Rassismus und Bürgerrechte. Polizeifolter im Süden der USA 1930–1955 [1. ed.] 9783868546316, 9783868542837


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German Pages 287 Year 2014

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Rassismus und Bürgerrechte. Polizeifolter im Süden der USA 1930–1955 [1. ed.]
 9783868546316, 9783868542837

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Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts Ausgewählt von Jörg Baberowski, Bernd Greiner und Michael Wildt Das 20. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert des Genozids, der Lager, des Totalen Krieges, des Totalitarismus und Terrorismus, von Flucht, Vertreibung und Staatsterror – gerade weil sie im Einzelnen allesamt zutreffen, hinterlassen diese Charakterisierungen in ihrer Summe eine eigentümliche Ratlosigkeit. Zumindest spiegeln sie eine nachhaltige Desillusionierung. Die Vorstellung, Gewalt einhegen, begrenzen und letztlich überwinden zu können, ist der Einsicht gewichen, dass alles möglich ist, jederzeit und an jedem Ort der Welt. Und dass selbst Demokratien, die Erben der Aufklärung, vor entgrenzter Gewalt nicht gefeit sind. Das normative und ethische Bemühen, die Gewalt einzugrenzen, mag vor diesem Hintergrund ungenügend und mitunter sogar vergeblich erscheinen. Hinfällig ist es aber keineswegs, es sei denn um den Preis der moralischen Selbstaufgabe. Ausgewählt von drei namhaften Historikern – Jörg Baberowski, Bernd Greiner und Michael Wildt – präsentieren die »Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts« die Forschungsergebnisse junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Monografien analysieren am Beispiel von totalitären Systemen wie dem Nationalsozialismus und Stalinismus, von Diktaturen, Autokratien und nicht zuletzt auch von Demokratien die Dynamik gewalttätiger Situationen, sie beschreiben das Erbe der Gewalt und skizzieren mögliche Wege aus der Gewalt.

Silvan Niedermeier Rassismus und Bürgerrechte Polizeifolter im Süden der USA 1930–1955

Hamburger Edition

Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2014 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-631-6 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © 2014 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-283-7 Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras Typografie und Herstellung: Jan und Elke Enns Satz aus Stempel Garamond von Dörlemann Satz, Lemförde

Inhalt

Einleitung

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Polizeifolter und »legale Lynchmorde« im Süden der USA Gewalt und die Kultur der Segregation (1865–1930) Der Rückgang der Lynchgewalt »Legale Lynchmorde«, Polizeifolter und die Transformationen rassistischer Gewalt »Ein zügiger Prozess«: Der Fall Brown/Ellington/Shields Die Performanz der Folter

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Folter und afroamerikanische Zeugenschaft vor Gericht Rassismus und Diskriminierung im Gerichtssaal »All diese Narben, da und da«: Die Bezeugung der Folter im Fall Dave Canty Folter und die Kodierungen der Glaubwürdigkeit: Der Fall Daniels/Robinson

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Die NAACP -Kampagne gegen »erzwungene Geständnisse« Der Kampf für die rechtliche Gleichbehandlung vor Gericht Die NAACP und die Fälle Brown vs. Mississippi und Chambers vs. Florida Lokale Interventionen: Der Fall Dave Canty Unter schwarzer Verteidigung: Der Fall W. D. Lyons Nach 1945: Die NAACP und der Fall der Groveland Four

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Die Skandalisierung der Folter: Der Fall Quinter South »Schreckliches Unrecht«: Die Berichterstattung der weißen Presse Atlantas »Lasst uns die Polizeibrutalität […] stoppen«: Die Skandalisierung der Folter in der lokalen und überregionalen schwarzen Presse

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Die Folterermittlungen des Bundes im Süden der USA Polizeifolter und die Bürgerrechtsinitiative der Civil Rights Section Die Sichtbarmachung der Folter: Das Verfahren gegen William F. Sutherland Weißer Widerstand: Das Verfahren gegen Edwin E. Evans und Henry F. Faucett »Das geht Washington nichts an«: Das Verfahren gegen William J. Erskine Nach 1945: Das Committee on Civil Rights und die Civil Rights Section Afroamerikanische Frauen als Anklägerinnen: Die Verfahren gegen Joseph L. Pickett und Curvin M. Covington

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Resümee und Ausblick

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Danksagung

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Anhang Abkürzungsverzeichnis Archiv- und Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Zum Autor

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Einleitung Wer die Aktenbestände der afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in der Library of Congress in Washington D. C. konsultiert, stößt in einem der zahlreichen Ordner zum Stichwort »Polizeibrutalität« auf eine anonyme Handzeichnung (siehe Abbildung 1). Das zwischen Briefen, Zeitungsausschnitten und Rechtsdokumenten abgelegte Bild zeigt einen Gefangenen, der von drei Männern ausgepeitscht wird. Einer von ihnen ist durch eine Dienstmarke und einen Hut als Sheriff gekennzeichnet. Der entblößte, grau schraffierte Körper des Häftlings wird durch Handschellen, die an einem Rohr befestigt sind, aufrecht gehalten. An Oberkörper, Hüfte und Oberschenkel des Mannes sind blutende Wunden sichtbar. Gitterstäbe im Hintergrund sowie der Vermerk »Lake County Jail« am linken unteren Bildrand deuten an, dass sich die dargestellte Szene in einer Gefängniszelle abspielt. In die Szenerie einbezogen ist ein handschriftlicher Text, der vermutlich die Aussage des Inhaftierten zitiert. Dort heißt es: »Dann brachten mich die vier Männer in das oberste Stockwerk des Gefängnisses. Sie hängten mich mit Handschellen an ein Rohr, sodass meine Füße gerade noch den Boden berührten. Dann zogen sie mir das Hemd über den Kopf und zogen meine Hose auf den Boden herunter. Dann nahmen sie Gummischläuche und peitschten mich aus, bis ich das Blut fühlen konnte.«1 Die Zeichnung wurde im September 1949 ohne Angabe eines Namens oder einer Adresse an das nationale Büro der NAACP 1

»A Negro ›Confesses‹ to ›Rape‹/Tavares, Fla. – July 1949«, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-117, Fol. T [1941–1949]. Sofern nicht anders gekennzeichnet, wurden die deutschen Übersetzungen englischsprachiger Zitate in der vorliegenden Arbeit vom Verfasser angefertigt. Ich danke Michael Adrian für die Unterstützung bei den Übersetzungen.

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Abb. 1: Anonyme Zeichnung, »A Negro ›Confesses‹ to ›Rape‹/Tavares, Fla. – July, 1949« LOC , NAACP Papers, Group II, Box B-117, Fol. T [1941–1949].

in New York City geschickt. Sie bezog sich auf ein Ermittlungsverfahren, den Fall der Groveland Four, bei dem im Sommer 1949 drei African Americans in Florida festgenommen worden waren.2 Auslöser dafür war der von einer weißen Frau erhobene Vorwurf, von vier unbekannten schwarzen Männern vergewaltigt worden zu sein. Ein vierter Tatverdächtiger wurde kurz darauf von einem Suchtrupp erschossen. Im Zuge der Ermittlungen erhoben die drei Beschuldigten den Vorwurf, von lokalen Polizeibeamten gewaltsam zu Tatgeständnissen gezwungen worden zu sein, was diese einhellig abstritten. Im Gegensatz zu anderen Formen rassistischer Gewalt im Süden der USA fand die polizeiliche Praxis der Folter an schwarzen3 Häftlingen und Tatverdächtigen in der Regel im VerborgeSiehe die Ausführungen zum Fall der Groveland Four im Kapitel »Die NAACP-Kampagne gegen ›erzwungene Geständnisse‹«. 3 Um die Konstruiertheit von »Rasse«-Konzepten zu betonen, werde ich die Begriffe »Rasse« und »rassisch« im Folgenden in Anführungszeichen setzen (außer in Zitaten). Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich jedoch 2

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nen statt, das heißt hinter den Mauern von Gefängnissen und Polizeistationen. Ihre weitverbreitete Ausübung wurde zumeist geleugnet, während die weißen Repräsentanten der dortigen Justiz, Richter, Staatsanwälte und Geschworene, verhinderten, dass Polizisten und Sheriffs für die Folter an afroamerikanischen Häftlingen rechtlich belangt wurden. Insofern zeugt die anonyme Zeichnung in den Unterlagen der NAACP von dem Versuch, die tendenziell verborgene Gewalt der Folter sichtbar zu machen und als Unrecht zu markieren. Deutlich wird dies unter anderem an dem spezifischen Arrangement von Text und Bild: Während die Bildunterschrift »A Negro ›Confesses‹ to ›Rape‹« (»Ein Negro4 ›gesteht‹ eine ›Vergewaltigung‹«) die »offizielle« Darstellung der Geschehnisse wiedergibt und durch die verwendeten Anführungszeichen gleichzeitig darauf bei den Adjektiven »weiß« und »schwarz« in Bezug auf Personen bzw. Personengruppen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Bezeichnung von Menschen als »schwarz«, »weiß« usw. nicht auf angebliche »rassische« Unterscheidungsmerkmale zurückzuführen, sondern sozial und diskursiv konstruiert ist. Schließlich sind, um Norbert Finzsch, James O. Horton und Lois E. Horton zu zitieren, »Schwarze […] genauso wenig schwarz, wie Weiße weiß sind«. Siehe hierzu Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 14. 4 Hier und im Folgenden wird bewusst auf die Übersetzung des Begriffs »negro« bzw. »Negro« verzichtet, da die deutsche Entsprechung mit rassistischen Konnotationen aufgeladen ist, die im deutschen Kontext anders funktionieren als im englischen. Der Begriff »Neger« ist im deutschen Sprachgebrauch spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stark diskriminierend, was eng mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus verbunden ist. Dies trifft zwar auch für das Wort »negro« im Englischen zu, dessen Verwendung heute von African Americans mehrheitlich als verletzend und diskriminierend empfunden wird. Doch zeigt die Begriffsgeschichte des Wortes auch, dass sich African Americans im frühen 20. Jahrhundert das Wort aneigneten und positiv besetzten, indem sie die Schreibweise »Negro« (mit einem großen »N«) statt »negro« verwendeten. Wie auch im weiteren Verlauf dieser Studie deutlich wird, nutzten u. a. die Aktivistinnen und Aktivsten der NAACP die Schreibweise »Negro« bzw. »Negroes« zur Markierung schwarzer Selbstbestimmung und des Stolzes auf die geteilte afrikanische Herkunft. Die Beibehaltung der Quellenbegriffe »negro« und »Negro« bzw. »negroes« und »Negroes« soll sowohl den US-amerikanischen Verwendungskontext dieser Begriffe aufrufen als auch den historisch-spezifischen Selbstbezeichnungen schwarzer Akteurinnen und Akteure Raum geben.

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hinterfragt, visualisiert die Zeichnung selbst die verheimlichte Realität der Folter in den Gefängnissen des US-amerikanischen Südens. Das Nebeneinanderstellen von Zeugenaussage und Folterszene verleiht den Foltervorwürfen des mutmaßlichen Opfers mit bildlichen Mitteln Evidenz. Damit ist die Zeichnung in eine Reihe von Maßnahmen zu stellen, die ab den 1930er Jahren von verschiedener Seite zu beobachten waren. Sowohl Bürgerrechtsorganisationen als auch Bundesbehörden unternahmen in dieser Zeit den Versuch, die Praxis der Folter sichtbar zu machen und zu delegitmieren, indem sie ihre Ausübung mit unterschiedlichen Mitteln dokumentierten. Diese Form der Gewalt steht auch im Zentrum dieses Buches. Es nimmt die weitverbreitete Anwendung der Polizeifolter an afroamerikanischen Tatverdächtigen und Häftlingen im amerikanischen Süden zwischen 1930 und 1955 erstmals in den Blick und beleuchtet darüber hinaus die Initiativen, um diese Praxis einzudämmen. Während sich die bisherige Forschung zur Geschichte des amerikanischen Südens insbesondere auf die Hochphase der Lynchgewalt zwischen 1890 und 1930 sowie auf die Phase der Dynamisierung der Bürgerrechtsbewegung ab 1955 konzentriert hat, werden hier die Transformationen und Kontinuitäten rassistischer Gewalt in der Zeit dazwischen erforscht.5 Dabei werden zum einen die Zusammenhänge zwischen dem quantitativen Rückgang der Lynchgewalt in den 1930er Jahren und der polizeilichen Folterpraxis untersucht.6 Es wird zu zeiErst in den vergangenen Jahren haben verschiedene Studien die historische Bedeutung der Phase zwischen 1930 und 1955 für die Sozial-, Wirtschafts-, Politik- und Kulturgeschichte des amerikanischen Südens herausgearbeitet. So haben etwa der Historiker J. William Harris und die Autorinnen und Autoren des vom ihm 2008 herausgegebenen Sammelbandes »The New South« die Notwendigkeit betont, sich verstärkt der Geschichte des amerikanischen Südens in der Zwischenkriegszeit zuzuwenden. Herausgestellt wurden insbesondere die 1930er Jahre, die, so der Tenor der Studien, eine entscheidende Phase des Wandels darstellten. Siehe Harris, »Introduction«, S. 1–11; Sullivan, »Southern Seeds«, S. 210–238; Wendt, »Review of Harris«. 6 Zum Phänomen des Lynching im Süden und in anderen Teilen der USA siehe u. a. Berg, Popular Justice; Brundage, Lynching in the New South; Goldsby, A Spectacular Secret; Nevels, Lynching to Belong; Pfeifer, Rough Justice; Wood, Lynching and Spectacle. Auf Deutsch siehe u. a. Finzsch, 5

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gen sein, dass die Folterung afroamerikanischer Tatverdächtiger in einem von der Forschung bislang weitgehend unbeachteten Zusammenhang mit dem Rückgang der Lynchpraxis stand. Die allmähliche Abnahme der Lynchmorde bedeutete keinesfalls das Ende rassistischer Gewalt. Zum anderen soll die Studie die bisherige Forschung zum afroamerikanischen Bürgerrechtskampf im Süden der USA erweitern, womit ich an neuere historische Studien zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung anschließe. Während frühere Arbeiten die Geschehnisse Mitte der 1950er Jahre, also das wegweisende Urteil des U. S. Supreme Court im Fall Brown vs. Board of Education, den von Rosa Parks initiierten Busboykott in Montgomery, Alabama, sowie den Fall Emmett Till zu den Ausgangspunkten der Bürgerrechtsbewegung erklärt haben, datiert die neuere Forschung ihre Anfänge in die 1930er und 1940er Jahre zurück. Sie prägte dafür den Begriff der »langen Bürgerrechtsbewegung« (»long civil rights movement«). Die Arbeiten heben hervor, dass diese Bewegung ihre Wurzeln in den umwälzenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen im Zuge des New Deal und der Kriegs- und Nachkriegsjahre hatte. Wie etwa Jacquelyn Dowd Hall konstatiert, entstand in dieser Phase eine weitreichende soziale Bewegung, die die Dynamisierung des afroamerikanischen Bürgerrechtskampfes in den 1950er und frühen 1960er Jahren erst möglich machte. Die Historikerin Danielle L. McGuire wiederum weist in ihrer Studie »At the Dark End of the Street« auf die afroamerikanischen Proteste gegen die sexuelle Gewalt weißer Männer an schwarzen Frauen im US-Süden der 1940er und frühen 1950er Jahre hin. Sie zeigt, dass diese Proteste Katalysatoren für die Mitte der 1950er Jahre entstehende afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung waren.7 Anknüpfend an diese Forschungsarbeiten stellt die vor»Rassistische Gewalt«; Berg, Lynchjustiz; ders., »Das Ende der Lynchjustiz«; Ketelsen, Das unaussprechliche Verbrechen. Für eine internationale Perspektive auf das Phänomen des Lynching siehe die Beiträge in Berg/ Wendt (Hg.), Globalizing Lynching History. 7 Siehe Hall, »The Long Civil Rights Movement«; McGuire, »Sexual Violence«, S. 906–931; dies., Black Women; siehe auch Sullivan, Lift Every Voice, S. 190–236; Egerton, Speak Now Against the Day.

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liegende Studie die engen Verbindungen zwischen den Initiativen gegen die Folter und dem afroamerikanischen Bürgerrechtskampf in der Phase vor 1955 heraus. Es wird gezeigt, dass das Auftreten von afroamerikanischen Angeklagten und Folteropfern vor Gerichten des Südens sowie der Kampf der NAACP gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse in Strafverfahren einen integralen Bestandteil der »langen Bürgerrechtsbewegung« darstellten. Zum Dritten rückt die Arbeit die bislang weitgehend unbeachteten Folterermittlungen amerikanischer Bundesbehörden im Süden der USA in den Fokus der Betrachtung.8 In einem 2008 erschienen Artikel hat der US-Historiker Christopher Waldrep auf die »überraschende« Geschichte der 1940 einsetzenden Bürgerrechtsermittlungen des US-Justizministeriums und des Federal Bureau of Investigation (FBI) im amerikanischen Süden hingewiesen. Die fehlende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema habe dazu geführt, dass das Bild des FBI bislang maßgeblich von dessen destruktiver Haltung gegenüber dem afroamerikanischen Bürgerrechtskampf der 1960er und 1970er Jahre geprägt wurde.9 Dagegen zeigen die in den 1940er Jahren einsetzenden Bürgerrechtsermittlungen des US -Justizministeriums und des FBI in Folterfällen, dass sich föderale Behörden bereits früher als bislang angenommen für die Durchsetzung afroamerikanischer Bürgerrechte im Süden der USA engagierten, wenn auch – wie die vorliegende Studie zeigt – nur punktuell und mit mäßigem Erfolg. In diesem Buch werden diese Ermittlungen erstmals umfassend dokumentiert und analysiert. Siehe hierzu einzig McMahon, Reconsidering Roosevelt, S. 167–175; Carr, Federal Protection of Civil Rights, S. 151–162; Elliff, The United States Department of Justice. 9 Waldrep, »National Policing«, S. 589–590. Zur Unterminierung der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre durch die verdeckten Ermittlungs- und Überwachungstätigkeiten des FBI siehe u. a. O’Reilly, The FBI’s Secret File. Zu den Ermittlungen des US-Justizministeriums und des FBI in Lynchfällen der 1940er Jahre siehe bislang Capeci Jr., The Lynching of Cleo Wright; ders., »The Lynching of Cleo Wright«; Wexler, Fire in a Canebrake. 8

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Schließlich soll diese Studie einen Beitrag zur bislang weitgehend unerforschten Geschichte der Folter in den USA leisten. Weder gibt es bislang Studien, die das Phänomen der Polizeifolter im amerikanischen Süden des 20. Jahrhunderts untersucht haben, noch Überblicksdarstellungen, die die Geschichte der Folter in den USA von ihren Anfängen bis in die Gegenwart in den Blick nehmen.10 Die Arbeit stützt sich auf die umfangreichen Aktenbestände der National Association for the Advancement of Colored People in Washington D. C. sowie auf Gerichtsunterlagen, Untersuchungsakten und Zeitungsberichte, die im Zuge von Recherchen in verschiedenen Archiven der Südstaaten zusammengetragen wurden. Zudem wurden die in den National Archives in College Park, Maryland, lagernden Ermittlungsakten des US-Justizministeriums und des FBI aus den 1940er und frühen 1950er Jahren gesichtet und ausgewertet. Einige dieser Akten wurden für diese Studie erstmals zur Untersuchung freigegeben. Der Untersuchungsgegenstand »Folter«

Seit der Aufklärung wird die Folter in weiten Teilen der Welt als illegitimer Akt staatlicher Gewalt betrachtet, der im Widerspruch zum moralischen Selbstverständnis sich als modern verstehender Gesellschaften steht.11 Folter gilt als »extremste Form gewaltsamen Gefügigmachens und psychischer Vernichtung«.12 Ihre Ausübung geht einher mit der Zerstörung der Autonomie und Würde der Opfer und steht daher in fundamentalem Widerspruch zum modernen Menschenbild.13

Zu den wenigen Studien, die die Geschichte der Folter in den USA des 19. und 20. Jahrhunderts diskutieren, gehören Rejali, Torture and Democracy; Leo, Police Interrogation and American Justice. Siehe auch Skolnick, »American Interrogation«. 11 Hunt, Inventing Human Rights, S. 70–112, 176–214. 12 Lindenberger/Lüdtke, »Physische Gewalt«, S. 19. 13 Siehe Scarry, The Body in Pain, S. 27–59; Reemtsma, »Skizze eines Forschungsprogramms«. 10

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Einerseits hat die Wahrnehmung der Folter als illegitime, inhumane und rückschrittliche Form staatlicher Gewalt eine weitreichende kulturelle Wirkmächtigkeit. Andererseits zeigen die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einsetzenden öffentlichen und juristischen Debatten um die Re-Legitimierung der Folter im »Krieg gegen den Terror«, dass diese Form der Gewalt bis zum heutigen Tag Vereinnahmungsversuchen ausgesetzt bleibt, mit denen Formen der Verhörgewalt rationalisiert und durch die Interpretation rechtlicher Bestimmungen legalisiert werden sollen.14 Der Begriff »Folter« bezeichnet gemeinhin das absichtsvolle Zufügen von körperlichem oder psychischem Leiden an Menschen durch andere Menschen und schließt sowohl Gewalthandlungen durch staatliche Akteure als auch durch Privatpersonen ein. Hier wird der Begriff in einem engeren Sinne benutzt, und zwar in Bezug auf staatliche beziehungsweise polizeiliche Formen der Gewalt mit dem Ziel, Informationen zu erlangen oder Geständnisse zu erzwingen, anknüpfend an die enge Definition der UN-Antifolterkonvention aus dem Jahr 1984, die sich auf Gewaltakte von »Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person« beziehen. Nach Artikel 1 der Antifolterkonvention bezeichnet Folter »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher 14

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Krasmann, »Folter im Ausnahmezustand?«, sowie die Beiträge in Greenberg (Hg.), The Torture Debate; Levinson (Hg.), Torture: A Collection. Zur Debatte über Rettungsfolter im deutschen Sprachraum siehe Nitschke (Hg.), Rettungsfolter.

Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.«15 Die Mehrheit der im Folgenden untersuchten Fälle polizeilicher Gewalt gegen African Americans korrespondiert mit dieser vergleichsweise engen Folterdefinition. So kamen fast immer Gewaltmittel zur Anwendung, die dem Kriterium der »vorsätzlichen« Zufügung »große[r] körperliche[r] oder seelische[r] Schmerzen oder Leiden« entsprechen, und in allen Fällen dienten sie dem Ziel der Geständniserzwingung und der Einschüchterung oder Bestrafung für angeblich begangene Taten. Zugleich waren ausnahmslos Personen wie Polizisten, Sheriffs, Hilfssheriffs und Gefängnisangestellte beteiligt, die »in amtlicher Eigenschaft« handelten.16 Die Fokussierung auf diese Form polizeilicher Verhörgewalt dient zum einen dazu, den Gegenstand der Untersuchung einzugrenzen. Zum anderen soll ihre spezifische Bedeutung für die Macht- und Herrschaftsstrukturen des amerikanischen Südens in der Phase vor der Dynamisierung der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung herausgearbeitet werden. Im frühen 20. Jahrhundert stellte Folter in den USA keinen eigenständigen Straftatbestand dar. Wenn überhaupt wurde sie im Rahmen bestehender Straftatbestände, wie etwa dem der Körperverletzung (»assault and battery«), oder des Verstoßes gegen Dienstvorschriften geahndet. Zudem existierten in zahlreichen Bundesstaaten Gesetze, die die Anwendung von Gewalt mit dem Ziel der Geständniserzwingung unter der Androhung von Haft- und Geldstrafen untersagten. Wie jedoch soziologische Studien und Untersuchungsberichte dieser Zeit zeigen, wurden diese nur in Ausnahmefällen verhängt, da Staatsanwälte davor zurückschreckten, die Machtbefugnisse

Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention, zit. n. Crelinsten, »Gewalt in Gefängnissen/Folter«, S. 235. 16 Zu den zum Teil umstrittenen Auslegungsweisen der UN -Folterdefinition und den daraus resultierenden Konsequenzen für gegenwärtige Praktiken der Folter siehe ebenda, S. 235–237. 15

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polizeilicher Behörden im Rahmen der Strafverfolgung einzuschränken.17 Zugleich verweisen damalige Zeitungsberichte und -kommentare darauf, dass der Begriff »Folter« bereits in den USA des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts eine denunziatorische Konnotation beziehungsweise eine politische Brisanz hatte. Während die weiße Presse18 im Süden der USA das Wort »torture« in ihrer Berichterstattung über Fälle polizeilicher Verhörgewalt in der Regel vermied, wurde es in der schwarzen Presse bewusst eingesetzt. Hier diente es dazu, die gewaltsame Verhörpraxis bei African Americans begrifflich zu markieren und zu skandalisieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, öffentliche Unterstützung für den Bürgerrechtskampf zu gewinnen. Verbreiteter und alltäglicher war der Begriff des »dritten Grades« (»third degree«), der bereits im späten 19. Jahrhundert im amerikanischen Polizeijargon kursierte und im frühen 20. Jahrhundert Einzug in den amerikanischen Wortschatz fand. Hatte er zunächst das intensive und lang andauernde Verhör von Tatverdächtigen durch Polizisten bezeichnet – wie auch die weithin gebräuchliche und vieldeutige Rede vom »Grillen« der Tatverdächtigen (»grilling«) –, erfuhr er im frühen 20. Jahrhundert eine Umdeutung.19 Zeitungen, populärwissenschaftliche Werke und amtliche Untersuchungsberichte benutzten den Begriff des »dritten Grades« für die Praxis der psychischen und physischen Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 213–224; Hopkins, Our Lawless Police, S. 288–313. 18 Die Begriffe »weiße Presse«, »schwarze Presse« etc. werden in den USA traditionell genutzt, um deutlich zu machen, an welches Zielpublikum sich die jeweiligen Zeitungen vorrangig richten. 19 In einem Vortrag aus dem Jahr 1910 führte Richard Sylvester, der damalige Präsident der International Association of Chiefs of the Police, den Ursprung des Begriffs des »third degree« auf den Ablauf polizeilicher Festnahmen zurück. Während Arrest und Inhaftierung als »erster« bzw. »zweiter Grad« einer Festnahme bezeichnet würden, stehe der Begriff des »dritten Grades«/»third degree« für die Phase des Verhörs und der polizeilichen Überprüfung der getätigten Aussagen. Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 20. Zu anderen möglichen Ursprüngen des Begriffs siehe Leo, Police Interrogation and American Justice, S. 68–69. 17

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Erzwingung von Tatgeständnissen und Tatinformationen durch Polizeikräfte.20 Nach einer Studie aus dieser Zeit stand er für »die Anwendung von Methoden, die bei einer Person körperliche oder seelische Leiden verursachen, um von ihr Informationen über ein Verbrechen zu erlangen«.21 Der alltagssprachliche Gebrauch des Begriffs ging einher mit der weiten Verbreitung polizeilicher Folter- und Geständniserzwingungspraktiken in den USA, die in den 1920er Jahren zu einer nationalen Debatte über die Polizeigewalt und die Reform des Polizeiwesens führten.22 Im Jahr 1931 stellte eine von US-Präsident Herbert Hoover (1929–1933) eingesetzte Untersuchungskommission – die sogenannte Wickersham Commission – fest, dass die Praxis des »dritten Grades« »im ganzen Land« und insbesondere in amerikanischen Großstädten wie New York, Chicago, Detroit und Los Angeles »weit verbreitet« war. Die Kommission hatte den Auftrag, die Missstände im amerikanischen Polizeiwesen aufzudecken, die im Zuge der Prohibition zutage getreten waren.23 Der Begriff des »dritten Grades« wurde auch im deutschen Nationalsozialismus als Umschreibung für staatliche Folterpraktiken verwendet. Siehe Peters, Torture, S. 124–125. Zudem wurde bereits bei der gerichtlichen Folter des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zwischen einem ersten, zweiten und dritten Grad der Folter unterschieden. Meist bezeichnete der erste Grad das Anlegen von Daumenschrauben, der zweite Grad das Strecken auf der Folterleiter sowie das Anlegen von Beinstöcken und der dritte Grad die Anwendung verschärfter Prozeduren, wie etwa das Versengen der Haut durch Fackeln. Siehe Zagolla, Im Namen der Wahrheit, S. 70–77. 21 Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 21. 22 Siehe Hopkins, Our Lawless Police; Lavine, The Third Degree. Zur Rolle des Lügendetektors in den zeitgenössischen Debatten über Polizeigewalt und Folter siehe Niedermeier, »Zur Geschichte des Lügendetektors«. 23 Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 153. Insgesamt listet der Bericht 29 Städte auf, in denen die Kommission umfangreiche Hinweise auf die Anwendung des »third degree« fand. Mit Birmingham, New Orleans, Waco und Wichita Falls wurden vier Städte aus dem amerikanischen Süden angeführt. Allerdings konzentrierte sich die Studie auf Großstädte und klammerte die spezifische Situation im Süden der USA weitgehend aus. Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 152–172. Siehe auch Walker, »Introduction«. 20

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Der Bericht dokumentierte Hunderte Fälle polizeilicher Folter aus den 1920er Jahren und verwies auf zahlreiche Fälle, in denen African Americans in den Südstaaten die Opfer waren. Diese seien von Polizisten und Sheriffs mit Stockschlägen, Fausthieben und durch den Einsatz von Peitschen zu Geständnissen gezwungen worden. Darüber hinaus dokumentierte der Bericht die Anwendung der »Wasserkur« (»water cure«) bei schwarzen Tatverdächtigen, eine Vorläufertechnik des Waterboarding, die US-Soldaten bereits im philippinisch-amerikanischen Krieg (1899–1902) einsetzten. Sie bestand darin, dass Tatverdächtige liegend gefesselt wurden, um ihnen dann mit einem Schlauch so lange gewaltsam Wasser in Mund oder Nase zu füllen, bis sie Informationen preisgaben und Geständnisse lieferten.24 Des Weiteren wies der Bericht auf Foltermethoden hin, bei denen Strom eingesetzt wurde. Erwähnt wurde ein improvisierter elektrischer Stuhl, der bis ins Jahr 1929 von der Polizei in Helena, Arkansas, genutzt worden sei, um Geständnisse zu erzwingen.25 Auch auf einzelne Fälle von Polizeifolter gegen Menschen mexikanischer Herkunft sowie gegen Tatverdächtige mit weißer Hautfarbe wurde aufmerksam gemacht.26 Aus der Fallsammlung der Untersuchungskommission wird ersichtlich, dass es sich bei den Opfern im Süden der USA in großer Mehrheit um African Americans handelte, überwiegend Männer, aber auch Frauen.27 Polizeifolter gegen African Americans war dort also bereits vor 1930 weit verbreitet. Verschiedene Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 68–68. Zum Einsatz der Wasserfolter im Philippinisch-Amerikanischen Krieg siehe Schumacher, »The Debate over Torture«; Kramer, »Water Cure«. 25 Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 235; »Judge Orders Destruction of Electric Chair Used by Arkansas Sheriff for Confessions«, The New York Times, 23. 11. 1929, S. 12. Ein weiterer Zeitungsbericht weist darauf hin, dass der Vorwurf der Erpressung von Geständnissen mithilfe des elektrischen Stuhls im selben Jahr auch in Alabama erhoben wurde. Siehe »Says Electric Chair Forced Confession«, The New York Times, 29. 12. 1929, S. 24. 26 Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 71–72. 27 Ebenda, S. 55, 70–71. 24

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historische Arbeiten zeigen, dass sich diese Praxis bis in die Zeit der Sklaverei zurückverfolgen lässt.28 Wie im Wickersham Report und weiteren damaligen Studien konstatiert wurde, sei die Praxis der Polizeifolter dadurch gekennzeichnet, dass sie an abgelegenen, der Öffentlichkeit unzugänglichen Orten stattfinde. Der rechtliche Kampf gegen sie sei sehr schwierig, weil Polizeibeamte ihre Anwendung in der Regel leugneten und Klagen gegen die Praxis der Folter meist einzig auf den Aussagen der mutmaßlichen Opfer basierten.29 Die Berichte weisen damit auf einen Zusammenhang hin, der für die moderne Geschichte der Folter konstitutiv ist: Ihre zentralen Merkmale im 20. und frühen 21. Jahrhundert bestehen in der Geheimhaltung und räumlichen Verborgenheit sowie in ihrem strafrechtlichen Verbot, das in nationalen und supranationalen Gesetzgebungen und Konventionen verankert ist. Wie auch andere Formen staatlicher Gewalt wird sie an »andere Orte« verlagert, die außerhalb des Blickfelds der Öffentlichkeit liegen.30 Der Anthropologe Talal Asad spricht in diesem Zusammenhang von der »verdeckten Folter« moderner Staaten. Ihre Geheimhaltung sei darin begründet, dass sie im Widerspruch zum Selbstverständnis moderner liberaler Gesellschaften stehe. Aus diesem Grund werde sie in der Regel von einer »Rhetorik der Verleugnung« begleitet.31 Damit unterscheidet sich die Folter in modernen Staaten in wesentlichen Punkten von der »gerichtlichen Folter« des Mittelalters und der Frühen Siehe Waldrep, Roots of Disorder, S. 37–58; Flanigan, »Criminal Procedure«. Zur zentralen Rolle rassistischer Gewalt innerhalb des Herrschaftssystems der Sklaverei siehe Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 191–227. 29 Siehe Chafee/Pollak/Stern, Report on Lawlessness in Law Enforcement, S. 152, sowie Hopkins, Our Lawless Police, S. 21: »Diese Selbstjustiz der Polizei, diese vorgerichtliche Inquisition findet in den ›Dritter-Grad‹-Verhörräumen von Polizeihauptquartieren statt, in abgelegenen Polizeistationen, in Zellen, Kellern oder Polizeigaragen, in Streifenwagen oder Gefangenentransportern, am Ort der Festnahme – überall dort, wo man hinreichend vor fremden Blicken geschützt ist.« 30 Krasmann, »Andere Orte der Gewalt«, S. 85–102; Foucault, »Von anderen Räumen«. 31 Asad, Formations of the Secular, S. 104–105; ders., »On Torture«. 28

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Neuzeit. Bei der »peinlichen Befragung« handelte es sich um eine minutiös geregelte Praxis der Gewaltzufügung, die offizieller Teil des Strafverfahrens und als solche bekannt war, obgleich auch sie hinter den Mauern der Gefängnisse praktiziert wurde.32 Auch die polizeiliche Folter von afroamerikanischen Tatverdächtigen und Häftlingen im amerikanischen Süden des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts fand in räumlicher Abgeschiedenheit statt. Häufig ist in den Akten von »kleinen Zellen« in abgelegenen Bereichen der Polizeireviere oder Gefängnisse die Rede, etwa in Kellergeschossen, den Seitenflügeln oder den obersten Etagen der Gebäude. In anderen Fällen wurden die Tatverdächtigen an entlegene Orte außerhalb der Polizeistationen gebracht. In der Regel leugneten Polizeikräfte, gewaltsame Verhör- und Geständniserzwingungspraktiken einzusetzen. Der genaue Blick auf die einzelnen Fälle zeigt jedoch, dass in den Gemeinden des Südens ein durch Gerüchte verbreitetes informelles Wissen über die Anwendung der Folter kursierte. Für die schwarze Bevölkerung hatte diese dem öffentlichen Blick entzogene Praxis der Folter weitreichende Konsequenzen. Zum einen war diese Form der Gewalt dadurch weit verbreitet und wurde vielerorts »routinemäßig« auch bei vergleichsweise kleinen Delikten wie Diebstahl, Störung der öffentlichen Ordnung oder Verstößen gegen die Segregationsbestimmungen angewandt.33 Zum anderen begünstigte sie den Umstand, dass Verurteilungen häufig auf der Grundlage erzwungener Geständnisse erfolgten. Wie noch zu zeigen sein wird, waren die Auswirkungen dieser Praxis besonders folgenreich, wenn Tatverdächtige im Kontext von Kapitalverbrechen zu Geständnissen gezwungen wurden. In zahlreichen Fällen führte dies dazu, dass sie zum Tode verurteilt wurden. Die offizielle Leugnung der Zur gerichtlichen Folter im Mittelalter und der Frühen Neuzeit siehe Langbein, Torture and the Law of Proof; Peters, Torture; Foucault, Überwachen und Strafen, S. 47–57; Niehaus, Das Verhör. 33 Der Soziologe Gunnar Myrdal konstatierte in seiner 1944 erschienenen Studie »An American Dilemma«, dass die Folter an afroamerikanischen Beschuldigten in vielen Polizeistationen des Südens »routinemäßig« eingesetzt wurde. Siehe Myrdal, An American Dilemma, S. 541. 32

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Folter seitens der Polizei und die diskriminierenden Strukturen der Strafjustiz im Süden erschwerten den Versuch schwarzer Angeklagter, die Stichhaltigkeit ihrer Foltervorwürfe zu untermauern und ihre drohende Verurteilung zu verhindern. Gewalt und Sichtbarkeit: Wege zu einer historischkulturwissenschaftlichen Analyse der Folter

Vor dem Hintergrund dieser Voraussetzungen rückt der theoretisch-methodische Ansatz dieser Studie das Verhältnis von Gewalt und Sichtbarkeit in den Mittelpunkt. Dabei wird Sichtbarkeit sowohl im engeren Sinne eines phänomenologischen Sichtbar-Seins der Gewalt als auch in einem erweiterten diskurstheoretischen Sinne verstanden. Während Ersteres die Frage nach dem Zeigen und Verbergen von Gewaltpraktiken in den Vordergrund stellt, fragt der erweiterte Sichtbarkeitsbegriff nach den Erscheinungschancen bestimmter Formen der Gewalt in einem diskursiven Kräftefeld. Arbeiten zur Geschichte und Soziologie der Gewalt haben gezeigt, dass mit dem öffentlichen Zurschaustellen oder dem strategischen Verbergen von Gewalt höchst unterschiedliche und zugleich überaus wirkmächtige Implikationen einhergehen.34 Besonders eindringlich kommt dies in Michel Foucaults Studie »Überwachen und Strafen« aus dem Jahr 1975 zum Ausdruck, die sich mit den Verschiebungen der Rationalität der Strafe im ausgehenden 18. Jahrhundert beschäftigt. Anhand der öffentlichen Bestrafung des Königsmörders Robert-François Damiens skizziert Foucault die vielschichtigen Bedeutungen der Zurschaustellung staatlicher Gewalt. Die öffentliche Vollstreckung körperlicher Strafen im Zeitalter des Absolutismus stelle ein »Zeremoniell« beziehungsweise ein »Fest« dar, das auf die »Wiederherstellung staatlicher Souveränität« ziele.35 Mehr noch: Foucault bezeichnet die peinliche Strafe als »Feuerwerk der Macht« sowie als »Schauspiel der am Schuldigen wütenden Siehe u. a. Foucault, Überwachen und Strafen; Martschukat, Inszeniertes Töten; Rejali, Torture and Democracy; Sofsky, Traktat über die Gewalt. 35 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 64. 34

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Macht«, wodurch eine »Terrorwirkung« hervorgerufen werden soll.36 Mit dem Verweis auf das moderne System der Todesstrafe macht Foucault auch auf das Verbergen der Gewalt und des Schmerzes als zentrale Strategien moderner Gesellschaften im Umgang mit Gewalt aufmerksam.37 Die Abschaffung der öffentlichen Marter und die Entwicklung der modernen Todesstrafe im 19. Jahrhundert gingen mit einer neuen Zurückhaltung gegenüber den Körpern der Verurteilten einher. Kennzeichnend für die modernen Todesstrafenrituale seien das »Verschwinden des Schauspiels« und die »Beseitigung des Schmerzes.«38 Wie etwa das Fortleben der Todesstrafe in den USA zeigt, muss der Prozess der Disziplinierung und der Institutionalisierung der Strafe mitnichten mit dem allmählichen Verschwinden staatlicher Tötungsgewalt einhergehen. Die spezifische Unsichtbarkeit der Gewalt und des Schmerzes im modernen Ritual der Todesstrafe erlaubt es vielmehr, die Tötung verurteilter Straftäter als einen rationalisierten, regelgeleiteten und wissenschaftlichen Akt zu rahmen, der gerade nicht im Widerspruch zum Selbstbild einer zivilisierten Gesellschaft zu stehen scheint. Insofern ist es der Ausschluss der Gewalt vor den Blicken der Öffentlichkeit sowie das Verbergen ihrer Grausamkeit, was die Kontinuität der Todesstrafe sowie anderer Formen der Gewalt innerhalb moderner Gesellschaften ermöglicht hat.39 Diese Erkenntnisse zu den Funktionsweisen des Zeigens und Verbergens von Gewalt werden in dieser Studie mit dem kulturwissenschaftlichen Konzept der Performativität verknüpft, einem methodischen Ansatz, der den Blick auf die Akteure, das Publikum und das räumliche Arrangement von Handlungen lenkt. Er fragt danach, welche Bedeutungen im und durch den Akt des Handelns erzeugt und stabilisiert beziehungsweise deEbenda, S. 65, 75. Siehe auch Martschukat/Niedermeier, Violence and Visibility. 38 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 19–24. 39 Siehe hierzu Martschukat, »Ein schneller Schnitt, ein sanfter Tod?«; ders., Inszeniertes Töten; ders., »The Sublime and the Electric Chair«; ders., Geschichte der Todesstrafe. 36 37

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stabilisiert werden.40 Vor diesem Hintergrund richtet sich meine Analyse auf die Akteure der Folter und auf die Formen ihrer Inszenierung sowie auf die Bedeutungen, die im Akt der Folter hergestellt wurden. Es wird untersucht, an welchen Orten und Räumen afroamerikanische Tatverdächtige gefoltert wurden, welche Wirkungen spezifische Inszenierungen der Folter auf die beteiligten Personen als auch auf das jeweilige Publikum der Gewalt innerhalb und außerhalb der Verhörräume hatten. Welche Hierarchien und Machtverhältnisse wurden im Akt der Folter hergestellt und legitimiert beziehungsweise infrage gestellt?41 Mit Bezug auf einen diskurstheoretisch fundierten Sichtbarkeitsbegriff fragt die Arbeit darüber hinaus, welche Formen der Gewalt innerhalb einer spezifischen kulturellen Konfiguration überhaupt sichtbar werden beziehungsweise in die Bereiche gesellschaftlicher Repräsentation und Kritik gelangen und damit potenziell delegitimiert und sanktioniert werden können. Dieses erweiterte Verständnis der Sichtbarkeit von Gewalt bezieht sich nicht nur auf die Inszenierung und das Publikum der Gewalt, sondern lenkt die Perspektive auch auf die Bedingungen, die regulieren, ob bestimmte Formen der Gewalt und ihre Opfer innerhalb einer spezifischen kulturellen Konfiguration überhaupt in den Bereich gesellschaftlicher Wahrnehmung gelangen können oder nicht. Dabei wird an ein Konzept von Sichtbarkeit angeknüpft, das in den vergangenen Jahren insbesondere im Bereich der Bild- und Medienwissenschaft, aber auch der Gender, Queer Fischer-Lichte, »Inszenierung und Theatralität«; dies., »Performance, Inszenierung, Ritual«. Zur Anwendung des performative turn in der Geschichtswissenschaft siehe Martschukat/Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und »performative turn«. 41 Angeknüpft wird dabei zum einen an die Arbeiten des Soziologen Wolfgang Sofsky, der Folter als »Instrument der sozialen Trennung« definiert hat (Sofsky, Traktat über die Gewalt, S. 87), sowie die Befunde der Historiker Peter Burschel, Götz Distelrath und Sven Lembke, die Folter als »Praktik zur Bekämpfung des Anderen« und der »politischen, sozialen und kulturellen Grenzziehung« bzw. als »Herrschaftspraktik« bezeichnet haben. Burschel/Distelrath/Lembke, »Eine historische Anthropologie der Folter«, S. 3, 10. 40

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und Dis/ability Studies sowie der Geschichtswissenschaft aufgenommen und angewandt wurde.42 Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie Sichtbarkeit als eine »kritische Kategorie kultureller und gesellschaftlicher Analyse« nutzbar machen.43 Nach Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli ist Sichtbarkeit im Anschluss an Michel Foucault ein »Produkt von Macht-Wissens-Dispositiven« beziehungsweise ein »Produkt diskursiver, institutioneller, kultureller Vorbedingungen«.44 Der Kunsthistoriker Tom Holert weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sichtbarkeit nicht gleichzusetzen sei mit Visualisierung. Vielmehr gebe es eine »Sichtbarkeit außerhalb des Blickes«. Sichtbarkeit sei das Ergebnis von »gesellschaftlichen und epistemologischen Möglichkeitsbedingungen, mit anderen Worten: Verhältnissen von Macht und Wissen«. So existiere auch eine »Sichtbarkeit ›von unten‹«, die bestimmten »Individuen und sozialen Gruppen erst eine zuvor vermisste Präsenz im gesellschaftlich-medialen Diskurs verschafft«.45

Zu bild- und medienwissenschaftlichen Arbeiten siehe u. a. Renggli, Selbstverständlichkeiten zum Ereignis machen; Holert, »Bildfähigkeiten«; ders., Regieren im Bildraum; Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Zu Gender, Queer und Dis/ability Studies siehe u. a. Dube/Leacock/Ardener (Hg.), Visibility and Power; Mason, The Spectacle of Violence; Samuels, »My Body, My Closet«. Für Anwendungen des Konzepts in der Geschichtswissenschaft siehe Möhring, »Nacktheit und Sichtbarkeit«; Stieglitz, »WortMacht, Sichtbarkeit und Ordnung«. 43 Siehe Bachmann-Medick, Cultural Turns, S. 362. Nach Bachmann-Medick verweist das kulturwissenschaftliche Konzept der Sichtbarkeit »nicht nur auf Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbstdarstellung, auf neue Sensibilitäten gegenüber gesellschaftlicher Inszenierung bis hin zu Formen der Überwachung. Sie markiert auch gesellschaftliche Herrschafts- und Ausgrenzungsstrategien, die zur Ausblendung und Unsichtbarmachung (etwa von Armut, Ungleichheit, Krankheit usw.) drängen.« Zugleich setze »jede Aufdeckung oder Sichtbarmachung solcher Ausblendungen […] einen komplexen Visualisierungszusammenhang voraus«. Ebenda, S. 362–363. 44 Maasen/Mayerhauser/Renggli, »Bild-Diskurs-Analyse«, S. 18; zum Konzept der Sichtbarkeit bei Michel Foucault siehe auch De Certeau, »Das Lachen Michel Foucaults«; Deleuze, Foucault, S. 69–99. 45 Holert, »Bildfähigkeiten«, S. 20. Siehe auch Nagel/Staeheli, »Integration and the Politics of Visibility«. Wie auch die Herausgeberinnen des 2009 erschie42

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Wendet man dieses diskurstheoretische Konzept von Sichtbarkeit auf den Gegenstand der Gewalt an, stellt sich die Frage, welche Formen der Gewalt und welche Opfer beziehungsweise Opfergruppen überhaupt in den Fokus gesellschaftlicher Artikulation und Repräsentation gelangen. Inwiefern ist die Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit bestimmter Formen der Gewalt und ihrer Opfer angebunden an spezifische Machtund Herrschaftsstrukturen? Und inwieweit regulieren diese die Möglichkeiten bestimmter Individuen, gegen diese Formen der Gewalt vorzugehen? Mit anderen Worten: Wer ist unter welchen Umständen in der Lage, spezifische Formen der Gewalt sichtbar zu machen und ihre Legitimität dadurch entweder infrage zu stellen oder zu behaupten? Diese Perspektive schließt an die jüngeren Arbeiten der Philosophin Judith Butler an, in denen sie die Frage aufwirft, welche Leben innerhalb spezifischer »Rahmen« (»frames«) beziehungsweise »Raster« als »betrauernswerte« Leben wahrgenommen werden und welche nicht.46 Ansatzpunkt ihrer Überlegungen ist die Beobachtung, dass den Opfern amerikanischer Kriegsgewalt im War on Terror eine Anerkennung als Opfer versagt blieb, während die getöteten US-Soldaten dezidiert als betrauernswert gerahmt wurden. Mit Verweis auf die Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber den »eigenen« und den »fremden« Opfern des Krieges fragt Butler: »Wer gilt als Mensch? Wessen Leben zählt als Leben? […] Was macht ein betrauernswertes Leben aus?« Sie kommt zu dem Schluss, dass die Haltungen, die Menschen zu bestimmten Formen der Gewalt einnehmen, durch kulturell codierte Wahrnehmungsmuster geprägt werden, die bedingen, welche Subjekte und welche Leben innerhalb einer spezifischen kulturellen Ordnung überhaupt nenen Sammelbandes »Missing Bodies: The Politics of Visibility« Monica J. Casper und Lisa Jean Moore mit Bezug auf die (Nicht-)Präsenz spezifischer Körper im aktuellen medialen Diskurs fragen: »Wie erklärt sich die Tatsache, dass bestimmte Körper in extremer Weise ausgestellt, ins hellste Licht gerückt und überhöht werden, während andere verborgen bleiben, vermisst werden oder verschwunden sind?« Casper/Moore »Introduction«, S. 3; Kozol, »Marginalized Bodies«. 46 Butler, Gefährdetes Leben; dies. Raster des Krieges.

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»(an)erkennbar sind« und anerkannt werden.47 Danach ist die Sichtbarkeit bestimmter Formen der Gewalt und ihrer jeweiligen Adressatinnen und Adressaten angebunden an historischspezifische Machtstrukturen und -operationen. Diese Perspektive findet sich auch in kulturwissenschaftlichen Studien zu rassistischer, sexueller und häuslicher Gewalt, die die Verknüpfungen zwischen Gewalt und marginalisierten Subjektpositionen herausgearbeitet haben.48 Sie zeigen, dass die Frage, welche Formen der Gewalt medial skandalisiert und in den Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gelangen, unmittelbar mit der sozialen Positionierung ihrer Opfer verknüpft sind. Mit anderen Worten, nicht jeder Mensch, der Gewalt erleidet, kann auf dasselbe Maß an Aufmerksamkeit für das ihm beziehungsweise ihr zugefügte Leid hoffen. Vielmehr hat der Ausschluss bestimmter Menschen aus den dominanten gesellschaftlichen Strukturen zur Folge, dass die gegen sie gerichtete Gewalt nicht oder nur in Ausnahmefällen Gegenstand öffentlicher Debatten wird.49 Wie auch Susan Sontag im Hinblick auf Kriegsfotografien betont hat: »Das Mitgefühl und die Abscheu, mit dem Bilder [der Gewalt, SN] den Betrachter erfüllen, sollten niemand davon abhalten, die Frage zu stellen, welche Bilder, wessen Grausamkeit, welche Tode nicht gezeigt werden.«50 Diese Perspektive auf die diskursiv konstituierte Sichtbarkeit von Gewalt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zeugenschaft, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielt.51

Butler, Gefährdetes Leben, S. 36 [Hervorheb. im Original]; dies., Raster des Krieges, S. 12. 48 Siehe u. a. Finzsch, »Conditions of Intolerance«; Mason, The Spectacle of Violence. 49 Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Gewalt gegen Angehörige sozial benachteiligter Gruppen, wie etwa in der Repression gegen Flüchtlinge und Asylsuchende. Siehe Bauman, Verworfenes Leben; Butler, Raster des Krieges, S. 30. 50 Sontag, Das Leiden anderer betrachten, S. 21. 51 Zur gegenwärtigen Konjunktur des Konzepts der Zeugenschaft in der Kultur- und Literaturwissenschaft siehe u. a. Assmann, »Vier Grundtypen von Zeugenschaft«; Weitin, Zeugenschaft; Schmidt/Krämer/Voges (Hg.), Politik der Zeugenschaft. 47

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Grundlage hierfür sind zentrale Positionen der Postcolonial Studies, die sich seit ihrer Gründung mit den politischen und sozialen Partizipationsmöglichkeiten und -grenzen der Subalternen auseinandersetzen, also mit den Menschen, die von den hegemonialen Strukturen kolonial geprägter Gesellschaften ausgeschlossen werden. In »Can The Subaltern Speak«, einem der Grundlagentexte der postkolonialen Theorie, fragt Gayatri Chakravorty Spivak, ob Menschen, die in kolonialen Machtstrukturen als Subalterne gelten, überhaupt »sprechen« beziehungsweise angesichts der sie umgebenden ungleichen Machtverhältnisse mit ihren Anliegen »Gehör finden« können oder nicht.52 Spivaks Überlegungen weisen darauf hin, dass Zeugenschaft eng an historisch geprägte Machtstrukturen gekoppelt ist. Dies betrifft sowohl die Frage, wer überhaupt dazu berechtigt ist, Zeugnis abzulegen, als auch die Frage, wessen Zeugnis gehört wird.53 Nicht jedem Menschen wird dasselbe Maß an Glaubwürdigkeit zuerkannt, sondern die Befähigung zu »sprechen« beziehungsweise das Vermögen, »gehört zu werden«, ist an spezifische Machtbedingungen geknüpft.54 Meine Untersuchung der Geschichte der Folter im amerikanischen Süden greift diese kritische Perspektive auf die Praxis der Zeugenschaft auf, indem sie unter anderem fragt, inwiefern die Foltervorwürfe afroamerikanischer Menschen vor Gerichten Gehör fanden beziehungsweise als legitime und beachtenswerte Vorwürfe wahrgenommen wurden. Wessen Beweise und wessen Wahrheitsansprüche wurden als glaubwürdig anerkannt beziehungsweise in Abrede gestellt? Oder allgemeiner gefragt, inwiefern regulierten Kategorisierungen und Zuschreibungen wie »Rasse«, Klasse und Geschlecht die Möglichkeiten, die erfahrene Gewalt sichtbar zu machen, sie zu skandalisieren, zu delegitimieren oder gar rechtlich zu sanktionieren? Spivak, »Can the Subaltern Speak?«; Nickenig, »Das wilde Denken«. Wie die Philosophin Sybille Schmidt und der Historiker Ramon Voges gezeigt haben, ist die »abendländische Rechtsgeschichte […] voller Beispiele für den Ausschluss bestimmter Personengruppen von dem Recht, Zeugnis abzulegen: Frauen, Kinder, Nicht-Christen, Behinderte und Geisteskranke, infame Menschen«. Siehe Schmidt/Voges, »Einleitung«, S. 12. 54 Steyerl, »Die Gegenwart der Subalternen«, S. 12. 52 53

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Darüber hinaus bezieht meine Untersuchung medientheoretische Überlegungen zur Frage der Evidenz und Evidenzstiftung ein, insbesondere medienwissenschaftliche und medienhistorische Studien, die sich mit Formen der sozialen, wissenschaftlichen und juristischen Evidenzproduktion beschäftigt haben.55 Nach diesen Studien ist die Herstellung von Evidenz eng mit Praktiken der Sichtbarmachung verknüpft. Schließlich stellen Medien und Techniken der Visualisierung sowohl im Bereich der Wissenschaften als auch der Justiz ein zentrales Mittel dar, um Ergebnisse zu belegen und Beweise zu untermauern. Darüber hinaus heben diese Arbeiten hervor, dass Evidenzen »nicht so zeitlos, festgefügt und unbegrenzt haltbar [sind], wie es zunächst den Anschein hat«.56 Evidenz, so der britische Historiker John Tagg, müsse als historisch kontingent gedacht und in ihrer Anbindung an gesellschaftliche Machtverhältnisse untersucht werden: »Bereits die Vorstellung davon, was Evidenz ausmacht, hat eine Geschichte. Es ist eine Geschichte, die bestimmte Techniken und Prozeduren impliziert, konkrete Institutionen und spezifische soziale Verhältnisse, sprich Machtverhältnisse.«57 Die Frage der Evidenz und Evidenzproduktion ist für die vorliegende Studie von besonderer Relevanz, lenkt sie doch den Fokus auf die Frage, auf welche Weise Bürgerrechtsorganisationen und Bundesbehörden in der Zeit zwischen 1930 und 1955 versuchten, Folterdelikte zu beweisen. Welche medialen Mittel und Strategien wurden angewandt, um die verborgene und weithin geleugnete Praxis der Folter an schwarzen Tatverdächtigen und Häftlingen zu dokumentieren beziehungsweise um den von ihnen geäußerten Vorwürfen Evidenz zu verleihen, und: Welche Implikationen waren damit verbunden? Meine Aufmerksamkeit gilt dabei unter anderem dem Medium der Fotografie, das von unterschiedlichen Akteuren und Institutionen genutzt wurde, um Foltervorwürfe zu dokumenVismann, Medien der Rechtsprechung; Cuntz u. a. (Hg.), Die Listen der Evidenz; Nohr (Hg.), Evidenz; Voßkamp/Weingart (Hg.), Sichtbares und Sagbares; Harrasser/Lethen/Timm (Hg.), Sehnsucht nach Evidenz. 56 Cuntz u. a. (Hg.), »Die Listen der Evidenz«, S. 9. 57 Tagg, The Burden of Representation, S. 3. 55

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tieren, zu skandalisieren oder aber auch infrage zu stellen. Welche Erwartungen wurden an die Anfertigung und öffentliche Zirkulation dieser Fotografien geknüpft, und welche Reaktionen riefen sie hervor? Welche Rolle spielten sie bei den Folterermittlungen des FBI, und wie wurden sie in Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingesetzt? Diesen methodisch-theoretischen Überlegungen folgend werden in den einzelnen Kapiteln dieses Buches sowohl die Praxis der Polizeifolter als auch die unterschiedlichen Formen ihrer Sichtbarmachung untersucht. Dabei wird die Forderung der neueren historischen Gewaltforschung aufgegriffen, sich dem historischen Gegenstand der Gewalt in Form von »dichten Beschreibungen« zu nähern, um dadurch dem Wie der Gewalt, das heißt ihrer Praxis, Erfahrung und Wahrnehmung, auf die Spur zu kommen. Im Zentrum der einzelnen Kapitel steht der Wechsel zwischen der »Nahaufnahme« einzelner Fälle und einer übergeordneten Perspektive, die die Kontinuitäten und Veränderungen in der Anwendung der Folter und ihrer Bekämpfung in den Blick nimmt.58 Aufbau der Arbeit

Das erste Kapitel des Buches fragt nach den Zusammenhängen zwischen der Ausübung polizeilicher Folterpraktiken und dem zahlenmäßigen Rückgang der Lynchmorde an African Americans im Süden der 1930er und 1940er Jahre. Wie anhand eines Falls aus Mississippi gezeigt wird, stand die Praxis der Polizeifolter in engem Zusammenhang mit dem Abebben der Lynchgewalt. Sie kanalisierte das anhaltende Vergeltungsbedürfnis der weißen Bevölkerung gegen schwarze Tatverdächtige, die 58

Siehe Geertz, Dichte Beschreibung; Lindenberger/Lüdtke, »Physische Gewalt«, S. 28–30. Zu einer theoretischen Reflexion der Ansätze und des Potenzials der neueren historischen Gewaltforschung siehe Lorenz, »Physische Gewalt – ewig gleich?«. Zur neueren soziologischen Gewaltforschung und deren Hinwendung zur Frage nach dem Wie oder Was der Gewalt siehe Imbusch, »Gewalt«, sowie die Beiträge in Trotha (Hg.), Soziologie der Gewalt. Zum Wechsel zwischen Nah- und Fernaufnahme als methodischem Ansatz historischer Analysen siehe Pomata, »Close-ups and Long-shots«.

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schwerwiegender Verbrechen an weißen Personen beschuldigt wurden. Zudem werden am Beispiel des Falls die situative Dynamik und die Inszenierung der Polizeifolter an afroamerikanischen Tatverdächtigen herausgearbeitet. Das zweite Kapitel wendet sich dem Umgang mit Foltervorwürfen in Strafverfahren zu. Im Zentrum steht die Frage nach den Formen und Grenzen afroamerikanischer Zeugenschaft vor Gerichten in den Südstaaten: Mit welchen sprachlichen und inszenatorischen Mitteln versuchten afroamerikanische Angeklagte, den Vorwurf der Folter zu untermauern? Welche Reaktionen riefen ihre Aussagen vor Gericht hervor, und welchen Einfluss hatten sie auf die Urteilsfindung? Im Anschluss daran beleuchtet das dritte Kapitel die Mitte der 1930er Jahre einsetzende Kampagne der NAACP gegen die Praxis der Folter und Geständniserzwingung im Süden der USA. Anhand mehrerer Fallbeispiele werden die Implikationen der Kampagne für den afroamerikanischen Bürgerrechtskampf in den Südstaaten herausgearbeitet: Welche Auswirkungen hatte der NAACP-Rechtskampf auf die Prozeduren der Justiz? Inwiefern konnte die Dokumentation einzelner Folterfälle durch lokale NAACP-Aktivistinnen und -Aktivisten die Herrschaftsstrukturen vor Ort herausfordern? Und: Welche Mittel setzte die Organisation ein, um das Phänomen der Polizeifolter im Süden der USA in den Blickpunkt der nationalen amerikanischen Öffentlichkeit zu rücken? Das vierte Kapitel nimmt die Skandalisierung der Folter in der damaligen Presseberichterstattung in den Blick. Im Zentrum steht der Fall Quinter South, der sich zu Beginn der 1940er Jahre in Atlanta, Georgia, zutrug. Hier wird insbesondere die sprachliche und visuelle Repräsentation des Falls sowohl in den lokalen weißen und schwarzen Zeitungen als auch in der überregionalen schwarzen Presse untersucht. Welche Auswirkungen hatte die mediale Skandalisierung auf die alltägliche Praxis polizeilicher Foltergewalt gegen African Americans? Schließlich wendet sich das fünfte und letzte Kapitel den ab Beginn der 1940er Jahre einsetzenden Ermittlungen des US-Justizministeriums und des FBI in polizeilichen Folterfällen an schwarzen Bürgerinnen und Bürgern im Süden der USA zu. An30

hand mehrerer Fallbeispiele aus den 1940er und frühen 1950er Jahren wird der Frage nachgegangen, welche Implikationen die vonseiten des Justizministeriums initiierten Ermittlungen hatten: Welche Sichtbarkeit der Folter und ihrer Opfer wurde durch die Ermittlungen des FBI erzeugt? Welche Reaktionen riefen die anberaumten Bürgerrechtsverfahren gegen Polizisten und Sheriffs aufseiten der weißen Bevölkerung hervor? Und welchen Einfluss hatten sie auf die Lage der afroamerikanischen Bevölkerung?

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Polizeifolter und »legale Lynchmorde« im Süden der USA

Im März 1931 wurden neun afroamerikanische Jugendliche im Alter zwischen 13 und 19 Jahren in Paint Rock, Alabama, festgenommen. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung zwischen den jungen Männern und einer Gruppe weißer Jugendlicher auf einem Güterzug, in deren Folge mehrere der weißen Jugendlichen von dem langsam fahrenden Zug geworfen wurden. Unmittelbar darauf wurde die Polizeibehörde in Paint Rock per Telegraf über den Vorfall informiert und angewiesen, die mutmaßlichen Angreifer zu verhaften. Nachdem der Zug in Paint Rock zum Stehen gekommen war, wurden die Jugendlichen von einem Trupp weißer Bürger und Polizisten festgenommen und ins Gefängnis von Scottsboro gebracht. Kurze Zeit später erhoben zwei weiße Frauen, die ebenfalls in dem Zug gereist waren, den Vorwurf, von den afroamerikanischen Jugendlichen vergewaltigt worden zu sein. Sofort machten vor Ort Gerüchte über die Vergewaltigungsvorwürfe die Runde, woraufhin sich mehrere Hundert weiße Männer vor dem Gefängnis versammelten. Laut Augenzeugenberichten drohten sie den Polizeikräften damit, das Gefängnistor aufzubrechen, sollten ihnen die Gefangenen nicht ausgeliefert werden. Aus Sorge vor einem bevorstehenden Lynchmord forderte der Sheriff von Jackson County per Telefon Unterstützung durch die Nationalgarde an. Kurz darauf sicherten die Behörden in Montgomery den angeforderten militärischen Beistand zu und sandten eine Abteilung der Nationalgarde nach Scottsboro. Erst mehrere Stunden später zerstreute sich der Mob vor dem Gefängnis.1 Bereits zwölf Tage später, am 6. April 1931, begann vor dem Gericht in Scottsboro der Prozess gegen die neun Beschuldigten. Nach übereinstimmenden Berichten reisten etwa 10000 Men1

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Goodman, Stories of Scottsboro, S. 1–23.

schen zum Verhandlungsort, um dem Prozessbeginn beizuwohnen. Die Angeklagten wurden von 118 Nationalgardisten vom Gefängnis zum Gericht eskortiert. Anschließend reihten sich die Soldaten vor dem Gerichtsgebäude auf, um die Menschenmenge von einem gewaltsamen Eindringen abzuhalten.2 Trotz der zweifelhaften Vorwürfe der beiden vermeintlichen Vergewaltigungsopfer – in einem späteren Verfahren erklärte eine der beiden Frauen, dass sie die Geschichte erfunden hätten – wurden in den darauffolgenden Gerichtsverhandlungen acht der neun Angeklagten schuldig gesprochen und zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Nur der jüngste, der 13-jährige Roy Wright, erhielt eine lebenslängliche Haftstrafe. Den Gepflogenheiten der Südstaaten entsprechend wurde das Urteil von einer Jury gefällt, die sich aus zwölf weißen Männern zusammensetzte. Erst am Tag des Prozessbeginns war es den Angeklagten erlaubt worden, Kontakt mit ihren Pflichtverteidigern aufzunehmen. Die Urteilsverkündung wurde vom anwesenden Publikum im Gerichtssaal mit Applaus und von den Tausenden Wartenden vor dem Gerichtsgebäude unter frenetischem Jubel aufgenommen.3 Der Fall Scottsboro, der sich in den 1930er Jahren zum größten und längsten Gerichtsprozess in der US-Geschichte entwickeln sollte, ist für die vorliegende Arbeit aus mehreren Gründen bedeutsam. Zum einen weist er darauf hin, dass die rassistischen Strukturen der Justiz des Südens in dieser Zeit verstärkt in den Fokus der nationalen und internationalen Öffentlichkeit gerieten. Nach dem Prozess kam es sowohl in den USA als auch in zahlreichen Ländern Europas, in der Karibik, in Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt zu massiven Protesten gegen die Verurteilung der Scottsboro Boys. Einer der maßgeblichen Gründe dafür war, dass sich neben der NAACP auch die Communist Party USA (CPUSA) gemeinsam mit der kommunistischen Rechtshilfeorganisation International Labor Defense (ILD) an den nach dem Urteil eingeleiteten Berufungs-

2 3

Ebenda. Ebenda.

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verfahren beteiligte und weltweit zu Solidaritätskundgebungen für die Scottsboro Boys aufrief.4 Zum anderen wird an dem Fall die verstärkte Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Süden der 1930er Jahre deutlich. Anders als es noch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wahrscheinlich der Fall gewesen wäre, wurden die neun Beschuldigten nicht Opfer eines Lynchmobs. Die lokalen Polizeibehörden trafen aktive Maßnahmen dagegen, und die lokale Justiz übernahm die Sanktionierung der Tat, indem sie die Beschuldigten in einem kurz nach der Festnahme anberaumten und zügig durchgeführten Verfahren verurteilte. Der Verlauf des Falls Scottsboro verweist damit exemplarisch auf die Ablösung der Lynchgewalt durch die Institutionen der Strafjustiz. Bereits damalige Beobachter brachten diese Entwicklung auf den Punkt, indem sie die Verfahren gegen die Scottsboro Boys als »legale Lynchmorde« (»legal lynchings«) bezeichneten. Während der Begriff zunächst von der ILD eingesetzt wurde, um öffentlichkeitswirksam auf die rassistischen Prozeduren im Fall Scottsboro hinzuweisen, wurde er kurze Zeit später auch von Bürgerrechtsorganisationen und Zeitungen aufgegriffen, um die diskriminierende Behandlung afroamerikanischer Angeklagter durch die Strafjustiz im Süden der USA zu brandmarken. Der Begriff sollte darauf aufmerksam machen, dass die dortigen Gerichte die illegale Sanktionsgewalt des Lynchmobs unter dem Deckmantel der Justiz fortführten.5 Zum Dritten ist der Fall Scottsboro ein Beispiel für die Kontinuitäten rassistischer Gewalt innerhalb der Justiz der Südstaaten. Clarence Norris, einer der neun Scottsboro Boys, erklärte Zu den nationalen und internationalen Implikationen des Scottsboro-Falls siehe Pennybacker, From Scottsboro to Munich; Rosenhaft/Miller/Pennybacker, »Mother Ada Wright and the International Campaign to Free the Scottsboro Boys«. Zur Resonanz des Falles in der US-amerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts siehe Miller, Remembering Scottsboro. Während der U. S. Supreme Court in den darauffolgenden Jahren die Todesurteile über die Scottsboro Boys in zwei Entscheidungen zurückwies, wurden die neun Angeklagten in Folgeprozessen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Erst in den 1950er Jahren kam der Letzte von ihnen aus der Haft frei. 5 Miller, Remembering Scottsboro, S. 7–51. 4

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im Rückblick auf die Prozesse, dass sie nach ihrer Festnahme mehrfach von Polizeibeamten misshandelt worden seien, um sie vor Prozessbeginn einzuschüchtern: »Wir wurden […] mit Handschellen gefesselt und geschlagen. Wir konnten nichts dagegen tun. Sie schlugen uns mit Gewehrkolben und allem, was sie in die Finger kriegen konnten, während wir mit Handschellen aneinandergekettet waren.«6 Der bereits erwähnte Roy Wright berichtete in einem zwei Jahre nach den Prozessen in Alabama veröffentlichten Interview, dass er während des Verfahrens gewaltsam dazu gezwungen worden sei, gegen seine acht Mitangeklagten auszusagen: »Das Verfahren wurde für kurze Zeit unterbrochen, und der Hilfssheriff forderte mich mit einer Handbewegung auf, in einen anderen Raum zu kommen – den Raum hinter dem Platz, an dem der Richter saß –, und ich ging dort hin. Sie peitschten mich aus, und es schien, als wollten sie mich umbringen. Die ganze Zeit über sagten sie: ›Wirst du jetzt sprechen?‹, und schließlich schien es mir, als könnte ich es nicht länger aushalten, und ich sagte Ja.«7 In den 1930er und 1940er Jahren griffen Polizeibeamte im Süden der USA gehäuft zu physischen und psychischen Zwangsmitteln, um afroamerikanische Tatverdächtige zu Aussagen und Tatgeständnissen zu zwingen und ihre Verurteilung in den nachfolgenden Verfahren sicherzustellen. Wie im Folgenden gezeigt wird, stellte die Polizeifolter eine Kehrseite des schrittweisen Rückgangs der Lynchgewalt im Süden der USA dar.

Gewalt und die Kultur der Segregation (1865–1930) Zahlreiche historische Studien haben herausgestellt, dass die Geschichte des US-amerikanischen Südens aufs Engste mit dem Phänomen der Gewalt verbunden ist. Dies gilt sowohl für die 6 7

Kinshasa/Norris, The Man from Scottsboro, S. 41. »Negro Lad Tells Scottsboro Story«, The New York Times, 10. 3. 1933, S. 32.

