine Verantwortung der Gemeinschaft („fī furūḍ al-kifāyat“, S. 260) sei; 2. Das Tun des muḥtasibs unterliege der Notwendigkeit seiner Berufung, die er nicht an andere übertragen könne, wohingegen ein jeder andere diese Handlung freiwillig vollziehe und diese von ihrer Beschaffenheit (ihrer Freiwilligkeit) her an andere überantworten oder sie komplett auslassen könne. 3. Das Amt des muḥtasibs gründe sich darauf, dass die Leute seine Hilfe/Beistand im Falle von Ordnungswidrigkeiten ersuchen können, der Freiwillige indes kein derartiges Amt bekleide. 4. Der muḥtasib müsse auf die Beschwerden der Leute reagieren, wo doch der mutaṭawwiʿ dazu nicht verpflichtet sei. 5. Dem muḥtasib obliege es, aufkommende üble Vorfälle zu beachten, sodass er sie verurteilen und dem Defizit an gutem Benehmen nachgehen kann, um es [das gute Benehmen] wieder zu erneuern, während Freiwillige auf solche Vorfälle nicht achten und diese nicht untersuchen müssten. 6. Um seiner Aufgabe gerecht werden zu können, sei der muḥtasib auf Unterstützer angewiesen, die das Übel anprangern, wohingegen Freiwillige nicht die Unterstützung anderer ersuchen/einfordern dürften. 7. Er (der muḥtasib) könne Ermessensstrafen für üble Vorfälle verhängen, solange sie nicht an die Grenzen des ḥadd heranreichen, wohingegen ein Freiwilliger dies nicht dürfe. 8. Für seine ḥisba dürfe er (der muḥtasib) aus dem bayt al-māl entlohnt werden, während ein Freiwilliger im Rahmen seiner ḥisba nicht für das Anprangern des Übels bezahlt werden könne. 9. Er (der muḥtasib) dürfe Urteile aus eigenem ijtihād, basierend auf dem Wissen um Bräuche und gewohnheitsmäßige Praxis, fällen (Angelegenheiten der Scharia ausgenommen), wohingegen dies einem Freiwilligen nicht freistehe. Al-Māwardī rechtfertigt durch die Hervorhebung der Unterschiede zwischen einem Freiwilligen (mutaṭawwiʿ) und einem ḥisba-Beauftragten (muḥtasib) eine

46 Grundlage ist Sure 3, 104: „Und es soll aus euch eine Gemeinschaft werden, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet. Jene sind es, denen es wohl ergeht.“ 47 al-Māwardī 2013, 260: „wa-hāḏā wa-in ṣaḥḥa min kull muslim“.

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institutionalisierte Funktion der ḥisba innerhalb des muslimischen Gemeinwesens. Er spricht dem Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft das (ethisch-moralische und gesellschaftlich-politische) Mündigsein zwar nicht ab, hebt jedoch dessen Unvermögen bezüglich einer umfassenden und vehementen Ordnungssicherung hervor. Folgerichtig schreibt al-Māwardī dem Staat die Aufgabe zu, über die öffentliche Ordnung zu wachen, ohne die Verantwortung des Individuums zu vernachlässigen. Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām rückt hingegen die ḥisba als Aufgabe des Individuums und der Gesellschaft ins Zentrum und appelliert an beide ihrer Verantwortung für die öffentliche Ordnung nachzukommen. Er betont die religiöse Natur der ḥisba als islamisches Gebot und kollektive Pflicht – basierend auf Sure 3, 10: „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht worden ist. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche.“ Diese religiöse Natur der ḥisba sei die Garantie dafür, dass sie in einem nichtmuslimischen Land nicht ausfalle, so Imām weiter.48 Hier hält sich Imām an die klassische Interpretation des oben genannten Verses, welche „das Gebieten des Guten und das Verbieten des Verwerflichen“ als Aufgabe eines jeden Muslims ansieht.49 Die Meinung al-Māwardīs gilt in dieser Hinsicht als innovativ und stieß später auf positive Resonanz. Folgende Kommentare untermauern seine Meinung und akzentuieren die ḥisba: „Wie hoch auch immer der individuelle moralische Standard sein mag, er kann nicht die vom Islam angestrebten Zielsetzungen erreichen, wenn nicht die Gesellschaft als ganze religiös und gottesfürchtig und frei von Korruption und Mißbrauch [sic!] aller Art ist. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich wenigstens eine Personengruppe der Aufgabe widmet, die Menschen auf den Weg der Rechtschaffenheit zu rufen und dem Volk die goldenen Regeln moralischen Verhaltens nahezulegen und den Übeltätern das Böse zu verwehren.“50 An diese implizierte Feststellung, dass das Mündigsein eines Einzelnen zur ḥisba nicht ausreiche, schließt sich folgende Behauptung an: Zum Gebieten des Guten und Verbieten des Bösen muß [sic!] angemerkt werden, daß [sic!] es nur dann effektiv geschehen kann, wenn eine gesellschaftliche Kraft dahintersteht, und die effektivste Kraft ist die Regierung und die Verwaltung.51

48 Imām, 1986, 96. 49 Zu mehrdeutigen Interpretationen dieses Verses vgl. meinen Beitrag, Mahmoud Abdallah, “Übersetzung als Entscheidungsprozess – Ambiguität im Koran am Beispiel Umma“ In Journal of Faculty of Alsun, Kairo: Universität Ain Shams Press, 2017, 541–580. 50 Die Bedeutung des Korans. Bd. 1 (1998): 164. 51 Ebd.

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Der vermeintliche Mangel an Effektivität (ziviler/individueller ḥisba) wird im Folgenden zu einer von Seiten staatlicher Ordnungsmacht durchgesetzten ḥisba: Es ist folglich unumgänglich, daß [sic!] es eine Gemeinschaft gibt, die zum Heil anruft, Gutes gebietet und Böses verwehrt. Und ebenso ist es unumgänglich, daß [sic!] die Staatsmacht diese Aufgabe übernimmt. Der Text des Qur’āns beinhaltet nicht nur den Aufruf zum Heil, sondern auch den Befehl, das Gute zu gebieten und vom Bösen abzuhalten. Während es für jedermann möglich ist, auch ohne größere Machtbefugnisse, zum Heil aufzurufen, bedarf es das Gebieten und Verbieten der höchsten Autorität eines Landes – nur ihr stehen ‚Befehl‘ und ‚Verbot‘ zu.52

Den oben angeführten Beispielen aus der modernen Literatur können wir zwei grundlegende Voraussetzungen entnehmen: Zum einen macht gerade die ḥisba das gottgewollte Besondere eines muslimischen Gemeinwesens aus; zum anderen besteht die Notwendigkeit einer institutionalisierten ḥisba. Diese Position unterscheidet sich kaum von der al-Māwardīs, allerding spricht er nicht von einer Institution, sondern von einem Amt/einer Person. Bei al-Māwardī mündet die Institution der ḥisba im Amt des muḥtasibs, welcher vom Oberhaupt der gesamten muslimischen Gemeinschaft, dem Imam, ernannt wird. Aus der allgemeinen Pflicht, das Gute zu gebieten und das Böse zu verbieten, entwickelt al-Māwardī ein Aufsichts- und „Ordnungsamt“. Dieser Vorgang trägt zur Stabilität und Transparenz der öffentlichen Ordnung und der Gesellschaft bei und bedeutet zugleich eine Verschiebung vom Politischen zum Moralisch-Ethischen.53 Nicht die Legitimität der Herrschaft über die Gemeinschaft der Gläubigen ist in diesem Zusammenhang wesentlich, sondern das Sicherstellen des Befolgens der göttlichen Ge- und Verbote sowie von Gerechtigkeit bzw. Recht und Ordnung. Dementsprechend weist al-Māwardī lediglich implizit auf die Maßnahmen hin, welche der muḥtasib unternehmen kann, um Recht und Ordnung zu bewahren oder wiederherzustellen. Vielmehr konzentriert er sich auf die eigentliche Aufgabe des muḥtasib, nämlich das Sicherstellen des Befolgens der göttlichen Ge- und Verbote. In diesem Zusammenhang räumt al-Māwardī auch dem Brauch eine wichtige Rolle ein. In Situationen, in denen der Brauch eine Rolle spielt, darf der muḥtasib ijtihād betreiben und sich an bestehenden Bräuchen orientieren. Nicht selten hängen die Strafmaßnahmen von der Situation ab. Dementsprechend spielt bei ḥisba nicht nur ʿurf (Brauch) eine Rolle, sondern auch die Vernunft. Der muḥtasib ist oft auf seine Kompetenz und seine eigene Einschätzung angewiesen. Al-Māwardī beschreibt die Funktion des muḥtasib somit als

52 Ebd. 53 Vgl. Lambton, 1981, 311.

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Balanceakt zwischen abstraktem theologischem Regelwerk und realem Kontext unter Zuhilfenahme von Rationalität. Al-Ghazālī geht hingegen explizit auf die unterschiedlichen Maßnahmen des muḥtasibs ein. Er unterteilt das Verbieten des Bösen („al-inkār”) in zehn Kategorien: Das Erkennen, das Bekanntmachen, das Verbieten, das Raten und Mahnen, das Beschimpfen und Tadeln, das Verändern durchs Tun, die Androhung von Schlägen, das (tatsächliche) Schlagen, das Vorhalten einer Waffe und das Zurschaustellen der Überlegenheit durch das Hinzuziehen von Unterstützern und Soldaten”.54 Diese Klassifikation ist aber nicht verbindlich und setzt keine Reihenfolge voraus, sondern weist nur daraufhin, dass der muḥtasib die Aufgabe des Ge- und Verbietens hat. Er darf mit dem Ziel der Abschreckung des Übeltäters noch darüber hinausgehen. Dementsprechend darf er strengere Maßnahmen erst ergreifen, wenn die milderen keine Wirkung zeigen. Sowohl situations- als auch kontextabhängig kann der muḥtasib die entsprechenden (moderneren) Maßnahmen ergreifen, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Von dem konstitutionellen Postulat der ḥisba gelangt al-Māwardī zur impliziten institutionellen Berufung und somit der der Rechenschaft unterliegenden, amtlichen Verantwortlichkeit. Somit entwickelt al-Māwardī den Ansatz einer zweckorientierten Theologie.55 Die ḥisba wird an das Amt des muḥtasibs delegiert, welches eine Schnittmenge der Religion und des Sozialen, aber auch des Infrastrukturellen und Kommerziellen (Aufsicht über Produktion, Handel, Verkehr, Bildung und Gesundheitswesen) darstellt. Ḥisba bildet folglich keine Grundlage für das Eingreifen des Individuums in die politische Gestaltung des Gemeinwesens, sondern eine institutionelle Obligation des Staates, die durch die Herrschaft des Sultans verkörpert und durch die Aufsichts- und Ordnungspflicht sowie durch die Befugnis des muḥtasibs reguliert wird. Die Reichweite dieses Vorgangs äußert sich auch im Auftrag des muḥtasibs zur Kontrolle und Organisation einzelner Gewerbe und zur Erhaltung von Qualitätsstandards. Auch zu den Verfehlungen, gegen die er vorgehen muss (Betrügereien und Warenfälschungen, Verstöße gegen die Regeln des Anstands), liegen detaillierte Vorgaben vor. Einschließlich der Regulierung von Gewerbe und Handel (Zoll, Geldwechsel, Münze, Wettbewerb, Monopol und Preispolitik) obliegt dem muḥtasib folglich die Integration der wirtschaftlichen und sozialen Zweige in die Gesellschaft. Folglich kann die institutionalisierte ḥisba als ein Supplement der

54 Abū Ḥāmid al-Ghazālī. Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn, Bd. 2 (2013): 420. 55 Ausführlicher hierzu siehe Mahmoud Abdallah, „Religion, Gesellschaft und Moralwerte – Umma zwischen Heterogenität der Gegenwart und dem Traum von Einheit“ In Ökumenische Rundschau 65 (2016): 213–226.

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Funktionen der religiösen Gerichtsbarkeit und der profanen Exekutive der Polizei betrachtet werden.

5 Rationale Lesart der Theologie vs. theologische Lesart der Rationalität Die Diskussion über Rationalität und Vernunft im Islam ist so alt wie die Religion selbst. Die bekanntesten Denkschulen des Islams, Muʿtazila und Ashʿarīya, stellen die beiden Pole der Debatte dar. Die Diskussion reicht bis in den heutigen Diskurs hinein. Ein Zurückgreifen auf die klassische Literatur ermöglicht evtl. einen Ausweg. Rationalität darf nicht mehr als das „Absolute“ im Sinne der Naturwissenschaft verstanden werden und somit darf nicht mehr die Rede von einer/der Rationalität sein, sondern von „Rationalitäten“ im Plural. Al-Māwardī ist es gelungen, Rationalität und Überlieferung miteinander in Harmonie zu bringen. Neben der Funktion als staatliche Institution und Marktaufsicht offenbart sich die ḥisba als Spiegelung des dualen Charakters einer islamisch orientierten Gesellschaft, da sie auf einem religiösen Gebot beruht.56 Die Befunde al-Māwardīs ergeben jedoch, dass ḥisba als öffentliche Ordnung Aspekte umfasst, die über die Bestimmungen des islamischen Rechts hinausreichen: Wann immer der Richter keine Befugnis zur bzw. Grundlage für die Rechtsprechung hat und die Angelegenheit nicht gänzlich säkular ist, unterliegt der Gegenstand der Verantwortlichkeit des muḥtasibs. Diese Lehre untermauerte al-Māwardī mit dem dazugehörigen Beleg aus der Überlieferung.57 Im Zuge seiner Feststellung, dass diese Devise jeden Muslim anspricht, konstatiert er jedoch mehrere Unterschiede zwischen einer „ehrenamtlichen“ bzw. freiwilligen Ausübung dieses Prinzips und dem Handeln einer Amtsperson (muḥtasib). Hierbei stehen vor allem die Befugnisse seitens der (staatlichen) Autorität und der Verantwortlichkeit des Amtes im Vordergrund. Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām schließ sich al-Māwardīs Meinung darüber an, dass die Befugnis des muḥtasibs variieren kann. Zeitgleich bemerkt er, dass der Rahmen für seine Arbeit bzw. seine Befugnisse feststeht: 1. Er darf seine Befugnisse nicht überschreiten; 2. Er muss für Balance und Passung zwi-

56 Ausführlich zu den Argumenten bezüglich der ḥisba im Koran und in der Sunna siehe Imām 1986, 27–29; zur Debatte, ob sie eine kollektive oder persönliche Pflicht darstellt, siehe ebenfalls Imām 1986, 45–47. 57 Al-Māwardī 2013, 261–63.

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schen dem, was er gebietet oder verbietet, dem Kontext/der Situation und der verhängten Strafe sorgen.58 Al-Māwardī nennt als Bedingungen, dass der muḥtasib ein freier Mann, gerecht, vernünftig, beständig und treu im Glauben sein muss, der sich dessen klar bewusst sein muss, was übles Verhalten darstellt.59 In seinem ganzen Buchabschnitt über die ḥisba widmet sich al-Māwardī, oftmals bis in kleinstmögliche Details, der Anleitung eines muḥtasibs. Doch kann wohl kein Handbuch die mögliche Fülle und Komplexität, die Bedingtheit der ḥisba und vor allem die eventuellen Zusammenhänge sowie die notwendige Differenziertheit im Einzelnen erfassen. Dafür ist die ḥisba mitsamt den ihr zugrundeliegenden universellen Identifikations- und Unterscheidungsmerkmalen von Gut und Böse ein Phänomen, das zu häufig von Neuem gedacht und interpretiert werden muss. Zur Vielschichtigkeit trägt auch das multikonfessionelle und -parteiliche Umfeld bei, in dessen Kontext in der Regel verschiedenste normative, dogmatische und ideologische Interessen und Haltungen zu berücksichtigen sind. Al-Māwardī verwandelt somit den Diskurs von einer „rationalen Theologie“ zu einer „theologischen Lesart der Rationalität“. Diese kann an den beiden folgenden Aspekten erläutert und demonstriert werden. Al-Māwardī versucht in seinem Buch al-Aḥkām fortlaufend, sich nicht von seiner eigenen Rechtsschule leiten zu lassen und neutral zu bleiben. Dieses Vorgehen lässt sich in seinem Kapitel über ḥisba gut erkennen. Als Shāfiʿī-Gelehrter stellt er seine Rechtsschule nicht in den Vordergrund, sondern thematisiert auch die Meinungen anderer Rechtsschulen auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Eine Stärke der Ahkām al-Māwardīs ist neben dem „Unterdrücken“ seiner eigenen Rechtsschule die Einbeziehung jener Überlieferungen des Propheten Muḥammad und Meinungen seiner Weggefährten, die seine Rechtsurteile nicht stützen.60 Beispielhaft wäre hier die Unterscheidung zwischen ḫamr und nabīḏ: „Wenn eine Person nabīḏ (alkoholische Getränke) zur Schau stellt, so sind diese bei Abū Ḥanīfa ein Gut, das den Muslimen zugestanden werden soll, und deswegen dürfen diese weder weggeschüttet werden, noch wird die Person, die diese offen zur Schau stellt, bestraft. Für ash-Shāfiʿī sind diese – ähnlich wie khamr

58 Imām 1986, 102. 59 Al-Māwardī 2013, 261: „an yakūna ḥurran ʿadlan dhā raʾy wa-ṣarāma wa khushūna fī addīn wa-ʿilm bil-munkarāt aẓ-ẓāhira“. Autoren späterer Werke fügen explizit das Wissen „al-ʿilm” und die Erlaubnis des Herrschers „an yakūna maʾdhūnan lahu min walī al-amr“ hinzu; vgl. Muḥammad ʿAbdallāh, Wilāyat al-ḥisba fī al-Islām. Kairo: Maktabat az-Zahrāʾ, 1996, 138. Zu den Bedingungen der ḥisba bei den Muʿtazilīten siehe al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. al-Uṣūl al-khamsa. Kairo: Maktabat Wahba, 1996, 143. 60 ʿAbd al-Ğabbār 1996, 30.

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(Wein) – kein Gut, für dessen Wegschütten eine Haftung besteht. Folglich muss der ḥisba-Beauftragte die Situation berücksichtigen; er verbietet, dass es [ein alkoholisches Getränk] offen zur Schau gestellt wird und nimmt Strafmaßnamen vor, wenn es zum Trinken gedacht war – jedoch darf er es nur dann wegschütten, wenn ein Richter, der zum ijtihād befähigt ist, dies anordnet, damit er [der muḥtasib] sich nicht selbst einer Haftung aussetzt, wenn er angeklagt wird.61 Al-Māwardī ist sich dessen bewusst, dass er hier eine gesellschaftliche Regelung (Theorie) entwickelt. Diese kann sich nur durchsetzen, wenn sie über die Verschiedenheit der Rechtsschulen hinausgeht und jeder Rechtsschule einen Raum in der Öffentlichkeit zugesteht. Dementsprechend geht er pragmatisch vor und versucht, andere Meinungen und Überzeugungen miteinzubeziehen. Dieser Ansatz macht ein zentrales Charakteristikum der ḥisba und somit der Aufgabe des muḥtasibs aus, die über jegliche Konfession, Partei oder regionale/ethnische Zugehörigkeit hinausgeht. Hierbei gelten mehrere Prämissen, wie die der Orthopraxie62, die durch Vielfalt und ideelle Weiträumigkeit die gekennzeichnete überparteiliche und überkonfessionelle Handlungs- und Verhaltensgrundlage eines muḥtasibs darstellt. Al-Māwardī versucht, den Stellenwert der Vorbildfunktion des Propheten Muḥammad einzubringen, unter der Prämisse der Authentizität ihrer Überlieferung. Wenn al-Māwardī vom „Gebieten des Guten“ redet, sieht er die Pflicht der ḥisba nur da, wo das Unterlassen des Guten offensichtlich ist (ẓahara tarkuhu). Das „Verbieten des Verwerflichen“ ist nicht Teil der Aufgabe des muḥtasibs, wenn das Begehen dessen nicht offensichtlich ist, sondern nur dann, wenn der Täter dies in der Öffentlichkeit tut (uẓhira fiʿluhu): „Hiya amrun bil maʿrūfi iḏā ẓahara tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira fiʿluhu“.63 Auf diese wichtige Bedingung weist al-Ghazālī in seiner Iḥyāʾ ebenso explizit hin: „Jedes Verbot, welches in diesem Augenblick vorhanden und dem muḥtasib ohne Spionage deutlich/ bekannt ist, wobei der Verbotscharakter ohne ijtihād ersichtlich ist [ist für ihn von Belang]“ („kullu munkarin mawjūdun fī al-ḥāli ẓāhiran lil-muḥtasibi min ghayri tajassusin, maʿlumun kawnuhu munkaran bi-ghayri ijtihādin“.64 Diese Differenzierung wird bei al-Māwardī im fünften Unterschied zwischen den Aufgaben eines „ehren-“ und eines „hauptamtlichen“ muḥtasibs deutlich ersichtlich. Hierbei

61 Al-Māwardī 2013, 271. 62 Griechisch: aufrechtes, richtiges Handeln; vgl. Wilhelm T. Krug, Hg., Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, Bd. 5 (1838): 108. „Bei den Alten findet sich […] recht handeln oder tun und zwar bei Aristoteles (Endem. III, 2.), der dieses Wort zuerst gebraucht zu haben scheint“. 63 Al-Māwardī, 2013, 260. 64 Al-Ghazālī 2013, 414.

