" ... das habe ich nie vergessen, bis heute ...": Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben 9783883094885, 9783883094886, 3883094889


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Impressum
Hans-Christoph Goßmann - Geleitwort
Inhaltsverzeichnis
Ute Beyer-Beckmann - Vorwort
Clemens Groth, Sophie Höffer und Laura Sophie Plath - Einleitung
Heinrich Tiessen - befragt von Max Tiessen und Matteo Philippsen
Heinz P. - befragt von Jan Wojak und Lars-Ole Weichelt
Eduard Raschke - befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm
Bernd de Camp - befragt von Marcel Brüggen
Erika Völkl - befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm
Käte Zellmann - befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm
Loreliese Plath - befragt von Laura Plath und Laura Orlowski
Mathilde L. - befragt von Lixia Uhlmann
Gerhard Bögershausen - befragt von Johann Holten und Lukas Gietzelt
Elfried K. - befragt von Max Olimart, Arne Benesch und Jacob Ernst
Arno Teschner - befragt von Lukas Teschner, David Atasu, Fabian Happach und Constantin Schneider
Anna K. (†) - befragt von Sophie Höffer
Dieter Promp - befragt von Johann Masch und Julius Höffer
Konrad Breckau - befragt von Lukas Teschner
Harri Graulo - befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm
Ruth-Alice von Bismarck - befragt von Clemens Groth
Horst Gloy - Nachwort eines Zeitzeugen (?)
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" ... das habe ich nie vergessen, bis heute ...": Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben
 9783883094885, 9783883094886, 3883094889

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Clemens Groth Sophie Höffer Laura Sophie Plath (Hrsg.)

Die Zeit des Nationalsozialismus und die mit ihr untrennbar verbundene Shoa liegen weit zurück, im vergangenen Jahrhundert, ja sogar im vergangenen Jahrtausend. Die Zahl derjenigen, die diese dunkelste Zeit der deutschen Geschichte noch selbst erlebt haben, wird immer kleiner. Und wieder sind die Stimmen zu vernehmen, die fordern, dass man die(se) Vergangenheit doch endlich auf sich beruhen lassen solle, statt sich immer wieder aufs Neue mit ihr auseinanderzusetzen. Aber genau das gilt es zu verhindern. Wird doch auch in unserer gegenwärtigen Gesellschaft rechtsradikales Gedankengut wieder lautstark zu Gehör gebracht, oft verbunden mit einem Antijudaismus, den Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland deutlich zu spüren bekommen. Es gilt, die Erinnerung wach zu halten. Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen der Freien Waldorfschule Rendsburg haben dazu einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Kontakt aufgenommen und sie interviewt haben. Ihre in diesem Buch dokumentierten Interviews geben bewegende, zum Teil bedrückende Einblicke in eine Zeit, die nicht verdrängt werden darf.

ISBN 978-3-88309-488-5

Clemens Groth / Sophie Höffer / Laura Sophie Plath (Hrsg.) - „... das habe ich nie vergessen, bis heute...“

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„... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“ Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben Verlag Traugott Bautz GmbH

„... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“

Jerusalemer Texte Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie

herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann

Band 9

Verlag Traugott Bautz

Clemens Groth Sophie Höffer Laura Sophie Plath (Hrsg.)

„... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“ Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben

Verlag Traugott Bautz

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2011 ISBN 978-3-88309-488-6

Geleitwort Der Zweite Weltkrieg und die mit ihm untrennbar verbundene Shoa liegen weit zurück, im vergangenen Jahrhundert, ja sogar im vergangenen Jahrtausend. Die Zahl derjenigen, die diese dunkelste Zeit der deutschen Geschichte noch selbst erlebt haben, wird immer kleiner. Und wieder sind die Stimmen zu vernehmen, die fordern, dass man die(se) Vergangenheit doch endlich auf sich beruhen lassen solle, statt sich immer wieder aufs Neue mit ihr auseinanderzusetzen. Aber genau das gilt es zu verhindern. Wird doch auch in unserer gegenwärtigen Gesellschaft rechtsradikales Gedankengut wieder lautstark zu Gehör gebracht, oft verbunden mit einem Antijudaismus, den Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland deutlich zu spüren bekommen. Es gilt, die Erinnerung wach zu halten und Erfahrungen an Jugendliche weiterzugeben. Bei der Frage, wie dies geschehen kann, werden oft pädagogische Ansätze diskutiert, die die Jugendliche gleichsam zu Objekten pädagogischen Handelns machen, da sie es ja seien, denen diese Geschichte zu vermitteln sei. Bei dem Projekt, das in dem vorliegenden Buch dokumentiert wird, wurde ein anderer Weg beschritten: Jugendliche waren auf diesem Weg nicht Objekte, sondern vielmehr Subjekte des Handelns. Indem sie zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Kontakt aufgenommen und sie interviewt haben, haben sie sich ihren eigenen Zugang zu dieser Geschichte erarbeiten können und sind nun ihrerseits in der Lage, das, was sie dabei gehört und erfahren haben, weiterzugeben. Es ist vielen dafür zu danken, dass dies so in die Tat umgesetzt werden konnte: Frau Dr. Beyer-Beckmann, die als zuständige Fachlehrerin dieses Projekt initiiert und durchgeführt hat, Clemens Groth, Sophie Höffer und Laura Sophie Plath, die die redaktionelle Bearbeitung der Interviews übernommen haben, Frau Birgit Finke und Frau Claudia Holten, die Korrektur gelesen haben, Herrn Dr. Horst Gloy, dem ehemaligen Direktor des Pädagogisch-Theologischen Instituts (PTI) in Hamburg, der das Nachwort geschrieben hat, den Schülerinnen und Schülern, die sich an

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diesem Projekt beteiligt haben und die Interviews geführt haben, und nicht zuletzt allen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bereit waren, sich den Fragen der Jugendlichen zu stellen und damit Erinnerungen an Erlebnisse in der dunkelste Zeit der deutschen Geschichte wachzurufen und zur Sprache zu bringen. Dr. Hans-Christoph Goßmann

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Inhaltsverzeichnis Geleitwort Hans-Christoph Goßmann

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Vorwort Ute Beyer-Beckmann

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Einleitung Clemens Groth, Sophie Höffer und Laura Sophie Plath

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Heinrich Tiessen, befragt von Max Tiessen und Matteo Philippsen

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Heinz P., befragt von Jan Wojak und Lars-Ole Weichelt

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Eduard Raschke, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

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Bernd de Camp, befragt von Marcel Brüggen

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Erika Völkl, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

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Käte Zellmann, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

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Loreliese Plath, befragt von Laura Plath und Laura Orlowski

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Mathilde L., befragt von Lixia Uhlmann

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Gerhard Bögershausen, befragt von Johann Holten und Lukas Gietzelt

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Elfried K., befragt von Max Olimart, Arne Benesch und Jacob Ernst

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Arno Teschner, befragt von Lukas Teschner, David Atasu, Fabian Happach und Constantin Schneider

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Anna K. (†), befragt von Sophie Höffer

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Dieter Promp, befragt von Johann Masch und Julius Höffer

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Konrad Breckau, befragt von Lukas Teschner

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Harri Graulo, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

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Ruth-Alice von Bismarck, befragt von Clemens Groth

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Nachwort eines Zeitzeugen (?) Horst Gloy

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Vorwort Die Schülerinnen und Schüler der Freien Waldorfschule Rendsburg in Schleswig-Holstein haben 2010 im Rahmen des Geschichtsunterrichts Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg und Nachkriegszeit befragt. Sie haben Ereignisse der Lokal- und Alltagsgeschichte von 1933 bis 1949 anhand von individuellen Lebensgeschichten erforscht, die Schulbücher kaum überliefern werden. Dieser unmittelbare Umgang mit Geschichte außerhalb des Klassenzimmers haben sich die Jugendlichen mit einem hohen Maß an Eigenaktivität erarbeitet: Sie haben gesprächsbereite Zeitzeugen in den Familien, im Bekanntenkreis oder in Seniorenheimen ausgewählt und einen Fragenkatalog entwickelt. Für die Interviews haben sie die Gesprächspartner in deren privater Umgebung aufgesucht, die Interviews durchgeführt, im vollen Wortlaut aufgenommen und verschriftet. Es war für 9-Klässler eine Herausforderung, sich aus subjektiven Schilderungen mit gelegentlichen Themenwechsel und Zeitsprüngen ein Bild vom nationalsozialistischen Deutschland zu vergegenwärtigen. Hilfreich war dabei das Studium von persönlichen Erinnerungsstücken, von Briefen, amtlichen Dokumenten und Fotografien. Als besonders schwierig erwies sich die Transkription der Gespräche; ein wesentlicher Grund, weshalb leider nicht alle Interviews publiziert werden können. Bei den Befragungen haben viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über ihr Leben in Rendsburg, Flensburg oder auf dem Lande, wie auf einem Hof in Jützbüttel im Kreis Dithmarschen, berichtet. Einige beschreiben ihre Erinnerungen an Hamburg im Zweiten Weltkrieg oder schildern ihre Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in Hannover, Hameln oder Magdeburg. Darüber hinaus stammt eine größere Zahl der Befragten aus den ehemaligen Gebieten des Deutschen Reichs, aus Ostbrandenburg, Pommern oder Ostpreußen. Deren Gesprächsthema ist vor allem die Flucht und Vertreibung aus den von der Sowjetunion oder von Polen

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besetzten Gebieten nach Norddeutschland, hauptsächlich nach Rendsburg oder Hamburg. Die älteste Zeitzeugin ist 1915 geboren, der überwiegende Teil in den 20er Jahren, einige in den 30er Jahren. Sie waren in der nationalsozialistischen Diktatur junge Erwachsene, oft noch Jugendliche oder Kinder. Die damalige Altersstufe der Zeitzeugen entspricht meistens ungefähr dem Alter der interviewenden Schülerinnen und Schüler heute. Daher zeigen die Jugendlichen eine besondere Anteilnahme an Schilderungen vom Schulleben in der NS-Zeit, an Erfahrungen mit der Hitlerjugend oder beim Kriegsdienst junger Soldaten. Außerdem haben sie sehr offene Fragen auch zu besonders problematischen Themen gestellt, wie zu einer möglichen Mitgliedschaft oder Nähe zur NSDAP, zu Begebenheiten im Krieg oder Angriffen auf Juden im Bekanntenkreis. Die Befragten haben bei den vorliegenden Gesprächen fast immer mit ähnlicher Offenheit geantwortet und in vielen Fällen in großer Ausführlichkeit über ihre Erlebnisse sogar in menschlichen Grenzsituationen berichtet. Durch diese biografischen Bezüge werden für die Schüler und Schülerinnen nicht nur die im Unterricht zuweilen schwer fassbaren historischen Fakten und Daten lebendig veranschaulicht. Im Sinne eines generationsübergreifenden Projekts bekommen die Jugendlichen auch einen direkten Einblick in oftmals lange, persönliche Lebenswege mit Höhen und Tiefen. Und die Bereitschaft der älteren Generation ist groß, den jungen Menschen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse als eine Art Vermächtnis weiterzugeben. An der Fertigstellung und Veröffentlichung dieser Interviews haben viele Menschen mitgewirkt, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die Schülerinnen und Schüler, Eltern, Dr. Goßmann und Dr. Gloy, denen ich allen sehr danken möchte. Dr. Ute Beyer-Beckmann

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Einleitung Im Geschichtsunterricht haben wir das Thema „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“ behandelt. Um einen tieferen Einblick in die Gefühlswelt, die Erlebnisse und die Perspektiven der Menschen zu bekommen, die diese Zeit erlebt und z.T. durchlitten haben, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Zeitzeugen zu befragen. Dass aus diesem Schulprojekt, das ursprünglich nur der Erweiterung unseres Wissens dienen sollte, ein Buch wurde, war dabei zunächst nicht vorgesehen. Mit der Zeit wuchsen jedoch unsere Bereitschaft und unser Interesse, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Interviewführung stellte sich wesentlich schwerer dar als erwartet. So war es für einige von uns nicht leicht, einen direkten Zugang zu unseren jeweiligen Interviewpartnerinnen und -partnern zu finden, da sich diese während der Interviews oft in die damalige Zeit zurückversetzten und dabei z.T. ihre Erlebnisse wieder durchlebten. Dadurch war es zuweilen schwer, an unseren vorher formulierten Fragen festzuhalten, da wir uns dem Interviewpartner anpassen und somit ein freies Interview halten mussten. So entwickelte sich in jedem Interview ein eigenes Thema, sodass sich für alle ein interessantes, tiefgründiges, ergreifendes und spannendes Interview ergab. Was uns als Schülerinnen und Schüler besonders bewegte, waren die subjektiven und schonungslosen Schilderungen des Krieges und der Ereignisse, die mit ihm einhergingen. Denn dies ermöglichte es uns zumindest ansatzweise, uns selbst in diese Zeit zu versetzen. Um nun das Buchprojekt zu verwirklichen, haben wir drei eine Redaktion gebildet, um die anfallenden Arbeiten zu bewältigen. Wir danken allen, die es uns ermöglicht haben, unsere Arbeiten in Buchform zu veröffentlichen. Besonders möchten wir unseren Dank für die Initiative zur Veröffentlichung Herrn Dr. Hans-Christoph Goßmann aussprechen. Auch gilt unser Dank unserer Lehrerin Frau Dr. Beyer-Beckmann, die

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ihr Unterrichtsprojekt zur Verfügung gestellt und uns bei allen Anliegen und Schwierigkeiten geholfen hat. Ebenso danken wir Herrn Dr. Horst Gloy, der uns ein sehr persönliches Nachwort geschrieben hat. Clemens Groth, Sophie Höffer, Laura Sophie Plath.

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Heinrich Tiessen, befragt von Max Tiessen und Matteo Philippsen

Biographie Unser Zeitzeuge heißt Heinrich Tiessen und wurde am 18. Februar 1935 in Jützbüttel geboren. Er ist das erste von fünf Kindern. Insgesamt drei Jungen und zwei Mädchen, die 1935, 1936, 1939, 1940 und 1944 geboren wurden. Seine Eltern, Hans-Jakob und Grete Tiessen, wurden 1904 und 1907 geboren. Heinrich wurde nach seinem Großvater Heinrich Tiessen, der das zehnte und jüngste Kind seiner Familie war, benannt.

Interview In welcher Gegend haben Sie gelebt? In Jützbüttel auf dem elterlichen Hof. Wie alt waren Sie bei Kriegsbeginn? Ich war bei Kriegsbeginn vier Jahre alt. Hat die Familie Flüchtlinge aufgenommen? Ja, 1943 kamen die ersten Ausgebombten, die aufs Land geschickt wurden. Im Winter 1945 sind die ersten Flüchtlingstrecks mit Leiterwagen und Ochsengespannen aus Bessarabien am Schwarzen Meer durch Jützbüttel gezogen. Die Kinder im Dorf freuten sich darüber, dass dort etwas

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los war. Die ersten Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, waren eine ältere Frau mit ihrer Enkelin, die aus Pommern kamen. Sie wohnten in der Kellerstube, wir nannten sie Oma Lass. Da mein Vater im Krieg war und die Frauen den Hof führen mussten, kümmerte sich Oma Lass um meine jüngste Schwester Elisabeth. Oma Lass ist später woanders hingekommen. Danach kam die Familie Weidenbach aus Bessarabien, ein Ehepaar mit angenommenem Kind, dessen Name Anna war. Diese war im Alter von meinen Brüdern Johann und Peter. Sie konnte in kurzer Zeit so gut plattdeutsch sprechen, dass es gar nicht auffiel, dass sie ursprünglich nicht aus Dithmarschen stammte. Sie kamen mit einem Treck, der schon durch Jützbüttel durch war, als der Bürgermeister einen Anruf einer Dienststelle bekam, dass der Treck nicht weiterfahren, sondern in Jützbüttel bleiben sollte. Bis die Weidenbachs später nach Baden-Württemberg umsiedelten, arbeitete Jakob Weidenbach als Knecht auf unserem Hof. Dort arbeiteten auch ein anderer Knecht und mein Großvater. Anna Weidenbach sagte zu mir: „Das war mein Glück, was Besseres hätte mir nicht passieren können, als nach Jützbüttel zu kommen und hier groß zu werden. Hier habe ich tolle Menschen kennen gelernt. Ich bin in Jützbüttel geprägt worden.“ Zu Anna habe ich heute noch Beziehungen, sie kommt uns gelegentlich besuchen. Dazu kam auch noch Berta Mauscherning, deren Mann vermisst war. Sie hatte zwei Kinder, Ursel und Horst. Sie wohnten oben auf unserem Boden. Wir saßen alle zusammen an einem Tisch, Feuerholz zum Kochen und Beheizen war sehr knapp, jeder Pfahl auf dem Hof wurde zersägt und verbrannt. Zu kaufen gab es ganz wenig, die Flüchtlinge bekamen Lebensmittelnormalkarten, dafür gab es Fett, Zucker und Fleisch. Da wir Bauern und somit Selbstversorger waren, war auf unseren Lebensmittelkarten kein Fett. Es war alles knapp, so etwas wie Süßigkeiten gab es nicht. Bananen oder Apfelsinen haben wir erst nach dem Krieg kennen gelernt. In Jützbüttel nahm man die Flüchtlinge so auf, wie sie waren. Sie wurden wie Deutsche behandelt und gehörten mit dazu. Das haben sie bis

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heute nicht vergessen, deshalb kommen noch viele Flüchtlinge nach Jützbüttel zurück und sagen, dass es eine gute Zeit gewesen sei. Waren Sie Mitglied in einer der nationalsozialistischen Organisationen? Ja, es gab zuletzt nur noch eine Organisation, dort konnte man nur noch die NSDAP oder gar nichts ankreuzen. Wer kein Kreuz machte, wurde auf dem Dorf nicht so unter Druck gesetzt, wie in den Städten, aber ein bisschen wurde man schon gemieden oder ausgeschlossen. Man musste schließlich aber doch miteinander auskommen. Die nächste Organisation war im Nachbardorf Bunsoh, dort war es erforderlich, als Junge mit neun Jahren der Hitlerjugend beizutreten. Da ich nicht rückständig sein wollte, trat ich auch ein und musste immer sonntags, anstatt zur Kirche, zur Wehrertüchtigung, bei der wir robben und marschieren gelernt haben. Auf dem Sportplatz in Albersdorf wurde ich auf Hitler vereidigt. Das war in der Familie nicht so gern gesehen, da wir alle Christen waren. Aber eine braune Uniform habe ich nicht bekommen. Bei einer Übung habe ich den Kopf nicht weit genug unten gehabt. Als der Gruppenführer das sah, drückte er meinen Kopf mit seinem Fuß in den Sand. Ab da hatte ich dann schon Abstand zu diesen Sachen, das mochte ich nicht so. An einem meiner Diensttage hatte mein Opa Geburtstag, da ich nicht dorthin konnte, hat es mir dann auch ein bisschen gestunken. Mussten Sie oder Verwandte in den Krieg ziehen? 1939 ging es los, dass eingezogen wurde. Onkel Hans, der Jahrgang 1900 war, wurde als erster eingezogen und zur Ausbildung nach Aachen geschickt. Der ist nach gewisser Zeit wieder zurückgekommen, weil er für den Kriegseinsatz eigentlich schon zu alt war. Onkel Hans ist also während der ganzen Zeit nicht im Krieg gewesen. Da mein Vater im Krieg war, hat er uns die Haare geschnitten und aufgepasst, dass wir ordentliche Menschen werden. Mein Vater wurde 1941 eingezogen, er

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hat ja die Landwirtschaftsschule in Hohenwestedt besucht, schon als 20jähriger etwa und er hatte ein sehr gutes Zeugnis. Und diese Leute, die drei Jahre die Landwirtschaftsschule besucht hatten und gute Zeugnisse hatten, die hat man besonders ausgebildet und zwar in Kassel. Mein Vater wurde einberufen nach Kassel, die Absicht war, dass man die Landwirte weiterbildete, dass sie später in den eroberten Ländern, Ukraine und Polen, die Flächen wieder bewirtschaften. Ich habe einen Brief von meinem Vater, indem er schreibt: „Wir sind zu dritt in die Ukraine gekommen, in die Nähe von Zhytomyr“, diese Landwirte nannte man dann Sonderführer, „wir sind zu dritt auf 65 000 Hektar Land, wovon etwa 4 000 Hektar gepflügt werden können und in einem Zustand sind, dass man dort Getreide oder anderes anbauen kann. Unsere erste Aufgabe wird es sein, dass die Bevölkerung, die hier noch lebt, was zu essen bekommt.“ In der Ukraine sollte das Getreide wachsen, um in Deutschland die Menschen zu ernähren. War der Krieg vorauszusehen? Ja, das wusste ich aber nicht, wenn wir aber in unsere Chronik gucken, dann wurde im Grunde alles darauf vorbereitet. Da kann ich aber nichts zu sagen, einige hatten schon eine Ahnung, dass es in Richtung Krieg gehen würde. Wie haben Ihre Eltern den Kriegsbeginn erlebt? Dadurch, dass die Mobilmachung stattfand, das haben alle mitbekommen. Alle ausgebildeten Soldaten wurden schon mal eingezogen und für den Krieg vorbereitet. Und die sind teilweise auch noch losgezogen und sagten: „Wir wollen siegen!“ Haben Ihre Eltern Hitler gewählt?

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Meine Eltern haben Hitler mit Sicherheit nicht gewählt, das hing damit zusammen, dass es in Albersdorf einen Pastor Aßmussen gab, der später auch im KZ war. Meine Eltern hatten eine gute Beziehung zu ihm, ich hab ihn später auch noch kennengelernt, 1947, da hab' ich bei ihm auf der Sofakante gesessen. Er war der erste deutsche Kirchenpräsident, dieser Pastor aus Albersdorf. Den hatten die Amerikaner als ersten deutschen Kirchenmann eingeladen und als er zurückkam, da war ich zwölf Jahre alt, da hat er mir erzählt, die Amerikaner hätten ihm ein Gerät geschenkt, mit einem Band 'drauf, da kann man 'drauf sprechen und dann konnte man das Band abspielen lassen und seine eigene Stimme wieder hören. Das gab es in Deutschland noch nicht. Und von daher haben meine Eltern Hitler nicht gewählt. Mein Großvater ja, davon gehe ich aus, denn er war bei der SA, der hatte auch so eine SA-Mütze und eine braune Uniform. Da Vater kein Mitglied der NSDAP war, wurde Druck auf die Familie ausgeübt und zu ihm gesagt, wenn ihr nicht in die NSDAP geht, dann wird eure Familie das zu spüren bekommen. Und daraufhin ist mein Vater noch in die NSDAP eingetreten, um seine Familie zu entlasten. Damit die nicht unter Druck kamen, damit war Vater nie ein Nazi. Aber er wollte seine Familie schützen, unter diesem Druck. Wussten Sie von der Abschiebung der Ausländer und Staatsfeinde in die KZs? Nein, also meine Eltern haben es später mitbekommen, aber am Anfang war das alles geheim. Man hat ja die SPD- und die KPD-Leute in die KZs gebracht, aber hier auf dem Dorf nicht. Also aus den Ortschaften die ich kenne, ist das, soweit ich weiß, nicht passiert, dass jemand ins KZ kam. Bei dieser Frage müsstet ihr eigentlich meinen Opa fragen, der nicht mehr lebt. Was war Ihr schlimmstes Erlebnis im Krieg?

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Das schlimmste Erlebnis im Krieg? Ähm, das war äh, ich weiß nicht ob ihr das wisst, äh, die anglo-amerikanischen Bomberverbände, so nannten die sich, die die Städte in Deutschland bombardierten, die flogen immer über die deutsche Bucht ein. Die deutsche Bucht, das sind wir hier. Die flogen in Pulks von etwa 50 Flugzeugen, um sicher vor den deutschen Abfangjägern zu sein, flogen die hier bei uns 'rein. Also abends um sieben, acht ging es los, dass die ganze Luft so bubberte, von diesen Flugzeugen. Immer ein Pulk nach dem anderen, hunderte, die hier 'reinflogen. Und, äh, da konnte es auch sein, dass so ein Flugzeug, das angegriffen wurde von einem Jagdflugzeug, dass die dann einen Notabwurf vornahmen. Insofern waren wir auch in Gefahr. Wir konnten abends nicht einschlafen und irgendwann, nach ein paar Stunden, kamen die wieder zurück. Später, 1944 flogen die tagsüber schon 'rein. Bei Johann, meinem Bruder, stehen zwei Buchen an der Straße. Dort habe ich als neunjähriger Junge eingeschnitzt: 17. Mai 1944 H.T., das ist heute noch zu lesen. Als ich gerade dabei war, das in den Baum zu schnitzen, bin ich davon aufgehalten worden und bin 'reingegangen, weil oben die Bomber 'rüberflogen. In Wrohm, einem Nachbardorf, sind bei einem Notabwurf von Bomben neun Personen getötet worden. Das zweite Erlebnis war, als ich mit meiner Schwester Annegret in Röst, bei unseren Großeltern, in den Ferien war. Und es wurde die Hölle, so wurde die Ölraffinerie bei Hemmingstedt genannt, in der Nacht bombardiert. Die Bomber hatten immer ein Pilotflugzeug voraus, das das Gebiet erkundete, wo die Bomben abgeworfen werden sollten. Dieses Flugzeug hat Lichtraketen abgeworfen, die wie Tannenbäume aussahen, die am Fallschirm hingen und brannten. Die Bomber setzten diese in Vier- oder Sechsecken in die Luft. Durch das Magnesium, das verbrannte, konnten sie bis auf den Boden durchgucken. In diese Vier- oder Sechsecke warfen die Bomber ihre Bomben. Als wir dort waren, konnte man die Flugzeuge schon hören und die Tannenbäume standen schon. Es war starker Westwind und der Westwind trieb die Tannenbäume von der Hölle auf die Ortschaft Fiel, also in Richtung Röst. Dann wurde Fiel bombardiert,

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anstatt die Raffinerie. Mit vielen Toten, fast alle Bauernhäuser oder Häuser wurden zerstört. Und das war so nah 'dran, dass jedes Mal, wenn die Bomben knallten, alles wackelte und Scheiben klirrten. Also das war so. In der Nacht, als wir wieder nach Hause kamen, hat ein Flugzeug über den Koppeln von Jützbüttel Brandbomben, einen ganzen Schacht voller Brandbomben abgeworfen. Warum, wissen wir nicht. Eine Riesenfläche. Und die Jützbüttler haben gesagt: „Das sah aus, als wenn die ganze Fläche brennt.“ Weit über 100 Brandbomben, das waren Stabbrandbomben, etwa 40 Zentimeter lang, achteckig und unten war ein Eisenkopf 'dran, der war etwa zehn Zentimeter hoch, damit die mit dem Kopf zuerst nach unten fielen. Oben war eine Blechdose 'drauf. Unter dieser Blechbüchse war so Magnesium und hinten 'drauf war ein Zünder, alles sechs- oder achteckig. Ja, und als wir nach Hause kamen, war das Magnesium weggebrannt und wir sahen tiefe Krater und fanden die Blechhülsen und haben sie dann zusammengesammelt. Kein Stück Vieh ist dabei umgekommen. Wäre das Ding über Jützbüttel abgeworfen worden, wären wahrscheinlich alle Häuser in Brand gekommen. Also, das war etwas Besonderes. Gab es auch gute Ereignisse im Krieg? Während des Krieges, ja ähm, weil alles knapp war, gab es insofern gute Ereignisse, dass diejenigen, die etwas hatten, so zum Beispiel die Bauern, den anderen etwas abgaben, die nichts hatten. Die sich das ja auch nicht schenken lassen wollten, es begann ein Tausch. Wenn man also nach Albersdorf irgendwo in einen Laden ging oder zu einem Handwerker und irgendetwas machen lassen wollte, dann nahm man ein Stück Speck oder Butter mit oder eine Milchkanne, dann waren die dankbar dafür. Die Währung hatte im Grunde keinen Wert mehr, man konnte dafür nichts kaufen. Also dann kam es so wie ganz früher, wo es kein Geld gab. Es ging auf der Tauschbasis. Das gute Ereignis war, dass man gut miteinander umging. Auch um die Flüchtlinge hat man sich bei uns

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im Dorf gekümmert, man hat nicht gesagt: „Ihr kommt aus dem Osten, ihr seid die letzten Pollaken“, sondern die sind wie jeder andere Mensch angenommen worden und man hat sich um sie gekümmert. Gab es auch brenzlige Situationen? Hier gab es keine brenzligen Situationen. Aber in Schrum hat es eine brenzlige Situation gegeben. Äh, man hat damit gerechnet, dass die Engländer und Amerikaner, unter Umständen auch hier über die Westküste, bei uns landen würden und dann Deutschland von dieser Seite aufräumen würden. Die sind ja später in der Normandie gelandet. Hier an der Küste wurden ja auch schon Abwehreinheiten errichtet, also so Wehranlagen oder Geschütze gebaut, falls die kommen würden. Hier durch Jützbüttel ging übrigens auch eine Anlage, falls von Westen her der Feind kommt, dass man sich hier in Laufgräben verschanzen könne. Ich wollte noch was anderes sagen. Da war ein Bauer aus Schrum, der wollte ein Pferd kaufen, in Arkebek. Dann hat er gesagt: „Wenn die Engländer und Amerikaner kommen, dann müssen wir aber Kaffee und Kuchen auf den Tisch kriegen.“ Also denen freundlich begegnen. Irgendjemand hat das gehört und das gemeldet, der Bauer, der das gesagt hatte, kam ins Konzentrationslager. Es dauerte nicht lange, da kam er im Zinksarg zurück. Man hat dann gesagt, er wäre krank gewesen. So gefährlich war das! Wenn man sich kannte und vertraute, dann konnte man so etwas sagen. Das Ganze lief dann unter Wehrkraftzersetzung, die Leute wurden dann angeklagt, wegen Wehrkraftzersetzung. Man hatte also die innere Wehrkraft aus dem Volk. Wurde jemand in Ihrer Umgebung bespitzelt? Das wäre ja so etwas. Aber Bespitzelung ist ja immer geheim. Wir wissen nicht, ob es noch irgendwelche Unterlagen gibt, in irgendeinem Archiv, aus denen man das ersehnen kann. Wie in der DDR, da wurde ja

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auch bespitzelt, nach Strich und Faden. Die Stasi und ihre Mitarbeiter. Ob es hier so was gegeben hat, das kann sein, aber das ist irgendwann vernichtet worden. Man wollte später nichts mehr davon hören. Als der Krieg zu Ende war, hatte man die Schnauze voll vom Nationalismus. Das ist ja der Vorwurf der heute lebenden Generation: „Ihr habt damals nicht ordentlich aufgeräumt.“ Aber im Grunde wollte man nichts mehr davon hören. Man wollte also keine Gerichtsverhandlungen, nichts mehr. Schluss damit, man wollte was Neues. Waren Sie am Anfang gegen oder für Hitler? Wir hatten keine Hitlerflagge, jedes Haus hatte ja die Hakenkreuzfahne. Und ich war sehr dafür, wie man als achtjähriger Junge ist, dass wir auch so eine Flagge bekommen, da alle anderen eine hatten. Irgendwann hatten wir dann auch eine Flagge, die ich dann draußen am Pfahl, an einer Stange, festgebunden habe. Aber das war ich alleine, Opa hat vielleicht noch mitgeholfen, aber die Eltern waren nicht dafür. Gab es Angriffe in Ihrer Umgebung? Ja, auf die Hölle. Also, äh, dann gab es etwas, das kann ich euch auch erzählen und zwar in den letzten Kriegsmonaten. Der Kaiser-WilhelmKanal war ja für die Versorgung. Die Kriegsschiffe fuhren ja von der Nordsee in die Ostsee durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal, unserem NordOstsee-Kanal, und eines Nachts haben die Engländer oder Amerikaner den Kanal versucht zu verminen. Und Vater war gerade im Urlaub zu Hause, der stand dann draußen. Die Flugzeuge flogen am Kanal nicht gerade längs, sondern quer, drehten hier bei uns um und flogen wieder zurück zum Kanal, ganz niedrig. Vater sagte: „Ich hätte die mit der Jagdflinte 'runterschießen können“, so niedrig flogen die bei uns über dem Dorf. Dann flogen sie wieder zurück zum Kanal und ließen die Minen fallen, die dann auf den Grund fielen. Einige waren auch auf die Kante

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gefallen, das wusste man später dann ganz genau, sodass man den Kanal unpassierbar machte. Und ich kann mich noch erinnern, Hein Karstens, die Jungs, teilweise waren sie ja älter, die haben mich mitgenommen zum Kanal. Da war ein größeres Militärboot, ein eisernes, das war wohl auf 'ne Mine gelaufen, das hatte man an die Kante gezogen. Mit einem Seil hing das so schräg auf der Kante und im Kanal fuhren Minensuchboote. Minensuchboote sind aus Holz, denn die Minen sind ja mit Magneten oder mit elektrischen Sachen bestückt, wenn Eisen darüber fährt, explodieren die. Die Boote waren aus Holz, aber hinter den Booten, an langen Seilen, waren so Pontons angebaut, vielleicht 200 Meter lang. Alle 50 bis 100 Meter waren so Pontons, die hinterher geschleppt wurden. Und die fuhren ständig hin und her, hatten irgendwie solche Magnetsignale und sollten den Minen zur Sprengung verhelfen. Und wir standen unten am Kanal, mit mehreren Leuten und plötzlich war da eine riesen Wasserfontäne, da war so ein Ding wohl in die Luft gegangen. Hatten Sie gute oder schlechte Erlebnisse mit ausländischen Soldaten? [lacht] Der erste ausländische Soldat, den ich gesehen hab, 1945, als der Krieg zu Ende war, der kam mit einem englischen Jeep nach Jützbüttel, denn die Engländer waren hier in Schleswig-Holstein. Er hatte keine Uniform an und fuhr zu den Bauern und holte jeweils einen Korb mit Eiern und fuhr damit weg. In Röst zum Beispiel mussten einige Menschen in ein paar Stunden ihr Haus räumen, weil die Engländer dort eingezogen sind und äh, dann konnten sie nichts mehr aus dem Haus 'rausholen und mitnehmen. Ich glaube die Leute sind dann in Röst in die Schule gezogen, denn irgendwo mussten sie ja unterkommen und das Vieh weiter versorgen. Aber das Wohnhaus wurde dann beschlagnahmt. Die, bei denen das Haus beschlagnahmt wurde, die haben natürlich auch etwas Negatives durch diese Besetzung erlebt. Diese Besetzung dauerte aber nicht so lange. Und jetzt kommt etwas, ich weiß nicht, ob ihr das wisst. Norder- und Süderdithmarschen und Eiderstedt eigneten sich her-

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vorragend, weil ja Dithmarschen von Wasser umgeben ist und Eiderstedt ja in der Nordsee liegt und nur mit ein paar Brücken mit dem Land verbunden ist, als Interniertenlager, zur Internierung der geschlagenen Armee, also der deutschen Soldaten. Und zwar kamen ja die deutschen Soldaten aus Norwegen und aus Dänemark. Die wurden hier alle durch Dithmarschen geschleust und ich meine, das war das Internierungsgebiet. Dann gab's auch noch im Osten, bei Schönberg da irgendwo, auch noch zwei Gebiete, wo die Soldaten waren, es waren keine Kriegsgefangenen, sondern Internierte. Die Offiziere waren noch bewaffnet, hatten also noch eine Pistole. Und alles lief auch unter deutscher Führung, also wie es immer gewesen war. Und, äh, die Engländer haben sich dann von hier zurückgezogen, auf die andere Seite vom Kanal. Kanal, Elbe, das war alles bewacht, damit keiner fliehen konnte. Es gab auch welche, die wollten flüchten, die wohnten vielleicht auf der anderen Seite in Hademarschen und waren hier als Internierte und wollten dann nach Hause und sind durch den Kanal geschwommen. Auf die ist geschossen worden. Da sind also Leute umgekommen. Die waren im Grunde Kriegsgefangene, wurden aber nicht als Kriegsgefangene benannt, sondern als Internierte. Das ist im internationalen Recht ein besonderer Status. Das waren etwa 410 000 deutsche Soldaten. Und der kommandierende deutsche General wohnte bei Blohms in Jützbüttel. Damals war Jützbüttel der Ort in Dithmarschen. Äh und bei Klaußens war der zweithöchste General, nach dem General Oberst Staken und der sagte mal zu Frau Klaußen: „Sie glauben gar nicht, wer bei Ihnen im Haus alles ein- und ausgegangen ist. Die höchsten Offiziere und Dienstgrade der alten Wehrmacht. Die sind hier ein- und ausgegangen.“ Bei uns auf dem Hof, das ist ja noch zu sehen, wo die alte Diele war, da stand ein Lkw, hinten mit einem Kastenaufbau. Da 'drin war eine Vermittlung, die sogenannte Führungsvermittlung vom Armeekorps Witthöff. Aus ganz Dithmarschen und Eiderstedt liefen alle Kabel, Feldfernkabel, die Telefonkabel reichten ja nicht, die liefen alle bei uns in der Mistkuhle an einem langen Brett zusammen und von da mit einem Kabel in den Wagen 'rein. Da

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waren Klappenschränke, so ein zwei Meter Klappenschrank und jeder Telefonanschluss war einmal unten mit so einem Stecker versehen und dann konnte man verbinden. Also angenommen, der General wollte mit irgendjemandem sprechen, dann fiel die Klappe -General-. Da war so eine Klappe, die fiel 'runter und da stand hinter -General Witthöff- und dann sagte der: „Ich würde gerne sprechen, mit dem General bei Klaußen.“ Oder mit einem anderen, denn hier waren ja viele Oberste. Dann nahm er unten eine Schnur mit einem Stecker, die wussten ja, wo der andere General war und dann sagte er, er hatte ja einen Kopfhörer mit einer Sprechmuschel: „Ich verbinde.“ Dann nahm er das Kabel und oben bei der Klappe, da war eine Buchse und dann war die Verbindung hergestellt. Nach einiger Zeit fragte er nach: „Darf ich trennen?“ Er durfte natürlich nicht mithören. Und ich als zehnjähriger Junge hab' da abends mit 'drin gesessen, irgendeiner musste dann nachts ja auch Dienst machen und ich konnte dann mithören, wenn da gesprochen wurde. Aber nicht, wenn der General telefoniert hat, dann musste ich den Hörer weglegen. Also damals war Jützbüttel der Mittelpunkt Norder- und Süderdithmarschens und Eiderstedts. Und dieser General Witthöff hat dann die Verhandlungen mit den Engländern geführt. Irgendwann war es soweit, dann hat Stalin das mitbekommen, dass die deutschen Soldaten bei den Engländern, Amerikanern und Franzosen keine Kriegsgefangenen, sondern Internierte waren. Und dann hat er gesagt: „Wollt ihr die bewaffnen und in einen Krieg gegen Russland schicken?“ Denn das war immer im Gespräch. Dann hat Stalin gesagt: „Entweder, ihr nehmt sie als Kriegsgefangene oder ihr lasst sie frei.“ Dann ging im Jahre 1945 die Entlassung los und im Herbst 1946 waren die Soldaten entweder entlassen oder zur Arbeit in die Bergwerke nach Belgien gekommen. Also die konnten nicht alle entscheiden, was sie wollten, sondern wurden irgendwo hingeschickt. Und dann sind viele Soldaten hier auf den Bauernhöfen, als Angestellte geblieben oder haben eine Witwe geheiratet, wo der Mann gefallen war oder die Tochter zu heiraten war. Es waren ja viele Männer auf den Höfen gefallen, sodass keine Hofnachfolger da waren,

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es waren noch die Frauen da, als Witwen. Viele haben ja wieder geheiratet und unter Umständen sind dadurch Leute, die eigentlich nie Bauern waren, Bauern geworden. Die wollten nicht in die Kohlengruben nach Belgien und wollten dann natürlich irgendwo unterkommen. Wie hat sich die Familie ernährt? Im Krieg und der Nachkriegszeit, ja, die Nachkriegszeit war eigentlich die schlechteste Zeit. Selbst wenn man Lebensmittelkarten hatte, konnte man ja nicht einkaufen. Weil es nichts gab. Hier auf dem Land, bei uns in der Landwirtschaft, wir hatten zumindest Milch und geschlachtet haben wir auch. Wir durften aber pro Person nur soundsoviel Vieh schlachten. Das heißt, eine Familie mit vier Personen durfte ein Schwein von 200 Pfund schlachten. Dieses Schwein musste vorher gewogen werden und dann wurde es genau aufgerechnet, ob es stimmte. Was dabei zu Stande kam, war Folgendes. Man hat dann eine Sau, die einmal geferkelt hatte, gemästet und gemästet, bis sie drei-, vier-, fünfhundert Pfund wog und sie dann geschlachtet. Diese brachte man aber nicht zum Wiegen, sondern man nahm dafür ein anderes Schwein im Dorf. Von Nindorf weiß man das, bei Meldorf, das ganze Dorf hat ein und dasselbe Schwein gewogen. Das musste alle paar Tage zur Viehwaagschale und kannte den Weg schon. Es hatte genau das Gewicht von einem Einheitsschwein, keiner hat was gesagt, geschlachtet wurden aber die großen, die eine dicke Fettschicht hatten. Fett war Energieträger. Damals, wenn die Menschen mit Zügen aus Hamburg kamen, die haben in Hamburg ja gehungert, liefen sie übers Land und haben gebettelt, nach Kartoffeln und Eiern. Sie wollten sogar Goldringe oder Anderes gegen Speck eintauschen, aber da durfte kein Fleisch 'dran sein, nur Speck, als Energieträger. Wenn man dann so eine Sau hatte, mit viel Speck, der dann geräuchert war, dann konnte man schön was dagegen eintauschen. Wir haben hier nicht gehungert, aber reichlich hatten wir auch nicht und die Flüchtlinge hier haben auch nicht gehungert. Wir waren ja Selbstversor-

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ger. Die Bauern durften aber nicht soviel essen, wie sie wollten. Die durften zum Beispiel kein Getreide mahlen. Die Getreidemühlen, die wir hatten, zum Schrot mahlen, waren alle verplombt, damit niemand Roggen mahlen konnte. Man durfte nur eine bestimmte Menge Roggen zur Mühle bringen und sich mahlen lassen und Brot daraus backen. Alles andere musste abgeliefert werden, das war schon in der Hitlerzeit so. Jeder Tropfen Milch in die Molkerei. Schlagsahne durften wir auch nicht abschöpfen. Trotzdem haben die Bauern ein bisschen Schlagsahne abgeschöpft, sauer werden lassen und dann gab's überall so kleine Kannen, oben mit so einem Plömper 'dran, so ein Holzding und dann wurde solange geschlagen, bis aus der sauren Sahne Butter wurde. Das schmeckte nicht so gut, aber es war Fett. Fett war wichtig, Fleisch wollte keiner, da sitzt ja keine Kraft und Energie 'drin. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, wie es war, aber es war wirklich knapp. Nach dem ersten Weltkrieg war es noch knapper. Hier im Buch zum Beispiel ist eine Mahlkarte 'drin. Dann durften soundso viele Personen auf der Mühle, was weiß ich, 80 Kilogramm mahlen lassen, als Brotgetreide, mehr nicht. Und nach dem Krieg war noch etwas, das nannte man Lastenausgleich. Die, die hier alles behalten hatten, die mussten Fleisch und Holz abliefern. Hier auf den Höfen wurden Wurzeln, Gurken und Mohn, es gab hier Mohnfelder bei uns, nicht für Opium, sondern im Mohn ist ja Öl drin, eben als Fett verwendet. Wie war die sanitäre und medizinische Versorgung nach dem Krieg? Ja, durch die Mangelernährung gab es ja viele Krankheiten, die heute kaum mehr auftreten. TB zum Beispiel, das nächste Krankenhaus in unserer Umgebung war in Albersdorf. Also die Versorgung war gegeben, aber es war nicht so doll. Die Ärzte waren ja auch nicht vorhanden, die Arztdichte, die wir heute haben, die gab es einfach nicht. Gab es Verluste in Familien- oder Freundeskreis?