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Zeit des Herrschaftssystems der Sklaverei als auch für die Zeit nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865).8 Die Niederlage der Südstaaten im Bürgerkrieg hatte die Abschaffung der Sklaverei zur Folge. Mit dem Ende des Krieges erhielten die ehemaligen Sklavinnen und Sklaven die Bürgerrechte (1868). Zudem wurde den afroamerikanischen Männern im Jahr 1870 das Wahlrecht zugesprochen. Die Stationierung von Truppen der Unionsarmee in den Südstaaten sollte die Durchsetzung dieser Rechte garantieren. Während der Reconstruction, der Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg, strebte die schwarze Bevölkerung im Süden der USA verstärkt nach Bildung, politischer Verantwortung und wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Ihre Hoffnungen auf eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben sollten sich jedoch nicht erfüllen. Im Gegenteil: Mit dem Abzug der Unionstruppen im Jahr 1877, zwölf Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, fand die kurze Phase der gesellschaftlichen Partizipation der schwarzen Bevölkerung ein jähes Ende. Das Scheitern der Reconstruction führte dazu, dass die Verteidiger der traditionellen Ordnung des Old South sowie radikale Verfechter der »weißen Vorherrschaft« an die Macht gelangten, die ökonomische, soziale und politische Kontrolle übernahmen und in den darauffolgenden Jahrzehnten die erneute Entrechtung der afroamerikanischen Bevölkerung vorantrieben.9 Mithilfe der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verabschiedeten Jim Crow Laws10 wurden »rassisch« getrennte Bereiche in Amtsgebäuden, Bibliotheken, Parks, Restaurants, Bahnstationen und öffentlichen Transportmitteln etabliert. Diese Siehe u. a. Litwack, Trouble in Mind; Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 191–227. 9 Zur Phase der Reconstruction siehe grundlegend Foner, Reconstruction. 10 Der Begriff »Jim Crow« geht zurück auf die Bezeichnung eines stereotypen »schwarzen« Charakters in den sogenannten Minstrel-Shows. Wie auch die Bezeichnungen »Sambo« oder »Coon« diente der Begriff der Verunglimpfung afroamerikanischer Menschen sowie der Markierung ihrer angeblich inferioren Stellung gegenüber der euroamerikanischen Bevölkerung des Südens. Zu den zeitgenössischen Konnotationen und ambivalenten Aneignungen des Begriffs siehe Lhamon, »Introduction«. 8

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Segregation der öffentlichen Lebensbereiche machte die untergeordnete gesellschaftliche Position der African Americans im alltäglichen Leben sichtbar und erfahrbar, wie zum Beispiel der Historiker Robin D. G. Kelley dargelegt hat: »Jim-Crow-Schilder11, verdreckte und kaputte öffentliche Toiletten, weiße Polizeibeamte, rassistische Schimpfnamen, im Mittelgang von halb leeren Bussen stehende dunkle Körper waren tägliche visuelle und auditive Erinnerungen an den semi-kolonialen Status, den schwarze Menschen im JimCrow-Süden einnahmen.«12 Zudem institutionalisierten Segregationsbestimmungen ein nach »rassischen« Kriterien getrenntes und höchst ungleich ausgestattetes Schul- und Universitätssystem, das die ökonomischen, sozialen und politischen Aufstiegsmöglichkeiten von Schwarzen massiv beschränkte. Die Verabschiedung diskriminierender Wahlgesetze führte dazu, dass den Männern das Wahlrecht Schritt für Schritt wieder entzogen wurde, und der mit zahlreichen Verordnungen durchgesetzte Ausschluss schwarzer Bürger von Wahlen, Jurydiensten und politischen Ämtern bewirkte, dass diese aus zentralen Bereichen des öffentlich-politischen Lebens herausgedrängt wurden. Im Jahr 1896 bestätigte das Urteil des U. S. Supreme Court im Fall Plessy vs. Ferguson höchstrichterlich die Segregationsgesetze in den Südstaaten.13 Infolge dieser Entwicklungen entstand im amerikanischen Süden des späten 19. Jahrhunderts eine zutiefst rassistisch strukturierte und arbiträre Gesellschaftsordnung. Das Verhalten der schwarzen Bevölkerung wurde extrem reglementiert und das Überschreiten rechtlicher Verordnungen oder »rassisch« codierter Verhaltensregeln mit drastischen Mitteln sanktioniert. Nach Gemeint sind damit Schilder mit den Aufschriften »Für Weiße« und »Für Farbige« an Toiletten, Wasserhähnen, Bushaltestellen etc., die eine nach Hautfarbe getrennte Nutzung dieser Einrichtungen vorschrieben. 12 Kelley, Race Rebels, S. 56. 13 Siehe Finkelman, »Racial Desgregation (U.S.)«. Das Urteil im Fall Plessy vs. Ferguson legitimierte bis Mitte des 20. Jahrhunderts das System der Rassentrennung im Süden der USA. Es etablierte das Prinzip »seperate but equal«, das die Einrichtung getrennter öffentlicher Bereiche für Schwarze und Weiße für zulässig erklärte. 11

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der Historikerin Grace E. Hale führte dies zur Herausbildung einer »Kultur der Segregation«, in der »rassische« Differenz beständig eingefordert und behauptet wurde.14 Gleichwohl wurde durch das allmähliche Entstehen einer schwarzen Mittelschicht und die anhaltenden Forderungen der African Americans nach Gleichberechtigung der Anspruch der weißen Vorherrschaft beständig herausgefordert und infrage gestellt. Eine der Konsequenzen war, dass die weiße Südstaatenbevölkerung ab dem späten 19. Jahrhundert verstärkt zum Mittel der Gewalt griff, um Ansprüche auf weiße Über- und schwarze Unterordnung zu untermauern. Nach dem Historiker Fitzhugh W. Brundage war die beanspruchte Vormachtstellung jedoch ein kontinuierlich umkämpftes Terrain, auf dem African Americans aktiven Widerstand gegen ihre Entrechtung leisteten. Rassistische Gewaltpraktiken aufseiten der weißen Bevölkerung waren von konstitutiver Bedeutung für diesen tagtäglichen Kampf: Wie keine andere Form der Entrechtung und Unterdrückung konnte die absichtliche Verletzung der körperlichen Integrität schwarzer Bürger und Bürgerinnen den unbedingten Anspruch auf weiße Überlegenheit und schwarze Unterlegenheit erfahrbar machen und symbolisch zum Ausdruck bringen.15 Bereits während der Reconstruction waren es insbesondere die Vertreter des Ku-Klux-Klan, die das Mittel der Gewalt einsetzten, um die schwarze Bevölkerung von der Ausübung ihrer neu erlangten politischen Rechte abzuhalten.16 Zudem wurde das Gesellschaftssystem des Jim-Crow-Südens maßgeblich durch das Justizsystem und die Polizei gestützt. Die Gerichte verhängten drakonische Strafen gegen mutmaßliche afroamerikanische Straftäter, um die Einhaltung der rassistischen Ordnungsstrukturen durchzusetzen. Sheriffs und städtische Polizeibeamte leisteten hierfür ihren Beitrag, indem sie Verstöße gegen Segregationsbestimmungen und gegen die impliziten »rassischen« HierarHale, Making Whiteness, S. 284. Brundage, »The Roar on the Other Side of Silence«; Martschukat, »Sport, Rassismus und die (In)Stabilität von Grenzziehungen«. 16 Zur Gewalt des Ku-Klux-Klan siehe u. a. Foner, Reconstruction, S. 425–443; Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 327–329. 14 15

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chien gewaltsam sanktionierten.17 In der 1944 veröffentlichten Studie »American Dilemma« beschreibt der Soziologe Gunnar Myrdal die Rolle der Polizeibeamten des Südens wie folgt: »[Der Polizist] steht nicht nur für die öffentliche Ordnung, die in formalen Gesetzen und Bestimmungen niedergelegt ist, sondern auch für die ›weiße Vorherrschaft‹ [›white supremacy‹] und das gesamte Set sozialer Gebräuche, die mit diesem Konzept verbunden sind. […] Es wird verlangt, dass selbst kleine Verstöße gegen die Kastenetikette bestraft werden, und der Polizist ist beauftragt, diese Funktion zu übernehmen.«18 Als staatliche Repräsentanten des weißen Vormachtanspruchs nahmen Sheriffs, Hilfssheriffs und städtische Polizisten eine herausgehobene Position innerhalb der Gesellschaftsordnung des Südens ein. Ihr Handeln zielte darauf ab, den herrschenden Status quo zu bewahren und die privilegierte ökonomische, soziale und politische Position weißer Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Polizeigewalt gegen African Americans spielte hierbei eine zentrale Rolle. Sie diente dazu, die schwarze Bevölkerung einzuschüchtern und »unangepasste« oder mutmaßlich straffällige Schwarze auf den ihnen zugewiesenen »Platz« innerhalb der segregierten Ordnung zu verweisen.19 Der afroamerikanische Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois beschrieb 1940 diese Herrschaftspraxis folgendermaßen: »Die Bevölkerung in diesen Bezirken wird üblicherweise nicht durch die Polizei geschützt – sondern vielmehr schikaniert und tyrannisiert. Niemand, der diese Situation nicht kennt, kann nachvollziehen, welche Tyrannei ein einfacher Polizist in einem farbigen Viertel ausüben kann.«20

Niedermeier, »Police Brutality«. Das Polizeisystem des Südens nach dem Ende des Bürgerkriegs führte in vielfacher Hinsicht die Tradition der Sklavenpatrouillen fort, die während der Sklaverei eingesetzt worden waren, um drohende Sklavenaufstände zu verhindern und flüchtige Sklavinnen und Sklaven zu verfolgen. Siehe u. a. Hadden, Slave Patrols. 18 Myrdal, An American Dilemma, S. 535. 19 Ebenda, S. 541. 20 Du Bois, Dusk of Dawn, S. 182. 17

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Gewalt gegen African Americans war jedoch nicht nur fester Bestandteil der polizeilichen Praxis beim Aufrechterhalten der rassistischen Ordnung.21 Auch in der sozialen Umgebung stellte physische Gewalt ein weitverbreitetes und alltägliches Mittel der Konfliktaustragung dar, zum Beispiel innerhalb familiärer Beziehungen, aber auch darüber hinaus, etwa als Mittel zur informellen Bestrafung und Disziplinierungen von Untergebenen und Schulkindern. Die polizeiliche Gewalt gegen schwarze Häftlinge und Tatverdächtige knüpfte sowohl an diese Kultur privater Gewalt als auch an die Gewalttraditionen der Sklaverei und die Tradition der Selbstjustiz im Süden der USA an.22 Zudem war die Praxis polizeilicher Gewalt an räumliche und sozioökonomische Faktoren gekoppelt. Wie der Soziologe Arthur F. Raper in seiner unveröffentlichten Studie zum Polizeisystem in den Südstaaten befand, wurden African Americans am häufigsten in den Städten Opfer tödlicher Polizeigewalt. Eine wesentliche Ursache hierfür lag darin, dass in größeren Städten wie Birmingham, Jacksonville und Atlanta aufgrund der steten Zuwanderung weißer und schwarzer Arbeitskräfte und der dadurch entstehenden Konkurrenzsituation ein hohes Konfliktpotenzial existierte. Polizeidepartments reagierten darauf mit einem umfassenden System zur Kontrolle der afroamerikanischen Bevölkerung, zu dem Ausgangssperren, hohe Inhaftierungsraten und ein hohes Maß physischer Gewalt gehörten.23 In den ländlichen Gegenden war die Machtposition der weißen gegenüber der schwarzen Bevölkerung weitaus gefestigter, obwohl Schwarze trotz der ab 1930 verstärkt einsetzenden MiSiehe u. a. Bolton Jr., »Police«; Dulaney, Black Police in America, S. 1–7; Kelley, »Dispatches from the Occupied Zones of North America«, S. 25–32. 22 Siehe Myrdal, An American Dilemma, S. 536; Dollard, Caste and Class, S. 315–363. Zur Tradition des Vigilantismus in den USA siehe Brown, Strain of Violence. Zu den Verknüpfungen zwischen der Tradition der Volksjustiz und dem Phänomen der Lynchgewalt in den verschiedenen Landesteilen der USA siehe Pfeifer, Rough Justice. 23 Siehe Arthur Franklin Raper, »Race and Class Pressures«, Atlanta: 1940, NYPL, SC, CMRM, Microfilm No. F 13, 242, Reels 10, 11, S. 3–63; Myrdal, An American Dilemma, S. 535–546.

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grationsbewegung in den Norden gerade in den Distrikten des Black Belt24 häufig die Bevölkerungsmehrheit stellten. Aufgrund ihrer Legitimierung durch die lokale weiße Wählerschaft besaßen Sheriffs und die ihnen unterstellten Hilfssheriffs hier eine nahezu uneingeschränkte Herrschaftsposition, die sich unter anderem darin äußerte, dass afroamerikanische Bürgerinnen und Bürger überproportional häufig auch bei geringfügigen Anlässen Opfer polizeilicher Gewalt wurden.25 Noch stärker wurde das System des Jim-Crow-Südens jedoch durch das Phänomen der Lynchgewalt geprägt, die zwischen 1880 und 1920 ihren Höhepunkt erreichte. Die Ermordung von Menschen durch Lynchmobs war zwar bis ins frühe 20. Jahrhundert in allen Landesteilen der USA verbreitet, doch kamen auf diese Weise zwischen 1882 und 1946 allein in den amerikanischen Südstaaten etwa 3900 Menschen ums Leben. Damit fanden mehr als 80 Prozent der circa 4700 in den USA verübten Lynchmorde im Süden statt. Auch wenn nicht nur African Americans, sondern Angehörige verschiedener sozialer und ethnischer Gruppierungen – darunter auch Weiße – Opfer von Lynchmorden wurden, handelte es sich doch in allererster Linie um eine Erscheinung von Rassismus gegenüber Schwarzen. In über 80 Prozent aller im Süden dokumentierten Lynchfälle waren die Opfer African Americans, die meisten davon Männer, zum Teil wurden aber auch Frauen gelyncht. Ihren höchsten Stand erreichten die Zahlen in den 1890er Jahren, als jähr-

Der Begriff Black Belt (Schwarzer Gürtel) bezeichnet eine Region im Süden der USA, die vom Südwesten Tennessees über Mississippi und Alabama bis zu Alabamas Grenze nach Georgia reicht. Laut Booker T. Washington bezog sich der Begriff auf die dunkle Farbe des Bodens in einem Teil des Südens, der vorrangig von Sklavinnen und Sklaven bearbeitet wurde. Insbesondere nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wandelte sich die Bedeutung des Begriffs, mit dem nun vorrangig jene Region im Süden der USA bezeichnet wurde, in der die schwarze Bevölkerung die Bevölkerungsmehrheit stellte. Washington, Up from Slavery, S. 108. 25 Siehe Arthur Franklin Raper, »Race and Class Pressures«, Atlanta: 1940, NYPL, SC, CMRM , Microfilm No. F 13, 242, Reels 10, 11, S. 3–63; Myrdal, An American Dilemma, S. 535–546; Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 606–607. 24

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lich durchschnittlich 104 Schwarze von Lynchmobs getötet wurden.26 Diese Lynchings fanden häufig an öffentlichen Orten, zum Beispiel auf Marktplätzen statt, wobei sich Angehörige der lokalen weißen Bevölkerung aktiv an der Verstümmelung und Ermordung der Opfer beteiligten. Oft folgten sie einer sorgfältig orchestrierten Inszenierung durch den weißen Mob und wurden vor Hunderten bis Tausenden von Zuschauerinnen und Zuschauern durchgeführt. Hale fasst den Ablauf dieser »Lynchspektakel« folgendermaßen zusammen: »Das sorgsam choreografierte Spektakel begann mit einer Jagd oder einem Angriff auf ein Gefängnis, unmittelbar gefolgt von der öffentlichen Identifikation des verschleppten African American durch das mutmaßliche weiße Opfer oder dessen Verwandte, der Ankündigung der bevorstehenden Ereignisse, um die Menge anzulocken, und der Auswahl und Vorbereitung des Schauplatzes. Das Hauptereignis begann mit einer Phase des Verstümmelns – häufig mit der Entmannung der Opfer – und Folterns, um Geständnisse zu erzwingen und die Zuschauerschar zu unterhalten, und gipfelte im langsamen Verbrennen, Erhängen und/oder Erschießen des Opfers, um dessen Tod zu besiegeln. Das Finale bestand im fieberhaften Sammeln von Souvenirs und der öffentlichen Ausstellung der Leiche und der gesammelten Körperteile.«27 Das wesentliche Merkmal dieser Lynchspektakel bestand also darin, dass die Ausübung physischer Gewalt gegen die schwar-

Zu den Zahlen siehe Smith/Horton, Historical Statistics of Black America, S. 495. Die dort verwendeten Zahlen basieren im Wesentlichen auf der Zählung der Chicago Tribune, die ab 1882 Lynchmorde in ihre jährliche Statistik der Verbrechen in den USA aufnahm. Ab 1908 wurden diese durch die Zählung des Tuskegee Institute in Alabama ergänzt. Beide Institutionen stützten sich weitgehend auf Zeitungsartikel über Lynchakte. Die problematischen Implikationen dieser Art der Zählung diskutiert W. Fitzhugh Brundage, der in seiner Untersuchung zu Georgia und Virginia auf eine Reihe von Lynchings gestoßen ist, die bislang nicht erfasst worden sind. Siehe Brundage, Lynching in the New South, S. 291–296. 27 Hale, Making Whiteness, S. 203. 26

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zen Opfer offen und weithin sichtbar zur Schau gestellt wurde.28 Es entfaltete sich ein »Spektakel der Gewalt«, an dem sich Angehörige aller sozialen Schichten beteiligten. Der Einsatz moderner Techniken und Medien, wie etwa die Anfertigung und der Verkauf von Lynchfotografien oder die Ankündigung von Lynchings in Radiostationen, deutet darauf hin, dass das scheinbar archaische Ritual des Lynchens eng verwoben war mit der entstehenden Konsumgesellschaft im Süden der USA.29 Die Lynchakte dienten dem Zweck, die angebliche »rassische« Differenz zwischen der weißen und afroamerikanischen Bevölkerung im öffentlich sichtbaren Akt der Gewalt immer wieder neu zu bestätigen und performativ hervorzubringen. Im Ritual des Lynchens kam die Vorstellung einer übermächtigen Allianz der weißen Bevölkerung des Südens zum Ausdruck, die sich gegen den angeblichen schwarzen Straftäter vereinigte, um ihre beanspruchte Vormachtstellung gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung durchzusetzen.30 Es ging darum, die als Naturalpächter (»sharecropper«) tätige, landlose schwarze Landbevölkerung zu disziplinieren, die in zahlreichen Staaten des Deep South die Bevölkerungsmehrheit stellte. Darüber hinaus hatten die Lynchakte die Funktion, die vielschichtigen Angstbilder und Stereotype zu kanalisieren, die sich nach der Abschaffung des Herrschafts- und Kontrollsystems der Sklaverei unter der weißen Bevölkerung des Südens verbreitet hatten.31 Die Reinheit der »weißen Rasse« galt es mit allen Mitteln zu bewahren und zu schützen. Eine besondere Nicht jedes Lynching in den Südstaaten folgte diesem elaborierten rituellen Ablauf. Häufiger als Lynchmorde durch einen größeren Mob waren Lynchakte, die von kleineren Personengruppen verübt wurden. Siehe Brundage, Lynching in the New South, S. 17–48. 29 Siehe Hall, »Frauen, Vergewaltigung und Rassengewalt«, S. 331. Zum Begriff des »Lynchspektakels« (»spectacle lynching«) und den Verknüpfungen zwischen Konsumkultur und Lynchritualen siehe Hale, Making Whiteness, S. 199–240. Zur Rolle von Lynchfotografien im amerikanischen Süden des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts siehe Wood, Lynching and Spectacle. 30 Hale, Making Whiteness, S. 203. 31 Zu den Ursachen für die Lynchgewalt und ihren unterschiedlichen Legitimationen siehe Finzsch, »Rassistische Gewalt im Süden der USA«. 28

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Rolle spielte dabei das weitverbreitete Stereotyp des triebhaften schwarzen Mannes, der durch das Ende der Sklaverei den Kontrollmechanismen der weißen Bevölkerung entzogen sei. Dies beschwor im Süden des späten 19. Jahrhunderts eine hysterische Angst vor möglichen sexuellen Übergriffen auf weiße Südstaatlerinnen, die im Schreckensbild des zügellosen und vertierten schwarzen Vergewaltigers und der Figur der »Südstaatenschönheit« (»Southern Belle«), der ikonografischen Verkörperung der »reinen« und »unschuldigen« weißen Südstaatenfrau, auf die sich angeblich die sexuellen Begierden des schwarzen Mannes richteten, ihren Ausdruck fand.32 Zahlreiche Arbeiten haben gezeigt, dass Kategorien wie »Rasse«, Klasse und Geschlecht eng mit dem Phänomen des Lynchmords verknüpft waren.33 Indem weiße Männer mutmaßliche afroamerikanische Vergewaltiger kollektiv bestraften, versicherten sie sich ihrer eigenen Männlichkeit und bestätigten den Anspruch auf »rassische« Reinheit und weiße Vorherrschaft. Wie im vorangegangenen Zitat angedeutet gingen Lynchings im Kontext von Vergewaltigungsfällen häufig mit der genitalen Verstümmelung der Beschuldigten einher – ein Akt, mit dem die Angehörigen des Lynchmobs die Männlichkeit des schwarzen Opfers negieren und zugleich ihr eigenes weißes Mannsein zelebrieren wollten. Darüber hinaus wurde damit implizit auch eine Warnung an die weißen Frauen ausgesprochen, keinesfalls gegen die strikten Verhaltensmuster der patriarchalen Gesellschaftsordnung des Südens zu verstoßen. Nach Jacquelyn Dowd Hall stellte der im späten 19. Jahrhundert entstehende Vergewaltigungsmythos ein Instrument der rassistischen und sexuellen Unterdrückung dar, mit dem sowohl das Verhalten schwarzer Männer als auch das weißer Frauen reguliert wurde. Er ermöglichte es weißen Männern zum einen, sich als Patriarchen, Rächer und Beschützer weißer Frau in Szene zu setzen. Zum Siehe u. a. Hodes, White Women, Black Men; Martschukat, »Todesstrafe und Afro-Amerikaner«, S. 497–500. 33 Siehe hierzu insbesondere Hall, »Frauen, Vergewaltigung und Rassengewalt«; Harris, Exorcising Blackness; Sielke, Reading Rape; Wood, »Lynching Photography«. 32

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anderen ging mit der patriarchalen Verteidigung der »weißen Südstaatenweiblichkeit« (»southern white womanhood«) ein Kontrollanspruch über das sexuelle Verhalten weißer Frauen einher, mit dem Ziel, mögliche freiwillige Verbindungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern zu unterbinden.34 Im Gegensatz zum Mythos vom schwarzen Vergewaltiger, der lange Zeit als Rechtfertigung für die weitverbreitete Lynchgewalt gegen afroamerikanische Männer instrumentalisiert wurde, haben historische Arbeiten jedoch gezeigt, dass nur ein Teil der Lynchopfer der Vergewaltigung oder der versuchten Vergewaltigung beschuldigt wurde. Auch die vermeintliche Ermordung weißer Personen durch schwarze Täter evozierte die Vorstellung einer bedrohten »rassischen« Ordnung, die es durch den Lynchakt zu rekonstituieren galt. Überdies konnten auch kleinere Verbrechensdelikte oder Verstöße gegen die rassistisch codierten Verhaltensetiketten zu Lynchmorden führen.35

Der Rückgang der Lynchgewalt Bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kritisierten afroamerikanische Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler wie Ida B. Wells (1863–1931) und W. E. B. Du Bois (1868–1963) massiv die Praxis der Lynchgewalt im Süden der USA, bezeichneten sie als »barbarisch« und »rückständig«. Darüber hinaus initiierte die NAACP in den 1910er Jahren eine breite Öffentlichkeitskampagne gegen das Lynchen und setzte sich in den folgenden Jahrzehnten vehement für die Verabschiedung eines Gesetzes ein, das es Bundesbehörden ermöglichen sollte, Lynchfälle im Süden strafrechtlich zu verfolgen. Trotz der Bemühungen scheiterten die Gesetzesinitiativen der NAACP wiederholt im USKongress am Widerstand der Südstaatensenatoren.36

Siehe Hall, »Frauen, Vergewaltigung und Rassengewalt«, S. 130–136. Siehe Brundage, Lynching in the New South, S. 51; Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 332–333. 36 Siehe Zangrando, The NAACP Crusade against Lynching. 34 35

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In den 1910er Jahren und verstärkt ab 1920 wurde auch seitens der weißen Eliten im Süden Kritik an der Praxis des Lynchens laut. Diese veränderte Haltung war Folge der dort stattfindenden wirtschaftlichen Modernisierung, die mit einer Stärkung der ökonomischen und politischen Verbindungen zwischen Süd- und Nordstaaten sowie einer zunehmenden Orientierung der weißen Mittel- und Oberschicht des Südens an den kulturellen Werten des Nordens einherging. Angehörige der wachsenden weißen Mittelklasse sowie Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und den Kirchen begannen zu argumentieren, dass Lynchakte die Reputation und die behauptete Fortschrittlichkeit des New South infrage stellten.37 Dies führte 1930 zur Gründung der Association of Southern Women for the Prevention of Lynchings (ASWPL). Die dort versammelten weißen Aktivistinnen unter der Führung von Jessie Daniel Ames waren mehrheitlich in kirchlichen Kreisen aktiv. In ihrer unablässigen Öffentlichkeitsarbeit gegen das Lynchen stellten sie die traditionelle Rechtfertigung dieser Form der Gewalt als Maßnahme zum Schutz weißer Frauen infrage. Sie argumentierten, dass weiße Männer den »Code der Ritterlichkeit« lediglich als Vorwand nutzten, um die Gewalt gegen afroamerikanische Menschen zu rechtfertigen. Damit forderten sie die »Rasse«- und Geschlechterkonzeptionen heraus, die die Tradition des Lynchens seit dem späten 19. Jahrhundert gestützt hatten.38 Die in der ASWPL organisierten Frauen nutzen ihre zahlreichen Kontakte zu sozialen Institutionen und Kirchen, um Unterstützung für ihre Anti-Lynch-Kampagne zu gewinnen. Eine Maßnahme bestand darin, weiße Frauen öffentlich aufzufordern, ihre Männer von einer Beteiligung an Lynchakten abzuhalSiehe hierzu u. a. Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«; Martschukat, »Strafgewalten und Zivilisationsentwürfe«; Brundage, Lynching in the New South, S. 234–259. Der Begriff des New South (neuen Südens) wurde seit dem späten 19. Jahrhundert in den Südstaaten verwendet, um sich von der Gesellschaftsordnung vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg, dem sogenannten Old South (alten Süden), abzugrenzen. 38 Siehe Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 600; Hall, »Frauen, Vergewaltigung und Rassengewalt«, S. 127–141; dies., Revolt against Chivalry. 37

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ten. Zudem appellierten sie an politische Amtsträger und Strafverfolgungsbehörden, aktiv gegen die Lynchgewalt vorzugehen. Unter anderem forderten sie Sheriffs dazu auf, eine Selbstverpflichtungserklärung für den aktiven Einsatz gegen drohende Lynchmorde abzugeben, und sprachen Wahlempfehlungen für Sheriffkandidaten aus, die sich öffentlich gegen das Lynchen aussprachen. Die zunehmende öffentliche Kritik weißer Eliten an der Lynchpraxis sowie die Öffentlichkeitsarbeit der ASWPL führten dazu, dass Sheriffs und Polizeibeamte in den 1920er und 1930er Jahren verstärkt Maßnahmen ergriffen, um drohende Lynchmorde zu verhindern.39 Der Historiker Manfred Berg erklärt diesen Rückgang der Lynchgewalt als Folge der zunehmenden Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols in den Südstaaten. Er belegt dies unter anderem mit statistischen Erhebungen der Commission of Interracial Cooperation (CIC), eine vornehmlich von weißen, aber auch schwarzen Mitgliedern getragene liberale Reforminstitution mit Hauptsitz in Atlanta, die sich nach ihrer Gründung im Jahr 1919 für »interrassische« Zusammenarbeit einsetzte und in zahlreichen Südstaaten durch lokale Zweigstellen präsent war.40 Die Daten zeigen, dass es 1920 erstmals mehr Fälle gab, in denen Lynchakte verhindert beziehungsweise abgewendet als durchexerziert wurden. Zwischen 1932 und 1942 wurden 290 Lynchmorde von Polizeibehörden verhindert.41 Zudem sank deren absolute Zahl ab den 1920er Jahren kontinuierlich. Wie bereits erwähnt wurden in den 1890er Jahren jährlich mehr als 100 African Americans gelyncht. Während es in den 1910er Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 600–603; Hall, »Frauen, Vergewaltigung und Rassengewalt«, S. 136–141; Hall, Revolt against Chivalry. 40 Siehe Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 613–616. 41 Für eine ausführliche Interpretation dieser Daten siehe ebenda, S. 602–607. Vgl. auch die Zahlen in Smith/Horton, Historical Statistics of Black America, S. 491. Die dortigen Angaben zeigen, dass das Verhältnis zwischen der Anzahl der durchgeführten und der Anzahl der verhinderten Lynchmorde zwischen 1914 bis 1936 kontinuierlich sank. Waren es laut der Statistik 1914 noch 52 Lynchtote und 24 Personen, deren Lynchmord verhinderte wurde, fielen 1936 acht Menschen einem Lynchmord zum Opfer, während 79 Lynchings verhindert wurden. 39

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Jahren 55 waren, forderte die Lynchgewalt in den 1920er Jahren noch 25 Opfer pro Jahr. Nach einem erneuten Anstieg mit Beginn der Großen Depression Anfang der 1930er Jahre waren in dieser Dekade pro Jahr noch durchschnittlich zehn Opfer durch Lynchmorde zu beklagen, wobei die Zahlen gegen Ende der 1930er Jahre stark zurückgingen.42 Studien aus dieser Zeit zeigen, dass Sheriffs und Polizeibeamte auch noch in den frühen 1930er Jahren Lynchakte tolerierten oder sogar mit Lynchmobs kooperierten.43 Die steigende Zahl verhinderter Lynchings ab den 1920er Jahren weist jedoch darauf hin, dass Polizeikräfte im Süden insgesamt verstärkt Maßnahmen ergriffen, um schwarze Tatverdächtige vor dem Zugriff durch Lynchmobs zu schützen. Die gebräuchlichste Methode bestand darin, die Beschuldigten zügig und auf unbekannten Wegen zu weiter entfernten Gefängnissen zu transportieren. Unterstützt wurde dies durch die Einführung von Polizeiautos, die im Gegensatz zur Eisenbahn einen schnellen und unauffälligen Transport der Gefangenen ermöglichten. In einzelnen Fällen gingen Sheriffs und Polizeikräfte sogar gewaltsam gegen Lynchmobs vor. Außerdem forderten die lokalen Strafverfolgungsbehörden verstärkt staatliche Milizeinheiten an, um Lynchmobs zu zerstreuen und lokalen Unruhen entgegenzuwirken.44 Diese Entwicklung bedeutete jedoch nicht, dass die weiße Südstaatengesellschaft ihren Anspruch auf eine harte Bestrafung mutmaßlicher afroamerikanischer Straftäter aufgab. Die verstärkte Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols hatte vielmehr zur Folge, dass dies vermehrt durch die Gerichte geschah. Für die schwarzen Tatverdächtigen, die der Ermordung oder der Vergewaltigung weißer Personen beschuldigt wurden, hatte diese Entwicklung ambivalente Folgen: Zwar wurden sie durch die Intervention der Polizeikräfte vor der Gewalt weißer LynchSiehe die tabellarische Auflistung in ebenda, S. 493–495. In seiner Untersuchung von 21 bestätigten Lynchfällen im Süden der USA aus dem Jahr 1930 konstatierte der Soziologe Arthur Raper eine vielfach passive bis unterstützende Haltung lokaler Polizei- und Justizbeamter gegenüber den Lynchmobs. Siehe Raper, The Tragedy of Lynching, S. 13–19. 44 Siehe Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 603–607; Brundage, Lynching in the New South, S. 239–242. 42 43

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mobs bewahrt, doch drohte ihnen vor Gericht ein kurzer Prozess. Wie auch der im weiteren Verlauf genauer untersuchte Fall Brown/Ellington/Shields zeigt, wurden Beschuldigte häufig bereits kurz nach ihrer Festnahme angeklagt und unmittelbar darauf vor der aufgeheizten Kulisse der Gerichte für schuldig befunden und zum Tod verurteilt.45 Diese Entwicklung spiegelt sich auch in zahlreichen Forschungsarbeiten. In seiner Untersuchung zum Bundesstaat Kentucky kommt der Historiker George Wright zu dem Schluss, dass die Zahl der vollstreckten Hinrichtungen von Schwarzen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beständig anstieg, während die Zahl der Lynchings im selben Zeitraum kontinuierlich sank. Auch nach den Befunden des Politikwissenschaftlers James W. Clarke lässt sich für die 1920er und 1930er Jahre eine deutliche Korrelation zwischen der sinkenden Lynchgewalt und den steigenden Opferzahlen bei den staatlichen Hinrichtungen verurteilter afroamerikanischer Straftäter feststellen. Zudem legen auch die überlieferten statistischen Daten zur Anzahl der in den USA vollstreckten Hinrichtungen zwischen 1930 und 1970 nahe, dass das Abklingen der Lynchmorde mit einer verstärkten Anwendung der Todesstrafe verbunden war. So stieg die Zahl der wegen des Tatbestands der Vergewaltigung hingerichteten African Americans in diesem Zeitraum stark an, während sowohl die Zahl der Lynchmorde als auch die absolute Zahl der Hinrichtungen kontinuierlich zurückging.46 Auch wenn die These von einer Ablösung der Lynchgewalt durch die Todesstrafe nicht eindeutig belegbar ist,47 lässt sich dennoch konstatieren, dass das Rechtssystem im Süden der USA im frühen 20. Jahrhundert verstärkt die Aufgabe der Aufrechterhaltung der sozialen Kontrolle über die schwarze Bevölkerung wahrnahm. Von nun an befriedigten sozusagen die Gerichte und Siehe hierzu auch Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 607–615; Martschukat, »Todesstrafe und Afro-Amerikaner«. 46 Siehe Clarke, »Without Fear or Shame«, S. 285; Vandiver, Lethal Punishment; Wright, Racial Violence in Kentucky, S. 215–250; Smith/Horton, Historical Statistics of Black America, S. 473; Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 610. 47 Siehe u. a. Tolnay/Beck, A Festival of Violence. 45

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das staatliche Todesstrafensystem das Vergeltungsbedürfnis der weißen Bevölkerung gegenüber afroamerikanischen Straftätern, das zuvor in der Lynchgewalt zum Ausdruck gekommen war.48

»Legale Lynchmorde«, Polizeifolter und die Transformationen rassistischer Gewalt Ausgehend vom Fall Scottsboro sprach man bereits Anfang der 1930er Jahre vom »legalen Lynchmord«. Wie Raper in einer 1931 veröffentlichten Studie konstatierte, würden Lynchmorde häufig verhindert, indem eine rasche gerichtliche Verurteilung der mutmaßlichen Straftäter in Aussicht gestellt und herbeigeführt wurde. Aus diesem Grund hätten Angeklagte keinerlei Chancen auf einen fairen und unabhängigen Prozess. »Es ist nicht unsachgemäß, ein unter solchen Umständen erfolgtes Todesurteil als ›legalen Lynchmord‹ zu bezeichnen.«49 Der Historiker Michael J. Pfeifer hat dargelegt, dass im frühen 20. Jahrhundert die zunehmend als atavistisch geltende Gewalt des Lynchmobs im Süden Schritt für Schritt durch die Justiz und das an sie angebundene staatliche Hinrichtungssystem abgelöst wurde. Indem sie sich für ein »effektives« System der Strafjustiz starkmachten, setzten sich die Fürsprecher rechtstaatlicher Verfahrensweisen allmählich gegen die Befürworter einer volkstümlichen Rachejustiz durch. Politiker aus dem Süden, die sich insbesondere im Lauf der 1920er und 1930er Jahre verstärkt gegen das Lynchen aussprachen, sahen in der raschen und effizienten Anwendung der Todesstrafe nun ein zentrales Mittel, mit dem die »barbarische« und »unzivilisierte« Lynchgewalt eingedämmt werden konnte. In Zeitungen wurde die rasche Vollstreckung von Todesurteilen als Beweis dafür gelobt, dass die WillDie Historikerin Lisa Lindquist Dorr konstatiert in diesem Zusammenhang: »Die weißen Männer blieben zivilisiert, weil das Gericht ihre primitiven Rachegelüste befriedigte und in der Tat die Androhung von und das Bedürfnis nach Gewalt in das rechtliche Verfahren integrierte.« Dorr, White Women, Rape, and the Power of Race in Virginia, S. 20. 49 Raper, The Tragedy of Lynching, S. 19. 48

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kür des Lynchens durch die Herrschaft von Recht und Gesetz abgelöst worden sei.50 All dies bedeutete jedoch nicht, wie der Historiker Jürgen Martschukat in diesem Zusammenhang gezeigt hat, dass die etablierten rassistischen Denk- und Handlungsmuster verschwanden. Die verstärkte Ablehnung der Lynchgewalt ging stattdessen mit einer Umgestaltung und Stärkung des Systems der Todesstrafe einher. Von besonderer Bedeutung war dabei der elektrische Stuhl, dessen Anwendung eine andere Relation von Gewalt, Grausamkeit und Wahrheit versprach als die Lynchmorde. Im Gegensatz zur volkstümlichen Rachejustiz verhieß sein Einsatz eine staatlich reglementierte sowie schnelle und schmerzfreie Tötung der nach wie vor vorrangig afroamerikanischen Hinrichtungskandidaten. Die Einführung des elektrischen Stuhls trug damit dazu bei, die rassistisch strukturierte Gesellschaftsordnung des US-amerikanischen Südens aufrechtzuerhalten.51 Das Abebben der Lynchmorde in den 1930er und 1940er Jahren ist daher nicht etwa als Indikator der Modernisierung, sondern vielmehr als ein komplexer und mehrdeutiger Prozess der Transformation rassistischer Gewaltformen zu betrachten. Wie auch die Historikerin Lisa Lindquist Dorr in ihrer Studie zu Vergewaltigungsprozessen gegen afroamerikanische Männer in Virginia zwischen 1900 und 1960 konstatiert hat, führte das Abklingen der Lynchgewalt nicht zu einem Ende rassistischer Gewaltausübung, sondern vielmehr zu einer Verringerung deren Sichtbarkeit und ihrer »Verlagerung« in die Prozeduren der Strafjustiz.52 Darüber hinaus hat der Historiker Ethan Blue in diesem Zusammenhang gezeigt, dass sich die üblichen Periodisierungen der Lynchgewalt, die sich in der Regel von 1880 bis Ende der 1930er Jahre erstrecken, sehr gut in eine modernisierungstheoreSiehe Pfeifer, Rough Justice, S. 139–147; Berg, »Das Ende der Lynchjustiz«, S. 608–611. 51 Siehe Martschukat, »Lynching und Todesstrafe«, S. 209–223; ders., »Strafgewalten und Zivilisationsentwürfe«, S. 217. 52 Dorr, White Women, Rape, and the Power of Race in Virginia, S. 20. 50

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tisch fundierte Lesart der US-amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert einfügen. Er plädiert deshalb dafür, die verschiedenen Formen staatlicher und extralegaler Gewalt sowie ihre Überschneidungen und Kontinuitäten über die 1930er Jahre hinaus in den Blick zu nehmen, um so die zentrale Rolle der Gewalt für die Formierung des modernen amerikanischen Staates entschlüsseln zu können.53 Auch der Historiker Bruce Baker vermutet, dass der Rückgang der Lynchakte nicht mit einem Rückgang rassistischer Gewaltmaßnahmen einherging, sondern mit einer »Fragmentierung in verschiedene Formen« der Gewalt, die »variierende Stufen der Unterstützung seitens der lokalen Bevölkerung erhielten«.54 Die im Rahmen dieser Studie konsultierten Archivbestände der NAACP untermauern diese Vermutung. So lassen die Fallakten der NAACP-Rechtsabteilung aus dem Zeitraum zwischen 1910 und 1955 die Annahme zu, dass Polizeibeamte ab Anfang der 1930er Jahre gehäuft zum Mittel der Folter griffen, um Geständnisse zu erzwingen und so eine rasche Verurteilung afroamerikanischer Angeklagter sicherzustellen. In den 1930er und 1940er Jahren gingen diesbezüglich zahlreiche Beschwerden ein.55 Die von der NAACP unter dem Stichwort »erzwungene Geständnisse« (»forced confessions«) registrierten Fälle bestärken damit die These von einem Zusammenhang zwischen dem Abebben der Lynchgewalt und der Anwendung polizeilicher Folterpraktiken. Dokumentiert sind insgesamt 51 Fälle aus den Südstaaten, in denen afroamerikanische Angeklagte zwischen 1930 und 1955 den Vorwurf der Folter und der Geständniserzwingung durch Polizisten und Sheriffs erhoben. Dabei stellen die Staaten Georgia (insgesamt neun Fälle), Mississippi (acht) und Alabama (sieben) den größten Anteil an Fällen, geSiehe Blue, »Pain, Death and Silence in Texas Prisons«. Zu den Kontinuitäten zwischen Lynchjustiz und Todesstrafe in den USA siehe die Beiträge in: Ogletree/Sarat (Hg.), From Lynch Mobs to the Killing State. 54 Siehe Baker, »Review«, S. 665. 55 Siehe die Einträge zum Stichwort »forced confession« in: Bracey/Meier (Hg.), Papers of the NAACP. Part 8. Series A; dies. (Hg.), Papers of the NAACP. Part 8. Series B. 53

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folgt von South Carolina (sechs), Texas (fünf), Florida (fünf) und Louisiana (vier).56 In drei Vierteln der registrierten Fälle wurde der Foltervorwurf von schwarzen Angeklagten erhoben, die wegen Vergewaltigung oder Ermordung weißer Personen vor Gericht standen. In 43 Prozent dieser Fälle (insgesamt 22) wurden sie der Vergewaltigung oder der versuchten Vergewaltigung beschuldigt, in 31 Prozent (insgesamt 16) des Mordes an weißen Personen.57 Der Vorwurf der Folter wurde also insbesondere im Kontext von Verbrechen laut, die traditionell die häufigsten Auslöser für Lynchmorde waren.58 Die Zahlen weisen damit auf eine Schattenseite des Abklingens der Lynchpraxis hin: Sie zeigen, dass Polizeikräfte im Zuge der schrittweisen Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Süden der USA verstärkt zu Foltermethoden griffen, um Tatgeständnisse zu erzwingen und eine Verurteilung beschuldigter Straftäter sicherzustellen.

»Ein zügiger Prozess«: Der Fall Brown/Ellington/Shields Der Fall Brown/Ellington/Shields, der sich in den frühen 1930er Jahren in Kemper County, Mississippi, zutrug, eignet sich in besonderer Weise für eine Analyse der Entwicklungen, die mit dem allmählichen Verschwinden der Lynchpraxis einhergingen. Kemper County, gelegen in der Küstenebene des Golfs von Mexiko an der Grenze zu Alabama, war ein relativ dünn besiedelter Bezirk. Im Jahr 1930 lebten in der Bezirkshauptstadt DeKalb lediglich 888 Menschen, die gesamte Einwohnerzahl von Kemper County betrug 21881. Die nächste größere Stadt war das

Ebenda. Hinzu kommen Tennessee mit drei Fällen, North Carolina mit zwei Fällen sowie Oklahoma und Virginia mit jeweils einem Fall. 57 Ebenda. In zwei Fällen lautete der Vorwurf auf Einbruch, in einem Fall auf Diebstahl. Bei den insgesamt zehn weiteren Fällen ist der Vorwurf nicht eindeutig zu bestimmen, da entweder die Aussagen in den Akten uneindeutig sind oder genauere Informationen zu den Fällen fehlen. 58 Siehe Brundage, Lynching in the New South, S. 51. 56

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im südlich angrenzenden Lauderdale County gelegene Meridian. Ein damaliger Beobachter beschrieb den Bezirk Kemper County als noch »ärmlicher« als die ärmsten Gebiete des benachbarten Alabama: »Er hat schlechtere Eisenbahnverbindungen, weniger Meilen an ausgebesserten Überlandstraßen, kleinere Städte, ärmlicher ausgestattete Schulen, und die zwischenmenschlichen Beziehungen sind roher.«59 Wie in anderen Bezirken des Black Belt stellten African Americans die Bevölkerungsmehrheit. Die meisten arbeiteten als grundbesitzlose Landarbeiter auf den Baumwoll- und Maisplantagen weißer Pflanzer.60 Während der Bundesstaat Mississippi mit 574 Lynchmorden zwischen 1882 und 1951 den traurigen Rekord in der Anzahl der Lynchfälle pro US-Bundesstaat hält, ist es auf Bezirksebene Kemper County: Dort wurden doppelt so viele Menschen gelyncht wie durchschnittlich in anderen Bezirken Mississippis.61 Dies brachte dem Bezirk den Beinamen »blutiges Kemper« (»Bloody Kemper«) ein. Im September 1930 kam es in Kemper zu einem Lynchmord an zwei African Americans, die zuvor wegen eines mutmaßlichen Raubüberfalls auf ein weißes Ehepaar festgenommen worden waren. Wie der Ehemann nach den Geschehnissen berichtete, seien sie am späten Abend von drei schwarzen Männern überfallen und beraubt worden. Bevor die Männer die Flucht ergriffen hätten, hätten sie damit gedroht, ihn umzubringen und seine Frau zu vergewaltigen. Bei der kurz danach einsetzenden Suche nach den Tätern forderte die weiße Bevölkerung Unterstützung durch die lokalen Polizeibehörden an und setzte Bluthunde ein, um die Geflohenen dingfest zu machen. Kurz darauf wurden der 21-jährige »Pig« Lockett und der 19-jährige Holly White festgenommen, nachdem die Hunde eine Spur vom Tatort bis zu ihrem Wohnort verfolgt hatten, und ins Gefängnis von DeKalb gebracht. Als die beiden zwei Tage später einem lokalen Haftrichter vorgeführt werden sollten, wurde das Polizeiauto Raper, The Tragedy of Lynching, S. 92. Ebenda, S. 74–84, 91–93. 61 Ebenda, S. 93; Smith/Horton, Historical Statistics of Black America, S. 489. 59 60

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gestoppt und die beiden Gefangenen von einem 20- bis 30-köpfigen Mob aus dem Auto geholt. Wie die beiden Polizisten später behaupteten, hätten sie keine Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt und seien an einen Baum gefesselt worden. Der Mob band den beiden Männern Stricke um den Hals, die an einem dünneren Baum befestigt wurden, dessen Wipfel mit Seilen nach unten gezogen worden war. Daraufhin wurde der Baum so weit zurückgelassen, dass die Beschuldigten am Hals in die Höhe gezogen wurden, bevor sie erneut heruntergelassen und zu einem Geständnis aufgefordert wurden. Nachdem beide ein Geständnis verweigerten, wurde die Prozedur laut Augenzeugenberichten so lange fortgesetzt, bis beide Männer tot waren. Kein Angehöriger des Mobs wurde nach den Geschehnissen rechtlich belangt. Die routinemäßig eingeleitete Untersuchung der Vorkommnisse durch die lokale Grand Jury endete – wie so häufig bei Lynchmorden in den Südstaaten – ohne Ergebnis.62 Der Lynchmord an Lockett und White zeigt, dass die weißen Bewohner von Kemper County noch Anfang der 1930er Jahre ohne maßgebliches Einschreiten der lokalen Strafverfolgungsbehörden zum Mittel der Lynchgewalt greifen konnten. Ganz anders verliefen die Entwicklungen nur dreieinhalb Jahre später im Fall der Ermordung des weißen Pflanzers Raymond Stuart63. Ende März 1934 wurde der 60-jährige Stuart schwer verletzt in seinem Wohnhaus nahe dem Dorf Scooba in Kemper County aufgefunden. Zahlreiche Hieb- und Stichverletzungen an seinem Körper wiesen darauf hin, dass der Landwirt und Grundbesitzer Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war. Stuart, der von den lokalen Zeitungen als ein »prominenter Bürger« seiner Gemeinde bezeichnet wurde, erlag auf dem Weg zum Krankenhaus seinen Verletzungen, ohne zuvor das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.64 Raper, The Tragedy of Lynching, S. 85–87. Die lokalen Zeitungen verwenden sowohl den Namen Raymond Steward als auch Raymond Stuart. Im Folgenden wird der Nachname Stuart benutzt. In den Zitaten wird der Originalwortlaut beibehalten. 64 »Kemperite Dies Form Axe Blows«, Daily Clarion-Ledger, 31. 3. 1934, S. 1. 62 63

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Unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat setzte in Kemper die Suche nach den Tätern ein. Nach Angaben des Daily Clarion-Ledger, einer lokalen Tageszeitung, versammelte sich eine etwa 200-köpfige Menschenmenge vor dem Haus des Opfers, noch bevor der Sheriff von Kemper, J. D. Adcock, mit einigen Hilfssheriffs am Tatort eintraf. Zudem wurden Bluthunde herangeschafft, um die Suche nach den Tätern zu unterstützen. Doch habe der große Menschenandrang verhindert, dass die Bluthunde eine Spur aufnehmen konnten.65 Bereits kurz nach dem Eintreffen der Polizeibeamten wurde der 30-jährige Ed Brown, einer der schwarzen Landarbeiter auf Stuarts Farm, festgenommen und ins Gefängnis der Bezirkshauptstadt DeKalb gebracht.66 Am Tag darauf verhafteten Beamte der städtischen Polizei von Meridian und Hilfssheriffs des Kemper County Sheriff Department einen zweiten Verdächtigen: den 27-jährigen Henry Shields, der in der Nachbarschaft von Stuart wohnte. Noch am gleichen Tag verlegte Sheriff Adcock die Verdächtigen Brown und Shields in das 30 Meilen entfernte Gefängnis von Meridian, dem Verwaltungssitz des benachbarten Bezirks Lauderdale County. Offenbar wollte er damit die Stürmung des lokalen Gefängnisses durch einen Lynchmob verhindern.67 Am 2. April 1934, vier Tage nach der Entdeckung der Leiche von Stuart und einen Tag nach der Festnahme von Henry Shields, meldete die lokale Presse, dass die beiden Tatverdächtigen den Mord gestanden hätten. Im Laufe der Vernehmungen, bei denen Polizeibeamte aus den Nachbarstädten Meridian und Scooba sowie Angehörige des Kemper County Sheriff Department zugegen gewesen seien, hätten die beiden Verdächtigen ihre Beteiligung an dem Mord zugegeben und detaillierte Angaben zum Tatverlauf gemacht.68 Der Meridian Star berichtete Ebenda. Ebenda. 67 »Two Negroes Held Here in Giles Murder«, The Meridian Star, 1. 4. 1934, S. 1 68 »Officers Say Two Admit Kemper Murder«, The Meridian Star, 2. 4. 1934, S. 1, 9. 65 66

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ausführlich über den Inhalt der angeblichen Geständnisse: Die Verdächtigen hätten Raub als Motiv für die Tat angegeben. Stuart sei im Schlaf mit einem Holzstock überfallen und dann mit einer Axt auf den Kopf geschlagen worden. Vor ihrer Flucht hätten die beiden Täter erfolglos versucht, das Haus des Opfers in Brand zu stecken.69 Am nächsten Tag vermeldete die Presse dann die Festnahme eines weiteren Verdächtigen, des ebenfalls in der Nachbarschaft von Stuart lebenden 20-jährigen Arthur (»Yank«) Ellington, der kurz darauf seine Beteiligung an der Tat gestanden habe. Die drei Beschuldigten hätten ihre Geständnisse anschließend in Anwesenheit der Sheriffs von Kemper County und Lauderdale County, Sheriff J. D. Adcock und Sheriff B. M. Stephens, wiederholt und sich dabei »sogar gegenseitig korrigiert«.70 Die lokalen Polizeibehörden gaben damit bereits während der laufenden Ermittlungen ausführliche Informationen über die Vernehmungen an die Öffentlichkeit. Vermutlich sollte die Verkündigung der Geständnisse die aufgeheizte Stimmung der lokalen weißen »Community« besänftigen und verhindern, dass sich ein Lynchmob bildete. Tatsächlich gab es bereits kurz nach der Festnahme »Meldungen und Gerüchte«, wonach ein Lynchmob auf dem Weg nach Meridian sei, um die Gefangenen aus dem Gefängnis zu holen. Wie es in einem Bericht des Meridian Star hieß, habe der Sheriff von Lauderale County aus diesem Grund »vorbeugende Maßnahmen« ergriffen. Das Gefängnis sei daraufhin von zahlreichen Hilfssheriffs bewacht worden, die sowohl innerhalb des Gefängnisses als auch an strategischen Punkten außerhalb des Gebäudes postiert worden seien, um einen möglichen Angriff frühzeitig zu erkennen und notfalls abzuwehren. Mit Maschinengewehren, Schrotflinten und Tränengasgranaten ausgestattete Sheriffs und Polizisten hätten das Gefängnis in ein »bewaffnetes Fort« verwandelt. Zudem sei erwogen worden, im Falle einer Eskalation der Lage die Nationalgarde zur Unterstützung anzufordern.71 Ebenda. »Jail is Armed Fort As Report Mob«, The Meridian Star, 3. 4. 1934, S. 1, 9. 71 Ebenda. 69 70

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Die öffentliche Ordnung schien offenbar gefährdet. Die lokale Polizei reagierte auf diesen Ausnahmezustand mit zwei Maßnahmen72: Zum einen mit einer massiven Mobilisierung zur Verhinderung eines Lynchakts, zum anderen griffen sie unmittelbar nach der Festnahme der Beschuldigten zum Mittel der Folter, um Geständnisse zu erzwingen und eine rasche Verurteilung der mutmaßlichen Täter in Aussicht zu stellen. Darüber hinaus forderten nach Angaben des Meridian Star mehrere namentlich ungenannte »Funktionsträger« direkt nach der Verhaftung des dritten Tatverdächtigen ein »zügiges« Gerichtsverfahren: »Ein zügiger Prozess für die verdächtigten Schwarzen würde erheblich dazu beitragen, jegliche Befürchtungen hinsichtlich geplanter Gewaltmaßnahmen seitens der angeblich aufgebrachten Bürger von Kemper zu zerstreuen, wie von offizieller Seite und anderen Stimmen zu hören war.«73 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass bereits vor Abschluss des Gerichtsverfahrens gegen Brown, Ellington und Shields das mögliche Hinrichtungsdatum für den Fall der Verurteilung der drei Beschuldigten in Umlauf gebracht wurde: »Von offizieller Seite geht man davon aus, dass die drei Schwarzen im Fall eines Schuldspruches umgehend zum Tod durch den Strang verurteilt werden, und zwar zum frühesten Termin, den das Gesetz erlaubt. Damit müsste das Todesdatum auf Freitag, dem 11. Mai liegen.74 Die Historiker Alf Lüdtke und Michael Wildt haben in Anknüpfung an den Philosophen Giorgio Agamben für eine Ausweitung des Konzepts vom Ausnahmezustand plädiert. Sie argumentieren, dass der Ausnahmezustand nicht allein als »konstitutionelle Kategorie« zu begreifen sei. Vielmehr lasse er sich als integraler Bestandteil staatlicher und polizeilicher Praktiken fassen. »[D]er Ausnahmezustand ist gewissermaßen in den Alltag polizeilichen Handelns eingelassen, wenn vor Ort in konkreten Situation entschieden wird, was zur Beibehaltung oder Herstellung von Sicherheit ›notwendig‹ ist.« Ein wesentliches Charakteristikum des Ausnahmezustandes sei, dass er »Möglichkeiten zur Gewalt« schaffe. Lüdtke/Wildt, »Staats-Gewalt«, S. 21. Siehe auch Lüdtke, »Herrschaft als soziale Praxis«; Agamben, Ausnahmezustand. 73 »Jail is Armed Fort As Report Mob«, The Meridian Star, 3. 4. 1934, S. 1, 9. 74 »3 Negroes on Trial in Stuart Case at DeKalb«, The Meridian Star, 5. 4. 1934, S. 1. 72

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Nachdem die drei Beschuldigten Brown, Ellington und Shields am 4. April 1934 offiziell von der lokalen Grand Jury angeklagt worden waren, begann am Tag darauf der Prozess. Um die Angeklagten vor Übergriffen zu schützen, wurden sie erst am Morgen vor Prozessbeginn unter dem Schutz zahlreicher mit Maschinengewehren bewaffneter Polizisten und Hilfssheriffs nach DeKalb gebracht. Auf Anordnung des Gerichts bekamen sie zwei Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Nach eineinhalb Tagen Verhandlung erklärten die weißen Geschworenen nach nur 30-minütiger Beratung die Angeklagten des Mordes an Raymond Stuart für schuldig. Unmittelbar darauf verkündete der Vorsitzende Richter J. I. Sturdivant, dass die Angeklagten zum Tod durch den Strang verurteilt würden. Wie zuvor bereits in der Presse spekuliert worden war, setzte er den 11. Mai 1934 als Hinrichtungstermin fest.75 Unmittelbar danach wurden die Verurteilten im Polizeikonvoi ins Gefängnis von Meridian zurückeskortiert und in der dortigen Hinrichtungszelle untergebracht.76 Der Meridian Star berichtete, dass die Zeugenaussagen und Beweismittel der Anklage die Schuld der drei Tatverdächtigen zweifelsfrei belegt hätten. Unerwähnt blieben dagegen die Foltervorwürfe, die die drei Angeklagten vor Gericht gegen die Polizei erhoben hatten. Stattdessen hob die Zeitung hervor, dass das rasche Vorgehen des Richters bei der Anklageerhebung und Durchführung des Verfahrens auf den »Beifall der Bürger von Kemper« gestoßen sei. Jegliche »Befürchtungen« über möglicherweise bevorstehende gewaltsame Aktionen eines Mobs seien dadurch zerstreut worden.77 In einem zwei Tage nach dem Urteil veröffentlichten Kommentar wurde das Vorgehen der Polizeibehörden ausdrücklich gelobt. Wie es unter der Überschrift »Kemper beweist sich« hieß, sei durch die Behandlung des Falls sowohl den Rechten der Angeklagten als auch der »sozialen Ordnung« Rechnung ge»Order 3 Kemper Negroes To Hang May 11«, The Meridian Star, 7. 4. 1934, S. 1. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 75

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tragen worden: »Gerüchte über Mobgewalt waren überall zu hören. Nichtsdestotrotz konnte die Gefahr der Mobokratie dank der Kooperation von Sheriff Jim Adcock aus Kemper und Sheriff Brice M. Stephens aus Meridian gebannt und das Gesetz auf gerichtlichem Wege durchgesetzt werden.« Die drei Angeklagten hätten »offensichtlich« einen »fairen und unparteiischen Prozess« genossen. Der Fall mache deutlich, »dass Gruppenaktionen [gemeint sind Lynchings, SN] nicht notwendig sind, wenn die Gerichte ›ihre Arbeit erledigen‹ – dass Gerechtigkeit zumindest sicherer ist, wenn sie durch ›rechtsstaatliche Verfahren‹ herbeigeführt wird als durch das unwägbare Ungestüm der Masse«. »Kemper«, so der Kommentar abschließend, »beweist seine grundlegende Fairness nicht durch Mobokratie, sondern durch die bewährten Vertreter der Justiz. Ein paar mehr solcher Beispiele schneller und zuverlässiger Vergeltung, und ›aufrührerische‹ Ungesetzlichkeiten werden im ganzen Süden aufhören.«78 Damit brachte der Kommentar zum einen zum Ausdruck, dass einzig ein unnachgiebiges und effizientes Gerichtssystem die Lynchmorde ersetzen konnte, und zum anderen, dass nur durch die zügige Verurteilung und Hinrichtung afroamerikanischer Tatverdächtiger das anhaltende Bedürfnis der lokalen weißen Bevölkerung nach Vergeltung zu befriedigen war. Der Fall Stuart offenbart somit in exemplarischer Weise, dass die verstärkten Bemühungen um die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols dazu führten, dass nun die Institutionen der Strafverfolgung sowie die Gerichte das Vakuum zu füllen hatten, das durch die Eindämmung der Lynchgewalt entstanden war. Wie der Blick auf das Gerichtsprotokoll des Verfahrens gegen Brown, Ellington und Shields zeigt, musste diese Entwicklung allerdings nicht bedeuteten, dass auf die Ausübung rassistischer Gewaltmittel verzichtet wurde. Im Gegenteil: Wie auch in zahlreichen weiteren Fällen im Süden der 1930er und 1940er Jahre griffen die Polizeikräfte bereits kurz nach der Festnahme von Ed Brown, Henry Shields und Arthur Ellington zu Foltermaßnahmen, um die Beschuldigten zu Geständnissen zu zwingen. 78

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»Kemper Proves Itself«, The Meridian Star, 8. 4. 1934, S. 4.

Zutage trat dies bei der Gerichtsverhandlung, in der die Beschuldigten ausführlich auf erlittene Folterungen hinwiesen und ihre Unschuld betonten. Bemerkenswert war, dass mehrere Polizisten während des Verfahrens offen darüber sprachen, die Beschuldigten bei den Ermittlungen geschlagen zu haben. Das überlieferte Gerichtsprotokoll gibt einen ungewöhnlich direkten Einblick in die Praxis der Folter und wie sie von den afroamerikanischen Beschuldigten erfahren sowie seitens der lokalen Polizeikräfte legitimiert wurde.79 Ausgehend von den Aussagen von Brown, Ellington und Shields kann die Folter als eine gewaltsame Aufführung bezeichnet werden, in der auf ganz spezifische Weise Bedeutungen hergestellt wurden. In Anknüpfung an den performative turn lässt sich die polizeiliche Folter an afroamerikanischen Tatverdächtigen als eine Inszenierung beschreiben und interpretieren, in der mit den Mitteln von Sprache und Gewalt Macht- und Herrschaftsansprüche eingefordert und behauptet wurden.80

Die Performanz der Folter Der Prozess gegen Brown, Ellington und Shields vor dem Kemper County Circuit Court begann mit den Aussagen mehrerer Zeugen der Staatsanwaltschaft. Nachdem Augenzeugen und Ärzte den körperlichen Zustand des Opfers nach der Entdeckung der Tat beschrieben hatten, präsentierte der Staatsanwalt Siehe Transcript of Record, MoML/USSCRB, Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936). Richard C. Cortner hat das Protokoll der Gerichtsverhandlung gegen Brown/Ellington/Shields in seiner Arbeit zum Fall Brown vs. Mississippi ebenfalls untersucht, sich dabei aber weitgehend auf die chronologische Darstellung der Aussagen vor Gericht beschränkt. Siehe Cortner, A »Scottsboro« Case in Mississippi, S. 15–32. 80 Siehe Einleitung; Bachmann-Medick, Cultural Turns, S. 104–143; Martschukat/Patzold, Geschichtswissenschaft und »performative turn«; Martschukat, »Todesstrafe als Performance«. Zu den perfomativen Dimensionen der Folter siehe auch Zirfas, »Rituale der Grausamkeit«, Burschel/Distelrath/ Lembke, »Eine historische Anthropologie der Folter«; Scarry, The Body in Pain, S. 27–59. 79

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John C. Stennis zunächst einen Overall von Henry Shields als Beweismittel, der angeblich Blutspuren des Opfers aufwies. Zudem wurde die mutmaßliche Tatwaffe, eine unweit des Tatorts aufgefundene Axt, als weiteres Beweismittel vorgelegt.81 Von maßgeblicher Bedeutung für die Anklagestrategie waren jedoch die Geständnisse der drei Angeklagten, die sie gegen den Einspruch der Pflichtverteidiger von Brown, Ellington und Shields als Beweismittel einbrachten. Die Verteidiger erhoben dagegen Einspruch, die Zulassung der Geständnisse verstoße gegen die in Mississippi geltenden Rechtsbestimmungen, nach denen ein Geständnis ohne Zwang und freiwillig (»free and voluntary«) abgelegt werden müsse. Daraufhin ließ Richter Sturdivant die Geschworenen vorübergehend aus dem Gerichtsaal bringen, um die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Geständnisse zu klären. Hierzu rief er den Sheriff von Kemper County, J. D. Adcock, in den Zeugenstand. Dieser gab zu Protokoll, dass die Angeklagten ihre Geständnisse ohne Zwang und freiwillig abgelegt hätten, räumte jedoch ein, dass Henry Shields ihm gegenüber angegeben hätte, ausgepeitscht worden zu sein: »Einer der Jungen, Shields glaube ich, kam hinkend herein, und er setzte sich nur leicht auf die Kiste und sah erregt aus. Ich sagte: ›Henry, setz’ dich auf die Kiste‹, und er sagte: ›Ich kann nicht. Sie haben mich ziemlich hart geschlagen.‹ Ich sagte: ›Mach’s dir bequem, niemand wird dir wehtun. Wir sind alle zu deinem Schutz hier.‹«82 Auf Nachfrage der Verteidigung erklärte Adcock, dass er Shields’ Bemerkung nicht weiter nachgegangen sei.83 Trotz der erneuten Einwände der Verteidigung ließ Richter Sturdivant daraufhin die vermeintlichen Geständnisse von Brown, Ellington und Shields als Beweismittel zu.84 Damit folgte er einer Vorgehensweise, die auch in vielen anderen Gerichtsverfahren gegen schwarze Angeklagte in den 1930er und 1940er Jahren im Süden Transcript of Record, MoML/USSCRB, Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 5–20. 82 Ebenda, S. 24. 83 Ebenda. 84 Ebenda, S. 41. 81

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der USA praktiziert wurde. Tatgeständnisse stellten häufig das stärkste und – mit Blick auf die Geschworenen – überzeugendste Beweismittel der Anklage dar.85 Aus diesem Grund schreckten die Richter davor zurück, fragwürdige Geständnisse schwarzer Angeklagter in Mord- und Vergewaltigungsprozessen aus den Verfahren auszuschließen. Offenbar reagierten sie damit auf die öffentliche Forderung nach einer raschen Sanktionierung der Straftaten, die insbesondere mithilfe von Geständnissen sichergestellt werden konnte. Im Anschluss rief der Richter die Geschworenen in den Gerichtssaal zurück und forderte Sheriff Adcock auf, die Geständnisse der drei Angeklagten in Anwesenheit der Jury zu rekapitulieren.86 Dieser führte aus, dass sich die drei Beschuldigten bei der Vernehmung zunächst gegenseitig beschuldigt und dann ihre gemeinsame Beteiligung an der Tat gestanden hätten. Insbesondere Ed Brown und Arthur Ellington hätten sich danach erleichtert gezeigt: »Ich fragte sie, ob sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hätten, und sie sagten Ja. Der kleine Junge am Ende, Ellington, lächelte, glaube ich. Er sagte: ›Ja, Sir, ich fühle mich ein ganzes Stück besser.‹ Er fragte die anwesenden Herren nach einer Zigarette. Ich sagte: ›Jeder Mann, der die […] Wahrheit erzählt, fühlt sich besser.‹ Ich sagte: ›Was meinst du, Ed?‹, und er sagte: ›Ja, Sir, ich fühle mich viel besser.‹ Ich sagte: ›Was meinst du, Henry?‹, aber er antwortete nicht.«87 Die Aussagen des in den Zeugenstand gerufenen Sheriffs von Lauderdale County, Bryce M. Stevens, bestätigten diejenigen von Adcock.88 Zudem ließ die Staatsanwaltschaft Reverend Eugene Stevens in den Zeugenstand kommen. Der Geistliche erklärte, er sei zum Zeitpunkt der Geständnisse der drei Beschul-

Zur herausgehobenen Stellung des Geständnisses in der US-amerikanischen Kultur und im US-amerikanischen Strafrecht siehe Brooks, Troubling Confessions. 86 Transcript of Record, MoML /USSCRB , Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 25–34. 87 Ebenda, S. 32. 88 Ebenda S. 35. 85

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digten im Gefängnis von Meridian anwesend gewesen. Alle drei hätten ihre Tatbeteiligung freiwillig und ohne Zwangseinwirkung zugegeben. Der Geistliche bemühte sich nicht darum, seine Vorbehalte gegen die drei Angeklagten zu verbergen: »Die zwei darkies kamen über einen Seiteneingang neben dem Kamin herein, glaube ich. Er [Ed Brown] ging um die Ecke und wartete im Flur und traf sie dort. Es lässt sich nicht genau sagen, was seine Rolle war, aber er gab zu, dass er ihm [Raymond Stuart] zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem Stock auf die Schulter schlug.«89 Im Zuge der Vernehmungen, so Reverend Stevens weiter, hätten alle drei Männer die Tat gestanden: »Das ist im Prinzip alles, was ich gehört habe, dass sie diejenigen waren, die es getan haben und niemand anderes. […] Sie sagten, es gab kein anderes Motiv, außer das Geld zu stehlen.«90 Nach den Zeugen der Anklage wurde Ed Brown als erster Beschuldigter in den Zeugenstand gerufen, um zu den Tatvorwürfen Stellung zu beziehen. Er wies jegliche Beteiligung an dem Mord zurück. Auf die Frage, warum er trotzdem ein Geständnis abgelegt habe, erklärte Brown, dass er nach seiner Festnahme gewaltsam dazu gezwungen worden sei. Dabei habe sich insbesondere ein Hilfssheriff namens Cliff Dial hervorgetan: »Er sagte, komm raus hier, und dass er gehört hätte, ich hätte den Mord an Mr Raymond gestanden. Ich kam aus dem Gefängnis raus und sagte: ›Ich erkläre hiermit, dass ich Mr Raymond nicht getötet habe.‹ Er sagte: ›Komm hier rein und zieh dich aus; mit dir werde ich schon fertig.‹ Ich sagte bis zuletzt, dass ich ihn nicht getötet habe. Da warn zwei weitere Kerle wie der hier, und sie peitschten mich aus. Sie hatten mich bäuchlings auf Stühlen liegen, ungefähr so. Ich sagte, ich habe ihn nicht getötet, und sie sagten, nehmen wir ihn noch mal ran, und sie schlugen so fest zu, dass ich schließlich ›Ja, Sir‹ sagte. Mr Cliff [Dial] sagte: ›Gebt ihn [den Riemen, SN] mir mal, ich werde es aus ihm rauskriegen.‹ Er nahm ihn, und

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Ebenda, S. 39–40. Ebenda.

er hatte zwei Schnallen am Ende. Sie zogen mich aus und beugten mich über einen Stuhl, und ich musste es einfach sagen; ich konnte nicht anders.«91 Wie das Gerichtsprotokoll zeigt, untermauerte Brown seine Aussage, indem er auf die Spuren der Schläge an seinem Körper hinwies: »F. [Frage]: Wurden Sie hart geschlagen? A. [Antwort]: Ja, Sir. Ich werde es Ihnen zeigen. Die Stellen reichen bis nach oben. F.: Haben Sie geblutet? A.: Ob ich geblutet habe? Und wie ich geblutet habe.«92 Brown erklärte, dass ihm Dial im Anschluss an sein erzwungenes Tatgeständnis mit weiteren Schlägen gedroht habe, sollte er seine Aussagen widerrufen.93 Zudem beteuerte er, dass er Raymond Stewart nicht getötet habe: »Auch wenn ich jetzt sterben muss, sag ich es: Ich habe Mr Raymond niemals in meinem Leben etwas zuleide getan. Wenn sie wollen, können sie mich töten, weil ich dies gesagt habe, aber ich habe Mr Raymond niemals etwas zuleide getan.«94 Ed Browns Aussage stellte den Versuch dar, der Behauptung seiner Unschuld Gehör zu verschaffen, und weist überdies darauf hin, dass er sich sogar vor Gericht noch einer unmittelbaren Bedrohungssituation ausgesetzt sah. Danach wurde Henry Shields in den Zeugenstand gerufen. Er berichtete ebenfalls, dass er nach seiner Festnahme im Gefängnis von Meridian von Hilfssheriff Cliff Dial ausgepeitscht worden sei. Aufgrund der anhaltenden Schläge habe er schließlich ein falsches Geständnis abgelegt und angegeben, an der Ermordung Stuarts beteiligt gewesen zu sein: »Mr Cliff Dial und die anderen kamen an diesem Abend zurück und peitschten mich aus. Erst versuchte ich, die Wahrheit zu sagen, aber er ließ mich nicht. Er sagte: ›Nein, du hast Ebenda, S. 43. Ebenda. 93 Ebenda, S. 48. 94 Ebenda, S. 51. 91 92

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nicht die Wahrheit gesagt‹, und ich versuchte, dabei zu bleiben. Er schlug so fest zu, dass ich ihm etwas erzählen musste.«95 Auch der danach aufgerufene Ellington erklärte, dass er unschuldig und gewaltsam zu einem Geständnis gezwungen worden sei. Kurz nach Bekanntwerden des Mordes an Stuart habe ihn ein circa 20-köpfiger Mob aufgegriffen, darunter mehrere Angestellte des Sheriffs, auch der bereits erwähnte Cliff Dial. Die Männer hätten ihn an einen Baum gebunden und ausgepeitscht.96 Danach sei ihm ein über einen Ast gelegtes Seil um den Hals gebunden worden, woraufhin ihn die Angehörigen des Mobs zweimal in die Höhe gezogen hätten, um Informationen über die Tat zu erzwingen.97 Auf Nachfrage seines Anwalts wies Ellington zur Bestätigung der Vorwürfe auf die Narben an seinem Nacken hin: »F.: Was ist das für ein Abdruck an Ihrem Hals? A.: Da haben sie mich zweimal am Ast hochgezogen. F.: Wurde das mit einem Seil gemacht? A.: Ja, Sir. F.: Sie haben Sie zweimal mit einem Seil an einem Ast hochgezogen? A.: Ja, Sir. F.: Hat es Ihnen wehgetan? A.: Ja, Sir. F.: Konnten Sie stehen, nachdem sie Sie runter gelassen hatten? A.: Ja, Sir. F.: Wie lange haben sie Sie oben schaukeln lassen? A: Nicht sehr lange.«98 Trotz der anhaltenden Misshandlungen, so Ellington weiter, habe er jegliche Beteiligung an der Tat abgestritten, woraufhin er von den Männern freigelassen worden sei: »Sie ließen mich frei und sagten mir, ich solle nach Hause gehen, und ich konnte einfach so gehen.«99 Erst am nächsten Tag sei er von Dial und weiEbenda, S. 59. Ebenda, S. 69. 97 Ebenda. 98 Ebenda. 99 Ebenda, S. 69. 95 96

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teren Polizeikräften verhaftet und mit dem Auto auf einem Umweg über das angrenzende Alabama in Richtung Meridian transportiert worden. Nach Überqueren der Grenze nach Alabama hätten die Männer das Auto gestoppt. Dann habe ihn Dial so lange auspeitscht, bis er aus Angst vor weiteren Schlägen gestanden habe, an der Tat beteiligt gewesen zu sein: »A.: [S]ie holten mich heraus und peitschten mich erneut aus und forderten mich auf zu sagen, was ich darüber wusste. F.: Wer war das? A.: Mr Cliff. F.: Was haben Sie ihm gesagt? A.: Ich musste es sagen. Er fragte mich, wer den Eisenstab [»the chisel«] hatte, und er sagte, ich hatte ihn. Ich sagte, das stimmt nicht, und er hörte nicht auf mich zu schlagen, bis ich nicht anders konnte, als zu sagen, ich hätte ihn gehabt.«100 Arthur Ellingtons Aussage macht deutlich, dass Polizisten und Ortsansässige zunächst gemeinsam zur Tat schritten, um ein Geständnis zu erzwingen. Dabei griffen sie auf die Gewaltformen der Lynchrituale zurück. Möglicherweise verhinderte allein die Anwesenheit der Polizisten, dass Ellingtons Tortur mit dem Tod endete.101 »Viele Leute kamen dort hin«: Die Orte und das Publikum der Folter

Während Arthur Ellington erklärte, auf dem Weg nach Alabama ausgepeitscht worden zu sein, gaben Shields und Brown an, dass ihre Folterungen im Gefängnis von Meridian stattgefunden hätten. Die Gewaltakte spielten sich also an Orten ab, die sich durch eine tendenzielle Abgeschiedenheit von den Blicken der lokalen Öffentlichkeit auszeichneten. Doch scheinen nicht nur polizeiliche Akteure über die Folterungen informiert gewesen zu sein. Wie etwa eine Aussage von Henry Shields vor Gericht 100 101

Ebenda, S. 70. Wie u. a. David Garland gezeigt hat, war das gewaltsame öffentliche »Verhör« der Beschuldigten häufig ein zentraler Bestandteil von Lynchritualen. Siehe Garland, »Public Torture Lynchings«.