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geht es um die Verpflichtung des muḥtasibs hinsichtlich des Verwerflichen und des Guten. Er muss nach dem „öffentlichen“ Verwerflichen schauen (yabḥaṯu ʿan al-munkarāti aẓ-ẓāhirati) und dieses verbieten. Das Gute muss er jedoch überprüfen (yafḥaṣu), um es zu gebieten. Was mit Überprüfen gemeint ist, wird im Laufe des Textes ersichtlich. Der muḥtasib muss sichergehen, dass es einen Konsens darüber gibt, dass die unterlassene Tat ein islamisches Gebot ist; gibt es aber unterschiedliche Meinungen dazu, kann er den Leuten nicht gebieten, was sie selber nicht als Gebot ansehen [müssen].65 Al-Māwardī schreibt dem muḥtasib kein absolutes Ordnungsrecht vor. In seinen Ausführungen listet al-Māwardī Voraussetzungen auf, die eine Person erfüllen muss, um zu einem muḥtasib ernannt werden zu können. Die Anstrengung zur rechtmäßigen und gerechten Gesetzesanwendung (ijtihād) spielt beim muḥtasib in bestimmten Fällen eine besondere Rolle; in anderen Fällen hat er sich nach höheren Ämtern zu richten bzw. sich an diese zu wenden. Mit Blick auf die Person, an der der muḥtasib sein Amt ausführt (muḥtasabun ʿalayhi), nennt er keine bestimmten Voraussetzungen. Es bleibt im Text offen, wem der muḥtasib das Gute gebietet und das Böse verbieten kann/darf/muss/soll. Al-Ghazālī geht auf diesen Punkt dagegen explizit ein. Ihm zufolge soll die Zielperson in einer Situation sein, in deren spezifischem Rahmen die (an sich erst einmal abstrakt) verbotene Tat für diese Person verwerflich ist: „Wa sharṭuhu an yakūna bi-ṣifatin yaṣīru al-fiʿlu al-mamnūʿu minhu fī ḥaqqihi munkaran wa-aqallu mā yakfī fī ḏalika an yakūna insānan.“66 Hierbei macht al-Ghazālī deutlich einen Unterschied zwischen dem Gebieten des Guten und dem Verbieten des Bösen. Ihm zufolge soll der muḥtasib seine Arbeit bei jedem Menschen machen, auch bei minderjährigen Kindern und geistig behinderten Menschen.67 Auch bei der Suche nach der Grundlage für eine Orthopraxie innerhalb einer muslimischen Gemeinschaft bietet al-Māwardī eine theologische Lesart der Rationalität an. Er beschränkt sich nicht darauf, Rationalität als Gegenstand des Textes zu verstehen, sondern betrachtet beide als sich gegenseitig ergänzende Aspekte/ Gegenstände. Er erklärt den Gegenstand rational und zweckorientiert und zieht als Nächstes die Vorbildfunktion des Propheten und seiner Zeitgenossen heran. Hier beweist al-Māwardī, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Überlieferung nicht nur eine konkrete, praktische Ver- bzw. Anwendung in der Rechtsfindung und Jurisprudenz fand. Vielmehr ermöglichte sie eine Legitimierung und detaillierte Reglementierung von ordnungspolitischen Funktio65 Al-Māwardī 2013, 261–62. 66 Al-Ghazālī 2013, 418. 67 Ausführlich dazu, welche Tatbestände eine Person erfüllen muss, damit der muḥtasib sie anprangert, vgl. Muḥammad ʿAbdallāh, 1996, 229–31.

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nen und Mechanismen im weitesten Sinne. Diese betreffen analog nicht weniger als die Wahrung der inneren und äußeren Ordnung, des Rechts und der Rechtmäßigkeit, der Sicherheit und der Wirtschaft, was wiederum eine konsequente Haltung gegenüber der Authentizität der Überlieferungen stärkte. Ihm ist es dabei gelungen, die Distanz zwischen Theorie und Praxis zu erkennen und in der konkreten Anwendung zu überwinden. Beachtenswert ist der Aufgabenbereich des muḥtasibs in Bezug auf die religiöse Sensibilität. Denn der muḥtasib hat auch auf das religiöse Leben der Gesellschaft zu achten, indem er die Vermittler der Religion begutachtet: „Und wenn er auf eine Person trifft, die sich mit der Wissenschaft der Scharia auseinandersetzt, aber nicht geeignet ist (…), dann sollte er sie öffentlich dafür anprangern.“68 Hier ist seine Aufgabe, Vermittler von falschen Interpretationen oder Antworten öffentlich anzuprangern, da Menschen dadurch in die Irre geführt werden (könnten). Es sind insofern nicht nur administrative Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Staat, die al-Māwardī erwähnenswert findet, sondern auch solche, die das religiöse Leben betreffen, welches die Basis aller (muslimischen) Gesellschaften darstellt. Kurzum: Al-Māwardīs Ausarbeitung der ḥisba ist weniger abstrakt. Es glückte ihm – trotz der Krise vor dem Hintergrund der korrekten Durchsetzung der Gebote und Verbote in der muslimischen Welt seiner Zeit in Theorie und Praxis  – ein theologisches, dennoch rational gedachtes Konzept zu erarbeiten, das weder auf traditionellem taqlīd (Nachahmen), noch auf einem „Fernhalten“ der Tradition beruht, sondern eine kreative Vermittlerrolle im Geist und im Denken seiner Zeit und der Sprache der Überlieferung und Tradition der Theologie/Religion einnimmt. Seine rationale Lesart der Theologie stellt das Gegenteil eines akademischen und verschlossenen Zugangs gegenüber der islamischen Überlieferung dar, welcher von Lehrern und Gelehrten gepflegt wird, die keinen Bezug zur Wirklichkeit der Gemeinschaft der Gläubigen haben. Al-Māwardī unterstreicht in seiner Theorie der Beaufsichtigung und Wahrung öffentlicher Ordnung die Fokussierung der sozialen Bedingungen, weil die Überlieferungen, die in seiner Argumentation eine zentrale Stellung innehaben, während der frühen Entwicklungsstadien der Rechtsschulen diesen Bedingungen in der Praxis besonders Rechnung getragen haben. Auf diesen Tatbestand weist Ali Dere wie folgt hin: „Weil der Ḥadīṯ sich inhaltlich vielmehr mit Details des Alltagslebens auseinandersetzt“, liefere dieser „mehr Material als die [koranische] Offenbarung“.69 Dere sieht das Motiv der Auseinandersetzung mit der Tradition

68 Al-Māwardī 2013, 268. 69 Ali Dere. Die Ḥadīṯanwendung bei Imām Mālik b. Anas (-179/795). Aachen: Verlag Shaker, 1994, 3.

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hauptsächlich in der Ausarbeitung rechtlicher Normen.70 Mit anderen Worten können wir sagen, dass der Auseinandersetzung mit der Tradition rationale Ziele zugrunde liegen, denn dort: […] gab es ein Zusammenlaufen von Gesetzes- und Traditionswissenschaft. Deshalb können wir zur Zeit der Genossen und der Nachfolger keinen Unterschied zwischen dem Rechtsgelehrten und dem Traditionarier feststellen. […] Uns sind […] Werke erhalten geblieben, welche gleichermaßen sowohl Traditionen, Ansichten der Prophetengenossen und der Nachfolger wie auch die eigene Meinung des Verfassers gemischt enthalten, wie es im Muwaṭṭaʾ Māliks ganz deutlich sichtbar wird. Der Gelehrte überlieferte die Traditionen, auf welchen seine Schlußfolgerungen [sic!] beruhten. Er war Muḥaddīṯ durch das, was er überlieferte, und Faqīh durch das, was er daraus schlußfolgerte [sic!].71

Al-Māwardī besitzt auch eine Kompetenz, die Dere als besonderes Kennzeichen der ersten drei Jahrhunderte des Islams hervorhebt.72 Demnach sei die Praxis Muḥammads und seiner Gefährten, untereinander konstruktive Kritik auf der Suche nach den richtigen Entscheidungen und Urteilen zu üben, noch im Bewusstsein der damaligen Gelehrten verankert gewesen: Eine solche Praxis der freien Meinungsäußerung beginnt […] schon mit dem Propheten. Dieser besprach seine Entscheidungen, die außerhalb der Offenbarung gefällt wurden, mit seinen Gefährten. Wenn diese adäquate Vorschläge machten, handelte er danach, ja mußte [sic!] sogar die anläßlich [sic!] mancher Begebenheiten gegen ihn gerichtete Kritik hinnehmen.73

Vielsagend ist die Vorgehensweise und Urteilsfindung al-Māwardīs in einem konkreten Fall, in dem es um die Frage nach dem Für und Wider des Ausspionierens eines Muslims geht. Hierzu überliefert al-Māwardī eine Geschichte über den zweiten Kalifen ʿUmar, der bei Leuten eintrat, die am Trinken waren und sie dafür kritisierte. Diese wiesen seine Kritik mit der Kritik zurück, dass Allah ebenso das Spionieren und das unerlaubte Eintreten verboten hat.74 In seinem Urteil erlaubt al-Māwardī nicht, dass zwecks des Verbietens des Verwerflichen die Privatsphäre eines Menschen verletzt wird. Ist die Entscheidung al-Mārwadīs in diesem Fall ein Widerspruch gegen den Vers 3/104 und ein Handeln nach eigener Faҫon? Sie ist keines der beiden. Die Scharia ist für al-Māwardī zentral. Dies ist

70 Die Studie von Ali Dere beruft sich zwar auf die Hadithanwendung bei Imām Mālik b. Anas (gest. 179/795), die Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf al-Māwardīs Werk übertragen. 71 Ebd., 17. 72 Ebd., 35. 73 Ebd., 35. 74 Al-Māwardī 2013, 272–73.

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beispielsweise eindeutig an seinem Urteil über jene ersichtlich, die das Siegel des muḥtasibs fälschen. Sie sollen behandelt werden wie Münzfälscher von Dirhams und Dinaren. Sollte die Fälschung indes mit Täuschung einhergehen, sollen sie der Rüge und der Bestrafung zweifach unterliegen: „Als Erstes: Die Fälschung verletzt die (Amts-)Hoheit des Sultans. Als Zweites: Die Täuschung verletzt das Gesetz der Scharia, und dies ist das Schwerwiegendere von diesen beiden.“75 Es sind die Praxis und der Kontext, die ausschlaggebend waren. Al-Māwardīs Denksystem basiert auf einem anderen Zugang zu und Umgang mit den Überlieferungen, denn bei ihm steht immer der Zusammenhalt der Gesellschaft und der einen Umma an erster Stelle. Für al-Māwardī ist also die Grundsatzfrage entscheidend: Wie bleibt die Einheit der Umma beibehalten, ohne dass die Vielfalt ausgeblendet wird? Al-Māwardīs umsichtiger Diskurs und seine Theoriefindung führen uns auch eine Kritik der ‚Heiligung des Überlieferten jenseits jeglichen rationalen Handelns‘ vor Augen.

Fazit Wie wir sehen können, unterliegt die Auseinandersetzung der muslimischen Gelehrsamkeit mit der Überlieferung seit jeher verbindlichen und ernstzunehmenden wissenschaftlichen Anforderungen, die in der gesamten Komplexität des muslimischen Daseins ihren Niederschlag finden. Dieser Tatbestand verwundert aber nicht weiter angesichts des Stellenwertes, den die Vorbildfunktion des Propheten und seiner Gefährten für die Gemeinschaft der Muslime einnimmt. Die unmittelbare Nähe der Überlieferung zur praktischen Anwendung des Wissens im Hinblick auf die Findung und Ausgestaltung rechtlicher Normen zeugt von der besonderen Dynamik dieses wissenschaftlichen Betätigungsfeldes und nicht zuletzt von der Relevanz für die muslimische Wirklichkeit. Dieser Bezug ist zeitlos, da er inhaltlich und methodisch einen ethischen und für das konkrete menschliche Handeln reflexiven Rahmen bildet. Das rationale Reflektieren der Schrift ist somit von elementarer Relevanz für die Orthopraxie eines muḥtasibs. Sie stellt den Mittelpunkt der ḥisba dar, wie al-Māwardī sie für ein pluralistisches und ordnungspolitisch eingerichtetes Gemeinwesen konzipiert. Al-Māwardīs Anwendung des Wissens aus der Überlieferungsschrift führte ihn zu einem Konzept, welches oberflächliches und blindes Nachahmen vermeidet. Der zentrale Bezugspunkt dieses Konzepts ist der Mensch, al-insān, als Mittelpunkt der heiligen Grundsätze

75 Al-Māwardī 2013, 273–75.

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der Scharia, ebenso sein soziales Verhalten und richtiges Handeln innerhalb der Umma, und nicht zuletzt das Zusteuern auf seine Begegnung mit seinem Schöpfer. Eine solche, korrekt angewandte Orthopraxie bietet die Möglichkeit sich durch moralische und ästhetische Höchstleistung in praktischem Handeln und verfeinerten Verhaltensweisen dem Ideal der Wirkungsmacht der Offenbarungsschrift anzunähern. Seine offensichtlich enorme Kompetenz als Rechtsgelehrter und seine vielfältigen politisch-theoretischen Leitgedanken kommen freilich in besonderer Weise in seiner Fähigkeit zum Ausdruck, die Scharia mittels Abstraktion zur Geltung zu bringen. Wie anhand seiner Aḥkām al-ḥisba zu sehen ist, gelingt es al-Māwardī, die Autorität der ḥisba wirkungsvoll und begründet zu delegieren. Somit erfüllt er den Anspruch „not to formulate and interpret the doctrine of khilafa, but to harmonize an existing historical-political situation with the Sharīʿa by interpreting Qurʾān, Sunna and Hadith in the light of political reality”.76 Die Bewahrung der Einheit der muslimischen Gemeinschaft ist zweifellos ein wesentliches Anliegen und eine der Hauptmotivationen al-Māwardīs gewesen, was ihn letztendlich dazu verleitete, das hier behandelte Werk zu verfassen. Nichtsdestotrotz zeugen die Befunde über die ḥisba von al-Māwardī als einem Staatstheoretiker, der sich der universalen Bedeutung des Überlieferten und der Auswirkungen der ḥisba auf das Individuum und die Gesellschaft vollauf bewusst war. Obwohl uns mehrere Zeitalter von der Gegenwart al-Māwardīs trennen, scheinen die Perspektive und die Methodologie seiner Befunde von Bedeutung für unsere heutige Zeit zu sein. Er bietet ein Exempel eigenständiger Abstimmung und Interpretation der Überlieferungen an, welches eine Brücke zwischen den frühesten Generationen und einem in vielerlei Hinsicht komplexeren Dasein in der heutigen Zeit schlägt.

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76 Rosenthal 1962, 28.

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IV Sufi Traditionen

David Burrell

Rationality of Faith for al-Ghazālī My own love affair with al-Ghazālī, and his unique way of displaying the role of reason in explicating a faith-commitment, stems from Timothy Winter’s assigning me to translate the central book of his magnum opus: Iḥyā’ ‘Ulūm al-Dīn, (Kiāab al-Tawḥīd wa’l-Tawakkul) under the title of Faith in Divine Unity and Trust in Divine Providence, Book XXXV of the Revival of the Religious Sciences (Iḥyā’ ‘Ulūm al-Dīn, Louisville, KY: Fons Vitae, 2001). I was as fascinated with his Arabic as I was by the subject itself – one of the final Sufi stations on the path to God. So when Maha Kaisy-Friemuth asked me to explore this central feature of Muslim faith under the rubric of ‘rationality’ the challenge proved too subverting to resist: to show how so faith-centered an orientation is in fact the height of ‘rationality’ for a faith-tradition. For if everything comes from the creator, then a radical trust in God’s providential care will be utterly in order, hence eminently ‘rational’. So let me now give way to my friend and editor, Marry Budde Ragan for a summary of Ghazālī’s central work on the subject. The task of Abū Ḥāmid al-Ghazālī’s Faith in Divine Unity and Trust in Divine Providence: is to articulate for a Muslim that “faith is rooted in trust and must needs be expressed in a life of trust”, that is, “primacy is given to practice” yet always guided by reason (xii). Central to this assertion of trust and practice of faith is the belief in the shahāda: “There is no god but God”, which “orients one entire life to God” as that from which everything comes  – “there is no agent but God” (xiii). Thus, crucial to understanding the heart of Islam is the primacy of God’s unity as the “sole agent”, that is, all of creation originated in God and depends upon God for existing (xiii). Ghazālī attends to this issue of divine agency and its particular relation to human agency and freedom within the first part of this treatise by addressing the connections between knowledge, power, and the will. But what about human freedom? Have we not exalted God’s sovereign freedom, as the only agent there is, to the inevitable detriment of human initiative?” However, Ghazālī offers a “remedy” of sorts by conceiving of this “founding and sustaining relationship” between God and human beings through trust and expressed through practice (xvii), for his intent was to “help believers to recognize that theirs is a unique perspective on the universe: each thing is related in its very existence to the One from whom it freely comes” (xvii). In the second part of this treatise, Ghazālī attends to the notion of divine providence whereas God as a benevolent and gratuitous Creator is remembered in the Sufi stories (xvii, xviii, xix). What becomes critical in this exercise is the deconstruction of the emanation scheme (Avicenna) which diverts philosophers’ attention to “possibilities”; whereas Ghazālī insists upon the “primacy of https://doi.org/10.1515/9783110588576-021

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the actual over the possible” through his articulation of trust in divine providence (xviii-xix). Again, trust is expressed through practice and orientation of one’s life in accordance with the ordering of creation; in this way, practice and orientation entail “rightly responding to events as they happen, in such a way, that the true ordering of things, the divine decree, can be made manifest in one’s actions-asresponses” (xxiii). In the first part of this work, “Explicating the Nature of Faith in Divine Unity (tawḥīd) as the Foundation of Trust in God (tawakkul),” Ghazālī brings to the fore the centrality of knowledge and discernment in directing the will, which in turn, “kindles [the] inner vision” of faith and trust in divine unity (28). The stages of faith identified by Ghazālī lead the pilgrim into a deeper understanding and illumination of divine unity, intensified by “a light of truth” (10), a “preoccupation” with divine unity (13), and clarification through the “counsel of reason” (35). Likening the stages of faith to a seed, Ghazālī emphasizes the necessity of both knowledge and practice for penetrating through the layers of “the shell” in order to reach the precious “oil” of faith that rightly perceives the divine unity (10–13). While a mere profession of divine unity – “There is no god but God” – may begin one’s response to God, faith in divine unity emerges via the inward path of the pilgrim, who becomes “conscious of his own shortcomings” (25), attentive to the “arousal” of the will (34–35), and oriented towards God Most High (15). Al Ghazālī warns in his retelling of the exchange between al-Ḥawwās and his mentor, al-Ḥallāj, consuming one’s life with only the inner activity of the self leaves the pilgrim wanting for the full illumination of faith in divine unity (14) that comes by “actively journeying on the path of faith” (28). This active journey of faith involves the “freedom of choice” of the individual within the conditions of divine origination, omnipotence, unity, and rational order (36–37); yet, such enunciations of divine unity seemingly confound human understanding and agency to which Ghazali’s allegories of the pen, ink, and paper (16–28) and the ship, land, and water (23) allude. The incitement and direction of the will baffles the pilgrim’s understanding of God, the self, and relation between the God and all of creation (19–25). Since human beings “initiate movement as they will or remain at rest as they will, … how can they be subservient” to the One God?” (32) Ghazālī responds to this quandary by placing the individual within the very existence of God, the very activity of God, as “the locus and channel” of the divine will, knowledge, and power (36). While the individual experiences the will as a movement of resistance, such as an involuntary muscle response of the eye (34), the human will is more so a “deliberation and reflection” towards the good, following the lead of reason, and aligning one’s will with source of all activity – God (34–35). As Ghazālī writes, “we call this will (irāda) which is aroused to action by what appears good to reason ‘freedom

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of choice’, as it craves the good (al-khair), by that I mean that it is [necessarily] aroused by what appears to reason to be good for it, which is the very source of this willing” (34). As Ghazālī’s analogies to the thrusting of a sword or blinking of the eyelids reveals, “freedom of choice” occurs within constraints, within the parameters, as it were, of divine unity and “must be aligned with the intention (ma’na) expressed by the divine decree” (37).