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Ja, die hat es überall gegeben. In der Albersdorfer Kirche hingen rundherum in drei Schichten diese Holzkreuze von Gefallenen. Da kann man sich mal ungefähr vorstellen, wie viele hier aus unserer Gegend gefallen sind. Aus unserer Familie war es Otto, der Bruder meiner Mutter, er ist in Russland vermisst gemeldet worden, man hat nie wieder was von ihm gehört. Mein Vater, Onkel Johann und Onkel Hans sind aus dem Krieg wiedergekommen. Beschäftigt Sie der Krieg immer noch? Also der Krieg beschäftigt mich nicht, aber ich bin ja einer, der sich gerne Gedanken über Früher macht. Es gibt Leute, die haben die Vergangenheit abgehakt. Ich hab' es nicht abgehakt, weil mich das immer noch interessiert. Ich habe auch an der Dorfchronik mitgearbeitet.

Fazit Diese Arbeit hat uns viel Spaß bereitet und wir konnten so einen kleinen Einblick in die Zeit des Nationalsozialismus gewinnen. Egal, ob Heinrich Tiessen über die guten oder die schlechten Erlebnisse erzählte, gab es beim Interview keine großen Schwierigkeiten. Die Fragen, die wir unserem Interviewpartner stellten, konnten alle sehr informativ beantwortet werden, da er über diese Zeit viel weiß und sie noch heute interessant findet. Dadurch wurden die Antworten auch mal ein bisschen länger. Heinrich Tiessen hat deutlich gesprochen, sodass wir beim anschließenden Aufschreiben des Interviews keine Schwierigkeiten hatten. Wir hatten das Gefühl, dass Heinrich sich sehr darüber gefreut hat, dass wir ausgerechnet ihn ausgesucht haben, um das Interview zu führen. Er

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findet es gut, dass wir Jugendlichen uns über dieses Thema informieren wollen. Die Zusammenarbeit zwischen uns hat, trotz der Entfernung, ganz gut geklappt. Wir möchten Heinrich Tiessen für seine Gesprächsbereitschaft danken.

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Heinz P., befragt von Jan Wojak und Lars-Ole Weichelt

Biographie Wir befragten Heinz P. zu dem Thema 'Erlebte Geschichte - Nachkriegszeit'. Er wurde im November 1933 in Flensburg geboren. Er hatte zwei Schwestern, wovon eine noch lebt. Sein Vater musste nicht in den Krieg, da er bei der Schleswag arbeitete. Seine Mutter war Hausfrau und ist mittlerweile, wie ihr Mann, gestorben. Heinz P. beendete die Schule mit der mittleren Reife, dem Realschulabschluss. Er zog nach Rendsburg und wurde 1951 bei der Schleswag angestellt. Er heiratete 1960 Frieda P. und genießt inzwischen als Rentner ein ruhiges Leben.

Interview Wurde Flensburg bombardiert? Wir wohnten in der Nähe der Werft. Die Werft wurde bombardiert, da dort noch Schiffe gebaut wurden. Auf dem Rückweg schmissen die Flieger noch die letzten Bomben ab und trafen durch Zufall das Nachbarhaus. Da alle in den Luftschutzkellern waren, passierte niemandem etwas. Aber in unserer Wohnung war trotzdem das ganze Glas kaputt. Wir wurden bei Verwandten untergebracht, bis der Glaser kam. Der Glaser ging immer von Haus zu Haus, um die Scheiben zu reparieren. Einmal fiel eine Brandbombe durch das Dach, die zum Glück ausgegangen war. Nach einem Bombenangriff kamen Soldaten, um die nicht losge-

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gangenen Bomben einzusammeln. Wir Kinder haben oft Bombensplitter gesammelt und sie nach Größe und Schönheit sortiert. Wie konnte man die Folgen des Krieges spüren? Es gab wenig zu essen. Deswegen wurden die Lebensmittelmarken verteilt. Wir mussten eine Stunde zum Kaufmann laufen und anstehen. Normalerweise haben wir jedes Jahr Kartoffeln eingekocht, aber es gab einmal nur Rüben und darum haben wir dann Rüben eingekocht. So gab es dann nur Rüben zu essen. Wie war die Versorgung? Es gab ausreichend zu essen, aber man wurde nur selten satt. Beim Schlachter standen viele an, um die Brühe zu kaufen, da sie einen hohen Fettanteil hatte. Als die Reichsmark in DM umgewandelt wurde, gab es sehr viel Mais. Aus dem Mais wurde Mehl gemacht und daraus Brot und Brötchen gebacken. Das war im Gegensatz zum herkömmlichen Brot billiger. Jeder bekam ein Kopfgeld von 30 DM. Bei der Konfirmation bekam ich kein Geld, sondern eine lange Unterhose, einen Füllfederhalter und Kaffeebohnen geschenkt. Mein Vater war kein Soldat. Er arbeitete bei der Schleswag und ihm wurde freigestellt, ob er in den Krieg ziehen möchte, da er auch anders gebraucht wurde, so zum Beispiel bei der Stromversorgung auf Föhr. Mein Vater fuhr mit dem Fahrrad zur Fähre. Die Fähre wurde auf dem Weg nach Föhr beschossen. Meinem Vater wurde der Arm durchschossen und er bekam einen Streifschuss am Kopf. Dann fiel er um. Das Schiff schaffte es gerade so an den Strand von Föhr, wo mein Vater durch das Einlaufen des Wassers geweckt wurde und sich retten konnte. Wie war der Tagesablauf nach dem Krieg?

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Die Schule musste nach dem Krieg nachgeholt werden. Wir mussten uns auf dem Schulhof aufstellen und als der Direktor mit der Hakenkreuzfahne kam, mussten wir alle die Nationalhymne singen. Die Lehrer hatten alle Uniformen mit Hakenkreuzen an. Ich ging bis 1950 zur Schule. Waren Sie in der Hitlerjugend? Ja, wie jedes Kind. Zuerst im Deutschen Jungvolk und dann, ab zehn Jahren, zur Hitlerjugend. Eines Abends kam ein Flüchtlingsschiff an, dessen Flüchtlinge wir zur Duburg Kaserne begleiteten. Was wir natürlich toll fanden. Wir trafen uns jede Woche und mussten marschieren und wurden gedrillt. Nach der Schule 1951 suchte ich mir einen Job. Da ich ein Mitarbeiterkind war, wurde ich bei der Schleswag angestellt und so kam ich nach Rendsburg. Mein Vater bekam einen Garten, der aber vier Kilometer entfernt war, wo wir jedes Wochenende mit dem Fahrrad hinfuhren. Da mein Vater Raucher war, hatte er dort Tabak angepflanzt. Wir wurden britische Regierungszone. Die Engländer haben uns nichts getan. Beim Volkssturm musste mein Vater doch noch Panzersperren bauen. Die Nazis wurden entnazifiziert. Einmal kam mein Großvater und wollte mit mir und meiner Schwester spazieren gehen. Ich hatte keine Zeit, deswegen ging nur meine Schwester mit. Am Abend kam die englische Militärpolizei und hat uns bedauernd mitgeteilt, dass meine Schwester von einem englischen Panzer überfahren wurde.

Fazit Das Interview hat viel Spaß gemacht und wir haben einiges über die Nachkriegszeit gelernt. Da unser Zeitzeuge nicht im Krieg war, erfuhren wir, was Daheimgebliebene machten. Es war sehr interessant, was uns Heinz P. über seine Familie erzählt hat. Wir bedanken uns hiermit bei unserem Zeitzeugen.

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Eduard Raschke, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

Biographie Eduard Raschke wurde am 04.11.1922 geboren. Seine Eltern Werner, geb. 1900, und Herta Raschke, geb. 1898, bekommen 1930 auch noch einen zweiten Sohn, Werner. Er wurde 1935 eingeschult und 1939 eingezogen. 1945 wurde Eduard Raschke in Russland gefangengenommen. Er kam 1946, auf Grund eines erfrorenen Beines, nach Hause. 1947 fing er bei der Post an. 1947 verlobte er sich auch mit seiner heutigen Frau, Ilse Völkl. Seine Tochter Petra, geb. 1952, schenkte ihm zwei Enkelinnen, Alexandra und Jessica.

Interview Wie alt waren Sie, als der Krieg begann? Als der Krieg begann … ich bin 1922 geboren und der Krieg brach 1939 aus … 17. Was ist Ihre schrecklichste Erinnerung an den Krieg? Die schrecklichste Erinnerung ist der erste Weihnachtstag 1945. Seit Mai war ich in der Gefangenschaft und wir mussten in Sibirien am Onegasee Holz zusammenschieben zu Flößen und es hatte gefroren. Im Winter waren -56 °C und wir mussten arbeiten, alles Holz aufs Eis schieben. Einige haben Löcher gemacht, um Fische zu fangen. Da bin ich 'reinge-

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rutscht mit einem Bein und seitdem ist mein Fuß erfroren. Mit erfrorenem Fuß kam ich im Oktober 1946 dann wieder nach Hause, weil ich nicht mehr arbeiten konnte. Wenn man in Russland nicht arbeiten konnte, dann konnten sie einen nicht mehr gebrauchen. Dann haben sie einige nach Hause geschickt. Einige haben sie aber nicht nach Hause geschickt, weil die solche Verwundungen hatten, dass sie einen schlechten Ruf hinterlassen würden, dass die Russen sie schlecht behandeln. So etwas gab es leider auch. Ich hatte Glück, dass ich mit nach Hause durfte. Aber wir waren einen Monat lang unterwegs, von Russland bis nach Deutschland. Im Güterwagen hockten wir mit 45 Mann und jeden Tag gab es nur eine Tasse Essen, Suppe. Festes darin waren ungefähr zwei, drei Löffel, also Teelöffel, nicht Esslöffel. Und das waren meine schrecklichsten Erinnerungen. Obwohl wir Deutschen die Juden verfolgt hatten, hat eine jüdisch-russische Ärztin dafür gesorgt, dass ich nach Hause konnte. Wir hatten ja nichts, das war alles, da oben in Sibirien, am Onegasee. Haben Sie mitbekommen, wie die Juden verfolgt wurden? Nein, das habe ich nicht. Eher so im Nachhinein? Vor dem Krieg war ich sehr jung, dann war ich ja sofort Soldat. Aber ich hab' persönlich überhaupt nichts getan. Ich weiß nur, dass unsere Nachbarn auch Juden waren, aber das haben wir erst gewusst, als die Bude leer war. Auf einmal waren sie weg, aber wohin, wussten wir nicht. Ich wurde dann eingezogen. Ich hab' davon nichts mitgekriegt, ich war immerhin schon mit 17 Soldat. Und wo mussten Sie überall kämpfen?

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Kämpfen brauchte ich nicht, ich war Funker bei der Luftwaffe. Ich habe mich freiwillig bei der Luftwaffe gemeldet. Aber meine Augen waren nicht gut genug und dann kam ich in die Nachrichtenkompanie, da wurde man ausgebildet als Funker. Vor allem nach dem Kriege war das mein Glück. Ich bekam bei der Post einen Posten in der Funkerbranche, das heißt in der Nachrichtenbranche überhaupt. Die Post musste die Kriegsbeschädigten einstellen. Und da war ich einer von. 1947 habe ich bei der Post angefangen. Und was ist Ihnen sonst noch vom Krieg in Erinnerung geblieben? - Am stärksten, am intensivsten? Ich hätte ja vorher noch einmal meinen ganzen Lebenslauf durchleben müssen, hier bei euch. Was hab' ich schon mitgemacht beim Krieg, jedenfalls in der Gefangenschaft hab' ich viel mitgemacht, dass meine Mutter gesagt hat, nach einem Vierteljahr, als ich zu Hause war: ,,So, also jetzt wirst du wieder normal, ich hab' schon gedacht, du wärst irre.“ Ich habe dann nämlich immer, wenn sie die Kartoffelschalen weggeschmissen hat, gesagt: ,,Die kann man noch kochen, die kann man noch essen.“ Wir haben ja gehungert. Wir kriegten einen halben Liter Suppe, das heißt, das sollte Suppe sein, aber es war fast nur Wasser. Ich hab' einmal viel 'drinnen gehabt, das waren vier Streifen vom Kohlkopf. Sonst habe ich noch nie irgendwas in der Suppe gesehen oder gehabt. Ein Löffel Festes war da 'drinnen und im Kochtopf, da wo 400 Liter 'reingingen, kam ein Dose Fleisch 'rein und dieses Schweinefleisch kam aus der USA. Die Amerikaner haben die Russen praktisch versorgt, da in Sibirien haben die auch nicht viel gehabt. Also die Russen selber, als Volk würde ich sie nicht verachten, kamen ohne Lager nicht aus. Das ist heute ja noch so, wenn heute einer verknackt wird, dann gleich 25 Jahre zum Arbeiten in den Arbeitslagern und wir waren da ja auch praktisch Hilfe. Wir, ich mit meiner ganzen Kompanie, haben vor Leningrad gelegen. Als die Kapitulation am 8. Mai war, da hätte uns der Russe nach

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Hause gehenlassen müssen. Wir haben die Waffen abgegeben und er hat uns marschieren lassen, aber leider in die falsche Richtung. Wie endeten als Kriegsgefangene, wir waren aber eigentlich gar keine. Nee, der Krieg war ja zu Ende und wir waren noch nicht gefangengenommen. Aber so hat der Russe uns alle geschnappt und ab nach Sibirien. Tja, das ist meine Erinnerung an Russland oder an die Gefangenschaft. Im Grunde hat das mein ganzes Leben umgekrempelt, denn meinen alten Beruf, den ich erlernt hatte, konnte ich nicht mehr ausführen. Ich habe Kaufmannsgehilfe gelernt, habe dann noch ein halbes Jahr als Geselle gearbeitet und dann wurde ich eingezogen. Und dann war mein Fuß erfroren, als ich nach Hause kam. Hier wurde das dann immer behandelt, die ersten Jahre konnte ich immer nur orthopädische Schuhe tragen. Jetzt ist der Unterschenkel weg, weil das nicht geheilt ist. Es heilte einfach über mehr als 50 Jahre nicht, darauf folgten dann die Amputationen, immer stückweise. Jedenfalls musste ich praktisch meinen Beruf aufgeben und das war reiner Zufall, dass ich im Radio, im Januar 1947, gehört habe, dass die Post welche suchte, die behindert sind, also Kriegsbeschädigte, die Funker oder Fernschreiber waren. Und da bin ich zur Postdirektion hier in Hamburg gegangen und dann sagt der: ,,Ja, neun Leute haben wir schon, dann sind Sie der zehnte und dann machen wir einen Lehrgang und dann können Sie bei uns anfangen.“ Ich kann nur sagen: „Nie wieder Krieg!“ Gibt es Dinge, die dich an früher erinnern, sodass du dann zum Beispiel an Russland denkst? Als der Schnee soviel war, früher war ich nicht so empfindlich, aber jetzt kann ich die Kälte nicht mehr ab. Wenn man das sieht, wird man sofort erinnert. Ja, das ist leider so, dass man sofort erinnert wird. Und wenn ich sehe, dass die tatsächlich in einem Loch Fische fangen, das erinnert mich ja auch. Aber ich habe keine Fische fangen wollen, denn ich musste da ja arbeiten und bin dann da ins Loch 'reingerutscht. Ich durfte nicht aufhören zu arbeiten, das war ja das Schlimmste. Denn wenn ich hätte

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zurückgehen können, andere Fußlappen holen, das durfte ich nicht und nun war das natürlich vormittags passiert und abends hatte ich ein Eisbein, da war das Bein tiefgefroren. Aber das geht doch nicht, man kann doch bei der Kälte nicht in nassen Klamotten 'rumlaufen. Ja ja, Klamotten, das ist auch ein Stichwort. Wir waren im Mai gefangengenommen worden, hatten also Sommerkleidung und hatten nichts anderes. In dem Lager waren wir mit 49 Personen. Es wurde nicht geheizt, wir mussten uns praktisch gegenseitig wärmen. Als du da gefunkt hast, warst du da von Hitlers Strategie überzeugt oder hast du gedacht, das ist alles Quatsch? Wir waren eigentlich ganz unparteiisch. Nicht 'drüber nachgedacht? Ich war im CVJM hier in Hamburg, das war der Christliche Verein Junger Männer. Heute heißt das Christlicher Verein Junger Menschen, weil die Frauen auch 'reindürfen. Wir wurden vom Jungvolk übernommen und einen Tag später waren wir Jungvolk. Und dann mussten wir auch Kameradschaftsabende machen. Die ersten Jahre haben wir gedacht, es kann uns nichts passieren. Ich war arbeitslos, mein Vater auch und als Adolf Hitler im Januar an die Macht kam, bekamen wir, also die Arbeitslosen, sofort Arbeit. Es wurden ja auch Rüstungen gemacht, das war den Arbeitern völlig wurscht, wenn man wieder Arbeit hat, hat man wieder Arbeit. Mein Vater, das weiß ich noch, der hat 12,50 Mark Arbeitslosengeld bekommen. Alles andere gab's auf dem Markt, billige Butter, billige Eier. Bargeld gab es sehr, sehr wenig. Da hab' ich als kleiner Junge drei Laufstellen gehabt, immer zwei Tage und bekam bei

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jeder fünf Mark, ich hab' also mehr Geld gehabt, als mein Vater Arbeitslosenunterstützung. Und ich hab' nur zwei Stunden für jede Firma, an zwei Tagen gearbeitet und bekam überall fünf Mark. Das war bei Adolf Hitler vorbei, da hatte mein Vater gleich wieder Arbeit bei der Bahn. Also ich kann über die Politik überhaupt nichts sagen, ich bin total unpolitisch gewesen. Und würden Sie jederzeit wieder in den Krieg ziehen, wenn Sie es könnten? Nein, auf keinen Fall. Also sind Sie nicht freiwillig in den Krieg gezogen? Nein. Glauben Sie, dass der Krieg auch irgendwas Gutes hatte? Nicht wirklich, nein. Und für andere, glauben Sie auch nicht? Nein. Und glauben Sie, es gäbe eine Möglichkeit, alle Menschen dazu zu bringen, ohne Krieg zu leben? Nein, das kann man nicht. Wir haben schon wieder Nazis und ich muss ehrlich sagen, erst einmal, die wissen gar nicht, was sie tun und dass man das zulässt, da bin ich auch nicht für. Ich finde, das hätte man von vornherein unterbinden müssen. Bei uns haben sie gesagt, man hätte die

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Anfänge sehen müssen und jetzt sind die Anfänge da und keiner rührt sich. Das war's dann auch schon. Vielen Dank!

Fazit Es war erschreckend zu erfahren, was unser Zeitzeuge während des Krieges durchmachen musste und wie sich dadurch sein Leben veränderte. Eduard Raschke war sehr aufgeschlossen und konnte uns alle Fragen ausführlich beantworten. Dadurch war diese Tag für uns sehr interessant. Es kamen alte Erinnerungen und Gefühle wieder zum Vorschein.

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Bernd de Camp, befragt von Marcel Brüggen

Biographie Der Zeitzeuge ist mein Onkel Bernd de Camp, er wurde am 10. Mai 1935 geboren. Als der Krieg begann, war er vier Jahre alt, also hat er den Krieg als Kleinkind erlebt. Seine Familie wohnte im zerbombten Hamburg. Er ist mit seiner Familie von Hamburg nach Mecklenburg geflüchtet. Mein Onkel hat noch einen jüngeren Bruder, der im Krieg geboren wurde und sehr klein war. Weil der Bruder erst fünf Wochen alt war, bekamen sie noch große Schwierigkeiten und mussten viele Hindernisse überwinden. Durch die Explosion einer Phosphorbombe wurden seine Mutter und sein Bruder für kurze Zeit blind. Zum Glück aber konnten sie von ihrer Blindheit geheilt werden. Seine Oma mütterlicherseits war auch dabei, sein Vater leider nicht, weil der schon im Krieg war. So dass die Familie auf sich allein gestellt war.

Interview Wie alt warst du? Mein Geburtsjahr ist 1935, also war ich vier Jahre alt, als der Krieg begann. Was ist dir in Erinnerung geblieben?

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In Erinnerung geblieben sind mir Angst und Schrecken. Die Vertreibung und der Verlust unseres Hauses durch die Bombardierung der Engländer auf Hamburg 1943. Das Ausharren und Warten bis zur Entwarnung im Luftschutzkeller. Alle Menschen dort hatten Todesangst und beteten laut und schrien nach dem lieben Gott, in ihrer Not. Was ist deine schmerzlichste Erinnerung? Der Verlust der elterlichen Wohnung, des geliebten Kinderzimmers und der Spielsachen und die immer wiederkehrenden nächtlichen Angriffe auf Hamburg, die uns zwangen, immer wieder den Luftschutzkeller aufzusuchen. Der Koffer, mit den wichtigsten Papieren und Habseligkeiten, war immer gepackt. Erzähl' mal davon. Besonders schmerzlich waren die Totalausbombung unseres Wohnhauses und die Tatsache, dass wir im Luftschutzkeller verschüttet wurden, durch herabfallendes Gestein und die Brandbomben, die draußen alles in Brand setzten, so dass wir nicht den Keller verlassen konnten. Meine Familie bestand derzeit aus meiner Mutter, meiner Großmutter mütterlicherseits, meinem fünf Wochen alten Bruder, der viel zu früh zur Welt kam und mir, ich war acht Jahre alt. Mein Vater war im Krieg. Nachdem es uns gelang, aus dem brennenden Luftschutzkeller zu kommen, stellte meine Mutter sofort fest, dass sie plötzlich das Augenlicht verloren hatte, durch die Phosphorbomben. Wir hatten sehr großes Glück, dass mein Bruder überhaupt überlebte, da wir ihm nasse Windeln überlegten, er wäre sonst erstickt. Wir versammelten uns dann mit den anderen Bombenopfern auf einem Marktplatz in Hamburg, von dem aus wir dann auf einem Lkw nach Hamburg-Bergedorf, eine Vorstadt Hamburgs, gebracht wurden. Hier wurden wir ein bis zwei Tage privat untergebracht. Meine Angst war in diesen Tagen so groß, dass ich nicht allein auf die

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Toilette gehen mochte. Anschließend wurden wir nach Schwerin gebracht und kamen in eine Art Lazarett, wo meine Mutter zunächst medizinisch intensiv betreut wurde, um das Augenlicht zu retten, was glücklicherweise gelang. Nach der Genesung meiner Mutter fanden wir zunächst bei Verwandten in Gadebusch in Mecklenburg-Vorpommern, in einer Kornkammer auf dem Boden, für ein paar Monate Unterschlupf, bevor wir noch einmal umzogen, in eine eigene Wohnung in der Altmark in Arendsee. Auch hier machten wir noch etliche Bombennächte mit, die wir dann oft im Schutze des Waldes verbrachten bis zum frühen Morgengrauen. Hier blieben wir bis zum Ende des Krieges im Mai 1945. Nach Kriegsende, im Sommer 1945, kam mein Vater nach einer schweren Kriegsverletzung aus Brünn, in der Tschechoslowakei, nach Arendsee zu uns. Wir waren alle überglücklich, wieder zusammen zu sein. Nachdem die Amerikaner zunächst unseren neuen Heimatort Arendsee eingenommen hatten, folgte später, nach der Aufteilung Deutschlands in Zonen, die Übernahme durch die Russen, später DDR. Im Dezember 1945 kamen wir endlich mit einem Treck, mit Pferd und Wagen, wieder zu Verwandten nach Hamburg, die uns Gott sei Dank aufnahmen. Hätten wir keine Bleibe in Hamburg nachweisen können, hätten wir in Arendsee bleiben müssen. Hast du Menschen verloren, die dir wichtig waren? - Wenn ja, wie? Nein, Gott sei Dank nicht. Wurdest du von deiner Familie getrennt? Abends und nachts musste ich immer, weit weg von meiner Familie, bei einer alten fremden Dame in einem anderen Stadtteil schlafen, die Platz hatte. Morgens ging ich wieder zu meiner Familie, da war ich zehn Jahre alt.

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Musstet ihr viel hungern? Durch die gute Organisation und durch Beziehungen litten wir, Gott sei Dank, kaum unter Hunger. Tut es dir weh, wenn du siehst, dass andere Menschen Lebensmittel wegwerfen? Ja. Hast du Dinge, die dich an früher erinnern? Durch die Ausbombung in Hamburg haben wir alles verloren. Nach der Rückkehr aus Mecklenburg fingen meine Eltern von vorne an. Warst du in einer Jugendgruppe Hitlers? Ich war eine kurze Zeit vor Ende des Krieges beim Jungvolk. Hattest du Spaß daran? Nein. Würdest du denjenigen umbringen, der einen weiteren Weltkrieg anzetteln würden? Es darf nie wieder Krieg geben! Wie hat der Krieg dein Leben verändert? Leider lebe ich heute, als fast 75-jähriger, noch mit den Ängsten der Jahre 1943 bis 1945, vor allem das Alleinsein nachts fällt mir sehr schwer.

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Hatte der Krieg für dich, für Deutschland oder für Europa und die Welt etwas Gutes? Wie kann ein Krieg, der 50 Millionen Menschenleben forderte, etwas Gutes gebracht haben? Glaubst du, es gibt eine Möglichkeit, alle Menschen davon zu überzeugen, dass friedliches Nebeneinanderleben glücklicher macht als grauenvolle Kriege? Circa sechs Milliarden Menschen werden wohl leider nicht in Frieden miteinander leben können.

Fazit Das Interview ist gut gelaufen, ich habe viele Informationen von meinem Onkel Bernd bekommen. Es waren viele Fragen dabei, die er sehr emotional beantwortete. Ich habe mich gefreut, dass ich meinem Onkel die Fragen stellen konnte und die Bearbeitung hat mir sehr viel Spaß gebracht.

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Erika Völkl, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

Biographie Erika Völkl wurde, als Erika Becker, am 09.05.1937 in Hamburg geboren. Ihre Eltern, Carl und Gertrud, hatten insgesamt vier Kinder. Claus, geb.1924, gefallen 03.10.1943, Käte, geb. 1927, Erika, geb. 1937, und Hermann, geb. 1938. Erika Völkl arbeitete später bei der Post und der Telekom. Sie war mit Gerhard Völkl verheiratet und hat aus dieser Ehe eine Tochter, Gesa. Diese hat wiederum zwei Kinder, Pascal und Natascha.

Interview Wie alt warst du, als der Krieg ausbrach? Ich war zwei Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Was ist dir am stärksten in Erinnerung geblieben? Das war der 24. und 25. Juli 1943, das Ausbomben. Als der Krieg ausbrach, war jede Nacht Alarm, sodass wir immer in den Keller mussten. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, als wir ausgebombt wurden, war mein Vater gerade im Urlaub. Meine Tante war zu Besuch und meine Großmutter wohnte oben im Haus. Wir waren alle im eigenen Keller. Mein Vater hatte nochmal 'rausgeguckt und da erinnere ich, dass von draußen riesiges Getöse zu hören war und mein Vater kam praktisch

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kopfüber die Treppe wieder 'runter, weil die Holztreppe durch die Erschütterung aushakte und kippte. Für kurze Zeit war Ruhe, doch dann fing das Haus an zu brennen und die Erwachsen gingen nach oben, um zu löschen. Sie sind die Treppe, die voller Geröll war, mit Eimern voll Wasser hinaufgelaufen und fielen hin, weil wohl immer Bomben fielen. Das Wasser kippte schon vor dem Löschen aus und sie mussten zurück und neues holen. Wir beiden Kleinen waren mit unserer Großmutter alleine im Keller und im Nebenkeller fiel die Decke herunter. Irgendwann hieß es dann, wir müssten das Haus verlassen. Meine Mutter ist dann mit uns in den Keller des gegenüberliegenden Wohnhauses geflüchtet. In der Straße brannten die Häuser. 'Drüben im Keller, da hab' ich mich übergeben. Ich hatte wohl einen schweren Schock erlitten, denn danach war ich mehrere Tage nicht voll bei Besinnung. Die Nacht haben wir bei unseren anderen Großeltern verbracht, die in der Nähe wohnten. Wir wollten gerade nach Rügen verreisen und am Montag sind wir zum Bahnhof gegangen. Die Züge fuhren nicht richtig, da die Bahnhöfe kaputt waren. Auf dem Bahnhof waren viele Menschen, die aus Hamburg fliehen wollten. Mein Vater hat uns durch das Zugfenster geschoben, weil die Züge so voll waren. Es waren auch normale Reisende im Zug und die beschwerten sich dann: ,,Oh Gott, das Kind kommt mit den Füßen an mein Zeug.” Ich musste ja getragen werden. Also, ich war bewusstlos und wir sind nach Rügen ins Zeltlager gereist. Zum Glück war unser Koffer angekommen, der vorher aufgegeben worden war. Da hatten wir dann wenigstens Glück, dass wir Sachen zum Wechseln hatten. Und ich habe da wohl immer gelegen, ein Auge verdreht und habe ganz flach geatmet. Es kam dann ein Arzt, der zu Gast war und der hat gesagt: ,,Die krepiert Ihnen doch.” Meine Mutter hat dann ein Salatblatt in Zucker gedippt, das aß ich gerne und über meine Lippen gestrichen. Irgendwann hab' ich dann wohl auch mal zugebissen. Nach fünf Tagen bin ich im Zelt auf einmal hochgekommen, habe die Augen richtig gestellt und gesagt: ,,Ich will nie die brennende Häuser wiedersehen”, dann bin ich nach hinten

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gekippt. Meine Mutter dachte, nun ist es aus. Aber von da an hab' ich wieder richtig geatmet, der Schock hatte sich wohl gelöst. Und wie alt warst du da? Da war ich sechs Jahre alt. Wie lange waren Sie in dem Zeltlager? Zwei Wochen waren wir da und dann sind wir nach Ahrenshoop in Mecklenburg gefahren, weil meine Mutter mit uns und den größeren Geschwistern schon öfters dort gewesen war. Da waren alle Pensionen schon besetzt, es war ja Sommer. Wir wohnten erst in einem kleinen Waschhaus mit zwei Betten. Ich habe mir mit meiner Mutter ein Bett geteilt und meine Schwester teilte sich eins mit meinem Bruder, bis wir dann ein größeres Zimmer im Haupthaus bekamen. Meine Mutter hatte keine Nachricht von meinem Vater und vom Militär kam die Nachfrage: „Wo ist er geblieben? Er hat sich nicht zurückgemeldet.“ Meine Tante wohnte in Oldenburg und eine Freundin schrieb: ,,Wo bleibt Emmi? Sie kommt nicht zurück.” Mein großer Bruder, der schon mit 17 Jahren Soldat werden musste, schrieb: ,,Ich hör' nichts aus Hamburg, was ist los mit euch?” Meine Mutter fuhr mit dem Zug nach Ahrenshoop, um eine Unterkunft für uns zu suchen und da hörte sie von zwei Herren, die sich unterhielten, den Name von der Straße, wo meine anderen Großeltern wohnten und wo wir nach dem Ausbomben untergekommen waren. Meine Mutter hat sich daraufhin ins Gespräch eingemischt und erfuhr: ,,Nee, da steht nichts mehr, die Häuser sind alle weg. Wenn da jemand im Haus war, das keinen Keller hatte, dann lebt keiner mehr.“ Und damit war meiner Mutter eigentlich klar, dass die ganze Familie ausgelöscht war. Nach sechs Wochen kam ein Brief, dass alle Familienmitglieder einen oder zwei Tage nach dem Ausbomben aus Hamburg 'raus waren. Ein Freund meiner Eltern, er war Lehrer an der Kunstschule, jetzt ist es

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eine Universität, war morgens in der Schule und hat wohl gedacht, ich guck' mal, wie es in den Hamburger Straßen so aussieht. Er hat dann meinen Vater getroffen, der noch versuchte, etwas zu retten oder aus den Trümmern zu holen. Als er das alles sah, sagte er: ,,Wissen Sie was?” Gegenüber war eine Spedition, die hatten noch einen LKW mit Hänger. „Laden Sie alles auf, die ganze Familie, auch die Speditionsangehörigen und fahren Sie alle zu mir nach Tangstedt, in die Nähe von Hamburg.“ Damit sind alle nach Tangstedt gefahren und haben so überlebt. Das war also die Rettung. Mein Vater hatte eine Augenentzündung von dem Rauch und dem ganzen Löschen und konnte nicht richtig gucken. Wir sind dann später auch nach Tangstedt übergesiedelt. Und da waren Sie dann die ganze Zeit? Da haben wir dann drei Jahre gewohnt, in zwei Zimmern, ohne fließendes Wasser, die Pumpe war im Garten hinter dem Haus. Das saubere Wasser musste man ums Haus holen und schmutziges Wasser natürlich wieder 'runtertragen, wir wohnten oben. Wir hatten auch kein elektrisches Licht, weil der Freund von der Kunstschule das so romantisch fand. Es gab ja auch nicht viele Kerzen oder Petroleum für eine Lampe. Mein kleiner Bruder wurde immer ganz quengelig, wenn es dunkel wurde. Dann haben mein Großvater und andere Helfer Pfähle gesetzt, um Stromkabel zu legen. Das war dann wunderschön, als wir endlich Strom hatten. Unser Vater ist glücklicherweise im August 1945, nach Kriegsende, nach Haus gekommen. Er war zuletzt in Italien. Im Sommer 1946 versuchte er dann unser Haus in Hamburg wieder behelfsmäßig aufzubauen. Wir sind dann im Herbst 1946 wieder nach Hamburg gezogen. Und hattet ihr dann viel zu essen oder eher gar nichts? Wir hatten ganz wenig. Tangstedt, das Dorf, liegt ganz nah an Hamburg und dementsprechend kamen auch viele Leute zum Hamstern. Und wer

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seine Wohnung noch behalten hatte, wer nicht ausgebombt wurde, der hatte ja genug Sachen, die er nicht brauchte und mit denen er dann auf das Land ging, um sie gegen Lebensmittel einzutauschen. Wir haben selbst nach Kartoffeln gegraben, wenn ein Feld vom Bauern sehr gründlich leergeackert war. Morgens früh wurde ein Acker freigegeben zum Buddeln, um dann noch ein paar Kartoffeln zu finden. Wir hatten natürlich das Glück, dass wir im Dorf wohnten. Die Hamburger, die übernachteten schon in den Hecken und warteten auch auf diese Freigabe. Jeder hat sich schnell ein Stück Acker abgesteckt, auf dem dann nur er buddeln durfte. Die Bauern gaben nur Essbares ab, wenn sie was dafür bekamen. Aber wir hatten damals nichts mehr. Eine Bauersfrau jammerte: „Wir haben so viele Erdbeeren.” Wenn dann die Krämersfrau vorschlug, dass meine Mutter da ja mal hingehen könne, meinte die Bauersfrau dann schnell: ,,Nee, die brauchen wir alle für Marmelade.” Dasselbe war mit den Falläpfeln. Als meine Mutter hinkam, waren die Falläpfel schon alle aufgesammelt. Meine Mutter mochte nicht betteln und so ließ sie es. Also sammelten wir Brenneseln oder Vogelmiere für Spinat, Himbeeren, Brombeeren und im Herbst Pilze. Am schlimmsten wurde es, als mein Vater wieder nach Hamburg ging, um unser Haus wiederaufzubauen. Er schlief auf dem Trümmergrundstück den ganzen Sommer lang in so einem kleinem Zelt. Wenn er mal Zement oder anderes Baumaterial bekommen hatte, konnte es nicht unbeaufsichtigt bleiben. Meine große Schwester arbeitete in Hamburg und hat unserem Vater jeden Morgen ein Kochgeschirr voll mit Suppe gebracht, die unsere Mutter gekocht hat. Er sagte immer: ,,Satt bin ich nicht, aber voll.” Meine Mutter hat sechs Wochen lang nur abgekochte Zuckerrübenblätter gegessen. Uns fiel das nicht auf, dass unsere Mutter nichts, außer dem, aß. Sie wollte alles für die Kinder und ihren Mann lassen. Mit Heizmaterial war es auch schwierig, wir haben immer Tannenzapfen und Zweige gesammelt. In Hamburg wurden die Bäume gefällt und einige Leute haben dann Eisenbänder um ihre Bäume im Garten oder vor dem Haus

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gewickelt, damit sie niemand absägt. Mein Vater hat die Trümmer umgegraben, nach Holzresten oder anderen brauchbaren Dingen. Und was denkst du, wenn du siehst, wie einige Leute heutzutage mit Lebensmitteln umgehen? Das versteh' ich bis heute nicht. Das sagen alle, die die Hungerzeit durchgemacht haben, weil sie wissen, wie wichtig und wertvoll Lebensmittel sind. Gibt es irgendetwas, das dich sofort an den Krieg erinnert? Ja, sehr oft. Wenn ich, zum Beispiel im Fernsehen, Kriegsbilder sehe oder die Not. Ich kann mich wahrscheinlich besser hineinversetzen und mitfühlen, weil ich ähnliches auch schon mal erlebt habe. Man bedauert die Kinder, die in den Trümmern spielen. Was für eine Freiheit wir hatten, wir durften in den Trümmern spielen, zwischen den Mauerstücken, was man da alles fand und bauen konnte! Es gab da halt keine Spielplätze. Also trotz des Krieges eine schöne Kindheit? Ja. Als Kind weiß man ja gar nichts über die Auswirkungen des Kriegs. Man sieht ja eigentlich immer nur das, was man gerade erlebt. So wie es ist, ist es eben. Also gar nichts so mitgekriegt? Ja doch, nachträglich hört man dann, wie es vor dem Krieg war und wie es ohne den Krieg hätte sein können. Haben Sie das mit der Judenverfolgung mitgekriegt?

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Ja, später habe ich davon gehört. Da hat meine Schwester schon mehr mitgekriegt. Mein ältester Bruder, der war sehr musikalisch und hatte, zum Beispiel, Unterricht bei einer jüdischen Klavier- und Cembalolehrerin. Meine Mutter hatte nach dem Krieg oder sogar noch während des Krieges, Korrespondenz mit ihr. Sie konnte aus den Briefen aus der Schweiz heraushören, dass sie kein Klavier mehr spielen konnte. Man hatte ihr die Fingerknöchel zerschlagen. Als es anfing mit Hitler, wollte er nicht, dass Deutschland Handel mit anderen Ländern treibt, sondern dass wir uns mit dem versorgen, was wir haben. Mein Großvater hatte bereits im Jahre 1890 ein Geschäft für Kaffee, Tee und Kakao gegründet. Da diese Produkte bei uns gar nicht wachsen, hätten wir dann unseren Laden gleich schließen können. Es gibt einen Vorfall, den ich von meiner Mutter weiß. Es wurde von der Parteizentrale angerufen, sie möchten 100 Gramm Tee geliefert haben. Ein Lehrling wurde hingeschickt und der ging 'rein und grüßte mit: ,,Guten Morgen.” Sofort wurde gesagt: „Kennen Sie nicht den Hitlergruß?“ Er hat sich dann umgedreht und ist weg und zurück ins Geschäft. Und dann ist einer von den Nazis in den Laden gekommen und rief: ,,Wer ist hier der Chef?“ Mein Großvater sagte: ,,Moment, erstmal bediene ich meine Kunden. Es geht immer der Reihe nach.“ Der Nazi hat geschimpft, ob wir nicht wüssten, wie der deutsche Gruß wäre und dass er ja nicht einmal in der Lage wäre, einen Lehrling auszubilden. Als die kommunistischen Aufstände waren, dass müsste auch noch vor dem Krieg gewesen sein, da wurden die Straßen aufgerissen. Unser Geschäft wurde völlig zugeklebt und darauf stand groß 'drauf ,,Cohn, ow.” Das Geschäft hieß Hermann Conow, nach unserem Großvater. Ein Cohn ist ein Jude. Wir sollten also beschimpft werden. Das Ende des Liedes war, als der Krieg ausbrach, am 01.09.1939, da wurde unser Vater sofort mit eingezogen, obgleich er, zu der Zeit mit 40 Jahren, eigentlich schon zu alt war. Später wurden fast alle Männer eingezogen. Für meinen Vater, als Geschäftsführer, wurde ein Treuhändler eingesetzt, ein kleiner Krämer, aber Obernazi. Der hat sich nur einmal

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sehen lassen. Zuvor hatten sie meinen Vater auch mal abgeholt und ins Stadthaus zum Verhör gebracht. Viele kamen von so einem Verhör nicht zurück … Befreundete Geschäftsleute unserer Eltern haben sich für ihn eingesetzt. Meine Schwester war beim BDM, da musste sie von der Schule aus hinein. Mein älterer Bruder war in einer Rudergruppe der HJ, auch auf Druck der Schule. Es kam vor, dass ein Schüler behauptete, der Lehrer habe etwas gegen Hitler gesagt und schon wurde der Lehrer angezeigt und niemand hat ihn je wiedergesehen. Es wurde nicht überprüft. Meine Eltern haben auch immer vermieden, offen über Hitler und sein Regime in Gegenwart der Kinder zu sprechen. Die Gefahr, missverstanden zu werden, war lebensgefährlich. Ihr lebt jetzt in der Zeit, in der man den Mund aufmachen kann und muss, was man damals einfach nicht konnte und durfte. Warst du auch in so einer Gruppe wie Käte? Nein, ich war ja zu jung. Als der Krieg zu Ende war, war ich acht Jahre alt. Und bin bis dahin eigentlich auch gar nicht zur Schule gegangen. Ich sollte hier in Hamburg zur Schule, als wir ausbombten, da war gerade Herbsteinschulung. In Tangstedt bin ich dann ein Jahr später, mit meinem kleinen Bruder zusammen, eingeschult worden. Erst kriegten wir noch die Windpocken und andere Kinderkrankheiten und dann durften nur die Kinder zur Schule, die bis zehn Minuten von ihr entfernt wohnten. Wir mussten aber eine halbe Stunde zu Fuß gehen, bis ins Dorf. Also durften wir auch nicht mehr zur Schule, weil auch immer mehr Tiefflieger kamen. Im Herbst 1946 wurden wir beide in die zweite Klasse eingeschult und dann waren wir bis zu 50 Kinder in der Klasse. Da es so wenige heile Schulen gab, wurde vormittags und nachmittags unterrichtet. Die Schule wurde dann auch doppelt belegt, also hatten wir eine Woche vormittags und dann eine nachmittags Unterricht. Die Lehrer wohnten zum Teil auch in der Schule, in den Hausmeisterräumen.

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Hatten denn alle Menschen eine Wohnung? Aus Wohnungsmangel wurden so genannte Nissenhütten in den trümmerfreien Straßen aufgestellt. Sie waren aus Wellblech, auf jeder Seite war ein Eingang und meistens in der Mitte noch eine Wand. So eine Nissenhütte war für zwei Familien. Wasser mussten sich die Menschen aus dem Hydranten auf der Straße holen. Hatte der Krieg auch irgendwas Gutes? Also, das wüsste ich nicht. Krieg ist etwas sehr Schlimmes, es sind doch immer nur wenig Menschen, die den Krieg anfangen. Das Volk will doch keinen Krieg. Möchtet ihr Krieg mit irgendwelchen fremden Menschen haben? Nein, eigentlich nicht. Und leiden müssen dann die Frauen und die Kinder. Die haben dann die ganze Last zu tragen, die Mütter müssen dann sehen, wie sie ihre Kinder durchbringen. Die Männer an der Front kämpfen gegen den Feind und die Frauen kämpfen für das Überleben der Familie. Ja, die müssen dann alle Arbeiten machen. Heute kannst du frei entscheiden, welchen Beruf du machen willst. Aber früher wurdest du einfach eingesetzt. Mein Vater war im ersten Weltkrieg schon Soldat. Wie hat der Krieg dein Leben verändert? Das kann ich nicht sagen, dazu könnte meine Schwester etwas sagen. Die hat den Absturz ja bewusst erlebt, dass alles weg war. Ich habe mei-

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ne Puppe vermisst, die angeblich während der Luftangriffe im Puppenkeller war … Hast du dir mal vorgestellt, wie dein Leben wäre, wenn es keinen Krieg gegeben hätte? Nein, das habe ich mir nie vorgestellt. Glaubst du, es gibt eine Möglichkeit, alle Menschen davon zu überzeugen, dass friedliches Nebeneinanderleben glücklicher ist als Krieg? Nein, das glaub' ich einfach nicht. Also mein Großvater, der soll schon früher gesagt haben: ,,Solange die Kinder sich in der Sandkiste hauen, werden sich auch immer die Länder und die Menschen bekriegen.” Ich glaube einfach nicht, dass der Mensch so gut ist. Es werden immer irgendwo Menschen sein, die etwas durchsetzen wollen. Oder es geht um Armut, um Wasser oder um Bodenschätze. Es werden sich immer Gründe finden. Und am Ende weiß keiner mehr, wer angefangen hat. Hoffen kann man das und darauf hinarbeiten, weil es im Grunde sinnlos ist, wie viel dabei zerstört wird, an Menschen und Material. Wenn man sich vorstellt, wie viele Millionen Menschen in Kriegen umgekommen sind. Andererseits, wenn die alle gelebt hätten und sich vermehrt hätten, dann wäre es auch wieder zu eng geworden. Auch wieder wahr. Das war es auch schon. Vielen Dank!