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nahelegt, wussten auch Teile der lokalen weißen Einwohnerschaft über die Folterung der Tatverdächtigen im Gefängnis von Meridian Bescheid. Auf die Frage, wer ihn am Tag seiner Festnahme in seiner Gefängniszelle gesehen habe, erwiderte er: »Viele Leute kamen dorthin.«102 Shields und Brown berichteten ebenfalls, dass den Folterungen mehrere Nachbarn von Raymond Stewart sowie ihnen unbekannte Personen beigewohnt hätten.103 Auch in den Aktenbeständen der NAACP ist wiederholt von Gerüchten und inoffiziellen Berichten über im Verborgenen stattfindende Folter die Rede.104 Jan-Philipp Reemtsma hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Wirkung der Folter als einer Herrschaftstechnik vom Spannungsverhältnis zwischen dem Verbergen der Folter und dem gleichzeitig vorhandenen klandestinen Wissen über ihre Anwendung genährt wird: »Zur Verbreitung des Schreckens gehört der Moment des Verborgenen – nur so unsichtbar, daß er unmerklich wird, darf er nicht sein.«105 Diese ambivalenten Momente spielten auch bei der Folter an afroamerikanischen Tatverdächtigen eine Rolle. Einerseits waren die Polizisten – vermutlich aus Sorge um rechtliche Sanktionen oder eine gerichtliche Entwertung der Geständnisse – darum bemüht, die Folterungen zu verheimlichen beziehungsweise an abgelegenen, den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Orten vorzunehmen. Andererseits ließen sie es zu, dass sie einem Publikum außerhalb der Gefängnismauern bekannt wurden. Vermutlich wollte man damit sowohl der weißen als auch der schwarzen lokalen Bevölkerung signalisieren, dass die Ermittlungen gegen die Verdächtigen mit allen verfügbaren Mitteln vorangetrieben wurden. Zudem liegt der Schluss nahe, dass die informelle Bekanntmachung der Fol-

Transcript of Record, MoML/USSCRB, Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 59. 103 Ebenda, S. 56, 59. 104 Siehe u. a. den Fall Dave Canty, der in den beiden folgenden Kapiteln untersucht wird. 105 Reemtsma, »Skizze eines Forschungsprogramms«, S. 14. 102

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terpraxis der Abschreckung und der Demonstration des staatlichen Gewaltmonopols dienen sollte. Eine zentrale Rolle bei der Inszenierung von Macht und Herrschaft im Rahmen der Folter spielte das Medium Sprache. Aufschlussreich hierfür ist der folgende, bereits zitierte Dialog zwischen Ed Brown und Hilfssheriff Cliff Dial, der die Folter einleitete: »Er sagte: ›Komm hier rein und zieh dich aus; mit dir werde ich schon fertig.‹«106 Der Befehl des weißen Polizisten, sich zu entkleiden, zielte darauf, ein hierarchisches Machtverhältnis zwischen sich und dem afroamerikanischen Tatverdächtigen zu etablieren, und brachte zugleich den totalen Verfügungsanspruch über dessen Körper zum Ausdruck. Der herrische Ton des Hilfssheriffs setzte den Anspruch auf weiße Über- und schwarze Unterordnung bereits zu Beginn des Folterverhörs in Szene. Die weiteren Aussagen von Ed Brown verdeutlichen zudem die enge Verschränkung zwischen Sprache und Gewalt in der Situation der Folter: »Sie drückten mich drei Mal runter. Zwei Mal sagte ich: ›Nein, Sir.‹ Bis zum letzten Mal sagte ich: ›Ich habe Mr Stewart niemals in meinem Leben etwas zuleide getan.‹ Sie sagten: ›Noch einmal runter mit dir.‹ Er [Cliff Dial] nahm dem kleinen Typen den Riemen weg, und es sah so aus, als wollte er mich töten, und ich sagte: ›Ja, Sir.‹ Er sagte: ›Was war mit der Lampe?‹ Ich sagte: ›Ich weiß es nicht.‹ Er sagte: ›Noch mal runter mit ihm‹, und ich sagte: ›Ja, Sir.‹ Er schlug mich so hart, dass ich ›Ja, Sir‹ sagen musste.«107 Die sprachlich und körperlich kommunizierte absolute Befehlsgewalt einschließlich der Drohungen waren integraler Bestandteil der Inszenierung der Folter und zugleich unmittelbar mit der Anwendung physischer Gewalt verbunden.108 Judith Butler Transcript of Record, MoML/USSCRB, Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 43. 107 Ebenda, S. 45. 108 Die Anglistin und Amerikanistin Elaine Scarry betont in diesem Zusammenhang, dass das Ineinandergreifen von Sprache und physischer Gewalt von konstitutiver Bedeutung für die Folter ist. Die Befragung sei Teil der »innerlichen Struktur« der Folter, indem sie die Gewaltpraxis der Folter als 106

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hat darauf hingewiesen, dass die sprachliche Androhung der Gewalt in einem unmittelbaren und wechselseitigen Bezug mit ihrer tatsächlichen Anwendung existiert. »Die Drohung […] eröffnet die Handlung, durch die möglicherweise die Erfüllung des angedrohten Aktes erreicht wird.«109 Dieser Zusammenhang kommt in einer weiteren Aussage des Angeklagten Ed Brown sehr deutlich zum Ausdruck: »Er sagte: ›Mit was hast du ihn geschlagen?‹, und ich sagte: ›Mit nichts.‹ Er sagte: ›Sag mir, mit was du ihn geschlagen hast, oder ich schlag dich tot.‹ Ich sagte: ›Mit einem Stock.‹ Er sagte: ›Nein‹, und ich sagte: ›Mit einem Beil.‹«110 In der Androhung, den Verhörten totzuschlagen, falls er sich dem Geständnis verweigere, trieb der Hilfssheriff seinen Überlegenheitsanspruch gegenüber dem schwarzen Opfer auf die Spitze. Er demonstrierte damit die absolute Verfügungsmacht über den Körper des Beschuldigten, bei der auch der mögliche Tod des Verhörten kein Tabu darstellte. Die Analyse der Aussagen von Ed Brown, Arthur Ellington und Henry Shields zeigt, dass die Folterung afroamerikanischer Tatverdächtiger eine überaus gewaltsame und symbolgeladene Praxis der Segregierung darstellte, mit der rassistische Machtund Herrschaftsansprüche in actu hergestellt und bekräftigt wurden.111 Darüber hinaus weisen einzelne Aussagen darauf hin, dass die Folter seitens der Betroffenen als Situation der absoluten Teil eines rationalen Prozesses der Wahrheitssuche legitimiere. Zugleich betonen sowohl Elaine Scarry als auch der Soziologe Wolfgang Sofsky, dass die Befragung aufs Engste mit der Gewaltpraxis der Folter verknüpft ist. Laut Scarry stellt das fortgesetzte Fragen im Zuge der Folter eine spezifische »Form des Verwundens« dar. Wolfgang Sofsky wiederum bezeichnet die Sprache der Folter als ein »Werkzeug der Gewalt«. Siehe Scarry, The Body in Pain, insb. S. 28–38, 45–51, hier S. 46; Sofsky, Traktat über die Gewalt, S. 97. Zur performativen Bedeutung der Sprache im Rahmen der Folter siehe auch Zirfas, »Rituale der Grausamkeit«, S. 139–141. 109 Butler, Haß spricht, S. 23. 110 Transcript of Record, MoML /USSCRB , Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 57. 111 Siehe auch Burschel/Distelrath/Lembke, »Eine historische Anthropologie der Folter«; Scarry, The Body in Pain, S. 4; Sofsky, Traktat über die Gewalt, S. 87.

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körperlichen und psychischen Übermächtigung erlebt wurde.112 Ed Browns Aussage – »Er schlug mich so hart, dass ich ›Ja, Sir‹ sagen musste« – bringt dies exemplarisch zum Ausdruck.113 »Wir wärmten sie ein wenig auf, nicht übermäßig«: Rechtfertigungen der Gewalt

Bemerkenswerterweise gaben sich die vor Gericht geladenen Polizeibeamten nicht die Mühe, die angewandte Verhörgewalt zu leugnen, sondern gestanden ganz offen ein, die Beschuldigten während der Vernehmungen geschlagen zu haben. Sie waren offenbar überzeugt, dass diese dennoch verurteilt werden würden. Zudem schienen sie keinerlei gerichtliche Sanktionen für ihr Handeln zu befürchten. Im Gegenteil: Sie signalisierten vielmehr, im Rahmen einer lokalen Ordnung agiert zu haben, in der physische Gewalt gegen afroamerikanische Tatverdächtige als alltägliches und legitimes Mittel der weißen Herrschaftssicherung galt. Aufschlussreich hierfür war unter anderem die Aussage des Polizisten E. L. Gilbert, der nach den Aussagen der drei AngeWolfgang Sofsky hat die Folter in diesem Zusammenhang als »totale Situation« bezeichnet: »Die Gewalt«, so Sofsky, »besetzt den Leib, das Selbst und die Welt des Opfers.« Siehe Sofsky, Traktat über die Gewalt, S. 98. Wie auch Jörg Zirfas konstatiert, »reduziert [die Folter] das Opfer auf reine Körperlichkeit. […] Der Gefolterte ist nichts als Körper, die Folter dementsprechend eine totale körperliche Erfassung, eine Objektivierung durch eine vollständige leibliche Beherrschung.« Zirfas, »Rituale der Grausamkeit«, S. 137. 113 Indem sie an der Anrede »Sir« festhielten, reagierten die drei Beschuldigten auf den in der Folter inszenierten weißen Überlegenheitsanspruch. Wie verschiedene Arbeiten zum Alltag der Segregation im Süden der USA gezeigt haben, stellten Anredeformeln ein wesentliches Mittel dar, mit dem die weiße Südstaatenbevölkerung ihren Vormachtanspruch gegenüber African Americans behauptete. Die Forderung an African Americans, weiße Erwachsene grundsätzlich mit »Sir« oder »Madam« anzusprechen, war eine der zahllosen Verhaltensvorschriften im öffentlichen Raum, mit denen versucht wurde, das fragile System der Rassentrennung aufrechtzuerhalten. Siehe Berrey, »Resistance Begins at Home«; Collins, Black Feminist Thought. 112

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klagten als Zeuge der Staatsanwaltschaft in den Gerichtsstand gerufen wurde. Auf Nachfrage eines der Verteidiger berichtete er freimütig, dass Ed Brown im Rahmen der Ermittlungen unter seiner Beteiligung auspeitscht worden sei: »Wir blieben etwa eineinhalb Stunden dort, denke ich. […] [E]r wurde einmal auspeitscht, aber ich weiß nicht, wie viele Pausen es gab. Wir sagten ihm, wann immer er reden wolle, würden wir ihn aufstehen lassen, und er stand auf.«114 In dieser Aussage kommt eine Rationalisierung der Folter zum Ausdruck: Gilbert schilderte sie als einen regelgeleiteten Vorgang, den der Befragte jederzeit durch ein Geständnis hätte beenden können. Noch unverblümter sprach Hilfssheriff Cliff Dial über die Folterungen. Auf die Frage, ob die Gefangenen im Rahmen der Vernehmungen geschlagen worden seien, erklärte er: »Wir wärmten sie ein wenig auf – nicht übermäßig.«115 Dial versuchte damit, die Folterungen spöttisch zu verharmlosen und vermittelte zugleich, dass sich Polizeibeamte durchaus dazu berechtigt sahen, afroamerikanische Tatverdächtige mit physischer Gewalt zu disziplinieren und »zum Sprechen« zu bringen. Bestätigt wird dies durch eine weitere Aussage, mit der er sich zur »Vernehmung« von Arthur Ellington äußerte: »F.: […] [H]aben Sie ihm ein paar Schläge verabreicht? A.: Ja, Sir. Er leugnete es. Er sagte, dass Ed und die anderen beteiligt waren und dass er dabeistand und das Licht gehalten habe, und dann sagte er endlich das, was ich für die Wahrheit in dieser Angelegenheit hielt.«116 Einzig die Anwendung von Gewalt gegen den schwarzen Verdächtigen scheint für Dial die mutmaßliche »Wahrheit« zum Vorschein gebracht zu haben. Aufschlussreich ist auch seine Aussage zu den Aktionen des Mobs, der sich kurz nach der Tat vor dem Haus des ermordeten Stuart versammelt hatte. Auf die Frage, ob Arthur Ellington von den Mitgliedern des Mobs ausTranscript of Record, MoML/USSCRB, Brown vs. Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), S. 106. 115 Ebenda, S. 113. 116 Ebenda, S. 111. 114

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gepeitscht worden sei, entgegnete er: »Nicht zu viel für einen negro; nicht so viel, wie ich ihm verabreicht hätte, wenn man es mir überlassen hätte.«117 In dieser Aussage offenbart sich ein bereits im 19. Jahrhundert weitverbreitetes rassistisches Stereotyp des African American als ein inferiores und subhumanes Wesen, das sich durch einen »unberechenbaren« und »widerspenstigen« Charakter auszeichnet und dessen Willen es durch körperliche Strafen zu brechen galt. Zudem knüpfte sie an die während der Sklaverei gängige Vorstellung an, nach der afroamerikanische Menschen über einen »stumpfsinnigen« und »gefühllosen« Körper verfügten und folglich nur mit Gewalt unter Kontrolle gebracht werden konnten. Noch im 19. Jahrhundert hatten Mediziner aus den Südstaaten die Behauptung aufgestellt, dass Schwarze aufgrund ihrer »rassischen« Inferiorität ein geringeres Schmerzempfinden als Weiße hätten. Wie historische Studien zeigen, nutzen viele Sklavenhalter diese Vorstellung, um physische Disziplinierungsund Strafmaßnahmen gegen Sklaven zu rechtfertigen.118 Cliff Dials Aussagen weisen darauf hin, dass Polizisten und Sheriffs die Anwendung der Folter auch noch in den 1930er Jahren mit rassistischen Stereotypen begründeten, deren Ursprung in der Sklaverei im Süden der USA zu verorten ist. Bezeichnend war in diesen Zusammenhang auch, dass die Beamten bei der Folter Peitschen einsetzten – eine Waffe, die während der Sklaverei bevorzugtes Mittel der Bestrafung und Disziplinierung der Sklavinnen und Sklaven war. Die Verwendung der Peitsche verstärkte damit in symbolträchtiger Weise den Herrschaftsanspruch der weißen Polizeibeamten gegenüber den schwarzen Tatverdächtigen.119 Wie der Ausgang des Gerichtsverfahrens gegen Brown, Ellington und Shields zeigt, blieben die freimütigen Eingeständnisse der Polizeikräfte zunächst ohne Folgen. Nach Abschluss Ebenda, S. 112. Siehe u. a. Clark, »Pain, Sympathy, and the Culture of Individual Rights«; Smith, »Getting in Touch with Slavery and Freedom«. 119 Zur Rolle von Gewalt im Herrschaftssystem der Sklaverei siehe u. a. Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 191–227. 117 118

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der Verhandlungen forderten die Verteidiger den Richter dazu auf, die Geschworenen über die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Geständnisse zu belehren. Daraufhin klärte dieser die Geschworenen darüber auf, dass sie die mutmaßlichen Geständnisse nur dann als Beweismittel anerkennen dürften, wenn diese nicht aufgrund von »Drohungen, Zwang, Gewalt oder Einschüchterungen« zustande gekommen seien. Trotz dieser Instruktionen befand die Jury die Angeklagten des Mordes für schuldig. Wie die lokalen Zeitungen meldeten, wurde unmittelbar darauf mit dem Bau des Galgens im Hof des Gefängnisses von Kemper begonnen.120 Doch die Hinrichtung der drei Angeklagten konnte abgewendet werden. Im Februar 1936 erklärte der U. S. Supreme Court das Todesurteil über die drei Angeklagten für ungültig. Zuvor hatte das höchste Gericht von Mississippi eine Aufhebung des Urteils abgelehnt. Wie im Kapitel zur NAACP-Kampagne gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse noch zu zeigen sein wird, führte das Engagement der beiden Anwälte John Clark und Earl L. Brewer aus Mississippi sowie der Rechtsabteilung der NAACP dazu, dass sich der U. S. Supreme Court des Falles annahm. Der Fall Brown, Ellington, Shields dokumentiert die gewaltförmigen Dynamiken, die mit der zunehmenden Durchsetzung des Gewaltmonopols in den Südstaaten einhergehen konnten. Während die Polizeikräfte mit verschiedenen Maßnahmen aktiv gegen einen drohenden Lynchmord an den Tatverdächtigen vorgingen, griffen sie zugleich zum Mittel der Folter, um deren Verurteilung durch das lokale Gericht sicherzustellen. Die Folter demonstrierte dabei den unbedingten Vormachtanspruch der weißen Polizeibeamten gegenüber den schwarzen Tatverdächtigen. Zugleich kam sie dem anhaltenden Vergeltungsbedürfnis der lokalen weißen Bevölkerung entgegen, das durch die Unterbindung der Lynchjustiz in die Schranken verwiesen worden war. Darüber hinaus zeigt der Fall, welchen Schwierigkeiten sich schwarze Angeklagte gegenübersahen, wenn sie dem Vorwurf 120

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Siehe Cortner, A »Scottsboro« Case in Mississippi, S. 29–31.

der Folter vor Gerichten des Südens Gehör verschaffen wollten. Sie bekamen subalterne Positionen zugewiesen, was besonders deutlich in Mord- oder Vergewaltigungsprozessen zum Ausdruck kam. Das folgende Kapitel greift diese Zusammenhänge auf, indem es untersucht, mit welchen Mitteln afroamerikanische Angeklagte in diesen Verfahren versuchten, den Vorwurf der Folter zu bezeugen.

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Folter und afroamerikanische Zeugenschaft vor Gericht

Ende November 1941 erhielt Walter White, der damalige Geschäftsführer der NAACP, einen Brief aus dem Gefängnis der Hafenstadt Mobile im Süden Alabamas. Er stammte von dem 20-jährigen African American Curtis Robinson, der kurz zuvor zusammen mit dem 18-jährigen Henry Daniels Jr. wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung einer weißen Frau von einem örtlichen Gericht zum Tode verurteilt worden war. Robinson legte dar, dass er durch den unberechtigten Vorwurf der Vergewaltigung in eine ausweglose Situation geraten sei: »Sehr geehrter Herr […]. Ich werde beschuldigt, hier in Mobile, Ala., über eine weiße Frau hergefallen zu sein, was ich nicht getan habe. Meine Leute [waren] nicht in der Lage, mir einen Anwalt zu bezahlen. Sie können also ahnen, womit ich es zu tun bekam, eines solchen Verbrechens im Süden angeklagt. Ich hatte keine Chance ohne eine anständige Verteidigung. Also wurde ich für schuldig befunden, eine weiße Frau vergewaltigt zu haben, was ich bei Gott im Himmel nicht getan habe. Ich, Curtis Robinson, der ich die Gesetze des Südens gegen einen farbigen Mann kenne, der über eine weiße Frau herfällt.«1 Robinsons Brief veranschaulicht die anhaltende Wirkmächtigkeit von »Rasse«- und Geschlechterdiskursen im US-amerikanischen Süden der frühen 1940er Jahre. Wie bereits ausgeführt, fielen African Americans, die der Vergewaltigung weißer Frauen beschuldigt wurden, bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein gehäuft Lynchmorden zum Opfer. Durch die verstärkte Eindämmung der Lynchgewalt in den 1920er und 1930er Jahren wurden Vorwürfe dieser Art vermehrt durch die Justiz geahndet, 1

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Brief von Curtis Robinson an Walter White, Mobile, AL, 27. 11. 1941, LOC, NAACP Papers, Group II , Box B-127, Robinson and Daniels vs. Alabama, 1941–1943.

was, wie Robinsons Brief zeigt, allerdings nicht bedeutete, dass die rassistischen Denk- und Handlungsmuster verschwanden. Seine Rede vom »Gesetz des Südens« weist vielmehr deutlich darauf hin, dass Vergewaltigungsvorwürfe gegen African Americans weiterhin mit aller Härte sanktioniert wurden und in welch prekärer Situation sie sich damit vor Gericht befanden. Besonders deutlich wird dies im letzten Abschnitt des Schreibens, in dem der inhaftierte Robinson bei den Verantwortlichen der NAACP um rechtliche Unterstützung nachsucht: »Falls ich schuldig wäre, würde ich niemanden um Hilfe bitten. Aber da ich an dem Verbrechen nicht schuldig bin, finde ich, dass ich ein Recht habe, zu leben, und auch ein Recht, jemanden um Hilfe zu bitten, da ich nicht in der Lage bin, mir selbst zu helfen.«2 Robinsons Schreiben zeugt vom Wissen um die eigene Machtlosigkeit gegenüber einem Justizsystem, in dem schwarze Angeklagte keine Aussicht auf ein faires und regelgeleitetes Verfahren hatten. Zugleich dokumentiert es das Bemühen, die eigene Unschuldsbehauptung zu Gehör zu bringen und das gefällte Urteil anzufechten. Wie noch zu zeigen sein wird, hatte Robinson bereits während seines Prozesses erfolglos versucht, gegen die drohende Verurteilung vorzugehen, indem er vor Gericht seine Unschuld beteuerte und darüber hinaus Foltervorwürfe gegen die Polizei erhob.3 Im Folgenden werden die Aussagepraktiken afroamerikanischer Angeklagter und die Geltung ihrer Inhalte vor Gerichten des Südens in den Blick genommen. Dabei fließen die in der Einleitung skizzierten Überlegungen Gayatri Chakravorty Spivaks zum Sprechen beziehungsweise Gehört-Werden subalterner Subjekte ein, indem gefragt wird, welcher Geltungsanspruch den Aussagen welcher Personen in den untersuchten Gerichtsverfahren zugesprochen wurde beziehungsweise welche unterschiedlichen Codierungen der Glaubwürdigkeit im Zuge der Prozesse hergestellt und behauptet wurden. Welchen Zeuginnen und Zeugen wurde geglaubt und welchen nicht? Wie reagierten 2 3

Ebenda. Zum Fall Daniels/Robinson siehe auch Niedermeier, »›Rasse‹, Vergewaltigung und Zeugenschaft«.

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die Gerichte auf die Foltervorwürfe afroamerikanischer Angeklagter und Zeugen, und welche Muster und Rahmungen artikulierten sich darin?

Rassismus und Diskriminierung im Gerichtssaal Ähnlich wie viele Lynchmorde liefen Gerichtsprozesse gegen Schwarze, die der Vergewaltigung oder des Mordes an Weißen beschuldigt wurden, nach einem bestimmten Muster ab. Sie dienten weniger der Rechtsfindung als der öffentlichen Degradierung der mutmaßlichen Täter sowie der Bestätigung der rassistischen Hierarchien und der patriarchalen weißen Geschlechterordnung. Häufig hatten diese Verfahren einen höchst emotionalisierten Charakter, der sich etwa in diffamierenden Äußerungen von Staatsanwälten sowie Lynchdrohungen der lokalen weißen Bevölkerung gegenüber den afroamerikanischen Angeklagten äußerte. Ein Bericht aus dem Jahr 1940 beschreibt die Atmosphäre dieser Gerichtsprozesse folgendermaßen: »Man muss nur eine Gemeinde im Süden zu einer Zeit aufsuchen, in der ein Negro wegen der Vergewaltigung oder der Ermordung einer weißen Person vor Gericht steht, um ein anschauliches Bild von dem Hass und der Leidenschaft und dem Wunsch nach Vergeltung zu erhalten, die häufig in den Herzen von weißen Südstaatlern entflammen. […] Die Luft ist von einer unterschwelligen Spannung erfüllt, und es gibt ein Gefühl der gebannten Erwartung, als ob jederzeit etwas Aufregendes geschehen könnte.«4 In einem Essay aus dem Jahr 1947 hat die Schriftstellerin Rebecca West die Gerichtsverfahren im amerikanischen Süden gegen schwarze Tatverdächtige als »Opern« bezeichnet und damit auf deren performative Dimension aufmerksam gemacht.5 Richter, Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwälte und Jury nahmen bei diesen Schauspielen unterschiedliche Rollen ein. Der Soziologe 4 5

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Siehe Mangum, The Legal Status of the Negro, S. 274. Siehe Rebecca West, »Opera in Greenville«. Siehe hierzu auch Waldrep, The Many Faces of Judge Lynch, S. 162.

Guy B. Johnson hat 1941 die Situation afroamerikanischer Angeklagter folgendermaßen skizziert: »[W]enn ein Negro in den Gerichtsaal geht, geht er mit dem Bewusstsein, dass die gesamte Gerichtsprozedur in der Hand der ›gegnerischen Rasse‹ liegt – weiße Richter, weiße Geschworene, weiße Anwälte, weiße Wärter, alles weiß.«6 Richter, Staatsanwälte und Geschworene agierten als Beschützer der weißen Vormachtstellung. Sie strebten danach, vermeintliche Verstöße afroamerikanischer Menschen gegen die rassistischen Macht- und Ordnungsstrukturen des Südens mit aller Härte zu sanktionieren. Dabei wurden rassistische und geschlechtlich codierte Verhaltensstandards aufgerufen und im Prozedere der Gerichtsverhandlung performativ bestätigt.7 Lisa Lindquist Dorr hat am Beispiel von Vergewaltigungsprozessen gegen African Americans in Virginia im frühen und mittleren 20. Jahrhundert gezeigt, dass die Bestimmung von juristischer »Wahrheit« in diesen Verfahren von untergeordneter Bedeutung war. Stattdessen stand die Wiederherstellung der infrage gestellten patriarchalen Rollenmuster und rassistischen Hierarchien im Zentrum dieser »rituellen Spektakel«: »Auch wenn rechtliche Verfahren vordergründig bestrebt waren, ›die Wahrheit‹ herauszufinden, funktionierten sie in der Realität als ritualisierte Spektakel, die den Aufruhr zerstreuten, der in der Regel durch das Verbrechen geweckt worden war. Die Verfahren selbst waren öffentliche Aufführungen, in denen die weißen Geschworenen normalerweise […] ihre Rolle als Beschützer weißer Frauen ausagierten und sich dabei an ein Skript sexueller und rassischer Ideologien hielten, das ihnen durch die Südstaatenrhetorik vertraut war.«8 Johnson, »The Negro and Crime«, S. 97. Auch Peter Schneck deutet die Gerichtsverhandlung als »intermediale Situation«, die »Elemente des Theatralischen, also sichtbare Dramatisierung, und Performanz aufweist«. Wie Schneck konstatiert, ist die »Inszenierung von Evidenz« in Gestalt der »strategischen Inszenierung sprachlicher Akte im Dienste der Wahrheitsfindung« ein integraler Bestandteil juristischer Prozesse. Siehe Schneck, »Wort und Bild im Kreuzverhör«, S. 44. 8 Dorr, White Women, Rape, and the Power of Race in Virginia, S. 5 (Hervorhebung im Original). 6 7

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Afroamerikanische Angeklagte hatten in diesen Prozessen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wie Myrdal in seiner bereits erwähnten Studie aus dem Jahr 1944 konstatierte, wurde der Zeugenaussage eines weißen Mannes »üblicherweise mehr Vertrauen zugesprochen« als der eines schwarzen. Damit führten die Gerichte eine »alte Tradition des Südens aus der Zeit der Sklaverei« fort, als die Aussage eines Schwarzen gegen einen weißen Mann grundsätzlich »außer Acht« gelassen wurde. Weiße Richter begründeten die Missachtung der Zeugenaussagen von Schwarzen damit, dass diese ihrer Erfahrung nach oft »unzuverlässig« seien. Diese Abwertung, so Myrdal weiter, passe auch in das »Denkmuster«, dass es »gefährlich für die soziale Ordnung« sei, wenn Schwarze »ihre Rechte gegenüber weißen Personen beanspruchen« könnten.9 Myrdals Befund verweist auf die grundlegenden Schranken, denen sich afroamerikanische Angeklagte gegenübersahen, wenn sie vor Gerichten des Südens den Versuch unternahmen, ihre Sicht der Geschehnisse zu präsentieren. Dennoch zeigt die Analyse von Gerichtsprotokollen, dass African Americans aktiv gegen die erfahrene rechtliche Diskriminierung vorgingen, indem sie die Wahrung ihrer Verfahrensrechte einforderten. Im Gegensatz zu Lynchritualen boten Gerichtsverhandlungen immerhin einen institutionellen Rahmen, in dem sie die Möglichkeit hatten, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung zu beziehen, wenngleich sie damit ihre Verurteilung in der Regel nicht abwenden konnten. Besonders deutlich wird dies in Verfahren, in denen schwarze Angeklagte den Vorwurf erhoben, gewaltsam zu Geständnissen gezwungen worden zu sein. Der im Folgenden untersuchte Fall von Dave Canty macht diese Zusammenhänge auf exemplarische Weise deutlich.

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Myrdal, An American Dilemma, S. 550.

»All diese Narben, da und da«: Die Bezeugung der Folter im Fall Dave Canty Ausgangspunkt des Falls Dave Canty war ein Raubüberfall auf zwei Krankenschwestern in Alabamas Hauptstadt Montgomery am 20. März 1938, bei dem die 48-jährige Eunice Ward ermordet und ihre Schwester Lillian Ward schwer verletzt wurde. Wie Lillian Ward im Anschluss an die Tat berichtete, seien sie und ihre Schwester während einer Ausflugsfahrt von einem unbekannten schwarzen Täter überfallen worden. Der Mann habe zunächst ihre Geldbörsen verlangt. Nachdem er darin nur wenige Dollar gefunden habe, sei er wütend geworden und habe ihre Schwester Eunice mit einem herumliegenden Isolierteil auf den Kopf geschlagen. Anschließend sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und dem Täter gekommen, in deren Folge sie von dem Mann geschlagen und mit einem Taschenmesser angegriffen worden sei, bevor er die Flucht ergriffen habe.10 Unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat wurde mit der Suche nach dem Täter begonnen, bei der sich Polizeibehörden aus ganz Alabama beteiligten und bei der zusätzlich Bluthunde eingesetzt wurden. Zudem setzte der Gouverneur von Alabama, David Bibb Graves (1927–1931/1935–1939) eine Belohnung für die Ergreifung des Täters aus.11 Sechs Tage später wurde der 26-jährige Dave Canty in der Hafenstadt Mobile, Alabama, als Tatverdächtiger festgenommen.12 Nach Angaben des Montgomery Advertiser wurde er noch am selben Tag in das Kilby Prison, das Staatsgefängnis von Alabama in der Nähe von Montgomery, verlegt, offenbar um der Gefahr eines Lynchmordes vorzubeugen.13 Anschließend fand eine Gegenüberstellung des Verdächtigen mit der noch im Krankenhaus liegenden Lillian

»Two Nurses Slugged by Negro Thug«, The Montgomery Advertiser, 21. 3. 1938, S. 1, 3. 11 »Dogs Trail Negro in Ward Murder«, The Montgomery Advertiser, 25. 3. 1938, S. 1. 12 »Mobile Seizes Prime Suspect in Ward Case«, The Montgomery Advertiser, 27. 3. 1938, S. 1. 13 Ebenda. 10

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Ward statt, nach der diese öffentlich erklärte, sich nicht sicher zu sein, ob Canty der Täter sei.14 Drei Tage darauf gab der Advertiser bekannt, dass drei weiße, in der Nachbarschaft des Tatorts wohnhafte Jungen angegeben hätten, einen »schwarzen Mann« gesehen zu haben, der zum Tatzeitpunkt aus Richtung des Tatorts geflüchtet sei. Bei einer Gegenüberstellung im Kilby Prison sei Canty von den Jungen als diese Person identifiziert worden.15 Am 4. April 1938 schließlich verkündete der Advertiser auf der Titelseite, dass Dave Canty den Raubüberfall auf die beiden Krankenschwestern gestanden habe, wie es im Weiteren hieß, nach stundenlangen Befragungen im Polizeirevier von Montgomery: »Nervös auf einem Stuhl im Keller des Polizeihauptquartiers hin und her rutschend, nach mehrstündigen Befragungen, wandte sich Canty plötzlich den Polizeibeamten um ihn herum zu und sagte, dass er etwas über den Fall zu sagen hätte, falls er in das Gefängnis von Kilby zurückgebracht werde. Die Beamten brachten Canty unmittelbar darauf nach Kilby, und dort, im Büro des stellvertretenden Gefängnisdirektors, […] bekannte er seine Verantwortung für das Verbrechen und kritzelte seine Unterschrift unter ein schriftliches Geständnis.«16 Auch das Tatgeständnis wurde veröffentlicht, das offensichtlich von den ermittelnden Polizeibeamten an die Presse weitergeleitet worden war: »Das Geständnis wurde wie folgt kundgegeben: ›Am Samstagnachmittag, 19. März 1938, um 16 Uhr, kurz bevor […] ein starker Regen einsetzte, ging ich an die Seite des Autos, in dem die beiden Frauen saßen, und packte die große Frau (Miss Eunice Ward) und bekam die Handtasche zu fassen. Nachdem ich die Handtasche […] hatte, schubste ich die andere Frau »Nurse Fails To Identify Dave Canty«, The Montgomery Advertiser, 30. 3. 1938, S. 1. 15 »Three Boys Pick Negro in Ward Case«, The Montgomery Advertiser, 2. 4. 1938, S. 1. 16 »Dave Canty Admits He Beat Nurses«, The Montgomery Advertiser, 4. 4. 1938, S. 1, 3. 14

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weg, holte 5,65 US-Dollar heraus und schmiss die Tasche auf der rechten Seite des Autos hin. Als ich die Dame mit einem Isolierteil auf den Kopf schlug, griff mich die kleine Frau an, sie schlug mich, und ich schlug sie und stieß sie zu Boden und rannte los. Ich machte mich los und rannte. Ich rannte hoch zur Bahnstrecke der Central of Georgia Railroad und zur Fünften Straße – von dort zur Mulberry und erwischte den Bus. Ich verließ den Bus an der Ecke Dexter und Lawrence Street. (Gezeichnet) ›Dave Canty‹.«17 Nach Angaben des Advertiser sei Cantys Unterschrift unter das Geständnis von zahlreichen anwesenden Personen bezeugt worden.18 Die lokalen Behörden und Pressevertreter bemühten sich also, das zügige Voranschreiten der Ermittlungen öffentlich zu machen. Vermutlich wollte man damit – ähnlich wie in dem bereits analysierten Fall Brown/Ellington/Shields – den Rachedurst der weißen Bevölkerung befriedigen. Nachdem der Staatsanwalt von Montgomery, W. T. Seibel, kurze Zeit später Anklage erhoben hatte, fand vom 1. Juni 1938 bis zum 4. Juni 1938 das Verfahren gegen Dave Canty vor dem Circuit Court von Montgomery statt. Canty wurde dabei von den beiden weißen Anwälten Edward W. Wadsworth und Alex C. Birch vertreten.19 Die Berichterstattung der lokalen Presse zeigt, dass der Prozess gegen Canty ein öffentliches Spektakel darstellte, an dem große Teile der lokalen weißen Bevölkerung partizipieren wollten. »Während des gesamten Tages war der Gerichtsaal brechend voll, viele der Zuschauer mussten stehen. Die Menge schien Ebenda (Hervorhebungen im Original mit fett gesetzten Lettern, SN). Siehe auch die parallele Veröffentlichung des Geständnisses im Alabama Journal: »Indictment of Canty Sought in Ward Case«, The Alabama Journal, 4. 4. 1938, S. 1, 3. 18 »Dave Canty Admits He Beat Nurses«, The Montgomery Advertiser, 4. 4. 1938, S. 1, 3. 19 Wie im folgenden Kapitel genauer ausgeführt wird, hatten die beiden Anwälte vor Beginn des Verfahrens Kontakt mit der Rechtsabteilung der NAACP in New York City aufgenommen. Zudem wurde die lokale Zweigstelle der NAACP unmittelbar nach Cantys Festnahme in dem Fall aktiv. 17

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mehr an der Aussage von Miss Lillian Ward interessiert zu sein als an irgendeinem anderen Zeugen. Miss Ward musste nicht in den regulären Zeugenstand treten, sondern saß in einem auf dem Boden stehenden Stuhl genau vor dem Gerichtsvollzieher. Ihre Worte waren klar und deutlich. Einoder zweimal während ihrer Aussage gestattete ihr Richter Carter eine kurze Pause, was ihr dabei zu helfen schien, die Fassung zu bewahren.«20 Die theatrale Dimension des Verfahrens wird auch in der Schilderung des Auftritts von Dave Canty deutlich: »Die gestrige Sitzung fand erneut vor vollem Haus statt, viele Zuschauer waren gezwungen zu stehen. Dutzende andere wurden wie bereits am Vortag weggeschickt. Die Menge blieb friedlich, aber gelegentlich musste Richter Carter damit drohen, den Saal zu räumen, sofern das Gelächter und die überflüssigen Kommentare nicht aufhörten. Als Cantey21 am späten Nachmittag in den Zeugenstand trat, rückte die Menge so nah an den Angeklagten heran wie möglich. Während seiner gesamten Aussage herrschte absolute Stille, alle Anwesenden wollten jedes Wort hören.«22 Die verbale und nonverbale Bezeugung der Folter vor Gericht

Während seines Zeugenauftritts sagte Dave Canty aus, dass er im Zuge der Ermittlungen von Polizeibeamten gefoltert und gewaltsam zu einem Geständnis gezwungen worden sei. Mehrere Beamte – unter ihnen der Chefermittler (Chief of Detectives) von Montgomery, Paul Rapport, die Ermittler A. C. Stennison und A. Chancellor sowie der Polizist Tom Carlisle – hätten ihn sowohl kurz nach seiner Festnahme in Mobile als auch nach seiner Überführung in das Kilby Prison misshandelt: »Soothsayer Tell Jury of Cantey’s Call«, The Montgomery Advertiser, 3. 6. 1938, S. 1, 3. 21 Die Zeitungsberichte über den Fall variieren zwischen den Namen Dave Canty und Dave Cantey. Im Folgenden wird der Name Dave Canty verwendet. In den Zitaten wird jeweils der Originalwortlaut belassen. 22 »Whip Drew Confession Says Cantey«, The Montgomery Advertiser, 4. 6. 1938, S. 1, 3. 20

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»[S]ie brachten mich ins Gefängnis, und Mr Rapport und Mr Dennison – der mit der Brille – verließen das Gefängnis, und der andere Mann, der große dicke, und Mr Carlisle und die anderen holten mich zurück in den Raum und schlugen mich dort im Hinterzimmer und legten mir eine Klammer an und brachten mich dort hinten hin. Sie beschimpften mich und schlugen mich mit den Fäusten, und sie sagten: ›Junge, was hast du gemacht?‹ Ich sagte: ›Wovon redet ihr?‹, und sie schlugen mich. Einer von ihnen, der Kerl an der mittleren Tür, sagte: ›Ganz recht so, ich werde dich23 umbringen.‹ Nach einer Weile kam Mr Rapport, und als sie hereinkamen, sagte er zu mir: ›Ich möchte, dass du den ganzen Weg über bis nach Montgomery stillhältst.‹ Er sagte: ›Verhalte dich ruhig.‹ Ich wurde zum Polizeihauptquartier nach Montgomery gebracht, und sie machten eine Pause und brachten mich nach Kilby. Ich blieb dort diesen Sonntag, und am darauffolgenden Montag kamen Mr Dennison und Mr Chancellor zu mir und brachten mich in einen der Räume dort, und sie und Mr Carlisle nahmen sich einen der Riemen dort und peitschten mich aus.«24 Canty gab also detailliert Auskunft über die unterschiedlichen Orte und den zeitlichen Ablauf der mutmaßlichen Folterungen, benannte die Namen der beteiligten Personen und rekapitulierte wörtliche Aussagen der Polizeikräfte. Mit der Detailgenauigkeit wollte er offensichtlich die Wahrhaftigkeit des von ihm erhobenen Foltervorwurfs untermauern. Auch körpersprachliche Mittel setzte er hierfür ein, wie in der folgenden Passage aus dem Gerichtsprotokoll deutlich wird: »Mr Dennison nahm mich am Kopf direkt an der Seite des Gesichts, so etwa (führt vor), BAM, und er schlug mich und stieß gegen meinen Kopf, so (deutet an), und seine Hände Den damals vorherrschenden rassistisch codierten Kommunikationsregeln zwischen African Americans und weißen Funktionsträgern im Süden der USA entsprechend, wurde Canty bei der Vernehmung mit seinem Vornamen angeredet, während er die Beamten siezte. Daher wurde »you« bzw. »your« hier und im Folgenden mit »du« bzw. »dein/e« übersetzt. 24 Dave Canty vs. State of Alabama, ADAH , ASC /RoC, Vol. 3697, S. 147. 23

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rutschten von meinem Kopf ab, und er quetschte sie sich dabei, glaube ich.«25 Dieser Versuch Cantys, seinen Vorwürfen mit verschiedenen kommunikativen Mitteln Evidenz zu verleihen, wird noch an einer weiteren Stelle des Protokolls deutlich, in der er die von ihm erlittenen Misshandlungen im Staatsgefängnis von Alabama ausführlich schildert: »Sie nahmen eines dieser Dinger, die deine Hände einklemmen und sich so herunterdrehen lassen (deutet die Bewegung an), Sie können das Loch hier sehen (deutet auf eine Stelle an seiner Hand) und dort (deutet auf eine andere Stelle an derselben Hand), und sie quetschten mich so fest, wie sie nur konnten. […] [Mr Chancellor] holte aus und schlug mir auf den Mund, und während er mich mit der Faust schlug, sagte er: ›Mr Carlisle, kommen Sie her, ich möchte, dass Sie das übernehmen. Sie sind der Größte und der Härteste von uns‹, und er läuft zu mir rüber […] und sagt: ›Ich werde euch mal was zeigen‹, und er verdreht mein Bein und stellt seine beiden Füße auf meinen Fuß, und er packt meinen Kopf ungefähr so (zeigt der Jury die Bewegung), und er sagte: ›Alles klar, jetzt geht es los.‹ Er verdrehte mein Bein, so weit er konnte, und ich fiel auf den Boden, und als ich wieder zu mir kam, hatten sie mich genauso liegen lassen.«26 Die im Protokoll in Klammern gesetzten Ergänzungen dokumentieren die verschiedenen nonverbalen Mittel, mit denen Canty vor Gericht versuchte, die Foltervorwürfe zu bezeugen. In einer weiteren Passage wird deutlich, dass er hierfür nach Aufforderung seiner Anwälte auch mutmaßliche Spuren der Gewalt an seinem Körper demonstrierte: »F.: Gehen Sie rüber (zur Jury) und zeigen Sie sie den Geschworenen. A.: (Der Zeuge ging zur Jury und zeigte die Narben, die ihm seiner Aussage zufolge von den Beamten zugefügt worden seien, indem sie ihn auf beide Beine und Knie geschlagen hät-

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Ebenda, S. 147. Ebenda, S. 149.

ten. Auch die Narben an seinen Händen.) »All diese Narben, da und da.«27 Dass diese Art des Aussagens und der Selbstpräsentation beim Staatsanwalt zumindest Irritation erzeugte, wird in einem weiteren Wortwechsel erkennbar, bei dem Canty erneut seine Narben in Richtung Jury präsentierte. »A.: […] Meine beiden Hände waren frisch verletzt, als Sie (Mr Wadsworth) und Mr Birch zu mir kamen, und ich zeigte Ihnen meinen Mund, wo die Wunde noch frisch war. Ich zeigte Ihnen diese Narbe, wo sie mich geschlagen und getreten hatten, Ihnen allen habe ich sie noch nicht gezeigt (zur Jury). Mr Wadsworth: Das ist in Ordnung, ich möchte, dass Sie sie ihnen zeigen. Staatsanwalt: Ich habe nichts dagegen, wenn er strippen und uns alles an ihm zeigen möchte. Der Zeuge zeigt der Jury Narben. A: Diese Stellen waren noch frisch, als ich sie Ihnen und Mr Birch gezeigt habe.«28 Während der Staatsanwalt hier den Versuch unternahm, die Präsentation der Narben ins Lächerliche zu ziehen, reagierte er an anderer Stelle mit offener Aggression darauf. Als er Canty der Falschaussage bezüglich der mutmaßlichen Folterspuren bezichtigte, kam es zu folgendem Wortwechsel: »F.: […] Hast du29 den Geschworenen nicht irgendwelche Narben gezeigt, die bereits seit sehr, sehr langer Zeit an deinem Bein sind und nicht von irgendwelchen Schlägen der Polizisten stammen? A.: Ich habe keine einzige Narbe gezeigt, die sich bereits seit sehr, sehr langer Zeit an meinem Bein befindet. Staatsanwalt: Zieh’ deine Hosenbeine nicht hoch, ich will Ebenda, S. 147. Ebenda, S. 151. 29 Wie bereits bei seiner Vernehmung wurde Dave Canty von Staatsanwalt Seibel während des gesamten Prozessverlaufs mit seinem Vornamen angesprochen. Folglich wurde »you« auch an dieser und den weiteren Stellen mit »du« übersetzt. 27 28

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deine hässlichen Beine nicht sehen. Niemand will dein Bein sehen. Zieh sie runter.«30 Die herabsetzende Art, in der der Staatsanwalt Canty anwies, die Hosenbeine wieder herunterzukrempeln und seine »hässlichen Beine« bedeckt zu halten, legt nahe, dass er dessen Verhalten vor Gericht als Affront wahrnahm. Cantys Versuch, den Vorwurf der Folter wortreich und mit verschiedenen körpersprachlichen Mitteln zu untermauern, stellte für ihn offenbar einen provokativen Akt dar, mit dem der schwarze Angeklagte die ihm zugewiesene passive und untergeordnete Position vor Gericht verlassen hatte. Die Irritation über das widerständige Verhalten des Angeklagten Canty kam auch in einem Bericht des Montgomery Advertiser zum Ausdruck, in dem der Auftritt Cantys folgendermaßen geschildert wurde: »Canty erzählte den Geschworenen, dass er im Gefängnis von Kilby vier Tage in Folge schwere Schläge erleiden musste, weil er nicht gestehen wollte, dass er Miss Ward ermordet und ihre Schwester verletzt hatte. […] Der Zeuge sagte, im Polizeihauptquartier seien die Peitsche und andere Folterwerkzeuge zur Anwendung gekommen, wenige Tage, nachdem er in Kilby geschlagen worden sei. Er zeigte der Jury, was laut seiner Aussage Narben von Peitschenhieben waren, die meisten davon an den Beinen unterhalb der Knie. […] Dave beschrieb die angeblichen Auspeitschungen mit Handbewegungen, die die Beamten laut seinen Aussagen gemacht hätten, während sie ihn peinigten. Er stand häufig auf und lief einige Male zu der Brüstung vor der Geschworenenbank.«31 Zudem wurde berichtet, dass mehrere altgediente Polizisten die Stichhaltigkeit von Cantys Foltervorwürfen gegenüber der Presse in Zweifel gezogen hätten: »Altgediente Polizisten […] sagten, ›Canteys Geschichte über die Prügel, die er bezogen habe‹, sei ›eine der unglaubwürDave Canty vs. State of Alabama, ADAH, ASC/RoC, Vol. 3697, S. 156 (Hervorhebungen SN). 31 »Whip Drew Confession Says Cantey«, The Montgomery Advertiser, 4. 6. 1938, S. 1, 3. 30

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digsten Schilderungen des dritten Grades‹, die sie je von den Lippen eines Angeklagten oder Zeugen gehört hätten.«32 Im Anschluss an Cantys Aussage lud die Staatsanwaltschaft zahlreiche Zeugen vor Gericht, um die erhobenen Foltervorwürfe zu entkräften. Alle Befragten sagten unter Eid aus, dass Canty sein Geständnis freiwillig und ohne Einwirkung von Zwang und Gewalt abgelegt habe. So erklärte etwa der Gefängniswärter Lindsey, dass sich Canty im Gefängnis in seiner Obhut befunden habe. Während der gesamten Zeit habe er keine Hiebe gehört und »keine Spuren von Schlägen, Quetschungen oder Blutergüsse« an seinem Körper erkennen können. Zudem habe sich Canty ihm gegenüber nie darüber beschwert, verletzt worden zu sein.33 Auch der in den Zeugenstand geladene Polizist Carlisle, der zuvor von Canty als einer der an der Folter beteiligten Personen genannt worden war, wies den Vorwurf dezidiert zurück. Auf die Frage, ob er Canty geschlagen habe, gab er zu Protokoll: »Ich habe ihn niemals gehauen oder geschlagen und habe auch niemanden anderen dies tun sehen.«34 In seinem Abschlussplädoyer forderte Staatsanwalt Seibel die Vertreter der Jury nachdrücklich dazu auf, Canty für die ihm angelastete Tat zu verurteilen. Gegen den Einwand der Verteidigung führte er aus, dass das für die Taten verantwortliche »Monster« bestraft werden müsse,35 und hielt die Geschworenen mit drastischen Worten dazu an, den Foltervorwürfen und der Unschuldsbehauptung des Angeklagten keinen Glauben zu schenken: »Ich bin der Meinung, falls es einen Mann in dieser Jury gibt, [der] dieser Geschichte des Angeklagten Glauben schenkt, sollte er sein Gehirn herausnehmen und wiegen oder untersuchen lassen. Denn wenn Sie das glauben, werden Sie alles glauben.«36 Ebenda. Dave Canty vs. State of Alabama, ADAH, ASC/RoC, Vol. 3697, S. 168. 34 Ebenda. 35 Ebenda, S. 177. 36 Ebenda, S. 178. 32 33

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Die Geschworenen folgten offenbar der Auffassung der Staatsanwaltschaft. Nach Abschluss der dreitägigen Verhandlungen wurde Canty für schuldig erklärt und zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt.37 Die Verurteilung von Dave Canty verdeutlicht die grundlegenden Grenzen afroamerikanischer Zeugenschaft vor Gerichten im Süden der USA. Wie in zahlreichen Prozessen dieser Zeit gegen African Americans, die des Mordes oder der Vergewaltigung weißer Personen beschuldigt wurden, fanden die detaillierten Foltervorwürfe keinen Eingang in die gerichtliche Urteilsfindung. Vielmehr wurden sie als Versuch des Angeklagten abgetan, die ihm drohende Strafe abzuwenden. Zugleich dokumentiert der Fall jedoch die unterschiedlichen Praktiken, mit denen schwarze Beschuldigte versuchten, dem Vorwurf der Folter und der eigenen Unschuldsbehauptung – trotz der erfahrenen rechtlichen Diskriminierung – Geltung zu verschaffen. Der Auftritt des Angeklagten Dave Canty im Zeugenstand des Circuit Court von Montgomery lässt sich als eine Form des subalternen Gegen-Sprechens deuten, in dem mit verbalen und nonverbalen Kommunikationsmitteln eine Möglichkeit der Intervention ausgelotet wurde. Diese Beobachtungen sind konzeptionell wichtig, da sie die Perspektive auf den repressiven Kontext des Justizsystems im amerikanischen Süden in der Phase vor der Bürgerrechtsbewegung erweitern. Sie zeigen, dass es sich beim Vorgang der Wahrheitsfindung um ein umkämpftes Geschehen handelte, in dem afroamerikanische Angeklagte mit verschiedenen Mitteln gegen die ihnen zugewiesene inferiore Sprechposition aufbegehrten und versuchten, eine alternative Deutung der Geschehnisse zu Gehör zu bringen, wenngleich ihre Interventionen in der Regel keinen Einfluss auf das abschließende Urteil hatten. Dieser Befund schließt an neuere Arbeiten im Bereich der Black Cultural Studies an, die dazu aufgefordert haben, Insze37

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»Dave Canty Guilty; Must Die in Chair«, The Montgomery Advertiser, 5. 6. 1938, S. 1, 2. Zum weiteren Verlauf des Falls siehe die Ausführungen im folgenden Kapitel.

nierungen schwarzer Widerständigkeit und schwarzer kultureller Identität in den Blick zu nehmen und auf ihre historischen Wurzeln und politischen Implikationen hin zu untersuchen.38 Der Auftritt von Dave Canty macht deutlich, dass widerständiges Verhalten von African Americans auch im repressiven Kontext des Justizwesens der Südstaaten lokalisierbar war. Seine Aussagen lassen sich in diesem Sinne als sprachliche und körperliche Praxis schwarzer Widerständigkeit deuten, als ein Aufbegehren gegen die aufgezwungene Marginalisierung und die eigene Sprachlosigkeit in den rassistischen Strukturen der Justiz.39 Darüber hinaus gibt der Fall Dave Canty Aufschluss über die höchst ungleiche Rahmung, die die Aussagen weißer und schwarzer Zeuginnen und Zeugen vor Gerichten des Südens erfuhren. Im folgenden Abschnitt wird dieser Zusammenhang anhand des bereits vorgestellten Falls Daniels/Robinson genauer untersucht.

Folter und die Kodierungen der Glaubwürdigkeit: Der Fall Daniels/Robinson Ausgangspunkt für das Verfahren gegen Henry Daniels Jr. und Curtis C. Robinson waren Berichte über die Vergewaltigung der 26-jährigen Zeola Mae Armstrong in Alabamas Hafenstadt Mobile. Nur wenige Stunden danach nahm die Polizei am 19. August 1941 mehrere afroamerikanische Tatverdächtige fest, unter ihnen auch den damals 18-jährigen Henry Daniels Jr. sowie den 20-jährigen Curtis C. Robinson. Drei Tage später beSiehe Conquergood, »Rethinking Elocution«, S. 155. Siehe hierzu auch die Beiträge in: Ugwu (Hg.), The Politics of Black Performance, insbesondere: Gilroy, »Black Expressive Culture«; hooks, »Performance Practice«. Zu Performanz und afroamerikanischem Widerstand im Süden der 1930er und 1940er Jahre siehe insbesondere Kelley, Race Rebels. Zu den Verknüpfungen zwischen »Rasse«, Performativität und afroamerikanischer Identität siehe auch Brooks, Bodies in Dissent. 39 Zur »Kunst« und Praxis des Widerstand-Leistens in repressiven Herrschaftsstrukturen siehe insbesondere Scott, Domination and the Arts of Resistance; Lüdtke, »Herrschaft als soziale Praxis«. 38

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richtete der Mobile Register, dass die beiden Gefangenen die Tat gestanden hätten. Um möglichen Angriffen der Bevölkerung vorzubeugen, wurden die beiden Verdächtigen unmittelbar nach der Anklageerhebung in das 250 Kilometer entfernte Staatsgefängnis von Alabama, das bereits erwähnte Kilby Prison in Montgomery, verlegt.40 Drei Monate später fanden vor dem Circuit Court in Mobile, Alabama, die Gerichtsverfahren gegen Henry Daniels Jr. und Curtis Robinson statt. Da offenbar weder sie noch ihre Angehörigen über ausreichende finanzielle Mittel für einen Rechtsbeistand verfügten, vertraten drei vom Gericht ernannte Pflichtverteidiger die beiden Angeklagten.41 Die Gerichtsprotokolle zeigen, dass in dem Verfahren höchst unterschiedliche und konkurrierende »Wahrheiten« in Bezug auf die erhobenen Foltervorwürfe zur Sprache gebracht wurden. Während auf der einen Seite die Zeuginnen und Zeugen der Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Vergewaltigung bekräftigten und von einer umfassenden Beweislast gegen die beiden Angeklagten sprachen, beteuerten diese ausdrücklich ihre Unschuld. Darüber hinaus erhoben sie den Vorwurf, sie seien unter Folter zu falschen Tatgeständnissen gezwungen worden.42 Der Staatsanwalt Bart B. Chamberlain eröffnete das Verfahren mit der Behauptung, dass die beiden Angeklagten bereits vor der Tat mehrfach das Verlangen geäußert hätten, sexuellen Verkehr mit einer weißen Frau zu haben.43 Damit wurde gleich das bereits erwähnte und im Süden der USA seit dem späten 19. Jahrhundert weitverbreitete und überaus wirkmächtige Stereotyp des triebhaften schwarzen Vergewaltigers ins Spiel gebracht, den es nach sexuellen Kontakten mit weißen Frauen dränge.44

»Attack Suspects Taken to Kilby«, The Mobile Register, 22. 8. 1941, S. 2. »Assault on Woman will Bring Death«, The Mobile Register, 27. 11. 1941, S. 3. 42 Henry Daniels Jr. vs. State of Alabama, ADAH , ASC /RoC, Vol. 8346, 1 Div. 162; Curtis Robinson vs. State of Alabama, ADAH, ASC/RoC, Vol. 8346, 1 Div. 163. 43 Henry Daniels Jr. vs. State of Alabama, ADAH , ASC /RoC, Vol. 8346, 1 Div. 162, S. 14–15. 44 Hodes, »The Sexualization of Reconstruction Politics«; dies., White Women, Black Men. 40 41

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Die Zeugenvernehmung begann mit Zeola Mae Armstrong, die aufgefordert wurde, den Tathergang zu rekapitulieren.45 Armstrong schilderte den Vorgang der Vergewaltigung in detaillierter Form. Die beiden Angeklagten hätten sie in eine Seitengasse geschleppt und sie mit Fäusten ins Gesicht und auf andere Stellen des Körpers geschlagen. Trotz ihrer Versuche, sich zu wehren und zu entkommen, hätten die beiden sie auf den Boden geworfen, festgehalten und vergewaltigt. Laut Protokoll identifizierte Armstrong die beiden Angeklagten Curtis Robinson und Henry Daniels: »Ich weiß, dass dies die beiden Männer sind, die mich vergewaltigt haben, und ich kann mich bei ihnen nicht irren, da das Licht auf sie schien und ich sie sehen konnte.«46 Im weiteren Verlauf des Verfahrens wiesen Ärzte, Toxikologen sowie mehrere an den Ermittlungen beteiligte Polizeibeamte auf die umfassende Beweislast gegen die beiden Angeklagten hin. Die Untermauerung der Vorwürfe durch zahlreiche weiße männliche Experten schien darauf abzuzielen, möglichen Zweifeln an den Aussagen des weiblichen Opfers zu begegnen. Dies hatte zur Folge, dass Armstrong zunehmend an den Rand gedrängt wurde. Besondere Beachtung erfuhren die Ergebnisse der gynäkologischen Untersuchung des Opfers, bei der, nach Aussage des Toxikologen Nelson E. Grubbs, Samenspuren gefunden worden seien. Zudem wurden die Kleidungsstücke der Angeklagten und des Opfers als Beweismittel vorgelegt, auf denen, nach Auskunft der befragten Untersuchungsbeamten, Hinweise auf die körperliche Auseinandersetzung zwischen den Angeklagten und dem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer erkennbar gewesen seien.47 Bekräftigt wurde die Anklage zudem durch die vermeintlichen Geständnisse der beiden Angeklagten. Obwohl deren Anwälte den Einwand geltend machten, dass die Geständnisse »unfreiwillig« abgelegt worden und somit rechtlich ungültig Henry Daniels Jr. vs. State of Alabama, ADAH, ASC/RoC, Vol. 8346, 1 Div. 162, S. 14–21. 46 Ebenda, S. 17. 47 Ebenda, S. 31–35. 45

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seien, wurden sie von Richter David H. Edington als Beweismittel zugelassen.48 Damit folgte er der gleichen Rechtspraxis wie im Fall Brown/Ellington/Shields sowie im Prozess gegen Dave Canty. Die vermeintlichen Geständnisse wurden daraufhin von Staatsanwalt Chamberlain verlesen. Aus dem Gerichtsprotokoll wird ersichtlich, dass sie den Ablauf der Tat in aller Ausführlichkeit aus der Ich-Perspektive der Täter wiedergaben.49 In der letzten Passage der Geständnisse gaben die Angeklagten an, dass sie ihre Aussagen »freiwillig« und »ohne Drohungen« abgelegt hätten. Im Fall von Henry Daniels Jr. hörte sich das folgendermaßen an: »Ich weiß, dass ich beschuldigt werde, diese Dame vergewaltigt zu haben, und ich weiß, dass ich für das, was ich getan habe, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden kann. […] Niemand hat irgendetwas getan, um mich zum Reden zu bringen, noch hat mir irgendjemand gedroht, um mich zu meiner Aussage zu zwingen, noch hat mir jemand irgendetwas etwas dafür angeboten.«50 Versehen mit der eigenhändigen Unterschrift der Angeklagten bestätigten diese Geständnisse die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Daniels und Robinson. Die detaillierten Ausführungen über das Motiv für die Tat und ihren Hergang suggerierten eine scheinbar unerschütterliche Evidenz der Anschuldigungen, die durch die Aussagen des Opfers sowie die Stellungnahmen der weißen männlichen Experten zusätzlich bestärkt wurden. In den Aussagen der beiden Angeklagten vor Gericht kam allerdings eine andere, konkurrierende »Wahrheit« des Falls zum Ausdruck. Vor den Augen des Richters, der Geschworenen und des anwesenden Publikums betonten Henry Daniels Jr. und Curtis C. Robinson ausdrücklich ihre Unschuld und erhoben zudem den Vorwurf der Folter und der Geständniserzwingung. So erklärte Henry Daniels Jr. im Zeugenstand:

Ebenda, S. 38. Ebenda, S. 37. 50 Ebenda, S. 38. 48 49

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»[S]ie drohten mich zu töten, falls ich nicht sagen würde, was sie von mir hören wollten, und um mein Leben zu retten, unterschrieb ich dieses Geständnis. Ich wusste, falls ich es nicht tue, töten sie mich. Vier oder fünf Personen waren zu dem Zeitpunkt im Raum. […] Was die Frage betrifft, ob sie irgendetwas taten, um mich zur Unterschrift zu zwingen, so legten sie mich quer über eine Bank und schlugen mich. Dieser Mann dort stellte seinen Fuß auf mich und schlug mir in den Magen, eine halbe Stunde lang, und dann sagte ich, ich würde es gestehen.«51 Anschließend, so Daniels weiter, habe er aus Angst, getötet zu werden, sein angebliches Geständnis unterschrieben.52 Auch Curtis Robinson berichtete im Zeugenstand, dass er von Polizeibeamten gefoltert worden sei: »Sie brachten mich in eine kleine Zelle […], Blut war auf dem Boden, und ein Tisch stand dort […]. Sie möchten von mir hören, wie groß er war, falls ich mich erinnere, […] er war etwa so groß wie diese freie Fläche hier […]. Der Tisch war aus Holz, wie eine Bank gebaut, und stand in der Mitte. Wie lang er war – ungefähr von hier bis da. […] [S]ie schlugen mich dann mit einem Gummischlauch, sie zogen mir die Kleidung aus und schlugen mich.«53 Die Aussagen zeigen, dass die Angeklagten versuchten, ihrem Vorwurf Evidenz zu verleihen, indem sie detaillierte Angaben zu Ort und Ablauf der Folterungen machten, zum Beispiel die räumlichen Begebenheiten im Gerichtssaal mit denen der Folterzelle verglichen: »etwa so groß wie diese freie Fläche hier«. Der Angeklagte Daniels ging sogar so weit, eine der im Gerichtssaal anwesenden Personen als einen der Folterer zu identifizieren: »Dieser Mann dort hielt mich mit seinem Fuß fest und schlug mir in den Bauch.«54 Ebenda, S. 53. Ebenda. 53 Curtis Robinson vs. State of Alabama, ADAH , ASC /RoC, Vol. 8346, 1 Div. 163, S. 70. 54 Henry Daniels Jr. vs. State of Alabama, ADAH , ASC /RoC, Vol. 8346, 1 Div. 162, S. 53. 51 52

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Auch im weiteren Verlauf der Befragung bekräftigten beide Angeklagten ihre Unschuld. So wies Henry Daniels Jr. die angeblichen Geständnisse Punkt für Punkt zurück: »Nein, Sir, ich habe an diesem Dienstag nicht zu Curtis Robinson gesagt: ›Lass uns heute Nacht eine nehmen.‹ Nein, Sir, als ich und Curtis Robinson sein Haus verließen und auf die Gasse liefen, habe ich diese weiße Dame nicht die Straße entlanglaufen sehen, und ich habe nicht gesagt: ›Hier kommt eine. Auf, die nehmen wir uns.‹ Ich habe diese Frau nie gesehen, bevor sie zum Gefängnis kam.«55 Curtis C. Robinson spitzte seine Unschuldsbehauptung sogar noch zu, indem er sich direkt an die versammelten Geschworenen im Gerichtssaal wandte: »Sehr geehrte Herren der Jury, ich habe diese Dame nicht vergewaltigt. Ich war oben mit meiner Frau im Bett, derselben Frau, die heute hier ist.«56 Indem Robinson die Behauptung der eigenen Unschuld mit dem Hinweis auf sein Eheleben verband, wollte er möglicherweise die eigene Angepasstheit an die patriarchalen Ordnungsmuster und die segregierte Lebenswelt im Süden der USA demonstrieren. Sein Appell in Richtung der Jury steht für das Bemühen, als Zeuge »Gehör« zu finden und gleichsam entgegen dem Stereotyp afroamerikanischer Unehrlichkeit und Degeneriertheit als glaubwürdig wahrgenommen zu werden. Dies kommt in einer weiteren Aussage von Robinson zum Ausdruck, mit der er sich direkt an den Vorsitzenden Richter wandte: »Sie schlugen mich so sehr, ich hielt so lange durch, wie ich konnte, und ich dachte, sie bringen mich um. Euer Ehren, ich habe diese Sache nicht getan. Ich habe niemals an so etwas gedacht.«57 Die Protokollaufzeichnungen machen deutlich, dass Daniels und Robinson im Zeugenstand mit verschiedenen kommunikativen Mitteln und Strategien den Versuch unternahmen, eine andere Wahrheit der Geschehnisse zu Gehör zu bringen. Bezeichnenderweise sollten ihre Unschuldsbehauptungen und Ebenda, S. 55. Curtis Robinson vs. State of Alabama, Alabama Supreme Court, Record of Cases, 1824–1974, Vol. 8346, ADAH, 1 Div. 163, S. 74. 57 Ebenda. 55 56

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detaillierten Foltervorwürfe zunächst ohne Folgen bleiben. Nach Abschluss der Zeugenbefragungen und den darauffolgenden Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft wurden Robinson und Daniels von den Geschworenen für schuldig befunden und anschließend zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt.58 Auch in diesem Verfahren offenbaren sich die engen Grenzen afroamerikanischer Zeugenschaft vor Gerichten des Südens. Die marginalisierte Stellung schwarzer Angeklagter hatte zur Folge, dass ihren Aussagen eine geringere Glaubwürdigkeit zuerkannt wurde als denjenigen der weißen Zeuginnen und Zeugen. Der Prozess gegen Henry Daniels Jr. und Curtis C. Robinson demonstriert exemplarisch den Zusammenhang zwischen Subalternität und Sprachlosigkeit: Dem scheinbar »glaubwürdigen«, »ehrenwerten« weißen Zeugen wurde der angeblich »unzuverlässige«, »lügnerische« schwarze Zeuge gegenübergestellt, dessen subalterner Status sich in der Unmöglichkeit spiegelte, vor Gericht Gehör zu finden. Wie auch Hito Steyerl in Anlehnung an Spivak postuliert hat, ist der Akt des Bezeugens untrennbar verknüpft mit der Position bestimmter Subjekte innerhalb eines diskursiven Feldes: »Die Ordnung des Diskurses erlaubt die Artikulation bestimmter Sachverhalte nicht, da sie selbst auf diesem Schweigen beruht.« Damit entstehe »eine enge Verbindung zwischen dem Status der Subalternität und dem Schweigen«.59 Vor dem Hintergrund der damaligen rassistisch strukturierten Diskursordnung im Süden der USA konnten die Aussagen von Robinson und Daniels vor Gericht keine Berücksichtigung finden.

58 59

»Youth Sentenced to Electrocution«, The Mobile Register, 29. 11. 1941, S. 3. Steyerl, »Die Gegenwart der Subalternen«, S. 12. Siehe auch dies., Die Farbe der Wahrheit, S. 17–24.

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Die Gnadenanhörungsakte im Fall Daniels/Robinson

Zugleich jedoch offenbart der weitere Verlauf des Falles Daniels/ Robinson Brüche und Widersprüche innerhalb dieser bipolaren Rahmung weißer und schwarzer Zeugenschaft. Und er zeigt darüber hinaus, dass afroamerikanische Foltervorwürfe vor Gericht nicht in jedem Fall ohne Folgen blieben. Nachdem der Alabama Supreme Court das Urteil über Daniels und Robinson am 28. Januar 1943 bestätigt hatte, beantragten ihre Anwälte mit Unterstützung der nationalen Rechtsabteilung der NAACP die Überprüfung des Urteils durch den U. S. Supreme Court. Am 17. Mai 1943 entschieden sich die Obersten Richter gegen eine Annahme des Falls, woraufhin der damalige Gouverneur von Alabama, Chauncey Sparks (1943–1947), eine Gnadenanhörung für die beiden Verurteilten ansetzen ließ, die am 15. Juni 1943, einen Tag vor dem offiziellen Hinrichtungstermin, im Amtssitz des Gouverneurs in der Landeshauptstadt Montgomery stattfand.60 Nach der Anhörung kündigte Gouverneur Sparks vor Pressevertretern an, die erhobenen Foltervorwürfe untersuchen zu lassen und die Hinrichtung der beiden Angeklagten aufzuschieben. Er wolle die Todesstrafen in lebenslängliche Haftstrafen abmildern, falls sich der Vorwurf der Folter bestätigen sollte. Sowohl Robinson als auch Daniels hätten ihm, so der Montgomery Advertiser, detailliert über den Hergang ihrer Folterungen Auskunft gegeben. Curtis Robinson habe dabei auf eine Narbe an seinem Kopf hingewiesen, die von einem Polizeiknüppel stamme.61 Angesichts der überraschenden Entscheidung des Gouverneurs berichtete sogar die nationale afroamerikanische Wochenzeitung Chicago Defender über die Vorkommnisse: »Der Gouverneur soll sich deutlich gegen die körperliche Misshandlung von Gefangenen ausgesprochen haben, als die

»Sparks Delays 2 Executions; Orders Inquiry«, The Montgomery Advertiser, 16. 7. 1943, S. 1. 61 Ebenda. 60

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beiden Jugendlichen aussagten, sie seien so lange geschlagen worden, bis sie gestanden hätten, schuldig zu sein.«62 Mit Empörung reagierten Teile der weißen Bevölkerung auf die Entscheidung des Gouverneurs, wie anonyme Briefe aus der Untersuchungsakte dokumentieren. Bereits die Anhörung der beiden Verurteilten wurde als Affront gegen die rassistisch und patriarchal codierten Ordnungsstrukturen des Südens wahrgenommen. In einem der Briefe heißt es: »Solange Negroes über weiße Frauen herfallen, von einer aus zwölf Männern bestehenden Jury schuldig gesprochen und von einem kompetenten Richter verurteilt werden können und dann durch die Hände des Gouverneurs Gnade erfahren, braucht es das Gesetz nicht, braucht es keine Geschworenen oder Richter. […] Welche Entschuldigung wird der Gouverneur nun dafür haben, da er es versäumt hat, zwei Unholde zu betrafen, die zugegeben haben, über eine weiße Frau hergefallen zu sein? Werden wir in Alabama Recht und Ordnung haben, oder können Unholde mit diesen Übergriffen fortfahren, in dem Glauben, dass der Gouverneur sich weigern wird, sie zu bestrafen?«63 Ein anderer anonymer Brief kommentierte die Entscheidung des Gouverneurs als Einladung für all jene, die es den beiden Verurteilten gleichtun wollten: »Die Polizei wird verhohnepiepelt, und die Angreifer bekommen eine Gnadenfrist. Was für eine Erleichterung muss dies für Negroes sein, die dasselbe versuchen wollen! Was für ein Gouverneur – was für ein Witz!«64 Im Rahmen der eingeleiteten Untersuchung wurden zahlreiche der an dem Fall Daniels/Robinson beteiligten Amtspersonen in Mobile dazu aufgefordert, sich zu den erhobenen Foltervorwürfen zu äußern. Aus den überlieferten Stellungnahmen »Ala. Governor Blasts Police Third Degree«, The Chicago Defender, 24. 7. 1943, S. 8. 63 Anonymer Brief (1) an Gov. Chauncey Sparks, Birmingham, AL , 19. 7. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Henry Daniels Jr. 64 Anonymer Brief (2) an Gov. Chauncey Sparks, Birmingham, AL , 19. 7. 1934, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Henry Daniels Jr. 62

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spricht die Sorge im Hinblick auf mögliche Folgewirkungen des Falles, aber auch das Bemühen, die Foltervorwürfe der beiden Verurteilten durch den Verweis auf die eigene Glaubwürdigkeit und die weiterer an dem Verfahren beteiligter weißer Personen infrage zu stellen. Besonders deutlich wurde dies in den Darstellungen des Staatsanwalts Burt Chamberlain, der bereits in einem im März 1943 verfassten Schreiben erklärt hatte, dass er sowie eine Reihe weiterer weißer Amtspersonen persönlich bei den Geständnissen anwesend gewesen sei: »[N]achdem ihnen schlüssige Beweise vorgelegt wurden, gestand einer von ihnen, und als sein Geständnis dem anderen vorgelesen wurde, gestand dieser freimütig und freiwillig. Ich war anwesend, als die Geständnisse abgelegt wurden, und genau genommen habe ich sie erzielt. Sie wurden auch in Anwesenheit mehrerer Polizeibeamter und Hilfssheriffs sowie im Beisein von Doktor Nelson E. Grubbs, dem Assistant Toxicologist for the State, abgelegt.«65 Nachdem Chamberlain im Juli 1943 erneut zu einer Stellungnahme zu den erhobenen Foltervorwürfen aufgefordert wurde, äußerte er sich folgendermaßen: »Ich betone nachdrücklich: Keinem von ihnen wurde etwas angetan, um ein Geständnis zu erlangen. […] [J]eder der Angeklagten ist so schuldig, wie es jemand nur sein kann, und zwar eines der abscheulichsten Verbrechen, und ihre Behauptung oder die Behauptung von wem auch immer, dass sie zu einem Geständnis gezwungen worden seien, ist absolut unwahr. Es gibt keine Zweifel, dass die Vergewaltigung verübt wurde, und es gibt keine Zweifel hinsichtlich der schuldigen Personen, und es gibt keine Zweifel an der Rechtschaffenheit des Urteils.«66 Bereits in den Schreiben des Staatsanwalts trat eine Strategie zutage, die im Rahmen der eingeleiteten Ermittlungen zu den

Brief von Hon. Bart B. Chamberlain an Hon. A. M. McDowell, Mobile, AL, 11. 3. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Henry Daniels Jr. 66 Brief von Hon. Bart Chamberlain an Hon. A. M. McDowell, Mobile, AL , 2. 8. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Henry Daniels Jr. 65

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Foltervorwürfen von zahlreichen weiteren befragten Personen verfolgt wurde. Sie bestand darin, die Vorwürfe der beiden Verurteilten zu entkräften, indem auf das Ansehen und die Respektabilität der weißen Amtspersonen verwiesen wurde, die an dem Verfahren gegen Daniels und Robinson unmittelbar beteiligt gewesen waren. So hob zum Beispiel Richter David H. Edington, der das Gerichtsverfahren gegen Daniels und Robinson vor dem Mobile Circuit Court geleitet hatte, hervor, dass zahlreiche angesehene Bürger während der Niederschrift des Geständnisses zugegen gewesen seien: »Erstklassige Männer [»highclass men«] wie Dr. Grubbs und andere […] waren im Dienstzimmer anwesend, als diese Negroes ihre Geständnisse ablegten.« Darüber hinaus führte der Richter aus, dass er bereits während des Verfahrens den Eindruck gehabt habe, dass die beiden Angeklagten im Zeugenstand »gelogen« hätten.67 Auch der Sheriff von Mobile County, W. T. Holcombe, erklärte in seiner Stellungnahme gegenüber dem Gouverneur, dass die Vorwürfe der beiden Verurteilten unhaltbar seien: »Meiner Meinung nach schließen die physischen Tatsachen und die unstrittigen Zeugenaussagen in diesem Fall nicht nur die Möglichkeit aus, dass auch nur ein Körnchen Wahrheit in den Behauptungen dieser Männer steckt, sondern machen darüber hinaus unwiderlegbar deutlich, dass die Angeklagten schuldig im Sinne der Anklage sind.«68 Wie der Sheriff weiter ausführte, hätten in Mobile moderne Methoden der Verbrechensermittlung die Anwendung der Folter abgelöst: »Als Leiter dieser Behörde toleriere ich keinerlei Misshandlungen von Gefangenen, die sich bei uns in Gewahrsam befinden. […] Der sogenannte dritte Grad ist, zumindest in diesem Landkreis, Vergangenheit und gilt jedem intelligenten und Brief von Judge David H. Edington an Gov. Chauncey Sparks, Mobile, AL , 20. 7. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 68 Brief von W. T. Holcombe an H. W. Nixon, Mobile AL , 22. 7. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 67

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tüchtigen Polizisten als Dummheit. Es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass hier in Mobile das Mikroskop, das Reagenzglas und die Kamera den Blackjack69 und den Gummischlauch abgelöst haben.«70 Die Dokumente der Untersuchungsakte zeigen, dass sämtliche am Prozess beteiligten weißen Experten den von Daniels und Robinson erhobenen Vorwurf der Folter und Geständniserzwingung als unwahr zurückwiesen. Von mehreren Seiten wurden hierfür auch noch Fotografien der Angeklagten als Beleg herangezogen. Mediale Interventionen: Die Evidenz der Fotografie

Wie es etwa in der Erklärung von Sheriff W. T. Holcombe hieß, lieferten die unmittelbar nach dem Geständnis angefertigten Fotografien der beiden Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte für die Bestätigung der Foltervorwürfe, da sie »keine Beweise oder Anzeichen für irgendwelche Schläge oder Misshandlungen« zeigten.71 Diese Einschätzung wurde vom Polizeifotografen J. J. Hyde bestätigt, der nach eigener Angabe die Fotografien gemacht hatte: »Die zwei Negroes […] machten das schamloseste Geständnis, das ich je gehört habe. Beide waren vollkommen entspannt, nicht nervös oder verängstigt. Vor der Vernehmung stritten sie darüber, wer die weiße Dame zuerst geschlagen habe, und beschuldigten sich gegenseitig. Das Erste, was ihnen gesagt wurde, war, dass sie hier vollkommen sicher seien und niemand die Erlaubnis bekommen würde, ihnen etwas anzutun. Niemand ging so weit, gegenüber einem der beiden ausfällig zu werden. Nachdem sie gestanden hatten, fotografierte Bei einem Blackjack handelt es sich um eine Schlagwaffe, die in einigen Polizeistationen der USA bis heute verwendet wird. Der aus Leder gefertigte, 20 bis 30 cm lange Schläger besteht aus einem Handgriff mit einem beweglichen Kopfstück, in das ein Bleistück eingenäht ist. Siehe Roth, »Blackjack«. 70 Brief von W. T. Holcombe an H. W. Nixon, Mobile AL , 22. 7. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 71 Brief von W. T. Holcombe an H. W. Nixon, Mobile, AL , 22. 7. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 69

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ich sie. Es gab an keinem der beiden Hinweise auf Schlagspuren, nur einer von ihnen hatte drei oder vier Fingernagelkratzer oberhalb der Brust. Das Opfer hatte uns in der Nacht davor erzählt, dass sie die beiden gekratzt habe.«72 Mit dem Verweis auf die direkt nach den Geständnissen angefertigten Fotografien der beiden Angeklagten bezog sich Hyde implizit auf die vermeintlich objektive Repräsentationsfähigkeit des Mediums Fotografie. Durch die »Zeugenschaft der Fotografie« sollten die Foltervorwürfe der beiden Angeklagten entkräftet werden.73 Dies kommt auch in der Stellungnahme des Toxikologen Nelson E. Grubbs zum Ausdruck, der erklärte, dass er bei seiner Untersuchung der beiden Männer keine Spuren körperlicher Gewalt habe finden können, mit Ausnahme mehrerer Kratzwunden, die ihnen offenbar durch das Opfer zugefügt worden seien: »Beiden wurden sämtliche Kleidungsstücke ausgezogen, die ich dort im Labor untersuchte. Wir sahen beide nackt, und die einzige Spur von Gewalt an beiden waren vier Kratzer oberhalb von Robinsons Brust, die aussahen wie Fingernagelkratzer. Sie wurden fotografiert und über Nacht in ihren Zellen untergebracht. Die Bilder zeigen, dass sie nicht geschlagen wurden.«74 Obwohl die Fotos mehrfach erwähnt wurden, finden sich in der Untersuchungsakte keine weiteren Belege für ihre Existenz. Stattdessen enthält sie zwei undatierte Polizeifotografien von Robinson und Daniels (siehe Abbildung 2 und 3), die an die schriftliche Stellungnahme des Gefängnisbeamten E. R. Wilson geheftet sind. Darin gab er an, dass bei den beiden Verurteilten nach ihrer Ankunft im Kilby Prison nichts auf körperliche Verletzungen hingewiesen hätte:

Stellungnahme von J. J. Hyde im Bericht von H. W. Nixon an A. M. McDowell, Legal Advisor, Office of the Governor, Auburn, AL, 2. 8. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 73 Siehe Barthes, Die helle Kammer, S. 99. 74 Stellungnahme von Nelson E. Grubbs im Bericht von H. W. Nixon an A. M. McDowell, Legal Advisor, Office of the Governor, Auburn, AL, 2. 8. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 72

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Abb. 2: Polizeifotografie von Curtis Robinson, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson.