Diverse Dimensions of Agency Responding to the perplexing question of human agency in the midst of divine omnipotence and unity, Ghazālī suggests that our understanding of agency is limited by a single definition that attributes agency as origination to God metaphorically, while placing agency in this regard within the realm of human determination and action (40, 43). However, Ghazālī proffers two meanings for agent: “God Most High is agent [as] … the originator” while “a human being is agent [as] … the locus in which power is created after will has been created after knowledge has been created, so that power depends on will, and action is linked to power, as a conditioned to its condition” (40). In this sense, the human being is an agent “in the manner in which [it] expresses the fact of its dependency” on God (40). Only God originates and actualizes; thus, God is the only agent, that in which everything has “truth and reality”, and that which is “Living and Subsisting” essentially (44). According to Ghazālī’s argument, Living and Subsisting is precisely the omnipotent power and action of God; thus, God is necessarily omnipotent and that in which all of creation subsists (44, 46). If God were not omnipotent, God “would be impotent, thereby contradicting the nature of divinity” (46). So n much for the central feature of Muslim faith – tawḥīd – of which little can be said. In the second part entitled, “States of Trust in Divine Providence with Accompanying Practices,” Ghazālī employs practical life experiences and stories, involving planning (62–65), saving (103), material and bodily sustenance (69–94), renunciation (110), and attachment to possessions (112) as a means of accessing and understanding divine providence and orienting one’s trusting response. Ineluctably bound to divine unity is divine providence for “there is no power or might except God’s” as “there is no agent but God” (65, 55). God Most High creates and sustains all of creation as “the eternal omnipotence that moves one to action” (59) and as the Creator who “arranges for human beings [what] is best for them” (82). Thus, trust in the One precedes and shapes all planning, saving, renunciation, and attachments (62) for trusting itself is gratuitous gift of God. As gift, trusting implies contentment and acceptance of ways in which God sustains and “fulfills

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what He has guaranteed”, as Ghazālī writes, “For He is the one who guarantees sustenance to all who are content by those means which He arranges in a just fashion” (96). Thus, one may have little or abundance, sickness or health; yet, one trusts in divine providence knowing that God is sustenance itself and that “a condition of trust in God is to suffer and to endure patiently as God Most High: choose Him alone for your defender” (106). However, such trust does not render human beings as non-agents, or powerless, “who forego provision for the body and keep the heart from planning and collapse on the ground like someone feeble-minded by the roadside,” but rather, to trust in God is to realize that “no planning or activity can take place at all without such trust” (62). Ghazālī likens this trust in divine providence and divine unity to a child’s trust in his mother, which is not merely as one who provides for the child’s every physical need, but is a relationship based upon a loving orientation towards one’s refuge and strength (58). “Whoever gives his attention to God – reflects upon Him and relies on Him sets his heart on Him (lit., falls in love with Him) as the child set his heart on his mother” (58) for the child knows that his mother “is looking for him whether he screams for her or not” (59) for a mother will not forsake her child. Within the context of this loving dependency, trust becomes the relationship itself, as “this trusting person, [this child], has already become totally absorbed by his trusting … for there is no room in his heart for anyone other than the one in whom [he] puts [his] trust” (58). And if such trust strikes us as the very antithesis of ‘rationality’ it can also lead us to realize how our life of inquiry relies more on trust than on suspicion, whose ‘masters’ have not served our generation that well. So we see how a study of tawakkul in the Islamic tradition can illustrate how philosophical accounts attempting to relate human to divine freedom; or more properly, created to uncreated free action, can offer a richly contested archive. We have noted how the Kitāb al-Tawḥīd wa’ l-Tawakkul plays an axial role among the other books in the Iḥyā’. For tawḥīd, or ‘faith in divine unity,’ sounds the distinctive note of Islam which grounds everything Muslims believe in the shahāda: ‘There is no god but God.’ Islamic reflection on tawḥīd is reminiscent of rabbinic commentary on divine unity as evidenced in the shema: ‘Hear, 0 Israel, the Lord our God, the Lord is One’ (Deuteronomy 6:4). It is hardly at issue that God be one rather than many; it rather points directly to the injunction against idolatry: all Israelites know thereby that they must orient their entire lives to God – through the Torah, to be sure – and nowhere else. So a philo­sophical argument culminating in the assertion that God is one would hardly interest the rabbis, nor would it. For what is at issue is not the unity itself, but the implications of the community’s faith in divine unity. Yet that cannot be a blind faith, so what is being asserted? That everything comes from God and that ‘there is no agent but God.’

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In assessing degrees of assent to this shahāda shahāda, Ghazālī notes: ‘The third kind [of believer] professes faith in divine unity in the sense that he sees but a single agent, since truth is revealed to him as it is in itself; and he only sees in reality a single agent, since reality has revealed itself to him as it is in itself because he has set his heart on determining to comprehend the word ’reality ’ (ḥaqiqa), and this stage belongs to lay folk as well as theologians’ (11). He sketches out the two-part structure of the book by way of showing how tawakkul – trust in divine providence –is grounded in an articulate tawḥīd, as practice is anchored in faith, or state [of being] in knowledge. In doing so, he is even more insistent: this first part will consist in showing you that there is no agent but God the Most High: of all that exists in creation: sustenance given or withheld, life or death, riches or poverty, and everything else that can be named, the sole one who initiated and originated it all is God Most High. And when this has been made clear to you, you will not see anything else, so that your fear will be of Him, your hope in Him, your trust in Him, and your security with Him, for He is the sole agent without any other. Everything else is in His service, for not even the smallest atom in the worlds of heaven and earth is independent of Him for its movement. If the gates of mystical insight were opened to you, this would be clear to you with a clarity more perfect than ordinary vision (15–16). These last words are telling, and signal Ghazālī’s ‘method’ in the first section elaborating faith in divine unity. There is no attempt to show how everythingthat-is emanates from the creator; that would be beyond the capacity of our intellect to grasp. And should we try, we would invariably end up ar­ticulating something like Ibn Sīnā’s emanation scheme, modeled on logical inference so amounting to a twin de­nial of divine and of human freedom.1 Indeed, when Ghazālī tries to articulate what he attributes to mystical insight, it sounds uncannily like Ibn Sīnā, though he begins with a characteristic verse from the Qur’an: ‘we did not create heaven and earth and what lies between them in jest; we did not create them but in truth’ (44:38–39): Now all that is between heaven and earth comes forth in a necessary order that is true and consequent, and it is inconceivable that it be otherwise than the way it comes forth, according to this order which exists. For a consequent only follows because it awaits its condition; for a conditioned before a condition would be absurd, and absurdity cannot be ascribed to the being of an object of divine omnipotence. So knowledge [can be said to] follow upon sperm only if one supplies the condition of a living thing, and the will which comes after knowledge (can be said to) follow upon sperm only if the condition of knowledge be sup-

1 For a sketch of that model, see my Knowing the Unknowable God, Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 1986.

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plied as well. All of this offers a way of necessity and the order of truth. There is no room for play or chance in any of this; everything has its rationale and order. Understanding this is difficult … (40).

So he will offer images to move us away from a literal ac­ceptance of the Avicenna-like scheme, for in such matters human reason can at best offer models; yet neither mode of apperception is privileged for Ghazālī. The images offered by the Qur’an, however, will certainly take precedence. But what about human freedom? Have we not exalted God’s sovereign freedom, as the only agent there is, to the inevitable detriment of human initiative? It certainly ap­pears that the intent of Ghazālī’s images is to take us by the hand and lead us on, in hopes that we may come to understand the emanation of things so ordained (muqaddarāt) from the eternal omnipotence, even though the omnipotent One is eternal and the things ordained (maqdurāt) tempo­ral. But this [train of thought] knocks on another door, to another world of the worlds of unveiling. So let us leave all that, since our aim is to offer counsel regarding the way to faith in divine unity in practice: that the true agent is One, that He is the subject of our fear and our hope, and the One in whom we trust and depend (41–42).

These gnomic words will be somewhat clarified in the text itself, but he also wants to show us that the test of our understanding of divine unity will not come by way of clever philosophical schemes but through a life of trust (tawakkul), in which concerted practice will bring each of us personally to the threshold of the only understanding possible here, that of ‘unveiling.’2 Yet some clarifications can be made; reason can offer some therapeutic hints to attenuate the apparent scandal. He introduces a typically Muslim objection: How can there be any common ground between faith in divine unity and the sharī’a (religious law)? For the meaning of faith in divine unity is that there is no god but God Most High, and the meaning of the law lies in establishing the actions proper to human beings [as servants of God]. And if human be­ings are agents, how is it that God Most High is an agent? Or if God Most High is an agent, how is a human being an agent? There is no way of understanding ’acting’ as be­tween these two agents. In response, I would say: indeed, there can be no understanding when there is but one mean­ing for ’agent.’ But if it had two meanings, then the term comprehended could be attributed to each of them without contradiction, as when it is said that the emir killed someone, and also said that the executioner killed him; in one sense, the emir is the killer and in another sense, the execu­tioner. Similarly, a

2 This progression is reminiscent of his autobiographical sketch, the Munqidh min al-ḍalāl (English translation by R. J. McCarthy, Free­dom and Fulfillment. Boston: Twayne, 1980; Louisville: Fons Vitae, 2000.

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human being is an agent in one sense, and God – Great and Glorious – is an agent in another. The sense in which God Most High is agent is that He is the originator3 of existing things (al-mukhtari’ al-mawjūd), while the sense in which a human being is an agent is that he is the locus (maḥal) in which power is created after will has been created, and that after knowledge had been cre­ated, so that power depends on will, and movement is linked to power, as a conditioned to its condition. But depend­ing on the power of God is like the dependence of effect on cause, and of the originated on the originator. So every thing which depends on a power in such a way as it is the locus of the power is called ’agent’ in a manner which expresses that fact of its dependence, much as the executioner can be called ’killer’ and the emir a killer, since the killing depends on the power of both of them, yet in different re­spects. In that way both of them are called ’killer’, and similarly, the things ordained (maqrurāt) depend on two powers’ (43).

He goes on to note how the Qur’an often attributes agency both to God and to creatures, showing that revela­tion acknowledges and exploits the inherently analogous character of agency as exhibited in the multiple uses of the term ‘agent’. This small clue offers us the best way of pre­senting Ghazālī’s intent and his strategy to contemporary readers. What he wanted to do was to help believers to recognize that theirs is a unique perspective on the universe: each thing is related in its very existence to the one from whom it freely comes. (As Aquinas will put it: ‘the very existence of creatures is to be related to their creator’ [ST 1.45.3]). Yet since we cannot articulate this founding and sustaining relationship conceptually, for to do so would tres­pass on divine freedom, we can only display our understanding by the way we live our life: trusting in the One who so sustains us. To the recurring objection that all this amounts to coercion (jabr­) on the part of God, he replies: This has to do with the divine decree (qadar),4 intimations of which we saw with respect to the faith in divine unity which brings about the state of trust in divine providence, and is only perfected by faith in the benevolence and wisdom [of God]. And if faith in divine unity brings about insight into the effects of causes, abundant faith in benevolence is what brings about confidence in the effects of the causes, and the state of trust in divine providence will only be perfected, as I shall relate, by confidence in the trustworthy One (wakīl) and tranquility of heart towards the benevolent oversight of the [divine] sponsor. For this faith is indeed an exalted chapter in the chapters of faith, and the stories about it from the path of those experiencing the unveiling go on at length …. He enhanced knowledge, wisdom, and

3 This term is not Qur’anic nor is it a name of God; cf. L.P. Fitzgerald, Creation in al-Tafsīr al-Kabīr of Fakhr ad-Dīn al-Rāzī (Ph.D. disser­tation), Australian National University, 1992, 34. 4 William Chittick proposes that we render qadar as ‘the measuring out,’ and with respect to human understanding, the ‘mystery of the measuring out’- see Faith and Practice in Islam (Albany: State Uni­versity of New York Press, 1992) 21, 189, 213.

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reason in a great number of [Sufi sheikhs], and then unveiled for them the effects of things (al-’awāqil al-amūr), apprising them of the secrets of the intelligible world, teaching them the subtleties of speech and the hidden springs of punishment, to the point where they were thus informed regarding what is good or evil, useful or harmful’ (47–48).

This summary offers a springboard to part two of the book, which relates one Sufi story after another, while judi­ciously selecting them and weaving them into a pattern that allows persons to discriminate in making subtle decisions regarding the way they lead their lives aware of God’s be­nevolent care, exhibiting the sorts of choices they make in typical situations. If Ghazālī closes the first part with what looks like a backward-looking conceptual reminder, he opens the way to an entirely different mode of consider­ation in part two: Indeed, all this happens according to a necessary and true order, according to what is appropriate as it is appropriate, and in the measure proper to it; nor is anything more fitting, more perfect, and more attractive within the realm of possibility.12 For if something were to exist and remind one of the sheer omnipotence [of God] and not of the good things accomplished by His action, that would utterly contradict [God’s] generosity, and be an injustice contrary to the Just One.5 And if God were not omnipotent, He would be impotent, thereby contradicting the nature of divinity’ (45).

Yet omnipotence cannot be the last word; generosity is a more operative one, for it modifies God’s omnipotence in the direction of a benevolent creator. The upshot of tawḥīd, then, must be the believer’s profound conviction ‘of the unalterable justice and excellence of things as they are …, of the ‘perfect right­ness of the actual’.’6 Eric Ormsby sees this conviction as the result of ten years of seclusion and prayer following Ghazālī’s spiri­tual crisis. By ‘the actual’ he means what God has decreed, itself the product and reflection of divine wisdom. And by asserting the primacy of the actual over the pos­sible, Ghazālī shows himself a true theologian. Contin­gency, for philosophers, tends to focus on the logical fact that ‘whatever exists could always be other than it is’. Yet while it may be ‘logically correct

5 Al-`Adl [Just] is a name of God (cf. 99 Beautiful Names, 92–96), and the following expression `omnipotent’ is derived from the name al-Qddir,(Ibid., 131–32). 6 This is Ghazālī’s celebrated claim regarding the universe-that is it ‘the best possible,’ a claim whose reception has been examined in detail by Eric Ormsby, Theodicy in Islamic Thought. Princeton NJ: Princeton University Press, 1984, and revisited in his contribution to God and Creation, edited by David Burrell and Bernard McGinn, Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 1990: ‘Creation in Time in Islamic Thought with Special Reference to al-Ghazali.’ See also Richard Frank, Creation. (note 7), 60–61.

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and permissible to affirm that our world could be different than it is, it is not theo­logically correct and permissible – indeed, it is impious – to assert that our world could be better than it is. The world in all its circumstances remains unimpeachably right and just, and it is unsurpassably excellent’.7 Yet the excel­lence in question is not one which we can assess indepen­dently of the fact that it is the product of divine wisdom, so Ghazālī is not asserting that ours is the ‘best of all possible worlds’, as though there were a set of such worlds ‘each of which might be ranked in terms of some intrinsic excel­lence’. Such an assertion would miss the point of Ghazālī’s quest: to find ways of expressing that relation of creator to creatures which quite resists formulation. The deconstructive moment had been his rejection of the ema­nation scheme; the constructive task is taken up in this twin discourse on faith in divine unity and trust in divine providence, but especially in this second part where prac­tice will allow us to traverse domains which speculative reason cannot otherwise map. But what sort of a practice is tawakkul: trust in divine provi­dence? It entails accepting whatever happens as part of the inscrutable decree of a just and merciful God. Yet such an action cannot be reduced to mere resignation, and so cari­ catured as ‘Islamic fatalism.’ It rather entails aligning oneself with things as they really are: in Ghazālī’s sense, with the truth that there is no agent but God Most High. This requires effort since we cannot formulate the relationship between this single divine agent and the other agents which we know, and also because our ordinary perspective on things is not a true one: human society lives under the sign of jāhiliyya or pervasive ignorance. Nor can this effort be solely intellectual; that is, I cannot learn ‘the truth’ in such a way as to align myself with it, in the time-honored fashion in which speculative reason is supposed to illumi­ nate practical judgment. For this all-important relationship resists formulation. Nevertheless, by trying our best to act according to the conviction that the divine decree expresses the truth in events as they unfold, we can allow ourselves to be shown how things truly lie. So faith (tawḥīd) and prac­tice (tawakkul) are reciprocal; neither is foundational. The understanding we can have is that of one journeying in faith, a sālik, the name which Sufis characteristically appropri­ated for themselves. There are stages of trust in divine providence, to be sure, which Ghazālī catalogues as (1) the heart’s relying on the trustworthy One (wakīl) alone, (2) a trust like that of a child in its mother, where the focus is less on the trust involved than on the person’s orientation to the one in whom they trust; and (3) the notorious

7 Ormsby, ‘Creation in Time ...,’ 256, quoting from his own Theodicy..., 32–91. Also see Ormsby, ‘Creation in Time...,’ 257.

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likeness of a corpse in the hands of its washers, where the relevant point is that such trust moves one quite beyond petition of any sort (58–60). Yet the opera­tive factor is present already in the initial stage, which is not surpassed but only deepened by subsequent stages: trust­ing in the One alone. The formula for faith here is the hadith: ‘There is no might and power but in God,’ which Ghazālī shows to be equivalent to the Qur’anic shahādah: There is no god but God, thereby reminding us that the hadith does not enjoin us to trust in power or might, as attributes dis­ tinct from God, but in God alone. It is in this context that he selects stories of Sufi sheikhs, offering them as examples to help point us towards developing specific skills of trust­ing: habits of responding to different situations in such a way that one learns by acting how things are truly ordered, the truth of the decree. The principle operative throughout is that a policy of complete renunciation of means (asbāb) is contrary to divine wisdom, the sunna Allah, but those who journey in faith will be cognizant that there are differ­ent kinds of means, as they become aware of hidden as well as manifest ones. The situations which he canvasses begin with the daily question of sustenance: should one seek it by working for it, or ought one wait for it to come to him or her? At issue here is a practice of some Sufis to sequester themselves in a mosque in prayer while relying on the generosity of the faithful, as well as more dramatic adventures of journeying into the desert without provisions. Ghazālī notes with ap­proval that when the illustrious al-Ḥawwās undertook such journeys, he never left home without four items: a pot, a rope, scissors, and a needle and thread. For while he was convinced that God would provide for him on his journey, he realized that, according to the sunna of Allah, water would not be found on the surface of the desert (hence the pot and the rope), and should his sole tunic rip he would not be likely to run across a tailor (hence the scissors, needle and thread: ‘lest his nakedness be exposed’[76]). He also notes that judiciousness in such matters will differ considerably whether one be a single person or a householder. Other situations which involve a judicious practice of trust in divine providence include saving, repelling injury or resisting danger, our response to theft of our property, and the manner in which we relate to illness: ought one or may one simply dispense with all treatment? May we conceal the fact that we are ill from those who care for us, or must we disclose it? Here especially he strives for a sane ‘middle way’: dispensing with treatment cannot be said always to be the ‘better way’ for those who trust in God’s providence. The bevy of stories which Ghazālī mines offer living examples of the attitude proper to one who firmly believes in divine unity, namely, a total trust in God’s providential care. He uses them to offer one object lesson after another of a way to take esoteric Sufi lore and allow it to inspire one’s practice, as in the following:

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Should you say that it has been said of certain ones that a lion put his paws on their shoulders without their being agitated, I would respond: It is said about certain ones that they ride lions and make them subservient, but there is no need to deceive yourselves about that station.8 For even if it were authentic in itself, it would hardly be healthy to imitate a path which one learns about from someone else. That station is marked by an abundance of miracles and is certainly not a condition for trusting in God; it is rather replete with secrets which cannot be divined by those who have not attained it. You might also say: What are the signs by which I could know that I had attained it? I would respond: One who attains it does not need to look for signs. However, one of the signs of that station does in fact precede it: that a dog become sub­ject to you, a dog which is always with you, indeed inside your skin, named Anger [or Resentment]. [Normally] it does not stop biting you and biting others. But if this dog becomes subservient to you, to the extent that when it becomes agitated and irritated it will be subject to you instan­taneously, then your standing will be enhanced to the point where a lion, the very king of beasts, will be subject to you. It is more appropriate that the dog in your house be subject to you than a dog in the desert; but it is even more appro­priate that the dog inside your skin be subject to you than the dog in your house For if the dog within is not subject to you, how can you hope to make the dog outside subject to you’ (115)?

So there is a school whereby we learn how to respond to what happens in such a way that we are shown how things are truly ordered. This school will involve learning from others who are more practiced in responding rightly; Ghazālī’s judicious use of stories is intended to intimate the Sufi practice of master/disciple wherein the novice is helped to discern how to act. Philosophy is no longer iden­ tified as a higher wisdom; speculative reason is wholly subject to practical reason, but that is simply the inevitable implication of replacing the emanation scheme with an in­tentional creator.9 So the challenge of understanding the relation of the free creator to the universe becomes the task of rightly responding to events as they happen, in such a way that the true ordering of things, the divine decree, can be made manifest in one’s actions as responses. Ghazālī expresses this relationship between speculative and practi­cal reason by noting that we need to call upon both knowl­edge and state [of being] in guiding our actions according to a wholehearted trust in God. What he wishes to convey by those terms in tandem is an awareness of the very struc­ture of the book itself: when put into practice, the knowl­edge which faith in divine unity brings can lead one to an habitual capacity to align one’s otherwise

8 Such stories are legion; see Qushayrī, Risāla 166, 13–14; Ansari, Sharh ar-Risdla al-Qushayriya 4, 173. 9 See my ‘Why Not Pursue the Metaphor of Artisan and View God’s Knowledge as Practical?’ in Lenn E. Goodman, ed., Neoplatonism and Jewish Thought. Albany: State University of New York Press, 192 207–16.