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Fazit Erika Völkl hat als Kind, im brennenden Hamburg, für uns unvorstellbare Dinge erlebt. Ihre Erlebnisse waren für uns sehr erschreckend. Mit ihrer offenen Art konnte sie uns diese Zeit sehr nahe bringen.

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Käte Zellmann, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

Biographie Käte Zellmann wurde am 31.03.1927, als Käte Becker, in Hamburg geboren. Ihre Eltern, Gertrud und Carl, hatten insgesamt vier Kinder. Claus, geb. 1924, gefallen 1943, Käte, geb. 1927, Erika, geb. 1937 und Hermann, geb. 1938. Nach dem Krieg heiratete sie Kurt Zellmann, dieser starb im November 2008, sie haben einen Sohn Hartmut, geb. 1961.

Interview Im Krieg warst du 12 bis 18 Jahre alt oder? Ich hätte mit zwölf Jahren, nach Ausbruch des Krieges, nur beim Jungmädel turnen dürfen, aber ich wollte ja nicht bei der Hitlerjugend sein. Es kamen alle paar Tage Abordnungen in die Schule und meckerten über die drei, die noch nicht in der Hitlerjugend waren. Und da gehörte ich ja dazu, ich sollte nämlich eigentlich schon mit zehn Jahren dort sein. Da wollte ich aber nicht hin. Ich wurde auch unterstützt von meinen Eltern, die auch nicht dafür waren. Nur das durfte man ja nicht sagen. Ich bin dann mit zwölf Jahren zu den Erwachsenen in den Turnverein gekommen, weil kein Kinderturnen mehr stattfand. Bums, aus! Die Kinderabteilungen in den Turnvereinen waren geschlossen worden. Ich war seit 1930 im Turnverein. Es hieß: „Ihr dürft nur noch in der Hitlerjugend turnen, Schluss!“ Und wer das nicht wollte, der konnte gar nichts mehr machen. Es war eine Diktatur, in der wir gelebt haben. In der neuen

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Turnabteilung, bei den Erwachsenen, war es ganz witzig. Die Damen waren um die 20 Jahre und meinten dann nach ein paar Tagen, ich solle nicht mehr „Sie“ sagen. Denn ich sagte immer: „Fräulein sowieso“, so redete ich alle an. Das könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen. Und da bin ich dann nach Haus gekommen und meinte dann: „Jetzt soll ich die alten Tanten auch noch duzen!” Wohl bemerkt, die Tanten waren 20, aber ich war zwölf, da waren die alt für mich. Was ist dir am stärksten vom Krieg und der Nachkriegszeit in Erinnerung geblieben? Also, erstmal fiel die Schule ständig aus. Die Räumlichkeiten wurden für die Ausgabe der Lebensmittelkarten gebraucht. Alle Leute mussten diese Lebensmittelkarten haben, um Lebensmittel zu bekommen. Und deswegen fiel der Unterricht dann aus. Ich bin zur achtjährigen Volksschule gegangen, die nannte sich damals so. Anfang des Krieges war ich in der 7. Klasse. Wir fingen gerade an, ein bisschen Englisch zu lernen. Freiwillig. Also, nur wer in der Schule gut mitkam, konnte da mitlernen. Der Unterricht war von 7 - 8 Uhr, zweimal oder nur einmal die Woche. Das war immer unterschiedlich. Das Erste, was, als der Krieg ausbrach, sehr oft ausfiel, war Englisch, weil wir das nicht unbedingt brauchten. Heute sagt man das Gegenteil. Dann im Jahr darauf, im Herbst 1940, ging es dann los, dass wir alle in die Kinderlandverschickung sollten. In Hamburg gab es schon Bombenangriffe. Es ging bis über Weihnachten. Und da wollte ich auf keinen Fall mit. Ich wollte Weihnachten zu Hause sein. Das kam für mich nicht in Frage, dass ich irgendwo verreist war. Ich wäre ja mitgefahren, aber nicht über Weihnachten. Wir waren damals circa 40 Schüler und acht oder neun davon sind in Hamburg geblieben. Weil die Schule so unregelmäßig war, haben wir viele Hausaufgaben aufbekommen, die wir dann zu Hause machen sollten. Wir wurden dann in fremde Klassen aufgeteilt, welche auch nur halb besetzt waren. Und dann fingen 1940 die ersten Angriffe an und da mussten wir immer in

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den Keller. 1941 kam ich dann aus der Schule und ich bin dann noch ein Jahr zur Hauswirtschaftsschule gegangen. 1942 habe ich dann die Hauswirtschaftsschule beendet und musste danach ein halbes Jahr ein Pflichtjahr ableisten. Im Herbst 1942 fing ich als Lehrling bei uns im Geschäft an, wohin ich ja schon immer wollte. Mit dem Ausbomben im Sommer 1943 war auch das zu Ende. Was ist deine schlimmste Erinnerung? Das war 1943, das Ausbomben. Und zwar waren wir im Keller. Unser Vater war gerade im Urlaub gewesen, er war seit 1939 Soldat. Dann kam der erste schwere Angriff auf Hamburg und mein Vater fiel fast die Treppe 'runter. Aber nicht, weil er stolperte, sondern wegen der Erschütterung, die eine Luftmine in der Nähe verursachte. Dabei war die Treppe teilweise kaputtgegangen und die Türen aus den Angeln gefallen. Es sah ein bisschen so aus, als wenn du Kleinholz aus deinem Haus gemacht hättest. Alle Treppen nach oben waren voll mit Holzgerümpel. Und als wir dann nach oben zum Löschen mussten, sah unser Vater vom Flachdach aus, dass die Laube brannte. Die Laube stand im Garten ungefähr drei bis vier Meter entfernt von unserem Hausanbau. Wir hatten hinten drei große Zimmer, mit einem Flachdach. Dann kam unser Vater 'runter in den Keller und sagte: „Wir müssen löschen, es brennt, sonst gehen die Flammen auf unser Haus über.“ So musste ich die Treppen im Haus mit hoch nach oben zum Löschen. Die Treppen waren voll Geröll und Schutt, dass ich kaum hinaufkam. Wir versuchten dann die Laube zu löschen. Trotzdem kamen die Flammen näher. Mein Vater meinte schon bald, wir müssten alle 'raus. Und als wir dann durch das Geschäft gingen und draußen waren, sahen wir, dass fast alles brannte. Auch fünfstöckige Etagenhäuser, die noch nicht bis ganz nach unten durchgebrannt waren. Nur gegenüber war ein Haus noch feuerfrei, wo wir 'rein konnten. Und dann sind wir 'rüber in den Keller. Erika, meine kleine sechsjährige Schwester, brach zusammen. Sie konnte plötzlich nicht mehr laufen und

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musste getragen werden. Und da beschwerten sich dann die Nachbarn, die wir ja auch kannten: „Gott, ich hab' doch den guten Mantel an”, als Erikas Schuhe sie gestreift hatten. Dort im Keller waren wir dann ein, zwei Stunden 'drin, ich weiß nicht mehr genau. Der Angriff war inzwischen zu Ende, aber es brannte natürlich überall und in den Straßen. Dort war dann die Feuerwehr zugange und hat versucht, zu löschen. Unsere Mutter war mit uns im Keller und unsere Oma auch. Unser Vater war draußen und löschte. Er hatte sich einen Schlauch geangelt, von der Feuerwehr und versuchte damit, das Haus zu löschen. Irgendwann wurden die Leute, die gegenüber im Keller waren, aufgefordert, nach oben zu gehen. Der Dachstuhl von dem Haus brannte nun auch. Und dann wollten ein paar Männer helfen. Das waren ältere Männer, die jüngeren waren Soldaten. Da meinten die Frauen: „Du hast aber deinen guten Mantel an.” Die Leute waren alle noch in ihrem alten Element, dass sie die Gefahr nicht sahen. Später waren sie dann ja nicht mehr so. Nach circa zwei Stunden hieß es dann, wir könnten auch in dem Haus nicht bleiben, das brannte auch. Und dann mussten wir aus diesem Keller 'raus nach oben. Alle Häuser brannten in der Straße, soweit man gucken konnte. Nur dahinten war noch ein Häuserblock, der heil war, das war circa fünf Minuten zu Fuß. Dahin sind wir dann gerannt und dort dann ein bisschen untergekrochen. Ob wir da im Keller waren, weiß ich nicht. Da waren wir aber auch keine lange Zeit. Meine Großeltern väterlicherseits wohnten in der Nebenstraße. Aber die wohnten ganz oben unter dem Dach, im vierten Stock. Die hatten dort im Haus überhaupt keinen Keller. Wenn ein Luftangriff kam, konnte man nur im Treppenhaus stehen. Im Erdgeschoss natürlich. Da haben wir dann noch gestanden. Da ist dann die Nacht so einigermaßen vorübergegangen. Und dann kam der Sonntag und meistens wird diese Nacht heute gar nicht mehr mitgezählt. Offenbar begann der Angriff nicht am Sonnabend, sondern es war bereits Sonntag, etwa um Mitternacht. In unserer Barmbecker Ecke sind die ersten Bombenangriffe gewesen. Die noch viel schlimmeren Angriffe, die nachher die ganzen Stadtteile verwüstet haben, waren Tage und fast

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eine Woche später. Zum Glück waren wir da schon nicht mehr in Hamburg. Wir hatten für Montagmorgen Fahrkarten, um eigentlich vom Hauptbahnhof aus, mit der Bahn nach Rügen zu fahren. Da hatte uns eine Bekannte aufgefordert, weil es hieß, die Kinder sollen aus Hamburg 'raus. Wir sollten dann mit Massentransporten für Kinder fort, doch das wollten wir nicht. Ich war ja schon aus der Schule und meine Geschwister waren noch klein, fünf und sechs Jahre. Am Sonntagmorgen wurde es dann überhaupt nicht hell. Es war so viel Qualm und Dreck in der Luft, von den ganzen Angriffen in der Nacht. Um elf Uhr dachten wir noch, es sei Nacht. Richtig dunkel war es. Gegen Mittag wurde es dann stellenweise ein wenig hell. In der Nacht zu Montag war dann noch 'mal Alarm. Da haben wir unten im Treppenhaus unserer Großeltern gestanden, mit großer Angst. Da passierte aber nichts direkt in unserer Nähe. Am Montagmorgen sind wir dann zum Bahnhof. Wir hatten noch unsere Fahrkarten und ein paar Sachen. Alles war in einer Tasche, ein paar wenige Sachen. Unser Koffer, den hatten wir schon Sonnabend oder Freitag weggeschickt, nach Rügen. So ein großer Schrankkoffer war das. Da hatten wir praktisches Trainingszeug und ein Zelt 'drin. Wir wollten zelten. Das fing gerade erst an, dass die Leute sich Zelte für den Urlaub kauften. Es gab auch noch keine Campingplätze. Wir hatten ein winziges Zelt. Da passten nur zwei Leute 'rein. Auf Rügen hatten die so ein Zeltlager, mit einem festen Haus, mit Toiletten und einem Holzofen zum Kochen. Das war auf Rügen gleich hinter dem Strand, sehr einfach und mit Campingplätzen von heute nicht vergleichbar. Als wir in Hamburg wegfahren wollten, gingen wir zum Berliner Tor. Da war alles kaputt. Wir mussten zu Fuß gehen, Straßenbahnen oder U-Bahn fuhren nicht mehr. Als wir in Bahnhofsnähe kamen, sagte mein Vater: „Da fährt keine Bahn mehr, so wie das hier aussieht.” Dann mussten wir nach Wandsbek, das war so 'mal eben eine halbe Stunde zu Fuß, mit Gepäck und kleinen Kindern. Mein Bruder war da fünf. Meine Schwester Erika musste getragen werden. Sie konnte nicht mehr laufen, war völlig weggetreten. Sie lag da immer so mit ganz offenen Augen, aber reagierte auf

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nichts mehr. Sie hatte einen schweren Schock. Und dann sind wir in Wandsbek angekommen. Wir wurden nur auf den Bahnhof gelassen, weil wir eine Fahrkarte hatten. Es wollten Hunderte mit der Bahn weg. Als die Bahn kam, drängten sich alle an den Zug. Wir konnten nur durch das Fenster 'rein. Wir wussten auch nicht, ob der Zug am Sonnabend mit unserem Koffer auf Rügen angekommen war. Wir wurden auf Rügen abgeholt. Dann haben wir da gezeltet. Meine Schwester lag den ganzen Tag wie tot, sie aß und trank nichts mehr und war geistig nicht bei Besinnung. Die Leute, die da auch zelteten, haben uns geholfen. Meine Mutter hatte einen Arzt aufgetrieben, der vom Militärdienst zurückgestellt war. Der guckte Erika an und sagte: „Da ist nichts mehr zu machen.” Und damit war für ihn der Fall erledigt. Das war ein Arzt. Er hätte sie eigentlich ins Krankenhaus einweisen müssen. Meine Mutter hat Salatblätter in Zucker getaucht und Erika diese vor den Mund gehalten. Irgendwann knabberte sie ein bisschen daran. Als Erika dann die Augen aufmachte, sagte sie: „Ich will die brennenden Häuser nie wieder sehen.” Dann haben wir in dem Zelt gehaust. Da war nicht mehr Platz, als für zwei Erwachsene. Meine Mutter sagte dann, dass das so auf Dauer nicht gehen würde, weil wir ja irgendwo unterkommen müssen. Meine Mutter ist dann auf Suche nach einer Unterkunft losgefahren und ich war mit meinen Geschwistern ein paar Tage alleine. Meine Mutter kam wieder und dann packten wir unsere Sachen und es ging los nach Ahrenshoop. In dem kleinen Nebenhaus war unten eine Waschküche mit einem Bottich, der mit Holz heizbar war. Darin konnte man Wäsche waschen. Oben war so eine Art Mädchenzimmer und dieses Mädchenzimmer bekamen wir. Es war aber eigentlich nicht viel größer, als ein halbes Zimmer, für die ganze Familie. Und da ist Erika dann auch zum ersten Mal eingeschult worden. Später sind wir nach Tangstedt gezogen. Ich habe dann von 1944 bis 1946 meine Lehre in Hamburg zu Ende gemacht. Dafür bin ich jeden Morgen und Abend je neun Kilometer mit dem Fahrrad gefahren und dann über eine halbe Stunde mit der U-Bahn nach Hamburg.

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Hatte der Krieg etwas Gutes für dich? Ich weiß nicht, was der Krieg Gutes haben sollte. Hat der Krieg dein Leben verändert? - Wie hat der Krieg dein Leben verändert? Ich bin eigentlich nie ein junges Mädchen gewesen. Also natürlich bin ich ein junges Mädchen gewesen, aber die ganzen jungen Jahre sind vollkommen untergegangen. Wir sind 1946 wieder nach Hamburg gezogen. Wir wohnten in den Trümmern, notdürftig war der Anbau des Hauses etwas ausgebaut. Das Einzige, was ich gehabt habe, war der Turnverein. Da konnte ich einmal, manchmal auch zweimal die Woche hingehen. Da hatte ich dann ein paar Freundinnen, aber die waren alle älter. Gleichaltrige gab es nicht, in ganz Barmbek gab es kaum Jugendliche. Glaubst du, es gibt eine Möglichkeit, alle Menschen davon zu überzeugen, dass friedliches Nebeneinanderleben glücklicher macht als Krieg? Ja … ob es dazu eine Möglichkeit gibt, theoretisch ja, aber was immer praktisch läuft, weiß ich nicht. Das liegt auch immer ein Stück weit an den Menschen, die da gerade sind. Ob die sich vertragen und so … Alle kannst du nicht überzeugen, aber einen Teil bestimmt. Ja, das war es dann. Vielen Dank!

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Fazit Käte Zellmann hat uns den Alltag einer Jugendlichen im Krieg sehr lebendig geschildert. Weil wir so vieles aus diesen Jahren nicht wissen, war es für uns umso spannender ihr zuzuhören.

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Loreliese Plath, befragt von Laura Plath und Laura Orlowski

Biographie Loreliese Plath wurde 1924 in Hannover geboren. Sie wuchs mit ihrer Mutter, die den Haushalt bewirtschaftete, ihrem Vater, der dem Lehramt nachging und ihren acht Geschwistern in der Vorkriegszeit auf. Alle neun Kinder hatten das Glück, eine höhere Schule zu besuchen und somit eine gute Bildung genießen zu dürfen, obwohl dies für jedes der neun Kinder damals verhältnismäßig viel Geld kostete. Da der Vater schon früh verstarb, musste sich die Mutter allein um die Ernährung der Familie kümmern. Bis 1938 verlebte Loreliese Plath eine relativ ruhige Kindheit, doch dann nahm sie Veränderungen in ihrem Umfeld wahr, Schüler verschwanden aus der Schule ohne Erklärungen, selbst einige Lehrer und der Direktor wurden nicht mehr gesehen. Noch heute herrscht Ungewissheit über das Verbleiben ihrer Mitmenschen. Doch erst als die Synagoge, das Gebetshaus der jüdisch gläubigen Menschen, anfing zu brennen, wurde der damals 14-jährigen Loreliese Plath deutlich bewusst, dass eine schreckliche Zeit begann. Und schon ein Jahr darauf, 1939, begann der Zweite Weltkrieg. Ihre Schule wurde zum Lazarett, der Unterricht wurde in einer anderen Schule fortgeführt. Nun hatte sie mit vielen Problemen zu kämpfen, alltägliche Dinge wurden knapp, die Familie lebte zerstreut, da Heirat, Arbeitsdienst, Schulbildung und der Befehl, an der Front zu kämpfen, sie trennte. 1943 absolvierte Loreliese Plath ihr Abitur, aber statt ihrem Traum nachzugehen, Medizin zu studieren, musste sie bis Kriegsende im Arbeitsdienst dienen. Nach dem Krieg machte sie eine Ausbildung zur Dolmetscherin in Englisch und Französisch. Anstellung fand sie später im Rathaus, in englischen Büros und als Gerichtsdolmetscherin. Diese Entscheidung bereute sie in

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ihrem ganzen Leben nicht, sie bildete sich sogar weiter und wurde Waldorfschullehrerin in den Klassen 1-13. Dort unterrichtete sie hauptsächlich in den Fächern Englisch und Französisch. Noch heute ist sie aktiv und gibt Nachhilfeunterricht in diesen Fächern, nachdem sie 1986 in Rente gegangen war. 1948 verlobte sie sich mit Helmut Plath, den sie 1949 auch heiratete. Er war Theologe und besetzte lange Zeit die Stelle als Pastor in Hermannsburg. Später gründeten sie zusammen eine Familie mit fünf Kindern.

Interview Frau Loreliese Plath, wo lebtest du, als der Krieg begann? Ich lebte in Hannover, Hannover-Kirchrode, in der Nähe vom Tiergarten. Hast du da auch schon deine Kindheit und Jugendzeit verbracht? Ja, ich bin da geboren, ich bin in Hannover geboren und habe meine Kindheit dort verbracht. Sogar die ersten Jahre meiner Ehe, bis 1956. Und wie alt warst du, als der Krieg begann? 15. Das war 1939. 15. Und wie stand deine Familie zu dem Zeitpunkt zueinander? - Waren alle beisammen oder musste man befürchten, dass irgendjemand während des Krieges nicht mehr nach Hause kam?

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Nein, ich hatte einen Bruder, der bei Kriegsausbruch schon 19 war und der wurde Soldat und ist nachher auch in Russland vermisst. Und die Vermisstenmeldung hab' ich hier. Und als der Krieg nun begann, war er vorherzusehen und zu erahnen? Also gab es Anzeichen, an denen man merkte, dass etwas passieren würde? Das verstehe ich nicht ganz. Was meinst du? Ob man schon ahnen konnte, ein paar Monate davor, dass bald Krieg sein würde? - Oder kam der Krieg einfach urplötzlich? - Also merkte man so einen Aufbau? Die Spannungen bauten sich schon auf. 1938, ein Jahr vor Kriegsbeginn, waren wir mit unserer Schule, der Sophienschule, mit unserer Klasse in einem Schullandheim bei Celle. Und plötzlich mussten wir alle abreisen, alle Koffer packen, wieder nach Hause, also wir waren keine zwei Tage in dem Schullandheim, da wurde das Haus, das Landheim, besetzt mit Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei. Da hatte 1938 Hitler schon Menschen, „Heim ins Reich“ nannte er das, gebracht … Heim ins Reich? Ja, ja. Also in unser großes, deutsches hier. Ach so. Das war ja doch nicht gerade deutsch, die Gegend in der Tschechei, nicht [lacht auf]?

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Nein. Oder im Saarland hat sich auch, also dann eine große Abstimmung gebildet, „Deutsch ist die Saar“, wurde dann gegrölt und die war ja vorübergehend auch französisch. Also man konnte merken, es gibt mal Spannungen. Nur wir Kinder haben das nicht gleich gemerkt. Man ist als Kind dann ja auch noch naiver, na ja, nicht unbedingt naiv, aber so im Heute lebend. Von Tag zu Tag lebte man, mehr nicht. Genau. Aber man konnte schon merken, dass irgendetwas doch anders war als normalerweise oder? Ja und eines Tages kam ich aus der Schule, das war 1939 im September, da begegneten mir ein feldgraues Auto und ein Lastwagen nach dem anderen, voll mit Soldaten. Die fuhren also in Richtung Stadt und dann rief der eine aus seinem Fenster 'raus: „Wir haben Krieg!“ So richtig stolz. Und ich, ich wusste mit dem Wort gar nichts anzufangen. Was ist das? Hm. Das ist ja auch noch ganz neu, wenn sich das so aufbaut. Auch 1945 hieß es: „Jetzt ist Frieden.“ Was ist das? Ich wusste es nicht. Was ist Frieden? Was kommt auf uns zu? Ich dachte, Hannover ist so kaputt, da kann man gar nicht mehr leben, nachher. Das ist unmöglich. Und doch … Wie hast du dich gefühlt, als dir bewusst wurde, dass nun Krieg herrscht?

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Erstmal aufgeregt, es passiert etwas Neues, aber die Konsequenzen waren mir nicht klar. Was es für uns bedeuten würde. Nein, erst nachdem die Geschwister, der Bruder nach Russland, der andere in den Arbeitsdienst mussten, ja, da wurde es einem klar, weil es sich auf die Familie auch auswirkte. Und war das eine angstvolle Aufgeregtheit? Sehr gemischt. Einerseits als junger Mensch: „Oh, wie spannend“, aber auch, „was kommt?“ So ungewiss. Ungewiss. Wie hat sich daraufhin der Kriegsbeginn weiterentwickelt? - Gab es plötzlich Verbote, durfte man sich zum Beispiel nicht mehr frei bewegen? Ja, es gab eine Verdunkelung, abends durfte kein Licht in den Häusern sein und aus den Fenstern heraus leuchten. Wir hatten alle dunkle, schwarze Rollos, sodass, falls Flieger kommen, sie nicht sehen konnten, wo Fenster sind und Häuser. Straßenbeleuchtungen waren weg und ja, es gab Einschränkungen. Und ging das denn relativ schnell vom Kriegsbeginn, bis sich das so aufgebaut hat, dass auch gebombt wurde? Ja, wir merkten es ja sehr schnell in Hannover. Als kurz vor Hannover in einem Ort, Misburg, die großen Ölraffinerien, die Tanks getroffen waren von Bomben, da kriegte ich meinen ersten panischen Schrecken. Weil es so nah war. Das Flakgeballer über uns, diese Flugabwehrkanonen …

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[voll erinnernder Abscheu]. Oder, als unser Hausdach wegflog, da gingen wir Kinder nach oben auf den Dachboden, aber es war ... das war der Horror! Keine Dachziegel 'drauf und der ganze Überblick über ganz Hannover. Überall brennende Häuser und am Himmel hingen Leuchtfallschirme, sodass die Bomber die Ziele sehen konnten, es wurde alles angestrahlt von oben. Es war ein gespenstiger Anblick. Das vergisst du nicht! Dann haben wir Kinder, mein Bruder und ich, wir kriegten dann Ziegel wieder und haben unser Dach selber decken müssen. War ja kein Mann da [lacht auf]. Da durfte ich zum ersten Mal was mittun. Hat sich durch das Herantreten Hitlers an die Macht die Familie aufgespalten? - Gab es zum Beispiel Familienmitglieder, die auf Hitlers Seite wechselten? - Die das toll fanden, was Hitler vertreten hat oder die Meinung einfach akzeptiert haben? - Denn es gab bestimmt auch Aufspaltungen im Volk? Mein Vater war zum Glück vor Hitlers Antritt gestorben, 1932, und Hitler hat 1933 die Macht übernommen. So wurde es uns erspart, dass er in die Partei hätte eintreten müssen, als Lehrer oder sollen. Also wir waren bewahrt davor, durch seinen frühen Tod. Aber die eine Schwester, die ist so gern dahin marschiert, zu ihrem BDM, die war so eine schnell begeisterte Tante, bis sie eines Tages auch einen dicken Schlag vor den Kopf kriegte, bei eine Versammlung und da war sie dann nicht gerade kuriert, aber doch zumindest erstmal abgeschwächt in der Begeisterung … es war nicht alles friedlich, es wurden auch Steine geworfen, gegen Hitler und gegen Aufmärsche. Und deine Brüder, waren die für die Sache, also für Hitler? - Oder haben die auch eher dagegen gekämpft? Nein. Werner schon gar nicht. Werner war ja viel zu jung, als Hitler kam. Wie alt war er? Werner war ja erst sechs, als Hitler kam. Der hatte

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ja noch gar keine Ahnung, was das ist. Nur, dass er nachher eingezogen wurde und mit einem Gewehr in der Hand gegen russische Panzer kämpfen musste. Als relativ kleiner Junge noch. 16 … 16-jähriger. Und meine eine Schwester und ich, wir sind dann hin in dieses Gefangenenlager, wo er nachher landete und dann suchten wir meinen Bruder, der kam ja noch nicht nach Haus. Da wurden erst die Väter und die Älteren entlassen und den kleinen Knaben suchten wir dann. Wir sind durch so ein Loch gekrochen in ein Soldatengefangenenlager und haben dann überall gefragt: „Werner Eicke, 16?“ Wir fanden ihn und dann hat der eine ältere Soldat gerufen: „Hey Bubi, deine Schwestern sind da!“ Die nannten ihn dann auch noch Bubi. Er war ja wirklich ein kleiner Puschel. Hm. Sünde, diese Kinder, Sünde! Ja! Entstand dadurch, dass deine Schwester es in gewisser Weise toll fand, was Hitler vertreten hat, eine Spannung in der Familie? - Oder gab es Streitigkeiten und Ausschreitungen? Nicht gerade Streitigkeiten, aber wir haben sie total veräppelt. Und meine Mutter hat sogar versucht, Almut in ihrem Zimmer einzuschließen, damit sie nicht zum BDM geht. Und was macht sie? Sie ist aus dem Fenster geklettert. Die war doch da [kopfschüttelnd]. Ja, so was gibt es auch. Ja, Almut war schnell begeistert, aber dann auch schnell enttäuscht wieder. Und ich musste ja auch zu den BDM-Treffen, jeden Mittwoch und Sonnabend mussten wir dahin, Jungmädchenbund hieß das, da musste ich auch hin und dann mussten wir antreten, das war nicht weit

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von unserem Haus, beim nächsten Kaufmann um die Ecke. Und da hat die eine Führerin mich angeschrieen, ob ich nicht anständig stehen könne und mich mit Namen angebrüllt und da sagte ich: „Tschüss, ich gehe nach Hause!“ Ich bin nach Hause gegangen. Ich sagte: „Ich lass' mich nicht anbrüllen, von niemandem!“ Na ja, da war ich ja noch jung, 16, ja. Ich sagte: „Ich lass' mich nicht anbrüllen, von niemandem!“ Und Mutti, voller Angst, sagte: „Geh' wieder hin, geh' wieder hin, sonst kommt die Polizei!“ Wir wurden mit der Polizei geholt, wenn wir da nicht hingingen. Aber ich sagte: „Nein, ich gehe da nicht wieder hin.“ Und da hatte ich ein wahnsinniges Glück! Ich hab' in meinem Leben so wahnsinnig viel Glück gehabt, in der Zeit. Da traf ich dann eine Lehrerin aus der Blindenschule und die fragte, ob ich nicht Lust hätte, in der Blindenanstalt von Hannover mit den blinden Kindern zu spielen. „Das sei genau dasselbe wie BDM, mach' doch!“ Und da sagte ich: „Wenn ihr mich nehmt, ja!“ Die Lehrerin hat mich dorthin vermittelt und ich habe dann bis zum Abitur blinden Kindern vorgelesen, jeden Sonnabend und mit denen gespielt und gewandert. Das hat mich bewahrt vor dem BDM, denn das Anschnauzen konnte ich noch nie vertragen. Und wie standest du zu all den Dingen und zu Hitler selbst? - Wie hast du das empfunden? Ich kann es nicht sagen. Für mich war es eigentlich schlecht. Alles schlecht. Hunger, mein Bruder nicht mehr da, der Kleine weg und ich selbst … Ich war nie in der Partei, obwohl meine Schulfreundin sagte: „Wenn du studieren willst, musst du Parteimitglied sein!“ Ich sagte: „Mich hat noch keiner gefragt, also mach' ich das auch nicht.“ Brauchte ich nicht, ich wurde nie gefragt. Und da habe ich eben Glück gehabt, ich hätte ja auch ausgeschlossen werden können. War aber nicht so. Das ist gut.

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Bei mir war das eher eine persönliche Frage. Wie gehen die mit uns um? Dies Anherrschen und Anschreien, nein, das war nicht mein Ding. Hättet ihr auch nicht gemacht, nicht? Nee. Da muss man ja auch selber sagen, gut, dass ist jetzt nicht meine Sache, ich nehme die Gefahr jetzt sozusagen auf mich. Als ich dann zu den blinden Kindern offiziell hin durfte, da sagten die, die hatten so ein ganz feines Gefühl dafür, ich hab' ganz viel gelernt in der Blindenanstalt, da sagten die: „Nee, das wollen wir nicht hören, erzähl' uns lieber ein Märchen.“ Und das hab' ich dann gemacht. So fing das an. Da war ich 16, 17, dann 18, die ganzen Jahre war ich an der Blindenschule. Also nicht hauptberuflich, sondern als Ersatz vom BDM. Hat in deiner Familie jemand Hitler gewählt oder gab es auch Familienmitglieder, die gleich begriffen, dass das nicht gut sein kann, was Hitler da vertritt? Das kann ich gar nicht sagen, nein, so richtige Nazis waren da nicht dabei. Aber ob sie nun irgendwelche Parteimitglieder waren, Onkel und Tanten, dass weiß ich nicht. Das wurde nie erwähnt. Das ist dann wohl auch eher so eine Sache, die man verschweigt, um da aus Angst oder Missachtung nicht ausgeschlossen zu werden. Vielleicht. In der eigenen Familie war keiner Parteimitglied. Die mussten ihren Dienst tun, wie es jeder musste, aber deswegen musstest du nicht Mitglied sein. Ich war es nicht. Glück gehabt [nachdenklich]. Ja, sehr. Durch Hitler wurde auch besonders die Jugend angesprochen. Es entstand die so genannte Hitlerjugend. Warst du Mitglied in so einem Verein? - Freiwillig oder aus Schutz?

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Aus Pflicht nur. Aus Pflicht. Jeder musste hinein [nachdenklich] und nicht immer gern. Manches war nett, wir lernten auf Wanderungen und Radtouren die Gegend kennen. Aber das Zusammensein war mit Gebrüll und das war nicht mein Ding. Hm. Welche Hitlerjugend gab es in deiner Nähe? - Es gab ja verschiedene Abteilungen, also Turngruppen für die Mädchen und so? - Gab es da verschiedene Gruppen bei euch? Ja, also jeder Ort hatte seine Gruppen. Ortsgruppen nannte man das und in diesen Ortsgruppen gab es Jugend für Jungs, Hitlerjugend für Knaben, für Mädchen, das hieß dann Jungschar oder bei den Jungs hieß das Jungvolk und dann gab es bei den älteren Mädchen ab 14 den BDM, Bund Deutscher Mädchen, da war ich nie 'drin, das hab' ich ja geschafft, durch meinen Wechsel da zur Blindenanstalt. Weder BDM, noch Partei, also ich war einfach bewahrt. Weiß nicht wieso. Man hat mich nie gefasst. Meine Mutter war eine so anerkannte Frau, auch in der Hitlerzeit anerkannt, obwohl sie einmal im Bäckerladen „Guten Tag“ sagte und eine Frau auf sie zuging und sagte: „Frau Eicke, das heißt Heil Hitler!“ „Ach“, sagt sie, „ich bin schon so eine alte Frau, das lerne ich so schwer.“ [lachend] Sie war 56. „Das lern' ich so schwer, ich bin so eine alte Frau“, sagte sie. Wollte sie sich nicht umstellen? Das konnte sie gar nicht. Das hieß „Guten Tag“, wenn man in den Laden ging. Bei ihr blieb das so. Punkt! Das wollte sie auch nicht? Ach watt! Hat sie nie geschafft. Nur meine kleine Schwester, die hat unsere Lebensmittelkarten wegen „Heil Hitler“ verloren.

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Weil sie es gesagt hat oder weil sie es nicht gesagt hat? Nein. Jede Schulstunde begann mit [macht den Hitlergruß vor] „Heil Hitler.“ Nee, erst: „Aufstehen“, brüllte der Lehrer, „Heil Hitler, hinsetzen.“ Dann ging der Unterricht los. Und wehe, du trafst deine Lehrer und hast nicht „Heil Hitler“ gesagt und nur „Guten Tag“. Das ging nicht. So und meine Schwester sollte einkaufen und hatte unter den Arm geklemmt unsere Lebensmittelmappe für die ganze Familie, jeder hatte ja eine, jedes Kind hatte eine. Und sie sollte einkaufen, alles war aufgeschrieben, da trifft sie ihren Lehrer, ich weiß noch wie der hieß, Ernst Trinkel und sie sieht den und kriegt gleich so schlotternde Knie und sagt: „Heil Hitler“, verliert die sämtlichen Lebensmittelkarten, die sie unter den Arm geklemmt hatte! [liebevoll] Die dumme Tante, Metti. Und das, das war bitter. Die wiederzukriegen … wer die fand, hat die natürlich behalten, nicht? Und da hatten wir wegen „Heil Hitler“ unsere Lebensmittelkarten verloren. Und hattet ihr … musstet ihr hungern in der Zeit? Ja, zumindest mit sehr wenig auskommen. Meine Mutter pflanzte im Garten Tabak und den hat sie dann oft eingetauscht gegen Butter. Denn geraucht haben wir alle nicht. Gab's gar nicht. Hast du Hitler je selbst gesehen? Einmal, wie er im Zug vorbeifuhr. Da wurden wir mit der Klasse an einen Bahndamm geführt, bei Hannover und es hieß, da soll der Hitler im Zug vorbeikommen, aber ich glaub', wir haben ihn gar nicht gesehen. Wir haben da nur doof gesessen. Also hast du ihn nie gesehen.

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Nee. Nee, Fernsehen gab's nicht. Seine Reden. Ja. Oh Gott! In der Schule mussten wir berichten, wenn er, wenn er eine Rede gehalten hatte. Und der kreischte ja so schrecklich, der Mann. Der hatte eine Stimme … die kann man nicht vergessen! Wie so ein Gespenst. Und dann fragte mich in der Straßenbahn meine Schulfreundin: „Na, hast du Hitlers Rede gehört?“ „Nee“, sagte ich, „hab' ich vergessen!“ „Oh“, sagte sie. Ich sagte: „Dann erzähl' mir mal schnell, was hat er denn gesagt?“ Dann haben wir uns so ein paar Punkte gemerkt. Im Geschichtsunterricht hätten wir dann davon wohl erzählen müssen. Kam er denn auch manchmal nach Hannover oder so und hat da mal persönlich Reden gehalten? Nein. Nein, ich kann mich nicht erinnern, nein. Der war wohl mehr in Berlin. Die Frage hatten wir eigentlich auch schon und zwar, wurden Familienangehörige an die Front gerufen? Tja, geschickt. Nicht gerufen … also einfach, da wirst du hingeschickt [traurig]. Wie mein Bruder … in Stalingrad vermisst. Das ist in Russland oder? Ja … Hattest du daraufhin große Angst? - Also, dein Bruder wurde ja eingezogen, er musste ja weg, hattest du daraufhin noch größere Angst auszustehen? Nee, eigentlich, eigentlich nicht. Das war so ein wahnsinnig flotter Bursche mein Bruder, der Hans [erinnert sich]. Und … und er wollte eigent-

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lich zur Luftwaffe und Mutti sagte: „Nein Junge, dass machst du nicht! Wenn du abgeschossen wirst, das ist viel zu gefährlich!“ Und was sagte der ganz frech: „Ach Mutti, dann darf ich auch nicht ins Bett gehen, da sterben die Meisten!“ Oh, gut. Der hatte keine Angst, aber vielleicht doch, ohne dass er das uns gesagt hat. Er hat uns keine, nicht so diese Angst vermittelt. Wir schaffen das schon! So ungefähr. Er wollte euch denn auch bestimmt beruhigen damit, dass ihr keine Angst habt. Die Jungen, die Jungs, die glaubten an den Sieg von Hitler. Die sagten: „Wir schaffen das schon, wir schaffen das mit den Russen, wir schaffen das mit den Franzosen.“ Na ja, so waren sie dann. Da war auch bestimmt … also die Jungs waren ja in so Gruppen zusammen, dass sie sich das da immer wieder gegenseitig eingeredet haben und dass sie das da auch immer wieder zu hören bekommen haben … oder? Ja, vielleicht. Ja, aber meistens hat Hitler bei seinen Reden ja auch eher das vermittelt. Er hat gute Gründe genannten, dass sie siegen. Natürlich. Wenn ihr gute Deutsche sein wollt, nicht? Genau. Ja.

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Alles war bezogen auf Hitler, die gesamten Themen. Ihr wurdet doch auch dann damit sozusagen manipuliert. Aber wie! Und ich habe widersprochen und kriegte im Aufsatz, hier, so eine halbe Seite rot. Ich habe der einfach … [ruft aus] ich bin so stolz auf dieses, dass ich das geschrieben habe, also dass ich den Franz Moor verstehen könne, dass er … [der Aufsatz handelte von Franz Moor aus Schillers Werk „Die Räuber“]. Ich glaube, in der heutigen Zeit ist das auch eher so, dass die eigene Meinung zählt. Musstest du generell Ängste ausstehen, zum Beispiel durch Hunger oder Besitzlosigkeit und Armut? Während des Krieges meinst du? Ja. Wir waren vorher schon bescheiden erzogen, weil mein Vater tot war und meine Mutter sehen musste, wie sie neun Kinder ernährt. Und das war schon … Nie, ich hab' nie Taschengeld gekriegt bis zum Abitur, nie, bis ich selbst mal bei einem Bauern Radieschen gebündelt hab'. Nein, Taschengeld gab's gar nicht. Und irgendwie Eis … da wusste ich gar nicht, wie das aussieht [voller Erinnerung]. Es gab damals Langnese-Eis und … und ich wusste es nicht, es war mir nicht wichtig. Hm. Wir hatten zu essen, ja, wir hatten einen großen Garten und wir haben sehr viel, alles, selbst angebaut da, von Kartoffeln bis Gemüse hatten wir alles.

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Also habt ihr nie richtig gehungert? Doch, Brot und … doch … oh Mann. Aus Schmalz, meine Mutter hat Grieß gekocht und Zwiebeln in der Pfanne ausgebraten, mit ein bisschen Fett und den Grießbrei da 'drin angebraten und das haben wir als Schmalz gegessen. Und ein entsetzliches Brot gab es im Krieg. Und wie war das mit Klamotten? - Hattet ihr genug zum Anziehen oder war das eher so, dass das Notbedarf war? Nee. Alles wurde … Notbedarf, ja. Wir hatten Sachen, die auch gewendet wurden. Guck mal, da hatte die ältere Schwester einen Mantel vererbt, ach und der wurde dann passend genäht für die jüngere. Oder, äh, gewendet. Meine Mutter hat die Stoffe aufgetrennt und die linke Seite war manchmal noch besser sogar, als die Oberseite, die war abgeschabt, na ja, da kriegte jeder aus der Innenseite des Mantels einen neuen Mantel. So mit Phantasie geht das auch. Also ich hab' mich nie als arm empfunden. Aber wir waren ja auch nie üppig. So, mach selbst, dann hast du was! Hm. Hattest auch du eine Aufgabe im Krieg? Ja, ja … wir sollten, von der Schule aus wurden wir eingeteilt, als Melder, ja da war ich 15, 14. Da mussten wir … ich musste in ein fremdes Haus in der Straße, bei Fliegeralarm mich dort aufhalten und dann sollten wir melden, wenn irgendwo Bomben gefallen sind. Und dann hinlaufen zu irgend so einer Stelle wo man … zu einer Rettungsstelle mussten wir Kinder dann hinlaufen. Das war der größte Unsinn, denn da kriegte ich ja meinen ersten Horroranfall, wie die ersten Bomben fielen. Im fremden Keller saß ich da. Das hab' ich einfach nicht mehr gemacht. Wir sind dann zusammengeblieben

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in unserem eigenen Keller. So dieses Melder spielen, das war der größte Unsinn. Oder in der Schule kriegten wir beigebracht, wie man mit Brandbomben umgeht, ich sehe die noch. So sechseckige, so lang und da war ein Knopf und das war der Auslöser. Und dann sollten wir auf dem Boden überall nachgucken, wo Brandbomben liegen. Das hatten wir als Aufgabe. In der Schule? Ja, in der Schule und zu Hause, näh? Aber das war so ein Unsinn, weil sich das gar nicht durchführen ließ. Dann wurdet ihr, ihr wart ja noch Kinder sozusagen, dann wurdet ihr ja auch großen Gefahren ausgesetzt, wenn ihr durch die Straßen laufen musstet … Ja, ja natürlich. Während die anderen, die Erwachsenen … Ja, ja. Ähm ... Im Keller saßen. Im Keller saßen und die Kinder wurden geschickt mit … Mit 15, sollten Melder sein für eventuelle Brände oder wo es brennt oder wo Brandbomben … Oh, dies … scheiß … nein … ein schreckliches Erlebnis habe ich. Ich kam dann, weil ich länger dienend Arbeitsmaid war, bis 1945, wurden

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wir nach München geschickt. Und in München war ein Fliegerangriff, und die Schrecklichen, die kamen nicht nach München, sondern haben ihre Bomben auf einen Zug abgeschmissen, vor München, wo wir waren, genau da. Und dieser Zug … so viele Menschen … zerfetzte Beine, kaputt, die lagen denn da auf den Wiesen und ich hatte so eine Tasche, so eine Rot-Kreuz-Tasche und dann sollt' ich verbinden … [schüttelt sich bei der Erinnerung an die schrecklichen Bilder]. Da kannst du nur noch kotzen, das war so schrecklich! Oder einer hat uns gezeigt, wenn nun die Feinde näher kommen, „dann müsst ihr damit umgehen können.“ Der hat uns beigebracht, wie man mit einer Panzerfaust umgeht. Die war so lang wie ein Besenstil und vorne 'dran so eine Kuppel, zwei Sicherungen, eine hier, eine hier und er zeigte uns, wie man sie bedient. „Den darfst nicht drücken und den musst du drücken. Also den nur, wenn es losgeht.“ Und der drückt den falschen Knopf und pluff, geht die Panzerfaust nach hinten los bei ihm und hat ihm das Bein weggerissen! Und ihr habt das gesehen! Ja und ich durfte ihn verbinden! Ich … du kriegst übermäßige Kräfte, wenn du so was musst. Na, da war ich allerdings schon, wie alt war ich da … 19? Aber das ist doch Scheiße! Hm. Das, das … das vergisst du nicht. Das vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht! Und der starb dann. Das hat er nicht überlebt. Äh … Panzerfaustdemonstration ging nach hinten los. Wortwörtlich. Ja, ihr kriegt jetzt einen Tee auf den Schrecken.