»Ich bin mir sicher, dass ich keinen Bericht vom Nachtwärter [Night Captain], dem stellvertretenden Gefängnisdirektor [Deputy Warden] oder dem Gefängnisarzt erhalten habe, in dem stand, dass diese Männer zum Zeitpunkt ihrer Ankunft verletzt waren. Etwa zwei oder drei Tage, nachdem diese Männer angekommen waren, stattete ich den Todeszellen einen Besuch ab, und zu diesem Zeitpunkt beschwerten sie sich nicht über irgendwelche Verletzungen.«75 Während die angehefteten Fotografien vermutlich dazu dienen sollten, die Foltervorwürfe der beiden African Americans zu entkräften, weist ein vermutlich nachträglich hinzugefügter Kommentar in roter Handschrift am linken unteren Rand des Briefes darauf hin, dass die Fotografien »mehrere Monate nach ihrer Verurteilung« angefertigt worden sind.76 Darüber hinaus finden sich in der Untersuchungsakte von Gouverneur Sparks auch vereinzelte Stellungnahmen, die die Brief von E. R. Wilson an Carl Williams, Senior Assistant Warden, Kilby Prison, Montgomery, Ala., 26. 7. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 76 Ebenda. 75

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Abb. 3: Polizeifotografie von Henry Daniels Jr., ADAH, AG, 1943–1947, Sparks, CHCF, Curtis Robinson.

Foltervorwürfe der beiden Verurteilten bestätigten. So enthält die Akte mehrere Briefe von Edgar M. Parkman, dem weißen Gefängnisseelsorger des Kilby Prison, in das Daniels und Robinson nach ihrer Verurteilung verlegt worden waren. Parkman führte in seinen Schreiben an den Gouverneur aus, dass er aufgrund seines tagtäglichen Kontakts mit den beiden Häftlingen von ihrer Glaubwürdigkeit überzeugt sei: »Seit Dezember 1941 stehe ich in ständigem Kontakt mit den Männern. Es ist meine persönliche Überzeugung, dass sie die Wahrheit sagen, wenn sie behaupten, dass sie ein erzwungenes Geständnis unterschrieben haben. Ich kann nicht beanspruchen, unfehlbar zu sein in der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit, aber was sie sagen, klingt wahr. Keiner der Männer ist während der letzten zwanzig Monate von etwas Wesentlichem abgewichen. Sie waren darum bemüht, jedwede Information bereitzustellen, die ein Licht auf die Art und Weise der Geständnisgewinnung und die Umstände des Falles werfen konnte.«77 77

Brief von Edgar M. Parkman and Gov. Sparks, Montgomery, AL, 7. 8. 1943, ADAH , AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson.

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Darüber hinaus, so der Geistliche weiter, seien ihm mehrere Indizien zu Ohren gekommen, die die Behauptung der beiden Verurteilten stützen würden, und verwies auf die Aussage eines weißen Häftlings: »Bedauerlicherweise wurde kein Krankenblatt über die Behandlung der Blutergüsse am Körper von Curtis Robinson im Kilby Prison geführt, aber Otto George, ein weißer Häftling, der damals eine Zelle neben Curtis Robinson belegte, erzählte mir, dass sich Curtis über Verletzungen an seinem Kopf und an seinem Auge beschwert und dass ein Wärter ihm medizinisches Verbandsmaterial gebracht habe […]. Otto George erwähnte auch, dass ihn die Gespräche, die er zwischen Curtis Robinson und Henry Daniels mitgehört habe, zu der Überzeugung gebracht hätten, dass sie geschlagen wurden, um ein Geständnis von ihnen zu erlangen.«78 Am eindeutigsten wurden die Vorwürfe von Daniels und Robinson von dem damaligen afroamerikanischen Mithäftling Mattie Williams bestätigt, der erklärte, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie die beiden gefoltert wurden: »Sie befahlen, dass Curtis Robinson aus seiner Zelle heruntergeholt werden solle, und ich hörte sie sagen, dass sie ihn schlagen würden, bis er gestehe, was er getan habe. Nachdem sie ihn heruntergebracht hatten, führten sie ihn in einen Raum und zogen ihm alle Kleider aus und legten ihn auf einen Tisch, und dann nahmen sie einen Gummischlauch und schlugen ihn […]. Sein Rücken war zerschnitten und zerfetzt, und ich sah, wie einer der Männer ihn mit dem Fuß vom Tisch herunterstieß, und dann warfen sie ihn auf den Tisch zurück und sagten: ›Wir werden dich töten, du schwarzer Hurensohn, wir werden dich so lange schlagen, bis du redest.‹ […] An einem anderen Abend sah ich dieselben sieben Männer im hinteren Teil des Gefängnisses Whiskey trinken, und ein wenig später hörte ich, wie sie befahlen, Henry Daniels solle heruntergebracht werden. Sie zogen ihm alle Kleider aus und legten ihn auf denselben Tisch, auf dem sie Curtis Robinson geschlagen hatten. Sie beschimpften ihn, und einer der Männer fragte, ob 78

Ebenda.

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er sich nicht auf die weiße Frau geworfen habe, und er sagte: ›Nein, Sir, ich habe das nicht getan.‹ Der Polizist sagte: ›Du bist ein verdammter Lügner, du warst es‹, und er schlug Henry Daniels mit diesem Gummischlauch ins Gesicht und mehrere Male auf den Kopf.«79 Mit seiner detaillierten Aussage, in der sowohl der Ablauf der Folter als auch die Sprache der Folterer wiedergegeben wurde, reklamierte Williams eine »Wahrheit« der Folter, die in direktem Widerspruch zu den Aussagen der Mehrzahl der befragten weißen Amtsträger stand, die jegliche Anwendung von Foltergewalt bestritten hatten. Die Dokumente der Untersuchungsakte zum Fall Daniels/ Robinson skizzieren ein Feld, auf dem die verschiedenen Beteiligten gegensätzliche Wahrheiten beziehungsweise Wahrheitsansprüche zum Ausdruck brachten. Ihre Glaubwürdigkeit war dabei höchst unterschiedlich codiert. Den Aussagen der weißen Amtsträger wurde ein autoritativer Geltungsanspruch zugeschrieben, mit dem die Foltervorwürfe der schwarzen Verurteilten als »unwahr« und »unglaubwürdig« zurückgewiesen wurden. Die Berufung auf den Status und die Respektabilität der befragten Personen – wie er etwa in der Rede von den »erstklassigen Männern« erkennbar wird – zeigt, dass die Strategien und Rhetoriken der Evidenzstiftung unmittelbar angebunden waren an Kategorien wie »Rasse«, Klasse und Geschlecht. Die vermeintlich glaubwürdigeren Aussagen der weißen männlichen Funktionsträger bekamen mehr Gewicht als die der anderen Zeugen, die den Vorwurf der Folter bestätigten. Die Diskussion um die »rassische« Abstammung der Anklägerin

Die Unterlagen der Ermittlungsakte verweisen aber auch auf Brüche im Bild des glaubwürdigen weißen Zeugen, und zwar, wenn es um den »Charakter« und die »rassische« Zugehörigkeit des »weißen« Opfers ging. So erklärte der Bewährungsoffizier 79

Stellungnahme von Mattie Williams, keine Ortsangabe, undatiert, ADAH, AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson.

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W. T. Kemp in seinem Bericht, dass erhebliche Uneindeutigkeiten in Bezug auf die Abstammung und die »Rasse« von Zeola Mae Armstrong bestünden: »Zeola hat eine sehr dunkle Hautfarbe und Kennzeichen, die auf Cajan-Blut80 in ihren Adern hinweisen.«81 Damit wurde die »rassische« Zuordnung des vermeintlich weißen Opfers infrage gestellt. Ihr Vater sei ein Cajan gewesen und bei der »rassischen« Zuordnung einzelner Familienmitglieder von Zeola Armstrong habe es Unklarheiten gegeben: »Sie hatte einen Cousin ersten Grades, Cleve Orso, der in Washington County zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und im Kilby Prison bei den Negroes untergebracht wurde. Damals wurde die Frage nach Cleves Rassenzugehörigkeit aufgeworfen. Ich weiß nicht, ob er während seines Gefängnisaufenthalts von den Negroes separiert wurde oder nicht.«82 Auffällig an dem Bericht ist des Weiteren, dass die Frage der »rassischen« Abstammung unmittelbar mit dem »Charakter« des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers verknüpft wurde: »Zeola hat den Ruf, dass sie recht viel trinkt. Jedoch konnte ich nicht herauszufinden, ob sie jemals wegen dieses Delikts festgenommen wurde.«83 Außerdem habe Zeola häufigen Kontakt mit einer afroamerikanischen Frau gehabt, die in Mobile ein Bordell betreibe, das von weißen Männern besucht werde.84 Die Bezeichnung »Cajan« wurde wahrscheinlich in Anlehnung an »Cajun« geprägt, der Bezeichnung der französischstämmigen Migranten aus Kanada, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Louisiana ansiedelten. Als »Cajans« wurde eine Bevölkerungsgruppe bezeichnet, die im Südwesten von Alabama und Südosten von Mississippi ansässig war und vermutlich von afrokaribischen Einwanderern und europäischen Einwanderern sowie Angehörigen der First Nations abstammte. Siehe Gilbert, »Memorandum«, S. 439; »Cajun«. 81 Bericht von W. T. Kemp, Mobile State Parole Officer, an Gov. Chauncey Sparks, Mobile, AL, 9. 8. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 82 Bericht von W. T. Kemp, Mobile State Parole Officer, an Gov. Chauncey Sparks, Mobile, AL, 9. 8. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 83 Ebenda. 84 Ebenda. 80

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Das Verhalten und die »rassische« Abstammung des vermeintlichen Vergewaltigungsopfers rief offenbar Irritationen hervor. Wie Lisa Lindquist Dorr gezeigt hat, wurden im Fall von Vergewaltigungen weißer Frauen durch mutmaßlich schwarze Täter immer auch die Respektabilität und das Weißsein der weiblichen Opfer untersucht.85 Obwohl man in solchen Verfahren regelmäßig die Rhetorik weißer männlicher Ritterlichkeit beziehungsweise das Bild des weißen Mannes als Beschützer der Ehre der weißen Südstaatlerin bemühte, wurde nicht allen Vergewaltigungsopfern dasselbe Maß an Schutzwürdigkeit zugestanden. Nur solche Frauen, die sich an die strikten Regeln »rassischer« Interaktion sowie an die Normen für angemessenes soziales und geschlechterspezifisches Rollenverhalten hielten, konnten das Höchstmaß an Schutz vonseiten der weißen Männer erwarten. Weißes Frausein stellte somit keine angeborene Eigenschaft dar, sondern war unmittelbar angebunden an Vorstellungen von weiblicher Ehre, sozialer Reputation und gesellschaftlicher Respektabilität.86 In der Diskussion über die »Rasse« und den »Charakter« von Zeola Mae Armstrong artikulierte sich damit die grundlegende Frage, inwiefern diese überhaupt als »weißes« und damit sowohl schutz- als auch glaubwürdiges Opfer zu bezeichnen sei. Friktionen dieser Art innerhalb der scheinbar homogenen weißen Bevölkerung im Süden der USA offenbaren die Fragilität damaliger »Rasse«-Konzepte und machen zugleich deutlich, dass auch in der weißen Bevölkerung höchst unterschiedliche, kategorial verwobene und differenzierte Codierungen von Glaubwürdigkeit kursierten. Für die beiden Verurteilten sollten die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Anklägerin folgenlos bleiben. Nachdem er die Untersuchungsergebnisse konsultiert hatte, lehnte Gouverneur Chauncey Sparks einen Antrag auf eine erneute Gnadenanhörung ab und ordnete die unverzügliche Exekution der beiden

Siehe Dorr, White Women, Rape, and the Power of Race in Virginia, S. 112–140. 86 Ebenda. 85

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Verurteilten an.87 Am 13. August 1943 wurden Henry Daniels Jr. und Curtis C. Robinson auf dem elektrischen Stuhl des Staatsgefängnisses von Alabama hingerichtet.88

Executive Order No. 37, Gov. Chauncey Sparks, 12. 8. 1943, ADAH, AG, 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 88 Siehe den Brief von E. M. Parkman an Gov. Chauncey Sparks, Montgomery, AL , 13. 8. 1943, ADAH, AG , 1943–1947: Sparks, CHCF, Curtis Robinson. 87

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Die NAACP-Kampagne gegen »erzwungene Geständnisse«

Im April 1935 veröffentlichte die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in ihrem Monatsmagazin The Crisis einen Artikel über den bereits erwähnten Fall der drei afroamerikanischen Landarbeiter Henry Shields, Arthur Ellington und Ed Brown, die nach ihrer Verurteilung wegen des Mordes an Raymond Stuart in einem Gefängnis von Mississippi auf die Vollstreckung ihres Todesurteils warteten. Eine Fotografie auf der Titelseite zeigte die drei verurteilten Männer in Gefängniskleidung vor einer hellen Wand sitzend, mit Blick in die Kamera, in der Mitte Arthur Ellington, der von Henry Shields und Ed Brown aufrecht gehalten wird (siehe Abbildung 4). In dem Artikel steht dazu: »Man beachte, dass Ellington, in der Mitte, von seinen beiden Kameraden aufrecht gehalten wird. Und zwar einzig deshalb, weil er halb tot ist, aufgrund der Folterungen, deren man ihn unterzog, um ihm ein ›Geständnis‹ abzupressen. Er wurde geschlagen und mehrmals für kurze Zeit aufgeknüpft, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Davon trug er einen Genickschaden davon, und er ist insgesamt so stark verletzt, dass er nicht alleine aufrecht sitzen kann.«1 Der Text im Zusammenspiel mit der Fotografie sollte offensichtlich die besondere Dramatik des Falls herausstellen. Auch die beiden anderen Gefangenen, Ed Brown und Henry Shields, seien bei den polizeilichen Vernehmungen »brutal« geschlagen worden, um Schuldgeständnisse zu erzwingen. Einzig die Intervention der NAACP habe die Verurteilten vor der Hinrichtung bewahrt. Der Artikel endete mit einem Aufruf an die NAACPMitglieder, die Organisation beim Berufungsverfahren dieses Falles vor dem U. S. Supreme Court finanziell zu unterstützen: 1

»Escapes Noose; Near Death From Torture (see Cover)«, The Crisis, April 1935, S. 119.

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Abb. 4: Titelseite des NAACP-Monatsmagazins The Crisis, April 1935.

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»Das nationale Büro braucht dringend Geldmittel für dieses und andere anstehende Verfahren. So gut wie die gesamten Mittel für diesen Fall müssen außerhalb von Mississippi gesammelt werden. Sofortiges Handeln ist erforderlich, wenn diese drei Landarbeiter eine Überlebenschance bekommen sollen.«2 Ausgehend vom Fall Brown/Ellington/Shields wurde die NAACP zwischen 1935 und 1955 in mehreren Dutzend Fällen aktiv, in denen afroamerikanische Angeklagte im Süden der USA aufgrund erzwungener Geständnisse verurteilt worden waren. Wie bereits erwähnt handelte es sich dabei vorrangig um Fälle, in denen wegen des Vorwurfs des Mordes oder der Vergewaltigung verhandelt worden war. Bei ihrer Kampagne knüpfte die NAACP an Strategien und Methoden an, die sie zuvor im Kampf gegen die Lynchgewalt erprobt hatte, und nahm die Foltervorwürfe der schwarzen Angeklagten zum Anlass, um in Berichten, Pressemitteilungen und öffentlichen Stellungnahmen auf den anhaltenden Rassismus im Süden der USA aufmerksam zu machen und Unterstützung für den eigenen Bürgerrechtskampf zu gewinnen. Wie im Folgenden gezeigt wird, bestand eine ihrer zentralen Strategien darin, die weithin praktizierte Gewalt der Folter im Justizsystem der Südstaaten zu dokumentieren und damit zugleich sichtbar und kritisierbar zu machen. Zum anderen verfolgte sie die Absicht, die gerichtliche Verwendung erzwungener Geständnisse im Süden der USA und darüber hinaus einzudämmen, indem sie bei ausgewählten Gerichtsurteilen in Berufung ging.

Der Kampf für die rechtliche Gleichbehandlung vor Gericht Die NAACP wurde 1909 von schwarzen und weißen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern in Reaktion auf den ein Jahr zuvor stattgefundenen Pogrom gegen die afroamerikanische Be-

2

Ebenda.

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völkerung in Springfield, Illinois, gegründet.3 Binnen weniger Jahrzehnte entwickelte sie sich zur größten und einflussreichsten Bürgerrechtsorganisation der USA. Bereits im Jahr 1919 war ihre Mitgliederzahl auf 90000 Personen angestiegen. Nach einem massiven Zuwachs Anfang der 1940er Jahre verzeichnete die NAACP im Jahr 1946 über 500000 Mitglieder.4 Seit ihrer Gründung bemühte sich die Organisation darum, die Diskriminierung afroamerikanischer Bürgerinnen und Bürger in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wahlrecht und Justiz auf dem Rechtsweg zu bekämpfen. Ein wesentlicher Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bestand im Kampf gegen die anhaltende Lynchgewalt im Süden der USA. Dazu gehörte insbesondere der Versuch, politische Amtsträger im US-Kongress zur Verabschiedung eines Bundesgesetzes zu bewegen, das es dem USJustizministerium erlauben würde, Ermittlungen gegen Angehörige von Lynchmobs einzuleiten und sie vor Bundesgerichten anzuklagen. Trotz jahrzehntelanger Lobbyarbeit scheiterten die Gesetzesinitiativen wiederholt am Widerstand von US-Senatsangehörigen aus den Südstaaten. Doch durch die Erstellung von Lynch-Statistiken, die Untersuchung und Dokumentation von Lynchfällen, die Organisation von Ausstellungen und Protestkundgebungen und nicht zuletzt durch die Publikation von Berichten, Pamphleten und Lynchfotografien gelang es der NAACP, die anhaltenden Lynchmorde an schwarzen Bürgerinnen und Bürgern im Süden in den Fokus der amerikanischen Öffentlichkeit zu rücken.5

1908 kam es in Springfield, Illinois, zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die lokale schwarze Bevölkerung, nachdem zwei schwarze Männer wegen der Vergewaltigungsvorwürfe weißer Frauen festgenommen und zu ihrem Schutz in das Gefängnis der circa 60 Meilen entfernten Stadt Bloomington verlegt worden waren. Ein Mob von mehr als 10000 Weißen zerstörte zahlreiche Wohnhäuser und Geschäfte in den schwarzen Stadtvierteln, Tausende schwarze Anwohner flohen aus der Stadt. Siehe Senechal, Race Riot. 4 Zur Geschichte der NAACP siehe u. a. Berg, The Ticket to Freedom; Sullivan, Lift Every Voice. 5 Siehe Zangrando, The NAACP Crusade against Lynching; Wood, Lynching and Spectacle, S. 179–221 3

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In den 1930er Jahren verlagerte die Organisation den Schwerpunkt ihrer Bürgerrechtskampagne zunehmend auf den Rechtskampf vor den Gerichten.6 Vorangebracht wurde diese Entwicklung durch Charles Hamilton Houston, der Anfang der 1930er Jahre die Juristische Fakultät der schwarzen Howard University in Washington D. C. leitete und ab 1934 vollberuflich als Special Counsel der NAACP tätig war.7 Im Jahr 1936 stellte Houston seinen ehemaligen Studenten Thurgood Marshall als Assistant Special Counsel ein, der zwei Jahre darauf Houstons Nachfolge als Chefanwalt der NAACP antrat.8 Wenige Monate nach seiner Ernennung legte Marshall in einem Crisis-Artikel dar, welche Strategie die Rechtsabteilung der NAACP zukünftig verfolgen sollte. Unter der Überschrift »Equal Justice Under Law« (»Gleiches Recht vor dem Gesetz«) – so die Inschrift über dem Eingangsportal des Supreme-CourtGebäudes in Washington D. C. – machte er auf die bisherigen rechtlichen Erfolge der NAACP aufmerksam. In den 30 Jahren seit ihrer Gründung, so Marshall, habe die Vereinigung insgesamt dreizehn Fälle vor das Oberste Gericht des Landes gebracht. In zwölf dieser Fälle sei das Gericht dem Berufungsantrag der NAACP gefolgt. Diese Entscheidungen seien »Wegweiser« im anhaltenden Kampf für die Bürgerrechte der African Americans und hätten deren Schutz vor verschiedensten Formen der Diskriminierung – wie in den Bereichen des Wahlrechts, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Gerichtswesen, der

Siehe Sullivan, Lift Every Voice, S. 249; Sullivan, »Prelude to Brown«. Houstons Ernennung war Teil einer Umstrukturierung innerhalb der NAACP, deren Führungspositionen in den 1930er Jahren zunehmend durch African Americans besetzt wurden. Siehe Berg, The Ticket to Freedom, S. 174; Meier/Rudwick, »Attorneys Black and White«. 8 Im Jahr 1940 übernahm Thurgood Marshall die Leitung des Legal Defense and Education Fund (LDF), der im selben Jahr als finanziell eigenständiger Rechtsarm der NAACP gegründet wurde. Im Jahr 1967 wurde Marshall von US -Präsident Lyndon B. Johnson als erster African American zum Richter des Supreme Court ernannt. Siehe Tushnet, Thurgood Marshall and the Supreme Court, 1936–1961; Tushnet, Thurgood Marshall and the Supreme Court, 1961–1991. 6 7

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Segregation sowie der Bildung – maßgeblich verbessert.9 Die Rechtskampagne der NAACP, so Marshalls Bilanz, habe damit wesentlich zur Ausweitung der Bürgerrechte der schwarzen und weißen Bevölkerung beigetragen: »Die Kampagne zur Sicherstellung der rechtlichen Gleichbehandlung vor den Gerichten hat zu zahlreichen Präzedenzurteilen geführt, die für alle Angeklagten in Strafverfahren – sowohl schwarze als auch weiße [»both Negro and white«] – von Wert waren. Die Urteilsbegründungen in diesen Fällen haben die Bürgerrechte der Negroes als Staatsbürger definiert. Zudem haben sie die Auslegung der Bürgerrechte für alle Bürger erweitert und die bürgerlichen Freiheiten für Weiße und Negroes ausgedehnt. Diese Aktivitäten der für die N.A.A.C.P. arbeitenden Rechtsanwälte haben den Bestand der Bürgerrechte für alle Amerikaner vergrößert.«10 Marshalls Ausführungen zeigen, dass die Aktivitäten der NAACP gegen Ende der 1930er Jahre verstärkt auf den Kampf für die Bürgerrechte vor Gericht zielten. Nach den Befürworterinnen und Befürwortern des »rechtlichen Ansatzes« innerhalb der NAACP war dies – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der erfolglosen politischen Lobbyarbeit für ein Anti-LynchGesetz – der einzige Erfolg versprechende Weg zur dauerhaften Abschaffung von Diskriminierung und Segregation in den USA.11 Die Aktenbestände der NAACP für den Zeitraum zwischen 1930 und 1955 dokumentieren Hunderte von bearbeiteten Fällen, in denen schwarze Angeklagte den Vorwurf erhoben, aufgrund ihrer »Rasse« beziehungsweise Hautfarbe durch die Justiz diskriminiert worden zu sein. Wie zu erwarten wurde dieser Vorwurf überproportional häufig von Angeklagten erhoben, die im Süden der USA vor Gericht standen. Die Aktivitäten der NAACP -Rechtsabteilung richteten sich insbesondere auf das Marshall, »Equal Justice Under Law«, The Crisis, Juli 1939, S. 199–201. Ebenda. 11 Siehe hierzu u. a. Kaplan, »The Legal Front: Some Highlights of the Past Year«, The Crisis, Juli 1940, S. 206–207, 210; Marshall, »Equal Justice Under Law«; Berg, The Ticket to Freedom, S. 151–182. 9

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Phänomen der Polizeigewalt, die Benachteiligung von African Americans bei der Jurybesetzung sowie Verstöße gegen das Recht auf ein »faires Verfahren« (»due process«) und den Anspruch auf Rechtsbeistand (»right to counsel«).12 Mit dem Fall Brown/Ellington/Shields wurde die NAACP im Jahr 1935 erstmals gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse in Gerichten im amerikanischen Süden aktiv. Nach der Verurteilung der drei Angeklagten durch das Gericht in Kemper County, Mississippi, hatten die beiden weißen Anwälte John Clark und Earl L. Brewer, der ehemalige Gouverneur von Mississippi (1912–1916), den Fall zunächst vor den Supreme Court von Mississippi getragen. Im Januar 1935 wies dieser den Berufungsantrag zurück und bestätigte die Todesurteile für Brown, Ellington und Shields. Nachdem einer der Richter in seinem abweichenden Urteil massive Einwände gegen die rechtliche Behandlung der drei Verurteilten vorgebracht hatte, wandten sich die Anwälte an die NAACP mit der Bitte, einen Berufungsantrag vor dem U. S. Supreme Court zu unterstützen. Da die NAACP aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nur etwa ein Drittel der Prozesskosten übernehmen konnte, wurde der Rest über Spendensammlungen von der bereits erwähnten, in Atlanta ansässigen Commission of Interracial Cooperation und von wohlhabenden weißen Bürgerinnen und Bürgern aus Mississippi beglichen.13 In ihrem Einspruch vor dem Supreme Court beriefen sich die Anwälte von Ed Brown, Arthur Ellington und Henry Shields auf eine Argumentation, die die Rechtsabteilung der NAACP bereits zuvor in anderen Strafverfahren erprobt hatte: Das Urteil über die drei Beschuldigten verstoße gegen den nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg verabschiedeten 14. Zusatzartikel zur Verfassung, in dem die Bundesstaaten unter anderem dazu verpflichtet wurden, das Recht auf ein »faires Verfahren« zu gewährleisten.14 Siehe die Indexeinträge in Bracey/Meier (Hg.), Papers of the NAACP. Part 8. Series A; dies. (Hg.), Papers of the NAACP. Part 8. Series B. 13 Siehe Cortner, A »Scottsboro« Case in Mississippi, S. 64–108. 14 Ebenda. 12

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Bereits im Jahr 1923 hatte die NAACP im Fall Moore vs. Dempsey erfolgreich argumentiert, dass die Verurteilung von Angeklagten in einem von einem Mob dominierten Gerichtsverfahren gegen die due-process-Bestimmung des 14. Verfassungszusatzes verstoße. Die Entscheidung des Obersten Gerichts im Fall Moore vs. Dempsey etablierte eine neue Rechtsdoktrin, nach der föderale Gerichte berechtigt waren, in einzelstaatliche Strafverfahren einzugreifen, wenn von einem Verstoß gegen den 14. Verfassungszusatz auszugehen war.15 Auf Grundlage dieser Entscheidung gelang es der NAACP in den 1930er Jahren, den Supreme Court zweimal zu einer Zurückweisung von Urteilen im Fall der Scottsboro Boys zu bewegen. Im Fall Powell vs. Alabama (1932) entschied der Oberste Gerichtshof mit Verweis auf die due-process-Bestimmung, dass wegen Kapitalverbrechen Angeklagte das Anrecht darauf hätten, vor Beginn ihres Prozesses Kontakt zu einem Rechtsbeistand aufzunehmen. Das Urteil interpretierte den Anspruch auf einen Rechtsbeistand (»right to counsel«) als im 14. Zusatzartikel eingeschlossen und damit für die Einzelstaaten verbindlich. Im Fall Norris vs. Alabama (1935) wiederum entschied das Oberste Gericht – abermals auf der Basis der due-processBestimmung –, dass African Americans nicht systematisch von den Listen der Jury und Grand-Jury-Kandidaten ausgeschlossen werden dürften.16 Mit Berufung auf diese Entscheidungen brachte die NAACP zwischen 1934 und 1945 mehrere forced-confession-Fälle (Fälle, die auf der Basis »erzwungener Geständnisse« entschieden wurden) aus dem Süden der USA vor den U. S. Supreme Court.17 Die Rechtsinitiative der NAACP wurde dabei durch die Bereitschaft des Obersten Gerichtshofs bestärkt, die Berufungsanträge der NAACP anzunehmen. So entschieden sich die Obersten Richter Siehe Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 117–121. Ebenda, S. 117–135, 152–158. 17 Im Folgenden werden zur Benennung dieser Verfahren die von der NAACP verwendeten Begriffe »forced confession« bzw. »forced-confession-Fall« benutzt. In rechtshistorischen Arbeiten wird alternativ die Bezeichnung »coerced confession« bzw. »coerced confession case« verwendet. Siehe Brown, »Coerced Confessions/Police Interrogations«. 15 16

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zwischen 1936 und 1945 insgesamt acht Mal für die Überprüfung von forced-confession-Fällen aus den Südstaaten. In sieben der acht Fälle wiesen sie die Urteile der Gerichte mit der Begründung zurück, dass die verwendeten Geständnisse unter Gewalt und/oder Zwangseinwirkung erlangt worden seien und damit gegen die due-process-Bestimmung des 14. Zusatzartikels verstießen. Mit einer Ausnahme war die NAACP in allen dieser Fälle direkt an den Berufungsverfahren beteiligt.18 Des Weiteren wird aus den Aktenbeständen der NAACP ersichtlich, dass sie nicht in jedem Fall bereit war, afroamerikanische Angeklagte aus dem Süden zu vertreten, die den Vorwurf der Folter und Geständniserzwingung erhoben. Bereits im Jahr 1937 hatte Houston in einem Brief an einen Anwalt aus Texas ausgeführt, dass die NAACP nur solche Strafverfahren unterstütze, in denen Grund zu der Annahme bestand, dass der oder die Angeklagte unschuldig an dem ihm/ihr zur Last gelegten Verbrechen war und Opfer »rassischer« Vorurteile geworden sei. Zudem wähle man nur Fälle aus, die »von generellem Interesse für das zivile, ökonomische und politische Leben« der schwarzen Bevölkerung seien.19 Nach Auffassung des Rechtshistorikers Mark V. Tushnet schreckte die NAACP davor zurück, für mutmaßlich schuldige afroamerikanische Verurteilte zu arbeiten, da sie befürchtete, mit solchen Fällen ihr öffentliches Image zu beschädigen.20 Ob ihre Anwälte in einen bestimmten Fall eingriffen oder nicht, hing von einer Vielzahl von Faktoren ab, die rechtliche Überlegungen, finanzielle Möglichkeiten sowie die individuellen UmEs handelte sich um folgende Fälle: Brown vs. Mississippi (1936), Chambers vs. Florida (1940), Canty vs. Alabama (1940), White vs. Texas (1940), Vernon vs. Alabama (1941), Lomax vs. Texas (1941), Ward vs. Texas (1942), Lyons vs. Oklahoma (1944). Der einzige Fall, an dem die NAACP nicht beteiligt war, war der Fall Lomax vs. Texas (1941). Siehe Blevins, »Lyons vs. Oklahoma«. 19 Brief von Charles H. Houston an Hubert T. Faulk, Esq., New York City, 29. 9. 1937, LOC, NAACP Papers, Group I, Box D-99, Young, Roscoe and Henderson, 1937–1938; Brief von Thurgood Marshall and P. Waite Stennett, New York City, 7. 8. 1940, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-26, Bryant, Willie, 1940–1944. 20 Tushnet, Making Civil Rights Law, S. 28–29. 18

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stände einzelner Fälle mit einschlossen. So begründeten die NAACP -Anwälte die Zurückweisung einzelner Fälle damit, dass die Organisation aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten keine Möglichkeiten hätte, Experimente zu finanzieren, oder dass die Fälle nicht dazu geeignet seien, Präzedenzurteile herbeizuführen. Gleichwohl wurde darüber aber ausführlich diskutiert. Schließlich konnte die Ablehnung eines Falles dramatische Konsequenzen habe, da die NAACP häufig die einzige Institution war, die potenziell in der Lage war, die häufig mittellosen Verurteilten durch eine Berufung ihres Urteils vor einer Hinrichtung zu bewahren.21 Mehrere Fälle belegen, dass die Rechtsaktivitäten der NAACP durch die massive Diskriminierung afroamerikanischer Angeklagter vor den Gerichten im US-Süden stark behindert wurden. So konnten sich diese bei der Beanstandung ihrer Urteile einzig auf Verfahrensverstöße berufen, die während der mündlichen Verhandlung ihres Falls vor Gericht geäußert worden waren. Falls dies die Angeklagten oder deren Anwälte versäumt hatten, verfügten die NAACP-Anwälte über keine rechtliche Grundlage, um eine Berufung des Urteils durch den U. S. Supreme Court zu begründen. Besonders dramatisch war in diesem Zusammenhang der Fall des 18-jährigen George Edwards Jr., der Anfang März 1946 von einem Gericht in Leeseville, Louisiana, wegen Mordes an einem weißen Landwirt zum Tode verurteilt wurde. Nach seiner Verurteilung sandte Edwards zahlreiche Briefe an William Henry Huff, den Direktor des Abolish Peonage Comittee of America in Chicago, die dieser an die NAACP weiterleitete. Wie Edwards in seinen Schreiben ausführte, sei er vor Ansetzung des Verfahrens mehrfach gefoltert worden, worauf er schließlich ein falsches Geständnis abgelegt habe. Im Zuge des Verfahrens sei er dann von weißen Pflichtanwälten vertreten worden, die es ver21

Siehe hierzu u. a. den Fall von Roscoe und Henderson Young sowie den Fall Willie Bryant: LOC, NAACP Papers, Group I, Box D-99, Young, Roscoe and Henderson, 1937–1938; LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-26, Bryant, Willie, 1940–1944. Siehe auch Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 109–110, 155.

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säumten hätten, den Vorwurf der Folter vor Gericht zu erwähnen, und ihm keine Möglichkeit gewährt hätten, selbst in den Zeugenstand zu treten.22 Nach einer Überprüfung des Prozessprotokolls stellten die NAACP-Anwälte fest, dass es keine Grundlage für ein Berufungsverfahren gab. Am 9. Mai 1946 wurde George Edwards Jr. im Gefängnis von Vernon Parish, Louisiana, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.23 Der NAACP-Anwalt Robert L. Carter berichtete diesbezüglich in einem Schreiben vom 14. Mai 1946: »[Wir] gingen die Prozessakte durch und konnte keine föderale Frage entdecken. Wir versuchten eine erneute Verschiebung der Hinrichtung zu erlangen. […]. Der zunächst gewährte Aufschub wurde durch den Gouverneur plötzlich aufgehoben, und er setzte das Hinrichtungsdatum früher an. Nachdem wir mit anderen Mitteln versucht hatten, einen Aufschub zu erwirken, waren unsere Möglichkeiten erschöpft. Bedauerlicherweise ist George Edwards hingerichtet worden. Wir bedauern, dass wir nicht in der Lage waren, das Leben dieses jungen Mannes zu retten.«24 Der Fall Edwards verdeutlicht, dass das erfolgreiche Engagement der NAACP in forced-confession-Fällen von Faktoren vor Ort abhängig war, wie dem konkreten Verlauf einzelner Verfahren oder einem offensiven Eintreten der meist weißen Anwälte zugunsten ihrer afroamerikanischen Klienten. Diese Umstände trugen mit dazu bei, dass nur ein Bruchteil der an die NAACP gesandten Fälle bis vor den U. S. Supreme Court getragen werden konnte.

Siehe u. a. Brief von George Edwards Jr. an William Henry Huff, De Ridder, LA , 24. 3. 1946; Brief von George Edwards Jr. an William Henry Huff, De Ridder, LA, 4. 4. 1946, beide in: LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-31, Edwards, George Jr., 1946. 23 King, The Execution of Willie Francis, S. 137. 24 Brief von Robert L. Carter, NAACP -Assistant Special Counsel, an Frederick E. Robin, Assistant to the Director, American Civil Liberties Union, 14. 5. 1940, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-31, Edwards, George Jr. 1946. 22

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Die NAACP und die Fälle Brown vs. Mississippi und Chambers vs. Florida Im Februar 1936 verkündete der U. S. Supreme Court seine Entscheidung im Fall Brown vs. Mississippi, die Todesurteile über Ed Brown, Arthur Ellington und Henry Shields aufzuheben. In ihrer Begründung kritisierten die Richter explizit die Behandlung der drei Verurteilten durch die Strafjustiz im Süden: »Es wäre schwierig, Methoden zu ersinnen, die noch empörender für das Rechtsempfinden sind als diejenigen, die zur Erlangung der Geständnisse dieser Kläger angewandt wurden, und die Verwendung solchermaßen erzielter Geständnisse als Grundlage für eine Verurteilung stellt einen klaren Entzug des Rechts auf ein faires Verfahren dar.«25 Damit stellten die Richter klar, dass die Behandlung der drei Männer und die Verwendung ihrer Geständnisse durch das Gericht in Mississippi ein Verstoß gegen das im 14. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung niedergelegte Recht auf ein faires Verfahren war. Auf Grundlage dieser Entscheidung sollte die NAACP in den Folgejahren mehrere forced-confession-Fälle vor das Oberste Gericht bringen. Bemerkenswert an dem Urteil in Brown vs. Mississippi war überdies die weitere Begründung der Richter. Die Behandlung der drei Angeklagten durch die Behörden in Mississippi stehe im Widerspruch zum Selbstverständnis der USA als »moderne Zivilisation«: »Das Transkript [dieses Verfahrens, SN] liest sich eher wie Seiten, die aus einer mittelalterlichen Erzählung herausgerissen wurden, denn als ein Protokoll, das in einer modernen Zivilisation angefertigt wurde, die nach einer aufgeklärten konstitutionellen Regierung strebt.«26 Noch expliziter wurde die Kritik an der Rechtspraxis der Gerichte des Südens in einer Passage, in der die Richter auf die berüchtigten Rechtsinstitutionen der Sternkammer in England Brown vs. State of Mississippi, 297 U.S. 278 (1936), http://laws.findlaw.com/ us/297/278.html [31. 1. 2014]. 26 Ebenda. 25

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und der Inquisition in anderen Ländern Europas verwiesen, deren Auswüchse mit der amerikanischen Verfassung überwunden werden sollten: »Die Erzwingung von Geständnissen seitens mutmaßlicher Straftäter und die Verwendung dieser Geständnisse […] in Gerichtsverfahren war der Fluch aller Länder. Es war die oberste Ungerechtigkeit, der Gipfel der Schande der Sternkammer und der Inquisition und anderer Institutionen dieser Art. Die Verfassung [der USA] hat die Übel erkannt, die mit diesen Praktiken verbunden waren, und sie in diesem Land verboten.«27 Mit ihrem Hinweis auf die überwunden geglaubte Geschichte bezeichneten die Richter des Supreme Court die Folterungen im amerikanischen Süden als einen rückschrittlichen und barbarischen Akt, der das Selbstbild der USA als zivilisierte Nation infrage stelle. Zudem bezogen sie sich auf den Gründungsmythos der amerikanischen Nation als ein Staatswesen, das sich in dezidierter Abgrenzung gegen die absolutistischen europäischen Staaten im Allgemeinen und die englische Kolonialmacht im Speziellen formiert hatte. In den Berichten der nationalen Presse wurde diese Deutung des Falls bereitwillig aufgegriffen. So schrieb etwa die Chicago Daily Tribune: »Die Urteilsbegründung bezieht sich auf einen Mordprozess in einer hinterwäldlerischen Region in Mississippi. Sie offenbart eine Geschichte von blankem Terror, Folter und Brutalität, die sogar die Horrorgeschichten des Mittelalters übertrifft. Sie enthüllt, dass Strick und Peitsche die Rolle der Justiz übernommen haben – und dies in einem Teil eines Landes, bei dem man für gewöhnlich davon ausgeht, dass es von zivilisierten Menschen bevölkert wird.«28

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Ebenda. »Trio Is Saved From Legal Lynching«, Chicago Daily Tribune, 15. 3. 1940, S. D5.

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Die Washington Post verurteilte die Geschehnisse in Mississippi als einen »verabscheuungswürdigen Rückfall in die Barbarei«,29 und in mehreren Kommentaren wurde die Bedeutung des Urteils für den Schutz der Grund- und Menschenrechte herausgehoben: »Keine Entscheidung in den vergangenen Jahren war pointierter und emphatischer in der Forderung nach der Einhaltung der Menschenrechte, die jedem Bürger durch das Grundgesetz [»fundamental law«] garantiert sind.«30 Einige Kommentare knüpften auch an die nationale und internationale Debatte über den bereits erwähnten Fall der Scottsboro Boys an. Die New York Post griff dabei den im Zuge des Falls geprägten Begriff des »legalen Lynchmordes« auf, der »eine noch größere Bedrohung als der illegale Lynchmord« darstelle. »Er bringt Einwände zum Schweigen, indem er den Mantel des Gesetzes um etwas legt, was in Wahrheit Mordtaten des Mobs sind.« Es sei zu hoffen, dass die Gerichte in den Südstaaten diese Praxis angesichts der Entscheidung im Fall Brown vs. Mississippi revidierten.31 Weitaus pessimistischer wurde der Fall Brown vs. Mississippi in der nationalen afroamerikanischen Presse besprochen. Wie der Chicago Defender bereits drei Monate vor der Urteilsverkündung durch den Supreme Court konstatierte, mache der Fall deutlich, dass Angeklagte vor Gerichten des Süden – trotz der nationalen und internationalen Proteste im Fall Scottsboro – weiterhin umfassender Diskriminierung ausgesetzt seien.32 Nachdem das Gericht das Urteil zurückgewiesen hatte, warfen die Herausgeber der Zeitung die sarkastische Frage auf, »wie Angehörige der ›angeblich überlegenen Rasse‹ so tief in die Abgründe justizieller Verdorbenheit [»the depths of judicial depravity«] hinabsinken können«.33 »A Strike for Human Rights«, The Washington Post, 19. 2. 1936, S. 8. Ebenda; »What the Court Obstructs«, The New York Times, 21. 2. 1936, S. 16. 31 Zit. n. »Press Favors Judgment in Cropper Case«, The Chicago Defender, 29. 2. 1936, S. 4. 32 »Take Torture Case Before U. S. High Court«, The Chicago Defender, 2. 11. 1935, S. 2. 33 »Supreme Court Reverses Mississippi Mock Trial«, The Chicago Defender, 29. 2. 1936, S. 16. 29 30

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Wie die Richter des Supreme Court und Teile der nationalen Presse nahm auch die NAACP die rhetorischen Figuren der »Zivilisation« und der »Barbarei« auf, um den Fall Brown/Ellington/Shields zu skandalisieren. In einem kurz vor dem Urteil des Supreme Court veröffentlichten Bericht der Crisis fasste die NAACP die Umstände des Falls folgendermaßen zusammen: »Die drei Farmhelfer wurden einzig auf Grundlage eines ›Geständnisses‹ verurteilt, das ihnen durch Schläge und Folterungen abgerungen worden war, kaum zu glauben in einem zivilisierten Staat.«34 Damit griff die NAACP in ihrer Rechtskampagne gegen die Polizeifolter auf Strategien zurück, die sie bereits in den 1910er Jahren bei der Anti-Lynch-Kampagne erprobt hatte, nämlich die weitverbreitete Lynchgewalt sichtbar zu machen und als einen barbarischen Akt zu rahmen, der im expliziten Widerspruch zum modernen und zivilisierten Selbstbild der amerikanischen Nation stand. Frühe Anti-Lynch-Aktivistinnen und -Aktivisten wie Ida B. Wells hatten sogar schon im späten 19. Jahrhundert das Konzept der Zivilisation genutzt, um die Brutalität und Unmenschlichkeit der Lynchmorde in den Südstaaten öffentlich zu kritisieren.35 Anders als in der Anti-Lynch-Kampagne rückte die NAACP nun jedoch die diskriminierenden Prozeduren der Strafjustiz in den Vordergrund. In einem Leitartikel in der Crisis feierte sie das erfolgreiche Berufungsverfahren im Fall Brown vs. Mississippi: »Mississippi wurde durch den U. S. Supreme Court deutlich gemacht, dass Streckbank und Folterkammer nicht an die Stelle des Zeugenstands treten dürfen. Brown, Ellington und Shields haben eine zweite Chance, und die N.A.A.C.P. kann einen weiteren Sieg vor dem Obersten Gerichtshof auf ihrem Konto verbuchen.«36 »U. S. Supreme Court Hears Their Case«, The Crisis, February 1936, S. 42. Wood, Lynching and Spectacle, S. 179–221; siehe auch Zangrando, The NAACP Crusade against Lynching; Bederman, Manliness & Civilization, S. 23–76. 36 »No Torture«, The Crisis, April 1936, S. 113; siehe auch »U. S. Supreme Court Reverses Torture Case«, The Crisis, April 1936, S. 118–119. 34 35

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Der Kommentar zeigt, dass die NAACP das Urteil nutzte, um den eigenen Rechtskampf gegen die Diskriminierung afroamerikanischer Angeklagter im Süden der USA öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Vor allem aber verfolgte sie das Ziel, die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht Schritt für Schritt einzudämmen, weshalb sie vor allem an solchen Fällen interessiert war, wie Thurgood Marshall im Juli 1942 in einem Brief an einen Anwalt aus Florida ausführte.37 Die Bemühungen hatten zur Folge, dass die NAACP allein im Jahr 1940 mit Berufungsverfahren von drei Fällen vor dem U. S. Supreme Court erfolgreich war.38 Eine besondere Bedeutung kam dabei dem Fall von Isiah (Izell) Chambers, Jack Williamson, Charles Davis und Walter Woodward aus Florida zu, der im Februar 1940 zu einem Urteilsspruch des Supreme Court führte. Am 13. Mai 1933 wurde ein weißer Bewohner von Pompano, Florida, ermordet. Kurze Zeit danach nahmen Polizeibeamte in Broward County im Südosten von Florida zwischen 30 und 40 schwarze Tatverdächtige fest. Mehrere von ihnen wurden über eine Woche lang im Gefängnis von Fort Lauderdale festgehalten und Tag und Nacht von weißen Polizisten, Gefängnisangestellten und Zivilisten verhört, ohne dass ihnen erlaubt wurde, Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen. Vier der Verdächtigen, Chambers, Williamson, Davis und Woodward, wurden dann vor dem lokalen Gericht des Mordes angeklagt. Dort sagten sie aus, dass sie während ihrer Vernehmungen so lange ausgepeitscht und geschlagen worden seien, bis sie falsche Geständnisse abgelegt hätten. Als Beleg dafür wiesen sie vor Gericht auf die zahlreichen Narben und Striemen an ihren Körpern hin.39 Nach Abschluss des Gerichtsverfahrens vor dem Bezirksgericht von Broward County wurden die vier Angeklagten auf Brief von Thurgood Marshall an E. Norman Lancey, New York, NY, 2. 7. 1942, LOC, NAACP Papers, Group II Box-123, Flowers vs. Florida, Correspondence, 1942–43. 38 Die Fälle lauteten Chambers vs. Florida (1940), Canty vs. Alabama (1940), White vs. Texas (1940). 39 Siehe Transcript of Record, MoML /USSCRB , Chambers vs. State of Florida, 309 U.S. 227 (1940); Chambers vs. State of Florida, 309 U.S. 227 (1940), http://laws.findlaw.com/us/309/227.html [31. 1. 2014]. 37

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der Grundlage der mutmaßlichen Geständnisse schuldig gesprochen und zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. In den folgenden Jahren wies der Supreme Court von Florida die Todesurteile über die vier Männer zwei Mal zurück. Erst nach ihrer dritten Verurteilung durch die weiße Jury in Broward County bestätigte der Florida Supreme Court das Urteil. Daraufhin nahm sich die Rechtsabteilung der NAACP des Falles an und legte vor dem U. S. Supreme Court Berufung ein. Nach der ersten Anhörung des Falls im Januar 1940 hob Walter White, der langjährige Geschäftsführer der NAACP, vor der versammelten Presse hervor, dass das Berufungsverfahren dieser Fälle von »enormer Bedeutung für den Schutz der grundlegenden Bürgerrechte sei«: »Ich wünschte, wir hätten jedes Jahr fünfzig solcher Fälle vor dem Obersten Gerichtshof. Ich bin überzeugt, dass dies die Arme der Justiz in allen Teilen des Landes stärken würde.«40 Am 12. Februar 1940 gab das Oberste Gericht dann das Urteil im Fall Chambers vs. Florida bekannt. Wie auch im Fall Brown vs. Mississippi erklärte es das Urteil gegen die vier Angeklagten mit Verweis auf die due-process-Bestimmung des 14. Verfassungszusatzes für ungültig. Auch wenn die Richter anders als im Fall Brown keine eindeutigen Beweise für die Anwendung körperlicher Gewalt gegen die vier Angeklagten ausmachen konnten, erklärten sie den Einsatz der Geständnisse mit der Begründung für unrechtmäßig, dass sie »unter Zwang« erfolgt seien.41 Die symbolische Bedeutung des Urteils wurde dadurch verstärkt, dass die Richter des Supreme Court es am Geburtstag des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln (1861–1865) bekannt gaben und damit implizit an Lincolns Vermächtnis als »großen Befreier« der Sklavenbevölkerung im Amerikanischen Bürgerkrieg erinnerten. Das Urteil verwies ausdrücklich auf die diskriminierenden Umstände des Falles und hob die VerpflichZit. n. »Florida’s ›Scottsboro Case‹ Goes Before Supreme Court«, The Atlanta Daily World, 11. 1. 1940, S. 1, 6, hier: S. 6. 41 Chambers vs. State of Florida, 309 U.S. 227 (1940), http://laws.findlaw.com/ us/309/227.html [31. 1. 2014]. 40

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tung des Obersten Gerichts hervor, alle amerikanischen Bürgerinnen und Bürger vor rechtlicher Diskriminierung zu schützen: »Ein faires Verfahren, das jedem durch unsere Verfassung zugesichert ist, gebietet, dass kein Beschuldigter durch eine Praxis, wie sie in diesem Gerichtsprotokoll zutage tritt, zum Tod verurteilt werden darf. Dieses Gericht steht in keiner höheren Pflicht, keiner ernsteren Verantwortung als derjenigen, das Schutzschild der Verfassung in lebendiges Gesetz zu übersetzen und zu bewahren, ein Schutzschild, das bewusst geplant und geschrieben wurde, um jedes menschliche Wesen, das unserer Verfassung unterliegt, zu schützen, was auch immer dessen Rasse, Glaube oder Überzeugung sei.«42 Darüber hinaus bezogen sich die Richter auf die aktuellen außenpolitischen Entwicklungen in Europa und Übersee. Fünf Monate zuvor war in Europa der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, und bereits seit 1933 berichteten amerikanische Zeitungen ausführlich über die massive Einschränkung der Bürgerrechte im nationalsozialistischen Deutschland. »Heute wie in vergangenen Zeitaltern fehlt es uns nicht an dem tragischen Beweis, dass die überkandidelte Machtpraxis einiger Regierungen, erfundene Verbrechen diktatorisch zu bestrafen, ein Handlanger der Tyrannei ist. Unter unserem Verfassungssystem stehen die Gerichte gegen alle Stürme als Zufluchtsort für jene bereit, die sonst leiden müssten, weil sie hilflos, schwach, in der Minderheit oder aber unangepasste Opfer von Vorurteilen oder öffentlicher Erregung sind.«43 Mit diesem Verweis auf das Unrecht der »tyrannischen Regierungen« forderte das Gericht wie bereits im Fall Brown vs. Mississippi die Einhaltung der demokratischen Rechtstraditionen der USA ein. Auch die nationale Presse begrüßte das Chambers-Urteil ausdrücklich. Mehrere Artikel hoben die »historische« Relevanz der Entscheidung hervor und verwiesen auf die besondere Bedeutung des Supreme Court als »Schutzhafen« der Bürger-

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Ebenda. Ebenda.

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rechte.44 Insbesondere seitens der afroamerikanischen Presse wurde der Umstand betont, dass mit Richter Hugo L. Black ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied des Ku-Klux-Klan die Entscheidung zugunsten der schwarzen Angeklagten verkündet habe. Der Pittsburgh Courier berichtete, dass Richter Black das Urteil anders als sonst üblich im vollständigen Wortlaut verlas, vor einem »stillen« und »ernsten« Publikum im voll besetzten Gerichtsaal des Supreme Court.45 Die schwarze Bevölkerung sei durch das Urteil »am 131. Geburtstag von Abraham Lincoln, dem Befreier«, erneut der »Unveräußerlichkeit ihrer Rechte und des ihnen durch die US-amerikanische Verfassung gewährten Schutzes« versichert worden.46 Der Chicago Defender feierte das Urteil als »einen weiteren Schritt in Richtung der vollständigen Emanzipation« der afroamerikanischen Bevölkerung in den Südstaaten.47 Einen Tag nach dem Urteil veröffentlichte die NAACP eine Pressemitteilung, in der ihr Präsident Arthur Spingarn die Bedeutung des Urteils für die schwarzen und weißen Bürger der USA hervorhob: »Kein armer Mann in Amerika, weder weiß noch farbig, muss seine Hoffnung verlieren, solange der Supreme Court der Vereinigten Staaten ein Bollwerk für den Schutz der verfassungsmäßigen Bürgerrechte der Unterprivilegierten und der Wehrlosen bleibt.«48 In einem im März 1940 veröffentlichten Leitartikel bezeichnete Roy Wilkins, der Herausgeber der Crisis, die Entscheidung als eine »Zurechtweisung« des Südens. Das Festhalten von Gefangenen ohne Haftbefehl, das Foltern und das Erzwingen falscher Geständnisse sei zwar in den gesamten USA »weit verbreitet«, werde jedoch in den Südstaaten »routinemäßig« gegen afroameSiehe »Justice Has No Politics«, The New York Times, 13. 2. 1940, S. 21; »Shield of Liberty«, The Washington Post, 13. 2. 1940, S. 12. 45 »Outlaw ›Torture Confession‹«, The Pittsburgh Courier, 17. 2. 1940, S. 1. 46 Ebenda. 47 »High Court Denounces Fla. Justice«, The Chicago Defender, 17. 2. 1940, S. 1, 2. 48 Arthur Spingarn, NAACP Daily Letter, 13. 2. 1940, LOC , NAACP Papers, Group II, Box B-28, Chambers vs. Florida, Correspondence 1940–1942. 44

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rikanische Tatverdächtige eingesetzt.49 Wie bereits der Fall Brown vs. Mississippi, so Wilkins, mache der Fall Chambers auf die dortige prekäre Situation schwarzer Angeklagter aufmerksam, auf die »immensen Widrigkeiten«, denen sie gegenüberstünden, wenn sie in »von Vorurteilen durchdrungenen lokalen Gemeinden« festgenommen würden: »[S]ie sind auf Gedeih und Verderb den lokalen Beamten und der lokalen öffentlichen Meinung ausgeliefert. Sie werden terrorisiert und jeglicher Rechte beraubt.«50 Mit Kommentaren wie diesem hob die NAACP die spezifische Bedeutung ihres anhaltenden Rechtskampfes gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse hervor, nämlich zu Unrecht verurteilte afroamerikanische Angeklagte vor ihrer drohenden Hinrichtung zu bewahren und die rassistische Strafjustiz im Süden in rechtsstaatliche Schranken zu verweisen.

Lokale Interventionen: Der Fall Dave Canty Dass der Rechtskampf tatsächlich einen reformierenden Effekt auf die rassistischen Strukturen der Strafjustiz in den Südstaaten hatte, wurde insbesondere im bereits vorgestellten Fall Dave Canty deutlich. Nachdem Canty im März 1938 vom Circuit Court in Montgomery, Alabama, wegen der Ermordung von Eunice Ward zum Tode verurteilt worden war, beantragte die NAACP -Rechtsabteilung eine Berufung des Urteils durch den Supreme Court. Im März 1940 wies dieser das Todesurteil ohne mündliche Anhörung des Falls zurück, indem er auf sein Präzedenzurteil im Fall Chambers vs. Florida verwies.51 Wie Thurgood Marshall daraufhin in einem Brief an T. T. Allen, den Präsidenten der NAACP-Zweigstelle in Montgomery, ausführte, stärke das Urteil den rechtlichen Schutz vor der Verwendung er»Rebuke to Torture«, The Crisis, März 1940, S. 81. Ebenda. 51 »Execution of Ala. Torture Victim Halted«, The Chicago Defender, 23. 3. 1940, S. 8; »High Court Saves Another Negro«, The New York Times, 12. 3. 1940, S. 22. 49 50

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zwungener Geständnisse und werde die polizeiliche Folterpraxis maßgeblich eindämmen. Aus diesem Grund werde diese Entscheidung »nicht nur schwarze, sondern auch weiße Bürger« schützen.52 Die NAACP-Aktivitäten im Fall Canty forderten aber auch die etablierten Macht- und Herrschaftsstrukturen vor Ort heraus. Bereits wenige Tage, nachdem die Zeitungen in Montgomery Anfang April 1938 das mutmaßliche Geständnis von Dave Canty veröffentlicht hatten, informierte William G. Porter, der damalige Leiter der NAACP-Zweigstelle in Montgomery, das nationale Büro der NAACP über den Fall. Die Polizei habe Canty »sehr grob« behandelt, um das Geständnis zu erlangen.53 Daraufhin forderte die NAACP-Rechtsabteilung Porter zunächst erfolglos auf, weitere Informationen zu dem Fall zu liefern.54 Einen Monat darauf sandte Marshall einen Brief an Dr. E. W. Taggart, den Präsidenten der NAACP-Zweigstelle in Birmingham, Alabama, in dem er diesen angesichts der bisherigen Untätigkeit der Verantwortlichen in Montgomery darum bat, eine »Voruntersuchung« des Falls in Angriff zu nehmen. Das einzige Beweismittel gegen Canty bestehe in einem »durch Zwang und Gewalt erlangten angeblichen Geständnis«.55 Angesichts der spezifischen Umstände des Falles riet Marshall jedoch zu einer gewissen Umsicht bei der Untersuchung: »Alles weist darauf hin, dass dies ein sehr wichtiger Fall ist und zugleich jene Sorte von Fall, der von den Behörden gedeckt wird, sodass es gefährlich sein kann, die Untersuchung allzu offensiv durchzuführen. Wir hoffen dennoch, dass Sie in Brief von Thurgood Marshall an T. T. Allen, New York, NY, 4. 11. 1940, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 53 Brief von William G. Porter an Walter White, Montgomery, AL , 7. 4. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 54 Brief von Charles H. Houston an William G. Porter, New York, NY, 14. 4. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 55 Brief von Thurgood Marshall an Dr. E. W. Taggart, New York, NY, 12. 5. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 52

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der Lage sein werden, eine Voruntersuchung durchzuführen, und uns Ihre Informationen so bald wie möglich zukommen lassen.«56 Auf Anfrage der NAACP-Rechtsabteilung schickte Taggart am 31. Mai 1938 einen Bericht an Marshall, in dem er sich auf Gespräche bezog, die er mit den Vertretern eines örtlichen afroamerikanischen Bürgerkomitees geführt hatte. Diese waren im Fall Canty aktiv geworden und hatten den Tatverdächtigen nach dem vorgeblichen Geständnis im Gefängnis besucht. Nach Taggart deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass Canty gewaltsam zu diesem Geständnis gezwungen worden sei: »Sie haben Canty zum Geständnis geprügelt. Laut dem Komitee, das mit Dave gesprochen hat, sagte er, er werde ›eh demnächst auf die eine oder die andere Art sterben‹ und habe das Geständnis unterschrieben, das ihm die Polizei diktiert hatte.«57 Den Mitgliedern des Komitees sei es nicht erlaubt worden, Canty auf mögliche körperliche Spuren der Folter hin zu untersuchen.58 Er sei überdies auch im Rahmen einer öffentlichen Zeugengegenüberstellung misshandelt worden: »Sie brachten Canty zurück zum Tatort und ließen ihn mit Handschellen rennen. Canty strauchelte und brachte einen der neben ihm rennenden Polizisten ins Stolpern, sodass dieser zu Boden fiel. Dies verärgerte die Beamten so sehr, dass sie den Gefangenen traten und beleidigten.«59 Die Ermittlungsergebnisse der lokalen Bürgerrechtaktivisten standen also in direktem Widerspruch zur öffentlichen Leugnung der Foltervorwürfe durch die lokale Polizei. Kurz nachdem Canty im April 1938 seine Tat gestanden hatte, veröffentlichte der Montgomery Advertiser einen Bericht, in dem der Polizeichef W. P. Screws die kursierenden »Gerüchte« über die Misshandlung Cantys öffentlich zurückwies. Bei der Erlangung des Mordgeständnisses von Dave Canty seien »keine gewaltsaEbenda. E. W. Taggart, Facts in the Case of Dave Canty, Birmingham, Ala., 31. 5. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 58 Ebenda. 59 Ebenda. 56 57

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men Methoden« (»no strong-arm methods«) angewandt worden.60 Um dies zu belegen brachte der Chefermittler der Polizei von Montgomery, Paul Rapport, höchstpersönlich einen Reporter des Advertiser zum Staatsgefängnis von Alabama und erlaubte ihm, den Geständigen zu fotografieren. Wie der Journalist anschließend berichtete, habe er Canty gefragt, ob er in irgendeiner Weise misshandelt worden sei, worauf dieser mit Nein geantwortet habe. An Canty seien keine »sichtbaren Spuren von Schlägen« erkennbar gewesen.61 Nachdem die NAACP-Anwälte den Bericht von Taggart erhalten hatten, entschieden sie sich dafür, den Fall weiter zu unterstützen. Marshall schrieb Taggart, er persönlich sei davon überzeugt, dass dies ein »sehr wichtiger Fall« sei, der »nicht nur die Rechte von Dave Canty« betreffe, sondern der schwarzen Bevölkerung im Süden »generell zugutekommen« werde.62 Nicht zuletzt scheinen die Aktivitäten im Fall Dave Canty auch zu einer Stärkung der lokalen Organisationsstrukturen der NAACP geführt zu haben, was sich im überlieferten Briefwechsel zwischen der Zweigstelle in Montgomery und dem nationalen Büro in New York City andeutet. Noch im Mai 1938 hatte Taggart geklagt, dass die Zweigstelle in Montgomery so gut wie inaktiv sei und daher keine Unterstützung im Fall Canty bereitstellen könne.63 Doch stieg die Zahl ihrer Mitglieder unmittelbar nach dessen Verurteilung und der daraufhin eingeleiteten Spendenkampagne deutlich an.64 Die lokalen NAACP-Mitglieder trugen circa 500 Dollar Spendengelder zusammen, um einen Teil der Prozess- und Anwaltskosten für die Berufung des Urteils zu bezahlen. Weitere 500 Dollar wurden von Cantys Familie aufge»Canty Confession Not Gained by Beating, Says Col. Screws«, The Montgomery Advertiser, ohne Datum, ohne Seitenzahl, abgelegt in: LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 61 Ebenda. 62 Brief von Thurgood Marshall an E. W. Taggart, New York, NY, 16. 6. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 63 Brief von Dr. W. A. Taggart an E. G. Jackson, Birmingham, 8. 6. 1938, LOC , NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 64 Siehe die ungeordneten Mitgliederlisten in: LOC , NAACP Papers, Group I Box G 7, NAACP Branch Files, Montgomery Branch. 60

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bracht.65 Die Initiative im Fall Canty scheint zudem auch die Protestbereitschaft und das Gemeinschaftsgefühl der lokalen afroamerikanischen Bevölkerung gestärkt zu haben. In einem Brief an Walter White vom 9. Juli 1938 erklärte William G. Porter, dass die Verantwortlichen »gut organisiert« seien und den Fall Canty übernommen hätten. »Falls die Montgomery-Zweigstelle erfolgreich ist, werden Sie in wenigen Jahren einen anderen Süden sehen«, so seine optimistische Prognose.66 Trotz der zu erwartenden Widerstände durch die lokale Polizeiführung sei man bereit, gegen die Verurteilung Cantys anzukämpfen. »Wie Sie wissen, ist es hauptsächlich der Polizeichef, der diesen Fall durchkämpfen möchte und der ausgesagt hat, dass das Geständnis nicht durch Zwang erlangt wurde. Dies wird ein hässlicher Fall werden, aber wir werden das durchstehen.«67 In einem Schreiben vom 14. November 1938 bekräftigte Porter die Absicht, Cantys Fall bis »zum bitteren Ende« zu unterstützen: »Ich weiß, Sie würden uns gerne gewinnen sehen.«68 Nicht zuletzt ist aus den NAACP-Unterlagen zu ersehen, dass die Aktivitäten der Zweigstelle für Dave Canty zu Allianzen mit Angehörigen des weißen Bürgertums Montgomerys führte. Im November 1939 berichtete T. T. Allen, der in der Zwischenzeit William G. Porter als Leiter der Zweigstelle in Montgomery abgelöst hatte, über ein Treffen mit einer weißen Bürgerin, die ihm ihre Unterstützung zugesichert habe: »Eine Mrs Rutledge, die eine Gruppe liberal gesinnter weißer Bürger hier repräsentiert, hat gestern mit mir gesprochen. Sie ist auch Mitglied dieser N.A.A.C.P.-Zweigstelle. Es scheint, als ob es eine große Zahl unvoreingenommener Weißer gibt, die der Auffassung sind, dass Canty zweifelsohne Siehe Brief von T. M. Blair, Secretary NAACP Montgomery Branch, an Walter White, Montgomery, AL, 24. 6. 1939, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 66 Brief von William G. Porter an Walter White, Montgomery, AL , 9. 7. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II , Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 67 Ebenda. 68 Brief von William G. Porter an Walter White, Montgomery, AL , 14. 11. 1938, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 65

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UNSCHULDIG ist. Mrs Rutledge hat seit einiger Zeit großes Interesse an dem Fall und hat uns ihre Unterstützung angeboten, wo immer sie könne. Sie hat angeboten, vor den Gouverneur oder den Begnadigungsausschuss zu treten, um zu berichten, welche Gerüchte in ihrem Umfeld zirkulierten. Zudem versuchen sie [die Mitglieder der Gruppe, SN], eidesstattliche Erklärungen zu bekommen, die belegen, dass Zeugen eingeschüchtert wurden, sodass sie nicht vor Gericht aussagten.«69 Auch Alex C. Birch, der weiße Anwalt von Dave Canty, berichtete während des Verfahrens, dass zahlreiche Weiße in Montgomery Zweifel an der Schuld von Canty geäußert und ihr Missfallen über seine mutmaßliche Folterung durch die lokale Polizei geäußert hätten: »Viele von uns denken, dass Polizeibeamte dazu neigen, Foltermethoden [»third degree methods«] zu benutzen. Es versteht sich von selbst, dass solch unmenschliches Verhalten mit dem Stempel der Missbilligung versehen werden sollte. Es gibt eine Grenze der Tapferkeit und des Durchhaltevermögens von Menschen, und der Unschuldige wird häufig Straftaten gestehen, um weiteren unerträglichen Peinigungen zu entgehen.«70 Die zitierten Briefe und Berichte zeigen, dass die Aktivitäten der NAACP im Fall Canty das Bürgerrechtsbewusstsein der lokalen Bevölkerung stärkten – zum Teil auch der weißen. Mit ihren Maßnahmen demonstrierten die lokalen schwarzen Aktivistinnen und Aktivisten, dass sie – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – bereit waren, gegen die diskriminierende Behandlung von Dave Canty vorzugehen. Ihre Aktivitäten lassen sich als Praktiken des Widerstands verstehen, die die rassistischen Macht- und Ordnungsstrukturen vor Ort punktuell infrage stellten und herausforderten.

Brief von T. T. Allen an Walter White, Montgomery, AL, 19. 11. 1939, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942 (Hervorhebungen im Original). 70 Brief von Alec C. Birch an Thurgood Marshall, Montgomery, AL , 11. 7. 1939, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-27, Canty vs. Alabama, 1940–1942. 69

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Die weitere Entwicklung des Falles zeigt, dass die Aktivitäten der NAACP nicht ohne Wirkung blieben: Nachdem der Alabama Supreme Court am 22. Juni 1939 das Todesurteil gegen Canty bestätigt hatte, stellten Thurgood Marshall und Leon A. Ransom gemeinsam mit Cantys Anwalt Alex C. Birch einen Berufungsantrag an den U. S. Supreme Court. Darin verwiesen sie auf die diskriminierenden Umstände des Verfahrens sowie die massiven Foltervorwürfe, die Canty während des Gerichtsprozesses erhoben hatte. Wie bereits ausgeführt, hob der Supreme Court daraufhin im März 1940 das Todesurteil auf. Doch stieß die NAACP-Rechtskampagne auch an ihre Grenzen: Im Juli 1942 wurde Dave Canty erneut vor dem Montgomery Circuit Court wegen Mordes angeklagt, abermals für schuldig befunden und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Aus Sorge vor einer erneuten Berufung des Verfahrens, verzichtete die Staatsanwaltschaft drauf, Cantys zweifelhaftes Geständnis als Beweismittel in das Verfahren einzubringen. Nachdem der Alabama Supreme Court die Entscheidung im Januar 1943 bestätigt hatte, lehnte der U. S. Supreme Court am 3. Mai 1943 eine Überprüfung des Urteils ab.71

Unter schwarzer Verteidigung: Der Fall W. D. Lyons Während am Fall Canty die unterschiedlichen Formen des lokalen schwarzen Widerstands gegen die Praxis der Folter und Geständniserzwingung sichtbar werden, demonstriert der Fall W. D. Lyons, ebenfalls aus den frühen 1940er Jahren, zum einen die symbolische Wirkung der Rechtsaktivitäten der NAACP vor einem Gericht in den Südstaaten, zum anderen ihre veränderten Strategien vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Auslöser für den Fall Lyons war ein aufsehenerregender Raubmord in Fort Townson, Oklahoma, bei dem Ende Dezember 1939 ein weißes Ehepaar und dessen vierjähriger Sohn er71

Laut James Rawn verstarb Dave Canty einige Jahre später im Staatsgefängnis von Alabama. Siehe Rawn, Root and Branch, S. 121.