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errant responses to situation after situation according to that faith. In short, what Ghazālī terms a state, relying here on a Sufi anthro­pology, would be more familiar to western readers as Aristotle’s stable ‘second nature’ of virtue. It is tied, however, not to the Hellenic paradigm of ‘the magnanimous man’ but to a Quranic faith. This is also evident in his treatise on the names of God, for it is the ninetynine names culled from the Qur’an, names by which God reveals the many ‘faces’ of the divine, which offer a composite picture for human perfection. If we take names to identify attributes, then that book can be read in two dis­tinct, yet related, ways: as a condensed summary of Is­lamic theology and as offering a revealed counterpart to Aristotle’s Ethics. Perhaps enough has been said so far to begin to make my case for Ghazālī as an Islamic theolo­gian, in the normative and not merely descriptive sense of that term. If he tends to resolve to mystical insight in places where philosophers would prefer conceptual schemes, one ought to acknowledge that he is thereby suggesting that certain domains quite outstrip human conceptualizing. Yet more significant, however, is that everything he says about practice can be carried out quite independently of such ‘mystical insight,’ as indeed it must be for the vast major­ ity of faithful. Jean-Pierre de Caussade: On abandoning oneself to divine providence The title of a recent English translation of Jean-Pierre de Caussade’s L’Abandon a la providence divine (1741) by Kitty Muggeridge, The Sacrament of the Present Moment (1982), displays something of the work’s metaphysical import, recalling (from Augustine’s Confessions) how the reality of the present moment both eludes us and furnishes our vital connection with the creator. In this vein, it offers a remarkable parallel to Ghazālī’s treatise, though in a quite different idiom and context of faith. De Caussade was a Jesuit priest, professor, and spiritual director for Visitation nuns in Nancy from 1729 to 1739. These women transcribed his conferences so as to display something of the verve and intensity with which he delivered them. In the context, he had to distinguish his teaching from a pervading ‘quietist’ ethos which eschewed action in favor of a receptive faith in God’s presence and action in the lives of believers. Yet as we shall see, that very strategy suffuses his orienting talks and admonitions to the sisters, so we can only surmise that what distinguished him was the judicious manner in which he approached these delicate issues. Delicate, because they involve interaction between divine and human freedom, so inevitably incorporate one’s sense of the ineffable relation between free creator and free creatures. He had taught Greek, Latin, and philosophy before attaining a doctorate in theology at the University of Toulouse in 1708, and served as director of theological students in the Jesuit house in Toulouse for the last five years of his life of 76 years. So the heartfelt and sustained teaching this small book delivers presumes an intellectual

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infrastructure it seldom reveals, which may also explain how its has endured as a classic of the life of the spirit. In a comparative spirit, let us note the way Ghazālī grounds tawakkul in faith: If you assert in your soul, either by way of unveiling or by a decisive conviction, that there is no agent but God, as we have insisted; and you are convinced along with that of the perfection of [His] knowledge and power to meet all the needs of human beings, and then of the perfection of [His] solicitude, sympathy and lovingkindness towards human beings as a whole and individually – and that no power surpasses the reach of His power, no knowledge the range of His knowledge, nor does any solicitude of lovingkindness exceed what He has for you – then entrust our heart without hesitation to Him alone, without inclining at all to anything other than Him, nor to one’s own self, one’s own might or strength (55–56).

As we expound de Caussade, this very quality of faith will continually emerge, implicitly and explicitly, in his confident direction, while the constant recurrence of ‘surrender’ cannot but remind one of customary readings of the term ‘Islam’ as ‘submission’. ‘Living by faith and the instinct of faith is the same thing. It is joy in God’s goodness and trust founded on the hope of his protection; a faith which delights in an accepts everything with good grace’ (23). This expresses the leitmotif of de Caussade’s guide to living by faith. The object of faith [is] to discover God in [the ordinary tasks of life]; to follow and surrender to him is its exercise. … How otherwise can this divine unity, this spiritual essence, be expressed? How can its nature and meaning be truly conveyed (27–28)?

That is to say, such perfect trust (or tawakkul) can only be grounded in faith in the all-pervasive activity of the one creator (or tawḥīd). Yet as we might expect, de Caussade finds the quality of perfect trust he presents confirming a triune God: ‘How [otherwise] can the concept of three in one [be] illumined’ (28)? Yet what links them both is the claim that a faith which outreaches human understanding, and finding different expression in each case, will be confirmed in an inexhaustible trust: To long to be the subject and instrument of divine action and to believe that it operates in each moment and in all things in so far as it finds more or less good will – this is he faith I am preaching (31).

Yet like the faith itself, the ways God directs believers will defy human calculation: He knows, too, that you do not know what is for your good and makes it his business to provide it, little caring whether you like it or not. You are going East, he will turn you to

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the West. You are set on a fair course, he turns the rudder and sends you back to harbor. Without either compass or map, your voyage is always successful (34).

Hearers of the Qur’an will be reminded of Moses’ celebrated encounter with ‘the Lord’s servant,’ who kept subverting Moses’ plans, only to remind him of the disasters which he would have met in each case, had he prevailed on his original course (18:60–82). Moreover, de Caussade likens those schooled by surrender to such an apparently contrary guide to ‘a musician who combines long practice with a perfect understanding of music’, whose compositions ‘conformed perfectly to the conventions [yet] he was most successful when working unhampered by them  – so much so, that connoisseurs would hail his impromptus as masterpieces’ (38). So too with those ‘acting on intuition and faith in all things: … all they have to do is to act as though by chance, trusting only to the power of grace which can never be wrong’ (39). In short, their mode of acting in consonance with their faith in the presence of their creator, offers a created imitation of the spontaneity of a creator whose wisdom can never be compared to a plan, whose intelligence defies design. Yet living in this ways cannot but defy as well our own conceptions of right and wrong: The point must be reached where the whole of creation counts for nothing and God for everything. This is the reason why God opposes all our personal inclinations and ideas. No sooner do we form our own ideas … or whatever designs we may have or advice we may take, God disconcerts all our plans and instead permits us to find in them only confusion, trouble, vanity and folly (51).

Yet once freed of the preoccupation of guiding our own life, what we do though grace, and what grace accomplishes in us, requires nothing more than surrender or assent. … It is enough, then, for us to know what we must do, and this is the easiest thing in the world. It is to love God as the mighty all in all, to rejoice in him and to fulfill our duty conscientiously and wisely (52).

We find here echoes of Ghazālī’s insistence that ‘there is no agent but God Most High,’ as well as his carefully distancing himself from a prevailing ‘quietism’ by knowing what it is for us to do and doing it. But how to find the secret of ‘belonging to God’ in this way? There is none, unless it be to take advantages of every opportunity. Everything leads to union with him;  … only take things as hey come without interfering. Everything guides, purifies, and sustains you, carrying you along, so to speak, under God’s banner by whose hand earth, air and water are made divine. His power is vaster and more immense than all

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the elements. … His Holy Spirit pervades every atom in your body, to the very marrow of your bones (72). … Without knowing it, all are instruments of that spirit to bring the message freshly to the world (73).  … This is what the book of life is about  …. In it will be written down every thought, word, deed and suffering of all souls. And that scripture will then be a complete record of divine action (74), [a] divine action [which] arranges it all miraculously, [providing] each moment with its appropriate purpose, and the pure of heart, uplifted by faith, find everything good and wish for neither more nor less than what they have. They continually bless that divine hand which pours its living water over them; they treat their friends and enemies alike with the same gentleness, since it was Jesus’ way to treat everyone as divine (87).

Clear references to Jesus and the Holy Spirit are reinforced by biblical imagery of ‘living water,’ while the entire thematic echoes Ghazālī’s insistence that ‘all this happens according to a necessary and true order, according to what is appropriate as it is appropriate, and in the measure proper to it; nor is anything more fitting, more perfect, and more attractive within the realm of possibility’. This conviction is identified by Ormsby: ‘the world in all its circumstances remains unimpeachably right and just, and it is unsurpassably excellent’. This robust faith in a world created freely by the one God is shared by Muslims and Christians, and while revealed differently, each tradition shares those ‘divine names’ which remove the benevolence of this creator-God from all human projection. Yet that conviction and faith need to be confirmed in practice: The more enlightened, intelligent and capable a person is, the more he is to be feared if he does not have that fundamental goodness which consists in being contented with God and his will. A steadfast heart unites us to divine action. Without it all is purely human nature and usually pure contradiction to God’s order, which has not, to tell the truth, any other instruments than the meek (90).

The ‘steadfast heart’ of which de Caussade speaks results from surrender. It is, in fact, the only secret of surrender, an open secret, an art without artistry. It is the straight path which God requires everyone to follow, explains very clearly and makes very simple (99). [It involves] going back to the beginning, the source, the origin of things, where everything has another name, another shape; where everything is transcendental, divine, holy, where everything is part of the bounty of Jesus Christ, where everything is a foundation stone of a heavenly Jerusalem (102–3).

This valedictory passage builds on a ‘surrender’ which yields a ‘straight path’ back to ‘the beginning’ where all is pristine from the creator. The rich imagery is redolent of both Christian and Muslim themes, but especially in the way it is anchored in creation itself, as Elena Malits and I explored in Original Peace a

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decade ago, showing how early Christian reflection anchored that tradition securely in free creation, and how everything in Islam turns on that fulcrum, from the Qur’an’s lapidary ‘God said ‘be’ and it is’ to the very coming down of that revelation itself’.10

Moses Maimonides and the Psalmists on Trust Many find the Hebrew psalms never cease to exalt a crushing victory of the favored people of God over everyone else, yet they are also suffused with exhortations to a trust in a forgiving God which over-reach boundaries of any sort. This is the over-riding reason why Christians share the psalms with Jews as their daily diet of prayer. A classic summary text can be found in the Septuagint rendering of Daniel, where a searing self-examination offers a prelude to a testimonial of trust: For your name’s sake, O Lord, do not deliver us up forever, or make void your covenant. Do not take away your mercy from us, for the sake of Abraham, your beloved, Isaac your servant, and Israel your holy one, To whom you promised to multiply their offspring like the stars of heaven, or the sand on the shore of the sea. For we are reduced, O Lord, beyond any other nation, brought low everywhere in the world this day because of our sins. We have in our day no prince, prophet, or leader, no burnt offering, sacrifice, oblation, or incense, no place to offer first fruits, to find favor with you. But with contrite heart and humble spirit let us be received. As though it were burnt offerings of rams and bullocks, or thousands of fat lambs, So let our sacrifice be in your presence today as we follow you unreservedly; for those who trust in you cannot be put to shame (Dn 3:34–43).

This same dynamic is reflected in Solomon Ibn Gabirol’s Kingly Crown, a staple of the Jewish liturgy, especially for Yom Kippur.11 A native of Andalusia who died in his early thirties (c. 1058), Ibn Gabirol offers testimony a century before the Rambam of the ways ’the thought of ancient Greece was to come to Judaism … through the Arabs’ (Gluck Preface, 12). His Arabic prose treatise was translated into Latin as Fons Vitae (Source of Life), which allows him to play a role in medieval philosophy as ‘Avicebron’. Chapter 35 of his long poem, The Kingly Crown, reiterates the dual themes of the Septuagint Daniel:

10 Original Peace: Restoring God’s Creations with Elena Malits, C.S.C., New York: Paulist, 1997. 11 The Kingly Crown [Keter Malkhut] tr. Bernard Lewis, wit Introduction and commentary by Andrew Gluck. Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 2003.

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O my God! My face falls when I remember all that I have done to offend Thee; for all the good thou has vouchsafed to me I have repaid Thee with evil. For Thou didst create me not of necessity, but as a bounty. Not by compulsion, but by will and love. Before I was, Thou didst greet me with Thy mercy, breathe spirit into me, and give me life. And after I came forth into the air of the world, Thou didst not leave me, but like an indulgent father Thou didst cherish me. As a sucking child didst thou nurse me, and at my mother’s breast didst set me securely. With thy sweet delights Thou didst sate me, and when I came to stand Thou didst strengthen me and se me upright. Thou didst take me in then arms and guider me, and teach me wisdom and conduct.

This theme of acknowledging sinfulness is inextricably linked to an original merciful creator, whose caring love endures in the gift of Torah. This dimension will be elaborated a century later in the Guide of the Perplexed. Returning to the Septuagint psalm of Daniel to note how the fruit of trust is not victory over one’s enemies but removal of shame, Maimonides will use it to frame his conviction and that those who trust in God can never be harmed: if we prepare ourselves, and attain the influence of the Divine Intellect, Providence is joined to us, and we are guarded against all evils. ‘The Lord is on my side; I will not fear; what can man do unto me’? (Ps. 98:6) ‘Acquaint now thyself with him, and be at peace’ (Job 22:21); i.  e., turn unto Him, and you will be safe from all evil. Consider the Psalm on mishaps, and see how the author describes that great Providence, the protection and defense from all mishaps.12

And lest Maimonides’ reputation for granting unyielding primacy to intellect predispose us to misread these final chapters of the Guide of the Perplexed, he focuses on the Torah: God declares in plain words that it is the object of all religious acts to produce in man fear of God and obedience to His word – the state of mind which we have demonstrated in this chapter for those who desire to know the truth, as being our duty to seek. … The two objects, love and fear of God, are acquired by two different means. The love is the result of the truths taught in the Law, including the true knowledge of the Existence of God; whilst fear of God is produced by the practices prescribed in the Law. (3.42).

According to the rabbis, confessing the unicity of God should bear the existential fruit of a unyielding trust in that providence emanating from a gratuitous creation, a confession reflected later in Muslim insistence on tawḥīd: ‘faith in divine

12 Guide of the Perplexed Bk. 3, ch. 42.

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unity’, which we have seen al-Ghazālī parse effectively as trust (tawakkul). So both Christian and Muslim traditions extolling trust in God find their roots in the biblical ‘fear and love’ elaborated by Moses ben Maimon, so can be considered elaboration of these prior ancestral traditions, on this subject so intimately linked. So trust in a free creator (tawakkul) becomes eminently rational, given the One in whom we live, as testified by the interlocking testimony of Jews, Christians, and Muslims.

Bibliography Burrell, David B. Al-Ghazālī: Faith in Divine Unity and Trust in Divine Providence. Book 35. Cambridge: Islamic Texts Society, 2001. Burrell, David. Knowing the Unknowable God. Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 1986. Chittick, William. Faith and Practice in Islam. Albany: State University of New York Press, 1992. Fitzgerald, L. P. Creation in al-Tafsīr al-Kabīr of Fakhr ad-Dīn al-Rāzī. (Ph. D. dissertation), Australian National University, 1992. Goodman, Lenn E. (Ed.) Neoplatonism and Jewish Thought. Albany: State University of New York Press, 1992. Lewis, Bernard. The Kingly Crown (Keter Malkhut). Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 2003. Moosa, Ebrahim. Ghazālī and the Poetics of Imagination. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2005. Ormsby, Eric. “Creation in Time in Islamic Thought with special reference to al-Ghazālī.” In God and Creation, an Ecumenical Symposium, pp. 246–264, ed. David B. Burrell and Bernard McGinn. Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 1990. Ormsby, Eric. Theodicy in Islamic Thought. Princeton NJ: Princeton University Press, 1984.

Daro Alani

Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“1 Diese häufig zitierten Sätze aus dem kleinen Prinzen von Saint-Exupéry sind einer der berühmtesten Ratschläge des Fuchses an den kleinen Prinzen. Der Fuchs wird in vielen Kulturen gewöhnlich als Sinnbild für Schlauheit, aber auch für Täuschung und Betrug gesehen. Man kann sich daher durchaus fragen, warum bei St. Exupéry ausgerechnet ein Fuchs die Weisheit über Freundschaft vermittelt. Vielleicht wird er so selbst ein Beispiel dafür, dass der erste, äußerliche Eindruck oft täuschen kann, und nicht immer das stimmen muss, was allgemein angenommen wird. Will man zum Kern der Dinge vorstoßen, braucht es eine andere Auseinandersetzung damit; das heißt, man sollte sich nicht mit gewöhnlichen Fragen und Antworten zufrieden geben, sondern einen Schritt tiefer oder einige Schritte in ungewohnte Richtungen gehen. Das Eingangszitat könnte genauso auch von Ibn ͑Arabī2 oder von anderen Mystikern stammen, da ein wichtiges Element einer mystischen Betrachtungsweise gerade in dem Bewusstsein besteht, dass jede Sache unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden kann und sollte; es gibt bei allem eine äußerliche (ẓāhir) und eine innerliche (bāṭin) Seite. Das Innerliche ist meist nicht augenscheinlich, es ist für die Augen unsichtbar, und muss auf anderem Wege betrachtet werden, nämlich – wie Mystiker betonen – durch das Herz. Und um dieses „Sehen mit dem Herzen“ soll es im vorliegenden Artikel gehen. Die mystische

1 Antoine de Saint-Exupéry. Der kleine Prinz, Düsseldorf, 1985. 2 Muḥyiʾad-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b. ʿAlī b. Muḥammad b. al-ʿArabī al-Ḥātamī aṭ-Ṭāʾī, auch größter Meister (Šayḫ al-akbar) genannt, wurde am 7. August 1165 n. Chr. in Murcia, Andalusien, geboren. Er hat sich im Jahre 1184 n. Chr. auf den mystischen Weg begeben. Ca. 1194 n. Chr. entschloss er sich zur Pilgerreise, die er zu Fuß antrat. 1202 n. Chr. kam er in Mekka an, wo er zwei Jahre blieb. In den Jahren von 1204 bis 1216 n. Chr. war er viel unterwegs im Maschriq. 1240 n. Chr. starb Ibn ʿArabī in Damaskus. Seine wichtigsten und bekanntesten Werke sind: Futūḥāt al-makkiyya und Fuṣūṣ al-ḥikam. Vgl.: A. Ateş. „Ibnal-ʿArabī, Muḥyi’l-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b. ʿAlī b. Muḥammad b. al-ʿArabī al-Ḥātimī al-Ṭāʾī, known as al-S̲ha̲ yk̲h ̲ al-Akbar.“ In Encyclopaedia of Islam, Second Edition. Brill Online. Einige Quellen nennen den 17. Ramadan 560 H als Geburtsdatum Ibn ʿArabīs, z.  B. bei Henry Corbin. Creative Imagination. Übers.  v. Ralph Manheim. Princeton: Priceton University Press, 1969, 38; oder Claude Addas. Quest for the Red Sulphur. Übers.  v. Peter Kingsley. Cambridge: The Islamic Texts Society, 1993, 18. https://doi.org/10.1515/9783110588576-022

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Herzerkenntnis wird dabei als Erweiterung der Erkenntnis durch Vernunft ( ͑aql) bzw. Rationalität betrachtet und entsprechend vorgestellt werden. Im Kontext von Rationalität denkt man üblicherweise nicht als erstes an Mystik, vielmehr wird die Mystik oft geradezu als Gegenpol zur Rationalität beschrieben oder verstanden. Nachfolgend wird unter anderem versucht, diese Kategorisierung oder dieses Verhältnis zumindest in Frage zu stellen. Dazu soll darauf eingegangen werden, wie Sufis, also islamische Mystiker, selbst ihr Verhältnis oder ihre Haltung zu Rationalität, Vernunft, Erkenntnis (maʿrifa) und Wissen (ʿilm) beschreiben. Dabei beziehe ich mich in erster Linie auf Ibn ͑Arabī, einen der einflussreichsten und bekanntesten Mystiker3, sowie einige seiner Schüler, wie Ǧīlī4 und Nāblusī5. Ihre Überlegungen sind grundsätzlich in den Rahmen der Schule von der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd) einzuordnen. Im ersten Teil wird daher auf einige grundlegende Konzepte zur Einheit des Seins eingegangen. Das Grundkonzept der Schule – alles ist Eins – steht schon in ihrer Benennung; was daraus folgt und wie man sich die Weltanschauung im Detail vorstellen kann, darauf soll nachfolgend etwas vertiefter eingegangen werden. Die Implikationen für die Rolle des Menschen, werden im zweiten Teil erläutert. Im dritten Teil steht dann der rationale Erkenntnisprozess im Zentrum, wie er von Ibn ͑Arabī bzw. von anderen Mystikern der Schule der Einheit des Seins beschrieben wird. Ibn ͑Arabī äußert dabei Zweifel an der Möglichkeit auf diesem Wege wahres Wissen über das Sein oder gar über das Wesen Gottes zu erreichen. Auf diese Skepsis wird im vierten Teil genauer eingegangen, um im fünften Teil folgerichtig aufzuzeigen, wie denn die Suche nach wahrer Erkenntnis bei den Mystikern aussieht.