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Wurden deine Lebensziele durch den Krieg zerstört? - Ist dein Leben daraufhin anders verlaufen, als zuerst geplant? Ja, ja! Ganz sicher. Ich wollte Medizin studieren. Und konnte ja auch nicht gleich anfangen zu studieren, als es noch möglich war. Und dann kam das Kriegsende und da hatte ich keine Zulassung. Weder in Göttingen, noch in Rostock und auch völlige … Ungewissheit, wie das bezahlbar sein sollte. Das Studium war immerhin … fast nicht erschwingen damals. Und dann hab' ich eben mit Englisch … das ging schneller. Ja, aber ich wollte ja Ärztin werden. Genau. Dann bist du statt Ärztin sozusagen Lehrerin geworden. Ja, kann man sagen. Hast du das bereut, dann Lehrerin geworden zu sein? Nie. Nein, das war meine beste Zeit. Gab es Verluste durchzustehen, die durch den Krieg entstanden, also vielleicht auch materiell und auch im Menschlichen? Ja, das war … der eine Bruder verwundet, der andere tot oder vermisst und mein Schwager tot, auch im Krieg und es sind also viele …Verluste, ja und … ja … eigentlich sonst nichts. Bemerktest du den Holocaust, wenn ja, woran? Als 1938 auf dem Schulweg in Hannover die Synagoge brannte und Schülerinnen aus der Klasse weg waren, das waren alles Anfänge vom Holocaust. Und die sehr liebe Englischlehrerin wurde auch abgeholt, die starb im KZ. Und die Mutter einer Schulfreundin wurde abgeholt, weil

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die laut gesagt hatte auf der Straße, sie glaube nicht an Hitlers Endsieg. Da wurde sie abgeholt, eingesperrt und meiner Schulfreundin wurde das Abitur versagt, nicht direkt, aber durch schlechte Noten und sie wurde nicht zugelassen. Und wir hatten ihr geholfen, weil sie jetzt Vater und Bruder und Haus, alles allein, versorgen musste, die Mutter war ja abgeholt und es hat nichts genützt, Renate kriegte nicht ihr Abitur. Und nur wegen eines lächerlichen Ausspruchs! Wegen der Aussprüche ihrer Mutter. Also, dann kanntest du ja auch Menschen mit jüdischem Glauben oder? Ja, ja, die waren ja Klassenkameradinnen, ganz genauso wie wir auch. Da gab es gar keinen Unterschied. Eben. Also das war ja auch so für euch, also das war ja alles normal. Aber man merkte schon, dass die anders behandelt wurden oder? Nein, bis 1938 haben wir nichts gemerkt, bis sie weg waren. Nee, ich meinte ja bis zu dem Zeitpunkt, wo das alles noch nicht … Nein, wurden nicht anders behandelt, nein. Aber danach dann plötzlich schon oder? Plötzlich weg, ja, ja. Habt ihr, also eure Familie, habt ihr Menschen mit jüdischem Glauben geholfen? Weil einige haben ja zum Beispiel Menschen mit jüdischem

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Glauben bei sich aufgenommen oder irgendwie dann trotzdem weiter in den Läden gekauft oder so. Opa Helmuts Vater war Pastor und in dem Dorf, wo er Pastor war, war ein Jude Schlachter. Hatte ein schönes, großes Geschäft. Schlachter Moses war das und der Schwiegervater, mein späterer Schwiegervater, hat die ganze Familie Moses zum Bahnhof gefahren, mit allem. Die konnten nach Amerika auswandern. Und der Pastor hat denen geholfen. Alles noch, was sie haben wollten, mitnehmen wollten, konnten sie mitnehmen. Und er nahm sie nach Bremen mit, er war der Erste im Dorf damals, der ein Auto hatte. Der hat den Juden geholfen. Ja. Gut. Ich kannte auch den Juden Moses. Für euch gab es dann ja auch keine Unterschiede dazwischen. Oder hattet ihr auch irgendwie Angst, mit den Menschen zusammen zu sein, weil ihr dachtet, vielleicht werdet ihr dadurch auch weggebracht? Nein, nö, nein. Gar nicht. Also, bis das akut wurde, dann verschwanden die ja immer mehr und mehr aus dem Umkreis. Nun, wir haben's nicht kapiert. Ich hab's nicht begriffen! Warum wurde die Lehrerin nicht mehr an der Schule geduldet! Das weiß ich nicht. Es hieß, sie war verrückt, war sie aber nicht. Wie hast du darauf reagiert, als deine Klassenkameraden dann verschwunden waren? Ja, komisch war das zumindest. Wir haben gefragt: „Wo sind denn die? Ruth und … wo sind die denn? Ruth Moses und Ruth Abraham. Wo sind

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die denn?“ „Ja, das wissen wir auch nicht, die sind weggezogen“, sagten die Lehrer. Wir wurden ja nicht richtig informiert. Wehe, nein. Merkten Sie, da während des Krieges, wo Sie lebten, viel von dem Zerbomben der Städte und vom Krieg selbst? Oh ja. Rundum … ja, natürlich überall … ja. Also war es eigentlich überall zu bemerken. Ja, war alles so zerbombt … ja. München habe ich kaputt erlebt, aber in Hannover, wo ich gewohnt habe, am meisten. Gab es sogar gefährliche Situationen, wo Sie um ihr Leben gebangt haben? - Oder um das der Familienangehörigen? Ja, bei den Luftangriffen war das so … da haben wir immer gezittert und haben uns auf die Sterbematratze gelegt mit den Geschwistern, wenn die Bomben … [einen Moment überlegend], eine Luftmine kam: Wumm, Wumm, Wumm, Wumm, Wumm. Und bei den lauter werdenden Wumm-Geräuschen, knieten wir uns nieder, weil wir dann dachten, das Dach kommt 'runter. Kam ja auch einmal. Gab es ein besonders erschütterndes Erlebnis? Die Bombardierung eines Zuges und einmal habe ich in München gesehen, wie Gleisarbeiter kaputte Gleise wieder auffüllten, mit so Schotterkies und die hatten alle einen gestreiften, quer gestreiften, grau-weißen Anzug an mit einer Nummer und komische Mützen auf. Da habe ich zum ersten Mal KZ-Häftlinge gesehen.

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Und … zu der Zeit, wussten Sie da schon, dass diese Leute KZ-Häftlinge sind? - Konnten Sie sie einordnen oder hielten Sie die Leute im ersten Moment für ganz normale Straßenarbeiter? Zunächst ja, aber … dass es Gefangene waren, konnte man sehen. Die waren verhungerte Gestalten, mit verhärmten Gesichtern und diese Uniformen … Da sagte jemand zu mir: „Die sind aus dem KZ.“ Da habe ich natürlich noch mal genauer aus dem Fenster geguckt. Haben Sie vorher schon einmal von KZs gehört oder war das ganz neu für Sie? Nein, das war für mich ganz neu. Im Krieg, gab es da auch gute Momente, Lichtblicke oder sogar Hoffnung auf dem Sieg? Zunächst haben wir immer gedacht, dass, wenn der Krieg zu Ende ist, dann hätten wir ja Schluss mit den Bomben und Schluss mit dem Schießen … darauf haben wir gehofft. Aber es gab ja auch Momente, wo man sich gegenseitig half … [einen Moment in Gedanken], das gab es auch, das freute einen. Als unsere Dachziegel vom Haus abgebombt waren, kriegten wir neue Ziegel geliefert von der Ortsgemeinde und vor jedes Haus wurden dann Ziegel hingepackt. Doch in der Nacht kamen allerdings übernächste Nachbarn und klauten uns Kindern die neuen Ziegel, war auch ein bisschen doof. Ja. Es gab bestimmt so einen Moment, in dem man bemerkte, dass der Krieg nun endgültig ausgebrochen war. Soldaten zogen an die Front, Bomben zerstörten Hannover. Wie war das für Sie? - Wie fühlten Sie sich dabei?

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Die Ausweitung des Krieges war nicht zu übersehen, dann hieß es, die Engländer landen oben an der Atlantikküste Frankreichs und … Krieg gegen Amerika, Krieg gegen Frankreich, überall hieß es nur noch Krieg, ob im Fernsehen, im Radio oder auf der Straße. Erst mit Italien verbündet, nachher nicht mehr … [in Gedanken versunken]. Gegen Russland, das war … unmöglich zu gewinnen, unmöglich. An manchen Stellen haben Sie sich gewünscht, … Ja … … dass der Krieg aufhört oder hatten Sie die Hoffnung schon aufgegeben? Erst hat jeder gedacht, oh es wäre gut, wenn endlich Frieden kommt. Nicht, dass man mehr besäße, nein das nicht, aber dass Schluss ist mit dem Schießen und den Bombenangriffen. Hatten Sie zu der Zeit schon Angst vor der Gestapo und - oder der SS? Hm [überlegt]. Also gab es vielleicht Situationen, wo sie Ihnen ziemlich nahe gekommen sind? Ja, ich war im Arbeitsdienst auf einem großen Kartoffelacker und alle sechs Arbeitsmaiden nebeneinander. Auf einem Nachbarfeld waren französische Kriegsgefangene am Arbeiten und wir haben natürlich versucht, mit denen zu reden, auf Französisch. War ja lustig, etwas anderes zu sehen, als unser blödes Mädchenlager und da haben wir mit den Franzosen geredet. Die eine von uns hat sich mit einem Franzosen von denen angefreundet. Die ist mit dem auch allerdings aus dem Lager ver-

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schwunden und die wurde … und die kam ins KZ. Weil sie sich mit einem Fremden, mit dem Feind eingelassen hat. Das was also unmöglich, man durfte noch nicht mal mit ihnen reden. Nichts. Und dann war da noch so eine Situation. Im Arbeitsdienst mussten wir jeden Morgen um die Fahne herum uns aufstellen, wir waren 34 Mädchen in dem Lager. Und dann mussten wir so richtig mit Flagge hoch und dann Arm hoch: „Heil Hitler“, jeden Morgen sagen. Und dann hatten wir eine, die war auch schon so aggressiv … so nett aggressiv, die Grete … nein, nein das war die Gisela Frietz aus Bremen. Die Familie besaß in Bremen ein Hotel. Die sagte eines Morgens: „Heute machen wir mal ganz was anderes.“ Dann, das muss ich direkt vormachen [Loreliese stellt sich hin und kurbelt ihren rechten Arm, mit einer kurbelnden Bewegung ihrer anderen Hand, nach oben]. Das haben wir dann alle gemacht. Na ja, da wurden wir dann auch erst mal ordentlich bestraft. Ich war ja nach dem Krieg, da hieß es: „Rette sich wer kann“, von München nach Österreich geflohen. In Österreich musste ich bleiben, bis weitere Züge in den Norden fuhren und den ersten Franzosen, die hatten da das Patsnauen-Tal besetzt in Österreich und der erste Franzose, den ich dort traf, fragte mich: „Vous êtes allemande?“ Da sagte ich: „Oui.“ Und da machte er so welche Handbewegungen [wegwerfende Handbewegung]: „ Allemande? Un, deux, trois.“ Zack! Das war auch nicht gerade eine menschenfreundliche Begegnung [trauriges Lachen]. Na ja … kann man nicht erwarten, kann man wirklich nicht erwarten. Ja. Wurden Sie, welche aus Ihrer Familie, Freunde, Nachbarn oder Bekannte bespitzelt, haben Sie da etwas mitbekommen? Nein. Nein, meine Mutter war zwar, so genannt, keine Parteigenossin, aber sie war eine sehr anerkannte Frau, weil sie Soldaten Socken gestopft hatte, während des Krieges. Ja, Laura meinte ob…

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Und darum wurden wir auch nie bespitzelt. Sie war eine normale Bürgerin, nicht Partei. Was haben Sie in der Kriegszeit gemacht, womit Ihre Zeit vertrieben? Zeit vertrieben ist gut. Wir wurden voll beansprucht. Erst war ich in der Schule bis 1943, dann musste ich in den Arbeitsdienst bis 1945, bis Kriegsende. Da wurden wir getrieben, aber sich die Zeit vertreiben konnte man nicht. Wie hat sich die Familie ernährt? Ich glaube … meine Mutter bekam eine Rente und ich kriegte im Arbeitsdienst 20 Pfennig am Tag, alle zehn Tage kriegten wir zwei Mark, das reichte genau für die Briefmarken, aber Essen und Trinken kriegten wir ja so. Ja, verpflegt wurden wir ja da. Haben Sie selbst etwas gegen Hitler unternommen, sich über Verbote hinweggesetzt, angezweifelt, was er gesagt hat? Das habe ich ja doch durch meine Aufsätze hier bewiesen. [Am Anfang des Interviews hatte uns Frau Plath einige ihrer alten Schulaufsätze gezeigt, in denen deutlich zu erkennen war, dass sogar in der Bewertung der Schulaufgaben Hitlers Meinung vertreten wurde.] In der Schule habe ich daran schon Kritik geübt und aufgeschrieben und dann kriegte ich auch gleich eine lange, rote Kritik der Lehrerin darunter. Der ganze Unterricht war darauf ausgerichtet. Gab es einen Moment, in dem Sie erkannten, wer Hitler wirklich ist und wie viel Schaden er anrichtete?

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Nein. Soviel habe ich nicht darüber nachgedacht. Natürlich was er für Verluste innerhalb der Familie brachte. Immer wieder wurden Attentate auf Hitler ausgeübt. Haben Sie davon was mitgekriegt und wenn ja, wie standen Sie dazu? Die Gedanken haben wir uns so nicht gemacht, wir haben wohl gehört durch das Radio, dass ein Attentat gegen Hitler verübt wurde oder … aber dazu stand man eher neutral. Ich glaube, das war mir noch nicht ganz klar, also früher … also als das alles stattfand, da wurde es ja noch gar nicht so ausgelegt. Es wurde als Untat berichtet … ob wir früher, als Hitler noch gelebt hat, das nun richtig wahrgenommen haben … [überlegt einen Moment]. Es war alles propagandamäßig ausgerichtet für uns, sodass man zunächst gar nicht dahinter kam, aus welchen Motiven haben die das denn überhaupt gemacht … hinterher, ja da war es uns klar, aber zu der Zeit, als es passierte … nein, da war es uns nicht klar. Wann hatte man das Gefühl, dass Hitler nicht mehr lange die Geschichte lenken würde? Als sich die Soldaten zurückzogen und die Panzer in Berlin standen und … und oben im Nordatlantik, die Engländer waren ja in Frankreich gelandet, machten Invasion, da konnte man schon sagen, dass der Krieg nun nicht mehr zu gewinnen ist, unmöglich. Da gaben Sie auch so ein bisschen die Hoffnung auf? Ja, natürlich, da kam die Angst, einfach Angst. Am Ende des Krieges brachte Hitler sich um. Wie haben Sie die Botschaft aufgenommen und wie überhaupt davon erfahren?

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Durch das Radio, Fernsehen gab es ja noch nicht … durch Radio. In dem Moment dachte ich nur: „Totaler Feigling.“ Das sprach sich so schnell herum und wir hatten auch eine Zeitung damals und sogar ein Radio bei uns zu Hause. Ja … es hieß ja aber auch, dass der Krieg nun endgültig zu Ende war … damals … mit seinem Tod. Spürten Sie daraufhin wieder neue Hoffnung, dass die Kriegszeit sich nun endlich dem Ende zuwendet? - Oder haben Sie gar nicht mehr richtig daran geglaubt, war Krieg schon fast Alltag, wenn man das so sagen kann? Nein … erstens habe ich es gar nicht richtig geglaubt und es war auch alles so unwahrscheinlich. Überall nur Trümmer und Zerstörung, alles kaputt, die Stimmung unten … man konnte es jetzt noch gar nicht planen … man nahm es einfach nur zur Kenntnis. Hat sich durch seinen Tod denn viel in Ihrem Leben verändert? Durch seinen Tod? Ja, da war das Kriegsende eingeleitet … und dann kamen auch schon die Russen und hier in Hannover die Engländer. Ich war ja in München und flüchtete von München, wo ich im Arbeitsdienst war, nach Österreich. In Österreich wurden wir alle auch misstrauisch beäugt, also als Deutsche. Obwohl die Österreicher mit Hitler ja auch mitgemacht haben. Ja. Hörte der Krieg nach seinem Tod plötzlich auf? - Fühlten Sie sich freier? - Wie war überhaupt die Stimmung in Ihrer näheren Umgebung? Ja, da ich ja in Österreich war … da war es … freier? Kann ich nicht ganz sagen, denn die Franzosen … erst hat der Amerikaner das Patsnauen-Tal besetzt, nicht der Franzose [einen Moment in Gedanken versunken]. Es herrschte überall Aufregung in München und da habe ich auch

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so viel Schlimmes erlebt. Der Krieg war ja noch nicht ganz zu Ende. Da kamen dann Deutsche, die hatten sich von Zivilisten einfach die Autos beschlagnahmt und kamen dann ins österreichische Tal, mit Blick zur Schweiz. Da wollten sie dann alle hin flüchten. Ich lernte das Hungern. Brot gab es in Ischgl in Tirol nicht, erst im übernächsten Dorf. Zehn Kilometer wanderten wir zum nächsten Bäcker. Mittags aß man in einer Gemeinschaftsküche, es gab viel zu wenig, sodass man nur annähernd satt wurde und abends aß ich eine dünne Suppe. Auf diese Weise wurde ich gertenschlank. Im Arbeitsdienst hatte ich zugenommen, aber nun war ich fast ein Hungergerippe. Es war also fast eine schlechte Veränderung? Es war ja gleich nach Kriegsende noch keinerlei Versorgung. Wir flüchteten nun, weil der Krieg zu Ende war, von München vor den Russen nach Österreich und dort saß ich dann fest und kam nicht nach Hause, keine Briefe, wusste nicht, wer aus meiner Familie noch am Leben ist. Wurde Deutschland dann schnell wieder aufgebaut? - Wann kehrte die Normalität ihn Ihr Leben zurück? Och, das dauerte. Ich habe nie geglaubt, dass das überhaupt mal wieder normal werden könnte, weil soviel kaputt war. Dann gab es auch noch Essensmarken … na ja, normal war es nicht … lange nicht. Wurde Deutschland schnell wieder aufgebaut? Zuerst wurden die Geschäfte und nach und nach auch die Wohnhäuser ausgebessert. Aber es war bis 1956, das war ja dann schon fast elf Jahre nach dem Krieg, noch nicht fertig. Da fuhren wir einmal von Hermannsburg nach Hannover zu meiner Mutter und die Kinder, ihre Kinder, saßen im Auto und sagten: „Mutti guck mal, Hannover ist ja noch nicht

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fertig“, weil da soviel noch gebaut und ausgebessert wurde [kleines Lachen], Hannover ist noch nicht fertig. So einen Eindruck hatte man lange, bis das dann wieder … endlich sich gebessert hat. Und wann kam die Normalität? ... Wann war fast alles wieder aufgebaut? - Wann konnte man wieder normal leben? Oh, einkaufen konnte man relativ schnell, weil die Geschäfte ja zuerst saniert wurden. Waren kamen nach einiger Zeit auch, aber … normal? Wie war das Leben unter den Alliierten? Da habe ich hier eine Stelle [kramt in ihren Unterlagen, die sie vor dem Gespräch schon bereitgelegt hat] … aha … Aber das sollst du doch aus deinen Erinnerungen heraus erzählen. Was? Die Alliierten … Das sollst du erzählen … [liest aus ihren Unterlagen, einem alten Tagebucheintrag] „Mir ist es nicht ganz geheuer, die Leute sind wütend, dass ich einen scharlachkranken Jungen pflegte, dazu war er einer von den damischen Preußen.“ Wir waren in Österreich die damischen Preußen und in ihrer Wut haben einige den Sonnenwirt erschlagen, weil er eine Preußin geheiratet hatte. So war die Stimmung in Österreich.

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Konnte man nun unter der Hand der Alliierten nun freier leben, angstfreier? Nein. Es war ja eine Besetzung. Man musste abends von der Straße sein, das nannten sie cur view. Alle Deutschen, alle Menschen mussten um zehn von der Straße sein. Und was nannte man Ihnen da als Begründung? Das war eine Sicherheitsmaßnahme für die Besatzungsleute. Die Deutschen mussten in den Häusern bleiben, lange. Wie lange dauerte es, bis wieder eine relativ normale Politik zu erkennen war? Ja … man versuchte durch eine Übergangsregierung eine Demokratie herzustellen, das war schon spürbar, aber … soviel habe ich davon nicht mitbekommen. Auch in Österreich musste man um neun Uhr zu Hause sein, unter der Besatzung der Franzosen und ja … [kramt in ihren Unterlagen, liest vor]: „Auf dem Rückweg, es war schon nach 21 Uhr, pflückte ich einen kleinen Strauß voll Treublumen und da kamen mir ein paar Kinder entgegen und sagten, ich soll zum Zollamt kommen und im Zollamt wurde ich dann gleich untersucht, meine Taschen.“ Die Franzosen haben mich verdächtigt, dass ich versteckten deutschen Soldaten, die sich oben im Gebirge versteckten, die waren ja noch nicht in Gefangenschaft und haben sich alle nur versteckt und wollten dann in die Freiheit, na ja und die haben mich verdächtigt, ihnen irgendwas zu bringen und das war schlimm, fand ich. Und die haben mich durchsucht und dann sagte der Franzose, wenn ich noch einmal dahin ginge, dann würde er mich erschießen. Die waren schon bedrohlich, fand ich.

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Wie lange dauerte es nach dem Kriegsende so ungefähr, bis die Mauer errichtet wurde? Die Russen hatten ja Berlin und den Osten Deutschlands, die Engländer und Franzosen den Norden und den Süden, die Amerikaner Bayern und Süden. Die hatten so in vier Zonen eingeteilt. Die DDR, die Deutsche Demokratische Republik, hatte sich dann gebildet und die merkten dann, dass viele aus der so genannten DDR in den Westen 'rübergingen, weil sie es da besser vermuteten, dass die Engländer großzügiger wären oder ähnliches und dann wurde die Mauer gezogen. Sie wollten nicht, dass das Hin und Her politischen Einfluss nahm. Viele waren von der Verwandtschaft getrennt, mittendrin durch manche Häuser wurde sogar die Grenze gezogen. Und bekam man viel von der Mauererrichtung mit, sodass man noch schnell auf die andere Seite zu Freunden und Verwandten flüchten konnte oder wurde es so still und leise gemacht? Nein, die haben das sehr schnell gemacht. Einige sind dann aus den Fenstern geklettert über die Mauer 'rüber, da manche Häuser bis an die Mauer 'dran reichten, aber das … wurde unterbunden. Die Häuser, die direkt an der Grenze standen, wurden entweder abgerissen oder es durfte keiner mehr darin wohnen. Da hatten sie sich dann auch Tunnel gebaut, unter der Mauer durch, dann sind sie geflüchtet, durch unterirdische Tunnel. Und ich musste nach Berlin, das war allerdings schon lange nach der Eröffnung der Mauer, das war 85 und musste noch mit einer Genehmigung durch die DDR fahren, mit Kontrolle. Sie lebten dann ja in der BRD. Hatten Sie auch Freunde oder Verwandte in der DDR? Ja. Verwandte.

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Haben Sie denn einmal Verwandte besucht? Nein … wir haben Pakete geschickt mit Kaffee oder Anderem, was sie auf der Seite nicht bekamen. Ging das denn ohne Probleme? Pakete mit bestimmtem Gewicht durfte man verschicken. Und wie war die Stimmung, als die Mauer errichtet wurde? - Empfanden Sie es als unfair? Einfach unmenschlich, unmenschlich und eine Cousine 'drüben hatte dann heimlich im Radio den Westen abgehört und das kriegte jemand mit und die wurden dann bestraft, gefangengenommen. Oder wenn sie im Radio Nachrichten hören wollten, was im Westen los war und hier, dann war da vorher so ein tack tack Geräusch bei unseren Sendern, so ein tack, tack, tack, tack und dann fing die Sendung an und wer dieses tack Geräusch hörte … da gab es Spione, die haben gehofft und verpfiffen. Wie lebte man, als die Mauer errichtet wurde? - Also unter der Mauer sozusagen? Nicht besser, nein. Unsere Freiheit war uns genommen, man konnte nicht mehr einfach irgendwo hinfahren, wo man hinwollte. Ich habe einmal in Berlin an der Mauer gestanden und da war so ein Podest, da konnte man über die Mauer auf die andere Seite gucken, so ein Blick 'rüberwerfen in die DDR. Check Point Charlie hieß das und 'rüberfahren ging nicht einfach. Aber ich habe vor dem Check Point Charlie gestanden und konnte nur 'rübergucken, kein tolles Gefühl, schrecklich, alles nicht so aufgeputzt, einfacher.

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Wie war Ihr Empfinden, als die Mauer endlich fiel? - Bekamen Sie da viel von mit? - Kam es plötzlich oder konnte man es vorher ein bisschen erahnen? Es gab ja die Flüchtlingsströme über Ungarn bis nach Österreich und dann wurde die Grenze bei denen geöffnet und das haben wir im Fernsehen verfolgt. Weiß nicht, welcher Politiker war denn das? Ein ganz bekannter, verkündet, dass man jetzt reisen darf, ohne Genehmigung. Und aus einem Irrtum heraus wurden die Pforten geöffnet, die Schranken geöffnet und dann kamen sie 'rüber in Strömen. Die Bilder vergesse ich auch nicht. Das war zunächst wie eine Befreiung, die sind ja auch auf die Mauer 'draufgeklettert, das war schon ein sehr ergreifender Moment. Viele haben es so empfunden, obwohl auch hauptsächlich die Mahnwachen und die überall die Kerzen angezündet haben, als die Mauer geöffnet wurde und die Kirchen Gottesdienste gehalten haben. Die haben auch sehr viel dazu beigetragen, dass die Mauer fiel. Und ja, dann kletterten sie hoch und … das war ein Taumel. Für die Jugendlichen ganz besonders. Doch die Alten, die waren sehr reserviert, schon durch die 40 Jahre DDR. Davon überzeugt, wir hatten gut genug zu essen und wir hatten alle unseren Job und alle Kinder hatten eigenen Kindergartenplatz. Die waren dann so ein bisschen zurückhaltend, dass also nicht der Westdeutsche besser ist, als der Ostdeutsche, das sagten sie dann sehr deutlich. Als die Mauer fiel, hat es für Sie eine große Bedeutung gehabt, so als wäre die alte Zeit nun endlich vorbei oder hatten Sie schon mit der Kriegszeit abgeschlossen? Der Krieg war ja vorbei, aber dass Deutschland verloren und Deutschland geteilt war, teilweise besetzt war, die Folgen waren ja noch lange zu spüren, die mich auch bedrückten. Wer dort 'drüben geboren ist oder auch lebte nach dem Zusammenbruch, nach dem Weltkrieg, hat das viel-

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leicht auch nicht so schlimm empfunden. Er hatte Arbeit. Obwohl die Arbeit, die er hatte, ja auch bestimmt war durch Landwirtschaftseinsatz oder so … Also sozusagen eingeschränkte Freiheit, wenn man das so sagen kann? Ja, sie fühlten sich nicht bedrückt, aber sie waren auch nicht frei in den Entscheidungen. Du darfst deinen Mund halten. Alles was die Partei sagt, trifft zu und für deinen Unmut kannst du verhaftet werden. Das war so bei uns angekommen. Wie ist es heute, ärgert es einige noch immer, dass Deutschland den Krieg verloren hat? … Ach so … die es heute noch ärgert, dass Deutschland damals den Krieg verloren hatte? Ja sicher, denn es gab ja immer noch verkappte Nationalsozialisten, von denen auch eigentlich einige noch heute leben und die fanden es wohl beschämend … [ironisch]. Den Krieg verliert man eben nicht. Die Sieger haben mit uns gemacht, was sie wollten, solche Typen gab es auch, aber nicht in unseren Kreisen. Ich habe die persönlich nicht kennen gelernt, nur aus der Zeitung und die haben ja auch noch lange höhere Ämter bekleidet. Vor kurzem sind noch richtige Nationalsozialisten gewählt worden, dass konnte ich ja nicht fassen. Wie empfinden Sie den heutigen Luxus im Gegensatz zu damals? Ich empfinde es nicht gerade als gute Entwicklung, dass heute so hohe Ansprüche gestellt werden, weil wir es ja auch nie gewohnt waren. Als

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Kind einteilen und sparen und selber machen. Geschenke kaufen gab es nicht, selber machen oder … Und ich finde, dass heute nicht jedes Kind sämtliche Elektro- oder Computeranlagen im Zimmer haben muss und es bringt die Familie nicht gerade zusammen. Wir haben damals gelernt, also es gab damals eine Stromzuteilung im Krieg und auch zum Kochen gab es … nur eine bestimmte Stunde konnte man Gas kriegen. Musstest du dann sehen, dass du schnell was … Oder jetzt sehe ich etwas, das ist wunscherweckend. Wünsche erfüllen geht heute viel zu schnell. Als die Mauer fiel, rannten die Leute aus der DDR 'rüber in den Westen. Wo lebten Sie dann da? Es gab ein Wohnungsamt, das hat Menschen so gut es geht auf Bauernhöfe und auf Städte verteilt. Wir in Hannover kriegten Flüchtlingsfamilien, man war kein Hausbesitzer mehr, sondern es kam eine Behörde und verteilte die Menschen da einfach … ihr kriegt eine Familie oben … Zimmer wurden beschlagnahmt. Unser eigenes Haus wurde besetzt mit Flüchtlingen, war nicht immer angenehm, aber man konnte sich gar nicht wehren. Die Wohnungsämter haben versucht, die Flüchtlinge zu verteilen, auf bestehende Häuser. Denn neu bauen konnte man ja noch nicht … man konnte enger zusammen leben. Immer da, wo Platz war, wurde man hingesteckt, so hatten wir von unserem ganzen Haus in Hannover nur noch drei Zimmer, das war nicht so viel. Nahm man es denn freiwillig hin oder hat man sich dann dagegen gewehrt? Wir haben uns nicht gefreut, aber man konnte sich auch nicht wehren. Man wehrte sich nicht, dass gab's gar nicht. Das wurde auch bestimmt, noch von Hitlers Zeiten, dass man Flüchtlinge aufzunehmen hat … man hatte keinen sehr guten Stand als Flüchtling.

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Und nach dem DDR-Fall, wann kehrte dann endlich die Normalität zurück? Die Aufnahmen der Flüchtlinge nach dem Mauerfall und es wurde schnell gebaut und sie kriegten Genehmigungen, auch selbst zu bauen. Durften überall, wo sie was fanden, auch mieten. Das war 'ne Normalität nachher. Wenn Sie jetzt im Rückblick von heute auf früher gucken? Also meine Kindheit war so glücklich, dass ich sie nur rosig sehe. Doch trotz aller Schwächen und Entbehrungen war es eine glückliche Kindheit und vermisst habe ich nichts. Jawohl, es gab auch keine Bananen, keine Schokolade, aber wenn man es gar nicht weiß, dass es das gibt, vermisst man es auch nicht. Jetzt empfinde ich, dass die Leute einen schwereren Stand haben, normale Berufe zu kriegen. Oder ihr habt nicht einen viel schwierigeren Start. Schwieriger einerseits, aber auch viel zu erleichtert, wenn der Luxus einfach selbstverständlich genommen wird, dass finde ich für mich nicht nötig. Da mach' ich das heute auch ganz bewusst mit dem Nachhilfeunterricht, den ich kostenlos gebe. Wer eine irgendwie angemessene Rente besitzt, muss sich nicht eine goldene Nase verdienen. Luxus im Überfluss empfinde ich als unnötig und für keinen Menschen förderlich. Die Nächstenliebe, wo bleibt die? Ich weiß es immer noch nicht. Wenn man immer nur mehr verdienen will, wo bleibt dann die Nächstenliebe?

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Fazit Wenn wir jetzt auf unser Zeitzeugeninterview zurückblicken, sind wir positiv überrascht, wie die Zusammenarbeit mit Loreliese Plath harmonierte. Unsere Interviewpartnerin hatte uns viel Interessantes, aber auch an manchen Stellen sehr Trauriges, zu erzählen. Man konnte interessiert zuhören, das Gespräch verlief flüssig und offen. Loreliese Plath hatte die Zeit des Zweiten Weltkrieges noch gut im Gedächtnis und wir erhielten somit auch viele spannungsreiche Informationen, auch hatte sie noch sehr viel aufbewahrt aus dieser Zeit, was uns natürlich unheimlich half. In den kleinen Teepausen zwischendurch reichte sie uns Kekse und wir diskutierten noch einmal ausführlich über das Interview. Wir sind sehr froh, diese Chance gehabt und genutzt zu haben. Es hat uns unheimlich viel über die damaligen Verhältnisse gelehrt. Das Besondere dabei für uns war, geschehene Erlebnisse aus erster Hand zu erfahren. Das hat uns oft sehr erschüttert und bewegt. Wir erhielten einen genauen und offenen Einblick in das Leben der Loreliese Plath. Herzlichen Dank an unsere Interviewpartnerin, die uns offen und ehrlich Rede und Antwort stand. Danke!

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Mathilde L., befragt von Lixia Uhlmann

Biographie Mathilde L. wurde am 28.08.1928 in Ludwigshafen geboren. Wenig später zog ihre Familie nach Hameln in Niedersachsen, hier wuchs sie auf und wurde mit sechs Jahren eingeschult. Obwohl ihre Familie nicht viel vom Nationalsozialismus hielt, musste sie, wie damals alle deutschen Mädchen, in den BDM. 1939 kam Mathilde auf das Mädchengymnasium, wobei ihr der Unterricht mit seiner Propaganda und den pensionierten Lehrern nicht sonderlich gefiel. In Hameln selbst gab es anfangs keine Bombenangriffe. Die Einwohner konnten die Angriffe auf das fünfzig Kilometer entfernte Hannover jedoch deutlich hören. Gegen Ende des Krieges wurden teilweise auch in Hameln Bomben abgeworfen. Von dem Kriegsende erfuhr Mathilde durch das Radio. Nach dem Krieg starb ihr Vater durch einen Unfall mit einem Pferdewagen. Mathilde berichtete, für sie wäre die Nachkriegszeit fast schlimmer als der Krieg selbst gewesen, da jetzt die Lebensmittel rationiert waren und die englische Besatzung ihr Haus beschlagnahmte. So mussten sie und ihre Mutter einen Winter lang auf dem Dachboden eines Bekannten leben. Bald darauf bekamen sie ihr Haus zurück. Der Lastenausgleich, für Flüchtlinge oder Menschen, die alles verloren hatten, musste noch bis 1971 von Mathilde abbezahlt werden. Heute lebt Mathilde L. in Hamburg.

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Interview Was denken Sie, wenn Sie sich an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg zurückerinnern? - Was fällt Ihnen spontan ein? Spontan sag ich: Nie wieder! Wie erinnern Sie den Beginn des Nationalsozialismus, ab der Machtübernahme? Da war ich altersmäßig noch zu jung. Ich bin 1928 geboren. 1932/1933 ist Hitler an die Macht gekommen. Ich bin eigentlich erst mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gekommen, als ich zum Bund der Deutschen Mädel musste. Da musste jeder 'rein. In den Bund der Deutschen Mädel, kurz BDM oder Hitlerjugend musste jedes Kind. Und da hat für mich eigentlich der Nationalsozialismus angefangen. Im ersten Teil natürlich positiv. Für ein Kind war das ja noch nichts Erschreckendes. Das kam ja erst später. Wie haben die Menschen in Ihrem Umfeld, also zum Beispiel Ihre Eltern, auf den Nationalsozialismus reagiert? Das war sehr problematisch bei uns. Mein Vater war Beamter und hätte eigentlich in die Partei, also die Nazipartei, eintreten müssen. Er hat sich aber geweigert, er hat es nicht getan, weil er mit dem Adolf Hitler nicht zufrieden war. Das heißt, er wurde nicht befördert. Sie haben ihn einfach kaltgestellt. Aber er musste trotzdem die Arbeit eines Amtsvorstehers machen. Wir waren in einer Kleinstadt, in Hameln, mit 30 000 Einwohnern, da haben wir gelebt. Das war also eine finanzielle Geschichte und er hat immer Angst gehabt, dass sie ihn mal abholen. In der Nazizeit wurde bei jedem Anlass die Fahne 'rausgehängt und wir hatten gar keine Nazifahne, die mit dem Hakenkreuz. Rote Fahne, weißes Feld und

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schwarzes Hakenkreuz. Mich hat er immer bekniet: „Geh' bitte zum Dienst.“ Also Dienst war mittwochs und samstags, da musste man zum HJ-Dienst und wehe man kam nicht. Dann wurde zu Hause nachgefragt, was los ist. Dann war man schon ein schwarzes Schaf. Insofern haben wir Nachteile gehabt, vom Nationalsozialismus. Haben Sie auch etwas von den Judenverfolgungen mitbekommen? Ja. Als die Reichskristallnacht … also, wann war die denn bloß noch mal …? So 1933? Nein, nein, das muss später gewesen sein … so um 1941? Na, das kannst du ja noch mal genau ermitteln. Also ja, das habe ich insofern mitbekommen, als ich auf meinem Schulweg, so etwa zwei Kilometer … da bin ich immer an Geschäften vorbeigekommen. Und an diesem Morgen ist mir aufgefallen, dass das große Möbelgeschäft, also die Auslagen, ausgeräumt waren und zerschlagen. Ich wusste damit nichts anzufangen … es kam dann aber im Radio … da haben die Nazis damit angegeben, dass sie den Juden einen Denkzettel verpasst haben. Wie haben die Menschen da so reagiert? - Haben sich nicht alle gewundert? Also, die meisten haben so getan, als wenn sie mit Adolf Hitler die beste Lösung, also politische Lösung, überhaupt hätten. Viele waren überzeugt, dass Adolf Hitler alles richtig macht. Den Judenhass gab es schon immer und das war endlich mal eine Gelegenheit, dass die Leute das offen zugeben konnten. Also: „Wir mögen keine Juden.“ Ah! Reichskristallnacht 1938. 1939 fällt mir gerade eine Episode ein … da wussten wir, also meine Familie, noch nicht, dass der Krieg ausbrechen würde.

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Wir sind also nach Konstanz gefahren und haben dort in einer Pension gewohnt … und haben von dort aus Ausflüge in die Schweiz und überall … nach Italien und so gemacht. Wir wollten auch einmal zum Rheinfall in Schaffhausen, ist ja ein bekannter Ort und da musste man mit der Straßenbahn hinfahren, ein Auto hatten wir damals nicht. Auf der halben Strecke kam der Konduktor und wollte den Fahrpreis kassieren, wir wollten in Reichsmark bezahlen. Da sagte er, er nimmt kein deutsches Geld und wir sollten die Straßenbahn verlassen. Eine andere Frau keifte: „Es ist sowieso bald Krieg.“ Und wir waren wie vom Donner gerührt, weil wir vom Krieg noch gar nichts wussten. Und wie man uns behandelt hatte, das war schon ein Schock. Und wie war Ihre Jugend, mit der Schulzeit und so? - In welcher Schule waren Sie? Die Schule war ja nun geprägt vom Nationalsozialismus. Wie schon gesagt, musste jeder in diesen Organisationen sein, BDM oder HJ, dann war auch der Unterricht so ausgerichtet. Besonders Geschichte, da hieß es immer: „Deutschland ist ein Volk ohne Raum, wir müssen uns nach Osten hin erweitern, Polen überfallen … Krieg mit Russland.“ Immer hat Adolf Hitler mit seinem Machtstab der Bevölkerung vorgegaukelt, dass der Krieg gewonnen wird und dass wir dann die Weltherrschaft übernehmen. Also größenwahnsinnig. In Biologie wurde ganz großen Wert auf die arische Rasse gelegt. Da musste man als Deutscher aus der arischen Rasse hervorgehen … und die Judenrasse wurde auch in Karikaturen in den Zeitungen dargestellt … immer auf eine ganz blöde Art und Weise. Alles war beeinflusst vom Nationalsozialismus. Ob das Biologie oder Geschichte war … es war immer in ihrem Sinne. Auf was für einer Schule waren Sie denn?

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Auf einem Mädchengymnasium. 1939 bin ich da glaub' ich eingeschult worden und … was wollte ich jetzt sagen … jetzt habe ich einen Filmriss … in der Schulzeit hatten wir nur ausrangierte, pensionierte Lehrer. Die Jungen waren alle im Krieg. Und die alten Knaben, also die männlichen Lehrer, waren immer alle irgendwie für Hitler. Sonst wären sie vielleicht gar nicht Lehrer geblieben. Sonst wären sie vielleicht aussortiert worden. Beim Sport, da musste erst die Fahne hochgezogen werden. Jede Schule hatte ihre Fahnen, eine eigene und die nationalsozialistische, mit dem Hakenkreuz … morgens Appell … dann standen wir da, mit hoch erhobenem Arm und haben die Nazilieder singen müssen. Und da waren die anderen Schüler begeistert von? Ich weiß es nicht. Also ich war nicht begeistert. Ich habe sowieso nicht so das Bedürfnis, in einer Gruppe zu sein. Ich bin eigentlich mehr so ein Einzelgänger oder so was. Und dann haben Sie während des Zweiten Weltkrieges auch in Hameln gelebt? Ja. Und da gab es auch Bombenangriffe? Wir haben jede Nacht Alarm gehabt, jedes Haus hatte seinen eigenen Luftschutzkeller. Bunker, wie hier in der Großstadt, gab es nicht … und das muss man sich so vorstellen … mit Baumstämmen … als wären hier mitten im Raum so vier oder fünf Baumstämme, die die Decke abstützen. Da saß man dann, wenn's Alarm gegeben hat. Wie waren die Wohnverhältnisse? - Hat in Ihrer Gegend auch mal eine Bombe eingeschlagen?