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schossen, ihre Körper mit einer Axt zerteilt und anschließend das Haus der Familie in Brand gesetzt worden waren.72 Nach Bekanntwerden der Tat sandte der amtierende Gouverneur von Oklahoma einen Sonderermittler namens Vernon Cheatwood in die Bezirkshauptstadt Hugo, um das Verbrechen aufzuklären. Unbestätigten Gerüchten zufolge hatte zuvor bereits ein entflohener weißer Häftling die Tat gestanden, woraufhin das Gouverneursbüro jedoch entschied, eine andere Person für die Tat verantwortlich zu machen, um angesichts der bevorstehenden Wahlen von den eigenen Versäumnissen bei der Gefängnisaufsicht abzulenken.73 Mitte Januar 1940 nahmen die lokalen Polizeibehörden den 21-jährigen African American W. D. Lyons fest. Wenige Tage später vermeldete die lokale Presse, dass Lyons die Tat gestanden habe.74 Ende März 1940 erhielt NAACP-Geschäftsführer Walter White einen Brief von Roscoe Dunjee, dem Herausgeber der afroamerikanischen Wochenzeitung Black Dispatch und Vorsitzenden der Zweigstelle in Oklahoma, der das nationale Büro der NAACP um finanzielle Unterstützung im Fall Lyons bat. Er wolle einen Anwalt für Lyons engagieren und die Hintergründe des Falls untersuchen lassen. Nach seinen Informationen sei Lyons einer »grausamen Auspeitschung« unterzogen worden, um »ein Geständnis zu erzwingen.75 In einem weiteren Schreiben vom 26. Dezember 1941 forderte Dunjee das nationale Büro der NAACP dazu auf, direkt in dem Fall aktiv zu werden. Dieser eigne sich noch weitaus besser für eine rechtliche Intervention als der Fall Chambers, in dem der Supreme Court die Todesurteile über die vier Angeklagten aufgehoben hatte. Anders als in diesem Fall sei die weiße Bevölkerung in Hugo, Oklahoma, dem »Farmhouse Fire Takes 3 Lives; Murder Hinted«, Tulsa Daily World, 1. 1. 1940, S. 1; »Farmhouse Fire Death Probed«, Tulsa Daily World, 2. 1. 1940, S. 1. 73 Siehe Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 171; »Tortured with Charred Bones!«, The Crisis, März 1941, S. 85. 74 »Negro Confesses in Triple Slaying«, Tulsa Daily World, 24. 1. 1940, S. 2. 75 Brief von Roscoe Dunjee an Walter White, Oklahoma City, OK , 26. 3. 1940, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 72

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Angeklagten Lyons sehr gewogen und nicht aufseiten der lokalen Behörden. »[W]ir haben den besten Fall, den wir im Süden bezüglich der Frage der erzwungenen Geständnisse finden können. […] Meiner Meinung nach wäre das Nationale Büro gut beraten, direkt in den Fall einzusteigen.«76 Schließlich regte Dunjee an, dass Thurgood Marshall in seiner Funktion als Chefanwalt der NAACP persönlich an dem Gerichtsverfahren gegen Lyons teilnehmen solle. Ein solcher Schritt würde die NAACP in die öffentliche Aufmerksamkeit rücken und »ihre Aktivitäten landesweit wiederbeleben«. Marshalls persönliche Anwesenheit vor Gericht sei von großer Bedeutung für das Verfahren. Noch einmal betonte er die positive Haltung der lokalen weißen Bevölkerung gegenüber Lyon, wahrscheinlich um zum Ausdruck zu bringen, dass sich Marshall keine Sorgen um seine persönliche Sicherheit machen müsse.77 Marshall erklärte sich bereit, nach Hugo zu reisen, um W. D. Lyons gemeinsam mit dem von der lokalen NAACPZweigstelle beauftragten weißen Anwalt Stanley Belden vor Gericht zu verteidigen. Damit wich er dezidiert von der üblichen Vorgehensweise der NAACP-Rechtsabteilung ab, erst nach der Verurteilung eines schwarzen Angeklagten einzugreifen.78 Am 24. Januar 1941 veröffentlichte die NAACP eine Pressemitteilung zur Anreise von Marshall zu dem Gerichtsprozess in Oklahoma.79 Drei Tage darauf begann der Prozess gegen Lyons vor dem Circuit Court in Hugo, Oklahoma. Die Archivunterlagen der NAACP enthalten mehrere persönliche Briefe, die MarBrief von Roscoe Dunjee an Thurgood Marshall, 26. 12. 1940, Oklahoma City, OK, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 77 Brief von Roscoe Dunjee an Thurgood Marshall, 13. 1. 1941, Oklahoma City, OK, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 78 Brief von Thurgood Marshall an Roscoe Dunjee, New York, NY, 20. 1. 1941, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 79 NAACP -Pressemitteilung, New York, NY, 24. 1. 1941, LOC , NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 76

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shall während des Prozesses an NAACP-Geschäftsführer Walter White schickte. Sie dokumentieren sowohl seine persönlichen Eindrücke als auch die Wirkung seines Auftritts vor dem Gericht.80 Wie Marshall berichtete, nahm die lokale Bevölkerung regen Anteil an dem Verfahren gegen Lyons, ohne Feindseligkeit gegenüber ihm und seinen Anwälten zu zeigen: »Der Gerichtsaal ist mehr als ausgelastet, das Gebäude selbst ist jeden Tag überfüllt. Mehr als tausend Menschen aus dem gesamten Bezirk. Sie kommen mit Lastwagen, Fuhrwerken etc. Die Stimmung ist gut. Keine Anzeichen von Mob-Stimmung.«81 Bereits das Erscheinen des schwarzen Anwalts vor dem Gericht in Hugo forderte die »rassisch« codierten Rollenerwartungen der weißen Justizvertreter und des Publikums heraus: »Als ich letzten Sonntagabend in Hugo ankam, wusste ich nicht, was passieren würde. […] Als wir auf dem Weg zum Gerichtssaal waren, ging die Nachricht herum, dass ein ›Nigger-Anwalt aus New York‹ an dem Verfahren teilnehme. Die Gerichtsdiener waren sehr nett und erklärten, dass sie das erste Mal einen Negro-Anwalt [»Negro lawyer«] sähen, der ein Verfahren bestreitet – das erste Mal, dass sie so ein Tier gesehen hatten. […] Nun, unser Fall wurde aufgerufen, ich wurde dem Gericht vorgestellt und nahm am Anwaltstisch Platz – das Gebäude blieb stehen, und die Welt brach nicht zusammen.«82 Die besondere Bedeutung des Verfahrens, so Marshalls Bericht, wurde durch die einleitenden Bemerkungen des Vorsitzenden Richters sowie die Anwesenheit mehrerer Schulklassen der lokalen weißen Schule hervorgehoben:

Siehe hierzu auch Klarman, »Is the Supreme Court Sometimes Irrelevant?«, S. 147; James, Root and Branch, S. 175–177. 81 Brief von Thurgood Marshall an Walter White, Hugo, OK , 29. 1. 1941, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 82 Brief von Thurgood Marshall an Walter White, Hugo, OK , 2. 2. 1941, LOC , NAACP Papers, Group II , Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 80

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»Der Richter kündigte an, dass ›zwei Nationalitäten‹ an dem Verfahren beteiligt seien und dass er keine Störungen im Gerichtsaal dulden werde. […] Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag waren mehrere Klassen aus der lokalen weißen Schule im Gerichtsaal. Der Richter verkündete von seinem Richterstuhl herab, dass sie da seien und dass dies ein ›Festtag‹ [»a ›gala day‹«] sei – kannst du dir das vorstellen: Wenn einem Schwarzen vor Gericht die Todesstrafe droht, gilt das als Festtag.«83 Laut Gerichtsprotokoll erhob der Angeklagte W. D. Lyons im Zeugenstand den Vorwurf, während seiner Vernehmung mehrfach mit einem Blackjack geschlagen worden zu sein. Dabei habe sich der bereits erwähnte Sonderermittler Vernon Cheatwood bei den Folterungen besonders hervorgetan: »[Sie] nahmen mich hoch und legten mich über einen Tisch und Mr Cheatwood schlug mir mit einem Blackjack auf den Hinterkopf und setzte mich zurück auf den Stuhl und begann mir erneut auf meine Beine zu schlagen, und auf die Arme.«84 Im weiteren Verlauf der Vernehmung, so Lyons weiter, hätten ihm die Ermittler eine Pfanne mit den Knochen der verstorbenen Opfer des Raubmordes in den Schoß gelegt, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen: »Sie sagten, das seien die Knochen von Mrs Rogers, Mr Rogers und dem Baby, und ich hatte noch nie zuvor Knochen von toten Menschen gesehen oder überhaupt schon mal einen Toten gesehen, und ich hatte Angst vor diesen Knochen in der Pfanne in meinem Schoß. Mr Cheatwood legte die Knochen in meine Hand, die Zähne und Körperknochen, und zwang mich, sie zu halten und anzuschauen, er erlaubte mir nicht, den Kopf abzuwenden, und schlug mir auf die Hände und Knie.«85 Aus Angst vor weiteren Misshandlungen und Einschüchterungen habe er kurze Zeit später ein erstes mündliches Geständnis

Ebenda. Transcript of Record, MoML/USSCRB, Lyons vs. State of Oklahoma, 322 U.S. 596 (1944), S. 212. 85 Ebenda, S. 213. 83 84

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über die Tat abgelegt, nach seiner Verlegung in ein anderes Gefängnis am Folgetag in Anwesenheit des ermittelnden Staatsanwalts und eines Stenografen ein zweites Geständnis.86 Im weiteren Verlauf der Verhandlung rief die Staatsanwaltschaft mehrere Polizisten in den Zeugenstand, die die Foltervorwürfe zurückwiesen, aber einräumten, dass Lyons mit den Knochen der Verstorbenen konfrontiert worden sei. Damit habe man ihn, so einer der befragten Beamten, dazu bringen wollen, über die Folgen seiner Tat »nachzudenken«.87 Im Anschluss daran riefen Marshall und Birch mehrere weiße Zeuginnen und Zeugen auf, die aussagten, dass Vernon Cheatwood ihnen gegenüber offen über die Folterung von Lyons gesprochen habe. In Marshalls Bericht hieß es dazu: »Wir riefen den Angestellten (weiß) [gemeint ist: mit weißer Hautfarbe, SN] des Hotels, in dem Cheatwood übernachtet hatte, in den Zeugenstand, und er sagte aus, dass Cheatwood am Tag nach dem Geständnis den Kofferträger aufgefordert habe, nach oben zu gehen und seinen ›Nigger-Schläger‹ [»nigger beater«] zu holen, den er den Leuten in der Lobby des Hotels zeigte, während er erzählte, dass er sechs oder sieben Stunden auf Lyons eingeprügelt habe, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Der Vater und die Schwägerin der verstorbenen Frau sagten beide aus, Cheatwood habe ihnen erzählt, dass er Lyons sieben Stunden lang vom Kopf bis zu den Füßen geschlagen habe. Es gibt ein paar gute weiße Leute auf dieser Welt.«88 Das Auftreten des afroamerikanischen NAACP-Anwalts vor Gericht und dessen Einsatz für die Verfahrensrechte von W. D. Lyons wurde als Affront gegen die in den Südstaaten geltende traditionelle, »rassisch« hierarchisierte Sprechordnung vor Gericht wahrgenommen:

Ebenda, S. 212–222. Ebenda, S. 73. 88 Brief von Thurgood Marshall an Walter White, Hugo, OK , 2. 2. 1941, LOC , NAACP Papers, Group II , Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 86 87

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»Ich übernahm alle Kreuzverhöre mit den Beamten, da wir dachten, dass sie sich darüber ärgern würden, von einem Negro befragt zu werden, und dies uns helfen würde. Es funktionierte perfekt. Sie wurden alle wütend angesichts der Vorstellung, dass ein Negro sie in die Ecke drängen und ihre Lügen entlarven würde. Junge, wie mir das gefallen hat – und wie es den Negroes im Gerichtssaal gefallen hat.«89 Die Schilderung verdeutlicht die performative und symbolische Dimension von Marshalls Auftritt vor Gericht: Indem er durch seine Befragung die Glaubwürdigkeit der weißen Zeugen in Zweifel zog, brach er ein Tabu, weil den Aussagen weißer Zeuginnen und Zeugen traditionell eine höhere Glaubwürdigkeit zugesprochen wurde als denjenigen schwarzer Zeuginnen und Zeugen. Zum anderen überschritt er durch sein forsches Auftreten gegenüber den befragten Polizisten die zugeschriebenen Rollenerwartungen an einen schwarzen Menschen vor Gericht, nämlich sich passiv zu verhalten. Nach Marshalls Berichten war sich insbesondere die afroamerikanische Zuschauerschaft der Symbolik dieser Geschehnisse vor Gericht bewusst.90 Trotz der Bemühungen von Marshall und Birch, die Zulässigkeit beider Geständnisse infrage zu stellen, erklärte der Vorsitzende Richter das zweite Geständnis von Lyons als Beweismittel für gültig. Aufgrund des zeitlichen Abstandes zur Vernehmung sei davon auszugehen, dass dieses Geständnis »freiwillig« abgelegt worden sei.91 Nach Abschuss der mündlichen Anhörungen wurde Lyons von den zwölf weißen Geschworenen für schuldig befunden und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Marshall betrachtete jedoch das Urteil als Beleg dafür, dass die Geschworenen insgeheim von der Unschuld Lyons überzeugt waren. An White schrieb er: »Du weißt selbst, dass lebenslänglich für ein Verbrechen wie dieses – drei Menschen getötet, mit einer Schrotflinte erschossen und mit einer Axt zerhackt und dann verbrannt – eindeutig zeigt, dass sie glaubten, dass er unschuldig Ebenda. Ebenda. 91 »Negro’s Statement Ruled Out at Hugo«, The Daily Oklahoman, 1. 2. 1941, S. 1. 89 90

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ist.«92 Durch die Initiative vor Ort habe sich die NAACP in die bestmögliche Lage gebracht, um gegen das Urteil in Berufung zu gehen.93 Überdies versprach er sich davon eine nachhaltige Wirkung auf das Bürgerrechtsbewusstsein der lokalen weißen Bevölkerung: »Eine Sache, die dieses Verfahren erreicht hat – die guten Bürger in dieser Gegend haben eine Lehrstunde in Verfassungsrecht und den Rechten der Negroes erhalten, die sie für eine Zeit lang nicht vergessen werden. Polizeibeamte wissen nun, dass sie sich möglicherweise im Zeugenstand rechtfertigen müssen, wenn sie einen Negro verprügeln.«94 Nach dem Rechtshistoriker Michael J. Klarman boten die Auftritte schwarzer NAACP-Anwälte vor Gerichten im Süden positive Identifikationsmöglichkeiten für African Americans und motivierten zu Protesten gegen ihre anhaltende Diskriminierung im Justizsystem.95 Der Bericht Thurgood Marshalls bestätigt diese Einschätzung. Das Engagement der NAACP habe die Bereitschaft der schwarzen Bevölkerung geweckt, aktiv für ihre Bürgerrechte zu kämpfen: »Du kannst dir nicht vorstellen, was es für die Leute da unten, die jahrelang schikaniert wurden, bedeutet zu wissen, dass es eine Organisation gibt, die ihnen helfen wird. Sie sind jetzt wirklich bereit, ihren Teil zu erledigen. Sie sind bereit für alles.«96 Darüber hinaus setzte die NAACP ihre Aktivitäten im Fall Lyons auch dazu ein, um die amerikanische Öffentlichkeit auf die anhaltende Diskriminierung schwarzer Angeklagter durch die Strafjustiz in den Südstaaten aufmerksam zu machen. Noch vor seiner Abreise aus Hugo regte Marshall in einem Brief an White an, den Fall Lyons für eine nationale Spendenkampagne

Brief von Thurgood Marshall an Walter White, Hugo, OK, 2. 2. 1941, LOC, NAACP Papers, Group II , Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 93 Ebenda. 94 Ebenda. 95 Klarman, »Is the Supreme Court Sometimes Irrelevant?«, S. 120, 147. 96 Ebenda. 92

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zu nutzen. Dessen besonderen Umstände seien bestens geeignet, um Spendengelder zu akquirieren: »Wir könnten einen weiteren guten Verteidigungsfonds gebrauchen, und dieser Fall hat mehr Anziehungskraft als alle bisherigen. Die Schläge und die Pfanne mit den Knochen der Toten werden Geld einbringen. […] Wir haben einen guten Strafprozess gebraucht, und jetzt haben wir ihn. Lass uns echtes Geld einsammeln.«97 Im März 1941 veröffentlichte die NAACP in der Crisis einen ganzseitigen Spendenaufruf zum Fall Lyons. Der Text mit dem Titel »Gefoltert mit verkohlten Knochen!« (»Tortured with Charred Bones!«) war mit einer Fotografie Lyons illustriert (siehe Abbildung 5), die ihn in Gefängniskleidung zeigt. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet, seine Hände sind mit Handschellen gefesselt. Mit der Veröffentlichung der Fotografie griffen die Herausgeber der Crisis zu einer Visualisierungsstrategie, die sie bereits in der Kampagne gegen die Lynchgewalt erprobt hatten. Ab den 1910er Jahren setzte die NAACP Lynchfotografien ein, um die grassierende Lynchgewalt im Süden der USA zu skandalisieren. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zirkulierten im Süden der USA Hunderte von Fotografien und Postkarten von Angehörigen von Lynchmobs, die vor erhängten und verstümmelten afroamerikanischen Opfern posierten. Diese Bilder wurden angefertigt, um die angeblichen Überlegenheit der weißen »Rasse« gegenüber mutmaßlichen schwarzen Straftätern zu demonstrieren, die es gewagt hatten, die »rassische« Ordnung des Südens infrage zu stellen. Indem die NAACP diese Fotografien in Publikationen, Flugblättern und öffentlichen Ausstellungen reproduzierte und in einen anderen Kontext stellte, versah sie die Bilder mit einer neuen Bedeutung: Statt als Beweise weißer »rassischer« Superiorität dienten sie nun als visuelles Zeugnis der Barbarei und Rückständigkeit der weißen Südstaatenbevölkerung.98 Brief von Thurgood Marshall an Walter White, Hugo, OK, 2. 2. 1941, LOC, NAACP Papers, Group II , Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 98 Wood, Lynching and Spectacle, S. 179–221; Apel/Smith, Lynching Photographs; Hale, Making Whiteness; Wood, Lynching and Spectacle; Wood, 97

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In ähnlicher Weise ging die NAACP nun also im Fall Lyons vor: In Ermangelung eines eigenen Fotos von ihm benutzte sie ein Bild, das von den Polizeibehörden in Oklahoma unmittelbar nach seinem vermeintlichen Geständnis angefertigt worden war. Statt ihn als geständigen Täter zu präsentieren, wurde er im Kontext des Spendenaufrufs als Opfer der diskriminierenden Prozeduren der Strafjustiz des Südens inszeniert. Wie im Fall der Lynchfotografien führte die Neukontextualisierung des Fotos von Lyons zu einer diametralen Umdeutung seiner Botschaft. Doch anders als die Bilder ermordeter und verstümmelter Lynchopfer, die die umfassende Machtlosigkeit von Schwarzen in der rassistischen Ordnung der Südstaaten dokumentierten, ermöglichte das Bild von Lyons eine Identifikation der Leserschaft mit einem überlebenden Opfer rassistischer Gewalt und Diskriminierung. Im begleitenden Artikel wiesen die Herausgeber der Crisis dezidiert auf die ungewöhnlichen Umstände des Falles hin, um die Leserinnen und Leser zu einer Unterstützung der NAACP-Rechtskampagne zu bewegen: »Dieser Mann, 20 Jahre alt, wurde am 31. Januar 1941 des Mordes an einem weißen Mann, dessen Frau und dessen vierjährigem Kind verurteilt […]. Lyons hat das Verbrechen angeblich ›gestanden‹. Das ›Geständnis‹ wurde erzielt, indem man verkohlte Knochen der verstorbenen Opfer in seinen Schoß legte und indem man mit den Zähnen und Kieferknochen der verstorbenen Frau über Lyons’ Arm strich!«99 Die Spendenbeiträge sollten aber nicht nur dem verurteilten Lyons helfen, sondern auch die amerikanische Demokratie stärken: »[W]enn wir über die Schönheiten der Demokratie sprechen und über die Notwendigkeit, unser amerikanisches System zu stärken, indem wir jedem Gerechtigkeit widerfahren lassen, warum sollten wir dann nicht einen Beitrag für den Fall Lyons entrichten – als Zeugnis unseres Glaubens an die Demokratie »Lynching Photography«; siehe auch die Sammlung von Lynchfotografien in Allen (Hg.), Without Sanctuary. 99 »Tortured with Charred Bones!«, The Crisis, März 1941, S. 85 (Hervorhebungen im Original).

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Abb. 5: »Tortured With Charred Bones!«, Spendenaufruf der NAACP im Fall W. D. Lyons, The Crisis, März 1941, S. 85.

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und unserer Entschlossenheit, sie auch umzusetzen? Warum keinen Verteidigungsfonds für all die schwarzen Männer, zu deren Verteidigung die N.A.A.C.P. aufgerufen ist? Warum nicht 10000 $?«100 Hatte die NAACP noch in den 1930er Jahren den Begriff der Zivilisation eingesetzt, um die Folter zu skandalisieren, zog sie nun vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs den Begriff der Demokratie heran. Bereits kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte sie in öffentlichen Stellungnahmen deutlich gemacht, dass sie einerseits bereit sei, einen möglichen Eintritt in den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland zu unterstützen, andererseits aber die außenpolitischen Entwicklungen dazu nutzen wolle, den Kampf für Demokratie innerhalb der USA voranzutragen. Dabei bezog sie sich unter anderem auf die viel beachtete »Four Freedoms Speech«, in der Präsident Franklin D. Roosevelt im Januar 1941 verkündet hatte, dass sich die zukünftige Außenpolitik der USA die Sicherung von vier grundlegenden Freiheiten zum Ziel setzen würde. Neben der Freiheit der Meinungsäußerung und der Glaubensfreiheit erklärte er die Freiheit von Not und Furcht zu den essenziellen Grundfreiheiten, die in Zukunft durch die amerikanische Politik geschützt werden sollten.101 Insbesondere nach dem amerikanischen Kriegseintritt im Dezember 1941 forderte die NAACP die Regierung wiederholt heraus, indem sie Fälle rassistischer Gewalt im Süden der USA mit den postulierten Zielen und Idealen der US-Kriegspolitik kontrastierte.102 Diese Strategie wurde auch im weiteren Verlauf des Falls von W. D. Lyons erkennbar. Nachdem der Oklahoma Supreme Court im Juni 1943 das lebenslängliche Hafturteil über diesen bestätigt hatte, verkündete die NAACP in einer Pressemitteilung: »Die Methoden, mit denen in diesem Fall die Geständnisse erlangt wurden, haben keine Parallele in der amerikanischen Jurisprudenz. Eine solche Behandlung eines amerikanischen Ebenda. Siehe u. a. McMahon, Reconsidering Roosevelt, S. 160–161. 102 Siehe Berg, The Ticket to Freedom, S. 186–196; Sullivan, Lift Every Voice, S. 237–252. 100 101

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Bürgers durch die Beamten des Staates Oklahoma greift die Grundfesten der Prinzipien der Demokratie an, die derzeit sowohl von außen als auch von innen bedroht werden.«103 Damit machte sie auf die Widersprüche zwischen dem amerikanischen Kriegsziel der Verteidigung der Demokratie einerseits und der Folterung schwarzer Bürgerinnen und Bürger innerhalb des Justizsystems andererseits aufmerksam. Im Lauf des Zweiten Weltkriegs begannen immer mehr African Americans, öffentlich gegen ihre anhaltende Diskriminierung zu protestieren, auch angesichts der Tatsache, dass schwarze Soldaten die Werte der Demokratie in Übersee unter Einsatz ihres Lebens verteidigten. Indem die NAACP Lyons’ Status als »amerikanischer Bürger« betonte und seine Behandlung durch die Behörden in Oklahoma als Affront gegen die »Prinzipien der Demokratie« verurteilte, stellte sie das moralische Selbstbild der amerikanischen Nation infrage. Die Tolerierung der Folter im Süden, so die Botschaft, stehe in direktem Widerspruch zu der außenpolitischen Rhetorik der USA. Wie unter anderem die Rechtshistorikerin Mary L. Dudziak gezeigt hat, führten die NAACP und andere Bürgerrechtsgruppierungen diese Argumentationsstrategie in der Phase des Kalten Krieges fort, indem sie wiederholt auf den Widerspruch zwischen dem demokratischen Selbstbild und ideologischen Führungsanspruch der USA und der anhaltenden Diskriminierung afroamerikanischer Bürgerinnen und Bürger hinwiesen.104 Im Fall Lyons allerdings sollte diese Strategie ohne Erfolg bleiben: Zur Überraschung der NAACP-Rechtsabteilung bestätigte der U. S. Supreme Court am 5. Juni 1944 das lebenslängliche Hafturteil. In der Urteilsbegründung vertrat die Mehrheit der Richter die Auffassung, dass das zweite Geständnis von W. D. Lyons aufgrund seiner Umstände und des zeitlichen Abstands zu den mutmaßlichen Misshandlungen zulässig gewesen

Zit. n. »Oklahoma Murder Case is Upheld, Appeal to U. S. Supreme Court«, New York Amsterdam News, 26. 6. 1943, S. 5. 104 Dudziak, Cold War Civil Rights. 103

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sei. Am 9. Oktober 1944 lehnte das Oberste Gericht einen Antrag der NAACP auf eine erneute Anhörung des Falles ab.105

Nach 1945: Die NAACP und der Fall der Groveland Four Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Sieg der Alliierten über Deutschland und Japan führten dazu, dass der Rechtskampf der NAACP verstärkt in den Blickpunkt der amerikanischen Öffentlichkeit rückte. Unterstützt wurde dies durch den bereits erwähnten massiven Mitgliederzuwachs der NAACP. Im Jahr 1946 lag die Zahl der Mitglieder bei 500000. Noch 1943 hatte sich Thurgood Marshall – auf dem Höhepunkt der Rassenunruhen in mehreren Städten der USA – tief enttäuscht über die anhaltende Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung geäußert: »Trotz all dem, was durch die NAACP und andere getan wurde, hat es nur wenige geringfügige Veränderungen gegeben. Die zugrunde liegende Politik der Segregation und Diskriminierung ist nicht besser, sondern eher schlimmer geworden. Wir sind weiterhin Bürger zweiter Klasse als Zivilisten sowie als Soldaten und Offiziere in der Armee.«106 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde jedoch deutlich, dass dieser die Koordinaten in der sogenannten »Rassenfrage« maßgeblich verschoben hatte. Zum einen zeigte sich dies im Selbstbewusstsein afroamerikanischer Soldaten, die nach ihrer Rückkehr in die USA vehement für die Achtung ihrer Bürgerrechte eintraten.107 Zum anderen hatte der Krieg dazu geführt, dass die anhaltende Diskriminierung der schwarzen Bevölke-

Siehe Lyons vs. Oklahoma, 322 U.S. 596 (1944), http://laws.findlaw.com/us/ 322/596.html [31. 1. 2014]; Brief von Charles Elmore Cropley, Clerk of Supreme Court of the United States, an Thurgood Marshall, Washington D. C., 9. 10. 1944, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-39, Lyons vs. Oklahoma, Correspondence, 1940–1941. 106 Zit. n. Sullivan, Lift Every Voice, S. 281. 107 Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 449. 105

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rung im Süden als »nationales Problem« wahrgenommen wurde.108 So konstatierte etwa der schwarze Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois im Jahr 1948, dass die amerikanische Nation »nicht länger pessimistisch angesichts dieses Problems« sei: »Weit davon entfernt zu denken, dass Schwarz und Weiß nicht zusammen in Frieden und Fortschritt in einer Nation leben können, hat sie [die amerikanische Nation, SN] die Tatsache anerkannt, dass Menschen aller Hautfarben und Rassen in einer Welt zusammenleben oder untergehen müssen. Diese allmähliche Realisierung einer bedeutsamen Revolution infolge von zwei Weltkriegen hat unser Rassenproblem zu einer brennenden politischen Frage gemacht.«109 Bestärkt wurde die nationale Aufmerksamkeit gegenüber dem Rassismus durch den einsetzenden Kalten Krieg. Die zunehmenden ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Sowjetunion rückten das Thema immer mehr in den Fokus der US-Außen- und Innenpolitik.110 Diese veränderte Wahrnehmung machte sich die NAACP in ihren Kampagnen gegen »erzwungene Geständnisse« zunutze, wie die folgenden Beispiele zeigen. Im Februar 1946 war es zu einem Zwischenfall in Batesburg, South Carolina, gekommen. Der afroamerikanische Veteran Isaac Woodard befand sich nach seiner ehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst mit dem Bus auf dem Weg zurück zu seiner Familie. Nach einem Streit zwischen ihm und dem Fahrer stoppte der Bus in Batesburg, wo Woodard von Polizisten festgenommen und aus dem Bus geführt wurde. Auf dem Weg ins Gefängnis schlugen ihn die Polizeibeamten mit Schlagstöcken und trafen ihn dabei so stark am Kopf und im Gesicht, dass er dauerhaft erblindete. Das Schicksal des schwarzen Kriegsveteranen, der im Zweiten Weltkrieg vier Jahre in der US-Armee gedient hatte, führte in der nationalen Presse zu empörten Re-

Siehe Plummer, Rising Wind, S. 86; Dudziak, Cold War Civil Rights, S. 5–7. Du Bois, »The Negro Since 1900: A Progress Report«, The New York Times, 21. 11. 1948, S. SM 24. 110 Siehe u. a. Dudziak, Cold War Civil Rights; Plummer, Rising Wind. 108 109

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aktionen.111 Bei einer Kundgebung in New York City kamen etwa 31000 Menschen zusammen, um gegen die Misshandlung Woodards und die anhaltende Diskriminierung von African Americans im Süden zu protestieren. Im Juli 1946 leitete schließlich das US-Justizministerium FBI-Ermittlungen gegen den Polizeichef von Batesburg, Linwood Shull, ein. Im November 1946 wurde Shull von der Jury des Bundesgerichts in Columbia, South Carolina, unter dem Beifall des weißen Publikums freigesprochen.112 Daraufhin initiierte die NAACP mit dem erblindeten Woodard eine Tour durch mehrere amerikanische Großstädte, um auf die besondere Dringlichkeit des afroamerikanischen Bürgerrechtskampfs aufmerksam zu machen.113 Diese Verfahrensweise wandte die NACCP auch im Fall der Groveland Four an, der Ende der 1940er Jahre in den Blickpunkt der amerikanischen Öffentlichkeit rückte.114 Im Juli 1949 verbreitete sich in Lake County, Florida, die Nachricht, dass die weiße 17-jährige Norma Padgett von African Americans vergewaltigt worden sei. Kurze Zeit später wurden Charles Greenlee, Samuel Shepherd und Walter Lee Irvin von der lokalen Polizeibehörde festgenommen. Ernest Thomas, ein vierter Tatverdächtiger, wurde auf der Flucht vor der Polizei von einem Suchtrupp erschossen. Unmittelbar darauf versammelten sich Hunderte weiße Männer vor dem Gefängnis von Lake County und verlangten die Herausgabe der vermeintlichen Täter. Sheriff Willis V. McCall teilte der Menge mit, dass die Verdächtigen ins Staatsgefängnis von Florida verlegt worden seien. Tatsächlich hatte er die Gefangenen vorübergehend an einen versteckten Ort gebracht, um dem Mob zuvorzukommen. Daraufhin fuhren die Angehörigen des Mobs in einem Autokonvoi in den schwarzen Wohnbezirk von Groveland und schossen in die Wohnun-

Siehe die Zeitungsberichte und -kommentare zum Fall Woodard in: LOC, NAACP Papers, Group II, Box B 219, Woodard Case, Press Clippings. 112 Siehe Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 185. 113 Siehe Andrew Myers, Resonant Ripples in a Global Pond: The Blinding of Isaac Woodard, http://faculty.uscupstate.edu/amyers/ [31. 1. 2014]. 114 Siehe hierzu auch die eingangs der Studie diskutierte anonyme Zeichnung (Abbildung 1). 111

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gen. Mehrere Häuser wurden in Brand gesetzt, zahlreiche Menschen auf offener Straße attackiert, bis schließlich die gesamte schwarze Einwohnerschaft aus dem Viertel geflohen war.115 Bereits wenige Tage später reiste der NAACP-Anwalt Franklin H. Williams im Auftrag von Marshall nach Groveland, um die genauen Umstände des Falls zu ermitteln. Williams gelang es, Zugang zu den drei Tatverdächtigen zu erhalten. In ihren Stellungnahmen erklärten sie, nach ihrer Festnahme mit den Händen an ein Rohr an der Decke der Gefängniszelle gebunden und auspeitscht worden zu sein, auf dass sie die Tat gestehen würden.116 Irvin schilderte die Vorgänge in seiner Stellungnahme folgendermaßen: »Sie ließen uns eine Weile in der Zelle, und dann kamen sie zurück und brachten uns in das Kellerloch eines Gefängnisses. Mich brachten sie als Ersten runter. Drei gingen mit mir runter. Sie hängten mich mit Handschellen an ein Rohr, sodass meine Füße den Boden nicht berühren konnten. Dann begannen sie, mich mit einem Gummischlauch zu schlagen. Ich blutete die ganze Zeit am Kopf. Sie hörten nicht auf zu sagen, dass ich derjenige sei, der das Mädchen letzte Nacht aufgegabelt habe, und sie mich schlagen würden, bis ich ihnen sagen würde, dass ich es war. […] Sie schlugen mir mit der Faust in [sic] die Nase und verabreichten mir Hiebe quer über den Rücken und den Brustkorb, und sie schlugen mich überall, aber ich hatte meine Hosen an. […] Sie brachten mich ein zweites Mal runter in das Loch und schlugen mich erneut. Ich blutete ziemlich stark.«117 Bestätigt wurden die Aussagen der Inhaftierten durch ein schriftliches Protokoll von Williams, in dem er die zahlreichen Verletzungen und Wundstellen der drei Angeklagten festhielt. Zu Irvin notierte er: »Vermerk: (Beobachtung der nachstehenden Unterzeichner) An mehreren Stellen seines Kopfes, insbesondere am HinSiehe Green, Before His Time, S. 83–86. Ebenda, S. 91–92. 117 Ebenda, S. 92; Stellungnahme von Walter Irvin, 31. 7. 1949, http://www. pbs.org/harrymoore/terror/irvin.html [31. 1. 2014]. 115 116

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terkopf, gibt es zahlreiche verheilende Narben, eine insbesondere ist einen Zoll lang. Auf seinem Brustkorb und Bauch finden sich breite Striemen, die offensichtlich durch Peitschenhiebe quer über den Oberkörper mit einem Stock oder anderen Objekten verursacht wurden. Auf seiner Schulter sind ähnliche Peitschenstriemen zu finden, hinter seinen Ohren ist Schorf zu erkennen. Über seinen Rücken verteilt sind ebenfalls Narben und Peitschenspuren. Um sein gesamtes Handgelenk ziehen sich verheilte Narben. Auf seinem Gesicht (Kinnlade und Stirn) sind deutliche Blutergüsse zu sehen, sein rechter Kieferknochen scheint gebrochen. Es ist Blut auf seiner Hose zu erkennen, besonders unterhalb des Rückens.«118 Unmittelbar nach Williams Rückkehr aus Florida veranstaltete die NAACP eine Pressekonferenz in New York City, auf welcher der Anwalt die Ergebnisse seiner Untersuchung vorstellte und über die massiven Foltervorwürfe der drei Beschuldigten informierte.119 Daraufhin leitete das US-Justizministerium FBI-Ermittlungen gegen die Angehörigen des lokalen SheriffDepartments ein, die jedoch kurz vor Beginn des Gerichtsverfahrens gegen Greenlee, Shepherd und Irvin auf Anordnung des lokalen U. S. District Attorney wieder eingestellt wurden. Zur Begründung hieß es, man wolle zunächst den Ausgang des Prozesses abwarten.120 In diesem Prozess vor dem Gericht in Taveres, Florida, verzichtete die lokale Staatsanwaltschaft darauf, die fragwürdigen Geständnisse in das Verfahren einzubringen. Nichtsdestotrotz wurden Irvin und Shepherd am 8. September 1949 von den Geschworenen schuldig gesprochen und zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Charles Greenlee erhielt eine lebenslängliche Haftstrafe, da er mit 16 Jahren unter dem Mindestalter für die Verhängung der Todesstrafe lag.121 Im Oktober 1949 veröffentlichte die NAACP eine achtseitige Broschüre zum Fall Groveland. Das Titelbild mit der ÜberEbenda. Green, Before His Time, S. 92. 120 Zu den FBI -Ermittlungen im Fall Groveland siehe ebenda, S. 93–98, 106–107. 121 Ebenda, S. 100–108. 118 119

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schrift »Groveland U.S.A.« zeigte die Fotografie eines brennenden Hauses, das umrahmt war mit den Schlagworten »Riots« (»Ausschreitungen«), »Home Burning« (»Brennendes Heim«), »Night Riding« (zu Deutsch etwa: »Nächtliche Überfälle«)122, »Terror« (»Terror«), »Hate« (»Hass«), »Lynch Law« (»Lynchgesetz«) und »Ku Klux Klan«. Die NAACP appellierte an die nationale Leserschaft, die Rechtsinitiative zugunsten der drei Verurteilten finanziell zu unterstützten. Besondere Aufmerksamkeit kam dabei den Foltervorwürfen der Verurteilten zu, die, so wurde betont, erst durch die Beweisaufnahme eines »VorOrt-Ermittlers der NAACP« dokumentiert und öffentlich gemacht worden seien. Dieser habe »Peitschenspuren auf den Körpern« der Beschuldigten und »klaffende Wunden an ihren Köpfen« entdeckt, die auch zwei Wochen nach den vermeintlichen Geständnissen »noch deutlich sichtbar« gewesen seien. »Kein Arzt hatte die Jungen gesehen, bevor der NAACP-Anwalt sie interviewte. Sie trugen immer noch dieselben Kleider, die sie getragen hatten, als man sie festgenommen hatte. Sie waren dreckig und blutbefleckt von den Schlägen.«123 Die Broschüre forderte die Leserinnen und Leser offensiv dazu auf, durch eine Spende einen persönlichen Beitrag zur Beendigung von Rassismus und Diskriminierung in den USA zu leisten: »Die Kosten für diesen langen juristischen Kampf um Gerechtigkeit im Fall Groveland betragen geschätzte 20000 $. Wir können für diese Ausgaben nicht ohne Ihre finanzielle Hilfe aufkommen. Was ist es IHNEN wert, den drei Opfern von Bigotterie und der Theorie der ›Meisterrasse‹ in Florida zur Freiheit zu verhelfen? Was ist es IHNEN wert, der Schlange des Ku-Klux-Klan-Gangstertums den Garaus zu machen? Was ist es IHNEN wert, sicherzustellen, dass jeder Mensch in den Vereinigten Staaten von Amerika ruhig schlafen kann? Jeder Cent, den Sie erübrigen können, bringt uns unserem Ziel näher. Sorgen Sie dafür, dass der Terror in Das Schlagwort »Night Riding« verweist auf nächtliche Überfälle auf Schwarze durch Mitglieder des Ku-Klux-Klan. 123 NAACP -Broschüre »Groveland U.S.A.«, LOC , NAACP Papers, Group II , Series B, Box B-123, Groveland, Florida, 1949–1955. 122

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Groveland für immer in Vergessenheit gerät, in einer Welt, in der uneingeschränkt menschliche Würde und Gerechtigkeit herrschen. Helfen Sie der NAACP, diesen Kampf zu Ende zu führen. Geben Sie heute, was Sie geben können.«124 Die NAACP argumentierte damit ähnlich wie bereits 14 Jahre zuvor in ihrem Spendenaufruf zum Fall Brown/Ellington/ Shields: Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung im Süden könne nur mit Unterstützung der Bevölkerung gewonnen werden. Anders als noch im Jahr 1935 traf der Appell im Jahr 1949 auf eine weitaus sensibilisiertere nationale Öffentlichkeit. Binnen weniger Wochen kamen 4600 Dollar Spendengelder zusammen. Neben der NAACP solidarisierten sich mit den drei Verurteilten liberale und radikale Gruppierungen wie das Southern Regional Council – die Nachfolgeorganisation der Commission on Interracial Cooperation –, die Workers Defense League, die Kommunistische Partei und die Sozialistische Partei.125 Auf einen Berufungsantrag der NAACP hin hob der U. S. Supreme Court im März 1951 die Todesurteile über Irvin und Shepherd auf. Wie einer der Richter in seiner Urteilsschrift ausführte, sei der Fall »eines der besten Beispiele für eine der schlimmsten Bedrohungen der amerikanischen Justiz«.126 Während die Staatsanwaltschaft von Lake County eine erneute Anklage gegen die beiden Beschuldigten vorbereitete, wurde Samuel Shepherd bei einer Gefängnisverlegung von Sheriff Willis McCall erschossen und Walter Irvin durch Schüsse lebensgefährlich verletzt. Obwohl beide Gefangenen mit Handschellen gefesselt waren, gab McCall nach dem Vorfall an, dass die beiden versucht hätten, ihn zu überwältigen, woraufhin er das Feuer eröffnet habe. Der überlebende Irvin wiederum sagte in einer eidesstattlichen Erklärung aus, dass der Sheriff ohne Grund auf sie geschossen habe. Anschließend wurde Irvin in Florida erneut angeklagt, der Vergewaltigung für schuldig beEbenda, Hervorhebungen im Original. Green, Before His Time, S. 107. 126 Siehe Shepherd vs. Florida, 341 U.S. 50 (1951), http://laws.findlaw.com/us/ 341/50.html [31. 1. 2014]. 124 125

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funden und zum Tode verurteilt. Nachdem der Florida Supreme Court das Urteil bestätigt hatte, lehnte der U. S. Supreme Court im Jahr 1954 einen Antrag der NAACP auf eine Überprüfung des Urteils ab. Am 15. Dezember 1955 wandelte Floridas Gouverneur Leroy Collins das Todesurteil über Irvin in eine lebenslängliche Haftstrafe um, nachdem sich die NAACP und andere nationale und internationale Organisationen öffentlich für eine Reduzierung des Strafmaßes eingesetzt hatten.127 Der Fall Groveland macht deutlich, dass die Kampagne der NAACP gegen »erzwungene Geständnisse« keine unmittelbaren Auswirkungen auf die polizeiliche Folterpraxis im Süden der USA hatte. Darüber hinaus gelang es ihr nicht, die alltägliche Anwendung polizeilicher Folter gegen afroamerikanische Bürgerinnen und Bürger einzudämmen, die aufgrund des Vorwurfs kleinerer Delikte mit der Polizei in Kontakt kamen. Noch in den 1940er Jahren konstatierten Beobachter, dass das Foltern von schwarzen Tatverdächtigen in vielen Polizeistationen des Südens weit verbreitet war und zum Teil »routinemäßig« angewandt wurde.128 Die in den folgenden beiden Kapiteln untersuchten Fälle zeigen sogar, dass Polizeibeamte bis in die frühen 1950er Jahre hinein meist keine rechtlichen Konsequenzen beim Einsatz dieses Mittels befürchten mussten. Zudem rückte die alltägliche Polizeifolter gegen Schwarze nur in seltenen Fällen in den Fokus der Öffentlichkeit. In der Regel war die Machtposition der Polizei in den Städten und Gemeinden des Südens zu stark, als dass dieses Thema von Zeitungen aufgegriffen oder die beschuldigten Polizisten gar strafrechtlich belangt worden wären. Eine Ausnahme war der Fall des 16-jährigen Quinter South, der Anfang der 1940er Jahre in Atlanta, Georgia, publik wurde. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, führten die besonderen Umstände des Falles dazu, dass die Polizeifolter an African Americans zumindest für kurze Zeit Gegenstand einer öffentlichen Debatte im Süden wurde. Siehe Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 275–277; Green, Before His Time, S. 81–108. 128 Myrdal, An American Dilemma, S. 541. 127

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Die Skandalisierung der Folter: Der Fall Quinter South

Am 8. März 1940 erschien auf der Titelseite der Atlanta Constitution ein Bericht über einen Folterfall im Polizeihauptquartier von Atlanta. Der Polizist W. F. Sutherland wurde beschuldigt, einen 16-jährigen schwarzen Jugendlichen namens Quinter South mit einem »tacking iron« gefoltert zu haben.1 Bei dem Gerät handelte es sich um einen elektrisch erhitzbaren Eisenkolben, der im Polizeirevier eingesetzt wurde, um eine Masse zu erhitzen, mit der Fotografien auf polizeiliche Dokumente geklebt wurden.2 Die Constitution schrieb, dass Quinter South mit dem Kolben dazu gezwungen worden sei, den Einbruch in eine Sporthalle der Clark University, einer traditionell von African Americans besuchten Universität Atlantas, zu gestehen. Mrs C. E. Harrison, eine weiße Bürgerin Atlantas, habe den Fall publik gemacht. Ein großes Foto zeigte zwei weiße Polizeibeamte, die die Wunden des Opfers inspizierten (siehe den runden Ausschnitt in Abbildung 7). Der Bericht zitierte ausführlich die Aussagen des 16-Jährigen zu den Geschehnissen im Polizeihauptquartier: »Er fragte mich immer wieder nach dem Einbruch in die Sporthalle, und ich sagte immer wieder, dass ich das nicht gewesen sei, und er nahm dieses Ding, das wie ein Löteisen aussah, und steckte es in die Wand […]. Dann attackierte er mich damit […], und das heiße Eisen traf auf meinem Arm, und als es sich ablöste, ging die Haut mit ab. Trotzdem schrie ich nicht, und er stieß es gegen meinen Hals, und ich wollte nicht, dass er mich noch mal verbrannte und sagte zu ihm: ›Also gut,

»Detective Burned Him With Iron, Says Negro Boy«, The Atlanta Constitution, 8. 3. 1940, S. 1, 2. 2 »Two Probes Sift Torture Story At City Jail«, The Atlanta Journal, 8. 3. 1940, S. 1, 12. 1

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ich war einer von denen, die beim Einbruch in die Sporthalle geholfen haben.‹«3 Zitiert wurde auch ein empörter Kommentar des Jugendrichters Garland Watkins: »›Falls die Geschichte des Jungen wahr ist, ist dies das Schändlichste, was je in Atlanta passiert ist. Wenn solch ein Akt mittelalterlicher Folter stattgefunden hat, muss der schuldige Polizist identifiziert und mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden.‹«4 Richter Watkins Stellungnahme sollte nicht die einzige dieser Art bleiben. Bereits am Folgetag vermeldete die Constitution, dass mehrere weiße Organisationen die Aufklärung der Foltervorwürfe forderten. Namentlich genannt wurden der Georgia Women Democratic Club, die Child Welfare Organization, die Georgia Humane Association sowie die Georgia Association of Women Lawyers.5 In einer öffentlichen Stellungnahme ließ der Bürgermeister von Atlanta, William B. Hartsfield, verlauten, dass er nicht ruhen werde, bis der Einsatz von Foltermethoden der Polizei Atlantas gestoppt sei.6 Sowohl die Atlanta Constitution als auch die zweite große weiße Tageszeitung Atlantas, das konservative Atlanta Journal, verurteilten in ihren Kommentaren die Folterungen.7 In Leserbriefen brachten weiße Bürgerinnen und Bürger Atlantas ihre moralische Entrüstung über die Geschehnisse zum Ausdruck.8 Der Fall Quinter South war einer der wenigen Fälle zwischen 1930 und 1955, in dem die polizeiliche Folterpraxis an African »Detective Burned Him With Iron, Says Negro Boy«, The Atlanta Constitution, 8. 3. 1940, S. 1, 2. 4 Ebenda. 5 »Alleged Torturing of Suspects Arouses Citizens, Authorities«, The Atlanta Constitution, 9. 3. 1940, S. 2; »Protests Mount in ›Torture Case‹«, The Atlanta Constitution, 10. 3. 1940, S. 1; »Police ›Torture‹ Must Go Says Hartsfield«, The Atlanta Journal, 9. 3. 1940, S. 1, 2. 6 Ebenda. 7 »Justice for the Weak«, The Atlanta Constitution, 9. 3. 1940, S. 4; »Abolish the ›Third Degree‹«, The Atlanta Journal, 9. 3. 1940, S. 3. 8 So etwa die Leserbriefe in der Atlanta Constitution vom 11. März 1940: »The Pulse of the Public«, The Atlanta Constitution, 11. 3. 1940, S. 5. 3

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Americans in den Fokus der weißen Öffentlichkeit des Südens rückte. Im Folgenden werden die Gründe hierfür diskutiert, blieb doch die große Mehrzahl polizeilicher Folterfälle unbeachtet. Ich schließe dabei an Überlegungen Judith Butlers an, die die selektive Aufmerksamkeit auf einzelne Fälle rassistischer Gewalt und die gleichzeitige Ignoranz gegenüber den Strukturen des Rassismus als Effekt eines »rassial durchtränkten Feldes der Sichtbarkeit« bezeichnet hat.9 So gerieten in den Südstaaten der 1930er und 1940er Jahre Fälle rassistischer Gewalt nur selten in den Fokus der Öffentlichkeit, und weiße Polizisten hatten in der Regel keine rechtlichen Konsequenzen für die Anwendung der Folter an African Americans zu fürchten. Die Analyse der Berichterstattung der weißen Presse Atlantas über den Fall South zeigt dabei zum einen, dass die selektive Aufmerksamkeit der weißen Bevölkerung auf Fälle rassistischer Gewalt an bestimmte Bedingungen geknüpft war, und zum anderen, dass die Skandalisierung einzelner Folterfälle die weitverbreitete Indifferenz gegenüber rassistischer Gewalt an African Americans nicht aufbrechen konnte. Eine ganz andere Rahmung hatte der Fall South in den Berichten der schwarzen Presse. Während er in der weißen Presse als bedauernswerter Einzelfall dargestellt wurde, nahm die schwarze Presse den Fall zum Anlass, um auf die alltägliche Ausübung rassistischer Polizeigewalt im amerikanischen Süden aufmerksam zu machen.

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Butler, »Endangered/Endangering«, S. 205. Butlers Analyse bezieht sich auf den Fall Rodney King aus dem Jahr 1991. King wurde im Zuge einer Polizeikontrolle von Polizeibeamten des Los Angeles Police Department mit Schlagstöcken brutal zusammengeschlagen. Die Veröffentlichung eines Videos des Falls hatte zur Folge, dass dieser international publik wurde und massive Proteste und Ausschreitungen nach sich zog. Die beschuldigten Beamten wurden im anschließenden Gerichtsverfahren freigesprochen. Nach Butler weisen die trotz der umfassenden Videobeweise erfolgten Freisprüche für die vier Beschuldigten auf eine »rassistische Organisation und Disposition des Sichtbaren« hin. Ebenda, S. 207.

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»Schreckliches Unrecht«: Die Berichterstattung der weißen Presse Atlantas Der Fall Quinter South erfuhr in den Berichten der weißen Presse Atlantas eine ganz spezifische narrative Rahmung, in deren Mittelpunkt die bereits erwähnte C. E. Harrison stand, eine 45-jährige Frau, die mit dem leitenden Angestellten einer überregionalen Telefongesellschaft verheiratet war und den Jugendlichen in ihrem Haushalt beschäftigte.10 Sowohl in den ersten Berichten der Atlanta Constitution11, die sich als das Sprachrohr des liberalen weißen Bürgertums Atlantas verstand, als auch in denjenigen des eher konservativ ausgerichteten Atlanta Journal wurde wiederholt betont, dass der Fall erst durch Harrisons Initiative an die Öffentlichkeit gelangt sei. Ins Zentrum der Berichterstattung rückte also die mildtätige und noble Ehegattin eines Angehörigen des gehobenen weißen Bürgertums und ihre fürsorgliche, fast mütterliche Beziehung zu dem 16-jährigen South. Dies kam auch in der Darstellung der Begegnung zwischen Harrison und South im Jugendgefängnis von Fulton County zum Ausdruck: »Mrs Harrison, die von der Unschuld des Jugendlichen überzeugt war, nachdem sie mit Ralph Robertson, Trainer an der Clark Universität, gesprochen hatte, besuchte den Jungen in seiner Zelle. ›Ich sah die Wunden an seinen Armen und fragte ihn, wie er sich verletzt habe‹, sagte Mrs Harrison. ›Er antwortete: »Sie haben mich in der Polizeistation verletzt.« Ich fragte ihn, wie um alles in der Welt das passiert sei, und er sagte, dass ein Polizist ihm die Brandwunden zugefügt habe, um ihn zum Unterschreiben eines Papiers zu zwingen, das ihn bezichtigte, beim Einbruch in die Sporthalle mitgeholfen zu haben.‹«12 »Detective Burned Him With Iron, Says Negro Boy«, The Atlanta Constitution, 8. 3. 1940, S. 1, 2. 11 Zur Ausrichtung der Atlanta Constitution unter ihrem langjährigen Herausgeber Ralph McGill siehe u. a. Lippman, »McGill and Patterson: Journalists for Justice«. 12 Ebenda. 10

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Das Narrativ der besorgten und fürsorglichen Retterin und Beschützerin des jungen schwarzen Opfers stand auch in der Folgezeit im Zentrum der weißen Berichterstattung. Es fügte sich ein in die herrschenden Geschlechter- und Rollenvorstellungen, indem es das Bild der weißen »Südstaatendame« aufrief, zu deren maßgeblichen gesellschaftlichen Aufgabenbereichen die Führung des Haushalts und das Engagement in Wohlfahrtsorganisationen zählten. Die als »weiblich« gekennzeichnete Sphäre der sozialen Wohltätigkeit beinhaltete dabei auch die Fürsorge gegenüber jenen African Americans, die sich mit ihrem Verhalten den von der weißen Mehrheitsgesellschaft definierten sozialen, politischen und ökonomischen Schranken anpassten.13 Insofern speiste sich Harrisons Eintreten für Quinter South auch aus dem rassistisch konfigurierten Paternalismus der Angehörigen der weißen Mittel- und Oberschicht des Südens gegenüber jenen Schwarzen, die etwa als Angestellte in ihren Haushalten in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen standen. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass der Fall South die Aufmerksamkeit der weißen Presse und der weißen Öffentlichkeit Atlantas erregte. Bereits einen Tag, nachdem die Vorwürfe von Quinter South öffentlich geworden waren, erhob die Grand Jury des Fulton Criminal Court auf Antrag der lokalen Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Polizisten W. F. Sutherland. Sowohl das Atlanta Police Department als auch das Jugendgericht von Atlanta untersuchten die Vorwürfe.14 In seinem Kommentar zum Fall South forderte das Atlanta Journal, dass die eingeleiteten Untersuchungen die »volle Wahrheit« über die Geschehnisse zutage fördern müssten. »Falls sich die Anklagepunkte belegen lassen, muss darauf die sichere und prompte Bestrafung erfolgen. Sowohl der gesunde Menschenverstand als auch das Prinzip der Menschlichkeit verdammen diese Methoden und verlangen, dass die Zu den paternalistischen »Rasse«- und Geschlechterkonzeptionen in den Südstaaten in Gesellschaft und Literatur nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg siehe u. a. McPherson, Reconstructing Dixie; Williamson; The Crucible of Race. 14 »Abolish the ›Third Degree‹«, The Atlanta Journal, 9. 3. 1940, S. 3. 13

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Brutalitäten des sogenannten ›dritten Grades‹ abgeschafft werden.«15 Einen Tag nach ihrem ersten Artikel über die Foltervorwürfe von Quinter South veröffentlichte auch die Atlanta Constitution einen Kommentar zu dem Vorfall. Unter der Überschrift »Gerechtigkeit für die Schwachen« wurden die kolportierten Geschehnisse im Polizeihauptquartier scharf verurteilt: »Falls sich die Geschichte […] als wahr herausstellen sollte […], wurde eine Gräueltat an jedem anständigen Bewohner Atlantas verübt.«16 Es gebe »keinen anständigen Mann und keine anständige Frau in Atlanta«, der oder die nicht »Scham« empfände angesichts der Tat.17 Die privilegierte Stellung der weißen Bürgerschicht Atlantas und ihre Vorbildfunktion für die afroamerikanische Bevölkerung bringe es mit sich, dass der Fall konsequent aufgeklärt werden müsse: »Der Junge hat schreckliches Unrecht durch die Hand einer sozialen Ordnung erfahren, die von einer Rasse erschaffen wurde, die aufgrund ihrer Überlegenheit [»because of its dominance«] die Verpflichtung hat, die Schwächeren zu schützen. […] Es gibt das alte Sprichwort ›noblesse oblige‹ [Adel verpflichtet, SN], das bedeutet, dass es für all jene, deren Leben mit mehr Glück gesegnet ist, eine Verpflichtung ist, die Schwächeren zu schützen und ihrer eigenen höheren Berufung gerecht zu werden.«18 In dieser Passage drückt sich nicht zuletzt das paternalistische Selbstverständnis der Angehörigen des weißen Bürgertums als wohlwollende Unterstützer der »good negroes« aus, also derjenigen, die sich an die rassistisch konfigurierten Rollenvorgaben der segregierten Gesellschaft des Südens hielten.19 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zum bisherigen Lebensweg von Quinter South, dessen Arbeitsverhältnis bei einer weißen Familie das Auskommen seiner eigeEbenda. »Justice for the Weak«, The Atlanta Constitution, 9. 3. 1940, S. 4. 17 Ebenda. 18 Ebenda. 19 Siehe Mixon, »›Good Negro – Bad Negro‹«. 15 16

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nen Familie mitgesichert hatte: »Die Tatsache, dass das Opfer ein demütiges Leben führt [»fills a humble role in life«], macht es zu einem Gebot für das gute Ansehen und das gute Gewissen der Stadt, dass eine vollständige Untersuchung der Affäre lückenlos erfolgt.«20 Insbesondere im Verweis auf Quinter Souths »demütige« Lebensführung wird deutlich, warum gerade sein Fall die Aufmerksamkeit des weißen Bürgertums Atlantas erhielt: Er war geradezu prädestiniert für die Zurschaustellung moralischer Empörung und paternalistischer Fürsorge. An einer anderen Stelle im Kommentar der Atlanta Constitution heißt es, dass sich die Verpflichtung zu einer Aufklärung des Falls bereits daraus ergebe, dass die weiße Öffentlichkeit Atlantas in der Vergangenheit wiederholt ihre Empörung über das Quälen von streunenden Tieren geäußert habe: »Wäre eine solche Tortur an einem streunenden Hund oder einer umherlaufenden Katze begangen worden, würde eine aufgebrachte Öffentlichkeit die angemessene Bestrafung des Täters fordern. Wenn das Opfer ein Junge ist, so wie in diesem Fall, darf kein Schlaf ungestört von schuldgeplagten Träumen bleiben, bis das Unrecht wiedergutgemacht wurde.«21 Diese spezifische Rahmung des Falls in den Berichten der weißen Presse, nämlich das Narrativ von der weißen Bürgerin, die sich für die Rechte des ihr untergebenen afroamerikanischen Jugendlichen einsetzt, bot die Voraussetzung für eine breite öffentliche Anteilnahme an dem Fall. Entsprechend empathisch äußerten sich die Leserinnen und Leser der Constitution in ihren Leserbriefen. Ein Leser namens Stockton Hume nahm die Geschehnisse zum Anlass, um die traditionelle Tolerierung illegaler polizeilicher Gewaltmaßnahmen in Atlanta grundlegend infrage zu stellen: »Wie auch andere Bürger Atlantas war ich entsetzt über den Bericht über die Folterung eines Negro boy durch die Hand eines Polizeibeamten. Wäre dies ein Einzelfall, so könnten die Bestrafung des Beamten und dessen dauerhafte Entfernung

20 21

»Justice for the Weak«, The Atlanta Constitution, 9. 3. 1940, S. 4. Ebenda.

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aus dem Polizeiapparat ausreichend sein. Jedoch lesen wir allzu oft über Fälle von Brutalität an Häftlingen. Ich glaube, dass dies schlichtweg ein besonders bösartiges Symptom eines tiefer sitzenden Übels ist. Die Anwendung des dritten Grades, Razzien ohne richterliche Genehmigung und andere illegale Maßnahmen sind stillschweigend gebilligt worden mit der Begründung, dass dies der einzige Weg sei, mit dem die Polizei die Kriminellen unter Kontrolle halten kann.«22 Mehrere Leserinnen und Leser gratulierten der Redaktion der Constitution zu der deutlichen Verurteilung der Foltervorwürfe. Ettianne Baldwin aus Atlanta schrieb: »Mit sehr viel Stolz und Interesse habe ich Ihren exzellenten Leitartikel mit der Überschrift ›Gerechtigkeit für die Schwachen‹ gelesen, und ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Ihnen dafür zu danken.«23 Stuart R. Oglesby stellte in seinem Leserbrief heraus, dass der Kommentar der Constitution den »guten Leuten Atlantas aus dem Herzen gesprochen« habe.24 Ein weiterer Leser aus Atlanta namens George W. Willingham hob die besondere Rolle der Reporter hervor: »Der Atlanta Constitution und Mr Martin gebühren die gesamte Anerkennung dafür, Atlanta von einem Fluch erlöst zu haben, mit dem wir für etliche Jahre geschlagen waren. Kein Lob kann zu groß sein für die Constitution und ihre Belegschaft.«25 Die Leserbriefe zeigen, dass der Fall den Angehörigen des weißen Bürgertums Atlantas eine Möglichkeit bot, sich ihrer eigenen moralischen Haltung gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung zu vergewissern. Darüber hinaus weisen sie auf die besondere Rolle der Presse bei der Bekanntmachung und Skandalisierung des Folterfalls hin. In der Tat war diese

Leserbrief von Stockton Hume, »Dangerous Abdication of Fundamental Rights«, The Atlanta Constitution, 11. 3. 1940, S. 5. 23 Leserbrief von Ettianne Baldwin, »Editorial Inspired Pride and Interest«, The Atlanta Constitution, 11. 3. 1940, S. 5. 24 Leserbrief von Stuart R. Oglesby, »Expresses Sentiment of Atlanta People«, The Atlanta Constitution, 11. 3. 1940, S. 5. 25 Leserbrief von George W. Willingham, »Relieving Atlanta of a Curse«, The Atlanta Constitution, 11. 3. 1940, S. 5. 22

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unmittelbar nach der Initiative von Mrs C. E. Harrison in dem Fall aktiv geworden, insbesondere Journalisten der Atlanta Constitution, wie der bereits erwähnte Reporter Harold Martin. In einem der späteren Gerichtsverfahren schilderte Martin seine eigene Rolle bei den Geschehnissen. Bereits kurz nachdem erste Informationen über den Fall bekannt geworden waren, seien er und der Pressefotograf H. J. Slayton von ihrem Ressortleiter zum Jugendgefängnis geschickt worden, wo sie den von den Verbrennungen gezeichneten Quinter South aufgefunden hätten.26 Daraufhin habe er South mit der Erlaubnis des Jugendrichters Watkins und unter der Obhut des Bewährungshelfers J. C. Starnes ins Polizeihauptquartier gebracht. Dort habe er durch Police Captain G. Neal Ellis Zugang zu der »mutmaßlichen Folterkammer«, dem Identifikationsbüro im Polizeihauptquartier, erhalten, woraufhin es kurze Zeit später zu einer Gegenüberstellung gekommen sei, bei der Quinter South sofort und ohne Zögern Sutherland als seinen Peiniger identifiziert habe.27 Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Reporter sowohl im Jugendgefängnis als auch im Polizeihauptquartier bewegen konnten und mit der die zuständigen Behördenvertreter auf ihre Anliegen eingingen, deutet auf eine eingespielte und enge Verbindung zwischen urbaner Polizeiarbeit und investigativer Arbeit von Journalisten hin.28 Bemerkenswert ist auch, dass der Fotograf der Atlanta Constitution ungehindert den mutmaßlichen Tatort und die Tatwaffe fotografieren konnte. Wie der Polizeichef von Atlanta, M. A. Hornsby, wenige Tage nach den Vorfällen im Polizeihauptquartier von Atlanta zu Protokoll gab, sei er erst durch das Eintreffen der Journalisten auf den Fall aufmerk-

»Federal Jury Told of Burns on Boy’s Neck«, The Atlanta Constitution, 13. 2. 1941, S. 4. 27 Ebenda. 28 Zu vergleichbaren Verschränkungen zwischen Polizeiarbeit und Massenpresse im Berlin des Kaiserreichs siehe Müller, Auf der Suche nach dem Täter. Zur Rolle der Massenmedien bei der Rahmung von Kriminalität in den USA zwischen 1918 und 1934 siehe Potter, War on Crime; Ruth, Inventing the Public Enemy. 26

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sam geworden. Martins Bericht zeigt, dass die lokale Presse Atlantas in entscheidender Weise an der Bekanntmachung des Falls beteiligt war.29 Die Bildsprache der Pressefotografien zum Fall South in den weißen Zeitungen schwankte zwischen paternalistischer Empathie und einer impliziten Faszination hinsichtlich der ausgeübten Gewalt. Dies trat unter anderem in einer Fotografie zutage, die am 8. März 1940 in der Atlanta Constitution veröffentlicht wurde (siehe den runden Ausschnitt in Abbildung 7). Sie zeigt zwei weiße Männer, die die Verletzungen von Quinter South inspizieren. Einer der Männer, Police Captain C. Neal Ellis, hält rauchend einen Teil des Wundverbands hoch und blickt auf die Wunde. In seiner rechten Hand befindet sich – im Zentrum der Fotografie – die mutmaßliche Tatwaffe. Links im Bild steht der Bewährungshelfer Starnes, den Blick ebenfalls auf die Wundstelle von Quinter South gerichtet. Dieser schaut mit leicht geöffneten Lippen in Richtung Kamera. Seine linke Hand umfasst eine Stuhllehne, während sein Unterarm inspiziert wird. In der nationalen schwarzen Presse maß man der Veröffentlichung dieser Fotografie eine besondere Bedeutung zu. Wiederholt wurde positiv hervorgehoben, dass die weißen Zeitungen Atlantas auf den Titelseiten über den Fall berichtet und eine Fotografie des mutmaßlichen Folteropfers veröffentlich hätten.30 Bemerkenswert an der Fotografie war, dass sie dezidiert vom traditionellen weißen visuellen Diskurs im Süden der USA abzuweichen schien. Während die dort weitverbreiteten Lynchfotografien des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert afroamerikanische Männer als vermeintlich inferiore und bestialische Täter inszeniert hatten, wurde South hier offensichtlich als Opfer rassistischer Gewalt dargestellt, dem die Sympathie und Unterstützung der weißen Bevölkerung Atlantas zustanden. In Person der beiden Beamten schien die Fotografie Mitgefühl und Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 2. 30 »Youth Branded With Hot Iron«, The Pittsburgh Courier, 23. 3. 1940, S. 1, 4; »White Atlantans Push Torture Case of Boy, 16«, The Chicago Defender, 23. 3. 1940, S. 6. 29

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Solidarität des weißen Bürgertums Atlantas mit dem mutmaßlichen Opfer zu demonstrieren und damit eher an die visuellen Strategien von Bürgerrechtsorganisationen wie der NAACP anzuknüpfen. Diese hatten, wie im vorherigen Kapitel genauer ausgeführt, bereits in den 1910er Jahren Fotografien afroamerikanischer Lynchopfer eingesetzt, um die rassistische Gewalt im amerikanischen Süden zu skandalisieren. Ein genauerer Blick auf die inszenatorischen Arrangements der Fotografie in der Atlanta Constitution legt jedoch andere Interpretationen nahe. Während sich das Bild einerseits als visuelle Anklage der Polizeigewalt gegen South lesen lässt, kündet es andererseits von der Kontinuität eines weißen hegemonialen Blicks, der durch eine Differenz zwischen den beiden weißen Betrachtern und dem schwarzen Jugendlichen geprägt ist.31 Obwohl die drei Abgebildeten auf derselben Bildgerade erscheinen, wirkt South wie in den Hintergrund gedrängt: Er steht an der Wand, vor sich der Stuhl und der rechte Arm des Polizeibeamten. Dadurch wirken die beiden Beamten dominant, South dagegen passiv, als ließe er die Situation über sich ergehen. Mehrere Details deuten an, dass das Motiv die Schaulust der Leserschaft bedienen sollte und ohne besondere Rücksicht auf die Empfindungen von South angefertigt wurde. Zum einen die brennende Zigarette im Mund von Police Captain Ellis, die Routine und Beiläufigkeit signalisiert. Die Asche, so der Anschein, droht auf die Wunde zu fallen, während gleichzeitig der Wundverband hochgezogen wird. Zum anderen die Tatwaffe in der anderen Hand des Beamten: Ihre Spitze zeigt in Richtung von South, als ob sie jederzeit wieder zur Zufügung einer Wunde eingesetzt

31

Siehe Finzsch, »Male Gaze and Racism«. Wie Nobert Finzschs Studie zeigt, wurde das kulturwissenschaftliche Konzept des »gaze« (Blick) ausgehend von Laura Mulveys Studie zum »male gaze« im Hollywoodkino der 1950er und 1960er Jahre genutzt, um sowohl rassistische als auch geschlechtliche Blickregimes zu dekonstruieren. Siehe Mulvey, »Visual Pleasure and Narrative Cinema«. Für eine Anwendung des Konzepts in Bezug auf afroamerikanische Identitätspolitiken siehe die Arbeiten von bell hooks zum »white supremacist gaze« bzw. »white gaze«: hooks, Black Looks; dies., »In Our Glory«.

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werden könnte. Und schließlich irritieren die spitzen Finger, mit denen der Beamte den Wundverband hochzieht. Möglicherweise soll damit Vorsicht demonstriert werden, zugleich wird aber Distanz gegenüber dem Opfer, das Vermeidenwollen von Körperkontakt zum Ausdruck gebracht. Das Foto griff damit in mehrfacher Hinsicht die asymmetrische Macht- und Gewaltsituation der Folter auf und bediente die voyeuristischen Bedürfnisse der weißen Leserschaft. Im Gegensatz zu der Ankündigung in der Bildüberschrift – »Jugendlicher berichtet Beamten von ›Foltergeständnis‹« – zeigt die Fotografie nicht den Akt des Zeugnisablegens von Quinter South, sondern wie die beiden weißen Amtsträger seine Wunde inspizieren. South, der im Hintergrund der Szene postiert ist, wurde nicht als aktiver Zeuge dargestellt, sondern vielmehr als passives Objekt einer Untersuchung, das dem prüfenden Blick der weißen Experten ausgesetzt wird. Die Ambivalenzen dieser visuellen Repräsentation des Folteropfers in der weißen Presse Atlantas treten umso deutlicher zutage, wenn man ihr eine nahezu zeitgleich veröffentlichte Fotografie der schwarzen Tageszeitung Atlantas gegenüberstellt (siehe Abbildung 6).

»Lasst uns die Polizeibrutalität […] stoppen«: Die Skandalisierung der Folter in der lokalen und überregionalen schwarzen Presse Unter der Bildüberschrift »Wie der Jugendliche die Polizeifolter beschrieb« (»As Youth Described Police Torture«) wurde am 9. März 1940 in der Atlanta Daily World eine Fotografie abgedruckt, die Quinter South im Interview mit Emel Scott, einem Journalisten der Daily World, zeigt. Die Bildunterschrift führte erläuternd aus: »Quinter South, 16, wird in der Jugendhaftanstalt gezeigt, während er Emel Scott die Folter mit dem ›glühenden Eisen‹ [»the ›hot iron‹ torture«] beschreibt, die ihm laut seinen Anschuldigungen im Polizeihauptquartier zugefügt wurde« (siehe Abbildung 6). 168

Abb. 6: »As Youth Described Police Torture«, Atlanta Daily World, 9. 3. 1940, S. 1.