3 Z.  B.: Annemarie Schimmel. Mystische Dimensionen des Islam. München: Diederichs, 1995, 374. 4 ʿAbdulkarīm b. Ibrāhīm b. ʿAbdulkarīm al-Ǧīlī: 1365–1423 n. Chr. Die Daten sind umstritten, Yūsif Zaydān hat die Angaben am sorgfältigsten untersucht und begründet. Er ist bekannt für sein Werk Insān al-kāmil, in dem er sich auf das Konzept Ibn ʿArabīs bezieht und dieses weiter entwickelt. In zahlreichen Werken kommentiert und erweitert er vor allem Gedanken Ibn ʿArabīs. Siehe: Yūsif Zaydān. al-Fikr aṣ-ṣūfī baīna ʿAbdulkarīm al-Ǧīlī wa kibār aṣ-ṣufiyya. Kairo: Dār alamīn, 21998, 26–29. 5 ʿAbd al-Ghanī b. Ismāʿīl an-Nāblusī: 1641–1731 n. Chr., geboren und aufgewachsen in Damaskus, später auch lange Zeit in Bagdad. Ein schafiitischer Dichter und Sufi, Mitglied der Naqshbandiyya und Qādiriyya Bruderschaft, bekannt vor allem für seine Kommentare zu Werken älterer Sufis, insbesondere Diwan von Ibn al-Farīd, Fuṣūṣ al-ḥikam und von Ibn ʿArabī. Stark beeinflusst von den Werken Ibn ʿArabīs. Vgl.: John Renard. Historical Dictionary of Sufism. Toronto, Oxford: Scarecrow Press, 2005, 18.

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Einheit des Seins Nach der Schule der Einheit des Seins ist alles, was als Sein beschrieben wird – außer Gottes Wesen (adh-dhāt al-ilāhiyya) selbst – Erscheinung Gottes. Nur Gottes Wesen hat echte oder wahre Existenz, da alles andere von Ihm abhängt und keine eigene unabhängige Existenz hat. Zur Lehre der Einheit des Seins gibt es unterschiedliche Haltungen und sie wird durchaus auch kritisch beurteilt. So steht beispielsweise der Vorwurf im Raum, dass Vereinigung (ittiḥād) und Auflösung (ḥulūl) ihre wichtigsten Elemente seien, was mit dem wahren Geist des Islam nichts zu tun habe. Was im Islam akzeptiert wird, ist eher die Lehre der Einheit der Schau (waḥdat ash-shuhūd), die als Koran und Sunna näherstehend betrachtet wird. Diese beruht aber dem Grundprinzip nach auf Dualismus, da Geschöpfe und Schöpfer nicht Eins sind; im Gegensatz zur Einheit des Seins, wonach Schöpfer und Geschöpfe, also eigentlich alles, eine einzige absolute Wahrheit bilden.6 Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Einheit des Seins eben nicht bedeutet, dass Gott in allem ist, sondern dass alles, was wir als Sein beschreiben, nur Erscheinungen von Gottes Wesen sind, ohne wahre eigene Existenz. Ibn ͑Arabī selbst erläutert im Futūḥāt, wie alles Eins sein kann, auch ohne Auflösung: Wie man durch die Logik weiß, dass der Mond in sich nicht über dasselbe Licht wie die Sonne verfügt und die Sonne selbst nicht in ihn versetzt ist, sondern in ihm einen Erscheinungsort hat, denn die Eigenschaften kann man nicht von ihrem Gegenstand trennen und den Namen (ism) nicht vom Benannten (musammā), so ist auch in den Diener nichts von Gott versetzt und aufgelöst (ḥulūl), sondern er ist der besondere Erscheinungsort und Seine Erscheinung.7 Auch Nāblusī erläutert die Bedeutung von Einheit des Seins weiter und erklärt, dass die Beschreibung des gesamten Seins als Einheit nicht dahingehend verstanden werden sollte, dass alle Seienden (mauǧūdāt) Gott sind. Kern der Aussage ist vielmehr, dass jenes einzige Sein, durch das die Seienden bestehen, Gott ist.8 Es handelt sich also nicht um ein pantheistisches Verständnis wonach Gott mit der Welt und allenfalls dem Universum identisch ist. Vielmehr ist alles Seiende ein

6 Fiktūr Saʿīd Bāsīl. Waḥdat al-wujūd ʿinda IbnʿArabī wa ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Beirut: Dār al-Fārābī, 2006, 42–43. 7 Frei übersetzt nach: Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt, Bd. 2, 659. Kairo. Vgl.: Daro Alani. Das Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität Bern. Bern 2011, 88. 8 ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Iīḍāḥ al-maqṣūd min waḥdat al-wujūd. Damaskus: Maṭbaʿa al-ʿilm, 1969, 9.

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Erscheinungsort von Gottes Wesen. Gottes Wesen selbst ist aber unendlich viel größer und unfassbarer als das uns zugängliche Sein. Gemäß der Schule der Einheit des Seins ist der Mensch daher nicht in der Lage das Wesen der Wirklichkeit bzw. die absolute Wahrheit zu erkennen, er kann nur die Erscheinungen wahrnehmen, oder was ihm erscheint. So ist Gottes Wesen an sich für den Menschen unmöglich zu erkennen, nur die Erscheinungen Gottes sind erkennbar. Darum bezeichnen die Mystiker den absoluten Gott stets mit „Er“ (huwa), der uns ständig erscheint, als ob sie über Ihn nichts wüssten und nur durch Verwendung dieses Pronomens darauf hinweisen könnten, dass sie über Ihn reden. Sie äußern sich nur über Seine Namen und Eigenschaften und nicht über Sein Wesen.9 Das Wesen Gottes ist so wenig erfassbar wie das eigentliche Wesen der Dinge und entsprechend formen die Menschen verschiedene Narrative über Gott. Man kann sagen, so viele Menschen es gibt, so viele Narrative und Beschreibungen von Gott gibt es. Das ist auch der Grund, weshalb sich das, was Mohammed über Gott gesagt hat, von dem unterscheidet, was beispielsweise Abraham, Jesus, Moses, Buddha oder Zarathustra über Gott gesagt haben. So entstehen verschiedene Religionen und Wege zu Gott. Nach der Darstellung Ǧīlīs ist aber Gottes Wesen an sich immer gleich, ewig und unveränderlich, genauso wie Es war, bevor Es erschien. Gottes Wesen steht außer oder über allem und ist nicht fassbar. Was sich dagegen ständig verändert sind nur die Formen seiner Erscheinungen.10 Ǧīlī stützt seine theologische Position diesbezüglich auf folgenden Koranvers, der nach seiner Interpretation die Unveränderlichkeit des Wesens Gottes bestätigt: Es gibt keine Veränderung für das Wesen Gottes.11 In der Lehre von der Schule der Einheit des Seins steht also Gottes Wesen im Zentrum, das nicht erkennbar und unveränderlich ist. Alles außer Ihm, also die sich in ständiger Veränderung befindenden Erscheinungen von Gottes Wesen, die alle Formen des Seins umfassen, bezeichnet Ibn ͑Arabī als Wolke (ʿamāʾ). Für diesen Begriff verwendet er auch andere Beschreibungen und andere Synonyme, darunter „absolute Imagination“ (ḫayāl al-muṭlaq), „alle Seienden außer Gott“ (kullu mauǧūd siwā Allāh), „die Substanz des Weltalls“ (ǧauhar al-ʿālam

9 Z.  B.: ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Insān al-kāmil, Bd. 1. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, 2010, 142. 10 ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Insān al-kāmil, Bd.  1. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, 2010, 86. Sowie: ‘Abd al-Karim al-Jili. Universal Man, Extracts Translated with Commentary by Titus Burckhardt. Übers.  v. Angela Culme-Seymour. Roxburgh: Beshara Publications, 1983, 35. 11 Koran, Sure 30,30. Karimi, Bobzin, Paret und Khoury übersetzen „khalq“ alle mit Schöpfung bzw. Erschaffung, aber im Universal Man 35: „There is no change for the nature of God“, wobei auch Burckhardt auf die andere Übersetzung verweist.

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kullahu), „das Wahre, durch das Dinge geschaffen werden“ (ḥaqq al-maḫlūq bihi), „das Eigentliche der Zwischenwelt“ (ʿain al-barzaḫ), „die Stufe des vollkommenen Menschen“ (martabat al-insān al-kāmil), „Wahrheit der Wahrheiten“ (ḥaqīqat al-ḫaqāʾiq). Die erste göttliche Erscheinung ist in ʿamāʾ erschienen und dort erscheint alles außer Gottes Wesen selbst. Sie ist dasselbe wie der „Odem des Barmherzigen“ (nafas ar-raḥmān).12 Demnach ist ʿamāʾ – im Gegensatz zu Gottes Wesen  – in ständiger Bewegung und Veränderung, das heißt, nichts in ihr ist vollkommen, aber alles sucht und strebt nach der Vollkommenheit. Das bedeutet auch, dass es in ihr stets Entwicklungen und Widersprüche gibt, und keine festen, endgültigen Erkenntnisse. In der Lehre der Einheit des Seins spielt die ʿamāʾ eine zentrale Rolle. Sie ist die große Zwischenwelt (barzaḫ), in der sich das Sein oder die Welt befindet. Auch wenn ʿamāʾ alles außer Gott ist, kann sie nicht einfach als Erschaffenes beschrieben werden. Sie ist nicht allein nicht-Sein und nicht allein Sein, nicht allein geschaffen und nicht allein nicht erschaffen. Aber in der ʿamāʾ entstehen und vergehen die Seienden.13 Der Begriff ʿamāʾ wird im Koran nicht erwähnt, aber taucht in einem Hadith auf und ist von Mystikern wie Ibn ͑Arabī aufgegriffen worden: Als der Prophet gefragt wurde: „Wo war Gott vor der Erschaffung der Geschöpfe?“, lautete seine Antwort: „Er war in einer Wolke (ʿamāʾ). Über und unter dieser Wolke gab es keine Luft.“14 Die Ergänzung zur Luft erfolgt an dieser Stelle womöglich um das Risiko einer Anthropomorphisierung, die ansonsten der Vorstellung von Gott, der in einer Wolke sitzt, inhärent ist, durch die Abgrenzung zu vermeiden, da eine Wolke im üblichen Verständnis von Luft umgeben ist.15 Nāblusī führt aus, dass das Wort ʿamāʾ im Hadith eine Metapher ist. In derʿamāʾ befinden sich alle Formen von allem, was es auf der Welt gibt, außer Gottes Wesen. Da ʿamāʾ die absolute Imagination ist, umfasst sie die Formen aller Dinge, Wahrnehmbares (al-maḥsūs) und Plausibles (al-maʿqūl) und verschiedene Stufen ohne Ende. Nāblusī betont, dassʿamāʾ nicht Gottes Wesen ist, sondern ein Ort, in dem Gott erscheint.16 ʿAmāʾ ist damit im mystischen Verständnis der erste

12 Suʿād al-Ḥakīm. Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 820–823. 13 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 68–69. 14 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 310–311. Vgl.: Suʿād al-Ḥakīm, Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 449. 15 Ebd. 16 ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Iīḍāḥ al-maqṣūd min waḥdat al-wujūd. Damaskus: Maṭbaʿa al-ʿilm, 1969, 231–232.

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Erscheinungsort von Gottes Wesen, die Beschreibung der Erscheinung von Gottes Wesen vor der Stufe der Göttlichkeit (al-ulūhiyya), also bevor Er Geschöpfe bzw. Diener hervorgehoben hat. In diese Lehre der Einheit des Seins fügt sich nun auch der Mensch als Geschöpf, Diener und Erscheinungsort Gottes ein. Da im vorliegenden Artikel der menschliche Erkenntnisprozess im Zentrum stehen soll, wird im nachfolgenden Teil darauf eingegangen, welche Rolle dem Menschen in der Einheit des Seins nach Ansicht der Mystiker zukommt.

Eins im Anderen – Der Mensch in der Einheit des Seins Ibn ͑Arabī und die Mystiker im Allgemeinen gehen davon aus, dass das Sein oder das Universum als Ganzes eine vernünftige Struktur hat. Sie versuchen zumindest ihm eine vernünftig erklärbare Struktur zu geben und so eine schlüssige Verbindung zwischen Vernunft und mystischem Erlebnis herzustellen. Allerdings birgt es einige Schwierigkeiten, ein ewiges unbegrenztes Sein in einer relativen begrenzten Form darzustellen. Ibn A ͑ rabī und die Mystiker betrachten das gesamte Sein bzw. die Seienden als ein Lebewesen. Einige Teile des Seins sind nun in der Lage diese Struktur bewusster wahrzunehmen als andere. In diesem Zusammenhang von Sein und Bewusstsein geht Ǧīlī der Frage nach, ob Pflanzen oder sogar Minerale eine Seele haben. Mit Bezug auf den Koranvers: Es gibt nichts, was nicht Sein Lob preist.17 kommt er zum Schluss, dass alles beseelt sein muss, da nur etwas lebendiges Gott lobpreisen kann.18 In Bezug auf die Erkenntnisfähigkeit steht der Mensch aus mystischer Sicht aber über den anderen Geschöpfen. Ibn ͑Arabī hebt besonders den vollkommenen Menschen hervor, den er als das Geschöpf mit dem höchsten Bewusstsein für die Struktur des Seins sieht. Der Mensch an sich ist von Grund auf eine vernunftbegabte Lebewesensexistenz,19 die sich als Einzige selbst als Teil dieser Struktur wahrnimmt und als einziges Lebewesen bewusst lebt und denkt und sich ständig

17 Koran, Sure 17, 44, Bobzin. 18 ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Marātib al-wuǧūd wa ḥaqīqat kull maūǧūd. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, ³2008, 60. Sowie: Bannerth, Ernst (Hg.). „Das Buch der Vierzig Stufen. Kitāb al-ʾarbaʿīn martaba.“ In Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, Bd. 230. Wien, 1956, 63. 19 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī, al-Falsafa aṣ-Ṣūfiyya ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Kairo: Dār al-kutub wa al-wathāʾiq al-qaumiyya, 2009, 167.

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Fragen über sich und das gesamte Sein stellt. Das heißt, der Mensch strebt unablässig danach, Wissen und Erkenntnis über dieses Sein zu erreichen. Dieses Vorhaben gestaltet sich aber ausgesprochen anspruchsvoll und schwierig, denn der Mensch versucht dabei etwas zu verstehen, von dem er selbst Teil ist, das gleichzeitig aber unendlich viel größer als er selbst ist. Der Philosoph Karl Popper (1902–1994) stellt diesbezüglich ebenfalls eine Hypothese auf die einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen scheint. Seiner Ansicht nach könnte Neugier oder der Wunsch zu erkennen der Auslöser dafür sein, dass überhaupt ein Bewusstsein und schließlich ein Ich- oder Selbstbewusstsein entwickelt wird. Selbstbewusstsein ist etwas hochkomplexes und braucht Zeit, sich zu entwickeln. Eine gewisse Neugier oder Forscherdrang könnten seiner Meinung nach essentiell dazu beigetragen haben, diese Entwicklung zu befördern.20 Während sich Poppers Überlegungen mehr auf Evolution und die Entwicklung der Menschheit als Gesamtes fokussieren, gestehen beide Ansätze deutlich dem Menschen mit seinem Bewusstsein und seinem Erkenntniswillen eine gewisse Sonderstellung zu. Wenn nun Bewusstsein und das Streben nach Erkenntnis als wichtige Alleinstellungsmerkmale des Menschen angenommen werden, so lässt sich daraus folgern, dass es zum wahren Menschsein dazu gehört, diese Fähigkeiten zu pflegen und zu fördern. In den folgenden Teilen soll es nun darum gehen, aufzuzeigen, wie Mystiker entsprechende Erkenntnisprozesse konzeptualisieren und welche Probleme und Schwierigkeiten sie dabei ausmachen.

Verschiedene Wege der Erkenntnis Die Mystiker stützen sich auf ihre eigene Methode, um Erkenntnis zu erreichen, die sich grundlegend von der philosophischen Methode der Schlussfolgerung unterscheidet. So grenzt Ibn ͑Arabī klar die übliche Methode der Vernunftschlussfolgerung, die auf reinem Denken bzw. Meditation beruht, von der mystischen Methode, die sich auf Erleben (dhauq) stützt, ab. In einer Untersuchung zur Erkenntnis bei Ibn ͑Arabī beschreibt Muḥammad Ghallāb21 unter dem Titel „metaphysische Erkenntnis“ zwei Arten der Vernunft als Wege zur Erkenntnis: die rein auf die Sinne gestützte, weltliche Vernunft, die abhängig vom Denken ist, und die transzendente Vernunft, die abhängig von

20 Karl Popper. Alle Menschen sind Philosophen. München, Berlin, Zürich: Piper, 72015, 74–78. 21 Die Lebensdaten zum Autor waren nicht auffindbar, sein Artikel erschien in einem Sammelband in Kairo, 1969.

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Axiomen ist und keine weltliche Kraft benötigt. Gotteserkenntnis kann nun nicht durch die weltliche Vernunft erreicht werden, sondern nur durch die transzendente Vernunft bzw. durch den transzendenten Teil in der Vernunft.22 Diese Unterscheidung Ibn ͑Arabīs von zwei Arten der Erkenntnis durch die Vernunft hat René Descartes (1596–1650) später ebenfalls thematisiert. Seiner Beschreibung nach besteht die Vernunft aus zwei Kräften: die weltliche Kraft, die von den Sinnen oder Imagination abhängig ist und sich in erster Linie auf die Wahrnehmung der sie umgebenden Welt stützt, sowie die transzendente Kraft, die das Abstrakte an sich versteht, ohne irgendeinen Bedarf daran, Informationen über die Welt von den Sinnen zu bekommen. Die weltliche Kraft hat keinerlei Möglichkeit Gott zu erkennen, während die transzendente in der Lage ist, Gottes Existenz, Einzigartigkeit und absolute Vollkommenheit zu erkennen.23 Das wird verknüpft mit der Vorstellung von angeborenen Ideen, im Gegensatz zu Ideen aus dem Bewusstsein selbst oder von außen, über die Sinne wahrgenommenen Ideen. Da die Ursache stets mehr Seinsgehalt haben muss als die Wirkung, muss beispielsweise die Idee der Unendlichkeit von der Unendlichkeit selbst vermittelt worden sein, also von Gott dem Menschen als Idee eingepflanzt worden sein. Solche eingepflanzten, einheitlichen Ideen gehen entsprechend mit höchster Klarheit und Gewissheit einher.24 Ibn ͑Arabī nimmt also an, dass es zwei Wege gibt, wie man als Mensch zu Wissen und Erkenntnis gelangen kann. Er beschreibt diese zwei Wege auch als: 1. aufsteigender Weg, der vom Menschen beginnt, der mittels seiner Vernunft und seines Denkens die Angaben der Sinne empfängt und allmählich Erkenntnis erreicht. 2. absteigender Weg, der die ständige göttliche Emanation (faiḍ) meint, die der Mensch durch Inspiration (ilhām) empfängt; jeder entsprechend seiner Bereitschaft. Es handelt sich um ein gegebenes Wissen. Der Empfänger empfängt, wenn er den Empfangsapparat dafür vorbereiten kann. Dieser Empfangsapparat ist das Herz und die Seele (nafs) und die Vorbereitung besteht in der Reinigung des Selbst. Diese Art Inspiration kann nur durch Erleben erfasst werden.25

22 Muḥammad Ghallāb. „al-Maʿrifa ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī.“ In al-Kitāb at-tadhkāri Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī fī adh-dhikrā al-miʾawiyya li mīlādihi, hg. v. Ibrahīm Bayūmī Madkūr. Kairo: Dār al-kātib al-ʿarabī lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1969, 192. 23 Ebd., 193. 24 Peter Kunzmann und Franz-Peter Burkard. dtv-Atlas Philosophie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, ²2013, 105. 25 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997, 48–49.