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Wir haben immer den Bombenhagel über Hannover, das liegt so 50 Kilometer von Hameln entfernt, gehört. Und die Flak … die Fliegerabwehr … die haben mit so Art Laserstrahlen, also Laserstrahlen gab es damals noch nicht, das muss ein anderes Licht gewesen sein, den Himmel abgeleuchtet, wenn die Bomber kamen und das sah man alles. Aber in Hameln wurde nur mal eine Bombe abgeschmissen, die haben sie wohl auf dem Heimweg irgendwie vergessen. Hatten Sie denn auch Verwandte in Hannover oder so? Hannover … wohnte ein Onkel von mir. Also der Krieg endete ja für alle furchtbar. Da haben so ein paar verrückte Hitlerjungen, kurz bevor die Amis bei uns einmarschiert sind, noch die Weserbrücke gesprengt. Sie wollten den Feind noch aufhalten. War natürlich Quatsch, denn die Amis hatten Gerät und ruck zuck eine Behelfsbrücke aufgebaut. Wie haben Sie denn dann vom Kriegsende erfahren? Durchs Radio. Und wie war dann die Stimmung der Menschen in Ihrer Umgebung? Die war zum Schluss ganz schlimm. Es wurde alles knapp, Lebensmittel und Kleidung. Man hatte nur das Anrecht auf so und so viel Brotmarken, Kleidung, Buttermarken. Das wurde alles fein säuberlich abgeschnitten im Geschäft. Es war alles sehr stark rationiert. Die schlimmste Zeit war nach dem Krieg. Da haben wir alle gehungert, weil es gar nicht mehr organisiert war. Vorher hatten die Nazis das organisiert. Man hörte dann im Radio, Stalingrad ist gefallen, die Engländer sind in Dover gelandet, die Amerikaner unten in Sizilien, der Kessel wurde immer enger, wo Deutschland 'drin lebte. Keiner hat eigentlich mehr an einen Sieg geglaubt. Und dadurch war die Stimmung natürlich ganz mies.

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Als Hitler sich ermordet hat, wie haben Sie davon erfahren? Eigentlich zu der Zeit noch gar nicht. Da hieß es im Radio: „Adolf Hitler ist gefallen.“ Ein Soldat im Krieg, der tödlich verwundet wurde … dazu sagte man gefallen. So hat man uns das vormachen wollen. Was da im Bunker passiert ist, hat man alles viel später erfahren. Wie haben die Menschen darauf reagiert? - Einige waren doch sicherlich auch wütend oder traurig? Dann gab es erst mal die Besatzungsregierung. Da wurden wir erst mal in Gebiete eingeteilt, da gab es die amerikanische Zone, die war mehr so Nordrhein-Westfalen, Heidelberg, am Rhein so entlang. Dann gab es die französische Zone … Rheinland-Pfalz … und wir waren die englische Zone und was später DDR war, war schon die russische Besatzungszone. Und die hatten jede so ihre eigenen Bestimmungen … die haben unterschiedlich mit den Deutschen gemacht … was sie wollten. Die Stimmung war ganz miserable. Und dann kam die Entnazifizierung. Das heißt alle Bonzen, die vorher so Hitlertreu waren und in der Partei waren, die wurden jetzt erstmal ins Lager geschickt. Mein Vater war ja Postbeamter, da wurden auch einige aus seinem Kollegenkreis abkommandiert. Die wurden dann sozusagen umerzogen, das Nazitum wurde ausgetrieben [lacht]. Ja, das war schon irgendwie merkwürdig. Erinnern Sie sich dann nachher an die Inflation? Inflation in dem Sinne hatten wir da nicht. Das war nach dem ersten Weltkrieg. Was wir hatten, war eine Geldentwertung. Viel betroffener waren wir durch den Unfalltod meines Vaters. Meine Mutter wurde von einem englischen Wagen angefahren und lag fünf Monate mit allen möglichen Brüchen im Krankenhaus. Wir waren aus unserem Haus 'rausgeschmissen worden, weil die Engländer das besetzt hatten und dar-

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aus eine Art Partyhaus machten, Feste dort feierten. Meine Mutter und ich sind dann ganz jämmerlich irgendwo unter dem Dach untergekommen. Das war keine schöne Zeit. Wobei ist Ihr Vater umgekommen? Das hatte eigentlich mit dem Nazitum nichts zu tun. Er ist an den Folgen eines Unfalls mit einer Kutsche und durchgehenden Pferden gestorben. Und als Deutschland dann geteilt war? - Hatten Sie da Bekannte oder Verwandte in dem anderen Teil? Ja, eine Cousine. Die hatte sich auf abenteuerliche Weise von Ostpreußen zu uns durchgeschlagen. Und dann kam ein Gesetz heraus, dass man ohne Erlaubnis die Besatzungszonen nicht verlassen dürfte. Also auch nicht von Hameln nach Münster oder nach München. Das ging nicht. Sie konnte damals nicht in die Pfalz zurück und hat eine ganze Weile bei uns gelebt, bis das dann genehmigt wurde. Waren Sie denn einmal mit Erlaubnis in der DDR? Nein, da war ich nie. Wir hatten dort keine Verwandtschaft und keine Freunde. Soweit zu meinen Fragen. Gibt es noch etwas, was Sie gern von sich aus erzählen würden? Erstaunlich war, dass wir gar nichts über die Judenbeseitigung wussten. Man hat zwar gewusst, dass es Lager gab, aber man hat nicht gewusst, dass es Todeslager waren. In meiner Familie, in meinem direkten Umkreis … wir wussten es nicht. Ich hatte eine Freundin, die wohnte zwei Häuser weiter und die war zu einem Viertel Jüdin. Ihre Mutter war Halb-

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jüdin. Die hat sich so unsichtbar gemacht, die hat man fast gar nicht mehr gesehen. Sie durfte an unserer Schule bleiben, sich aber nicht an irgendwelchen öffentlichen Dingen beteiligen. Schulfest oder ähnliches. Also, sie hatte Einschränkungen dadurch. Und hinterher, als der Krieg aus war, hat man erfahren, dass irgendwer innerhalb der lokalen Naziorganisation seine schützende Hand über sie gehalten hat. So konnte sie überleben. Es gab wohl auch solche Menschen in der Partei. Anscheinend hatten wir in Hameln nicht so viel Juden, sonst hätte man das wohl gemerkt. Für mich war die Zeit nach dem Krieg viel, viel schlimmer. Da gab es keine Zuteilungen mehr. Die Engländer hatten uns 900 Kalorien zugesichert, das war so knapp, dass man sich die Brotscheiben genau abzählen musste. Dann begann der Tauschhandel. Ich habe zum Beispiel einen Tennisschläger gegen was Essbares getauscht. Anderes gegen was zum Anziehen. Dann der Schwarzmarkt. Da habe ich mich beteiligt, als meine Mutter im Krankenhaus lag und ich alleine leben musste, mit solcher Zuteilungskarte. Da habe ich meine Mutter gefragt, ob ich ihre goldene Taschenuhr, so eine kleine süße, ob ich die vielleicht gegen eine Flasche Öl eintauschen könnte. Sie hat dann gesagt: „Ja, mach' mal.“ Und dann habe ich die Uhr einem jungen Mann aus der Nachbarschaft, der da wohnte, die Uhr vertrauensvoll gegen sein Versprechen, morgen die Flasche Rapsöl mitzubringen, übergeben. Den Mann habe ich nie wieder gesehen. Das Rapsöl auch nicht. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, was Hunger bedeutet. Dann hat es gefroren. Es gab keine Kohlen mehr. Wir mussten ein ganzes Schuljahr wiederholen, weil wir im Winter Kälteferien hatten. Wir saßen mit Mantel, Handschuhen und Mützen in der Klasse und wenn es denn gar nicht mehr ging, hat uns die Lehrerin nach Hause geschickt. Nach dem Krieg fing es dann mit der Kultur wieder an. Man fuhr nach Hannover. In Hameln gab es ja kein Theater. Aber, man musste immer ein Brikett mitbringen. Das wickelte man in Zeitungspapier ein und hat es mit der Eintrittskarte abgegeben. Und dann kam die DM, von einem Tag zum anderen. Da waren dann plötzlich die Läden voll. Da gab es Schuhe in Hülle und Fülle.

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Dinge, von denen man vorher nur träumte. Als die Währungsreform kam, kriegte jeder 40 DM Kopfgeld. Das reichte hinten und vorne nicht. Und dann gab es noch die Entwertung. Wer vorher 10000 Reichsmark hatte, hatte jetzt nur noch 1000 DM Gegenwert. Das war schon eine verrückte Zeit. Trotzdem, wenn ich so zurückdenke … ich war ja etwa in deinem Alter … so 16, vielleicht schon 17 … die jungen Männer, die so mit 18 Notabitur gemacht hatten, kamen, wenn sie es denn überlebt hatten, zurück und mussten nun dummerweise das Abitur noch ’mal nachmachen. Das waren dann unsere ersten Tanzpartner. Eine Disko oder so was gab es in Hameln ja nicht, da hat man das privat gemacht. Hier und da mal eine Feier. Mit 18 bekam ich eine Tabakzuteilung. Nie hätte ich angefangen zu rauchen, wenn ich nicht die Tabakzuteilung bekommen hätte. Da musste man sie doch auch verwerten [lacht]. Dann haben wir fleißig Zigaretten gedreht, mit so einem Apparat. Wenn wir abends eine Party hatten, wurde schon auf Vorrat gedreht. Ich hatte eine Freundin, deren Vater war Zahnarzt. Die hat ihm den 96% Alkohol aus der Praxis geklaut. Davon haben wir dann Likör gemacht. Insofern fanden wir das alles sehr aufregend und toll. Weil wir jung waren. Als meine Mutter das Haus wieder übernehmen konnte, da hatten die Engländer das total verwüstet. Eine Woche, bevor die Währungsreform war. Tja und dann wurde der Schaden abgewertet … geschätzt waren 10000 Mark Schadenersatz … sie bekam dann aber bloß 1000 DM und musste die Instandsetzung weitestgehend selber bezahlen. Das war nicht so schön. Als die Amis kamen, da lebten man eine Woche lang im Keller, also meine Cousine und ich. Weil wir waren ja junge Mädchen, die versteckt werden mussten. Als die dann in die Straßen kamen und von Haus zu Haus gingen, hatten wir schon weiße Bettlacken 'rausgehängt: „Wir ergeben uns.“ Als sie mit den Gewehren 'reinkamen: „Hands up, hands up.“ Das war schon ein komisches Gefühl. Mein Vater konnte sich mit denen verständigen und die haben sich dann oben im Haus erstmal einquartiert, während wir im Keller lebten. Meine Mutter konnte zwar kein Englisch, aber sie hatte gar keine Angst. Sie ist dann nach oben und hat gesagt:

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„Also so geht das nicht!“ Da wollte sich der eine schon den Montblanc Füller von meinem Vater aneignen. Der hatte schon viele Armbanduhren am Handgelenk, aus den anderen Häusern. Mit ihrer couragierten Art hat sie den wohl so eingeschüchtert, dass er den Füller tatsächlich liegengelassen hat. Nach ein paar Tagen ist meine Mutter dann wieder hoch: „Ich geh' mal gucken, was die da machen.“ Sie ist dann wiedergekommen, mit einem Stück Weißbrot und Schokolade. Von da an war das eine ständige Einrichtung [lacht]. Jetzt lacht man darüber. Aber damals war das nicht so lustig. Die haben sich abends oft betrunken und wir hatten Angst, dass die, wie die Russen, „Frau komm' “ sagen würden. Ist zwar nie passiert, aber die Angst war da. Ein halbes Jahr vor Kriegsende, da haben die Idioten von der HJ einen Damm gesprengt … Edertalsperre. Das sind etwa 200 Kilometer südlich von Hameln. Und da gab es eine riesige Überschwemmung und unser Haus stand im Wasser. Die Toiletten waren überschwemmt und aus dem Haus kam man auch nicht mehr. Da brachte uns dann die Feuerwehr das Nötigste ins Haus. Das war alles so verrückt. Dabei muss man sagen, ist es uns ja noch gut gegangen. Wir haben ja nichts verloren. Das Haus wurde uns ja wiedergegeben. Allerdings war es dann mit einer Zwangshypothek belastet. Jeder, der noch etwas gerettet hatte aus dem Krieg, also Immobilien, der musste für die Anderen mitbezahlen. Das hieß, jedes Haus bekam zur Hälfte des Verkehrswertes eine solche Zwangshypothek. In den 70er Jahren habe ich den letzten Betrag von 900 DM überwiesen. Von 1949 bis 1971, solange hat es gedauert. Irgendwie mussten ja die Leute entschädigt werden, die alles verloren hatten. Mir fällt immer wieder was ein. Meine Mutter, die gut nähen konnte, hat eine alte Hakenkreuzfahne aufgetan und mir und meiner Cousine ein rotes Dirndl daraus genäht. Da hatte die Nazifahne noch einen guten Dienst geleistet [lacht] … Hameln … Wir hatten ja den Bückeberg, den kennt heute keiner mehr, da war eine riesige Schneise und oben 'drauf Podeste. Da trafen sich einmal im Jahr die Landsmannschaften aus ganz Deutschland, in unterschiedlichsten Trachten. Da fuhren dann Adolf Hitler und Göbbels hin, auch Gö-

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ring, Hess war nicht dabei … direkt an unserem Haus vorbei, um große Reden auf dem Bückeberg zu schwingen. Vom Endsieg und der großen Zukunft. Die Zukunft spielte im BDM auch eine große Rolle, „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“, haben wir da gesungen. Beim BDM wurde ich dann irgendwann zur Führerin ernannte, nur weil ich auf der Oberschule war. Da hätte ich dann zu weiteren Treffen gehen müssen, um die Ideologie, die man weitergeben musste, noch genauer zu erlernen. Das war mir dann alles zu viel. Man hat mich dann nach vier Wochen wieder abgesetzt. Mein Vater hatte deswegen große Sorge, dass es Ärger geben könnte. Mein Onkel in Hannover war bei der Reichsbank und hat einen politischen Witz erzählt. Dafür wurde er acht Tage eingelocht und von der Gestapo verhört. Jede Nacht. Mit Schlafentzug und so weiter. Alles wegen eines politischen Witzes. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Genau. Das bedeutete nämlich, dass man auch untereinander ganz vorsichtig sein musste. Man konnte seine Meinung nicht offen sagen. Jeder hat gedacht: „Der haut' mich in die Pfanne, wenn ich meine wahre Meinung sage.“ Meine Mutter hat zum Beispiel den Feindsender gehört. Mit Decken über dem Volkssender, hat man dann die Berichte aus London gehört. Die erzählten ja auch von den verlorenen Schlachten, wenn unsere immer noch davon erzählten, dass Stalingrad gehalten wird. Dann hat man uns erzählt, dass Hören vom BBC sollte man tunlichst unterlassen, weil das gefährlich sei … die würden mit Wagen durch die Straßen fahren und könnten die Häuser anpeilen, die ausländische Sender hören würden. Ich habe das damals bezweifelt und weiß bis heute nicht, ob das technisch möglich gewesen wäre. Jedenfalls wurde es gesagt und die Leute wurden dadurch eingeschüchtert. Schlimm war das für die Soldaten, die in die Gefangenschaft kamen, nach der Schlacht um Stalingrad auf den Transporten zu Fuß starben, verhungerten … im Schnee erfroren …

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Was war denn genau dieses Stalingrad? Stalingrad war ein Regierungssitz der Russen und deshalb sehr wichtig. Darum wollte Adolf Hitler Stalingrad erobern und damit den Krieg gewinnen. Wie zu Zeiten Napoleons, der wollte das ja auch schon machen, eine wichtige russische Stadt einnehmen und damit den Krieg gewinnen. Auch er hat den Winter dort falsch eingeschätzt und hatte seine Leute nicht ausgerüstet. Und bei uns war das nicht anders. Die Russen hatten ganz einfache, primitive Fahrzeuge. Die sind durch alles durchgefahren und da konnte nicht viel kaputt gehen. Unser hochqualifiziertes Gerät war da viel anfälliger. Mein kleines einfaches Auto hält auch mehr aus, als so ein Luxusschlitten [lacht]. Eigentlich habe ich meine Kindheit als sehr schön in Erinnerung, weil ich eine intakte Familie hinter mir hatte. Die Hitlersache hat mich als Kind eher weniger tangiert. Viel schwerer habe ich die Nachkriegszeit empfunden. Nicht ideologisch. Einfach, weil es um das Überleben ging. 1946, als meine Cousine Helene noch da war, gab es einen sehr heißen Sommer und wir wollten zum Schwimmen an die Weser, obwohl man uns abgeraten hatte. Und was war? Dort war eine Gruppe polnischer Männer, die als Zwangsarbeiter in Hameln hatten arbeiten müssen und nun frei gelassen waren und die nun auch zum Baden an die Weser gingen. Und dann wollten die uns was tun. Ich war wohl noch nie so schnell angezogen. Als sie unsere Angst bemerkten und wir wegliefen, haben sie uns hinterher gelacht. Ich habe dann noch gedacht … vielleicht waren sie gar nicht so schlimm und es war alles nur ein Missverständnis. Das Schlimmste in der Nachkriegszeit war für mich das Frieren. Frieren will ich nicht, nicht mehr. Als wir aus unserem Haus 'rausgeschmissen wurden, sind wir bei einem Zahnarzt einquartiert worden. Meiner Mutter und mir wurde ein Zimmer oben unterm Dach zugewiesen. Die Ziegel dort waren nicht verputzt, die rohen Ziegeln mit groben Fugen. Wenn wir abends ins Bett gegangen sind, haben wir uns erstmal warm angezogen und einen Stein vorher auf dem Ofen erwärmt und in Zeitungspapier ins Bett gelegt. Meist am Fußende, damit man

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wenigstens warme Füße kriegte. Wenn wir morgens aufgestanden sind, war das Bettzeug total vereist. Seit der Zeit will ich nicht mehr frieren. Und dann kam die Flüchtlingswelle, als der Krieg aus war. So nach einem Jahr etwa. Die aus den ehemaligen deutschen Gebieten kamen dann aus den, von den Russen besetzten Gebieten 'rüber, viele davon aus Schlesien. Jede Wohnung musste von zwei Familien geteilt werden. Man teilte die Zimmer auf, benutzte eine gemeinsame Küche und ein gemeinsames Bad. Soweit war das nicht so problematisch. Allerdings war das Gas zum Kochen zugeteilt, mittags von 13 bis 14 Uhr gab es Gas. Es wurden dann meist Eintöpfe gemacht, alles in einem Topf zusammengegeben, was man so hatte. Es wurde nur angekocht und dann kamen die Töpfe in eine Kochkiste. Das waren Kisten, ausgestopft mit alten Kleidungsstücken oder Kissenbezügen. Das wurde dann unter die Bettdecken gestellt und ist da dann langsam gar geworden. Na ja und das Bad teilte man sich auch. Ich war damals, als die Einquartierungen kamen, so ungefähr 16, 17 Jahre. Die Flüchtlinge hatten einen jungen Mann dabei, der so 19, 20 Jahre war. Und der lief schlitternackt durch das Haus, von seinem Zimmer zum Bad und wieder zurück. Ich wusste gar nicht, wo ich hingucken sollte. Ich hatte bis dahin noch nie einen nackten Mann gesehen. Vollkommen verrückte Zeiten. 1945, da musste ich auf der anderen Weserseite zur Schule und auf der Brücke war kein Schutz. Manchmal kamen die Tiefflieger und wahllos schossen diese auf Passanten. Man versuchte dann schnell unter die Bäume zu kommen oder in einem Vorgarten Schutz zu suchen. Manchmal ist man auch einfach umgekehrt und nicht zur Schule gegangen. Das war dann eben so. Es wussten ja alle, wie das war. Na und im Winter, in diesem kalten Winter, ging das dann gar nicht mehr in der Schule.

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Fazit Mathilde L. ist mir als ein sehr fröhlicher Mensch, der sich mit seiner Lebensgeschichte auseinandergesetzt hat, aufgefallen. Die Arbeit mit ihr war sehr interessant und spannend. Sie gab mir die Gelegenheit, die Geschichte des Nationalsozialismus aus einer anderen Perspektive zu sehen. Sie konnte sich an viele Details erinnern.

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Gerhard Bögershausen, befragt von Johann Holten und Lukas Gietzelt

Biographie Gerhard Bögershausen wurde am 9. Mai 1928 in Hildesheim geboren. Sein Vater arbeitete beim Amtsgericht und seine Mutter war Hausfrau. Er hatte sieben Geschwister, von denen ein Bruder als Baby starb. 1934 wurde er in die Knabenmittelschule in Hildesheim eingeschult und machte den Realschulabschluss. Im Januar 1944 wurde Gerhard Börgershausen als Luftwaffenhelfer in den Krieg eingezogen. In Kriegsgefangenschaft geriet er bei den Amerikanern und wurde 1945, mit Ende des Krieges, entlassen. Sein Vater und zwei Brüder waren auch im Krieg. Später machte er eine Ausbildung zum öffentlichen Kommunalverwalter, spielte Theater, machte sich selbstständig und arbeitete in der freien Wirtschaft bis zu seinem Ruhestand. Geheiratet hat Gerhard Bögershausen 1954, er hat drei Töchter und sechs Enkelkinder und lebt in Hildesheim.

Interview Wie alt warst du, als der Krieg begann? Als der Krieg begann, war ich elf Jahre alt. Ich habe es übers Radio erfahren, dass der Krieg beginnt. Mein Vater wurde auch bald darauf eingezogen. Doch richtig bewusst wurde mir, dass ein Krieg bevorstand, als die jüdischen Läden in Hildesheim ausgeraubt wurden und die Synagoge brannte, das war am 9. November 1938. Da habe ich dann verstanden,

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was Krieg bedeuten würde, zumal die Propaganda in Rundfunk und Zeitungen von Gräueltaten der Polen berichteten, die an sogenannten Volksdeutschen begangen wurden. Wir haben das geglaubt, hielten es für eine plausible Rechtfertigung. Warst du in der Hitlerjugend? Ja, na klar war ich da, ich fand es zuerst toll und spannend. Es war damals so ähnlich wie heute bei den Pfadfindern. Doch als ich dann irgendwann verstanden habe, dass es eigentlich so was war, wie eine Militärschulung für Jungen und man keine Meinung haben durfte und immer gehorchen musste, fand ich es nicht mehr so gut. Doch man musste gehorchen, sonst wurde man von den anderen zusammengeschlagen oder beschimpft. Wurdest du eingezogen? Ja, im Januar 44 wurde ich mit 15 Jahren als Luftwaffenhelfer eingezogen, mit zehn anderen aus meiner Klasse und zwei Lehrern. Wir wurden in den Raum Salzgitter geschickt. Dort lebten wir in einer Baracke, um die sich ringsherum Gräben befanden. Was war deine Aufgabe dort und wie lief es da ab? Meine Aufgabe war, am Geschütz die Richtung einzustellen, in der es losschießen sollte. Es hieß K6. Es war eine mühselige Arbeit, da ich immer und immer an zwei Rädern die Richtung einstellen musste. Mit den Geschützen, die wir hatten, es waren vier, haben wir insgesamt 21 Flugzeuge abgeschossen. Das weiß ich so genau, weil wir eine Auszeichnung dafür bekommen haben. Wir waren natürlich sehr stolz darauf. Heutzutage schäme ich mich dafür, dass ich so viele Menschen in den Tod gebracht habe. Zu dem Ablauf des Tages: Also, wir standen

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immer sehr früh auf, wuschen uns mit kaltem Wasser aus Blechschüsseln und dann mussten wir mit den beiden Lehrern Unterricht machen. Am Nachmittag mussten wir dann marschieren und haben halt eine Ausbildung im Kriegswesen bekommen. Warst du die ganze Zeit des Krieges dort im Einsatz? Nein, Weihnachten 1944 wurde ich entlassen und nach Hause geschickt. Doch als ich zu Hause war, kam drei Tage danach ein Befehl, dass ich nach Raudten in Schlesien zum Arbeitsdienst musste. Als ich dann ankam, war das aber kein Arbeitsdienst, sondern auch eher eine militärische Einheit. Hast du bis dahin was von den KZs mitbekommen? Ja, da in Salzgitter war eins. Es war ein Frauenlager. Uns wurde erzählt, dass dort nur Verbrecher gefangen waren. Was natürlich totaler Stuss war, weil die Leute, die diese Frauen dort einsperrten, eigentlich die Verbrecher waren. Jedenfalls haben wir das geglaubt. Wir waren sogar mehrmals die Woche da, zum Duschen, da wir in unserer Flakbatterie keine Duschen hatten. Wir fanden das immer unfair, weil diese, wie wir dachten, Verbrecher, Duschen hatten und warmes Wasser und wir kämpften für unser Land und hatten keine Duschen, geschweige denn warmes Wasser. Das war aber auch das einzige KZ, was ich gesehen habe. Wie lange warst du dort, beim Reichsarbeitsdienst? Ich war dort nicht lange, an das Datum kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich bekam den Befehl, nach Bunzlau, mit drei anderen Kameraden, zu gehen. Das Problem war, das es Winter war und wir weder die Ausrüstung hatten, noch genügend Verpflegung und ihr könnt euch be-

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stimmt vorstellen, wie es ist, über mehr als 100 Kilometer ohne Wintersachen bei minus 20 Grad und in meterhohem Schnee zu wandern. Als wir dann Bunzlau erreicht haben, wurden wir von dort nach München geschickt. Auf dem Weg dorthin waren wir auch in Lauban, in der Nähe von Bunzlau und wurden von den russischen Soldaten umzingelt. Eine deutsche Einheit, die auch dort lag, schlug mit ihren Panzern eine Schneise durch die russischen Reihen und wir wurden nachts mit Tausenden von Flüchtlingen in Güterwaggons aus der Stadt gebracht, nach Dresden. Später, nach dem Krieg habe ich dann erfahren, dass mein ältester Bruder zu dieser Einheit gehörte und somit zur selben Zeit mit mir in Lauban gewesen ist. In Dresden lagen wir auf dem Militärflughafen, vor der Stadt und mussten uns Löcher graben, was wegen des gefrorenen Bodens extrem schwierig war. Auf dem Flughafen lagen Stukas. Am 13. Februar 1945 gab es Fliegeralarm und die Alliierten flogen auf Dresden zu. Wir konnten sehen, wie sie Lichtraketen, die wie Tannenbäume aussahen, abwarfen und Dresden lag im hellsten Licht da. Dann warfen sie ihre Bomben auf die Stadt und wir hockten in unseren Erdlöchern und die Erde bebte. Wenn ich in der Stadt gewesen wäre, würde ich heute nicht mehr leben. Nach München sind wir dann mit einem Güterzug gefahren. Was musstest du in München machen? In München wurde ich als Gebirgsjäger eingeteilt, worüber ich sehr glücklich war, denn uns wurde erzählt, man dürfte dort in den Bergen 'rumklettern und wir würden eine sehr gute Uniform bekommen. Also, Uniformen waren zu dieser Zeit das Begehrteste, was es gab, jedenfalls für uns. Man maß sich damit mit anderen und deshalb waren wir halt sehr glücklich über den Gebirgsjägereinsatz. Warst du nach oder im Krieg in Gefangenschaft?

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Ja, ich war, nachdem wir in München waren und uns dort erzählt wurde, das der Krieg bald zu Ende sei, nach Hause geschickt worden. Das war natürlich einfacher gesagt als getan, weil wir ja aus Hildesheim kamen und in München waren. Wir sind dann aber einfach losmarschiert. Wir waren insgesamt drei Leute. Wir haben uns dort auch sehr gut angefreundet. Um jetzt auf die Frage zurückzukommen, jedenfalls sind wir dann in Bayern von den Amerikanern überrascht worden. Sie haben uns drei natürlich auch gefangen genommen, da wir ja noch die Uniformen trugen. Wir hatten aber eigentlich ziemliches Glück, weil wir ja, ich sage mal, nur in amerikanischer Gefangenschaft waren. Das war aber Luxus, im Gegensatz zu russischer Gefangenschaft. Wie lange warst du in Gefangenschaft? Ich war zum Glück nur bis Kriegsende in Gefangenschaft. Wir waren ja da auch erst 16 Jahre alt und total dürr und schmächtig, total ausgehungert. Das Beste, was dort passierte, war, dass der Krieg genau an meinem Geburtstag zu Ende war, am 9. Mai 1945 und wir an dem Tag auch entlassen wurden, das war wie ein sehr großes Geburtstagsgeschenk für mich und natürlich auch für alle anderen Menschen.

Fazit Wir haben ein Interview gemacht und einen älteren Menschen zum Krieg befragt. Durch das Interview konnten wir viel lernen und Einblicke bekommen, wie es zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gewesen ist. Uns hat die Zusammenarbeit sehr viel Spaß gemacht und wir waren uns einig, dass wir offen alle Fragen stellen wollten, die uns interessierten. Wir merkten auch, dass uns das Interview nicht unberührt ließ, da wir uns auch mit Mitschülern aus den anderen Gruppen austauschen wollten

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und wir viel diskutiert haben. Unsere Sorge war, dass unser Zeitzeuge, unter dem Druck der Vergangenheit, vielleicht sehr emotional reagieren würde, doch wir hatten den Eindruck, dass er glücklich war, uns seine Erfahrungen und Erlebnisse mitgeteilt zu haben. Es war ihm wichtig, dass wir aus seinem Bericht lernen sollten, dass der Krieg für alle schrecklich ist und nichts ihn rechtfertigt. Für uns bedeutet das, dass wir unser nun erworbenes Wissen weitererzählen, um die Erinnerung an diesen schrecklichen Krieg aufrecht zu erhalten. Es ist schrecklich, dass es immer noch Menschen gibt, die die furchtbaren Taten von Hitler und den Nazis leugnen. Da kann man nur alle noch lebenden Zeitzeugen befragen, um das Gegenteil zu beweisen.

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Elfried K., befragt von Max Olimart, Arne Benesch und Jacob Ernst

Biographie Unsere befragte Zeitzeugin heißt Elfried K., geboren 1926. Elfried K. verbrachte ihre Jugend in Klosterfelde, einem Dorf östlich von Landsberg an der Warthe, das östlich an die Oder grenzt. Später war sie eine Zeit im Arbeitsdienst und flüchtete mit ihrer Familie nach Schleswig-Holstein und wurde dort landwirtschaftliche Lehrerin an der Rendsburger Berufsschule. Elfried K. führt ein gemütliches Leben, in einem schönen Haus und besitzt einen kleinen Rauhaardackel namens Tobbi.

Interview Also, Sie heißen Elfriede K.? Ja, Elfried heiß ich, ohne e am Ende. Elfried? Ach so. Da bekamen meine Kinder oft 'nen Fehler angestrichen, in der Schule. Und ... wie alt sind Sie jetzt? 83.

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In Ihrer Jugend, wo haben Sie denn da gewohnt? In der Neumark, Mark Brandenburg. Also östlich von Landsberg an der Warthe, die in die Oder mündet. Das war eine größere Stadt bei uns und grenzte östlich an die Oder. Neumark an der Oder? Neumark, also die Gegend hieß Neumark, der ganze Landstrich. Wo ist das ungefähr in Deutschland, so in der Mitte? Nein, mehr im Nordosten. Also ... südlich von Pommern. Pommern grenzt ja an die Ostsee und die Neumark war Teil von der Mark Brandenburg, südlich von Pommern. In Ihrer Jugend, wie haben Sie Hitler denn damals so wahrgenommen? Ich bin im Dorf aufgewachsen. Mein Vater war Bauer. Und mein Vater war an und für sich kein Anhänger von Hitler. Wir mussten in der Schule vor und nach den Ferien die Fahne hochziehen und wieder einziehen. Ich hatte keine Uniform und da hab' ich sehr 'drum kämpfen müssen. Aber irgendwie haben wir es doch gut überstanden, also ohne Schwierigkeiten. Die hat mein Vater nicht bekommen, letzten Endes. Er hat sich auch sehr zurückgehalten. Mein Vater war schon vor 33 in der Partei und er ist vor 33, vor der Machtübernahme, wieder ausgetreten aus der Partei. Er war ... Parteimitglied in der NSDAP? Vor 33, bevor Hitler an die Macht kam und bevor Hitler an die Macht kam, ist er schon wieder ausgetreten.

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Weil er das nicht gut fand? Er ist ausgetreten, weil er das nicht gut fand. Ein Onkel von mir, der war Bürgermeister im Dorf, er war ein großer ... Hitlerfreund, wollen wir mal sagen. Der ist nachher von den Russen auch erschossen worden und seine Tochter auch und die haben da bös ... gehaust. Also Sie haben auf einem Dorf gelebt und das eher nicht so mitgekriegt und... Da haben wir nicht viel mitbekommen, vom Krieg ... letzten Endes ... nein. Erst als die Russen kamen, mussten wir flüchten. Als die Russen kamen mussten sie fl... Da war ich schon im Arbeitsdienst. Das ging schon los mit den Jungs in der Schule, die elfte Klasse hatten wir beendet und wollten die Versetzung in die zwölfte, die letzte Klasse. Und dann wurden die Jungen eingezogen, als Flakhelfer. Die waren alle so 17, 18 Jahre alt und wir waren nur zwei Mädchen. Wir kamen dann in den Kriegshilfsdienst, wir mussten Berliner Kinder beaufsichtigen, auf Usedom. Und nach den Ferien wurden wir eingesetzt, wir sollten den Ostwall schippen. Da wurden die Frauen und die Männer, na ja die Männer waren ja alle Soldaten, die, die nicht Soldat waren und irgendwo gehen konnten, die wurden dann eingesetzt, die sollten den Ostwall schippen. Gräben ausheben, wo sich die Panzer, die russischen Panzer, festfahren sollten. Im Großen und Ganzen ja lächerlich. Das war der reinste Hohn. Die Gräben, die die Frauen da ausgehoben hatten, die nahmen doch die Panzer wie nichts! Es hat sich auch keiner festgefahren. Also, ein 400 Kilometer langer Graben, an der Grenze von Deutschland entlang?

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Nein, das war nicht so ein langer Graben. Wie groß waren denn die Gräben? Ach, unterschiedlich. Vielleicht ... zwei Meter breit, müssen die gewesen sein. Und wie tief? Ein Meter vielleicht oder anderthalb. Da konnten wir ja nur die Erde 'rauswerfen. Es waren ja noch nicht mal Hindernisse für die Frauen. Also wurden wir da eingesetzt, dann war ich da ein paar Wochen und dann kam ich in den Arbeitsdienst, nach Schlawe. Nemitz hieß das Dorf, bei Schlawe in Pommern und da war ich dann bis ... Ende Januar, ja im Januar war das noch, Ende Januar muss das gewesen sein. Als die Russen nun näher kamen, da sollte unser Lager nach Thüringen ausgelagert werden. Aber die meisten von uns, von den Mädels, die kamen aus dem Rheinland, die sind alle nach Hause gefahren, wir waren vielleicht noch vier oder fünf, die nach Thüringen ins Lager gegangen sind. Das war eine abenteuerliche Fahrt, es gab ja keine Fahrpläne, es gab ja nichts mehr. Und die Züge total überfüllt von Flüchtlingen, mit ihren ganzen Sachen, die sie noch so bei sich hatten. Das ganze Gepäck, da war ja kaum 'reinzukommen in die Züge. Wenn die Züge in größere Städte kamen, Erfurt zum Beispiel, fuhren sie ja auch nicht durch, weil die Schienen total zerbombt waren. Dann hielten sie vor der Stadt und wir mussten durch die Stadt laufen. Am anderen Ende der Stadt, wenn wir Glück hatten, stand wieder ein Zug da, dann konnten wir weiterfahren. Aber es war völlig chaotisch. Immer noch die Angst, dass Luftangriffe kommen konnten, aber da hatten wir Glück gehabt, da kamen keine. In welchem Jahr war das jetzt?

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45 war das noch. Dann kam ich nach Thüringen ins Lager, es war ein Barackenlager. In Schlawe war auch ein Barackenlager, es war ziemlich einfach in Schlawe, mit so einem kleinen Eisenofen 'drinnen, na ja, aber es ging ja alles. Und dann haben wir immer große Angst gehabt in Thüringen, wenn Flugzeuge 'rüberkamen. Wir hatten immer Angst, es könnten feindliche Flugzeuge sein. Dann haben wir uns alle hingeschmissen und versteckt, Kopftücher abgenommen, damit sie uns nicht sehen sollten. Da waren wir alle ein bisschen hysterisch in der Zeit, weil wir Angst hatten. Und da war ich dann bis April. Dann sollte das Lager aufgelöst werden und wir sollten alle in den Kriegshilfsdienst kommen, in Munitionsfabriken arbeiten. Doch dann hatte mir mein Vater …, die Eltern waren auch geflüchtet, mit Pferd und Wagen, mein Vater hatte das Auto noch mitgenommen, wir hatten Adressen ausgemacht, in Berlin und Osnabrück. Da haben meine Eltern hingeschrieben, und ich hab' hingeschrieben. Und dadurch wussten meine Eltern, wo ich war. Meine Eltern bekamen meine Adresse und dann besorgte mein Vater mir eine Lehrstelle auf einem Gut in Mecklenburg. Meine Eltern waren mittlerweile nach Mecklenburg gefahren. Bei Güstrow, auf einem Gut waren sie da. Und daraufhin wurde ich entlassen, dann brauchte ich nicht in den Kriegshilfsdienst. Dann konnte ich zu meinen Eltern nach Güstrow fahren. Und da waren wir dann ... bis Ende April. Das war auch so aufregend, auf einmal hieß es, da wären russische Fallschirmspringerinnen von den Russen abgesetzt worden. Dann wurden die Männer, die da noch waren, eingesetzt. Die sollten nun diese, schwer bewaffneten und gut ausgerüsteten, Russinnen gefangen nehmen. Russinnen, also Frauen? Ja, russische Soldatinnen. Also Frauen, hieß es damals immer. Mein Vater und ich, wir gingen auch nur auf den Hauptwegen, wir wollten uns nicht auch noch totschießen lassen. Wir wären da ja gar nicht gegenangekommen. Die waren alle so gut ausgerüstet. Mein Vater freundete sich

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mit dem Gutsbesitzer an. Ein sehr großes Gut war das, die hatten noch ein oder zwei kleinere Güter nebenbei und er durfte dort auf Jagd gehen, mein Vater war Jäger. Dann sind wir abends los, mein Vater hat mich immer mitgenommen und man merkte schon, die Russen, die kreisten schon über uns. Dann hat mein Vater ein Wildschwein geschossen und wir mussten es auch nach Hause tragen. Mein Vater hat das Fell abgezogen, die Decke abgeschlagen, sagen die Jäger. Er hat die Hinterkeulen und ich den vorderen Teil genommen, wir hatten Rucksäcke mit und dann sind wir damit los. Wenn die russischen Flugzeuge kamen, rief mein Vater: „'Runter.“ Wir schmissen uns auf die Erde, damit sie uns nicht sehen sollten. Wenn sie vorbei waren, sind wir wieder hoch, wieder gelaufen, bis sie dann wieder zurückkamen, dann mussten wir wieder 'runter. Das ging ein paar Mal so. Insgesamt sind wir zwei Mal losgegangen, einmal, das erste Mal und beim zweiten Mal haben wir noch den Rest geholt. Man hatte ja auch nicht viel zu essen damals. Es war ja auch die Not groß. Meine Mutter bekam noch Salz von dem Gut und konnte das Fleisch einsalzen. Da waren wir dann, bis die Russen über die Oder gingen. Als die Russen über die Oder kamen, da sagte mein Vater: „So, jetzt müssen wir los, jetzt müssen wir weiter.“ Wir hatten gehört von einem Bekannten, der war hier in Borgstedt untergekommen. Dann sind wir dahin gefahren, mit Pferd und Wagen. Das war 45. Und den Wagen fuhr ein polnischer Arbeiter. Er war Deutsch-Pole. Sie hatten damals für Polen gestimmt, waren kleine Bauern gewesen und bekamen so die polnische Staatsangehörigkeit, aber im Grunde genommen war er Deutscher. Sprach fließend deutsch. Er fuhr den Wagen. Mein Vater ist mit dem Auto immer vorgefahren und hat bei irgendeinem Bauernhof haltgemacht und wenn wir irgendwo ankamen, dann konnten wir die Pferde dort versorgen und wir konnten auch kochen oder wir bekamen da was. Einmal kamen wir unter Fliegerbeschuss. Wir waren in eine Kolonne geraten, von mehreren Wehrmachtsfahrzeugen. Dann haben Tiefflieger die Kolonne beschossen, den Zug. Aber uns haben sie nichts getan. Ob sie so genau gezielt haben oder ob es Zufall war? Wir sind dann

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alle 'raus und haben uns hinter dem Knick versteckt. Der Pole auch und meine Großmutter konnte gerade noch die Zügel greifen, sonst wären die Pferde durchgegangen und ist mit ihnen auf die Wiese gefahren. Meinem Vater war eine Pistole vor die Füße gefallen, die hat er mitgenommen. Wo die geblieben ist, weiß ich gar nicht mehr. Ich hab' die hinterher gar nicht mehr gesehen. Da hatten wir auch ein bisschen Angst. Dann kamen wir hier nach Rendsburg und wollten nun nach Borgstedt, da wollten sie uns nicht 'rüberlassen, über den Kanal. Sie sagten, Schleswig-Holstein wäre total überfüllt und wir könnten nicht unterkommen. Aber mein Vater hat es geschafft, dass wir durchkamen, so kamen wir nach Borgstedt. Meine Eltern mit Pferd und Wagen, mein Vater mit dem Auto und da haben wir dann erstmal gelebt, im Sommer. Ich kam in eine Stellung bei einem Bauern in Groß Wittensee. Das war auch ein großer Nationalsozialist gewesen. Da waren wir zwei Mädchen, also im Haushalt hab' ich da gearbeitet. Eines Nachts kamen die Engländer, da hatten wir große Angst, sie kamen 'rein und haben das ganze Haus durchsucht, in unserem Zimmer waren sie auch 'drinnen. Mit der Taschenlampe haben sie uns beleuchtet, ich schlief mit einem anderen Mädel zusammen in einem Zimmer, das ganze Zimmer ausgeleuchtet und den Bauern haben sie dann mitgenommen, den haben sie abgeführt. Da wurde hinterher gesagt, er war Gast beim König von England. Er wurde inhaftiert. Als er zurückkam, war ich nicht mehr da. Und da war ich dann bis zum Herbst. Dann ging ich zur Landwirtschaftsschule, hier in Eckernförde. Abitur zu machen, war ja nicht mehr möglich, mittlerweile waren 13 Jahre eingeführt worden, ich hatte ja nur elf Jahre, dann hätte ich noch zwei Jahre zur Schule gehen müssen. Das war ja nicht mehr 'drin, damals. Danach wurde ich landwirtschaftliche Lehrerin. Ich war ein Halbjahr da in Eckernförde, ein Halbjahr in Glücksburg auf der Landfrauenschule und ein Jahr in Stade, auf der Oberklasse der Landwirtschaftsschule. Danach war ich ein Jahr in Schweden, auf einem Gut und anschließend in München, am Staatsinstitut für den landwirtschaftlichen Unterricht. Dort war ich ein Jahr, dann kam ich nach Segeberg, ein

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Probejahr mit anschließendem Staatsexamen als landwirtschaftliche Berufsschullehrerin. Anschließend kam ich nach Rendsburg an die Berufsschule. Mein Mann hat in der Landwirtschaftsschule in St. Michaelisdonn gearbeitet und er hat sich hierher, nach Rendsburg, versetzen lassen. Von den Jungs, von meinen Klassenkameraden, hab' ich von zweien gehört, dass sie mit dem Leben davongekommen sind, mehr weiß ich nicht, aber von zweien hab' ich gehört. Die waren ja alle eingezogen worden, sofort. Die waren so alt wie ihr ungefähr, etwas älter, 17 bis 18. Und, wurde Ihr Vater nicht eingezogen? Nein, der wurde nicht eingezogen. Mein Vater hat eine schwere Rippenfell- und Lungenentzündung gehabt, die Lunge wurde ein bisschen angegriffen, der wurde nicht eingezogen. Und er hatte auch das Auto behalten. Er hat immer argumentiert, wenn irgendein Krankheitsfall eintritt, müsste mindestens ein Auto in der Gemeinde sein. Das haben sie irgendwie akzeptiert und mein Vater konnte das Auto behalten. Benzin hatten wir noch ein ganzes Fass voll. Mein Vater kaufte ja immer ein ganzes Fass Benzin und hat dann selber das Auto aufgetankt. Hat Hitler Ihrer Meinung nach auch irgendwas Positives gemacht? Bei Hitler gab es weniger Verbrechen als heute, die ganzen Überfälle, die gab es nicht. Er hat ja ein eisernes Regiment geführt, Hitler, und die Autobahnen gebaut. Wir sagten immer, die hat er nur für den Krieg gebaut. Es wurde auch behauptet, dass die Flugzeuge dort landen konnten, auf der Autobahn, das ging so um. Und ... noch irgendetwas? Er hat Kraft durch Freude eingerichtet, es gab keine arbeitslosen Bettler, es hatten alle Arbeit. Aber es dufte auch keiner irgendwie aufmucken, sonst kam man ins KZ. Also ich habe nichts vom KZ gewusst. Irgendwer hat mal erzählt, dass irgendwo jemand abgeführt worden war, aber Genaueres wussten wir nicht. Bei uns waren auch keine Lager in der Gegend. Er

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hat dann ja auch Kraft durch Freude eingerichtet, dass die Arbeiter in den Urlaub fahren konnten, aber ansonsten ... war er größenwahnsinnig. Und in der Nachkriegszeit, was haben Sie da so den ganzen Tag gemacht? - Und hatten Sie Probleme, zum Beispiel mit Nahrung? An und für sich nicht. Wir hatten ja Sachen von zu Hause mitgenommen und mein Vater hatte das Glück und konnte dann gleich einen Bauernhof pachten, in Ahlefeld. Das ganze Land war einzeln verpachtet, wir hatten nur eine Koppel und vier Kühe zu Anfang, dadurch hatten wir Milch. Aber was wir nicht hatten, waren Kartoffeln, die haben uns sehr gefehlt. Auf dem Bauernhof waren keine Hühner, kein Geflügel, keine Schweine, da war gar nichts. Nur die vier Kühe, die zur Weide gingen, aber irgendwie kamen wir da ganz gut durch. Waren Sie eigentlich schon wahlberechtigt, zu der Zeit von Hitler? Ich kann mich an keine Wahl erinnern. Ich weiß es nicht. Wie war Ihre Einstellung, waren Sie auch nationalsozialistisch zu der Zeit? Nein, ich wurde ja von meinen Eltern beeinflusst. Und dann war das so bei mir, Klosterfelde hieß das Dorf, das lag fünf Kilometer entfernt von Woldenberg, das war eine Kleinstadt. Und von Woldenberg bin ich dann nach Friedeberg zur Oberschule gefahren. Also Woldenberg hatte nur eine Mittelschule und Friedeberg hatte eine Oberschule für Jungs und eine Mittelschule für Mädchen. Und wir Woldenberger durften zwei Jahre auf der Mittelschule bleiben und kamen dann mit dem dritten Oberschuljahr, das 7. Schuljahr muss das gewesen sein, da durften wir wechseln, zur Oberschule. Auf der Mittelschule hatten wir ja auch schon Englisch, also ich meine, das ging. Wir mussten wechseln, wenn wir zur

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Oberschule wollten. Dann hatten wir Latein ... Englisch und Latein. Und die Klasse über uns, die hatten als erste Fremdsprache Französisch, aber dann auch Latein. Es konnte praktisch keiner sitzenbleiben. Das hätten sie nie geschafft, Englisch nachzuholen. Dadurch gehörte ich auch nirgendwo hin, im Sommer bin ich mit dem Rad gefahren, nach Woldenberg und mit dem Bus weiter nach Friedeberg. Im Winter bin ich in Woldenberg geblieben, bei einer Freundin, da hatte ich natürlich auch Heimweh. Ich gehörte praktisch nirgendwo hin. Im Sommer hier, im Winter da. Haben auch alle aus Ihrer Familie den Krieg überlebt? Nein, längst nicht. Der Bruder von meiner Mutter ist erschossen worden und seine Tochter, die Inge, ein Mädel von 16 Jahren, die haben sie aus dem Misthaufen ausgegraben, sie ist von den Russen vergewaltigt worden und umgebracht. Und ein Bruder von ihr, Dietrich hieß der, mein Cousin, der ist auf dem Baltikum verschollen. Eine Schwester von meiner Mutter wurde auch erschossen und hingerichtet. Nein, es haben längst nicht alle überlebt, da haben wir schwere Verluste erlitten. Wussten Sie das mit den Juden? Ja, daran kann ich mich erinnern. Wir hatten einen kleinen Judenladen, so einen Stoffladen. Da kaufte meine Großmutter immer Schürzenstoff. Ich kann mich noch erinnern, an die Kristallnacht. Als wir am Morgen zur Schule kamen, mussten wir an der Synagoge vorbeifahren. Ich erinnere mich, dass dort alles voll Scherben lag. Aber dass die ins KZ mussten, dass wussten Sie nicht oder? Die sind alle abgeholt worden. Doch, das wussten wir, dass sie wegkamen, aber Genaueres wusste keiner. Ich hab's nicht erfahren. Das wusste

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auch keiner so genau. Und in der Schule war's ja so, vor dem Unterricht, der Klassensprecher stand in der Tür bis der Lehrer kam und wenn der Lehrer ankam, rief der Klassensprecher: „Achtung“, dann nahmen wir alle den rechten Arm hoch und riefen: „Heil Hitler.“ Dann durften wir uns setzen. So ging das bei uns damals. Ob auch auf den anderen Schulen, das weiß ich nicht, aber bei uns war das so. Wenn das Schuljahr zu Ende war, mussten wir alle zu zweit antreten, dann wurde die Flagge eingezogen und wenn das Schuljahr neu begonnen hatte, wurde sie wieder gehisst. Eine Deutschlandfahne, oder ’ne...? Deutschlandfahne. Aber keine Hakenkreuzfahne? Doch, die Hakenkreuzfahne, die Heil-Hitler-Fahne, war ja damals die Deutschlandfahne.