Rechts auf dem Foto sieht man Quinter South, der auf einer Holzbank sitzt, die Unterarme und verschränkten Hände auf die Oberschenkel stützend. Über dem Halsausschnitt seines dunklen Pullovers sind sowohl der Kragen eines weißen Hemdes als auch die Ansätze eines Wundverbandes sichtbar. South richtet seinen Blick auf den Notizblock des neben ihm sitzenden Journalisten Emel Scott, der die Aussagen von South zu notieren scheint. Scott trägt einen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Er sitzt mit überschlagenen Beinen auf der Bank neben South, den Blick ebenfalls konzentriert auf den Notizblock geheftet. Die Gegenüberstellung dieses Bildes mit der Fotografie der Atlanta Constitution führt die Unterschiede in der Repräsentation des Folterfalls und seines mutmaßlichen Opfers vor Augen. Während South auf der Fotografie in der Atlanta Constitution als Objekt eines prüfenden Blicks der weißen Beamten und Experten dargestellt und dabei auch räumlich in den Hinter169

grund gerückt wurde, drückte die Abbildung in der Atlanta Daily World zumindest auf der visuellen Ebene ein ebenbürtiges Verhältnis zwischen South und dem Journalisten aus. Emel Scott und Quinter South wurden nicht nur gemeinsam auf einer Bank sitzend gezeigt, durch die frontale Perspektive der Kamera auf beide erscheinen sie als gleichberechtigte Gesprächspartner. Im Gegensatz zu dem Bild in der Atlanta Constitution inszeniert diese Fotografie ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen den Abgebildeten. Beide strahlen Ruhe, Ernsthaftigkeit und Seriosität aus. Die Fotografie zeigt zwei handelnde Subjekte, einer berichtet, der andere dokumentiert. Sowohl Emel Scott als auch Quinter South treten als Personen auf, mit denen man sich identifizieren kann. Im Vergleich zur Fotografie der Atlanta Constitution erscheint Quinter South nicht als passive, sondern als aktiv handelnde und selbstbewusste Person, die Zeugnis über die erfahrene Gewalt ablegt. Anders als in der Constitution stand in der Daily World nicht der misshandelte Körper von South, sondern sein Bericht über die erlittene Folter im Mittelpunkt der fotografischen Inszenierung. Den Lesern wurde kein passives und unterlegenes Opfer präsentiert, sondern ein handelndes Subjekt, das mit seinen Aussagen Zeugnis über die erfahrene Gewalt ablegte und sich damit zur Wehr setzte. Der Fall South, so die Botschaft des Fotos, steht für die allgegenwärtige Gefährdung afroamerikanischer Bürgerrinnen und Bürger durch die Polizei. Und: Es ist richtig und wichtig, sich gegen erfahrene Gewalt zur Wehr zu setzen und sie öffentlich zu machen. Möglicherweise zielte die Abbildung in der Daily World explizit darauf ab, mit hergebrachten Repräsentationspraktiken in der amerikanischen Presse zu brechen, die Schwarze als passive Opfer rassistischer Gewalt präsentierten. Die Amerikanistin Anne Elizabeth Carroll hat gezeigt, dass afroamerikanische Zeitungen und Zeitschriften in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dezidiert dieses Ziel verfolgten. Publikationen wie die NAACP -Zeitschrift The Crisis sowie schwarze Wochen- und Tageszeitungen setzten es sich zur Aufgabe, dem herrschenden visuellen Diskurs positiv besetzte Bilder schwarzer Menschen hinzuzufügen. Diese sollten die Vielfalt der afroamerikanischen 170

Kultur demonstrieren und den Leserinnen und Lesern alternative und positive Identifikationsangebote bereitstellen.32 In Anlehnung an nationale schwarze Zeitungen, wie etwa den Chicago Defender, den Pittsburgh Courier oder die Negro World, verfolgte auch die Atlanta Daily World (von 1928 bis 1932 The Atlanta World) die Mission, der afroamerikanischen Bevölkerung ein eigenes Forum zu bieten. Wie ihr Herausgeber Alexander Scott II bereits im Editorial der ersten Ausgabe der Zeitung im Jahr 1928 verkündete, hätten die Verleger der World das Bedürfnis nach einer Zeitung im Süden gespürt, die von Schwarzen und für eine schwarze Leserschaft gemacht werde. Damit, so Scott, wolle man der bis dato bestehenden Situation ein Ende setzen, dass Nachrichten über die schwarze Bevölkerung allein »durch die Optik zahlreicher voreingenommener weißer Zeitungen« vermittelt würden.33 Ab März 1932 erschien die Atlanta Daily World als eine der wenigen schwarzen Zeitungen in den USA täglich. Als lokale Zeitung mit tendenziell konservativer Ausrichtung nahmen soziale und kirchliche Nachrichten sowie die Berichte über Sportereignisse den größten Teil der Berichterstattung ein. In den 1940er Jahren unterstützte sie die Bemühungen um die Registrierung afroamerikanischer Wahlberechtigter in Atlanta, berichtete über die Rolle der schwarzen Soldaten in der US-Armee und thematisierte überdies ausführlich das Problem der Kriminalität in der schwarzen Gemeinde Atlantas.34 Darüber hinaus informierte die Zeitung über die umfassende Diskriminierung von African Americans im Süden der USA; rassistische Polizeigewalt, Lynchmorde sowie Gerichtsverfahren gegen schwarze Angeklagte nahmen einen breiten Raum ein. Berichte, wie etwa über die Verfahren gegen die Scottsboro Boys in den 1930er Jahren, wurden zum Anlass genommen, das stereotype Bild des schwarzen Straftäters zu relativieren oder infrage zu stellen. Im Gegensatz zu schwarzen Zeitungen im Norden wie etwa dem Chicago Defender vermied die Atlanta Daily World eine miliSiehe Carroll, Word, Image, and the New Negro, S. 1. Zit. n. Teel, »W. A. Scott and the Atlanta World«, S. 160. 34 Ebenda. 32 33

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tante Rhetorik, brachte stattdessen moralische Empörung über die zahlreichen Fälle rassistischer Gewalt im Süden zum Ausdruck und verband diese oft mit dem Appell, sich weiterzubilden, sowie dem Aufruf, die eigene Würde im Angesicht der anhaltenden Gewalt zu bewahren. Offenbar wollte man damit eine direkte Konfrontation mit der weißen Bevölkerung Atlantas vermeiden und vielmehr durch die kontinuierliche Berichterstattung über Fälle rassistischer Gewalt und Diskriminierung Zeugnis über deren Ausmaß und Kontinuität in Atlanta und anderen Teilen des amerikanischen Südens ablegen. Diese Strategie ist auch im Fall South erkennbar. Im Gegensatz zur weißen Presse nahm die Daily World den Fall zum Anlass, um auf zahlreiche weitere Fälle von Polizeigewalt gegen African Americans in Atlanta hinzuweisen. Bereits in ihrem ersten Bericht über den Fall Quinter South machte die Zeitung auf ein Anklageverfahren gegen zwei andere Polizisten aufmerksam, die den schwarzen Taxifahrer William Humphrey bei seiner Festnahme durch Schläge und Stockhiebe gegen Kopf und Gesicht schwer verletzt hatten.35 Am Folgetag berichtete sie über den Fall des 20-jährigen Matthew Hawkins, der in einer Stellungnahme erklärt hatte, dass er ebenfalls von Sutherland und einer Gruppe weiterer Polizisten durch Fausthiebe und Schläge mit einem Gummischlauch zu einem Geständnis über den Einbruch in eine Drogerie gezwungen worden sei.36 In einem wenige Tage später veröffentlichten Kommentar zum Fall Quinter South, forderte sie daher auch das Ende aller Formen der Polizeigewalt: »Es bleibt zu hoffen, dass die […] Ermittlungen […] der Polizeibrutalität in unserer schönen Stadt einen sofortigen und endgültigen Todesstoß versetzen werden. Lasst uns die Polizeibrutalität in Atlanta für alle Zeiten stoppen.«37 Die Rahmung des Folterfalls Quinter South in der Daily World unterschied sich damit grundlegend von der Skandalisie»Officer Indicted, Suspended in Burning-Beating of School Boy«, Atlanta Daily World, 9. 3. 1940, S. 1. 36 »Sutherland Faces New Brutality Charge«, Atlanta Daily World, 10. 3. 1940, S. 1. 37 »Let’s End Police Brutality«, Atlanta Daily World, 10. 3. 1940, S. 4. 35

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rung des Falls in der weißen Presse Atlantas. Während deren Berichte von einer Mischung aus moralischer Empörung und subtiler Faszination getragen wurden, versuchte die Daily World die Notwendigkeit einer nachhaltigen Sanktionierung polizeilicher Gewaltmaßnahmen gegen die afroamerikanische Bevölkerung hervorzuheben und insgesamt deren Position innerhalb der segregierten Gesellschaftsordnung im Süden der USA zu reflektieren. So wurde im weiteren Verlauf des Kommentars auf die entscheidende Rolle von Mrs C. E. Harrison hingewiesen. Der »gutherzigen weißen Arbeitgeberin« von Quinter South sei dafür zu danken, dass sie die zuständigen Verantwortlichen und Strafverfolgungsbehörden auf den Fall aufmerksam gemacht habe.38 Ihre Rolle sei auch deshalb bemerkenswert, da eine Reihe früherer Fälle polizeilicher Gewalt von den betroffenen Personen und ihren Angehörigen nicht an die Öffentlichkeit gebracht worden seien, »aus Angst vor den gewaltsamen Konsequenzen«, mit denen man ihnen »gedroht« habe.39 In einem anderen Kommentar konstatierte der Kolumnist J. P. Reynolds, dass der Fall South eindrücklich vor Augen führe, wie machtlos die schwarze Bevölkerung gegenüber der tagtäglichen rassistischen Diskriminierung und Repression durch die lokale Polizei sei: »Nur einmal angenommen, dieser farbige Junge hätte keine weiße Dame gehabt, die ihm zu Hilfe gekommen wäre? Die Konsequenz wäre, dass dieser Fall niemals ans Licht gekommen wäre und der angeklagte Beamte […] weiter da draußen herumlaufen und auf den Nächsten warten würde.«40 Während Reynolds die Geschehnisse im Fall South als ein weiteres Beispiel für die Ohnmacht gegenüber illegalen polizeilichen Gewaltpraktiken deutete, schlug Williams A. Fowkles in einem Kommentar vom 30. März 1940 einen anderen Ton an. Er

Ebenda. Ebenda. 40 J. P. Reynolds, »Hit While the Iron Is Hot: Right Now«, Atlanta Daily World, 10. 3. 1940, S. 4. 38 39

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bezog sich auf die aktuellen Entwicklungen, nachdem auch das US -Justizministerium Ermittlungen gegen den Polizisten Sutherland eingeleitet hatte.41 Zwar demonstriere der Fall South einmal mehr die Machtlosigkeit der African Americans gegenüber der Ausübung rassistischer Gewalt. Schuld an dieser Situation sei jedoch nicht allein die weiße Bevölkerung, sondern auch der fehlende Mut der schwarzen Bürgerinnen und Bürger, die erfahrene Gewalt öffentlich zu machen, sei es aus »Angst vor einer Wiederholung der Brutalitäten, der Beeinträchtigung ihrer Geschäfte oder aus Furcht, ihre Stelle zu verlieren, und so weiter«. Damit hätten sie selbst »maßgeblich die Chancen von Gesetzen oder Amtsträgern beeinträchtigt, die Fortführung der Brutalitäten zu verhindern«.42 Es sei notwendig, den Opferstatus durch die eigene Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Leben zu überwinden. Statt sich weiter in Lethargie zu flüchten, solle die schwarze Bevölkerung ihre bürgerliche und politische Verantwortung wahrnehmen und ihren daraus resultierenden Einfluss geltend machen. »GERECHTIGKEIT WIDERFÄHRT IMMER DENEN, DIE DEN EINFLUSS UND DIE MACHT HABEN, SIE DURCHZUSETZEN«, so Folkes mahnender Schlusssatz.43 Die lokalen afroamerikanischen Kommentatoren zogen aus dem Folterfall South also sehr unterschiedliche Schlüsse zur Lage der schwarzen Bevölkerung in Atlanta. Dem resignierten Verweis auf die alltägliche Gewalterfahrung stand die Aufforderung zur Eigeninitiative im Kampf gegen das System rassistischer Gewaltsamkeit gegenüber. Beide Positionen wiederum vermieden explizite Schuldzuweisungen in Richtung der weißen Bevölkerung und der Führungselite Atlantas. Während die auflagenstärksten überregionalen Zeitungen wie die New York Times oder die Washington Post den Fall South ignorierten, griff die nationale afroamerikanische Presse den Fall

Siehe hierzu die Ausführungen im folgenden Kapitel. William A. Fowlkes, »Shall Brutalities Continue«, Atlanta Daily World, 31. 3. 1940, S. 4. 43 Ebenda (Hervorhebung im Original). 41 42

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bereits im März 1940 auf. Eine besondere Rolle spielten dabei erneut Fotografien.44 Am 23. März 1940 veröffentlichte der Pittsburgh Courier auf seiner Titelseite einen Artikel unter der Überschrift »Jugendlicher mit glühendem Eisen gebrandmarkt« (»Youth Branded With Hot Iron«).45 Illustriert wurde er durch eine Fotocollage mit der Überschrift »Brutaler Polizist schlägt, verbrennt 16-jährigen Schüler« (»Brutal Cop Beats, Burns 16-Year-Old Student«) (siehe Abbildung 7). Sie bestand aus einem kreisförmigen Ausschnitt des bereits in der Atlanta Constitution veröffentlichten Fotos von H. J. Slayton sowie einer zweiten Fotografie, die vermutlich vom Pressefotografen der Constitution oder von Ermittlern des FBI angefertigt worden war.46 Letztere zeigte South mit entblößtem Oberkörper, den linken Arm angewinkelt vor diesen haltend. Seine Wunden an Unterarm und an Halsansatz wurden durch schwarz umrandete weiße Ringe visuell hervorgehoben. Die Wundstellen selbst waren ebenfalls mit einem schwarzen Rand versehen. Die hinzugefügten Markierungen sollten offenbar die besondere Brutalität des Falles betonen, aber auch die anhaltende Missachtung afroamerikanischer Bürgerrechte anklagend in Szene setzen. Wie es in der Bildunterschrift hieß, werfe die »inhumane Behandlung« von Quinter South ein Schlaglicht auf die »langjährigen Missstände« im Atlanta Police Department. Nicht zuletzt bediente diese visuelle Inszenierung voyeuristische Impulse, indem sie den entblößten und verletzten Körper des Folteropfers ins Zentrum rückte und zur Schau stellte.

»Youth Branded With Hot Iron«, The Pittsburgh Courier, 23. 3. 1940, S. 1; »White Atlantans Push Torture Case of Boy, 16«, The Chicago Defender, 23. 3. 1940, S. 6. 45 »Youth Branded With Hot Iron«, The Pittsburgh Courier, 23. 3. 1940, S. 1. 46 Wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, hatte das US -Justizministerium bereits kurz nach Bekanntwerden der Foltervorwürfe von Quinter South FBIErmittlungen gegen W. F. Sutherland eingeleitet. Im Zuge ihrer Ermittlungen fertigten die FBI-Agenten mehrere Beweisfotografien von Quinter South an. Die überlieferten Fotografien weisen auffällige Ähnlichkeiten mit der Fotografie auf der Titelseite des Pittsburgh Courier auf (siehe Abbildung 10). 44

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Abb. 7: »Brutal Cop Beats, Burns 16-Year-Old Student«, The Pittsburgh Courier, 23. 3. 1940, S. 1

Im Bericht wurden dagegen die positiven Folgen des Falls für die Situation der African Americans im Süden der USA hervorgehoben. Dank der Initiative der weißen Arbeitgeberin von Quinter South sei der Fall zum Ausgangspunkt der »aufregendsten und gründlichsten Reinigungskampagne seit mehr als einer Generation« geworden.47 Auch die schwarze Wochenzeitung Chicago Defender bewertete die Entwicklungen im Fall Quinter South als ein Indiz des Fortschritts: »Atlanta und der Süden erleben eine der bedeutsamsten Episoden in der Geschichte der Bemühungen der Nation, ›ihre Demokratie zum Funktionieren zu bringen‹«. Nie zuvor habe eine Stadt oder ein Staat im Süden

47

Ebenda.

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die Frage der Bürgerrechte so »umfassend thematisiert« und »ohne Ansehen der ›Rasse‹« in Angriff genommen.48 Anders als die Berichte der lokalen Presse verbreitete die nationale schwarze Presse eine optimistische Lesart des Falls Quinter South, und zwar als einen Fall, der die Veränderungsbereitschaft der weißen Bevölkerung des Südens dokumentiere. Bemerkenswert ist zudem ein neuer Akzent der Berichterstattung vor dem Hintergrund der amerikanischen Kriegsbeteiligung am Zweiten Weltkrieg. Am 30. Juni 1942 wurde Quinter South zum Kriegsdienst in der US-Armee eingezogen und war in der Folgezeit als Soldat im Rang eines Steward’s Mate, 2nd Class auf einem Kriegsschiff der US-Navy im Südpazifik eingesetzt. Als er im September 1943 zu einem Heimaturlaub in Atlanta eintraf, berichteten sowohl der Pittsburgh Courier als auch der Chicago Defender darüber.49 Zu diesem Zeitpunkt waren bereits drei Gerichtsverfahren gegen den Polizisten Sutherland ohne Ergebnis zu Ende gegangen.50 Wie es im Pittsburgh Courier unter der Überschrift »Folteropfer zurück von der See« (»Torture Victim Back from Sea«) hieß: »Mit einem Schnurrbart und dem Ansatz eines Kinnbarts kam der 19-jährige Quinter South, die Hauptfigur in Atlantas sensationellem Polizeifolterfall aus dem vergangenen Jahr, in seiner schnittigen Navy-Uniform von der See hereingeschneit, um von seinen Abenteuern im Südpazifik zu berichten.«51 Anders als in den Berichten aus dem Jahr 1940, in denen South als hilfloses Opfer der Polizeigewalt dargestellt wurde, wurde er nun als selbstbewusster, gut aussehender junger Mann und Soldat präsentiert. Hatte er in der nationalen schwarzen Presse drei Jahre zuvor noch als Symbol für den Rassismus des Südens fungiert, personifizierte er nun das neue Selbstbewusstsein afroamerikanischer Männer, die im Zweiten Weltkrieg für die USA »White Atlantans Push Torture Case of Boy, 16«, The Chicago Defender, 23. 3. 1940, S. 6. 49 »Torture Victim Back from Sea«, The Pittsburgh Courier, 11. 9. 1943, S. 5; »›Torture‹ Victim Back from South Pacific«, The Chicago Defender, 18. 9. 1943, S. 9. 50 Siehe hierzu auch die Ausführungen im folgenden Kapitel. 51 »Torture Victim Back from Sea«, The Pittsburgh Courier, 11. 9. 1943, S. 5. 48

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kämpften.52 Der zuvor durch die Gewalt der Folter markierte Körper von South wurde nun gleichsam mit einer neuen Bedeutung »überschrieben«: Statt auf die Spuren der Folter wies der Bericht im Pittsburgh Courier auf die Abzeichen an seiner Uniform hin: »Er trägt drei kleine Sterne links oben auf seinem Jackett, als Andenken, dass er an drei Seeschlachten teilgenommen hat.«53 Diese Beschreibung knüpft zum einen an die weithin verbreitete Idealisierung und Militarisierung des männlichen Körpers im Zweiten Weltkrieg an54, zum anderen lässt sie sich als Praxis lesen, welche die mit der Person Quinter South verbundenen symbolischen Konnotationen verschob: vom Opfer rassistischer Gewalt zur Identifikationsfigur für die nationale afroamerikanische Leserschaft. Die kurze Meldung über den heimkehrenden Frontsoldaten wird damit lesbar als als Beispiel für eine »befreiende« Form der Selbstrepräsentation. Sie macht deutlich, dass African Americans vor dem Hintergrund ihrer Beteiligung am Zweiten Weltkrieg den ihnen zugeschriebenen Opferstatus zunehmend infrage stellten.55 Die Ausführungen zum Fall South zeigen, dass schwarze und weiße Zeitungen mit Folterfällen im Süden der USA höchst unterschiedlich umgingen. Die selektive Aufmerksamkeit der weißen Presse für den Fall South und dessen spezifische Rahmung zeugen davon, dass sich trotz der medialen Skandalisierung des Falles eine rassistische Ökonomie der Aufmerksamkeit56 fort-

Jefferson, Fighting for Hope; Berg, »Soldiers and Citizens«; Jobs, Welcome Home, Boys!. 53 »Torture Victim Back from Sea«, The Pittsburgh Courier, 11. 9. 1943, S. 5. 54 Siehe Jarvis, The Male Body at War; Finzsch/Hampf, »Männlichkeit im Süden, Männlichkeit im Norden«; Martschukat/Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, S. 123–128. 55 Siehe hooks, Black Looks, S. 2. bell hooks beschreibt hier den afroamerikanischen Kampf für eine befreiende Praxis der Selbstrepräsentation als »Kampf für einen Bruch mit den hegemonialen Modi des Sehens, Denkens und Seins, die unsere Fähigkeit blockieren, uns selbst als oppositionell zu sehen [»to see ourselves oppositionally«], uns auf Arten und Weisen zu imaginieren, beschreiben und erfinden, die befreiend sind«. Ebenda. 56 Hall, »The Spectacle of the ›Other‹«, S. 251. 52

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schrieb, ohne die alltägliche Praxis rassistischer Gewalt gegen Schwarze in den Gemeinden des Südens grundsätzlich infrage zu stellen. Wie auch die weiteren Entwicklungen im Fall South zeigen, führte die mediale Aufmerksamkeit nicht dazu, dass die weithin verbreitete Ignoranz und Indifferenz der weißen Bevölkerung Atlantas gegenüber rassistischen Polizeipraktiken ins Wanken geriet und gewalttätige Polizeibeamte Konsequenzen für ihre Taten tragen mussten.57 Trotz der unmittelbar nach Bekanntwerden des Falls erhobenen öffentlichen Forderungen nach einer Aufklärung und strafrechtlicher Verfolgung sollte der Fall keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Etwa dreieinhalb Monate nach Bekanntwerden der Foltervorwürfe fand am 20. Juni 1940 das Gerichtsverfahren gegen den beschuldigten Polizisten William F. Sutherland vor dem Fulton Criminal Court statt. Wie die Atlanta Daily World berichtete, beschrieb South im Zeugenstand ausführlich die Folterung im Polizeirevier von Atlanta. Seine Aussagen wurden von mehreren seiner damaligen Mithäftlinge bestätigt. Zudem sagten Souths ehemalige Arbeitgeberin Mrs C. E. Harrison und der AtlantaConstitution-Journalist Harold Martin gegen den Polizisten aus. Sutherland und dessen Kollege M. D. Dodd wiesen die erhobenen Foltervorwürfe dagegen als unwahr zurück. Ihre Aussage wurde durch die Stellungnahmen mehrerer Polizisten unterstützt, die im Zeugenstand erklärten, während Souths Aufenthalt im Polizeirevier keine Wunden an dessen Körper gesehen zu haben. Zudem hätte South ihnen gegenüber zu keinem Zeitpunkt angegeben, gefoltert worden zu sein. Am Ende des eintägigen Prozesses sprachen die Geschworenen den Angeklagten Sutherland nach 45-minütiger Beratung vom Vorwurf der Körperverletzung frei.58 Anders als noch im März 1940, als die Foltervorwürfe von South eine Woge des Protestes unter den weißen Bürgerinnen und Bürgern Atlantas nach sich gezogen Zur »Macht der Indifferenz« und deren Bedeutung für die Aufrechterhaltung rassistischer Machstrukturen siehe Hodes, The Power of Indifference. 58 »Detective Found Not Guilty in Hot Iron Case«, Atlanta Daily World, 21. 6. 1940, S. 1, 6. 57

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hatten, blieb der drei Monate später erfolgte Freispruch für Sutherland in den weißen Lokalzeitungen Atlantas unkommentiert.59 Der Ausgang des Prozesses demonstrierte die anhaltende Unwilligkeit weißer Geschworener im amerikanischen Süden, Polizisten wegen des Vorwurfs illegaler Gewaltpraktiken an African Americans zu verurteilen. Zu sehr waren Schöffen und Justizvertreter an einer Aufrechterhaltung der weißen Machtposition in ihren lokalen Gemeinden interessiert, als dass sie diese mit einer rechtlichen Verurteilung gewalttätiger Polizeikräfte aufs Spiel setzen wollten. Der Freispruch Sutherlands durch den Criminal Court in Atlanta bedeutete jedoch nicht das Ende der strafrechtlichen Aktivitäten im Fall Quinter South. Bereits im März 1940 war das USJustizministerium in dem Fall aktiv geworden. Wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, waren die FBI-Ermittlung gegen Sutherland das erste in einer Reihe bundesbehördlicher Ermittlungsverfahren, die ab 1940 von Vertretern des US-Justizminsteriums eingeleitet wurden, um die anhaltende Verletzung der Bürgerrechte von Schwarzen durch Polizeikräfte im Süden der USA zu sanktionieren.

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»Jury Clears Policeman in Torture Case«, The Atlanta Constitution, 21. 6. 1940, S. 1.

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Die Folterermittlungen des Bundes im Süden der USA

Im April 1942 wandte sich US-Justizminister Francis Biddle (1941–1943) mit einer Pressemitteilung an die amerikanische Öffentlichkeit. Anlass war der Lynchmord an dem African American Cleo Wright in Sikeston, Missouri. Der eines nächtlichen Überfalls auf eine weiße Frau beschuldigte Wright war im Januar 1942 von einer aufgebrachten Menschenmenge aus dem Gefängnis von Sikeston entführt und mit einem Auto durch das schwarze Wohnviertel geschleift worden, bevor man ihn dort auf offener Straße verbrannte. Kurz darauf ordnete das US-Justizministerium erstmals in seiner Geschichte die bundesbehördliche Untersuchung eines Lynchfalles durch das FBI an. Wie Biddle wenige Monate nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ausführte, seien die eingeleiteten Ermittlungen angesichts des amerikanischen Kampfes für Demokratie »von nationaler Bedeutung«: »Da sich unser Land im Krieg zur Verteidigung unserer demokratischen Lebensweise befindet, hat ein Lynchmord eine Bedeutung, die weit über die Gemeinde oder sogar den Bundesstaat, in dem er geschieht, hinausweist. Er wird zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung und damit sachgemäß zu einer Angelegenheit der Bundesregierung.«1 Biddles Stellungnahme zeigt, dass die amerikanische Regierung ab den frühen 1940er Jahren Fällen rassischer Gewalt mit verstärkter Aufmerksamkeit begegnete. Bereits knapp zwei Jahre zuvor, im März 1940, hatte das US-Justizministerium FBI-Ermittlungen gegen einen Polizisten eingeleitet, der der Verletzung der Bürgerrechte eines US-Bürgers beschuldigt wurde. Es handelte sich um den im vorangegangenen Kapitel besprochenen 1

Zit. n. Elliff, The United States Department of Justice, S. 151. Zum Fall Cleo Wright siehe Capeci Jr., The Lynching of Cleo Wright; ders., »The Lynching of Cleo Wright«.

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Fall des Polizisten W. F. Sutherland aus Atlanta, dem die Folterung des 16-jährigen Quinter South vorgeworfen wurde.2 Das Verfahren gegen Sutherland stellte den Auftakt für eine Reihe von bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren gegen Polizisten und Sheriffs dar, die in den 1940er und frühen 1950er Jahren im Süden der USA stattfanden. In all diesen Fällen wurden Polizeibeamte beschuldigt, schwarze und zum Teil auch weiße Häftlinge und Tatverdächtige körperlich misshandelt und gefoltert und damit deren Bürgerrechte verletzt zu haben. Wie bei den zeitgleich einsetzenden Ermittlungen in einigen Lynchfällen beriefen sich die Anwälte des Justizministeriums auf bis dato weitgehend ungenutzte Rechtsbestimmungen aus der Nach-Bürgerkriegsära. Diese sahen vor, dass Bürgerrechtsverstöße von Amtspersonen wie Polizisten und Sheriffs durch Bundesbehörden strafrechtlich verfolgt und mit Geld- und Haftstrafen sanktioniert werden konnten. Im Folgenden geht es zunächst um die Hintergründe der Bürgerrechtsinitiative des Bundes in Bezug auf Fälle polizeilicher Folter, die sich in den Südstaaten ereignet hatten. Daraufhin wird anhand einzelner Ermittlungsverfahren untersucht, welche Auswirkungen die Sichtbarmachung und strafrechtliche Verfolgung der Polizeifolter durch das US-Justizministerium und das FBI auf die Macht- und Ordnungsstrukturen im amerikanischen Süden hatten. Inwiefern konnten die Ermittlungen und Prozesse gegen Polizeibeamte die Machtposition der polizeilichen Institutionen destabilisieren? Und welche Implikationen hatten sie für die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung?

Polizeifolter und die Bürgerrechtsinitiative der Civil Rights Section Seit dem frühen 20. Jahrhundert versuchten die NAACP und andere Bürgerrechtsorganisationen vergeblich, die amerikanischen 2

Mitteilung von O. John Rogge, Assistant Attorney General, an FBI-Direktor J. Edgar Hoover, Washington D. C., 8. 3. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330.

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Bundesbehörden dazu zu bewegen, aktiv gegen den Rassismus im Süden vorzugehen. Wie bereits erwähnt bestand eine der Hauptforderungen in der Verabschiedung eines föderalen Anti-LynchGesetzes, das es Bundesbehörden ermöglichen sollte, Lynchfälle in den einzelnen Bundesstaaten strafrechtlich zu verfolgen. Trotz der jahrzehntelangen Anti-Lynch-Kampagne der NAACP scheiterten die Initiativen für ein solches Gesetz jedoch wiederholt im US-Kongress. Zwar gelang es der NAACP in den 1920er, 1930er und frühen 1940er Jahren mehrere Male, das US-Repräsentantenhaus zu einer Zustimmung zu einem föderalen Anti-Lynch-Gesetz zu bewegen. In allen Fällen wurde jedoch die Verabschiedung des Gesetzes durch Abgeordnete aus dem Süden im US-Senat blockiert, mit dem Argument, dass ein solches Gesetz die rechtliche Souveränität der Südstaaten verletze.3 Angesichts der erfolglosen Gesetzesinitiativen forderte die NAACP das US -Justizministerium in den 1930er Jahren wiederholt auf, Ermittlungen in Lynchfällen einzuleiten. Aufgrund der bestehenden Rechtslage, insbesondere der Bürgerrechtsbestimmungen aus der Nach-Bürgerkriegszeit, sei es dazu berechtigt, an Lynchakten Beteiligte strafrechtlich zu verfolgen. Trotz der Forderung der NAACP weigerte sich das US-Justizministerium unter der Leitung von Homer S. Cummings (1933–1939) jedoch wiederholt, Ermittlungen in Fällen von Lynchgewalt aufzunehmen.4 Erst unter der Leitung von US-Justizminister Frank Murphy (1939–1940) ging es Anfang der 1940er Jahre dazu über, einzelne Fälle von Polizeigewalt und Lynchjustiz im Süden strafrechtlich zu verfolgen. Ausgangspunkt der neuen Bürgerrechtskampagne des Bundes war die Gründung der Civil Liberties Unit (CLU) im Februar 1939.5 Die von Justizminister Murphy ins Leben gerufene Siehe Zangrando, The NAACP Crusade against Lynching. Siehe Waldrep, »National Policing, Lynching, and Constitutional Change«, S. 607–612. 5 Siehe Carr, Federal Protection of Civil Rights, S. 24–32. Frank Murphy wurde 1940 zum Richter des U. S. Supreme Court ernannt. Seine Amtsnachfolger bis Mitte der 1950er Jahre waren Robert H. Jackson (1940–1941), Francis Biddle (1941–1945), Tom C. Clark (1945–1949), J. Howard McGrath (1949–1952), James P. McGranery (1952–1953) und Herbert Brownell Jr. (1953–1957). 3 4

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Abteilung innerhalb der Criminal Division hatte die Aufgabe, bestehende Rechtsstatuten zu identifizieren, auf deren Grundlage der Bund die Bürgerrechte amerikanischer Bürgerinnen und Bürger schützen und durchsetzen konnte. Wie der Politikwissenschaftler Robert K. Carr und andere gezeigt haben, lag eine der zentralen Ursachen für die mit der Gründung der CLU eingeleitete Kehrtwende in der Bürgerrechtspolitik des Bundes in der New-Deal-Politik der 1930er Jahre unter dem demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1933–1945).6 Die zur Behebung der Wirtschaftskrise eingeleiteten wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen führten zu einer erheblichen Erweiterung der Regulierungsbefugnisse der US -Regierung in den Einzelstaaten. Mit der Einrichtung der CLU , die im Juni 1942 in Civil Rights Section (CRS) umbenannt wurde, wurde die Machthoheit des Bundes auch im Bereich der Bürgerrechte ausgeweitet. Wie US-Justizminister Frank Murphy im März 1939 in einer öffentlichen Radioansprache verkündete, verfolge die Bundesregierung von nun an das Ziel, die bürgerlichen Freiheiten aller US-Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der ihr verfügbaren rechtlichen Möglichkeiten zu schützen: »Die Bundesregierung ist heute dazu entschlossen […], die bürgerlichen Freiheiten mit allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen. Dies geschieht nicht für diese oder jene Interessengruppe, diese oder jene Klasse, diese oder jene Nationalität, sondern für alle Menschen. Wir beabsichtigen, die bürgerlichen Freiheiten des Geschäftsmannes ebenso zu schützen wie die des Arbeiters, des Juden und des Nichtjuden und der Menschen aller Rassen und jeden Glaubens, ungeachtet der Herkunft.«7 Ein weiterer Grund für die Bürgerrechtskampagne des Bundes war die steigende Bedeutung der afroamerikanischen WählerCarr, Federal Protection of Civil Rights; Elliff, The United States Department of Justice; Capeci Jr., The Lynching of Cleo Wright; ders., »The Lynching of Cleo Wright«; McMahon, Reconsidering Roosevelt; Waldrep, »National Policing, Lynching, and Constitutional Change«. 7 Murphy, Frank, Civil Liberties: a Radio Address, 27. März 1939, S. 8 (Transkript), NARA/Library/Signatur: J12C49/4. 6

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schaft für die amerikanische Innenpolitik. Während diese bereits 1932 den demokratischen Kandidaten Franklin D. Roosevelt mehrheitlich unterstützt hatte, wurde ihr wahlpolitischer Stellenwert durch den stetig ansteigenden Zuzug schwarzer Migrantinnen und Migranten aus dem Süden in die Städte des Nordens weiter verstärkt, da sich diese dort erstmals als Wähler registrieren konnten.8 Zudem reagierte die neue Bürgerrechtsinitiative des Bundes auf die immer lauter formulierte Forderung der NAACP und anderer Gruppierungen nach einer aktiven Bürgerrechtspolitik der US-Regierung.9 Neben der NAACP war es unter anderem die American Civil Liberties Union (ACLU), die sich in den 1930er und 1940er Jahren verstärkt öffentlich für den Schutz grundlegender Freiheitsrechte einsetzte. Auch sie machte wiederholt auf die anhaltende Missachtung der Bürgerrechte durch Polizeibehörden aufmerksam, konzentrierte sich dabei aber auf Großstädte wie New York City.10 Zugleich bestärkten zahlreiche Entscheidungen des U. S. Supreme Court die Bürgerrechtsinitiative der Regierung. Wie bereits im Kapitel zur AntiFolter-Kampagne der NAACP gezeigt wurde, wies das Oberste Gericht insbesondere in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren wiederholt auf die Notwendigkeit hin, die Verfahrensrechte amerikanischer Bürgerinnen und Bürger aktiv zu schützen.11 Darüber hinaus stand die neue Bürgerrechtskampagne des Bundes maßgeblich mit den außen- und innenpolitischen Entwicklungen im Rahmen des Zweiten Weltkriegs in Zusammenhang. Nach dem Kriegseintritt der Amerikaner im Dezember 1941 berichteten sowohl japanische als auch deutsche Zeitungen und Radiosender wiederholt über Fälle rassistischer Gewalt in den USA – unter anderem über den Lynchmord an Cleo Wright –, um den amerikanischen Kriegsgegner bloßzustellen. US-Regierungsvertreter befürchteten, dass Meldungen dieser Siehe Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 425–427; Waldrep, »National Policing, Lynching, and Constitutional Change«, S. 611–612. 9 Ebenda, S. 607–612. 10 Siehe Walker, In Defense of American Liberties, S. 86–92; Johnson, Street Justice, S. 114–148. 11 Capeci Jr., »The Lynching of Cleo Wright«, S. 859–860; Cover, The Origins of Judicial Activism. 8

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Art im Ausland die moralische Integrität der USA und das propagierte Kriegsziel der Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Zweifel zogen.12 Zudem hatte man Bedenken, dass eine passive Haltung der Regierung gegenüber rassistischer Gewalt die Kriegsmoral der schwarzen Bevölkerung schwächen könnte. Der für die CLU/ CRS tätige Anwalt Frank Coleman fasste die Befürchtungen der US -Regierung folgendermaßen zusammen: »Berichte über Lynchmorde und Polizeibrutalität […] wären eine willkommene Munition für die feindlichen Achsenmächte in ihrer Kampagne zur Diskreditierung der selbst ernannten Verteidiger der ›Vier Freiheiten‹. Und viele hielten die Schwächung unseres Ansehens in Übersee für weniger gravierend als die Verschlechterung der Moral zu Hause. Würden nicht viele unser Bürger zynisch und desillusioniert darüber werden, […] im Namen von Idealen zu kämpfen, die selbst damals noch von ›Dorftyrannen‹ und Lynchmobs in der Heimat mit Füßen getreten wurden?«13 Als das Justizministerium die Bürgerrechtsermittlungen dann anordnete, stützte es sich auf die »Enforcement Acts« oder »Civil Rights Acts«, die nach dem Ende des Bürgerkriegs zwischen den Jahren 1865 und 1875 vom US-Kongress verabschiedet worden waren, um die Durchsetzung der neu gewonnenen Bürgerrechtsansprüche der afroamerikanischen Bevölkerung in den Südstaaten zu gewährleisten. Die Bestimmungen sahen unter anderem vor, dass Bürgerrechtsverstöße durch Amtspersonen von Bundesbehörden verfolgt und mit Geld- und Haftstrafen sanktioniert werden konnten. So wurde unter dem damaligen Titel 18, Sektion 52 des United States Code (U. S. C.)14 (heute Titel 18, Sektion 242), der »vorsätzliche Entzug« von Grund- und Bürgerrechten unter Capeci Jr., The Lynching of Cleo Wright, S. 871–873; Dudziak, Cold War Civil Rights, S. 8–11; Elliff, The United States Department of Justice, S. 147–159; McMahon, Reconsidering Roosevelt, S. 159–176. 13 Coleman, »Freedom from Fear on the Home Front«, S. 415. 14 Der United States Code ist die amtliche Sammlung der US -amerikanischen Bundesgesetze. 12

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Strafe gestellt, wenn die Betreffenden als staatliche Amtsträger agiert hatten (»acting under color of law, statute, ordinance, regulation, or custom«). Im Fall einer Verurteilung war eine Geldzahlung von bis zu 1000 Dollar und eine Gefängnisstrafe von maximal einem Jahr vorgesehen. Der Titel 18, Sektion 51 (heute Titel 18, Sektion 241), stellte unter Strafe, wenn sich zwei oder mehr Personen »verschworen« hatten, um andere Personen ihrer verfassungsmäßig zugesicherten Grundrechte zu berauben. Das maximale Strafmaß betrug zehn Jahre Haft und 5000 Dollar Geldstrafe.15 Diese Bestimmungen ermöglichten es Bundesstaatsanwälten, so die Vertreter der CLU/CRS, Bürgerrechtsverletzungen durch Amtspersonen – wie etwa die Ausübung illegaler Polizeigewalt oder die Beteiligung an Lynchmorden – in den einzelnen Bundesstaaten strafrechtlich zu verfolgen und vor den lokalen Bundesgerichten zur Anklage zu bringen. In einem im Mai 1940 versandten Rundschreiben forderte das Justizministerium die Bundesanwälte in allen US-Distrikten dazu auf, die wiederentdeckten Bestimmungen für die strafrechtliche Verfolgung von Bürgerrechtsverletzungen zu nutzen. Die Statuten des U.S.C. stellten ein »machtvolles Instrument« dar, um Bürgerrechtsverstöße durch Polizisten und andere staatliche Amtspersonen strafrechtlich zu verfolgen. Gleichzeitig wurden die Bundesstaatsanwälte jedoch dazu angehalten, keine Anklageerhebungen durchzuführen, ohne zuvor die Genehmigung des Justizministeriums eingeholt zu haben. Damit behielt sich das Ministerium die Entscheidungshoheit über die Anordnung bundesbehördlicher Ermittlungsverfahren vor.16 Bereits in den ersten Jahren nach ihrer Gründung gingen bei der neuen Abteilung des US-Justizministeriums jährlich zwischen 1500 und 2500 Beschwerden über Bürgerrechtsverstöße aus den gesamten Vereinigten Staaten ein. Doch die ungesicherte Rechtslage, die mangelnde personelle Ausstattung der CLU/ 15 16

Siehe Carr, Federal Protection of Civil Rights, S. 56–84. Memorandum, Federal Criminal Jurisdiction Over Violations of Civil Liberties, Circular No. 3356 (Supplement 1), 21. 5. 1940, zit. n. Elliff, The United States Department of Justice, S. 98–100.

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CRS und die begrenzte Unterstützung innerhalb des US -Justizministeriums hatten zur Folge, dass nur in wenigen dieser Fälle eine Untersuchung durch das FBI angeordnet wurde. Zudem zogen nur einige dieser Ermittlungen Prozesse vor Bundesgerichten nach sich. Insgesamt kam es in den ersten acht Jahren des Bestehens der CLU/CRS in 178 Fällen zu einer Anklage wegen Bürgerrechtsverletzungen. Neben Lynchmorden und Fällen von Polizeibrutalität wurden auch Verstöße gegen die freie Ausübung des Wahlrechts sowie gegen die Presse- und Religionsfreiheit strafrechtlich verfolgt.17 Im Bereich Polizeibrutalität beschränkte die CLU/CRS ihr Engagement auf sorgfältig ausgewählte Fälle polizeilicher Gewalt und Folter in den Südstaaten.18 In einem internen Bericht aus dem Jahr 1941 führte Wendell Berge, der damalige Leiter der Criminal Division des US-Justizministeriums, aus, dass jedes Jahr so viele Beschwerden über Fälle von Polizeifolter eingingen,19 dass nur diejenigen berücksichtigt werden könnten, in denen der Abteilung eine beglaubigte Aussage des Opfers zugestellt werde. Darüber hinaus beschäftige sich die Abteilung nur mit Beschwerden über erlittene Polizeigewalt, die nicht von »Gewohnheitsverbrechern« (»hardened criminals«) vorgebracht worden seien: »Diese Verfahrensweise ist dem Wissen um die Notwendigkeit geschuldet, dass Polizeibeamte manchmal Mittel einsetzen müssen, zu denen sie sonst nicht greifen würden, wenn sie

Siehe die Zahlen in Lawson, To Secure these Rights, S. 145. Siehe auch die weitaus höheren Zahlen der Beschwerdebriefe bei Carr, Federal Protection of Civil Rights, S. 125, 129. Carr zählt 8000 Beschwerden im Jahr 1942, bei denen es in 26 Fällen zu Angklageverfahren kam, und ca. 20000 Beschwerden im Jahr 1944 mit 64 Anklageerhebungen. In seiner Studie zu den Beschwerdebriefen an die CLU/CRS aus den Jahren 1939 bis 1941 weist George Lovell darauf hin, dass nur 8 % der Beschwerden einen expliziten Bezug zu »race« aufwiesen. Siehe Lovell, »Imagined Rights Without Remedies«, S. 113. 18 Siehe Wendell Berge, Assistant Attorney General, Memorandum an James Rowe, Assistant to the Attorney General, Washington D. C., 3. 4. 1942, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 19 Ebenda. 17

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nicht einen Gewohnheitsverbrecher mit einem langen Strafregister vor sich hätten oder einen aktenkundigen Tatverdächtigen, der über eine geraume Zeit in viele fragwürdige Angelegenheiten verwickelt war. Der Criminal Division ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Folterbeschwerde eines Opfers mit einem langen Vorstrafenregister sehr von einem Fall unterscheidet, in dem das Opfer ein Ersttäter ist.«20 Diese Auswahlpolitik des Justizministeriums räumte Polizeibeamten indirekt eine größere Handlungsfreiheit im Umgang mit Tatverdächtigen ein, die bereits zum wiederholten Male straffällig oder auffällig geworden waren. Das heißt, dass die Bürgerrechtsinitiative nicht darauf zielte, die Anwendung polizeilicher Folterpraktiken in den USA umfassend zu sanktionieren. Wie in dem Bericht weiter ausgeführt wurde, schließe man nicht nur Beschwerden sogenannter Gewohnheitsverbrecher aus den Ermittlungen aus, sondern beschränke sich zudem dezidiert auf »Fälle besonders drastischer Brutalität« (»cases of outright brutality«).21 Vermutlich wollte man damit verhindern, dass die Bürgerrechtsermittlungen des Bundes in den Einzelstaaten allzu schnell in die Kritik der amerikanischen und insbesondere der Öffentlichkeit im Süden des Landes gerieten. Die Konzentration auf einzelne ausgewählte Fälle polizeilicher Gewalt und Folter hatte zur Folge, dass die Bürgerrechtsinitiative des Justizministeriums die weitverbreitete Anwendung rassistischer Gewaltmittel durch Polizeikräfte im Süden der USA nur in sehr begrenztem Maße infrage stellte. Wie der Fall Sutherland zeigt, forderten jedoch allein die Ermittlungen des FBI die lokalen polizeilichen Machtstrukturen heraus.

Die Sichtbarmachung der Folter: Das Verfahren gegen William F. Sutherland Bereits am 8. März 1940, unmittelbar nach Bekanntwerden der Foltervorwürfe von Quinter South, beauftragten die Verant20 21

Ebenda. Ebenda.

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wortlichen des US-Justizministeriums das FBI, Ermittlungen in dem Fall aufzunehmen,22 und kurz darauf reichte der lokale District Attorney vor dem US-Bundesgericht in Atlanta Klage gegen Sutherland ein.23 Eine der ersten Maßnahmen des dortigen FBI -Büros bestand darin, die Tatwaffe – das bereits erwähnte »tacking iron« – im Polizeirevier von Atlanta sicherzustellen und an das technische Labor in Washington D. C. zu schicken, um es einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen: »Hiermit wird beantragt, die Spitze dieses erhitzbaren Eisens auf etwaige Spuren von Blut oder Fleisch zu untersuchen, die noch an ihm haften könnten. Es wird darüber hinaus beantragt, Tests bezüglich der Erhitzungsgeschwindigkeit dieses Eisens in gleichmäßigen Intervallen durchzuführen. Es wird ebenfalls beantragt, eine grafische Darstellung der Temperatur dieses Eisens nach gleichmäßigen Intervallen von einer Minute, zwei Minuten etc. anzufertigen, bis das Eisen seine maximale Temperatur erreicht hat und bis zu dem Punkt, an dem diese ausreicht, einer Person Brandwunden zuzufügen.«24 Die detaillierten Anweisungen des leitenden Beamten R. G. Danner an das FBI-Labor vermitteln ein Selbstbild des FBI als fortschrittliche, effiziente, mit neuesten forensischen Methoden arbeitende nationale Ermittlungsbehörde. Ein Bild, zu dem J. Edgar Hoover, der langjährige Direktor der Behörde, maßgeblich beitrug und das auch von den Medien und der Populärkul-

Brief von O. John Rogge, Assistant Attorney General, an FBI-Direktor J. Edgar Hoover, Washington D. C., 8. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 23 Mitteilung von E. A. Tamm an FBI -Direktor J. Edgar Hoover, Washington D. C., 8. 3. 1940, und Mitteilung von O. John Rogge, Assistant Attorney General, an FBI-Direktor J. Edgar Hoover, Washington D. C., 8. 3. 1940, NARA , RG 65/44, Box 42, File 44–330; Brief von Lawrence C. Camp, U. S. Attorney, Northern District of Georgia, an Henry A. Schweinhaut, Leiter der Civil Liberties Unit, Atlanta, GA, 12. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 24 Brief von R. G. Danner, FBI Special Agent in Charge, an FBI -Direktor J. Edgar Hoover, Atlanta, GA, 11. 3. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 22

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tur bestärkt wurde.25 In den 1920er und 1930er Jahren wurden die Machtbefugnisse des FBI (bis 1935 lautete der Name der Behörde Bureau of Investigation) massiv ausgeweitet. Zusätzlich zu den Handlungsmöglichkeiten in den Bereichen Geheimdienst und Spionage wurde es im Zuge des »Krieges gegen das Verbrechen« (»war on crime«) in den 1930er Jahren mit weitreichenden Befugnissen in den Feldern der Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung ausgestattet.26 Diese Entwicklung ging einher mit einer zunehmenden Professionalisierung der Ermittlungstätigkeiten, die sowohl in der Einführung einer einheitlichen Dienstkleidung, eines Schulungsprogramms für FBI-Beamte als auch in der Einrichtung eines mit den neuesten forensischen Methoden arbeitenden technischen Labors (das sogenannte FBI Technical Laboratory) im Jahr 1932 zum Ausdruck kam.27 Zudem wurde 1927 erstmals ein Ermittlungshandbuch für FBI-Beamte herausgegeben.28 Das immer wieder aktualisierte Handbuch enthielt detaillierte Instruktionen zum standardmäßigen Ablauf von Ermittlungen sowie detaillierte Anweisungen in Bezug auf Inhalt und formalen Aufbau von Ermittlungsberichten.29 Unter anderem wurden die FBI-Beamten zur strikten Beachtung formaler Vorgaben und zur Einhaltung eines klaren und konzisen Sprachstils aufgefordert. So hieß es in Bezug auf die zusammenfassenden Angaben zu Beginn eines jeden FBI-Berichts: »Berichte müssen eine klare, knappe, grammatisch korrekte Zusammenfassung aller wesentlichen sachbezogenen Fakten in der richtigen relativen Reihenfolge beinhalten.«30 Die Anweisungen sollten zum einen die Verständlichkeit und OperationalisierbarJ. Edgar Hoover war von 1935 bis 1972 Direktor des Federal Bureau of Investigation. Zuvor hatte er bereits von 1924 bis 1935 das Bureau of Investigation geleitet. Zum Bild des FBI in der zeitgenössischen Populärkultur siehe Potter, War on Crime. 26 Waldrep, »National Policing, Lynching, and Constitutional Change«, S. 604–607, 609–610. 27 Siehe Jeffreys-Jones, The FBI , S. 81–99. 28 Siehe Manual, Bureau of Investigation, Department of Justice, 1927, RWWL , FBI MoI, Microfilm 1473. 29 Ebenda, S. 134–135. 30 Ebenda, S. 137. 25

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keit der Ermittlungsergebnisse gewährleisten und zum anderen deren Objektivität untermauern. Diese Bestrebungen kamen auch in den im März 1940 aufgenommenen FBI-Ermittlungen gegen Sutherland zum Tragen. Am 16. März 1940 schickte Hoover den ersten von Ronald R. Hassig verfassten Bericht an das US-Justizministerium. Er dokumentierte die Ermittlungsbefunde auf 35 maschinengeschriebenen Seiten.31 Sichtbar wird darin zum einen die professionalisierte und rationalisierte Vorgehensweise des FBI, zum anderen das Streben nach einer neutralen und vereinheitlichten Dokumentation der Ermittlungsergebnisse. Dem Bericht ging ein standardisiertes Deckblatt voran, auf dem der Ausgangsort des Falls, die FBI-Fallnummer, Ort, Datum und Verfasser sowie der Name des Beschuldigten und der erhobene Tatvorwurf vermerkt wurden, unter dem Stichwort »Details« außerdem eine konzise Zusammenfassung der grundlegenden Informationen zu dem Fall und die Ergebnisse der ersten Ermittlungsschritte. Der Bericht selbst enthielt sämtliche protokollierten Zeugenaussagen der im Laufe der Ermittlungen befragten Personen.32 Jedes Protokoll folgte einem einheitlichen Muster: Einleitend erklärte die oder der Befragte, dass die Aussage freiwillig und ohne Zwangseinwirkung erfolgt sei. Den Abschluss bildete folgende Formel: »Ich habe diese Aussage gelesen […], und sie entspricht nach meinem besten Wissen und Gewissen der Wahrheit. Ich habe die […] Seiten dieser Aussage unter der letzten Zeile jeder Seite paraphiert und setze meine Unterschrift unter diese wahre Aussage.«33 Darüber hinaus wurde jede protokollierte Zeugenaussage von den ermittelnden Beamten unterschrieben. Diese Protokollvorgaben sollten »juristische Verbindlichkeit« erzeugen und die Verwertbarkeit der Aussagen als gerichtliche Beweismittel sicherstellen.34

Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 32 Ebenda. 33 Ebenda, S. 4–6. 34 Siehe Niehaus/Schmidt-Hanissa, »Textsorte Protokoll«, S. 9. 31

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Der Ermittlungsbericht zum Fall Sutherland zeigt, dass zahlreiche an dem Fall direkt oder indirekt beteiligte Personen befragt wurden. Er enthielt die Aussage von Quinter South, die Stellungnahmen mehrerer seiner Familienangehörigen, Aussageprotokolle von Personen, die South nach dessen Überstellung in das Jugendgefängnis von Atlanta gesehen hatten, des Weiteren die Zeugenaussage des beschuldigten W. F. Sutherland sowie die Stellungnahmen zahlreicher anderer Polizisten und Angestellten des Atlanta Police Department.35 Der Bericht dokumentiert, dass sämtliche der befragten Polizeikräfte abstritten, dass Quinter South im Polizeihauptquartier von Atlanta gefoltert wurde. Wie der beschuldigte Sutherland in Anwesenheit seines Anwalts sowie der beiden FBI-Beamten Hassig und Angell zu Protokoll gab, habe er South »zu keiner Zeit misshandelt«.36 Diesen Aussagen standen diejenigen von South und weiteren Zeuginnen und Zeugen diametral entgegen. Der FBI-Bericht vermerkt, dass South am 11. März 1940 im Jugendgefängnis von Fulton County zu den von ihm erhobenen Foltervorwürfen befragt wurde, wo er zu Protokoll gab, dass er am 26. Februar 1940 gemeinsam mit vier weiteren afroamerikanischen Jugendlichen von vier Polizisten des Atlanta Police Department aufgegriffen und wegen eines Einbruchsvorwurfs festgenommen worden sei. Zwei Tage darauf sei er, gemeinsam mit zwei der Festgenommen, dem 18-jährigen John Biggs und dem 16-jährigen Alfonso Jamieson, von den Polizisten W. F. Sutherland und M. R. Dodd in den sogenannten Fingerprint Room des Polizeihauptquartiers gebracht worden. Anschließend habe ihn Sutherland in einen kleinen benachbarten Raum geführt, der wohl für das Anfertigen und Entwickeln von Fotografien genutzt wurde. Unmittelbar darauf habe Sutherland ihn zum ersten Mal geohrfeigt und in den Bauch geschlagen und behauptet, dass er es gewesen sei, der den Einbruch verübt habe, und dass er besBericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 36 Aussage von W. F. Sutherland, Atlanta, GA , 15. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 31–32. 35

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ser die Wahrheit sagen solle.37 Trotz der Schläge habe er sich geweigert, ein Geständnis abzulegen, so South weiter, woraufhin ihn Sutherland zunächst wieder aus dem Raum geführt habe. Anschließend habe Sutherland erst Alfonso Jamieson und danach John Biggs in den Nebenraum gebracht. In beiden Fällen, so South, habe er aus dem Raum Geräusche vernommen, die sich nach Schlägen angehört hätten. Dann habe ihn Sutherland erneut in den Raum geführt,38 wo Folgendes geschehen sei: »Mr SUTHERLAND redete eine Weile mit mir und verlangte dann von mir, dass ich meine Finger unter einen Papierschneider lege, dann sagte er, er hätte eine bessere Idee, woraufhin er ein elektrisches Eisen zur Hand nahm und es in die Steckdose steckte. Wir warteten dann ungefähr fünf Minuten, bis das Eisen heiß war. SUTHERLAND legte dann ein Tuch über das Eisen, um dessen Hitze zu testen, dann zog er das Tuch weg und stieß das Eisen in meine Richtung. Ich dachte, dass er mir eine Verbrennung zufügen wollte, riss meinen linken Eisen39 [sic] hoch und bekam einen Brandfleck an meinem Unterarm, in der Mitte zwischen Ellenbogen und Handgelenk. Ich weiß nicht, ob er die Absicht hatte, mir eine Verbrennung an der Stelle am Arm zufügen, wo er es tat, aber ich weiß, dass ich dachte, dass er mir eine Verbrennung zufügen wollte, deshalb riss ich meinen Arm hoch, um mich zu verteidigen.«40 Das Zitat macht deutlich, dass das FBI die Aussage von Quinter South in ein gerichtlich verwertbares Protokoll überführte, dessen Funktion darin bestand, rechtlich relevante Informationen über die mutmaßlichen Strafhandlungen und die zeitliche Ab-

Aussage von Quinter South, Atlanta, GA, 11. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 4–6, hier: S. 4 (die Namen sind hier wie auch in den weiteren Zitaten aus FBI-Protokollen im Original durch Großbuchstaben hervorgehoben). 38 Ebenda. 39 Unterstreichung im Original. Hier heißt es »iron« statt »arm« beziehungsweise »Arm«. Das Wort wurde vermutlich falsch protokolliert und danach von den FBI-Agenten durch die Unterstreichung markiert. 40 Ebenda, S. 5. 37

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folge der Geschehnisse zu versammeln. Dies zeigt sich auch in der weiteren Schilderung des Tathergangs: »Nach dieser Verbrennung fragte er mich, ob ich die Wahrheit sagen würde, woraufhin ich antwortete, dass ich die Wahrheit gesagt hatte, als ich angab, dass ich keinerlei Eigentum gestohlen hätte und nicht in die Sporthalle der Clark Universität eingebrochen wäre. Anschließend stieß er mich erneut mit dem Eisen und verbrannte mich in der Ellbogenbeuge, worauf er mich fragte, ob ich ihm die Wahrheit sagen würde. Danach setzte er die Spitze des Eisens auf meinen Halsansatz oberhalb der Brust, nur leicht, und verlangte erneut von mir, dass ich die Wahrheit sage, woraufhin ich wiederholte, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. SUTHERLAND setze dann das Eisen an dieselbe Stelle an meinem Hals und meiner Kehle und verbrannte mich noch stärker an derselben Stelle. Diese Verbrennung tat so weh, dass ich ihm sagte, ich würde gestehen, da ich keine Verbrennungen oder Schläge mehr verabreicht bekommen wollte.«41 Die Rationalität der Beweiserhebung spiegelt sich darin, dass in der Schilderung des Tatvorgangs auf die Artikulation von physischen oder psychischen Empfindungen wie Angst oder Schmerz nahezu vollständig verzichtet wurde. Letzteres fand nur in dem Abschnitt des Aussageprotokolls Erwähnung, in dem South seine Einwilligung in das Geständnis schilderte: »Diese Verbrennung tat so weh, dass ich ihm sagte, ich würde gestehen […].«42 Der Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass der Schmerzerfahrung als mutmaßlicher Auslöser des Geständnisses rechtliche Relevanz eingeräumt wurde. Die Zitate zeigen, dass der sprachliche Duktus des Aussageprotokolls ganz einer objektiven Wahrheitsfindung untergeordnet war.43 Die Tatsache, dass die Aussage von Quinter South in den FBIBericht aufgenommen wurde, hatte jedoch noch auf einer weiteEbenda. Ebenda. 43 Ebenda, S. 6. Zum Gegenstand des Schmerzes in der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung und der Frage seiner Darstellbarkeit siehe auch Niedermeier, »Schmerz«. 41 42

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ren Ebene Bedeutung: Die rechtliche Relevanz der Foltervorwürfe wurde damit durch die Autorität der US-Regierung und des FBI anerkannt und bestärkt, ihre Gültigkeit durch die Neutralität und Objektivität der eingesetzten Ermittlungsmethoden untermauert. Das mutmaßliche afroamerikanische Folteropfer wurde in den Rang eines vollwertigen Zeugen erhoben und forderte damit die rassistisch codierte Sprechordnung im Justizsystem der Südstaaten heraus, nach der Zeugenaussagen von Schwarzen traditionell eine geringere Wertigkeit zugesprochen wurde als denjenigen von Weißen. Verstärkt wurde dieser Effekt zudem durch die Aussagen zahlreicher Personen, die im Zuge der Ermittlungen befragt wurden und die Foltervorwürfe bekräftigten. So führte etwa Quinter Souths Mutter, Rosa South, in ihrer Stellungnahme aus, dass sie am Tag vor der Festnahme ihres Sohnes durch die Polizei keine Wunden an dessen Körper gesehen habe, was implizit bedeutete, dass ihm die Verletzungen nur in der Polizeistation zugeführt worden sein konnten.44 Auch seine beiden Mithäftlinge John Biggs und Alfonso Jamieson bestätigten die Vorwürfe und erklärten darüber hinaus, dass sie im Zuge ihrer Vernehmungen ebenfalls physisch misshandelt worden seien.45 John Biggs sagte gegenüber dem FBI aus: »Während QUINTER SOUTH mit Mr SUTHERLAND in dem Raum war, hörte ich Geräusche, die danach klangen, dass SOUTH von SUTHERLAND geschlagen wurde. SOUTH blieb etwa zehn Minuten lang mit Sutherland in diesem Raum, und als er herauskam, nahm SUTHERLAND JAMIESON mit in den Raum. […] Während JAMIESON mit Mr SUTHERLAND in dem Zimmer war, hörte ich, dass SUTHERLAND JAMIESON schlug, zumindest hörte ich Geräusche, die so klangen, als würde er geschlagen. JAMIEAussage von Rosa South, Atlanta, GA, 14. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 17–18. 45 Siehe die Aussagen von John Biggs und Alfonso Jamieson, Atlanta, GA , 11. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 8–9, 9–11. 44

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SON war etwa zehn Minuten in dem Zimmer, als SUTHERLAND ihn zurück in den Hauptraum brachte. SUTHERLAND nahm mich dann mit zurück in den Raum und verlangte von mir, dass ich gestehe. Auf meine Weigerung hin verabreichte er mir zahlreiche Schläge. Dann brachte SUTHERLAND JAMIESON zurück in den Raum, und diesmal gestanden wir beide. Nach diesem Geständnis schlug mir SUTHERLAND zweimal mit der Faust in den Magen.«46 Daraufhin sei South ein zweites Mal in den Raum geführt worden und im Anschluss mit Verbrennungsspuren zurückgekehrt: »Er […] beorderte dann Quinter South zurück in den Raum. Als QUINTER SOUTH dieses zweite Mal im Zimmer war, hörte ich, wie jemand zweimal gegen die Tür geschlagen wurde, und ich nahm an, dass SUTHERLAND SOUTH schlug, so wie er mich geschlagen hatte. SOUTH blieb dieses Mal etwa 20 Minuten in dem Zimmer, und als er herauskam, bemerkte ich, dass er eine Brandwunde an der Kehle hatte, vor der ich annahm, dass sie von einer Zigarette stammte.«47 John Biggs Aussagen bekräftigten die Foltervorwürfe von South in mehrfacher Hinsicht: Sie verifizierten zum einen dessen Angaben zu den räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten. Zum anderen stellten sie eine direkte Beziehung zwischen der hinter verschlossenen Türen stattfindenden Vernehmung von South und den Wunden an seinem Körper her. Indem Biggs bestätigte, dass erst nach dem »Verhör« durch Sutherland Brandwunden an Souths Körper sichtbar gewesen seien, stellte er Sutherlands Aussage fundamental infrage. Und noch ein weiteres Beweismittel sprach für South. Wie Hassig in seinem Bericht erklärte, habe er im Zuge der Ermittlungen mehrere Beweisfotografien angefertigt, auf denen die Wunden des mutmaßlichen Folteropfers zu erkennen seien.48 Drei dieser circa 20 × 25 cm großen

Aussage von John Biggs, Atlanta, GA, 11. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 9–11, hier: S. 11. 47 Ebenda. 48 Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA , 16. 3. 1940, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 1. 46

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Schwarz-Weiß-Fotografien sind in der Fallakte des Justizministeriums zum Fall Sutherland zu finden. Sie wurden vermutlich mit einer Kodak Recomar oder einer Graflex-Speed-GraphicKamera aufgenommen, die nach den Bestimmungen des FBIHandbuchs für den Einsatz bei FBI-Ermittlungen vorgeschrieben waren.49 Eine Beweisfotografie zeigte die mutmaßliche Tatwaffe, das »tacking iron« (siehe Abbildung 8). Die Aufnahme zeigt die Unterseite des elektrischen Eisenkolbens sowie das Stromkabel. Um die Größe der Tatwaffe bestimmen zu können, hatten die Ermittler ein Lineal entsprechend positioniert. Zudem war ein Zettel mit der Unterschrift von Hassig und dessen Vorgesetzten Danner mit abgebildet, vermutlich um die Authentizität der Tatwaffe zu beglaubigen und sicherzustellen, dass das Foto als Beweismittel vor Gericht eingesetzt werden konnte.50 Auf den beiden anderen überlieferten Beweisfotografien ist Quinter South zu sehen. Die frontale Aufnahme von South vor weißem Hintergrund erinnert an ein Fahndungsfoto (siehe Abbildung 9).51 Sein Gesicht ist der Kamera zugewandt. Die linke Hand liegt auf der rechten Schulter, sodass die Wunde am Unterarm zu erkennen ist. Deutlich sichtbar ist außerdem eine vernarbte Stelle am Halsansatz des Jugendlichen.

Manual of Instruction, Federal Bureau of Investigation, 1936, Section 23: Scientific Aids in Criminal Investigations, RWWL, FBI MoI, Microfilm 1473, S. 5. Die FBI-Ermittlungshandbücher enthielten detaillierte Anweisungen zur Anfertigung von Beweisfotografien. FBI-Agenten wurden dazu aufgefordert, sich durch wiederholte Übungen das »akkurate Fotografieren von Objekten und Szenen aus solchen Blickwinkeln« anzueignen, die sich »am besten für die Herstellung fotografischer Beweise eignen«. Grundsätzlich wurde den FBI-Agenten empfohlen, ausreichend viele Ansichten des betreffenden Ermittlungsgegenstands beziehungsweise des Tatorts anzufertigen, »um Fragen zu antizipieren«, die im weiteren Verlauf der Untersuchung aufkommen könnten. Ebenda, S. 5–6. 50 FBI -Fotografie des »tacking iron«, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 51 FBI -Fotografie von Quinter South, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. Zum Medium der Polizeifotografie siehe auch Regener, Fotografische Erfassung. 49

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Abb. 8: FBI-Fotografie des »tacking iron«, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5.

Die FBI-Ermittler benutzten einen hellen Hintergrund und vermutlich einen Blitz, um die einwandfreie Erkennbarkeit beziehungsweise Sichtbarkeit der Verletzungen von South zu gewährleisten. Die Fotografie zeigt unübersehbare Parallelen zur Abbildung von South auf dem im vorherigen Kapitel diskutierten Titelbild des Pittsburgh Courier. Der handschriftliche Vermerk »state 3 W. F. Sutherland« (kurz für: »state exhibit No. 3 W. F. Sutherland« [»Beweisstück der Anklage, Nr. 3 W. F. Sutherland]) auf der Rückseite der Fotografie verweist darauf, dass sie im späteren Prozess gegen Sutherland als Beweismittel eingesetzt wurde. Die Fotografien spielten bei den Ermittlungen eine wichtige Rolle: Indem sie den Zustand des Körpers von South nach der mutmaßlichen Folterung dokumentierten, verifizierten sie die erhobenen Vorwürfe auf scheinbar neutrale und objektive Art und Weise. Nach Roland Barthes besteht eine zentrale Eigenschaft der Fotografie in der »Beglaubigung von Präsenz«.52 Er 52

Barthes, Die helle Kammer, S. 97.

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Abb. 9: FBI-Fotografie von Quinter South, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5.

spricht in diesem Kontext auch von der »bestätigenden Kraft« des »photographischen Bildes« beziehungsweise von der »Zeugenschaft der Photographie«.53 Die Beweisfotografien im Fall South hatten diese »bestätigende« beziehungsweise »beglaubigende« Wirkung: Sie stellten eine indexikale Beziehung zwischen den Foltervorwürfen von Quinter South und den Wunden an seinem Körper her, und ihre Beweiskraft wurde durch die weitverbreitete Wahrnehmung der Fotografie als objektives und realitätsgetreues Medium bestärkt.54 Ebenda, S. 100. Zum Authentizitätsversprechen der Fotografie siehe auch Becker/Korte, »Visuelle Evidenz?«, S. 1–21. 54 Zum spezifischen Repräsentationsanspruch der Fotografie im Kontext polizeilicher Ermittlungen siehe auch Karallus, »Bildattacken«. Wie Karallus in Bezug auf Tatortfotografien aus dem Berlin des Kaiserreichs konstatiert, lag die spezifische Bedeutung der Fotografien darin, dass ihnen die Fähigkeit 53

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Bekräftigt wurde dies noch durch eine detaillierte Auflistung der körperlichen Merkmale von South auf der Rückseite der Fotografie. Neben Informationen zu Augenfarbe, Alter, »Rasse« und Nationalität enthielt die Liste auch einen Eintrag unter dem Punkt »Narben und Male«, der folgendermaßen lautete: »Bandnarbe am Halsansatz 11/8' [' = Inch (2,54 cm)] × 1' und kleine Brandnarbe am Halsansatz in der Größe eines Stiftes, Bandnarbe in der Ellbogenbeuge, linker Arm; Brandnarbe in der Mitte zwischen Handgelenk und Ellbogen, 1½' × 1', linker Arm.«55 Darüber hinaus beinhaltete der FBI-Bericht auch die Ergebnisse der Untersuchung der Tatwaffe durch das Technische Labor in Washington D. C. Danach betrug die Temperatur des Kolbens nach fünf Minuten Erhitzungzeit etwa 90 Grad Celsius, nach 25 Minuten circa 300 Grad Celsius. Nach den Experten des Labors war eine Temperatur zwischen 55 bis 65 Grad Celsius ausreichend, um Verbrennungen an einem menschlichen Körper hervorzurufen.56 Diese Befunde korrespondierten somit mit der Aussage von Quinter South, der erklärt hatte, dass Sutherland den Kolben etwa fünf Minuten lang erhitzt habe, bevor er ihn damit malträtierte.57 Die Ermittlungsbefunde des FBI verifizierten damit die Foltervorwürfe von Quinter South auf unterschiedlichen Ebenen und stellten dadurch die strikte Leugnung der Folter durch den Beschuldigten Sutherland umfassend infrage. Die Beweiskraft der Ergebnisse wurde durch die Autorität des FBI als professionelle, nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen operierende Ermittlungsbehörde untermauert, die dezidiert an zur »Beglaubigung von Objektivität in dauerhaften materiellen Spuren« zugesprochen wurde. Ebenda, S. 170. 55 Rückseite der FBI -Fotografie von Quinter South, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 56 Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA , 16. 3. 1940, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 34–35. 57 Aussage von Quinter South, Atlanta, GA , 11. 3. 1940, Bericht von Ronald R. Hassig, FBI Special Agent, Atlanta, GA, 16. 3. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5, S. 4–6.