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Wissen über Gott kann demnach nicht durch Sinne erfasst werden. Das bedeutet auch, Wissen über Gott kann nicht das Ergebnis von Denken oder Vorstellung sein, denn: Nichts ist Ihm gleich.26 Gott selbst gibt Erkenntnis über Sich, wem Er will. In diesem Fall empfängt die Vernunft die Erkenntnis ohne Argument oder Beweis, das heißt allein durch Glauben. Wenn dann die Vernunft, das was sie geahnt bzw. was sie erlebt hat, einer anderen Vernunft erklären will, die dasselbe noch nicht erlebt hat, ist Verständnis und Erkenntnis unmöglich.27 Unter dem Aspekt des erreichbaren Wissens bespricht Ibn ͑Arabī drei Arten von Wissen, die auf unterschiedliche Art erreicht werden können: 1. Wissen der Vernunft (ʿilm al-ʿaql). Gemeint ist jenes Wissen, das der Mensch durch Vernunftargumentation erreicht. Die Wahrheit dieses Wissens hängt von der Richtigkeit der Argumentation ab. Dieses Wissen kann durch Studieren und Eifer erreicht werden und Fehler können durch Empirie laufend korrigiert werden. 2. Wissen der Zustände (ʿilm al-aḥwāl). Wissen, das man nur durch Erleben erhalten kann und für das die Vernunft kein Argument liefern kann. Dieses Wissen kann der Mensch nur durch seine Gefühle (mashāʿir) erreichen. Manchmal kann es auch nicht durch die Sprache ausgedrückt werden, auch wenn es im tiefsten Innern erkannt wird. Von einem Individuum zum andern besteht ein Unterschied, ob und wie diese Erkenntnis erlebt wird. Dieser Unterschied ist das Ergebnis von der unterschiedlichen Bereitschaft jedes Einzelnen. 3. Wissen der Geheimnisse (ʿilm al-asrār). Es ist eine Art des Wissens, das über der Vernunft steht. Ibn ͑Arabī beschreibt es als ein Wissen, das der Heilige Geist in Sinn oder Herz (rauʿ) legt. Wer dieses Wissen erhalten hat, kennt alles Wissen, und wer dieses Wissen erhalten hat und es danach weiter vermittelt, ist ein Unfehlbarer (maʿṣūm), Wahrhaftiger (ṣādiq), das heißt ein Prophet.28 Das Vernunftwissen wird über den aufsteigenden Weg durch Argumentation und Schlussfolgerung der Vernunft erreicht. Die Vernunft hat bei Ibn ͑Arabī einen wichtigen Stellenwert, sie trifft die Entscheidungen, wie ein Richter, der in jedem Menschen existiert. Die Vernunft an sich hat von Natur aus ein grundlegendes, angeborenes Wissen, aber um Entscheidungen zu treffen, genügt das nicht, weil

26 Koran, Sure 42, 11, Khoury. 27 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997, 48. 28 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997, 50–51.

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man immer neuen Ereignissen und Zuständen begegnet und die Vernunft daher nach neuen Informationen verlangt um eine schlüssige Entscheidung treffen zu können. In diesem Fall stützt sie sich notwendigerweise auf Quellen außerhalb ihrer selbst und die Angaben, die sie empfangen kann, sollten eine abstrakte Form haben, da die Vernunft die Angaben sonst nicht verstehen oder erhalten kann. Die Angaben oder Informationen in abstrakte Form zu bringen, dafür ist das Denken (fikr) zuständig.29 Um die Angaben in der von der Vernunft verlangten Form zu liefern, greift das Denken durch seine Denkkraft (quwat al-mufakkira) auf Vorstellung (ḫayāl) und Sinne (ḥawās) zu und verarbeitet die Angaben, die es dort vorfindet. In Bezug auf Vorstellung und Sinne ist dabei zu beachten, dass sie jeweils zwei Aspekte oder zwei Existenzen im Menschen haben: die funktionale und die physische. Die funktionale Existenz von der Vorstellung ist, dass sie eine erkennende (idrāk) und erschaffende (ḫallāq) Kraft ist und ein Mittel um Erkenntnis zu erhalten, zu analysieren und anzuwenden (tauẓīf). Als physische Existenz der Vorstellung wird der Wahrnehmungsapparat, wie Gehirn, Ohren, Augen, Zunge, Nase usw. beschrieben. Auch die Sinne kann man entsprechend betrachten. Beispielsweise ist der Augapfel die physische Existenz der Augen und das Sehen die funktionale Existenz der Augen.30 Die Dinge werden entweder durch die Vorstellung oder durch die Augen gesehen, wie Maria die Erscheinung von Gabriel entweder durch die Augen oder durch die Vorstellung gesehen hat.31 Die Vorstellung ist durch ihre Kraft bemüht die abstrakten Formen zu sammeln und die Sinne bemühen sich durch den Wahrnehmungsapparat die körperhaften und spürbaren Dinge zu sammeln. Vorstellung und Sinne schicken die Angaben dann zum Denken. Freilich ist dieser Prozess (Erkennungs- bzw. Verstehensprozess) kompliziert und mehrere Kräfte sind daran beteiligt, beispielsweise die Erinnerungskraft (quwat adhdhākira), die erkennt, was die Vernunft übersieht oder vergisst, oder die Speicherkraft (quwat al-ḥāfiẓa), die als Speicher der Vorstellung wirkt und die Gegebenheiten von Sinnen und Vorstellung speichert.32 Außerdem gibt es die Illusionskraft (quwat al-wāhima), die parallel mit der Vernunft aktiv ist und einen großen Einfluss auf diese hat. Deswegen kann die Illusion (wahm) manchmal Trübungen der Vernunft verursachen, die sich aber am Ende durch die Vernunft bereinigen

29 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 94. 30 Sulaīmān al-ʿAṭṭār. al-Khayāl ʿinda Ibn ʿArabī. Kairo: Dār ath-thaqāfa lin-nashr wa at-tauzīʿ, 1991, 39. 31 Ebd., 66. 32 Ebd., 196–197.

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lassen.33 Ibn ͑Arabī betont immer wieder, dass die Vernunft in ihrem Aufgabenbereich korrekt arbeitet und an sich keine Fehler macht, sich aber für ihre Entscheidungen auf andere Quellen stützt. Mehrere Organe spielen eine Rolle dabei, ihr Angaben zu liefern, weswegen ihre Urteile manchmal nicht richtig sind. Auch die Vorstellung und die Sinne als Zulieferer von Angaben erfüllen ihre Aufgabe im Rahmen ihrer Möglichkeiten korrekt, sind aber nicht in der Lage wahre Erkenntnisse über Gott zu erfassen. Der Mensch erkennt alle Informationen über die Welt durch die Sinne, also durch Sehsinn, Hörsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn und Tastsinn. In der Vorstellungskraft (quwat al-ḫayāliyya) kann es demnach nur das geben, was die Sinne an Formen vermittelt haben, also Formen von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen. Diese Wahrnehmung ist aber immer nur eine relative. Die wahrgenommenen Dinge sind beispielsweise vom Abstand zum Betrachter abhängig und von welcher Seite sie betrachtet werden.34 Ibn ͑Arabī erklärt das folgendermaßen: Der Sehsinn (baṣar) erkennt die Farben, Gefärbtes und Leute, entsprechend der Nähe und Ferne, sodass das, was auf eine Meile erkannt wird, nicht das gleiche ist, wie das, was auf zwei Meilen erkannt wird. […] Der Mensch wird auf zwei Meilen nicht von einem Baum unterschieden, aber auf eine Meile erkennt man, dass es ein Mensch ist.35

Außerdem kann die Vorstellungskraft nur das wahrnehmen, was die Sinne ihr weitergeben. Das heißt, sie hat nicht die Fähigkeit, Informationen ohne Vermittler aufzunehmen. Sie bekommt also Informationen entweder in der Form, wie sie die Sinne vermitteln, oder in der Form, wie sie das Denken vorgibt.36 Manchmal entstehen in der Vorstellung zwar neue Formen, die es so in der uns umgebenden Welt nicht gibt, dabei handelt es sich aber lediglich um Formen, die aus Teilen von den Formen kombiniert sind, die die Sinne vermittelt haben oder das Denken ihr vorgegeben hat. So existiert beispielsweise der Kentaur in der Vorstellung, obwohl niemand je einen solchen gesehen hat. Er existiert als Kombination von Bildern, die die Sinne wahrgenommen haben: Mensch und Pferd. Teilweise sind aber die Informationen der Sinne fehlerbehaftet,37 beispielsweise durch einen von einer Krankheit gestörten Geschmackssinn, bei optischen Täuschungen oder einer Fata Morgana. Wenn sich nun aber die Vorstellung für

33 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 364–365. 34 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 94. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 72–73.

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Informationen auf die Sinne und das Denken stützt, ist die Vorstellung dann in der Lage solche Fehler zu korrigieren? Oder wie kann über einigermaßen korrekte Informationen in der Vorstellung gesprochen werden? Ibn ͑Arabī zufolge kommen die Fehler nicht von der Seite der Sinne. Diese erfüllen ihre Aufgabe auf die beste Art, ohne einen Fehler zu machen. Konsequenterweise kann auch bei der Vorstellung, die die Formen der Wahrnehmung der Sinne annimmt, nicht von Fehlern gesprochen werden. Wenn die Wahrnehmung beispielsweise durch Krankheit oder Täuschung gestört ist, dann ist es die Aufgabe der Vernunft zu merken, dass die Wahrnehmung nicht ordnungsgemäß funktioniert, das heißt, die Beurteilung muss durch die Vernunft erfolgen, nicht durch die Wahrnehmung. Die Vernunft sollte in der Lage sein, den Unterschied zwischen Fata Morgana und Wasser zu bemerken. Wenn der Geschmackssinn süß mit bitter verwechselt, lügt er nicht, sondern hat Recht, dass Zucker bei ihm bitter schmeckt, übermittelt er doch genau das, was er wahrnimmt. Demnach ist es die Vernunft, die Fehler macht, wenn sie davon ausgeht, dass süß bitter schmeckt und nicht merkt, dass die Wahrnehmung ein Problem hat.38 Ibn ͑Arabī macht klar, dass er das Problem nicht bei den Sinnen ausmacht: „Eine Gruppe von den Vernunftgelehrten (ʿuqalāʾ) führte den Fehler auf die Sinne zurück, aber es ist nicht so, sondern der Richter [die Vernunft] ist verantwortlich.“39 Wie bereits ausgeführt, hat die Vernunft alleine in Ibn ͑Arabīs Konzept keinen Zugang zu Informationen. Sie erhält diese von den Sinnen und vom Denken. Deswegen ist die Vernunft wiederum nicht selbst fehlerhaft, lediglich die Informationen, die sie erhält, können fehlerbehaftet sein. Wo liegt dann aber das Problem, die Ursache für die Fehler, wenn Vorstellung, Sinne und Vernunft nicht die Fehler verursachen? Ibn ͑Arabī betrachtet insbesondere das Denken kritisch und verortet bei ihm die Verantwortung für die Fehler. Ibn ͑Arabī ist der Auffassung, dass die Vernunft auf zwei Arten Informationen erhält, um ihr Urteil über die Fälle, die dies verlangen, zu treffen: Einerseits das wesentliche Erkennen (idrāk dhātī), also durch die Vernunft selbst, das wie die Sinne keine Fehler macht, und andrerseits das nicht wesentliche Erkennen (idrāk ghair dhātī), also nicht durch die Vernunft selbst, bei dem sich die Vernunft auf das Denken verlässt. Das Denken ist ein Erkenntnismittel der Vernunft und versucht dem, was in der Vorstellung steht, eine Form zu geben und es dann der Vernunft zu übermitteln. Hierbei ist es möglich, dass das, was vom Denken in

38 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 214. Vgl.: Daro Alani. Das Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität Bern. Bern 2011, 122. 39 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 213.

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der Vorstellung eine Form erhalten hat, nicht so an die Vernunft vermittelt wird, wie es wirklich ist. Daraus ergibt sich die Möglichkeit von Richtig und Falsch. Das Denken steht zwar der Vernunft zur Verfügung und unterliegt der Kontrolle der Vernunft, aber die Vernunft bekommt die Informationen vom Denken und ahmt es nach. Demnach ist das Urteil der Vernunft abhängig von den Daten, die sie vom Denken empfängt.40 Der Platz des Denkens befindet sich nach Ibn ͑Arabī in der Vorstellungskraft. Die Vorstellungskraft hat eine umfassende Kapazität, sie empfängt aber die Bilder und Informationen nur von den Sinnen und von der Denkkraft.41 Das Problem beginnt nun damit, dass die Vorstellung umfassend ist, während das Denken begrenzt ist. Die Denkkraft kann nicht in einer unbegrenzten, umfassenden Umgebung wie der Vorstellung, logische Urteile und schlüssige Unterscheidungen über die Bilder und Informationen treffen, die in der Vorstellung sind, denn die Denkkraft begrenzt die Bilder und Informationen in der Vorstellung, so dass sie für die Vernunft verwendbar sind. Und bei diesem Prozess entstehen Fehler. Die Vernunft an sich muss sich auf eine andere Kraft stützen, um an Informationen zu kommen und diese Kraft ist die Denkkraft, die von Grund auf fehlerbehaftet ist. So verursacht die Denkkraft Fehler in der Vernunft. Darum beschreibt Ibn ͑Arabī an einer anderen Stelle die Denkkraft als Fluch: „Von den Flüchen, die Gott [den Menschen] als Prüfung auferlegt, hat Er in ihm eine Kraft geschaffen namens Denken. Diese Kraft steht im Dienst einer anderen Kraft namens Vernunft.“42 Vermeiden lässt sich das aber nicht, denn die Vernunft kann für sich alleine keine Form von Körperlichem (mujassamāt) und Bildlichem (ṣuwar) wahrnehmen. Denn während die Stufe der Imagination (ḥaẓrat al-ḫayāl) die umfassendste Stufe ist, die zwei Welten in sich vereint, nämlich die verborgene (ghaib) und die augenscheinliche (shahāda) Welt, und darum beide Welten umfassen kann, kann die augenscheinliche Stufe für sich alleine keine abstrakten Bedeutungen bzw. allegorischen Ausdrücke (maʿānī al-mufaṣil) wahrnehmen, wenn diese Bedeutungen nicht in einer Form verkörpert werden. Umgekehrt kann die verborgene Stufe die augenscheinliche nicht erfassen. Das heißt, die Vernunft kann nur Abstraktes erfassen, aber nicht direkt Formen von der Vorstellung übernehmen, weil

40 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 628–629. Vgl.: Daro Alani. Das Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität Bern. Bern 2011, 122. 41 Aḥmad aṣ-Ṣādiqī. Ishkāliyyat al-ʿaql wa al-wuǧūd fī fikr Ibn ʿArabī. Beirut: Dār al-madār alislāmī, 2010, 190. 42 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 125.

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sie selbst nicht die Fähigkeit besitzt, die Bilder in der Vorstellung zu verstehen.43 Die Vernunft braucht sozusagen einen Übersetzer und die Denkkraft übernimmt diese Aufgabe. Allerdings heißt das eben auch, dass die Vernunft in ihren Urteilen fehleranfällig ist, nicht weil sie selbst Fehler macht, sondern weil sie sich auf Informationen aus Denken, Vorstellung und von den Sinnen stützen muss, die fehlerbehaftet sein können.44 Wenn man sich ausschließlich auf die Vernunft verlassen will, kann man auch nur bis zur Grenze der Kräfte, auf die sie sich stützt, Wissen und Erkenntnis erreichen. Das ist einer von mehreren Gründen, weshalb sich Mystiker nicht mit der Vernunfterkenntnis allein begnügen wollen. Im folgenden Teil wird weiter ausgeführt, inwiefern die Vernunfterkenntnis als begrenzt verstanden wird.

Begrenztheit der Vernunfterkenntnis Nach Ibn ͑Arabī kann uns die Vernunft wohl die Existenz des einzigen Gottes erfahren lassen, aber die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft mit ihren Methoden der Deduktion und Induktion ist begrenzt, denn die Vernunft ist Teil des Menschen, der neuerschaffen ist, und ist darum auch selbst neuerschaffen. Der Mensch möchte mit der Vernunft alles gerne möglichst genau beschreiben, einteilen und definieren. Er versucht daher oft durch die Vernunft die beschränkten menschlichen Eigenschaften auf Gott zu projizieren. Gott aber ist uralt-ewig und durch die neuerschaffene Vernunft der neuerschaffenen Menschen nicht vollständig fassbar.45 Die Vernunft kann wohl erkennen, dass Gott existiert, allerdings nur ex negativo, insofern sie nicht beweisen kann, dass es Ihn nicht gibt, und nicht von der Seite der Bestätigung. Das ist alles, was die höchste Vernunft erreichen kann.46 Mit allem Eifer und allen Bemühungen kommt die Vernunft also nur so weit, zu wissen, dass Gott existiert und einzig ist in Seiner Göttlichkeit. Erkenntnisse über Ihn zu erlangen, ist der Vernunft aber nach Auffassung Ibn ͑Arabīs nicht möglich. Das höchste, was erreicht werden kann, ist das Eingeständnis des Unver-

43 Sulaīmān al-ʿAṭṭār. al-Khayāl ʿinda Ibn ʿArabī. Kairo: Dār ath-thaqāfa lin-nashr wa at-tauzīʿ, 1991, 36. 44 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 75. 45 Ebd., 102–104. 46 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Rasāʾil Ibn ʿArabī. Risāla ilā al-Imām ar-Rāzī. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, 22010, 185.

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mögens Gott zu erkennen. Der Grund dafür liegt auch darin, dass die Erwartung besteht, Ihn so zu erkennen, wie wir erwarten alle Dinge in ihrer Wirklichkeit zu erkennen. Nun ist Er aber einer, dem nichts ähnlich ist und darum gibt es keine Vergleichsgröße in Vorstellung, Denken oder Vernunft. Da nichts ähnlich wie Er ist und Erkenntnis über Ihn nicht erreichbar ist, muss man sich darauf beschränken, dass es „keinen Gott außer Gott“ gibt und versuchen, wenigstens zu verstehen, was überhaupt das Wissen ist.47 Wenn wir also in unserer Existenz zum Ursprung zurück gehen, ist Gott da und es gibt nichts, das Ihm ähnlich ist. So wie Seine Wirklichkeit keine Ähnlichkeit akzeptiert, muss auch jede Substanz der Einzelnen in der Welt keine Gleichheit akzeptieren. Tatsächlich gibt es im Sein kein Ding das genau gleich wie ein anderes ist, vielmehr unterscheidet sich jeder Seiende vom anderen, nach dieser Wirklichkeit, in der er sich befindet.48 Gemäß der Schule der Einheit des Seins ist das Hauptmerkmal der Vernunft im Umgang mit dieser unendlichen Vielfalt, Einstufung und Einteilung. Die Vernunft ist nicht in der Lage, die umfassende Wirklichkeit vollkommen zu erfassen und sie kann sich auch nicht von analytischen Merkmalen lösen, das heißt, sie versucht das Umfassende in Teile einzuteilen und die Dinge Stück für Stück zu verstehen. So wie jemand, der nicht den ganzen Weg vor sich sieht, diesen in kleine Einheiten teilt, um ihn Schritt für Schritt gehen zu können. Das heißt, die Vernunft versucht stets die Dinge zu begrenzen und in eine für sie verständliche Form zu bringen, weil das Absolute über der Fähigkeit ihres Fassungsvermögens steht.49 Was also die Vernunft vom Sein erfasst, ist so, wie wenn wir vor einem großen Bild stehen und es Punkt für Punkt betrachten, dabei aber nicht mehr das gesamte Bild erfassen können. Ibn ͑Arabī und die Mystiker stellen die Bedeutung der Vernunft nicht in Abrede, es scheint ihnen vielmehr darum zu gehen, das idealisierte Bild von Vernunft und Rationalität etwas zu relativieren und die Rolle der Vernunft auf ihren angemessenen Platz zu verweisen. So kritisiert Ibn ͑Arabī beispielsweise die Philosophen: Der Philosoph bedeutet, der der Weisheit liebt. Weil Sophia auf Griechisch Weisheit bedeutet. […] Denn die Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit und jeder vernünftige liebt die Weisheit. Aber die Denker haben in der Theologie (ilāhiyāt) mehr Fehler gemacht als das

47 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 93. 48 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt al-makkiyya, hg. v. ʿUthmān Yaḥyā. Kairo: al-Majlis al-aʿlā li ath-thaqāfa, 21985, Buch 3, Kapitel 35, Teil 20, 346–347, Abschnitt 313. 49 Fiktūr Saʿīd Bāsīl. Waḥdat al-wujūd ʿinda IbnʿArabī wa ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Beirut: Dār al-Fārābī, 2006, 53.

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Richtige zu treffen, ob sie Philosophen, Mutaziliten, Aschariten oder andere waren. Ich habe die Philosophen nicht getadelt wegen ihres Namens, sondern wegen der Fehler im Bereich des göttlichen Wissens, das die Gesandten Gottes gebracht haben.50

Die Mystiker wollen sich also nicht mit der Vernunfterkenntnis begnügen. Sie sehen diese als zu eingeschränkt an. Denn Sinne und Vorstellung können gemäß Ibn ͑Arabī keine Verbindung zu Gott haben. So kann der Mensch auch nur über Dinge nachdenken, die seiner Denkkraft durch Sinne, Vorstellung und a priori Vernunft zugänglich sind. Das Denken erhält über die Vorstellung Informationen über die Dinge, mit denen eine Verbindung besteht und über die es nachdenkt. Zwischen Gott und den Geschöpfen gibt es aber keine Verbindungsebene, die von der Seite des Denkens erkannt werden könnte. Deswegen haben Gelehrte sogar verboten, an Gottes Wesen zu denken.51 Wenn nun die Sinne und das Denken Gottes Wesen nicht erkennen können, dann kann es die Vernunft erst recht nicht. Denn die Vernunft nimmt nur auf, was sie als Axiom erkannt hat, oder was sie vom Denken erhält. Gottes Wesen kann aber durch Denken und damit durch die Vernunft, die über das Denken verläuft, nicht erkannt werden. Die reine Vernunft ist in der Lage zu verstehen, was sie erhalten hat, nämlich ihr von Gott selbst gewährte Erkenntnis über Ihn. Auf diesem Weg kann die Vernunft Ihn kennen, weil dieser Weg direkt über die Vernunft geht, nicht über das Denken. Diese direkte Vernunfterkenntnis wird von Ibn ͑Arabī nicht abgelehnt, da Gott diese Erkenntnis jenen Dienern gewährt, denen Er will. Die Vernunft ist nicht selbst in der Lage Gottes Wesen zu erkennen, sie kann nur empfangen.52 Wie bereits festgestellt sind die Sinne die Quelle der Vernunfterkenntnis, aber die geistigen Dinge sind nicht durch die Sinne wahrnehmbar. Wie soll die Vernunft etwas erkennen, das von den Sinnen überhaupt nicht wahrgenommen werden kann? Die Mystiker geben sich nicht damit zufrieden, dass die Vernunft und die fünf Sinne als einzige und letzte Instrumente und Mittel zur Erkenntnis betrachtet werden; um dann alles, was auf diesem Weg nicht verstanden wird, als falsch zu bezeichnen.53 Die Vernunft gibt keine Gewissheit, weil durch die Vernunft immer wieder Widersprüche entstehen. Die Menschen können sich nicht auf etwas einigen, insbesondere in Bezug auf Erkenntnisse über Gott, aber auch bei einfacheren

50 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 523. 51 Ebd., Bd. 1, 94. 52 Ebd. 53 Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣ-ṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 132–133.