Fazit Wir haben das Gefühl, dass unsere Zeitzeugin die Erlebnisse und Geschehnisse korrekt wiedergegeben hat und uns einen wertvollen Einblick in die, vom Zweiten Weltkrieg geprägte, Zeit vermitteln konnte.

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Arno Teschner, befragt von Lukas Teschner, David Atasu, Fabian Happach und Constantin Schneider

Biographie Arno Teschner wurde am 6. Mai 1930 in Ostpreußen geboren. Ende 1945 wurde er von dort vertrieben. Nach der Flucht wohnte er mit seiner Familie im Münsterland in Nordrhein-Westfalen. Er studierte Jura, war später Direktor des Amtsgerichts Ahaus und lebt auch heute noch in Ahaus in Nordrhein-Westfalen.

Interview Wie hat Ihre Familie vor dem Krieg gelebt? - Wie ging es Ihnen finanziell? Uns ging es recht gut, auch wenn wir bescheiden gelebt haben. Mein Vater war Zahnarzt in der Stadt Liebstadt in Ostpreußen. Er stammte aus einer Familie mit 13 Kindern. Die Eltern hatten einen großen Bauernhof mit rund 600 Morgen Land. Die Großeltern mütterlicherseits besaßen einen Kolonialwarenladen, mit Kohlenhandlung und Tankstelle. Ein Bruder meines Vaters war Chefarzt in einem Krankenhaus in Berlin. Wir haben Reisen gemacht, etwa nach Königsberg und Danzig. Im Sommer machten wir meist vier Wochen Urlaub an der Ostsee. Wie war Ihr schulischer Werdegang und wie lief Ihr Schulalltag vor dem Krieg ab?

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Mit sechs Jahren kam ich in die Volksschule, dann zwei Jahre in die Mittelschule. Liebstadt hatte kein Gymnasium. Deshalb kam ich mit zwölf Jahren, das war 1942, während des Krieges, in das Gymnasium in der 80 Kilometer entfernten Stadt Rößel. Dort wohnte ich bei meinem Patenonkel, der Tierarzt war. Er war zehn Jahr älter als mein Vater und musste nicht mehr als Soldat in den Krieg. Der Schulalltag war eigentlich ganz normal. Wir haben auch Streiche gemacht, sind sogar mal eine Stunde ausgerissen, das gab dann einen blauen Brief nach Hause. Allerdings waren wir im Unterricht ganz still und haben nicht geschwätzt, das war wohl anders als heute. Weil fast alle Männer und damit auch die Lehrer im Krieg waren, sind wir vornehmlich von alten, auch schon pensionierten oder kranken Lehrern und von Lehrerinnen unterrichtet worden. Ich hatte auch Hobbys. Klavierspielen, Stenographie und Bücher lesen. Außerdem war ich Messdiener in der katholischen Kirche. Bekamen Sie etwas von der Judenverfolgung in Liebstadt mit? Von Judenverfolgung haben wir damals nichts mitbekommen. Allerdings gab es damals in Liebstadt nur sehr wenige Juden und keine Synagoge. Die Juden waren dann während des Krieges irgendwann weg. Uns Kindern ist das nicht sehr aufgefallen. Wie war Ihre Einstellung zu Hitler und die Ihrer Familie? - Änderte sich Ihre Einstellung zu Hitler und wenn ja, warum? Meine Großmutter und mein Vater waren schon recht früh Hitlergegner. Meine Mutter war eher eine Mitläuferin. Einer meiner Onkel war ein entschiedener Nazianhänger und grüßte stets mit: „Heil Hitler.“ Ich selbst begann leise zu zweifeln, als das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 bekannt wurde. Auch in der Schule war die Einstellung der Mitschüler sehr unterschiedlich. Ich erinnere mich aber, dass wir zum Ende des Krieges unter der Hand schon Hitlerwitze erzählten, obwohl das

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nicht ungefährlich war. Einer ging etwa so. Ein altes, fast blindes Mütterchen steht unter einem Wegkreuz und murmelt: „Gelobt sei Jesus Christus.“ Da kommt ein Nazi vorbei und sagt laut zu der alten Frau: „Das heißt Heil Hitler.“ Darauf antwortet die Frau: „Hängt der da schon oben?“ Bemerkten Sie, dass übertrieben propagiert wurde? Wir wurden ständig, vor allem über Sondersendungen im Radio und im Kino, mit Nazipropaganda berieselt. Immer wieder gab es Sondermeldungen über große Siege. Das ging bis ganz zum Schluss des Krieges so. Bekamen Sie etwas vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit? Vom Widerstand habe ich zum ersten Mal etwas mitbekommen, als im Radio über das gescheiterte Attentat auf Hitler berichtet wurde, also am 20. Juli 1944. Das war übrigens bei uns in Ostpreußen, wo Hitler sich damals aufhielt. Wurde Ihr Vater eingezogen? Mein Vater wurde schon kurz vor Kriegsbeginn, Ende August 1939, als Kriegszahnarzt eingezogen. Das lag wahrscheinlich daran, dass er nicht in der Partei war. Er war die ganzen sechs Jahre im Krieg. Zu Beginn war er 41 Jahre alt und hatte schon zwei Jahre Kriegsdienst im ersten Weltkrieg hinter sich. Wie viele Bekannte von Ihnen wurden eingezogen? Fast alle Väter von meinen Freunden und Bekannte und aus unserem Ort sind eingezogen worden, auch ältere Geschwister. Nur der wesentlich ältere Bruder meines Vaters, mein Patenonkel in Rößel, nicht.

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Bekamen Sie viel vom Krieg mit? - Wenn ja, auf welchem Wege? Über Zeitungen, Radio und Wochenschau bekamen wir schon ständig etwas vom Krieg mit. Außerdem haben wir natürlich unseren Vater vermisst, der uns in vielen Briefen von den Ereignissen berichtete und manchmal auch Urlaub hatte. Wie änderte sich der Schulalltag im Krieg? In der Schule änderte sich im Krieg zunächst nur insoweit etwas, als wir anderer Lehrer hatten. Der Tag wurde immer mit „Heil Hitler“ begonnen. Erst im letzten Kriegsjahr fiel dann zunehmend Unterricht aus oder wir waren während des Unterrichts für Arbeiten, wie das Ausheben von Gräben um den Ort, eingesetzt. In Rößel wurde das Gymnasium im letzten Jahr in ein Lazarett umgewandelt. Schulunterricht fand dann in anderen Häusern statt. Hatten Sie während des Kriegs einen guten Freund? Ich hatte im Gymnasium mehrere gute Freunde. Einer meiner besten Freunde hat ein paar Tage vor Kriegsende als Meldebote einen Bauchschuss erhalten und starb dann. Damals herrschte in Ostpreußen großes Chaos. Einem anderen Freund war Anfang 1945 die Flucht aus Ostpreußen, über die Ostsee nach Dänemark, gelungen. Er hatte es dort recht gut, ging auch auf eine Schule. Wir haben uns nach dem Krieg wieder gesehen. Sahen Sie einen Unterschied zwischen den polnischen und den russischen Soldaten? Bei der Besetzung Ostpreußens und auch meiner Heimatstadt Liebstadt, ab Ende Januar 1945, waren zunächst nur russische Soldaten da, später

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kamen dann polnische Zivilisten, die ihrerseits aus ihrer Heimat vertrieben waren und nun Ostpreußen besiedeln sollten. Es gab, ab der Besetzung durch die russischen Soldaten und die Kämpfe in diesem Zusammenhang, in unserem Ort, in Liebstadt, wo ich damals mit meiner Familie war, sehr viel Tote. Ich habe zahllose tote Menschen, aber auch viele tote Tiere gesehen. Es war eine große Katastrophe, schon bevor die Russen kamen. Aber danach wurde es für uns sehr schlimm. Vorher war Liebstadt noch fast unzerstört. Als die Russen kamen, wurde der größte Teil des Ortes zerstört, Häuser in Brand gesteckt, Frauen vergewaltigt und viele Menschen erschossen. Fast 80 Prozent des Ortes wurden zerstört. Wie war Ihre Ernährung während des Kriegs und nach dem Krieg? Die Ernährung war bis ins letzte Kriegsjahr eigentlich gut. Schlimm wurde es nach dem Einmarsch der Russen. Das Vieh wurde von ihnen zusammengetrieben und von russischen Frauen dann in großen Herden Richtung Russland geführt. Innerhalb kürzester Zeit gab es keine Milch mehr, bald auch kaum noch Fleisch und kein Fett. Zudem war es bitterkalt. Wir Jungs streiften ständig umher, um irgendwo etwas Essbares aufzutreiben. Wann endete die Flucht? - Wann fühlten Sie sich nach dem Krieg erstmals wieder zu Hause? Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende war, war ich 15 Jahre alt. Wir waren mit wenigen Deutschen in Liebstadt geblieben, wo nun immer mehr polnische Flüchtlinge sich niederließen. Im November 1945 erhielten wir Deutschen vom einen Tag auf den anderen den Befehl, die Stadt zu verlassen. In einem Fußmarsch von 16 Kilometern mussten wir zum nächsten Bahnhof. Mitnehmen konnten wir fast nichts. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt, durch die Kämpfe und Plünderungen, auch schon fast alles

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verloren. Am Bahnhof wurden wir mit etwa 2 000 Deutschen in Viehwaggons verladen. Es war extrem eng und wir bekamen nichts zu essen und trinken. Die Fahrt bis zur Oder-Neiße-Grenze dauerte 14 Tage. Wenn wir irgendwo standen, haben wir Jungs versucht, etwas zu essen zu organisieren. Wir haben die umliegenden Felder abgegrast, aber viel war da nicht mehr zu holen. Einmal habe ich mein Hemd gegen ein Brot tauschen können. Mindestens 200 Menschen sind auf dem Transport gestorben. Wir haben gelernt, mit Feuersteinen Feuer zu machen. Am Ende sind wir nach diesem schrecklichen Transport in ein Auffanglager gelangt, wo es auch nicht viel besser war. Stundenlang mussten wir für einen kleinen Teller Suppe anstehen. Mein fünfjähriger Bruder Konrad bekam immerhin einmal ein Brot und sogar 100 Gramm Butter. Wir hatten ständig Hunger. Über viele weitere Orte gelangten wir weiter Richtung Berlin. In einem Ort ging meine Mutter zu einem Zahnarzt, der dort eine Praxis hatte. Zu unserer großen Freude kannte er meinen Vater und wusste, dass dieser den Krieg überlebt und nach kurzer Gefangenschaft in den Westen entlassen worden war. Wie viele Ihrer Familienmitglieder haben den Krieg überlebt? Viele meiner Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten haben den Krieg nicht überlebt. Ein zwölfjähriger Cousin starb 1945 in unserem Haus bei einem Angriff. Mehrere Frauen und Männer aus meiner Verwandtschaft wurden nach Russland in Gefangenschaft und Zwangsarbeit geführt und kamen nicht zurück oder, wie ein Onkel, nur schwer erkrankt zurück. Er starb drei Wochen nach seiner Rückkehr. Meine beiden Brüder und ich haben mit unseren Eltern, wie durch ein Wunder, überlebt. Haben Sie nach dem Krieg Ihre alte Heimat besucht? - Wenn ja, was hat sich verändert?

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Ich war mehrfach wieder in Ostpreußen. Das erste Mal etwa Mitte der 80er Jahre. Ein polnischer Taxifahrer hat mich in meinen Heimatort gebracht. Dort habe ich mein Elternhaus wiedergefunden. Es war erweitert und zu einem Kindergarten umgebaut. Die Leiterin hat mich durch das Haus geführt. Als ich Jahre später wieder dort war, befanden sich im Haus mehrere Wohnungen. Ich wurde beide Mal dort sehr freundlich behandelt. Haben Sie nach dem Krieg Bekannte aus Liebstadt wiedergetroffen? Ich habe mehrere Bekannte aus Liebstadt später wieder getroffen, darunter unser altes Hausmädchen. Was haben Sie vom Krieg zurückbehalten? Ich habe lange gebraucht, um mich nach dem Krieg und der Flucht wieder zu Hause zu fühlen. Meinen Vater haben wir in Darfeld im Münsterland wieder getroffen. In der Nähe, im Dorf Holtwick, hat er eine neue Zahnarztpraxis eröffnet. Ich habe in der ersten Zeit kaum reden können, meine Stimme hat gezittert. Während der Zeit, ab Anfang 1945 bis zum Ende der Flucht im Dezember 1945, habe ich mehrfach geglaubt, sterben zu müssen. Einmal hatte ein russischer Soldat unmittelbar auf mich angelegt. Allerdings war keine Patrone im Lauf, das wusste ich natürlich nicht. Ich habe viel Tote gesehen, die Frauen sind vergewaltigt worden, wir haben gehungert. Ich hatte ein Trauma und habe mich erst nach und nach wieder wohler gefühlt. Ich bin dann in Coesfeld in Westfalen auf das Gymnasium gekommen, habe wieder begonnen, Fußball im Verein zu spielen und habe auch wieder Klavierunterricht genommen, später kam das Tanzen dazu. Das alles hat aber lange gedauert. Wo leben Sie jetzt?

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Nach dem Abitur habe ich Jura studiert und bin Richter geworden. Seit 1967 habe ich mit meiner Familie in der Stadt Ahaus im Münsterland gelebt, war dort zuletzt Direktor des Amtsgerichts. Noch heute lebe ich in Ahaus. Am 7. Mai diesen Jahres werde ich 80 Jahre alt.

Fazit Wir haben Lukas Opa, Herrn Arno Teschner, interviewt und dabei viel über seine Familiengeschichte erfahren. Herr Teschner hat seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben, auf die wir zur Vorbereitung des Interviews zurückgegriffen haben. Arno Teschner ist körperlich und geistig voll fit und wusste noch sehr genau, wie die Kriegs- und Nachkriegszeit für ihn war. Häufig waren wir erschrocken, welche schrecklichen Dinge er im Krieg und danach gesehen und erlebt hat. Herrn Teschner beschäftigen die Ereignisse immer noch sehr. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Arno Teschner, für seine ausführlichen und interessanten Erzählungen.

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Anna K. (†), befragt von Sophie Höffer

Biographie Anna K. wurde am 14. November 1915 in Golmsch im Kreis Wongrowi, Posen geboren. Mit ihren Eltern wuchs sie in der kleinen Stadt Bütow auf. Diese liegt in der Woiwodschaft Pommern in Polen. Der Vater von Anna K. starb mit 42 Jahren an einer Halskrankheit, die er sich im Balkankrieg zuzog. In Bütow besuchte sie die staatliche Bismarck-AufbauSchule, die den damaligen deutschen Lehrplan der Oberschulen lehrte. Auf dieser Schule machte sie auch ihren Abschluss. Schon in jungen Jahren lernte sie ihren Mann kennen, den sie in Stolp heiratete. Sie bekamen zwei Kinder. Zusammen übernahmen sie die Polster- und Sattlerei -Feine Offenbacher Lederwaren- in Bromberg. Nachdem ihr Mann in den Krieg eingezogen wurde, musste sie das Geschäft alleine führen. Als ihr Mann wieder nach Hause kam, leiteten sie das Geschäft noch kurze Zeit in Bromberg. Später, als sie nach Schleswig-Holstein gingen, bauten sie sich in Rendsburg wieder ein Lederwarengeschäft auf. Im Jahr 2002 starb Anna K's Mann. Vor ein paar Jahren kam sie in ein Alten-und Pflegeheim.

Interview Wo befanden Sie sich, als der Krieg begann? Als der Zweite Weltkrieg begann, da war ich in Pommern.

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Verbrachten Sie dort auch Ihre Kindheit? Ja. Wie war Ihre Kindheit? Na ja, äh … also ich bin erstmal auf dem Land, als kleines Kind, groß geworden. Ich erinnere mich sogar noch an meinen ersten Schultag. Da kam ich am ersten Schultag zu spät und da sagte der Lehrer: „Sag mal Anna, das geht doch nicht, dass du zu spät kommst.“ Und dann sagte ich: „Aber ich habe doch Blumen gepflückt!“ Denn ich kam auf meinem Schulweg immer an einer schönen Blumenwiese vorbei und dann hab' ich den Strauß voll Blumen gepflückt. „Die habe ich doch für Sie gepflückt“, hab' ich dann gesagt. „Oh, danke schön“, sagte er. Und dann hat er gleich zu einem anderen gesagt: „Hol' mal eine Vase, da aus dem Schrank.“ Dann hat der Lehrer gleich mit uns gesungen [Anna K. beginnt zu singen]. „Meine Blümchen haben Durst, hab's ja wohl gesehen! Hurtig, hurtig will ich 'drum, schnell zum Brunnen gehen.“ Das war damals so ein Kinderlied gewesen. Nicht? Das haben die dann gleich gesungen. Und das hab' ich dann gleich, wie ich zu Hause war, gleich meiner Mutter erzählt und dann sagte sie: „Der Lehrer gefällt mir, eigentlich hättest du ja ein paar hinter die Ohren kriegen müssen. Wenn du Blumen pflückst und dann in die Schule kommst, also eine halbe oder eine Stunde zu spät, dann musst du Ärger bekommen. Aber er hat mit euch gesungen und das ist ein Lehrer, der versteht mit kleinen Kindern umzugehen, der gefällt mir.“ Und dann kam einmal die Frau vom Gutsbesitzer aus unserem Dorf zu meiner Mutter. Meine Mutter hieß Winter und dann sagte sie: „Frau Winter, ich habe gehört, Sie haben drei Töchter im Alter meiner Kinder. Würden Sie erlauben, dass Ihre Kinder, wenn die Schule zu Ende ist, mit meinen Kindern bei uns spielen? Ich gebe Ihnen Garantie, sie werden bei uns mit erzogen und gut erzogen. Es

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ist eine Lehrerin da, eine Hauslehrerin, es ist viel Personal da, das auch dann für Ihre Kinder da ist und so weiter.“ Ab da waren wir die Kinder vom Gut … Dort haben wir sehr viel gelernt, aber ich war begabter, als die Kinder vom Gut. Wenn wir Briefe schrieben, hatten die immer Fehler 'drin und das gab's bei mir nicht. Und na ja, ich war eigentlich ein begabtes Kind. Als ich so elf Jahre war, kam der Lehrer zu meiner Mutter und sagte: „Ihre Tochter gehört jetzt auf die höhere Schule. Sie wollen sie bestimmt anmelden.“ Und dann wurde ich auf der staatlichen Bismarck-Aufbau-Schule angemeldet. Dann mussten wir erst selbst einen Antrag stellen, also wir Kinder. Darin mussten wir schreiben, wie gern wir auf diese Schule gehen wollen. Und dann haben die gesagt, dass das gut geschrieben ist, aber dass ich trotzdem noch eine mündliche Prüfung machen muss und die habe ich dann auch bestanden. Und ich bin dann immer so ein Treppchen hochgestiegen, nur durch Begabung. Und dann, als ich so um die 15 oder 16 Jahre alt war, lernte ich schon meinen Mann kennen. Und ich wollte ja studieren. Doch er sagte dann: „Du wirst nicht studieren! Du heiratest mich, ich bin ein Kaufmann, du wirst die Frau eines Kaufmanns und du machst eine kaufmännische Lehre. Denn du sollst im Geschäft stehen, du sollst da was 'rüber bringen.“ Welcher Konfession gehören Sie an? Meine Mutter war evangelisch und mein Vater katholisch. Aber sie gingen beide nicht in die Kirche. Ich bin evangelisch. Wie wir dann geheiratet haben, haben wir auch gesagt, wenn unsere Kinder mal soweit sind, lassen wir sie auch selbst entscheiden. Und wie meine Tochter dann soweit war, also elf, zwölf Jahre war, kam sie zu mir und sagte: „Mama, was soll ich nun machen? Werde ich evangelisch oder katholisch?“ Und ja, äh, dann sagten wir: „Das musst du selbst entscheiden.“ Da sagte sie: „Bei mir in der Klasse sind die fast alle evangelisch. Ich werde evangelisch.“ Dann bin ich zum Pastor gegangen und hab' mich vorgestellt und dann sagte er: „Gut Frau K., ihre Kleine reih' ich jetzt gleich, äh, jetzt

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gleich in die Konfirmandenschar, die werden eingeteilt und sie kommt dann in eine Gruppe.“ Und dann ist sie evangelisch geworden. Und katholisch ist nachher keiner geworden. Die wurden alle evangelisch. Und wie wir geheiratet haben, da waren die ganzen Katholiken in der Stadt, die Stadt hatte 10 000 Einwohner und die redeten natürlich über uns. Weil mein Mann katholisch war und ich evangelisch und da fragten sich die Einen oder Anderen, ob das gut geht. Wir sind beide in die nächst' größere Stadt gegangen, da wohnte eine Freundin von meiner Mutter und dann haben wir uns da angemeldet und dann wurden wir evangelisch getraut. Wo wurden Sie getraut? Also, wir lebten in Pommern, fast an der polnischen Grenze, in der Großstadt Stolp, die hatte 60000 Einwohner. Die der Stadt, in der wir lebten, die hatte 10000 Einwohner. Ja. Aber wo heirateten Sie? In Stolp, in der großen Kirche. Da hatte meine Mutter eine bekannte Familie. Ich hab' dann zu Hause das schöne Brautkleid, in Bütow, machen lassen. Und dann haben wir uns ein Auto bestellt, das hat uns dann zur Kirche hingefahren. Und dann wurden wir beide evangelisch getraut. Ich durfte mein helles Brautkleid in Stolp anziehen. Und dann sind wir da getraut worden. Und meine Verwandten aus, ähm, Ostpreußen, auch nicht, Pommern? Na, jedenfalls aus einer größeren Stadt, unsere Verwandten, die hatten noch kleine Kinder, die waren noch nicht getauft. Und die kamen gleich mit in die Kirche und wurden evangelisch getauft. Die waren aus einer katholischen und evangelischen Familie. Wie alt waren Sie, als der Krieg begann?

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Da war ich so um die 19 Jahre alt. Wurden Familienmitglieder in den Krieg geschickt? Ja. Gleich am ersten Kriegstag wurde mein Mann schon in den Krieg geschickt. Das war am ersten Tag, als Hitler an die Macht kam. Der hatte die jungen Leute, als sie so 16, 17 waren, als Soldaten ausbilden lassen. Die mussten immer so ein halbes bis ein Jahr, äh, diese ... na, wie soll ich mich ausdrücken? Soldat werden. Zu allem, was dazu gehört, wurden sie ausgebildet. Und sie mussten immer ein halbes Jahr militärisch ins Manöver oder sonst wohin. Aber immer unter Aufsicht, unter der Aufsicht von Hitlers Soldaten. Der hatte ja immer die jungen Leute unter Kontrolle. Die Soldaten waren immer, immer bereit. Dann kam ein Kurier und sagte: „K., Sie haben sofort da zu erscheinen!“ Also in Uniform, näh. Und da haben sie immer sehr viel üben müssen und das immer wieder. Und an der Grenze war immer so ein, na, wie soll ich sagen? Also, die jungen Leute mussten immer gleich hin, also wenn was war. Grenzschutz nannten sie sich, das hatte Hitler befohlen. Einen Grenzschutz gab es, falls an der Grenze was passiert. Das waren junge, ausgebildete Leute, die waren sofort als Soldaten, die Hitler brauchen konnte, da. Und so musste er auch. Und kurz vor dem Krieg war er oben in Lettland eingezogen. Weißt du wo das ist? Ja, das weiß ich. Da waren die jungen deutschen Soldaten in Lettland, um …, also die mussten da auch Soldat spielen. Und dann, wie der Krieg losging, wurden die sofort in Deutschland in die Kasernen gesteckt. Ja, die wurden gleich von Lettland dahin geholt. Mein Vater musste zum Balkankrieg, diese Soldaten da im Krieg, also die waren da im Gebirge. Und in diesem Gebirge mussten die Soldaten auch nachts draußen schlafen, denn es gab dort keine Kasernen. Am Tage war es dort im Gebirge kochend

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heiß, nachts kam die Kälte. Alles mussten die draußen machen. Und mein Vater hat sich, ähm, sich am Hals was zugezogen, eine Krankheit. Und wie er dann nach Hause kam, hat er angefangen zu rauchen, war Kettenraucher und diese Halskrankheit hat immer mehr zugenommen und er kriegte Halskrebs. Nachher starb er daran, mit 45 Jahren. Und meine Mutter war mit drei Kindern Witwe. Aber mein Vater war ja im Krieg gewesen, also bekam sie Witwenrente. Gott sei Dank, denn wir waren dann ja abgesichert. Mein Vater war eigentlich Kreisoberstraßenmeister, das ist heute, die nennen sich Tiefbauingenieure. Das war ja damals eine andere Zeit als heute. Heute fahren die Autos, die gab's gar nicht. Da waren überall Pferde. Die ganzen Bauern mit ihren Pferdewagen, die sie auch brauchten. Kutschen. Im Winter gab's elegante Schlitten. Äh, normale Schlitten, die die Arbeiter brauchten. Aber alles mit Pferden. Und mein Vater war früher als Offizier ausgebildet und der war beritten. Der Gendarm war beritten, der im Ort für Ordnung sorgte. Einzelne Personen. Das waren alles Arbeitstiere, die Pferde. Und wir drei kleinen Mädchen, wie wir dann anfingen mit der Schule, da kam dann die Frau des Gutsbesitzer zu meiner Mutter und sagte: „Ja hören Sie mal“, meine Mutter hieß Winter, „Frau Winter ich habe gehört, Sie haben drei Mädchen im Alter meiner Kinder. Würden Sie erlauben, dass Ihre Kinder nachmittags, wenn ihre Schule vorbei ist, aufs Gut kommen und mit meinen Mädchen spielen? Ich gebe Ihnen Garantie, sie werden bei uns mit erzogen, gut erzogen, es ist eine Lehrerin da, eine Hauslehrerin da, dort ist viel Personal, das sich auch um Ihre Kinder kümmern wird.“ Und so weiter, näh? Und von da an waren wir mit den Kindern auf dem Gut. Ich habe dort sehr viel mit gelernt und so weiter, näh? Und äh, nachher, dann musste ich auf die höhere Schule. Ich wurde dort ausgebildet und war begabter, als die Kinder vom Gut, wenn die mir einen Brief schrieben, waren da Fehler 'drin, das gab's bei mir nie! Wie wurden Sie über politische Ereignisse informiert?

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Wie? Bitte lauter sprechen, ich versteh' dich sonst nicht. Wie wurden Sie über die Politik informiert? - Hatten Sie ein Radio ? Ein Radio? Das gab's ja damals noch nicht. Hm, ja also wie soll ich sagen? Ich wurde erzogen von der Hitlerjugend. Wie der Hitler an die Macht kam, da hat der so einzelne Abteilungen gebildet. Da gab's die Kleinsten, das waren die so sechs- bis siebenjährigen, die noch nicht in die Schule gingen, die fingen dann an, in Gruppen für Hitler miteinander zu spielen und so weiter. Und dann gab es die Hitlerjugend, ja? Und in der war ich nachher dann auch 'drin. Ja, da war ich 'drin. Es war sehr streng. Aber es war auch, ja, wie soll ich sagen, schön. Denn endlich konnten wir mal geschlossen mit anderen Kindern zusammen sein. Wir konnten zusammen spielen, wir wurden erzogen. Wir haben nachts Ausflüge gemacht, mussten durch die Wälder marschieren, aber alles immer unter Aufsicht und Befehlen. Bei Hitler war gleich: Erziehung, Erziehung und Strenge. Er gab die Befehle und seine Leute mussten ausführen. Und so wurden wir Kinder erzogen. Es war eines Teils gut und eines Teils nicht gut. Denn wir wurden nach den Befehlen von Hitler erzogen. Was die Eltern gar nicht wollten, näh? Die waren anders erzogen. Die waren wie die SPD erzogen. Ganz anders, wie Hitler. Und das kam auf uns Kinder zu. Also waren Sie auch im BDM? Zum BDM mussten wir hin. Aber es hat uns gefallen, uns Kindern. Weil wir alle zusammen sein konnten. Wir konnten Sport machen, alles das und alle haben sich um uns gekümmert. Und das hat uns Kindern gefallen, näh. Und damit hat Hitler uns gekriegt! Hm, ja.

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Das war so seine Falle. Haben Familienmitglieder die Nationalsozialisten gewählt? Was die gewählt haben? Ja, ob zum Beispiel Ihre Eltern die nationalsozialistische Partei gewählt haben? Ja, doch natürlich, wir mussten es doch. Wenn wir es nicht taten, waren wir dumm. Hitler hat sehr aufgepasst, wenn einer seine Befehle nicht …, ähm, also die haben Ärger bekommen. Aber so schlimm war es nicht, es hatte was für sich, denn wir wurden alle gut erzogen, bloß streng erzogen, aber anders ging es nicht. Und wenn wir das nicht getan haben, wurden wir streng bestraft. Als der Krieg begann, veränderte sich etwas in Ihrem Leben? - Gab es bestimmte Regeln oder Einschränkungen ? Na, was soll ich sagen? Was gesagt wurde, wurde befolgt. Aber das weiß ich auch nicht mehr, da war ich noch ein Kind und ich erinnere mich daran nicht. Aber das hatte auch die Mutter zu sagen und kein anderer. Gab es in Ihrer Umgebung Bombenangriffe? - Wenn ja, mussten Sie flüchten? Nein. Nein, das hatten wir da damals nicht. Wo wir Kinder waren, da nicht. Da haben wir auch keine Bomben gesehen. Aber später, da muss ich mal nachdenken. Ich bin nachher zum Teil in Ostpreußen gewesen, da kamen meine Eltern her. Und ähm, durch den Krieg ... alles wurde dann immer so hin und her geschoben und ich hab' in meinem Leben

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schon viel gesehen und viel mitgemacht. Als Kind und als Erwachsene habe ich viele Schulen besucht, eine gute Ausbildung im Beruf gehabt und nachher bin ich dann Kaufmannsfrau geworden. Und dann musste mein Mann in den Krieg, ich musste dann das Geschäft leiten. Wir hatten ein Haus, ein Geschäftshaus, unten war dann auf der einen Seite Feine Offenbacher Lederwaren-, in der Mitte der Eingang, wo es hoch ging zur Wohnung. Auf der anderen Seite hatten wir, ähm, Polstermöbel, Teppiche, Kinderbetten und alles zu verkaufen. Hinten auf dem Hof war eine Sattlerei, eine Polsterei, mit Lehrlingen, Gesellen und einem jungen Meister. Und da 'drüber war der Alte, na, wie soll ich sagen? Der, der Mann, der das früher alles 'mal gegründet hatte, das war der Vater von meinem Mann und der hat meinen Mann ausgebildet, als Kaufmann. Und hinten für Gesellen und Lehrlinge, da konnten sie hinten schon immer fabrizieren, näh. Wie dann der Krieg ausbrach, war ich diejenige, die … Alles, was Soldaten wurde, wurde bei uns sofort weggenommen. Mein Mann musste 'raus, die Gesellen und der junge Meister, die hatten das Alter für einen Soldat, die wurden alle gleich herausgekommen und in den Krieg geschickt. Ich war dann mit Lehrlingen und einem alten Meister da. Der musste nicht mehr in Krieg, der war dann da, der hat dann alles, was da so in der Sattlerei an Arbeit anfiel, gemacht. Denn du musst bedenken, das war eine andere Zeit, da gab's keine Autos, nur Pferde. Die ganzen Bauern brachten in eine Sattlerei und Polsterei ihre ganzen Geschirre, Sättel und was da heil zu machen war, das brachten die alles zu uns. Wir haben auch neue Sachen verkauft, Geschirre und alles was man für die Pferde brauchte. Die großen Güter, das waren unsere Kunden. Alles was auf diesen Gütern anfiel, wurde hinten in der Sattlerei und Polsterei gemacht, aber ich musste vorne im Geschäft stehen und es führen. Ich hatte aber, Gott sei Dank, die gute Buchführung gelernt. Ich konnte alles, was das Geschäft betraf, regeln. Ich konnte das alles bestens führen. Mein Mann war Soldat, die Gesellen und Meister, die das Alter hatten, waren Soldaten. Ich musste alles, was dort anfiel, selbst machen. Natürlich habe ich auch sehr viel dazugelernt. Ich war

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aber vor dem Krieg ausgebildet in, na wie soll ich sagen, im Deutschen Roten Kreuz. Ich weiß nicht, ob dir das ein Begriff ist? Doch das kenne ich. Und da wurde ich vor dem Krieg, als junge Frau, als meine Tochter noch ein Baby war, eingezogen. Wir, vom Roten Kreuz, bekamen Bescheid. An dem und dem Tag haben wir am Bahnhof zu erscheinen, in Arbeitskleidung und mit einer Schaufel. Und dann fragten wir, wo es denn hingeht? Und dann wurden wir alle auf einen Güterzug gebracht. Der setzte sich in Bewegung, wir fuhren über die Dörfer, in den nächsten Kreis ein und dann in die nächste Kreisstadt. Und dann kamen wir auf ein Dorf, mit vielen Bauernhöfen auf den Feldern. Da mussten wir Frauen mit unseren Bündeln und was wir so mithatten sofort in einer Scheune, auf ausgestreutem Stroh, uns ein Lager suchen und da mussten wir schlafen. Draußen waren Soldaten, sie waren freigestellt, weil sie als Soldat krank wurden und deshalb wurden sie zurückgezogen. Und die haben uns Frauen was befohlen. Morgens kamen wir auf so einen Leiterwagen, also auf Lastwagen kamen wir. Wir wurden dann an einen Rand eines Waldes gefahren. Da waren vom Bauer große Äcker. Und da mussten wir Frauen einen, ähm, einen Graben schaufeln. Vier Meter breit, zwei Meter tief, das mussten wir Frauen schaufeln. Und dann haben wir gefragt, was das wohl sollte. Das wäre ein Graben, falls der Russe kommt, damit der nicht mit Panzern dadurch kommt. Das war eine Barriere gewesen. Und so kam das auch, als das Kriegsende kam, nachher. Da habe ich mich dann mal umgeschaut und die Soldaten gefragt, die uns damals alles so befohlen haben. Die haben gelacht und sagten, als die Russen dann kamen und den Graben sahen und ihnen gesagt wurde, dass wir Frauen das gegraben hatten, die sind umgefallen, vor Lachen. Sie sagten: „Die sind wohl hier. Das sollte uns zurück halten, dieser Graben?“ Und dann mussten wir den wieder zugraben. Und die haben gelacht: „Dazu holt' ihr eure Frauen? Für das?“ Und na ja, wir haben alles erlebt, was es

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damals so im Krieg gab. Aber wir hatten immer satt zu essen gehabt, Hunger hatten wir nie. Das hatte Hitler alles so eingeteilt. Es gab so kleine Ausweise, worauf wir uns was kaufen konnten. Das war bei ihm immer alles organisiert. Da brauchte keiner Bange haben, das war das, was bei ihm klappte. Hatten Sie Menschen mit jüdischem Glauben oder anderen Religionen in Ihrem Umfeld? Ja, die waren ja überall in allen Dörfern. Wurden sie ab einem Zeitpunkt anders behandelt als vorher? Teils, teils. Oh Gott, weißt du vorher hat man sich gar nicht darum gekümmert, wer jetzt Jude war oder wer das war. Wir sind doch zusammen in die Schule gegangen. Und wer Freund war, der war Freund. Die Juden hatten ja meistens die Geschäfte oder sie waren ausgebildet als Uhrmacher. Alles, was so geschäftlich war, das war in der Hand der Juden und da hakte Hitler ein. Das war sofort verboten, das durften keine Juden mehr führen und da kamen die Deutschen 'ran. Wo waren Sie in der Nachkriegszeit? Ja da, wo wir immer waren, in unseren Häusern. Also waren Sie die ganze Zeit in Pommern? Ja. Okay, gut. Da wurde keiner gezwungen.

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Was hieß für Sie Kriegsende? - Was wurde anders? - Essen, Wohnen, Schule, Arbeit, … Kriegsende? Da muss ich mal überlegen, weiß gar nicht mehr, wie es da war. Ja, also mein Mann war da. Ich war die Geschäftsfrau, die das da alles in der Hand hatte. Er hatte seine Gesellen und da lief das wieder wie zuvor, unter seinem Vater. Und wann kamen Sie nach Rendsburg? Also, schon immer haben wir dort gelebt. Ja, nun muss ich überlegen. Entweder wurden wir polnisch oder deutsch. Wie war das? Die haben uns immer in dem Land vor die Frage gestellt. Wer das dann in die Hand bekam, konnte Fragen. Werdet ihr polnisch oder … Wir sind ja drei-, viermal polnisch geworden. Ich bin in Posen geboren, das wurde polnisch. Wer deutsch werden wollte, optierte für die Deutschen, wer Pole bleiben wollte, optierte für die Polen. So war das. Und meine Eltern waren treudeutsch. Wenn das damals kam, wurden wir gleich abgeschoben. Wir sind von Posen dann nach Pommern gekommen. Nachher, bei diesem Kriegsende, bin ich durch meine Jugendfreundin, weil die hierher geheiratet hatte, nach Rendsburg gekommen. Okay, ja. Hatten Sie besonders schreckliche und erschütternde Erlebnisse? Nö. Nein, hatten wir nicht. Es war ja alles eingeteilt, wir bekamen unsere Kärtchen für Essen. Und es gab die Geschäfte, dort konnte man auch was kaufen, aber es war sonst alles eingeteilt.