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herrschende Diskurse über Modernität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit anknüpfte.58 Der Blick auf den weiteren Verlauf des Falles zeigt jedoch, dass die Prozeduren der Wahrheitsfindung an die lokalen Machtstrukturen gebunden blieben. Deutlich wurde dies im Gerichtsprozess gegen Sutherland vor dem U. S. District Court in Atlanta, der nach mehrmonatiger Verzögerung im Februar 1941 stattfand. Der Prozess gegen Sutherland

Vor dem US-Bundesgericht in Atlanta wiederholte Quinter South seine Vorwürfe gegen W. F. Sutherland. Wie die Atlanta Daily World berichtete, wurde er von U. S. Assistant Attorney Raymond W. Martin etwa eine Stunde lang zu den Geschehnissen im Atlanta Police Department befragt.59 Danach wurden die Foltervorwürfe sowohl durch die Aussagen von John Biggs, Alphonso Jamieson sowie Rosa South bestätigt.60 Des Weiteren gaben mehrere weiße Zeuginnen und Zeugen, unter anderem der Bewährungshelfer J. N. Starnes, Harold Martin, der Zeitungsreporter der Atlanta Constitution sowie die Zeugin C. E. Harrison, zu Protokoll, deutlich erkennbare Wundstellen am Körper von South nach dessen Verlegung in das Jugendgefängnis von Atlanta gesehen zu haben. Zudem wurden die im Rahmen der FBI -Ermittlungen angefertigten Fotografien sowie weitere Bilder des Pressefotografen der Atlanta Constitution als Beweismittel gegen Sutherland in das Verfahren eingebracht.61 Wie die Berichte der Atlanta Daily World über den Prozess zeigen, stieß das Verfahren gegen Sutherland bei der schwarzen Gemeinde Atlantas auf reges Interesse. Bereits im Vorfeld hatte Zum »forensischen Blick« und der Konstruktion von Evidenz siehe auch Valverde, Law’s Dream of a Common Knowledge, S. 54–85. 59 »Officer Sutherland On Trial in U. S. Court«, Atlanta Daily World, 11. 2. 1941, S. 1, 6. 60 »South’s Cell Mate Tells of Police Brutality«, Atlanta Daily World, 12. 2. 1941, S. 1, 6; »Mother Denies Son Was Burned Before Police Took Him To Jail«, Atlanta Daily World, 13. 2. 1941, S. 1, 6. 61 Ebenda. 58

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die lokale Zeitung auf die symbolische Bedeutung der Anklageerhebung hingewiesen. Der Fall sei zweifelsohne einer der »bedeutendsten Gerichtsprozesse der vergangenen Jahre«. Mit der Anklage gegen Sutherland wolle die Bundesregierung offenbar ihre Bereitschaft demonstrieren, die afroamerikanischen Bürgerrechte im Süden der USA aktiv zu schützen.62 Zum Teil waren mehr als fünfzig afroamerikanische Zuschauerinnen und Zuschauer im Gerichtssaal anwesend, viele davon aus dem schwarzen Bürgertum Atlantas, um den Prozess gegen Sutherland persönlich zu verfolgen:63 »Unter der großen Gruppe farbiger Zuschauer waren Pfarrer, Geschäftsmänner und Führungspersönlichkeiten im bürgerlichen Leben [»civic leaders«]. Mehrere Frauen waren anwesend, unter ihnen drei oder vier Schulmädchen.«64 Die rege Anteilnahme der schwarzen Community machte deutlich, dass der Prozess von symbolischer Bedeutung war. Erstmals bestand die Aussicht, dass die notorische Ausübung illegaler polizeilicher Gewalt gegen Schwarze rechtlich geahndet wurde. In einem Kommentar der Atlanta Daily World hieß es: »Es geht in dem Prozess gegen Sutherland um weit mehr als um die Schuld oder Unschuld dieses weißen Kriminalbeamten, der sich laut Anklage der Bundesregierung zu Folterpraktiken hat hinreißen lassen, die an das Mittelalter erinnern, um einem Negro boy ein falsches Geständnis abzupressen. Die Gründlichkeit, mit welcher der stellvertretende USStaatsanwalt Raymond W. Martin das ›Geständnis‹-System im Atlanta Police Department durchforscht, zeugt davon, dass es die offenkundige Absicht der Bundesregierung ist, mit einer verfassungswidrigen Praxis zu brechen, die in einem freien Amerika allzu lang vorgeherrscht hat.«65 Mit dem Verfahren, so die Daily World weiter, werde erstmals Licht ins Dunkel des gewaltsamen »Geständnissystems« der »Shall Brutalities Continue«, Atlanta Daily World, 31. 3. 1940, S. 4. Ebenda. 64 »›Torture‹ Officer Expected to Testify Today«, Atlanta Daily World, 18. 2. 1941, S. 1. 65 Cliff Mackay, »The Issue At Stake«, Atlanta Daily World, 16. 2. 1941, S. 8. 62 63

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Polizeiinstitutionen im Süden des Landes geworfen. Es sei zu erwarten, dass der Prozess unabhängig von seinem Ausgang einen »abschreckenden Effekt« auf die Polizei in Atlanta haben werde. Insofern könne man dankbar sein, dass Quinter South seine schmerzvollen Misshandlungen wenigstens »nicht umsonst« erlitten habe.66 Doch sollten sich die Hoffnungen der afroamerikanischen Bevölkerung nicht erfüllen. Nach Abschluss der Zeugenaussagen der Anklage rief die Verteidigung zahlreiche Polizeikräfte in den Zeugenstand, um die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe von Quinter South infrage zu stellen. Sie alle sagten aus, dass Sutherland einen »guten Charakter« habe und ein »guter Polizist« sei. Während sich der beschuldigte Sutherland weigerte, persönlich zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, traten zu seiner Verteidigung der Polizeichef von Atlanta, M. A. Hornsby, sowie der Polizeileutnant M. B. Petty in den Zeugenstand, um Sutherlands »guten Ruf als Polizist« hervorzuheben.67 Darüber hinaus äußerten mehrere der polizeilichen Zeugen Zweifel daran, dass der elektrisch erhitzbare Eisenkolben als Tatwaffe infrage kommen könne, da dieser nicht in der Lage sei, Verbrennungen zu verursachen.68 Eine dramaturgische Zuspitzung erreichte das Verfahren am fünften Prozesstag: Nach einer Übereinkunft zwischen der Staatsanwaltschaft und Sutherlands Verteidigern wurde mit Billigung des Richters die mutmaßliche Tatwaffe im Gerichtssaal getestet. Laut Daily World wurde das Gerät im Gerichtsaal von einem Elektriker an eine Stromverbindung angeschlossen und zehn Minuten lang erhitzt. Daraufhin wurde dem Kriminalbeamten J. E. Helms, einem der Zeugen der Verteidigung, die Möglichkeit eingeräumt, die Apparatur vor den Augen des Publikums zu testen. Wie auch andere Zeugen hatte Helms zuvor ausgesagt, dass die Apparatur seiner Meinung nach nicht in der

Ebenda. »Sutherland’s Trial Resumed in U. S. Court«, The Atlanta Constitution, 18. 2. 1941, S. 9. 68 Ebenda. 66 67

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Lage sei, menschliche Haut zu verbrennen.69 Die Daily World schilderte den Test folgendermaßen: »City Detective J. E. Helms rieb das Instrument auf seinem Arm hin und her, und in der Nähe stehende Beobachter gaben an, dass der Arm des Beamten rot wurde.«70 Die Atlanta Constitution schrieb: »Detective J. E. Helms, der zuvor gesagt hatte, dass ›es keine Verbrennungen zufügen werde‹, erhitzte das Eisen zehn Minuten lang und führte es dann über seinen Unterarm. Ein roter Fleck erschien. Helms berührte dann seinen Arm mit der Spitze des Eisens, und sie hinterließ einen roten Abdruck.«71 Nach den Berichten der lokalen Zeitungen wies der öffentliche Test des »tacking iron« die zuvor erhobenen Zweifel an den Aussagen von Quinter South also eher zurück. Auch die Jurymitglieder bekamen noch die Möglichkeit, die Hitzeentwicklung der Apparatur zu testen, das Ergebnis stellte die Position der Verteidigung ebenfalls infrage. Wie in der Daily World ausgeführt wurde: »Mehrere Mitglieder [der Jury, SN], die mit dem Eisen hantierten, gaben zu erkennen, dass das Eisen heiß war, indem sie ihre Hände von dem Instrument wegzogen.«72 Den Zeitungsberichten nach zu urteilen war der Prozess der Wahrheitsfindung vor dem Bundesgericht in Atlanta ein hart umkämpfter Vorgang. Während die Anklageführung der Staatsanwaltschaft mit verschiedensten Beweismitteln die Stichhaltigkeit der erhobenen Foltervorwürfe begründete, berief sich die Verteidigung auf die Aussagen prominenter Polizeikräfte, um die Foltervorwürfe zu entkräften. Der Ausgang des Verfahrens deutet an, dass der Prozess nur sehr bedingt in der Lage war, die lokale Machtposition der Polizei und die damit verknüpften rassistisch codierten Gewaltstrukturen anzugreifen. Trotz der umfassenden Beweislage gegen Sutherland konnten sich die zwölf weißen Geschworenen auch nach langen Beratungen nicht auf einen Urteilsspruch einigen. Nachdem sie eineinhalb Tage lang

»Test Shows Iron Can be Heated«, Atlanta Daily World, 16. 2. 1941, S. 1. »Test ›Torture Iron‹«, Atlanta Daily World, 15. 2. 1941, S. 1. 71 »›Torture‹ Iron Tested in Court«, The Atlanta Constitution, 15. 2. 1941, S. 1. 72 Ebenda. 69 70

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ergebnislos über das Urteil debattiert hatten, gab Richter E. Marvin Underwood bekannt, dass das Verfahren ergebnislos geendet habe (»mistrial«).73 Wie bereits bei Sutherlands Anklage vor dem Fulton Criminal Court im Juni 1940 schreckten die weißen Geschworenen davor zurück, ihn schuldig zu sprechen. Die afroamerikanische Presse Atlantas reagierte resigniert auf diesen Ausgang. Das ausgebliebene Urteil sei eine »bittere Enttäuschung« für Bürgerinnen und Bürger Atlantas »beider Rassen«, die sich erhofft hatten, »dass die Gerechtigkeit in diesem Fall obsiegen werde«, konstatierte die Atlanta Daily World.74 Am Prozess gegen W. F. Sutherland wird deutlich, dass im amerikanischen Süden der 1940er und frühen 1950er Jahre die Erfolgsaussichten der Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte sehr begrenzt waren. Das Gerichtsverfahren ermöglichte es zwar, die weitverbreitete Anwendung polizeilicher Folterpraktiken öffentlich zur Sprache zu bringen. Dies gelang insbesondere durch die Ermittler des FBI, die die Vorwürfe des mutmaßlichen afroamerikanischen Folteropfers eingehend geprüft, belegt und dokumentiert und auf diese Weise die illegalen Foltermethoden in den Polizeirevieren und Gefängnissen des Südens sichtbar gemacht hatten. Auf diese Weise forderte das FBI insgesamt das System der Polizeigewalt im Süden der USA heraus, das auf dem Zusammenspiel zwischen der räumlichen Verborgenheit der Polizeifolter, ihrer offiziellen Leugnung durch polizeiliche Akteure und ihrer Duldung durch lokale Justizbehörden basierte. Der Ausgang des Verfahrens offenbart jedoch die Grenzen der Wahrheitsfindung vor den Gerichten im Süden: Wahrheit und Evidenz blieben aufs Engste an die lokalen Machtverhältnisse angebunden.75

»Sutherland Jury Deadlocks«, Atlanta Daily World, 21. 2. 1941, S. 1. »A Disapointing Result«, Atlanta Daily World, 21. 2. 1941, S. 4. 75 Tagg, The Burden of Representation, S. 3, siehe die Ausführungen zu Evidenz und Macht in der Einleitung. 73 74

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»Erhebliche Missstimmung«: Der Konflikt um die FBI-Ermittlungen im Fall Sutherland

Darüber hinaus macht die Analyse der FBI-Ermittlungsakte im Fall Sutherland deutlich, dass die Untersuchungen von unterschiedlichen Interessen beeinflusst wurden. So kam es bereits bei deren Beginn zu erheblichen Divergenzen zwischen den FBIBeamten und der Führung des Atlanta Police Department. Wie aus mehreren Briefen und Berichten zwischen April und Juni 1940 hervorgeht, wandte sich unter anderem der Polizeichef von Atlanta, M. A. Hornsby, persönlich gegen die Folterermittlungen des FBI im Polizeidepartment von Atlanta. Seine Kritik entzündete sich unter anderem daran, dass sich der FBI-Beamte Hassig geweigerte hatte, mehrere im Voraus angefertigte Stellungnahmen der mutmaßlich beteiligten Polizisten anzuerkennen, und stattdessen darauf bestanden hatte, die polizeilichen Zeugen persönlich zu befragen. Wie der Special Agent in Charge R. G. Danner in einem Bericht an J. Edgar Hoover ausführte, habe er Hornsby erläutert, dass die Ermittlungen vom US-Justizministerium angeordnet worden seien und der ermittelnde Beamte lediglich den FBI-internen Verfahrensvorgaben gefolgt sei.76 Ziel sei es gewesen, eine »faire und unabhängige Untersuchung« durchzuführen, um »an die Fakten zu kommen«. Keinesfalls jedoch sei es beabsichtigt gewesen, den Polizeichef zu erzürnen.77 Die Divergenzen zwischen den FBI-Leuten und der Polizeiführung Atlantas kamen auch in einem internen Bericht von Hassig zur Sprache. Hornsby habe ihm gegenüber die Ansicht geäußert, dass der Fall Sutherland zwangsläufig zum »Aufflammen von Rassenunruhen« in Atlanta führen und einzig aufgrund politischer Interessen des »Nordens« verfolgt werden würde. Zudem habe sich Hornsby dagegen verwahrt, sich von

Brief von R. G. Danner, FBI Special Agent, an J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, Atlanta, GA, 13. 6. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 77 Brief von R. G. Danner, FBI Special Agent, an J. Edgar Hoover, FBI -Direktor, Atlanta, Ga., 30. 4. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 76

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Nordstaatlern in der Frage des Umgangs mit der afroamerikanischen Bevölkerung belehren zu lassen, denn der »durchschnittliche Nordstaatler habe keine Ahnung vom Umgang mit dem Negro-Problem«.78 Diese Vorbehalte des Polizeichefs von Atlanta sollten als Argumentationsmuster auch in anderen bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte aus dem Süden auftauchen. Die föderalen Ermittlungen riefen tief sitzende kulturelle Ressentiments gegenüber der Intervention des Bundes hervor. Die Aktivitäten des US-Justizministeriums wurden von den Amtsträgern im Süden als unberechtigte Einmischung in die eigene Machtsphäre und die lokalen rassistischen Ordnungsstrukturen verurteilt. Darüber hinaus macht der Blick auf den Briefwechsel zwischen FBI-Führung und US-Justizministerium deutlich, dass die Ermittlungen auch zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Behörden und innerhalb des Justizministeriums führten. Auslöser dafür war unter anderem ein Gesuch, das im August 1940 an die Verantwortlichen des USJustizministeriums gerichtet wurde. Um die Chancen für eine Verurteilung von Sutherland zu erhöhen, forderte der Assistant United States Attorney in Atlanta, Raymond W. Martin, zusätzliche Ermittlungen des FBI, die unter anderem belegen sollten, dass Sutherland bereits zuvor Häftlinge gefoltert hatte. Der Prozess könne nur gewonnen werden, wenn es gelänge, Sutherlands Reputation infrage zu stellen.79 Nachdem die Verantwortlichen der Civil Liberties Unit daraufhin das FBI mit der Durchführung dieser Ermittlungen be-

Bericht von Ronald R. Hassig, FBI-Special Agent, an Robert G. Danner, FBI Special Agent in Charge, Atlanta, GA, 29. 4. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 79 Brief von Raymond W. Martin, Assistant United States Attorney, Northern District of Georgia, an O. John Rogge, Assistant Attorney General, Atlanta, GA , 12. 8. 1940, und Brief von Raymond W. Martin, Assistant United States Attorney, an O. John Rogge, Assistant Attorney General, Atlanta, GA, 4. 9. 1940, b NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 78

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auftragt hatten,80 schickte Hoover ein Schreiben an die obere Führungsebene des Justizministeriums, um seine diesbezüglichen Bedenken zu äußern.81 Bereits das im März 1940 durchgeführte Ermittlungsverfahren habe zu erheblichen Komplikationen zwischen dem FBI und dem Polizeidepartment in Atlanta geführt, obwohl dieses mit so viel »Taktgefühl und Diplomatie« durchgeführt worden sei, wie es unter den gegebenen Umständen möglich gewesen sei.82 Erst nach mehrmaligen Treffen zwischen FBI-Repräsentanten und der Führung des Polizeidepartments hätten sich die Beziehungen wieder »normalisiert«. Die nun geforderte Untersuchung, so führte Hoover weiter aus, werde »unzweifelhaft missinterpretiert« werden und das mittlerweile wiederhergestellte »freundliche Verhältnis« zwischen dem FBI und dem Atlanta Police Department erneut »beschädigen«.83 In einer daraufhin verfassten Mitteilung an die Civil Liberties Unit stellte Assistant to the Attorney General Matthews McGuire sowohl die rechtliche Grundlage des Ermittlungsverfahrens gegen Sutherland als auch die Notwendigkeit der zusätzlich angeforderten Ermittlungen infrage. Letztere könnten der Kooperation zwischen dem FBI und lokalen Polizeibehörden nachhaltig schaden: »Auch wenn ich keine Einwände gegen Ihr Anliegen habe, ein Musterverfahren [»test case«] durchzuführen […], tritt eine ernste Situation ein, wenn das Federal Bureau of Investigation auf unzulässige Weise in die Angelegenheit eingeschaltet wird. Das Bureau muss zur Erfüllung seiner Aufgaben perMitteilung von O. John Rogge, Assistant Attorney General, an J. Edgar Hoover, Washington D. C., 30. 8. 1940, NARA, RG 65/44, Box 42, File 44–330. 81 Mitteilung von J. Edgar Hoover an Matthew F. McGuire, The Assistant to the Attorney General, Washington D. C., 25. 9. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. Hoovers Schreiben richtete sich an Matthew F. McGuire, der als Assistent des Justizministers (The Assistant to the Attorney General) die dritthöchste Position im Justizministerium innehatte und offiziell die Aufsicht über das FBI wahrnahm. 82 Ebenda. 83 Ebenda. 80

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manent mit örtlichen Polizeibehörden zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit wird wahrscheinlich zum Erliegen kommen, falls das Federal Bureau of Investigation verpflichtet wird, Folterbeschwerden, die gegen eine örtliche Polizeibehörde vorgebracht werden, zu untersuchen, besonders angesichts der Tatsache, dass die Zuständigkeit des Bundes in diesen Angelegenheiten fraglich ist, um es vorsichtig auszudrücken.«84 Nachdem McGuire die Ermittlungsanweisung zunächst vorübergehend außer Kraft gesetzt hatte, wurden die zusätzlichen Ermittlungen gegen Sutherland nach einer internen Konferenz zwischen ihm, seinem Mitarbeiter Alexander Holtzhoff sowie Henry Schweinhaut, dem Leiter der Civil Liberties Unit, abgesagt.85 Die Bürgerrechtsinitiative der Civil Liberties Unit wurde also nicht uneingeschränkt vom Justizministerium unterstützt. Hoovers Reaktion macht auch deutlich, dass die Führung des FBI nicht bereit war, die Arbeitsbeziehungen zwischen dem FBI und lokalen Polizeibehörden aufs Spiel zu setzen.86 Nach dem ergebnislosen Ausgang des ersten Verfahrens fand im November 1941 ein zweites Verfahren gegen Sutherland statt. In der Zwischenzeit war das FBI trotz der abermals erhobenen Einwände von Hoover von den Verantwortlichen des US -Justizministeriums dazu verpflichtet worden, zusätzliche Ermittlungen gegen Sutherland einzuleiten.87 Doch trotz dieser

Mitteilung von Matthew F. McGuire, The Assistant to the Attorney General, an O. John Rogge, Assistant Attorney General, Washington D. C., 30. 9. 1940, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 85 Mitteilung von Matthew F. McGuire, The Assistant to the Attorney General, an Wendell Berge, Assistant Attorney General, Washington D. C., 29. 1. 1941, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 86 Zu der bis in die 1960er Jahre hinein anhaltenden ambivalenten Haltung der FBI -Führung und Teilen des US-Justizministeriums gegenüber der Bürgerrechtskampagne der Civil Rights Section siehe Elliff, »Aspects of Federal Civil Rights Enforcement«. 87 Mitteilung von J. Edgar Hoover, FBI -Direktor, an Matthew F. McGuire, The Assistant to the Attorney General, Washington D. C., 1. 5. 1941, und Mitteilung von Matthew F. McGuire, The Assistant to the Attorney Gene84

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Untersuchungen endete auch der zweite Prozess gegen Sutherland vor dem US-Bundesgericht in Atlanta ohne Ergebnis. Abermals hatten sich die Geschworenen mehrere Stunden lang erfolglos über ein Urteil beraten.88 Nachdem in der Folgezeit weitere Bemühungen unternommen worden waren, um ein drittes Verfahren anzustrengen, stellte das US-Justizministerium im Juni 1944 auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Atlanta die Ermittlungen gegen Sutherland ein.89 Zuvor war Quinter South in den Kriegsdienst eingezogen worden.90 Wie der amtierende U. S. Attorney von Atlanta, M. Neil Andrews, die Entscheidung begründete, seien die Zeugen des Verfahrens aufgrund des Krieges in verschiedene Teile der Welt verstreut. Zudem sei zuvor alles versucht worden, um vor dem Krieg eine erneute Ansetzung des Verfahrens zu erreichen. Nach Ansicht seiner Behörde wäre ein nun durchgeführtes Verfahren »guten Rassenbeziehungen nicht zuträglich«.91 Der ergebnislose Ausgang des Verfahrens gegen W. F. Sutherland sollte sich als paradigmatisch für die weiteren Prozesse gegen Polizeikräfte in den 1940er und frühen 1950er Jahren erweisen. In zahlreichen dieser Fälle wurden angeklagte Polizisten oder Sheriffs trotz erdrückender Beweislast von erhobenen Folral, an J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, Washington D. C., 29. 9. 1941, NARA , RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 88 »Officer Again On Trial in Torture Case«, Atlanta Daily World, 14. 11. 1941, S. 4; »Police Torture Case Ends in 2nd Mistrial«, Atlanta Daily World, 20. 11. 1941, S. 1, 4. 89 Mitteilung von James Rowe Jr., The Assistant Attorney General, an J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, Washington D. C., 5. 3. 1942, und Brief von Tom C. Clark, Assistant to the Attorney General, an M. Neil Andrews, United States Attorney, Northern District of Georgia, Washington D. C., 20. 6. 1944, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 90 Mitteilung von Wendell Berge, Assistant Attorney General, an J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, Washington D. C., 20. 3. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. 91 Brief von M. Neil Andrews, United States Attorney, Northern District of Georgia, an Francis Biddle, Atlanta, GA, 13. 6. 1944, NARA, RG 60/144, Box 17583, Fol. 144–19–5. Zu den während des Zweiten Weltkriegs stattfindenden gewaltsamen »Rassen«-Unruhen in Detroit und zahlreichen weiteren Städten der USA siehe Sitkoff, »Racial Militancy«.

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tervorwürfen freigesprochen. Ein maßgebliches Motiv dafür war die Sorge der Geschworenen, dass eine Verurteilung von Polizeikräften die lokalen Macht- und Ordnungsstrukturen und das daran geknüpfte System der Segregation gefährden könnte. Die Untersuchung einzelner Verfahren zeigt, dass sogar bereits die Ermittlungen des FBI den Widerstand der lokalen weißen Bevölkerung hervorriefen. Besonders deutlich wurde dies in einem Ermittlungsverfahren, das 1942 vom US-Justizministerium eingeleitet wurde.

Weißer Widerstand: Das Verfahren gegen Edwin E. Evans und Henry F. Faucett Im Oktober 1942 ordnete das US-Justizministerium FBIErmittlungen gegen den Sheriff von Macon County, Alabama, Edwin E. Evans und dessen Hilfssheriff Henry F. Faucett an. Ihnen wurde vorgeworfen, den African American Walter Gunn getötet und außerdem zahlreiche schwarze Gefangene körperlich misshandelt und zu Tatgeständnissen gezwungen zu haben. Darüber hinaus wurde ihnen die Misshandlung mehrerer weißer Tatverdächtiger zur Last gelegt.92 Ausgelöst wurde das Ermittlungsverfahren durch einen Bericht des FBI Field Office in Birmingham, Alabama. Einer der lokalen FBI-Beamten berichtete, von einer weißen Person über mögliche Bürgerrechtsverstöße durch Sheriff Evans und Hilfssheriff Faucett informiert worden zu sein. Nachdem die FBIFührung den Bericht an das US-Justizministerium weitergeleitet hatte, wurde das FBI zwei Wochen später offiziell mit Ermittlungen gegen Evans und Faucett beauftragt.93

»U. S. Attorney Ready To Try Macon Sheriff«, in: The Montgomery Advertiser, 20. 6. 1943, S. 1. 93 Mitteilung von FBI -Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL , 9. 10. 1942; Brief von J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, an Wendell Berge, Assistant Attorney General, Washington D. C., 15. 10. 1942; Mitteilung von Wendell Berge an J. Edgar Hoover, Washington D. C., 24. 10. 1942, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 92

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Im Zuge der Ende Oktober 1942 eingeleiteten Ermittlungen bestätigten zahlreiche Zeuginnen und Zeugen die Gewaltvorwürfe gegen Evans und Faucett. Eugene Brown, eines der mutmaßlichen schwarzen Folteropfer, erklärte, er sei im März 1942 wegen des Diebstahls von Autoreifen festgenommen worden. Daraufhin hätten ihn Evans und Faucett zunächst in ein Waldstück abseits der Straße zwischen Tuskegee und Auburn gebracht. Dort sei er mit Handschellen an einen Baum gebunden und mit schweren Stöcken, Ästen sowie einem Blackjack geschlagen worden, um ein Geständnis von ihm zu erzwingen. Trotz seiner Unschuldsbeteuerungen sei er ins Gefängnis von Tuskegee gebracht worden. Am nächsten Abend hätten ihn Evans und Faucett in einem Waldstück an der Straße nach Shorters, Alabama, so lange geschlagen, bis er bewusstlos geworden sei.94 Auch die African American Lillie Mae Hendon erhob massive Foltervorwürfe gegen die beiden Männer. Hendon war von ihnen im Juli 1942 festgenommen worden, nachdem ein afroamerikanischer Bürger sie beschuldigt hatte, ihm 154 Dollar gestohlen zu haben. Hendon gab dem FBI gegenüber an, Evans und Faucett hätten sie mit einem Blackjack und einem Gehstock schwer geschlagen, um sie zu einem Geständnis zu zwingen. Kurz nach ihrer Entlassung wurde sie von dem ortsansässigen weißen Anwalt und Abgeordneten im Repräsentantenhaus von Alabama, Henry Neill Segrest Hendon, in seiner Kanzlei zu den Geschehnissen befragt. Mehrere weiße Amtsträger waren dort zugegen, um die Misshandlungen zu bestätigen.95 Die Vorgänge zeigen, dass es auch in Teilen der lokalen weißen Bevölkerung Vorbehalte gegenüber den polizeilichen Gewaltpraktiken gab,96 was das Bild der scheinbar homogenen weißen Community im Süden der USA infrage stellt. Der Fall Evans/ Faucett verweist vielmehr auf Überlappungen zwischen den unterschiedlichen »rassischen« und sozialen Fraktionen innerEbenda. Bericht von FBI-Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL, 9. 10. 1942, NARA , RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 96 Ebenda; FBI -Bericht, Special Agent Hugh A. Page Jr., 10. 11. 1942, Charlotte, NC, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 94 95

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halb der lokalen Bevölkerung. Bundesbehördliche Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte konnten demnach zu temporären Koalitionen zwischen unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung führen, die sich gemeinsam gegen die ausgeübte Polizeigewalt wandten. Wie Robert J. Norell in seiner grundlegenden Arbeit zur Bürgerrechtsbewegung in Tuskegee, Alabama, gezeigt hat, startete die dortige afroamerikanische Bürgerschaft bereits im Anschluss an die Ermordung von Walter Gunn im Juni 1942 eine Initiative gegen Sheriff Edwin E. Evans und dessen Hilfssheriff Henry Faucett. Laut übereinstimmenden Zeugenaussagen hatte Evans das mutmaßliche Opfer vor seinem Tod mit Handschellen, einem Blackjack und einem Pistolengriff auf den Kopf geschlagen. Bei der anschließenden Flucht wurde Gunn von Faucett angeschossen und von Evans und Faucett bis zu seinem Wohnhaus verfolgt. Kurz darauf wurde Gunn im Hinterhof seines Wohnhauses tot aufgefunden. Eine daraufhin durchgeführte Autopsie durch drei weiße Ärzte schien die direkte Ursache für Gunns Tod nicht eindeutig klären zu können.97 Die Ärzte gaben an, dass Gunn vermutlich im Zuge der Flucht vor den Sheriffs durch einen Sturz auf einen hinter seinem Haus liegenden Motorblock ums Leben gekommen sei. Dagegen waren die Angehörigen der schwarzen Community davon überzeugt, dass die beiden Sheriffs Gunn getötet hatten. In Reaktion auf den Vorfall riefen der an der Tuskegee University lehrende Professor und Bürgerrechtsaktivist Charles C. Gomillion sowie die Mitglieder der Tuskegee Civic Association im August 1942 einen Fonds ins Leben und forderten die lokale afroamerikanische Bevölkerung öffentlich zu Spenden auf, um ein Verfahren gegen Evans und Faucett anstrengen zu können. Zahlreiche Mitglieder der Civic Association waren Angehörige der Tuskegee University, die im späten 19. Jahrhundert von Booker T. Washington gegründet worden war und als landesweit bekannte und größte schwarze Universität im Süden der 97

Aussage von Dr. H. W. Nixon, Bericht von Special Agent Hugh A. Page, Jr., 10. 11. 1942, Charlotte, NC, S. 24–25, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3.

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USA eine herausgehobene Stellung im Bezirk Macon County einnahm.98 Unterstützt wurden diese Protestbekundungen gegen Evans und Faucett auch von Vertretern der lokalen weißen Einwohnerschaft, die Besorgnis angesichts der Amtsführung von Sheriff Evans zeigten. Unter anderem forderten der bereits erwähnte Anwalt Segrest sowie Frank Carr, der amtierende Bürgermeister von Tuskegee, den Gouverneur von Alabama dazu auf, eine Entlassung Evans aus dem Sheriffdienst zu prüfen.99 Im Laufe der FBI-Ermittlungen bestätigten mehrere weiße Zeuginnen und Zeugen die Vorwürfe gegen Evans und Faucett. Unter anderem wurde ausgesagt, dass Lillie Mae Hendons Körper deutliche Spuren von Gewalteinwirkungen aufgewiesen habe. So gab etwa der in der Gesundheitsabteilung der Bezirksverwaltung von Macon County tätige weiße Arzt Dr. Murray Smith gegenüber dem FBI zu Protokoll, dass er im Büro von Henry Neill Segrest eine schwarze Frau gesehen habe, die offensichtlich geschlagen worden war: »[Sie] schien auf seltsame Weise zu sitzen, offenkundig konnte sie nicht gerade sitzen. Sie zog die Kleider über ihre Hüften, und ich sah, dass ihre Hüften und die Rückseiten ihrer Beine oberhalb des Knies Blutergüsse aufwiesen, und es gab erhebliche Verfärbungen. Es wurde nicht gesprochen, und ich wusste nicht, was mit ihr geschehen war, obwohl es so aussah, als sei sie ausgepeitscht worden.«100 Smiths Beobachtungen wurden von Henry Asa Vaughan, einem weißen Mitglied des Stadtrats von Tuskegee, bestätigt, der ebenfalls zur Gegenüberstellung in Segrests Büro geladen worden war: »Sie hatte Angst vor mir, ich vermute, weil sie nicht wusste, ob ich sie den Beamten übergeben würde oder warum ich dort erschienen war. Nachdem Mr SEGREST darauf bestand, zog sie ihre Kleider hoch, und ich sah, dass beide Gesäßhälften und die Rückseiten beider Beine oberhalb ihrer Siehe Norrell, Reaping the Whirlwind, S. 44–58. Ebenda, S. 54. 100 Aussage von Dr. Murray Smith, Bericht von FBI -Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL, 9. 4. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 98 99

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Knie blutunterlaufen waren. Ihre Augen waren blutunterlaufen, eines schlimmer als das andere. […] Ich sah sie an dem Tag, an dem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, dies war einige Tage, nachdem sie angeblich geschlagen worden war.«101 Des Weiteren wurden Hendons Foltervorwürfe von mehreren afroamerikanischen Zeuginnen und Zeugen bestätigt. Mary Elza Lundy, eine Bekannte von Hendon, gab zu Protokoll, das mutmaßliche Folteropfer kurz nach der Haftentlassung gesehen zu haben: »Als sie nach Hause kam, konnte ich sehen, dass sie überall Blutergüsse hatte, ihr Gesicht und ihre Augen waren immer noch geschwollen, ihre Hüfte war blutunterlaufen, und ihre Augen schmerzten so sehr, dass ich ihr eine Sonnenbrille zum Tragen gab.«102 Wie im Fall Hendon untermauerten die FBI-Ermittlungen auch die Foltervorwürfe von Eugene Brown. Mehrere von dessen damaligen Mithäftlingen erklärten, dass Browns Körper nach seiner Einlieferung in das Gefängnis von Tuskegee deutliche Spuren körperlicher Misshandlungen gezeigt habe. So erinnerte sich Willie Jenkins: »Als sie ihn hereinbrachten […], war sein Kopf geschwollen, sein Auge war rot, und er konnte es kaum aushalten, wenn irgendjemand ihn auch nur berührte. Er hatte Blut an seiner Kleidung und seiner Mütze, und er blutete. Er konnte nicht gehen. EUGENE sagte, dass sie ihn an einen Baum gebunden hatten, während sie ihn abwechselnd auspeitschten und am liebsten zu Tode gepeitscht hätten. Er hatte auch Lehm an seinen Kleidern. Es sagte, sie wollten herausbekommen, dass er ein paar Reifen gestohlen hatte, aber er sagte, dass er nichts über die Reifen wisse.«103 Aussage von Henry A. Vaughan, Bericht von FBI-Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL, 9. 4. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 102 Aussage von Mary Elza Lundy, Bericht von FBI -Agent Edwin D. Kuykendall, Birmhingham, AL, 9. 4. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 103 Aussage von Willie Jenkins, Bericht von FBI -Agent Edwin D. Kuykendall, Birmhingham, AL, 9. 4. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 101

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Neben Hendon und Brown machten die FBI-Ermittler noch zahlreiche weitere afroamerikanische Folter- und Gewaltopfer ausfindig. Offenbar nutzten Evans und Faucett die Androhung und willkürliche Ausübung von Gewalt als ein Mittel, um mutmaßliche Straftäter zu disziplinieren und die Herrschaftsgewalt des Sheriffdepartments auf informellem Wege aufrechtzuerhalten. Gewaltmaßnahmen richteten sich auch nicht ausschließlich gegen die schwarze Bevölkerung. So gab der weiße Bürger Readie Glenn Huguley gegenüber den FBI-Beamten an, dass ihn Faucett bei seiner Festnahme wegen eines angeblichen Verkehrsdelikts mehrfach ohne Grund in den Magen und ins Gesicht geschlagen habe. Huguley sollte auch im späteren Prozess gegen Evans und Faucett aussagen.104 Die Ermittlungen des FBI bekräftigten also in jeder Hinsicht die Vorwürfe gegen Evans und Faucett. Gleichzeitig riefen sie jedoch den Widerstand weiter Teile der lokalen weißen Bevölkerung hervor. Bereits zu Beginn der Ermittlungen hatte der lokale U. S. District Attorney E. Burns Parker die Vermutung geäußert, dass eine Verurteilung gegen die beiden Sheriffs nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu erreichen sei: »Angesichts der Umstände vor Ort und der Vorurteile, mit denen Sie vertraut sind, wird eine Verurteilung gewiss nicht einfach sein, um es milde auszudrücken. Zusätzlich zu anderen Faktoren haben die Angeklagten den enormen Vorteil, dass im Mittelpunkt des Falls immer noch ein Sheriff steht. Die Sheriffs von Alabama sind engmaschig organisiert und treffen enge Absprachen, und jeder Einfluss, den sie geltend machen können, wird voraussichtlich zugunsten der Betreffenden genutzt werden. Es muss auch daran erinnert werden, dass unsere Geschworenen aus dieser Gegend kommen und dass der Sheriff alles über jeden von ihnen wissen wird.«105

Bericht von FBI-Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL, 1. 6. 1943, NARA , RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 105 Brief von E. Burns Parker, U. S. Attorney, Middle District of Alabama, an Francis Biddle, Attorney General, Montgomery, AL, 21. 1. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 104

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Tatsächlich führten die Ermittlungen gegen Evans und Faucett dann auch dazu, dass sich Sheriffs und Polizisten aus Alabama zugunsten der beiden Beschuldigten engagierten. So berichtete U. S. District Attorney Parker drei Wochen vor Beginn des Verfahrens gegen die beiden Männer, dass mehrere Mitglieder der Sheriff’s and Peace Officer’s Association of Alabama zu einer Spendensammlung aufgerufen hatten, um sie im bevorstehenden Prozess zu unterstützen. Zudem sei zu erwarten, dass die Sheriffs aus den umgebenden Bezirken von Macon County die Auswahl der Jurymitglieder für das Verfahren gegen Evans und Faucett beeinflussen würden.106 Der lokale weiße Widerstand gegen die Ermittlungen zeigte sich auch daran, dass mehrere der afroamerikanischen Zeuginnen und Zeugen nach ihren Aussagen gegenüber dem FBI massiv eingeschüchtert und bedroht wurden.107 Zudem zirkulierte in der Region das Gerücht, dass die weiße Bevölkerung im Falle einer Verurteilung von Evans und Faucett all jene Bezirke in Alabama verlassen müsse, in denen die schwarze Bevölkerung in der Überzahl sei. Wie in vielen weiteren Bezirken des Black Belt war Macon County mehrheitlich von African Americans bevölkert, während die weiße Bevölkerung aufgrund der herrschenden Wahldiskriminierung die Mehrheit der Wahlberechtigten stellte. Das Gerücht brachte die Befürchtung zum Ausdruck, dass eine Verurteilung der Sheriffs die politischen Machtverhältnisse zugunsten der schwarzen Bevölkerung verschieben könnte.108 Kurz: Das Verfahren gegen Evans und Faucett wurde von zahlreichen Angehörigen der lokalen weißen BeBrief von E. Burns Parker, U. S. Attorney for the Middle District of Alabama, an Francis Biddle, Attorney General, Montgomery, AL, 28. 5. 1943; Mitteilung von James Rowe Jr. an J. Edgar Hoover, Washington D. C., 5. 6. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 107 Brief von D. K. Brown, FBI Special Agent in Charge, an J. Edgar Hoover, FBI -Direktor, Birmingham, AL , 20. 5. 1943, NARA , RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 108 Brief von E. Burns Parker, U. S. Attorney for the Middle District of Alabama, an Wendell Berge, Assistant Attorney General, Montgomery, AL, 20. 5. 1943; Bericht von FBI Special Agent Edwin D. Kuykendall, Birmingham, AL, 1. 6. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17575, Fol. 144–2–3. 106

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völkerung als eine Bedrohung für die lokalen Machtverhältnisse wahrgenommen. Der Prozess gegen Evans und Faucett

Deutlich wurde dies auch im Prozess gegen Evans und Faucett, der am 20. Juni 1943 vor dem Bundesgericht in Opelika, Alabama, begann. Seine große Bedeutung zeigte sich nicht zuletzt an dem starken öffentlichen Interesse, das bereits am Wochenende vor Beginn des Prozesses einen »Siedepunkt« erreichte, wie der Montgomery Advertiser schrieb.109 Mehr als dreihundert Polizisten und Sheriffs aus mehreren Distrikten Alabamas nahmen an dem Verfahren teil.110 Laut Anklageschrift wurden Evans und Faucett dreizehn Fälle von Polizeibrutalität zur Last gelegt, die über einen Zeitraum von drei Jahren verübt worden seien. Im Fall einer Verurteilung drohten den Beschuldigten ein Jahr Haft und eine Strafzahlung von 1000 Dollar.111 Die Berichte der lokalen Presse verweisen auf die symbolische Bedeutung des Verfahrens gegen Evans und Faucett. Die afroamerikanischen Zeuginnen und Zeugen eigneten sich das Gerichtsverfahren an, um auf die von ihnen erlittenen Bürgerrechtsverstöße aufmerksam zu machen und rechtliche Sanktionen für ihre Misshandlungen einzufordern. Seitens der Angeklagten und deren Verteidiger hingegen wurde der Prozess genutzt, um die durch die Anklageerhebung infrage gestellten rassistischen Hierarchien und Ordnungsstrukturen wiederherzustellen. Besonders deutlich wurde dies im Zuge der Aussage von Lillie Mae Hendon, die als erste Zeugin der Staatsanwaltschaft vor Gericht erschien. Sie gab detailliert über die nach ihrer Festnahme erlittenen Misshandlungen durch Evans und Faucett Auskunft.112 »Trial of Macon Officials Stirs Fever Pitch Interest«, The Montgomery Advertiser, 21. 6. 1943, S. 1. 110 »Macon County Sheriff, Deputy Are Acquitted«, The Montgomery Advertiser, 25. 6. 1943, S. 1, 3. 111 »Trial of Macon Officials Stirs Fever Pitch Interest«, The Montgomery Advertiser, 21. 6. 1943, S. 1. 112 »Negro Woman Tells U. S. Court Sheriff And Deputy Beat Her«, The Birmingham News, 21. 6. 1943, S. 1, 2. 109

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Dabei wurde sie, wie der Advertiser berichtete, von einem der Anwälte der Angeklagten unterbrochen und aufgefordert, ihr Kleid weiter nach unten zu ziehen: »Man muss sagen, dass Lilly [sic] Mae Anlass zu einigen Kommentaren über ihren Auftritt im Zeugenstand bot, als Jake Walker, Anwalt der Verteidigung, sie aufforderte, ihr Kleid herunterzuziehen. Sie saß in einer Haltung vor den Geschworenen, die durchaus als Filmpose bezeichnet werden konnte. Jemand begann, über Mr Walkers Ermahnung zu lachen, und Richter Kennamer warnte, dass der Gegenstand des Verfahrens ernst sei und er, falls jemand dies anders sähe, ihn oder sie ins Gefängnis werfen werde.«113 Die degradierende Bemerkung des Verteidigers zielte ganz offensichtlich darauf, die afroamerikanische Zeugin zu verunglimpfen und die patriarchalisch und rassistisch codierten Hierarchien wieder zurechtzurücken, die durch ihre Anschuldigungen gegen die beiden Sheriffs infrage gestellt worden waren. Im Anschluss an Hendons Aussage bestätigten Henry Neill Segrest und Tuskegees Bürgermeister Frank Carr ihre Foltervorwürfe. Beide Zeugen erklärten, dass Hendons Körper nach ihrem Aufenthalt im Gefängnis von Tuskegee schwere Blutergüsse aufgewiesen habe, die vom Rücken bis hinunter zu den Knien reichten.114 Der Polizeichef gab zu Protokoll, dass sich Evans ihm gegenüber mit der Tat gebrüstet habe: »Polizeichef Trasher aus Tuskegee sagte aus, dass ihm Sheriff Evans, einige Zeit, nachdem Lilly Mae Hendon aus der Haft entlassen worden war, erzählt habe, dass er Lilly Mae windelweich geprügelt habe [»he had slapped hell out of Lilly Mae«]«, berichtete der Advertiser.115 Auch ranghohe Vertreter der lokalen weißen Bevölkerung unterstützten also die Anklageerhebung gegen Evans und Faucett.116

»Witness Parade Against Macon Sheriff in U. S. Trial«, The Montgomery Advertiser, 22. 6. 1943, S. 1, 7. 114 Ebenda. 115 Ebenda. 116 Siehe Norrell, Reaping the Whirlwind, S. 54. 113

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Eugene Brown sagte ebenfalls gegen Evans und Faucett aus. Aufgrund der erlittenen Gewalt beim Verhör habe er dauerhafte Verletzungen davongetragen. Wie im Fall Hendon untermauerten die Stellungnahmen mehrerer Zeugen seine Aussagen. Unter anderem bestätigte der weiße Arzt Dr. Harry Winters aus Tuskegee die zahlreichen Verletzungen Browns während seines Gefängnisaufenthalts. Zudem traten mehrere afroamerikanische Ex-Mithäftlinge von Brown in den Zeugenstand, um über dessen körperlichen Zustand während seiner Inhaftierung zu berichten.117 Im weiteren Verlauf des Prozesses sagten insgesamt elf weitere mutmaßliche Gewaltopfer gegen Evans und Faucett aus, unter ihnen auch der bereits erwähnte weiße Zeuge Readie Glenn Huguley, der vor Gericht die bereits im Zuge der FBI-Ermittlungen erhobenen Vorwürfe bekräftigte.118 Nachdem die Zeugen der Staatsanwaltschaft ihre Aussagen abgeschlossen hatten, luden die Verteidiger von Evans und Faucett Dutzende Personen in den Zeugenstand, um die erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Sheriff Evans sagte aus, dass weder er noch seine Angestellten jemals Gefangene geschlagen hätten.119 Eine Strategie der Verteidigung bestand nun darin, die Reputation und Glaubwürdigkeit der Zeuginnen und Zeugen der Staatsanwaltschaft in Zweifel zu ziehen. Unterstützung fand diese Vorgehensweise unter anderem bei der lokalen Presse, die mit unverhohlener Parteinahme für die angeklagten Polizeibeamten über die Auftritte der Zeuginnen und Zeugen der Verteidigung berichtete. So schrieb der Montgomery Advertiser, dass nach und nach »prominente weiße Bürger« aus Macon County in den Zeugenstand getreten seien, um »die Kriminellen und die Übrigen zu diskreditieren«, die zuvor von der Staatsanwaltschaft in den Zeugenstand geschickt worden waren.120 »Witness Parade Against Macon Sheriff in U. S. Trial«, The Montgomery Advertiser, 22. 6. 1943, S. 1, 7. 118 Ebenda. 119 »Sheriff Takes Stand During Brutality Case, Denies Beating Negro«, The Birmingham News, 23. 6. 1943, S. 1, 8. 120 »U. S. Witnesses Under Fire By Evans Defense«, The Montgomery Advertiser, 23. 6. 1943, S. 1, 2. 117

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Die von der Verteidigung geladenen Zeuginnen und Zeugen erklärten einheitlich, dass mehrere der mutmaßlichen Gewaltopfer von Evans und Faucett eine »kriminelle Vergangenheit« und die Zeuginnen und Zeugen der Staatsanwaltschaft einen »schlechten Charakter« und einen »schlechten Leumund« hätten. Auf diese Weise versuchten die Verteidiger von Evans und Faucett, die Frage der Glaubwürdigkeit und der Respektabilität der mutmaßlichen Gewaltopfer ins Zentrum des Verfahrens zu rücken. Auch die Glaubwürdigkeit von Lillie Mae Hendon wurde durch die Aussagen mehrerer »achtbarer Bürger« infrage gestellt. So berichtete der Advertiser mit erkennbarer Voreingenommenheit gegenüber der Zeugin: »Es stellte sich heraus, dass Lilli [sic] Mae keinen guten Ruf in Macon County genießt, weder hinsichtlich ihrer Aufrichtigkeit noch hinsichtlich ihres allgemeinen Charakters, da mehrere angesehene Bürger unter Eid aussagten, dass ihr Ruf schlecht sei und sie ihren eidesstattlichen Aussagen keinen Glauben schenken würden.«121 Um die Vorwürfe von Lillie Mae Hendon weiter zu entkräften, rief die Verteidigung zudem eine schwarze Zeugin in den Zeugenstand, die erklärte, dass Hendon in der Vergangenheit mehrfach von ihrem »Liebhaber« aus Eifersucht verprügelt worden sei. Damit versuchten die Verteidiger nahezulegen, dass die angeblichen Folterspuren an Hendons Körper nicht etwa Folge von Schlägen der beiden Angeklagten, sondern Resultat von Verletzungen durch Hendons Partner waren. Auf diese Weise rief die Verteidigung explizit die rassistischen Stereotype der Lügenhaftigkeit und Lasterhaftigkeit afroamerikanischer Frauen auf – eine Strategie, die auch in anderen Verfahren gegen Polizisten zutage treten sollte.122 Auch die Glaubwürdigkeit des weißen Zeugen Huguley wurde angezweifelt. Er und ein Mann namens Willie Griggs hatten zuvor als einzige weiße Gewaltopfer gegen die beiden »Jury Gets ›Brutality‹ Cases; U. S. Testimony Is Assailed«, The Montgomery Advertiser, 24. 6. 1943, S. 1, 2. 122 Ebenda. Siehe auch die unten untersuchten Verfahren gegen Joseph L. Pickett und Curvin M. Covington. 121

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Angeklagten ausgesagt. So ließ der Advertiser verlautbaren, dass auch Huguleys Glaubwürdigkeit durch die Aussagen »mehrerer prominenter Bürger« infrage gestellt worden sei: »[Sie] sagten aus, dass sie Reedie [Huguley, SN] seit langer Zeit kennen und dass er einen schlechten Ruf habe und sie seinen eidesstattlichen Aussagen keinen Glauben schenken würden.«123 Ebenso wurde vor Gericht die Zeugenaussage von Willie Griggs abgewertet. Der wegen eines tätlichen Angriffs auf Evans inhaftierte Griggs wurde vor Gericht der Trunkenheit beschuldigt, woraufhin der Vorsitzende Richter C. D. Kennamer seine Aussage für ungültig erklärte. Während die Verteidiger von Evans und Faucett im Fall von Lillie Mae Hendon auf rassistische Vorbehalte rekurrierten, riefen sie im Fall von Griggs und Huguley klassenspezifische Ressentiments auf, um die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Aussagen zu untergraben. Nach Abschluss des dreitägigen Verfahrens wurden Evans und Faucett von allen Anklagepunkten freigesprochen.124 Nach Berichten der lokalen Presse nahm das anwesende Publikum das Urteil der Geschworenen mit Erleichterung auf: »Der Urteilsspruch wurde in Anwesenheit von mehr als 200 Freunden der beiden Beamten verlesen, darunter vielen Sheriffs und Polizeibeamten aus verschiedenen Teilen des Bundesstaates. Es gab keine allgemeine Sympathiekundgebung im Gerichtssaal, aber die Zufriedenheit stand jedem ins Gesicht geschrieben.«125 Die Reaktion des Publikums auf den Ausgang des Verfahrens zeigt, dass der Prozess gegen Evans und Faucett von großer Bedeutung für die lokalen Macht- und Ordnungsstrukturen war. So berichtete der Montgomery Advertiser, dass eine Verurteilung des Sheriffs die Machtgrundlage der lokalen Polizeibehörden geschwächt hätte: »Witness Parade Against Macon Sheriff in U. S. Trial«, The Montgomery Advertiser, 22. 6. 1943, S. 1, 7. 124 »Macon County Sheriff, Deputy Are Acquitted«, The Montgomery Advertiser, 25. 6. 1943, S. 1, 3. 125 Ebenda. 123

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»[Es wurde] befürchtet, dass eine Verurteilung von Sheriff Evans zur Folge hätte, dass die Bundesregierung mit eiserner Strenge in die lokale Polizeiarbeit der Bezirke und Städte hineinregieren würde und jeder Polizist den Behauptungen von verurteilten Kriminellen ausgeliefert wäre.«126 Ein weiteres Thema der lokalen Presse war die als unrechtmäßig wahrgenommene Einmischung der Bundesregierung in die Rechtssphäre der Einzelstaaten und Distrikte. In dem Prozess sei die grundlegende Frage nach den »Rechten der Distrikte, der Städte und der Bundesstaaten auf lokale Selbstverwaltung« verhandelt worden, hieß es im Advertiser.127 Der Prozess gegen Evans und Faucett wurde also nicht nur als Bedrohung der lokalen, rassistisch codierten Macht- und Ordnungsstrukturen gedeutet. Wie bereits der Fall Sutherland brachte auch dieses Verfahren den historischen Konflikt über die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten gegenüber dem amerikanischen Föderalstaat zum Vorschein, der das Verhältnis zwischen den Südstaaten und den Staaten des Nordens bereits im 19. Jahrhundert und verstärkt nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs geprägt hatte.128 Ein weiteres Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 1943 zeigt, dass die Bürgerrechtsprozesse gegen Polizisten vor US-Bundesgerichten im Süden von tief sitzenden Vorbehalten gegen eine Intervention des Bundes in die Rechtssphäre der Südstaaten überlagert wurden.

»Das geht Washington nichts an«: Das Verfahren gegen William J. Erskine Das Verfahren gegen Sheriff William J. Erskine in Anderson County, South Carolina, war eines der wenigen bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren in den 1940er und frühen 1950er Jahren, das mit einer Verurteilung endete. Erskine wurde 1943 Ebenda. Ebenda. 128 Zur Geschichte des Konflikts zwischen Staatenrechten und Föderalismus in den USA siehe Drake/Nelson, »Introduction«. 126 127

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beschuldigt, zahlreiche schwarze Tatverdächtige gefoltert zu haben, um Tatgeständnisse über angebliche Diebstahlsdelikte und andere Vergehen zu erzwingen. Zudem wurde ihm vorgeworfen, mehrere wegen angeblicher Straftaten verurteilte afroamerikanische Jugendliche auf seiner Farm in unfreiwilliger Schuldknechtschaft festgehalten und körperlich misshandelt zu haben. Das Verfahren kam durch den lokalen U. S. District Attorney Oscar Henry Doyle ins Rollen, der im Dezember 1942 in einem Schreiben an das US-Justizministerium auf die Vorwürfe gegen den Sheriff hingewiesen hatte.129 Bei den kurz darauf eingeleiteten FBI-Ermittlungen sagten zahlreiche Personen aus, von Erskine und anderen Angestellten des lokalen Sheriffdepartments misshandelt worden zu sein. Unter anderem wurde Erskine von mehreren schwarzen Jugendlichen beschuldigt, sie geschlagen zu haben, um Geständnisse über den Diebstahl seiner Armbanduhr zu erzwingen. Eines der mutmaßlichen Opfer, der 17-jährige Lucis Cowan, gab in seiner Stellungnahme Folgendes zu Protokoll: »Ich war etwa fünf Minuten im Gefängnis, als drei Beamte die Treppe herunterkamen. […] Einer der hochgewachsenen schlanken Beamten setze sich auf meinen Kopf, und der andere schlug mit einem Riemen auf meinen Rücken und mein Gesäß. Der Mann schlug mich mit dem Riemen, und es tat so weh, dass ich brüllte und schrie. Wenn ich meinen Kopf von Boden hob, schlug mir der Sheriff mit der Faust ins Gesicht. Alle fragten mich immer wieder, was ich mit der Uhr gemacht hatte.«130 Besonders eindrücklich schilderte der Zeuge Theodore Benson, der ebenfalls wegen des Diebstahls der Armbanduhr inhaftiert worden war, die Misshandlungen: »In der ersten Nacht im Gefängnis wurde ich runter in den Keller des Gefängnisses gebracht. Ich wurde zu der Uhr befragt. Ich sagte ihnen, ich wüsste nicht, wo die Uhr ist. Sie befahlen mir, die Hose auszuziehen und auf die Knie zu gehen. Brief von O. H. Doyle, United States Attorney, Western District of Carolina, an Francis Biddle, Attorney General, Greenville, SC, 15. 12. 1942, NARA , RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 130 Aussage von Lucis Cowan, Bericht von T. D. Easterling, FBI Special Agent, Charlotte, NC, 19. 5. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 129

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Ich glaube, es war der Sheriff, der sprach. Einer der Beamten schlug mich mit einem Lederriemen, der etwa 18 Zoll lang war, mit einem kleinen Griff dran. Sie schlugen auf meinen nackten Körper ein, bis das Blut herunterlief. Ich hatte solche Schmerzen, dass ich ihnen Geschichten [»stories«] oder alles, was sie wissen wollten, erzählte, obwohl alles gelogen war. […] Sie prüften nach und fanden heraus, dass ich Lügen erzählte, also schlugen sie mich erneut. Sie schlugen mich mit einem Blackjack, bis mein Kopf so stark geschwollen war, dass meine Augen zugeschwollen waren.«131 Die Ermittlungen des FBI bestätigten die Foltervorwürfe von Cowan, Benson und weiteren mutmaßlichen Opfern. Unter anderem wurde ein Gerichtsprotokoll ausfindig gemacht, in dem Sheriff Erskine einräumte, Cowan und andere Tatverdächtige »geohrfeigt« zu haben.132 Neben zahlreichen afroamerikanischen Befragten unterstrichen auch mehrere weiße Zeuginnen und Zeugen die Vorwürfe der Opfer, unter ihnen der Anwalt Sanford Eugene Haley aus Anderson, South Carolina. Haley erklärte, dass Cowans Körper nach der Haftentlassung deutliche Spuren von Gewalteinwirkungen gezeigt hätte: »Zu dem Zeitpunkt, an dem ich LUCIS COWAN interviewte […], waren seine Augen geschwollen, und sein linkes Auge war rot und entzündet und fast geschlossen. LUCIS hatte mehrere Geschwülste an seinem Kopf und eine klaffende Wunde irgendwo […] im Gesicht. Er hatte auch mehrere große Striemen am Rücken, und seine allgemeine Verfassung deutete darauf hin, dass er schwer geschlagen worden war.«133 Nellie S. Brewer, eine laut FBI-Bericht »angesehene« ältere weiße Frau aus Cowans Nachbarschaft, sagte gegenüber den Ermittlern aus, dass Lucis Cowans Mutter sie nach dessen HaftentAussage von Theodore Benson, Bericht von T. D. Easterling, FBI Special Agent, 21. 1. 1943, Charlotte, NC, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 132 Bericht von T. D. Easterling, FBI Special Agent, Charlotte, NC , 19. 5. 1943, NARA , RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 133 Aussage von Sanford Eugene Haley, Bericht von Gaston C. Thompson, FBI Special Agent, Atlanta, Georgia, 8. 7. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 131

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lassung gebeten habe, sich ein Bild vom körperlichen Zustand ihres Sohnes zu machen: »Ich suchte Lucis an diesem Nachmittag auf, und in seinem Gesicht waren zahlreiche Blutergüsse und Aufschürfungen. Seine Augen waren geschwollen und blutunterlaufen, und er hatte etwas an seiner Schulter, das wie eine Brandblase aussah.«134 Die Ermittlungen des FBI brachten zahlreiche weitere Foltervorwürfe afroamerikanischer Häftlinge und Ex-Häftlinge ans Licht.135 Auch mehrere weiße ehemalige Gefangene erhoben gegen den Sheriff und einige Hilfssheriffs Vorwürfe.136 Der 27-jährige Charlie Denny, der zum Zeitpunkt der Befragung eine Strafe in der Anderson County Chain Gang ableistete, erklärte, dass er nach seiner Festnahme von einem Angestellten Erskines mehrfach mit der Faust in den Magen geschlagen und getreten worden sei. Im Gefängnis von Anderson County seien vornehmlich afroamerikanische Gefangene mit der Peitsche misshandelt worden. Er selbst habe während seiner Haftzeit mehrfach Schlaggeräusche sowie Schreie gehört.137 Dennys Aussage legt nahe, dass in den Gefängnissen im Süden der USA »rassisch« codierte Gewalttraditionen existierten. Besonders extreme und erniedrigende Gewaltmittel – wie Peitschenhiebe – waren offenbar afroamerikanischen Gefangenen vorbehalten. Auch schienen die Polizeikräfte keine Notwendigkeit zu sehen, die illegalen Folterungen schwarzer Häftlinge zu verheimlichen. Mehrere weitere weiße Ex-Häftlinge bestätigten, während ihrer Inhaftierung im Gefängnis von Anderson gehört zu haben, wie afroamerikanische Gefangene ausgepeitscht worden seien. Aussage von Nellie S. Brewer, Bericht von T. D. Easterling, FBI Special Agent, Charlotte, NC, 19. 5. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 135 Siehe die weiteren Aussagen im Bericht von FBI Special Agent T. D. Easterling, Charlotte, NC, 19. 5. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 136 Siehe die Aussagen im Bericht von Hugh A. Page, FBI Special Agent, Charlotte, NC, 10. 11. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 137 Aussage von Charlie Denny, Bericht von Hugh A. Page, FBI Special Agent, Charlotte, NC, 10. 11. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 134

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Die wegen des Vorwurfs des Ehebruchs inhaftierte Corine McCoy erklärte, dass sie nachts das Geräusch von Gurthieben sowie Schreie gehört hätte. Am nächsten Morgen habe Sheriff Erskine ihr gegenüber unumwunden berichtet, einen afroamerikanischen Häftling geschlagen zu haben.138 Im anschließenden Prozess wurde Erskine von den Geschworenen des Bundesgerichts in Anderson, South Carolina, am 1. Dezember 1943 schuldig gesprochen. Im Mittelpunkt des Verfahrens standen die Foltervorwürfe von Lucis Cowan, der vor Gericht gegen Erskine aussagte. Obwohl die Staatsanwaltschaft im Fall einer Verurteilung des Sheriffs drei Jahre Haft und eine Strafzahlung von 1000 Dollar gefordert hatte, reduzierte der Vorsitzende Richter C. C. Wyche das Strafmaß auf sechzig Tage Gefängnis sowie eine Geldstrafe von 500 Dollar. Wie er in seiner Urteilbegründung ausführte, habe er das Strafmaß aufgrund des »Rufs« des Sheriffs herabgesetzt.139 Laut Bericht des Anderson Independent meldete sich Sheriff Erskine vor der Urteilsverkündung persönlich zu Wort, um seine Einwände gegen die drohende Verurteilung geltend zu machen: »›Richter‹, sagte er, ›ich habe beim besten Willen nicht mehr getan, als diesen Negro zu schlagen.‹ ›Sie haben kein Recht zu schlagen‹, korrigierte ihn Richter Wyche. ›Ein Häftling mag Sie einen Lügner nennen, Ihre Frau eine Lügnerin und alle Ihre Hilfssheriffs Lügner – oder sogar noch etwas viel Schlimmeres –, aber Sie haben kein Recht dazu, ihn zu schlagen, wenn er in Ihrem Gefängnis ist.‹«140 Erskines Einwand, den schwarzen Verdächtigen doch lediglich geschlagen zu haben, macht deutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Polizeiangehörige illegale physische Gewaltmaßnahmen gegen African Americans vor sich und vor anderen rechtfertigten. Der Bundesrichter hingegen nutzte die Gelegenheit, um den Sheriff öffentlich über die Rechtsansprüche von Gefangenen zu informieren und von ihm deren Einhaltung zu fordern. Aussage von Corine McCoy, Bericht von Hugh A. Page, FBI Special Agent, Charlotte, NC, 10. 11. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 139 »Sheriff Given 60 Days in Jail, And Fined $ 500«, The Anderson Independent, 2. 12. 1943, S. 1. 140 Ebenda. 138

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In einem nach dem Verfahren verfassten Brief an die Verantwortlichen der Civil Rights Section wies U. S. District Attorney Doyle auf die zum Teil positiven Reaktionen der lokalen Bevölkerung auf den Ausgang des Verfahrens hin: »Die guten Leute aus Anderson County, wo ich selbst lebe, sind sehr froh über den Ausgang des Falls.«141 Es sei allerdings nicht zu erwarten, dass Sheriff Erskine aufgrund der Verurteilung seines Amtes enthoben werde: »Offen gestanden […] glaube ich nicht, dass irgendetwas getan werden wird. Zunächst einmal hat der Attorney General dieses Bundesstaates keine Meinung und weiß auch nicht, wie man sich eine bildet, und zweitens bezweifle ich, dass der Gouverneur den Mut besitzen wird, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.«142 Während US-Justizminister Francis Biddle und die Vertreter der Civil Rights Section das Urteil trotz des relativ geringen Strafmaßes als »Erfolg« feierten,143 wurde die Geldstrafe für Erskine von lokalen Bürgerinnen und Bürgern beglichen. In einem Bericht des Anderson Independent hieß es über die Initiative: »Obwohl Sheriff W. J. Erskine zu einer Geldstrafe von 500 $ und zu sechzig Tagen Haft verurteilt wurde […], musste er nicht einen Cent der Geldstrafe aus seiner eigenen Tasche bezahlen, wie gestern bekannt wurde. ›Bürger aus Anderson County haben Sheriff Erskines Geldstrafe bereitwillig übernommen‹, sagte Jack G. Kraft, Manager des Calhoun Hotel, gestern Abend. […] ›Es war einfach‹, erklärte er. […] ›Und wenn die Geldstrafe 10000 $ betragen hätte, hätten die Bürger von Anderson County sie genauso bezahlt.‹«144 Wie die Initiatoren der Aktion öffentlich verkündeten, habe man mit der Geldsammlung die Solidarität mit dem verurteilten SheBrief von O. H. Doyle, U. S. Attorney, District of South Carolina, an Victor M. Rotnem, Assistant Attorney General, Leiter der Civil Rights Section, Greenville, SC, 3. 12. 1943, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 142 Ebenda. 143 Brief von Francis Biddle, Attorney General, an Oscar Henry Doyle, U. S. Attorney, District of South Carolina, Washington D. C., 11. 12. 1943, NARA , RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 144 »County Citizens Pay Erskine Fine«, The Anderson Independent, kein Datum, keine Seitenangabe, NARA, RG 60/144, Box 17601, Fol. 144–68–9. 141

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riff und den Protest gegen die Intervention der Bundesbehörden in die Rechte der Einzelstaaten – die »States Rights« – zum Ausdruck bringen wollen: »Der Punkt, um den es geht, sind die Rechte der Bundesstaaten. Wollen wir Südstaatler untätig herumsitzen, wenn die Bundesregierung unseren Sheriff verhaftet, strafrechtlich verfolgt, mit einer Geldstrafe belegt und ins Gefängnis schickt? Falls sich der Sheriff etwas hat zuschulden kommen lassen, ist die Grand Jury von Anderson County imstande, die Angelegenheit selbst zu regeln. Das geht Washington nichts an.«145 In Einschätzungen dieser Art offenbart sich der Widerwille gegen Eingriffe des Bundes in die politische und rechtliche Souveränität der Südstaaten, der bereits zuvor im Verfahren gegen Evans/Faucett zutage getreten war. Aus Sicht zahlreicher Kommentatoren des Südens stellten die bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte das Recht auf lokale und einzelstaatliche Selbstbestimmung und Selbstregierung infrage. Die Prozesse riefen zudem Erinnerungen an die Zeit der Reconstruction wach, in der die weiße Südstaatenelite entmachtet und die politischen Geschicke des Südens von den Unionsstaaten bestimmt worden waren. So wurde im Zuge der Bürgerrechtsprozesse gegen die gewalttätigen Polizeikräfte wiederholt das Bild der »carpetbaggers« aufgerufen – das Stereotyp des republikanischen Politikers aus dem Norden der USA, der nach der Niederlage der Südstaaten im Bürgerkrieg gleichsam mit der Reisetasche (»carpetbag«) in den Süden gezogen war, um sich durch die Koalition mit den neu gewählten schwarzen republikanischen Abgeordneten gezielt an der politischen und wirtschaftlichen Umbruchsituation zu bereichern.146 Die Ressentiments kamen in einem weiteren bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren, dem Fall United States vs. Dailey, aus dem Jahr 1943 zum Ausdruck. Es ging um den Polizeichef von DeKalb, Georgia, Joseph T. Dailey, und drei seiner Angestellten, die der Misshandlung mehrerer schwarzer Gefangener

145 146

Ebenda. Siehe Hume/Gough, Blacks, Carpetbaggers, and Scalawags, S. 1–10.

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beschuldigt und nach den Ermittlungen des FBI vor dem Bundesgericht in Atlanta angeklagt worden waren. Während des Prozesses erhob die Verteidigung wiederholt den Vorwurf, dass die Anklage gegen die Polizei an die Methoden des »carpetbag government« nach dem Ende des Bürgerkriegs erinnere.147 Die Geschworenen teilten offenbar die Vorbehalte gegen die bundesbehördlichen Ermittlungen: Trotz erdrückender Beweislage wurden die Beschuldigten in allen Anklagepunkten freigesprochen.148 Die Ausführungen zeigen, dass die Ermittlungen des Bundes in den Südstaaten in Fällen von Polizeigewalt von einem kulturellen Konflikt durchdrungen waren, bei dem es um rassistisch codierte Rechts- und Ordnungskonzeptionen ging. Während die Bundesbehörden ihre Rechtsinitiative mit dem Ziel der Durchsetzung grundlegender Rechtsansprüche begründeten, wiesen die Amtsträger im Süden die Ermittlungen als Eingriff in die rechtliche Souveränität der Südstaaten zurück. Zum Teil wurde in der Presseberichterstattung explizit auf den Amerikanischen Bürgerkrieg verwiesen, der in den Bürgerrechtsverfahren »erneut ausgefochten« werde.149 Der lautstarke Widerstand zielte darauf, die etablierten rassistisch codierten Macht- und Ordnungsstrukturen im Süden der USA aufrechtzuerhalten, die durch die bundesbehördlichen Ermittlungen gegen die gewalttätigen Polizeikräfte herausgefordert wurden. So konstatierte die afroamerikanische Atlanta Daily World in einem im Januar 1944 veröffentlichten Kommentar zum Fall Erskine: »Die Männer, die dieses Pseudothema [die Rechte der Bundesstaaten, SN] aufwerfen, wissen ganz genau, dass niemand die staatliche Regierung [der Einzelstaaten, SN] bedroht. […] Wenn die Bundesregierung eingreift, um diejenigen ihrer Bürger zu schützen, deren Rechte verletzt wurden, wird der vorgespielte Aufschrei wegen der Staatsrechte von eben jenen »Candler Blames U. S. Procedure«, The Atlanta Constitution, 30. 12. 1943, S. 1. 148 »Jury Acquits Defendants in Dailey Trial«, The Atlanta Constitution, 8. 4. 1944, S. 1. 149 Siehe Carr, Federal Protection of Civil Rights, S. 140. 147

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Männern ausgestoßen, die die Rechte des Individuums vollkommenen ungestraft in den Staub getreten haben.«150 Der Widerstand der weißen Bevölkerung brachte den Anspruch zum Ausdruck, das »Rassenproblem« auf eigenem Wege, das heißt ohne die Einmischung des Nordens, zu lösen. Die Initiativen gegen die Bürgerrechtsermittlungen des Bundes kündigten den massiven Widerstand an, mit dem weite Teile der weißen Südstaatenbevölkerung ab Mitte der 1950er Jahre auf die Formierung der Bürgerrechtsbewegung reagieren sollten. Der Bürgerrechtsinitiative des Bundes im Süden der USA waren enge Grenzen gesetzt, wie die vorgestellten Fälle aus den frühen 1940er Jahren zeigen. Die bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren waren nur bedingt in der Lage, die lokalen Macht- und Herrschaftsstrukturen aufzubrechen.

Nach 1945: Das Committee on Civil Rights und die Civil Rights Section Ab Mitte der 1940er Jahre kritisierten afroamerikanische Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler zunehmend die Auswahlpolitik des US-Justizministeriums bei der Verfolgung polizeilicher Gewaltfälle in den Südstaaten. Bereits 1944 wies Thurgood Marshall in seiner Funktion als Leiter der Rechtsabteilung der NAACP auf die begrenzte Wirkung der Bürgerrechtsinitiative des Bundes hin. In einer Rede anlässlich der NAACP Wartime Conference führte er aus, dass die Initiative der Civil Rights Section in einigen Fällen beachtliche Erfolge erzielt habe, doch nur wenige der angezeigten Fälle tatsächlich zu Anklageverfahren gegen Amtsträger aus den Südstaaten führen würden. Die Beschränkung der CRS auf die strafrechtliche Verfolgung einzelner, ausgewählter Fälle rassistischer Gewalt reiche aus, um die rassistischen Strukturen im Süden der USA nachhaltig zu bekämpfen: »Unsere durch die föderalen Gesetze garantierten Bürgerrechte werden nie Realität werden, solange sich das US-Justizministerium nicht dazu entschließt, dass es die gesamten 150

»States’ Rights vs. Human Rights«, Atlanta Daily World, 30. 1. 1944, S. 8.

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Vereinigten Staaten repräsentiert und keine Angst davor haben muss, einen Teil des Landes zu verärgern, der glaubt, dass es das gottgegebene Recht hat, über den Gesetzen der Vereinigten Staaten und dem U. S. Supreme Court zu stehen.«151 Ab Mitte der 1940er Jahre pochte die NAACP zunehmend darauf, die weitverbreitete Ausübung rassistischer Polizeigewalt im Süden der USA umfassend zu verfolgen, statt sich auf einzelne Musterprozesse zu beschränken. Dies zeigt sich exemplarisch in einem Fall aus dem Jahr 1946, in dem die NAACP das US-Justizministerium aufforderte, Ermittlungen im Fall Willie P. M. Lockwood aufzunehmen. Lockwood war im Mai 1946 von einem Hilfssheriff in Macon County, Alabama, auf offener Straße erschossen worden. Mary Lockwood, die Zeugin der Tat gewesen war, bat daraufhin in einem Schreiben an die NAACP darum, den Fall vor Gericht zu bringen. Wie sie berichtete, sei ihr Sohn, ein Weltkriegsveteran, von Angestellten des lokalen Sheriffdepartments festgenommen worden, weil er sich zuvor gegen den tätlichen Angriff eines weißen Nachbarn zur Wehr gesetzt hatte. Ihr Mann habe die Polizeikräfte dazu aufgefordert, die Festnahme seines Sohnes zu begründen. Bei der anschließenden folgenden Auseinandersetzung sei Lockwood von einem der Hilfssheriffs erschossen worden.152 Unmittelbar nach Erhalt des Schreibens forderte Thurgood Marshall die Civil Rights Section dazu auf, Ermittlungen in dem Fall aufzunehmen.153 Ein Jahr später, im Juni 1947, wurden die

Zit. n. Elliff, The United States Department of Justice, S. 199. Zu den größtenteils positiven Reaktionen der afroamerikanischen Presse auf die Aktivitäten der Civil Rights Section im Süden der frühen 1940er Jahre siehe u. a. »U. S. Government Acts to Protect Civil Rights of Race Group«, Atlanta Daily World, 31. 3. 1942, S. 1; »Justice Department Keeps Close Vigil On Civil Rights Violations In South«, Chicago Defender, 19. 6. 1943, S. 7; »The FBI Can Halt Lynchings«, New York Amsterdam News, 31. 7. 1943, S. 10. 152 Brief von Mary Lockwood an Mary White [Ovington], Tuskegee, AL , 3. 5. 1946, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-113, Lockwood, William P. 1946–1947. 153 Brief von Thurgood Marshall, NAACP Special Counsel, an Turner L. Smith, Civil Rights Section, New York City, 8. 5. 1946, LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-113, Lockwood, William P. 1946–1947. 151

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Verantwortlichen der NAACP darüber informiert, dass sich das Justizministerium gegen eine Anklageerhebung im Fall Lockwood entschieden habe. Wie es in der Begründung hieß, hätten die Ermittlungen unterschiedliche Aussagen zum Tathergang erbracht. Anders als Lockwoods Frau hätten die polizeilichen Zeugen zu Protokoll gegeben, dass sich Lockwood seiner Festnahme gewaltsam widersetzt habe und bei den anschließenden Auseinandersetzungen getötet worden sei. Angesichts der widersprüchlichen Aussagen, so das US-Justizministerium, sei eine Anklageerhebung »nicht Erfolg versprechend«. Der Fall sei daher geschlossen worden.154 Der Fall Lockwood ist ein Beispiel dafür, dass die Bürgerrechtsinitiative der Civil Rights Section in den 1940er und frühen 1950er Jahren erheblichen Einschränkungen unterlag. Aufgrund der schwachen personellen Ausstattung, der begrenzten Weisungsbefugnisse und der mangelnden politischen Unterstützung konnte sie bis Mitte der 1950er Jahre nur einzelne ausgewählte Bürgerrechtsverstöße strafrechtlich verfolgen. Erschwert wurden ihre Aktivitäten durch ein Urteil des U. S. Supreme Court im Fall United States vs. Screws im Jahr 1945. Am 30. Januar 1943 hatten der Sheriff von Baker County, Georgia, M. Claude Screws, und zwei seiner Angestellten den 30-jährigen African American Robert Hall wegen des mutmaßlichen Diebstahls eines Autoreifens festgenommen und dann zu Tode geprügelt. Im anschließenden Prozess vor dem lokalen Bundesgericht wurde Screws von der lokalen Jury für schuldig befunden. Nach Überprüfung des Urteils wies der U. S. Supreme Court im Mai 1945 die Entscheidung des lokalen Bundesgerichts allerdings mit der Begründung zurück, dass der Richter die Geschworenen nicht ordnungsgemäß instruiert habe. Amtspersonen könnten nur dann der Bürgerrechtsverletzung schul154

Brief von Theron L. Claude, Civil Rights Section, an Robert L. Carter, NAACP Assistant Special Counsel, Washington D. C., 24. 6. 1947, LOC, NAACP Papers, Group II , Box B-113, Lockwood, William P. 1946–1947. Zu einem weiteren Fall, in dem das US-Justizministerium die Ermittlungsaufforderung der NAACP zurückwies, siehe u. a. den Fall von Casey Lee Pointer, der 1946 in Mississippi von Polizisten erschossen wurde: LOC, NAACP Papers, Group II, Box B-114, Pointer, Casey Lee. 1946–1947.

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dig gesprochen werden, wenn sie – nach den Bestimmungen des United States Code – »vorsätzlich« gegen Bürgerrechtsansprüche verstoßen hätten.155 In einem zweiten Verfahren vor dem lokalen Bundesgericht in Georgia kurze Zeit später wurde Screws von den Vorwürfen freigesprochen. Die Entscheidung des U. S. Supreme Court hatte weitreichende Konsequenzen. Sie führte dazu, dass die ohnehin unsichere Rechtsgrundlage der Strafverfolgungsaktivitäten der Civil Rights Section weiter eingeschränkt wurde.156 Die begrenzte Reichweite und Effektivität der Civil Rights Section wurde auch in dem 1947 veröffentlichen Bericht des Committee on Civil Rights kritisiert, das im Dezember 1946 von dem neu gewählten republikanischen Präsidenten Harry S. Truman (1945–1953) eingesetzt worden war, um die anhaltenden Verletzungen der Bürgerrechte in den USA zu untersuchen und Vorschläge für politische Maßnahmen der Bundesregierung zu entwickeln.157 Damit reagierte Truman zum einen darauf, dass der Rassismus in den Südstaaten verstärkt als Belastung für die amerikanische Außenpolitik wahrgenommen wurde,158 zum anderen auf die wachsende Kritik an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der Bürgerrechtspolitik der US-Regierung. Insbesondere die Bürgerrechtsaktivistinnen und -aktivisten der NAACP beschuldigten die Regierung, die anhaltenden Lynchmorde im Süden nicht mit der nötigen Konsequenz zu verfolgen. So wurde dem Justizministerium und dem FBI unter anderem mangelnde Entschlossenheit bei der strafrechtlichen Verfolgung des sogenannten Monroe-Lynchmords in Georgia vorgeworfen, bei dem 1946 vier African Americans von einem 20-köpfigen Lynchmob ermordet worden waren. Trotz umfassender FBI-Ermittlungen in dem Fall, dem sowohl national als auch international große Aufmerksamkeit zukam, wurde keiner der mutmaßSiehe Screws vs. United States, 325 U. S. 91 (1945), http://laws.findlaw.com/ us/325/91.html [31. 1. 2014]. 156 Siehe Elliff, The United States Department of Justice, S. 159–170; Lawson, To Secure these Rights, S. 143–144, 146; McMahon, Reconsidering Roosevelt, S. 167–175. 157 Siehe Lawson, »Introduction«, S. 1–41. 158 Siehe Dudziak, Cold War Civil Rights. 155

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lichen Angehörigen und Unterstützer des Lynchmobs angeklagt.159 Zudem kritisierte die NAACP im Jahr 1946 öffentlich das Unvermögen des US-Justizministeriums, eine Verurteilung von Sheriff Linwood Shull aus South Carolina herbeizuführen, der wie bereits dargestellt im Februar 1946 den Kriegsveteranen Issac Woodard brutal misshandelt und seine Erblindung verursacht hatte. Nach mehrmonatigen Recherchen veröffentlichte das Committee on Civil Rights am 29. Oktober 1947 seine Bestandsaufnahme der Bürgerrechtssituation in den USA unter dem Titel »To Secure These Rights« (»Zur Sicherung dieser Rechte«). Darin wurde auch auf die »weitverbreiteten« und »vielfältigen« Formen der Polizeigewalt in den USA hingewiesen, die »gewaltsame physische Attacken von Polizeibeamten gegen Angehörige von Minderheiten, die Anwendung von Foltermethoden [»third degree methods«], um Geständnisse zu erzwingen, und Brutalität gegen Häftlinge« umfassten.160 Der Großteil der Verstöße trete im amerikanischen Süden auf,161 die Anzahl der schwarzen Opfer von Polizeigewalt in den USA sei »beunruhigend hoch«.162 Darüber hinaus enthielt der Bericht eine ausführliche Untersuchung der Strafverfolgungsaktivitäten der Civil Rights Section. Deren Arbeit, so die Verfasser, leide trotz ihrer »bemerkenswerten Bilanz« unter mehreren strukturellen Mängeln. Kritisiert wurden unter anderem die ineffektive Rechtsgrundlage der Bürgerrechtsaktivitäten der Abteilung, ihre mit lediglich sieben hauptamtlichen Mitarbeitern mangelnde personelle Ausstattung sowie ihre untergeordnete Stellung innerhalb des USJustizministeriums.163 Um den Schutz der Bürgerrechte zu stärken, schlug das Komitee vor, die Civil Rights Section in den Rang einer eigenständigen Abteilung (»Division«) im Justizministeriums zu erheben. Siehe Elliff, The United States Department of Justice, S. 224–236; Wexler, Fire in a Canebrake. 160 Lawson, To Secure these Rights, S. 66. 161 Ebenda, S. 66–67. 162 Ebenda, S. 68. 163 Ebenda, S. 139–150. 159

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Außerdem wurde eine Aufstockung der finanziellen und personellen Ausstattung gefordert und die Einrichtung regionaler Büros in den gesamten USA empfohlen, in denen die Beschwerden über Bürgerrechtsverstöße vor Ort aufgenommen und an das US-Justizministerium weitergeleitet werden sollten. Des Weiteren schlug das Komitee die Verabschiedung eines Bundesgesetzes durch den US-Kongress vor, das diskriminierende Handlungen von Polizeikräften explizit unter Strafe stellen sollte, um die bisherigen Strafverfolgungsaktivitäten des Bundes in diesem Bereich auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen.164 Nach der Veröffentlichung des Berichts unternahm die Regierung Truman mehrfach den Versuch, die Empfehlungen des Komitees umzusetzen. Im Februar 1948 forderte Präsident Truman den US-Kongress dazu auf, mehrere der vom Committee on Civil Rights empfohlenen Gesetzesvorschläge zu verabschieden. »Die Position der Vereinigten Staaten in der heutigen Welt macht es besonders dringlich, dass wir diese Maßnahmen verabschieden, um allen unseren Bürgerinnen und Bürgern ihre grundlegenden Rechte zu sichern«, so Truman in seiner Begründung.165 Neben der Verabschiedung eines Anti-Lynch-Gesetzes und weiteren Gesetzesinitiativen schlug Truman auch eine Verbesserung der Rechtsgrundlagen für die strafrechtliche Verfolgung von polizeilichen Bürgerrechtsverstößen vor.166 Er betonte, dass diese Gesetze notwendig seien, um die außenpolitische Führungsrolle der USA in der Welt zu stärken: »Wenn wir diejenigen Menschen in der Welt inspirieren wollen, deren Freiheit in Gefahr ist, wenn wir denjenigen wieder Hoffnung geben wollen, die bereits ihre bürgerlichen Freiheiten verloren haben, wenn wir unsere Versprechen erfüllen wollen, müssen wir die verbliebenen Mängel in unserer Praxis der Demokratie korrigieren.«167

Ebenda, S. 172–173. Truman, »Special Message«. 166 Ebenda, S. 123. 167 Ebenda, S. 126. 164 165

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Was in Trumans Äußerungen anklingt, haben die Arbeiten der Rechtshistorikerin Mary L. Dudziak bestätigt: Die Sorge um die Außenwirkung der anhaltenden Bürgerrechtsverstöße in den USA entwickelte sich im Zuge der einsetzenden ideologischen Spannungen mit der Sowjetunion zu einem zentralen Bezugspunkt der amerikanischen Bürgerrechtspolitik.168 Darüber hinaus wurden die Bürgerrechtsverstöße in den USA zunehmend vor dem Hintergrund einer sich internationalisierenden Menschenrechtsdebatte diskutiert. Nachdem im Februar 1946 die UN-Menschenrechtskommission gegründet worden war, schickte die NAACP im Oktober 1947 eine Petition an die Vereinten Nationen, mit der sie gegen die diskriminierende Behandlung schwarzer Menschen in den USA protestierte. Die Petition mit dem Titel »An Appeal to the World« (»Ein Aufruf an die Welt«) führte zu einem breiten nationalen und internationalen Medienecho. Amerikanische Regierungsvertreter und Zeitungskommentatoren äußerten sich besorgt über deren Auswirkungen auf die amerikanische Außenpolitik. In einer Rede vor der Nationalen Versammlung der Bundesstaatsanwälte bezeichnete es der amtierende US-Justizminister Tom C. Clark (1945–1949) als »beschämend«, dass sich die afroamerikanische Bevölkerung in den USA an die Vereinten Nationen wende, um ihre Bürgerrechtssituation zu verbessern. Er forderte die Bundesstaatsanwälte dazu auf, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen, um Bürgerrechtsverstöße strafrechtlich zu verfolgen.169 Auch wenn die UN-Menschenrechtskommission eine Untersuchung der in der Petition aufgeführten Vorwürfe ablehnte, machten die Reaktionen auf den NAACP-Vorstoß deutlich, dass das Problem der Rassendiskriminierung in den USA ab den späten 1940er Jahren verstärkt vor dem Hintergrund des internationalen politischen Kontextes verhandelt wurde.170 Trotz Trumans Bemühungen wurden in seiner bis ins Jahr 1953 andauernden Präsidentschaft keine der weitgehenden Empfehlungen des Committee on Civil Rights umgesetzt. Die Dudziak, Cold War Civil Rights. Zit. n. Carol Anderson, Eyes off the Prize, S. 108. 170 Ebenda, S. 58–113; Dudziak, Cold War Civil Rights, S. 43–45. 168 169

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Gesetzesvorschläge scheiterten wiederholt am Widerstand der Senatoren aus den Südstaaten im US-Kongress. Trumans Bürgerrechtspolitik führte vor den Präsidentschaftswahlen 1948 auch zur vorübergehenden Abspaltung der States’ Rights Party aus der Demokratischen Partei unter der Führung von Senator Strom Thurmond aus South Carolina. In unmittelbarer Anknüpfung an die Vorbehalte gegenüber den bundesbehördlichen Ermittlungen gegen Polizeikräfte aus den Südstaaten beriefen sich die »Dixiecrats« in ihrem Programm auf die rechtliche Souveränität der Einzelstaaten, die sie durch die Bürgerrechtsinitiative der Bundesregierung unter Präsident Truman bedroht sahen.171 Erst während der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower (1953–1961) stimmten im Jahr 1957 beide Kammern des Kongresses für die Verabschiedung des Civil Rights Act.172 Die zögerliche Bürgerrechtspolitik der US-Regierung in den 1940er und frühen 1950er Jahren hatte zur Folge, dass die Bürgerrechtsinitiative der Civil Rights Section nur einen begrenzten Einfluss auf die Bürgerrechtslage in den Südstaaten hatte. Wie der folgende Blick auf zwei Fälle aus Alabama zeigt, griffen Sheriffs und Polizisten auch zwischen 1945 und 1955 zu Folter- und Gewaltmaßnahmen gegen African Americans, ohne dass es der Civil Rights Section gelang, Schuldsprüche herbeizuführen.