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Dingen. Durch vernünftige Argumentation erreichte Erkenntnisse werden immer wieder von anderen Schlussfolgerungen umgestoßen.54 Ein bekanntes Beispiel zu diesem Punkt liefert auch Immanuel Kant (1724–1804). In den von ihm aufgeworfenen Antinomien werden der Vernunft Grenzen aufgezeigt, wenn grundlegende Thesen und Antithesen gleichermaßen mit Beweis angeführt werden, die durch Vernunftschlüsse nicht aufgelöst werden können.55 Dass die Mystiker Vernunfterkenntnis als begrenzt betrachten, hat außerdem viel mit ihrer Perspektive auf die göttliche Einheit (tauḥīd) zu tun. Reynold A. Nicholson (1868–1945) beschreibt das folgendermaßen: Bei den Mystikern ist die Einheit Gottes eine Angelegenheit, die die Vernunft überhaupt nicht erkennen kann, weil die Vernunft als Mittel zur Erreichung der Erkenntnis darauf beruht, dass es ein Subjekt und ein Objekt gibt. Daraus ergibt sich gezwungenermaßen immer ein Dualismus.56 Ein Ich versucht mit seiner Vernunft Erkenntnisse über etwas anderes, zum Beispiel über Gott, zu erlangen. In diesem Prozess besteht demnach ein ständiger Dualismus von Ich und Gott. Das heißt, die absolute göttliche Einheit würde dadurch in Frage gestellt. Nach mystischer Auffassung hebt Gott für einen nach Erkenntnis Eifernden selbst den Schleier und der Dualismus wird im Zustand der Entwerdung (fanāʾ) aufgehoben. Darauf wird im nächsten Teil nochmals eingegangen. Da die menschliche Vernunft selbst relativ ist, können ihre Erkenntnisse in den Augen der Mystiker auch nur begrenzt sein. Nach Jalāl ad-Dīn Rumi (1207– 1273) ist die Vernunft erst Lehrer, dann aber Schüler des Menschen. Das wird beispielsweise dadurch verdeutlicht, dass Gabriel, als Symbol der Vernunft, als Lehrer zum Propheten Mohammed, Symbol des Herzens, kommt, ihn dann zu Gott begleitet, aber zurückbleiben muss, während sich Mohammed Gott weiter nähern kann.57 Nur die Vernunft zu kritisieren, führt aber nicht zu einer mystischen Erfahrung. Die Mystiker sind sehr wohl der Ansicht, dass die Vernunft und die Sinne zwei Wege sind, um wichtige Erkenntnisse zu erreichen, was sie aber zurückweisen, ist die Ansicht, dass Vernunft alleine das einzige Mittel zur Erreichung

54 Ebd. 55 Peter Kunzmann und Franz-Peter Burkard. dtv-Atlas Philosophie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, ²2013, 141. 56 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 103–104. Sowie: Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 131. 57 Saʿīd ash-Shiblī. Naẓariyyat al-insān wa al-ḥurriyya fī ʿirfān Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Beirut: Maktaba Ḥasan al-ʿaṣriyya, 2010, 157.

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menschlicher Erkenntnis ist,58 also die aufklärerische Tendenz, sich nur und ausschließlich auf die Vernunft zu verlassen und alles zu rationalisieren. Mystiker suchen nach weiteren Erkenntnismöglichkeiten. Die Vernunft kann die veränderliche Realität dieser Welt nicht überschreiten. Um zu erkennen, was hinter dieser Welt steht, muss man nach Meinung der Mystiker auf das Herz zurückgreifen. Wie sie sich diesen Prozess vorstellen, wird im folgenden Teil ausgeführt.

Herzerkenntnis Als Erstes ist es wichtig, zu sehen und zu verstehen, dass das Herz nicht wie die Vernunft ist. Ibn ͑Arabī führt dazu zwei Koranverse an: Bedenken sie nicht den Koran ’ oder sind ihre Herzen versiegelt?59

und: Wahrlich, darin ist eine Ermahnung für den, ’ der ein Herz hat oder hinhört und anwesend ist.60

In beiden Fällen wird das Herz angeführt, nicht die Vernunft. Ibn ͑Arabī unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass „Herz“ nicht als „Vernunft“ interpretiert werden sollte.61 In den Koranversen ist nicht die Rede von dem, der Vernunft hat, weil sich Bilder und Eigenschaften in ständiger Veränderung befinden, aber die Vernunft wie eine Fessel ist, die die Dinge auf ein einziges Attribut beschränken will. Die Wahrheit erträgt solche Beschränkungen nicht. Darum heißt es nicht „für jene, die Vernunft haben“, was nämlich die Gläubigen, die sich gegenseitig zu Ungläubigen erklären und einander verfluchen, sehr wohl haben, sondern es heißt „für den, der ein Herz hat“.62 Denn der Glaube hat nicht in erster Linie mit Vernunft zu tun, sondern mit dem Herzen.

58 Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣ-ṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 201. 59 Koran, Sure 47,24, Karimi. 60 Koran, Sure 50,37, Karimi. 61 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 198. 62 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī. Taʿlīqāt ʿalā al-Fuṣūṣ al-ḥikam. Beirut: Dār iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1946, 122.

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Ibn ͑Arabī erklärt auf der sprachlichen Ebene weiter, dass sich das Wort Herz (qalb) auf die arabische Wurzel qa-la-ba (yaqlibu, qālib, maqlūb) bezieht, was „ändern, wenden, verändern“ bedeutet. Das Herz wird deswegen qalb genannt, weil es sich ständig ändert und von einem zum andern Zustand wechselt.63 Die Bedeutung und Differenzierung von Herz und Vernunft wird von Ibn ͑Arabī mit großem Nachdruck vertreten: „Deswegen wird es Herz genannt. Wer qalb als Vernunft interpretiert, hat über die Wirklichkeiten keine Ahnung.“64 Wie im ersten und zweiten Teil erläutert wurde, hat das ganze Sein viele Formen und befindet sich in ständiger Veränderung. Auch wurde bereits festgestellt, dass die Vernunft nicht darauf eingestellt ist, diese Veränderungen ständig mit nachzuvollziehen. Das Herz dagegen ist dafür bereit, geradezu dafür ausgelegt, und darum geeigneter, Erkenntnisse über das wahre Sein zu erlangen.65 Die Mystiker bemühen sich also darum, Erkenntnisse über das Wesen Gottes und das Wesen des Seins zu erlangen, indem sie einen direkten, unmittelbaren Zugang zum Wesen der Dinge durch Gott suchen, der als Herzerkenntnis beschrieben wird. Gemäß Ibn ͑Arabī können Bilder, die sich ständig wandeln und verändern, nur durch Enthüllung (kashf), bei der der Sehsinn eine wichtige Rolle spielt, oder manchmal durch das wahre Denken wahrgenommen werden. Das Denken ist diesbezüglich beschränkt, weil die Bilder sich ohne Unterlass und bis in alle Ewigkeit verändern.66 Ibn ͑Arabī und Mystiker im Allgemeinen wollen also an Stelle des Denkens eine andere Kraft als Quelle für die Vernunft nutzen, damit die Vernunft wahre Informationen erhalten kann. Diese Kraft, die in der Lage ist, wahre Informationen zu empfangen, ist das Herz. Das Herz ist das Mittel, durch das Erkenntnis über Gott und göttliche Geheimnisse erreicht werden kann. Es ist das Mittel des Erkennens und Erlebens. Sein Platz ist im Glauben.67 Dieses Verständnis der Mystiker bezieht sich auch auf den Koranvers: Das sind die, in deren Herzen geschrieben Gott den Glauben.68

63 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, o.  J., Bd. 3, 198. 64 Ebd. 65 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 144. 66 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 198. 67 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī: Taʿlīqāt ʿalā al-Fuṣūṣ al-ḥikam. Beirut: Dār iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1946, 139. 68 Koran, Sure 58,22, Karimi.

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Die zentrale Rolle zum Verständnis des Prozesses der Herzerkenntnis kommt der Vorstellung oder Imagination zu. Wie bereits ausgeführt, nimmt die Vorstellung des Menschen eine Mittelstelle ein zwischen seinen Sinnen und seinem Denken und schließlich der Vernunft. Die Vorstellung ist somit die Kraft, die der Vernunft hilft, Dinge zu erkennen. Gemäß Ibn ͑Arabī umfasst Imagination/Vorstellung (ḫayāl) mehrere Stufen: 1. Stufe der absoluten Imagination (ḥaẓrat al-ḫayāl al-muṭlaq). Absolute Imagination, die Ibn ͑Arabī als ʿamāʾ beschreibt, ist eine Verallgemeinerungsstufe, die alle hergestellten unterschiedlichen Formen der Seienden beinhaltet. 2. Verwirklichte (muḥaqqaq) Imagination. Gemeint ist ʿamāʾ aber in dem Moment, als ihr die Bereitschaft gegeben wurde, die Form anderer Seienden anzunehmen. 3. Abtrennbare Imagination (ḫayāl al-munfaṣil), eine autonome Stufe, unabhängig von der Vorstellung der Menschen. 4. Verbundene Vorstellung (ḫayāl al-muttaṣil): Gemeint ist die Vorstellung der Menschen.69 Wie im ersten Teil aufgezeigt wurde, ist für Ibn ͑Arabī prinzipiell alles, was es außer Gott gibt, im Vergleich zum göttlichen Wesen nur Imagination. Die absolute Imagination ist ʿamāʾ, die Zwischenwelt, nicht Sein und nicht NichtSein, und sie trägt alles in sich.70 Die absolute Imagination entspricht somit dem Begriff des Logos bei den Philosophen, dem Engel Gabriel oder eben der göttlichen Erkenntnis bei den Mystikern. Die Herzerkenntnis besteht aus einer Verbindung der individuellen, verbundenen Vorstellung mit der absoluten Imagination, indem die verbundene Vorstellung sich auflöst und eintritt in die Zwischenwelt genannte absolute Imagination. Die von den Mystikern angestrebte Erkenntnis des Innerlichen, also Herzerkenntnis, kann dann erreicht werden, wenn die Vernunft und auch die Sinne und das Denken nicht aktiv sind. Da es in jedem Menschen die Kraft der Vorstellung gibt, kann grundsätzlich jeder mit der absoluten Imagination in Kontakt kommen und entsprechende Erkenntnisse erreichen. Bei den Mystikern finden sich verschiedene Beschreibungen und Wege um den Zustand dieser Erkenntnisfähigkeit zu erreichen, sie sind sich aber einig, dass der Erkenntnismechanismus das Herz

69 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 310–311. Vgl.: Suʿād al-Ḥakīm. Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 449. 70 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 68–69.

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sein muss und alle anderen Kräfte ausgeschaltet sein müssen. Der Zustand dieser Erkenntnisbereitschaft wird generell als Entwerdung (fanāʾ) beschrieben. In seiner 1930 in Cambridge vorgelegten Dissertation über die sufische Philosophie Ibn ͑Arabīs beschreibt Abū al-ʿAlā ʿAfīfī (1897–1966) das Erreichen des Zustands der Entwerdung gemäß Ibn ͑Arabī beispielhaft in sieben Stufen: 1. Entwerdung von der Sünde (fanāʾ ʿan al-maʿāṣī), der Mystiker ist auf der reinen Lichtstufe (ḥaẓrat an-nūr al-maḥḍ) 2. Entwerdung von jeder Tätigkeit (fanāʾ ʿan al-afʿāl), so dass nur Gott handelt im Menschen 3. Entwerdung von den Eigenschaften, in diesem Zustand sieht Gott sich im Menschen 4. Entwerdung vom Wesen. In diesem Zustand hat der Mystiker kein äußerliches Wesen mehr, nur seine Substanz bleibt 5. Entwerdung von der ganzen Welt. Man hört auf, an die äußerliche Welt zu denken, nimmt nur noch wahr, was dahinter steht. 6. Entwerdung von allem außer Gott. In diesem Zustand ist der Mystiker überhaupt nicht mehr bewusst bei sich, Gott selbst denkt, ist das Thema des Denkens und beherrscht das Denken. 7. Entwerdung von göttlichen Eigenschaften, das heißt, der Mystiker sieht das Universum nicht auf der Basis Ursache-Wirkung, wie Philosophen denken, sondern er sieht das Universum als Äußerliches von Gott.71 Die genaue Beschreibung oder Erfassung von dem, was im Zustand der Entwerdung, der Verbindung der individuellen Vorstellung mit der absoluten Imagination, geschieht, ist ausgesprochen schwierig. Im ersten Teil wurde bereits ausgeführt, dass ʿamāʾ (die absolute Imagination) nicht Gott selbst ist, dieser vielmehr noch darüber steht. Ein Grund, weshalb viele Mystiker in dieser Beschreibung so genau differenzieren, ist wahrscheinlich der, dass sie klarstellen wollen, dass sie auch im höchsten Trancezustand der vollständigen Entwerdung nie eine Verbindung mit dem göttlichen Wesen selbst erreichen, sondern allerhöchstens mit dem ersten Erscheinungsort des göttlichen Wesens. Wenn sich ein Mystiker in diesem Zustand der Entwerdung befindet, enthüllt sich ihm die Allsubstanz (das Wirkliche). Ibn ͑Arabī beschreibt, dass Erkenntnis, die im Zustand der Entwerdung erreicht wird, von unfehlbarer Art ist. Die Herzerkenntnis ist direkt, wahrhaftig und bringt dem Erkennenden selbst Gewiss-

71 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī. al-Falsafa aṣ-Ṣūfiyya ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Kairo: Dār al-kutub wa al-wathāʾiq al-qaumiyya, 2009, 221–223.

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heit.72 Im Gegensatz dazu verbleiben theoretische Erkenntnisse aus der Vernunft, sowie deren Wahrheiten und Erfahrungen, meist im Zustand von Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder sehr großer Wahrscheinlichkeit. Das beschreibt auch Karl Popper, wenn er erklärt, dass Wissen heute in der Regel nichts weiter heißen kann, als eine Theorie solange als gültig zu betrachten, bis ein Gegenbeweis erbracht wird, wobei jeder gescheiterte Versuch, die Theorie zu widerlegen als zusätzliche Bestätigung gelten kann.73 Das mystische Erlebnis der Entwerdung oder der Herzerkenntnis ist von ausgesprochen individueller Art, das heißt, man kann es nicht logisch einordnen und nur sehr begrenzt in Worte fassen, wie es beispielsweise auch mit der Liebe der Fall ist – glaub dem nicht, der über Liebe redet, aber noch nie verliebt war. Mystische Erfahrungen werden gerade darum oft künstlerisch verarbeitet. Während die eigentliche Erkenntnis in der absoluten Imagination, mit der der Mystiker in der Entwerdung verbunden ist, eine einzige ist, ist der Zugriff ein individueller. Was dann berichtet wird, ist noch stärker persönlich geprägt, weil es durch Denken und Vernunft verarbeitet werden muss, da es anders nicht weitergegeben werden kann. So unterscheiden sich die Beschreibungen und Verarbeitungen schließlich unweigerlich voneinander. Die eigene Erkenntnis, die durch das Herz erreicht wurde, kann einem anderen nur begrenzt vermittelt oder weitergegeben werden und kann darum niemandem als Wahrheit aufgezwungen werden.74 Die mystische Herzerkenntnis überschreitet demnach die Vernunft, deswegen kann sie durch die Vernunft auch nicht immer überprüft werden. Wenn die Schlussfolgerungen der eigenen Vernunft und die persönliche Herzerkenntnis nicht zusammen passen, sollte die Vernunft nach Ansicht der Mystiker zugunsten der Herzerkenntnis aufgegeben werden. Diese Erkenntnis taucht als Licht im Herzen des Mystikers auf, wenn er im reinen Geisteszustand der Entwerdung ist. Ibn ͑Arabī betont aber auch, dass es eine Brücke geben sollte zwischen Herz und Vernunft, das heißt auch zwischen Mystikern und Nichtmystikern. Was ein Mystiker in der Entwerdung empfängt und versteht, sollte dann im nüchternen Zustand zu erklären versucht werden,75 damit die Vernunft vollkommener wird, auch wenn absolute Vollkommenheit nie erreicht werden kann.

72 Ebd. 219. 73 Karl Popper. Alle Menschen sind Philosophen. München, Berlin, Zürich: Piper, 72015, 18–19. 74 Saʿīd ash-Shiblī. Naẓariyyat al-insān wa al-ḥurriyya fī ʿirfān Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Beirut: Maktaba Ḥasan al-ʿaṣriyya, 2010, 200. 75 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damaskus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 145.

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Fazit Zum Schluss soll noch mal zusammengeführt werden, was aus den bisherigen Ausführungen wichtig erscheint und damit erläutert werden, dass es hier um mehr geht, als nur um eine individuelle Suche nach Erkenntnissen über Gott von einigen spirituellen Meistern. Grundsätzlich benennen Mystiker zwar in der Regel Gotteserkenntnis als ausdrückliches Ziel. Wenn man die Lehre der Einheit des Seins aber ernst nimmt, so muss Gotteserkenntnis immer auch Wissen und Erkenntnis vom Sein, also von der Welt bedeuten. Es geht also um das Streben danach, tiefere Wahrheiten darüber zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der Mensch ist Teil eines komplexen großen Seins, das weit über das hinaus geht, was durch menschliche Vernunft verstanden werden kann. Bei den Mystikern wird dieses große, umfassende Sein mit dem Begriff der ʿamāʾ gefasst und als sich ständig und unablässig verändernd beschrieben, um eine Idee davon zu vermitteln, wie unfassbar es für den Menschen ist. Das bedeutet auch, dass so etwas wie absolute Sicherheit, Gewissheit oder endgültige Urteile durch Vernunfterkenntnis allein nicht erreicht werden können. Aber auch wenn durch Herzerkenntnis Zugänge zu wahrem Wissen über das Sein gefunden werden können, sind diese Zugänge immer einmalig und persönlich. Was auf dem Weg der Herzerkenntnis erfahren wird, kann nur beschränkt weitergegeben und mit anderen geteilt werden; keinesfalls aber kann eine solche Erkenntnis den Anspruch absoluter Wahrheit für alle Menschen erheben. Trotz dieser Einschränkungen strebt der Mensch nach immer mehr und immer zuverlässigerem Wissen. Anscheinend erwartet er auch, Dinge zu erfahren, die sich auf etwas beziehen, das über ihn hinausgeht, sonst würde er nicht immer wieder danach fragen. Gerade in der Theologie ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass sich letztlich alles in ständiger Entwicklung und Veränderung befindet und dass Methoden und Zugänge zum Umgang mit dieser Tatsache gefunden werden müssen.