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Fazit Vor dem Hintergrund der aussterbenden Kriegsgeneration können immer weniger Zeitzeugen zu ihren Erinnerungen an die Jahre des Krieges befragt werden. Deshalb ist es unsere Aufgabe, diese Erinnerungen festzuhalten und fortzuführen. Die Fragen meines selbst kreierten Fragekataloges sollten besonders vom alltäglichen Leben handeln. Ich wollte erfahren, wie es war, im Kriegsgeschehen zu leben. Welche Einschränkungen oder gar Regeln hatte man in Kauf zu nehmen? Welche Unterschiede gab es zwischen der heutigen und der früheren Zeit? Welche guten oder schlechten Erfahrungen machte man im Krieg? Besonders wollte ich auch die Gefühle und Emotionen des Zeitzeugen kennen lernen. Was stellte diese Zeit seelisch mit den Menschen an? Als wir die Aufgabe bekamen, ein Zeitzeugeninterview zu führen, wusste ich zuerst nicht, wie dies funktionieren sollte. Doch dann, nach den ersten Überlegungen, wuchs mein Interesse an dieser Thematik und ich entschloss mich, mich an ein Alten- und Pflegeheim zu wenden. Hauptteil dieser Arbeit sollte das Interview sein. Über das Alten- und Pflegeheim kam es zum Kontakt mit Frau Anna K. Im Februar 2010 habe ich Frau K. in Rendsburg besucht und sie interviewt. Als ich später noch einmal zu Frau K. ins Altersheim ging, um sie zu besuchen und mich bei ihr zu bedanken, schrie sie mich an und beleidigte mich. Sie sagte, ich hätte sie beschimpft und sie der Ermordung von Juden bezichtigt. Ich war sehr erschüttert und traurig, da ich die Zeit des Interviews als eine äußerst lehrreiche und schöne Zeit empfunden hatte. Sie war felsenfest von diesem Hirngespinst überzeugt und niemand konnte ihr diese Phantasien ausreden. Ich habe Frau K. weder beleidigt noch irgendwelcher Verbrechen bezichtig. Die Altenpflegerinnen sagten mir, Frau K. wäre sehr traurig und gedemütigt gewesen. Sie erzählten, sie wäre sehr verstört gewesen und wollte mich nicht wieder sehen. Das Einzige, was mich versöhnlich gegenüber Frau K. stimmen konnte, war

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die Information, dass sie unter Demenz leidet. Denn nicht nur Frau K. fühlte sich traurig und gedemütigt, ich war es auch. Als ich noch einmal mein Interview durchging, um zu erkennen, ob es irgendwelche eventuellen Irrtümer oder Missverständnisse gab, die zu dieser Anklage führten, kam ich zum Schluss, dass es viele Fragen aufwerfende Stellen im Interview gab. Dieses Interview war für mich eine sehr berührende und schöne Erfahrung. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Menschen nicht mehr unter uns leben, darum ist es umso wichtiger, das Gespräch zu ihnen zu suchen, sie berichten zu lassen und uns ihre schlechten und auch guten Erlebnisse, dieser dunklen Zeit Deutschlands, mitzuteilen. Auch wenn dieses Gespräch anders verlaufen ist, hat es mir gezeigt, wie sehr diese alte Dame immer noch unter dieser Zeit leidet. Auf welcher Seite sie stand, ob sie richtig oder falsch handelte, das vermag ich nicht zu beurteilen. Eines steht für mich fest, vergessen hat sie auf jeden Fall nicht. Am Ende möchte ich mich nun ganz aufrichtig bedanken. Zu allererst gilt mein Dank der Hauptprotagonistin des Projektes, Frau Anna K. Weiterhin bedanke ich mich bei der Betreuerin des Projektes, Frau Dr. Beyer-Beckmann, die mir nicht nur bei inhaltlichen Problemen sofort zur Seite stand, sondern auch bei menschlichen Anliegen half.

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Dieter Promp, befragt von Johann Masch und Julius Höffer

Biographie Dieter Promp wurde 1924 in Masuren geboren. Als der Krieg begann, war er 15 Jahre alt und ging zur Oberschule. Er meldete sich mit 16 Jahren freiwillig bei der Wehrmacht, dadurch bekam er das sogenannte Notabitur und konnte sich aussuchen, in welche Einheit er wollte. 1940 kam er nach Frankreich in eine Fliegerschule, dort wurde er zum Fallschirmjäger ausgebildet. Nachdem er die Ausbildung beendet hatte, kam er für einige Zeit nach Norditalien und später nach Litauen. In Litauen wurde er verletzt und kam in ein Lazarett. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück. In Deutschland gründete er eine Familie, mit der er zunächst in der DDR lebte, aus der er jedoch 1961, kurz vor der Errichtung der Mauer, flüchtete. Dann zog er nach Rendsburg, dort arbeitete er als Fahrlehrer. Heute wohnt er in seiner neuen Heimat, in Rendsburg.

Interview Wie alt waren Sie, als der Krieg begann? Also als der Krieg begann, war ich 15 Jahre alt und ging zur Oberschule. Wo befanden Sie sich während des Krieges? Während des Krieges war ich Fallschirmjäger in Frankreich, in Litauen und in Norditalien.

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Wie empfanden Sie den Krieg? Der Krieg, so wie ich ihn empfunden habe und es vorher nicht geahnt habe, war so grausam, dass ich am Ende des Krieges überzeugter Pazifist geworden bin. Waren Sie in der Hitlerjugend? Natürlich war ich in der Hitlerjugend und mein Vater war Nationalsozialist. Der war Beamter, das war eben so. Welche Einstellung hatten Sie zu Hitler und dem Krieg, als der Krieg begann? Als der Krieg begann … wir Jungen in der Schule waren zunächst mal begeistert, muss ich schon sagen, dies war durch die Hitlerjugend und durch die Erziehung vor Kriegsausbruch so tendenziös vermittelt. Wurden Sie als Soldat eingezogen oder sind Sie freiwillig gegangen? Nein, ich bin freiwillig gegangen. Ich wurde nicht eingezogen und zwar aus dem einfachen Grund, dadurch haben sie uns das Abitur geschenkt, für zwei Jahre und man konnte sich außerdem aussuchen, in welche Truppe man eingeteilt wurde, während man sonst meistens bei der Infanterie gelandet ist und da waren wir uns ja alle einig, da wollte keiner hin. Der einzige Nachteil war, dass wir durch die Niederlage Deutschlands das Abitur nicht bekamen. Wenn wir gewonnen hätten, wäre das ja geblieben. Das so genannte Notabitur nannte es sich. Ohne Prüfung, mit der Versetzung in die Klasse Oberprima. Hatten Sie Kontakt zu Juden?

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Ich habe nie Kontakt zu Juden gehabt. Durch die Erziehung haben wir uns auch nie mit dem Thema befasst. Es waren zwar Juden in der Nähe, wo wir gewohnt haben, in Masuren, bei Johannisburg, was heute polnisch ist, aber so Kontakt zu den Juden, nie. Haben Sie während des Krieges auch besonders kritische Situationen miterlebt? Kritische Situationen hatte ich am laufenden Band. Haben Sie was von der Judenverfolgung und den Konzentrationslagern mitbekommen? Wir waren eine Elitetruppe, wir waren nicht SS oder so was, was man heute vielleicht darunter versteht und wir wussten zwar, dass da welche interniert waren, die politisch anders eingestellt waren, aber was da für Verbrechen begangen wurden, die ja auch erst zur Beendigung des Krieges bekannt wurden, das haben wir ja erst nachher so erfahren. Ich bin bis heute zutiefst beschämt, dass Deutsche so etwas fertiggebracht haben, das muss ich schon sagen. Man nannte uns ja immer das Volk der Dichter und Denker und ich habe es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass es solche Verbrechen gibt. Also wussten Sie während des Krieges nichts davon, wie grausam er eigentlich war? Nein, nein, nein! Ich habe nie ein Lager gesehen, nicht mal von weitem. Der Krieg war für mich an sich schon so grausam, dass ich auch eigentlich keine Zeit hatte, darüber nachzudenken. Selbst wenn wir davon gehört hätten, wir hätten doch nichts ändern können. Gab es denn auch schöne Erlebnisse, während des Krieges?

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Nein, nein. Also, wenn wir mal Kompaniefest hatten, in einer ruhigen Stunde, dann wurde Alkohol getrunken und solche Dinge. Die lenkten zwar ein wenig vom Krieg ab, aber schöne Dinge während des Krieges hatten wir nicht. Befanden Sie sich während des Krieges denn auch hier in Deutschland? - Oder waren Sie die meiste Zeit im Ausland? Nein, ich war während des Krieges so gut wie gar nicht hier in Deutschland. Ich war in Nordfrankreich auf der Springerschule, um das Springen mit dem Fallschirm aus Flugzeugen zu lernen und dann bin ich von da an die Ostfront geflogen worden und bin dort abgesprungen. Immer da, wo es brenzlig wurde, wurden wir hingeflogen und dort eingesetzt. Also immer da, wo der Bedarf eben war. Ich habe keine Vormärsche miterlebt, sondern immer nur Rückzüge und das ist der schwierigere Teil des Krieges. Wenn man bei Vormärschen verwundet wurde und liegen blieb, wurde man von den eigenen Soldaten aufgenommen, aber wenn man bei einem Rückzug verwundet wurde und liegen blieb, kam man verwundet bei den Feinden in Gefangenschaft oder starb durch seine Verwundung, weil sich keiner um einen kümmerte. Wie alt waren Sie, als Sie zur Wehrmacht gingen? Mit 17 Jahren ging ich zur Wehrmacht. Wie lange waren Sie Soldat? Ich wurde bis zum Ende des Krieges eingesetzt. Ich hab das Kriegsende in Deutschland erlebt. Kurz vor Berlin gerieten wir bei den Amerikanern in Gefangenschaft. Von den Amerikanern wurden wir dann gleich an die Russen ausgeliefert. Dort bin ich dann gleich in der ersten Nacht geflohen.

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Wieso, war es so schlimm, wenn man an die Russen ausgeliefert wurde? Ja, ja. Es drohte nämlich Sibirien und das hätte man wahrscheinlich nicht überlebt. Die Russen gingen nicht sehr zaghaft mit einem um, umgekehrt war das ja genauso. Ich musste sie zum Glück nie bewachen, aber man hat da so einiges gehört. Wir haben schon mal Gefangene gemacht, aber die wurden gleich zu einer anderen Einheit geschickt. Da hatten wir dann nichts mehr mit zutun. Wie haben Sie die Nachkriegszeit erlebt? Gleich nach dem Krieg lernte ich meine Frau kennen, sie verlor ihre Eltern während des Krieges. Ich lebte mit ihr dann in der DDR. Kurz danach wurde dann schon unser Sohn geboren. 1960 sind wir aus der DDR geflohen. Das war ein Jahr, bevor die Mauer gebaut wurde. Unser Leben war sehr bewegt, wir haben sehr viel mitmachen müssen. Es gab leider nur wenig schöne Seiten. Das mit den Konzentrationslagern ist sehr belastend. Wenn man das Gefühl hat, einem wird nicht geglaubt, dass man damit nichts zu tun hatte. Es ist eben so und das kann niemand mehr ändern ... leider. Ich kann mich da auch nur immer wiederholen. Ich schäme mich sehr dafür. Und wenn sich diese Gedenktage wiederholen, betrifft mich das so ganz fürchterlich. Haben Sie Adolf Hitler jemals in echt mitbekommen? Nein, nicht richtig. Ich habe ihn einmal in meinem Leben gesehen, da muss ich so ungefähr sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Da ist er mit dem Auto an mir vorbeigefahren, weil in der Nähe von dem Dorf, in dem ich damals lebte, eine Wahlveranstaltung war. An einer Kreuzung versammelten sich sehr viele Menschen, die mit ihm sympathisierten und mein Vater nahm mich dann dort an die Kreuzung mit. Hitler fuhr aber nur langsam an uns vorbei und winkte. Das dauerte nur ein paar

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Minuten. Da hab' ich ihn dann kurz gesehen. Ich kann mich nur ganz dunkel an die Situation erinnern. In dem Dorf, indem Sie damals lebten, gab es dort viele Juden? Ja es gab dort ein paar Juden, aber man hatte halt nichts mit ihnen zu tun. Welchen Rang hatten Sie bei der Wehrmacht? Ich war kümmerlicher Obergefreiter. Das war nicht so besonders. Ich wollte mal Offizier werden, hab' auch noch die Ausbildung zum Offizier in Berlin angefangen, aber dann wurde ich in den Krieg geschickt und musste die Ausbildung abbrechen. In welchen Verhältnissen sind Sie vor dem Krieg ausgewachsen? Also mein Vater war Lehrer an einer Dorfschule, aber mit der Machtübernahme 1933 wurde er in unsere Kreisstadt versetzt und dort zum Schulrat berufen. Er musste nicht in den Krieg ziehen, obwohl er überzeugter Nationalsozialist war. Zum Schluss mussten meine Eltern über die Ostsee fliehen. Das war, während ich im Krieg war. Meine Eltern habe ich seitdem nie wieder gesehen. Dann lebte ich in der DDR. Wie empfanden Sie die Hitlerjugend? In der Hitlerjugend mussten wir viel marschieren und wir haben auch sehr viel gesungen. Uns wurde sehr viel über den Nationalsozialismus gelehrt. In den Ferien fuhren wir oft zelten, mit der Hitlerjugend. Dort fing es dann an … mit Luftgewehr schießen und kleinen Übungen, draußen im Gelände.

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Können Sie uns von besonderen Situationen im Krieg erzählen? Ja, also man konnte manchmal tagelang kein Essen empfangen oder zur Toilette gehen, wenn man in so einem Loch ausharrte. Man kann das eigentlich nicht genau schildern, da es nicht der Realität entsprechen würde. Auch über mein Leben und das Kämpfen im Krieg, könnte ich keine Einzelheiten genauso wiedergeben, wie sie wirklich waren. Es war einfach zu grausam. Ihr könntet euch sicher nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ihr vor ein paar Minuten noch mit einem geredet habt, der zwei Meter neben euch steht und dann guckt man kurz weg, guckt zurück und an der Stelle wo der Kamerad gerade noch stand, hängt er nun, erschossen. Das geht dann natürlich ans Gemüt. Ich denke auch, dass man es sich so, wie es dann gewesen ist, niemals vorstellen könnte. Es gibt ja auch einige Filme über diese Zeit. Es gab auch hier jetzt gerade einen Film, ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie der hieß. Diese Filme werden immer von dem Regisseur so gemacht, dass möglichst viel Action 'drin vorkommt, da muss immer Action mit 'drin sein. Doch wir hatten keine Action, wir hatten nur die Wirklichkeit, die raue Wirklichkeit. Jeder Regisseur glaubt, er muss da was einbauen, damit die Zuschauer das Flattern kriegen, aber das ist meistens gar nicht die Wahrheit, denn so war es nun mal nicht. Ich weiß, bei dem Film, der letztens wiederholt wurde, da war dann noch so eine Liebesgeschichte, zwischen französischen Kriegsgefangenen und so weiter. Natürlich gab es auch so etwas, aber das wurde in diesem Film dann so sehr hervorgehoben und für wichtig gehalten, als ob das das Hauptthema in dem Krieg gewesen wäre. Aber das wird dann ja auch nur gemacht, um Einschaltquoten zu bekommen. Würden sie da die wahren Kriegsereignisse wiedergeben, wäre das viel zu grausam, das würde sich keiner anschauen. Die gucken

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sich lieber irgendwelche Liebesfilme an, also ich gucke mir solche Filme gar nicht mehr an, weil mir das einfach zu blöd und zu kindisch ist. Hatten Sie auch Verwandte, die eingezogen wurden? Ja, auch einige, aber auch sehr viele meiner Schulkameraden und die sind alle in eine andere Einheit eingeteilt worden und mein Freund, den ich da auf der Schule hatte, das war der Sohn von einem Schuldirektor, von einer Volksschule, der ist auch zu einer anderen Einheit gekommen. Deshalb sind wir während des Krieges auch leider nicht zusammen gewesen. Hatten Sie denn während des Krieges noch Kontakt zu Ihren Verwandten? Als ich 17 war und in den Krieg kam, hatte ich nur noch Kontakt über Briefe mit meinen Verwandten. Jedes Dorf bekam damals eine Feldpostnummer und über diese Feldpostnummer wurde die Post dann versandt. Sowohl hin, als auch zurück. Da haben wir dann natürlich geschrieben, soweit die Zeit es zuließ und auch die Umstände. Das hing ja von vielen Faktoren ab. Der Kontakt war in der Zeit sehr wichtig, für sich und auch für zu Hause. Denn wenn man da im Krieg ist und kämpfen muss und keinen Kontakt mehr zur Familie hat, das ist für das Gemüt und für die Seele nicht so ganz von Vorteil. Und mit wie viel Jahren wurde man normalerweise eingezogen? Also normalerweise wurde man erst mit 18 Jahren eingezogen, aber als der Krieg dann immer härter wurde und nicht mehr genug Soldaten da waren, wurden sie dann immer früher eingezogen. Aber diese Zeit habe ich nur als Soldat mitgekriegt. Da könnten die Leute mehr erzählen, die damals selbst so 14, 15 waren. Die wurden dann nämlich als Luftwaf-

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fenhelfer eingezogen. Also schon mit 14, 15. Die sind dann von der Schule aus, wenn Fliegeralarm war, zu ihren Geschützen gelaufen und mussten die Flieger abschießen. Aber das habe ich auch nur aus der Nachkriegszeit mitbekommen, also genau wie ihr. Die Zeit nach dem Krieg. Man hört ja immer, dass die Städte und alles total zerbombt waren. War das wirklich so schlimm? Ja, also wenn man sich da mal alte Filme anguckt, kann man das sehen, das kann ich schon fast nicht mehr verstehen, obwohl ich ja auch durch solche Städte gekommen bin. Da konnte man wirklich teilweise von einer Stadtseite zur anderen gucken, denn da war ja alles nur noch Bruch. Das war mindestens so, wie ein Erdbeben heutzutage. So wie das in Haiti. Alles war kaputt, das ist unvorstellbar. Und natürlich auch die Menschen, die sich in den Häusern oder auf den Straßen befanden. Wir sind sehr dankbar, dass Sie uns so weiterhelfen! In so einem Heim wie diesem, ist es nicht so einfach, da den Richtigen zu finden. Viele der hier Lebenden wollen und können auch gar nicht mehr darüber reden. Also, es ist wirklich nicht so einfach, da so offen 'drüber zu reden. Also ich lebe ja nicht bei denen, ich lebe ja hier in meiner eigenen Wohnung. Es ist auch gar nicht so einfach, mit den alten und kranken Leuten so umzugehen. Und die meisten haben ja auch Demenz und da wisst ihr ja, wie das ist. Derjenige verliert ja, wenn er älter wird und dazu neigt, sein eigenes Ich. Der weiß dann nicht mal mehr, wer er ist und das ist nicht schön und auch nicht einfach. Es ist ja schön, wenn die Leute alt werden, aber wenn sie dann mit der Gesundheit zu kämpfen haben, dann sieht das ganz bitter aus. Es ist gut, dass es solche Heime gibt.

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Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie uns so weitergeholfen haben und auch sehr gut, dass Sie auch noch so offen 'drüber reden können. Also, ich reiße mich um so was auch nicht. Aber die Menschen, die den Krieg als Soldat mitgemacht haben, leben ja nun auch schon fast alle nicht mehr. Da gibt es ja auch nicht mehr viele von. Und ich sagte es ja schon, ich bin 86. Also wir hätten Sie wesentlich jünger geschätzt! Wir hatten sogar schon Angst, dass Sie gar nicht soviel vom Krieg mitbekommen hätten. In diesen Flugzeugen bin ich mitgeflogen. Es gab in den Flugzeugen nur eine kleine Luke, die ungefähr ein Meter breit und 80 Zentimeter lang war. Die wurde dann aufgemacht und man fiel hinaus. Am Anfang hatte man ziemlich Angst, das kostet ordentlich Überwindung. Wofür wurden die Fallschirmjäger eingesetzt? Die wurden vor allem da eingesetzt, wo es brenzlig wurde. Zum Beispiel, wenn Truppen vom Feind eingekesselt waren, als Verstärkung. Oder um einen Korridor zu schaffen. Mein Schwager war auch Fallschirmjäger, der ist aber vor Leningrad gefallen. Waren die Flugzeuge auch dazu da, um Bomben abzuwerfen? Nein, dafür waren die Flugzeuge meist zu klein. Man hätte vielleicht kleine Bomben damit abwerfen können. Die Erlebnisse von Soldaten sind erschreckend, aber sie hatten keine andere Wahl, weil sie eingezogen wurden. Das war ja bei fast allen so, wie zum Beispiel mein Schwager, der ist vor

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Leningrad gefallen oder mein Bruder, der ist in Frankreich gefallen. Das waren ja alles Menschen, die aus der Familie stammten, das waren doch keine Verbrecher. Viele Familienväter sind losgezogen, mit Tränen in den Augen. Das waren ja nicht alles Verbrecher und die gegen uns gekämpft haben, waren ja auch nicht alles Engel. Sonst kann man ja auch keinen Krieg führen. Die richtigen Verbrecher waren eigentlich die Befehlshaber, denn die wussten ja Bescheid. Viele haben ja auch schon den Ersten Weltkrieg miterlebt, aber wir hatten ja gar keine Ahnung. Am Ende des Krieges musste Deutschland ja die anderen Länder entschädigen, da wurde dann in Potsdam verhandelt, welche Teile die Siegermächte bekamen. Hätte es nicht so einen großen Konflikt zwischen Russland und Amerika gegeben, hätte Deutschland auch nicht soviel Hilfe bekommen, weil die uns ja bald wieder brauchten, die Amerikaner. Das klingt für euch jetzt bestimmt alles sehr kompliziert, aber ihr wisst bestimmt auch nicht, wo meine Heimatstadt ist, oder? Nein, wissen wir nicht. Ihr habt bestimmt schon mal was von Ostpreußen gehört oder? Ja, wir haben schon mal was von Ostpreußen gehört. Südlich davon, da haben wir gelebt, in Masuren. Von wem war Masuren denn besetzt? Von den Russen. Das war ja östlich gelegen. War das dort sehr bombardiert? Ja, dort wurde von den Russen sehr viel zerbombt. Aber Ostpreußen sollte ja von Deutschen besetzt bleiben und deswegen haben sie Ost-

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preußen eingekesselt, sodass die Menschen von dort nicht mehr wegkamen. Alle wollten ja in den Westen. Viele sind über die Ostsee mit Booten geflohen. Unter anderem meine Mutter und meine Schwester. Vielen Dank, dass Sie soviel Zeit für uns geopfert haben! Wir werden Sie mal wieder besuchen, ich glaube, daraus werden wir was Schönes machen können.

Fazit Das Interview mit Dieter Promp hat uns sehr gefallen. Er ist für sein Alter noch sehr fit, deshalb war es leicht, mit ihm über die Zeit des Krieges zu sprechen. Seine Schilderungen vom Krieg haben uns sehr geprägt. Heute besuchen wir Herrn Promp noch regelmäßig.

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Konrad Breckau, befragt von Lukas Teschner

Biographie Konrad Breckau wurde am 20. Februar 1928 in Großwusterwitz im Bezirk Magdeburg geboren. Im März 1944 wurde er mit seiner ganzen Klasse zum Dienst als Flakhelfer eingezogen und zunächst auf der Insel Borkum, später bis Kriegsende auf der Insel Wangerooge eingesetzt. Nach dem Krieg machte er eine landwirtschaftliche Ausbildung. 1960 floh er mit seiner Familie aus der DDR in die Bundesrepublik und kam nach Nordfriesland, wo er im Außendienst für verschiedene Firmen arbeitete. Er lebt heute in Leck.

Interview Wie hat deine Familie vor dem Krieg gelebt? Meine Familie lebte gut, es ging uns wirklich nicht schlecht. Mein Vater war Verkaufsleiter der Firma -Kartoffelzucht Böhm-, er hat gut verdient. Wir lebten im Gebäude der Firma. Erzähl' mir bitte ein wenig über deine Familie. Mein Vater kam aus einer bäuerlichen Familie. Er hat eine kaufmännische Lehre gemacht, war Buchalter auf einem Rittergut und ist dann nach Pommern gezogen und dort Verkaufsleiter und Prokurist der großen Kartoffelzuchtfirma geworden. Wir sind dann eben alle aus Mittel-

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deutschland, aus Brandenburg nach Pommern gezogen. Ich hatte einen Bruder, der war fünf Jahre älter als ich. Der hat eine kaufmännische Lehre bei meinem Vater gemacht. In der Kriegszeit, später, wurde er Soldat und am letzten Kriegstag in Bayern ist er als Leutnant gefallen. Er musste etwa ab 1941/42 in den Krieg. Wie war dein Schulalltag vor dem Krieg? Ich wurde in Großwusterwitz im Bezirk Magdeburg eingeschult. Dann zogen wir nach Pommern, wo ich auf die Volksschule kam. Ich habe vier Jahre die Volksschule besucht und bin dann auf die Oberschule gegangen. Schule war von Montag bis Samstag, wir hatten aber nur drei bis vier Stunden am Anfang und später vier bis fünf Stunden. Nachmittags machte ich Hausaufgaben. Hast du etwas von der Judenverfolgung mitbekommen? Wir wohnten in Kallies, in Pommern und 1938 war ja die Pogromnacht. Damals war ich zehn Jahre alt und ich habe mitbekommen, dass es in der Synagoge gebrannt hat. Wir Jungs waren neugierig und sahen die SS und SA, aber haben nicht richtig gewusst, was los gewesen ist. Es gab nur ungefähr vier jüdische Familien und die hatten Geschäfte, Textilgeschäft, Fellgeschäft. Wir kannten ja nur eine einseitige Propaganda. Die lief darauf hinaus, dass Juden böse Menschen waren, die das Volk unterminieren wollten. Man hat nur eine Meinung gehört. Meine Eltern haben das nicht geglaubt, ich konnte mich mit ihnen über so was aber nicht unterhalten. Wie war die Einstellung deiner Familie zu Hitler und wie war deine eigene?

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Meine Mutter war sehr christlich und vollkommen gegen Hitler. Mein Vater war nicht in der Partei. Er war im Stahlhelm, das war eine Organisation von Soldaten aus dem ersten Weltkrieg. Im Stahlhelm war er aber nicht mehr, als wir in Kallies in Pommern lebten. Wir haben zu Hause nicht über Hitler geredet, weil ich sonst eventuell etwas aus dem Haus hätte tragen können. Ich ging einmal in der Woche in eine uniformierte Gruppe von vier Zügen, rund 120 Jungs, dem Jungvolk. Dunkle Hose, kurzes Hemd, Schlips mit Knoten. Das machte uns viel Spaß. Da war noch nichts mit Waffen, aber schon Gemeinschaftsaktionen, wie Singen und Spielen. Als Jugendlicher war ich nicht gegen Hitler, wir kannten nichts anderes. Ich, als zehn- bis zwölfjähriger, hatte mir noch keine große politische Meinung gebildet. Er war halt unser Führer. Hat sich deine Einstellung zu Hitler geändert? Ganz am Ende des Krieges hat sich meine Einstellung geändert. Da haben wir ja gesehen, wo das hinführte. Wie war deine Meinung zum Hitlerattentat? Vom Attentat auf Hitler habe ich erfahren, als ich auf Borkum als Marinehelfer war, mit 16 Jahren. Das wurde dann vom Batteriechef verkündet, da mussten wir antreten. Er hat das natürlich verurteilt. Man war damals empört, wie man so etwas machen könnte, dass man den Führer angreift. Wir waren damals schon an der Front, mit der Familie konnte ich also gar nicht darüber sprechen. Hast du die übertriebene Propaganda bemerkt? Das mit der Propaganda fiel uns nicht auf, wir sind da ja von Anfang an hineingewachsen. Das war eben so.

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Hast du etwas vom Widerstand mitbekommen? Vom Widerstand habe ich überhaupt nichts gehört und gesehen. Wann wurde dein Vater eingezogen? Mein Vater wurde im Februar 1945 eingezogen, zum Volkssturm. Die Flucht aus Pommern hatte schon begonnen. Meine Mutter flüchtete mit dem Chef Böhm und seinen mehreren Gespannen. Vater kam in russische Gefangenschaft und wurde dann nach Russland abtransportiert. Er ist im Mai 1945 in Moskau gestorben. Mein Vater war zuvor im Krieg freigestellt, weil er als Leiter in einem ernährungswichtigen Betrieb arbeitete. Er war ja 1940 auch schon 46 Jahre alt, er war eigentlich schon zu alt. Man zog ja anfangs von 18 bis 40 Jahren ein. Wurden viele Bekannte eingezogen? Es wurden alle im wehrpflichtigen Alter eingezogen. Bevor man 18 war, gab es noch vormilitärische Sachen, das war der Reichsarbeitsdienst. Was hast du vom Krieg mitbekommen? Ich bin ja im März 1944, als 16-jähriger, mit meiner Schulklasse als Marineflakhelfer eingezogen worden, auf Borkum. Wir waren 18 Schüler aus Deutsch-Krone in Pommern. Wir hatten eine vormilitärische Ausbildung, kamen aber sofort ans Geschütz. Wir waren bei den schweren Flak 10,5 cm Geschützen tätig, zum Beispiel als Richtkanoniere oder auch nachts, als Wachen. Wir hatten auch weiter eine schulische Ausbildung. Morgens führte einer unserer Kameraden den Haufen an, wir liefen zwei Kilometer zu einer Baracke, da waren zwei Lehrer in Uniform. Nachmittags haben wir dann Schulaufgaben gemacht und bekamen unsere militärische Ausbildung, am Gewehr, an der MP, Schützengräben ausheben

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und so weiter. Wenn dann die Engländer kamen, flitzten alle an die Geschütze. Am 25. April 1945 habe ich einen ganz schweren Angriff miterlebt, wo die Engländer mit 500 Maschinen die Insel Wangerooge angegriffen haben. Sie meinten nämlich, dass auf der Insel V1- oder V2Raketen stationiert wären. Sie haben so etwa 5 000 Tonnen Bomben abgeworfen. Da haben wir fleißig geschossen, unsere Batterie war die einzige, von vier anderen an unserem Standort, die am Ende noch schießen konnte, bis sie abgedreht waren. Ein Marinehelfer starb dabei. Die ganze Insel Wangerooge war danach eine Kraterlandschaft. Bei dem Angriff auf die Insel starben insgesamt circa 300 Menschen. Hattest du einen guten Freund während des Krieges? Ich hatte mehrere gute Freunde und ich stehe auch noch mit einigen in Verbindung, die kamen auch aus Deutsch-Krone und waren Marinehelfer. Wie war die Ernährung während und nach dem Krieg? Die Ernährung während des Krieges war gut. Später war die Ernährung im Kriegsgefangenenlager schlecht. Dort haben wir einmal am Tag was bekommen und die nächsten 24 Stunden dann nichts mehr. Wie und wo hast du das Ende des Krieges erlebt? Am 7. Mai 1945 war Waffenruhe, am 8. war Waffenstillstand. In den nächsten Tagen kam ein Trupp Engländer auf die Insel. Es waren ein paar 1 000 Soldaten auf der Insel und wir gaben die Waffen ab. Wir haben uns an den Strand gelegt und gebadet, es war sehr warm. 14 Tage später sind wir abtransportiert worden, in ein Gefangenenlager, in der Nähe von Wilhelmshaven, auf dem Festland. Das war nicht weit entfernt.

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Wie lange dauerte deine Gefangenschaft? Wir waren dort etwa acht Tage im Gefangenenlager, wurden dann auf Lastwagen nach Uelzen gefahren. Am nächsten Tag bekamen wir in Wolfsburg unsere Entlassungspapiere, wurden in einen Trupp von 12 bis 15 Mann eingeteilt und marschierten dann in ein Dorf zum Bauern, um dort zu arbeiten. Wir, aus der sowjetischen Besatzungszone, wurden nicht nach 'drüben entlassen, sondern mussten arbeiten. Wir wurden vom Bauernhof bezahlt, der Bauer selbst wurde aber noch vermisst. Zu essen gab es dann genug, zu kaufen gab es nichts. Ein landwirtschaftlicher Arbeiter aus Schlesien und ich haben die Arbeit auf dem Hof gemacht. Wann hast du vom Schicksal deiner Angehörigen gehört? Wir wussten nicht, wo unsere Angehörigen sind. Es war seit Januar, Februar 1945 totales Chaos, da ging auch keine Post mehr. Ich wusste nicht, dass mein Vater noch zum Volksturm gekommen war. Meine Großmutter hatte eine Gaststätte in Brettin und an die habe ich dann schließlich geschrieben. Da ist dann auch meine Mutter aufgetaucht, dann wusste ich, wo die war und habe auch erfahren, dass mein Vater als vermisst galt. Von meinem Bruder habe ich erst zwei Jahre später erfahren, dass er gefallen ist. 1947 habe ich die Nachricht bekommen. Wir hatten eine Adresse, wo mein Bruder früher als Soldat gewohnt hat, aus der Gegend von Donauwörth, dahin habe ich geschrieben. Ich bekam dann die Kennkarte und ein Bild von meinem Bruder, mit einem Blutstropfen 'drüber, das hatte er bei sich getragen, als er am 25. April 1945 gefallen ist, das war der letzte Kriegstag in Bayern. Hast du heute noch Albträume? Albträume habe ich nicht mehr. Das Thema Krieg ist für mich abgeschlossen.

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Warst du nach dem Krieg noch einmal in der alten Heimat? 1993 war ich einmal in Pommern, mit meinem Schulfreund Ernst Pranke von Rügen. Wir haben Kallies besucht. Es fehlten, durch die Kriegseinwirkungen, einige zerschossene Gebäude, die waren weggeräumt, neue Häuser waren gebaut worden. Es hat sich etwas verändert. Was geblieben war, war der Marktplatz mit der Kirche. Heute ist diese Kirche katholisch, es leben ja Polen dort. Viele Straßenzüge erkannte ich wieder. Wir sind dann auch in der Schule gewesen, da tobten Kinder, eine Lehrerin hat uns die Schule gezeigt, Aula und Turnhalle, das war sehr nett gewesen. Wir haben die schöne Gegend von Pommern wiedergesehen, den Wald und die Seen. Wie waren deine Stationen nach dem Krieg? 1945 kam ich nach Essenrode zum Bauern und bin da geblieben bis November 1946. Ich wollte auf die Landwirtschaftsschule, aber die Schule in Braunschweig war besetzt, von den älteren Jahrgängen. Dann habe ich mich mit meiner Mutter in Verbindung gesetzt. Ich bin im November 1946 zurückgegangen und bin dann dort in Genthin zur Landwirtschaftsschule gegangen. Am 1. April 1947 begann ich mit meiner landwirtschaftlichen Lehre in Fischbeck an der Elbe, liegt genau gegenüber von Tangermünde. Im Oktober 1948 habe ich die Lehre abgeschlossen. Im Frühjahr 1949 bin ich mit Hilfe von Dr. Böhm auf ein Gut im Kreis Anklam gekommen, von dort wurde ich im Oktober 1949 als zweiter Beamter auf das Gut Hohenbrünzow versetzt. Dort lernte ich meine liebe Frau kennen, die als Krankenschwester arbeitete. Im Sommer 1960 bin ich mit meiner Familie aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen und habe mich schließlich in Leck in Nordfriesland niedergelassen. Dort lebe ich mit meiner Frau noch heute.

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Fazit Ich habe meinen Opa, Konrad Breckau, interviewt. So habe ich ganz nebenbei viel über unsere Familiengeschichte erfahren. Mein Opa hat seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Darauf konnte ich zur Vorbereitung des Interviews zurückgreifen. Mein Opa weiß noch sehr genau, wie die Kriegs- und Nachkriegszeit für ihn war, denn er ist körperlich und geistig noch sehr fit. Ich habe viel über Opa Konrads Einsatz als Marineflakhelfer, recherchiert. Ich hatte vorher nie etwas von dem Angriff auf Wangerooge gehört. Opa war damals 17 Jahre alt, also ungefähr zwei Jahre älter als ich. Am 25. April 1945, dem Tag des Angriffs auf die Insel, ganz am Ende des Krieges, ist in Bayern sein Bruder gefallen. Heute, sagt mein Opa, hätte er mit dem Krieg abgeschlossen. Vielen Dank, lieber Opa! Ich habe gestaunt, wie genau du noch alles weißt. Schließlich ist das ja schon 65 Jahre her. Es hat mich auch erschreckt, was für schreckliche Dinge du im Krieg und danach gesehen und erlebt hast.

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Harri Graulo, befragt von Natascha Völkl, Merle Brüggen und Martha Frahm

Biographie Harri Graulo wurde am 17.02.1939, zusammen mit seinem Zwillingsbruder, in der Nähe von Posen geboren. Seine Eltern, Gertrud und Oskar Graulo, haben insgesamt drei Kinder. Horst, geb. 1937, Harri und Hansi, geb. 1939. Am 16. Januar 1945 begann die Flucht seiner Familie vor den Russen. Später arbeitete Harri Graulo als Elektrikermeister bei der Hochbahn.

Interview Ok, Harri … So, wir schreiben das Jahr 1945, 15. Januar. Mein Vater hatte Geburtstag. Wir haben in der Nähe von Posen gewohnt, das heißt, da hatten wir ein Gehöft. Meine Familie hat dann wohl mitgekriegt, dass wir langsam vor den Russen flüchten mussten. Mein Vater hatte noch drei Brüder in Hamburg. Also war unser Ziel Hamburg, vor den Russen weg. Mein Vater hat seine Sachen gepackt am 16. Januar, zwei Pferde vor den Wagen und dann die Familie 'rauf, mit dem Hintergedanken: Wir kommen ja wieder zurück. Und er hat noch einen Knecht mitgenommen, damals hatten wir zwei Mägde und einen Knecht aus Polen. Und dann ist er mitgekommen und wir sind geflüchtet über Schneidemühl … mit drei Kindern … Und wie alt warst du da?

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Fünf, sechs bin ich im Februar geworden. Mein großer Bruder Horst, sieben und mein Zwillingsbruder Hansi wie ich. Wir sind über Schneidemühl, da war so 'n Durchgang über die Oder, mit Pferd und Wagen an Berlin vorbei bis Havelberg. Der Knecht ist schon abgehauen und ist wieder zurückgelaufen und dann waren wir allein mit Pferd und Wagen. Und in Havelberg wurde mein Vater eingezogen, in den Krieg. Die sollten Berlin befreien, das hieß damals Volkssturm. Das waren dann nur kleine Kinder und alte Männer … Jedenfalls, das weiß ich heute noch, wie die da so durch die Gegend, durch Havelberg marschiert sind, so in der Reihe, so in Plünnen und da haben die Leute so an der Seite gelacht: „Die wollen Berlin befreien?“ So und dann haben wir vom Vater nichts mehr gehört … Meine Mutter hat immer eingetauscht. Und auf dem Wagen hatte sie Proviant, Speck und so weiter, was ein Bauer halt hat, damit hat sie sich so durchgeschlagen mit uns. Na ja und so ging es mit dem Handwagen nachher weiter. Über Grabow, Ludwigslust … und überall waren wir eine längere Zeit. Von Ludwigslust bis nach Kletzke und da hat der Russe uns dann eingeholt. Das weiß ich heute noch, da hatten die Häuser alle weißen Fahnen aus den Fenstern. Dann kamen die Russen ins Dorf und davor hatten sie alle Angst. Ist egal. Und dann sind wir auf jeden Fall weitergeflüchtet. Aber es gab auch ein positives Erlebnis. Einmal, da sind wir auf der Flucht gewesen, meine Mutter mit dem Handwagen und uns Dreien und da sollte ich ein Po voll kriegen, aus irgendeinem Grund und da bin ich weggelaufen. Na, jedenfalls hat das ein Russe gesehen und was hat der gemacht? Der ist hinter mir her mit dem Rad gefahren, hat mich gestellt und zurückgebracht und wir waren alle froh. Und in Ludwigslust saß ich noch mit einem Russen auf der Treppe und ich hab' ihm alles erzählt: „Wir kommen von zu Hause und wollen nach Hause, nach Hamburg.“ Ob der das begriffen hat? Ich auch nicht. Und das war ja unser Ziel, mein Vater hat das ja so abgemacht mit meiner Mutter, Hamburg. In Hamburg da sind seine Brüder. Und da saß der Russe neben mir und sagte: „Woina kaputt, Woina kaputt!“ Und erst vor kurzem habe ich

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mitbekommen, was das überhaupt ist. Ich hatte immer gedacht, er meinte: „Deutschland kaputt.“ Aber es heißt: „Krieg kaputt.“ Das war dann der 8. Mai wahrscheinlich, das war ein Sonntag. Also, da schien die Sonne und wir saßen denn da und meine Mutter hat die Luft angehalten, da oben in der Wohnung, weil ich habe ja alles ausgeplaudert. Und dann ging es weiter bis Boizenburg. Der Russe, der hatte die Elbe da ja schon als Grenze festgelegt, es ging nicht mehr so leicht da 'drüber. Meine Mutter hat da in Boizenburg aufgepasst, wo schon Leute aus den Häusern gekommen sind. Die wollten nämlich weiter flüchten und dann sind wir da 'reingelaufen, bei dem Bauern und meine Mutter hat dort mit uns Unterkunft gefunden. Und dann bin ich da mal 'rausgegangen und hab da so um die Ecke geguckt. Da kamen zwei Russen: „Stoi, stoi.“ Also das heißt: „Stehen bleiben.“ Dann hatte ich Schiss und da musste man auch Angst haben und dann bin ich zurückgelaufen ins Tor 'rein. Dann hatte sich das erledigt, die haben das wohl nicht mitgekriegt, dass ich da so schnell verschwunden bin. Die Häuser, die hab' ich heute noch in Erinnerung, die habe ich letztens noch erkannt, als wir da waren. Das ist Haus an Haus, dann ein Tor und dann ist so ein Hof. Da hat der Bauer dann sein Arbeitsplatz … Vieh, Hühner und für die Ernte. Da wurde alles dann abgefertigt und Stroh gedroschen, man hatte ja keine Maschinen damals. Sei's 'drum, von dort wollte meine Mutter flüchten, mit uns. Viermal hat sie Anlauf genommen im Wald. Wir sind alle nacheinander krank geworden, ich war mit Typhus vier Wochen im Krankenhaus und die andern beiden waren auch kurz im Krankenhaus, meine Mutter und Brüder. Und dann hat sie doch den Absprung geschafft, mit der Bahn. Dann ging das mit der Bahn erst mal Richtung Lübeck, Kücknitz. Und von dort wieder auf eine Kleinbahn 'rüber und dann sind wir Richtung Schwarzenbek gefahren. Und dann sind wir zufällig in Dwerkaten gelandet. Da stand ein Bauer mit Pferd und Wagen. Der hat uns dann mitgenommen, mit dem kleinen Gepäck ins Dorf, nach Lütjensee. Und, ja da sind wir dann untergekommen bei einer Familie, aber nur drei Wochen. Im Ort war ein

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Krankenhaus, das die Engländer in Beschlag genommen hatten. Und dann hat da mein Bruder, der lief da so auf der Straße, der hat da eine Scheibe Weißbrot mit Butter vom einem Engländer gekriegt und davon haben wir alle dann mal abgebissen, das hat dann mal geschmeckt bis zum Geht-nicht-mehr. Irgendwann war dann der Russe in Kletzke einmarschiert. Da war auch so ein Bauernhof, wo wir dann gewohnt haben. Erst haben die Russen von dem Bauern die Schweine 'rausgeholt, dann haben sie die erschossen. Die haben die Schweine nicht richtig geschlachtet. Da haben sie ein Feuer gemacht und haben die Schweine da 'reingetan, damit die Borsten 'runterkommen. So haben sie ja Fleisch gehabt, so haben die ein Schwein aufgeteilt. Und Schnaps haben sie auch immer gebrannt auf dem Kohleofen, anderes hatte man nun mal nicht. Dafür wurden, ich glaube Zuckerrüben, die der Bauer hatte, aufgekocht. Und ich habe mich immer gefreut, als kleiner Stippi, wenn das Zeug übergelaufen ist. Dann konnte ich das abkratzen, weil das hart war und dann habe ich Bonsche gehabt, das schmeckte ja süß. Aber dass das Schnaps wurde, das habe ich erst später mitbekommen. Und in Grabau müssen die Russen das Haus geplündert haben. Da waren drei Russen den Torweg zurückgekommen. Die Frauen waren ganz aufgebracht. Außerhalb von dem kleinen Dorf Grabau, da waren noch die Reste vom Krieg. Also Panzer und Munition, dort haben wir immer so schwarze Stäbe geholt. Die waren so schwarz und hohl und damit hat unsere Mutter immer Feuer angemacht. Einmal hatte sie zu viel 'reingepackt und dann ist das Ofenrohr natürlich explodiert. Da sind auch mal ein paar Kinder bei umgekommen. Die waren dann halt zu frech und dann haben sie sich im Spiel da gegenseitig abgeknallt. Irgend so ein Unglück passierte dann immer. Die Frauen haben sich immer mit Asche eingeschmiert und Lehm, damit sie hässlich aussahen und dann bloß nicht einem Russen in die Hände fallen. Aber wie gesagt, das hab' ich nicht so mit gekriegt, dafür war ich noch zu klein. Und die Russen wollten immer „Uhri, Uhri“ und „Fahrräder“. Und von den Fahrrädern, da haben die Leute die Ketten abgenommen und die Russen waren zu blöde zum Rad-

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fahren. Die wollten bloß immer ein Rad haben, haben sich daraufgesetzt, es funktionierte ja nicht. So war das ein bisschen die Rettung da, das Fahrrad behalten zu können. Und was heißt „Uhri, Uhri“? Hier, Uhr. Die waren begehrt. Die haben sie dir weggenommen. Dafür haben sie dich abgeknallt oder sonst was. Da waren sie hinterher. Da gab es ja solche digitalen Uhren noch gar nicht, nur mechanische Uhren. Und den Frauen sind sie auch hinterhergerannt. Die Frauen haben sich im Heu versteckt und dann haben sie eine Mistforke genommen und ins Heu 'rein gestochen. Aber das habe ich nicht so mitgekriegt, das weiß ich von Horst, meinem Bruder, der ist knapp zwei Jahre älter. So und dann kriegten wir 1947, als wir in Lütjensee gewohnt haben, Bescheid, dass mein Vater in Mannheim in Gefangenschaft war. Er war in amerikanischer Gefangenschaft. Der Amerikaner, der war ja auch bis vor Berlin gekommen und der hat meinen Vater dann geschnappt und, das hat er mir doch noch erzählt, die haben ihn und seine Kameraden dann auf einem Lastwagen in Richtung Süden gefahren. Bei Mannheim, das war ja amerikanische Zone, da war er in Gefangenschaft und mit einem Mal stand er dann 1947 vor der Tür, in Lütjensee. Ich weiß noch, wie meine Mutter mit uns nach Hamburg gefahren ist. Da hat sie ihren Schwager, meinen Onkel, besucht. Der ist beinahe in Ohnmacht gefallen, der dachte, er müsse uns aufnehmen. So und dann sagte meine Mutter, wir hätten längst eine Unterkunft gefunden. Das war eigentlich der Grund, einerseits hierher zu kommen und andererseits, wussten wir, dass Hamburg so bombardiert wurde. Wir mussten mit der Bahn nach Billstedt fahren, mit der Straßenbahn bis zum Rathaus, umsteigen und dann bis zum Roten Baum. Die Frau von meinem Onkel war Jüdin und die wollten sie 1943 abholen, die Nazis, aber sie hat sich vorher vergiftet. Am Roten Baum soll eine Judenecke gewesen sein. Mein Onkel hat hinterher noch eine zweite Jüdin geheiratet.