171 172

Siehe Frederickson, The Dixiecrat Revolt. Der Civil Rights Act von 1957 sollte die Autorität des US-Justizministeriums bei der Bekämpfung von Bürgerrechtsverstößen innerhalb der USA maßgeblich stärken. U. a. hatte er zur Folge, dass die Civil Rights Section in eine eigenständige Abteilung innerhalb des US-Justizministeriums – die bis heute existierende Civil Rights Division (CRD) – umgewandelt wurde. Siehe Belknap, Federal Law and Southern Order, S. 33–38.

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Afroamerikanische Frauen als Anklägerinnen: Die Verfahren gegen Joseph L. Pickett und Curvin M. Covington Im September 1946 leitete die Civil Rights Section Ermittlungen gegen Joseph L. Picket, den Sheriff des südöstlich von Alabamas Hauptstadt Montgomery gelegenen Bullock County, sowie gegen mehrere Angehörige der lokalen weißen Bevölkerung ein. Auslöser des Falls war ein Diebstahlvorwurf gegen die achtfache Mutter Martha K. McMillan, die als Angestellte im Busbahnhof von Union Springs arbeitete. Sie wurde von Margaret Green Cook, einer weißen Bürgerin, verdächtigt, mehrere Goldringe aus ihrem Wohnhaus gestohlen zu haben. Wie Martha McMillan in einer eidesstattlichen Aussage erklärte, seien Sheriff Pickett sowie der Ehemann von Margaret Green Cook und deren Bruder Rell (Verell) Green am späten Abend des 5. September 1946 in ihr Wohnhaus eingedrungen, hätten sie zunächst nach dem Verbleib der Ringe befragt und dann ergebnislos ihr Haus durchsucht. Daraufhin habe ihr Rell Green mit dem Fuß ins Gesicht getreten und gedroht, sie umzubringen, sollte sie das Versteck des Schmuckes nicht verraten. Trotz ihrer Unschuldsbeteuerung sei sie ins Gefängnis von Union Springs gebracht worden. Dort habe Rell Green sie mit einem etwa vier Fuß langen Gummischlauch ausgepeitscht und massiv bedroht, damit sie das Versteck der Ringe preisgebe. Als sie weiterhin ihre Unschuld beteuert habe, hätten sie Nell Green und ein ihr unbekannter zweiter Mann, der im Verlauf der FBIErmittlungen als der Ehemann von Margaret Green Cook identifiziert wurde, weiter ausgepeitscht. Mr Green habe sie mit vorgehaltener Pistole davon abgehalten zu schreien und danach erneut den Schlauch ergriffen: »[Er] steckte seine Pistole zurück in seine Tasche, nahm den Schlauch in beide Hände und sagte: ›Gott verfluche dich, Negro, ich bring’ dich um, wenn du mir nicht erzählst, wo die Ringe meiner Schwester sind.‹ Ich sagte dennoch zu Mr GREEN , dass ich nichts darüber wisse. Mr GREEN schlug 240

erneut zu und schlug so lange, bis er den Schlauch so kurz hielt, dass er nicht mehr damit zuschlagen konnte.«173 Während der gesamten Zeit, so McMillan, habe Sheriff Pickett keine Anstalten unternommen, die beiden Männer von den Misshandlungen abzuhalten: »Ich fragte den Sheriff: ›Lassen Sie es zu, dass die beiden Männer eine arme Frau auf diese Weise zu Tode schlagen?‹ Sheriff Pickett sagte: ›Sag ihnen, was sie wissen wollen, und sie werden dich in Ruhe lassen.‹«174 Nach den Misshandlungen sei sie von Sheriff Pickett und Familienangehörigen von Margaret Green Cook zu ihrem Wohnhaus zurückgefahren worden. Comer F. Green, ein anderer Bruder von Margaret Green Cook, habe ihr mit dem Tod gedroht, sollte sie sich weiterhin weigern, den Diebstahl zu gestehen: »[Er] sagte: ›Wir werden dich wegbringen und an einem Ast aufhängen und dich töten und dich den Bussarden überlassen.‹ Ich sagte: ›Nun, wenn Sie das machen, werde ich es einfach hinnehmen müssen. Es gibt nichts, was ich dagegen tun kann, aber ich weiß immer noch nichts über die Ringe.‹«175 Eine Woche nach den Vorfällen fuhr Martha K. McMillan gemeinsam mit ihrem Ehemann mit dem Zug in Alabamas Hauptstadt Montgomery, um einen weißen Anwalt aufzusuchen. Dieser riet ihnen, sich angesichts der besonderen Umstände des Falls mit den lokalen Regierungsstellen in Verbindung zu setzen. Daraufhin wandten sich die McMillans an das Alabama Department of Public Safety, wo Martha McMillan in Anwesenheit des Leiters der Enforcement Division, Captain N. W. Kimbrough, eine eidesstattliche Erklärung zu den Vorgängen ablegte. Um die Vorwürfe zu dokumentieren, ließ Kimbrough einen Fotografen kommen, der mehrere Aufnahmen von den Blutergüssen am Körper von Marta McMillan anfertigte.176 Danach brachte er das

Eidesstattliche Erklärung von Martha Kendrick McMillan, Montgomery, AL , 12. 9. 1946, NARA , RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 174 Ebenda. 175 Ebenda. 176 Siehe die Fotografien in der Gerichtsakte des Falls U. S. vs. Pickett, NARA , SR , RG 21/RDCUS , Middle District of Alabama, Northern Division, Criminal Case No. 9999, Box 147. 173

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Ehepaar in das Büro der lokalen Bundesstaatsanwaltschaft, um U. S. District Attorney E. Burns Parker über den Fall in Kenntnis zu setzen. Parker hatte bereits drei Jahre zuvor das Verfahren gegen Sheriff Evans und Hilfssheriff Faucett geleitet. Noch am selben Tag forderte Hartwell Davis, einer seiner Mitarbeiter, in einem Brief die Civil Rights Section dazu auf, in dem Fall Ermittlungen aufzunehmen.177 Schließlich begleiteten Kimbrough und weitere Angestellte des Ministeriums die McMillans zurück nach Union Springs, um sie vor weiteren Übergriffen zu schützen. Erst nachdem bis Mitternacht keiner der Beschuldigten an deren Wohnort erschienen war, traten die Regierungsangestellten die Rückreise an.178 Die spontane Initiative der Beamten zeigt, dass sie das gewaltsame Vorgehen des Sheriffs und der Bürger in Union Springs verurteilten. Indem sie spontane Maßnahmen gegen die illegale Praxis der Selbstjustiz ergriffen, grenzten sie sich von der meist passiven Haltung von Amtsträgern im Süden gegenüber Lynchfällen ab.179 Davis berichtete in einem Schreiben an die Civil Rights Section: »Es freut mich, Sie davon in Kenntnis setzen zu können, dass Captain Kimbrough in dieser Angelegenheit und, wie ich denke auch darüber hinaus, sehr bemüht ist, sicherzustellen, dass jede Misshandlung von Weißen an der farbigen Rasse angemessen bestraft wird. […] Wenn wir mehr Beamte von Captain Kimbroughs Kaliber hätten, gäbe es viel bessere Beziehungen nicht nur hier, sondern im gesamten Land.«180 Die kurz darauf eingeleiteten Ermittlungen des FBI in Union Springs bekräftigten die von Martha McMillan erhobenen Vor-

Brief von Hartwell Davis, Assistant United States Attorney, Middle District of Alabama, an Fred Folsom, Leiter der Civil Rights Section, Montgomery, AL , 13. 9. 1946, NARA , RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 178 Ebenda. 179 Siehe Raper, The Tragedy of Lynching, S. 13–19. 180 Brief von Hartwell Davis, Assistant United States Attorney, Middle District of Alabama, an Fred Folsom, Leiter der Civil Rights Section, Montgomery, AL , 13. 9. 1946, NARA , RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 177

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würfe. Während Rell Green, Reynold G. Cook und Sheriff Joseph L. Pickett in ihren Stellungnahmen jegliche Ausübung von körperlicher Gewalt gegen Martha McMillan abstritten, untermauerten mehrere Zeuginnen und Zeugen die Anschuldigungen.181 Unter anderem bestätigten die Kinder von McMillan dem FBI, dass ihre Mutter bereits bei der Festnahme bedroht und körperlich angegangen worden sei. Die 14-jährige Arthurene McMillan gab zu Protokoll: »Am Abend des 5. September 1946 war ich zu Hause mit meiner Mutter und meinen sechs Brüdern und Schwestern. […] Mr Pickett kam herein und ging mit einer Taschenlampe in die Küche des Hauses […]. Zwei Männer, die draußen gewesen waren, kamen herein, und einer von ihnen, den Mama Mr Green nannte, trat meiner Mutter ins Gesicht. Sie fiel auf das Bett, und als sie wieder hochkam, blutete ihr Mund.«182 Nach der Rückkehr der Mutter von der Polizeistation, so Arthurene McMillan, habe ihr Körper deutliche Verletzungsspuren aufgewiesen: »Am nächsten Morgen sah ich ihre Blutergüsse. Ihr linkes Auge war komplett zu und das rechte Auge zum Teil. Ich sah, dass sie Blutergüsse an beiden Seiten ihrer Arme hatte. Sie sagte, die Männer, die sie mitgenommen hatten, hätten ihr die Blutergüsse zugefügt. Sie befahl uns, niemandem etwas davon zu erzählen.«183 Des Weiteren wurden die Vorwürfe McMillans durch die Aussagen mehrerer afroamerikanischer Zeugen bestätigt, die zum Tatzeitpunkt im Gefängnis von Union Springs inhaftiert waren. Der wegen Landstreicherei festgenommene 28-jährige Junior Reed etwa sagte aus, dass er Schlaggeräusche, Schreie sowie

Siehe die Aussagen von Sheriff Joseph L. Pickett, Rell (Verell) Green und Reynold G. Cook, Bericht von Pierce A. Pratt, FBI Special Agent, Birmingham, AL, 15. 10. 1946, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 182 Aussage von Arthurene McMillan, Bericht von Pierce A. Pratt, FBI Special Agent, Birmingham, AL, 15. 10. 1946, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20, S. 11–12. 183 Ebenda. 181

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einen Wortwechsel zwischen Sheriff Pickett und dem Opfer gehört habe.184 Bereits im Vorfeld des Verfahrens formierte sich lokaler Widerstand gegen die bundesbehördlichen Ermittlungen. Wie ein Mitarbeiter des lokalen U. S. District Attorney Office in einem Schreiben an das US-Justizministerium ausführte, hätten Sheriff Joseph L. Pickett sowie weitere mit ihm »befreundete Personen« unter der lokalen weißen Bevölkerung und den Sheriffs von Alabama aktiv um Unterstützung im bevorstehenden Prozess vor dem US-Bundesgericht geworben.185 Angehörige von Martha McMillan äußerten die Sorge, dass diese wegen des bevorstehenden Prozesses Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten habe.186 Tatsächlich verließ Martha McMillan aus Angst um ihre Sicherheit bereits während der FBI-Ermittlungen den Bezirk Bullock County.187 Nach Abschluss der Ermittlungen fand im Juni 1947 das Verfahren gegen Sheriff Joseph L. Pickett, Verrell (Rell) Green, Reynold G. Cook, Margaret Green Cook und Comer F. Green vor dem US-Bundesgericht in Opelika, Alabama, statt. Unter Berufung auf die Sektionen 52, 88 und 51 des United States Code legte die Anklageschrift den Beschuldigten die gemeinsame Verschwörung mit dem Ziel, Martha McMillan ihrer Grundrechte zu berauben, zur Last.188 Neben den lokalen Zeitungen berichteten auch die nationalen afroamerikanischen Wochenzeitungen Pittsburgh Courier und Aussage von Junior Reed, Bericht von Pierce A. Pratt, FBI Special Agent, Birmingham, AL, 15. 10. 1946, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20, S. 37–38. 185 Brief von Hartwell Davis, Assistant United States Attorney, Middle District of Alabama, an Tom C. Clark, United States Attorney General, Montgomery, AL, 16. 4. 1947, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 186 Brief von Theron L. Claude, Civil Rights Section, an E. Burns Parker, United States Attorney, Middle District of Alabama, Washington D. C., 18. 4. 1947, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 187 Siehe Bericht von Pierce A. Pratt, FBI Special Agent, Birmingham, AL , 15. 10. 1946, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20, S. 45. 188 Siehe die Anklageschrift »United States vs. Jospeh L. Pickett, Verell Green, alias Rell Green, Reynolds G. Cook, Margaret Green Cook, and Comer F. Green«, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 184

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Chicago Defender über den Prozess. Auf der Titelseite des Defender wurde der Fall als weiteres Exempel des »Feudalismus des Bourbonen-Südens« bezeichnet.189 Der Courier wiederum verglich die Ereignisse in Union Springs mit den Vorgängen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern: »Die schmutzige Geschichte einer Terrornacht in einer Gefängniszelle in Union Springs, die an die Folteropfer von Hitlers Konzentrationslagern erinnert, wird im US-Bezirksgericht enthüllt werden, […] wenn fünf weißen Angeklagten wegen der brutalen Schlauch-Auspeitschung [»the brutal hose-flogging«] von Mrs Martha K. McMillan, einer 35-jährigen farbigen Angestellten eines Busbahnhofs, der Prozess gemacht wird.«190 Der Bericht ist ein Beispiel dafür, dass die schwarze Presse und afroamerikanische Bürgerrechtsaktivistinnen und -aktivisten auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Vergleich mit dem Nationalsozialismus einsetzten, um die Verletzung afroamerikanischer Bürgerrechte anzuprangern.191 Vor dem Bundesgericht wiederholte Martha McMillan die Vorwürfe gegen Pickett und die anderen Beschuldigten. Die beiden in dem Fall ermittelnden FBI-Agenten Slate und Pratt sowie der Ministerialbeamte Kimbrough sagten zu ihren Gunsten aus, und die Staatsanwaltschaft legte die bereits erwähnten Fotografien der Verletzungen von Martha McMillan als Beweismittel vor.192 Danach rief die Verteidigung mehrere Zeuginnen und Zeugen in den Gerichtsstand, die den Charakter und den Leumund von Martha McMillan verunglimpften. Sie würden »ihren eidesstattlichen Aussagen keinen Glauben schenken«, so ihre Aussage »Sheriff, Four Others Indicted for Torturing Mothers of Eight«, The Chicago Defender, 22. 2. 1947, S. 1. 190 »Flogging of Ala. Woman Aired in Federal Court«, The Pittsburgh Courier, 17. 5. 1947, S. 4. 191 Siehe etwa die Berichte der NAACP -Zeitschrift The Crisis zu Lynchmorden in den USA: u. a. »Three for Hitler«, The Crisis, November 1942, S. 343 sowie Hobbs, Lynching in Florida. 192 »Lash Trial Prosecution Rests; Woman’s Recital Challenged«, The Montgomery Advertiser, 17. 6. 1947, S. 1, 2. 189

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laut Bericht des Montgomery Advertiser.193 Ähnlich wie im Fall Evans/Faucett versuchten die Verteidiger, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu untergraben, indem sie Martha McMillan der Falschaussage beschuldigten und die ausgeübte Gewalt einer außenstehenden Person anlasteten. Dazu riefen sie eine afroamerikanische Zeugin in den Zeugenstand, Marie Pendleton, die aussagte, Martha McMillan habe ihr gegenüber angegeben, dass ihre Verletzungen von einem weißen Geschäftsbesitzer stammten, dem sie Geld geschuldet habe.194 Im abschließenden Plädoyer forderte Assistant District Attorney Hartwell Davis die Geschworenen dazu auf, sich in ihrem Urteil nicht von »weißen Vorurteilen« leiten zu lassen, und konfrontierte sie mit der Frage, wie sie im Fall der Misshandlung einer weißen Frau urteilen würden: »Wenn einmal eine weiße Frau so zusammengeschlagen werden sollte, was würden wir dagegen tun? […] Wenn dies einer schwarzen Frau, die kaum Freunde hat, zustoßen konnte, könnte dies auch einer weißen Person zustoßen.«195 Trotz des eindringlichen Appells des Staatsanwalts sprachen die Geschworenen alle fünf Beschuldigten von den Vorwürfen frei. In einem Schreiben an die CRS äußerte sich der Staatsanwalt Davis enttäuscht über den Ausgang des zweitägigen Verfahrens: »Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass die Jury die Angeklagten nach einem zweitägigen Prozesse für nicht schuldig befunden hat. Die Jury hat 50 Minuten lang über das Urteil beraten.« Gleichwohl zeigte sich Davis davon überzeugt, dass der Prozess längerfristig eine positive Wirkung zeitigen werde: »Die Angeklagten sind frei, aber es ist meine bescheidene Meinung, dass der Strafprozess auf Jahre hinaus sein Gutes tun wird. Keiner dieser Beamten wird gerne vor ein Bundesgericht gezerrt.«196 Ebenda. Ebenda. 195 »Jury Frees Bullock Sheriff, Four Others, Of Abuse Charge«, The Montgomery Advertiser, 18. 6. 1947, S. 1, 9. 196 Brief von Hartwell Davis, Assistant United States Attorney, Middle District of Alabama, an Tom C. Clark, United States Attorney General, Montgomery, AL, 19. 6. 1947, NARA, RG 60/144, Box 104, Fol. 144–2–20. 193 194

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Die Freisprüche legen nahe, dass afroamerikanische Frauen besondere Schwierigkeiten hatten, den Vorwurf der Folter vor Gericht zu Gehör zu bringen. Die kategoriale Verortung der afroamerikanischen Zeuginnen und Opfer als »schwarz« und »weiblich« schien zu begünstigen, ihre Glaubwürdigkeit besonders nachhaltig in Zweifel ziehen zu können. Ein weiteres Beispiel dafür ist ein Fall, der sich in den frühen 1950er Jahren in Alabama zutrug. Im April 1953 erhob die 49-jährige Mallie Pearson aus Halsell den Vorwurf, vom Sheriff von Choctaw County, Curvin M. Covington, und den beiden Hilfssheriffs Harry Leon Clark Jr. und Ottis G. Wainright über eine Stunde lang mit einem Stock und einem Ledergürtel geschlagen worden zu sein. Die drei Männer hätten damit versucht, sie zu einem Geständnis über den Diebstahl eines Baumwollballens zu zwingen, der aus einem lokalen Geschäft entwendet worden war.197 Die Ermittlungen in dem Fall brachte ein weißer Pastor ins Rollen, der den Vorfall am 15. April 1953 dem FBI-Büro in Mobile gemeldet hatte.198 Als Mallie Pearson von FBI-Beamten zu den Vorfällen befragt wurde, gab sie zu Protokoll: »Sie brachten mich zu einer Stelle […] im Sumpf und holten mich aus dem Auto. Einer von ihnen zwang mich zu Boden, und einer der anderen Männer ging los, um einen Stock abzuschneiden. Ein Mann zog seinen Gürtel aus und begann auf meine Oberschenkel und mein Gesäß zu schlagen, und der große Mann kam mit einem Stock zurück und schlug mir damit auf den Rücken. Der dritte Mann kniete vor mir und forderte mich auf zu sagen, wo die Baumwolle sei. Er verbot mir zu schreien, oder er würde mir einen Stock in den Hals rammen oder ihn mit Dreck vollstopfen. Nachdem sie mich mit herunterhängendem Kleid ausgepeitscht hatten, nahm einer der Männer seinen Stock und schob das Kleid nach oben und

Aussage von Mallie Pearson, Bericht von Pierce A. Pratt, FBI-Special Agent, Birmingham, AL, 12. 5. 1953, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 198 Siehe Bericht von Richard B. Lee, FBI -Special Agent, Mobile, AL , 24. 4. 1953, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 197

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entblößte das Fleisch meines Gesäßes, und beide fuhren mit den Schlägen fort.«199 Nachdem sie weiterhin ihre Unschuld beteuert habe, hätten sie die Männer schließlich freigelassen, ihr aber zuvor damit gedroht, sie umzubringen, falls sie die Geschehnisse anderen Personen gegenüber erwähnen sollte.200 Pearson wurde dann vier Tage lang in einem lokalen Krankenhaus behandelt. Die vom FBI befragten Ärzte bestätigten, dass sie schwere Blutergüsse hatte, die auch fotografisch dokumentiert wurden. Der weiße Arzt Dr. Columbus A. Jackson gab zu Protokoll: »Ich untersuchte sie, während sie kniete, sie war so schwach, dass sie nicht stehen konnte, und ich stellte fest, dass ihr Gesäß und ihre Hüften schwere Blutergüsse aufwiesen. Ich stellte fest, dass dieser Bereich ihres Körpers sehr rot, geschwollen und hart war. Das Gewebe war aufgrund der Verletzungen dick und hart. Ich stellte fest, dass sowohl ein Gegenstand mit einer flachen Oberfläche als auch einer mit einer runden Oberfläche benutzt worden war, um die Verletzungen herbeizuführen.«201 Im Rahmen der FBI-Ermittlungen identifizierte Pearson Sheriff Curvin M. Covington sowie die beiden Hilfssheriffs Harry Leon Clark Jr. und Ottis G. Wainright als Täter, die allerdings jegliche Beteiligung an der Tat abstritten. Covington weigerte sich, eine Stellungnahme zu den Vorwürfen abzugeben.202 Vor Prozessbeginn wurde Mallie Pearson massiv bedroht. Den Ermittlern vom FBI berichtete sie, von mehreren Weißen dazu angehalten worden zu sein, ihre Anschuldigungen zu widerrufen. Ihr sei sogar gedroht worden, ihr Haus niederzubrenAussage von Mallie Pearson, Bericht von Pierce A. Pratt, FBI-Special Agent, Birmingham, AL, 12. 5. 1953, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 200 Ebenda. 201 Aussage von Columbus A. Jackson, Bericht von Thomas M. Hendricks Jr., FBI Special Agent, 20. 5. 1953, New Orleans, LA, NARA , RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 202 Aussagen von Harry Leon Clark Jr., Ottis G. Wainright in: Bericht von Robert L. Crongeyer Jr., FBI Special Agent, 26. 5. 1953, Mobile, AL, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 199

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nen, sollte sie die Vorwürfe gegen die drei Beschuldigten aufrechterhalten.203 Nach einer mehr als einjährigen Verzögerung begann am 15. September 1954 vor dem Bundesgericht in Mobile der Prozess gegen Covington, Clark und Wainright. Im Zeugenstand brachte Mallie Pearson ihre Foltervorwürfe gegen die drei Angeklagten noch einmal vor. Ihre Aussage wurde durch die Stellungnahmen mehrerer weißer Ärzte untermauert. Sowohl der bereits genannte Dr. Columbus A. Jackson als auch der im Krankenhaus von Meridian tätige Arzt J. P. Tatum bestätigten die schweren Blutergüsse am Körper von Pearson.204 Darüber hinaus erklärte der FBI-Beamte Robert L. Crongeyer, dass Pearson die drei Angeklagten bei einer Gegenüberstellung, ohne zu zögern, als Täter identifiziert habe.205 Auch in diesem Prozess zielte die Strategie der Verteidiger darauf ab, die Glaubwürdigkeit des Opfers infrage zu stellen. Sie behaupteten, Pearsons Anschuldigungen basierten auf einer »absolut unzuverlässigen Identifizierung« der angeblichen Täter,206 und erhoben zudem den Vorwurf, dass das Verfahren von einem früheren Gegenkandidaten Covingtons bei der Wahl um den Sheriffposten eingefädelt worden sei.207 Trotz der erdrückenden Beweislast sprachen die weißen Geschworenen die Beschuldigten von allen Anklagepunkten frei.208 Dies hing möglicherweise auch mit der Entscheidung des U. S. Supreme Court im Fall Brown vs. Board of Education zusam-

Bericht von Robert L. Crongeyer, FBI Special Agent, Mobile, AL, 26. 5. 1953; Bericht von Robert L. Crongeyer, FBI Special Agent, Mobile, AL, 17. 6. 1953; Bericht von Robert L. Crongeyer, FBI Special Agent, Mobile, AL , 9. 7. 1953; Bericht von Robert L. Crongeyer, FBI Special Agent, Mobile, AL , 28. 7. 1953, NARA , RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 204 »Woman Testifies She Was Beaten«, The Mobile Register, 16. 9. 1954, S. 1, 2. 205 »Jury To Get Case Against Sheriff Today«, The Mobile Register, 18. 9. 1954, S. 1, 4. 206 »3 Officers Aquitted In Civil Rights Case«, The Mobile Register, 18. 9. 1954, S. 1. 207 »Sheriff Defense Motion Is Lost«, The Mobile Press, 16. 9. 1954, S. 10. 208 »3 Officers Aquitted In Civil Rights Case«, The Mobile Register, 18. 9. 1954, S. 1. 203

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men. Am 17. Mai 1954 hatte der U. S. Supreme Court in einer Grundsatzentscheidung die Segregation des öffentlichen Schulwesens für ungültig erklärt und damit die juristische Grundlage für das System der Rassentrennung in den USA aufgehoben.209 In einem Brief an die Civil Right Section schrieb der U. S. District Attorney Percy C. Fountain dazu: »Die Anschuldigungen wurden ohne jeden begründeten Zweifel belegt. Der Richter war sich sicher, dass es zu einer Verurteilung kommen würde, und es gab Gerüchte, wonach einige Geschworene der Meinung waren, dass die Angeklagten schuldig seien, sie aber keine weißen Männer wegen eines solchen Vergehens schuldig sprechen wollten, insbesondere nach der Entscheidung des Supreme Court zur Segregation. Das Urteil war sehr entmutigend.«210 Demnach wurde der Freispruch für Covington und seine Mitbeschuldigten durch das Urteil im Fall Brown vs. Board of Education befördert, das bei weiten Teilen der weißen Bevölkerung des Südens die Sorge vor einem Aufbrechen der segregierten Gesellschaftsstrukturen heraufbeschwor. Außerdem zeigen die Freisprüche im Fall Covington, welche Wirkmacht rassistische Ordnungsvorstellungen noch in den 1950er Jahren im Süden der USA entfalteten. Trotz umfassender Beweise sahen Geschworene weiterhin davon ab, Polizeikräfte wegen rassistischer Gewaltverstöße zu verurteilen. Bemerkenswert war zudem ein weiterer Kommentar des Staatsanwalts, mit dem dieser die Hauptzeugin Mallie Pearson für das negative Urteil mitverantwortlich machte: »Es sollte erwähnt werden, dass das Opfer, obwohl implizit und wiederholt dazu aufgefordert, im Zeugenstand ruhig, Zur Bedeutung von Brown vs. Board of Education für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung siehe u. a.: Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 344–442. Zur Radikalisierung des weißen Widerstands gegen die Bürgerrechtsbewegung im Anschluss an das Supreme Court Urteil siehe u. a.: Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 385–442, Belknap, Federal Law and Southern Order. 210 Brief von Percy C. Fountain, United States Attorney, Southern District of Alabama, an Arthur B. Caldwell, Chief, Civil Rights Section, Criminal Division, 25. 10. 1954, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 209

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wahrheitsgetreu und demütig zu bleiben, sehr besserwisserisch und überheblich war. Sie unternahm auch den Versuch, ihre Anschuldigungen aufzubauschen, indem sie ihre Verletzungen massiv übertrieb. Beide Ärzte sagten im Zeugenstand aus, dass sie keine dauerhaften Verletzungen erlitten habe und dass alle angefertigten Röntgenbilder negativ seien. Das Opfer behauptete, sie sei dauerhaft verletzt, und hinkte dramatisch in den Zeugenstand.«211 Danielle McGuire hat argumentiert, dass in den Südstaaten das Verhalten afroamerikanischer Frauen vor Gericht an historischspezifische »Politiken der Respektabilität« gekoppelt war. In ihren Untersuchungen zu den wenigen Fällen aus den 1950er Jahren, in denen weiße Männer im Süden der USA wegen der Vergewaltigung schwarzer Frauen angeklagt wurden, zeigt sie, dass die Auftritte der Vergewaltigungsopfer vor Gericht von rassistisch und patriarchal codierten Wahrnehmungsweisen gerahmt wurden. Sie hatten nur dann eine Chance, vor Gericht gehört zu werden, wenn sie ein zurückhaltendes und »bescheidenes« Verhalten an den Tag legten.212 Die Äußerungen Fountains in Bezug auf Pearsons Verhalten vor Gericht sind ein Beispiel für diese diskriminierenden Vorstellungsmuster. Einmal mehr verweist auch dieser Fall auf die Schwierigkeiten afroamerikanischer Frauen, dem Vorwurf der Folter vor Bundesgerichten Gehör zu verschaffen, sowie auf die Indifferenz der Geschworenen in den Südstaaten, wenn es um die Folterung schwarzer Frauen ging. Noch in den frühen 1950er Jahren waren die Bundesbehörden mit massiven Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie den Versuch unternahmen, Bürgerrechtsansprüche von African Americans im Süden der USA durchzusetzen. Wie Arthur B. Cladwell, ein Anwalt der Civil Rights Section, im Anschluss an den Prozess kommentierte, sei zu hoffen, dass die anBrief von Percy C. Fountain, United States Attorney, Southern District of Alabama, an Arthur B. Caldwell, Chief, Civil Rights Section, Criminal Division, 25. 10. 1954, NARA, RG 60/144, Box 104, 144–3–87. 212 McGuire, »Sexual Violence«, S. 913–914, 922–923. Siehe auch McGuire, At the Dark End of the Street, sowie Napson-Williams, Violating the Black Body. 211

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gestrengten Verfahren zumindest längerfristig Auswirkungen zeigten: »Wir können nur hoffen […], dass Anklagerhebungen und öffentliche Prozesse in diesen Fällen ähnliche Verletzungen der Bürgerrechtsgesetze in Zukunft verhindern werden.«213

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Brief von Arthur B. Caldwell, Chief of Civil Rights Section, an Percy C. Fountain, United States Attorney, Southern District of Alabama, 4. 11. 1954, NARA , RG 60/144, Box 104, 144–3–87.

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Resümee und Ausblick Knapp ein Jahr, nachdem der Prozess gegen Sheriff Curvin M. Covington und seine beiden Hilfssheriffs in Alabama mit einem Freispruch geendet hatte, wurde im August 1955 der 14-jährige Afroamerikaner Emmett Till in der Kleinstadt Webb in Mississippi ermordet. Anders als die Misshandlung von Mallie Pearson durch Polizeikräfte, die von der nationalen und internationalen Öffentlichkeit nicht beachtet worden war, erfuhr dieser Mord eine nie zuvor erreichte Aufmerksamkeit. Der in Chicago aufgewachsene Jugendliche hatte im Sommer 1955 für einige Wochen die Familie seines Onkels in Mississippi besucht. Grund für seine Ermordung war, dass der 14-Jährige beim Einkaufen angeblich eine anzügliche Bemerkung gegenüber der weißen Ladenbesitzerin gemacht habe. Wenige Tage später wurde er in der Nacht vom Ehemann der Frau und dessen Halbbruder mit einem Pick-up an einen abgelegenen Ort verschleppt und dort mit Pistolengriffen und Fausthieben misshandelt. Anschließend brachten ihn die Männer zum nahe gelegenen Tallahatchie River, wo sie ihn erschossen und seinen mit einem Eisengewicht beschwerten Leichnam in den Fluss warfen. Der Mord an Emmett Till schockierte die amerikanische und internationale Öffentlichkeit. Zeitungen sowie Radio- und Fernsehstationen in den USA und zahlreichen Ländern weltweit berichteten über die Umstände des Falls und den anschließenden Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Täter vor dem Gericht in Sumner, Mississippi, der mit einem Freispruch für die Beschuldigten endete.1 Die besondere Anteilnahme resultierte zum einen daraus, dass es sich bei dem Opfer um einen Jugendlichen handelte, zudem dem einzigen Kind einer alleinerziehenden Mutter. Zum anderen bekam der Fall vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eine besondere Brisanz. Wie bereits der Fall der Groveland Four aus dem Jahr 1949 befeuerte der Mord an Emmett Till weltweit 1

Zum Fall Emmet Till siehe u. a. Metress, The Lynching of Emmett Till; Goldsby, »The High and Low Tech of It«.

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Debatten über die Versprechungen und Schattenseiten der amerikanischen Demokratie.2 Nicht zuletzt war die öffentliche Anteilnahme an Tills Tod der beispiellosen medialen Präsenz und Inszenierung des Falles geschuldet. Um die Welt am Schicksal ihres Sohnes Anteil nehmen zu lassen, stimmte Tills Mutter Mamie Till Bradley der Veröffentlichung mehrerer Fotografien von der Beerdigung und vom offenen Sarg ihres Sohnes zu. Die Bilder des entstellten Leichnams machten die Brutalität des im Süden herrschenden Rassismus in unverhüllter Form sichtbar. Die immense öffentliche Präsenz des Falles sollte die Dynamisierung der Bürgerrechtsbewegung in maßgeblicher Weise vorantreiben.3 Rosa Parks, die sich wenige Monate nach Tills Ermordung geweigert hatte, einem weißen Bürger ihren Sitzplatz in einem öffentlichen Bus freizugeben, und damit den Busboykott von Montgomery auslöste, begründete ihre Widerstandsaktion mit den Worten: »Ich dachte an Emmett Till, und ich konnte einfach nicht nach hinten gehen.«4 Der Mord an Emmett Till und die sich verstärkende Mobilisierung der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung bilden den chronologischen Endpunkt der vorliegenden Studie, die mit dem Fall der neun Scottsboro Boys aus dem Alabama der frühen 1930er Jahre begonnen hat. Wie gezeigt wurde, stellte die Polizeifolter an African Americans eine Gewaltpraxis dar, die für die rassistisch codierten Macht- und Ordnungsstrukturen im Süden der USA zwischen 1930 und 1955 von konstitutiver Bedeutung war. Die mithilfe von Gerichtsunterlagen, bundesbehördlichen Ermittlungsakten, Zeitungsartikeln und den Archivbeständen der NAACP rekonstruierte Geschichte dieser extremen Form rassistischer Gewalt zeigt, dass diese keine maßgebliche Sanktionierung durch die weiße Mehrheitsgesellschaft erfuhr. Gleichzeitig begannen jedoch sowohl afroamerikanische Folteropfer als auch Bürgerrechtsorganisationen und Bundesbehörden damit, Goldsby, A Spectacular Secret, S. 294–305. Ebenda, S. 294; Video-Interview mit Robin D. G. Kelley, American Experience: The Murder of Emmett Till, http://www.pbs.org/wgbh/amex/till/ sfeature/sf_kelley.html [31. 1. 2014]. 4 Zit. n. Houck/Grindy, Emmett Till, S. x. 2 3

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die illegale Ausübung der Polizeifolter sichtbar zu machen und rechtliche Konsequenzen einzufordern. Ein zentraler Befund dieser Studie lautet, dass die Folterung von African Americans zur Erzwingung von Geständnissen im Zusammenhang mit dem Rückgang der Lynchgewalt und der zunehmenden Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Süden der 1930er und 1940er Jahre stand. Die Folterungen dienten dazu, die rasche Verurteilung beschuldigter afroamerikanischer Straftäter sicherzustellen und das Vergeltungsbedürfnis der lokalen weißen Bevölkerung zu befriedigen. Die im ersten Kapitel analysierten Geschehnisse im Anschluss an die Ermordung eines weißen Landwirts in Kemper County, Mississippi, machen dies in exemplarischer Weise deutlich. Unmittelbar nach der Festnahme der schwarzen Beschuldigten Brown, Ellington und Shields wurde eine rasche Sanktionierung der Tat durch die lokalen Gerichte in Aussicht gestellt. Zwar verhinderten Polizeikräfte mit verschiedenen Maßnahmen einen drohenden Lynchmord, doch erzwangen sie mit dem Mittel der Folter ein Geständnis, sodass die Beschuldigten möglichst rasch verurteilt werden konnten. Wie zahlreiche ähnliche Fälle aus dem Untersuchungszeitraum zeigen, geschah dies vor allem bei Verbrechen, die die rassistischen Ordnungsstrukturen im Süden der USA in besonderer Weise infrage zu stellen schienen, das heißt bei Vergewaltigungs- oder Mordvorwürfen gegen afroamerikanische Tatverdächtige. Die Ermordung von Weißen wurde als Angriff auf die Machtposition der weißen Bevölkerung gedeutet. Die Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann galt als größtmöglicher Verstoß gegen die soziale Ordnung, da damit sowohl die untergeordnete Position des schwarzen Mannes als auch das Ideal der »rassischen« Reinheit und die Rolle des weißen Mannes als Patriarch und Beschützer der weißen Frau infrage gestellt wurden. Die gehäufte Anwendung der Polizeifolter verweist auf eine von der Forschung bislang unbeachtete Schattenseite des Rückgangs der Lynchjustiz in den Südstaaten. Rassistische Gewaltpraktiken fanden in den 1930er und 1940er Jahren vermehrt im Verborgenen statt: in der Regel innerhalb staatlicher Institutionen, in jedem Fall aber außerhalb der Blicke der Öffentlichkeit. 255

Der Fall Brown/Ellington/Shields zeigt jedoch, dass es gleichzeitig ein inoffizielles Wissen über die Praxis der Folter gab. Die Duldung dieses Wissens um eine an sich illegale Praktik hatte vermutlich das Ziel, die weiße Bevölkerung über das rasche und harte Vorgehen der Polizei informiert zu halten und gleichzeitig die schwarze Bevölkerung einzuschüchtern und vor Verstößen gegen die Ordnung der Segregation zu warnen. Die polizeiliche Folter afroamerikanischer Tatverdächtiger stellte insofern eine Form rassistischer Gewalt dar, die den Anspruch auf die weiße Vormachtstellung unter veränderten Vorzeichen fortschrieb. Darüber hinaus handelte es sich dabei um eine überaus gewaltsame und symbolgeladene Praxis der Segregation, die darauf zielte, den unbedingten weißen Überlegenheitsanspruch gegenüber schwarzen Tatverdächtigen zu demonstrieren. Durch das Zufügen von Schmerz, aber auch mit sprachlichen Mitteln wurde zum einen die Verfügungsmacht über den Körper und die Psyche des Verhörten, zum anderen dessen Schutzlosigkeit und Unterlegenheit demonstriert. Legitimiert wurde die Folter mit dem rassistischen Verweis auf den angeblich subhumanen Status afroamerikanischer Menschen, ihre vermeintliche Lügenhaftigkeit und körperliche Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen. Diese Befunde werfen die Frage auf, welche anderen Formen polizeilicher Gewalt den Rückgang der Lynchgewalt im Süden der USA begleiteten? Ein weiteres interessantes Forschungsthema wäre die Anwendung von Folter in anderen Kontexten – etwa innerhalb des Gefängnissystems im US-amerikanischen Süden: Inwiefern wurden dort Praktiken rassistischer Gewalt und Folter ausgeübt und fortgeführt, ohne dass sie in den Fokus der Öffentlichkeit rückten? Welche Rationalitäten und Sichtbarkeiten kennzeichneten diese Formen der Gewalt? Versuchten afroamerikanische Angeklagte, den Vorwurf der Folter im Justizsystem der Südstaaten zu Gehör zu bringen, scheiterten sie daran in der Regel. Bei der Analyse der dargestellten Fälle in Anlehnung an postkoloniale Arbeiten wurde deutlich, dass afroamerikanische Zeugenschaft innerhalb der zutiefst rassistisch strukturierten Gesellschaftsordnung des Südens auf massive Grenzen stieß. Die den schwarzen Beschuldigten zugewiesene subalterne Sprechposition hatte zur Folge, dass ihre 256

Foltervorwürfe in der Regel keine Auswirkungen auf die Urteilsfindung hatten. Gleichzeitig zeigen die analysierten Fälle, dass schwarze Angeklagte sowie Zeuginnen und Zeugen durch die Tatsache, dass sie den Vorwurf der Folter mit detaillierten Aussagen vor Gericht brachten, die ihnen zugewiesene inferiore Position zumindest kurzzeitig infrage stellten und überwanden. Ihre Forderung nach einem fairen Verfahren und Achtung ihrer körperlichen Integrität lässt sich vor diesem Hintergrund als eine eminent politische Praxis deuten, mit der sie versuchten, sich den Strukturen der Diskriminierung und Entmündigung zu widersetzen. Die Gerichtsverfahren gegen Dave Canty sowie gegen Curtis C. Robinson und Henry Daniels Jr. verdeutlichen, dass es sich beim Prozedere der Wahrheitsfindung in den Rechtsinstitutionen des Südens um eine hochgradig umkämpfte Angelegenheit handelte. Als symbolisch verdichtete Inszenierungen stellten juristische Prozesse gegen mutmaßliche afroamerikanische Straftäter soziale Ereignisse dar, in denen rassistische Hierarchien und patriarchale Ordnungsmuster aufgerufen und re-konstituiert wurden. Zugleich waren es die Sprechakte der schwarzen Angeklagten, die das Potenzial für Veränderungen eröffneten. Im Grunde wurde in diesen symbolisch verdichteten Situationen um die Gestalt der gesellschaftlichen Ordnung verhandelt. Einerseits wurden in den Prozessen rassistische Hierarchien und patriarchale Ordnungsmuster aufgerufen und bestätigt. Andererseits eröffneten die Verfahren die – wenn auch beschränkte – Möglichkeit der Intervention, der Verschiebung dieser Ordnung, indem sie afroamerikanischen Angeklagten ein Forum gaben, in dem sie ihre Bürgerrechtsansprüche öffentlich zur Sprache brachten und deren Beachtung einforderten. Ab Mitte der 1930er Jahre stießen die Foltervorwürfe schwarzer Angeklagter vor Gericht verstärkt auf Resonanz. Eine besondere Rolle kam dabei der Rechtsabteilung der NAACP zu, die ab diesem Zeitpunkt versuchte, das Phänomen der gewaltsamen Geständniserzwingung im Süden der USA durch die Dokumentation einzelner Fälle sowie durch Berufungsverfahren vor dem U. S. Supreme Court Schritt für Schritt einzudämmen. Die rechtlichen Aktivitäten der Organisation sorgten nicht nur dafür, dass 257

einzelne Beschuldigte vor unrechtmäßigen Verurteilungen bewahrt wurden. Sie hatten auch zur Folge, dass der Supreme Court die Zulassung erzwungener Geständnisse vor Gericht zunehmend reglementierte, und trugen mit dazu bei, dass sich eine Rechtsdoktrin gegen die Verwendung erzwungener Geständnisse herausbildete, die im Jahr 1966 in das wegweisende Supreme-Court-Urteil im Fall Miranda vs. Arizona münden sollte, das Tatverdächtigen das Recht auf Aussageverweigerung zusicherte.5 Die Strategien der NAACP-Aktivistinnen und Aktivisten glichen insofern zum Teil denjenigen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Wie auch diese Institutionen verfolgten sie das Ziel, die Anwendung der Folter zu dokumentieren und sichtbar zu machen, um dadurch den Druck auf potenzielle Täter zu erhöhen und der Forderung nach der Wahrung grundlegender Rechte Ausdruck zu verleihen.6 Die lokalen Aktivitäten der NAACP stärkten die Position afroamerikanischer Angeklagter im Justizsystem des Südens, wie zum Beispiel im Fall von Dave Canty, in dem unverkennbar demonstriert wurde, dass auch Schwarze das Recht auf eine faire und gleichberechtigte Behandlung vor Gericht haben. Auch das Verfahren gegen den Angeklagten W. D. Lyons in Oklahoma zeugt davon, dass die Rechtsaktivitäten der NAACP die hierarchischen Machtverhältnisse in Gemeinden des Südens zumindest temporär und punktuell aufbrachen und eine emanzipatorische Wirkung hatten. Dies geschah insbesondere durch den selbstbewussten Auftritt des schwarzen NAACP-Anwalts Thurgood Marshall vor dem Gericht in Hugo, Oklahoma, der damit sämtliche Rollenerwartungen an eine schwarze Person vor Gericht unterwanderte. Die Bestätigung der lebenslänglichen Haftstrafe gegen W. D. Lyons durch den U. S. Supreme Siehe Brown, »Coerced Confessions/Police Interrogations«. Das MirandaUrteil legte fest, dass Tatverdächtige vor der polizeilichen Vernehmung über ihr Recht belehrt werden müssen, gegenüber der Polizei zu schweigen und einen Anwalt hinzuzuziehen. Siehe Brown, »Coerced Confessions/Police Interrogation«. 6 Zu den politischen Implikationen der Anti-Folter-Aktivitäten heutiger Menschenrechtsorganisationen siehe Scarry, »Five Errors«, S. 288; Crelinsten, »Gewalt in Gefängnissen/Folter«, S. 255–256. 5

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Court verweist aber auch auf die Grenzen des rechtlichen Engagements der NAACP. Nicht zuletzt trug die NAACP-Kampagne gegen die Praxis der Geständniserzwingung mit dazu bei, dass der anhaltende Rassismus im Süden der USA zunehmend in den Blickpunkt der nationalen und internationalen Öffentlichkeit rückte. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und später des einsetzenden Kalten Krieges wurde argumentiert, dass die Folterpraktiken ebenso wie andere Formen rassistischer Gewalt in direktem Widerspruch zu den propagierten »amerikanischen Werten« wie Zivilisiertheit, Demokratie und Freiheit stünden. Auf diese Weise führte die Kampagne mit dazu, dass die rassistische Gewalt im Süden der USA verstärkt als nationales Problem wahrgenommen wurde, das eine nachhaltige Lösung erforderte. Trotz dieses erfolgreichen Engagements und trotz der Grundsatzentscheidungen des Supreme Court in den Fällen Brown vs. Mississippi (1936) und Chambers vs. Florida (1940), die die Verwendung erzwungener Geständnisse als Beweismitel untersagten, erreichten die NAACP bis zum Jahr 1955 noch Dutzende von Beschwerden über die Praxis der Geständniserzwingung. Möglicherweise bestand eine indirekte Auswirkung des NAACP-Rechtskampfes auch darin, dass Polizeikräfte eher dazu übergingen, ihre Foltermaßnahmen gegen afroamerikanische Angeklagte vor Gericht zu leugnen und damit deren Versuche erschwerten, die erlittene Folter vor Gericht glaubhaft zu machen.7 Zudem ist zu vermuten, dass die Rechtsinitiative der NAACP sich nicht auf die alltäglichen polizeilichen Folterpraktiken gegen schwarze Gefangene und Tatverdächtige auswirkte, da sie sich nur in Fällen engagierte, in denen der Vorwurf der Folter in Strafverfahren erhoben worden war. Die Kampagne klammerte somit all jene Fälle aus, in denen African Americans aufgrund kleinerer Strafdelikte festgenommen wurden und polizeilicher Willkür unterworfen waren. Wie die untersuchten Fälle zeigen, mussten Polizeikräfte in den Südstaaten bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hi7

Siehe hierzu auch die Befunde in Klarman, »Is the Supreme Court Sometimes Irrelevant?«, S. 138–140.

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nein in der Regel keine rechtlichen Konsequenzen für ihre Folterpraktiken befürchten, und aufgrund der indifferenten Haltung der weißen Bevölkerung gegenüber Fällen rassistisch motivierter Polizeigewalt wurde dieses Thema auch nur äußerst selten zum Gegenstand öffentlicher Debatten. Eine Ausnahme bildet der vorgestellte Fall des 16-jährigen Quinter South, der Anfang der 1940er Jahre in Atlanta, Georgia, publik wurde. Die mediale Skandalisierung des Falls gibt einen Einblick in die unterschiedliche Wahrnehmung der alltäglichen Polizeigewalt gegen schwarze Bürgerinnen und Bürger im amerikanischen Süden der frühen 1940er Jahre. Während die lokale afroamerikanische Presse mit dem Fall South auf die Alltäglichkeit polizeilicher Gewalt und Folter in Atlanta hinwies und nachdrücklich deren Ende forderte, thematisierte die nationale afroamerikanische Presse vor allem den anhaltenden Rassismus im Süden. In den weißen Zeitungen Atlantas wurden die Ereignisse hingegen als bedauernswerter singulärer Fall polizeilicher Gewalt gerahmt, in dem die lokale weiße Bevölkerung ihre Schutzpflichten gegenüber den »schwächeren Elementen« der lokalen Bevölkerung vernachlässigt habe. Der Fall South bot der weißen Bürgerschicht Atlantas eine Möglichkeit der gleichsam gefahrlosen moralischen Selbstvergewisserung, ohne die herrschenden Strukturen rassistischer Gewalt und Diskriminierung grundlegend infrage zu stellen. Begünstigt wurde dies wohl auch durch den Umstand, dass South lediglich des Einbruchs beschuldigt worden war und nicht etwa des Mordes oder gar der Vergewaltigung, sodass seine Folterung als Akt unverhältnismäßiger Gewaltausübung kritisiert werden konnte. Die Foltervorwürfe des 16-Jährigen, der seine Familie durch die Arbeit in einem weißen bürgerlichen Haushalt finanziell unterstützt hatte, eigneten sich daher in besonderer Weise dazu, sich moralisch gegen die ausgeübte Gewalt zu positionieren. Trotz der empörten Reaktionen des weißen Bürgertums wurde der Fall jedoch nicht zum Anlass genommen, um sich mit der alltäglichen Diskriminierung afroamerikanischer Bürgerinnen und Bürger durch die Polizei auseinanderzusetzen. Der im Juni 1940 erfolgte Freispruch für den Angeklagten W. F. Sutherland vor dem Criminal Court in Atlanta legt vielmehr nahe, dass 260

die selektive Skandalisierung einzelner Folterfälle die Gleichgültigkeit der weißen Bevölkerung Atlantas gegenüber Fällen rassistischer Polizeigewalt nicht zu erschüttern vermochte. Dieser Befund wird bestätigt durch die Untersuchungsergebnisse zu den Bürgerrechtsermittlungen des US-Justizministeriums und des FBI in Fällen polizeilicher Foltergewalt. Die in dieser Arbeit erstmals untersuchten Fälle zeigen einerseits, dass die in den frühen 1940er Jahren einsetzenden Ermittlungen des Bundes die Leugnung der Folter durch die lokalen Polizeibehörden und ihre Duldung durch die lokale Justiz auf den Prüfstand stellten. Dazu wurden die Stellungnahmen afroamerikanischer Opfer protokollarisch erfasst und die Foltervorwürfe durch umfangreiche Beweissammlungen und den Einsatz neuester forensischer Methoden verifiziert. Von besonderer Bedeutung war dabei das Medium der Fotografie, das in den Ermittlungsbemühungen des FBI eine herausgehobene Rolle einnahm. Einige der dargestellten Ermittlungsverfahren wurden in den betroffenen Gemeinden als Bedrohung der rassistischen Machtund Herrschaftsstrukturen wahrgenommen. Zuweilen kam es aber auch zu Koalitionen zwischen Teilen der lokalen weißen Einwohnerschaft, bundesbehördlichen Ermittlern und der schwarzen Bevölkerung, indem sich diese gemeinsam gegen die lokalen polizeilichen Gewaltpraktiken aussprachen. Andererseits provozierten die bundesbehördlichen Ermittlungen den Widerstand der Polizeikräfte und zahlreicher Angehöriger der lokalen weißen Bevölkerung. Wie unter anderem die Verfahren gegen Sheriff Edwin E. Evans und Hilfssheriff Henry F. Faucett in Alabama und gegen Sheriff William J. Erskine in South Carolina belegen, gerieten die bundesbehördlichen Bemühungen um die Sanktionierung der Folter in Konflikt mit lokalen rassistisch codierten Ordnungsvorstellungen. Darüber hinaus verstärkten sie historisch gewachsene Ressentiments gegen die Einmischung des Bundes in die rechtliche und politische Souveränität der Südstaaten. Insgesamt betrachtet hatte die Bürgerrechtsinitiative des Bundes im amerikanischen Süden ambivalente Auswirkungen auf die Bürgerrechtssituation. Einerseits rückte sie die im Verborgenen stattfindende Gewaltpraxis der Polizei in den Fokus der 261

lokalen Gemeinden und eröffnete afroamerikanischen Gewaltopfern die Möglichkeit, auf die Verletzung ihrer Bürgerrechte öffentlich aufmerksam zu machen und deren Beachtung einzufordern. Andererseits zeigen die vorgestellten Fälle, dass die Gerichtsverfahren dazu genutzt wurden, die lokalen rassistisch codierten Hierarchien wiederherzustellen. Wie die Fälle von Lillie Mae Hendon, Martha Kendrick McMillan und Mallie Pearson verdeutlichen, blieb innerhalb der rassistisch-patriarchalen Gesellschaftsordnung des Südens insbesondere afroamerikanischen Frauen eine Anerkennung als glaubwürdige Zeuginnen und als Opfer unrechtmäßiger Gewalt versagt. Die zahlreichen Freisprüche in den untersuchten Verfahren dokumentieren, dass die bundesbehördlichen Ermittlungsverfahren nur in sehr begrenztem Maße in der Lage waren, die gewaltbasierten Macht- und Ordnungsstrukturen des segregierten Südens aufzubrechen. Die Bilanz der Untersuchung der unterschiedlichen Initiativen gegen die Polizeifolter im Süden der USA zwischen 1930 und 1955 fällt daher zwiespältig aus: Einerseits forderte die Sichtbarmachung der Folter durch afroamerikanische Angeklagte, Bürgerrechtsinstitutionen und Bundesbehörden die gesellschaftlichen Ordnungsmuster im Süden der USA heraus. Andererseits zeugen die vorgestellten Fälle von der begrenzten Wirkung dieser Maßnahmen. Der Fall Mallie Pearson aus dem Jahr 1953 zeigt exemplarisch, dass Polizeikräfte noch in den frühen 1950er Jahren zu Foltermethoden greifen konnten, ohne dafür juristisch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Am Gegenstand der Polizeifolter lässt sich somit – wie durch ein Brennglas – der Konflikt zwischen dem Beharren auf einer zutiefst rassistisch strukturierten Gesellschaftsordnung und dem Bestreben nach einer Veränderung dieser Ordnung untersuchen. Wie der folgende Ausblick zeigt, sollten erst die Dynamisierung der Bürgerrechtsbewegung und die Formierung des gewaltbereiten afroamerikanischen Widerstands in den 1960er und 1970er Jahren die rassistischen Macht- und Ordnungsstrukturen im Süden der USA nachhaltig infrage stellen. Im Jahr 1954 erklärte der Supreme Court mit seiner Grundsatzentscheidung im Fall Brown vs. Board of Education die recht262

lich sanktionierte Rassentrennung in staatlichen Schulen für unrechtmäßig. Wie bereits angemerkt, hob das Grundsatzurteil die Doktrin »Getrennt, aber gleich« auf, mit welcher der Supreme Court 58 Jahre zuvor im Fall Plessy vs. Ferguson das System der Rassentrennung gebilligt hatte. Das höchstrichterliche Urteil im Fall Brown hielt die Behörden in den Südstaaten dazu an, die Integration des Schulwesens voranzutreiben, was zur Formierung einer breiten reaktionären Widerstandsbewegung führte. Die zum Teil gewaltsamen Proteste der weißen Südstaatenbevölkerung gegen die Integration des staatlichen Schulwesens setzten gleichsam den Widerstand gegen die Folterermittlungen des Bundes im Süden der 1940er und frühen 1950er Jahre fort. Gleichzeitig verstärkten das Urteil im Fall Brown und der Mord an Emmett Till die Bürgerrechtsproteste der schwarzen Bevölkerung in den Südstaaten, etwa den Montgomery Bus Boycott in den Jahren 1955 und 1956. Anfang der 1960er Jahre kulminierte der Kampf gegen das Apartheidsystem in zahlreichen direkten Protestaktionen. Schwarze und weiße Studenten und Studentinnen veranstalteten Sit-ins und Protestmärsche in Hunderten von Städten. Mit der Unterstützung des Congress of Racial Equality (CORE) reisten schwarze und weiße sogenannte Freedom-Riders in öffentlichen Bussen durch den Süden, um das Ende der Segregation des staatlichen Transportwesens durchzusetzen. Das Student Nonviolent Coordination Comittee (SNCC) initiierte Projekte zur Registrierung afroamerikanischer Wählerinnen und Wähler in den Wählerverzeichnissen der Südstaaten.8 Im Mai 1963 organisierte Martin Luther King in Birmingham, Alabama, eine Protestkundgebung von mehreren Tausenden Menschen gegen die anhaltende Missachtung der afroamerikanischen Bürgerrechte im Süden der USA. Kurz darauf gingen Fotos und Fernsehaufnahmen um den Globus, die weiße Polizisten zeigten, wie sie schwarze Demonstrierende mit Polizeihunden, Feuerwehrschläuchen und Schlagstöcken attackierten. Die Bilder wurden zum Symbol für die rassistische Willkür der weißen 8

Für einen Überlick über die Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA und die Formen des weißen Widerstands siehe Klarman, From Jim Crow to Civil Rights, S. 344–442.

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Südstaatenbevölkerung, deren Repräsentanten sich mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Durchsetzung afroamerikanischer Bürgerrechtsansprüche zur Wehr setzten.9 In den 1960er und 1970er Jahren wurde der Kampf gegen repressive Polizeigewalt zu einem zentralen Motiv des sich formierenden gewaltbereiten schwarzen Widerstands. Im Süden der USA fanden sich African Americans in Gruppierungen wie den Deacons for Defense and Justice zusammen, um ihre Gemeinden und Familien mit Waffengewalt vor Übergriffen der Polizei und des Ku-Klux-Klan zu schützen. Die Deacons gestanden sich das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung zu, um sich aktiv gegen gewaltsame Übergriffe zu Wehr zu setzen.10 Die grassierende Polizeigewalt in amerikanischen Großstädten war ein maßgebliches Motiv für die Gründung der Black Panther Party im Jahr 1966. Der aktive schwarze Widerstand gegen polizeiliche Repression und Willkür führte in verschiedenen Städten der USA zu gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizisten und Angehörigen der Black Panther Party. Für die Aktivisten und Aktivistinnen der Black-Power-Bewegung symbolisierte die notorische Ausübung von Polizeigewalt die anhaltende rassistische Unterdrückung afroamerikanischer Menschen in der amerikanischen Gesellschaftsordnung.11 Dieser skizzenhafte Ausblick macht deutlich, dass Polizeigewalt auch nach 1955 eines der prägenden Elemente des afroamerikanischen Bürgerrechtskampfes blieb. Die Proteste und Initiativen der Black-Power-Bewegung führten jedoch dazu, dass deren Ausübung im Süden der USA zunehmend in die Schranken gewiesen wurde. Von besonderer Bedeutung dafür war die erfolgreiche Durchsetzung des afroamerikanischen Wahlrechts in den späten 1960er und den 1970er Jahren.12 Dies führte dazu, dass African Americans gerade in den Bezirken des tiefen SüEbd, S. 434. Siehe Wendt, The Spirit and the Shotgun; Estes, I am a Man!, S. 78–79. 11 Finzsch/Horton/Horton, Von Benin nach Baltimore, S. 513–514; Finzsch, »Die Black Panther Party«; Austin, Up Against the Wall; Rhodes, Framing the Black Panthers; Moore, Black Rage in New Orleans, S. 70–96. 12 Berg, The Ticket to Freedom, 140–220. 9

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dens, in denen sie häufig die Bevölkerungsmehrheit stellten, wichtige Ämter, wie zum Beispiel auch Sheriffposten und führende Polizeipositionen, besetzten. Die veränderten politischen Mehrheitsverhältnisse hatten auch zur Folge, dass die Polizeibehörden vermehrt schwarze Polizisten einstellten. Eine Entwicklung, die zum Teil – wenn auch nicht generell – zu einer Destabilisierung der rassistischen Gewaltkultur in den polizeilichen Institutionen des Südens führte.13 Die US-amerikanische Geschichte des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts verweist aber auch auf die Kontinuität der Folter. Zahlreiche Folterskandale zeugen davon, dass polizeiliche Folterpraktiken trotz ihrer moralischen Ablehnung durch weite Teile der Gesellschaft auch nach 1955 weiter existierten. So wurden im Jahr 1983 der ehemalige Sheriff von San Jacinto County, Texas, James C. Parker und drei seiner Hilfssheriffs von einem Bundesgericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie mehrere weiße Gefangene mit der Foltertechnik des Waterboarding misshandelt hatten. Sie hatten die Tatverdächtigen mit Handschellen an Stühle gekettet, Handtücher um ihre Köpfe gebunden und ihnen so lange Wasser eingeflößt, bis die »Verhörten« aufgrund des einsetzenden Erstickungsgefühls signalisierten, ein Geständnis ablegen zu wollen. Ein Opfer berichtete: »Ich dachte, ich werde erdrosselt. […] Ich bekam keine Luft mehr.«14 Die Praxis der Folter in den USA des späten 20. Jahrhunderts knüpft an andere Formen illegaler Polizeigewalt – wie unrechtmäßige Festnahmen, willkürliche Misshandlungen und rechtswidrige Erschießungen – an, die im amerikanischen Polizeiwesen bis heute weit verbreitet sind.15 Ihr anhaltender Einsatz gegen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe zeugt von der Fortschreibung rassistischer Ausgrenzungsstrukturen. So wurden 1985 fünf Polizisten aus New York City beschuldigt, mehrere Moore, Black Rage in New Orleans, S. 115–203; Dulaney, Black Police, S. 65–103. 14 »Ex-Deputy Tells Jury of Jail Water Torture«, The New York Times, 1. 9. 1983, S. A22; »Ex-Sheriff Guilty In Torture Case«, The New York Times, 15. 9. 1983, S. A16. 15 Johnson, Street Justice, S. 277–306; Moore, Black Rage in New Orleans, S. 203–256. 13

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schwarze Gefangene geschlagen und mit Elektroschockpistolen misshandelt zu haben, um sie zu Geständnissen zu zwingen. Anders als in zahlreichen weiteren Fällen illegaler Gewaltmaßnahmen führten die mehrjährigen Ermittlungen dazu, dass schließlich vier der fünf Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt wurden.16 Ein Jahrzehnt später erschütterte ein umfassender Folterskandal die Stadt Chicago. Wie nach jahrelangen Ermittlungen bekannt wurde, hatten Angehörige des Chicago Police Department seit den 1970er Jahren vornehmlich schwarze Tatverdächtige gefoltert. Dutzende von Fällen kamen ans Tageslicht, in denen eine Gruppe von Polizisten Gefangene gewaltsam zu Geständnissen gezwungen hatte. Einige waren mit einer selbst gebauten elektrischen Apparatur traktiert worden, anderen waren mit elektrischen Heizkörpern Verbrennungen zugefügt und mit Plastiktüten die Luft abgeschnürt worden. Zudem wurden die Polizisten beschuldigt, Verdächtige mit Scheinhinrichtungen eingeschüchtert und zu Geständnissen gezwungen zu haben. Von den weit über hundert Opfern waren mehrere zu Todesstrafen verurteilt worden. Im Januar 2003 wandelte der Gouverneur von Illinois George Ryan die Strafe für alle zum Tode verurteilten Gefangenen im Bundesstaat Illinois in lebenslängliche Haftstrafen um, nachdem mehrere Hinrichtungskandidaten erklärt hatten, von den Polizisten gewaltsam zu Tatgeständnissen gezwungen worden zu sein. Da ein großer Teil der Fälle verjährt war und Polizeiangehörige jegliche Auskunft zu den Vorwürfen verweigerten, konnte jahrelang keiner der beschuldigten Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden. Erst im Juni 2010 wurde der Hauptverantwortliche für die systematischen Folterungen, der damalige Polizeiermittler Jon Burge, wegen Meineids und Behinderung der Justiz zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.17 Auch die Entwicklungen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zeigen, dass die moderne Geschichte der 16 17

Ross, »Police Violence«; Johnson, Street Justice, S. 279–280. Conroy, Unspeakable Acts, S. 21–26, 60–87, 158–168, 225–241; »Officer Accused of Torture is Guilty of Perjury«, The New York Times, 29. 6. 2010, S. A20.

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Folter keine Geschichte ihres allmählichen Verschwindens ist. Vielmehr scheint ihre Ausübung mit politischen Konjunkturen und sich wandelnden Rechtfertigungsstrategien und -figuren verknüpft zu sein, die zur Folge haben, dass die Folter unter veränderten Vorzeichen fortgeführt wird. Im April 2004 erreichten die Bilder von Abu Ghraib, die Folterungen und sexuelle Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Militärs dokumentierten, die weltweite Öffentlichkeit. Wenige Monate später veröffentlichten amerikanische Zeitungen die ersten der »Folter-Memoranden« der Regierung von US-Präsident George W. Bush, die die Anwendung des Waterboarding und anderer Folterpraktiken im »Krieg gegen den Terror« legitimierten.18 Diese Kontinuität der Folter wirft die Frage auf, welche Bedingungen und Strukturen ihre Anwendung bis in die Gegenwart ermöglichen. Die vorliegende Geschichte der Folter im Süden der USA bietet Ansatzpunkte zur Beantwortung dieser Frage. Sie weist zum einen darauf hin, dass sich »moderne« Folterpraktiken durch ihre Verborgenheit vor den Blicken der Öffentlichkeit auszeichnen. Während die Folterung afroamerikanischer Gefangener und Tatverdächtiger im Süden der USA durch ihre offizielle Leugnung und eine von Gerüchten durchbrochene Unsichtbarkeit gekennzeichnet war, behauptet die Folter der Gegenwart ihre Kontinuität in den Grauzonen temporärer geheimdienstlicher Lager und abgeschlossener Gefängniskomplexe. Die Verborgenheit der Folter hat zur Konsequenz, dass ihre Ausübung nur unter erschwerten Bedingungen sichtbar gemacht und verifiziert werden kann. Zum anderen verweisen die Ergebnisse der Untersuchung darauf, dass die Geschichte der Folter aufs Engste mit Strukturen der Ausgrenzung und Intoleranz verknüpft ist. Ebenso wie die Folter an African Americans in den Südstaaten als Akt der Unterwerfung des scheinbar »rassisch« Anderen inszeniert wurde, richten sich auch heutige Folterpraktiken vornehmlich gegen Menschen, die als außerhalb spezifischer gesellschaftlicher Ordnungsmuster stehend markiert werden. Die Entwicklungen im 18

Greenberg/Dratel (Hg.), The Torture Papers; Greenberg (Hg.), The Torture Debate.

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»Krieg gegen den Terror« exemplifizieren diese Zusammenhänge: Anders als im Fall der mit politischen Rechten ausgestatteten »Gefangenen« (»prisoners«) zeichnet sich der Status der »Festgehaltenen« (»detainees«) dadurch aus, dass ihnen der Anspruch auf Grund- und Bürgerrechte abgesprochen wird. Der »detainee« wird zu einem rechtlosen Subjekt erklärt, das außerhalb bestehender Rechtsordnungen steht und infolgedessen über keinerlei einklagbare Schutzansprüche verfügt. Sein rechtloser Status ist Voraussetzung für die Anwendung der Folter und wird durch den Akt der Folter gleichzeitig bestärkt.19 Während die Folterung afroamerikanischer Menschen im Süden der USA im Zeitraum von 1930 und 1955 auf die Wiederherstellung und Bekräftigung einer rassistischen Gesellschaftsordnung zielte, berufen sich heutige Rechtfertigungen der Folter auf ein Paradigma der Sicherheit, um die Übertretung moralischer Grenzen und menschenrechtlicher Standards zu legitimieren.20 Schließlich verweist das vorliegende Buch auf die politischen Implikationen, die mit Praktiken der Bezeugung und Sichtbarmachung der Folter einhergehen. Die Folteraussagen afroamerikanischer Zeuginnen und Zeugen vor den Gerichten des Südens stehen für das Bemühen, die Anwendung der Folter infrage zu stellen, indem man ihre Ausübung bezeugt und dokumentiert. Die Geschichte der Folter ist damit immer auch eine Geschichte der Zeugenschaft. Sie zwingt uns zu fragen, welchen Stimmen in einer bestimmten historischen Ordnung Gehör geschenkt wird und welchen nicht.

Butler, Raster des Krieges, S. 90–91; Agamben, Ausnahmezustand; Mladek, »Folter und Scham«. 20 Krasmann, »Folter im Ausnahmezustand?«; McCoy, Torture and Impunity. Zur Diskussion in den USA siehe auch die Beiträge in Greenberg (Hg.), The Torture Debate. Zur Debatte in Deutschland siehe Nitschke (Hg.), Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?. 19

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Danksagung Mein erster und größter Dank gilt Jürgen Martschukat. Seine Forschungsfragen haben die Arbeit an diesem Projekt inspiriert und seine Offenheit und Unterstützung mich immer wieder darin bestärkt, neue Wege zu gehen und neue Fragen zu stellen. Ein großer Dank gilt auch Norbert Finzsch, dessen Arbeiten zur Geschichte des Rassismus in den USA auch für dieses Projekt grundlegend waren, er hat das Projekt als Zweitbetreuer begleitet. Eine Reihe von Institutionen hat die Entstehung der Arbeit finanziell unterstützt. Danken möchte ich der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V., dem Max Weber-Kolleg der Universität Erfurt, dem DFG-Graduiertenkolleg »Menschenrechte und Menschenwürde« der Universitäten Erfurt und Jena, der Gerda Henkel Stiftung sowie dem Vizepräsidium für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Erfurt. Das Vizepräsidium hat das Projekt zudem durch die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes im Graduiertenzentrum der Universität Erfurt unterstützt. Danken möchte ich außerdem den Archivarinnen und Archivaren an der Library of Congress in Washington D. C., den National Archives in College Park, Maryland, und Morrow, Georgia, sowie dem Alabama Department of Archives and History in Montgomery, Alabama, für ihre Unterstützung bei der Erschließung der Materialgrundlage der Arbeit. Das Kolloquium des Lehrstuhls für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt war der wichtigste Anlaufpunkt für die Diskussion der zentralen Forschungsfragen des Projekts. Des Weiteren konnte ich von der anregenden Diskussionsatmosphäre des Kolloquiums von Alf Lüdtke und des Mittelbaukolloquiums des Historischen Seminars der Universität Erfurt profitieren. Viele Personen haben mit ihren Fragen, Kommentaren und Textlektüren zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Namentlich nennen möchte ich Melanie Henne, Felix Krämer, Nora Kreuzenbeck, Nina Mackert, Patricia Wieg269

mann sowie Sebastian Dorsch, Thomas Gerdes, Florian Heintze, Sebastian Jobs, Lars Schladitz und Christopher Wertz. Mein besonderer Dank gilt Melanie Henne und Nora Kreuzenbeck, die immer wieder Textentwürfe und Kapitel gelesen und kommentiert haben. Angelika und Klarissa Niedermeier haben die erste Endfassung des Dissertationsmanuskripts gelesen und korrigiert. Zudem habe ich im Laufe des Projekts wichtige Anregungen von W. Fitzhugh Brundage, Bruce Dorsey, Martha Hodes, Thoralf Klein, Michael Pfeifer, Alexandra Przyrembel und vielen anderen erhalten. Mein Dank gilt zudem Jörg Baberowski, Bernd Greiner und Michael Wildt für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe »Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts« bei der Hamburger Edition. Bernd Greiner danke ich sehr für sein scharfsinniges Feedback zur ersten Fassung des Manuskripts, Birgit Otte und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hamburger Edition für die professionelle Umsetzung des Buches. Ganz besonderer Dank gebührt Sigrid Weber für ihr umsichtiges und feinfühliges Lektorat. Schließlich möchte ich meinen Eltern danken. Ihre Liebe und Unterstützung haben mich stets begleitet. Das Buch ist meiner Frau und meinen drei Kindern gewidmet. Erfurt, im April 2014

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Anhang Abkürzungsverzeichnis A. ACLU ASWPL CLU CPUSA CRS CRD CORE F. FBI ILD NAACP SNCC U.S.C.

Antwort American Civil Liberties Union Association of Southern Women for the Prevention of Lynchings Civil Liberties Unit Communist Party USA Civil Rights Section Civil Rights Division Congress of Racial Equality Frage Federal Bureau of Investigation International Labor Defense National Association for the Advancement of Colored People Student Nonviolent Coordination Comitee United States Code

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Archiv- und Quellenverzeichnis Archive ADAH

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Zum Autor Silvan Niedermeier, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt. 2011/12 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs der Universität Rostock. Er forscht zur US-amerikanischen Kulturgeschichte, Geschichte des US-amerikanischen Südens, Geschichte der Gewalt, Visual History und Imperialismusgeschichte.

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