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Namensregister ʿAbd al-Ğabbār al-Hamadhānī (Abdulǧabbār)  86, 90, 92, 169  ff., 176, 178  ff., 243  f., 246, 250, 255  ff., 262  f., 271, 279, 286  f., 313 ʿAbd al-Jabbār al-Hamadhānī 226  ff., 232  ff. ʿAbd al-Karīm Aḥmad Ğadbān 189  ff. ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān 185, 197 ʿAbd al-Qādir Al-ʿĀnī 116 ʿAbdallāh Ibn Abī Umayya 110 Abī Muḥammad al-Ḥussain 332, 338 Abraham 13, 40, 54  ff., 460, 466 Abrahamov, Binyamin 188, 198 Abū al-Ḥadīd 173 Abū az-Zinād 413 Abū Bakr 32, 42, 103, 106, 344  ff. Abū Bakr Ibn Abī Uwais 189 Abū Bakr Ibn Masrūḥ 416 Abū Dāwūd 218, 221 Abū Ǧʿafar Muḥammad 283 Abū Ǧahl 109  f. Abū Hanīfa 130 Abū Ḥayyān al-Andalusī 8 Abū Huraira 219 Abū l-Qāsim Maḥmūd Ibn ʿUmar 173, 176 Abū Manṣūr Naṣr al-Ḥārṯī 273 Abū MūsāʿIsā Ibn Ṣubaiḥ Al-Mirdār 169 Abū Nawwās 413 Abū Rašīd Saʿīd an Nīsābūri 172  f. Abū Šimr 196 Abū Sufyān Ibn Ḥarb Ibn Umayya 43, 46, 48, 51, 54, 60 Abū Ṭalḥa Zayd Ibn Sahl 43  ff., 54, 59  f. Abū Yūsuf 122 Abū Zaid Ibn ʿAlī 69 Aḥmad Ibn Ibrāhim 218 ʿĀʾiša 220  f., 412  f., 415 al-ʿAǧǧāǧ Ibn Ruʾba 18 al-ʿAllāf, Abū al-Ḥuḏail 169, 200, 202, 244, 246 al-Alūsī, Abī aṯ-Ṯanāʾ 77 al-Alūsī, Maḥmūd 85 al-Āmidī, Sayf al-Dīn 373 al-Aṣamm, Abū Bakr ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Kaysān 195, 246  f.

al-Ašʿarī, Abū al-Ḥasan 171  f., 247  f., 260, 267, 300, 303, 313, 325  ff., 331  f., 336, 338  f., 341  f., 347  ff. al-ʿAsqalānīI Ibn Ḥağar 205  f., 219  f. al-Awzāʿī 218, 267 al-Baġdādī 34, 164, 172, 196, 212, 224, 440 al-Bāqir, Muḥammad Ibn ʿAlī 11 al-Baṣrī, Abū ʿAbdallah 172 al-Baṣrī, al-Ḥasan 3  ff., 10  ff., 17  ff., 31, 33, 169, 196  f., 260, 331, 411 al-Baṣrī, Abū al-Ḥusaīn 174  f., 177, 271, 273, 279 al-Bazdawī 125, 327 al-Buḫārī 100, 102  f., 105, 107  ff., 121, 219  ff., 223  f., 350 al-Ḍabbī al-Iṣfahānī, Abū Muḍar Maḥmūd Ibn Ğarīr 272 al-Ḏahabī 216 al-Ḍaḥḥāk, Ibn Muzāḥim al-Hilālī 12 al-Dāʿī, Muḥammad Ibn Zayd 206 al-Dāmiġānī, Abū al-Ḥasan 273 al-Fārābī, Abū Naṣr 139  f., 163  f., 231  f., 486 al-Farrāʾ, Yaḥīya Abū Zakariyyah 13, 33, 84  f., 97, 249 al-Fwaṭī, Hišām 198 al-Ǧaḥdarī, ʿĀṣim 8 al-Ğāḥiẓ, Abī ʿUṯmānʿAmrū Ibn Baḥr 264 al-Ğāḥiẓ, ʿAmr Ibn Baḥr 169, 171, 198 al-Ğaṣṣāṣ, Abū Bakr Ahmad Ibn ʿAlī 85  ff., 94, 97 al-Ğawālīqī, Hišām Ibn Sālim 196 al-Ğawālīqī Ibn Aḥmad Abū Manṣūr 273 al-Ǧazarī ar-Raqqī Maymūn Ibn Mihrān 12 al-Ġazmīnī 176 al-Ghazālῑ, Abū Ḥamid 121, 133  f., 164, 172, 235, 355, 373  f., 431, 434, 440, 445–462 al-Ǧīlī, ʿAbdulkarīm Ibn Ibrāhīm Ibn ʿAbdulkarīm 464, 466, 468, 486  f. al-Ğubbāʾī, Abū ʿAli (al-Djubbā’ī, Abū ʻAlī) 171, 175, 181, 206, 244, 247  ff. al-Ğubbāʾī, Abū Hāšim 171, 248, 267 al-Ǧuhanī Maʿbad 3 al-Ğurğānī, ʿAbd al-Qāhir 264, 270, 278 al-Ǧuwainī, Abū al-Maʿālī 172, 335

Namensregister 

al-Hādī 194, 203 al-Ḥāfiẓ al-ʿIrāqī 121 al-Ḥākim al-Ğišumī (al-Ḥākim al-Ğušamī) 173, 194, 245  f., 248, 264, 273 al-Hārūnī, Abū Ṭālib 195, 198 al-Ḥasan Ibn ʿAlī 179, 193 al-Ḫaṭīb al-Baġdādī 212, 224 al-Ḫaṭīb, Muḥammad Ibn Hamza 333 al-Ḫayyāṭ, Abū l-Ḥusain 195, 207, 216, 224 al-Ḥillī, Ibn Muṭahhar 373 al-Huḏalī, Yūsuf b. ʿAlī b. Ǧubāra al-Biskirī 4, 15, 33 al-Ḥusain Ibn al-Faḍl 111 al-Ḫuwārizmī, al-Qāsim Ibn al-Ḥusain 272 al-Ḫuwārizmī, Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī 173  ff., 273 al-Ḫuzāʿī, Aḥmad Ibn Naṣr 218 ʿAlī Ibn Abī Ṭālib 11, 30  ff., 219, 330, 345, 411 ʿAlī Ibn al-Madīnī 100 ʿAlī Ibn Muḥammad Ibn ʿAbdullāh 193 ʿAlī Muḥammad Zaid 197 al-Iṣfahānī, Abū Muslim Muḥammad 250, 272 al-Iskāfī, Abū Ğaʿfar Muḥammad Ibn ʿAdallāh 169, 201 al-Iṣṭakharī, Abū Saʿīd 415 al-Kaʿbī al-Balḫī, Abū al-Qāsim ʿAbdullāh b. Aḥmad b. Maḥmūd 175, 204  ff., 211  ff., 215, 217  ff., 221  f. al-Kaʿbī, Abū Rašīd 177 al-Karābīsī 219 al-Kulainy 288 al-Lālikāʾī 218, 224 al-Maḥallī, Ğalāl ad-Dīn 97 al-Makkī, ʿUbayd Ibn ʿUmayr 11  f. al-Māturīdī, Abū Manṣur Muḥammad Ibn Muḥammad 85  f., 91  f., 97, 247, 293  ff., 325, 327, 332, 341  f., 348  ff., 353  f., 357  ff., 365  f., 371  f., 374 al-Māwardī, Abū Ḥasan 10, 391  ff., 428  ff. al-Muġīra Ibn Šuʿba 416 al-Muqtadir 415 al-Murādī, Muḥammad Ibn Manṣūr 189, 201 al-Mustaẓhir 15 al-Muʿtaṣim 171 al-Mutawakkil 171 al-Nāblusī, ʿAbd al-Khanī Ibn Ismāʿīl 464  f., 467, 486

 489

al-Naḍr Ibn al-Ḥāriṯ 110, 114 al-Naǧrānī ʿAtiyya 174  f. al-Naǧrānī, Taqī ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd al-ʿUǧālī al-Muʿtazilī 172  ff., 186 al-Nasafī Ğaʿfar al-Mustġfirī 206 al-Nasafī, Abū l-Muʿīn 326, 340, 353  f., 358  f., 364  ff. al-Nasafī, Naǧm ad-Dīn Abū Ḥafṣ ʿUmar Ibn Muḥammad 354 al-Nasāʾī 217, 221, 224 al-Nāṭiq, Abū Ṭālib 191  ff., 195 al-Naysābūrī, Abū al-Ḥasan ʿAlī Ibn al-Muẓafar 273, 440 al-Naẓẓām, Abū Ishāq Ibrāhīm 74, 155, 169  f., 175, 198, 202, 232  f., 246  f., 358 al-Qāḍī ʿIyāḍ 10 al-Qaffāl al-Marwazī 335 al-Qalānisī, Abū l-ʿAbbās 327, 350 al-Qazwīnī, Abū Ḥātim 127  f. al-Qummī, ʿAlī Ibn Ibrāhīm 89, 98 al-Qurṭubī, Abū ʿAbdallāh Ibn Muḥammd Ibn Aḥmad al-Anṣārī 10, 110  f., 117 al-Rassī, al-Qāsim Ibn Ibrahīm 188  f., 194, 196, 199  f., 203 al-Rāzῑ, Fakhr al-Dῑn 78, 97  f., 118, 245, 355, 373–390 al-Rumī, Jalāl ad-Dīn 479 al-Rummānī, ʿAlī Ibn ʿĪsā 250  ff., 264 al-Šāfiʿī, Muḥammad 34, 79, 123  f., 126, 130, 208  ff., 212, 225, 267, 337  f., 440 al-Ṣāḥib Ibn ʿAbbād 173, 226, 354 al-Šahrastānī, ʿAbd l-Karīm 166, 172, 196 al-Šaibānī, Muḥammad Ibn al-Ḥasan 122  f., 127, 130, 332, 440 al-Sakandarī, Ibn al-Munīr 274 al-Sālimī, Abū Šakūr 324, 326  ff., 348  ff. al-Samarqandī Shams al-Dīn 110, 117, 374 al-Sanūsī, Muḥammad Ibn Yūsuf 375 al-Šaqqānī Abū Saʿd 273 al-Šaʿrī, Zaynab bt. 273 al-Subkī, Tāǧ ad-Dīn 356, 366 al-Sulamī, Muʿammar Ibn ʿAbbād 169, 185  f. al-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīn 79, 82, 84  f., 88, 96, 98, 100, 113, 115, 118, 120, 130 al-Ṭabarī, Muḥammad Ibn Ğarīr 66, 76  f., 80, 111, 118, 224  f., 249, 440 al-Ṭabarsī, al-Faḍl 89, 98

490 

 Namensregister

al-Ṭabrisī, Abū ʿAlī al-Faḍl Ibn al-Ḥasan 264 al-Taimī, Abū ʿUbaida Maʿmar Ibn-alMuṯannā 269, 281 al-Tirmiḏī, Muḥammad Ibn ʿĪsā Ibn Saura Ibn Mūsā Ibn aḍ-Ḍaḥḥāk 92, 104, 106  f., 114  f., 118 al-Ṭūsī, Abū Ǧaʿfar Muḥammad Naṣīr ad-Dīn 34, 89  f., 245  f., 248, 373 al-Ṭūsī, Naṣīr al-Dīn 374 al-Uswārī ʿAmr Ibn Fāʾid 4, 16, 19 al-Uswārī, Abū ʿAli 169 al-Wāḥidī, Abū l-Ḥassan ʿAlī Ibn Aḥmad 100  f., 107, 117 al-Walīd Ibn Muslim 218 al-Warrāq, Abū ʿIsā 283 al-Warrāq, al-Ḥasan 244 al-Zahidī al-Ġazmīnī, Naǧm ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd 176 al-Zailaʿī 121 al-Zamaḫšarī 31, 34, 90  f., 98, 107, 109  f., 118, 173, 176, 245, 266, 273  ff., 368, 372 al-Zamaḫšarī, Maḥmūd Ibn Umar 266, 271  f. al-Zarkašī, Badr ad-Dīn 111, 115, 118 al-Zuhrī, ʿUrwa 220, 222 Ansari, Zafar 371  f. Aristotle 132, 134, 136  f., 139, 144  ff., 148, 152  ff., 156, 163  ff., 228, 230  f., 240, 456 Avicenna 445 Badawī, ʿAbd ar-Raḥmān 163, 169, 240 Bauer, Thomas 74, 97, 344, 350 Berger, Lutz 35, 62, 64, 372 Berque, Jacques 75  f., 97 Bišr Ibn Al-Muʾtamir 169, 244 Blanc, Haim 164 Bobzin, Hartmut 33, 71, 97, 372, 486 Brockelmann, Carl 65, 174  f., 186 Brodersen, Angelika 294, 322, 324, 350 Buddha Siddhartha Gautama 58 Cerić, Mustafa 325, 350 Daiber, Hans 173  f., 186 Democritus 228 Dere, Ali 436  f., 440 Descartes, René 293  f., 312, 322, 470 Dhanani, Alnoor 240, 313, 322

Ḍirār Ibn ʿAmr al-Ġaṭafānī 187, 200, 207, 223 Diyaʾ ad-Dīn al-Makkī 273 Elder, Edgar 355, 372 Ess, Joseph van 3, 33, 65, 166, 187, 198, 203, 207, 223, 241, 264, 322, 350, 372 Fatḥallāh aš-Širwānī 353 Fāṭima bint Muḥammad 346 Fudge, Bruce 245, 247  f., 264 Ǧābir Ibn ʿAbdallāh 103  ff. Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq 31 Ğaʿfar Ibn Ḥarb 169, 195  ff., 200  ff., 244 Ğaʿfar Ibn Mubaššar 169, 201 Ganj-i Shakar, Farīduddīn 326 Ġaznī, Maḥmūd von 335 Gimaret, Daniel 245, 248, 264, 336, 350, 366, 372, 388 Goldziher, Ignaz 187, 243, 264 Grünschloss, Andreas 56, 65 Gutas, Dimitri 132, 164 Ḥafṣ al-Fard 189, 195, 200, 354 Ḥaǧjjāgj Ibn ʿUbayd 416 Hāshim Maʿrūf al-Ḥasanī 284, 288 Heinrichs, Wolfhart 269, 281, 486 Hišām Ibn al-Ḥakam 196, 232, 283 Hishām Ibn ʿUrwa 413 Höfner, Maria 40, 65 Horten, Max 176, 187 Hourani, G. F. 169, 183, 238, 240 Hourani, George Fadlo 187 Hume, David 293, 322 Ḥurūfīya 337 Ibn ʿAbbās 7, 12, 21, 81, 85, 111, 114  ff., 249 Ibn ʿAbd al-ʿAzīz, ʿUmar 3 Ibn Abī Ḫayṯamah 218 Ibn Abī Surayǧ 17 Ibn Abī Uwais, Ismā’il 189 Ibn Abī Waqqāṣ, Saʿd 10 Ibn ʿAffān, ʿUṯmān 32 Ibn ʿĀʾiša 220  f., 412  f., 415 Ibn al Malāḥmī 173  f., 176  f. Ibn al-ʿArabī Abū Bakr Muḥammad 92, 94 Ibn al-Ašras, Ṯumāma 169

Namensregister 

Ibn al-Ğawzī, ʿAbd ar-Raḥmān Abū al-Farağ 97 Ibn al-Ḥağğāg, Šuʿba 218 Ibn al-Ḥanafiyya, al-Ḥasan Ibn Muḥammad 3 Ibn al-Ḫaṭṭāb, ʿUmar (ʿOmar) 32, 175 Ibn al-Malāḥmī, Rukn ad-Dīn Maḥmūd 173  ff., 273 Ibn al-Murtaḍā, Aḥmad Ibn Yaḥyā 226, 247, 264 Ibn al-Musayyib, Saʿīd 10  f., 222 Ibn al-Rāwandī 283 Ibn al-Wazīr, Muḥammad Ibn Ibrāhīm 176  f. Ibn al-Zubayr, ʿUrwa 11, 219, 426 Ibn an-Nadīm al-Warrāq 165, 207, 224, 264 Ibn ʿArabī 97, 389, 485  ff. Ibn ar-Rabī,ʿ Saʿd 104  ff. Ibn ʿAšūr, Muḥammad aṭ-Ṭāhir 100, 118, 221, 224 Ibn ʿAtā,'Wāṣil 169 Ibn ʿAyyāsh, Abū Isḥāq 226 Ibn Bābūya 287  f. Ibn Daqīq al-ʿĪd 120 Ibn Ğinnī 265, 269, 279 Ibn Ǧubayr, Saʿīd 7, 12 Ibn Ǧurayǧ 11  f. Ibn Ḫalaf, Ubayy 222 Ibn Ḫallikān, Aḥmad Ibn-Muḥammad 272  ff., 281, 335, 350 Ibn Ḥanbal, Aḥmad 104  f., 124, 207 Ibn Ḥazm 33, 132, 134  ff., 205, 212, 223  f. Ibn Ḥuzayfa, Sālim 220 Ibn Kaʿb, Ubayy 18, 30 Ibn Kaṯīr 90, 97, 107  f., 110, 115  ff., 281 Ibn Kullāb 241, 322, 327 Ibn Ma ͑bad, Sahl 416 Ibn Mālik, Anas 20, 109  f., 124, 130, 183, 189, 218, 220, 267, 423, 440 Ibn Manẓūr, Muḥammad Ibn ʿAlī Ibn Aḥmad Ibn Mukarram 97 Ibn Masʿūd 17  f., 21, 114  f., 117 Ibn Mattawaih, al-Ḥassan Ibn Aḥmad 173, 179, 187 Ibn Muǧāhid, Aḥmad Ibn Mūsā al-Baġdādī 11  f., 34 Ibn Muṭahhar al-Ḥillῑ 373 Ibn Qais, Ṯābit 107 Ibn Qanbar, ʿAmr Ibn ʿUṯmān 268

 491

Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad 77, 88  ff., 97, 224, 264 Ibn Sallām, Abū ʿUbaid al-Qāsim 97 Ibn Sīnā 140, 232, 235, 374  f., 384, 449 Ibn Taymiyah, Taqī ad-Dīn Aḥmad 97 Ibn Taymiyya, Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm 186, 266 Ibn ʿUbayd, Ziyād 416 Ibn ʿUbayd, ʿAmr 3  ff., 16, 19 Ibn ʿUyayna, Sufyān 218 Ibrāhīmī Dīnānī 286, 289 ʿIkrima 12 Kant, Immanuel 293  f., 322, 479 Krawietz, Birgit 126, 130 Küng, Hans 122, 130 Madelung, Wilfert 188, 191  ff., 198, 200  f., 203, 273  ff., 282  f., 288  f., 325, 350, 372 Madkour, Ibrahim 133, 165 Maḥğūb Ben Milād 74 Maitham Tammār 283 Mālik Ibn Anas 20, 109  f., 124, 183, 189, 218, 220, 437, 440 McAuliffe, Dammen Jane 72, 88, 97  f. Montgomery Watt, William 53, 322 Motzki, Harald 210, 224 Muʿādh Ibn Jabal 424 Muḥammad ʿAbduh 98, 185  f. Muḥammad Ibn Šabīb 196 Muḥammad Ibn Sīrīn 11 Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām 429, 432 Muḫtār Ibn Maḥmūd 172, 176  f. Muʿizz ad-Dīn Kart 352 Muqātil Ibn Sulaimān 80  ff., 98, 100, 246 Mūsā Ibn Sayyār al-Uswārī 4 Mwais IbnʿImran 196 Nader, Albert Nasri 169, 203 Nafiʿ Ibn al-Ḥārith 416 Nagarjuna 58 Nagel, Tilman 53, 65, 287, 350 Nicholson, Reynold A. 479 Niẓāmuddīn Auliyā 326 Noth, Albrecht 51, 64  ff. Nuʿmān Kūfī, Bin ʿAlī bin 283

492 

 Namensregister

Özcan, Hanifi 293  ff., 322 Paret, Rudi 34, 54, 66, 71, 98, 118, 130, 486 Peters, J. R. T. M. 187, 227, 229, 240 Plato 154, 166, 231  f., 293 Plotinus 166, 231 Popper, Karl 469, 484, 486 Qatāda Ibn Diʿāma as-Sadūsī 3, 12, 69 Raǧā Ibn Ḥaywa 15 Rebstock, Ulrich 128, 130 Reinert, Benedikt 268, 281 Reiß, Katharina 395, 440 Rudolph, Ulrich 65, 294  f., 302  ff., 308, 313, 315, 323, 325, 333, 350, 372 Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī 351  ff., 359  ff. Sahla bint Suhayl 220 Saint-Exupéry, Antoine de 463, 486 Sander, Paul 288  f. Šawkānī, Muḥammad Ibn ʿAli 352, 372 Šayba Ibn Niṣāḥ 8 Sayyid Murtaḍā Alamulhudā 284  ff. Schacht, Joseph 127, 131 Scheich Mufīd 284  ff. Sharaf al-Dīn Ibn al-Tilimsānī 375, 383, 387, 389 Sībawaih (=ʿAmr Ibn ʿUṯmān Ibn Qanbar)  267  f., 278, 282

Strothmann, Rudolf 188, 195, 197  f., 203 Ṭāshköprüzāda, Aḥmed Ibn Muṣṭafā 372 Tillschneider, Hans-Thomas 101, 103, 118 Turki, Abdel-Magid 166 ʿUmar Kaḥḥāla 174  f. Umm Ḥabība 36, 43, 46  ff., 53, 59  f. Umm Jamīl bint al-Afqam 416 Umm Salama 221 Umm Sulaym bint Milḥān 36, 43  ff., 56, 59  ff. ʿUqba Ibn Abī Muʿaiṭ 114 Vermeer, Hans J. 395, 440 Versteegh, C.H.M. 273, 275, 282 Wansbrough, John E. 72  f., 87, 98 Watt, W. Montgomery 53, 66, 206, 225, 241, 322 Welch, Alford T. 53, 66 Wild, Stefan 72, 98 Yāqūt, Ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 164, 272  f., 282 Zarzūr, ʿAdnān 98, 256, 264 Zayd Ibn ʿAlī 69 Zayd ibn ʿAmr 57 Zinnīra 36, 41  f., 46  f., 49  f., 53, 59