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Nach dem Krieg sind wir immer Pilze sammeln gegangen, die ersten Jahre … Haben Steinpilze gesammelt, die gab es ja zu Haufen bei uns. Meine Mutter hat die abgepackt, immer pfundweise. Das war so um 1948, da gab es auch schon das neue Geld. Dann ist sie mit mir in die Stadt gefahren, vor dem Alsterhaus hab' ich gesessen. Ich hab dann immer ein Pfund verkauft, für 90 Pfennig. Und die Pfennige, das waren keine Münzen, das waren Scheine. Und da war eine Frau, die hat da so ein Pfund gekauft und dann kam meine Mutter, so aus dem Hinterhalt, und sagte: „Zähl' das mal nach, das Geld.“ Dann waren das statt 90 nur 80 Pfennig. Da hat sie mich angeschmiert, die Frau und das gab es damals viel. Das war nicht ganz ohne. Und du hast nicht von alleine nachgezählt? Sie hatte das Geld schon so zusammengerollt. „Hier hast du dein Geld“, weg ist sie. Meine Mutter wusste gleich von hinter, was los war. Ja und dann stand ich da erstmal und war angeschmiert. Damit haben wir unser Geld verdient, mit Pilze verkaufen. Später hatten wir in einem alten Haus gewohnt, das war so 1953 ungefähr. Ein Zimmer hat meine Mutter noch vermietet, so an Untermieter. Das Zimmer war oben so ein bisschen abseits. Und da hat die junge Frau sich noch einen Mann damit 'reingeholt. Der hat dann geklaut, hinter dem Wald, einen Sack Erbsen und das im Schnee. Und mit einen Mal hatten sie ihn gefasst und warum? Weil der Sack ein Loch hatte. Das stand nachher auch in der Zeitung. Ich glaub', ich würde nicht mehr nach Posen zurückfinden, wo wir damals gewohnt haben. Denn wen soll ich fragen? Da lebt doch keiner mehr. Meine Mutter würde noch dahin finden, aber die ist jetzt schon 26 Jahre tot, sie starb 1984. Da in Polen würde ich niemals hinfinden. Das hieß Kuschel, das war nur ein Bauerngehöft, fertig. Das findet man auch auf keiner Karte. Ich weiß nur, wir sind mit Pferd und Wagen morgens losgefahren, nach Posen und abends wiedergekommen, wenn wir ein-

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kaufen waren. Aber wie viele Kilometer Entfernung das sind, weiß ich nicht. Vielen Dank für deine Zusammenfassung der Flucht und die genauen Erlebnisschilderungen!

Fazit Harri Graulo hat uns seine Erinnerungen an die Flucht sehr offen und lebendig erzählt. Es hat uns sehr betroffen gemacht, was auch schon kleine Kinder so mitmachen mussten. Es war für uns sehr spannend, da wir viele neue Erkenntnisse über diese Zeit gewinnen konnten.

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Ruth-Alice von Bismarck, befragt von Clemens Groth

Biographie Ruth-Alice von Bismarck wurde am 3. März 1920 geboren, sie ist eine geborene von Wedemeyer. Ihr Vater war Gutsherr in Pommern und Privatsekretär von Franz von Papen. Sie ging in Thüringen, in einem Stift, zur Schule und bekam, wie sie selbst sagte, dort eine feste Verwurzelung im christlichen Glauben. Klaus von Bismarck heiratete am 15. Juli 1939 Ruth-Alice, er war ein hoher Offizier und bekam so eine Genehmigung, dass seine Frau aus Pommern fliehen durfte. Sie floh bis Nordrhein-Westfalen, wo sie später mit ihrem Mann ein neues Leben begann. Ihr Mann war vom ersten bis zum letzten Tag im Krieg, er hatte nur ein Jahr Urlaub, den sie mit ihm verbringen konnte. Das Ehepaar hatte sieben Söhne und eine Tochter. Heute lebt Ruth-Alice von Bismarck in einem Altersheim in Hamburg, sie feierte im März 2010 ihren 90. Geburtstag.

Interview Können Sie mir etwas über Ihr Leben bis circa 1933 erzählen? Ich hatte eine ungeheuerlich glückliche Kindheit, jedoch auf einem Gut gab es Standesunterschiede. Zum Gut gehörte ein Dorf. Petzig hieß das Dorf, jetzt heißt es Beatschechnow und mein Vater war der Gutsherr und es gab auf diesem Gut ganz verschiedene Arten von Arbeitern, die dieses

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Gut bewirtschafteten. Es war eine richtige Landwirtschaft mit Kühen, Pferden, Schafen, mit Getreide- und Kartoffelanbau. Es war ein Gut, kein einfach zu bewirtschaftendes Gut, sondern es stand im früheren Endmoränengebiet. Dort war es hügelig und mit unterschiedlichem Boden und mein Vater hatte in der damaligen Krise, vor dem Zweiten Weltkrieg gab es eine landwirtschaftliche Krise, hatte er sehr zu kämpfen, das Gut durchzubringen. Da gab es also die Landarbeiter und da gab es die Handwerker und da gab es die verschiedenen Ränge, Schmiedemeister und den … Zum Teil hießen die Meier, der Leutemeier und der Kornbrogmeier, also ganz verschiedene Namen und Würden und es gab eine Kirche und diese Kirche kann ich Ihnen zeigen. [Frau von Bismarck steht auf und zeigt mir ein Bild auf dem Regal]. Es war ein Straßendorf und es gab eine Straße, an der gab es sogar noch Bauern, die selbstständig ihre Höfe bewirtschafteten. Ihre Familie hatte vorher eine schwere Zeit, wie empfanden Sie die neue Politik der Nazis? Also mein Vater hat sehr schnell gemerkt, wo der Hase lief und so wurde … Also ich war 19 Jahre, als der Krieg begann und habe aber mit 19 Jahren geheiratet und da gab es noch eine große Hochzeit. Also eine richtige, riesengroße Landhochzeit und die meisten, die auf dieser Hochzeit, die meisten Männer, die auf dieser Hochzeit zu Gaste waren, haben den Krieg nicht überlebt. Es war aber noch ein ganz großes Fest. Waren Sie im BDM? Nein! Also ich hatte das Glück, meine wichtigste Bildung in einem Stift in Thüringen zu bekommen. Das war Altenburg, in Thüringen und dort war sogar meine Urgroßmutter mal Pröpstin gewesen. Ich war nur zwei Jahre dort, aber es gab erstens eine ausgezeichnete Bildung und zweitens

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eine tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben. Dort wurde ich auch konfirmiert und da war nicht BDM. Es war … ja, wie waren die Jahre … Welche Einstellung hatte Ihre Familie gegenüber der neuen Politik Hitlers? Also, es war gerade die Zeit …, „ ach, diese alte Frau, das ist doch schlimm mit dieser Erinnerung“, also 33 war Hitlers Machtergreifung und 33 war ich gerade mal 13 Jahre alt, 33 war ich schon wieder in Altenburg. Mein Vater war im Jahr vorher in Berlin, weil er befreundet war mit Franz von Papen und wollte ihn davon abbringen, Hitler an die Macht zu bringen. Er ließ sein Gut im Stich. Damals war gerade mein späterer Mann bei uns in der Lehre und musste deswegen größere Verantwortung auf sich nehmen und gerade im letzten Moment, mein Vater war Privatsekretär von Franz von Papen, und gerade im letzten Moment vor der Röhm-Affäre, wo Hitler ja viele Leute umgebracht hat, ist mein Vater aus Berlin zurückgekommen. Aber an seinem Schreibtisch ist der Mann erschossen worden, der sein Nachfolger war. So ist mein Vater dem entgangen. Wo haben Sie und Ihr Mann während des Krieges gelebt? Mein Mann war im Krieg, aber hat überlebt. Er war Reserveoffizier in Kolgart, aber im Grunde fast wie ein aktiver Offizier. Das nannte man damals Fahnenflucht zur Truppe, das heißt, um nicht in SA und SS oder irgendsowas zu müssen, ging man als Soldat und er war sehr gerne Soldat … Er war in einem Jeweler Bataillon und als ... und insofern bekam er auch einen Stellungsbefehl und seine Truppe lag schon an der polnischen Grenze, bevor der Krieg begann. Sodass sie dann sofort am 1. September einmarschierten. Das war verhältnismäßig überraschend und ging erst sehr schnell, aber vorher, wir hatten gerade noch Zeit für eine Hochzeitsreise, am 15. Juli haben wir geheiratet und bis zum 1. August

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konnten wir noch eine Hochzeitsreise machen. Dann musste er eben an die Ostfront und dann ist er, mit einem Jahr Unterbrechung, alle sechs Jahre an der Front gewesen, immer an der vordersten Front. Sie waren in Polen, in Frankreich und dann kam der Russlandfeldzug. Ich zog zu meiner Schwiegermutter, in die Heimat meines Mannes. Ich hatte ihn ja nun geheiratet, aber das war eine merkwürdige Sache, dass die Schwiegermutter und die Schwiegertochter erstmal lange zusammen lebten, ohne den Mann dazu und das war in Kniphof, das ist jetzt hier [sie zeigt mir ein Bild, auf dem mehrere Häuser und deren Orte abgebildet sind] und das ist das Haus, in das ich dann zog. Sind das alles Häuser, in denen Sie mal gewohnt haben? Dies hier, hier haben wir nach der Flucht gelebt, das heißt wir flohen schon vor Ende des Krieges nach Rösselspek, also hier hatte mein Mann schon 44 für mich Quartier gemacht, denn er wusste, dass der Krieg verloren sein würde. Fuhr schon damals in den Westen und bei den westlichen Verwandten suchte er schon die Zimmer für uns aus, da waren wir aber noch zu Hause und dann kam unsere Flucht. Die war für mich sehr speziell, ich hatte in diesem kleinen Haus ein Jahr mit meinem Mann verbracht. Ich hatte Ihnen erzählt, dass mein Mann ein Jahr zu Hause war. Dort hab' ich in diesem kleinen Beamtenhaus gelebt mit ihm und ich hatte schon zwei Kinder und nun erwartete ich das dritte. Als mein Mann wieder im Felde war, war auch Treckverbot. Hitler schwor immer noch auf den Sieg und verkündete den Sieg immer noch. Inzwischen aber rückte uns die Front immer näher und es wurde höchste Zeit, zu fliehen. Es war aber Treckverbot und ich erwartete ein Kind und war im achten Monat, das war im Januar 45, ganz kurz vor Ende des Krieges und im März 45 ist das Kind geboren. Aber ich hatte Glück, mein Mann hatte damals militärisch eine sehr hohe Stellung und war Ritterkreuzträger und so was alles und deswegen hatten die Soldaten immer noch einen großen Wert für das Naziregime, wenn sie Orden trugen, Hitler

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brauchte ja seine Offiziere. Also rief er beim Gauleiter an, in der Kreisstadt und sagte: „Ich möchte eine Sondergenehmigung haben, für meine Frau, die ein Kind erwartet!" Und er bekam eine Sondergenehmigung für unser Dorf, für alle Frauen die ein Kind erwarteten. Und in der Nacht, das ging ja alles immer mit Tempo und in der Nacht ging ich noch zu den anderen beiden Frauen hin, die auch ein Kind erwarteten. Der Treck war schon vorbereitet worden bei uns. Mein Mann hatte einen verwundeten Kameraden zurückgeschickt, der für ihn das Gut verwaltet hat und der hatte schon sehr gut vorgesorgt. Die Gummiwagen, es gab damals erstens Gummiwagen, die waren mit Gummirädern, und Ackerwagen, die rumpelten. Und er hatte, die Gummiwagen waren alle verteilt, jede Familie wusste, auf welchen Wagen sie kam, dadurch ist der Treck auch noch 'rausgekommen. Nachher, später im letzten Moment, aber das war zu spät für mich. Denn es war eine gewisse Ruhepause über den März. Jedenfalls, ich ging in der Nacht zu den beiden anderen Frauen und die wollten aber nicht mitkommen, die wollten sich nicht vom Dorf trennen. Also war ich alleine übrig, hatte aber nicht einen Gummiwagen, denn die waren alle verteilt und es war bitterkalt und Schnee. Also packten wir für mich einen Schlitten. Wir hatten Ackerschlitten, die waren so wie ein Ackerwagen und da 'drin lagen unsere Betten. Ich hatte mit mir, außer meinen beiden kleinen Kindern, eine ganz alte 70-jährige Frau, die meine Schwiegermutter mir mitgab und ein junges Mädchen, die wollte sie gerne weghaben. Alte Frauen und junge Mädchen waren nicht gut, wenn die Russen kamen und einen Kutscher, der aus … Also Deutsche durften nicht über die Oder und als Ausländer war der Kutscher … Wir hatten drei Pferde und so ging die Reise los. Wir saßen auf unseren Betten und hatten vor allem Pferdefutter eingepackt, um die Sache zu überleben und nun fuhren wir also los. Wohin sind Sie dann gefahren?

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Also kurz bevor es los ging, besuchte ich noch meinen Onkel im Nachbardorf und wir hatten einen Punkt verabredet, wo, man musste ja immer einen Nachrichtenpunkt verabreden und da hatten wir verabredet, ich glaube es war Bad Doberan, also ließ ich mir auf der Landkarte einzeichnen, was es da für Häuser gab, wo ich vielleicht unterkommen konnte unterwegs, und so fuhr ich los. Dann kam ich an der ersten Station an, wurde dort sehr nett aufgenommen und dann war plötzlich der Schnee weg. Also mit Schlitten ging es nicht mehr weiter und wir bekamen einen Ackerwagen, aber die Ackerwagen in Vorpommern, wir mussten ja durch Vorpommern, erst über die Oder und dann durch Vorpommern und der war viel größer und schwerer und rumpliger, als unsere Ackerwagen. Ich konnte das nicht aushalten, mit meinem Baby im Bauch, mit so einem Rumpelfahrzeug zu fahren. Also fing eine dramatische Geschichte an, durch Mecklenburg-Vorpommern und wir landeten erst einmal als Zwischenstation in Celle. Sind Sie dann in Celle geblieben oder sind Sie weitergefahren? Wir hatten schon mal auf dem Treck ein Quartier, das war in Görlitz, wo die Leute uns gerne behalten wollten. Aber inzwischen war die Zeit weitergegangen und plötzlich erschien meine Mutter. Sie wollte eigentlich in Petzig bleiben und hatte all' ihre Kinder weggeschickt und musste, weil dort eindeutiges Treckverbot war, letztendlich zu Fuß fliehen. Wo war denn das Ziel des Trecks? Am allerletzten Ende sind wir dort angekommen, wo mein Mann das Quartier ausgesucht hatte, das war in Oberbeven. Ganz die letzte …, aber wer weiß, was noch alles passiert ist. Aber schließlich kamen wir dort an, es war ein Wasserschloss und dies war ein Schloss mit zwei Flügeln, aber in der einen Hälfte wohnte die Familie, in der anderen

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wohnten 88 Flüchtlinge und das hatten sie für ihre Verwandten reserviert, die kamen und da landeten wir endlich in Westfalen. Wie lange hat die Flucht gedauert? Also, ich kam rechtzeitig an, für die Geburt meines Kindes, das am 28. März geboren wurde. Aber wir kamen schon Anfang März an, also ich hatte noch ein bisschen Zeit. Anfang März, da war so eine Angriffspause, da ging plötzlich der Krieg wieder los und meine Mutter hatte mich auf dem Treck gefunden und hatte mir geraten, weiterzutrecken, nicht dort zu bleiben, in Neckklau. Das war das ganz große Glück und so konnte mein Kind gesund geboren werden. Während die anderen Frauen, die auch ein Kind erwarteten, als der Treck endlich losging von Kniphof, auf dem Treck gestorben sind. Wussten Sie, dass Ausländer und Staatsfeinde in die Arbeitslager und später dann in die KZs abgeschoben wurden? Das ist eine sehr gute Frage. Die ganze Wahrheit wussten wir nicht, denn es wurde sehr stark darauf Wert gelegt, es geheim zu halten. Erst jetzt kommt 'raus, wie schlimm Hitler wirklich ein Massenmörder war, das kommt jetzt plötzlich nochmal ganz neu 'raus. In seiner ganzen Fürchterlichkeit, aber natürlich langsam, langsam merkten wir, was los war, Schritt um Schritt. Kannten Sie denn jemanden, der ins KZ gebracht wurde? Ich muss jetzt mal einen Augenblick passen, nehmen Sie mal die nächste Frage. Hatten Sie Begegnungen mit den Alliierten?

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Also, wir hatten ja eine Besatzung und in Nordrhein-Westfalen waren wir britisch besetzt und die britische Zone war eigentlich die Beste. Nun kommt natürlich sehr stark mein Mann ins Spiel, denn er kam. Als mein Kind geboren wurde, wusste ich nicht, wo er war und mein Mann hatte gesagt: „Wenn ich tot bin, kannst ‘n Klaus nennen“, er hieß Klaus. Also ich wusste nicht, wo er war und mein Kind wurde geboren und ich nannte ihn Klaus und er wurde Klaus getauft. Er hatte nur diesen einzigen Namen. Dann kam der ungeheuerliche Moment, wo eine Cousine mit dem Fahrrad kam und mir sagte, dass er lebt. Es war ein ganz großer Moment. Kannten Sie Menschen, die den Juden geholfen haben, sich zu verstecken? Wissen Sie, es ist so schwer für mich. Mein Kopf ist gefüllt mit Erinnerungen, immer die 'rauszufinden, die gerade zu der Frage passen, ist nicht so einfach. Also die Juden spielten im Grunde in unserer Familie eine ganz große Rolle, weil nämlich unsere sehr geliebte Tante, die älteste Tochter meiner Großmutter, deren Mann sehr früh gestorben war, war mit einem Juden verheiratet und wusste es nicht. Sie musste sich von ihm trennen und wusste es immer noch nicht, Stahlberg hieß er. Scheidung war eigentlich etwas, was es bei uns in der Familie nicht gab, deswegen ging sie zu ihm. In dieser Zeit hatte eigentlich jede Familie ein Geheimnis und damals hatte man noch das Gefühl, die Familie hatte einen so starken Zusammenhalt, dass man einfach Dinge verschweigen konnte. Und deswegen hatte die Frage nach den Juden und nach Israel eine ganz große Bedeutung, weil sie wirklich in das innere Herz drang und doch ist es für mich eine lebensentscheidende Frage geworden, die Frage Israel. Diese Frage hat mich bis heute begleitet und ich habe durch diese Fragestellung ein ungeheuer reiches Leben gehabt, das knall ich Ihnen jetzt einfach so hin. Unsere Bibel ist ja das Neue und Alte Testament, das kann man nicht teilen, es gehört zusammen. Mein Mann hat

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diesen Krieg überstanden, durch viele Wunder. Er war nicht im Widerstand, hat überlebt und hat aber erkannt, dass er sein Leben der Erneuerung Deutschlands geben musste und das bedeutete viele Lebensstationen. Hier ist die Flüchtlingsstation, Haus Villigst in Westfalen, wo wir eine Art neuer Geburt erlebten, in einem Haus der evangelischen Kirche, was jetzt eine wichtige ökumenische Funktion hat, Haus Villigst in Nordrhein-Westfalen. Das steht in der Mitte [auf dem Bild mit den Wohnorten], weil sich dort unser christlicher Glaube erneuert hat und wir durften es erleben, dass uns Jesus Christus beteiligte, an der Erneuerung unseres christlichen Glaubens. Das ist ein etwas bizarrer Satz, aber ich kann es nicht besser ausdrücken. Wir haben dort Mitte des Jahres 2009 ein Treffen aller Kniphofer Enkel erleben dürfen. Der christliche Glaube hat und hatte immer eine feste Bedeutung in Ihrem Leben oder? Sie haben es vielleicht hier 'drin gelesen, der Weg meines Vaters und dieses preußische Erbe. Politik hat was mit Gott zu tun, steckte in mir von meiner Kindheit an und dies habe ich dann erlebt, dass Gott die Welt …, „Herr erschaffe uns und dieser Welt neu, nach deiner Gnade.“ Das ist eben ein sehr großes Wunder, was ich erlebt habe weil ich im … Das haben Sie bestimmt schon gehört, dass ich auch eine Verbindung zu Dietrich Bonhoeffer habe. Ich glaube, dass was hier 'drauf steht, auf diesem Blatt. Glauben heißt, dass sich Gott neu offenbart, Unglaube, dass er sich wiederhole. So eine Offenbarung ist Dietrich Bonhoeffer zuteil geworden und er hat sie mit seinem Leben bezahlt. Aber gerade durch sein Sterben hat sie angefangen zu leuchten und diese unglaubliche Leuchtkraft habe ich selber erlebt. Es war ein Mann, der überhaupt nicht … Also der Hitler hatte ja einen gewaltigen Stimmaufwand und dieser Dietrich Bonhoeffer sprach ganz leise, aber er stand am Lesepult … Zwei Predigten von ihm habe ich nicht vergessen, bis heute. Die eine war, er predigte über den Segen, den Aaronitischen Segen, steht im Al-

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ten Testament. Sagte: „Der Herr segne dich und behüte dich. Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig“ dann fuhr er anders fort: „Und nun erhebt Gott sein Angesicht und sieht dich an“, das habe ich nie vergessen, bis heute und es ist eine Realität geblieben. Danke für Ihre Fragen!

Fazit Das Interview verlief sehr gut. Ich fand es faszinierend, was Frau von Bismarck in ihrem Leben erlebt hat. Unser interessantes Gespräch war zwar etwas kurz, doch es gab für mich sehr viel zum Nachdenken. Frau von Bismarck ist eine sehr herzliche und gebildete Frau und hat mich offen empfangen, obwohl wir uns vorher nie begegnet sind. Im Großen und Ganzen hat mir das Interview viel Spaß gemacht und es war sehr spannend. Ein halbes Jahr später traf ich sie erneut in Hamburg, wir unterhielten uns nicht lange. Sie erkundigte sich bei mir nach der Arbeit an diesem Buch.

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Nachwort eines Zeitzeugen (?) Beginnen möchte ich dieses Nachwort, um das mich Hans-Christoph Goßmann gebeten hat, mit einem Dank an Sie, die jugendlichen Interviewerinnen und Interviewer. Es ist ein herzlicher, auch persönlich begründeter Dank dafür, dass Sie die Neugier, das Interesse und den Mut aufgebracht haben, mit ihren Fragen unbefangen auf alte Menschen zuzugehen, die zwischen 1915 und 1939 geboren sind, also prägende Jahre ihres Lebens als junge Erwachsene, als Jugendliche oder als Kinder in der Epoche der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und in den so genannten Nachkriegsjahren verbracht haben. - Warum mein Dank nicht nur der in diesem Buch dokumentierten Arbeitsleistung geschuldet ist, sondern auch eine persönliche Komponente hat, möchte ich Ihnen im Folgenden zu erklären versuchen. Gestatten Sie mir deshalb, dass ich Sie in diesem Nachwort als jugendliche Interviewerinnen und Interviewer persönlich anrede:

I. Als vierzehn- bzw. fünfzehnjährige Schülerinnen und Schüler haben Sie sich - ermutigt durch ihre Geschichtslehrerin - ein Herz gefasst und haben Unbekannte und Bekannte, zum Teil auch die eigenen Großeltern, nach deren Erinnerungen und Erlebnissen während jener Jahre des Schreckens befragt. Ich denke, dass das manchmal nicht ohne Herzklopfen auf beiden Seiten abgegangen ist. Ähnlich ist es mir ergangen, als ich Ihre Manuskripte das erste Mal durchblätterte. Mir wurde - fast mit einem leisen Erschrecken - sofort bewusst, dass auch ich einer Ihrer „Zeitzeugen“ hätte sein können; denn ich gehöre altersmäßig zu den fünf zwischen 1933 und 1937 geborenen

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„Dreißigern“, die Sie (neben anderen, älteren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen) interviewt haben. Ich bin Ende Dezember 1934 als Sohn des Oberlandwirtschaftsrates Dr. Alex Gloy und seiner Ehefrau Gertrud, geborene Vahlbruch, in Kiel geboren. Dort wurde ich 1941 eingeschult, kam aber, als die ersten Luftangriffe auf Kiel begannen, zu meinen bäuerlichen Verwandten nach Silzen, in ein kleines Dorf südlich von Hohenwestedt, und ging dort zwei Jahre lang in die einklassige Dorfschule, zusammen mit Vetter und Cousine. Mitte 1943 brachte mich mein Vater dann zu meiner Mutter und zu meinem jüngeren Bruder nach Lüneburg, wo die Großeltern (mütterlicherseits) wohnten. Dort habe ich mit dem Einmarsch englischer Truppen das Ende des Krieges erlebt. Schon im Januar 1946 holte mein Vater die Familie wieder nach Kiel zurück - in eine von zwei Bombentreffern schwer beschädigte, provisorisch hergerichtete ‚neue’ Wohnung (von unserer früheren Wohnung in der Lornsenstraße war nur noch ein Trümmerhaufen übrig, in dem wir 1946 nach Überresten unseres Hab und Guts gesucht haben). Mit dem Eintritt in die Vorklasse der Kieler Gelehrtenschule im Februar 1946 begann dann für mich ein neuer Lebensabschnitt.

II. Bin ich wirklich ein für die Jahre zwischen 1933 (1939) und 1945 geeigneter Zeitzeuge? Vor allem beim Lesen der fünf oben angesprochenen Interviews habe ich des Öfteren gleichsam neben mir gestanden und mich gefragt, was ich denn damals erlebt habe und wie ich es heute erinnere und beurteile. Dabei sind mir Zweifel gekommen, ob ich denn für Sie wirklich ein für die Jahre zwischen 1933 (besser: 1939) und 1945 geeigneter, authentischer Zeitzeuge hätte sein können.

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Die Epoche, mit der Sie sich im Geschichtsunterricht („Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“) und in Ihren Interviews beschäftigt haben, habe ich weder als junger Erwachsener noch als Jugendlicher, sondern ‚nur’ als Kind miterlebt - genauer: aus kindlicher Perspektive wahrgenommen bzw. wahrnehmen können. Was bedeutet das in meinem Fall? Dass ich mich natürlich an bestimmte Lebensstationen und Ereignisse, Eindrücke und Erlebnisse mehr oder weniger deutlich erinnern kann, weil sie bis heute „Bilder“, innere Spuren in mir hinterlassen haben, zum Beispiel: -

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an die angstvolle Stimmung im Luftschutzkeller, aber auch an die Neugier, als das erste Haus in unserer Nachbarschaft von einer Bombe getroffen war, an die „stolzen“ Kriegsschiffe im Kieler Hafen, an die „schmucken“ Uniformen der Matrosen; an die zeitweilige Einsamkeit und das Heimweh des Kindes auf dem Lande (bei aller Fürsorge durch die Tante), aber auch an die unbekümmerten Streifzüge durch Wald und Feld zusammen mit dem Vetter, an das Abenteuer zweier „feindlicher“ Flugzeugabstürze in der Nähe unseres Dorfes etc.; an den Brandgeruch der Hamburger Bombennächte, der manchmal bis nach Lüneburg drang, und an die Flüchtlingstrecks, die im März / April 1945 durch Lüneburg zogen und bei uns Kindern eher Neugier als Angst verbreiteten etc. etc.

Aber es sind der Form und dem Inhalt nach Erinnerungen eines Kindes, das das, was damals um es herum und in ihm selbst geschah, noch nicht in größere Geschehenszusammenhänge und Bedeutungshorizonte einordnen und darum auch kaum verstehen, erst recht nicht bewerten konnte.

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Was ich über mich - damals als Kind in der Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges - zu wissen meine und heute denke, ist längst eingefügt in und mitgeformt von einem umfassenderen zeitgeschichtlichen Wissen und durch eine kritische Sicht; sie haben sich erst später im Laufe vieler Jahre in einer immer wieder erneuten Beschäftigung mit jener Zeit herausgebildet.

III. Von einigen der Interviewten wird diese kindliche Perspektive in einer sehr eindrücklichen Weise wiedergegeben bzw. auf sie aufmerksam gemacht. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist eine Passage in dem Interview mit Erika Völkl (im Mai 1937 in Hamburg geboren): Gibt es irgendetwas, das dich sofort an den Krieg erinnert? „Ja, sehr oft. Wenn ich, zum Beispiel im Fernsehen, Kriegsbilder sehe oder die Not. Ich kann mich wahrscheinlich besser hineinversetzen und mitfühlen, weil ich ähnliches auch schon mal erlebe habe. Man bedauert die Kinder, die in Trümmern spielen. Was für eine Freiheit wir hatten, wir durften in den Trümmern spielen, zwischen den Mauerstücken, was man da alles fand und bauen konnte! ...“. Also trotz des Krieges eine schöne Kindheit? „Ja. Als Kind weiß man ja gar nichts über die Auswirkungen des Krieges. Man sieht ja eigentlich nur das, was man gerade erlebt. So wie es ist, ist es eben.“ Also gar nicht so mitgekriegt? „Ja doch, nachträglich hört man dann, wie es vor dem Krieg war und wie es ohne den Krieg hätte sein können.“ Haben Sie das mit der Judenverfolgung mitgekriegt?

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„Ja, später habe ich davon gehört. Da hat meine (ältere) Schwester schon mehr mitgekriegt... “ ……………. Wie hat der Krieg dein Leben verändert? „Das kann ich nicht sagen, dazu könnte meine Schwester etwas sagen. Die hat den Absturz ja bewusst erlebt – dass alles weg war. Ich habe meine Puppe vermisst, die angeblich während der Luftangriffe im Puppenkeller war….“

IV. Das Interview mit Frau Völkl finde ich auch deswegen besonders lesenswert, weil die Interviewte direkt und indirekt immer wieder versucht hat, zwischen den verschiedenen Ebenen ihres Erinnerns - ihrer damaligen und ihrer heutigen Wahrnehmung - zu unterscheiden, also zwischen -

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dem, was und wie sie es als Kind wirklich erlebt hat bzw. was ihr widerfahren ist; dem, was sie aus späteren Erzählungen und Meinungsäußerungen ihrer Eltern und Geschwister entnommen hat (oder auch nicht entnehmen konnte, weil darüber in der Familie, Schule etc. kaum oder gar nicht gesprochen wurde); der Einordnung der eigene(n) Geschichte(n) in die größeren geschichtlichen Zusammenhänge; und den eigenen Schlussfolgerungen, Einsichten und Urteilen, die sich im Laufe des Erwachsenenlebens bis heute herausgebildet haben.

Frau Völkl liefert uns mit der differenzierten Art ihres Erzählens gleichsam nebenbei einen wichtigen Wahrnehmungs-, Analyse- und Interpretationsschlüssel für einen verstehenden und zugleich kritischen Umgang

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mit Erinnerungen (durchaus nicht nur mit den Erzählungen und Erinnerungen Anderer, sondern auch mit den eigenen). Ich denke, in der Mehrzahl der Auskünfte, die Sie bekommen haben, ist das Bemühen spürbar, in dieser oder ähnlicher Weise die eigenen Erinnerungen zu „sortieren“ (vielleicht hier und da auch auszusortieren?) und zu werten. Man kann aber auch an manchen Stellen merken, dass das den Interviewten nicht immer leicht gefallen ist und für Sie, die Interviewerinnen und Interviewer, zuweilen nicht sofort erkennbar war. Sie werden das in Ihrer Nacharbeit an und mit den Interviews an einigen Stellen bemerkt und dann auch selbstkritisch gedacht haben: Warum haben wir da und da und da nicht genauer nachgehakt? Schade!

V. Noch einmal zurück zu dem Problem der authentischen Zeitzeugenschaft: Wofür können in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Geborene, also damalige Kinder, im strengen Sinne „Zeitzeugen“ sein? Für das, was sie an Leib und Seele unmittelbar selbst erlebt, erspürt und / oder auch erlitten haben, vielleicht aber auch für lange Zeit mehr oder weniger vergessen (verdrängen) mussten, um nach 1945 weiterleben zu können. - Mit ihrer Erinnerung an das „Ausbomben“ am 24. und 25. Juli in Hamburg ist Frau Völkl eine solche kindliche Zeitzeugin. Das haben die drei Interviewerinnen mit großem Feingefühl herausgespürt und in ihrem Fazit festgehalten: „Erika Völkl hat als Kind im brennenden Hamburg für uns unvorstellbare Dinge erlebt. Ihre Erlebnisse waren für uns sehr erschreckend. Mit ihrer offenen Art konnte sie uns diese Zeit sehr nahe bringen“.

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Unendlich viele Kinder und Jugendliche sind in jener Zeit ähnlichen oder noch viel entsetzlicheren Erlebnissen ausgesetzt gewesen: - der Verfolgung und der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager; - der brutalen Trennung von ihren Eltern, manchmal von anderen versteckt und oft nur durch einen Zufall dem Tod entronnen; - den Schrecken des vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Totalen Krieges, den Bombennächten, der Flucht vor der russischen Armee, - dem Hunger und grenzensloser Angst. Obwohl der Altersgruppe der „Dreißiger“ zugehörig, zögere ich, mich selbst als ein Zeitzeuge für die Jahre zwischen 1934/35 bis 1945 zu verstehen. Denn ich frage mich, wofür könnte ich überhaupt ein Zeitzeuge sein? Allenfalls für das Erleben eines Kindes, -

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das inmitten eines furchtbaren Grauens für Abermillionen von Kindern in einer fast unglaublich beschützten Weise und von allem größeren Leid verschont aufwachsen konnte; das von den Schrecken des Krieges fast nichts mitbekommen und von der Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung der deutschen und europäischen Juden nichts geahnt hat. -

Was wäre diese, meine Erinnerung an eine nahezu unbeschwerte und im Blick auf die wirklichen Schrecken ahnungslose Kindheit denn wert, wenn mir nicht spätestens kurz vor dem Abitur im Jahr 1955 bewusst geworden wäre, welch’ unglaubliches Privileg, theologisch würde ich sagen: welche Gnade, mir mit dieser Kindheit in einer Zeit unvorstellbarer Leiden und unfassbarer Menschheitsverbrechen zuteil geworden ist und dass in meinem Verschontsein eine Verpflichtung liegt.

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VI. Etwa mit dem Abitur im Frühling 1955 begann für mich also nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ein neuer Lebensabschnitt. Seit dieser Zeit hat mich die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Epoche der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, ihren Ursachen und Formen, ihren Zielen und Folgen nicht mehr losgelassen. Sie wurde zu einem Schwerpunkt meines Studiums und meiner beruflichen Tätigkeit in der Lehrerfortbildung. - Wenn überhaupt, dann bin ich also eher ein Zeitzeuge für die geistigen und politischen Auseinandersetzungen in den Nachkriegsjahren über die so genannte „Bewältigung der Vergangenheit“ und für die Epoche des Ost-West-Konflikts, des damals so genannten „Kalten Krieges“, der endgültig erst 1989 sein Ende fand. Sooft ich persönlich auf das Ende des Krieges und vor allem auf meine Schuljahre in Kiel zurückblicke, erfasst mich immer wieder eine tiefe Ratlosigkeit, gemischt mit Trauer und Wut, Scham und Schmerz. - Denn meine weitgehende Ahnungslosigkeit im Blick auf das, was da zwischen 1939 und 1945 geschehen war, überdauerte sogar noch den größten Teil meiner Schülerzeit an der Kieler Gelehrtenschule (1949 – 1954/55). An dieser Schule herrschte meiner Erinnerung nach über die jüngste deutsche Geschichte ein absolutes Schweigen. Sehr viel später - nämlich 1989 aus Anlass des 50. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen habe ich mir dazu unter anderem Folgendes notiert: „In den ganzen neun Jahren an der Kieler Gelehrtenschule zwischen 1946 und 1955 habe ich nur zwei Lehrer gehabt, die ab und an ganz vorsichtig versucht haben, uns an einige fürchterliche Tatsachen der Jahre zwischen 1933 und 1945 heranzuführen. Der eine war ein älterer Pastor aus Schlesien oder Ostpreußen, der uns wenigstens glaubwürdig von den Leiden der Menschen auf der Flucht zu erzählen wusste; der andere: ein jüngerer, ehemaliger Jagdflieger, der mit einer schweren Verwundung dem Krieg entkommen war. Er verweigerte sich ziemlich konsequent

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den neugierig-naiven Fragen der Tertianer (8. /9. Klasse) nach seinen „Kriegs-Erlebnissen“. Ansonsten: da war der Sportlehrer - ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier. Er zwang den Tertianer Gloy - ich war wohlgemerkt ein guter Sportler zum Boxen, weil er dies für die einzig Erfolg versprechende Methode hielt, uns zu Männern zu machen; die Schwachen, Ängstlichen und Ungeschickten wurden gnadenlos dem Spott („Waschlappen“) preisgegeben - übrigens nicht nur vom Sportlehrer. Da waren die Geschichtslehrer. - Heute würde ich sagen: Fast alle kleine Amateur-Militärhistoriker. Ihr Unternehmen kam aber sowieso nur bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und zu seinen ersten „Höhepunkten“. Da war der alte Pauker, der „im Felde“ zwei Weltkriege überlebt hatte und - ich gebe es zu - uns mit seinen feldgrauen Geschichten (sie stammten in der Regel aus dem Ersten Weltkrieg) zuweilen fasziniert hat. Im übrigen Schweigen - absolutes Schweigen über die Zeit des deutschen Faschismus. Kein Wort davon im Abitur!“ Heute schäme ich mich manchmal dafür, dass wir als Schüler damals all die Jahre - so stellt es sich jedenfalls in meiner Erinnerung dar - so naiv und ahnungslos geblieben sind und wohl mehr oder weniger unbewusst „mitgeschwiegen“ haben. Warum haben wir unsere Eltern und erst recht unsere Lehrer nicht ernsthaft befragt, sondern deren „feldgraue Geschichten“ als unterhaltsame Unterrichts-Füller hingenommen, ja herausgekitzelt? - Und das im täglichen Angesicht der durch unzählige Luftangriffe der Alliierten nahezu total zerstörten Stadt Kiel.

VII. Warum nach 1945 für lange Zeit das große Schweigen herrschte und warum auch wir Schülerinnen und Schüler der unmittelbaren Nachkriegsgeneration daran teilgenommen haben bzw. Teil dieses Schwei-

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gens geworden sind, darüber gibt es viele kluge Bücher mit gut begründeten Erklärungsversuchen. Sie helfen mir zu verstehen, warum ich mich damals nicht anders verhalten habe als viele andere auch; aber sie können in mir die Scham und den Schmerz darüber nicht aufheben. Warum habe ich meine Eltern, vor allem meinen Vater, und andere Verwandte und Freunde in meinem sozialen Umfeld nicht ernsthaft befragt? Warum habe ich es nicht nur nicht während der Jahre meiner Schulzeit getan, sondern auch in all den Jahren danach - während meiner Studienzeit und meiner ersten Berufsjahre? - Ich habe es versäumt, und dieser Schmerz bleibt in mir trotz aller plausiblen sozialpsychologischen und zeitgeschichtlichen Erklärungen. Sie gehören definitiv zu einer der letzten Jahrgänge, die wenigstens noch einige aus Ihrer Großelterngeneration als Zeitzeugen für jene Schreckensjahre befragen konnten. Nächste Schülergenerationen werden allein auf audiovisuelle und schriftliche Zeugnisse angewiesen sein, wenn sie die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg nicht nur als Unterrichtsstoff zur Kenntnis nehmen, sondern sich dem, was da mitten in Deutschland und in Europa geschehen ist, auch innerlich und intellektuell aussetzen wollen. - Sie haben einen eindrucksvollen Beitrag dazu geleistet, dass das möglich bleibt. Nicht zuletzt dafür gebührt Ihnen ein großes Dankeschön! Dr. Horst Gloy

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Jerusalemer Texte Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann Band 1:

Peter Maser, Facetten des Judentums. Aufsätze zur Begegnung von Christen und Juden sowie zur jüdischen Geschichte und Kunst, 2009, 667 S.

Band 2:

Hans-Christoph Goßmann; Reinhold Liebers (Hrsg.), Hebräische Sprache und Altes Testament. Festschrift für Georg Warmuth zu 65. Geburtstag, 2010, 233 S.

Band 3:

Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Reformatio viva. Festschrift für Bischof em. Dr. Hans Christian Knuth zum 70. Geburtstag, 2010, 300 S.

Band 4:

Ephraim Meir, Identity Dialogically Constructed, 2011, 157 S.

Band 5:

Wilhelm Kaltenstadler, Antijudaismus, Antisemitismus, Antizionismus, Philosemitismus – wie steht es um die Toleranz der Religionen und Kulturen?, 2011, 109 S.

Band 6:

Hans-Christoph Goßmann; Joachim Liß-Walther (Hrsg.), Gestalten und Geschichten der Hebräischen Bibel in der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2011, 294 S.

Band 7:

Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Geschichte des Christentums, 2011, 123 S.

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Band 8:

Jonathan Magonet, Schabbat Schalom. Jüdische Theologie – in Predigten entfaltet, 2011, 185 S.

Band 9:

Clemens Groth; Sophie Höffer; Laura Sophie Plath (Hrsg.), „... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“. Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, 2011, 202 S.

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